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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


FÜB 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS  ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


vow 


HUGO   GERING  und  OSKAR    ERDMANN 


FÜNFUNDZWANZIQSTER  BAND 


HALLE  A.  S. 

VERLAS   DER   BUOUUAHDIttlKQ  DES   'WAISEirHA'DBES. 

1893. 

Reprinted  wich  the  permission  of  W.  Kohlhammer  Verlag,  Stuttgart 

JOHNSON  REPRINT  CORPORATION       JOHNSON  REPRINT  COMPANY  UMITED 
111  Fiftk  Avenue,  New  York,  N.Y.  10003  Berkeley  Square  House,  London,  W.  1 


First  repriating,  1966,  Johnson  Reprint  Corporation 


Printed  in  the  United  States  of  America 


^f=3oo3 

Z  35 
V.  2  5 
MAIN' 


INHALT. 


SeitA 

Zum  Eokenliede.    Von  F.  Vogt 1 

liederhandschriften  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  11.  m.    Von  J.  Bolte     .    .  29 

XJngedruokte  briefe  Herders  und  seiner  gattin  an  Gleim.    Von  J.  Pawel      .    .  36 

Zur  Klage.    Von  J.  Bieger 145 

Zwei  berichte  über  eine  Jerusalemfahrt  (1521).    Von  £.  Röhricht     .    .     163.  475 

Über  Wielands  Geron.    Von  L.  Singer 220 

Über  Goethes  bruchstüoke  des  gedichtes  «der  ewige  Jude*.    Von  H.  Düntzer  289 

Das  nhd.  pronomen.    Von  A.  Jeitteles 303 

Deutsche  Wandertruppen  in  Dfinemark.    Von  J.  Paludan 313 

Hans  Sachs  als  mondist  in  den  fastnachtspielen.    Von  G.  Duflou 343 

Die  quellen  von  Elingers  «Derwisch*^.    Von  K.  0.  Mayer 356 

I^dieks  saga  und  Niflunga  saga.    Von  B.  C.  Beer 433 

Johann  Sebastian  Mittemacht    Ein  beitrag  zur  geschichte  der  schulkomödie  im 

17.  Jahrhundert.    Von  G.  Ellinger 501 

Mitteilungen  über  handschriften   der  Zweibrückener  gymnasialbibliothek.    Von 

A.  Englert 537 

lied,  genant:  das  menschliche  leben  ein  träum.    Von  A.  Jeitteles  .    .  544 

Nekrologe. 

Friedrich  Zarncke.    Von  F.Vogt 71 

Matthias  v.  Lexer.    Von  K.  Weinhold 253 

Theodor  Wisen.    Von  G.  Cederschiöld 362 

Miscellen. 

Zur  geschichte  des  begräbnisses  more  teutofiieo.    Von  K.  Maurer 139 

Zum  drama  vom  verlornen  söhn.    Von  Th.  Odinga 140 

Nochmals  dribolde  scheren.    Von  M.  Pappenheim 140 

Zu  W.  MüHers  romanze  «Est  est*".    Von  R  Sprenger 142 

Gaidinenwiese.    Von  R  Sprenger 286 

Noch  einmal  täte  im  bedingungssatze.    Von  G.  Bötticher  und  0.  Erdmann  431 

Zu  den  neutralen  engein.    Von  Ph.  Strauch 566 

Die  zeichen  >  und  <.    Von  H.  Gering 566 

Litteratur. 

A.  Schultz,  das  höfische  leben,  angez.  von  J.  Meier 91 

G.  V.  d.  Gabelentz,  die  Sprachwissenschaft,  angez.  von  H.  Oldenberg     .    .  113 

Hench,  the  Monsee  fragments,  angez.  von  H.  Wunderlich 117 

Herzfeld,  die  ritsel  des  Exeterbuches,  angez.  von  E.  Koeppel    .    .    .    ■    .  120 


lY  »HALT 

Seite 
Bielschowsky,  geschichte  der  deutschen  dorfpoesie  I;  Hartmann,  Heselohers 

lieder,  angez.  von  F.  Vogt ' 121 

Seegers,  textkritik  von  Hartmanns  Gregorios,  angez.  von  0.  Rosenhagen    .  125 

Weiland,  die  Angeln,  angez.  von  0.  Bremer 128 

Holte,  de  düdesche  SchlÖmer,  angez.  von  H.  Brandes 130 

Schaub,  nd.  Übertragungen  des  Lutherschen  N.  T.;  angez.  von  demselben   .  132 
Bottiche r  und  Einzel,  denkmäler  der  älteren  deutschen  litt.  HI,  2 — 4,  angez. 

von  0.  Eawerau 137 

Schönbach,  altdeutsche  predigten  III,  angez.  von  F.  Bech 256 

Genelin,  unsere  höfischen  epen,  angez.  von  H.  Suchier .*    •    -  ^^ 

Zimmerli,  die  deutsch -französische  Sprachgrenze  in  der  Schweiz,  angez.  von 

demselben ' 266 

Schepss,  Ck)nradi  Hirsaugiensis  dialogus,  angez.  von  H.  Althof 267 

M.  V.  Waldberg,  Venusgärtlein,  angez.  von  G.  EUinger 273 

Braitmaier,  Goethecult  und  Goethephilologie,  angez.  von  0.  Erdmann     .    .  287 

Bechtel,  hauptprobleme  derindogerm.  lautlehre,  angez.  von  H.  Möller     .    .  366 

Ranisch,  Y^lsunga  saga,  angez.  von  B.  Sijmons 3d4 

E.  H.  Meyer,  eddische  kosmogonie,  angez.  von  F.  Kauffmann 3^ 

Weede,  diu  Wärheit,  angez.  von  H.  "Wunderlich  .    .    .    • 402 

Garke,  prothese  und  aphaerese  des  h  im  ahd.,  angez.  von  demselben  .    .    .  403 

Lichtenberger,  poeme  et  legende  des  Nibelungen,  angez.  von  F.  Vogt    .    .  405 

Hauffen,  Caspar  Scheidt,  angez.  von  G.  Ellinger '  417 

Heine,  Schauspiel  der  deutschen  Wanderbühne,  angez.  von  demselben.    .    *  419 

Kraus,  böhm.  Puppenspiel  von  dr.  Faust,  angez.  von  demselben     ....  421 

Holte,  der  bauer  im  deutschen  liede,  angez,  von  demselben 423 

E.  Voigt,  Egberts  von  Lüttich  Fecunda  ratis,  angez.  von  R.  Peiper.    .    .    .  423 
Müllenhoff,  deutsche  altertumskunde  III,  angez.  von  0.  Bremer     ....  546 
Heusler,   zur  geschichte  der  altdeutschen  verskunst,   angez.  von  F.  Kauff- 
mann       552 

Kraus,  „Vom  rechte**  und  „Diu  Hochzeit*,  angez.  von  H.  Löhn  er    .    .    .    .  560 

Reuling,  die  komische  figur  in  deutschen  dramen,  angez.  von  Holte     .    .    .  563 

J.  Reicke,  zu  Gottscheds  lehijahren  in  Königsberg,  angez.  von  0.  Erdmann  565 

Neue  erscheinungen 143.  287.  431.  567 

Nachrichten 144.  288.  432.  568 

Berichtigungen 144.  568 

Register  von  £.  Matthias 568 


ZUM  ECKENLIEÜE. 


Uns  seit  von  Lutringen  Helfrich 
wie  zwene  rechen  lobelich 
Ze  saemine  bechomen 
Erekke  unde  euch  her  Dieterich 
Sie  waren  beide  vraislich 
da  von  sie  schaden  namen 
Als  vinster  was  der  tan 

da  si  an  ander  funden 
Her  Dietrich  rait  mit  mannes  chrafiPt 

den  walt  also  unchunden 
Ereke  der  chom  dar  gegan 
er  lie  daheime  rosse  vil 

daz  was  niht  wol  getan. 


Hiemali  tempore 
dum  prata  marcent  frigore 
et  aquQ  congelasciint 
concurrunt  in  ^stnario 
qui  regnant  cum  Decio 
et  postquam  convalescunt 
socius  a  socio 

lud  US  incitatur 
qui  vestitus  venerat 

nudus  reparatur 
ei  trepidant  diviti^ 
cui  paupertas 

semper  servit  libere. 


5 


10 


Die  metrische  Übereinstimmung  obiger  Strophen  der  Carmina 
Burana  ist  lange  unbemerkt  geblieben,  obwol  doch  in  der  handschrift 
auch  hier  die  deutsche  Strophe  unmittelbar  hinter  dem  entsprechenden 
lateinischen  liedchen  steht  (Bl  90  und  90*»;  Schmeller  nr.  180.  CLXXX'), 
von  dessen  drei  Strophen  ich  hier  probeweise  die  erate  mitteilte.  Mar- 
tin führt  vielmehr  Ztschr.  f.  d.  a.  20,  47  die  strophe  des  Eckenliedes 
ausdrücklich  unter  denjenigen  deutschen  auf,  welche  „keine  lateinischen 
gegenstücke  haben*',  und  weder  Burdach  noch  Meyer  haben  bei  ihren 
bemühungen,  teilweise  die  priorität  der  deutschen  Strophen  der  CB  vor 
den  mit  ihnen  zusammengestelten  lateinischen  gegen  Martin  zu  ver- 
teidigen, jenes  versehen  berichtigt  Und  doch  handelt  es  sich  gerade 
hier  um  einen  fall,  in  welchem  die  deutsche  Strophe  gewiss  die 
ursprüngliche  ist  und  dem  lateinischen  liede  nur  als  Schema  der  bekan- 
ten  deutschen  weise  angehängt  wurde,  nach  welcher  jenes  gesun- 
gen ward.  Denn  abgesehen  von  algemeinen  er  wägungen,  die  es 
unwahrscheinlich  genug  machen,  dass  eine  der  beliebtesten  weisen 
der  deutschen  volksepik  aus  einem  kleinen  lateinischen  spielerlied- 
chen  herstammen  solte,  zeigen  die  lateinischen  verse  hier  in  dem 
dreimaligen   fehlen    der  Senkungen    (v6st6s   mittäntür  2,  10;   hei   h^c 


ZKITSCUHIFT  F.    DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.    XXV. 


2  f.   VOOT 

est  r6gul&  3,  11)  eine  eigentümlichkeit,  die  Martin  selbst  a.  a.  o.  s.  56  fg. 
als  kenzeichen  für  die  nachbilduog  eines  deutschen  musters  auffasst. 
Der  schlussvers  hat  im  Eckenliede  die  gewöhnliche  form  der  epischen 
langzeile:  3  hebungen  mit  klingendem  oder  4  mit  stumpfem  ausgange 
in  der  ersten,  3  hebungen  mit  stumpfem  schluss  in  der  zweiten  hälfte. 
Nach  der  ersteren,  berschenden  form  könte  auch  in  dem  lateinischen 
liede  der  schlussvers  der  1.  und  3.  strophe  gelesen  werden  cm  pau- 
pertas  semper  servit  Ubere,  per  qiuim  nobis  cutis  erit  morbida;  aber 
der  schluss  der  zweiten  cui  sors  magis  aut  foriuna  fav^eat  nötigt 
anzunehmen,  dass  die  cäsur  hinter  die  auf  die  zweite  hebung  folgende 
Senkung  verschoben  wurde,  so  dass  sich  also  der  typus  3^  +  3  zu 
2w  +  4  wandeltet 

Aber  nicht  allein  für  die  frage  nach  dem  Verhältnis  der  vagan- 
tenlyrik  zur  deutschen  dichtung,  auch  für  die  beurteilung  des  Ecken- 
liedes selbst  ist  die  in  die  CB  aufgenommene  strophe  von  grosser 
bedeutung.  Zupitza,  der  in  der  Lassbergischen  handschrift  (L)  die 
„älteste  gestalt^  des  Eckenliedes  sieht,  tut  im  Deutschen  heldenbuch 
V,  XXXV  den  kritischen  wert  der  Benedictbeurener  str.  (B)  allerdings 
mit  der  bemerkung  ab:  „ihre  fassung  weicht  von  L  so  bedeutend  ab, 
dass  nicht  zu  zweifeln  ist,  dass  sie  aus  dem  gedächtnis  aufgezeichnet 
worden";  aber  noch  in  seinen  Prolegomena  ad  Alberti  de  Kemenaten 
Eckium  s.  16  scheint  er  nicht  abgeneigt,  B  den  vorrang  vor  L  zu  las- 
sen. In  der  tat  stelt  meines  erachtens  die  vergleichung  beider  Über- 
lieferungen die  ursprünglichkeit  von  B  ausser  zweifei.  Vers  9  und  10 
liest  nämlich  L:  her  Dietrich  und  der  küene  man  wol  an  denselben 
stunden.  Das  sind  durchaus  nichtssagende  flickverse,  während  B  hier 
bestimte  angaben  bietet,  die  volständig  am  platze  sind:  Dietrich  kent 
den  wald,  durch  den  er  in  nächtlichem  dunkel  ziehen  muss,  tatsäch- 
lich nicht;  und  vor  allem,  was  hier  im  gegensatz  zu  vers  11  entschie- 
den bemerkt  werden  muss,  er  reitet,  während  Ecke  zu  fusse  geht. 
Das  Dresdener  heldenbuch  (d)  stimt  mit  L  überein;  die  dritte,  durch 
den  Augsburger  und  den  Strassburger  druck  vertretene  version  (as) 
liest  vers  7  — 10:  Ja  also  finster  tvas  der  than  Da  zu  den  selben  stun- 
den Herr  Eck  der  wolt  nie  abelan  Den  iveg  het  er  gefunden.  Was 
den  anlass  zu  diesen  ungeschickten  änderungen  gegeben  hat,  ist  klar: 
der  cäsurreim  solte  eingeführt  werden,  während  in  der  ursprünglichen 
form  der  Eckenstrophe  zeile  7  und  9  reimlos  waren.  Diese  echte 
gestalt  der  Ecken  weise  liegt  allein  in  den  CB  vor;  in  der  lateinischen 
nachbildung  bleiben  die  entsprechenden  zeilen  ebensowol  konsequent 
ohne   reim   wie   in   der  deutschen  strophe,   während  alle  volständigen 


ZUM  EOKKNUBDE 


füberlieferaogen  des  deutschen  gedichtes  diesen  ohne  ausnähme  ein- 
geführt haben;  keine  von  ihnen  kann  also  die  ursprüngliche  fessung 
des  Eckenliedes  darstellen.  Zu  diesem  ergebnisse  war  schon  vor  20  jäh- 
ren Wilmanns  (Altdeutsche  Studien  s.  97  fgg.)  auf  ganz  anderem  wege 
gelangt  Er  hatte,  was  insbesondere  die  form  betrift,  bemerkt,  das  L, 
d  und  as  auch  bei  sonstiger  Übereinstimmung  der  reimwörter  doch  in 
denen  des  siebenten  und  neunten  verses  in  der  regel  von  einander 
abweichen;  und  er  hatte  den  schluss  daraus  gezogen,  dass  diese  drei  texte 
auf  eine  verlorene  quelle  zurückgehen  müsten,  in  welcher  jene  zeilen 
noch  nicht  mit  einander  gereimt  waren.  Die  Strophen  der  GB  hatte 
auch  er  nicht  berücksichtigt;  sie  geben  seiner  annähme  eine  glänzende 
bestätigung,  wenn  anders  es  einer  solchen  noch  bedurfte. 

Wer  die  deutsche  Strophe  der  CB  unbefangen  und  ohne  rück- 
sicht  auf  die  anderweitige  Überlieferung  des  Eckenliedes  liest,  dem 
wird  sie  sicherlich  als  der  anfang  desselben  erscheinen;  und  dass  gerade 
sie  als  Vertreterin  seiner  weise  dem  lateinischen  liede  in  der  Benediktr 
beui*ener  samlung  angehängt  ist,  würde  sich  natiirlich  am  einfachsten 
erklären,  wenn  das  deutsche  gedieht  wirklich  mit  ihr  begann.  Aber 
in  L  gehen  ihr  68,  in  d  77,  in  as  62  Strophen  voran.  Diese  berich- 
ten, wie  Ecke  von  drei  königinnen  ausgesant  und  ausgerüstet  wird, 
um  ihnen  den  Dietrich  von  Bern  zu  bringen;  wie  er  diesen  dann  zu 
Bern  und  anderswo  vergeblich  sucht,  bis  er  einen  von  Dietrich  töüich 
verwundeten  ritter  findet,  der  ihn  erst  vor  dem  kämpfe  mit  dem  gefahr- 
lichen beiden  warnt,  dann  aber  auf  die  richtige  fahrte  weist  Dieser 
todwunde  wird  in  L  Helferich  von  Lime,  in  D  Helferich  von  Lone, 
in  as  Helferich  von  Lutring  genant;  er  gilt  allen  Überlieferungen  als 
einunddieselbe  persönlichkeit  mit  dem  in  der  eingangs  mitgeteilten 
Strophe  genanten  gewährsmanne  der  erzähl  ung  vom  kämpfe  Dietrichs 
mit  Ecke.  In  as  begint  diese  Strophe  freilich  ohne  nennung  des  namens 
Wir  fvnden  hye  geschriben  sta?i  Wie  das  xwen  irrmerxagte  man  In 
einen  wald  dar  kamen;  aber  hier  wird  vorher  str.  62  und  nachher 
Str.  90,  6  Helfrich  ausdrücklich  zum  heimlichen  zeugen  des  kampfes 
gemacht,  und  str.  130  fg.  lässt  ihn  diese  Version  nach  beendigung  des 
kampfes  hervorkommen  und  von  Dietrich  mit  der  nachricht  über  das 
vorgefallene  nach  Bern  geschickt  werden. 

Von  einer  solchen  Verbindung  dieser  person  mit  den  späteren 
ereignissen  wissen  nun  L  und  d  durchaus  nichts.  HelMch  wird  nach 
der  in  rede  stehenden  Strophe  (L  69  d  78)  überhaupt  gar  nicht  wider 
genant;  und  selbst  mit  der  vorangegangenen  erzählung  von  Helfrichs 
Verwundung  steht  jene  strophe  von  Helfrich  dem  gewähi'smann  in  die- 

1* 


F.   VOOT 


seil  beideu  Versionen  eigentlich  in  gar  keinem  zusammenhange.  Wäh- 
rend as  Str.  62  zu  erzählen  weiss,  dass  Helfrich,  der  sich  vorher  wie 
ein  sterbender  gebärdete,  zu  den  kämpfenden  schleicht,  indem  er  sich 
seine  wunden  mit  einem  rasenstücke  zuhält,  lässt  d  (74 — 77)  ihn  durch 
ein  Zwerglein  geheilt  werden,  so  dass  er  am  fünften  morgen  von  dan- 
nen  reiten  kann  —  wohin  wird  nicht  gesagt,  und  man  gerät  nicht 
auf  den  gedanken,  dass  er  noch  zu  Eckes  und  Dietrichs  kämpf  gekom- 
men sein  solte,  da  dieser  doch  nicht  erst  am  fünften  tage  nachdem 
Helfrich  den  Ecke  zu  Dietrich  gewiesen  hatte  erfolgt  sein  wird.  Nach 
as  78,  11  — 13  begint  der  kämpf  Dietrichs  mit  Ecke  vielmehr  in  der 
auf  seinen  kämpf  mit  Helfrich  folgenden  nacht,  und  die  mit  dieser 
Strophe  eng  zusammenhängende  as  79  findet  sich  auch  in  d  (117). 
d  wird  durch  die  erzählung  von  Helfrichs  heilung  wol  die  tatsache 
haben  erklären  wollen,  dass  der  todwunde  überhaupt  am  leben  blieb 
und  so  der  gewährsmann  für  die  folgenden  ereignisse  werden  konte; 
darüber  aber,  auf  welche  weise  er  sie  erfahren,  hat  der  urheber  die- 
ser Version  sich  augenscheinlich  keine  gedanken  gemacht  An  eine 
gemeinsame  quelle  für  die  berichte  in  as  und  in  d  ist  natürlich  nicht 
zu  denken;  und  so  enthält  denn  auch  L,  die  in  der  ältesten  hand- 
schrift  überlieferte  und  zugleich  (so  viel  muss  man  meines  erachtens 
Zupitza  entschieden  zugeben)  die  verhältnismässig  ursprünglichste  die- 
ser drei  redaktionen,  keinen  von  beiden.  Auch  jene  Strophe  as  79 
d  117,  welche  den  der  begegnung  mit  Ecke  vorangegangenen  kämpf 
Dietrichs  mit  Helfrich  und  dessen  drei  begleitern  voraussezt,  fehlt  in  L 
ganz.  Das  einzige,  was  hier  möglicherweise  einer  Vorbereitung  der 
Strophe,  die  den  Helfrich  als  gewährsmann  nent,  ähnlich  sehen  könte, 
ist  die  mit  d  übereinstimmende  kurze  bemerkung  68,  2,  dass  Ecke 
den  wunden  Helferich  verbunden  habe,  insofern  nun  doch  wenigstens 
dessen  heilung  noch  möglich  gemacht  scheint;  da  aber  as  etwas  der- 
artiges nicht  enthält,  vielmehr  bestimt  voraussetzt,  dass  Helfrich  ohne 
verband  bleibt,  so  ist  es  sehr  zweifelhaft,  ob  in  der  quelle  Ldas  schon 
eine  entsprechende  strophe  stand. 

Jedesfals  haben  wir,  was  d  und  vor  allem  was  as  gegen  L  über 
Helfrich  angeben,  als  selbständige  zutaten  anzusehen,  die  wenigstens 
in  as  deutlich  dem  zwecke  dienen,  eine  in  der  quelle  vermisste  Ver- 
bindung zwischen  der  geschichte  des  verwundeten  Helfrich  und  der 
berufung  auf  Helfrichs  erzählung  vom  kämpfe  Dietrichs  mit  Ecke  her- 
zustellen. In  der  gemeinsamen  grundlage  von  Ldas  hat  sich  nichts 
derartiges  gefunden;  in  ihr  bestand  —  mögen  wir  nun  L  68  für  älter 
oder  für  jünger  halten  —  ein  erträglicher  Zusammenhang  zwischen  der 


ZX7M   ECKENLIKDB 


oben  mitgeteilten  strophe  L  69  und  dem  vorangegangenen  so  wenig 
wie  in  L  Wie  der  zum  tode  verwundete,  schon  mit  dem  sterbesakra- 
ment  versehene  Helfrich  dazu  komt,  den  kämpf  der  beiden  beiden  zu 
erzählen,  ist  ganz  unerfindlich;  Dietrich  und  Ecke  aber  werden  vol- 
ständig  neu  eingeführt,  als  wären  sie  noch  gar  nicht  genant,  als  wäre 
von  Eckes  langem  suchen  nach  Dietrich  nirgend  die  rede  gewesen ,  und 
ebensowenig  davon,  dass  er  ein  pferd  verschmähte.  Dass  es  nacht  ist, 
wird  von  dieser  strophe  an  vorausgesezt,  während  von  ihrem  anbruch 
vorher  in  Ld  nicht  die  rede  war;  vielmehr  war  in  L  die  lezte  Zeit- 
bestimmung der  morgen  (52,  1  vgl.  auch  d  55,  12.  56,  1);  nur  nach 
der  auch  hier  auf  herstellung  eines  besseren  Zusammenhanges  bedach- 
ten Version  as  ist  es  abend  43 — 44,  nacht  58.  Ich  kenne  keine  ein- 
zige stelle  im  inneren  eines  unserer  volksepen,  an  der  so  deutlich  und 
unvermittelt  der  anfang  eines  augenscheinlich  selbständigen  gedichtes 
mitten  in  die  erzählung  hineinfahrt  Selbst  in  as  fangt  bei  allen  Ver- 
änderungen die  Strophe  doch  noch  wie  von  vorne  an.  L  zeigt  nur 
eine  für  die  frage  nach  ihrer  Selbständigkeit  bemerkenswerte  ab  wei- 
chung von  B:  es  schreibt  als  erstes  wort  erst  statt  uns.  Das  kann 
hier  nichts  anderes  heissen,  als  „erst  jezt**.  Der  Urheber  dieser  Ver- 
sion sezt  also  voraus,  dass  man  das  durch  erst  eingeleitete  eigentlich 
schon  früher  erwarten  konte.  Aus  der  vorausgegangenen  erzählung 
aber  ergibt  sich  nicht  der  mindeste  grund,  weshalb  Helfrich  schon  frü- 
her seinen  bericht  hätte  bringen  sollen;  nicht  durch  sie,  sondern  nur 
durch  eine  ältere  tradition  kann  daher  jene  erwartung  begründet  sein, 
durch  die  tradition,  nach  welcher  das  Eckenlied  eben  mit  dieser  strophe 
begann.  Der  redaktor  geht  also  hier  von  der  jüngeren  Vorgeschichte 
zu  dem  älteren  anfange  über,  indem  er  sagt:  „erst  jezt  komt  die 
(bekante)  erzählung  des  Helferich  von  Lune";  und  er  kenzeichnet 
dadurch  zum  überfluss  noch  ausdrücklich  die  stelle,  an  der  die  alte 
dichtung  begann. 

So  weiss  denn  nun  auch  die  Pidreks  saga  (c.  96  fg.)  von  der 
ganzen  scene  zwischen  Ecke  und  dem  verwundeten  ritter  durchaus 
nichts,  und  nirgend  in  der  ganzen  erzählung  von  Ekka  wird  Hjalp- 
rikr  auch  nur  genant 

Fand  sich  also  der  narae  Helferich  von  Lutringen  oder  von  Lune 
ursprünglich  allein  in  der  oben  mitgeteilten  strophe,  der  ersten  der  alten 
dichtung,  so  fragt  es  sich,  was  er  dort  zu  bedeuten  hatte.  Schon  frühe 
ist  die  ansieht  geäussert,  dass  der  name  des  dichters  dahinter  stecke; 
ohne  dass  man  aber  deshalb  die  vorausgegangene  erzählung  vom  ver- 
wundeten Helfrich  für  jünger  erklärt  hätte.     Und  zwar  haben  bekant- 


6  P.   VOGT 

lieh  Lassberg  und  U bland  angenommen,  dass  van  Lüne  Helferich  ent- 
stell sei  aus  von  lAnouw  Heinrich ,  so  dass  der  Verfasser  des  Ecken- 
liedes denmacb  identisch  wäre  mit  jenem  Heinrieh  von  Ltnouwe,  wel- 
cher nach  der  litterarischen  stelle  in  Rudolfe  von  Ems  Alexander  den 
waücere  verfasste,  nach  der  im  Wilhelm  von  Orlens  Ekkenia  manheit 
hat  geiihiei  und  geseit:  dax  ist  der  wcUUere,  Bächtold  hat  in  seiner 
litteraturgeschichte  der  Schweiz  s.  108  u.  anm.  diese  Vermutung  wider 
aufgenommen.  Da  aber  Ekkenia  oder  Ekkenes  nicht  der  genetiv  von 
Ekke  ist,  andrerseits  der  vers  an  der  stelle,  wo  jene  namensform  steht, 
drei  silben  erfordert,  so  habe  ich  in  Pauls  Grundriss  11,  323  nach  den 
von  Waekemagel  LB  I*,  607  mitgeteilten  Varianten  Eggen,  Ereckes 
frageweise  em  Ecken  vermutet  Die  ganze  hypothese  wird  jedoch  wider- 
legt durch  eine  stelle,  durch  die  Bächtold  sie  gerade  stützen  zu  können 
meint  Er  beruft  sieh  a.  a.  o.  auf  die  ihm  aus  einer  abschrift  bekan- 
ten  verse  7084  fg.  des  Wilhelm  swer  hat  vemomen  oder  gelesen  von 
dem  waUcere  kern  Ekkenes  mcere,  aus  denen  hervorgehe,  dass  unter 
dem  Waller  Ecke  gemeint  sei.  Ich  weiss  nicht,  wie  sich  das  aus  die- 
sen versen  eher  ergeben  soll,  als  aus  den  längst  bekanten  litterarischen 
stellen  im  Wilhelm  und  Alexander.  Jedesfals  beweisen  die  verse, 
welche  den  von  Bächtold  mitgeteilten  in  den  bandschriften  unmittelbar 
folgen,  und  deren  abschrift  ich  der  freundlichkeit  des  herm  dr.  Y.  Zeid- 
1er  in  Oraz  verdanke,  dass  der  waUcere  unmöglich  der  Ecke  des  volks- 
epos  seih  kann.    Der  dichter  fährt  nämlich  im  satze  fort: 

dem  ist  wol  kunt,  vrie  iegeUch 

ein  tumei  da  hebet  sich 

in  der  mitten  ougsten  xtt, 

und  wie  ein  sperwer  dur  strtt 

aldar  üf  gesetxet  wirt. 
Demnach  gehörte  der  held  dieses  gedichtes,  wie  schon  Docen,  Mise.  II, 
292  in  berichtigung  seiner  eigenen  früheren  ansieht  (ebenda  I,  75) 
bemerkte,  „in  einen  ganz  anderen  fabelkreis^.  Freilich  steht  die  namens- 
form in  den  älteren  bandschriften  nicht  fest;  von  5  pergamenthand- 
schriften  bietet  nach  Zeidlers  mitteilung  nur  eine  Ekkenes^  die  anderen 
erkeynes,  eikenes,  klies,  ereckes.  Die  erwähnung  des  dur  strit  aufge- 
sezten  Sperbers  legt  es  ja  nahe,  Ereckes  für  das  ursprüngliche  und 
tvallcere  dann  für  eine  Verderbnis  von  Ouwcere  zu  halten;  aber  in  wal- 
Icere  stimmen  die  bandschriften  überein;  da  wäre  es  denn  doch  merk- 
würdig, wenn  der  name  des  albekanten  Verfassers  des  Eree  in  ihrer 
gemeinsamen  quelle  in  dieser  weise  entstelt  wäre,  und  wenn  dann  wei- 
ter alle  bandschriften  diesen  namen  eines  gar  nicht  existierenden  dich- 


ZUM  BOKSNLIBDE 


ters  gläubig  hingenommeD ,  für  sein  werk  aber  an  stelle  des  bekanten 
Erek  der  vorläge  auf  ganz  verschiedene  namensformen  geraten  hätten, 
statt  vielmehr  Erek  beizubehalten,  für  den  entstelten  namen  seines  Ver- 
fassers aber  die  bekante  richtige  form  einzusetzen.  Die  abweichungen 
der  handschriften  würden  sich  viel  eher  erklären,  wenn  es  sich  um 
den  namen  eines  wenig  bekanten  gedichtes  handelte.  Und  so  finden 
sich  denn  auch  nach  Wackernagel  a.  a.  o.  605  in  der  litterarischen 
stelle  des  Wilhelm  zu  Ouwere  und  Ereckes  gar  keine  abweichungen, 
während  zu  Ekkenis  ganz  ähnlich  wie  hier  die  teilweise  schon  auf- 
geführten Varianten  eggenis  ekkmis  eikins  eygen,  ja  auch  ereckes  auf- 
treten. Von  Erec  aber  kann  in  dem  dort  vorliegenden  zusammenhange 
unmöglich  die  rede  sein.  Wir  werden  daher  dieser  lesart  auch  an  der 
anderen  stelle  keine  entscheidende  bedeutung  beilegen  dürfen.  Dazu 
komt  nun  noch,  dass  bei  Hartmann  nicht  von  der  mitten  ougsten  xU^ 
und  auch  nicht  eigentlich  von  einem  turnier,  sondern  nur  von  einem 
einzigen  Zweikampf  die  rede  ist  Es  handelt  sich  also  augenscheinlich 
um  ein  sonst  unbekantes  höfisches  epos,  und  Heinrich  von  Linouwe 
wird  mit  dem  Eckenliede  nichts  zu  tun  haben.  Der  vomame  der  frag- 
lichen persönlichkeit  lautet  auch  nach  dem  Zeugnis  aller  handschriften 
und  drucke  Helferich;  als  die  form  des  zunamens  ist  durch  die  Über- 
einstimmung der  ältesten  und  ursprünglichsten  aufzeichnung  B  mit  der 
von  ihr  ganz  unabhängigen  version  as  von  Lutringen  (Lutring)  am 
besten  verbürgt 

Dieser  name  komt  sonst  nur  noch  einmal  in  der  litteratur  vor: 
nach  Dietrichs  flucht  5156  heisst  einer  der  fremden  fürsten  an  Etzels 
hof  Helphrich  von  Lutringe.  Dass  wir  hier  nichts  über  diese  persön- 
lichkeit erfahren,  dass  er  anderswo  überhaupt  unbekant  ist,  beweist  an 
sich  noch  nicht,  dass  er  nicht  wirklich  der  sage  angehört  haben  kann. 
Zu  den  sagenmässigen  überlieferuDgen  haben  sicher  auch  genealogien 
und  namenverzeichnisse  gehört,  ohne  dass  deshalb  über  leben  und 
taten  jedes  in  ihnen  vorkommenden  beiden  auch  weitere  traditionen 
bestanden  haben  müsten.  Ein  solcher  held  könte  Helfrich  von  Lutrin- 
gen gewesen  sein.  Der  Verfasser  des  Eckenliedes  könte  ihn  als  gewährs- 
mann  erdichtet  haben,  lediglich  um  durch  die  berufung  auf  einen 
altüberlieferten,  mit  Dietrich  von  Bern  in  Zusammenhang  stehenden 
namen,  mit  dem  man  doch  frei  schalten  konte,  da  man  sonst  nichts 
rechtes  von  ihm  wüste,  seiner  erzählung  ein  ehr-  und  glaubwürdiges 
aussehen  zu  geben.  Nach  der  lesart  B  uns  seit  scheint  man  ja 
auch  annehmen  zu  müssen,  dass  der  redende,  also  doch  wol  der  dich- 
ter,  nicht  von  sich  selbst,  sondern  von  seinem  gewahrsmanne  spricht 


V.   VOGT 


und  wenn  dessen  name  wirklich  der  alten  sage  von  Dietrich  und  Etzel 
angehörte,  so  konte  das  dann  späterhin  dazu  führen,  ihm  auch  an  dem 
hier  erzählten  abenteuer  Dietrichs  durch  zudichtung  einen  anteil  als 
handelnde  person  zu  verschaffen. 

Trotzdem  und  trotz  ztschr.  f.  d.  a.  6,  438  fg.  kann  ich  bedenken 
gegen  die  annähme  nicht  unterdrücken,  dass  dieser  Helfrich  von  Lut- 
ringe  wirklich  der  alten  heldensage  angehörte.  Ob  dem  Zeugnisse  des 
gedichtes  von  Dietrichs  flucht  eine  selbständige  bedeutung  beigelegt 
werden  darf,  ist  sehr  zweifelhaft,  da  Heinrich  der  Vogeler  das  Ecken- 
lied gekant  und  benuzt  haben  wird.     Die  verse  von  Ortnits  tod 

dax  hat  man  tu  ouch  geseit, 

ivie  in  der  wurm  släfent  vant 

vor  einer  wilden  steinwant 

er  truoc  in  hi?i  in  einen  berc, 

die  loürme  sugen  in  durch  dax  werc 

(Dietrichs  flucht  2238  fg.) 

stimmen  mit  keiner  der  überlieferten  Ortnit-  und  Wolfdietrichdichtun- 
gen  überein,  auffallig  dagegen  mit  dem  Eckenliede.  In  jenen  wird 
ausnahmelos  erzählt,  dass  Ortnit  nicht  an  einer  felswand,  sondern 
unter  einer  linde  eingeschlafen  ist,  als  ihn  der  drache  findet;  ein 
rosen  tragen  der  anger  umgibt  den  bäum  nach  Ortnit  DHB.  III  str.  565 
—  567,  eine  breite  beide,  eine  au,  ein  gefilde  nach  HB  ed.  Keller 
293,  38.  294,  1.  23.  Nun  weicht  Dietrichs  flucht  freilich  auch  sonst 
in  ihren  mitteilungen  aus  Ortnits  geschichte  von  den  überlieferten  Ver- 
sionen ab;  aber  einerseits  steht  denselben  nirgend  so  wie  hier  eine 
ganz  bestimte  angäbe  aller  in  betracht  kommenden  Ortnit-  und  Wolf- 
dietrichtraditionen gegenüber,  und  andrerseits  klingen  die  verse  so  wört- 
lich an  Eckenl.  21,  9  fg.  an  — 

ein  wurm  släfende  in  xeiner  xtt 
vant  vor  eins  sieines  wende, 
der  truoc  in  in  den  holen  berc 
und  leite  in  vür  die  jungen: 

die  sugen  in  durch  dax  werc  — , 

dass  doch  entschieden  die  annähme  am  nächsten  liegt,  Heinrich  der 
Vogler  habe  diese  verse  des  bekanten,  auch  von  seinem  stamm-  und 
Zeitgenossen  Ottokar  (Grimm  HS  170)  erwähnten  gedichtes  im  köpfe 
gehabt,  als  er  die  fragliche  stelle  schrieb.  Da  aber  jene  verse  nicht 
in  der  erzählung  von  Dietrichs  und  Eckes  kämpf,  sondern  in  der  An- 
leitung  stehen,    so  hat    er  ebenso   wie  Ottokar  schon   die  erweiterte 


ZUM  BOKENUEDE  9 

fassuDg  des  liedes  gekant,  konte  ihr  also  auch  die  Vorstellung  ent- 
nehmen, dass  Helfrich  von  Lutringen  ein  held  der  sage  sei.  Als 
solchen  stelte  er  ihn  dann  am  angeführten  orte  als  blossen  Statisten 
neben  den  Helferich  von  Lunders,  ähnlich  wie  er  neb€?n  den  Witege 
noch  den  Witegouwe  und  Witegis  sezte.  Iftir  den  genossen,  den  er 
analog  dem  Eckewart  beigibt,  mag  er  den  sonst  nicht  bezeugten  namen 
Eckenot  widerum  dem  erweiterten  Eckenliede  entlehnt  haben  (Dietrichs 
flucht  4151  fg.     9715  fg.  vgl.  5860;  Ecke  210  fgg.). 

Ist  es  somit  höchst  zweifelhaft,  ob  die  echte  sage  jemals  einen 
Helfrich  von  Lutringen  gekant  hat,  so  verdient  die  frage,  ob  der  name 
nicht  einfach  so,  wie  er  überliefert  ist,  der  des  dichters  sein  könne, 
umsomehr  erwägung,  als  es  denn  doch  immerhin  ohne  beispiel  sein 
würde,  dass  ein  sagenheld  unmittelbar  als  erzähler  der  sage,  zu  wel- 
cher er  selbst  gehört,  vom  dichter  eingeführt  würde.  Das  y,uns  seit"- 
müste  man  sich,  wenn  Helfrich  der  Verfasser  wäre,  im  sinne  des  vor- 
tragenden spielmannes  gesprochen  denken,  ebenso  wie  die  Morolf 
CXXXVn  behandelten  formein  und  wie  vermutlich  vers  1840  fg.  von 
Dietrichs  flucht  der  uns  dax  tncere  xesamne  slöx  der  tiiot  uns  an  dem 
buoche  kunt  —  wenn  in  diesem  lezten  falle  nicht  eine  Interpolation 
der  handschrift  P  vorliegt  Auch  die  nennung  des  Albrecht  von  Keme- 
naten Goldemar  str.  2  passt  mehr  in  den  mund  eines  reproduzierenden 
als  in  den  des  dichters*.  Lutringen  (Lutringe  DFL,  Lutring  as)  würde 
als  zuname  des  dichters  wol  nicht  auf  das  land,  sondern  auf  einen  ort 
zu  deuten  sein.  Noch  heute  gibt  es  ein  dorf  Lüttringen  in  Westfalen 
(kreis  Soest);  als  heimat  des  dichters  könte  etwa  das  heutige  Liggerin- 
gen (aus  Liutgeringeo)  bei  Eonstanz  in  betracht  kommen,  welches  in 
der  form  Lutteringen  in  Gallus  Oheims  Chronik  von  Beichenau  (Lit. 
Ver.  84)  48,  21  vorkomi 

Die  ehre,  von  dem  erweiterer  zu  einem  holden  der  Dietrichsage 
gemacht  zu  werden,  würde  dann  dem  dichter  dadurch  wider&hren  sein, 
dass,  wenn  auch  nicht  gerade  ein  Helfrich  von  Lutringen,  so  doch  ein 
Helfrich  tatsächlich  zu  ihr  gehörte.  Er  ist  einer  von  Dietrichs  getreuen 
(nach  DM.  ursprünglich  einer  der  unter  Etzels  schütz  stehenden  für- 
sten),  und  er  findet  nach  dem  Nibelungenliede  in  den  kämpfen  mit  den 
Burgunden  an  Etzels  hof,  nach  der  I'idrekssaga  in  denen  mit  Erman- 
rich  seinen  tod,  während  DFL  und  Rabenschlacht  nur  von  seinem 
tätigen  anteil  an  den  lezteren  wissen.  Nibelungen,  Alphart,  I^s.  nen- 
nen ihn  schlechtweg  Helpfrich  (Hjalprikr),  DFL  und  Babenschlacht  teil- 
weise ebenso,  teilweise  Helfrich  von  Lunders.  Dass  es  dieser  getreue 
dienstmann  oder  bundesgenosse  ist,   der   durch  Eckenlied  59  in   die 


10  F.   VOGT 

Vorgeschichte  zu  Dietrichs  und  Eckes  kämpf  hineingezogen  wird,  kann 
nicht  zweifelhaft  sein,  da  ihm  dort  genossen  beigegeben  werden,  die 
in  den  gedichten  von  Dietrichs  kämpfen  gegen  Ermanrich  mit  ihm 
gemeinsam  im  bundes-  oder  dienstverhältnis  zu  dem  Bemer  stehen, 
nämlich  Huc  von  Tenemark,  der  im  Alphart,  Ortwin  von  Metz,  der 
in  DFL  und  Rabenschlacht,  und  liudegast,  der  wenigstens  DFI.  5900^ 
in  dieser  Stellung  auftritt  Dazu  passt  es  denn  freilich  schlecht  genug, 
dass  eben  diese  recken  im  Eckenliede  von  Dietrich,  man  weiss  nicht 
aus  welchem  gründe,  bekämpft  werden,  dass  er  den  HelMch  zum  tode 
verwundet,  die  drei  anderen,  die  hier  —  widerum  ganz  gegen  die 
sonstige  tradition  —  als  feiglinge  erscheinen,  sogar  totschlägt  Ich 
vermute,  dass  es  sich  hier  um  eine  ganz  wilkürliche  Verwendung  die- 
ser namen  handelt  Der  beiname  von  Lune,  welchen  Ld  an  stelle 
des  von  Lutringen  dem  HelMch  beilegen,  macht  die  sache  nicht  bes- 
ser. Ein  held  dieses  namens  tritt  sonst  nur  noch  in  der  Yirginal  auf, 
aber  unter  Verhältnissen,  die  widerum  mit  den  im  Eckenliede  gegebe- 
nen umständen  ganz  unvereinbar  sind.  Er  herscht  als  herzog  (Virg. 
538,  12)  von  Septmer  Hf  die  Tüne,  nimt  Dietrich  und  Hildebrand, 
der  seinen  söhn  Bentwin  aus  dem  Schlund  eines  drachen  befreit  hat, 
freundlich  auf  seiner  bürg  xe  Aröne  auf  und  freut  sich  noch  den  tag 
erlebt  zu  haben,  dass  er  den  Bemer  von  angesicht  zu  angesicht  sieht 
(184,  8).  Dann  schliesst  er  sich  ihm  und  Hildebrand  als  treuer  beglei- 
ter  und  mitkämpfer  auf  ihren  weiteren  fahrten  an.  Also  für  jenen 
kämpf  Helfrichs  mit  Dietrich,  von  dem  die  einleitung  des  Eckenliedes 
zu  erzählen  weiss,  ist  auch  hier  nirgend  räum. 

Solte  dies  motiv  demnach  lediglich  zu  dem  zwecke  erfunden  sein, 
um  dem  in  der  anfangsstrophe  des  alten  liedes  (L  69)  genanten  Helf- 
rich,  dessen  namen  man  als  den  eines  beiden  der  sage  kante,  auch 
einen  anteil  an  der  handlung  zu  geben,  so  müste  man  freilich  erwar- 
ten, dass  die  episode  in  einen  bessern  Zusammenhang  mit  jener  Strophe 
gebracht  wäre,  als  er  nach  den  obigen  darlegungen  besteht  Nun  wird 
aber  der  durch  Dietrich  verwundete  recke  überhaupt  nur  in  einer 
Strophe  Helfrich  genant  —  auf  Eckes  befragen  nent  er  seinen  namen 
und  die  seiner  erschlagenen  gefährten  —  und  die  Strophe  hängt  so  lose 
mit  ihrer  Umgebung  zusammen,  dass  Ld  einerseits  und  as  anderseits 
sie  ohne  nachteil  an  ganz  verschiedenen  stellen  aufnehmen  konten; 
weder  an  der  einen  noch  an  der  anderen  wird  sie  durch  das  voran- 
gegangene vorbereitet,  durch  das  nachfolgende  vorausgesezt,  und  der 
name  des  verwundeten  rittere  kann  ebenso  wie  die  seiner  gefallenen 
genossen  ungenant  bleiben,  ohne  dass  man  etwas  wesentliches  vemüsst 


um  ECKSNLIBDK  11 

Ich  halte  es  für  nicht  unmöglich,  dass  sie  ursprünglich  auch  wirklich 
ungenant  blieben.  Der  Verfasser  der  Yorgeschichte  hatte  dann  weiter 
keine  absieht,  als  das  alte  lied  von  Dietrichs  und  Eckes  Zweikampf  durch 
die  ausführliche  Vorbereitung  ihrer  begegnung  zu  erweitem.  Ein  sehr 
brauchbares  motiv  dafür  war  das  zusammentrefPen  des  den  kämpf  mit 
dem  Berner  suchenden  Ecke  mit  einem  durch  den  gesuchten  verwunde- 
ten recken,  der  ihm  die  fahrte  weist,  zugleich  aber  durch  den  leben- 
digen beweis,  den  seine  wunden  für  Dietrichs  fürchterliche  heldenkraft 
geben,  durch  die  erzählung  vom  Schicksal  seiner  gefahrten  und  durch 
die  eindringliche  wamung,  die  er  an  Ecke  richtet,  nur  umsomehr  die 
erwartung  auf  den  bevorstehenden  kämpf  der  beiden  spant  Dies  motiv 
findet  sich  nicht  hier  allein.  Ebenso  wird  schon  Farz.  504,  7  fg.  von 
Oawan  erzält,  wie  er  einen  todwunden  ritter  findet,  dem  er  beistand 
leistet,  der  ihm  dann  den  siegreichen  gegner  nent  und  ihn  eindringlich 
vor  dem  kämpfe  mit  demselben  warnt,  währtod  Gawan  sich  so  wenig 
wie  Ecke  einschüchtern  lässt  und  auf  der  fahrte  des  verwundeten  des- 
sen überwinder  verfolgt  Den  in  der  Vorgeschichte  Äum  Eckenliede 
ursprünglich  namenlosen  verwundeten  mag  also  erst  ein  interpolator 
mit  dem  Helfrich  identificiert  haben,  welcher  in  der  auf  diese  scene 
folgenden  strophe  genant  wurde,  da  er  diesen  namen  aus  der  Dietrich- 
sage kante;  den  beinamen  von  Lutringen  übertrug  er  dabei  um  so  eher 
auf  den  recken,  als  dieser  nach  str.  57  vom  Rheine  kam;  und  er  legte 
seinen  gefahrten  namen  von  genossen  des  Helfrich  der  sage  bei,  ohne 
sich  weiter  darum  zu  kümmern,  welche  rolle  diese  4  beiden  sonst  in 
Dietrichs  Umgebung  spielen  und  ohne  durch  weitere  zusätze  oder  gar 
änderungen  einen  besseren  Zusammenhang  mit  dem  anfange  des  alten 
liedes  herzustellen.  Erst  die  version  as  erstrebte  dann  die  engere  Ver- 
bindung zwischen  der  erzählung  von  dem  verwundeten  Helfrich  und 
der  nennung  desselben  als  berichterstatter  über  Dietrichs  und  Eckes 
Zweikampf,  ohne  doch  das  wunderliche  der  ganzen  kombination  besei- 
tigen zu  können.  Ld  bemühten  sich  nicht  die  kluft  auszufüllen,  änder- 
ten aber  das  der  sage  nicht  entsprechende  von  Lutringen  in  von  Lune. 
Was  die  Vorgeschichte  sonst  noch  enthält  —  Eckes  gespräch  mit 
Yasolt  und  Ebenrot,  sein  beschluss  mit  Dietrich  zu  kämpfen,  sein 
gelöbnis  ihn  vor  die  3  königinnen  nach  Jochgrimm  zu  bringen,  seine 
ausrüstung  durch  diese,  sein  langes  suchen  nach  dem  Bemer  (sein 
kämpf  mit  dem  meerwunder  in  Ld)  —  alles  das  ist  gleichfals  für  den 
kern  der  dichtung,  Eckes  und  Dietrichs  Zweikampf,  entbehrlich,  und 
es  fehlt  ebenso  wie  die  Helfrich -episode  in  der  I^idreks  saga.  Die 
kurze    einleitung,    welche    diese    der    begegnung   der   beiden    beiden 


12  F.   VOOT 

vorausschickt,  weicht  von  der  unseres  Eckenliedcs  so  volständig  ab, 
dass  an  eine  gemeinsame  quelle  hier  nicht  zu  denken  ist  Dass  Ecke 
durch  die  königinnen  zum  kämpf  mit  Dietrich  ausgerüstet  ist  und  ihn 
als  gefangenen  vor  sie  bringen  will,  erfahren  wir  freilich  auch  in  der 
tidreks  saga;  aber  wir  erfahren  es  hier  nicht  in  der  einleitung,  die 
Eckes  zusammentreffen  mit  Dietrich  als  ein  zufalliges  erscheinen  lässt, 
sondern  es  ergibt  sich  erst  aus  Eckes  und  Dietrichs  Zwiegespräch;  und 
ebenso  wird  dies  im  alten  liede  der  fall  gewesen  sein.  Dieses  noch 
aus  der  Überlieferung  völlig  herauszuschälen  ist  allerdings  nicht  mög- 
lich. Schon  die  gemeinsame  grundlage  von  Ldas  kann  nicht  mehr  her- 
gestelt  werden,  da  ja  jeder  text  durch  das  einführen  der  cäsurreime 
den  Wortlaut  der  quelle  wesentlich  geändert  hat,  zudem  aber  auch  noch 
augenscheinlich  durch  die  ungenauigkeit  einer  zwischen  den  verschie- 
denen stufen  schriftlicher  aufzeichnung  liegenden  mündlichen  Überlie- 
ferung bedeutende  Umgestaltungen  erfahren  hat.  und  weiterhin  deckte 
sich  jene  nächste  quelle  von  Ldas,  wie  auch  Wilmanns  schon  annahm, 
nicht  mehr  mit  dem  original;  wie  in  ihr  zu  diesem  die  Vorgeschichte 
hinzugekommen  war,  so  kann  sie  natürlich  auch  andere  Zusätze  und 
Veränderungen  erfahren  haben,  eine  möglichkeit,  die  überall  zu  erwägen 
ist,  wo  innere  gründe  die  durch  Ldas  beglaubigte  version  verdächtig 
machen,  oder  wo  die  I^idreks  saga  abweicht.  Denn  diese  stimt  in  der 
erzählung  von  der  herausforderung  Dietrichs  durch  Ecke  und  dem 
beginne  ihres  kampfes  mit  den  deutschen  gedichten  stellenweise  so 
überein  (ohne  sich  doch  von  ihnen  oder  ihrer  nächsten  grundlage  irgend 
abhängig  zu  zeigen),  dass  hier  der  erste  teil  des  originalliedes  als  die 
aUen  gemeinsame  quelle  zu  betrachten  ist  Nach  massgabe  dieser 
umstände  aber  aus  der  vergleichung  der  erhaltenen  texte  den  inhalt 
jenes  originalliedes  zu  erschliessen,  muss  versucht  werden,  wenn  die 
hypothese,  dass  dasselbe  erst  mit  strophe  69  begonnen  habe,  sich 
bewähren  soll. 

Ob  auf  diese  eingangsstrophe  von  vornherein  schon  ein  den  Stro- 
phen L70  —  73,  d79  —  82,  as58  —  61  entsprechender  passus  gefolgt 
ist  oder  nicht,  lässt  sich  schwer  entscheiden.  Es  wird  hier  erzählt, 
dass  die  beiden  beiden  durch  den  glänz  ihrer  das  waldesdunkel  hell 
durchstrahlenden  rüstungen  zusammengeführt  seien,  dass  Dietrich  den 
Ecke  gefragt  habe,  warum  er  ihm  nachlaufe,  und  dass  er  auf  dessen  ent- 
gegnung,  er  sei  von  drei  königinnen  nach  dem  Bemer  gesant,  sich  als 
diesen  zu  erkennen  gibt  Für  die  ursprünglichkeit  dieses  Stückes  spricht, 
dass  Dietrich  sich  sonst  nirgend  nent,  während  ihn  doch  Ecke  im  fol- 
genden kent;  femer  dass  in  str.  74  vorausgesezt,  str.  69  aber  nicht  ange- 


ZUM  BCEBNLIKDE  13 

geben  wird,  dass  Ecke  hinter  ihm  herläuft  Dagegen  falt  ins  gewicht, 
dass  Str.  74  mit  den  werten  als  Ecke  Dietertehen  vant,  dö  rief  er 
über  Schildes  rant  sich  an  die  erste  erwähnung  der  begegnung  der 
beiden,  also  an  69,  doch  zweifellos  besser  anschliesst,  als  an  die  erzäh- 
lung  von  ihrem  ersten  Wortwechsel;  und  dass  in  as  diese  folge  (69  L 
=  63  as,  74  L  =*  64  as)  wirklich  vorliegt,  während  die  fraglichen 
sti-ophen  hier  vor  69  L  63  as  stehen  (70  — 73L  «  58— 61as),  wo 
sie  entschieden  noch  weniger  am  platze  sind.  Betrachtet  man  sie  daher 
als  einen  zugleich  mit  der  Vorgeschichte  gemachten  zusatz,  der  in  der 
einen  version  hier,  in  der  anderen  dort  untergebracht  wurde,  so  muss 
man  annehmen,  dass  der  dichter,  wenn  er  erzählte,  dass  sich  die  bei- 
den fanden,  nicht  für  nötig  hielt  anzugeben,  wodurch  sie  sich  erkan- 
ten;  wie  denn  auch  Ecke  tatsächlich  seinen  namen  nicht  nent,  ohne 
dass  es  klar  würde,  dass  Dietrich  mit  einem  unbekanten  gegner 
kämpfte,  auch  wenn  man  die  Strophen  in  L,  in  welchen  er  ihn  bei 
namen  anredet,  mit  Wilmanns  für  zusätze  hält  Dass  Ecke  den  Die- 
trich verfolgt,  kann  dann  erst  aus  str.  74  entnommen  werden.  Die 
pidreks  saga  weicht  hier  zu  stark  ab,  als  dass  sie  helfen  könte  die  frage 
zu  entscheiden.  Zwar  nent  sich  auch  in  ihr  Dietrich  auf  Eckes  frage, 
aber  er  gibt  sich,  um  ihm  zu  entgehen,  zunächst  für  Heime  aus; 
davon,  dass  die  beiden  durch  den  glänz  der  rüstungen  zusammen- 
geführt werden,  findet  sich  nichts,  und  die  scene  ist,  augenscheinlich 
erst  durch  den  sagaschreiber,  mit  dem  vorangehenden  kapitel  von  Die- 
trichs kämpf  mit  Yidga  in  Verbindung  gebracht  Jedesfals  war  die 
Strophe  als  Ecke  Dietertehen  vant  ursprünglich  nicht  wie  in  L  durch 
die  verse  ä7i  alliu  ros  ich  her  bin  kamen  durch  die  dri  küneginnen, 
also  du  selbe  hast  vernomen  mit  der  lezten  Strophe  des  fraglichen 
passus  verknüpft,  denn  die  entscheidenden  werte  sind  ei*st  zugleich 
mit  dem  cäsurreim  hineingebracht,  vgl.  07i  ross  so  pin  ich  körnen  her 
durch  drey  her  konigine,  die  santen  mich  noch  dem  Ferner  d,  on 
rossx  so  bin  ich  kommen  dann^  mich  sandte:^  drey  küniginne  nach 
dir  du  wunderküner  man  as  —  lesarten,  welche  es  sehr  wol  möglich 
erscheinen  lassen,  dass  die  erste  erwähnung  der  drei  königinnen 
ursprünglich  erst  hier  statfand. 

Mit  dieser  sicherlich  aus  dem  originalliede  geflossenen  Strophe 
begint  nun  auch  schon  Eckes  anpreisung  seiner  waffen,  durch  die  er 
Dietrich  zum  kämpfe  zu  locken  sucht  Ihre  einzelnen  abschnitte  haben 
in  den  verschiedenen  texten  eine  sehr  verschiedene  reihenfolge.  In  L: 
brünne  75  —  77,  heim  78,  schwort  79  —  86,  biünne  (und  sahs)  91.  92, 
ponit   93  —  95.      In  d:    schwort  85  —  88,    heim  89,    brünne  91  —  92, 


14  F.    VOGT 

Schwert  93  —  95.  In  as:  brttnne  65,  schwert  66  —  67,  brünne  74.  In 
]^s.:  heim,  brünne,  schild,  schwert,  geldgart  Wilmanns  hat  wol  mit 
recht  vermutet,  dass  ursprünglich  wie  in  as  die  die  brünne  betreffende 
ablehnende  antwort  Dietrichs  (as  65,  d  92,  L  92)  vorangestanden  hat, 
wenn  sich  auch  bei  den  starken  abweichungen  der  einzelnen  texte  ihr 
Wortlaut  Dicht  mehr  herstellen  lässt  Aber  zwischen  ihr  und  der  alge- 
meinen erwähnung  der  sarwät  am  Schlüsse  von  as  64,  L  74  mag  doch 
eine  Strophe  gestanden  haben,  in  der  Ecke  seine  brünne  insbesondere 
angepriesen  hat;  wenigstens  deutet  darauf,  dass  eine  solche  Strophe 
existiert  habe,  die  Übereinstimmung  der  verse  Er  sprach  genendä  her 
an  7nich,  eine  brünne  trage  ich  Itll  und  Nun  kere  Held  daher  an 
mich,  von  gold  ein  Brinn  die  trage  ich  as  74,  während  die  übrigen 
verse  dieser  Strophe  ganz  auseinander  gehen  und  weder  nach  der  Ver- 
sion L,  welche  die  brünne  als  weiss  (nicht,  der  sonst  herschenden 
Vorstellung  gemäss,  als  golden)  bezeichnet,  noch  nach  der  version  as, 
welche  hier  schon  zum  beginne  des  kampfes  übergeht,  dem  original 
entsprechen  können.  Sehr  bemerkenswert  ist  es,  dass  nach  der  über- 
einstimmenden angäbe  der  drei  Versionen  in  der  Vorgeschichte  Ecke 
die  berühmte  brünne  des  Ortnit  trägt,  während  in  dem  der  alten  dicfa- 
tung  entsprechenden  teile  nirgend  darauf  hingedeutet  wird.  Nur  L 
nimt  im  gespräche  zwischen  Dietrich  und  Ecke  einmal  auf  diese  Vor- 
stellung bezug  in  einer  Strophe  (91),  die  ihr  ganz  allein  eigen  ist,  die 
an  ungehöriger  stelle  noch  einmal  wider  auf  die  schon  abgetane  brünne 
zurückkomt  und  die  in  ihrem  ersten  teile  nichts  weiter  ist  als  eine 
Variation  von  L  87  as  72.  Auch  die  ebenfals  nur  in  L  überlieferten 
Strophen  75  und  76  scheinen  schon  darauf  hinaus  gewolt  zu  haben, 
ohne  doch  zum  ziele  zu  kommen;  wie  unpassend  sie  sind,  hat  schon 
Wilmanns  nachgewiesen.  Die  einfügung  dieser  Strophen  in  L  zeigt 
gerade,  dass  man  hier  den  Zusammenhang  mit  der  Vorgeschichte  noch 
vermisste.  d  suchte  in  einer  gleichfals  die  brünne,  zugleich  aber  auch 
das  schwert  betreffenden  Strophe  in  ganz  anderer  weise  einen  solchen 
herzustellen  (d  91.  93,  1  vgl.  24.  35);  und  ähnliche  versuche  finden 
sich  hier  an  anderen  stellen,  as  fügt  viel  später  zwei  Strophen  ein, 
in  denen  Ortnit  als  früherer  besitzer  der  brünne  genant  wird  (124. 
125);  und  wie  eben  diese  version  auf  ganz  eigenem  wege  durch  die 
auf  Helfrich  von  Lutring  bezüglichen  zusätze  eine  bessere  Verbindung 
zwischen  hauptteil  und  einleitung  zu  erzielen  strebte,  haben  wir  ge- 
sehen. 

In  den  lezten  versen  der  die  brünne  betreffenden  Strophe  (L  92, 
7—13,   as  65,  10  — 13)   hat  Dietrich   sich   bereit  erklärt  zu  kämpfen. 


ZUM  BCKSNUXDB  15 

jedoch  erst  am  nächsten  morgen.  Ecke  fahrt  fort  ihn  zu  reizen  durch 
den  hin  weis  auf  sein  begehrenswertes  schwort.  In  der  den  Ursprung 
desselben  betrefienden  ersten  hälfte  dieser  Strophe  stimmen  die  drei 
texte  überein  (L  79,  1  —  6,  d  85,  1—6,  as  66,  1  —  6);  in  der  zweiten 
hälfte  gehen  as  schon  za  der  aufforderung  zum  kämpfe  über,  welcher 
Dietrichs  entgegnung  folgt  (as  67  =»  L  84),  während  L  und  d  hier 
und  in  4  (bezw.  3)  weiteren  Strophen  zunächst  noch  in  der  geschichte 
des  Schwertes  fortfahren.  Dass  dabei  L  und  d  in  den  schlussversen 
von  L  79  d  85  und  in  strophe  L  82  d  87  auf  eine  gemeinsame  vorläge 
zurückgehen,  ist  nicht  minder  sicher,  als  dass  der  text  in  d  gröblich 
entstelt  ist  d  86  weicht  von  L  zwar  sehr  erheblich  ab,  aber  sie  ist 
doch  augenscheinlich  nichts  weiter  als  die  unsinnige  Verarbeitung  einer 
ganz  ungenauen  Überlieferung  von  L  80.  81.  Und  auch  in  d  88  blickt 
bei  aller  Verschiedenheit  von  L  83  doch  in  den  versen  do  er  den  ris- 
sen groß  erschlug  y  er  thet  im  laides  gar  gentig  schliesslich  noch  die- 
selbe quelle  durch  wie  in  h  da  mite  er  Hugebolden  sltwc  und  worhte 
Wunders  gar  genuoc  . . .  der  . . .  was  ein  rise  unmäxen  grdx.  Der 
ganze  abschnitt  in  d  wird  also  nur  auf  eine  unzulängliche  und  ebenso 
ungeschickt  wie  wilkürlich  ergänzte  Überlieferung  derselben  Strophen 
zurückzuführen  sein,  welche  in  L  im  wesentlichen  getreu  widergegeben 
sind.  Dagegen  hat  d  in  94  eine  strophe  vor  L  voraus,  die,  von  den 
entstelten  anfangsversen  abgesehen,  aus  dem  original  stammen  wird. 
Sie  ist  in  d  von  den  übrigen  auf  das  schwort  bezüglichen  Strophen 
durch  die,  welche  von  heim,  brünne  und  ortband  handeln,  getreu t, 
stimt  aber  in  den  schlussversen  mit  as  66  überein:  nun  streit  7nit  mir, 
du  wej'der  man  ...  gewinest  dufi  mit  deyner  hani,  dich  furchten  alle 
konige,  vnd  die  doch  ye  getvunnen  landt  d;  tüilt  du  darumb  mein 
warteji,  et^streitst  du  das  in  deine  hand,  dich  förchtend  alle  künig 
t^id  die  ye  gevmnnend  land  as.  Yers  6  und  7  eben  dieser  strophe 
lauten  in  d:  kein  heim  wart  so  vesten  (:pesten  y,  3),  man  schrit  in  do 
mit  als  ein  swan  (lies  stvam).  An  ihrer  stelle  stehen  in  as  verse,  die 
sich  noch  auf  die  bereitung  des  Schwertes  beziehen,  und  deren  erster 
(as  66,  6)  in  einem  holen  berge  mit  L  79,  6  d  85,  6  buchstäblich 
übereinstimt,  also  zweifellos  noch  ebenso  wie  die  ihm  vorangehenden 
5  verse  aus  der  quelle  Ldas  geflossen  ist.  Andrerseits  aber  müssen 
auch  die  verse  d  94,  6.  7  schon  in  der  quelle  von  d  und  as  an  der 
stelle  gestanden  haben,  wo  sie  d  überliefert;  denn  auf  sie  bezieht  sich 
übereinstimmend  in  der  folgenden  sti'ophe  d  95,  7  as  67,  9  «o  e^^  durch 
alle  heim  einsctUecht.  Danach  ist  as  66  jedesfals  aus  2  Strophen  zusam- 
mengezogen,  die  den  anfang  und  das  ende  von  Eckes  schweilanprei- 


16  P.   VOOT 

8ung  enthielten  und  von  denen  die  eine  L  79  d  85,  die  andere  d  95 
entsprach.  Freilich  ist  damit,  dass  die  zweite  der  grondlage  von  d 
und  as  angehört  hat,  noch  nicht  schlechthin  bewiesen,  dass  sie  auch 
schon  in  der  quelle  Ldas  enthalten  gewesen  sein  muss.  Da  sie  aber 
hier  der  rede  Eckes  entschieden  einen  besseren  abschluss  gibt  als  L  83, 
so  wird  es  doch  im  hohen  grade  wahrscheinlich.  Dann  haben  natür- 
lich in  Ldas  die  verse  84,  1.  2  auch  gelautet:  sit  dax  dtfi  swert  ist 
abd  gtwt  daxx  allen  kü^iegen  schaden  iuot  und  v.  9:  dax  man  ex  durch 
die  helme  slefit. 

Dass  as  mit  der  beschränkung  der  schwerti'ede  Eckes  auf  nur 
eine  Strophe  nicht  das  ursprüngliche  bietet,  hat  sich  eben  gezeigt  In 
der  gemeinsamen  quelle  kann  die  Strophe,  deren  erste  hälfte  as  66, 
1 — 6  entspricht,  noch  nicht  wie  as  in  die  erneute  ausforderung  aus- 
gelaufen sein;  Ld  müssen  hier  das  richtigere  überliefern,  indem  sie  in 
der  erzählung  vom  Schwerte  fortfahren;  die  ausforderung  machte  dage- 
gen so  wie  in  d  den  zweiten  teil  einer  späteren  Strophe  aus.  Ist  also 
hier  in  as  gekürzt,  so  ist  es  auch  von  vornherein  viel  wahrschein- 
licher, dass  as  dasselbe  verfahren  auch  sonst  in  diesem  abschnitte 
beobachtete,  als  dass  die  andere  version  hier  interpolationen  erfahren 
habe;  dass  also  die  für  die  quelle  Ld  nachgewiesenen  Strophen  L80  — 
83  nicht  in  Ld  zugesezt,  sondern  in  as  fortgelassen  wurden,  vermut- 
lich weil  der  einer  alten,  damals  wenig  bekanten  sage  entstammende 
inhalt  derselben  wie  auf  d  so  auch  auf  as  schon  in  unzulänglicher  und 
unverstandener  gestalt  gelangt  war. 

Die  ursprünglichkeit  dieser  Strophen  wird  nun  aber  auch  durch 
die  I^idreks  saga  bestätigt,  die  gerade  hier  bis  ins  detail  hinein  mit  L 
übereinstimt.  Vergleiche:  der  worhte  im  knoph  und  helxen  klär  als 
ein  Spiegelglas  L  79,  12,  oc  eftra  hialtit  er  scygt  sem  gier  I*s.  98;  die 
scheide  woi'htens  üxer  golde,  der  vexxel  tvas  ein  porte  gtiot  L  80,  oc 
oü  vmgerd  fra  hioUmn  oc  til  odx  er  7neä  raväo  gvüi  logä.  oc  fetlar 
allir  ero  gvlli  lagäir  fs.  Das  schwort  heisst  Eckisax  Ps.,  ein  sahs 
L  80,  dieses  gewiss  statt  eines  ursprünglichen  Eckesahs  (vgl.  her  Ecken 
Sachs  d  205),  wonach  denn  dem  berühmten  Schwerte  dieser  name  schon 
eigen  war,  ehe  Ecke  es  bekam;  auch  l^s.  leitet  den  namen  nicht  von 
Ecca  ab,  sondern  bringt  ihre  eigene  kuriose  etymologie.  Weiter  tra- 
gen dann  nach  beiden  Versionen  die  zwerge  (oder  der  zwerg),  von 
denen  es  geschmiedet  ist,  das  seh  wert  .durch  neun  königreiche,  bis  sie 
an  das  wasser  kommen,  in  welchem  sie  es  härten;  dies  heisst  die  Dräl 
diu  da  xe  Troige  rinnet  in  L,  die  l}reya  in  der  Ps.  Dann  geht  es  in 
teilweise  wörtlicher  Übereinstimmung  fort: 


ZUM  SCKRKLIEDE 


17 


Dax  swert  daz  was  ml  lange  verholn, 
iedoch  sd  wart  ex  stt  verstoln 
von  einem  argen  diebe. 

der  kam  gesUchen  in  den  berc 

reht  cUsam  ein  tvilde  getwerc. 

dem  klinge  Ruotliebe 

dem  wart  ex  stt  xe  handen  brdht: 

der  künde  ex  wol  behauen, 

. . .  unx  dax  stn  sun  tvuohs  xeinem 


man 


der  wart  da  mite  xe  ritter, 
des  menger  ?i6i  gewan. 


En  pat  sverä  var  stoUt 

oc  leynt  lengi. 

en  pat  geräi  Alfricr  dvergr 

hinn  micU  stelari. 

Hann  com  i  pat  berg  . . .  leyni- 

lega, 
oc  gaf  kann  sidan 
kononge  Roxeldf. 
par  var  pat  vel  varäveitt 
par  tu  er  hinn  ungi 


Roxeleif  bar  pat. 

oc  par  med  dräp  hann  marg- 

an  mann. 

Eine  L  83  entsprechende  Strophe  mag  I^s.  nicht  bekant  gewesen 
sein,  im  übrigen  aber  wird  man  hier  die  Übereinstimmung  zwischen  L 
und  Ps.  einfach  aus  der  allen  erhaltenen  Versionen  gemeinsamen  quelle, 
dem  alten  Eckenliede,  ableiten.  Ich  kann  also  Wilmanns  nicht  in  der 
annähme  beipflichten,  dass  das  L  und  f^s.  gemeinsame  zwar  alt,  aber 
doch  nicht  beiden  aus  dem  originale  zugeflossen  sei,  dass  vielmehr  die 
nächste  grundlage  von  Ldas  die  betreffenden  Strophen  nicht  enthalten 
habe  und  dass  sie  erst  in  L  aus  einer  abweichenden  version,  die  eine 
ausführlichere  beschreibung  des  Schwertes  gab  und  die  auch  der  H- 
Srekssaga  zu  gründe  lag,  in  den  text  eingefügt  seien.  Wir  haben 
gesehen,  dass  sich  spuren  der  fraglichen  stücke  auch  in  d  zweifel- 
los zeigen,  ja  dass  solche  auch  in  as  noch  erkenbar  sind.  Dass  der 
inhalt  dieses  abschnittes  aber  auf  uns  den  eindruck  einer  „überflüssigen 
Weiterung  macht^,  was  an  sich  gewiss  richtig  ist,  kann  meines  erach- 
tens  nur  wider  einmal  beweisen,  wie  wenig  wir  solchen  eindrücken 
bei  der  kritik  unserer  volksepen  trauen  dürfen.  Wir  müsten  sonst 
auch  in  der  I'idrekssaga  das  stück  für  ein  einschiebsei  halten,  denn  in 
ihr  scheint  die  viel  knappere  darstellung  in  noch  weit  auffalligerer 
weise  durch  diese  ausführliche  geschichte  des  Schwertes  unterbrochen 
und  aufgehalten.  Die  alte  sage  vom  Eckesahs  galt  dem  dichter  des 
Eckenliedes  gewiss  nicht  für  überflüssig;  und  er  brachte  sie  an,  wo 
sich  ihm  die  erste  gelegenheit  dafür  bot. 

Auf  die  anpreisung  des  Schwertes  erwidert  Dietrich  in  L  84  d  96 
as  67  übereinstimmend,  dass  er  jezt,  wo  er  wisse,  eine  wie  gefahrliche 
waffe  er  gegen  sich  habe,  ein  tor  sein  würde,  wenn  er  sich  noch  auf 
den  kämpf  einlassen  wolte,   zu  dem  er  vorhin  schon  geneigt  gewesen. 


ZEIT8CHBIFT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XJLV. 


2 


18  F.   VOOT 

Seiner  furcht  vor  dem  Schwerte  gibt  er  auch  in  der  f^s.  ausdruck:  hvi 
ma  ee  pitt  sverd  fltfia,  viedän  ec  tna  eigi  malvan  pic  sia;  aber  diese 
werte  leiten  hier  nicht  zur  ablehnuDg  des  kampfes,  sondern  zu  einer 
drohenden  widerhol ung  der  erklärung  über,  dass  er  den  Ecke  bei  tages- 
anbruch  bestehen  werde.  Es  ist  unsicher,  wie  sich  hier  das  weitere 
gespräch  ursprünglich  abgewickelt  haben  mag.  Nur  in  L  85  entgegnet 
Ecke  auf  jene  Weigerung  Dietrichs,  er  habe  die  treflichkeit  seines 
Schwertes  nur  erlogen;  aber  der  schluss  dieser  Strophe,  der  eine  Ver- 
wünschung des  kampfscheuen  gegners  enthält,  stimt  wenigstens  in  den 
versen  du  mäht  wol  heixefi  Dieterich:  dem  vürsten  da  von  Beme  tuost 
aber  nicht  geltch  mit  d  97,  12  fg.  überein.  Besser  verbürgt  scheint 
schon  die  folgende  Strophe  (86);  denn  wenn  auch  ihr  hauptteil,  in  wel- 
chem der  Bemer  Ecken  den  Übermut  seiner  werte  vorwirft,  L  allein 
unter  den  deutschen  texten  eigen  ist,  so  schilt  doch  in  der  Ps.  Dietrich 
ebenfals  nach  der  schwertepisode  Eckes  prahlrede,  und  den  schluss 
(86,  11  fg.)  doch  beite  unx  momunt  kome  der  tac:  ich  Itd  von  dtnen 
handen,  swax  mir  geschehen  mac  bietet  ausser  L  nicht  allein  die  Ver- 
sion d  (106),  sondern  auch  as  (69).  Auf  diese  schlussverse  folgt  in 
as  (70)  die  L  99  entsprechende  Strophe,  welche  begint  (der  Wortlaut 
nach  L):  Her  Ecke  xomecltchen  sprach,  ich  hcete  ouch  gerne  gtiot 
gemach,  möhte  ex  sich  gefiiegen  . . .  nach  dir  ich  vil  geUmfen  hän. 
Das  ist  gewiss  die  ursprüDgliche  Verbindung,  denn  diese  werte  enthal- 
ten die  unmittelbare  erwiderung  auf  die  in  86,  11  fg.  (as  69,  11  %.) 
liegende  aufforderung  Dietrichs  an  Ecke,  ihn  bis  zum  morgen  in  ruhe 
zu  lassen.  Völlig  deutlich  aber  wird  das  erst  durch  den  nur  in  L 
vorausgehenden  vers  86,  9,  in  welchem  der  Bemer  Ecken  vorwirft, 
dass  er  ihn  nicht  mit  gemache  lasse.  Es  wird  hier  also  in  L  der  alte 
text,  in  as  die  alte  folge  erhalten  sein,  sodass  sich  L  99  ursprünglich 
an  L  86  anschloss.  Dazwischen  müsten  dann  freilich  schon  in  Ldas 
die  Strophen  97.  98  nachträglich  eingeschoben  sein;  denn  es  kann  nicht 
wol  auf  Zufall  beruhen,  dass  die  folge  L97.  981—3.  99  der  reihe  as  68. 
69  1—5.  70  entspricht  und  dass  auch  d  diese  anordnung  wenigstens  noch 
durchblicken  lässt  In  str.  97  weist  Ecke  den  Bemer  darauf  hin ,  dass 
sein  lob,  wenn  er  den  kämpf  meide,  bei  den  Jungfrauen  zu  schänden 
werde  und  dass  er  auch  seinen  bruder  Fasolt,  der  ihn  als  einen  mann 
gelobt  habe,  lügen  strafe.  Worauf  denn  Dietrich  in  str.  98  zunächst 
mit  einer  Fasolts  lob  betreffenden  wendung  begint.  In  den  übrigen 
versen  dieser  Strophe  gehen  alle  texte  volständig  auseinander:  L  98, 
4—13  stimt  mit  L  125,  4—13  (=  as  106  d  159)  fast  ganz  wörtlich 
überein;   d,  welches  ebenso  wie  L  die  eiogangswendung  in  der  form 


ZUM  ECKENLIXDE  19 

eines  dankes  gegen  Eckes  bruder  überliefert,  faselt  in  diesem  tone  auf 
eigene  faast  noch  die  ganze  Strophe  hindurch;  as  geht  schliesslich  in 
die  vorhin  angeführten,  L  86,  11  — 13  entsprechenden  verse  über. 
Wilmanns,  der  meint,  dass  Fasolts  erwähnung  schon  in  der  einleitung 
jüngeren  Ursprunges  sei,  halt  (a.  a.  o.  135  fg.)  dem  entsprechend  auch 
die  Strophen  97  —  98,  die  einzigen  in  der  erzählung  von  Dietrichs  und 
Eckes  kämpf,  welche  den  Fasolt  nennen,  für  später  eingefügt  Zu  der 
gleichen  annähme  wird  natürlich  neigen,  wer  die  ganze  einleitung 
überhaupt  für  einen  zusatz  hält;  denn  obgleich  ohne  diese  die  erwäh- 
nung Fasolts  hier  an  sich  wol  möglich  wäre,  so  liegt  es  doch  am 
nächsten,  sie  dem  zuzuschreiben,  welcher  die  Strophen  8  fgg.  gedich- 
tet hatte;  und  dazu  komt  nun,  dass  sie  zwischen  zwei  ursprünglich 
zusammengehörigen  Strophen  stehen.  Sie  werden  also  in  der  tat  schon 
in  Ldas  interpoliert  sein.  Wie  es  aber  nicht  selten  vorkomt,  dass  als 
schluss  einer  interpolation  zur  erleichterung  des  Überganges  zum  fol- 
genden die  ihr  zunächst  vorangehenden  echten  verse  mit  oder  ohne 
Variation  widerholt  werden  (vgl.  das  in  dieser  Zeitschrift  XXU,  488  fg. 
über  Orendel  2207—32.  587  —  628.  1315—26  bemerkte),  so  mögen 
auch  in  unserem  falle,  der  lesart  as  69,  11  fgg.  entsprechend,  die  verse 
doch  beit  unx  momunt  käme  der  tdc,  welche  schon  die  str.  86  abschlös- 
sen, zugleich  den  schluss  der  interpolation  97  —  98  gebildet  haben. 

Von  den  übrigen  Strophen,  welche  in  L  die  Strophe  86  von  99 
trennen,  finden  sich  87  und  88  mit  teilweise  erheblichen  abweichun- 
gen  des  Wortlautes  in  allen  drei  Versionen  an  ganz  verschiedenen  stel- 
len, ohne  eigentlich  irgendwo  zu  passen.  Ecke  verwünscht  hier  die 
wege,  die  ihn  zu  dem  feigling  Dietrich  trugen,  und  dieser  erwidert 
darauf.  Das  folgt  in  as  ganz  ungehörig  hinter  str.  L  100  as  71  d  104, 
in  welcher,  nach  der  in  dieser  beziehung  zweifellos  ursprünglichen  Ver- 
sion Ld,  Dietrich  sich  endlich  bedingungslos  bereit  erklärt  zu  fechten. 
In  d  zerreissen  die  beiden  Strophen  die  nach  dem  eben  ausgeführten 
bereits  in  der  nächsten  quelle  von  jLdas  aufeinander  folgenden  L  98. 
99,  as  69.  70,  d  100.  103.  In  L  schliessen  sie  sich  wenigstens  in  der 
hier  vorliegenden,  auch  durch  d  bestätigten  fassung  er  sprach:  scheid 
ich  alstcs  von  dir,  sd  sott  du  wol  gelouben  mir,  ich  möhte  sanfter 
sterben  schlecht  genug  an  86,  11  fg.  an,  wo  Dietrich  eben  gesagt  hat, 
dass  er  morgen  mit  Ecke  kämpfen  wolle.  Viel  besser  würde  das  auf 
die  völlige  ablehnung  des  kampfes  in  84  folgen;  87  allein  würde  hier 
an  stelle  der  mangelhaft  verbürgten  85  sehr  gut  am  platze  sein,  aber 
88  würde  nirgend  mehr  passen  und  sie  etwa  für  später  als  87  zu  hal- 
ten existiert  sonst  kein  grund.     Ich  komme  auf  diese  beiden  stropheo, 

2* 


20  F.   VOGT 

für  die  Wilmanns  s.  128  übrigens  jüngeren  Ursprung  vermutet,  noch 
zurück.  —  Die  ausschliesslich  in  L  überlieferten,  an  sich  durchaus 
entbehrlichen  Strophen  89.  90  sind  zu  schlecht  verbürgt,  als  dass  man 
sie  schon  der  quelle  Ldas  zuweisen  könte.  Dass  für  str.  91  nicht 
allein  dasselbe  gilt,  sondern  dass  auch  ihr  erster  teil  nur  eine  schlechte 
Variation  der  grundlage  von  L  87  d  101,  der  zweite  ein  hier  ganz 
ungehöriger  versuch  ist,  die  zurückführung  der  brünne  Eckes  auf  Ort- 
nit  aus  der  einleitung  heranzuziehen,  hat  sich  schon  oben  gezeigt; 
ebenso,  dass  str.  92  zwar  alt  sein  wird,  aber  nicht  hierher,  sondern 
hinter  74  bezw.  hinter  eine  77  entsprechende  strophe  gehört. 

Str.  93  —  96  sind  dann  wider  L  allein  eigen.  In  ihnen  preist 
Ecke  dem  Dietrich  noch  ein  von  den  königinnen  köstlich  geschmück- 
tes ponit  an,  welches  er  vor  der  brüst  trage,  erwähnt  dann  noch  ein- 
mal die  brünne,  beschwört  Dietrich  um  aller  Irauen  ehre  willen  zu 
kämpfen  und  geht  dann  mit  der  bemerkung,  dass  man  ihn  mit  unrecht 
lobe,  zu  dem  inhalte  der  schon  besprochenen  str.  97  über.  So  wie  diese 
Strophen  vorliegen  sind  sie  gewiss  erst  in  L  ausgeführt,  aber  der  keim, 
aus  dem  sie  erwuchsen,  wird  schon  im  original  vorhanden  gewesen  sein. 
Was  das  ponit  eigentlich  ist,  wird  trotz  seiner  ausführlichen  beschreibung 
nicht  klar,  und  in  einer  bedeutung,  die  hier  aufschluss  geben  könte,  ist 
das  wort  sonst  nicht  nachgewiesen,  vgl.  Zupitzas  anm.  und  Schultz,  Höf. 
leb.  I,  39.  Aber  an  entsprechender  stelle,  nämlich  als  lezter  der  gegen- 
stände, die  Ecke  dem  Dietrich  rühmt,  wird  in  ]^s.  ein  geldgurt  genant, 
und  Ekka  sagt,  wie  das  gold  in  diesem,  so  brenne  und  glühe 
sein  herz,  weil  er  ihn  nicht  erreichen  und  mit  ihm  fechten  könne;  aber 
wenn  Dietrich  es  um  des  goldes  und  der  waffen  willen  nicht  tun  wolle, 
so  möge  er  doch  um  der  courtoisie  der  9  königinnen  willen 
kämpfen;  und  aus  diesem  gründe  zeigt  sich  denn  Dietrich  auch  end- 
lich bereit  In  as  wird  nach  den  waffen  kein  weiteres  stück  mehr 
genant;  statt  dessen  komt  Dietrich  zum  schluss  ganz  unvermittelt  noch 
einmal  auf  die  brünne  mit  den  versen  as  7-t,  1.  2  zurück,  die,  wie  wir 
sahen,  sicher  nicht  hierher  gehören  (vgl.  L  77).  Dann  fahrt  er,  wider 
ohne  Übergang,  vers  5  und  6  fort:  mein  hertx  ist  heisser  dann 
ein  glut,  vor  xom  so  tüill  es  brinnen,  worauf  denn  Dietrich  v.  7  — 
13  erklärt,  nun  wolle  er  mit  ihm  kämpfen  doch  allermeist  durch 
werde  weib  und  auch  durch  gottes  ehre  so  wag  ich  d^n  meinen 
leib,  was  abermals  mit  dem  zunächst  vorhergehenden  in  keinem 
befriedigenden  gedankenzusamraenhange  steht.  Diesen  gewinnen  wir 
erst  durch  I*s.  Sicher  hat  im  originale  Ecke  zulezt  noch  einen  mit 
gold  versehenen  gegenständ  genant,  gesagt  dass  sein  herz  noch  mehr  als 


ZXm   ECKENLIEDE  21 

dies  gold  (vor  kampfgier  oder  vor  zorn)  glühe  und  dass  Dietiich,  wenn 
nicht  wegen  dieser  kostbarkeiten,  so  doch  um  der  edlen  frauen  willen 
mit  ihm  sich  schlagen  möge,  worauf  denn  Dietrich  einwilligt  Daraus 
erwuchs  einerseits  die  breitere  ausführ ung  in  L,  andrerseits  die  aus 
trümmerhaften  reminiscenzen  zusammengestückte  Strophe  as  74.  und 
auch  in  d  schimmert  wenigstens  in  Eckes  werten  108,  4  fg.  tote  wee  das 
meinem  hertxen  thut:  es  print  vor  gir  recht  als  ein  glut  und  in 
denen  Dietrichs  104,  11  fg.  vnd  auch  durch  alle  reine  weib  mid 
hie  durch  got  von  himel  so  tvil  ich  wagen  meinen  leib  eine  schwache 
erinnerung  an  die  gemeinsame  quelle  durch.  In  as  folgt  nun  jene 
Strophe  (74)  unmitelbar  auf  die  vorhin  besprochenen,  in  den  drei  deut- 
schen texten  an  verschiedener  stelle  überlieferten  L  87.  88.  Und  in  L 
schliesst  sich  an  eben  diese  beiden  Strophen  jener  abschnitt  über  das 
ponit  (93  —  96),  wenn  wir  von  den  erst  in  L  dazwischen  getretenen 
Strophen  89 — 92  absehen.  Strophe  87.  88  mögen  also  schon  in  Ldas 
mit  dem  eben  besprochenen  passus,  der  as  74  und  L  93  —  96  zu  gründe 
lag,  zusammengehört  haben,  ihm  unmittelbar  vorausgegangen  sein. 
Auch  dann  würde  sich  87  an  84  gut  anschliessen;  aber  das  ganze 
würde  sich  gleichwol  nicht  in  den  Zusammenhang  der  überlieferten 
dichtung  einfügen,  denn  keine  der  vorliegenden  Strophen  würde  geeig- 
net sein  es  fortzusetzen.  Die  vergleichung  der  angezogenen  stellen 
von  as,  d  und  I^s.  kann  es  kaum  zweifelhaft  erscheinen  lassen,  dass 
Dietrich  wie  hier  so  auch  ursprünglich  auf  die  beschwörung  um  der 
edlen  frauen  willen  den  kämpf  aufnimt.  Andrerseits  aber  verbürgt  die 
Übereinstimmung  von  L  99/100,  d  103/104,  as  70/71  für  die  nächste 
vorläge  von  Ldas  die  version,  nach  welcher  Dietrich  daraufhin  den 
kämpf  aufnimt,  dass  Ecke  auf  gottes  hilfe  verzichtet.  Dass  sich  daran 
wie  in  L  so  auch  schon  in  jener  vorläge  die  erzählung  vom  beginne 
des  kämpf  es  (LlOl  as75  dll3)  anschloss,  scheint  sicher,  denn  es 
zeigte  sich  bereits,  dass  die  in  as  dazwischen  stehenden  Strophen  nicht 
hierher  gehören,  und  über  die  törichten  einschiebsei  d  105  — 112  lohnt 
es  nicht  ein  wort  zu  verlieren.  Man  wird  demnach  annehmen  müssen, 
dass  in  der  quelle  von  Ldas  zwei  berichte  über  den  schluss  des  Zwie- 
gespräches zwischen  Dietrich  und  Ecke  neben  einander  bestanden: 
einer,  welcher  in  den  wichtigsten  punkten  mit  der  I*s.  übereinstimte 
und  den  Strophen  L  87.  88.  93  fg.,  as  72  —  74  zu  gründe  lag;  ein 
anderer,  geistlich  gefärbter,  welcher  wesentlich  den  Strophen  L  85.  86. 
99.  100  (d  97,  11  fg.  106,  11  fg.  103.  104;  as  69,  11  fg.  70.  71)  ent- 
sprach; dieser  leztere  muss  dann  als  der  jüngere  gelten;  er  wird  im 
folgenden  mehifach  vorausgesezt  und  wird  bestimt  gewesen  sein,   den 


22  F.   VOOT 

anderen,   älteren  zu  verdrängen,   der  dann  aber  doch  neben  ihm  bei- 
behalten wurde. 

Die  ursprüngliche  reihenfolge  der  Strophen  vona  anfange  des  ori- 
ginalliedes  bis  zum  beginne  des  kampfes  würde  also  in  der  nächsten 
grundlage  von  Ldas  diese  gewesen  sein  (ich  bezeichne  zweifelhaftes 
durch  runde,  schon  in  Ldas  interpoliertes  durch  eckige  klammem, 
Strophen,  die  nur  teilweise  die  quelle  durchblicken  lassen,  durch  den 
exponenten  x):  69.  (70—73).  74.  77 '.  92.  79  —  83.  d  94^  84;  darauf 
a)  87.  88.  93'— 96*  bezw.  as  74"  —  b)  85'.  86.  [97  —  98].  99  fgg. 

In  derselben  weise  auch  noch  die  erzählung  von  Dietrichs  und 
Eckes  kämpf  bis  ins  einzelne  zu  yerfolgen,  halte  ich,  da  es  sich  ja 
doch  nicht  mehr  um  eine  widerherstellung  des  echten  handeln  kann, 
für  unnötig.  Die  vergleichung  der  drei  texte,  die  Wilmanns  durch 
eine  tabelle  s.  138  fg.  erleichtert,  zeigt,  dass  die  strophenfolge  in  den 
einzelnen  Überlieferungen  hier  weniger  gestört  ist,  dass  aber  jede  von 
ihnen  selbständige  interpolationen  enthält,  und  dass  der  Wortlaut  der 
gemeinsam  überlieferten  Strophen  widerum  sehr  starken  Schwankungen 
unterworfen  ist.  Für  das  Verhältnis  zur  einleitung  komt  eine  stelle  in 
betracht,  wo  Wilmanns  der  version  as  vor  der  meines  erachtens  ursprüng- 
licheren L  den  vorzug  gibt,  nämlich  as  77  —  84,  L  103  — 107.  Nach- 
dem Dietrich  nach  seiner  langen  Weigerung  endlich  eingewilligt  hat^ 
nicht  erst  am  nächsten  morgen,  sondern  sofort,  trotz  der  finstemis  zu 
kämpfen,  schlagen  nach  as  77.  78  die  beiden  auf  einander  los,  dass  die 
hellen  funken  stieben,  die  äste  von  Eckes  streichen  von  den  bäumen 
fliegen  und  dem  Berner  zahlreiche  hiebe  heim  und  schild  versehren. 
Da  fleht  dieser  Ecken  inständig,  dass  er  ihm,  der  den  tag  über  gekämpft, 
von  hunger  und  müdigkeit  erschöpft,  von  vieren  gar  sehr  verwundet 
sei,  doch  bis  zum  nächsten  morgen  ruhe  gewähren  möge  (as  78  —  79). 
Ecke  erfült  diese  bitte  sofort.  Zunächst  legt  er  sich  nieder  und  Diet- 
rich hält  wache;  nach  mittemacht  weckt  ihn  Dietrich.  Dann  schläft 
dieser,  während  Ecke  wacht;  als  der  tag  naht,  schreckt  Ecke  den  Ber- 
ner durch  einen  fusstritt  aus  dem  schlafe  und  der  kämpf  begint  von 
neuem  (as  80  —  84).  Da  ist  es  denn  doch  sehr  auffällig,  dass  Ecke, 
der  zuvor  Dietrichs  wünsch,  ihm  die  nacht  noch  ruhe  zu  lassen,  hart- 
näckig und  höhnisch  abwies,  nun  plötzlich  ohne  jede  Widerrede  darauf 
eingeht;  nicht  minder,  dass  Dietrich  mit  dem  gründe,  dass  er  durch  den 
vorangegangenen  kämpf  und  die  dabei  erhaltenen  wunden  erschöpft 
sei,  erst  jezt  und  nicht  schon  bei  seinem  früheren  verlangen  nach  auf- 
schub  zum  Vorschein  komt,  wozu  er  doch  umsomehr  veranlassung  hatte, 
als  Ecke  seinem  verlangen  nach  nachtruhe  gegenüber  darauf  hinwies, 


ZUM  BOKBNUKDE  23 

dass  er  selbst  durch  das  laufen  nach  ihm  müde  genug  sei  und  dennoch 
derselben  nicht  bedürfe,  und  vollends  unpassend  scheint  es,  dass 
Dietrich  jezt  den  Ecke  wie  ein  kampfunfähiger  um  Schonung  bittet, 
nachdem  er  ihm  eben  erst  (L  102  as  76)  unter  der  bemerkung,  dass 
er  nicht  fingerzahm  auch  nirgend  am  leibe  lahm  sei,  mit  zornigem 
drohen  seine  überhebung  verwiesen  hat  Wenn  nun  der  durchschnitlich 
zweifellos  ursprünglichere  text  L  diese  wunderlichen  dinge  nicht  ent- 
hält, sondern  statt  dessen  eine  gut  zusammenhangende  erzählung  bietet, 
so  wird  es  gewiss  richtiger  sein,  diese  für  die  ursprüngliche,  als  sie 
mit  Wilmanns  für  die  spätere  zu  halten,  die  erst  der  redactor  L  an 
stelle  des  ihm  zu  auffalligen  abschnittes  der  quelle  eingesezt  hätte. 
Anschaulich  treten  nach  L  in  der  erzählung  des  kampfes  die  einzelnen 
momente  des  Überganges  von  der  nacht  zum  morgen  hervor.  Als  die 
beiden  in  der  finstemis  auf  einander  loshauen,  sehnen  sie  sich 
beide  nach  dem  anbruch  des  tages  (103)  —  nicht  vor  der  zeit, 
wie  Wilmanns  annimt,  denn  seine  Voraussetzung,  dass  der  kämpf  schon 
am  abend  begonnen  hätte,  ist  durch  den  Zusammenhang  nicht  begrün- 
det (s.  oben  s.  5);  erst  späte  interpolationen  in  d  (106.  110)  trugen 
diese  Vorstellung  gegen  den  Zusammenhang  hinein  — .  Dann  lassen 
sich  die  ersten  verboten  des  nahenden  morgens,  die  vöglein 
vernehmen,  ohne  dass  die  kämpfenden  ihrer  achten,  bis  die  erschöpfung 
sie  zu  kurzer  rast  zwingt  (104).  Darauf  hauen  sie  mit  erneuter  kraft 
auf  einander  ein;  die  streiche  dröhnen  wie  donnerschläge,  das  feuer 
aus  ihren  helmen  entzündet  die  äste,  dass  rauch  wie  nebel  empor- 
steigt, das  gras  wird  niedergetreten,  dass  es  aussieht,  als  hätte  nie 
etwas  dagestanden  (105  —  107).  Nun  zeigt  sich  ihnen  das  licht 
des  tages.  Dietrich  erhält  einen  gewaltigen  schlag  durch  den  schild 
(108).  Die  sonne  steigt  in  das  gebirge  empor:  da  ist  Dietrich 
ganz  ohne  schild  und  muss  weichen  (110).  —  Die  version  as  enthält  nur 
die  beiden  lezten  momente,  d  alle  vier,  bringt  aber  zwischen  dem 
ersten  und  zweiten,  d.  i.  zwischen  L  103  und  104  auch  noch  die  as 
entsprechende  erzählung  von  Dietrichs  und  Eckes  nachtruhe  (d  117  — 
122  «=  as  79  —  84)  und  überliefert  trotzdem  statt  der  als  nötige  Vor- 
bereitung dazu  gehörigen  Strophen  as  77.  78,  welche  die  arge  bedräng- 
nis  des  Berners  berichten,  vielmehr  die  L  103  entsprechende  Strophe 
115,  nach  welcher  die  beiden  den  anbruch  des  tages  herbei  sehnen 
und  nach  der  gar  keine  veranlassung  zu  Dietrichs  bitte  um  waffen- 
stilstand  erkenbar  ist.  Es  ist  klar,  dass  hier  in  d  nicht  etwa  die 
älteste  und  volständigste  version  zu  gründe  liegt,  aus  der  das  eine  stück 
in  L,   das  andere  in  as  aufgenommen  wäre,   sondern  dass  d  in   die 


24  F.    VOGT 

Version  L  die  version  as  hinein  interpoliert  hat;  d  kann  also  für  die 
ursprünglichkeit  der  episode,  welche  es  in  Übereinstimmung  mit  as 
berichtet,  nicht  die  mindeste  gewähr  bieten.  Dagegen  wird  die  Ver- 
sion L  auch  hier  widerum  durch  die  f  s.  bestätigt.  Der  vergleich  des 
Schwerterklanges  mit  donnerschlägen  findet  sich  nur  einerseits  in  L 105 
(«»  d  125),  einer  der  in  as  durch  die  erzählung  von  der  nachtruhe 
ersezten  Strophen,  andrerseits  in  der  I^s.  c.  100:  ir  keime  sire  erklwn- 
gen  von  grdxen  siegen  durch  den  hoc  . . .  reht  als  der  tvilde  dmierslac 
von  himel  kceme  gerixxen,  vgl.  oc  sva  mikiü  gnyr  oc  storir  brestir 
ero  af  hoggom  peirra  sem  hinar  mesio  reidarprumur.  Überliefert 
also  in  diesem  teUe  des  gedichtes  L  das  ursprüngüchere,  so  ei^bt 
sich  damit  auch  die  spätere  entstehung  der  einzigen  strophe  aus  dem 
der  alten  dichtung  entsprechenden  teile  der  erzählung,  in  welcher  d 
und  as  übereinstimmend  auf  Helfrich  und  seine  genossen  bezug  neh- 
men: ich  meine  die  von  Dietrichs  Verwundung  durch  die  viere  han- 
delnde as  70  d  117.  Sie  ist  nicht  anders  aufzufassen  als  die  Strophen, 
in  denen  as  allein  dem  Helfrich  eine  rolle  in  der  erzählung  zuweist, 
um  eine  bessere  Verbindung  mit  der  später  hinzugekommenen  Vor- 
geschichte herzustellen. 

Von  den  auf  Eckes  Überwindung  folgenden  teilen  der  dichtung 
sind  für  die  beurteilung  der  einleitung  nur  noch  zwei  in  betracht  zu 
ziehen. 

1.  Dietrichs  kämpf  mit  Fasolt.  Er  steht  mit  der  einleitung  in 
gar  keiner  Verbindung  und  ist  demnach  gewiss  älter  als  sie,  umsomehr 
als  auch  die  l^s.  ihn ,  nicht  aber  die  einleitung  enthält  Die  ausführung 
ist  in  der  nordischen  und  in  der  deutschen  Überlieferung  eine  ganz  ver- 
schiedene; mir  scheint  die  einfachere  nordische  ursprünglicher  als  die 
mit  anderweitig  belegbaren  sagenmotiven  verbundene  deutsche.  Doch 
ist  hier  keine  Sicherheit  zu  gewinnen,  so  wenig  wie  über  die  älteste 
gestalt  der  in  beiden  gleichfals  schon  ganz  abweichenden  erzählung 
vom  ausgange  des  kampfes  zwischen  Dietrich  und  Ecke.  Das  original- 
lied  wird  übrigens  wol  schon  mit  dem  lezteren  ursprünglich  abgeschlos- 
sen haben  (vgl.  Wilmanns  s.  135  fg.).  Anspielungen  auf  die  einleitung 
bringt  erst  as  in  die  Fasolt -episode  hinein  (as  167.  176);  zur  kenzeich- 
nung  ihres  späten  Ursprunges  genügt  schon  ihre  beziehung  auf  das 
sogar  in  die  einleitung  erst  nachträglich  hinein  gebrachte  Köln. 

2.  Dietrichs  besuch  bei  den  königinnen.  Hier  gehen  sämt- 
liche traditionen  derartig  auseinander,  dass  es  zweifelhaft  wird,  ob  die 
gemeinsame  grundlage  überhaupt  schon  ein  entsprechendes  stück  ent- 
halten hat.   Die  {'s.  sezt  diesen  besuch  schon  vor  den  kämpf  mit  Fasolt, 


Züli    ECKKNUBDE  25 

die  deutschen  Versionen  bringen  ihn  als  leztes  abenteuer  Dietrichs.  In 
der  fs.  komt  Dietrich  nur  bis  vor  die  bürg  der  königinnen;  als  er 
bemerkt,  dass  sie  ihre  mannen  gegen  ihn  rüsten,  kehrt  er  um.  In  as 
wird  er  aufs  beste  von  ihnen  empfangen  und  scheidet  von  ihnen,  nach- 
dem sie  sich  und  ihr  land  in  seinen  schütz  begeben  haben.  In  d  wirft 
ihnen  Dietrich  unter  den  heftigsten  vorwürfen  Eckes  haupt  vor  die 
füsse  und  reitet  ohne  abschied  davon  (vgl.  Wilmanns  97).  L  ist  unvol- 
ständig  überliefert  und  enthält  infolge  dessen  keine  von  den  drei  erzah- 
lungen,  bereitet  aber  durch  str.  149  fg.  die  in  d  überlieferte  vor. 

Gemeinsam  ist  also  hier  nur  die  Überlieferung,  dass  Dietrich  sich 
aufmacht,  um  die  königinnen  zu  sehen,  die  Ecken  nach  ihm  ausgesant 
hatten.  Solte  das  wirklich  schon  in  der  quelle  aller  erhaltenen  texte 
berichtet  sein,  so  würde  es  natürlich  schon  durch  das,  was  Ecke  dem 
Dietrich  über  die  königinnen  sagte,  volständig  ausreichend  begründet 
und  vorbereitet  sein,  und  es  läge  nicht  die  geringste  veranlassung  vor, 
deshalb  etwa  anzunehmen,  dass  in  jener  quelle  die  königinnen  schon 
vor  Dietrichs  und  Eckes  begegnung  erwähnt  worden  seien,  dass  sich 
also  doch  in  ihr  schon  etwas  der  einleitung  ähnliches  befunden  haben 
müste.  Aber  Eckes  bericht  von  den  drei  königinnen,  vor  die  er  den 
Berner  bringen  will  und  die  den  kämpf  überhaupt  veranlasst  haben, 
konte  auch  schon  allein  den  einzelnen  Versionen  hinreichenden  grund 
geben,  die  erzählung  anzufügen,  wie  nun  Dietrich  wirklich  zu  ihnen 
komt,  aber  ganz  anders  als  sie  es  gedacht  und  gewolt  hatten.  Ich 
halte  es  für  das  wahrscheinlichste,  dass  die  angäbe  der  I'idrekssaga 
diesen  Ursprung  hat  Gerade  sie,  oder  diejenige  fassung  der  Ecken- 
dichtung, aus  der  sie  unmittelbar  floss,  hat  ja  auch  sonst  die  geschichte 
jener  königinnen  selbständig  fortgebildet,  indem  sie  aus  den  dreien 
neun  töchter  mit  ihrer  mutter  macht  und  über  sie  in  einer  kurzen  ein- 
leitung ihre  ganz  eigenen  angaben  vorbringt,  denen  in  den  deutschen 
texten  nicht  das  mindeste  entspricht  und  die  merkwürdiger  weise  nicht 
einmal  das  nachher  in  der  erzählung  des  kampfes  doch  aus  dem  origi- 
nale beibehaltene  motiv  von  Eckes  entsendung  durch  die  königinnen 
berücksichtigen. 

Für  Ldas  andrerseits  bot  die  Vorgeschichte,  die  hier  hinzugekom- 
men war,  ganz  besonders  veranlassung,  die  geschichte  von  den  drei 
auf  Dietrich  und  Ecke  wartenden  königinnen  zu  ende  zu  führen.  Dass 
Ld  und  as  dies  ganz  unabhängig  von  einander  taten,  ist  trotz  der  völ- 
ligen Verschiedenheit  ihrer  darstellung  deshalb  nicht  wahrscheinlich, 
weil  in  ihnen  die  scene  übereinstimmend  auf  Dietrichs  kämpf  mit  den 
beweglichen  bildwerken  folgt     Sie  fügt  sich  übrigens  in  keiner  von 


26  F.  voeT 

beiden  yersionen  ganz  glatt  and  widerspruchslos  an  das  Yorangangene. 
In  as  denkt  Dietrich  nach  Eckes  Überwindung  gar  nicht  daran,  die 
königinnen  aufzusuchen;  er  wird  erst  nachträglich,  nachdem  er  allerlei 
weitere  abenteuer  bestanden,  durch  FasoU  dazu  gebracht  Als  er  zu 
ihnen  komt,  ist  zwischen  ihnen  eitel  friede  und  freundschaft,  während 
er  vorher  seinen  zom  darüber,  dass  sie  Ecken  auf  ihn  gehezt  haben, 
kräftigsten  ausdruck  gegeben  hatte  (L  125  as  106).  Stimt  das  nicht  recht 
zum  kerne  der  dichtung,  so  steht  nun  auch  mit  der  Vorgeschichte  nicht 
recht  in  einklang,  dass  die  königinnen  gottes  gnade  preisen,  weil  Diet- 
rich sie  aus  Eckes  und  Fasolts  gewalt  erlöst  habe,  während  man  nach 
der  eingangsscene  nicht  ahnen  konte,  dass  ein  derartiges  zwangsver- 
hältnis  bestand  und  dass  sie  so  sehr  den  tod  eben  jenes  Ecke  wünsch- 
ten, den  sie  dort  mit  unverletzbaren  wafien  zum  kämpf  gegen  Dietrich 
ausrüsteten.  Yiel  besser  passt  inhaltlich  zu  allem  vorausgegangenen  die 
Version  (L)d;  sie  ist  ihm  auch  von  vornherein  weit  fester  dadurch 
angefügt,  dass  Dietrich  hier  gleich  nachdem  er  dem  Ecke  das  haupt 
abgeschlagen  hat,  erklärt,  dass  er  nun  zu  den  königinnen  wolle  (L  150. 
159.  232.  d  214);  diese  fahrt  führt  ihn  dann  zu  den  weiteren  aben- 
teuern. Und  doch  zeigt  sich  gerade  hier  noch  deutUch  die  naht,  die 
das  stück  mit  dem  älteren  teUe  der  dichtung  verbindet  Es  ist  die 
merkwürdige  scene,  in  der  Dietrich,  als  er  schon  die  rüstung  des 
gefallenen  Ecke  angelegt  hat,  von  diesem,  der  nur  betäubt  war,  gebe- 
ten wird,  er  möge  ihm  das  haupt  abschlagen,  da  er  doch  verloren  sei 
Dass  dieser  passus  erst  später  eingefugt  sei,  hat  Wilmanns  s.  97  fg. 
einleuchtend  genug  gemacht;  ebenso  dass  in  d,  wo  es  fehlt,  die  erwäh- 
nung  der  enthauptung  (d  214)  noch  ungeschickter  ist  Die  erzählung 
von  Dietrichs  unfreundlicher  begegnung  mit  den  königinnen  aber  hängt 
unauflöslich  mit  ihm  zusammen.  So  verrät  die  erzählung  dieser  bege- 
benheit,  weit  enfemt  davon,  etwa  für  die  ursprünglichkeit  der  Vor- 
geschichte zu  sprechen,  sowol  in  der  version  Ld  wie  in  der  version  as 
ihren  späteren  Ursprung;  hat  sich  etwa  eine  der  beiden  schon  in  der 
nächsten  grundlage  von  Ldas  gefunden,  so  muss  sie  einer  jüngeren 
Schicht  derselben  angehört  haben. 

Yon  denjenigen  Zeugnissen  über  das  Eckenlied,  welche  einen 
schluss  auf  die  jeweilige  gestalt  der  dichtung  gestatten,  setzen  nur  die 
jüngeren  die  Vorgeschichte  voraus,  nämlich  Dietrichs  flucht,  Ottokar 
und  Wittenweilers  ring  (DHb.  V,  289);  die  älteren  sprechen  gegen  ihre 
existenz,  nämlich  die  I^idrekssaga,  die  Garmina  Burana  und  auch  Jans 
Enikel.  Denn  wenn  dieser  im  Fürstenbuch  von  Österreich  sagt  (Grimm, 
HS  160): 


ZUM  BOKDIIJKDK  27 

vrir  habn  dicke  vemomen, 

wie  der  Bemer  (hs.  prenner)  vxer  komen 

da  er  hem  Ekken  vant, 

so  hat  er  doch  wol  die  einleitung  nicht  gekant,  die  ja  gerade  umge- 
kehrt erzählt,  wie  Ecke,  gegen  Dietrich  ausgesant,  diesen  durch  ver- 
schiedene Länder  hin  sucht,  bis  er  ihn  endlich  findet;  vielmehr  hat  er 
auf  die  an&ngsstrophe  des  alten  liedes  bezug  genommen  (vgl.  oben  s.  1 
V.  1  —  4.  8),  ohne  sich  die  erst  aus  dem  folgenden  deutlicher  hervor- 
tretenden umstände  der  begegnung  beider  recken  genau  zu  vergegen- 
wärtigen. 

Aamerkimgeiu 

1)  Als  ich  schon  im  begriff  stand  diesen  aofisats  abzusenden,  gieng  mir  Mar- 
tins recension  meiner  gesohichte  der  mhd.  litterator  (bd.  XXTV  s.  229  fg.  dieser  Zeit- 
schrift) mit  ihren  einwendongen  gegen  die  dort  zuerst  von  mir  behauptete  abhängig- 
keit  der  Strophen  der  OB  Yon  der  weise  des  Eckenliedes  zu.  Aus  folgenden  gründen 
glaube  ich  ausser  den  oben  angegebenen,  an  meiner  auffassung  festhalten  zu  müssen. 
1)  Wenn  Martin  erwähnt,  dass  ich  a.  a.  o.  die  Übereinstimmung  selbst  nur  als  eine 
fast  ganz  genaue  bezeichnet  habe,  so  will  er  damit  doch  wol  nicht  sagen,  dass  die 
deutsche  strophe  und  die  lateinischen  in  der  handsohrift  hier  nicht  ebensowol  als 
gegenstucke  zusammengestelt  seien,  wie  in  anderen  ffiUen,  in  denen  er  sie  als  solche 
gelten  Hess  und  verglich.  Tatsächlich  stimmen  sie  ja,  von  der  unbedeutenden  modi- 
fikation  der  schlusszeile  abgesehen,  bis  ins  einzelste  überein.  2)  Dass  die  bildung  der 
Strophe  weit  mehr  zu  fremden  als  zu  deutschen  formen  stimme,  kann  ich  nicht 
finden.  Weit  ähnlicher  wenigstens  als  die  von  Martin  herbeigezogenen  beiden  pastou- 
reüen,  deren  abgesang  volständig  abweicht,  ist  z.  b.  Steinmars  weise  MSH  U,  154* 
und  besonders  auch  die  unter  Dietmar  von  Eäst  überlieferte,  jedesüeds  noch  dem 
12.  Jahrhundert  angehörige  MF  40,  19,  welche  bis  auf  die  mangelnde  cäsur  der  lezten 
zeile  und  das  fehlen  der  beiden  den  anfang  des  abgesanges  bildenden  langzeilen  genau 
übereinstimi  Die  beiden  klingend  ausgehenden  langzeilen  in  der  zweiten  strophen- 
hälfte  aber  zeigen  sich  dafür  z.  b.  im  ersten  und  dritten  Spervogelton  sowie  beim 
jungen  Speryogel,  und  sie  bilden  wie  im  Eckenliede  zusammen  mit  einer  Verbindung 
von  stumpf  gereimter  kurz-  und  langzeile,  nur  in  umgekehrter  folge  und  mit  voller 
form  der  langzeile,  den  abgesang  in  dem  liede  MF  36,  23,  welches  C  zusammen  mit 
Strophen  des  jungen  Spervogel  unter  Dietmar  von  Eist  überliefert  Der  abgesang  der 
Eckenstrophe  besteht  also  aus  kombinationen  national -epischer  versgattungen,  zu 
denen  sich  analogieen  schon  früher  in  der  deutschen  lyrik  finden.  Dass  nun  in  dem 
lateinischen  gegenstück  die  voriezte  zeile  eine  „in  der  lateinisch -romanischen  dich- 
tung  beliebte  und  ursprüngliche*^  form  hat  (Martin  s.  231,  wo  reimzeile  statt 
reimsilbe  zu  lesen  ist),  könte  für  die  bildung  der  deutschen  strophe  nach  der  latei- 
nischen doch  nur  dann  sprechen,  wenn  jene  charakteristische  form  unverändert  in 
die  deutsche  fassung  übergegangen  wäre.  Da  sich  aber  statt  dessen  in  dieser  eine 
auch  in  der  deutschen  dichtung  beliebte  und  ursprüngliche  form  findet,  nämlich  die 
erste  hälfbe  der  epischen  langzeile,  so  sehe  ich  nicht  ein,  weshalb  diese  nicht  auf 
dem  oben  angegebenen  wege  in  die  beliebte  lateinische  form  verändert  sein  solte. 
Bd  Martins  aufdesung  fehlt  auch  die  erklärung  dafür,  weshalb  in  der  lezten  zeilo 


28  F.   YOOT,   ZÜU  ECEBNLIEDE 

den  4  hebungen  der  lateinischen  atrophe  nur  3  in  der  deutschen  gegenüberstehen.  — 
Was  endlich  die  reimstellung  aab  ccb  des  aufgesanges  betiift,  so  war  dieselbe  ein- 
mal zur  zeit  der  abfassung  des  Eckenliedes  der  deutschen  dichtung  schon  bekant 
Sodann  aber  ist  es  mir  zweifelhaft,  ob  sie  überhaupt  in  diese  lediglich  »"st  aus  der 
lateinischen  oder  romanischen  übergieng.  W.  Meyer,  Münchener  SB  1882  11,  150  fg. 
erklärt  sie  für  die  lateinische  dichtung  aus  der  widerholung  der  ei'st^n  hälfte  der 
langzoile,  zu  der  dann  reimbindung  trat.  Derselbe  Vorgang  lässt  sich  selbständig  in 
allen  einzelnen  Stadien  in  deutsch  nationalen  strophenformen  bestirnt  nachweisen.  Die 
widerholung  jener  ersten  hälfte,  der  weise,  findet  sich  bekantlich  im  ersten  Küren- 
bergston, bei  Meinloh  und  MF.  3,  22;  den  zutritt  des  reimes  zeigt  sodann  MF.  4,  35. 
Wenn  in  diesem  lezten  tone  die  laiigzeile  mit  gedoppelter  und  in  sich  gereimter 
erster  hälfte  auf  eine  einfache  langzeile  gereimt  wird  (3vr  +  4a  :  3ob-|-3ub  +  4a), 
so  lässt  sich  daraus  schon  durch  die  naheliegende  angleichung  der  einfachen  langzeile 
an  die  erweiterte  das  in  rede  stehende  Schema  auf  das  natürlichste  ableiten.  —  Die 
ganze  Eckenstrophe  ist  demnach  gegründet  auf  die  einfache  und  die  reduplizierte 
form  der  alten  epischen  langzeile,  für  deren  erste  hälfte  die  gestalt  3v  oder  4,  für 
deren  zweiten  teil  die  form  3  oder  3u  oder  4  zulässig  ist;  dieser  leztgenanten  ent- 
spricht auch  der  einzige,  vierhebige  kurzvers  z.  10;  für  eine  zweihebige  zeile  ist  in 
diesem  System  kein  platz;  so  zeigt  sich  auch  von  dieser  seite,  dass  die  deutsche 
form  die  ui-sprünglichere  ist.  —  Übrigens  empfand  man  auch  eine  verwantschaft  zwi- 
schen den  stollenversen  der  Eckenstrophe  und  einer  andern  sehr  beliebten  Volksweise, 
jener  alten,  zuerst  MF.  3,  7  belegten  abart  der  Morolfstrophe  mit  regelmässigem 
Wechsel  stumpfen  und  klingenden  reimes.  Man  ergänzte  demnach  die  ersteren  nach 
massgabe  der  lezteren,  indem  man  den  schon  übereinstimmenden  drei  versen  noch 
die  mit  dem  dritten  reimende  langzeile  anhängte.  Zugleich  wurde  nun  auch  der  schluss 
der  Eckenstrophe  durch  einführung  klingenden  ausganges  und  vorschiebung  des  zur 
Morolfstrophe  gehörigen  ersten  reimpaares  nach  dem  gleichen  Schema  umgemodelt, 
so  dass  sich,  unter  aufnähme  des  cäsurreimes  aus  der  7.  und  9.  zeile  der  Ecken- 
strophe jüngerer  form ,  folgende  weise  ergab  (die  Zusätze  schliesse  ich  in  eckige  klam- 
mem): 4a  4a  3vb  [4  +  3ub],  4o  4c  3uC  [4  +  3uc];  4d  +  3ve  4d  +  3ve,  [4f  4f] 
3ug  4-{-3ug.    Sie  findet  sich  in  den  unechten  Neidhartliedern  MSHIII,  296  fgg. 

2)  Nach  Erek  1900  fg.  fand  der  kämpf  um  den  sperber  vielmehr  vor  pfing- 
sten  statt.    Über  dasselbe  motiv  in  anderen  Artusepon  s.  Foerster,  Christian  v.  Troyes 

m,  XV. 

3)  Falsch  ist  hier  im  DHB  der  punkt  hinter  v.  5.  Das  rtuBre  von  Goldemar 
soll  doch  nicht  berichten,  dass  der  Bemer  niemals  den  frauen  hold  gewesen;  es  soll 
vielmehr  erzählen,  wie  er,  der  sonst  weiberscheue,  zum  ersten  male  von  liebe 
bezwungen  wurde.  Y.  9.  10  hängen  also  von  v.  5  ab  und  die  drei  dazwischen  ste- 
henden verse  sind  gemeinsam  in  parenthese  zu  setzen. 

4)  Im  Widerspruch  damit  wird  Liudegast  DFl.  8629  und  Babenschlacht  734 
unter  Ermaniichs  recken  genant. 

BRESriAU.  F.    VOGT. 


29 

IJEDERHAOT)SCHEIFTEN  DES    16.  UND    17.  JAHE- 

HUNDEETS.^ 

n. 

Das  Uederbnch  des  prinzen  Joachim  Karl  Ton  Braanschwelg. 

Die  Wolfenbütteler  bibliothek  bewahrt  als  mscr.  extravag.  264. 
26.  4^  eine  aus  35  quartblättem  bestehende  liedersamlung,  auf  deren 
lederdeckel  die  initialen  „IKHZBVLTZS  |  1601«  eingeprägt  sind. 
Die  deutung  der  inschrift  ergibt  sich  unschwer  aus  der  Überschrift  des 
4.  gedichtes  als:  „Joachim  Karl,  herzog  zu  Braunschweig  und  Lüne- 
burg, thumpropst  zu  Strassburg".  Der  genante  prinz  war  ein  jüngerer 
bruder  des  als  dramatischer  dichter  bekanten  herzogs  Heinrich  Julius, 
geb.  1573  und  gest.  1615.  Das  liederbuch  hat  nicht  er  selbst,  son- 
dern sein  Sekretär  niedergeschrieben,  wie  die  bemerkungen  zu  zwei 
dichtungen  des  prinzen  (nr.  22  und  28)  beweisen. 

1.  bl.  la:   Aus  trewen  hertzen  mein 

habe  ich  mich  außerkoren  (4  str.). 

2.  bl.  Ib:   Venus,  ich  gern  wißen  woltt  (6  str.). 

Auch  in  einem  fl.  blatt  des  16.  Jahrhunderts  (Berliner  bibl.  Yd  7850,  18  nr.  2). 

3.  bl.  2a:   Stetiglich  nur  an  dich  gedenckett  mein  hertze  (6  str.). 

Auch  im  Liederbüchlein,  Nürnberg,  Lantzenberger  1607  nr.  13  und  auf  einem 
fl.  blatte  des  16.  Jahrhunderts  (Berlin  Yd  7850,  24  nr.  3). 

4.  bl.  3a:   Ach  moder  die  zartt  vnd  schoen 

der  eheren  eine  krön  (9  str.). 

Überschrieben:  Des  hern  Jochim  Carln  hertzog  zu  Braunschweig  ynd  Lüne- 
burgk  aufzügk  auf  dem  ringrennen  zu  Stuckgart  —  Vgl.  über  die  zu 
Stuttgart  gehaltenen  tmniere  E.  Pfafif,  Geschichte  der  statt  Stuttgart  1, 
218—221  (1845). 

5.  bl.  4b:   Qedenck  eß,  drewes  hertz  in  ehren, 

waß  ich  für  schmertz  vnd  pein  (5  str.). 
Überschrieben:   Des  hertzogen  von  Württenberges  liedt.  —   Gemeint  ist  wol 
herzog  Friedrich  I,  geb.  1557,  f  1608. 

6.  bl.  5a:   Bey  mir  mein  hertz  gantz  iemerUch 

sehr  quelett  sich.  (5  str.). 
Namenlied:  BEATA.  —  Auch  in  dem  liederbuche  des  Bostocker  Studenten 
Petrus  Fabricius  (Bolte,  Niederdeutsches  Jahrbuch  13,  55)  nr.  7.  Lantzen- 
bergers  liederbüchlein  1607  nr.  8.  Val.  Haußmann,  Newe  melodien  1606 
nr.  6.  Niederdeutsche  Volkslieder  1883  nr.  149.  "Weller,  Annalen  1 ,  265 
nr.375.  Fliegende  bU.  in  Berlin  Yd  7850,  29  nr.  1.  32  nr.  4.  Ye  1001,  4, 
Melodie  im  lautenbuch  des  Job.  Nauclerus  v.  j.  1615  (Berliner  mscr.  mus. 
H.  250)  bl.  76  a.  Dresdener  hs.  M  297,  s.  148.  Fried.  Tautts  lautenbuch 
(Danzig  X.  fol.  25)  bl.  49  b. 

1)  Fortsetzung  zu  bd.  XXII,  397  dieser  Zeitschrift. 


30  BOLTB 

7.  bl.  6a:   Mus  dan  die  trewe  mein 

80  ghar  aus  fiEdschem  hertzen 
von  dir  beihonet  sein  (6  Str.). 

Akrostichisches 'namenlied:  MABTHA.  Ähnlich  in  Lantzenbergers  liedeibüchlein, 
Nürnberg  1607  nr.  3.  Haußmann  1606  nr.  7.  P.  Fabricins  nr.  8.  Ditforth, 
Volks-  nnd  geselschaftslieder  1872  nr.4.  Fliegendes  bL  in  Berlin  rd7850, 
37  nr.  3.     J.  Naaderos  1615  bl.  43  b. 

8.  bL  7  a:   0  holdseliges  bildtt, 

erzeige  dich  nicht  so  wildt  (9  str.). 

Eine  Yierstrophige  fassuDg  bei  Regnart,  Tentsche  lieder  1578  3,  21.  Aeist, 
De  arte  amandi  1602  bl.  Cv^'a  =  Hoffinann  von  Fallersleben,  Geselschafts- 
lieder 1860  nr.  109.  Niederdentsche  Yolkslieder  1883  nr.  150.  Lantzen- 
berger  1607  nr.  27.  Allerley  knrtzw.  tentsche  liedlein.  Nürnberg  1614 
nr.  13.    Weller,  Annalen  1 ,  265  nr.  375.    Berliner  mscr.  genn.  qnart  733. 

9.  bl.  9b:     Mit  liebes  flammen  ist  gantz  entzundt 

mein  junges  hertz,  auch  engstiglich  wundtt  (16  str.) 

10.  bl.  12a:    Ach  lieb  in  leidt  vnd  gefehrligkeit  (4  str.). 

Namenlied:  ANNA.  —  Anch  bei  P.  Fabricins  nr.  56. 

11.  bl.  13a:   Es  will,  schönes  lieb,  das  hertz  in  mir 

für  schmertzen  ghar  zuspringen  (7  str.). 
Vgl.  Aelst,  Blum  vnd  anflbundt  1602  nr.  82.    P.  Fabricins  nr.  190.    Fliegendes 
blatt  bei  Weller,  Annalen  1,  263  nr.  363. 

12.  bl.  14b:   Frolich  woltte  ich  singen, 

ich  kans,  ich  kans  da  nicht  (7  str.). 

P.  Fabricins  nr.  97.  Niederdeutsche  Volkslieder  1883  nr.  143.  Fl.  blatt  von 
1600  in  Berlin  (Yd  7850,  30  nr.  2).    J.  Nauclerus  1615  bL  94b. 

13.  bl.  10a:   Betrübe  dich  doch  nicht  so  ghar, 

nimb  selbst  dein  junges  leben  whar  (9  str.). 

Weller,  Annalen  1,  264  nr.  366.  Fliegende  blätter  in  Berlin  Ye  806  nnd  1656  nr.  3. 

14.  bl.  17b:   In  einer  hirßen  jaget 

Acteon  jung  vnd  zartt  (5  str.). 

P.  Fabricins  nr.  20. 

15.  bL  18  b:   Betrübet  ist  mir  mein  hertz 

vnd  leidett  große  schmertz  (7  str.). 

Niederdeutsche  yolkslieder  1883  nr.  136. 

16.  bl.  19b:   Ach  hertziges  hertz,  mit  schmertz 

erkennen  thue,  ich  habe  kein  ruhe  (3  str.). 

Überschrift:  Hertzog  Friedrichen  aus  Churlandt  liedi  —  Friedrich,  der  söhn 
Gotthards  von  Eetteler,  lebte  von  1569—1642.  Dasselbe  lied  bei  Böhme, 
Altdeutsches  liederbuch  1877  nr.  132.  Niederdeutsche  yolkslieder  nr.  142. 
Ambraser  liederbuch  1582  nr.  37.  Celscher  1600  nr.  9.  P.  Fabricins  nr.  23. 
Berlin,  mscr.  germ.  fol.  636  s.  28  und  mscr.  germ.  quart  733.  Fliegende 
blätter  in  Beriin  Td  7850,  8  nr.  3.  12  nr.  2.  Ye  321,  1.  £.  Badeoke, 
Vierte^abrschr.  f.  musikwiss.  7,  321. 


LIKDKBHAKDBCHBIFTEN  DI8  XYI.   ü.  XYII.   JHB.   11.  m  31 

17.  bl.  20  a:   Die  fische  ihm  wafier  whonen, 

das  wildt  auch  in  dem  waldt  (8  str.). 
Böhme,  Altdeutsches  liederbuch  nr.  316  (aus  Hainhofers  lautenbüchern).    Lan- 
tzenberger  1607  nr.  21.    Bonenherg,  Zeitschr.  f.  d.  geschichte  der  jaden  2, 
242  (1888).    Weller,  Annalen  1,  266^nr.  383. 

18.  bl.  21b:   Megdlein  jung  mein  Sonnenschein, 

ach  du  mein  hertziges  zuckermündelein  (6  str.). 

Überschrift:  Der  Dresensche  aufzogk. 

19.  bl.  22  b:   Ach  Amor,  wie  gantz  wiederwertigh  sein 

deine  werke  dem  schönen  nhamen  dein  (8  str.). 

Weller,  Annalen  1,  265  ni*.  373:  fl.  blatt  vom  j.  1601  (Berlin  Te  1005).  P.  Fa- 
bricios  nr.  80.  Berliner  mscr.  germ.  fol.  270  bl.  IIb.  Mel.  bei  J.  Naucleros 
1615  bl.  99a.  Dresdener  hs.  M  297,  s.  147.    Danziger  hs.  X.  fol.  25,  bl.  48a. 

20.  bl.  24a:   Einiges  lieb,  getrewes  hertz, 

dir  ist  verborgen  nicht  mein  schmertz  (7  str.). 
Weller,  Annalen  1,  265  nr.  373:  fl.  blatt  vom  j.  1601  (Berlin  Ye  1005).   P.  Fa- 
bricius  nr.  181.    Niederdeutsche  Volkslieder  1883  nr.  137. 

21.  bl.  25a:    Aus  meinem  gemüth  ein  newes  liedtt 

will  ich  singen  von  einem  zartten  jungkfrewlein  (6  str.). 

22.  bl.  26b:   Oedenckh,   schönes  lieb,  wie  schwer  mir  thutt  ankhom- 

men  (7  str.). 

Überschrift:  Meines  gnedigen  fürsten  vnd  hem  hertzogk  J.  C.  liedt,  von  I.  F.  Q. 
selber  gemacht 

23.  bl.  27  b:    Sage  mir  gut  rath,  zarth  schönes  jungkfrewlin  (6  str.). 

Nainenlied:  SOPHIA.  —  Auch  bei  P.  Fabricios  nr.  38.  Y.  Haassmann  1594 
nr.  17.    J.  Rudeniiis,  Flores  musicae  16(X). 

24.  bl.  28b:   Betrubnuß  vnd  trawrigkeitt 

mich  plagett  alle  stundt  (7  str.). 

25.  bl.  29b:    Scheiden  bringett  mir  schwere  plag 

von  euch,  schönes  liebelein  (7  str.). 

26.  bl.  31a:   Erfreweu  thutt  mein  junges  bluett 

hertz  allerliebste  mein  (13  str.). 

27.  bl.  33  b:    Mir  liebet  auf  dieser  erden 

ein  frewlein  hupsch  vnd  fein  (5  str.) 

28.  bl.  34b:   So  scheide  ich  nun  mit  schmertz 

von  dir,  mein  einiges  hertz  (6  str.). 
Überschrift:  Ein  ander  liedt  von  meinem  g.  fursten  vnd  hem  I.  C.  selbst  com- 
ponirt.  —  Ebenso  begint  nr.  1  eines  1603  zu  Augsburg  gedruckten  fl.  blat- 
tes  (Berlin  Yd  7850,  37)  und  ein  lied  in  Hainhofers  lautenbüchern. 

Von  den  hier  und  dort  verstreuten  reimsprüchen  führe  ich  an: 
bL  9a:     Lieben  ohne  lust,  drincken  ohne  durst,  essen  ohne  hunger: 

lebestu  lange,  so  nimbt  mir  es  wunder, 
bl.  27a:  Gedonckh  an  mich,  wie  ich  an  dich;  niht  mher  begher  ich. 


32  BOLTI 

bL  26»:  80  nuuiDig  küb  auf  bhömen  stehet, 
to  mannig  thier  auf  erden  gehet, 
80  maimig  blam  ist  auf  dem  feldt, 
so  mannig  mensch  lebet  in  der  weldt, 
so  mannig  tropfe  ist  im  Bein, 
so  mannig  stem  am  himmel  sein: 
so  viell  glückh,  heil  vndt  frewdt 
wünsche  ich  meinem  liebsten  zu  aller  zeit 

Zu  solchen  liebesgrüssen  vgl.  übland,  Schriften  3,  261  fg.  R  M. 
Meyer,  Ztschr.  f.  deutsches  altertum  29,  128  —  131.  M.  v.  Waldbeiig, 
Die  deutsche  renaissancelyrik  (1888)  s.  19  fg.  51.  Weimarisches  Jahr- 
buch 2,  92.  113.  241,   und  auch  einen  im  Wolfenbütteler  mscr.  nov. 

637.  7  enthaltenen  glückwunsch  Joh.  Phil.  Ridels  v.  j.  1679: 
80  Tiel  die  Sommerszeith  den  Bauern  bringet  Bokhen, 
So  viel  als  Winterszeith  hingegen  Schnegen  flokhen, 
So  viel  am  Firmament  die  schönen  Sterne  stehn. 
So  viel  im  Meer  vndt  Flussz  der  Fische  annoch  gehn, 
80  viel  alß  schwingen  sich  der  Yogiein  in  den  Lüfften, 
So  viel  alß  nehren  sich  der  Thierlein  in  den  ElüJSten: 
80  viel  geh  Ihm,  mein  Printz,  der  Höchste  Glükh  vndt  Seegen, 
An  welchen  alles  ist  alleine  nuhr  gelegen! 

Im  liederbuche  des  freiherm  Albrecht  Ernst  Friedrich  von  Crails- 
heim (um  1748  zu  Altdorf  angelegt.  Berliner  mscr.  germ.  quart  722) 
8.  386  Str.  3   und  in  einem  £L  blatt  des  18.  jahrh.   (Berlin  Yd  7909, 

32,  1)  heisst  es: 

Bis  die  wasser  aufwärts  rinnen 

und  aU  berge  neigen  sich, 

bis  kein  feuer  mehr  thut  brinnen, 

so  lang  wiU  ich  lieben  dich; 

bis  die  mühlstein  tragen  reben 

und  darauf  wächst  süsser  wein, 

bis  der  todt  mir  mmt  das  leben, 

so  lang  will  ich  dein  eigen  sein, 
bl.  35b:  I^ms  ein  ende,  des  frewen  sich  meine  hende. 

m. 

Das  liederbuch  der  prlnzessln  Lnlse  Charlotte  Ton  Brandenburg. 

Auf  der  bibliothek  der  Petersburger  akademie  der  Wissenschaften 

liegt  unter  der  Signatur  XX.  L.  5  quart  ein  liederbuch  einer  deutschen 

fürstin.    Es  führt  den  titel: 

Tabulatur  Büchlein.  Der  Durchlauchtigsten,  Hochgebomen  Fürstin  TndFrew- 
lein,  Frewlein  Loysae  Charlotten,  Marggiävin  vnd  Churfl.  Frewlein  zu  Bran- 
denburg, In  Preußen,  zu  Gülich,  Cleve,  Berge  Hertzogin,  Mdner  gnedigsten 
Fürstin  vnd  Frewlein.    Im  Jahr  1632.    (Pergamentband  in  hoch  4°). 


LnDERHANDSCUKlFTKN  DES  XVT.   TT.   XYII.   JHS.   11.  HI  33 

Luise  Charlotte,  die  ältere  Schwester  des  grossen  kurfürsten,  war 
1617  als  die  tochter  des  kurfürsten  Georg  "Wilhelm  von  Brandenburg 
geboren,  vermählte  sich  1645  zu  Königsberg  mit  dem  herzog  Jakob 
von  Kurland  (f  1681)  und  starb  1676  ^  Aus  der  zeit,  welche  sie  am 
hofe  ihres  bruders  zu  Königsberg  verlebte,  rühren  die  beziehungen  her, 
die  den  dichter  Simon  Dach  mit  ihr  verbanden.  In  verschiedenen 
gedichten*  besingt  er  sie;  er  feiert  vor  1638  eine  lustfahrt  auf  dem 
Pregel,  an  der  sie  teilnahm,  er  wünscht  1645  zur  Verlobung  und  zur 
Vermählung  widerholt  glück,  ebenso  1648  zur  geburt  ihres  ersten  soh- 
nes  und  richtet,  als  sie  1657  nach  Königsberg  gekommen  war,  widerum 
ein  gedieht  an  sie.  Heinrich  Albert  widmete  ihr  und  der  prinzessin 
Hedwig  Sophie  1642  die  zweite  aufläge  des  1.  teiles  seiner  Arien.  Wenn 
dies  alles  auch  noch  nicht  notwendig  auf  ein  lebhaftes  interesse  der 
fiirstin  an  der  dichtkunst  hinweist,  so  gewint  es  um  so  mehr  bedeu- 
tung  in  Verbindung  mit  dem  inhalte  des  1632  für  sie  angelegten  und 
in  der  folgezeit  weiter  fortgeführten  liederbuches. 

Dasselbe  enthält  zuerst  einige  stücke  in  deutscher  lautentabulatur 
ohne  text  (Bargomasco,  Sarpande  Qautiers,  Psalm  39  und  134.  „Wie 
soll  mir  dan  geschehen,  wann  ich  dich  meiden  solP),  dann  aber  40 
lieder  mit  ihren  weisen  in  mensuralnoten  und  einer  einstinunigen 
begleitung  (viola  di  gamba).  Da  es  von  wert  ist  zu  erfahren,  welche 
lieder  damals  in  der  voniehmen  geselschaft  eingang  gefunden  hatten, 
so  wird  man  die  mitteilung  eines  inhaltsverzeichnisses  nicht  für  überflüs- 
sig halten,  zumal  auf  das  Verhältnis  der  komponisten  des  17.  Jahrhun- 
derts zu  den  werken  der  gleichzeitigen  dichter,  wie  Opitz,  Fleming, 
Weise,  bisher  kaum  geachtet  worden  ist.  Von  Dach  rühren  2  num- 
mem  (7  und  14)  her,  beide  von  seinem  freunde  Heinrich  Albert  in 
musik  gesezt  und  vielleicht  noch  vor  dem  erscheinen  seiner  Arien 
(1638)  aufgenommen;  aus  Opitz'  dichtungen  entlehnt  sind  4  texte  (8. 
26.  27.  32).  Die  melodien  sind,  wie  es  scheint,  aus  den  werken  von 
Joh.  Hermann  Schein  (Musica  boscarescia  1.  1621),  Caspar  Kittel  (Arien 
und  cantaten.  Dresden  1638.  30  lieder,  darunter  16  von  Opitz),  An- 
dreas Hammerschmied  (Weltliche  öden  oder  liebesgesänge  1  —  3.  1642 
— 1649)  und  andern,  deren  nachweisung  weiterer  forschung  überlassen 
bleibt,  entnommen;  viermal,  bei  nr.  9.  15.  22  und  30,  ist  der  kompo- 
nist  durch   die  anfangsbuchstaben  W:  B:   oder  Wal:  Bo:    bezeichnet. 

1)  K.  W.  Crose,  Curland  anter  den  herzögen  1,  148.  183  (1833). 

2)  In  der  bibliographie,  welche  Oesterley  aeiner  grossen  Dachaasgabe  (1876) 
angehSngt  hat,  sind  es  die  nr.  16.  57.  75.  239.  417.  534.  1131.  —  Ihre  hochzeit  ver- 
herlicht  aach  J.  C.  Finx,  Preuscher  ehrenpreis  (Königsberg  1645)  bl.  Fla. 

zicrrsoHiarT  f.  drutschk  PHn.oLoone.    bd.  xxv.  3 


34  BOLTB 

unzweifelhaft  haben  wir  darin  den  ,  berühmten  mosicanten^  Walter 
Rowe  aas  England  widerzaerkennen,  von  dem  H.  Albert  1645  in  der 
Widmung  zum  6.  teil  seiner  Arien  ^  spricht  Nur  ist  es  nicht  ganz 
klar,  ob  wir  darunter  den  älteren  musiker  dieses  namens,  welcher  am 
24.  juni  1614  zu  CoUn  a.  Spree  seine  bestallung  vom  kurfürsten  zu 
Brandenburg  erhielt  und  1626  sich  als  violist  am  mecklenbuigischen 
hofe  zu  Güstrow  hören  liess,  zu  verstehen  haben  oder  seinen  gleich- 
namigen söhn,  welcher  1638  mitglied  der  kurfürstlichen  kapelle  wurda 
Die  grossere  Wahrscheinlichkeit  spricht  wol  für  den  älteren  Rowe,  und 
dieser  wird  auch  der  lehrer  der  prinzessin  und  der  Schreiber  ihrer  lie- 
dersamlung  gewesen  sein.  Eigentliche  Volkslieder  enthält  die  leztere 
gar  nicht,  wol  aber  drei  französische  (15  — 17)  und  zwei  englische  (3. 
13)  lieder.  Das  erscheinen  der  lezteren  ist  bei  der  englischen  abstam- 
mung  Bowes  und  dem  starken  einfluss  der  englischen  instrumentisten 
und  komödianten  leicht  begreiflich. 

1.  Was  ich  itzundt  anfiing  zu  tichten  (12  str.). 

2.  Wan  ich  thu  ansehn  meinen  schmertzen  (5  str.). 

3.  DelighÜes  why  sitzt  thou  soe,  fii  la  la, 

those  foulded  armes  are  signes  of  woe?    Fa  la  la  (4  str.). 

Dahinter  folgt  ein  deutscher  text  zu  derselben  melodie: 
Eom,  0  schöne,  komme  baldt,  fa  la. 
die  vöglein  singen  in  dem  wald:  fa  la  (12  str.). 

4.  Frau  nachtigall  mit  süssem  schal  (3  str.). 
Ans  JH.  Schein,  Mnsica  boscarescia  1,  nr.  2  (1621). 

5.  Sich  da,  mein  lieber  Goridon  (3  str.). 
Schein  a.  a.  o.  1,  nr.  4. 

6.  Ihr  deutschen  gutt,  wo  ist  der  muth  (4  str.). 

7.  Edler  pregel,  dessen  fluss  (5  str.). 

Gedichtet  von  S.  Dach  s.  574  ed.  Oesteriey.     Komponiert  von  H.  Albert, 
Arien  1,  21. 

8.  Jetzund  kömpt  die  nacht  herbey  (9  str.). 

Opitz,  Teutsche  Poemata  1624  s.  92  (über  spätere  nachahmongen  vgl  das  vor- 
trefliche  buch  Yon  M.  v.  Waldberg,   Die  deutsche  renaissance-lyrik  1888 

1)  In  Fischers  neudruck  (1883)  s.  181.  —  Über  die  Bowes  TgL  L.  Schneider, 
Geschichte  der  oper  in  Berlin  (1852)  beilage:  Geschichte  der  kurfürstlichen  kapelle 
8.  27  fg.  33.  40  fg.  44.  Chrysander,  Niederrheinische  musikzeitong  1855  nr.  45  s.  355. 
Danach  G.  v.  Ledebur,  Tonkünstlerlexicon  Berlins  (1861)  s.  480.  —  Ein  W.  Bowe 
starb  im  april  1671  zu  Berlin.  Kompositionen  der  Bowes  ausser  den  in  unsrer  band- 
sohii/t  vorliegenden  haben  sich  nicht  erhalten.  Ein  der  Berliner  bibUothek  gehörendes 
ezemplar  von  G.  Yoigtlfinders  Oden  und  liedem  (Lübeck  1650)  trfigt  auf  einem  vor- 
satzblatte  die  Inschrift:  ,E  grege  Waltheri  B[owe]'^. 


LDEDKBHANDSCHBIREN  DXS  ZYI.  U.  XVn.   JH8.  11.  m  36 

8.  218  fg.)-    Komponiert^  von  C.  Kittel,   Arien  (1638)  nr.  11  ,8opra  Taria 
di  fioggiero*^. 

9.   Ach  gott,  waromb  muB  ich  so  lamentiren  (10  str.). 
Melodey  W.  B[owe]. 

10.  Ach  liebste,  laß  uns  eilen  (3  str.) 

Opitz  1624  8.  100  ,,im  thon:  Ma  belle  je  voos  prie^.  —  Komponiert  von  Kit- 
tel (1638)  nr.9  und  A.  Hammerschmied,  Weltliche  öden  1,  3  (1642). 

11.  0  wie  bist  du,  arge  weit  (16  str.). 

12.  Es  ist  warlich  betrübte  zeit  (2  str.). 

13.  Though  you  are  yongue  and  I  am  ould  (3  str.). 

14.  Hie  habt  ir,  jr  Jungfrauen  (4  str.). 

Text  von  S.  Dach  s.  422  ed.  Oesterley.    Melodie  von  H.  Albert,  Arien  1,  7. 

15.  N'obtiendra  je  rien  mon  amour  fidele  (8  str.). 
Melodie  von  W[alter]  R[owe]. 

16.  Sejour  digne  d'un  roy,  qu'adore  Tuniv^ers  (2  str.). 

17.  Jamals  vne  si  belle  flame  n'entra  dans  le  coeur,  d'un  amant 

(4  Str.). 

19.  Melancholey  ist  mein  beste  plaisir  (10  str.). 

20.  Vergangne  freudt,  wo  bistu  hin  (8  str.). 

21.  Yor  traurigkeit  vnd  schmertzen  (12  str.). 

22.  Wie  gantz  erbärmlich  ist  doch  diese  zeit  (6  str.). 
Melodie  von  W.  R[owe]. 

23.  Nimpfhen,  was  gedenckt  ihr  das  (12  str.). 

24.  Amor,  du  fidsche  list  (6  str.). 

25.  Lerne  dich  wohl  kennen  zuvor  (8  str.). 

26.  Tugend  ist  der  beste  fireundt  (4  str.). 

Opitz  1625  s.  204.    Komponiert  TonJ.Weiohmann,  Sorgen-lfigerin  (Königs- 
berg 1648)  1,  nr.  0  nnd  Hammerschmied  3,  23  (1649). 

27.  Was  wir&tu,  schnöder  neid  (6  str.). 
Opitz  1624  s.  88. 

28.  Diana  (Astrea)  schon  ihr  Geladen 
liebt  sie  mit  grosser  passion  (6  str.). 

29.  Gleich  wie  das  feur,  wen  mans  nicht  loscht  (4  str.). 

30.  Adieu  all  trauren  und  klagen  (6  str.). 
Melodey  Wal:  Bo[we]. 

31.  Oott  ist  mein  heil,  gluck,  hulff  vnd  trost  (4  str.). 

Angeblich  von  der  dänischen  königin  Sophia  (1498 — 1568)  gedichtet  Waoker- 
nagel,  Kirchenlied  4  nr.  1018.    TgL  5,  nr.  261. 

1)  THe  von  Waldberg  s.  46  erwähnten  kompoaitionen  von  Joh.  Erasmns  Kin- 
der mann  zu  13  liedem  von  Opitz  (Opitzianischer  Orphens,  das  ist  musikalische 
eigetilichkeit,  erster  teil.    Nürnberg  1642)  habe  ich  nicht  einsehen  können. 

3* 


36  BOLTB,  immiBAllDSGHBlTTKR   DRB  ZYI.  ü.  XYII.  JB8.  II.  lü 

32.  0  du  gott  der  süssen  schmertzen  (7  str.). 

Opitz  1624  8.  fiß  nach  D.  Heinsios.  «Aoff  die  Courante:  8i  c'est  poor  mon 
pucelflge*^.  —  Komponiert  Ton  Kittel  1638  nr.  20  und  von  G.  C.  Dedekind, 
Aelbianische  mnsenlost  (Dresden  1657)  bl.  Blb.  —  Eine  parodie  bei  Hom- 
bnrg,  Schimpff-  und  emsthafite  Clio  1642  bl.  G8b.  Die  melodie  ,Si  c'est 
poor  mon  pncelage'^,  welche  auch  J.  Plavios,  Hochzeitsgedichte  (1630)  s.  17 
anführt,  findet  man  z.  b.  bei  0.  L.  Fährmann,  Testado  gaUo- germanica, 
Noribergae  1615  s.  38. 

33.  Alles  leidt  wendt  sich  zu  mir  (4  str.). 

34.  Eurtz  ist  die  zeit,  kortz  sind  die  jähr  (6  str.). 

35.  Man  sagt,  das  treuw  sey  vber  mer  geflogen  (5  str.). 

36.  Die  pein,  so  in  meim  hertzen  (10  str.). 

37.  In  lieb  vnd  leidt  jch  stehe  jm  streitt  (5  str.). 

38.  Hier  muß  ich  mich  doch  yerwondem  (4  str.). 

39.  Wer  da  will  frisch  und  gesundt 
was  lang  auf  erden  leben  (10  str.). 

G.  Yoigtländer,  Oden  und  lieder  (1642)  nr.  57. 

40.  Das  glücke  braucht  mich  wie  ein  ball  (15  str.). 

A.  Hammerschmied  2,  5  (1643)  Dresdener  hs.  M297,  s.  196.  —  Eine  nach- 
ahmnng  bei  J.  Sieber,  Poetisierende  jngend  (1658)  s.  358:  „Ich  bin  deß 
glückes  ball,  es  wirfft  mich  anff  and  nieder*^,  eine  andre  bei  Schoch,  Poe- 
tischer lost-  und  blomengarten  (1660)  s.  193  nr.  93:  „Das  glück  braucht 
mich  doch  nur  zur  lust  und  wirfft  mich  nach  belieben '^. 

BERIJN.  JOHAm^ES   BOLTE. 


UNGEDEUCKTE  BEIEFE  HEEDEES  UND  SEINEE  GATTIN 

AN  GLEIM.1 

29.   Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d.  18.  Mai  1795. 

Wir  wollten  Ihnen,  Herzensfreund,  den  Dank  für  die  Fabeln*, 
die  wir  sogleich  zum  Nachtisch  gelesen  und  uns  an  Ihrem  menschen- 
freundlichen Oemüth  erfreut  haben,  nicht  so  lange  schuldig  bleiben  — 
nun  endlich  bringt  ihn  mein  Mann  hiebei,  und  ich  lege  ihn  auf  den 
Altar  der  treuen  schönsten  Freundschaft  auf  Erden !  *  Nur  seit  4  Tagen 
haben  wir  die  Exempl.  und  Sie  erhalten  es  sogleich  mit  dem  ersten 
Postwagen.  0  mögen  Sie  unsrer  liebend  dabei  gedenken.  —  Von  den 
Briefen  der  Humanität  hat  mein  Mann  noch  keinen  Probebogen  gese- 
hen!    Ohnerachtet  das  Manuscript  seit  4  Monath  fort  ist  —    Sobald 

1)  Fortsetzung  zu  bd.  XXTV,  368  dieser  Zeitschrift 

2)  Das  erste  bändchen  sendete  Gleim  am  20.  juli  1794.  Vgl.  die  anmerkung  zu 
nr.  28.  3)  Herders  Terpsichore. 


PAWJUi,  BRIEFB  HURDIBS  AN  GLDM  37 

Sie  kommen,  sollen  Sie  zu  Ihnen  ^.  Lesen  Sie  indess  im  3.  Stück  der 
Hören  das  eigne  Schicksal,  es  ist  von  ihm'.  —  Wielands  Freude 
muss  ich  Ihnen  doch  melden.  Seine  4^  Tochter  Lottchen,  ein  artiges, 
gar  gutes  liebes  Mädchen  heurathet  den  Buchhändler  Gesner  aus  Zürch, 
ein  Sohn  des  Dichters  ^  — 

Vgl.  hiezu  Oleims  antwortschreiben  vom  24.  mai,  im  besondem  aber  folgenden 
noch  angedrao]d»n  brief  Gleims. 

Halberstadt  d.  2*«  Juny  1795. 

Ich  komme  von  den  Spiegelbergen  Herzensbruder!  Unter  Nach- 
tigallgesängen sang  Terpsichore.  Vortreflicher  Gesang!  Herder,  ihr 
Liebling,  spielte  die  Leyer!     0  Herder!  Herder! 

Wer  mag  nach  Dir  die  Leyer  spielen? 

Ich  nicht,  ich  hange  sie  für  immer  an  die  Wand! 

Und  schwömm'  ich,  überschwemmt,  in  lyrischen  Gefühlen, 

Ich  nähme,  nähme  sie  nicht  wieder  in  die  Hand! 

Du  spielst  sie  wie  der  alte  Spieler, 

Dem  Felsen  tanzten,  der  den  Höllenhund  bezwang! 

Ich,  einst  Anakreons,  und  des  Tyrtäus  Schüler, 

Ein  Schüler  lausch'  ich  dir!    Vortreflicher  Gesang! 

Ich  sass  allein,  wo  wir  einst  beysammen  sassen,  und  lass  in 
den  neuesten  Briefen  zur  Beförderung  der  Humanität:  „Der  königliche 
Jüngling  hätte  einen  Anti-Prencipe  schreiben  sollen!^  Der  königL 
JüngUng  nicht,  der  königliche  Mann  schrieb  einen  in  seinen  Schriften, 
hin  und  wieder,  in  seiner  Epistel  an  seinen  Geist,  seinen  Godicül  usw. 
Lassen  Sie  von  Einem  Ihrer  Herder  die  Stellen  zusammenschreiben, 
80  haben  wir  einen  Anti-Prencipe.  Herrlich  ist  alles  in  diesen  Brie- 
fen! 0  wie  werden,  wie  müssen  sie  würken.  Ach!  war'  ich  ein 
Jüngling  wie  wollt'  ich  mich  würken  lassen!  „Wenn  ich  das  Schwerste 
und  Grosseste  gethan  hätte,  habe  ich  nichts  gethan!  ich  weiss  nicht, 
dass  ichs  gethan  habe,  dem  Ziele  aber  fühl'  ich  mich  näher,  ein  Bet- 
ter, ein  Erhöher  der  Menschheit  in  mir  und  andern  zu  werden,  aus 
innerer  Lust  und  Neigung^.  0  Herder!  Herder!  Du  bist  ein  Erhöher 
der  Menschheit!  0  dass  die  Götter  dir  Gesundheit  gäben  und  langes 
Leben.  Gebt,  o  ihr  Götter!  ihm  und  mir 

Das  längste  Leben!    Ihm,  dass  er 

1)  Die  Sendung  erfolgte  schon  am  2.  pfingsttag. 

2)  «Ich  erkannte  bey  der  dritten  Zeile  meinen  Mann^  schreibt  Oleim  am  24.  mai, 
,wer  ihn  nicht  sogleich  erkennet,  ist  blind!  An  jeder  Zeile  hängt  das  Wappen  sei- 
nes Geistes  und  Herzens!^ 

3)  9  Sie  wären  herrliche  Menschen^,  antwortet  Gleim  im  aogof.  br. 


38  PAWBL 

Uns  gebe,  was  ihr  Oötter  ihm 
Yertrautet,  mir,  dass  ich,  was  er 
uns  geben  wird,  noch  alles  les'. 
Und  alles  lesen  höre!    Gebt 
Ihm  die  Gesundheit,  die  der  Mann, 
Der  für  den  Magen  leben  will. 
Erfleht  von  euch,  and  nicht  erhält! 

Die  gebt,  ihr  guten  Oötter!  ihm! 
Und  hättet  ihr  derselben  nicht, 
So  bitt'  ich,  0  ihr  Oötter!  nehmt 
Dieselben  mir,  und  gebt  sie  ihm! 

Was  mir  an  Leibnitz  nicht  geföllt?  Er  wollte  deutsche  Bath- 
schläge  schreiben,  und  schrieb  sie  nicht,  weil  etc.  An  dieses:  weil 
muss  sich  kein  Leibnitz  kehren.  Worte  werden  nicht  in  den  Wind 
yerhaucht,  sie  kommen  durch  den,  der  sie  eingiebt  an  Ort  und  Stelle! 
Wer  weiss,  hätt'  er  sie  geschrieben,  ob  wir  die  jetzige  Oräuel  erlebt 
hätten.  Hier  sind  Nesseln!  Sie  stechen  oder  brennen  nicht  scharf 
genug,  ich  weiss  es,  aber  ich  Angeschmiedeter,  wie  kann  ich's  besser 
machen?  Ach  dass  Dir  bey  mir  auf  dem  Spiegelberge  gesessen  hättet! 
Es  war  eine  Lust  wie  Himmelslust,  ein  Himmel,  so  dunkelblau  schön, 
wie  die  Engel  nur  ihn  sehn,  und  die  Nachtigallen  sangen  wie  Herder. 

Ich  umarme  euch  herzlich 

Oleim. 

Lest  doch  ja  die  Gedichte  der  Fräulein  von  Schlieben.  Ich  kannte 
sie  längst  aus  einer  Epistel  in  kleinen  Yersen,  die  ich  in  der  Samm- 
lung noch  nicht  gefunden  habe. 

Oöthens  Gedicht:  Kennst  du  das  Land  usw.  im  2.  Theile  y.  Mei- 
sters Lehijahren  möcht'  ich  singen  hören  von  ihm  selbst,  es  ist  vor- 
treflich! 

30.  Herder  an  Oleim i. 

Hier,  bester  Oleim,  sind  die  Briefe'.  Diese  2  Theile  enthalten 
mehr,  als  die  vorigen  4  enthielten.  Gott  gebe  ihnen  Glück  und  Ein- 
gang; Er  ist  der  Menschlichkeit  und  der  Menschheit  Yater.  Herzlichen 
Dank  für  Ihre  Eriegslieder.  Gewiss  haben  wir  Sie  nicht  für  einen 
Eriegsrath,  sondern  für  einen  Friedensfreund  gehalten.  0  könnten  Sie 
nur  bald  auch  der  Herold  dieser  schönen  Göttinn  Irene  werden.    Aber, 

1)  Gleim  empfieng  den  Brief  am  3.  jnni  1795. 

2)  Vgl.  nr.  29. 


BBISn  HKBDBB8  AN  OLBIM  39 

aber!  —  Der  Himmel  jage  alle  dunkeln  Wolken  vom  Horizont  unsres 
armen  Europa  und  Deutschlands.  — 

Yale.  2t  Ffingstag  [1795]  in  EUe 

Herder. 

31.  Herders  gattin  an  Oleim.     Weimar  d.  3.  Juny  1796. 

ganz  bei  Ihnen!^  Ihr  Wunsch,  die  Stücke  in  Bälde  angezeigt  zu 
haben,  soll  erfüllt  werden,  sobald  er  sich  findet  Das  Buch  hat  sich 
seit  einiger  Zeit  yerlohren.  Yielleicht  kann  ich  noch  einiges  diesem 
Brief  beifügen.  Hier  ist  einstweilen  ein  vollständiges  Exempl.  der  zer- 
streuten Blätter.  Die  andern  2  erhalten  Sie  durch  Ettinger  aus  Gotha. 
Der  hiesige  Buchladen  ist  auch  so  schlecht,  dass  man  nichts  vorfindet 
So  werden  Sie  aus  Leipzig  2  vollständige  Exempl.  der  Briefe  über  die 
Humanität  erhalten,  durch  den  Buchhändler  Kummer.  Dann  folgt  noch 
hiebei  die  verlangte  3.  und  4.  Sammlung  auf  Yelin  Papier.  Sodann 
ein  Exempl.  der  Terpsichore  für  den  wackem  Karsten  zum  Andenken 
von  meinem  Mann.  In  Ihrer  Nähe  werde  der  Jüngling  an  Geist  und 
Herz  Ihnen  ganz  ähnlich.  Die  5.  u.  6.  Samml.  der  Humanit  Briefe 
werden  Sie  nuu  auch  erhalten  haben.  — 

32.  Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  7.  Dec.  1795. 

Uns  so  ganz  und  gar  zu  vergessen!'  Ist  das  recht?  ist  das 
christlich  und  freundschaftlich?  Haben  Sie  uns  kein  Wörtchen  mehr 
zu  sagen  —  keine  Ihrer  Morgengedanken  uns  mitzutheilen?  Liebster 
Freund!  Ich  habe  diese  Nacht  so  viel  von  Ihnen  geträumt,  dass  ich 
diesen  Morgen  sogleich  au  Sie  schreiben  muss.  —  Werden  Sie  nicht 
auch  gerne  hören,  dass  mein  Mann  fleissig  ist?'  Senden  Sie  ihm  Ihre 
guten  heitern  Wünsche!  Angefangen  hat  er  nun,  er  muss  aber  sehr 
fleissig  seyn,  wenn  er  fertig  werden  will.  (Eine  frohe  Aussicht  auf 
künftiges  Jahr  haben  wir:  Sie  wiederzusehen!  Wann  und  wo,  das 
sollen  Sie  noch  erfahren.  Wenn  die  Bäume  Knospen  und  Blüthen  trei- 
ben, 0  dann  ist  es  so  schön,  die  Freunde  zu  sehn!  Oder  wenn  die 
Kirschen  sich  röthen,  sanfte  Gottesluft  uns  umwehet!  Frau  von  Berg 
ist  im  Octob.  einige  Wochen  hier  gewesen,  mit  ihrer  Tochter,  einem 
recht  lieben  verständigen  Wesen.  —  Im  10.  Stück  der  Hören  ist  Ho- 
mer und  Ossian  von  meinem  Mann;  im  Uten  das  Fest  der  Gra- 
zien, im  12ten  Iduna  oder  der  Apfel  der  Yerjüngung.  — 

1)  D.  8.  193  zeile  10  von  oben. 

2)  Gleim  schrieb  das  leztenud  am  4.  September.  YgL  dazu  Gleims  antwort- 
brief  vom  13.  december. 

3)  Herder  arbeitete  am  3.  teü  der  Terpsiohore. 


40  PAWBL 

33.  Herders  gattin  an  Oleim.     Weimar  d.  12.  Merz  1796. 

Liebster  Herzensbruder  und  Freund,  So  eben  kommt  Ihr  lieber 
Briefe  und  ich  soll  mit  der  rückkehrenden  Post  bestimmen,  wann  uns 
die  glücklichen  Tage  zu  Theil  werden  sollen  bei  und  neben  Ihnen  zu 
sitzen!  Ach  liebster  Freund,  der  2.  april  hätte  Lockendes  genug  für 
uns,  ein  Einzigesmal  das  Fest  mit  Ihnen  zu  feyem;  aber  die  leidige 
Unmöglichkeit  hält  uns  ab  nichts  anderes  in  der  Welt  —  Nach 
allem  Berechnen  und  Ausrechnen  seiner  Amtsgeschäfte  kann  mein  Mann 
vor  Ende  July  nicht  aus  Weimar*.  — 

34.  Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d.  7.  April  1796. 

Verzeihen  Sie,  allerbester  Freund,  dass  ich  Gottfrieds  lateinisches 
Werk*  und  seinen  Brief  einige  Tage  aufbehalten  habe  es  Ihnen  zu  sen- 
den —  es  sollte  die  Terpsichore  zugleich  mitkommen,  die  wir  nur  eben 
erhalten  haben ^.  Möge  dieser  TheU  Ihnen  doch  auch  so  gefallen,  wie 
die  ersten.  Ich  empfehle  Ihnen  und  den  zwei  Lieben,  die  Maria, 
die  meine  Schutzpatroninn  geworden  ist,  und  die  gewiss  auch  die 
Ihrige  ist  Ihr,  wollen  wir  irgend  eine  Laube  ein  heiliges  Plätzchen 
weihen  und  im  August  miteinander  dahin  wallfahrten,  die  Herzens- 
schwester und  Luise  werden  schon  für  die  Lilien  und  Rosen  sorgen 
die  wir  ihr  streuen  wollen.  Leben  werden  Sie,  und  nicht  sterben,  Sie, 
unser  Treuester!  Das  junge,  rothe,  warme  Blut,  gegen  unser  kaltes, 
frostiges  verbürgt  es  nicht,  dass  sie  eher  auf  unsre  Gräber  Rosen  pflan- 
zen werden  als  wir  auf  das  Ihrige?  Nein,  Theuerster,  Sie  sterben 
nicht  und  sterben  nie!  Ende  Juli  oder  Anfang  August  wollen  wir 
uns  bei  Ihnen  veijüngen^  wie  bei  einem  Lebensquell.  Aus  Friedrich 
Richter  wollen  wir  das  Gold  heraussuchen  und  froh  und  glücklich 
seyn^.     Ganz  recht  hat  die  Schwester,  sagte  mein  Mann,   dass  sie  ihn 

1)  Yom  16.  m&rz. 

2)  Siehe  Gleims  antwort  vom  26.  märz. 

3)  Seine  dissertation,  auf  grond  welcher  er  am  19.  märz  d.  j.  zu  Jena  pro- 
movierte. 

4)  Der  dritte  teil.    Vgl.  Gleüns  antwortschreiben  vom  13.  april. 

5)  Herder  traf  auch  am  17.  augost  in  Eisleben  mit  Gleim  zusammen.  Vgl. 
hierzu  die  folgenden  briefe  vom  29.  juli,  5.  und  8.  augnsi  Über  den  besuch  selbst 
den  brief  von  Herders  Gattin  an  Gleim,  Weimar,  den  25.  august 

6)  Als  antwort  auf  Gleims  äusserung  vom  16.  mfirz:  „Mit  allen  seinen  Sonnen 
und  Sonnenflecken  ist  er  ein  guter,  herrlicher  Genius,  ein  Regenbogen,  ein  Donner- 
wetter, ein  Veilchen,  eine  Rose?  was  ist  er  nicht  alles?  auch  ein  Domstrauch  ist 
er^.  Vgl.  auch  das  urteil  von  Gleims  nichte  Dorothea  in  Gleims  brief  an  Herdera 
gattin  vom  26.  märz.    Gleim  selbst  äussert  seine  meinung  über  Jean  Paul  in  seinem 


BBIBKS  HTODKRS  AN  GLKIM  41 

den  desperaten^  nennt  Allerlei  Namen  hat  er!  an  Gemüth  ein 
Kind,  an  Geist  ein  Mann;  dies  sanft  zu  verbinden,  ist  die  grosse 
Kunst  —  dies  hoffe  ich,  soll  ihm  noch  gelingen.  — 

(Nachschrift  von  Herders  hand.) 
Hier  kommt  Terpsichore  zuerst^,  liebster  Gleim,  statt  meiner. 
Nehmen  Sie  sie  froh  und  freundlich  in  Ihre  Hütte  auf.  Sie  ist  zwar 
nur  ein  Echo  der  vorigen  Theile;  aber  alles  in  ihr  war  nöthig.  —  Die 
Br.  über  die  Humanität  (die  ich  mir  so  sauer  werden  lasse)  werden 
zu  ihrer  Zeit  folgen  ^.  —  Dann  auch  der  2  Th.  der  zstr.  Bl.  neue  Ausg. 
Und  weil  Sie  doch  die  Theologie  vor  Allem  haben,  ein  altchristliches, 
ächtkatholisches,  theologisches  opus^.  —  Richter,  den  die  Schwester 
Gleims  mit  Recht  einen  desperaten  Menschen  nent,  hats  meiner  Frau 
an-e-than^  (man  muss  das  Wort  niedersächsisch  aussprechen)  und  es 
scheint  Eurem  Kreise  auch  ziemlich.  Gestern  ist  mir  im  Fixl  die  Ma- 
gie der  Phantasie  vorgetragen  worden,  wo  dann  einige  Recepte  des 
An-e-thans  merkbar  sind.  Es  ist  eine  schöne  und  reiche  Abhand- 
lung, sonst  kenne  ich  ihn  noch  wenig;  weil  mir  die  Zeit  fehlt,  mich 
in  diesen  süssen  Abgrund  zu  werfen.    Lebt  wohl ,  ihr  Lieben !  —  Meine 

(einom  noch  uDgednickten  briefe  an  die  frau  von  Elenk,  geborene  Earschin  bei- 
gegebenen)  gedichte  vom  22.  Januar  1800: 

Unser  Jean  Paul  ist  ein  grosser  Geist, 

Aber  seine  Witzeskraft  reisst 

Oft  ihn  ans  den  Schranken 

Wahrer  menschlicher  Gedanken 

In*8  Gebiet  der  falschen,  und  in  dem 

Zu  verweilen  ist  ihm  angenehm! 

Waer'  er  immer  ihrer  maechtig, 

Wenn  sie  Ueblich  oder  praechtig 

Wie  der  Aar  in  hohen  Lüften  kreisst, 

Dann  waer'  er  der  groesste  Geist! 
Und  in  dem  noch  ungedruckten  brief  an  dieselbe  vom  17.  juli  1800  schreibt  er  über 
ihn:  j^loh  lieb*  ihn  auch,  halt  ihn,  wie  meinen  Friederich  den  zweyten  fiir  einen  £2in- 
zigen,  wünsche  mit  ihm  zu  leben,  vne  Sie's  nur  immer  wünschen  mögen*^. 

1)  , Dieser  Richter*^,  schreibt  Gleim  an  Herders  gattin  am  26.  märz,  ^ sagte 
beim  vorlesen  seines  Hesperus  gestern  die  Nichte  Dorothea  Gleim ,  ist  ein  furchtbarer 
Mensch.    Heute  sagte  sie,  dass  er  ein  Desperater  sey,  und  meinte  sehr  was  Hohes*^. 

2)  Vgl.  dazu  Gleims  urteil  in  seinem  antwortbrief  vom  13.  april. 

3)  Schon  am  16.  mai  sendet  sie  Herders  gattin  an  Gleim:  „Erst  vorgestern 
sind  die  Briefe  der  Humanität  angekommen,  und  sogleich  müssen  Sie  sie  haben*^. 

4)  Herders  Erlöser. 

5)  Gleim  schreibt  hierauf  am  13.  april:  j^JtL  wohl  hats  Jean  Paul  Friedrich 
Bichter  uns  ane-dahn,  nicht  ane-tan.  Wir  leben  und  weben  in  ihm.  Kein  Haus, 
in  dem  man  ,He  hätt  et  uns  anedahn!*^  nicht  sagt^. 


42  FAWBL 

Terps.  reicht  härteie  Eosi    Ich  wünsche  gaten  Appetit  und  Prosit  die 
Mahlzeit    Yale! 

35.  Herders  gattin  an  Gleim.  Weimar  d.  30.  Mai  1796. 
Veränderlich  sind  die  Gedanken  der  Menschen  und  die  Dinge  die 
sie  bew^n!  Da  ich  eben  heute  an  Sie,  Herzensfreund,  schreiben  und 
unsre  Ankunft  in  Mitte  des  Juny  bei  Dinen  melden  wollte,  kommt  der 
Brief  der  uns  sagt  dass  Vossens,  die  wir  seit  Pfingsten  bei  Ihnen  dach- 
ten, erst  den  2.  Juny  zu  Ihnen  konunen  werdend  |  Döifen  wir  Sie  nun 
bitten,  Theuerster,  uns  zu  melden,  wie  lange  Vossens  bei  Ihnen  blei- 
ben werden?  und  ob  Sie  von  der  letzten  Woche  im  Juny  bis  zum 
20.  July  frei  von  Geschäften,  frei  vom  Capitel  und  von  Fremden  seyn 
werden?  Ob  sich  in  diesem  Zeitraum  10  —  24  Tage  in  Ihrem  Hütt- 
chen für  uns  finden  werden  um  der  theuersten  Freundschaft,  dem 
Wohlwollen  und  der  Liebe  ungestört  zu  leben.  Aber  ganz  aufrich- 
tig. —  Im  Fall  einer  Hindemiss  richten  wirs  alsdann  so  ein,  dass  wir 
den  25.  July  von  hier  abreisen,  d.  26.  bei  Ihnen  eintreffen,  und  bis 
zum  7.  August  bei  Ihnen  bleiben,  wenn  Sie  so  lange  uns  behalten 

mögen?  — 

(Nachschrift  von  Herders  band.) 

Weimar  d.  18.  July  1796. 
Was  meine  Frau  schreibt,  lieber  bester  Gl.  ist  alles  reine  Wahr- 
heit, die  Sie  selbst  einsehen.  Wir  sind  in  üble  Zeiten  gefallen,  und 
mit  unsern  Kindern  in  theure  Zeiten.  Könnten  wir  uns  in  Eisleben  auf 
einige  Zeit  sehen,  so  wäre  es  ein  Mittelweg;  aber  es  muss  Sie  nicht 
beschweren.  Schreiben  Sie  frei,  wie  es  Ihnen  ums  Gemüth  ist  —  Wo 
nicht,  und  Gott  uns  leben  lässt,  so  kommen  wir  künftiges  Jahr  zu 
Ihnen.  Können  wir  uns  aber  in  Eisleben  ohne  Ihre  Beschwerde  sehen, 
wohlan.  Job.  Paul  wird  Sie  sehr  freuen.  Von  meinen  Hum.  Br.  7.  8. 
haben  Sie  mir  ja  noch  kein  Wort  gesagt*.  —  Leben  Sie  wohl,  bester, 
mit  Besuchen  ermüdeter.  — 

1)  Über  Yosseos  besuch  vgl.  den  brief  an  Gleün  vom  27.  joni  1716  (Briefe 
von  J.  H.  Voss  heraosg.  v.  Abr.  Voss.  Leipzig,  1840.  2.  bd.  s.  319).  Dazu  Gleims 
naohraf:  «Each  Götter  ruf  loh  an,  die  er  im  Herzen  trug, 

Wenn  er  an  Leier  oder  Pflug 

Die  Hand  anlegte,  schüzt  auf  seiner  weiten  Reise 

Den  Mann,  den  edlen  Mann,  den  Mann,  der  eure  Weise 

Zu  singen  aus  Jonia, 

Aus  Andes,  aus  Sicilia 

Verpflanzte**. 

2)  In  dem  nicht  abgesendeten  noch  ungedruckten  antwortsohreiben  yom  20.  juü 
äussert  er:  Also  hätt'  ich  meinem  Herder  über  seine  beyden  letzten  Sammlungen  s. 


BBDR  BIBMB8  AM  OLBM  43 

36.  Herders  gattin  an  Oleim.      Weimar  d.  29.  July  1796. 

Wir  erhalten  so  eben  Ihren  Brief  vom  24.  liebster  Freund.  Den 
friedlichen  Nachrichten  des  H.  Ob.  C.  Y.  Sack  können  wir  nicht  trauen, 
ünsre  neuesten  Nachrichten  von  gestern  und  heute  lauten  ganz  änderst 
Nemlich  die  Franzosen  wollen  wirklich  in  Ghursachsen  einfallen.  — 
Liebster  Freund,  reisen  können  wir  in  diesen  Tagen  auf  keinen  Fall; 
das  sehen  Sie  selbst  Wir  wollen  nur  ein  14  Tage  noch  abwarten  — 
da  muss  es  sich  doch  zu  etwas  entschieden  haben.  Und  wenn  wir 
uns  erst  Ende  August  in  Eisleben  sehn,  so  ists  ja  immer  noch 
schön.  Mein  Mann  kann  seines  Amts  wegen  nicht  weg  —  und 
unser  Hauss  können  wir  nicht  Preiss  geben,  wenn  sie  in  unsrer  Ab- 
wesenheit kommen  sollten.  Melden  Sie  uns  nur  vorläufig,  welche 
Tage  im  August  Capitultage  seyn  könnten;  damit  wir  nicht  dergleichen 
wählen.  — 

37.  Herders  gattin  an  Oleim.    Weimar  d.  1.  August  1796. 

Hier  schicke  ich  Ihnen  unsern  Erlöser,  liebster  Freund !  Wenn 
es  nun  schon  ein  theologisches  Buch  ist,  so  erlasse  ich  Ihnen  das 
Lesen  nicht  Wenn  Sie  Nachts  nicht  schlafen  können  so  nehmen  Sie 
es  io  die  Hand;  es  muss  in  einer  stillen  Stunde  gelesen  werden.  — 

Briefe  zur  Beförderang  der  Hmnanitftt  noch  nichts  gesagt?  Kann  seyn,  kann  seyn! 
£b  wäre  kein  Wunder;  beym  ersten  Lesen  erstaunt*  ich,  beym  zweyten  lernt*  ich, 
beym  dritten  bemerkt*  ich  das  Schönste,  das  Beste.  Zwischen  den  dreyen  Lesungen 
waren  der  Zerstreuungen  namentlich  viele;  schrieb  ich  meinem  Herder,  so  win  eine 
flüchtige  Schrerberey.  Sollt  ich  etwas  nur,  wehrt  von  ihm  gelesen  su  werden,  ihm 
sagen,  so  musst  ich  Zeit  haben  aofEuschreiben,  und  auszustreichen;  wie  Er  ins  Beine 
gleidi,  kann  ich  nicht  schreiben  —  Herder  ist  unser  grdester  Mann,  er  hat  Leasingen 
und  Windtelmann  uns  ersetzt,  sag*  ich  den  Freunden,  die,  dass  man  seine  Meinun- 
gen ihnen  sage.  Freunde  genug  sind;  sagt  ichs  meinem  Herder,  so  wilr  es  etwas 
Überflttssigee!  Er  ist  ein  erstannüdier  Mann!  —  Mit  allem,  was  ich  lasa,  war  ich 
in  hödistem  Grade  zufrieden,  nur  nicht  mit  seinem  Schimpfen  und  Schelten  auf  die 
Deutschen  und  ihre  Fürsten.  Bittrer  Spott  ist's  eigentiidli,  und  bittrer  S|X>tt  erbittert, 
bessert  nicht  —  darüber  aber  möchf  ich  meinem  Herder  nichts  sagen,  weil  ich,  die 
Stellen  anazusdireibeo ,  ins  Knzelne  zu  gehen  die  Zeit  nicht  habe;  der  schlimmsten 
Eine  war,  wo  er  des  Stnnges  erwihnt,  was  in  zweyen  Stellen  geschiebt,  dieee  Stellen 
hat  die  MuaeOnoUna  zuTetÜssig  nicht  gelesen,  sie  wireo  gewiss  sonst  ausgestrichen; 
wo  sonst  alles  durdians  ToUkommen  ist,  da  wird  man  durch  einen  Sommersprossen, 
durch  einen  einzigeD  beleidigt!  —  Heut,  Theurer!  boÜ^  ich  Briefe  von  Euch  zu  eriiai- 
ten!  und  den  bestimmten  Tag  zum  Abreisen  zu  erfthren!  Sehn  müssen  wir  uns,  und 
wizen  aadi,  wies  gf  tini  hieas,  die  Franzoeen,  anf  dem  Wege  nach  Leipzig  bei 
Eudi,  80  müBBflD  wir  doob  in  diesem  Jalire  nodi  uns  sehn,  ich  kann  sonat  nicht 
ruhig  staibea.  Ihr  Oleim. 


44  PAWEL 

38.  Herders  gattin  an  Gleim.  Weimar  d.  5.  Aug.  1796. 
Wir  erhalten  so  eben  Ihren  Brief  vom  31.  July  liebster  Freund  ^ 
Die  Franzosen  .  .  finden'.  Künftigen  Montag  kann  ich  Ihnen  über 
die  Gewissheit  der  Neutralität  schreiben  und  wenn  alles  gut  steht,  so 
könnten  wir  den  14  oder  ISten  in  Eisleben  seyn;  richten  Sie  sich 
vorläufig  ein  wenig  darauf  ein^  Eben  ...  herbei  schaffen^.  Rich- 
ters Portrait  sollen  Sie  mit  der  Zeit  schon  bekommen^,  ich  will  mich 
darum  bemühen.  — 

39.  Herders  gattin  an  Qleim.  Weimar  d.  8.  Aug.  96. 

Liebster  Freund,  man  sagt  sich  für  gewiss  ins  ohr  dass  Sachsen 
einen  Separatfrieden  geschlossen  habe.  Wir  haben  nun  nichts  mehr  zu 
furchten  und  wünschen  dass  Ihnen  der  17.  August  (der  fallt  auf 
einen  Mittwoch)  zum  Bendez  vous  in  Eisleben  angenehm  seyn  möge. 
An  diesem  Tage  reisen  wir  von  hier  früh  aus  und  gedenken  Abends 
8  Uhr  in  Eisleben  zu  seyn^.  — 

40.  Herders  gattin  an  Oleim.       Weimar  d.  2.  Sept  96. 
Unendlich  haben  Sie  uns  erfreut  durch  die  Nachricht  Ihrer  glück- 
lichen Heimkunft^.  —  Mein  Mann  wollte  Ihnen  heute  über  Hederich« 
sogleich  schreiben,  aber  an  diesem  mit  Arbeit  von  7  Uhr  an  besetzten 
Tage,  werden  Sie  ihm  verzeihen  wenn  ich  schreibe.    Hederich  ist  ein 

1)  Zu  diesem  brief  vgl  Gleims  leben  von  Körte  s.  86. 

2)  D.  s.  211  zeile  12  von  oben. 

3)  Herder  und  Herders  gattin  waren  am  abend  des  17.  im  gasthof  zum  gol- 
denen löwen  in  Eialeben  mit  Gleim  zusammengetroffen. 

4)  D.  Zeile  1  von  unten. 

5)  Gleim  verlangte  es  für  seinen  Freundschafts -tempel.  Herders  gattin  schreibt 
deswegen  an  Jean  Paul  selbst,  Weimar,  juni,  1797:  „Unser  Gleim  liebt  und  liest  sie 
mit  allem  Feuer  der  Jugend  und  Theilnehmung.  Ich  soll  ihm  ein  Bild,  ein  GemShlde 
nähmlich,  von  Ihnen  verschaffen*^. 

6)  YgL  die  anmerkung  im  vorhergehenden  briefe. 

7)  „Wie  war's  im  goldenen  Löwen  mir  so  wohl  ^  schreibt  Gleim  am  17.  Sep- 
tember an  Herder.  „So  wie  wir  im  goldenen  Löwen  waren,  wären  wir  auf  £rden  im 
Himmel,  so  müssen  wir  immer  nicht  beysammen  seyn!  0  wie  waren  wii*  die  zwey 
Tage  so  glücklich!*^    In  vollem  geföhle  seiner  Einsamkeit  schreibt  er: 

In  dieser  Lumpenwelt  soll  ich  noch  lange  weilen? 

In  dieser  Lumpenwelt,  in  welcher  Wölfe  heulen, 

Und  Schlangen  zischen,  soll 

Ich,  zwischen  Fröschen,  Raben,  Eulen 

Noch  singen?    Gnädiger  Apoll, 

Triff  mich  mit  deinen  schärfsten  Pfeilen, 

In  dieser  Lumpenwelt  ist  —  ist  mir  nicht  mehr  wohl! 

8)  YgL  die  folgenden  briefe. 


BRIEFE  HERDERS  AN  GLEIM  45 

ausgezeichneter  genievoller  Mensch;  er  hat  möglich  viel  gelernt,  ist  zu 
seinem  Schaden  die  Eantische  Philosophie  durchgegangen  und  nahm 
hernach  zur  Medecin  seine  Zuflucht  um  wieder  menschlich  zu  werden. 
Er  verdient  Ihre  liebe  und  Empfehlung.  — 

41.  Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  18.  Nov  1796. 

Es  scheint  mir  ein  Jahrhundert  dass  ich  Ihnen  nicht  geschrieben 
habe^  —  Damit  ich  nicht  leer  vor  Ihnen  erscheine,  sende  ich  Ihnen 
als  einen  Beitrag,  die  3  ersten  Bogen  des  6.  Th.  der  Zerstreut  Blät- 
ter*. Zwar  ist  darinnen  nur  von  dem  ehelichen  Glück  die  Rede  — 
ist  es  aber  nicht  schön,  nicht  aufmunternd,  dass  die  Muse  diesem 
Glück  auch  einmal  ihre  Töne  weihet!  Ein  ganz  glückliches  Ehepaar 
wird  nicht  leicht  Krieg  mit  seinem  Nachbar  anfangen.  —  Kurz,  lieb- 
ster Freund,  ich  finde  die  Dichterin  Faustina  so  schön,  und  glaube 
sogar  dass  sie  etwas  deutsches  Blut  in  den  Adern  hatte.  Wenn  Sie 
jetzt  nicht  Zeit  haben  hineinzublicken,  so  muss  die  liebe  Luise  daraus 
vorlesen  beim  Caff6e  und  den  stillen  Abendstunden.  Ich  schicke  Ihnen 
diese  Gedichte  gegen  den  Willen  meines  Mannes,  er  sagte,  einem  Dich- 
ter solle  man  keine  Gedichte  schicken,  sie  steckten  alle  in  ihm  selbst  — 
er  bedörfe  keiner  fremden.  Wenn  das  so  ist,  so  bitte  ich  Sie,  sie  als 
Prosa  zu  lesen.  Ich  habe  diesmal  meinem  Wülen  gefolgt  —  (Wie 
gewöhnlich.  Das  was  mir  gefallt,  ist  das  Symbol  der  Frauen.  (Zusatz 
von  Herders  band)  ich  dachte,  was  mir  gefallt,  gefallt  Ihnen  gewiss  auch 
—  und  diesmal  behielt  mein  Mann  unrecht  — 

(Nachschrift  von  Herders  band.) 

GeMle  Ihnen  die  Faustina'.  Und  sei  das  Capitel  glücklich  abge- 
laufen. Schreiben  Sie  ja  bald^.  Ich  bin  zerknickt  und  ausgemergelt 
Lebt  alle  wohl,  ihr  lieben.    Euer  treuer  H. 

42.  Herders  gattin  an  Gleim.       Weimar  am  2.  Feiertag 

d.  26.  Dec.  1796. 
Ich  will  den  Feiertag  mit  Ihnen  feiern,    ewigtheurer  Freund!  — 
Zuerst  ..  durchwehte     Die  nächstfolgenden  Stücke^  sollen  Sie  nach 
und  nach  haben.     Mir  dünkt  es  sei  angenehmer  die  Stücke  einzeln  zu 

1)  Der  lezte  brief  war  vom  7.  Oktober. 

2)  Herder  begann  mit  der  samlong  erst  am  24.  angost 

3)  Das  erste  buch  der  gedichte  und  reime  des  6.  teiles  der  zerstreuten  blätter. 

4)  Gleim  antwortet  am  10.  dec.  (D.  I  s.  218). 

5)  D.  s.  220  zeile  14  von  oben. 

6)  Der  zerstreuten  bltttter. 


46  PAWEL 

lesen.  Die  liebe  Luise  ist  so  gut  und  nimmt  diese  einzelnen  Bogen 
in  Yerwahrung  bis  das  ganze  beisammen  ist  und  wird  alsdann  die 
Besitzerin  davon.  Sie  erhalten  Ihr  eigenthümliches  auf  anderm  Papier 
wie  Yon  Rechtswegen.    Das  erste  Buch  soll  Ihr  dedicirt  seyn.  — 

(Nachschrift  von  Herders  hand.) 

—  reichlich  ^  Die  Bec.  über  Yoss  Homer  hat  nicht  Böttiger,  sondern 
OotÜieb  Schlegel  gemacht*,  d.  L  der  ältere  Schlegel,  der  auch  den 
Shakesp.  nun  übersetzt,  Stücke  aus  Dante  geliefert  hat  u.  s.  £  Es 
kann  kein  Krieg  werden.  Yalete  optimi. 

43.   Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  27.  Jan.  1797. 

Sie  Ewigtheurer  Freund,  haben  uns  eine  Freude  mit  dem  6e- 
burtstagslied  gemacht'.  Wahrhaftig  Schmidt  verdient  es,  dass  Sie  die 
Saiten  so,  so  für  in  rührten.  Jedes  Wort  ist  Wahrheit  Nun  müssen 
die  reichen  Stolbergs  ihm  noch  eine  Klamersruh  verschaffen!  sie  müs- 
sen für  die  Musen  es  thun,  die  durch  ihn  so  manche  Freuden  ihnen 
verschafften.  Hören  Sie,  Freund  Gottes,  das  Domcapitel  muss  die  Kla- 
mersruh auch  bauen  helfen  —  sinnen  Sie  darüber  nach,  wenn  die 
Moigenröthe  Sie  weckt,  Edler  Lieber!  der  Dichter  muss  nicht  erbärm- 
lich sorgen,  nicht  wie  die  Baupe  Blätter  nagen  —  Nectar  muss  er 
trinken  mit  den  Göttern  —  amen!  Helfe  Ihnen  Deutschlands  Genius 
dazu.    Nun  bitte  ich  um  eine  Erläuterung  der  Stelle  Ihres  Gedichts: 

Ein  Gottgeschöpf  für  einen  Thron, 
macht  er  aus  eines  Müllers  Sohn! 

Darüber  hat  der  Vater,  die  Mutter  und  Gottfried  jedes  eine  besondere 
Lesart;  und  ich  wette  es  ist  keine  die  rechte,  denn  es  bleibt  in  jeder 
etwas  dunkles.  Geben  Sie  uns  Licht,  Herzensfreund.  Nun  müssen  Sie 
auch  dem  wiedererstandnen  Yoss  ein  lied  singen.  Er  muss  nicht  ster- 
ben, der  treue  Yater  und  Mann.  Ich  denke  mir  das  Ehepaar  wie  Phi- 
lemon  und  Baucis  —  nur  mit  dem  Unterschied  dass  Sie  frt)mme  gute 
Kinder  haben.  Wieland  hat  im  Januar  97.  den  Anfang  gemacht  die 
Musen  Almanache  zu  recensieren.  Er  musste  diesmal  einen  strengem 
Weg  einschlagen  —  der  Dichter  der  Grazien.  Künftigen  Monath  kommt 

1)  D.  8.  221  zeile  21  von  oben. 

2)  Gleim  schrieb  am  16.  oki  an  Herder:  , Bottiger  nimmt  an  den  Katzbalge- 
reien gewiss  noch  keinen  Antheil.  Die  Recension,  das  ürtheü  über  Vossens  Homer 
ist,  glaub'  ich,  von  ihm,  kann  von  keinem  andern  sein. 

3)  Qleims  CÜamersrohe. 


BKIEFE  HSBDSSS  AN  GLEDC  47 

der  Schillersche.  Bester  Freund,  was  die  |Beyolation  nicht  vollendet 
hat,  das  vollenden^  die  Xenien  beim  deutschen  Pamass.  —  Aber  es 
gibt  einen  Aether  über  dem  Pamass. 

Wohlauf  dann, 
Auf  in  die  Lüfte  des  heitern  Himmels 
Urania  wird  unsre  Führerin!  — 

1)  ,I>ie  Xenien  vollenden '^  mft  Gleim  in  einem  briefe  an  Herder  den  1.  febr. 
1797,  ,Ich  leg*  es  aus,  die  Xenien  sind  reissende  Wölfe,  noch  ärger  als  die  Jaco- 
biner.  Die  gegen  sie  ausgegangenen  Jäger  sind  gar  schlechte  Schützen.  Wieland, 
hoff*  ich,  wird  sie  treffen,  nnd  so  Gott  will,  der  alte  Peleiis,  Euer  Qleim^.  Aber 
noch  am  10.  december  1796  schreibt  er  an  Herder:  „Wieland  war  unwillig  auf  die 
Angriffe,  die  sich  Goethe  und  Schiller  gegen  mich  erlaubt  hatten.  Wo  find'  ich  diese 
Angriffe?  In  den  Xenien  hab'  ich  sie  nicht  gefunden,  und  Elamer  Schmidt,  auf 
dessen  Commentar  Ihr  mich  verwiesen  habt,  hat  sie  nicht  nachweisen  können,  alBo 
müssens  wohl  heimtückische  Angriffe  seyn,  in  Schrifteleyen,  die  ich  jetzt  nicht  mehr 
leee.  Die  Zeit  ist  mir  zu  edel  geworden!  Sie  mögen  übrigens  angreifen,  so  viel 
und  so  aig  sie  wollen,  mich  künunerts  nicht,  es  wäre  mir  unlieb  nur,  weil  ich  mit 
ein  paar  Worten  gegen  die  Xenien  mich  erklären  wollte.  Hätt  ichs  angegriffen,  so 
schien  ich  nicht  unparteiisch.  Sagt  mir  Einzige,  Eure  Meinung!^  Bekanntlich  erschie- 
nen am  2.  april  1797  fünfzig  stück  Xenien  Gleim,  ,»dem  Stifts-  und  Musenjubüar  an 
seinem  Geburtstag  gewidmet*^  als  gegenschrift  zu  den  bekanten  Schiller -Goetheschen 
Xenien.  Ygl.  hierzu  das  36.  Pelous  überschriebene  stück.  Darüber  Fielitz,  Aus  der 
Xenienzeit  in  Schnorre  Archiv,  VI.  s.  258  fgg.  Bezeichnend  ist  Gleims  urteil  in  einem 
noch  ungedruckten  brief  an  frau  von  Elenke  vom  12.  oki  1796:  „Bald  wird  auf  dem 
deutschen  Pamasse  für  ehrliche  rechtschaffene  Leute  nichts  mehr  zu  thun  seyn! 
Schiller  und  Goethe  sind  die  reissenden  Wölfe  geworden,  \md  morden  auf  ihm!  Sagen 
8ie*8  keinem  Menschen,  Tigern  mögen  Sie*s  sagen;  ich  habe  mit  ihnen  nichts  zu 
thun,  will  mit  ihnen  nichts  zu  thun  haben.  Halten  Sie  auch  die  beyden  guten  Kin- 
der bey  sich  zu  Hanse;  giengen  sie  aus,  sie  würden  von  den  Wölfen  zerrissen!  Es 
ist  noch  nicht  böse  genug  in  der  Welt,  Goethe  dünkt  mich  ein  Tirann,  wie  Bobes- 
pierre  auf  dem  Pamasse  '^.  Interessant  ist  Gleims  äusserung  in  einem  noch  ungedruck- 
ten briefe  an  frau  von  Elenke  vom  14.  april  1797:  „Yen  vor  Kurtzem  auf  dem  deut- 
schen Pamass  erschienenen  Weimarischen  Faunen  der  alte  Peleus  genannt,  hat  aus 
Liebe  zu  seiner  Muse,  dem  guten  getreuen  alten  Mädchen ,  eine  Göttin  ist  diese  Muse 
nicht,  sich  verfuhren  lassen,  ein  gewisses  Etwas  drukken  zu  lassen!  Ich  leg*  es 
nicht  bey,  weils  schlecht  gedrukkt  ist!  Wirds  noch  einmahl,  wie  ich  vermuthe,  les- 
barer abgedrukkt,  dann  send*  ichs,  und  sage  meiner  Freundin,  dass  die  Zeit  mit  die- 
sem Etwas  getödtet  zu  haben,  mich  gereut,  ins  Ohr  ganz  leise i*^  Schiller  selbst 
äussert  bei  der  angelegenheit  über  Herders  duldsamkeit,  mit  der  er  sich  des  ange- 
griffenen Peleus  angenommen  hatte,  an  Goethe:  „An  Herders  Confession  über  die 
deutsche  Literatur  verdriesst  mich  noch  ausser  der  Kälte  für  das  Gute  auch  die  son- 
derbare Toleranz  gegen  das  Elende*^.  Vgl.  Hoffineister,  Bemerkungen  zu  den  Xenien, 
im  besondem  aber  Voss,  brief  an  Gleim  vom  9.  april  1797,  und  Abr.  Voss,  Über  Toe- 
seoB  yeifaältms  zu  SchiUer  und  Goethe. 


48  PAWKL 

44.  Herders  gattin  an  Gleim.  Weimar  d.  19.  Merz  1797. 
Froh  und  glücklich  hat  uns  Ihr  lieber  Brief  und  Ihte  holden 
Blätter^  gemacht  ewig  theurer  Freund.  Sie  haben  uns  lange  warten 
lassen,  um  uns  destomehr  zu  erfreuen.  Eben  lese  ich  wieder  Amor 
und  Psyche.  Unschuld  und  Weisheit  hat  es  Ihnen  dictirt  Auf  Rosen- 
blättem  bringen  Sie  uns  die  goldenen  Lehren.  Wie  schön  ist  Nro  5. 
24.  26.  26.  33.  37.  88.  39.  42.  49.  61.  62.!  wie  schön  und  treflich 
ist  alles!  Man  sollte,  man  könnte  jedes  Stückchen  mahlen.  Das 
wären  Rosen,  unvergängliche  Rosen.  —  Auch  für  die  zwey  einzelnen 
Gedichte  tausend  Dank.  An  mein  Vaterland  kannten  wir  schon, 
und  fanden  Ihre  Patriotische  Seele  schon  im  Titel,  so  wie  im  ganzen 
Gedicht.  Wem  schlägt  doch  noch  irgend  so  das  Herz  für  das  Gute. 
Auch  an  Europas  grosse  Frauen  ist  vortreflich,  wöchten  sie  doch 
beherzigen  die  Heldinnen  und  auch  verstehen!  Die  Anecdote  mit 
der  vornehmen  Frau  ist  recht  hochadelich!  Es  ist  beinah  so  schön, 
wie  wenn  die  fränkischen  (Bamberg-  und  würzburgischen)  vornehmen 
Frauen  im  Eissinger  Bad  sagen:  es  ist  heute  das  Modejoumal  ange- 
kommen, wir  lösen  aber  nich  beim  Brunnen.  Nun  auch  ein  Wort  von 
uns.  —  Wo?  und  wie  hat  Polens  geantwortet?  Das  hätten  Sie  hübsch 
sagen  sollen.  Wir  lesen  fast  keine  Journale.  Wir  wollen  das  Berl. 
Archiv  jetzt  halten.  Es  sind  so  hübsche  Sachen  darinnen,  auch  um 
Ihrentwegen.  Es  sollen  Parodien  der  Xenien  herausseyn  worunter  Hal- 
berstadt steht  Von  w^em  sind  sie?  ich  habe  sie  nicht  gesehen;  nach 
allem  was  ich  von  ihnen  gehört  habe,  können  sie  nicht  von  Ihnen 
noch  von  Schmidt  seyn;  und  so  trage  ich  daher  kein  Verlangen  dar- 
nach. Hier  ist  nun  das  vollständige  Exemplar  der  zerstreut  Blätter, 
Allerbester;  Ihre  Theilnehmung  und  Beifall  ist  süsser  Lohn.  Die  Ge- 
dichte und  Legenden  sind  auch  meine  Lieblinge  2.  Die  einzelnen  Rosen 
gehören  der  holden  Luisa.  —  Noch  etwas  sehr  gutes  muss  ich  Ihnen 
sagen.  Wieland  hat  in  vergangener  Woche  ein  nahegelegenes  Gut  mit 
einem  schönen  grossen  Haus  für  22000  Bth.  gekauft  und  zieht  mit  der 
ganzen  Familie  im  Frühjahr  hin.  Lesen  Sie  sein  Briefchen  hierüber 
und  freuen  Sie  sich,  dass  sein  guter  Genius  ihm  manches  Herbe  jetzt 
durch  seinen  ländlichen  Aufenthalt  versüssen  will.  Er  ist  ein  vortref- 
licher  Vater,  und  verdiente  ein  grösser  Geschenk  von  der  deutschen 
Nation,   als  diese  20000  Rth.  die   er  nur  durch   das  Wunder  seiner 

1)  Oleim  sendete  am  1.  März  sechs  Exemplare  von  Amor  und  Psyche. 

2)  So  schreibt  er  auch  schon  am  30.  dec.  1796  an  Qleim:  „In  den  zerstreu- 
ten Blättern  kommen  Legenden,  für  die  Ihr  mich  als  einen  Kirchenvater  yerahren 
sollt». 


BBISFB  HERDERS  AN  eLEIM  49 

neaen  Ausgabe  erhalten  hat  Nun,  freuen  v^ir  uns  mit  ihm  über  sein 
Sabinum,  und  wünschen  ihm  die  schönste  Abendröthe  des  Lebens. 
Mündlich  habe  ich  ihn  noch  nicht  gesprochen;  er  wollte  heute  kom- 
men, ward  aber  zur  Herzogin  Mutter  gebeten.  — 

45.  Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  14.  July  1797. 

Theurer  Einziger  Freund.  Sie  werden  es  mir  verziehen  haben, 
dass  ich  meinen  versprochenen  Brief  bisher  nicht  geschickt  habe^  — 
Herr  Merkel^,  den  Sie  so  freundlich  aufgenommen  und  einen  so  1. 
Brief  auch  ihm  geschickt  haben,  ist  so  ganz  zufrieden  und  entzückt 
von  Ihnen  gekommen,  und  hat  uns  durch  die  Nachricht  erfreut  dass 
Sie  sehr  sehr  wohl  und  munter  sind,  und  unser  liebevoll  gedenken. 
O  das  ist  alles  was  wir  wünschen.  Nun  rückt  allmalich  der  August 
heran,  wo  wir  Sie  sehen  sollen  geliebter  Freund^.  Wie  stehts  aber 
um  Ihre  Harzreise,  die  Sie  diesen  Sommer  zu  den  gräfl.  Stolbergischen 
thun  werden?*  und  wann  erwarten  Sie  Voss?  Fast  vermuthe  ich,  dass 
Sie  im  August  noch  nicht  vom  Harz  zurückseyn  werden,  und  dass  wir 
mit  unserm  Besuch  jetzt  ganz  zur  Unzeit  kommen.  Mein  Mann  und 
ich  haben  schon  darüber  deliberlrt  wie,  welche  Zeit  wir  wählen  um 
Ihnen  nicht  lästig  zu  kommen.  — 

Denken  Sie,  der  trefliche  Hederich  ist  vor  6  Wochen  an  einem 
Nervenfieber  ohnweit  Wien  gestorben:  Eine  so  glückliche  Organisation 
80  frühe  aufgelöst  Zu  der  Zeit  da  alle  Fremde  Wien  räumen  mussten 
und  er  (aus  Mangel  vielleicht)  nicht  wohl  zurück  kommen  konnte,  so 
ging  er  als  Feldarzt  mit  ins  Feld  und  musste  nun  in  einem  Feldlaza- 
reth  seinen  Tod  finden.  Es  ist  nur  Eine  Stimme,  Eine  Klage  um  ihn. 
Nun  er  ruhe  sanft!  und  wohl  denen  die  ruhen. 

46.  Herders  gattin  an  Oleim.     Weimar  d.  24.  Sept  1797. 
Einziger  Freund.     Tausendmal  Verzeihung  wegen    meines  Still- 

1)  Mit  bezug  auf  ein  in  dem  briefe  vom  9.  juni  gegebenes  versprechen,  „näch- 
stens durch  die  Post  ein  Hehreres  zu  schreiben''. 

2)  Der  bekante  gegner  Goethes  und  der  romantiker.  Vgl.  den  eingang  dieses 
briefes  und  Gleims  brief  vom  17.  juni  d.  j. 

3)  „Voss  und  Herder  besuchen  mich  im  Hüttchen'',  schreibt  Gleim  an  frau  von 
denke  am  28.  nov.  d.  j.  Über  Herders  mitte  august  erfolgten  besuch  siehe  den  brief 
von  Herders  gattin  an  Gleim  vom  25.  aug.  d.  j. 

4)  Gleim  unternahm  zwei  reisen,  die  eine  nach  Dessau,  Leipzig,  Halle,  Gie- 
bichenstein,  Aschersleben,  Magdeburg,  die  andere  nach  Braunschweig,  wohin  auch 
Voss  gereist  war.    8iehe  Gleims  brief  an  frau  y.  Klenke  vom  2.  aug.  d.  j. 

nOTSCHRIFT  F.   DEÜTSCHIC  FBTLOLOGIE.      BD.   XXV.  4 


so  PAWBL 

Schweigens.  —  Auch  möchten  wir  gern  von  Ihrer  grossen  Heise  etwas 
hören.    Böttiger  sagte  uns,  dass  Sie  nach  Leipzig  gegangen  sindK  — 

(Nachschrift  von  Herders  Hand.) 

Willkommen  zu  Hause,  Ihr  Lieben,  von  Eurer  schwärmerischen 
Reise  nach  schönen  Gärten  und  Lustörtem.  Wir  sind  frommer  wie  Ihr; 
wir  reisen  nach  Menschen  und  zu  Menschen.  Nun  sitzen  wir  zu  Hause 
und  ich  stehe  den  Tag  über  vorm  Pult  Gearbeitet  ist  in  der  2^it 
nichts  oder  wenig;  die  Tage  vergehen  wie  im  Schlaf.  —  Die  Musen 
sind  fem  und  der  1.  Geist,  nach  dem  Begrifi  der  Schwester  Gleminde, 
hölzern.  Die  Bücher  kann  ich  also  auch  nicht  zurückschicken:  denn 
ich  habe  sie  noch  nicht  gebraucht  Danke  für  den  Luther;  ich  wollte, 
dass  Sie  mir  auch  etwas  von  seinem  Muth  geschickt  hätten,  der  mir 
ganz  fehlet  Wenn  ich  Eine  Seite  seiner  Schriften  lese,  entfällt  mir 
der  Meinige  ganz  und  gar.  —  Sie,  liebster  Gleim,  wird  Wörlitz  ohne 
Zweifel  zu  etwas  Neuem  begeistert  haben;  sie  sind  noch  aus  Luthers 
Jahrhundert  und  Geschlecht;  wir  sind  die  peior  progenies.  —  Was  sagen 
Sie  zu  den  neuen  Auftritten?  Ach,  in  welche  Zeiten  sind  wir  gefal- 
len! und  was  werden  wir  noch  erleben?  Der  Himmel  stehe  uns  und 
den  IJnsrigen  bei.  In  Amerika  die  schreckL  Erdbeben;  in  Europa  ein 
Auflösen  aller  Bande  der  Treue  und  liebe.  —  Wir,  ihr  Lieben  wollen 
einander  treu  seyn  und  bleiben;  auch  der  Tod  soll  uns  nicht  scheiden. 
Lebt  alle  herzlich  wohl. 

47.  Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  16.  März  98. 

—  nun  wieder*.  Es  wird  nun  ernstlich  auf  eine  Badreise  gedacht 
Wenn  es  bestimmt  ist,  so  will  ich  Ihnen  schreiben.  Schade,  dass 
Lauchstädt,  wohin  Sie  diesen  Sommer  gehen  werden,  nicht  das  Bad 
ist  das  ihm  Hülfe  bietet  Schwefeldampfbäder  sind  die  einzigen  die 
ihm  helfen.  Und  so  werden  wir  Sie  mit  der  Herzensschwester  und  1. 
Luisen  hier  in  loco  bei  uns  sehen,  nach  der  Badezeit  —  Dass  Sie 
sich  des  Catechismus^  so  annehmen  freut  meinen  Mann  gar  sehr.    Die 

1)  Vgl.  die  anmerkung  zum  briefe  vom  14.  juli.  Über  die  reisen  selbst  ygL 
noch  Gleims  briefe  vom  19.  sept  und  8.  okt  d.  j. 

2)  D.  8.  238  zeile  6  von  unten. 

3)  Gleim  hatte  ein  ezemplar  an  einen  seiner  Berliner  verwanten,  den  gehei- 
men tribunalrat  imd  oberconsistorialrat  Lamprecht  mit  der  bitte  gesendet,  es  dem 
oberconsistorium  zum  zwecke  amtlicher  einfahrung  vorzulegen.  ,Mein  Eatechismus*^ 
schreibt  darüber  Herder  an  Gleim  als  nachschrift  zu  dem  obigen  briefe,  i,mid  in 
Fteussen  nicht  eingeführt  werden;  dazu  sind  Eure  Pröbste  zu  aufgeklärt '^.  Yg^. 
Gleims  antworbschreiben  vom  31.  mfirz. 


BBUEFB  HKRDKB8  AN  aUOM  51 

erste  Auflage  war  in  den  ersten  4  Wochen  vergriflFen;  die  2te  musste 
sogleich  fertig  gemacht  werden.  Er  wird  auf  der  Messe  zu  haben  seyn. 
Wollen  Sie  indessen  noch  Exemplare  von  hieraus  haben,  so  befehlen 
Sie  wie  viel?  Bald  schicke  ich  Ihnen  einen  neuen  Theil  christl.  Schrif- 
ten*.   Nun  leben  Sie  tausendmal  wohl.  — 

48.  Herders  gattin  an  Gleim.       Weimar  d.  11.  Nov.  99. 
Ich  habe  Ihnen  auf  Ihren  lieben  Brief  auf  der  Stelle  antworten 

wollen,  einziger  treuer  Freund,  wenn  ich  gekonnt  hätte.  —  Hier  ist 
der  Scfaülersche  Musenalmanach.  Sie  müssen  ihn  aus  unsrer  Hand 
haben,  da  die  Buchstaben  v.  E.  f.  von  meinem  Mann  sind.  SchiUer 
hatte  ihn  angelegentlich  um  Beiträge  gebeten  in  dem  Augenblick  als 
gedruckt  wurde  und  das  Gedicht  der  Fräul.  v.  Imhof  nicht  den  Kalen- 
der ausfülltet  In  wenig  Wochen  schicke  ich  Ihnen  etwas  besseres, 
einen  Naturhymnus  von  Schaftesburi,  den  auch  Sie  gesungen  haben  so 
vielfach*.    Das  rechte  Gefühl  hat  nur  eine  Stimme.  —  Dank,  Dank^ 

49.  Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d.  14.  Febr.  1800. 
—  ahnden*.    Die  Stelle  von  Amor  und  Psyche  Gott  weiss  wo  sie  steht! 
mein  Mann  hat  sich  selbst  rein  vergessen^.    Wir  haben  in  den  zer- 

1)  „Wenn  die  geistlichen  Schriften  ankommen,  denn  ist  mein  Festtag!^  schreibt 
Gleim  ao  Herder  am  2.  mai.  Bald  daraof  kamen  sie  an.  Vgl.  den  folgenden  brief 
und  Gleims  dankschreiben  an  Herders  gattin  vom  9.  mai  d.  j. 

2)  Vom  27.  Oktober  d.  j. 

3)  Vgl.  Gleims  antwortschreiben  yom  27.  november. 

4)  Die  Sendung  erfolgt  nebst  beilage  von  Herders  neuerdings  ausgegebenem 
yGott*'  am  27.  december. 

5)  D.  s.  262  zeile  1  von  oben. 

6)  D.  s.  267  zeile  13  von  oben. 

7)  In  dem  noch  ungedruckten  brief  vom  6.  Januar  1800  schreibt  Gleim:  ,In 
einem  Ihrer  Werke,  lieber  Freund,  lass  ich:  die  schöne  Mythe  von  Amor  und  Psyche 
wäre  nicht  genug  genutzt,  imd  wurde  begeistert  zu  meinem  Amor  und  Psyche.  Nun 
such  ich  dieses  gelesene  und  kann's  nicht  finden,  und  muss  es  wieder  lesen,  eh  ich 
meinen  mit  schönen  Zeichnungen  versehenen  Amor  aus  der  engen  in  die  weite  Welt 
versende.  Haben  Sie  L  Fr.  doch  die  Güte,  die  Stelle  dieser  Auferweckung  der  schö- 
nen Fabel  mir  anzuzeigen.  Sie  sparen  mir  den  Ärger  über  mich  selbst,  dass  ich 
nicht  besser  im  Gedächtnis  sie  behalten  habe*^.  In  demselben  briefe  äussert  er  über 
Herder:  ^Sie  thaten  so  viel,  als  menschliche  Kräfte  thun  konnten;  standen  im  Dienste 
der  Menschheit  auf  einer  der  höchsten  Stufen.  Von  den  kritischen  Wäldern  bis  zur 
Ausgabe  dee  Kleinsten  ihrer  Geistesmuse  solche  Bäume!  welche  Früchte!  Im  Tem- 
pel der  Humanität  waren  Sie  bis  zu  seiner  Einreissung  als  erster  Priester,  sahen  ihn 
einreissen,  und  waren,  soll  iohs  heraussagen?  nur  mir  vielleicht  zu  geduldig;  sehn 
die  Träumer  gerathen  in  ein  heiliges  Feuer,  schlagen  uns  die  bösen  Geister,  die  so 
stolz  vor  ihren  Augen  auf  den  Trümmern  sitzen ,  nicht  mit  ihres  Geistes  Schwert  und 

4* 


52  PAWXL 

streuten  Blättern  nachgesucht,  aber  vergebens.  Man  wird  Ihnen  ja  die 
angeführte  Stelle  glauben.  NB.  Briefe  der  Humanität  6.  Sammlung, 
p.  11.  da  steht  es.  Unendlich  freuen  wir  uns  auf  Ihren  mit  Zeichnungen 
versehenen  Amor  und  Psyche.  Ja  wohl  ist  in  dieser  Mythe  alles  was 
schön  und  erhaben  in  der  menschlichen  Seele  ist  —  wo  Psyche  das 
Wasser  des  Lebens  holt  —  gibt  es  was  erhabeners?  — 

50.  Herders  gattin  an  Oleim.  Weimar  d.  3.  Mai  98. 

Theuerster  liebster  Freund.  Anstatt  Einem  Theil  christl.  Schrif- 
ten, schicke  ich  Ihnen  zwei.  Scheuen  Sie  sich  nur  nicht  vor  den 
dicken  Büchern;  das  Papier  ist  Ursache  daran;  auf  gewöhnüchem  Pa- 
pier sinds  nur  2  dünne  Bändchen.  Diese  wünschen  denn  nun,  in 
Ihren  stillen  Morgenstunden  von  Ihnen  gelesen  zu  werden.  Ich  wünschte 
dass  der  Inhalt  der  5ten  Sammlung  Sie  reizen  möchte.  —  Ihr  Urtheil, 
Ihre  Empfindung,  Ihr  Beiüedl  gilt  meinem  Mann  für  1000  Leser.  Aus 
Ihrem  Herzen  hat  er  gewiss  geschrieben;  lassen  Sie  uns  das  Echo 
bald  hören  K  —  Vorigen  Sonntag  hat  Wieland  eine  Tochter  von  14  Jah- 
ren, Wilhelmine,  an  der  Auszehrung  verlohren.  Es  war  ein  vorzüg- 
liches Mädchen  voll  Gutmüthigkeit  und  Orazie,  auch  hatte  er  sie  sehr 
lieb;  und  leider  ist  sie  gestorben  da  Yater  und  Mutter  hier  in  der 
Gomödie  waren.    Leben  Sie  wohl  einziger  Freund.  — 

51.  Herder  an  Oleim. 

An  Ihrem  Geburtstage,  liebster  Gl.  muss  an  kein  Weggehen  der 
Freunde  gedacht  werden;  vivamus,  dum  vivimus  et  nos  amemus'.  Dies 
sei  unser  Motto,  wie  bisher,  so  fortan. 

Der  Frühling  kommt;  er  wird  mit  allen  seinen  Blumen  kommen 
und  den  Minnesinger,  den  vielfachgeliebten  und  bekränzten  kränzen. 
Ist  auch  Einer,  sind  auch  zwei,  die  ihn  mit  bekränzten  nicht  mehr 
sichtbar,  sie  feiern  sein  Fest  droben. 

Wir  in  unserm  Kreise.  Der  Geist  waltet  hinüber.  Richter  ist 
noch  mit  uns  und  feiert  es  mit;   der  Sommer  wird  ihn  wahrscheinlich 

Feaer,  thatens  aber  so  schonend,  so  human,  dass  die  Einreisser  ihre  Schlage  nicht 
fühlten!  Sie  schlagen  mit  Simsons  Schwert  drein  und  Schande  fioss  von  der  Ver- 
brecher Wanden!  Böse  Buben  bewarfen  den  hohen  Priester  mit  ihres  Geistes 
Schneebällen,  und  wohl  vielleicht,  ich  weiss  es  nicht,  ich  komme  nicht  aus  dem 
Hüttchen,  mit  etwas  Ärgerm.  Diese  moss  mein  Herder  werfen  lassen,  nur  wie  ein 
Fels  im  Meere  stehen,  die  Schaumwellen  stossen  sich  an  ihm  zurück '. 

1)  Vgl.  die  anmerkung  zum  vorhergehenden  briefe. 

2)  Gleim  hatte  am  22.  mfirz  geschrieben:  „Laset  uns,  so  lange  wir  hier  noch 
sind,  hier  sein  for  einander!^ 


BBUR  HMfl>lB8  AB  6LIIM  53 

aach  von  uns  rafen^,  aber  vor  der  Hand  nicht  in  eine  andere  Welt, 
als  die  Hymenäas'  ihm  anweiset  Yale,  dam  Tivirnas,  et  nos  amemus. 
Yale,  yale,  valete.  Unser  Herzog  ist  bei  Elopstock  in  Hamburg  gewe- 
sen, der  wohl  auf  ist;  mich  freut  herzlich  der  bejahrte  Jüngling.  Oleim 
und  Elopstock  sind  meine  Götter  der  alten  Ordnung;  das  übrige  ist 
meist  alles  junges  Gemüete. 

Mein  ist  der  alte  Wein! 
Der  alte  Wein  ist  mein; 
Den  jungen  mag  ich  nicht 
Wie  Jesus  Sirach  spricht 

und  er  sprach  recht  Ist  Dmen  das  Magimum  oder  Archimetrium  latei- 
nisch, und  ein  paar  Bogen  desselben  Yerf.(assers)  die  Grelehrtenwelt 
deutsch  zu  Händen  gekommen?  Wo  nicht,  schicke  ich  Ihnen  die 
letzte:  denn  des  lat  Buches  überhebe  ich  Sie  gem.  Hinten  ist  auch 
eine  namentliche  Anrede  an  Richter. 

Nochmals  herzlichen  Wunsch,  mehr  als  Glückwunsch,  Geliebter, 
unsem  besten  Gruss  unserer  Schwester,  Himli's,  Dohms,  und  wer  Ihren 
lieben  Tag  feiert  H. 

52.   Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d.  21.  April  1800. 

Einziger!  Die  Beschreibung  Ihres  Festes  hat  uns  unendlich 
gefreut,  und  vor  allen  der  Yogel  der  Sie  früh  morgens  begrüssta  0 
wir  sangen  aus  diesem  Yogel!  Ihre  entfernte  bezauberten  Freunde 
waren  in  ihm.  Das  hat  die  Herzensschwester  gewusst  Aber,  Bester, 
wir  müssen  alles  haben  was  geschrieben  und  gedruckt  worden  ist,  auf 
diesen  Tag  —  halten  Sie  es  uns  nicht  vor  Theuerster!'    Unser  Mit- 

1)  Er  war  schon  mitte  kommenden  monats  nach  Leipzig  imd  von  da  mit  sei- 
nem Verleger  Matzdorf  nach  Berlin  gereist 

2)  YgL  den  brief  von  Herders  gattin  an  Gleim  vom  23.  mai  d.  j.  Dem  biief 
fehlt  die  Zeitangabe.  Dem  inhalte  nach  dürfte  er  gegen  mitte  des  monats  april 
abgetest  worden  sein.  Herder  fügte  zu  seinen  briefen  selten  ein  datom  hinzu,  so 
dass  steh  seine  freonde  fortwährend  beklagten,  er  schreibe  seine  briefe  sine  die  et 
oonsole. 

3)  Bald  darauf  sendet  Oleim  das  für  den  2.  april  bestirnte  gedioht  mit  einer 
widmang  für  Caroline  Herder: 

Den  2ten  April  1799. 
Lasst  mich  meine  Muse  lieben! 
Wenn  ioh  ihr  getreu  nicht  war, 
Ist  sie  nyr  getreu  geblieben, 
Heut  sinds  yoUe  sechzig  Jahrl 


54  FA 

geftthl  bekräftigt  und  bestätigt  das  Gate  noch  mehr.  —  Ich  würde 
Ihnen  heate,  mit  meinem  kranken  Körper  nicht  schreiben,  wenn  es 
nicht  die  Freundschaft  geböte,  fOr  die  guten  Widands.  —  Suchen  Sie, 
so  finden  Sie  einen  guten  passenden  Ort  für  den  armen  jungen  Men- 
schen! und  dass  er  je  eher  je  lieber  kommen  dar£  Sie  thun  dn 
Werk  der  Menschenfreundlichkeit«  das  Ihnen  Gott  belohnen  wird.  Wie- 
lands wissen  kein  Wort  davon,  dass  ich  Urnen  schreibe.  Wie  werden 
Sie  über  Ihre  Freundschaft  überrascht  werden.  Mein  Mann  bittet  auch 
darum,  was  Sie  irgend  zu  thun  im  Stande  sind^  — 

53.   Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d.  27.  Juny  1800. 

Glückliche  Stimmungen  treffen  zusammen,  Herzensfreund  und 
Bruder!     Ihr  Brief  vom  lOten  hat  uns  electrisirt!     Wir  kommen, 

Heut  ist  Festtag!  frohe  Oiste 
Sind  im  Hüttdien  heut  bey  mir! 
Heut  an  diesem  hohoi  Feste, 
Sing  ich  ihre  Lieder  ihr! 

Ihre  lieder  sind  die  besten, 
Singen  meinen  Henenadank 
Ihr,  und  meinen  lieben  Gasten, 
Kann  kein  eigener  Gesang! 

£inen  alten  lasst  uns  singen. 
Anfgeschoben!    Scherz  und  Spott! 
Singen  hast  nns,  lasst  uns  singen: 
Nun!  nnd  danket  alle  Gott! 

Kim  itzt  Herr  Tacitos  in  unsre  dentsche  Hütton, 
Schrieb  er  ein  Buch  Yonnnsem  Sitten 
So  gat,  wie  schon  einmahl,  der  Wahrheit  all  so  rein. 
Wie  damals,  er!    Wie  ganz  ein  andres  wird  es  seyn! 

1)  Gleim  antwortet  hierauf  am  5.  mai  1800:  ,|Ich  komme  zurück  von  einer 
klonen  Beise  zum  Amtsrath  Zimmermann,  einem  unsrer  besten  Landwirthe,  hab' 
aber  für  unsem  W.  nichts  ausgerichtet!  Alle  jungen  Preussen  werden  Soldaten,  alle 
Hauswirthe  geben  beträchtliches  Lehrgeld.  Z.  meinte,  dass  eine  YerwaltersteUe  mit 
Jahrgehalt  schwer  zu  erhaltrai  seyn  werde,  auch  will  er  sich  noch  alle  Mühe  geben. 
Der  Nähme  des  Vaters  spricht  für  den  jungen  Mann.  —  Wie  so  gerne  trüge  ich 
zum  Vergnügen  unsres  Wielands  etwas  bey!  Haben  Sie,  Theuerste,  doch  die  Güte, 
das  einliegende  zweyzeiligte  Schreiben  baldmöglichst  an  ihn  zu  befördern.  £s  betrift 
ein  ihn  angehendas  GesprSch  mit  dem  itzt  bey  uns  sich  aufhaltenden  Herzog  von 
Bnumschweig!  Kam  die  Tage  her  ein  Wagen  vor  meine  Thür,  i^eich  sprang  ich  zu 
sehen,  ob  er  die  heiligen  Engel  Herder  und  Jean  Pftul  zu  mir  ins  Hüttchen  brftchte. 
Bey  der  herrlichen  Witterung  wire  den  beyden  guten  Geistern  eine  Gesundheitsreise 
wohl  sehr  nützlich  gewesen.  In  vier  Wochen  sagte  der  eine  vor  sechsen  send  ich 
Urnen  meinen  Titan  —  Titan!  rufts  nun,  und  Kalligone  rufts  nun  im  Hüttchen 
und  in  allen  seinen  Winkelnd 


BBIIR  HIBDBB8  AN  6LIIM  55 

treuer  Freund,  wir  kommen!  Wo  könnte  mein  Mann  fiir  seinen 
Geist  und  fiir  sein  Herz,  das,  wie  Wekerlin  sagt: 

durch  und  durch  wund  ist, 

gesunderen  Balsam  holen  als  bei  Ihnen,  Mann  Oottes  und  der  Wahr- 
heit Ihre  Stimme  ruft  ihn  unwiederstehlich  zu  Ihnen  —  und  wir 
heben  unsere  Augen  schon  auf  zu  jenen  Bergen,  wir  athmen  schon 
die  balsamische  Luft  Yon  Halberstadt!  —  Ach  wenn  wir  Ihnen  aber 
nicht  zu  firüh  kommen.  Allerbester?  Im  August  kann  mein  Mann  nicht; 
die  Ursache  sollen  Sie  mündlich  hören.  Ende  Jvlj  ist  Schulexamen; 
also  bleibt  uns  nur  der  Anfang  July  übrig  und  so  gedenken  wir,  uns 
den  2.  July  in  den  Wagen  zu  setzen  und  den  3.  Abends  bei  Ihnen  zu 
seyn*.  — 

Ach  Sie  können  nicht  glauben,  wie  seit  dem  Montag,  da  Ihr  1. 
Brief  kam  und  mein  Mann  den  Entschluss  fasste,  wir  alle  belebt  sind  — 
Und  so  geleite  uns  dann  ein  guter  Engel  zu  Ihnen!  Wir  werden  den 
3.  Abends  etwas  spät  kommen.  —  Unsere  Arme  sind  schon  nach  Ihnen 
ausgebreitet,  unser  Herz  ist  bei  Ihnen. 

(Zusatz  von  Herders  band.) 

Wir  kommen,  wir  kommen  mit  starker  Kraft, 
Yater  Gleim  ists,  der  uns  Gesundheit  schafift 
Und  Freuden  schafiFL    Wir  kommen! 

Bis  dahin  Oott  empfohlen. 

54.   Herders  zusatz  zu  dem  briefe  seiner  gattin  an  Gleim^. 

Weimar  d.  25.  July  1800. 
Nach  dem  Christ  -  freundlichen ,  ökonomisch  -  politischen ,  auch 
cameralistischen  Sendschreiben  meiner  werthen  Hälfte  will  ich  etwas 
genealogisch -poetisches  beifügen,  und  zwar  eine  Frage.  In  einer  An- 
merkung zu  Ws.  Gedichten  älterer  Ausgabe  steht  folgendes:  „Yon  dem 
Yater  dieses  Dichters,  (Gleims  Anakreons)  habe  ich  noch  3  Stücke  in 
Händen,  woraus  ich  sehe,  dass  er  in  der  deutschen  Elegie,  wenn  er 
gewollt,  dem  Tibullus  hätte  gleichen  können,  dem  kein  Bömer  beige- 
kommen  und  noch  kein  Teutscher  nachgegangen  ist^.     Besitzen  Sie 

1)  Herdor  traf  auch  am  abend  des  3.  mit  seiner  gattin,  einem  söhne,  der 
tochter  und  einer  freundin  bei  Gleim  ein;  der  besuch  beschränkte  sich  nur  auf  einige 
tage.  Siehe  Gleims  brief  vom  14.  juli.  Ebenso  den  brief  von  Herders  gattin  yom 
15.  juli  und  die  folgenden  briefe. 

2)  D.  a.  a  o.  s.  275. 

3)  „Mein  seeliger  Yater '^,  antwortet  Gleim  am  30.  juli,  „mag  ein  Tibull,  ein 
Froperz  gewesen  seyn,  ich  weiss  nichts  davon '^. 


56  FAWSL 

diese  Stücke  ihres  treflichen  Vaters,  dessen  Angesicht  sich  meiner 
Frauen  und  mir  so  auszeichnete?  warum  haben  Sie  mir  nie  etwas 
davon  gesagt?    Und  darf  man  sie  lesen? 

Mein  effigies  wird  nun  glückl.  angekommen  seyn^  und  wird, 
hoffe  ich,  sein  Plätzchen  besser  einnehmen,  als  der  schläfrige  matther- 
zige Herr,  der  ehemals  dahing,  ja  wohl  recht  hing.  Dieser  steht 
wenigstens,  wenn  auch  der,  den  er  vorstelte,  der  Stelle  nicht  sonder- 
lich werth  seyn  sollte.  Allenfalls  gelte  er  für  einen  italienischen  Abbatt 
oder  Prälaten,  der  auch  zu  singen  hat:  sicut  erat  in  principio  et  nunc 
et  semper.  Ich  hoffe  noch  einmal  zu  sehen,  wie  sich  der  H.  da  aus- 
nimmt Dass  ich  in  Ihre  und  der  Schwester  Leinwand  gekleidet  werde 
und  zwar  bei  lebendigem  Leibe,  freuet  mich  sehr;  da  trage  ich  Ihr 
Andenken  recht  an  mir.  Lebt  wohl,  ihr  Lieben.  Nach  einer  beschwer- 
lichen Woche,  da  ich  alle  Schulen  examinirt  und  visitirt  habe,  waren 
wir  heute  auf  dem  Ettersberge;  ein  herrlicher  Tag  und  eine  schöne  Oe- 
gend.  Ich  legte  mich  in  den  Wald  und  schlief  ein  herzlich  ermattet 
von  den  vorigen  Tagen  und  umweht  von  lieblichen  Lüften.  An  Euch 
dachten  wir  oft.  Ja  wenn  wir  Vöglein  wären,  oder  Ihr  Vöglein  wärt, 
nach  dem  alten  liede!  Nun  lasse,  zu  folge  eines  noch  älteren  Liedes 
Anakreon  nur  seine  Tauben  fliegen,  das  sind  Briefe;  Er  selbst  wage 
sich  nicht  auf  die  Beise,  bis  er  sich  gesund  wie  ein  Fisch  imd  frisch 
wie  ein  Vogel  fühlt.  Dem  Bohlenbaumeister  unsem  Gruss  gleichfalls 
allen  Lieben  des  Hauses. 

55.  Herders  gattin  an  Gleim.       Weimar  d.  7.  Nov.  1800. 

Geschwind  liebster  Herzensfreund,  lesen  Sie  die  Kecensionen  — 
indessen  wird  sich  Ihr  heiliger  Eifer  gegen  uns  ein  wenig  gelegt  haben. 
Könnten  wir  nur  diesen  Augenblick  den  Gaff6e  morgends  mit  Ihnen 
trinken,  und  die  beiden  ehrwürdigen  Männer  zusammen  rauchen,  so 
könnte  alles  von  beiden  Seiten  ins  Reine  gesprochen  werden.  Aber  es 
war  alles  meine  Schuld!  denn  nun  ist  es  der  zweite  Brief  den  ich 
an  Sie  geschrieben  und  wieder  verbrannt  habe.  Ich  hatte  darinnen 
mein  Herz  zu  laut  über  die  Purst  Gallizin  ausgeschüttet  Da  fand 
ich  nun  dass  sich  das  für  eine  Prau  nicht  schickt  gegen  eine  Prau  von 
so   viel  überwiegendem   Verstand  wie   die  Pürstin   besitzt,  sich   dies 

1)  Herders  Gattin  wollte  es  bereits  am  17.  juli  an  Oleim  senden,  doch  geschieht 
es  erst  den  nächsten  tag.  YgL  den  biief  vom  15.  juli:  „Ich  wollte  Ihnen  gestern, 
wie  ich  versprochen  hatte,  meines  Mannes  Bild  schicken,  es  war. aber  nicht  möglich. 
Störungen  aller  Art  belästigten  uns  vom  morgen  bis  Abend,  ich  konnte  zu  nichts 
kommen.    Hier  ist  es  nun*'. 


BBimc  minnroa  AN  GLEDC  57 

herauszunehmen.  Kurz  und  gut,  ich  schämte  mich,  und  verbrannte 
den  Brief.  Aus  diesem  Brand,  oder  vielmehr  aus  diesem  heiligen  Feuer, 
stieg  der  Engel  der  Menschlichkeit  heraus  und  erzehlte  uns  folgende 
Geschichte:  An  die  Himmelsthür  kam  einmal  ein  Mann  und  wollte  ein- 
gelassen werden.  Petrus  sprach:  wer  bist  du?  er  antwortete:  ich  bin 
ein  Komisch -Eatolischer,  von  der  alleinseligmachenden  Religion.  Petrus 
sprach:  Setze  dich,  und  warte.  Darauf  kam  ein  zweiter,  klopfte  an 
die  Thür  um  eingelassen  zu  werden;  Petrus  sprach:  wer  bist  du?  ich 
bin  ein  Lutheraner,  von  der  allein  seligmachenden  Religion  der  Pro- 
testanten. Petrus  sprach:  Setze  dich  und  warte.  Dann  kam  ein  drit- 
ter und  klopfte  an.  Petrus:  wer  bist  du?  ich  bin  ein  Calvinist,  von 
der  allein  seligmachenden  Religion  der  Reformirten.  Petrus  sprach: 
Setze  dich  und  warte.  Dann  sahen  die  drei  Wartenden  sich  einander 
gewaltig  an  —  es  stürmte  und  war  übles  Wetter;  sie  froren;  die  Zeit 
wurde  ihnen  lang,  sie  gähnten  (oder  wie  mein  Mann  sagt:  sie  hojahn- 
ten)  —  da  sangen  sie  das  lied  miteinander:  „Wir  glauben  all'  an 
einen  Gott".  Hierauf  schloss  Petrus  die  Thüre  auf  und  sprach:  „Ge- 
het ein,  zu  des  Himmels  Freuden!" 

Ach  bester  Herzensfreund ,  lassen  Sie  uns  über  kranke  und  irrende 
Menschen,  ein  mitleidiges  und  menschliches  üiiheil  fallen!  Stolb.^  war 
schon  lange  ein  Katholik  —  ihm  wars  unter  den  Protestanten  unwohl  — 
er  wollte  seine  Meinung  ihnen  despotisch  aufdrücken,  es  gelang  nicht 
und  so  ging  er  zu  seiner  Partei  über,  wo  er  sich  frei  und  glücklich 
fühlen  mag.  —  Im  Vertrauen  aber  muss  ich  Ihnen  sagen,  dass  wir 
nicht  ganz  zufrieden  sind  über  das  Betragen  von  dem  H.  Geheimen 
Bath  Jacobi  und  Voss.  Betragen  sich  Freunde  gegen  einen  kranken 
Freund  also?  Schreiben  Sie  uns  doch  bald  liebster  Freund,  und  freund- 
lich und  gut  wie  der  Sohn  Gottes  im  Rothen  Buch  —  und  behalten 
uns  lieb.  — 

Zusatz  von  Herders  band: 

Die  Geschichte  meiner  Frauen  ist  zwar  erbaulich  aber  lang;  die 
meine  ist  kürzer.  Schwester  Gleim  mag  sie  erzählen:  Er  is  afe- 
stahn!  Und  damit  gut  Lebt  wohl,  Liebe.  Wir  singen,  lieber  Yater 
Gleim,  wie  wir  sangen  und  uns  in  dem  Gartensaal  verschrieben:  Sicut 
erat  in  principio  —  lebt  bestens  wohL 

1)  Gleim  hatte  schon  in  mehreren  vorhergehenden  biiefen  auf  das  schärfete 
und  leidenschaftlich  übertriebenste  über  Stolbergs  übertritt  geurteili  So  in  dem 
briefe  vom  3.  September,  10.  September  and  12.  Oktober.  Herder  zieht  in  scharfer 
polemik  dagegen.    ,Was  geht  Sie  der  veriiTte,   oder  kranke  Stolberg  anl    Hat  jeder 


58  FAWKL 

66.  Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d.  19.  Jan.  1801. 

Was  werden  Sie  denken,  Einziger,  dass  ich  so  spät  auf  Hur 
freundliches  Andenken,  und  auf  das  holde  Geschenk,  wenn  schon  kei- 
nen Dank,  doch  ein  Echo  der  liebe  zurücksende!  Was  soll  ich  sagen? 
Haben  Sie  uns  nicht  im  alten  Jahrhundert  mit  so  manchen  Beweisen 
Ihrer  treuen,  seltenen  Freundschaft  überhäuft?  und  soll  das  neue 
Jahrhundert  auch  so  anfangen  —  Oottgeliebter  Freund  —  es  ist  süss 
zu  geben  —  aber  es  ist  eben  so  süss  von  Ihnen  zu  empfangen!  Man 
ho£Ft,  man  wünscht  den  Werth  zu  besitzen,  den  Ihr  Herz  uns  giebt  — 
Ja  man  ist  in  dem  Augenblick,  wenn  wir  Ihre  Briefe  erhalten,  bes- 
ser —  wir  sind  im  Himmel!  —  Es  ist  eine  ungesunde  Witterung. 
Auch  Goethe  lag  tödtlich  krank  an  einem  Rothlauf  am  Eopf.  Durch 
unsem  vortreflichen  und  glücklichen  Arzt  Hofrath  Starke  in  Jena 
(unsers  Gottfrieds  Lehrer)  wurde  er  gerettet!^  — 

(Nachschrift  von  Herder.) 

Glück  auf!  im  neuen  Jahrhundert'.  Wie  Ulysses-  nach  Ithaka 
sind  wir  schlafend  hineingesclüfit,  wenigstens  ich,  da  ich  mich  eben 
zu  Bett  legte;  und  wusste  am  grossen  Neujahr,  wo  man  viel  Glänzen- 
des erwartete,  über  nichts  Angelegentlicheres  als  das  alte  „Yater  unser, 
der  du  bist  im  Himmel^  zu  predigen;  es  ist  mir  die  Summe  aUer 
Wünsche.     Wir  Alten  gehen    mit   ihm    in    die  Schlafkammer   einer 

nicht  sein  Gewissen,  seine  Religion  firei?*^  „Über  den  Abtrünnigen*^,  antwortet 
darauf  Gleim  am  13.  november,  , wollen  wir  nicht  mehr  streiten.  Der  Wahrheit 
aber  kann  ich  nichts  vergeben,  also  muss  ich  sagen,  was  ich  für  wahr  halte,  dass 
man  erkannte  Wahrheit  ihren  Feinden  nicht  Preiss  geben  müsse,  dass  in  gegenwär- 
tigem Falle  von  Toleranz  nicht  die  Bede  sey.  Von  der  Abfallgeschichte  ¥nsst  ihr, 
meine  Deben  in  dem  Herrn,  bey  weitem  nicht  genug,  das  z.  B.  nicht  dass  der 
Yater  seine  Kinder  zwingen  wollte,  dass  er  rasste  wie  ein  Toller,  Voss  und  Jacobi 
thaten  meines  Erachtens,  was  sie  thun  mussten,  das  gegebene  Argemiss  war  Ihnen 
zu  gross.  Was  sie  thaten,  hätten  an  ihrer  Stelle  wir  auch  gethan!  Bruder  Her- 
der, sagt'  ich,  ist  ein  guter  Protestant,  zum  Beweise  braucht's  seiner  Predigt  nicht, 
die  metaphysische  Wahrheit  aber  liegt  ihm  mehr,  als  die  protestantische  am  Herzen, 
sonst  könnt'  er  bey  der  ernsthaften  Sache  nicht  lachen!  Der  Präsident  lacht,  und 
der  grosse  Consul  arbeitet  an  Herstellung  des  alten  feyrspeyenden  Pabstthums,  das 
sind  Zeichen  kommender  böser  Zeiten  !*[ 

1)  Gleim  antwortet  hierauf  am  8.  februar:  „Dass  Euer  Goethe,  der  dann  und 
wann  nur  meiner  nicht  auch  gewesen,  die  fatale  Krankheit  überstanden  hat,  freut 
mich  sehr.    Gott  erhalte  den  Bessern  der  besten  Weltl*^ 

2)  Herder  dichtete  aus  diesem  Anlasse  „die  Vermählung  des  achtzehnten  und 
neunzehnten  Jahrhunderts '', 


BBim  HMBDIBH  AN  aiSIM  59 

jungen  Braut,    da   es    uns  dann    so  so    ums  Herz   ist;    wir  gehen 

indess  und 

die  Oötter  sejn  mit  uns. 

Zum  Seckend.  Taschenbuch,  Quart  1.  habe  ich  nichts  gegeben. 
Die  Elegieen  sind  von  Seckend.  und  Knebel;  A.  weiss  ich  nicht,  von 
wem?  Die  Spanische  Bomanze,  Blanka,  ist  allein  von  mir;  vor  vie- 
len Jahren  ins  Tiefiirter  Journal  gegeben,  das  damals  als  Zeitvertreib 
geschrieben,  nicht  gedruckt  ward.  Daher  hat  Seckend.  den  verges- 
senen Schmetterling  erbeutet  Im  2ten  St  kommen  einige  Stücke  von 
mir  vor,  worunter  Ihnen  ein  paar  gefallen  werden.  Ich  habe  mich 
genannt:  denn  die  Namlosigkeit  wird  mir  immer  mehr  zuwider.  Lei- 
der habe  ich  am  Namen  nichts  mehr  zu  verlieren  und  Oottlob  nichts 
mehr  zu  erbeuten.    So  gehe  ich  ins  Neue  Jahrhundert 

Gegen  Ostern  wird  Sie  eine  Göttin  besuchen^,  die  Sie  einst 
wünschten.  Mochte  sie  auch  seyn,  wie  Sie  sie  wünschten.  Vielleicht 
geschieht  mit  ihr  auch  ein  Wunder,  dass  sich  ihr  buntes  Gewand  in 
ein  Schnee-  oder  vielmehr  Silberweisses  verwandelt 

Wohlan  dann.  Lieber,  Glück  auf!  mit  allen  den  Ihrigen  im  Hütt- 
chen. Wie  viele  unsrer  Freunde  haben  das  Jahrhundert  8  nicht  erlebt; 
Gottlob  wir  leben.    Yivamus  igitur,  nosque  amemus. 

^  Herder. 

57.  Herders  gattin  an  Gleim.       Weimar  d.  6.  März  1801. 

Unser  Stillschweigen  wird  Ihnen  gesagt  haben,  Theuerster  Unver- 
gesslicher,  dass  es  mit  uns  auch  nicht  zum  besten  stand  ^.  Mein  Mann 
war  den  ganzen  Februar  unwohl  und  gedrückt  Er  verlohr  durch  den 
Tod  zwei  sehr  wackre  CoUegen,  worunter  der  Eine  der  Instructor 
unsres  Erbprinzen  und  seiner  Geschwister  gewesen  war  —  ein  treflicher 
Lehrer  —  der  andere  war  die  rechte  Hand  des  Consistoriums  für  die 
Waisen  und  Armen.  Beide  Verluste  haben  meinen  Mann  sehr  ange- 
griffen. 

Nun  Gottlob  dass  Sie  leben  und  dass  Sie  noch  Freude  und 
Wohlseyn  um  sich  verbreiten.  Dass  nur  das  Gute  des  Charakters 
nur  das  menschenfreundliche,  liebende,  thätige  im  Andenken 
zurückbleibt,  das  haben  wir  bei  diesen  zwei  Männern  lebhaft  gefühlt  — 
Man  hat  bisher  soviel  von  Tod  und  Sterben  gehört  —  aber  das  Hören 
aus  der  Feme  ist  nicht  das,  als  wenn  uns  bekannte  verdiente  Männer 

1)  Adrastea.    Siehe  den  folgenden  brief  yom  30.  märz. 

2)  J>9B  lezte  schreiben  war  das  vorhergehende  vom  19.  Januar. 


eO  PAWCL 

in  der  Nähe,  von  der  Seite  verschwinden.  Solche  ErfiEÜirungen  spre- 
chen dann  sehr  ernsthaft  zu  einem.  Ach  ich  habe  Ihnen  so  lange 
schon  schreiben  wollen  —  aber  ich  habe  nebst  meinem  eignen  Leiden 
mit  meinem  Mann  gelitten.  Der  schlaffe  Winter  hat  ihm  gar  nicht 
wohl  gethan.  Der  beständige  Wechseleindruck  vom  Körper  auf  die 
Seele  und  von  der  Seele  auf  den  Körper  hat  unsers  Doctors  Kunst 
recht  in  Athem  gehalten.  Nun  Sie  verzeihen  unser  Schweigen,  nach- 
sichtsvoller Freund!  Bleiben  Sie  nur  jetzt  gesund  und  senden  uns 
freundliche  Worte;  denn  der  Mensch  lebt  nicht  allein  vom  Brodt  usw. 

Ihr  schönes  Gedieht  fängt  den  Monath  März  anK  Der  erstaun- 
lich gelehrte  Böttiger  war  recht  entzückt  über  Ihr  Lob^.  Ich  soU 
das  schönste  von  ihm  Ihnen  wieder  zurücksagen.  Es  ist  sonderbar  wie 
diese  ernste  Zeiten,  uns  auch  ernst  und  streng  selbst  machen.  —  Wir 
sehen  den  erstaunlich  gelehrten  Mann  seltner.  —  Mein  Mann  hat  aller- 
dings dem  braven  Körte  eine  Vorrede  zum  rothen  Buch^  versprochen; 
er  will  auch  sein  Wort  halten,  sobald  Körte  die  Stücke  in  Ordnung 
hat  Denn,  theurer  verständiger  Freund,  Sie  schmähen  doch  nicht 
über  unsem  Wunsch  wenn  wir  1)  die  schweren  Namen,  die  der  Jugend 
nicht  leicht  genug  im  Oedächtmss  bleiben,  etwas  verändert,  oder  be- 
kannter gemacht  wünschten?  2)  Sollten  nicht  die  Perioden  hie  und 
da  auch  leichter,  einschmeichelnder  für  die  Jugend  gemacht  werden 
können?  Würden  sie  nicht  dadurch  selbst  orientalischer,  d.  i.  noch 
einfEu^her,  schöner,  und  für  die  Jugend  (der  Sie  es  doch  einmal  bestimmt 
haben)  passender  werden?^  Ich  lege  Ihnen  dies  ans  Herz.  Spricht  Ihr 
Geist  und  Genius  Ja  dazu  —  so  werden  Sie  mit  oder  ohne  Körte 
Hand  anlegen  und  das  Werk  alsdann  meinem  Mann  senden.  Sie  selbst 
aber  müssen  ja  nicht  der  Verleger  werden,  sonst  bleibt  das  liebe  Gut 
wieder  oben  auf  dem  Boden  liegen,  und  Sie  haben  ja  immer  ungeheu- 
ren Schaden  davon.  Ich  sollte  nur  die  Herzensschwester  seyn,  ich 
wollte  ihnen  hübsch  vorrechnen  wie  unrecht  Sie  thun,  auf  eigne  Kosten 
drucken  zu  lassen.  Das  muss  kein  gescheuter  Mann  thun.  —  Mein 
Mann  —  kann  heute  nicht  schreiben  —   ich  soU  Ihnen  aber  sagen, 

1)  An  den  ersten  Jänner  1801.    N.  T.  Merbir  1801  s.  163. 

2)  Oleim  äusserte  sich  in  einem  briefe  an  Herder  (8.  febr.)  sehr  lobend  über 
Böttigers  Beoension  von  Herders  Terpsichore  und  bat  Herder,  ihm  für  das  gemachte 
vergnügen  „seinen  Geistdank*^  zu  sagen. 

3)  Die  von  Körte  veranstaltete  zweite  ausgäbe.  Das  buoh  erschien  ohne  die 
vorrede.    Siehe  die  folgenden  briefe. 

4)  Ygl.  Gleims  widerlegende  entgegnung  in  seinem  antwortschreiben  vom 
11.  märz. 


BKIKFB  HXBDBB8  AN  OUOM  61 

das8  sich  im  Orient,  im  Persischen,  ungemein  schöne  wohlklingende 
Namen,  bedeutend  auf  die  Stelle  sich  auffinden^  worüber  Sie  selbst 
die  grösste  Freude  haben  werden.  Er  grüsst  Sie  1000  mal  —  und 
will  bald  gedruckt  bei  Ihnen  erscheinen^. 

58.   Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d  30.  März  1801. 

Ich  möchte  das  köstlichste  Raucherwerk  auf  den  Altar  des  2.  Aprils 
streuen,  um  die  Nebel  zu  yertreiben,  die  um  Sie  waren,  da  Sie  den 
letzten  Brief  schrieben',  Einziger.  Die  Abendröthe  Ihres  Lebens  muss 
der  Moigenröthe  und  dem  Tag  gleichen. 

An  jenem  Tage  wehten  die  Winde  sanft, 
Und  kündigten  der  Erde  den  Lusttag  an; 
Die  Blumen  blühten,  und  am  Abend 
Träufelte  leiser  der  Abendr^en. 

Als  dich  o  Sohn  der  schöneren  Grazie, 

Die  Mutter  sanft  im  Arme  zuerst  umfieng. 

Aus  einer  Himmelsmutter  Armen 

Dich,  ein  Geschenk,  an  das  Herz  sich  drückte. 

Feiern  wir  doch  diesen  goldenen  Augenblick  und  yergessen  die 
ganze  Welt 

Mein  Mann  wird  Ihnen  sagen,  dass  Sie  wegen  dem  rothen  Buch 
recht  haben.  —  Ich  habe  in  der  Dumpfheit  meines  Sinnes  Ihnen  erzehlt, 
was  hie  und  da  ein  Leser  über  das  rothe  Buch  gewünscht  hatte.  Das 
hatte  ich  nicht  sollen.  Das  rothe  Buch  ist  kein  gemeines,  hin  und 
herzudrehendes  Machwerk,  es  ist  Eingebung,  und  muss  es  bleiben. 
Der  Leser  lese  es  dem  ungewohnten  Ohre  einmal  vor,  und  es  wirds 
vernehmen.  Also  darinnen  völlig  Eins  —  und  also  freundlich  umher- 
geschaut Bester.  Sie  haben  des  Edeln  Samen  viel  gestreut  —  er  ist  auf- 
g^;angen  und  wird  femer  au%ehen,  denn  es  ist  ein  ewiger  und 
unvergänglicher.  Auch  mich  schauen  Sie  wieder  freundlich  an.  Aus 
liebe  zu  Ihnen  hatte  ich  etwas  albernes  geschrieben  —  übergeben  Sie 
jenen  Brief  den  Flammen,  wenn  es  nicht  schon  geschehen  ist  Sie 
haben  indessen  die  Adrastea  erhalten,  Theuerster  —  lesen  Sie  sie  mit 
Ihrer  alt^  treuen  Liebe,  mit  Ihren  Grundsätzen,  die  ja  ganz  die  mei- 
nes Mannes  auch  sind.  Nur  Bande  des  Herzens  und  Charakters  kön- 
nen eine  Freundschaft  knüpfen,  wie  dieunsiige,  übers  Grab  hin. 

1)  Adrastea.    Siehe  den  folgODdeo  briet 

2)  In  dem  schraiben  vom  90.  dec    D.  &  905. 


62  PAWBi 

Dass  mein  Mann  Ihren  Beifall  hofit,  und  wünscht  —  das  sagen 
Sie  sich  ja  selbst  schon.  —  Diese  Adrastea  macht  uns  die  Herzen  kund 
und  offenbar  —  Ach  fallen  Sie  nicht  auch  ab,  sonst  könnte  der  Spruch 
erf&llt  werden:  ^und  sie  verliessen  ihn  alle*^.  Doch  wie  könnten  Sie 
das  —  da  Sie  selbst  den  Oeist  und  die  Anwendung  der  Oescbichte, 
den  Gebrauch  und  die  rechte  Anwendimg  der  Wissenschaften  zur  Cul- 
tur  der  Menschen  nur  zu  betrachten  und  diese  Orundsätze  ins  lieben 
zu  verbreiten  gewohnt  sind.  Auf  diesem  Standpunct  lösen  sich,  auch 
die  schmerzhaftesten  Misklänge,  doch  endlich  in  Harmonie  auf. 

Seyn  und  bleiben  Sie  uns  hold  und  gut  Einziger  —  unsre  liebe 
und  Verehrung  ist  unyergänglicL  Wir  grüssen  die  Herzensschwester 
und  was  Sie  lieben  herzlich.  Ihre 

C.  H. 

Zusatz  Herders  an  Oleim. 

An  die  Adrastea,  Bester,  haben  Sie  mich  so  oft  erinnert,  dass 
ich  sie  gewissermassen  für  Ihr  Werk  halte.  Für  Wahrheit  und  Becht 
stehn  Sie  gewiss,  gesetzt,  dass  Sie  auch  hie  und  da  dies  und  jenes 
anders  ansehn  und  beurtheilen  sollten.  Das  schadet  der  Göttinn  nicht 
Also 

Herder  an  Gleim. 

Gleimio 

Adrasteam  Nemesin 

d.  d.  d. 

Herder. 

Dass  Sie  mich  von  der  Vorrednerei  zu  einer  Schrift,  die  keiner 
Vorrede  bedarf,  erlöset  und  absolvirt  haben;  dafür  Dank!!!  Ich  wüste 
nicht,  was  ich  sagen  sollte,  wüste  eigentlich  auch  vom  ganzen  Ver- 
sprechen nichts:  wie,  wenn,  bei  welcher  Gelegenheit  es  gesagt  worden. 
(Siehe  hinten  die  Anmerkung).  Das  weiss  ich,  dass  Sie  zu  Olims  Zeit 
eine  Vorrede  zu  den  Fabeln  von  mir  verlangten;  wie  lange  ist  das 
eben  ?  Seitdem  sind  die  Fabeln  ohne  Vorrede  erschienen  und  befinden 
sich  wohl;  was  soll  ich  zum  rothen  Buch  vorreden?  Mahomed  sagte: 
„ich  bin  vom  Himmel  gesandt.  Euer  Prophet;  wer  will  mein  Wezir 
seyn?  (ohne  Vorrede.)  Ali  stand  auf  und  sagte,  Ich!  Du  bist  der 
Prophet  des  Herren!  Der  ganze  Stamm  folgte^.  Du  bist  der  Prophet 
des  Herrn!  und  ich  dein  Ali,  sage  ich  gehorsamst  sans  phrase  et  sans 
preface.  —  Veränderung  der  Namen  ist  auch  nicht  nöthig.  Man  ist 
an  diese  und  an  ähnliche  gewohnt;  sie  sind  wohlklingend,  und  im 
Himmel,  wo   bekanntlich   nur  orientalisch  gesprochen   wird   und  wir 


BRDEFS  HSBDKR8  AJ7  GLEDf  63 

uns  alle  verstehen,  spricht  man  in  dieser  Mundart    Dank  Ihnen  für 
die  Worte  über  Erdmannsdorft   Yidebimus  ubi  reponendus  sit  dominus. 

Wenn  Sie  an  Bälde  gedenken,  sprechen  Sie  wie  aus  dem  Todten- 
reich.    Wer  denkt  jetzt  an  Bälde? 

Chor:  Ja  Bälde! 

Leben  Sie  wohl.  Wenn  ich  einmal  Zeit  habe,  will  ich  sehen, 
ob  er  nicht  einen  Bruder  findet,  und  Terpsichore  sich  zur  Adrastea 
gesellen  kann.  Bis  dahin  bin  ich  mit  Wünschen  zum  häuslichen  Fest- 
altar, wie  mit  Oruss  und  Treue  Ihr 

alter  H. 

Zusatz  von  Herders  gattin. 

Ei,  ei,  mein  lieber  Gemahl,  Sie  haben  ein  schwaches  Gedäcbt- 
niss  —  es  war  vor  2  Jahren  da  der  Wilhelm  Körte  seinem  Oncle  eine 
heimliche  Freude  mit  einer  neuen  Ausgabe  des  rothen  Buchs  machen 
wollte  und  meinen  Mann  um  eine  Vorrede  bat  —  nemlich  um  ein 
hübsches  Wort  —  es  sollte  ja  keine  Deduction  seyn  —  und  da  ver- 
sprachs  mein  Mann  dem  guten  Neffen  der  dem  guten  Oncle  Freude 
machen  wollte  —  Wenn  Körte  unsre  Briefe  aufgehoben  hat,  so  kön- 
nen Sie  als  Belege  gegen  den  H.  Yicepraesident  dienen.  Adio,  adio. 
Ich  wünsche  Ihnen  allen  ein  besseres  Gedächtniss  und  einen  recht 
freundlichen  Tag. 

59.  Herders  gattin  an  Gleim.     Weimar  d.  10.  Aug.  1801. 

Theuerster,  Geliebtester. 
Ihre  dictierten  Zeilen  vom  20.  Jul.^  haben  wir  erhalten;  ich  kann 
aber  heute  nicht  darauf  antworten,  sonst  müsste  ich  bitter  klagen  um 
Ihre  Augen.  Nur  einige  Nachricht  muss  ich  Ihnen  von  unsrer  Heise 
geben,  die  wir  nach  Baiem  zu  Adelbert  thun.  Übermorgen  gehts 
durchs  Yoigtland,  über  Baireuth,  Amberg  und  Waldmünchen,  nach 
Arnschwang,  wo  wir  unter  dem  Dach  unsres  Sohnes  einige  Wochen 
zu  leben  gedenken.  Mein  Mann  hat  eine  Entlastung  seiner  Geschäfte 
höchst  nöthig.  In  ein  Bad  wollte  er  nicht  Adelbert  wünscht  unsre 
Gegenwart;  und  so  macht  sich  die  Reise.  Wir  werden  etwa  5 — 6  Wo- 
chen ausbleiben.  Bei  unsrer  Heimkunft  sollen  Sie  sogleich  von  uns 
hören  ^,  und  ich  will  Ihnen  von  den  Bergen  und  Wäldern  Baiems 
eizehien.     Merkwürdige  Städte  dieses  Landes  werden  wir  nicht  auf- 

1)  D.  8.  292. 

2)  Herders  gattin  schrieb  erst  am  1.  november. 


64  PAWKL 

suchen;  dazu  gehört  Zeit  und  Oeld.  Nur  Einsamkeit  und  Stille  suchen 
wir,  und  die  hoffen  wir  bei  Adelbert  zu  finden.  0  könnte  ich  ein 
Mittel  für  Ihre  Augen  finden!  Auch  Ihre  dictierten  Briefe  sind  uns 
theuer  und  werth.  Senden  Sie  uns  dergleichen  unter  der  gewöhn- 
lichen Adresse  hierher  —  unser  Doctor  sendet  sie  uns  zu.  Mein  Mann 
ist  unter  Rechnungsabnahmen  und  athmet  kaum.  Verzeihen  Sie  dass 
er  Ihnen  nicht  selbst  Adieu  schreibt  Sein  Geist  und  Herz  ist  bei 
Ihnen!  Sie  sind  ihm  doch  noch  gut  und  glauben  doch  nicht,  dass  er 
aus  der  Onade  Gottes  gefallen  ist?  Bonstetten,  der  Begnadigte,  ist 
nicht  bei  uns  gewesen.  Ach  Theuerster,  wir  sind  alle  arme  Sünder 
vor  Gott  —  nur  die  liebe  hält  die  Freunde  und  die  Welt  zusammen. 
Entziehen  Sie  uns  Ihre  liebe  nicht.  Auch  entfernt  sind  wir  Ihnen 
und  den  Theuren  im  Hüttchen  nahe. 

Ihre 

ewige  C.  H. 

60.  Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  18.  Dec.  1801. 

—  die  Hülle*.  Es  wird  ja  auch  wohl  wieder  anders  werden.  Das  3.  St 
der  Adrastea  wird  in  3  —  4  Wochen  fertig*.  —  An  dieser  späten  Er- 
scheinung ist  nun  mehr  der  Drucker  als  der  Autor  schuld.  Die  Welt 
hat  gar  zu  viel  Geist  und  muss  ihn  bekannt  machen  —  die  Geschäf- 
tigen laufen  ihm  alle  den  Bang  ab. 

—  Lessing  steht*.  Nun  lassen  Sie  uns  bald  ein  freundliches  Wort 
hören  und  dictiem  einen  langen  grossen  Brief,  geliebter  Freund,  und 
sagen  uns  wie  es  Ihnen  geht  und  der  Herzensschwester,  die  Ihre  Lei- 
den gewiss  doppelt  mit  trägt  Yemehmen  Sie  die  innere  Sonne  seines 
Lebens,  treue  Gefährtin,  Pflegerin  und  Herzensschwester!  Was  macht 
Körte?  wo  ist  er?*  Sagen  Sie  uns  auch  etwas  von  seinem  Leben  und 
Thun.  Das  ganze  Hüttchen  und  was  Ihnen  angehört,  die  gute  Madll 
Keller^  mit  eingeschlossen,  ist  von  uns  allen  herzlich  gegrüsst  und 
bei  Ihnen^  — 

1)  D.  s.  294  zeile  4  von  unten. 

2)  Den  1.  Januar  1802  schreibt  sie  noch:  „Bald  wird  dieser  Raphael  Ihnen  das 
dritte  Stück  der  Adrastea  vorlesen*^.  Die  sendung  erfolgte  erst  am  18.  febmar.  Siehe 
den  folgenden  brief  gleichen  datoms. 

3)  D.  z.  17  von  unten. 

4)  Körte  begab  sich  in  folge  eines  bruchs  zwischen  ihm  und  dem  seines  augen- 
leidens  wegen  launischen  Gleim  anfangs  november  nach  Berlin. 

5)  Tochter  eines  benachbarten  pfarrers,  Gleims  „gehülfin*^. 

6)  D.  zeile  18  von  unten. 


BBUFE  HERDERS  AN  OLKDi  65 

61.  Herders  gattin  an  Oleim.      Weimar  d.  15.  Jan.  1802. 
Theuerster,  an  den  wir  täglich  denken!  —  Ach  Gott  könnten  wir 

nur  Abends  ein  Stündchen  zu  Ihnen  fliegen!  Wäre  die  Jahreszeit  nicht 
so  strenge  und  der  Patienten  weniger,  Gottfried  würde  zu  Ihnen  flie- 
gen und  wenigstens  seine  Kunst  versuchen,  Ihnen  den  Schlaf  wieder 
zu  verschaffen. 

Über  Bothes  Unglück  sind  wir  recht  erschrocken  ^  Mein  Mann 
hat  seiner  Übersetzung  des  Euripides  in  der  Adrastea  mit  überzeu- 
gendem Lob  gedacht  Er  achtet  das  poetische  melodische  Gefühl  die- 
ses Mannes  recht  hoch.  Welch  eine  harte  Prüfung  ist  ein  solches 
Unglück.  —  Ich  habe  gestern  nach  Leipzig  um  das  Buch  geschrieben 
„Auf  der  Erde  giebts  ärgere  Teufel^.  Sobald  es  kommt,  sollen  Sies 
gleich  erhalten.  Hier  in  Weimar  ists  nicht  Wir  umarmen  Sie  und 
die  Herzensschwester  mit  ewiger  Liebe. 

62.  Herders  gattin  an  Gleim.    Weimar  d.  18.  Febr.  1802. 
Theuerster  Einziger.     Das  3te  Stück  der  Adrastea  kommt  endlich 

hiebei.  Verzeihen  Sie  die  Verspätung.  Wir  waren  aber  in  Disput  mit 
Hartknoch  —  wir  wollten  dass  er  einen  Titel  wie  zu  den  vorigen 
Stücken  liefern  sollte  —  er  that  es  aber  niclit  und  meinte  das  3te  und 
4te  Stück  soll  nah  aufeinander  folgen,  die  Leute  würden  gleich  in  Einem 
Band  zusammenfinden  und  brauchten  daher  nur  Einen  Titel.  Dies  ist 
die  Ursache  dieses  Misstandes  der  mir  sehr  misfallt  Möge  Ihnen  der 
Inhalt  dieses  3ten  Stückes  gefallen  bester  Freund.  Ihr  Urtheil  über 
die  Fabel,  ob  es  mein  Mann  so  getroffen  hat,  ist  ihm  vom  grössten 
Werth.  Sagen  Sie  ihm  bald  ein  freundliches  Wort,  Meister  des  Schö- 
nen, Guten  und  Wahren.  Sie  selbst  und  Ihre  grossen  Verdienste  kom- 
men in  die  Stücke  wenn  Friedrich  kommt  Sie,  Pati'iot  der  Deut- 
schen von  Herz  und  Geist!  darauf  freue  ich  mich!  —  Leben  Sie  für 
heute  wohl,  Ewigtheuerster  Freund,  und  liebste  Herzensschwester. 
Gott  schenke  Ihnen  und  uns  Gedult  bis  der  erfreuende  Frühling  kommt 
und  Sie  die  Nachtigallen  im  Garten  wieder  hören.  0  die  Natur  ist 
die  einzige  Trösterin  für  alle  Leiden!  dass  wir  doch  das  Bild  von  ihr, 
einer  liebenden  Mutter  nie  vergessen.  Ewig  sind  wir  und  bleiben 
wir  die  Ihrigen. 

63.  Herders  gattin  an  Gleim.       Weimar  d.  5.  April  1802. 
Ewig  theuerster.    Ich  habe  an  Ihrem  lieben  Fest,   dem  2.  april, 

von  morgens  2  Uhr  an  —  nur  in  Schmerzen  denken  können  an  die- 

1)  Vgl.  Qleims  brief  vom  20.  Januar  und  das  antwortschreiben  yon  Herders 
gattin  Yom  5.  febiTiar. 

ZBITSGHRin  F.   DEUTSCHE  PBILOLOOIB.      BD.  ZXV.  5 


66  PAWIL 

sem  frohen  Tag.  Auch  mein  Mann  war  zwischen  Arbeit  und  fremden 
Besuch  getheilt  dass  er  auch  nicht  zum  Athem  kommen  konnte,  sonst 
hätte  er  Ihnen  wenigstens  Euss  und  Gruss  diesen  Tag  zugeschickt  — 
Wir  hoffen,  dass  Sie  uns  in  Ihrem  Herzen  nicht  vermisst  haben,  wenn 
der  Ereis  der  Freunde  an  diesem  Tag  um  Sie  war.  Wir  waren  bei 
Ihnen  mit  Herz  und  Seele.  —  die  bessere  Zeit  bringend  Im  IV. 
Stück  der  Adrastea  p.  287  steht  über  Bothes  Übersetzung  die  Anmer- 
kung *)  „Wer  die  Oriechen  in  ihrer  Sprache  nicht  lesen  kann,  lese 
sich  Bothes  Übersetzung  des  Euripides  ktut  vor.  Ein  erster  kühner 
Versuch  dem  andere  folgen  mögen.  In  ihm  wird  ein  Geist  laut  und 
lebendig,  an  den  uns  eine  schleichende  Prosa- Übersetzung  kaum  erin- 
nert*^'. Die  Stimmen  ..  folgen  mögen'.  Wieland  hat  den  Ion 
des  Euripides  übersetzt;  er  kommt  in  das  nächste  Stück  des  attischen 
Museums.  Er  kam  darauf,  da  eben  auf  dem  hies.  üieater  ein  Ion 
von  Schlegel  aufgeführt  worden  ist;  ein  freies  freches  Stück,  eine  Ver- 
sündigung an  den  Griechen,  und  an  dem  Schönen  und  Edeln.  Statt 
der  Pallas,  wie  sie  beim  Euripides  erscheint,  erschien  Apollo  und 
bedankte  sich  für  die  schöne  Lust  die  er  in  der  Hole  mit  der  Dame 
gehabt  hatte!!!  Man  traute  nicht  mehr  aufzusehen.  Solche  schamlose 
Frechheit  will  man  hier  für  griechischen  Geschmack  ausgeben.  Dass 
Sie  dergleichen  Versündigungen  weder  sehen  noch  hören  —  darüber 
freuen  Sie  sich.    Nun  genug  für  heute. 

64.  Herders  gattin  an  Gleim.       Weimar  d.  13.  Mai  1802. 

Wieder  eine  so  lange  Pause,  theurer  Herzensfreund!  Verzeihen 
Sie  der  armen  Geplagten,  und  noch  mehr  verzeihen  Sie  meinem  Mann, 
dem  armen  Geplagten!  Sehen  Sie  die  hier  kommende  5te  Adrastea 
als  den  Inhalt  seiner  Briefe  an,  die  er  Ihnen  bisher  hätte  schreiben 
können  und  sollen^.  Die  Preussische  Krone  ist  Ihnen  gewidmet, 
ächter  Patriot!  Wir  verlangen  Ihre  Gedanken  hierüber  zu  hören. 
Mann  Gottes  und  Prophet  Schreiben  Sie  nur  bald,  Ihre  Stimme  ist 
ein  Ton  aus  der  Welt  der  Wahrheit!  Sie  sind  mir  doch  nicht  böse, 
dass  ich  einige  Gedichte  aus  den  Zeitgedichten,  denen,  die  Sie  für  den 
Merkur   sandten,    beigestellt   habe.      Es  war   gegen   Ihren    WiUen. 

1)  D.  8.  302  zeUe  11  von  unten. 

2)  und  am  5.  febr.  schreibt  &ie  an  Oieim:  ^Meines  Mannes  Note  in  der  Adra- 
stea 4  1.  St  heisst  also:  Wer  die  Griechen  in  ihrer  Sprache  usw. 

3)  ZeUe  8  von  unten. 

4)  YgL  QleimB  antwortschreiben  vom  26.  mai. 


BBBFl  mCBDlRa  AN  OUDC  67 

uns  allen  dünkte  aber,  es  wäre  nicht  unrecht,  dass  sie  bekannt  wür- 
den. —  Ich  bin  aber  nicht  ruhig  bis  ich  Ihre  Absolution  hierüber  habe. 

Mit  dem  Besuch  unsres  guten  Doctors  heissts  denn:  der  Mensch 
denkt  und  Gott  lenkt  — 

Ich  beneide  die  treffliche  Voss  dass  sie  für  den  Bothe  diess 
zusammengebracht  hat  Die  Emigranten  haben  mir  hier  alle  Brunnen 
und  Quellen  erschöpft  Auch  habe  ich  3  Wittwen  mit  6  unversorgten 
Kindern  auf  meine  Schultern  und  mein  Herz  genommen.  Sie  können 
sich  nicht  denken,  wie  sehr  dieser  Theil  hier  verlassen  ist,  und  wie 
es  mir  schwer  hielt  einige  Beiträge  für  diese  sichtbar  Leidenden  zu 
erhalten.  Bei  solchen  Gelegenheiten  muss  man  wie  König  Karl  XII, 
selbst  vorangehen. 

Indessen  will  ich  es  noch  nicht  aui^eben  für  Bothe  etwas  zu  hof- 
fen, wenn  Sie  mir  nur  einen  kleinen  Aufsatz  hierüber,  den  ich  pro- 
ducieren  könnte,  gefällig  schicken  wollten.  Ich  mag  unsere  paar  Louis- 
d'or  nicht  so  allein  schickend  Mein  Mann  und  ich  umarmen  Sie  und 
die  Herzensschwester  mit  ewiger  liebe.  Gottes  Engel  seien  bei  Ihnen 
—  sie  machen  Ihnen  das  liebe  Hüttchen  zu  einem  SonnentempeL  Wir 
alle  gross  und  klein  senden  Ihnen  unsre  Wünsche,  die  das  Wort  nicht 

ausspricht  Ihre 

C.  tt 

65.  Herders  gattin  an  Gleim.    Weimar  den  16  July  1802. 

Theuerster  Einziger.  Es  steht  nicht  gut  bei  mir,  darum  habe 
ich  bisher  geschwiegen.  Warum  sollte  ich  durdi  unsre  Leiden  die 
Ihrigen  vermehren.  Der  BhenmatisnL  der  sich  hartnäckig  bei  meinem 
Mann  auf  die  Augen  geworfen  bat,  und  andere  Übel,  Vordem  ohne 
Au&chub  eine  emstlidie  Cur.  Er  geht  daher  in  wenig  Tagen  nach 
Adien  und  hofft  bei  dieser  Quelle,  die  ihm  einmal  so  grotme  Dienste 
geleistet  bat,  auch  jetzt  wieder  Hülfe  zu  finden.  — 

Der  gute  Botfae  hat  meinem  Mann  einen  Theil  des  Euripides 
zugeeignet,  und  ihm  eine  wahre  Freude  damit  gemacht,  Oem  würde 
er  ihm  selbst  dafür  danken,  seine  Augen  aber  erlauburn  tm  nicht 
Bester,  er  bittet  Sie,  ihm  in  seinen  Namen  dafür  zu  danken  ~  tsr 
sinnt  darauf  wie  er  ihm  seinen  Dank  tfaiUig  zeigen  kann.  }ffm  iumUs 
nicht  geschieht  kann  morgen  gesdi^iikeiL 


1)  ddm  tng  s^^  iziit  der  tdae«  für  B^^Abib  tmut  i6»iiAf.ri^m  mu'AubAUtti^  fgät 
ae  aber  sptter  aal  ,!>«■  Fbo*,  mhrwd  er  4w  'Jfß.  um  Mn  lUff4^(im  fffiiXia,  „f^r 
den  gntaa  Botfae,  deo  Hat  ia  der  Hsad«  «w  AlsmA^fU  tu  mmumiUf  huh'  kU,  w»iü 
idi  ihn  selbst  akht  wmRbrm  kam,  mSi^hpsk^m^, 


68  PAWEL 

und  Sie  Einziger  verzeihen,  dass  auch  Ihnen  mein  Mann  nicht 
schreibt  Er  sitzt  noch  unter  Acten  und  Einrichtung  zur  Abreise /die 
seine  Augen  über  Gebühr  angreifen.  —  Das  6te  Stück  der  Adrastea 
werden  Sie  durch  unsem  Buchhändler  spedirt  erhaltend  Nun  leben 
Sie  wohl  geliebter  Einziger  und  Mann  der  alten  2ieit  Gedenken  Sie 
unsrer  auch  mit  alter  liebe  —  mein  Herz  brannte  mir  oft  Ihnen  zu 
schreiben,  aber  meine  Exäfte  reichen  nicht  hin. 

Mein  Mann  schickt  Ihnen  hier  einen  Orpheus  von  Thorild,  da 
er  Ihnen  von  sich  selbst  nichts  schicken  kann.  0  leben  Sie  wohl  — 
alles  Gute,  was  Sie  so  reichlich  thaten,  versammle  sich  jetzt  um  Sie 
wie  eine  Gesellschaft  guter  Engel  und  mache  Ihnen  das  Hüttchen  zum 
Himmel. 

66.  Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  28.  Oct  1802. 

Wir  haben  Sie  nicht  vergessen,  einziger,  unvergesslicher  Freund!  — 
Seit  dem  Uten  dieses  sind  wir  erst  wieder  hier'.  Ich  war  aber  in 
den  ersten  14  Tagen  recht  krank,  und  unfähig  zu  allen  Geschäften. 
Mein  Inneres  rufte  mich  schon  lange,  Ihnen  zu  schreiben  —  und  jetzt 
kommt  Ihr  lieber  Brief  und  beschämt  mich.  Die  Cur  in  Achen  ist 
meinem  Mann  ziemlich  wohl  bekommen  —  er  spürte  abwechselnd  dass 
es  mit  seinen  Augen  besser  geht  —  auch  seine  andern  Beschwerden 
des  Körpers  fühlte  er  erleichtert  —  Wir  waren  vom  27.  July  bis  zum 
3.  Sept  in  dem  theuren  theuren  Achen !  Das  warme  heisse  Wetter  war 
für  des  Yaters  Cur  vortreflich,  aber  für  mich  höchst  angreifend  war 
der  Schwefeldunst  der  heissen  Quelle,  die  in  dem  Hause  war,  worin- 
nen  wir  logirten.  Indessen  zogen  wir  mit  Dank  gegen  Gott  von  die- 
ser Gesundheit  bringenden  Quelle.  Mein  Mann  fühlte  nach  und  nach 
eine  bessere  Gesundheit  bei  sich  einkehren.  Die  Bewegung  der  Beise, 
die  gesunde  Luft  in  Stachesried  trugen  das  ihrige  bei.  Wir  fanden 
Adelbert  in  voller  Thätigkeit  — 

Auf  dies  alles  drückte  das  Siegel,  die  Ankunft  der  Frau  von 
Berg  in  Stachesried.  Sie  hatte  in  Eger  den  Brunnen  gebraucht  und 
da  sie  sich  in  der  Nähe  von  Stachesried  glaubte,  so  brachte  sie  selbst 
einen  jungen  Menschen,  der  ihr  anvertraut  ward,  ins  Oconomische 
Institut     Ihr  Erscheinen  war  uns  überraschend  und  wohlthätig.  — 

Wir  reisten  vergnügt  von  Stachesried  ab.  Jetzt  ist  mein  Mann 
in  die  volle  Amtsarbeit  wieder  versunken.  Ach  könnte  er  seine  Augen 
nur  diesen  Winter  schonen! 

1)  Gleim  antwortet  hierauf  am  14.  nov.:  „Noch  hab*  ich  so  viel  Leben,  dass 
ich  ein  Stuck  von  der  herrlichen  Adrastea  noch  erwarten  kann*. 

2)  Von  Aachen. 


BBIEFB  HSBDBB8  AN  OLEIM  69 

Tausendmal  umarmt  er  Sie  seineu  ewigen  Freund,  und  sendet 
statt  seines  Briefs  seine  Ariadne  in  Yiewegs  Taschenbuch^.  Geden- 
ken Sie  seiner  in  den  schlaflosen  Nächten.  Täglich  und  stündlich 
schicken  wir  Wünsche  zum  Himmel  für  Sie,  und  die  gute  Schwester, 
die  wir  eben  so  herzlich  und  treu  umarmen. 

Ihr  Lied  hat  uns  sehr  sehr  gefallen.  Böttger  hat  es  zwar  schon 
in  den  Septemb.  einrücken  lassen  und  die  ihm  nachgeschickte  Strophe 
hinten  andrucken  lassen  —  es  ist  aber  gemeinschaftl.  beschlossen,  dass 
es  in  den  November  ordentlich  und  ganz  eingerückt  werde,  damit  es 
seine  volle  Wirkung  thue.  In  diesem  lied  sind  Sie  ein  Priester 
der  heiligen  Natur.  Nun  vor  heute  genug  Freund  Gottes!  Ich  bin 
nach  der  langen  Abwesenheit  noch  nicht  so  recht  bei  mir  zu  Hause  — 
oder  vielmehr  fühle  ich  mich  abgespannt,  und  möchte  nur  Buhe,  Buhe 
gemessen. 

Mit  unsterblicher  Liebe  auf  Erden  und  im  Himmel  sind  wir  die 
Ihrigen,  Einziger.  Carol.  Herder. 

67.   Herders  gattin  an  Qleim.      Weimar  d.  30.  Dec.  1802. 

.  .  Lebensgefährtin  umgesehen^.  Die  Vorsehung  hat  ihn  eine 
finden  lassen  —  die  zweite  Tochter  des  Herrn  von  Münchhausen,  wohn- 
haft auf  seinem  Gut  Herrn -Gosserstädt  (5  Stunden  von  hier)  ist  seine 
Braut.  H.  v.  Münchhausen  ist  der  Sohn  des  ehemaligen  Ministers  bei 
Friedrich  dem  Einzigen,  bekannt  durch  seine  vesten  Grundsätze.  Der 
Sohn  gleicht  ihm  auch  hierin;  er  ist  dabei  ein  vortreflicher  Landwirth, 
und  erzieht  seine  Kinder  häuslich  und  für  die  Landwirthschaft.  —  Seine 
zweite  Tochter  ist  ein  verständiges  gutmüthiges  sanftes  Wesen,  die 
einmal  eine  liebende  Gattin  werden  wird  —  ihre  Jugend  allein  machte 
mich  sorglich,  denn  sie  ist  erst  15  Jahre  alt  Adelbert  will  aber  noch 
1  —  IV2  Jahr  auf  sie  und  sein  Glück  warten.  Und  so  wird  denn  die 
Vorsehung  alles  zum  Besten  lenken.  H.  v.  Münchhausen  ist  so  honett 
und  übernimmt  den  an  Ostern  zu  zahlenden  Termin  von  7600  Bth. 
wodurch  Adelbert  sehr  erleichtert  wird. 

Geben  Sie  nun  auch  Ihres  Herzens  Segen  dazu,  Geliebter.  Gott 
lasse  uns  Freude  und  Glück  an  diesem  Bündniss  erleben!  Adelbert 
ist  in  der  Woche  vor  Weihn.  wieder  nach  Stachesried  abgereist.  Es 
gab  bei  seiner  Anwesenheit  so  viele  und  mannigfaltige  Geschäfte,   dies 

1)  ^Unseres  Herdeis  Melodrama  ist  ein  yorttefiOiches  Gedicht*'  äussert  darüber 
Gleim  an  Herders  gattin  am  14.  november. 

2)  D.  s.  305  zefle  8  von  oben. 


70  PAWEL,  BBnn  hxbdibs  an  eumi 

Anliegen  mit  eingeschlossen,  dass  Ihre  Liebe  und  Güte  mein  Schwei- 
gen yeizeihen  wird. 

Über  Ihre  gesandten  lieben  Poesien^  nächstens  von  dem  was  uns 
vorzüglich  gefallen  hat  —  lichte  Blättchen  von  ihm*  Von  Will- 
manns sollen  wir  noch  Calenders  erhalten,  worinnen  meines  Mannes 
Kalligenia  steht    Sie  müssen  sie  sich  vorlesen  lassen. 

68.   Herders  gattin  an  Gleim.      Weimar  d.  4.  Febr.  1803. 

Sie  sind  krank  gewesen,  schreibt  mir  der  gute  Schmidt  —  Ach 
warum  können  wir  Sie  nicht  die  Abendstunden  besuchen!  Statt  unser 
schickt  Ihnen  mein  Mann  den  entfesselten  Prometheus,  wovon  ich  Ihnen 
letzthin  geschrieben  habe.  Er  fängt  das  7te  Stück  der  Adrastea  an. 
Sobald  das  7.  Stück  fertig  ist,  sollen  Sie  es  haben.  Ach  vergessen  Sie 
uns  doch  nicht,  und  dictiren  nur  einige  Worte  an  uns  —  oder  die 
Herzensschwester  dictirt  Lassen  Sie  uns  nicht  ganz  ohne  Ihre  Worte 
der  Liebe. 

Dem  lieben  Schmidt  danke  ich  vorläufig  für  seinen  freundschaft- 
lichen Brief  —  ich  bin  seit  drei  Wochen  nicht  wohl  —  die  Kälte  ist 
mir  sehr  empfindlich  und  macht  mich  leiden  —  der  Freund  wird  mich 
entschuldigen.  Ich  bin  der  Hauss-  und  Familien -Secretaire  —  Da 
giebts  dies  und  jenes  zu  rathen,  zu  ordnen,  zu  sorgen  —  Niemand 
kennt  der  Eltern  Liebe,  der  Eltern  Sorge,  als  der  sie  selbst  im  Her- 
zen trägt  Aber  noch  Einer  ist,  der  sorgen  hilft  über  alles  Hoffen 
und  wünschen.  Sein  Auge  reicht  weiter  als  das  unsrige  —  Er  macht 
das  Schwerste  leicht,  durch  Liebe  und  Oedult 

Die  Augen  meines  Mannes  machen  mir  noch  viele  Soigen.  Ver- 
zeihen Sie  ihm  dass  er  schweigend  ist  —  er  muss  sich  schonen.  Im 
Geist  ist  er  bei  Ihnen  —  wie  oft!  wie  oft  sind  wir  beide  bei  Ihnen 
beiden  Herzensfreunden! 

Auf  immer  und  immer 

die  treue 

0.  H. 

Finde  Sie  doch  dies  Briefchen  heiter  und  liebend  an  uns  denkend ! 

1)  „Ihnen,  Herzensschwester,  ein  Zeichen  meines  Lebens  zu  geben,  send'  ich 
Ihnen  hierbey  ein  Möpschen,  das  einst  der  Schoosshund  der  Gräfin  Christine  Stolberg 
gewesen  ist,  und  ihr  gestohlen  wurde,  worüber  sie  untröstbar  war.  Eingemischte 
ernsthafte  Gedanken  mögen  den  kleinen  Trostgedichten  einigen  Werth  geben**. 

2)  D.  s.  305  zeile  25  von  oben. 

WAHBING-WIEN.  J.   PAWEL. 


71 

FRIEDRICH  ZARNCKE.1 

In  der  oacht  vom  14.  zum  15.  Oktober  1891  starb  Friedrich  Zarncke  nach 
mehrwöchigem  schwerem  leiden.  Sein  name  ist  in  der  germanistischen  weit  und 
über  sie  hinaus  ein  so  bekanter  und  vielgenanter,  sein  einfluss  auf  die  im  lezten 
vierte^ahrhundert  ausgebildete  Germanistengeneration  ein  so  weitreichender,  dass  auch 
der  leserkreis  dieser  Zeitschrift,  zu  deren  mitarbeiten!  er  nicht  gehörte,  gern  einen 
blick  auf  dies  nunmehr  vollendete,  arbeitsvolle  leben  werfen  wird. 

Friedrich  Zarncke  wurde  am  7.  juli  1825  in  dem  dorfe  Zahrenstorf  bei  Brüel 
in  Mecklenburg -Schwerin  geboren.  Sein  vater  war  ein  würdiger  geistlicher,  der,  frei 
von  dogmatischer  befangenheit,  mit  echter  frömmigkeit  eine  edele  geistesbildung  zu 
vereinigen  wüste,  ein  hochgeachteter  prediger,  Seelsorger  und  berater  seiner  gemeinde, 
ein  vortreflicher  lehrer  und  erzieher  seiner  kinder.  Seine  gediegenen  kentnisse  sezten 
ihn  in  den  stand,  seinem  Friedrich,  den  er  mit  einigen  Zöglingen  zusammen  unter- 
riohteto,  eine  gute  Vorbildung  für  obersekunda  zu  geben;  und  seine  lehrart  war  eine 
80  ausgezeichnete,  dass  der  söhn  noch  in  seinem  lezten  leben^ahre  bekent,  ihn  habe 
nie  der  gedanke  verlassen,  dass  er  alles,  was  er  etwa  wissenschaftlich  zu  leisten 
vermocht,  doch  nur  dem  wunderbar  klaren  unterrichte  verdanke,  durch  den  der  vater 
ihm  die  grundlage  seines  denkens  geschaffen  hatte.  Lehre  und  Vorbild  dieses  man- 
nes,  zugleich  der  einfluss  einer  rastlos  tätigen  mutter,  treuer  familiensinn  und  alle 
die  woltätigen  eindrücke,  die  gerade  das  ländliche  pfarhaus  einem  jungen  gemüte  zu 
geben  vermag  —  das  waren  die  gaben,  die  ihn  begleiteten,  als  er  ins  leben  hinaus- 
trat In  drei  jähren  absolvierte  er  die  obersten  klassen  des  Hostocker  gymnasiums, 
und  ostem  1844  konte  er,  mit  einem  glänzenden  abgangszeugnis  versehen,  die  dor- 
tige Universität  beziehen,  um  theologie  und  philologie  zu  studieren. 

Die  freudigen  erwartungen,  mit  denen  er  an  die  theologischen  Vorlesungen 
herantrat,  scheinen  nicht  befriedigt  zu  sein.  Schon  im  verlaufe  des  ersten  seme- 
stere  gab  er  dies  fach  auf,  während  ein  colleg  über  deutsche  litteraturgeschichte 
beim  prefessor  Christian  Wilbrandt  den  wissbegierigen  jungen  Studenten,  der 
schon  damals  schrieb,  die  litberatur  sei  von  jeher  sein  Steckenpferd,  auf  das  lebhaf- 
teste zu  germanistischen  und  ästhetischen  Studien  anregte.  Nachdem  er  diese  noch 
das  folgende  Semester  hindurch  unter  Wilbrandt  fortgesezt  hatte,  wante  er  sich 
(ostem  1845)  nach  Leipzig.  Und  hier  gab  nun  vor  allem  Moriz  Haupt  seiner  wis- 
senschaftlichen bildung  die  festere  grundlage.  Haupt,  der  ihn  im  zweiten  Semester 
zu  seinem  famulus  machte,  muss  ihm  von  vornherein  ein  wohlwollendes  Interesse 
entgegengebracht  haben.  Gleich  anfangs  ermahnte  er  den  sanguinischen  jungen  bur- 
schenschafter,  sich  nicht  in  politische  händel  zu  verwickeln;  denn  so  sehr  er  selbst 
auch  der  aufkeimenden  politischen  bewegung  zustimme,  so  sei  doch  noch  soviel 
Unklarheit  in  ihr,  dass  eine  tätige  beteiligung  an  ihr  nur  ein  hemnis  für  die  ent- 
wickelung  eines  Jünglings  sein  würde.  Als  er  Zamckes  «verliebe  für  das  altdeutsche'^ 
erfuhr,  billigte  er  sie  durchaus,  warnte  ihn  aber,  ja  nicht  etwa  die  klassische  philo- 
logie über  ihr  zu  vergessen.  Zarncke  hat  den  rat  getreulich  befolgt,  und  während 
der  drei  Semester  seines  Leipziger  aufenthaltes  hat  er  beiden  fächern  ein  eifriges  Stu- 
dium gewidmet  Bei  Gottfried  Hermann  hörte  er  Aeschylus,  Thucydides  und 
Aiistophanes;  bei  Haupt  Babrius,  Horaz,  Dias,  Tadtus  Germania,  geschichte  der 


1)  Ffir  ftwuidliciie  «ttkmft  aaf  ma&dMrifll  «ifingvo  vnd  Ar  bareitwfllige  wutbaünng  biognpbi- 
aehfln  BateriaJs  ng«  kh  aacä  aa  diator  stelle  hann  pt^ÜMaoc  Ed.  Zarncke  vnd  fMUilaia  Ottilie 
Zarncke  in  haifag,  aowie  bann  praf.  Zenker  in  Erlangr^n  hw^icjuwi  dank. 


72  yoGi 

altdeatsohen  poesie,  Parzival,  deutsche  grammatik;  bei  Danzel  geschichte  der  neue- 
ren deutschen  poesie  und  geschichte  der  bildenden  künste.  So  sehr  ihm  Hermanns 
philologische  kritik  und  sein  fliessendes  bitein  in  den  interpretationskollegien  impo- 
nierte, so  unklar  schien  ihm  seine  griechische  und  lateinische  poetik  und  so  kauder- 
welsch sein  deutsch.  Durchweg  des  lobes  voll  ist  er  dagegen  in  briefen  an  seine 
eitern  über  Haupts  Vorlesungen,  an  denen  er  sich  gar  nicht  satt  hören  konte.  So 
schreibt  er  am  12.  mal  1845:    „Haupt  gefalt  mir  von  tag  zu  tag  mehr.    Du  glaubst 

nicht,   mit  welcher  klarheit  und  ruhigen  besonnenheit  er  spricht Was  er  im 

colleg  gibt,  ist  in  der  tat  ausgezeichnet;  nicht  sowol,  weil  es  etwas  neues  ist,  son- 
dern weil  er  es  so  deutlich,  in  so  correcter  form  und  fassung  demonstriert  Er  spricht 
ganz  frei  und  zeigt  überall  gründlichen  fleiss  und  hellen  verstand,  zugleich  gemut 
und  hingebung  genug,  sich  in  ein  produkt  der  litteratur  hineinzuleben  und  den  ein- 
druck  schön  zu  reproduzieren^.  Besonders  wurde  er,  gleich  im  ersten  semester, 
durch  die  Germania -Vorlesung  zu  Tacitus  hingezogen,  in  dessen  Schriften  er  sich  mit 
einer  wahrhaft  schwärmerischen  andacht  und  ehrfurcht  vertiefte.  Auch  an  Haupts 
lateinischer  geselschaffc  nahm  er  tätigen  anteil,  und  seine  erste  arbeit,  über  die  prae- 
fatio  des  livius,  erhielt  das  für  Zarnckes  art  sehr  charakteristische  prädikat  einer 
dissertcUto  accurattastme  conscripta,  ne  dicam  nimis  accurate,  —  Daneben  boten 
ihm  das  Leipziger  theater  und  die  Dresdener  kunstsammlungen  reiche  gelegenheit, 
auch  seine  ästhetische  bildung  zu  vervolkomneu ;  den  genossen  von  der  burschen- 
schaft,  mit  denen  er  im  vrissenschaftlichen  kränzchen  fleissig  die  dramen  unserar  klas- 
siker  behandelte,  galt  er  auf  litterarisch -ästhetischem  gebiet  als  zuverlässigster  führer. 

Mit  empfehlungen  von  Haupt  an  Lach  manu  versehen,  siedelte  er  für  das 
Wintersemester  1846/47  nach  Berlin  über.  Ob  er  seine  absieht,  in  Lachmanns 
Seminar  und  in  seine  deutsche  geselschafb  einzutreten,  wirklich  ausgefühii  hat,  scheint 
sich  nicht  mehr  ermitteln  zu  lassen.  Auf  seinem  Berliner  abgangszeugnisse  ist  nichts 
davon  bemerkt,  so  wenig  wie  von  den  Vorlesungen,  die  er  bei  Boeckh,  Enke,  Ranke, 
Ritter,  Trendelenburg  wenigstens  anfängli(;h  gehört  hat;  nur  je  ein  colleg  bei  Joh. 
Franz  und  E.  Curtius  ist  dort  verzeichnet  ^  Jedesfals  hat  er  Weihnachten  1850  bei  einer 
kürzeren  anwcsenheit  in  Berlin  Lachmann  und  die  biiider  Grimm  besucht  und  freund- 
lichen empfang  bei  ihnen  gefimden.  Auch  suchte  ihn  Lachmann  ebenso  wie  Haupt 
in  Leipzig  auf.  Yen  briefen  der  beiden,  die  er  gelegentlich  erwähnt,  hat  sich  nichts 
erhalten. 

Gegen  ende  der  Berliner  Studienzeit  beschäftigten  ihn  vorai'boiten  zu  einer 
doctordissertation.  Eine  im  jahro  1845  von  der  Rostocker  univei^ität  gestehe  preis- 
aufgäbe:  „Ist  das  tragische  prinzip  des  Shakespeare  und  des  Sophokles  dasselbe 9*^ 
solte  ihi'en  gegenständ  bilden.  Doch  ist  die  arbeit  augenscheinlich  nicht  zur  Vollen- 
dung gekommen.  Nachdem  er  mit  dem  sommersemester  1847  in  Rostock  seine  Stu- 
dien abgeschlossen  und  ohne  einreichung  einer  schriftlichen  arbeit  das  examen  rigo- 
rosum  im  deutschen,  englischen  und  griechischen  summa  cum  Imtde  bestanden  hatte, 
wurde  er  am  20.  Oktober  zum  doctor  der  philsosophie  promoviert'. 

Nach  einiger  zeit  bot  sich  ihm  eine  beschäftigung,  die  seinen  wissenschaft- 
lichen neigungen  und  bestrebungen  vortreflich  entsprach:  die  katalogisierung  der  wert- 
volsten  und  reichhaltigsten  samlung  älterer  deutscher  litteraturwerke,   der  Meuse- 

1)  Doch  mag  Lachmann  ihm  gestattet  haben,  an  den  Übungen,  die  er  damals  im  anschluss  an 
die  vorlesong  über  deutsche  grammatik  abhielt,  teihninehmen ,  ohne  diese  za  belegen. 

2)  Reinhold  Bechstein  hatte  die  gute,  diese  notizen  ans  den  akten  der  Rostocker  philoso> 
phischen  fiikoltät  für  mich  za  ermitteln. 


frudbich  zarnckb  73 

bachschen  bibliothek.  Diese  im  hinblick  auf  ihren  etwaigen  ankauf  darch  die 
prenssische  regierang  zu  yerzeiohnen,  war  seit  anfang  des  jabres  1848  Zacher  beru- 
fen; im  juni  desselben  Jahres  wurde  Zaincke  beauftragt,  zunächst  neben  Zacher,  dann 
allein  die  arbeit  fortzusetzen.  Ostern  1850  konte  er  den  katalog  abschliessen,  und  im 
herbste  desselben  Jahres  wurde  der  ankauf  für  die  königliche  bibliothek  in  Berlin  vol- 
zogen.  Zacher  hat  in  einem  (in  dieser  Zeitschrift  XX,  393  fg.  mitgeteilten)  briefe  an 
'Weinhold  ein  anschauliches  bild  von  seinem  loben  inmitten  der  bücherei  auf  Meuse- 
bachs  gut  Alt-Geltow  bei  Potsdam  entworfen.  Unter  diesen  schätzen  weilte  auch 
Zamcke,  und  die  lange  beschäftigung  mit  ihnen  ist  gewiss  nicht  nur  für  die  ent- 
Wickelung  einer  gewissen  samlerliebhaberei  bei  ihm,  sondern  auch  für  die  ausbil- 
düng  der  hauptrichtung  seiner  Studien,  der  richtung  auf  litterarhistorische  quel- 
len forschung,  von  nicht  geringer  bedeutung  geworden.  Insbesondere  forderte  der 
reichtum  an  deutschen  inkunabeln  zu  eingehender  beschäftigung  mit  dor  litteratur  des 
ausgehenden  mittelalters  heraus;  Brants  narrenschiff  lockte  in  13  ausgaben,  darunter 
ein  trefiiches  exemplar  der  editio  princeps;  und  dass  die  ihm  zugewante  arbeit  dem 
fetten  boden  der  Meusebachschen  bibliothek  entspross,  hat  Zamcke  späterhin  dadurch, 
dass  er  die  ausgäbe  des  Narrenschife  dem  andenken  des  verdienten  samlers  widmete, 
pietätvoll  anerkant. 

Zunächst  aber  galt  es  nun,  nach  beendigung  der  bibliothekarischen  arbeit  sich 
nach  einer  festen  tätigkeit  umzusehen,  die  zugleich  die  weitere  Verfolgung  seines 
eigentlichen  lebensziels,  des  lernens  und  lehrens  der  deutschen  phüologie  ermöglichte. 
Wider  lenkten  sich  seine  blicke  nach  Leipzig,  welches  als  Universität  wie  als  mittel- 
punkt  des  deutschen  buchhandels  die  gewünschte  gelegenheit  am  besten  gewähren 
konte.  Mit  dem  buchhändler  Georg  Wigand  verabredete  er  ein  unternehmen,  zu 
dessen  leitung  Zarncke  bei  der  Vielseitigkeit  seiner  wissenschaftlichen  interessen,  wie 
er  sie  später  in  seinen  Schriften  bewährte,  vorzüglich  geeignet  war.  Es  galt  die  griin- 
dung  einer  Wochenschrift,  die  eine  volständige  und  schnelle  Übersicht  der  gesamten 
litterarischen  tätigkeit  Deutschlands  vermitteln  würde.  Sie  solte  daher  alle  in  den 
deutschon  buchhandel  fallenden  werke  bibliographisch  möglichst  genau  anzeigen,  von 
allen  bedeutenderen  wissenschaftlichen  Zeitschriften  eine  gedrängte  Übersicht  des 
inhaltes  bringen  und  zu  allen  wichtigeren  büchem,  sowie  zu  solchen,  deren  inhalt 
und  zweck  aus  dem  titel  allein  nicht  erkant  werden  könten,  erklärende  notizen  und 
kurze  berichte  liefern,  um  den  leser  mit  dem  werke  seinem  inhalt  und  seiner  form 
nach  im  algemeinen  bekant  zu  machen  und  die  Stellung  desselben  zu  der  übrigen 
litteratur  kurz  anzudeutend  So  erachien  denn  am  1.  Oktober  1850  die  erate  nummer 
des  „Litterarischon  contralblattes  für  Deutschland*^,  dem  Zamcke  als 
redakteur  von  da  an  eine  hingebende  tätigkeit  bis  an  sein  lebensende  gewidmet  hat. 
Anfanglich  macht  sich,  dem  urspmnglichen  plane  gemäss,  in  den  artikeln  des  blattes 
das  rein  bibliographische  noch  mehr  bemerklich;  blosse  titelangaben  sind  nicht  selten; 
die  referate  sind  meist  kurz,  wenn  auch  in  der  regel  schon  mit  einer  beurteilung 
verbunden;  die  gesamte  deutsche  litteratur  wird  berücksichtigt.  Almählich  tritt  das 
wissenschaftlich -kritische  element  stärker  hervor,  die  rubrik  „poesie*^  fält  fort,  rein 
bibliographisch  werden  nur  noch  die  Zeitschriften,  dissertationen  und  programme  ver- 
zeichnet, die  blossen  inhaltsangaben  werden  seltener,  auf  die  Charakteristik  der  ein- 
zelnen werke  und  auf  das  ui-teil  über  sie  falt  mehr  und  mehr  der  eigentliche  Schwer- 
punkt.   Es  gelang  Zamcke  sehr  bald  die  hervorragendsten  gelehrten  als  mitarbeiter 

1)  Vgl.  das  Programm  in  der  erston  nammer. 


74  vooT 

zu  gewinnen,  so  Jacob  und  Wilhelm  Orimm,  Haupt,  MüUenhoff,  Mommsen,  0.  Jahn. 
Der  anfänglich  besohiftnktere  kreis  muste  bei  der  grosse  des  zu  beräcksichtigeadmi 
gebietes  nach  und  nach  sehr  beträchtlich  erweitert  werden,  und  doch  erhielt  der 
Charakter  des  blattes  alm&hlich  gerade  eine  bestirntere  färbung.  Seit  die  Spaltung 
zwischen  Zamcke  und  der  Laohmannschen  partei  eingetreten  war,  sanunelten  sich 
im  centralblatt  überhaupt  mehr  die  stimmen  der  ausserhalb  der  Berliner  kreise  ste- 
henden; und  so  wenig  sein  redakteur  beabsichtigte,  es  zu  einem  Parteiorgan  zu 
machen,  so  sehr  hat  er  es  doch  für  seine  aufgäbe  erachtet,  besonderen  ansohauungen 
und  ansprüchen  der  genanten  kreise  in  ihm  das  gegengewioht  zu  halten.  Die- 
ser gegensatz  komt  nicht  am  wenigsten  in  den  germanistischen  artikeln,  gen^e  auch 
in  den  überaus  zahlreichen  recensionen,  die  seiner  behenden  feder  entstammen,  zum 
ausdrnck;  besonders  durch  diese  hat  das  litterarische  centralblatt  einen  nicht  unbe- 
deutenden anteil  an  der  an  kriegerischen  ereignissen  nicht  armen  geschichte  der  deut- 
schen Philologie  während  der  lezten  40  jähre. 

So  zeitraubend  die  neue  tatigkeit  zunächst  sein  mochte  —  bei  Zamckes 
eminenter  arbeitskraft  merkt  man  gar  nicht,  dass  sie  ihii  in  der  Verfolgung  seiner 
fachwissenschaftlichen  arbeitspläne  behindert  hätte.  Sein  hauptziel  blieb  zunächst  die 
ausgäbe  des  Narrenschifs.  Aber  schon  jezt  zeigt  sich,  wie  ihn  die  erforschung  eines 
gegenständes  nicht  befriedigt,  wenn  er  nicht  dessen  ezistenzbedingungen  nach  allen  Sei- 
ten hin  eingehend  verfolgt;  wobei  denn  hie  und  da  detailuntersuohungen  überverwante 
dinge  abfallen.  So  führt  ihn  denn  Brants  werk  weit  in  die  mittelhochdeutsche  lehr- 
dichtung  hinein;  nicht  allein  die  forsohungen  über  die  deutschen  Cato- Übersetzungen, 
unter  denen  ja  auch  eine  Sebastian  Brants  sich  befindet,  sondern  auch  eine  femer 
liegende  xmtersuchung  wie  die  über  Yintlers  Blumen  der  tagend  entstamt  diesem 
zusammenhange.  Andrerseits  aber  wurzeln  auch  in  den  Brantstndien  die  forsohungen 
über  das  mittelalterliche  bildungswesen,  insbesondere  über  die  Universitäten,  aus 
denen  schon  jezt  der  kleine  aufsatz  über  die  quaeaiumea  qttodlibeticae  ans  licht  trat 
Im  Cato  sehen  wir  zuerst,  wie  den  Verfasser  die  aufgäbe  reizt,  eine  reiche,  weit 
verzweigte  und  verwickelte  litterarische  Überlieferung  zu  entwirren  imd  in  ihren  ein- 
zelnen entwicklungsstufen  klar  vor  äugen  zu  stellen;  zugleich,  wie  er  eine  solche 
aufgäbe  mit  unermüdlichem  spüreifer  und  schar&inn  zu  lösen  vermag.  Die  abhand- 
lung  über  „Yintlers  Blume  der  tugend*^  ist  ein  interessantes  zeagnis  für  Zamckes 
befähigung  zur  höheren  kritik.  Ehe  Yintlers  quellen  bekant  waren,  hat  er  die  teile 
seines  gedichtes  so  von  einander  geschieden,  wie  es  der  Verschiedenheit  der  quellen 
entspricht;  er  hat  richtig  herausgefühlt,  wie  der  dichter  im  1.  hauptteile  strenger,  im 
2.  weit  freier  seiner  vorläge  folgt,  und  hat  vor  allem  für  den  ersten  hauptteil  eine 
arbeit  erster  und  zweiter  band  in  der  weiso  von  einander  geschieden,  dass  er  der 
zweiten  nur  verse  zuschrieb,  von  denen,  wie  sich  jezt  zeigt,  tatsächlich  kein  einziger 
auf  die  quelle  zurückgeht.  Diese  jüngere  schiebt  schlechtweg,  wie  es  das  richtige 
gewesen  wäre,  für  Yintlers  von  der  quelle  unabhängiges  eigentum  zu  erklären,  hin- 
derte ihn  ein  beachtenswerter  grund.  Ein  etwas  rücksichtsloseres  vorgehen  aber 
hätte  ihn  vielleicht  geradeswegs  zu  dem  richtigen  und  einfacheren  resultate  geführt 
Hier  wie  auch  sonst  hielt  Zamcke  ein  vorsichtiges  abwägen  aller  möglichkoiten  für 
eine  pflicht,  der  zu  liebe  man  auch  auf  ein  glattes  ergebnis  der  Untersuchung  ver- 
zichten müsse. 

Sein  bestes  können  aber  betätigte  Zamcke  in  eben  jener  arbeit,  welche  zugleich 
ziel  und  ausgangspunkt  dieser  anderen  forsohungen  bildete,  in  der  ausgäbe  von  Se- 
bastian Brants  narrenschiff.    Ausser  Jakob  Grimms  Reinhart  Fuchs  gab  es  bei 


FBIEDfilCH  ZABNGKB  75 

ihrem  exscheinen  im  jähre  1854  keine  ausgäbe  einer  deutschen  diohtong,  in  der  diese 
einer  so  Yielseitigen  ontersnchnng  und  einer  so  weitblickenden  erörterong  unterzogen 
gewesen  wäre,  wie  das  hier  geschah.  Bot  auch  die  art  der  Überlieferung  des  Nar- 
renschüGs  für  leistungen  in  der  textkritik  keinen  Spielraum,  so  war  sie  doch  so  aus* 
gebreitet  und  so  vielgestaltig,  dass  ihre  yolständige  samlung,  gruppierung  und  ken- 
zeichnung  schon  Sorgfalt  und  umsieht  genug  erforderte.  Sprache  und  metrik  eines 
gedichtes  dieser  periode  aber  konte  der  herausgeber  als  ein  noch  kaum  bebautes  feld 
bearbeiten.  Die  ausdrucksweise  des  dichters  mit  ihren  vielen,  nur  aus  den  Verhält- 
nissen seiner  zeit  und  Umgebung  verständlichen  anspielungen,  bildem  und  redensarten 
erheischte  eine  fülle  von  wort-  und  Sacherklärungen,  die  nur  aus  einem  ausgebrei- 
teten und  eindringenden  Studium  der  mannigfaltigen  verwanten  litteratur  fliessen 
konten.  Die  besondere  anläge  und  einkleidung  des  gedichtes,  sowie  verwante  erschei- 
nungen  in  der  folgezeit  nötigten  litterarischen  zusammenhängen  nach  vorwärts  und 
rückwärts  nachzuspüren.  Selbstverständlich  haben  nicht  alle  diese  fragen  ihre  end- 
gültige lösung  durch  den  herausgeber  gefunden;  aber  nach  allen  Seiten  greifen  seine 
überaus  reichhaltigen  anmerkungen  und  excurse  fordernd  ein.  Und  bei  der  gewal- 
tigen masse  des  einzelnen  hat  er  doch  den  überblick  über  das  ganze  von  einem 
grossen  gesichtspunkte  aus  festgehalten.  Er  gibt  in  der  einleitung  von  Brants  aka- 
demisch-wissenschaftlicher und  litterarischer  gesamttätigkeit,  von  seinem  Charakter 
und  seiner  geistigen  entwickelung  ein  klares,  einheitliches  bild  auf  dem  sorgfältig 
ausgeführton  hintergrunde  der  grossen  wissenschaftlichen,  religiösen  und  politischen 
bewegung  seiner  zeit  Nirgend  ist  es  Zamcke  besser  als  in  diesem  werke  gelungen, 
zugleich  den  grossen  und  den  kleinen  aufgaben  des  philologen  und  litterarlüstorikers 
gerecht  zu  werden. 

Seine  Cato- Übersetzung  hatte  Zamcke  als  habilitationsschrift  verwertet;  nach 
einer  Probevorlesung  ^über  die  beziehungen  der  provenzalischen  und  französischen 
poesie  zur  deutschen'^  erhielt  er  am  30.  juli  1852  die  venia  legendi.  Da  die  Univer- 
sität eines  Vertreters  der  deutschen  philologie  entbehrte,  seit  Haupt  im  april  1851  aus 
politischen  gründen  seines  amtes  entsezt  war,  so  wurde  Zamcke  bereitB  nach  zwei 
Jahren  zum  ausserordentlichen  professor  dieses  hohes  emant 

Und  nicht  nur  durch  die  Verleihung  des  akadenusohen  lehramtes,  nicht  nur 
durch  das  erscheinen  des  Werkes,  welches  ein  für  allemal  seinen  wissenschaftlichen 
ruf  begründete,  wurde  das  jähr  1854  für  ihn  ein  höchst  bedeutungsvolles.  Die  rede, 
mit  der  er  am  28.  juli  seine  professur  antrat,  verkündete  seinen  anschluss  an  eine 
wissenschaftliche  bewegung,  die  zwischen  ihm  und  den  anhängem  Lachmanns,  ja 
durch  die  germanistische  weit  überhaupt,  einen  tiefen  riss  ziehen  solte. 

Im  an£EUig  des  Jahres  waren  Holtzmanns  Untersuchungen  über  das 
Nibelungenlied  erschienen.  Als  Zamcke  das  buch  in  die  band  bekam,  stand  er 
so  eben  im  begriff  eine  arbeit  abzusohliessen,  welche  einen  beweis  zu  führen  bezweckte, 
dem  auch  ein  wesentlicher  teil  der  Holtzmannschen  schiift  galt:  dass  nämlich  die 
grundiage  von  Laohmanns  textkritik  unhaltbar,  dass  A  keineswegs  die  ursprünglichste, 
sondern  eine  sehr  verderbte  handschrift  sei,  auf  die  weder  eine  ausgäbe  noch  eine 
hypothese  über  die  Zusammensetzung  der  dichtung  gegründet  werden  dürfe.  Im 
übrigen  wichen  seine  anschauimgen  von  denen  Holtzmanns  sehr  wesentlich  ab;  ins- 
besondere hielt  er  C  keineswegs  für  die  ursprünghchste  redaktion,  sondern,  im  ein- 
Uange  mit  Lachmann,  für  eine  bearbeitung  von  B;  in  A  erkante  er  manche  evident 
gute  lesarten  an,  er  war  sogar  der  ansieht,  dass  die  vorläge  dieser  handschrift  B  an 
wert  übeitroffen  habe;  nur  hielt  er  A  selbst  für  eine  «gewissenlose,  stümperhafte 


76  vooT 

und  naseweise  abschrift^  dieser  vorläge  (litt  centralbl.  1854,  sp.  116.  Zur  Nibehm- 
genfrage  s.  20).  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  Zamcke  in  der  alzu  bescheidenen 
meinung,  die  Wissenschaft  habe  nur  gewonnen,  wenn  ihm  ein  mann  zuvorgekommen 
sei,  n dessen  längst  anerkante  Verdienste  dazu  beitragen  würden,  der  Wahrheit  die 
gebühronde  geltung  zu  verschaffen*^,  die  eigene  arbeit  um  der  Holtzmannsohen  willen 
zurückhielt.  Denn  darüber  herscht  jezt  gewiss  kein  zweifei  mehr  unter  den  germa- 
nisten,  dass  die  anschauungen,  welche  er  in  seiner  schrift  niedergelegt  hatte,  der 
Wahrheit  erheblich  näher  kamen  als  die  Holtzmanns.  Aber  er  gab  sich  geüangen. 
Schon  in  der  ersten  anzeige  der  Untersuchungen  (litt  cbL  a.  a.  o.)  erklärt  er  die 
meisten  einwendungen  gegen  C  aufgegeben  zu  haben,  ja  er  wünscht  geradezu,  sich 
schon  volständig  überzeugt  erklären  zu  können:  „denn  welch  gewinn  wäre  es,  wenn 
man  sich  mit  voller  gewissensruhe  dem  genusse  des  textes  jener  praohthandschhit 
hingeben  könte,  deren  edler,  aus  einem  gusse  geflossener,  massvoller  stil  auch  in 
dem  blossen  handschriften-abdnick  zur  bewunderung  hinreLsst^.  Und  in  seiner 
antritsvorlesung  hat  er  dann,  sichtlich  unter  dem  eindruck  solcher  empfindungen,  den 
Übergang  volzogen. 

Die  freundlich  bescheidenen,  ehrenden  werte,  mit  denen  Zamcke  am  Schlüsse 
dieser  Vorlesung  Moriz  Haupts  als  seines  lehrers  und  Vorgängers  gedachte,  werden 
bei  diesem  wenig  Widerhall  gefunden  haben.  Denn  gross  war  die  entrüstung  über 
den  angriff  auf  Lachmanns  kritik.  Im  deoemberhefte  der  Kieler  monatsschiift  ergieng 
sich  Müllenhoff  über  „die  herren  Holtzmann  und  Zamcke  und  das  ABC  der  Nibe- 
lungen^ —  leider  in  einem  tone,  der  nur  dazu  angetan  war,  die  gegner  auch  seinen 
stichhaltigen  aigumenteu  unzugänglich  und  die  sachliche  fortführung  der  discussion 
unmöglich  zu  machen.  Es  war  „ein  gift  gefallen*^,  A  dem  die  germanistischen  Stu- 
dien lange  krankten.  Gegensätze  wissenschafÜicher  methode,  wissenschaftlicher  nei- 
gungen  und  fahigkeiten  hatten  sich  schliesslich  so  persönlich  zugespizt,  dass  mistrauen 
und  geringschätzung  zwischen  anhängem  und  gegnem  der  Lachmannsohen  Nibelun- 
genkritik geradezu  traditionell  wurde.  Auch  Zamcke  hat  darunter  gelitten;  nicht 
allein  insofem,  als  man  auf  jener  seite  seinen  Verdiensten  die  gebührende  anerken- 
nung  versagte.  Wer  ihn  wahrhaft  schäzt,  wird  noch  mehr  bedauern,  dass  auch 
ihm  in  der  einzelkritik  wie  im  gesamtnrteil  über  seine  gegner  der  blick  mehrfach 
getrübt  ward. 

In  der  Nibelungenfrage  verteidigte  er  —  von  den  recensionen  im  Centralblatt 
abgesehen  —  vor  allem  zwei  jähre  später  in  seiner  ausgäbe  und  in  den  Beiträgen 
zur  erklärung  und  zur  geschichte  des  Nibelungenliedes  (Berichte  der 
Sachs,  akad.  VIII,  153 — 266)  seinen  Standpunkt  Auch  wer  diesen  nicht  teilt,  muss 
ihm  für  die  saubere,  handliche  ausgäbe  der  redaktion  0  mit  den  zweckmässigen  bei- 
gaben, vor  allem  der  musterhaft  knappen>  und  klaren  einleitung,  dank  wissen;  nicht 
minder  aber  für  die  aus  einem  reichen  schätze  litterarischer,  historischer  und  kultur- 
geschichtlicher kentnisse  geschöpften  Sacherklärungen,  die  sich  in  jenen  „Beiträgen'^ 
finden.  Ein  teil  des  aufsatzes  im  Jahrgang  1859  der  Germania  und  die  abhandlung 
über  die  jagd  im  Nibelungenliede  in  Paul  und  Braunes  Beiträgen  vom  jähre  1885  kön- 
nen als  fortsetzung  dieser  erläuterungen  betrachtet  werden,  die  leider  nicht  zu  einem 
ursprünglich  beabsichtigten  realkommentar  vervolständigt  und  abgerundet  wurden. 
Schon  seine  Vorlesungen  und  die  neuen  auflagen  seiner  ausgäbe  boten  ihm  die  ver- 
anlassung zur  fortdauernden  beschäfdgung  mit  der  Nibelungenfrage.  In  weitere  kreise 
drang  noch  einmal  das  kampfgetöse,  als  ihn  im  jähre  1877  eine  gar  zu  souveräne 
äusserung  Scherers  über  Lachmanns  gegner  zu  einem  heftigen  angriff  auf  des  meisteis 


FBDEDBIGH  ZABNCKE  77 

heptadengläubige  jünger  veranlasste.  Drei  jähre  später  spürte  er,  wie  er  mir  damals 
schrieb,  grosse  lust,  „wider  einmal  mit  frischen  kräften  in  die  Nibelungenfrage  hin- 
einzntreten*'.  Nach  den  weiteren  werten  dieses  briefes  hatte  er  sich  schon  damals 
seinem  nrsprün^chen  Standpunkt  und  demjenigen  Bartschs  insofern  genähert,  als  er 
einen  grossen  teil  der  plosstrophen  in  C  aufgab,  während  er  doch  meinte,  dass  C  in 
viel  mehr  punkten  als  B  die  originale  lesart  biete;  eine  ansieht,  die  er  dann  1887 
auch  in  der  ausgäbe  formulierte  \  An  der  verwei'fiing  der  handschrift  A  hat  er  bis  zulezt 
festgehalten;  und  damit  erachtete  er  auch  die  liedertheorie  von  vornherein  füi*  abgetan. 

Mitten  unter  den  stürmen  des  ersten  Nibelungenstreites  legte  der  junge  pro- 
fessor  den  grund  zur  eigenen  häuslichkeii  Am  9.  april  1855  wurde  er  in  der  hei- 
mat  vom  vater  mit  Anna  Pauline  Geitner  aus  Leipzig  getraut.  Neun  jähre  war 
eir  mit  ihr  vereint;  dann  wurde  sie  ihm  durch  den  tod  entrissen;  sie  blieb  ihm  fürs 
leben  unersetzlich.  Aber  eine  verwitwete  Schwester,  sein  söhn  und  drei  töchter,  die 
in  seiner  näheren  und  nächsten  Umgebung  blieben,  haben  ihm  bis  zulezt  die  Segnun- 
gen des  familienlebens  erhalten. 

Die  junge  ehe  schien  zunächst  durch  eine  andere  gefahr  bedroht  In  rastloser 
tätigkeit  hatte  Zamcke  neben  den  Nibelungenarbeiten  auch  die  ausführung  eines  teiles 
des  von  Benecke  vorbereiteten,  von  W.  Müller  weiter  beai'beiteten  mittelhoch- 
deutschen Wörterbuches  übernommen  und  zugleich  die  von  den  Brant-studien 
ausgegangenen  forschungen  zur  älteren  speciellen  und  algemeinen  imiversitätsgeschichte 
eifirigst  fortgesezt  Die  reihe  seiner  ausgaben  von  urkundlichen  quellen  zur  geschichte 
der  Universität  Leipzig  war  im  3.  bände  der  abhandlungen  der  königlich  sächsischen 
geselschaft  der  Wissenschaften  eröfnei  Zur  Verwirklichung  des  planes  einer  zusam- 
menfassenden Charakteristik  des  deutschen  Universitätslebens  im  mittelalter  war  mit 
der  vorrede  zu  dieser  publikation  und  mit  dem  ersten  bände  der  unter  dem  titel 
,Die  deutschen  Universitäten  im  mittelalter^  vereinigten  quellenschriften 
von  algemeiner  bedeutung  der  erste  schritt  getan.  Eine  anzahl  ähnlicher  bändchen 
solte  schnell  folgen.  Der  ansehnliche  quartband  der  Acta  rectorum  universitatis  Lip- 
siensis  war  dem  erscheinen  nahe.  Eine  Untersuchung  über  das  Muspilli  war  begon- 
nen. Schon  war  auch  seinen  bestrebungen  und  leistungen  durch  die  im  Oktober  1858 
erfolgte  beförderung  zum  Ordinarius  die  wolverdiente  anerkennung  zu  teil  geworden. 
Da  schien  es,  als  solte  seinem  mannigfaltigen  schaffen  vorschnell  ein  ende  gesezt 
werden. 

Ein  blutsturz  warf  ihn  im  juli  1859  auf  das  krankenlager,  und  die  ersten  zei- 
chen einer  tuberkulösen  lungenerkrankung  wurden  bemerkt.  Im  Oktober  war  er  so 
weit  erholt,  dass  es  ihm  möglich  schien,  sich  zum  Winteraufenthalte  nach  Nizza  auf- 
zumachen. Aber  auf  der  reise,  in  Wien,  befiel  ihn  eine  neue,  schwerere  lungenblu- 
tung,  der  bald  noch  andere  folgten.  Erst  ende  november  konte  die  reise  fortgesezt 
werden;  doch  wurde  jezt  Venedig  als  näher  liegendes  ziel  gewählt.  Am  2.  december 
schrieb  der  kaum  vom  tode  errettete  in  Venedig  die  vorrede  zu  den  Acta  rectorum, 
und  bis  zum  april  1860  verbrachte  er  dort  eine  zeit  fortschreitender  genesung.  Durch 
längeres  verweilen  in  Meran,  in  Bemeck  im  Fichtelgebirge  und  in  der  mecklenbur- 
gischen heimat  wurde  seine  gesundheit  weiter  gefestigt,  so  dass  er  im  Wintersemester 
1860/61  seine  lehrtätigkeit  wider  aufnehmen  konte.  Aber  erst  nachdem  er  im  früh- 
ling oder  Sommer  1862  eine  schwere  brustfelentzündung  durchgemacht  hatte,  war  das 
leiden  endgültig  überwunden;  und  es  folgten  nun  29  jähre  festester  gesundheit  und 
xmgeschwächter  arbeitskraft. 

1)  Vgl.  aaoh  Lit.  cU.  1876  sp.  467  tg. 


78  voOT 

Von  dem  am  mittelhochdeutschen  Wörterbuch  übernommenen  anteil 
konte  Zamcke  infolge  der  krankheit  nur  die  hälfte  zur  ausführung  bringen;  ihrer 
Vollendung  widmete  er  während  des  winters  1862 — 63  seine  ganze  kraft;  so  konte 
im  friLhjahr  1863  der  die  buchstaben  M — R  umfiassende  band  erscheinen.  Das  mit- 
telhochdeutsche Wörterbuch  wurde  eine  wahre  fundgrube  nicht  allein  für  die  deutsche 
wortkunde,  sondern  auch  für  die  realien,  für  die  grammatik,  kritik  und  Interpretation 
der  mittelhochdeutschen  denkmäler,  das  wichtigste  hilfemittel  für  den  wichtigsten  teil 
der  altdeutschen  Studien.  Der  dank  dafür  ist  noch  heute  eine  ehrenpflicht  jedes  ger- 
manisten  gegen  Benecke,  Müller  und  Zamcke.  Wenn  gegner  der  beiden  lezten  es 
vorzogen,  ihnen  in  recht  gehässiger  weise  einzelheiten  aufzumutzen,  ohne  ein  wort 
der  anerkennung  für  die  gesamtleistung  zu  finden,  so  ist  das  nur  ein  trauriges  Zeug- 
nis für  jene  partei Verhältnisse,  welche  aller  gesunden  kritik  den  boden  entzogen. 

Hatten  Zamckes  Veröffentlichungen  bisher  ausschliesslich  der  litteratur  und 
dem  bildungswesen  der  blute  und  der  spätzeit  des  mittelalters  gegolten,  so  lieferte 
er  demnächst  auch  den  beweis,  dass  seine  Studien  weit  genug  über  diesen  Zeitraum 
hinweg  nach  vorwärts  und  rückwärts  ausgegriffon  hatten.  Das  lebhafte  intei'esse  für 
die  neuere  deutsche  litteratur  hat  ihn  von  der  unlversitätszeit  weiter  durch  das  leben 
begleitet,  zeitweilig  auch  die  richtung  seiner  philologischen  forschung  bestirnt.  Als 
am  19.  Oktober  1865  die  Universität  Leipzig  den  Jahrestag  begieng,  an  dem  vor 
100  jähren  Goethe  unter  ihre  studierenden  aufgenommen  war,  erschien  als  festschrift 
Zamckes  abhandlung  „Über  den  fünffüssigen  Jambus  mit  besonderer  rücksicht 
auf  seine  behandlung  durch  Lessing,  Schiller  und  Goethe".  Von  ihrem  ersten  auf- 
treten in  der  altfiranzösischen  und  in  der  mittelhochdeutschen  litteratur  an  wird  hier 
diese  versart  durch  ihre  nach  zelten,  nationaütäten  und  dichtungsgattungen  verschie- 
denen entwickelungsformen  hindurch  bis  in  das  vorige  Jahrhundert  verfolgt,  wo  sich 
nun  für  die  deutsche  nachbildung  zunächst  die  französische,  dann  die  englische 
gestalt  des  fünffüsslers  als  massgebend  erweist,  bis  Lessing  aus  dieser  einen  für  seine 
Achterische  Individualität  sehr  charakteristischen  dramatischen  vers  frei  herausbildet. 
An  diesen  knüpft  dann  Schüler  umittelbar  an,  während  Goethe  vom  italienischen 
elfsilbler  ausgeht  (der  ihm,  wie  Zamcke  später  zeigte,  durch Heinse  vermittelt  wurde). 
Die  verschiedenen  kunststufen,  die  der  fünffüssler  in  Schillers  und  Goethes  diohtung 
durchläuft,  die  besondere  art  seiner  rhythmik  und  deren  Zusammenhang  mit  dem 
Charakter  ihrer  poesie  werden  nun  auch  hier  feinfühlig  aufgespürt  und  klar  gelegt 

In  demselben  jähre  aber,  welches  diese  trefliche  studio  zur  geschiohte  unserer 
modemen  metrik  und  litteratur  eintrag,  hat  Zamcke  einen  forderlichen  kleinen  bei- 
trag  zur  geschiohte  einer  unserer  ältesten  dichtungen  geliefert,  indem  er  das  Verhält- 
nis der  auf  den  Ursprung  des  Heiland  bezüglichen  Praefatio  zu  den  Versus  de 
poeta  feststelte,  die  Interpolationen  jener  bestirnte  und  so  widerum  zeigte,  wie  wol 
er  auch  höhere  kritik  zu  üben  verstand,  wenn  die  Überlieferung  ihm  nur  genügende 
anhaltspunkte  für  dieselbe  zu  bieten  schien.  Gleich  das  nächste  jähr  brachte  zwei 
weitere  imtersuohungen  zur  littoraturgeschichte  der  zeit  des  fränkischen  reichs,  deren 
eine  die  Sage  von  der  trojanischen  abkunft  der  Franken  auf  ein  gelehrtes 
misverständnis  zurückführte,  während  die  andere,  schon  vor  der  krankheit  begonnen, 
jezt  zum  ersten  male  den  christlichen  Ursprung  der  im  Muspilli  zu  tage  tretenden 
Vorstellungen  quellenmässig  feststelte.  In  späteren  jähren  reihten  sich  diesen  beson- 
ders auf  die  quellen  gerichteten  Untersuchungen  zur  vormittelhochdeutschen  periode 
die  über  das  Geoigslied  und  über  das  Annolied  an. 


FBBDBIGH  ZASNGKB  79 

Aber  die  gegenwart  war  dazu  angetan,  der  Vergangenheit  das  interesee  aaoh 
dee  eifrigsten  forsohers  streitig  zu  machen.  Mit  nicht  geringer  Spannung  wird  er, 
der  schon  als  borschensohafter  für  Deutschlands  einheit  geschwärmt  hatte,  die  ereig- 
msse  des  Jahres  1866  verfolgt  haben,  und  ohne  einen  inneren  konflikt  zwischen 
preussischem  und  sächsischem  Patriotismus  mag  es  wol  nicht  abgegangen  sein.  Jifit 
um  so  rückhaltloserer  begeisterung  konte  er  im  jähre  1870  die  verheissungsvolle  Ver- 
einigung aller  deutschen  stamme  zum  kämpfe  gegen  Frankreich  begrüssen,  und,  schon 
seit  Oktober  1869  rector  der  Universität,  fand  er  reiche  gelegenheit  seinen  feuereifer 
für  die  grosse  sache  in  wort  und  tat  zu  bewähren.  Wie  es  ihm  gelang  dadurch  die 
herzen  der  oollegen  und  der  commüitonen  zu  gewinnen,  zeigten  jene,  indem  sie  ihm 
auch  für  das  jähr  1870—71  wider  das  rectorat  übertrugen,  während  alle  aus  dem 
feldzuge  heimgekehrten  Studenten  ihm  durch  Überreichung  eines  mit  ihren  bildem 
geschmückten  albums  ihren  dank  bekundeten.  Mit  einem  kurzen,  aber  schönen  und 
gedankenvollen  rückblick  auf  die  schwere,  herliche  zeit  des  grossen  krieges  legte  er 
im  Oktober  1871  sein  ehrenamt  nieder. 

Auch  ich  kam  damals  nach  beendigtem  kriogsdienste  nach  Leipzig  und  wurde 
mit  freuden  zeuge  der  Verehrung,  die  ihm  Studenten  aller  iakultäten  entg$gentrugen. 
An  einem  oktobertage  stand  ich  ihm  zum  ersten  male  in  dem  behaglichen  arbeitszim- 
mer  an  der  Goethestrasse  gegenüber.  Noch  sehe  ich  den  statliohen  mann  vor  mir, 
wie  er  die  dunkelen,  lebhaften  äugen  unter  hoch  zusammengezogenen  brauen  for- 
schend auf  mich  richtete,  als  wolte  er  aus  mir  herauslesen,  was  wol  nach  einem 
Edda-coUeg  bei  Adelbert  von  Keller  und  einem  kriegsjahre  an  altnordischem  wissen 
in  mir  vorhanden  sein  könne;  denn  mein  anliegen  galt  der  aufoahme  in  seine  nor- 
dische geselschaft  Ich  erreichte,  was  ich  wolte;  und  einen  abend  jeder  woche  konte 
ich  mich  nun  in  seinem  gelehrtenheim  mit  einer  anzahl  gleichstrebender  genossen  unter 
seiner  leitung  in  der  Übersetzung  der  Oylfaginning,  später  der  Eyrbyggja  saga  üben. 
Seine  anforderungen  waren  nicht  gering.  Es  ging  von  vornherein  flott  vorwärts,  und 
jeder  muste  mit  schiitt  halten,  mochte  er  sehen,  wie  er  es  fertig  brachte.  Aber 
immer  war  sein  urteil  human,  niemals  spöttisch  oder  souverän  abweisend,  immer 
fordernd,  niemals  entmutigend.  So  war  es  auch  in  den  deutschen  Übungen,  die  er 
seit  dem  sommer  1872  abhielt  und  aus  denen  sich  dann  das  eifirigst  durch  ihn  gefor- 
derte germanistische  sominar  entwickelte;  so  auch  in  den  persönlichen  besprechungen, 
für  die  der  vielbeschäftigte  rat  suchenden  schülem  bereitwillig  seine  zeit  opferte. 
Sein  freundliches,  herzlich  wolwoUendes  wesen,  die  lebhaftigkeit,  mit  der  er,  selbst 
rastloe  tätig,  zur  energischen  förderung  einer  einmal  ergriffenen  arbeit  trieb,  der 
eifer,  mit  dem  er  ernsthaftem  und  ehrlichem  streben  die  wege  zu  ebnen  bemüht 
war  —  das  war  es,  wodurch  er  persönlich  am  meisten  wirkte.  Dem  einzelnen  das 
ziel  seiner  arbeit  stecken,  ihm  den  weg  dahin  weisen  oder  ihn  auf  seinen  eigenen 
pfaden  hinter  sich  herziehen  war  nicht  seine  art  Er  hat  es  nie  darauf  angelegt 
schule  zu  bilden,  sondern  nur  der  freien  entwiokelung  des  einzelnen  die  grundlage 
zu  geben. 

In  seinen  Vorlesungen  gieng  er  mehr  ins  detail,  als  es  manchem,  dem  nur 
an  den  hauptpunkten,  nicht  an  speoialfragen  lag,  nötig  erscheinen  mochte;  die  jezt 
immer  wachsende,  von  der  öffentlichen  meinung  und  den  prüfungsreglements  eifrigst 
unterstüzte  zahl  deijenigen  studierenden,  welche  nichts  mehr  fürchten,  als  dass  sie 
auf  der  Universität  etwas  lernen  könten,  was  für  ihr  examen  oder  für  das  amt  nicht 
unmittelbar  notwendig  ist,  mag  sich  vollends  durch  das  gebotene  „überbürdet^  gefühlt 
haben.   Aber  wer  nur  ein  fünkchen  forsohenstrieb  besass,  der  muste  gefesselt  und  mit- 


80  VOOT 

gezogen  werden  durch  den  lebendigen  eifer,  mit  dem  er  jede  wissenschaftliche  frage 
anfasste  and  klar  legte,  durch  seine  offenkundige  freude  am  spüren  und  finden  auch 
im  kleinen,  durch  seine  anregenden  hinweise  auf  gebiete,  die  der  wissenschaftlichen 
forschung  noch  offen  standen.  Immer  war  er  sorgsam  beflissen  seine  Vorlesungen 
auf  dem  Standpunkte  der  neuesten  forechung  zu  haiton,  mochte  es  die  gramma- 
tik  sein,  deren  gebiet  er  als  lebhaft  interessierter  beobachter  fi*emder  Untersuchungen 
betrat,  oder  die  deutsche  litteraturgeschichte  des  mittelalters,  bei  der  er  recht  aus 
der  fülle  eigener  Studien  schöpfen  konte.  Auch  in  seinen  übrigen  Vorlesungen,  über 
Walther  von  derVogelweide,  das  Nibelungenlied,  den  Parzival,  den  Faust,  hat  er  die 
ergebnisse  eindringender  selbständiger  forschungen  verwertet,  von  denen  dies  und 
jenes  auch  veröffentlicht  wurde.  Eine  herausgäbe  seiner  collegienhefte  hat  er  aus- 
drücklich untersagt;  er  hat  sie  auch  nicht  durchweg  wörtlich  ausgearbeitet,  vieles 
nur  durch  stichworte  angedeutet.  So  blieb  auch  seinem  voitrage  der  reiz  des  unmit- 
telbaren. Die  äugen  auf  das  heft  gerichtet,  sprach  er  doch  mit  grosser  lebhaftigkeit. 
Die  Zuhörer  strömten  ihm  damals  in  menge  zu;  neben  G.  Curtius  hatte  er  unter  den 
philologisch -historischen  docenten  das  grösste  auditorium. 

unter  den  arbeiten  der  siebziger  jähre  ti-eten  die  eng  zusammenhängenden 
über  den  priester  Johannes  und  über  den  jüngeren  Titurel  als  die  weitaus 
umfassendsten  in  den  Vordergrund.  In  dem  einen  falle  galt  es,  eine  überaus  weit 
verbreitete  litterarische  sage  auf  ihren  Ursprung  zurückzuführen  und  aus  der  über- 
reichen tradition  die  einzelnen  Stadien  ihrer  entwickelung  klarzustellen ;  in  dem  ande- 
ren falle  selten  einige  stücke  eines  inhaltlich  an  einem  punkte  mit  der  Johannessage 
verknüpften  gedichtes  kritisch  hergestelt  und  erklärt,  zugleich  dessen  sehr  verwickelte 
und  ausgebreitete  handschriftliche  Überlieferung  gesichtet  und  in  ein  bestirntes  Schema 
gebracht  werden.  Ein  gewaltiges  material  war  für  beide  arbeiten  zu  bewältigen. 
Allein  für  eine  der  verschiedenen  quellen  der  Johannestradition,  welche  Zamcke  im 
zusammenhange  mit  seinen  Untersuchungen  kritisch  herausgab,  gelang  es  ihm  96  hand- 
schriften  nachzuweisen  und  etwa  80  teils  im  original,  teils  nach  mitgeteilten  proben 
zu  verwerten.  Die  Untersuchungen  aber  führten  ihn  weit  über  den  kreis  seiner 
fachstudien  hinaus  in  die  orientalische  geschichte  des  mittelalters.  Die  ausdauer, 
Vielseitigkeit  imd  klarheit,  mit  der  er  solche  aufgaben  zu  lösen  vei'stand,  zeigte  er 
auch  hier.  Leider  ist  er  nicht  zum  abschluss  des  Werkes  gekommen.  Die  erste 
abteilang  der  in  den  Abhandlungen  der  sächsischen  geselschaft  erschienenen  endgül- 
tigen, zusammenfassenden  gestalt  desselben,  eine  neubearbeitung  von  4  in  den  jähren 
1874/75  erschienenen  univemtätsprogrammen,  folgte  im  jähre  1879  der  schon  3  jähre 
früher  erschienenen  zweiten  abteilung;  die  verheissenen  beiden  schlusskapitel  blieben 
aus.  In  der  Titurelstudie,  welche  die  auf  den  graltempel  bezüglichen  stücke  umfasst, 
zeigt  er  wider,  wie  ausgiebig  er  die  realien  mittelhochdeutscher  dichtung  zu  behan- 
deln wüste.  Die  handschriftenfrage  ist  wol  durch  die  vorsichtig  abwägende  erörterung 
der  schwierigen  Verhältnisse  nicht  endgültig  erledigt  Jedesfals  hat  er,  wie  er  es 
beabsichtigte,  durch  sie  eine  sehr  wichtige  Vorarbeit  für  die  dringend  zu  wünschende 
kritische  ausgäbe  des  gedichtes  geliefert 

Für  das  nächste  Jahrzehnt  wurde  seine  forschung  mehr  als  je  durch  die  neuere 
litteratur  angezogen,  um  sowol  ihre  niederungen  wie  ihren  gipfel  zu  streifen:  Chri- 
stian Reuter  und  Ooethe  bildeten  den  mittelpunkt  seiner  Studien.  Auf  jenen  bis 
dahin  so  gut  wie  unbekanten  poeten  eines  unerfreulichen  Zeitalters  wurde  Zamckes 
aufmerksamkeit  gelenkt,  als  ihm  der  buchhändler  dr.  A.  Kirchhoff  mitteilungen  über 
Leipziger  städtische  akten  machte,   durch  die  Reuter  als  Verfasser  des  Schelmufisky 


FBIXDBICH   ZABNCKE  81 

erwiesen  and  über  sein  leben. und  Schriftstellern  überhaupt  ein  ungeahntes  licht  ver- 
breitet wurde.  Durch  weiteres  nachforschen  in  archiven,  kirchenbüchem «  standes- 
amtslisten,  durch  briefliche  anfragen  bei  bibliotheken  und  bei  personen,  von  denen 
nur  irgend  auskunft  zu  erwarten  war,  brachte  er  dann  das  material  zusammen,  aus 
dem  er  ein  lebhaft  anschauliches  bild  des  dichters  und  seiner  Umgebung  entwerfen 
konte,  eine  litterarisch -kulturgeschichtliche  Charakteristik,  wie  er  sie  seit  seinem 
Sebastian  Brant  nicht  geliefert  hatte.  Und  wer  dann  das  erscheinen  seiner  weiteren 
einzelpublikationen  über  Reuter  und  die  litterarhistorische  Stellung  seiner  dichtung 
verfolgte,  wird  mit  lebhaftem  Interesse  gesehen  haben,  wie  sich  jenes  bild  mehr  und 
mehr  veiTolständigte  und  abrundete.  Des  Verfassers  spürfreude,  die  vielseitige  betrieb- 
samkeit,  die  er  bei  dergleichen  aufgaben  entwickelte,  sein  unverdrossenes  streben, 
den  gegenständ  bis  in  alle  Verästelungen  hinein  zu  verfolgen  —  kurz  Zarockes  ganze 
arbeitsweise  tritt  hier  besonders  charakteristisch  und  anteilheischend  hervor. 

An  der  spitze  der  Goethe -aufs  ätze  steht  eine  gratulationsschrifk  an  Karl 
Hase,  der  durch  die  Verheiratung  seines  sohnes  mit  Zamckes  ältester  tochter  diesem 
verwantschaftlich  verbunden  war  und  den  Zamcke  schon  Mher  (1873)  durch  eine 
kleine  litterarische  gäbe  geehrt  hatte.  Diesmal  war  es  eine  scharfsinnige  studio  über 
den  Elpenor,  welche  im  zusammenhange  mit  dem  anlass  und  der  quelle  des  dra- 
mas  den  geplanten  verlauf  desselben  über  das  erhaltene  'bruchstück  hinaus  zu  recon- 
struieren  suchte.  Ein  anderes  antikisierendes  fragment,  nach  Zamcke  zur  Befreiung 
des  Prometheus  gehörig,  gab  ihm  später  (1888),  so  klein  es  ist,  doch  gelegenheit 
sein  gesohick  im  entziffern  schwer  lesbarer  niederschrieen  wie  in  ihi'er  umsichtigen 
und  scharfsinnigen  erläuterung  zu  bewähren,  eine  kunst,  die  er  in  reichem  masse 
schon  in  der  festgabe  gezeigt  hatte,  mit  welcher  er  im  jähre  1884  die  Dessauer  phi- 
lologenyersamlung  beschenkte,  nämlich  in  der  ausgäbe  und  erklärung  des  im  übelsten 
zustande  überlieferten  notizbuches  Goethes  von  der  schlesischen  reise  des  Jahres 
1790.  Seine  eingehende  beschäftigung  mit  der  Faustsage  hatte  schon  im  jähre  1874 
die  bibliographie  des  Faustbuches  in  Braunes  neudruck  eingetragen;  ihr  folgten  im 
jähre  1884  ein  aufsatz  über  Joh.  Spiess,  im  jähre  1888  wichtige  ergänzungen.  Zarn- 
ckee  umfönglichste  und  verdienstvolste  Goethe -publication  aber  war  das  erzeugnis  einer 
langjährigen,  aus  inniger  Goetheverehi'ung  fliessenden  liebhaberei.  Eine  mit  der  rich- 
tuug  seiner  Studien  auf  litterarhistorische  quellenkunde  eng  zusammenhängende  und 
ihr  dienstbar  gemachte  sammellust  mag,  wie  schon  oben  angedeutet  wurde,  bereits 
durch  die  tätigkeit  in  Meusebachs  bibliothek  angeregt  sein.  So  legte  er  es  denn 
darauf  an,  einzelne  teile  seiner  eigenen  schönen  büchersamlung  nach  und  nach  ganz 
besonders  zu  vervolständigen;  abgesehen  von  Christian  Beuter  wurden  Lessing  und 
Goethe,  vor  allem  die  Faustlitteratur,  reichlich  und  sorgfältig  bedacht;  so  manche 
dahin  gehörige  Seltenheit  wurde  erworben,  manche  bibliogi'aphische  entdeckung 
gemacht  Den  glanzpunkt  aber  bildete  eine  auf  die  vemnigung  der  reproduktionen 
sämtlicher  Goethe-bildnisse  gerichtete  samlung.  Hier  sezte  er  wider  seine  unver- 
gleichliche ausdauer,  rührigkeit  und  Sorgfalt  ein,  um  nach  und  nach  tausende  von 
nachbildungen  zusammenzubringen,  unter  denen  viele  nur  für  ihn  hergestelt  wurden 
und  sonst  nicht  vorkommen.  Wie  überaU,  so  verband  sich  aber  auch  hier  für  ihn 
selbstverständlich  mit  der  mühsamen  samlung  auch  die  eingehendste  wissenschaftliche 
Untersuchung  und  Sichtung.  Ihr  entstamt  ausser  einer  i-eihe  von  einzelaufsätzen  das 
mit  gewohnter  hingäbe  und  akribie  ausgeführte,  grundlegende  Verzeichnis  der 
originalaufnahmen  von  Goethes  bildnis,  mit  seinen  weitvollen  illusti*ativcn 
t)eigaben;  ein  wichtiger  und  verdienstlicher  beitrag  zur  Goethebiographie. 

ZJEETSOJUUIFT  F.   DSUT8GHB  PHnX)L0GU.     BD.  XZV.  6 


82  VOGT 

In  den  beiden  lezten  jähren  seines  lebens  nahm  heimatliches  interesse  seine 
feder  Yonviegend  in  anspruch.  Ein  kapitel  aus  der  Universitätsgeschichte  seiner  zwei- 
ten heimat,  Leipzig,  der  um  die  mitte  des  15.  Jahrhunderts  geführte  merkwürdige 
process  des  Studiosus  Nikolaus  Winter,  hatte  schon  vor  langen  jähren  bei  der 
amtlichen  beschäftigung  mit  den  Universitätsakten  seine  aufmerksamkeit  auf  sich  gezo- 
gen. Wie  es  ihm  stets  widerstrebte,  in  den  dingen,  mit  denen  er  sich  zu  beschäf- 
tigen hatte,  irgend  etwas  unklares  und  verworrenes  bei  seite  zu  lassen,  so  hatte  er 
auch  in  diesem  falle  keine  mühe  gescheut,  in  die  schwierige  und  verwickelte  ange- 
legenheit  licht  zu  bringen.  Jezt  mochte  die  beschäftigung  mit  Christian  Beuters  pro- 
zessen  die  Sache  des  Nikolaus  Winter  wider  in  erinnerung  bringen,  der  mit  Beuter 
das  Schicksal  der  relegation  von  der  Universität  Leipzig  teilte.  Dem  gegenständ  fehlte 
diesmal  das  litterarhistorische  interesse,  ja  er  war  an  sich  so  unbedeutend  wie  mög- 
lich. Aber  er  eröfnete  unter  Zamckes  behandlung  einen  ausblick  auf  bedeutende 
rechtsgeschichtliche  Verhältnisse,  und  so  lieferte  der  Verfasser  widerum  den  beweis, 
wie  er  auch  an  sich  geringwertige  dinge  durch  eindringende,  nach  allen  selten  aus- 
gi-eifende  erörterung  wissenschaftlich  fruchtbar  zu  machen  verstand.  —  In  die  mecklen- 
burgische Jugendheimat  führte  ihn  sein  leztes  werk  zurück,  die  nur  für  die  familie 
geschriebenen  und  gedruckten  Erinnerungen  an  den  vater  und  grossvater. 
Giaiakteristisoh  genug  hat  6r  selbst  hier  seine  darstellung  auf  die  gewissenhaftesten 
und  umständlichsten  urkundlichen  forschungen  gegründet,  hat  ihr  selbst  hier  den 
grösseren  kulturgeschichtlichen  hintergrund  gegeben.  Aber  nur  in  diesem  falle  konte 
sich  mit  der  wissenschaftlichen  gründlichkeit  die  der  persönlichen  anschauung  ent- 
stamte  lebenswarme  Schilderung  geliebter  peisonen  und  Umgebungen  verbinden.  Ein 
woltuender  hauch  kindlicher  pietät  ruht  über  dem  buche;  und  trotz  der  alzu  beschei- 
denen Zurückhaltung,  die  der  Verfasser  über  die  eigene  person  beobachtet,  hat  er  in 
ihm  seinem  edlen  herzen  das  schönste  denkmal  gesezi 

Es  ist,  als  hätte  er  eine  ahnung  davon  gehabt,  dass  seinem  leben  ein  ziel 
gesezt  sei,  da  er  jezt  den  blick  zu  dessen  anfangen  zurückwante.  Und  doch  blieb 
ihm  körperliche  rüstigkeit  und  arbeits&ische  bis  zulezt  gewahrt.  Plötzlich  übeifiel 
ihn  am  17.  September  ein  unterleibsleiden,  welches,  bald  von  heftigen  fieberanfäUen 
begleitet,  trotz  der  liebevollen  pflege  seiner  kinder  den  bedrohlichsten  Charakter 
annahm.  Ein  innerer  entzündlicher  durohbruch  von  gallensteinen  hatte,  wie  sich 
später  herausstelte,  eine  eitervergiftung  des  blutes  zur  folge  gehabt  Und  doch 
schien  seine  kräftige  natur  dem  übel  noch  widerstand  leisten  zu  wollen.  Es  war 
eine  zeit  banger  Spannung  für  die  ganze  Universität.  Denn  keines  ihrer  mitglieder 
war  wol  enger  mit  ihr  verwaclisen  als  Zamcke.  Fast  40  jähre  hinduixih  hatte  er  ihi* 
seine  beste  kraft  gewidmet:  dreimal  war  er  —  ein  in  neuerer  zeit  unerhörter  fall  — 
durch  das  vertrauen  seiner  koUegen  als  rector  an  ihre  spitze  gestelt  gewesen',  hier 
und  in  andern  ehrenämtem  hatte  er  eine  seltene  umsieht  und  gewantheit  bewährt; 
die  philologisch -historische  klasse  der  sächsischen  geselsohaft  der  Wissenschaften,  der 
er  lange  als  eines  ihrer  eifrigsten  mitglieder  angehörte,  leitete  er  seit  1888  als  ver- 
sitzender; als  director  actorum  der  philosophischen  fakultät  hatte  er  sich  wie  kein 
anderer  in  die  geschichte  der  Universität  eingelebt;  er  war  ein  lebendiger  träger  ihrer 
traditionen  und  er  sparte  nicht  sein  wissen  für  eigennützige  zwecke;  er  war  ein 
allezeit  hülfbereiter  berater,  und  gerade  die  jüngeren  koUegen  fimden  in  dem  von 
amts-  und  altersstolz  zeitlebens  unberührten  manne  stets  das  freundlichste  entgegen- 
kommen.    So  hörte  man  denn  wol  die  äusserung,   dass  man  sich  die  Universität 

1)  1869/70.  1870/71.  1881/82. 


fbhobioh  zabnoke  83 

ohne  Zamcke  gar  nicht  vorstellen  könne;  und  als  dann  endlich  doch  das  schmerz- 
liche ereignis  eintrat,  da  wnrde  algemein  anfHchtige  trauer  und  herzliche  teilnähme 
laut  Am  schönsten  haben  Georg  Rietschel  und  Wilhelm  Wundt  an  seinem  sarge 
mit  einer  lebendigen  Charakteristik  des  verstorbenen  öffentlich  Zeugnis  abgelegt  für 
die  seltene  liebe  und  Verehrung,  deren  er  sich,  wie  in  der  familie,  so  auch  unter 
den  freunden  und  unter  den  amtsgenoesen  erfreut  hattet 

Und  einen  nicht  minder  herben  verlust  als  seine  kollegen  betrauerten  in  sei- 
nem hingang  seine  sohüler,  die  ehemaligen  sowol  wie  die  gegenwärtigen.  Hatten 
doch  auch  jene  noch  lange  nach  ihrer  Studienzeit  wenigstens  im  brieflichen  gedan- 
kenaustausch  seinen  rat,  seine  hülfe,  sein  liebevoUes  interesse,  kurz  die  ti*eue  fort- 
fühmng  jenes  freundschaftlich  teilnehmenden  und  fördernden  Verhältnisses  erfahren, 
in  welches  er  einst  auf  der  Universität  zu  ihnen  getreten  war.  Jener  oben  geschil- 
derten art  seines  akademischen  wirkens  entsprechend  fühlten  sie  sich  mehr  persönlich 
als  durch  die  besondere  richtung  ihrer  Studien  an  ihn  gebunden.  Nicht  wenigen 
unter  ihnen  blieb  Zamckes  eigentliches  arbeitsgebiet,  das  litterarhistorische,  am  fern- 
sten, während  sie  ihre  kraft  gerade  auf  das  von  ihm  kaum  bebaute  sprachwissen- 
schaftliche concentrierten.  Und  doch  würde  man  Zarnckes  bedeutung  in  der  geschichte 
der  germanistischen  Wissenschaft  unterschätzen,  wolte  man  nicht  zugestehen,  dass 
die  wissenschaftliche  denkweise  seiner  schüler  durch  ihn  wesentlich  mitbeeinflusst  ist. 

Ich  wüste  die  seinige  nicht  besser  zu  charakterisieren  als  durch  das  urteil, 
welches  er  mir  einmal  über  einen  von  mir  sehr  geschäzten  germanisten  schrieb:  „er 
ist  ja  ein  feiner  köpf,  aber  er  gehört  ganz  der  schule,  die  den  Scharfsinn  höher  stelt 
als  das  gefuhl  für  Wahrscheinlichkeit  und  glaublichkeit '^.  Er  hielt  es  für  durchaus 
notwendig,  dass  wissenschaftliche  aufstellungen  niemals  den  engen  Zusammenhang 
mit  den  objektiven,  jedermann  wahrnehmbaren  tatsaohen  verlieren.  Diese  zu  ver- 
mehren und  .zu  sichten  galt  ihm  für  forderlicher,  als  der  noch  so  kunstvolle  und 
scharfsinnige  aufbau  von  hypothesen,  die  seines  eraohtens  nicht  auf  ausreichender 
sachlicher  grundlage,  sondern  auf  einem  aufbauschen  an  sich  dürftiger,  auf  ein- 
seitiger auslegung  an  sich  vieldeutiger  tatsachen  ruhten,  oder  die  auch  mehr  von 
geschmacksurteilen  als  von  beweisen  abhiengen.  Wurde  nun  vollends  solchen  auf- 
stellungen durch  die  zuversichtlichkeit  der  behauptungen  und  durch  das  vorwQg- 
vordammen  alles  Widerspruches  der  schein  einer  Sicherheit  gegeben,  von  der  sie 
tatsächlich  weit  entfernt  waren,  und  wurden  sie  in  einem  bestimten  kreise  als  fest- 
stehende dogmen  behandelt,  deren  Wahrheit  nur  von  unteigeordneten  geistern  nicht 
recht  erfasst  zu  werden  vermöge,  so  sah  er  hier  ein  verderbliches  und  hassens- 
würdiges  treiben,  dem  er  mit  dem  ganzen  zom,  dessen  sein  erregbares  herz  fähig 
war,  entgegentrat  Jener  seiner  grundanschauung  entsprechend  betätigte  sich  sein 
eigener  scharfisinn  nicht  zum  kleinsten  teile  in  dem  aufspüren  und  fruchtbarmachen 
bisher  ungenüzten  wissenschaftlichen  materials;  und  es  liegt  in  der  natur  der  sache, 
dass  ihn  dieser  sein  entdeckungstrieb  besonders  auf  entlegenere  gebiete  führte.  Aber 
niemals  fand  er  im  blossen  stofsammeln  genüge.  Gerade  das  sichten  und  klären 
besonders  verworrener  und  weitläufiger  Verhältnisse  war  sein  eigentliches  dement 
Hier  entwickelte  er  seine  ganze  bewunderungswürdige  ausdauer,  mochte  es  den  hei- 
ligen gral  oder  den  rock  des  Nikolaus  Winter  gelten.  Die  anschauung,  die  sein 
lehrer  Haupt  einmal  aussprach,   dass  der  philologe  so  gut  wie  der  botaniker  auch 

1)  Zur  erinnernng  an  den  heimgang  von  dr.  Friedrich  Zamcke  (Leipzig,  Breitkopf 
mid  HIrtol,  1891)  i.  7  tg,  14  tjg.  Kurze,  trefliche  werte  im  namen  der  schüler  sprach  Sieyers  (ebenda 
s.  18  %.). 

6* 


84  VOGT 

das  Unkraut  zu  berücksichtigen  habe,  machte  sich  auch  bei  ihm  geltend.  Dass  er 
seine  ausserordentliche  arbeitskraft  nicht  mehr  auf  höhere  und  grössere  aufgaben  con- 
oentriert  hat,  ist  bei  alledem  gewiss  zu  bedauern.  Schliesslich  rächte  sich  doch  auch 
die  an  sich  heilsame  abneigung  gegen  den  wissenschaftlichen  subjectivismus,  indem 
sie  ihn  zu  einer  übergrossen  Zurückhaltung  gegen  eine  im  grosseren  stile  konstruktive 
wissenschaftliche  tätigkeit  überhaupt  und  in  weiterem  zusammenhange  damit  auch  zu 
einer  unterechätzung  der  besonders  auf  diesem  gebiete  liegenden  Verdienste  Müllen- 
hoffs  und  Scherers  führte. 

Auch  in  anderer  beziehung  wirkte  auf  ihn  sein  wissenschaftliches  prinzip  zu- 
gleich fördernd  und  beschrankend.  Den  festen  boden,  welchen  er  immer  unter  den 
füssen  haben  weite,  fand  er  nur  in  den  schriftlichen  quellen.  Oegen  alles,  was 
ganz  oder  zum  guten  teile  aus  mündlicher  Überlieferung  fioss,  war  er  von  einem 
gewissen  mistrauen  nicht  frei.  So  blieb  das  eigentlich  volkstümliche,  mythus  und 
mündliche  sage,  sitte,  brauch  und  mundart  seinem  Studienkreise  fem.  Auch  darin 
berührte  er  sich  mit  Haupt  Aber  anläge  und  neigung  führten  ihn  nicht  wie  diesen 
auf  die  textkritik.  Ihn  zog  vor  allem  das  verfolgen  weitreichender  litterarhistorischer 
zusammenhänge  an,  wie  er  sie  in  den  mittelalterlichen  sagenstoffen  fand;  nur  muss- 
ten  diese  beziehungen  sich  quellenmfissig  nachweisen  lassen.  So  reizte  es  ihn  beson- 
ders, wo  man  volksmässige  traditionen  mythischer  oder  sagenhafter  art  annahm,  an 
deren  stelle  schriftliche  oder  gelehrte  Überlieferung  nachzuweisen.  Das  gelang  ihm 
zweifellos  bei  der  Trojasage;  ebenso  beim  Muspilli  und  bei  der  tiersage,  über  die  er 
in  seiner  litterarhistorischen  Vorlesung,  längst  ehe  MüUenhofiGs  aufsatz  erschien,  diesem 
im  wesentlichen  entsprechende  anschauungen  detailliert  vortrug.  Auch  die  Nibelun- 
gensage, die  Oralsage  und  die  Faustsage  wurden  in  den  bezüglichen  collegien  aus- 
führlich erörtert,  und  immer  suchte  er  so  viel  wie  möglich  der  schriftlichen  tradition 
zu  ihrem  rechte  zu  verhelfen.  Auf  die  Überlieferungen  vom  priester  Johannes  wurde 
er  natürlich  widerum  durch  das  besondere  interesse  an  den  litterarischen  sagen 
geführt. 

Der  einfluss  der  grundanschauungen  Zamckes  auf  seine  schüler  ist  wol  nicht 
zu  verkennen,  wenn  diese  sich  zum  guten  teile  möglichst  an  das  zweifellos  wahr- 
nehmbare, greifbare  zu  halten  suchen.  Dieser  umstand  mag  wenigstens  mitwirken, 
wenn  nicht  wenige  von  ihnen  exacte  sprachliche  Untersuchungen  vor  allem  bevor- 
zugen, und  wenn  andere  bei  der  kritischen  behandlung  der  texte  sich  weit  enger, 
als  es  bisher  geschehen  war,  an  die  handschriftliche  Überlieferung  anschliessen, 
gegen  conjekturalkritik  aber  und  gegen  das  auflösen  eines  überlieferten  textes  in  angeb- 
lich einst  verschiedene  demente  sich  mistrauisch  verhalten.  Es  scheint,  dass  diese 
konservativere  richtung  und  die  Überzeugung,  dass  man  die  Sicherheit  der  bisher 
geübten  kritischen  methode  überschäzt  habe,  sich  in  weiteren  kreisen  bahn  bricht, 
was  voraussichtlich  manche  weitere  Umgestaltung  in  unserer  Wissenschaft  zur  folge 
haben  wird.  Freilich  machen  sich  auch  schon  ausschreitungen  genug  bemerklich, 
und  die  tatsache,  dass  ein  jeder  zunächst  von  den  altmeistem  der  kritik  ausserordent- 
lich viel  lernen  muss,  ehe  er  es  versuchen  darf  sie  zu  berichtigen,  wird  noch  nicht 
überall  genügend  gewürdigt.  —  Auf  denjenigen  gebieten,  welche  Zamcke  femer  lagen, 
zeigt  sich  auch  bei  seinen  schülem  der  einfluss  MüllenhofiiB  und  Scherers. 

Dem  persönlichen  Verhältnis  zwischen  ihm  und  seinen  schülem  tat  eine  Ver- 
schiedenheit dieser  oder  jener  wissenschaftlichen  meinung  keinen  einti'ag.  Wer  sei- 
nen beistand  brauchte,  fand  ihn  allezeit  auf  dem  platze;  wo  er  nichts  zu  helfen  hatte, 
zog  er  sich  leicht  zurück. 


FBIBDBICH  ZABNCEE  85 

Der  einband  des  lezten  buches,  welches  er  geschrieben  hat,  ist  mit  einem 
omblem  geziert:  ein  mächtiger  eichbaum  überschattet  einen  bienenkorb,  um  den  der 
schwärm  sich  tummelt;  darunter  steht  der  wahrspruoh  ,, tätig  und  treu^.  Er  hat 
ihn  gehalten  bis  zum  tode. 

CHRONOLOOISCHES  VERZEICHNIS  VON  ZARNCKBS  SCHBIFTEN. 

1850—91. 
Reoensionen  im  litterarisohen  centralblatt. 

1850. 
Die  Meusebachsche  bibliothek. 

Deutsche  zeitung  1850  nr.  40  2.  beilage  und  Naumanns  Serapeum  jahrg.  XI 

s.  89— 96.    109—112. 

1851. 

Ein  Spruch  und  ein  rätsei  von  Hans  Folz.    Zs.  f.  d.  alt.  8,  537 — 42. 

1852. 
Der  deutsche  Gato.    Geschichte  der  deutschen  Übersetzungen  der  im  mittelalter  unter 
dem  namen  Gate  bekanten   distichen   bis   zur  Verdrängung  derselben  durch  die 
Übersetzungen  Seb.  Brants  am  ende  des  15.  jahrh.  von  dr.  Fr.  Zarncke.    Leip- 
zig (Gecrg  Wigand)  1852.    VI,  198  s.    8. 

1853. 
Hans  Vindlers  Blume  der  tugend.    Zs.  f.  d.  a.  IX,  68 — 119. 
Über  die  Quaestiones  quodlibetioae.    Ebenda  s.  119  —  126. 
Zur  frage  nach  dem  Verfasser  des  Reineke.    Ebenda  s.  374 — 88. 
Zum  pfaffen  Amis.    Ebenda  s.  399—400. 

1854. 
Sebastian  Brants  narrenschiff  herausgegeben  von  Friedrich  Zarncke.    Mit  4  holz- 

schnitten.    Leipzig  (Georg  Wigand)  1854.    CXLII,  495  s.    4. 
Zur  Nibelungenfrage.    Ein  Vortrag  gehalten  in  der  aula  der  Universität  Leipzig  am 
28.  juli  von  Friedrich  Zarncke.    Nebst  zwei  anhängen  und  einer  tabelle.  Leip- 
zig (S.  Hirzel)  1854.    42  s.    8. 

1856. 

Beitrage  zur  erklärung  und  geschichte  des  Nibelungenliedes. 

Berichte  über  die  Verhandlungen  der  königi.  sächs.  geselschaft  der  Wissenschaf- 
ten zu  Leipzig.    Philol.  histor.  Uasse.    Band  8  s.  153 — 266. 
Das  Nibelungenlied  herausgegeben  von  Friedrich  Zarncke.    Leipzig  (G.  Wigand) 
1856.    LXXX,  444  s.   16.  —  2.  auf.  1865.  —  3.  aufl.  1868.  —  4.  aufl.  1871.  — 
5.  aufl.  1875.  —  6.  aufl.  (12.  abdruck  des  textes)  1887. 
Kaspar  von  der  Roen.    Germania  1,  53  —  63. 
Zum  Nibelungenlied.    Ebenda  s.  202—7. 

1857. 
Die  urkundlichen  quellen  zur  geschichte  der  Universität  Leipzig  in  den  ersten  150  jäh- 
ren ihres  bestehens. 

Abhandlungen  der  philol.  histor.  klasse  der  königi.  sächs.  geselschaft  der  wis- 
sensohaftan.    Bd.  2,  509—922  und  2  tafeln. 
Die  dei^tschen  Universitäten  im  mittelalter.    Beiträge  zur  geschichte  und  Charakteri- 
stik  derselben,   mitgeteilt  von   Friedrich   Zarncke.     Erster  beitrag.     Leipzig 
(T.  0.  Weigel)  1857.  X,  266  s.   8. 


86  VOGT 

18&9. 

Acta  rectoram  universitatis  studii  lipsieDsis  inde  ab  anno  MDXXIIU  usque  ad  annuiu 
MDLVnn  auotoritate  et  auspioiis  Joannis  Pauli  de  Falkenstein  a  potentifisimo 
Saxoniae  rege  rebus  ecolesiasticis  et  institutioni  publicae  administrandis  praefecti 
edidit  Fridericus  Zarncke.  Anno  post  conditum  Lipsiae  Studium  generale 
CCCCL  post  Christum  natum  MDCCCLVIIII  typis  et  impoDsis  Bemhardi  Tauch- 
nitz.    Xn,  526  s.  und  2  tafehi.    fol. 

Zum  Nibelungenliede.    Germania  4,  421  —  39. 

1861. 
Die  Statutenbücher  der  univei-sitfit  Leipzig  aus  den  ersten  150  jähren  ihres  bestehens 
im  namen  der  philoL-histor.  klasse  der  k.  sächs.  geseischaft  der  Wissenschaften 
herausgegeben  von  Friedrich  Zarncke.   Leipzig (Hirzel)  1861.  XII,  625  s.  gr.8. 

1863. 
Mittelhochdeutsches  wöi-terbuch.     Mit  benutzung  des  nachlasses  von  G.  F.  Benecke 
ausgearbeitet  von  W.  Müller  und  F.  Zarncke.    2.  band  l.abteilung  M — R.    Bear- 
beitet von  Friedrich  Zarncke.    Leipzig  (S.  Hirzel)  1863.    VI,  825  s.    8. 
Beiträge  zur  mittellateinischen  Spruchpoesie:  2  gereimte  Übertragungen  der  sog.  Disticlia 
Catonis,  über  den  Facetus,  ein  Supplementum  Catonis. 

Berichte  über  die  verhandl.  der  k.  sächs.  geselsch.  usw.  bd.  15,  23 — 78. 
Über  die  neuaufgefundenen  ältesten  Statutenbücher  der  juristischen  fakultät  der  Uni- 
versität Leipzig.    Ebenda  s.  79  —  92. 
Bede  zum  gedächtnis  von  Jacob  Grimm  und  zur  eröfnung  der  germanistischen  section. 
Verhandlungen  der  22.  versamlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  in 
Meissen.    Leipzig  1864.    4.    S.  62—66. 

Jacob  Grimm.  l^^^- 

Die  Wissenschaften  im  19.  Jahrhundert £ine  rundschau  für  das  gebildete 

Publikum.    Band  9  heft  1.    Sondershausen  1864. 

1865. 
Der  hundertjährigen  widerkehr  des  tages,  an  welchem  Wolfg.  Goetlie  am  19.  Oktober 
1765  in  die  zahl  ihrer  studii'enden  aufgenommen  ward,  widmet  die  univeraität 
Leipzig  die  nachfolgende  abhandlung  ihres  mitgliedes  dr.  Friedrich  Zarncke. 
Über  den  fünffüssigen  Jambus  mit  besonderer  rücksicht  auf  seine  behandlung  durch 
Lessing,  Schiller  und  Goethe.  Leipzig,  druck  von  A.  Edelmann.  [1.  abteilung.] 
VI,  93  8.  4. 
Weitere  beitrage  zur  mittellateinischen  spruchpoesie.  I.  Eine  dritte  gereimte  bear- 
beitung  der  s.  g.  Disticha  Catonis  s.  Cato  interpolatus. 

Berichte  über  die  Verhandlungen  der  königl.  sächs.  geselsch.  usw.  17,  54—103. 
Über  die  praefatio  ad  librum  antiquum  lingua  Saxonica  oonscriptum  und  die  versus 
de  poeta  etc.    Ebenda  s.  104—112. 

1866. 
Über  das  althochdeutsche  gedieht  vom  Muspilli. 

Berichte  über  die  Verhandlungen  usw.  18,  191  —  228. 
Über  die  sogenante  Trojanersage  der  Franken.    Ebenda  18,  257—85. 

1868. 
Zur  voi^eschichte  des  narrenschifs.    Naumanns  serapeum  29,  s.  29  —  54. 
Zum  Nibelungenliede.    Germania  13,  445—67. 


FBIBDBICH  ZARNOKE  87 

1870. 

Eino  vierte  umarbeitoDg  der  sogenanten  Disiicha  Catonis. 

Berichte  über  die  Verhandlungen  usw.  bd.  22,  181  — 192. 
Miscellaneen  germanistischen  inhaltes:    1.  Zum  zweiten  Helgiüede.     2.  Zorn  Hilde- 

brandsliede.    3.  Metram  alemanninm.    4.  Zu  Wolframs  Parzival.    5.  Zu  Wolframs 

leben.    6.  Friedrich  der  grosse  und  das  Nibelungenlied.    7.  Easpai*  von  der  Bhön. 

8.  Zur  geschichte   des  fünffüssigen  Jambus.     9.   Des  Paulus  Aemilius  Bomanus 

Übersetzung  der  bücher  Samuelis.    Ebenda  s.  193—226. 

1871. 

Zwei  mittelalterliche  abhandlungen  über  den  bau  rhythmischer  verse. 

Berichte  über  die  Verhandlungen  usw.  23,  34 — 96. 

Rede  bei  der  Übergabe  des  rektorates. 

Beden  gehalten  in  der  aula  der  Universität  Leipzig  beim  rectoratswech»el  am 

31.  Oktober  1871.    Leipzig,  druck  von  Edelmann.    4.    S.  1 — 23. 

Zur  Vorgeschichte  des  narrenschifs.    2.  mitteilung.    Leipzig  (T.  0.  Weigel)  1871.  8  s. 

gr.  8. 

1873. 

Fides.  Constantia.  Robur.    Die  drei  freunde  von  der  rasenbank  und  das  denunciations- 

protokoU.    Ein  beitrag  zu  den  idealen  und  iitümem.    Henn  geheimen  kirchem*at 

dr.  Th.  Carl  Hase  am  4.  juni  1873  mit  freudigen  glüokwünschen  überreicht  von 

einem  Freundschaftlich  Zugethanen.  [Druck  von  Drugulin  in  Leipzig.    In  25  ezem- 

plaren  abgezogen.]    30  s.   8. 

1874. 

Über  den  althochdeutschen  gesang  vom  heiligen  Georg. 

Berichte  der  k.  sachs.  gesehchaft  usw.  bd.  26,  1—40. 

Ex  ordinis  philosophorum  mandato  renuntiantur  philosophiae  doctores. . . .  MDCCCLXXIIl» 
— MDCCOLXXIV  creati.    Praemissa  est  Friderici  Zarncke  h.  t.  decani  com- 
mentatio  ,de  epistola  quae  sub  nomine  presbyteri  Johannis  fertur*^  patrio  sermone 
oonscripta.    lipsiae,  typis  A.  Edelmanni.    66  s.    4. 

1875. 
Memoriam  Frid.  Aug.  Guil.  Spohnii  die  XX.  mens.  jan.  anni  MDCCCLXXY  . . .  oele- 

brandam  indicit  Frid.  Zarncke  h.  t.  decanus.    Praemissa  est  Friderici  Zarncke 

commentatio  „de  patriarcha  Johanne  quasi  praecursore  presbyteri  Johannis*^  patrio 

sermone  scripta.    Lipsiae,  typis  A.  Edelmanni.    18  s.    4. 
Memoriam  Joh.  Aug.  Emestii  die  XX.  mens.  Jan.  anni  MDCCCLXXY  . . .  celebran- 

dam  indicit  Frid.  Zarncke  . . .    Praemissa  est  Friederici  Zarncke  commentatio  „  de 

epistola  Alexandri  papae  IQ  ad  presbyterum  Johannem^  patrio  sermone  scripta. 

Lipsiae,  typis  A.  Edelmanni.    21  s.    4. 
Memoriam  Car.  Frid.  Eregelü  de  Stembach  die  XVII.  mens.  Julii  anni  MDCCCLXXY 

...  celebrandam  indicit  Frid.  Zarncke  ...     Praemissa   est  Friderici  Zarncke 

commentatio  „de  rege  David  filio  Israel  filü  Johannis  presbyteri*^  patrio  sermone 

scripta.    Lipsiae,  typis  A.  Edelmanni.    23  s.    4. 
Ex  ordinis  philosophorum  mandato  renuntiantur  philosophiao  doctores . . .  aMDCCCLXXIY 

— MDCCCLXXY  creati.    Praemissa  est  Friderici  Zarncke  commentatio  patrio 

sermone  conscripta,   in  qua,   quis  fuerit  qui  primus  presbyter  Johannes  vocatus 

ait,  quaeritur.    Lipsiae,  typis  A.  Edelmanni.    35  s.    4. 
Über  Olivers  historia  Damiatina  und  das  sog.  3.  buch  der  historia  Orientalis  des  Jacob 

von  Yitry.    Berichte  der  k.  Sachs,  geselsch.  usw.  bd.  27,  138—148. 


88  VOGT 

Eine  zweite  redaktion  der  Georgslegende  ans  dem  9.  Jahrhundert. 
Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  usw.  bd.  27,  s.  256—277. 

Das  Nibelungenlied.    Ausgabe  für  sohulen  mit  einleitung  und  glossar.     5.  (6.)  abdruok 

des  textes.     Leipzig  (G.  Wigand)   1875.  —   2.  aufl.  1876.  —   3.  aufl.  1879.  — 

4.  aufl.  1881.  —   5.  aufl.  (10.  abdr.  des  textes)  1884.  —   6.  aufl.  (11.  abdr.  des 

textes)  1887. 

1876. 

Kleinigkeiten:  1)  Zu  Walthers  elegie.    2)  Zu  den  gedichten  vom  herzog  Ernst 

Beiträge  zur  gesch.  der  deutsch,  spr.  u.  litt.  2,  574  —  585. 

Zur  geschichte  der  gralsage.    Ebenda  3,  304 — 334. 

Der  Graltempel.    Vorstudie  zu  einer  ausgäbe   des  jüngeren  Titui^l  von  Friedrich 

Zarncke. 

Abhandlungen  d.  phil.-hist.  kl.  d.  k.  sächs.  geselsch.  bd.  YU  nr.  5  s.  373  — 554. 

Der  priester  Johannes,   zweite  abhandlung,   enthaltend  kapitel  IV,  V  und  VI,   von 

Friedrich  Zarncke. 

Abhandlungen  der  phil.-hist.  klasse  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  VIII  nr.  1  s.  1 

—186.    (Vgl.  jähr  1879). 

Wolfenbüttler  bruchstück  des  jungem  Titui'el.    Germania  21,  431—434. 

1877. 
Über  das  fragment  eines  lateinischen  Alexanderliedes  in  Verona. 

Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  29,  s.  57  —  69. 
Über  eine  neue  lateinische  redaktion  des  briefes  des  priesters  Johannes. 

Ebenda  s.  111  — 156. 
Die  Heptaden  und  die  Heptadisten.    Pi'eussische  Jahrbücher  40,  475 — 486. 
Die  Berleburger  handschrift  des  Titurel  und  der  schluss  dieses  gedichtes. 

Germania  22,  1  —  16. 
Die  Tübinger  Titurelbruchstücke.    Ebenda  16  —  19. 
Zur  kritik  der  Goethebildnisse. 

Augsburger  alg.  zeitung  beil.  1877  nr.  173.  178.  188.    Hauptblatt  225. 

1878. 
Zur  kritik  der  Goethebildnisse.     Augsb.  alg.  zeitung  beil.  1878.    Nr.  278.  288. 
Zu  den  Heptaden.    Pi-eussische  Jahrbücher  bd.  41  s.  108  —  109. 
Zur  Waltherfi-age.    Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  30,  32—40. 
Zur  collation  der  handschrift  A  der  klage.    Ztschr.  f.  deutsch,  altert.  22,  316  —  319. 
Nachtrag  zu  seinem  vortrage  über  zwei  neue  lateinische  redaktionen  des  presbyter- 

briefes  (vgl.  1877,  s.  111  fg.).     Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  30,  41—46. 
[Bibliographie  der  Faustbücher,  unterzeichnet  F.  Z. 

Braunes  neudrucke  nr.  7  und  8.    8.  III— XIX.] 

1879. 
Der  priester  Johannes,  erste  abhandlung,  enthaltend  kapitel  I,  11  und  HI,  von  Frie- 
drich Zarncke. 

Abhandlungen  der  phil.-hisi  kl.  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  VII  nr.  VIU  s.  827 
- 1030.    (Vgl.  jähr  1876.) 
Zwei  Goethebüsten.    Augsb.  allg.  zeitung  beil.  1879  nr.  1(X). 

1880. 
Zu  Germania  24,  392  fg.    (Gegen  Nageies  versuch,  die  Bomfahrt  des  bischofs  Wolf- 
ger in  das  jähr  1199  zu  setzen).    Germania  25,  71  —  72. 


PRIEDBICU   ZARKCSE  89 

Zu  Walther  und  Wolfiuiu.    Beiträge  z.  gesch.  d.  dentscheu  spr.  u.  litt  7,  582—609. 

Zar  50jährigen  widerkehr  des  tages,  welcher  einst  K.  A.  Hase  der  Universität  Jena 
zuführte  zmn  15.  7.  80  widmet  innige  glück-  and  Segenswünsche  der  Freund- 
schaMich  Zagethane.  Leipzig,  drack  von  W.  Brugulin.  44  s.  kl.  fol.  Abgezo- 
gen in  50  bezifferten  ezemplaren  (über  Elpenor). 

Eine  verschollene  und  wider  gefundene  Goethe -Statuette  von  Rauch. 
Augsb.  alg.  Zeitung  beil.  1880  nr.  215. 

1881. 

Zu  den  Eügelgen'sohen  Goethebildnissen.    Augsb.  alg.  zeitung  1881  nr.  101. 

Karl  August  und  Goethe  von  Juel.    Ebenda  beilage  nr.  231. 

Über  geschiohte  und  einheit  der  philosophischen  facultät.   (Bede  gehalten  beim  antritt 

des  rectorats).    Leipzig  1881. 

1882. 

Theodor  Kömers  relegation  aus  Leipzig.    Nach  den  akten  L  II. 

Augsb.  allg.  zeitung  1882.    Beil.  nr.  249.  250. 

Zu  der  rhythmischen  version  der  legende  von  Plaoidas-Eustathius  (Zs.  23,  273  fgg.) 

Ztschr.  f.  deutsches  altert  26,  96  —  98. 

Reotoratswechsel  an  der  Universität  Leipzig  am  31.  Oktober  1882.  I  (s.  1  — 16).   Bede 

des  abtretenden  rectors  dr.  Friedrich  Zarncke.    Bericht  über  das  Studienjahr 

1881—82.    Leipzig,  druck  von  Edelmann.    4. 

1883. 
Zwei  neue,  von  herm  dr.  Milchsack  in  Wolfenbüttel  au^efundene  bruchstücke  einer 
handschrift  der  gedichte  Walthers  von  der  Yogelweide. 
Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  35,  145  — 158. 
Goethes  Jugendporträts.    Goethe -Jahrbuch  4,  141  — 154. 

Ein.st  und  jezt  Aus  dem  verfassungsieben  der  Universität  Leipzig.  Festrede  zur  feier 
des  geburtstages  sr.  msg.  des  königs  Albert  am  23.  april  1883  in  der  aula  der 
Universität  Leipzig  gehalten  von  dr.  Fr.  Zarncke,  d.  z.  prorector.  (S.  A.  aus 
der  wissenschaftlichen  beilage  der  Leipziger  zeitung  1883,  nr.  36). 

1884. 
Christian  Beuter,  der  Verfasser  des  Schelmuffeky.    Sein  leben  und  seine  werke.    Von 
Friedrich  Zarncke. 

AbhandL  der  phiL-hist.  klasse  d.  k.  sächs.  geselsch.  bd.  IX  nr.  Y  s.  455  —  661. 
Zu  Goethes  doctoi-dissertation.    Goethe -Jahrbuch  5,  345. 
Johann  Spiess,  der  herausgeber  des  Faustbuches,  und  sein  vorlag. 

Augsb.  alg.  zeitung  beil.  1884  nr.  246. 
Goethes  notizbuch  von  der  schlesischen  reise  im  jähre  1790.     Zur  begrüssung  der 
deutsch -romanischen  section  der  37.  versamlung  deutscher  philologen  und  Schul- 
männer in  Dessau  am  1.  Oktober  1884  herausgegeben  von  Friedrich  Zarncke. 
Leipzig,   druck  von  Breitkopf  und  Härtel.     In  100  ezemplaren  gedruckt.    32  s. 

und  1  tafeL  gr.  4. 

1885. 

Die  jagd  im  Nibelungenliede.    Beiträge  z.  gesch.  d.  d.  spr.  u.  litt.  10,  384  —  402. 

Althochdeutsche   paradigmata  von   F.  Z.     Sommersemester  1885.      Als   manuscript 

gedruckt  (von  Breitkopf  und  Härtel  in  Leipzig).    8  s.  gr.  8. 

Zu  den  Goethebildnissen.    I.  Zu  den  Eügelgenschen. 

Augsb.  alg.  zeitung  beil.  1885  nr.  263. 


90  VOGT,   FRISDRICU   ZAHNCKE 

Zu  den  Goethebildnisson.    IL  Das  Fraserporträt.    Ebenda  nr.  266.  267. 

Zu  den  Goethebildniasen.    m.  Die  portrats  des  Jahres  1779.    Ebenda  nr.  268. 

1886. 

Zum  niederdeutschen  hoohzeitsgedichte  ans  dem  jähre  1694. 

Korrespondenzbl.  d.  verems  f.  niederd.  Sprachforschung  11,  83. 
Zwei  neue  Ooethebildnisse  und  einiges  andere.    Augsb.  alg.  zeitg.  beil.  1886  m*.  13. 

1887. 

Christian  Reuter  redivivus.    Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  39,  44—104. 

E.  Schnippel,   Über  das  runenschwert  dos  kgL  historischen  mueeums  zu  Dresden 

mit  einleitenden  bemerkungen  von  Zarncke.    Ebenda  125 — 170  mit  3  tafeln. 
Weitere  mitteilungen  zu  Christian  Beuters  Schriften.    Ebenda  253 — 277. 
Christian  Reuter  als  passionsdichter.    Ebenda  306  —  368. 
Zum  Annoliede.    Ebenda  283—305. 
Das  englische  Volksbuch  vom  dr.  Faust    AngUa  band  9,  610—612. 

1888. 

Kwzgefasstes  Verzeichnis  der  originalaufhahmen  von  Goethes  bildnis.  Zusammengo- 
stelt  von  Friedrich  Zarncke.    Mit  15  tafeln. 

Abhandl.  der  phil.-hist.  kl.  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  XI  nr.  1  s.  1  — 132. 
Neue  mitteilungen  zu  den  werken  Christian  Reuters. 

Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  40,  71  —  136. 
Zur  bibliographie  des  Faustbuches.    Ebenda  s.  181  —  202. 

Bruchstücke  aus  Goethes  befreiung  des  Prametheus.    Goethe -jahrb.  9,  3u.  4.  77 — 82. 
Aus  dem  notizbuche  von  der  schlesischen  reise. 

Goethes  werke  heraiisg.   im  auftrage   der  grossherzogin  Sophie  von  Sachsen. 
Abt.  m  bd.  2  s.  20—24.    331—333. 
Nochmals  allerlei  über  Goethebildnisse.    Augsb.  alg.  zeitung  beil.  1888  nr.  94.  97.  100. 

1889. 

Berichtigung  fremder  und  eigener  angaben  zu  Christian  Reutor. 
Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  41,  28—35. 

1890. 

Zur  Ecbasis  captivi.    Berichte  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  42,  109  —  120. 
Zu  Goethes  schlesischer  reise.    Goethe -Jahrbuch  11,  64. 

Causa  Nicolai  Winter.  Ein  bagatelprocess  bei  der  Universität  Leipzig  um  die  mitte 
des  15.  jahrhundei-ts.    Von  Friedrich  Zarncke. 

Abhandl.  der  phil.-hist  kl.  der  k.  sächs.  geselsch.  bd.  12  nr.  1  s.  1  — 114. 
Zu  den  i'edupliciei'ten  präteriten. 

Beitr.  z.  gesch.  d.  deutsch,  spr.  u.  litt  15,  350 — 359. 

1891. 

Aus  dem  leben  des  grossvaters  und  dem  jugendleben  des  vaters.  Den  gesch wistoi-n 
erzählt  von  bruder  Friedrich.  Als  manuscript  gedruckt  Leipzig,  druck  von  Breit- 
kopf und  Härtel.    XII,  224  s.  und  1  tafel.    8. 

BRESLAU.  FBDSDBICH  VOQT. 


MSUBB,  ÜBIB  bCHTJLTZ,   HÖFISCHES  LEBEN  91 

UlTBEATUR 

Alwin  Sehvlts,  Das  höfische  leben  zur  zeit  der  minnesinger.  Zweite  ver- 
mehrte und  verbesserte  aufläge.  Leipzig,  S.  Hirzel.  1889.  1.  band  XVI,  688  s. 
mit  176  holzsohmtten.    16  m.    2.  band  504  s.  mit  196  holzsohnitten.    14  m. 

(Schluss.) 

8.538]  Zabelwarte  bedeutet  an  den  angeführten  stellen  nicht  das  von  Schultz 
angegebene.  Ursprünglich  hatte  es  zwar  wol  diesen  sinn;  aber  später  heisson  alge- 
mein alle  werte,  die  während  des  spiels  gesprochen  werden,  xabelicorte,  xabelrede, 
und  es  scheint  dann  eine  scherzhafte,  witzig  pointieiie  conversation  zu  bedeuten.  Es 
komt  uns  wunderbar  vor,  dass  man  bei  dem  Schachspiel  viel  gesprochen  haben  soll, 
während  unsere  vorfahren  daran  keinen  anstoss  nahmen. 

S.  540]  Zu  anm.  2  vgl.  noch  Renner  21813. 

S.  542]  Anm.  1  füge  hinzu  Teichner  Eang.  anm.  221. 

S.  544]  Das  ringspiel  (anm.  2)  wird  auch  Parz.  368,  12  und  Wülehalm  327,  8 
{vingerlin  snellen)  erwähnt.  —  Das  oben  genante  fragen  scheint  öfter  angewant  zu 
sein:  So  spielt  ein  liebhaber  mit  seiner  geliebten  um  ein  „Frag  an*^  läeders.  1,  140, 
496).  Erst  wüifeln  sie,  wer  die  frage  tun  darf,  dann  entscheiden  sie  durch  das  zie- 
hen eines  halmes:  wer  den  längsten  erhält,  darf  fragen  (145,  675  fgg.).  Bedingung 
ist  auch  hier  wol,  dass  auf  die  frage  wahrheitsgemäss  geantwortet  werden  muss. 
Ebenso  wird  um  die  frage  gespielt  in  der  anm.  3  aus  dem  kloster  der  minne  (Lie- 
ders. 2,  vers  200)  angeführten  stelle.  (Solte  übrigens  statt  vinger  xelln  vielleicht  vin- 
ger  sneün  zu  lesen  sein?) 

S.  545]  Bei  dem  tanze  nimt  der  herr  die  schleppe  der  dame  mit  in  die  band: 
Der  kiinee  leite  dd  den  ta/nx:  Er  na/m  die  vrouwen  mit  ir  swanx.  St  sungen  umn- 
neeUehe  Virg.  1007,  1 ;  Der  herre  üf  alahen  liex  einen  tanx,  Er  nam  die  künegtn 
mit  ir  swanx  Virg.  1032,  1;  vgl.  ebd.  1091,  4  fgg.  —  Auch  die  männer  tragen 
kiänze  beim  tanzen,  so  Karl  (Karlm.  292,  50  fgg.)  und  Godyn  (Earlm.  210,  58).  Über 
die  art  des  zusammentanzens  von  zweien  oder  dreien  vgl.  lol.  4831  und  5303.  Fer- 
ner tanzen  zwei  herren  und  eine  dame  noch  Gärel  4875  fgg.  4893  fg.  Gesang  und 
musik  verschiedener  instrumente  begleiten  den  tanz  Virg.  1033,  2  fgg.:  Die  herren 
tanxten  im  gexelt  Und  auch  die  edelen  vrouwen,  Si  sungen  tourmeelieh  gesane, 
Dar  under  aiie^en  Karpfen  khme:  Man  mac  at  gerne  echouwen.  Buaünen  wurden 
auch  ersehaU    Und  seitenspil  dd  mite:   Man  hortes  verre  durch  den  walt. 

Auch  der  tanz  ist  in  seinen  formen  der  mode  unterworfen.  Mit  dem  ausgang 
des  mittelalters  wird  er  immer  wilder  und  toller,  und  es  scheinen  zum  teil  welsche 
tanze  die  neuen  zu  sein.  Im  Ring  (39  b,  3;  30  b,  7)  wird  alte  e  und  niuwer  sit 
unterschieden,  und  der  Teichnor  ergeht  sich  schon  früher  in  dem  raisonnement:  Der 
mit  xükten  tanxen  pflöge,  Das^  w(ßr  hundertatunt  aö  wage,  Dan  da^  treten  üf  und 
nider.  Er  ist  gote  vaate  wider  Umb  den  aelben  ridewanx,  Dan  umb  xühtieliehen 
tanx  (Karsy.  anm.  213).  Genauer  geht  derselbe  dann  noch  an  folgender  stelle  auf 
den  imterschied  ein:  £  dd  aaeh  man  tanxen  Ita,  Damdeh  huop  aich  reigen  aider, 
Nu  iat  e^  nit  da/n  üf  und  nider.  Ich  wei^  nit,  wie  ieh$  nennen  aoU,  Ob  ieh^  über- 
nemen  (Übernamen  geben)  wolt.  Er  vergleicht  den  tänzer  dann  mit  den  auf  und 
nieder  hüpfenden  weinpressem,  mit  einer  kuh  die  mit  ihrem  schwänz  die  fliegen 
veijagt  oder  mit  einem  hirsch,  der  sein  geweih  abreibt.  Und  dann  erzählt  er  das  von 
Neidhart  (HMS.  3,  205;  XYm,  7)    als  niuwer  hoveain  erwähnte  dahinschleichen 


92  MEIER 

mit  einem  mit  wein  gefölten  becher  auf  dem  haupt,  das  auch  auf  bildern  dargestelt 
wird :  Ich  denek  noch  wol  da^  e^  nit  toas  Und  da^  einer  ein  lüter  glof  üf  dem 
houpt  im  reigen  fiiert  Volley  tcin  da^  nie  verrüert:  Da^  tccer  nu  eim  ta/nxar  Vil' 
WU  des  vil  swcer.  Halt  umb^  glas  wil  ich  gedctgen:  Er  mökt  Verliesen  ab  sim 
kragen  Mantel  roe  und  gugelhuot  Mit  dem  schütten  sd  er  tuot.  Ich  gedenk  noch 
tool  den  tac  Da^  man  senfter  reien  pflae  Dan  fnan  ietxunt  tanxen  siht  Lie- 
ders. 3,  295,  20. 

S.  546]  Es  wurde  sowol  nach  instramentalmusik,  wie  nach  tanzliedem  der 
reihe  getanzt;  vgl.  Ring  38  c,  32  fgg.  Weniger  künstliche  tanzlieder,  als  gewöhnlich, 
die  aber  wol  mehr  den  tatsächlichen  Verhältnissen  entsprechen,  finden  wir  im  King 
38  0,  41.    39,  18.    39,  40.    39  c,  25. 

S.  549]  Über  im  virekti  vgl.  zu  lol.  3103;  der  von  Schultz  mit  Böhme  davon 
getrente  Fierlefei  ist  wol  der  gleiche  tanz,  und  nur  der  name  ist  entsteli  —  Der 
bdxolt  ist  an  der  angeführten  stelle  und  sonst  immer  nur  ein  ausdruck  für  minnespü 
(vgl.  DWb.  2,  271),  wie  der  gimpelgampel. 

S.  551]  Über  die  namen  von  musikinstrumenten  war  noch  zu  vergleichen  Bo- 
quefort,  Mat  de  la  Litterature  fran^ise  s.  98  fgg.  und  Hofibnann  von  Fallersieben 
Hor<B  Belgiea  6,  190  fgg.  Im  einzelnen  werde  ich  die  citate  an  den  fraglichen  stel- 
len geben.  Vgl.  auch  das  verbot  des  rates  zu  Speyer  (HHgard  nr.  503  s.  445,  38  fg. 
a.  1347):  (man  soll  nicht  bei  nacht  gehen)  mit  deheinre  phiffen,  drumen,  orgeln, 
quintemen,  rotden,  videln  oder  ander  Seiten  spü,  wie  dax  heisset, 

S.  554]  Über  die  rotte  siehe  auch  Horse  Belg.  6,  198. 

S.  555]  ghiteme  Horse  Belg.  6,  197;  vgl.  noch  Yerdam  en  Verwes,  MndL  wb. 
2,  1984.  —  citole  Richars  li  biaus  4125,  sitole  Hör»  Belg.  6,  199;  Mndl.  wb.  1, 
1508.  —  rubebe  Qeom.  17275,  rebebte  Hör»  Belg.  6,  198.  —  Zu  anm.  7  vgl.  Hoff- 
mann, Hör»  Belg.  6,  197. 

S.  557]  Über  Symphonie  vgl.  Hör»  Belg.  6,  199.  —  Anm.  11:  Frauend.  211,  9 
ist  wol  holer,  floyten  zu  schreiben,  vgl.  noch  Ottok.  v.  St  cap.  639:  Herphen,  Bot- 
ten  und  Fidein  Dex  wax  da  der  Paumgart  voller,  Pusawn,  Pfeiffer  und  Holler 
Dex  wart  so  vil  da  gehört  usw. 

8.558]  Anm.  3  fuge  hinzu  sehcUmeinn  Ottok.  von  St.  cap.  687;  Burmars  7726. 
—  Anm.  4  war  wol  auf  s.  559  anm.  10  zu  verweisen.  —  Anders  als  Coussemaker 
fasst  Hoffmann  den  chorus  auf,  vgl.  Hör»  Belg.  6,  196.  —  In  dieser  anmerkung  (5) 
war  auch  wol  die  später  (s.  573  anm.  4)  angeführte  stelle:  Roman  de  Brut  18832  zu 
oitjeren. 

S.  561]  Anm.  2  war  auf  s.  559  anm.  10  zu  verweisen.  —  Zu  anm.  4  vgl.  Hör» 
Belg.  6,  197,  zu  anm.  5  ebd.  6,  197,  zu  anm.  7  ebd.  6,  196.  —  Gar  nicht  erwähnt 
Schultz  das  lioion,  mlat.  lidnia,  liehina,  ein  blasinstrument,  eine  art  trompete, 
vgl.  Du  Gange  5,  100,  Hör»  Belg.  6,  197  und  De  Trojaensche  oorlog  699  (von 
Schultz  8.  558  anm.  5  citiert). 

S.  562J  Zu  anm.  2  vgl.  noch  Mhd.  wb.  3,  45  a,  Grieshaber,  Fred.  2,  20  fg.  — 
Über  die  armonie  siehe  noch  Du  Gange  1,  396,  Hör»  Belg.  6,  196,  Troyen  5566 
(Mndl.  wb.  3,  160).  —  Anm.  7  ist  ein  merkwürdiges  misverständnis  in  folge  des 
ausfallens  eines  citates  zu  verzeichnen:  Tundalus  und  Roths  dichtungen  sind  zweierlei, 
und  das  angeführte  citat  ist  aus  Roth  entnommen.  Aber  es  gehört  hier  eben  so  wenig 
her  als  Tund.  51,  47  (dd  was  xitem  unde  glien):  beide  male  ist  der  substantivierte 
Infinitiv  gHen  gemeint     Und  das  verbum  glien  bedeutet  ,  kreischen,   einen  hellen, 


ÜSKR  SCHULTZ,   HÖHSCHES  LKBBN  93 

pfeifenden  ton  von  sich  geben''.  —   Mit  der  herleitnng  von  Schvrmelle  hat  Schnitz 
sicher  recht,  vgl.  noch  Mam.  598. 

8.  563]  Vgl.  zu  den  im  zweiten  absatz  gegebenen  aasfiihrangen  noch  das  von 
Hofiinann  (fiorse  Belg.  6,  190  —  200)  gesagte. 

S.  564]  Man  hört  gerne  vorlesen:  so  sizt  die  tochter  des  königs  von  Persien 
in  ihrem  zeit  und  lässt  sich  aus  einem  buche  die  Eneide  vorlesen,  toie  Trqje  xefüe' 
ret  wmre  Und  wie  jamerltche  ÜnSas  der  riehe  Sieh  dannen  stcU  mit  sinem  her . . . 
Äl8  e^  tu  ofte  ist  geseit  (Wig. 73,  6).  —  An  den  hofen  unterhielt  man  sich  gern 
und  oft  mit  der  erzählung  von  abenteuern:  Qewonheit  hänt  se  (Helftichs  aamenunge) 
al  vtretage,  Die  alten  tmd  die  jungen,  Si  enpflegen  sane  noch  Seiten  spil,  Die 
herren  van  äventiure  stigen:  Des  hdnt  st  getriben  vil  Virg.  295,  9.  —  Der  Teich- 
ner beklagt  sich,  wie  der  geschmack  seiner  zeit  verschieden  ist:  Sd  spricht  jener : 
^lAtsent  her!  Sagt  uns  von  hem  Ecken  klingen'^  ^.  S6  spricht  der  ander:  ^Er 
sol  singen!  Wir  hän  an  lihter  predige  genuoc  usw.  (Kan^.  anm.  215). 

8.  565]  Der  beruf  des  Sängers  und  des  Schreibers  emiihrte  seinen  mann:  Sin- 
gen wnd  sagen  vnd  halbes  heute  (pergament)  Nerent  noch  vil  tumber  vnd  wiser  leute 
Renner  4309.  —  Schon  damals  gab  es  hoflieferanten,  hofbarbiere,  hofsohauspieler. 
Wolfger  gibt  in  Bom  Minutori  antiqui  dueis  lAupoldi  ij,  toi,  bon.  (s.  28.  45).  Ein 
ander  mal  wird  apud  Niwemburch  loculatori  episcopi  die  summe  von  XXX.  den. 
überreicht  (s.  21).  Die  discantores  domini  pape  erhalten  eio  talent  (s.  27).  Zwei 
Spielleute  des  königs  von  Navarra  erwähnt  die  Yie  domestique  (s.  55).  Ein  Rupertus 
ioeulator  regis  unterzeichnet  eine  Urkunde  Heinrichs  IV.  (Toeche,  Heinrich  YI. 
s.  504).  —  Über  die  Stellung  der  spielleute  und  das  verhalten  der  kirche  ihnen  gegen- 
über vgl.  noch  Wilmanns,  Walther  von  der  Yogelweide  s.  296  zu  II,  5.  Über  spiel- 
leute in  Tirol  vgl.  Schönbach,  Ztschr.  f.  d.  a.  31,  171  fgg.  —  Anm.  3:  Das  thema, 
was  es  bedeute,  guot  umb  ere  nemen,  und  ob  es  beschämend  sei,  erörtert  der  Teioh- 
ner  (Earaj.  anm.  217)  sehr  ausführlich  in  einem  gedichte.  Um  misverständnisse  in 
der  interpretation  des  ausdruckes  zu  vermeiden,  hätte  Schultz  vielleicht  kurz  in  klam- 
mem zufügen  können,  dass  guot  umb  $re  nemen  heisst:  „gut  nehmen  für  die  ehre, 
die  man  einem  andern  mit  seinen  liedem  erweist''.  —  Der  zom  der  geistlichkeit  war 
im  einzelfalle  nicht  so  schwer;  er  richtete  sich  immer  nach  der  Individualität  des 
betreffenden.  In  Wolfgers,  des  Patriarchen  von  Aquileja,  reiserechnungen  finden  wir 
z.  b.  cuidam  Lodderpfaffo  XU  den.,  euidam  waMero  girovotgo  XXX  den.  (s.  21), 
ctiidam  lodderpfaffo  V.  sol.  bon.  (ebenso  viel  wie  Walther  von  der  Yogelweide  erhält; 
s.  45). 

8.  566]  Hier  war  wol  noch  der  bericht  Otlohs  von  St.  Emmeram  zu  erwähnen, 
vgl.  Wilmanns,  Walther  von  der  Yogelweide  s.  40.  —  Wie  Büdeger  im  Rosengarten 
(1001  fg.)  dem  spielweib  seinen  mantel  schenkt,  so  geben  auch  die  gesellen  Dietwarts 
ihre  kleider  hin  (Dietr.  M.  730  fgg.).  Meister  Otte  weiss  im  Eradius  noch  von  der 
freigebigkeit  der  herren  seiner  zeit  zu  erzählen:  ma/n  gab  in  phärt  und  gewant.  E^ 
leite  eteltcher  an,  Da^  ein  vater  und  sin  an  Sd  guotes  nie  niht  gewan.  Sus  ge- 
schiht  noch  manegem  man  (ed.  Graef  2400). 

8.  568]  Für  das  marionettentheater  der  spielleute  vgl.  noch  die  stelle  im  Mala- 
gis,  die  Ton  der  Hagen  in  seiner  Geimania  8,  280  fgg.  heraushebt. 

8.  569J  Zu  den  verschiedenen  arten  der  beschäftigung  eines  joculators  Ter- 
^eiche:  tambüren  ind  Seiten  spil.  Dar  was  sagen  ind  singen,  Dar  ^S  van  mestem 

1)  DieM  Stella  zeigt,  daas  Kangan  im  irtmn  ist  (a.  a.  o.  s.  106),  wenn  er  meint,  der  Teicfaner 
erwäbne  die  dentsche  heldensage  oixgends  aiudrttoklich. 


94 

springen  Saeh  men  kunstlieken  vü  Grane  4639.  Un  menestrel  qui  jouet  tPotsetna 
und  einen  menestrel  de  eomei  erwähnt  die  Yie  domestique  (s.  55).  Wolfger  gibt 
einem  ioetUatar  cum  eultellis  tcU,  veron.  (Beiserechntingen  s.  29  und  48).  Zu  dem 
meBserspiel  vgl.  noch  Herb.  Troj.  9307  fgg.  und  unsere  obigen  bemerkungen  zu 
8.  168. 

S.  570]  Über  die  spruchsprecher  vgl  HorsB  Belg.  6,  200  fgg.  —  Die  mora- 
listen  nahmen  wohl  nicht  bloss  an  den  spässen  der  leute,  sondern  an  ihrem  ganzen, 
unsitlichen  lebenswandel  anstoss. 

8.  573]  Die  Stellung  der  kirchenfiirsten  zu  den  spielleuten  war  bei  den  einzel- 
nen, je  nach  ihrer  individualität  ganz  verschieden.  Freigebig  gegen  sie  ist  Wolfger 
von  Aquileja,  der  auf  seinen  reisen  förmlich  von  ihnen  überlaufen  wurde.  Merkwür- 
dig ist  der  unterschied  zwischen  Deutschland  und  Italien:  sobald  Wolfger  über  die 
grenze,  im  Süden,  ist,  verdoppelt  sich  der  ström  der  gehrenden.  Ich  habe  mir 
notiert:  Inter  diyerscts  istriones  distribttebatUur  aput  Paduam  XXXTI.  soL  venet.f 
Äptä  Ferrariam  in  palmis  euidaim  vetulo  ioeukUori  in  rufa  ttmiea  V.  sol,  mexa- 
narunt,  Ouidam  <üii  voeiferatori  F.  soL  mexanorum,  Äput  Bononiam:  Fhrda- 
mor  ioeulatori  ial.  bon.  (s.  25);  Aptä  Fhrentiam  cuidam  Mberardinorum  ^- 
seopo  et  cuidam  alii  mimo  dim,  tal.  wron.\  damino  episeopo  XII.  den,  frisae, . 
Ouidam  vetulo  diseantori  et  fHiis  eius  tat,  (s.  26);  lUi  francigene  cum  giga  et 
socio  suo  dim.  tat.,  Ouidam  alii  derico  in  viridi  tuniea  U,  sol.,  Oilioto  mimo 
F.  sol.  sen.  aptU  Äquam  Pendentem^  Ouidam  alii  mimo  IL  sol  sen.  (s.  27);  Qua- 
tuor  iocukUoribus  IL  tal.  bon.  (s.  28);  Äput  Mutinam  cuidam  Lombardo  istrioni 
dim,  tat.  mexanorum,  Äput  Verona/m  hculatori  cum  eultellis  tal.  veron,  Älii  mimo 
V,  sol.  veron.  (s.  29).    Über  die  in  Deutschland  genanten  vgl.  ebd.  s.  31  und  57. 

Nicht  erwfihnt  sind  in  dieser  aufzählung  die  spilwip,  die  ich  jezt  besonder 
nachtragen  werde.  Schultz  hat  manches,  was  über  sie  künde  gibt,  übersehen.  Zu- 
erst seien  die  genant,  welche  sich  in  Wolfgers  reiserechnungen  finden:  Äput  Ferra- 
riam Ouidam  cantatriei  V,  sol.  mexanorum  (s.  25);  Äput  Senas  cuidam  eanta- 
trici  et  duobus  ioculatoribus  VII,  sol.  et  VI.  den,  sen,,  Äpui  Sutrium  puellis  ean- 
tanlibus  11,  sol,  veron,  (s.  26);  Äput  Veronam  puellis  cantantibtis  V,  sol,  veron., 
Äput  Boxam  cuidam  iocukUrid  dim,  tal,  veron,  (s.  30);  Äput  Äugustam  Ibcula- 
trieibus  Uli  sol,  (s.  31)  —  Vor  Eriemhilde  musiziert  ein  spielweib:  Mn  magst  spilte 
mit  einer  rotten  vor  der  hünegin  rieh,  Alle  die  e^  hörten  die  tourden  freuden  rieh. 
Hinder  sich  trat  der  margräve  (Rüdeger)  unt  xoeh  abe  dax  gewant  Und  gap  e$ 
der  spümennen  mit  einer  mitten  hont  (Grimm,  Roseng.  999).  Auch  Agnes,  die 
geliebte  und  mörderin  könig  Wenzels  von  Böhmen,  war  wol  eine  ioculatrix.  Es 
heisst  von  ihr:  Die  ehund  videln  vnd  singen  Und  was  xu  seihen  Dingen  Bubseh 
und  chlug  (Ottok.  v.  St.  cap.  754).  Ein  edles  und  reiches  spielweib  schildert  Berthold 
von  Holle  im  Demantin  (6170  fgg.):  Dar  qua/m  ein  vrouwe  gemeit  Oereten  di  gut 
umm  Sre  nam.  Swär  vorsten  vil  xesampne  quam,  Dar  reit  si  nä  dorch  manig 
lant.  Di  was  so  witen  bekant.  Or  phert  was  mit  richeit  Qexiret  unde  or  sel- 
bir  cleit. 

S.  576]  Anm.  1  waren  wol  in  dem  citat  die  folgenden  verse  mit  anzuführen 
oder  aber  ein  usw.  zu  setzen.  —  Zu  anm.  2  füge  hinzu:  Der  schall  der  fahrenden 
erklang  allenthalben,  Die  sungen  manig  Lid  Zm  Lob  und  xu  Preis  Von  (Ester- 
reich  dem  Fürsten  weis  Vmb  die  Er,  die  er  da  begie  Ottok.  v.  St.  cap.  653;  Mani- 
ger  hannde  Liet  Sy  von  dem  Hof  sungen,  Wem  da  was  gelungen,  Der  lobt  da  ser 


ÜBEB  SCHULTZ,   HÖFISCHES  LIBBN  95 

Den  Chunig  tmd  Hofes  Er;    Wer  sein  aber  engalt  Der  flueeJU  und  schalt    Vnd 
warn  vngmainer  Phliekt,  als  noch  hewt  geschieht  Ottok.  v.  St.  cap.  689. 

S.  578]  Schnitz  führt  hier  (anm.  2)  aus  Salimbeue  1287  (s.  377)  eine  stelle 
an,  die  als  interessante  parallele  zu  ÜMchs  von  Liechtenstein  Yenusfahrt  noch  nicht 
gewürdigt  ist.  Es  zeigt,  wie  dergleichen  Sachen  in  der  luft  lagen,  und  dass  Ulrichs 
tun  durchaus  nicht  so  aussergewöhnlich  war,  wie  es  uns  jezt  scheint.  Da  die 
stelle  kurz  ist,  führe  ich  sie  hier  an:  (In  der  fastenzeit)  acceperunt  (Regini,  die 
von  Reggio)  enim  a  daminabus  mutuo  vestes  miUiebres  plures  eorwn  quibus  ifuluti 
eoeperunt  ludere  et  per  civitatem  cum  hOrStiludio  discurrebant  et,  ut  mulieres 
melius  apparerent,  cum  cerusa  alba  dealbabant  larvas,  quas  suis  tnUtibus  appo- 
nebant. 

S.  579]  Zu  Sant  Gertruden  minne  ist  noch  nachzutragen  Ruodlieb  od.  Seiler 
IV,  162,  Nie.  de  Bibera  1980—85  und  zu  vergleichen  BÖckel,  Yolkslieder  aus  Ober- 
hessen XXXY  fgg.  und  Orimm ,  D.  myth.'*  49  fg.  Bor  ursprungliche  grund  für  St.  lo- 
hannis  sogen  war  wol  die  z.  b.  Rabenschi.  286,  6  fg.  erwänte  tatsache:  Ich  bevühe  dir 
diu  kint  Als  got  sin  muoter  BevcUeh  Sant  löhan  Do  er  nam  den  tdt.  Ygl.  noch 
Orimm,  D.  myth.**  49.  Nachtr.  31,  Zingerle,  Wiener  Sitzungsberichte  40,  'Weimai'. 
Jahrb.  C,  28  fg.,  Bockel,  Yolkslieder  aus  Oberhessen  XXX YII  fgg.  und  füge  hinzu 
Ottok.  V.  Steyer  cap.  827:  Der  herzog  Albrecht  ist  reisefertig.  Dar  trug  man  jm  san 
Sand  loJianns  Mynn,  Ring  223,  37  und  St  Martin  Stricker  5,  165  (Mhd.  wb.  1, 
177  b). 

S.  582]  Zu  anm.  3  war  noch  Wilmanns,  Beitr.  1,  21  —  31  zu  vergleichen.  In- 
teressant ist  auch  ein  erlass  des  erzbischofs  Wemher  von  Mainz  an  die  geistlichen 
seiner  diöcese,  in  dem  er  ihnen  verbietet,  das  haar  gelockt  zu  tragen  (vulgariter 
erulle)^  waffen  zu  führen,  sowie  panzer  und  weltliche  tracht  anzulegen ,  auf  öffent- 
lichen platzen  zu  tanzen,  beginen  in  ihren  häusem  zu  halten  usw.  (Baui*,  Hess, 
urkd.  2,  278  fgg.  nr.  303  a.  1277). 

S.  583]  Der  pfaffe  war  den  frauen  lieber  als  der  ritter:  Der  ritter  macht  mich 
fWäJ  xe  schänden  (hs.  standen)  Oder  der  kneht  in  den  Iwiden,  Wann  sie  sint  gar 
uftverschtaigen  (var.  sie  sint  g.  tmderschwigen) :  Dar  unib  ist  der  pfaffe  gesigen 
(==  ist  gesigende;  var.:  verschtoigen):  Gen  ich  nü  bi  den  pf äffen  ligen,  S6  muox 
er  den  munt  xuo  tuon  und  svngen  Keller,  Altd.  ged.  1,  106,  25  fgg. 

S.  584]  Yen  dem  bischof  sagt  Nie.  de  Bibera  (1170):  Ängarians  clerum  iacet 
in  sinibus  mtdierum  und  (1179)  Devorat  et  potat,  natam  cum  coniuge  dotat,  Chri- 
ste,  tua  dote,  reputans  quasi  pro  nihüo  te,  —  Die  auch  von  Schultz  näher  ausge- 
führte lebensweise  des  höheren  clerus  lässt  mich  auch  bei  dem  in  Wolfgers  reise- 
rechnungen  (s.  7  und  17)  erwähnten  Odackarus  filius  episcopi  an  einen  natürlichen 
söhn  und  nicht,  wie  Zingerle  im  glossar  will,  an  einen  geistlichen  söhn,  einen  de- 
riker  denken.  —  Anm.  6:  auch  Alex.  Neckam,  De  nominibus  utensiUum  s.  66  (Schultz 
1,  207  anm.  1)  erwähnt  nutehinamenta  in  modum  virilis  membri:  (Die  stubenmagd 
hat  aeus)  grossiores  ad  laqueos  inducendos,  grossissimas ,  cum  amaris  Hleeebris 
indulgeat.  Doch  lässt  sich  die  kunst  oder  natur  dieser  aeus  grossissimas  nicht  ganz 
sicher  entscheiden.  —  Über  den  zuchtlosen  lebenswandel  der  mönche  und  nennen 
siehe  lieders.  1,  422,  40  fgg.  Über  die  nennen  führe  ich  hieraus  folgendes  an:  Nu 
vint  man  selten  ain  nunnen  Si  hob  in  dem  hertxen  ain.  Wenn  si  soU  den  saUer 
main  So  ist  anders  nicht  ir  acht,  Denn  da^  si  jenem  kleinot  macht  Vnd  jm  min- 
nen  (hs.  minen)  brieff  erxüget  (Lieders.  1,  422,  65).  Ygl.  Johannes  dictus  der  Nun- 
nen son  de  Stegnfurt  Baur,  Hess.  uik.  1,  677  nr.  1021  a.  1368. 


96 

S.  585]  Auch  die  begineo  leben  unsitlioh;  ihren  lebenswandel  schildert  uns 
Nie.  de  Bibera  1629  fgg.,  vgl.  noch  zu  lol.  3133. 

Bas  bibelinum  sacht  WilmanS;  Beitr.  1 ,  10  anm.  1  zu  erklären.  Ich  gestehe, 
dass  ich  nicht  so  ganz  überzeugt  bin,  obgleich  ich  die  deutung  nicht  für  unmöglicli 
halte.  Vgl.  übrigens  auch  pipinna  (parva  mentula)  Kart.  11,  72,  1.  Ich  möchte 
eher  an  einen  Zusammenhang  irgendwelcher  art  denken  mit  btbilionare,  bünonare, 
sanguine  inquinari.  BibitMrium  autem  est  sanguis  menstruus  mulierum,  Bibinum 
menstmum,  id  est  fluor  sanguinis  (Du  Oange  1,  649  c). 

S.  586]  Ob  die  erzähluog  im  Lanz.  5964—69  (vgl.  5944—53)  sich  auf  den 
von  der  kirche  später  heftig  und  oft  bekämpften  coitus  a  posteriore  bezieht,  weiss 
ich  nicht  mit  bestimtheit  zu  sagen,  halte  es  aber  für  wahrscheinlich. 

8.  587]  Yon  Karl  dem  Grossen  wird  berichtet,  dass  er  sich  der  verborgen 
sunde  schuldig  gemacht  habe  (Karlm.  317,  8  fgg.,  321,  26).  Vgl.  femer  Der  Boite, 
(GA.  1,  174,  737^.):  Her  Heinrich  (frau  als  man  verkleidet)  sprach:  ^Mtn  gerhie 
Ist  einer  hande  dinc:  Ich  minne  gerne  die  man,  Nie  dehein  wtp  ich  gewan.  Tuot 
ir  da^  und  swa^  ich  leil,  Winde  unde  vederspil  Gib  ich  iu  mit  willen.  Dix  muof 
geschehen  stille^. 

Unter  den  sicheren  Zeugnissen  für  die  Verbreitung  der  Sodomie  in  Deutschland 
während  des  13.  Jahrhunderts  war  noch  anzuführen  Frauend.  266,  4 fgg.:  Man  sprach: 
diu  küneginne  hat  verseit  Hern  Hademär  (von  Eüenringen)  ir  tyoste  hie;  Da^  tet 
si  für  war  ritter  nie.  Ich  wcen,  si^  dar  umbe  hat  getan  y  Da^  man  des  gihi,  er 
minne  die  man.  Die  verirrung  war  um  so  weiigreifender,  als  die  höchsten  sich 
nicht  von  ihr  freihielten:  Den  selben  werren  (die  paederastie)  Brüefent  sumeUch 
herren  Die  in  wenden  soUen  Obs  ere  haben  wollen:  Nu  sint  si  in  sd  heimeltcli, 
Das;  si  da  von  sint  schänden  rieh  Und  man  des  offenlichen  gibt,  Si  haben  der 
schände  mit  in  phliht  Ulr.  von  Liechtenstein,  Frauenb.  616,  31. 

S.  588]  Ganz  so  schlimm  wie  in  Paris  war  das  treiben  der  dirnen  in  Deutsch- 
land nicht,  kaum  mehr  in  die  Öffentlichkeit  dringend  als  heutzutage  in  grösseren 
Städten.    Der  oft  genante  Nie.  de  Bibera  (2025)  schildert  uns  die  Erfurter  zustände: 

Forsan  adhuc  dices:  age  die,  ubi  sunt  meretrices, 

Äut  in  quo  vico?     Veraciler  hoc  tibi  dico 

Pectore  quo  gesto:  pauce  sunt  in  manifeste, 

Quot  sint  occuUe,  si  scire  cupis^  homo  stuite, 

Indagare  satis  potes  hoc  sine  dogmate  vatis, 

Quippe  nefas  tale  tempus  quadrctgesimale 

Ne  loquare  exposcit.     Veneris  quicunque  iocos  seit 

Äut  delectatur  in  talibus,  ille  loquaiur 

Äut  persorutetur,  quia  per  me  non  prohibetur. 

Aus  dem  Eraclius  (2220  ^.)  erfahren  wir  den  preis  ihrer  hingäbe:  Ir  mugt 
hie  manege  vinden  Diu  iuch  iuwers  willen  wert  Und  wan  drier  phenninge  gert. 
Später  scheint  der  preis  heruntergegangen  zu  sein.  Im  anfange  des  16.  Jahrhunderts 
sagt  Jörg  Graff  in  seinem  liede  von  dem  heller:  Vier  häller  man  vor  xeiten  gab 
Einer  bülerin:  iex  ist  es  ah,  Ist  auf  drei  häller  kumen  Das  machen  die  faulen 
hausmeid,  Die  in  der  stai  geen  umbe  (Böhme,  Altd.  Idb.  nr.  488  v.  7).  Zwei  hel- 
ler machten  etwa  einen  pfennig  aus,  vgl.  Schmeller'  1,  1076. 

S.  592]  Anm.  2  füge  hinzu:  Sin  dienest  was  g$n  wiben  kranc  Und  da^  er 
maneger  über  ir  danc  An  gewan  ir  ire  Tand.  10744,    Dort  kumt  ein  man  und 


ÜBER  SCHULTZ,  HÖTISCHES  LBBBN  97 

ein  toipf  Dem  manne  toü  ich  nennen  den  Hp,  Bi  dem  toibe  stdlen  wir  alle  („vier- 
zig oder  mehr"^)  ligen  Tand.  10774;  vgl.  Tand.  10975  fgg. 

S.  593]  Hier  wären  vielleicht  noch  die  ideale  des  ritterlichen  lebens  im  13.  Jahr- 
hundert darzustellen  gewesen,  wie  sie  Ulrich  von  Liechtenstein  im  Frauenbuch  fixiert: 
einmal  schöne  frauen,  dann  gutes  essen  und  trinken,  endlich  edele  rosse  und 
prächtige  gewänder  und  zimiere.  Zu  diesen  idealen  treten  dann  noch  vier  dinge 
hinzu,  die  man  vergeblich  miteinander  zu  vereinen  sich  bemüht:  gottes  huld,  welt- 
liche ehre,  bequemlichkeit  und  reichtum  (Frauenb.  587,  1  fgg.).  So  ist  der  gesichts- 
kreis  der  ritter  auch  im  algemeinen  kein  weiter.  Die  passionen  für  jagd  und  spiel 
gehen  über  ihre  berechtigung  sehr  oft  hinaus  (Frauenb.  607,  3  fgg.;  635,  15  fgg.). 
Sonst  sind  es  nur  schöne  weiber,  rosse  und  männliche  taten,  die  den  ritter  zu 
interessieren  vermögen,  vgl.  Eaiserchr.  1,  135,  25  fgg.  und  weiter  Crane  4062  fgg. 
(Demantin  4005  fgg.)'  ^^^  ^^  ^^^  '''ote,  sd  atunt  ein  dort:  Sie  sungen  liet,  sie 
sprächen  wort,  Ir  rede  was  van  der  jaget  ein  deil,  Sie  sprächen  umb  der  minnen 
heil  Ir  ttlieh  xo  den  stunden.  Dar  wart  geret  ü^  manegen  munden  Umb  der  even- 
türe  foer. 

Der  wichtigste  punkt  in  dem  Verhältnis  der  beiden  geschlechter,  das  Verhält- 
nis zwischen  ehe  und  dienst,  ist  noch  nicht  genügend  aufgeklärt  und  erfordert  eine 
nochmalige  umfassende  durcharbeitung  des  gesamten  materials.  Ulrich  von  Liechten- 
stein muss  wegen  seiner  schon  gekenzeichneten  neigung  zu  reminiszenzen  im  frauen- 
dienst  mit  grosser  vorsieht  benuzt  werden.  Anders  dagegen  steht  es  mit  dem  lange 
nicht  genug  beachteten  Frauenbuch.  —  Über  das  ideal  eines  frauenritters  äusseii; 
sich  Ulrich  im  Frauenbuch  (649,  17—650,  15):  „Er  soU  stät  sein  und  soll  nur  eine 
liebe  haben;  sonst  ist  es  keine  herzensliebe,  und  er  ist  kein  guter  minnen  diep. 
Wer  viele  frauen  auf  einmal  liebt,  vor  dem  sollen  die  firauen  ekel  empfinden,  wie 
ein  litter  vor  einer  gemeinen  dime.  Es  gibt  ritter,  die  lieber  zehn  jähr  ohne  freun- 
din  wären,  als  dass  sie  eine  dime  umaimten,  und  die  nacht  und  tag  den  frauen  in 
der  hofiiung  auf  süssen  lohn  dienen^.  Aber  man  scheint  doch  nicht  nach  diesem 
rezept  gehandelt  zu  haben:  m4in  saget  uns  an  dem  mc&re  Da^  do  minnete  nieman 
unp  Er  enhcste  dan  ir  lip  Ze  einer  rehten  e  genomen.  Nu  ist  e^  ü^  den  xdihten 
komen:  Ob  einer  möhte  dri^ic  Mn,  Er  wolt  sich  niht  gemiegen  län,  Er  het  ir 
dannoeh  gerne  me  Bit.  490. 

Der  dienst  des  ritters  soU  sich  aber  nicht  seiner  frau  oder  seiner  heiiin  allein 
widmen,  sondern  in  ihrer  person  soll  er  allen  damen  dienen:  ,mlnn  dinest  solt  ir 
(seine  frau)  eine  hän*".  ^Ich  aleine? ^  sprach  dai  wif,  y^Ir  solt  ummer  durch 
mtnen  Hf  Allen  vrouwen  d$nen  gar  Ind  nemen  ir  mit  grdi^  war.  Sd  wert  uwe 
lof  geprisety  Da  ir  üeh  mit  dinste  toiset  Andern  vrowen  swe  st  ^n:  Der  selve 
dinst  ich  6ch  bin*^  Grane  4619.  Ob  aus  solchen  und  ähnlichen  ansichten  die  auffas- 
sung  der  ehelichen  treue  geflossen  ist,  wie  sie  Wolfdieterich  (DIX,  33,  1)  äussert? 
Wa$  schadet  iu,  scko&ne  frouwe,  minnete  ich  Joch  dH?  (d.h.  Griechinnen) 
Wil  ich  an$  reht  gedenken ,  so  muo$  ieh  iu  wesen  bi. 

Auch  von  ihren  frauen  scheinen  die  mSnner  mitunter  nicht  feste  treue  zu  ver- 
langen, ja  sie  verkauften  sie  wol  selbst:  Also  man  vint  mangen  swachen  Der  umb 
pfenninc  leien,  pfaffen  Lät  bi  Hnrne  wtbe  släfen,  Der  selbe  nimt  für  ere  guot 
Teichner,  Eany.  anm.  217.  Aber  auch  ohne  diese  einwilligung  des  ehemannes  sind 
die  frauen  aus  der  guten  geselschafk  käuflich.  Ulrich  von  Liechtenstein  tadelt  sie, 
dass  sie  feü  sind  für  geld  (Frauenb.  611,  21  fgg.)i  oder  aber  doch  durch  geschenke  sich 
mit  bestimmen  lassen  (ebd.  612,  15  fgg.))  endlich  dass  sie  einem  unter  ihrom  stände, 

ZDTSGHRZTT  F.   DRUTSCHB  PHILOLOOIR.      BD.   XXV.  7 


98 

einem  menschen  geringer  berkunft  sich  hingeben,  bloss  deshalb,  weil  er  in  ihrer 
Umgebung  ist  und  sich  ihnen  zu  allen  zeiten  bequem  nahen  kann  (ebd.  612,  25  fgg.)- 

8.  594]  Anm.  1:  Auch  Marpaly  sagt:  Mtn  magetuom  kan  ich  behalten  tex 
wol  fimfxee  jär  Einem  werden  füreten,  da^  sage  ich  iu  für  war,  Der  hei^  Wolf- 
dietertchy  ü$  Krieehenlande  gebom  Wolfd.  D.  89,  1. 

S.  595]  Ebenfals  ein  eiserner  keuschheitsgürtel  wird  in  der  folterkammer  der 
bürg  zu  Nürnberg  aufbewahrt 

S.  598]  In  anm.  3  ist  die  zweite  stelle  aus  dem  Tandareis  (15176)  zu  streichen: 
es  ist  eine  einfache  höflichkeitsformel,  die  nur  besagt:  „ich  wäre  froh  gewesen,  hätte 
ich  ihm  mehr  helfen  können*^.  —  Anm.  7:  Aussetzen  von  kindem  und  kindsmord 
erwähnt  auch  Nie.  de  Bibera  1641  und  1650.  —  Anm.  8  fuge  hinzu  Bing  15,  1  fgg.: 
Dort  gibt  der  arzt  der  Motze  genaue  anweisung,  wie  sie  eine  künstliche  Jungfern- 
schaft herstellen  soll. 

S.  599]  Hier  wäre  wol  der  ort  gewesen,  wo  Schnitz  die  einteilung  der  frauen, 
wie  sie  tatsächlich  bestand,  hätte  besprechen  können:  si  habe  man  oder  ein  wittpe 
et  Oder  ein  maget,  die  namen  drt  Hab  wir:  da^  vierd  eint  ledigiu  unp,  Der  auch 
hat  manegiu  Schemen  lip.  Die  fünften  friuntUn  eint  genant.  Nimm$r  namen  ist 
mir  bekant,  Die  man  utu  müge  van  rehte  geben  Frauenb.  618,  11.  Über  die  amie 
(friund^n)  handelt  Ulrich  dann  noch  628,  31.  631,  2;  über  die  ledigiu  wip  620, 
7  fgg.  626,  27  fgg.  Ehe  ich  auf  die  erklärung  eingehe,  will  ich  noch  zwei  stellen 
anführen,  die  auch  hierher  gehören:  Ich  gesach  nie  mit  ougen  frowen  noch  mage- 
dtn  Die  dir  hie  xe  lande  mugen  genös^am  sin  Wolfd.  B.  11,  3.  Ledic  wip  auch 
bei  Walther  47,  24;  vgl.  Wilmanns  zu  dieser  stelle.  Aus  der  doppelten  technischen 
bedeutung  von  meit  ist  möglicherweise  Gudr.  801 ,  3  zu  erklären.  —  Welches  sind 
nun  die  von  Ulrich  angegebenen  fünf  kategorien?  Doch  wol  1)  frau.  2)  witwe. 
3)  haustochter,  noch  iu  der  gewalt  der  eitern  oder  des  Vormundes  oder  am  hofe  als 
dame  der  herrin.  4)  eine  jungfirau  mit  dem  rechte  der  Selbstbestimmung,  wie  Wil- 
manns (a.  a.  o.)  gut  und  knapp  sagt  Man  kann  vielleicht  in  mancher  beziehung  die 
peeress  in  her  oum  right  damit  vergleichen.    5)  concubine. 

S.  605]  Die  kleinode,  welche  die  Schüler  von  ihren  geliebten  bekommen  haben, 
sind  folgende:  D6  wiste  der  $rst  ein  gttldtn  vingerlin,  Der  ander  Moei  kleider 
sidin,  Der  dritte  ein  badelachen  Oenat  von  höhen  Sachen,  Der  vierde  ein  gürtet 
wol  beslagen,  Da^  soli  er  durch  Hn  vromoen  trafen,  Dirre  einen  biutel  würxen 
vol  Von  golde  geworht  wol,  Jener  ein  houben  sidtn,  Det*  eine  ein  vürspan  gttldtn 
GA.  3,  583,  233. 

8.  609]  Zu  dieser  frage  sind  wol  Henrici's  ausfnhrungen  in  seiner  dissertation 
Zur  geschichte  der  mhd.  lyrik  (s.  42  fgg.)  zu  vergleichen.  Sie  gehen  zwar  weit  über 
das  ziel  hinaus,  enthalten  aber  in  einigen  punkten  unbestreitbar  richtiges. 

8. 615]  Anm.  6  füge  hinzu:  Burgaren  und  auch  andern  letxen.  Den  muo^  ich 
dan  von  armuot  Mtn  tohter  geben  xuo  dem  guot  Da§  hie  vor  mtn  eigen  was. 
Wander  da^  guot  an  sieh  gelas.  Da  nimt  er  dan  mtn  tohter  mite,  Diu  ufol  eins 
biderben  mannes  bite  Teichner,  Karig.  286. 

Yor  der  Öfifentliohen  Schliessung  der  ehe  galt  die  faktische  volziehung  dersel- 
ben als  unschicklich:  Solher  xuht  der  degen  pflac.  Das;  er  bt  ir  niht  enlac,  Unx 
er  die  maget  wol  getan  Vor  künegen  und  vor  fürsten  nam  Ze  einer  iUchen  honen 
Mel.  11525. 

8.  618]  Den  frühen  Zeitpunkt  des  heiratens  tadelt  auch  der  dichter  von  Diet- 
richs ahnen  und  flucht  (179):   Stt  der  site  ist  hin  getan,    Da^  man  die  vrofttcen 


ÜBCR  SCHULTZ,   HÖFISCHES  LKBKN  99 

und  ir  man  £  ir  tage  xe  einander  gtt  Des  ist  diu  werlt  hü  dirre  xit  An  manegen 
sacken  gar  xe  hranc:  Dcu;  er  haben  muo^  undane  Der  uns  den  site  bräkte  Und 
»in  van  Srste  geddhte,  —  Über  das  heiratsalter  vgl.  'Waclcemagel  z.  A.  Heinr.  225, 
zu  lol.  1253  und  ferner:  Hugdietrich  ist  zwölf  jähr  alt  (Wolfd.  B.  9,  1),  da  sagt  er: 
nach  einer  Schemen  fratsucen  so  stät  mir  der  muot  ebd.  10,  1.  Demantin  passiert 
es,  dc^  he  eine  maget  saeh  Ein  kint  van  xwelf  jären  (98).  Er  will  sie  zur  frau, 
aber  ihr  yater  sagt:  ^nein^,  sprach  di  wert,  „desn  mag  nicht  sin  Mtn  tochter  is 
noch  ein  kini^  (160).  Vgl.  noch:  Wax  man  von  min  ye  gelasx  Dex  tcist  si  nit 
umb  ein  har.  Wol  vff  funfxehen  jar  Was  du  jung  wirtin  lieders.  1,  599,  8.  Wei- 
ter siehe  noch  die  zu  1,  152  angeführte  stelle  aus  Ottokars  Reimchronik  (cap.  174). 

8. 625]  Ein  gemisoh  von  volkstümlichem  und  kirchlichem  brauch  bei  der  hoch- 
zeit  bietet  Heinrichs  von  Freiberg  Tristan:  Der  bischof  traut  zwar  das  paar,  aber  die 
trauung  hat  statt  während  des  festtanzes,  wo  das  junge  paar  in  den  kreis  geführt 
wird  (633  fgg.).  Nach  dem  ringwechsel  setzen  sie  sich:  vil  kerxen  wurden  üfgexunt, 
Man  brächte  in  trinken  sä  xustunt,  Do  sie  getrunken,  dö  hie^  man  Tristane  sä 
XU  bette  gän  (657).  Sind  das  kerzenanzünden  und  das  weintrinken  alte  rechtsge- 
brauche?  Sonst  komt  die  adustatio  zur  besitzergi'eifung  vor  (RA.  194  fg.),  und  über 
weintrinken  beim  verloben  siehe  Bockel,  Volkslieder  aus  Oberhessen  s.  XXV  und  LV 
fjg-i  ^gl-  Auc^^  ^^^  leitkauf  (die  heirat  ursprünglich  ein  kau^i^esohäffc).  Solte  so  auch 
das  weintrinken  in  der  brautnacht  zu  erklären  sein? 

8.  634]  Das  bringen  von  suppe  in  der  brautnacht  erwähnt  Ring  43,  30  fgg. 

S.  636]  Dass  ursprünglich  jungfrauschaft  die  bedingung  sine  qua  non  für  die 
Verleihung  einer  morgengabe  war,  scheint  auch  Ring  43  c,  21  fgg.  zu  bezeugen: 
Wiest  dax  sey  ein  junehfraw  u?(u/  Dar  umb  so  gib  ich  ir  vil  drat  Ein  par 
sekuoeh  xe  morgen  gab. 

8. 641]  Bei  dem  einzug  ihres  herm  kommen  die  einwohner  des  landes  ihm  festlich 
geschmückt  mit  den  reliquien  unter  dem  geläut  der  glocken  entgegen.  So  ist  es 
bei  dem  einzug  Otto's  von  Bayern  und  seiner  gemahlin  in  sein  land:  Doa  Volch  all^ 
gemein  Orosx  und  klein  Wo  er  cha/m  in  ain  stat  Do  eylt  gegen  jm  drat  Mit  dem 
Ckrewx  und  Heyltum,  Qott  xu  Lob  und  xu  Frum  Muest  man  dy  Qlocken  letcten. 
Damit  sy  pedewten  Dax  sy  alle  do  Seiner  Chunft  uam  fro  Ottok.  v.  St.  cap.  771. 
(Ebenso  eine  Schilderung  vom  jähre  1436  Ztschr.  f.  d.  ph.  23,  28  v.  13  fgg). 

8.  647]  Füge  hinzu:  Dieterich  ein^  (ein  land)  Wolf  harten  lieh  Mit  siben 
vanen  riehen  Bit  11602;  dö  man  dd  ga^,  Vür  den  degen  valsches  la^  Die  vürsten 
mit  vanen  giengen  Ir  lehen  sie  enphiengen,  Diu  sie  von  im  solden  hän  Tand. 
18112.  —  Zu  der  cäremonie  der  belehnung  gehört  manchmal  wol  noch  der  kuss,  den 
der  lehnstrSger  dem  herm  gibt,  vgl.  Grimm,  RA.  143,  Tand.  15229  fgg.:  Der  werde 
kOnee  lieh  ir  sän  Ein  herxoctuom  riebe.  Er  sprach  xer  meide  minnecHche: 
^Vrawe,  ir  suU  küssen  mich  Nach  lehens  rehf^.  j^Da^  tuen  ich*^.,  Spraeh  diu  min- 
neeHehe  maget  und  Sauer,  Cod.  dipl.  Nass.  1,  3,  196  nr.  2173  a.  1339,  wo  Gode- 
frid  V.,  herr  zu  Eppenstein,  seinen  enkeln  alle  seine  lehen  überträgt:  bit  gevalden 
kenden,  bit  gekusten  munde,  alx  man  lehen  xu  rechte  lihen  scU. 

8.  652]  Die  dreimalige  frage  war  überhaupt  rechtsvorschrift;  vgl.  noch  das  von 
Schultz  (1 ,  624  anm.  7)  angeführte  verbot  der  bürgerlichen  eheschliessung  mit  der 
dreimaligen  frage  ^Plaeet  vobis?*" 

8.  653]  Auch  im  Ring  (33,  7)  findet  die  eheschliessung  ohne  piiester  statt. 
Erst  später  gehen  sie  in  die  kirche,   wo  der  pfaiTer  gegen  die  heimliche  ehe  Iieftig 

7*  ^ 


102 

2,  82  anm.  1  zu  verweisen.  Füge  hinzu  Krone  2830.  2835,  Crane  3892  fgg..  Demant 
7527 :  Ein  tepet  wart  ddr  nedir  gebreit  Ddr  Üf  sa^  der  getwerg  gemeit,  DÖ  echuUe  he 
an  di  holten^  ein.  Femer:  Dö  hiej^  er  im  gewinnen  Allen  einen  hamas  Der  im 
echiere  homen  was.  Ein  tepeeh  wart  nider  geepreit  Und  ein  küsse  darüf  geleit, 
Da  der  herre  üf  sa^  ....  Man  sehitohte  im  an  siniu  bein  Zwo  liosen  iserin  (EracL 
4938).  Dann  zieht  er  seinen  halsbeig  und  damuf  den  waffenrock  an,  nimt  das 
Schwert  und  lässt  sich  die  sporen  umgüiien  (4951 — 4969). 

S.  34]  Ourthosen  werden  von  Ottok.  v.  Steyer  kap.  536  erwähnt:  Ourthosen, 
halsperig  und  swert  ChursU  und  Planten  Must  er  sieh  da  satten.  —  In  der  erkllL- 
rung  der  anm.  1  angefühlten  TVillehalmstelle  wird  Schultz  Wolfram  nicht  ganz  gerecht: 
Es  ist  zugleich  ein  Wortspiel  zwischen  senflenier  als  stück  der  bewafhung  und  senf- 
tenier  als  einem  dinge  „(2a^  sanfte  tuot*^  beabsichtigt.  Dadurch  gewint  dieses  spiel 
erst  wider  die  echt  Wolframische  färbung. 

S.  35]  Amn.  4:  Nun  wei^  ich  doch  niht  rehte,  wa^  Witege  an  im  raeh,  Da^ 
er  im  mu)  dem  slitxe  ein  swert  durch  einen  lip  stach  Alph.  304,  3 ;  der  tierde  gert 
Da^  er  ain  gespiex  Swert  Durch  jn  stach  durch  den  Sliex  Ottok.  v.  St  kap.  738. 

8.  38]  Bei  Joppe  hätte  auf  1 ,  264  und  bei  Auqueton  auf  1 ,  302  verwiesen 
werden  sollen.  Ein  wambe^  von  buggeran  wird  Mor.  v.  Craon  828  erwähnt.  —  Über- 
gangen ist  von  Schultz  der  gleichbedeutende  purpunt  (franz.  pourpoint):  Eyn  pur^ 
punt  daden  sy  eme  omme  Van  (hs.  Va)  wgssen  pellen  als  eyn  swane  Karlm.  55,  7 ; 
vgl.  62,  32  fg. 

S.  39]  Ich  halte  das  spaldenier  trotz  seiner  Zusammengehörigkeit  mit  lat 
spaila,  frz.  espaule  nicht  mit  Schultz  für  ein  nur  die  Schulter  deckendes  klei- 
dungsstüok,  sondern  meine,  dass  es  den  Oberkörper  bedeckte.  Ich  glaube  in 
der  gleich  zu  citierenden,  auch  sonst  wichtigen,  stelle  würde  der  zweck  des 
spaldeniers  anders  umschrieben  sein:  Sin  schiniere  (v.  d.  Hagen:  schiviere;  zu 
Schultz  2,  37  anm.  6)  wären  guot  Mit  golde  übergo^n,  Üf  der  huf  gedo^^en  Lac 
ein  sfidin  huffenier.  Von  blankeit  ein  spaldenier  Zieret  im  den  lip  wol;  Sin  plate 
was  gesteines  vol.  Sin  arme  heten  spoi;9enier  Bedecket  unde  mu^^enier  GA.  1,  472, 
644.  Femer:  Da^  spedier  guot  von  siden  da^  muo^  ich  v<m  im  hdn  Wolfd.  D.  12, 3. 
Dd  entwdpent  man  in  sä  xe  hont;  Man  lie  dem  degen  wert  erkant  Niht  dan  sin 
spaldenier  an  Und  vuorte  in  üf  den  tum  dan  Tand.  11162.  —  Anm.  3:  Da$  guote 
eolliere  muoi  ich  von  im  trctgen  Da^  der  degen  xiere  hat  umbe  einen  kragen 
Wolfd.  D.  13,  3.  Die  deutsche  Übersetzung  von  coüiere  ist  halsbant.  Auf  das  pur- 
punt unter  halsberg  und  waffenrock  legt  E!arl  an:  einen  halsbant  der  was  goet 
Karlm.  55,  9,  vgl  62,  34. 

S.  42]  Die  wichtigen  stellen  aus  der  Virginal  scheint  Schultz  übersehen  zu 
haben;  ich  führe  sie  hier  an:  Die  ringe  saeh  man  risen:  Von  ir  swerten  da^  ge- 
sehach.  Wie  vil  der  starken  nieten  brach  Von  stahel  und  ouch  von  isen  62,  3;  Sin 
swert  was  der  heiden  hagel.  E^  wolt  üx  spaUen  manegen  nagely  Die  wol  vernie- 
tet wären  96,.  1;  Vil  borten  klär  von  siden  Die  enthaften  sich  von  siegen  groi; 
Und  lie^ien  manigen  nagelniet.  Der  sich  von  starken  blecken  slo$  J09,  10. 

S.  44]  Zu  anm.  1  vgl.  noch  Du  Gange  1,  659.  8,  183.  Auch  über  denJaxe- 
rant  bringt  Du  Oange  beachtenswertes  bei  (4,  282). 

8.  45]  Die  rüstung  wurde  bald  nach  dem  gebrauch  gereinigt:  Sin  hamaseh 
sehouwet  man  gar,  Man  macht  e^  lieht  unde  glanx  Mel.  7962;  Min  hamaseh  er  von 

1)  Fals  die  form  hoUm  richtig  gelesen  ist,  so  liegt  eiao  ähnliche  fSalsche  analogio  vor,  wie  bei 
niederd.  Imt  fOr  iwn»  (<r  lat  oentua) ,  da  AoIm  aus  lat.  oata&M,  ital.  ooIm  entstanden  ist. 


ÜBER   60IIULTZ,    HÖnSCUES   LBBBN  J03 

mir  cfipfie:  Dar  an  sd  hie^  er  legen  vli^,  Da^  er  gemachet  icürde  loi^  Fi-aueud. 
238,  30;  Sie  kielen  ir  halsperge  Ü4  sehütten  unde  vegen,  Die  durch  iou  und 
durch  regen  Na^  unde  rostie  wären  Eraol.  ed.  Graef  4726;  (Es  wurde)  in  den  gren- 
den  Diu  sarwdt  gereinet  Und  die  helme  beleinet  Mit  rilichen  ximieren  Krone  22118. 
Ebenso  Krone  665,  wo  nach  Niedner  (Tomier  s.  75)  vegete  zu  lesen  ist.  Vgl.  noch 
San  Marte,  Waffenkunde  s.  18. 

Schultz  hätte  die  formen  für  frz.  haubergeon  nioht  so  unvermittelt  neben  ein- 
ander setzen  sollen,  da  so  leicht  misverständnisse  entstehen  können:  haubergeon  geht 
auf  mlai  halbergium  (Du  Gange  4,  160),  häberjcRl  aber  auf  mlat.  ßuUbergeolum, 
afrz.  haubregetd  zurück.  Anm.  8  war  noch  auf  Lucae*s  nachtrag  zu  seiner  bemer- 
kung  über  häberjal  Ztschr.  f.  d.  a.  33,  256  zu  verweisen. 

S.46]  Anm.  4  fuge  hinzu  Ferguut495  (Schultz  2,  30  anm.  13).  Femer:  Wolfd. 
D.  33,  3  heisst  es:  ein  brilnje  veet  von  home  het  er  geleit  an  sieh.]  ac  lesen:  xico 
brunigen;  Grimm,  Roseng.  1654:  Sune  da^  Sifrit  hiimtn  wcore^  dH  halsberge  leit 
er  an.  Dass  es  ganz  gut  möglich  war,  mehrere  halsberge  über  einander  anzuziehen, 
zeigt  die  erzählung  Ottokars  von  Steyer  (cap.  314),  wie  jeder  krieger  aus  der  bela- 
gerten Stadt,  da  ihnen  freier  abzug  mit  dem  was  sie  auf  dem  leibe  tragen  bewilligt 
ist,  sich  den  besten  hämisch  heraussucht,  den  er  finden  kann:  Mit  gut  Halsperigen 
drein  Stich  man  manigen  da  gen,  Da  het  Ettleicher  xioen  Doch  sach  man  da 
chainen  Er  het  xe  mynnist  ainen.  —  Drei  brünnen  sind  OrendelXIII,  31  erwähnt. 

S.  47]  Anm.  2  füge  hinzu:  mu^^/enier  GA.  1,  472,  652.  —  Die  spo^^enier  als 
armbedeckung  (GA.  1,  472,  651  fg.)  kent  Schultz  gar  nioht  —  Die  platte  scheint  einen 
notwendigen  bestandteil  der  rüstung  ausgemacht  zu  haben:  Dowax  er  (der  von  Schar- 
fenberg)  verricht  Wartfi  dax  er  der  Platten  hiet  nicht.  Den  Qräven  da^  hart  Vnd 
die  andern  pestcart.  Man  suecht  alain  in  der  Stat  Ob  yeman  dhaine  hat.  Es 
wird  abei'  keine  gefunden  (Ottok.  v.  St.  cap.  569). 

S.  48]  Zu  der  erörtemng  über  bontt  sind  unsere  obigen  bemerkungen  zu  1,  345 
zu  vergleichen.  Goldene  bonit  werden  Eother  1851  eiwähnt:  Sie  trogen  bontt  gul- 
din   Da  inne  göt  gesteine. 

S.  49]  Über  kuret  ist  Lexer  1,  1794  und  Du  Gange  sub  curetum  zu  verglei- 
chen. —  Zu  anm.  3  füge  hinzu:  Die  maget  die  iserifien  hant  Enphie  und  hiex  in 
üfe  stdn  Gärel  1810. 

S.  50]  Es  ist  wol  zu  erwähnen,  dass  hersenier  eine  ableitung  aus  ndl.  hersen 
ist,  welches  widerum  mit  kirn  eng  zusammengehört,  das  aus  *ßiirsni,  *hir^ni  ent- 
standen ist  (Kluge,  Etym.  wb.^144). 

S.  51]  Mit  unrecht  ändert  Schultz  anm.  6  in  dem  citat  aus  Türheims  Willehalm 
das  kaufen  des  draokes  in  lcoifen\  das  erstere  ist  nicht  zu  beanstanden,  vgl.  goufe 
Wolfram,  Willeh.  92,  12. 

S.  52]  Vgl.  Sin  härsenier  er  al  xe  hant  Wider  üf  sin  houbet  xdch  Tand.  6800; 
Mweder  sin  heim  abe  bafit.  Ouch  lösten  üf  die  härsenier  Durch  den  lufl  die 
helde  fier  Erkuolten  unde  ruoten  da  Mol.  6090;  vgl.  6121  fgg. 

S.  55]  Zu  anm.  7  füge  hinzu:  Helme  und  ouch  die  kUeteUn  Diu  wurden 
schiere  ah  genomen  Lanz.  6838. 

S.  56]  Anm.  3:  vgl.  Jänicke  zu  Bit.  639.  —  Anm.  4:  vgl.  Conradus  dietus 
Beckenhube  (Mainz)  Baur,  Hess.  urk.  2,  523  nr.  538  a.  1297. 

S.  58]  Das  anm.  5  angeführte  beispiel  aus  dem  Frauendienst  ist  zu  streichen, 
da  Ulrich  hier  als  frau  Venus  kämpft,  und  also  Schlüsse  daraus  auf  die  tracht  der 
ritter  unzulässig  sind.    Ebenso  kann  die  erzählung  von  Ilsän,  der  als  mönch  mit  sei- 


104  MEHR 

nen  brüdein  sohwai'ze  kutten  über  der  rüstung  führt,  uichts  beweisen.  Endlich  sind 
die  aidin  mouwen,  die  Lanz.  4431  erwähnt  werden,  als  wappenzeichen  oder  sonstige 
zierraten  zu  betrachten:  der  könig  fahrt  sie  an  aUen  stme  gereite.  —  Ein  vierÜEur- 
biger  waffenrock  wird  im  Meleranz  (10053  fgg.)  geschildert:  Sin  icäpenroc,  Hn  eur^ 
Sit  Was  von  rtehetn  pfeüel  wit,  Der  von  vier  varwen  was^  Rot  und  grüen  alsatn 
ein  gras  Wi^  und  blä  die  vierde.  Der  waffenrock  ist  mit  dem  wappen  verziert:  Der 
helt  wart  sä  vü  schiere  bereit,  Ein  wdfenroe  dar  üf  gdeit,  Der  tcas  von  bahnät- 
siden,  Dar  in  xuf$n  am  von  golde  rdt,  Als  ime  diu  wäre  schulde  gebot  Vii*g.755, 1. 
Besonders  betont  wird  immer  die  weite  des  rockes:  Sin  wäpenroe  was  stdin  Von 
gesteine  ga/p  er  lichten  schin,  Von  mangerhande  saehen  Mit  XAcein  und  sibenxee 
vachen  Lanrin  205. 

S.  65]  Anm.  1 :  kmiere  Chast.  de  Oouci  1699.    Vgl.  noch  Ffaff,  Germ.  33,  33. 

S.  72]  An  dem  ximier  wnrde  vor  allem  der  ritter  erkant.  Es  wird  an  dem 
heim  mit  einer  binde  festgebunden:  Dalkors  der  degen  cüenthaß  Üf  dem  velde  sd 
xuhant  Sin  ximier  von  dem  keime  bant  Da^  er  mit  ritters  handen  Dester  e 
bestanden  Würde  in  der  äventiure  tan:  Wan  in  getorste  nicht  bestän  Kein  ritter 
dem  er  was  bekant  Hoinr.  v.  Freib.  Trist.  2046.  Das  ximier  konte  leicht  abge- 
stochen werden.  So  geschieht  es  dem  Tristan  mit  seiner  sträle.  Später  findet  er 
sie  wider  und  bindet  sie  auf  seinen  heim  (ebd.  2137).  Ein  anderes  beispiel  bietet 
Garel  (3647  fgg.):  Der  ar  wart  ouch  gerüeret  Der  üf  des  wirtes  keime  stuont;  Denh 
wart  ein  slac  mit  eilen  kunt  Da^  er  iHmen  muost  den  heim:  Er  viel  verhouwen 
in  den  melm.  —  Besonders  genau  und  instruktiv  wird  das  ximier  des  Tandareis 
(Tand.  12516  fgg.)  geschildert;  ein  anderes  beschreibt  der  Fleier  im  Meleranz  (5943  fgg.) 

S.  73]  Schellen  am  ximier  erwähnt  Ulrich  von  Liechtenstein  Frauend.  206,  14 
fg.    Andere  belege  siehe  Lexer,  2,  692  sub  schelle. 

S.  75]  Anm.  3  ist  an  der  aus  dem  Frauendienst  angeführten  stelle  (452,  3) 
Diu  wad  statt  Diu  wol  zu  lesen,  wie  ich  PBrBeitr.  15,  332  wahrscheinlich  zu 
machen  gesucht  habe.  —  Eine  der  wichtigsten  stellen  für  die  kentnis  des  helmschmuckes 
hat  Schultz  nicht  beachtet;  sie  findet  sich  in  Joh.  von  Michelsberg  Ritterfahrt  in 
Frankreich  (von  der  Hagen,  Germ.  2,  93  fgg.).  Es  heisst  dort  v.  57:  sin  heim  von 
brunem  stakel  klar  Gab  lichten  spiegelvarben  schin,  Ein  krantx  prislichen  gul- 
din  Ölest  vf  des  kelmes  kröne,  Dar  in  gestecket  schone  Vergulter  gyres  vedem  vil, 
Dar  an  gehangen  ane  xil  Von  golde  tüunenklick  talier.  Der  minnen  xeicken,  ein 
slogier,  Vhvk  ob  des  gyres  vedem,  Den  man  da  sack  vledem.  Gel  siden  vnde 
wol  geworckt. 

S.  77]  Crinale  als  helmdecke  aufzufassen,  wie  Schultz  will,  scheint  mir  nicht 
gut  angängig.  Crinale  ist  mlat.  in  keiner  zu  den  angeführten  stellen  passenden  be- 
deutung  belegt  Aber  für  crinarium  und  crinile  ist  die  bedeutung  sertum  mehrfach 
nachweisbar  (Du  Gange  2,  620),  und  das  mag  auch  an  unserer  stelle  die  meinung  sein. 

S.  78]  Auf  der  reise  trug  man,  wenn  nicht  gefahr  in  unmittelbarer  nähe  war, 
keine  waffen,  ausser  das  schwort,  das  den  ritter  nie  verliess:  Tandareis  hat  nur 
sein  schwort  umgegürtet  (Tand.  4222  fg.);  er  trägt  einen  pfeilerrock,  ein  kappe 
und  einen  pfauenhut  (ebd.  4216  fgg.).  Wie  er  angefallen  wird,  ergreift  er  noch 
einen  Schild,  den  ihm  —  wie  auch  wol  die  andern  stücke  der  i-üstung  —  ein  knabe 
führt  (4230  fg.).  Die  rüstung  wird  oft,  wie  hier,  von  den  knappen  getragen  (die 
königin  kie^  disem  werden  man  Zfwen  knaben  mit  im  vüeren  dan  Helm  schilt  unde 
sper  Tand.  9022)  oder  aber  man  lud  sie  auf  saumtiere:  Want  sy  meist  vngewapent 


ÜBBB  SCHULTZ,  HÖFISCHES  LEBEN  105 

reden.  Sy  hadd&n  do  na  ytefi  aeden  Op  ir  somer  gdaden  Ir  wapen  des  sy  groes- 
sen  eehaden  Namen  in  der  sduer  nacht  Karlm.  122,  9;  der  ungetreue  Willis  wird 
auf  ein  ross  gebunden :  Hynder  yn  sy  (seine  Wächter)  hden  Er  alre  halsherge  Earlm. 
494,  44;  Ir  stät  xe  disen  ^en  Niht  in  hamaseh  rUe/fi  Ir  suU  da^  hamaseh 
steuere  Üf  mtnen  saumcBre  Durch  iuwer  Itbes  ruoiae  legen  Tand.  12720;  Sin  wäpen 
üf  den  somen  lach  Der  he  mafwhen  vor  om  sach  Demant  7421 ;  Mit  golde  harte 
xiere  Vil  schüte  sach  man  gH^en,  Manegen  heim  wt^en  Gebunden  üf  die  soume 
Wig.  271 ,  26. 

Ebenso  galt  es  scheinbar  für  unschicklich  mit  dem  heim  auf  dem  haupt  und 
dem  Speer  in  der  band  einer  dame  gegenüber  zu  treten:  StM  reit  er  xuo  der  müre 
Dd  er  diu  küneginne  vant.  Sinen  heim  er  abe  bant  Und  saxt  in  üf  den  saiet- 
bogen.  Er  was  höveseh  und  wol  gezogen:  Sin  houbet  da^  entwdfent  er,  An  die 
miüre  leint  er  sin  sper  "Wig.  15,  27. 

S.  79]  Anm.  3  füge  nach  Virg.  821,  5  hinzu:  866,  5. 

S.80]  Anm.  7  füge  hinzu:  Ich  enmae  min  hamaseh  niht  getragen  Ze  viie^i, 
dist  mir  xe  stocsre  Tand.  10233. 

8.83]  Zu  anm.  2  vgl.  noch  Lieders.  3,  305,  30:  E^  lit  nit  an  den  gelwen 
sporn,  Da  mit  man  frowen  verdienen  soL 

8.84]  Der  Schild  war  von  holz:  Zehant  enxunde  sieh  da^  bret  Und  verhran 
im  vor  der  hant  Wig.  179,  33;  Ein  güldenen  lewen  er  truoe  Der  wae  üf  da^  bret 
erhaben  Lanz.  4422.  —  Um  den  schild  herum  gieng  ein  rand,  der  kantet:  Als  vmb 
des  Schildes  rande  Oenck  eyn  kantet  van  golde  geslagen  Earlm.  56,  13.  kantet,  das 
wol  von  griech.  xav^og  (radreif)  abgeleitet  ist,  lässt  sich  auch  in  dieser  seiner  bedeu- 
toDg  n  schildreif,  -rand^  leicht  mit  jenem  vermitteb.  Eine  andere  bedeutung  ist 
durchaus  die  gewöhnlichere:  vgl.  Fr.  PfafF,  Germ.  33,  33. 

8.86]  Zuweilen  wird  die  buckel  künstlerisch  gestaltet,  so  in  den  formen  einer 
blume:  Da§  diu  buckel  solde  sin  Da^  wae  ein  bluome  gtddin  Oeworht  mit  grd^n 
fli^  Wig.  169,  16. 

8.88]  Zu  anm.  8  ist  noch  zu  vergleichen  Alph.  192^.,  Crane  3111  fgg.. 
Freuend.  72,  12  und  PBrBeitr.  15,  327  fg. 

8.  89]  Nicht  bloss  zur  konservierung  der  malerei,  wie  8chultz  (2,  97)  meint, 
diente  das  tegimen  in  clypeis,  der  hulft,  sondern  auch  um  die  wappenbilder  zu 
verhüllen,  wenn  man  unerkant  bleiben  weite:  {roter  samtC)  Der  ouch  den  Schilden 
decke  bot,  Da^  si  da  bi  iht  weeren  bekant  Swä  si  riten  durch  diu  lant  Wig.  245, 
11;  Karües  schilt  was  ouertreckt,  Eey  en  wouide  en  neu  voren  endeckt  Durch  xei- 
ehen,  dat  da  ynne  stunt.  Hey  en  woulde  neit,  dat  eman  worde  kunt,  Dat  hey  were 
de  konynk  Earlm.  379,  22;  Den  schilt  von  golde  spannen  wU  Den  bedahten  si  so 
gar  Da^  des  da  nieman  wart  gewar  Bit  2298. 

8.  93]  Unter  den  wappenzeichen  ist  auch  das  türbant  zu  erwähnen,  vgl.  A.  f. 
d.  a.  15,  218  fg.  —  Zu  halbieren  vgl.  noch  A.  f.  d.  a.  15,  220  und  PBrBeitr.  15,  331. 

8.  95]  Bei  den  bestimmungen  über  die  wappenfrage  scheint  zu  erwägen  zu 
sein,  dass  der  fürst,  wie  er  so  viel  fahnen  hatte,  als  ihm  länder  gehörten,  auch  so 
viel  Schilde  besass:  Do  sprach  Ospinel  der  vrie:  Her,  ich  bin  van  Orbie.  Myn 
vader  hadde  vunff  schUde  Ind  was  hoeseh  ind  mylde  Earlm.  413,  5. 

8.  96]  Das  wappen  auf  den  Schilden  war  gemalt:  Mae  ich  dir  (dem  löwen) 
niht  gehelfen,  ich  wil  dir  widersagen,  Deich  dich  nie  mere  gemälet  an  minem 
sehnte  welle  tragen  Wolfd.  A.,  601,  3;   Hoerstu  e^,  geselle  lewe,   den  ich  an  dem 


106  MKTER 

sehüte  habe:  Hüfstu  nikt  dinetn  gesellen,  ich  kei^  dich  schaben  abe  Wolfd.  D.  YIII, 
97,  3;  vgl.  noch  Wolfd.  D.  Vm,  82,  3,  Dd  xuo  tmorte  er  einen  schilt,  Dar  an 
ron  rotem  golde  was  Gestrichen  manee  edel  will  Yirg.  4,  11.  —  Za  anm.  7 
füge  hinzu:  (Sie)  frumten  ir  gereite  Mit  spceher  rtehheite  Von  golde  kostbare  Als 
e^  diu  schiltcere  Wol  gemachen  künden  Die  man  xe  den  stunden  Ze  Ackers  vant 
in  der  habe  Lanz.  8839.  —  Anm.  9:  Üf  einem  Schilde  der  was  gel  Einen  eher  xobe- 
lin  Undr  einem  buckel  gtddin  Mel.  8159;  ^Diu  buckel  diu  gap  lieJUen  schin  Vwi 
arabischem  golde  Als  er  selbe  wolde;  Dar  under  ein  pantel  xobelin.  Die  spangen 
wären  guldin  Die  üf  dem  sehilte  warn  geslagen  Oärel  3104. 

8.97]  Anm.  3  ist  zu  bemerken,  dass  an  der  Ereostelle  (5540)  hulft  eine  oon- 
jektor  Haupts  ist 

S.  100]  Vgl.  zu  anm.  11  noch:  Si  dahten  diu  vil  guoten  mare:  Von  stak 
manie  decke  starc  Leiten  si  üf  ir  kastelän  Dietr.  Fl.  8701.  Eine  covertiure  silberin 
wird  Klage  B.  2909  erwähnt. 

8. 101]  Über  die  eisenpanzerung  wurden  seidene  decken  gebreitet:  T^cr  PheUe 
lagen  Auf  deti  Raveiten,  Die  man  xe  paiden  seyten  Vber  dax  Eisen  het  gestrekeht. 
Wo  sieh  dax  Eisen  phekeht  Vnd  die  tewm  Sameit  Die  gaben  Olast  widerstreit 
Wo  die  Sunn  daran  schain  Ottok.  v.  St.  cap.  148;  Er  reit  ein  ors  swarx  gevar 
Mit  einer  kovertiure  gar  Bedecket  von  samite.  An  der  xeswen  sUe  Was  si  grüene 
alsam  ein  gras :  Dd  xe  der  linken  hani  si  was  Jknkel  röt  als  ein  bluot  Wig.  169, 
8;  Ein  decke  Urne  und  wit  Was  der  iserinen  decke  dach,  Der  man  rieher  koste 
jach:  Ein  phelle  rÖt,  dar  in  gesniten  Mit  vil  kostlichen  siten  lAebart  wi$  hermin, 
Ir  klä  wären  gtddin,  Ir  ougen  wären  gränät  Tand.  2108,  edeliu  ros  Mit  sidin 
wäfen  wol  bedaht  Yirg.  952,  4.  Femer  werden  wappen  auf  der  kovertiure  noch 
G&rel  3082  fgg.  und  3100  fgg.  erwähnt 

8.  102]  Es  wird  weiter  als  teil  der  kovertiure  das  kmkenier  erwähnt:  rot 
was  ouch  sin  lankenier  GA.  1,  471,  607.  472,  667.  473,  669;  korertevr  uttdc 
lankenier  neben  einander  Joh.  v.  Michelsberg  v.  51  (v.  d.  Hagen,  Germ.  2,  95).  — 
Aus  der  ersten  aufläge  ist  das  versehen  stehen  geblieben,  dass  die  croupiere  den 
„bug*^  des  rosses  beschützen  soll:  im  gegenteil,  sie  liegt  vielmehr  über  der  kntppe 
des  pferdes. 

S.  103]  Anm.  2  füge  hinzu:  Covertiure  und  tehtier,  Diu  wären  schoBne  unde 
guot  Eracl.  ed.  Graef  4988.  Die  angeführte  stelle  aus  Wolfdietrich  (D  Y,  202,  3)  ist 
wol  hier  zu  sti'eichen  und  eher  anm.  1  anzuführen,  vgl.  unsere  obige  bemerkang  zu 
1,  499. 

8.  106]  Diesen  abschnitt  kann  ich  in  manchen  punkten  nicht  gutheissen:  mir 
scheint  Niedner  (a.  a.  o.)  bei  abweichenden,  ansichten  meistens,  obwol  nicht  immer, 
im  recht  zu  sein.  Leider  beeinträchtigt  die  übertriebene  schematisierung  die  klarheit 
der  darstellung  bei  ihm  nicht  wenig.  Ich  kann  hier  auf  eine  alseitige  Würdigung  von 
Schultzens  ansichten  nicht  eingehen,  sondern  beschränke  mich  darauf,  einzelne  punkte 
hier  zu  berühren  und  im  algemeinen  auf  Niedners  arbeit  zu  verweisen. 

8.  110]  Anm.  2  war  wol  auch  an  Alphait  402,  Rosengarten  ed.  Grimm  s.  78, 
9,  1  und  Frauend.  199,  13  fgg.  zu  erinnern. 

S.  114]  Die  Waffen  waren  stumpf:  6^  (ein  scharfes  speer)  Wolter  bi  defi  xiten 
hän  üf  den  keiser  verstochen,  swie  man  tumierte  doch  Part.  B.  15107.  —  Die  im 
turnier  gefallenen  von  fürstlicher  abkunft  verzeichnet  Du  Gange  Diss.  Yl,  26,  Baumer, 
Hohenstaufen  YI,  557.     Auch  Ulrich  weiss   im  Fraueudienst   (86,  14  fgg.    87,  24) 


ÜBSB   SCHULTZ,   HÖFISCHES  LEBRN  107 

von  im  tornier  gefallenen  zu  berichten,  die  vom  treten  der  rosse  übel  mitgenommen 
werden.    Es  wird  jemand  von  den  pferden  zertreten  GA.  3,  458,  116  fgg. 

8.  117]   Bei  der  „tafelronde^  war  auch  Reinfr.  190  und  284   zu  erwähnen, 
stellen,  die  schon  Niedner  (a.  a.  o.  41)  bei  der  erörterung  der  tavelrunde  citiert. 
8.118]  Anm.  2:  vgl.  Diez,  Leben  der  troubadours  ed.  Bartsch  s.  236. 

S.  120]  Ulrich  von  Liechtenstein  gibt  vor  (Frauend.  116,  9  fgg.),  es  seien  ein 
hündchen,  ein  gürtel,  ling  und  heftel  von  einer  dame  als  tumiergewinn  gesant 
worden. 

8.  122]  Besonders  habgierig  beim  turnier  sind  die  Österherren  nach  Wig.  216, 
22  fgg.  Ebenso  urteilt  die  Krone  2938:  niht  nach  den  österherren  disiu  tfostiure 
8tuoni\  vgl.  Niedner  a.  a.  o.  s.  17.  Auch  die  vom  Rheine  kämpfen  um  gewinn  (Bit. 
8202):  Die  rechen  von  dem  Rine  Allextt  phlegen  rittersptl  Und  une  si  tumieren 
Vü  bidiu  üf  vlust  und  auch  gewin. 

S.  124]  Die  krojierer  beschreiben  die  wappen  und  wissen  sie  zu  erklären:  da$ 
sehiit  hrüvieren  Tumei  von  Nautei;  B.  954.  So  erhelt  sich  auch  der  dem  heraus- 
geber  unverständliche  ausdruck  in  der  Yirginal  (1047,  1  fgg.):  Der  wdfen  knappen 
kriren  so  Und  otieh  die  vürsten  priviertent  (=  prüviertent)  d6  Und  ouch  die  rit- 
ter  gemeine. 

8.  127]  Anm.  7  ist  der  beleg  Parz.  465,  24  als  nicht  hergehörend  zu  strei- 
chen, hingegen  Parz.  738,  28  hinzuzufügen.  Die  gleiche  bedeutung  hat  valen,  ver- 
v€elen\  ich  verweise  nur  auf  die  zahlreichen  belege,  die  das  mhd.  wb.  (3,  214  fg.) 
gibt  und  hebe  die  aus  dem  Frauendienst  als  besonders  instruktiv  heraus.  —  Anm.  9 
füge  ab  beleg  hinzu:  Crane  3071  fgg.  4364  fgg.,  Demant.  1187  fgg. 

8. 128]  Die  anm.  3  von  Schultz  angeführte  stelle  aus  dem  Wolfdieterich  (D  VII, 
198,  2)  gehört  nicht  hierher:  es  ist  dort  davon  die  rede,  dass  Wolfdietrich  den  gra- 
fen  vom  ross  nimt  und  mit  ihm,  den  er  mit  den  armen  hält,  eine  strecke  fortreitet 
und  ihn  dann  zur  erde  wirft.  Ähnliche  mterstückohen  werden  Bit.  8870  fgg.  und 
Parz.  73 ,  18  fgg.  erwähnt 

8.  129]  Die  knappen  sorgten  im  turnier,  dass  ihr  herr  frische  Speere  erhielt: 
Sin  geeeUen  hat  der  ritter  Jddr  Da^  sie  im  etlich  knaben  liefen,  Die  solden  des 
uol  genießen,  Die  sin  pfUegen  in  dem  tumei  Tand,  12829.  Und  als  Tandareis  später 
im  kämpf  einen  ritter  heransprengen  sieht,  sagt  er  zu  seinen  knappen:  sit  mir  mit 
den  spem  H  (Tand.  13812).  —  Zu  anm.  11  vgl.  noch  Demant  3900.  4100. 

8.  130]  Wenn  Schultz  sagt:  „man  nante  solch  einen  mann  (einen  tüchtigen 
ritter)  einen  waldzerstorer  {tcaltstoende)'^^  so  ist  das  nicht  ganz  richtig:  nicht  „man'' 
tut  es,  sondern  die  dichter,  welche  Wolfram  nachahmen  und  ihn  bewundem,  gebrau- 
chen diesen  wol  von  ihm  geprägten,  jedesfals  aber  von  ihm  in  curs  gesezten  aus- 
druck. 

8.  131]  Über  die  bedeutung  des  fride  beim  einzelkampf  imd  beim  tuinier 
äussert  sich  Schultz  nicht,  und  doch  ist  diese  frage  sehr  wichtig,  vgl.  Niedner  a.  a.  o. 
^  ^ISS-  ""  Unverständlich  ist  mir  der  Vorgang,  dass  bei  einer  ritterlichen  ^ost  der, 
welcher  den  andern  zu  boden  geworfen  hat,  über  ihn  mit  absieht  weg  reitet.  So 
verstehe  ich  wenigstens  die  beiden  mir  bekanten  stellen:  Meleranx  den  truhsa^en  stach 
Binder  da^  ors  üf  den  pldn:  Da^  was  im  selten  e  getan.  Er  reit  üf  in  und  trat 
in  nider.  Des  erholt  er  sich  wider  Mel.  5108;  Tandai'eis  falt  den  Kanda^'on  vom 
ross:  mit  xomes  siten  reit  er  Uf  in  und  trat  in  nider,  Do  hülfen  im  die  Hnen 
wider,  Da^  er  niht  den  lip  verlos  Tand.  10681. 


^tmt  .  I  .  r« 


108  MEIER 

S.  133]  Mit  recht  bemerkt  schon  Niedner  (a.  a.  o.  68  fg.),  dass  an  den  in  den 
anm.  4  und  5  angeführten  stellen  das  schlagen  mit  den  Schwertern  auf  die  ritter, 
das  mit  den  prügeln  auf  die  kipper  geht 

S.  134]  Auch  Ottokar  von  Steyer  weiss  in  zwei  berichten  über  tomiere  zu  Graz 
und  zu  Wien  davon  zu  erzählen,  dass  das  spiel  im  tumiere  bald  zu  blutigem  ernst 
geworden  wäre,  fals  die  färsten  nicht  das  tnmier  aufgehoben  hätten  (Ottok.  v.  St 
oap.  738,  fol.  706  a.  708  a). 

S.  135]  Zu  Ulrichs  erzählung  von  dem  vereitelten  Friesacher  tumier  vgl.  auch 
PBrBeitr.  15,  321.  —  Schultz  meint,  dass  die  kipper  gewöhnlich  vom  tumier  aus- 
geschlossen gewesen  seien.  Indessen  hätte  er  das  richtige  aus  der,  auch  von  ihm 
unten  in  der  anmerkung  oitierten,  stelle  aus  Niedners  tumier  (s.  68)  entnehmen  kön- 
nen, wo  es  heisst:  «sie  (die  kipper)  werden  wol  bei  den  meisten  tumieren  damaliger 
zeit  nicht  gefehlt  haben''. 

S.  137]  Berthold  von  Holle  schildert  im  Demanian  (613  %g.)  die  tribüno  der 
damen:  Beämtmde  gemachet  was  Ein  sÖ  hdeh  paku  Van  kolxe  hdch  unde  Hch. 
Manig  frouwe  tpunniglteh  W<u  lH  der  juncfrouwen  dar  Und  mcmig  ritter,  da^  is 
war,  Di  or  di  wäfen  sagete.  —  Eine  gute  Schilderung  eines  tumierplatzes  gibt  der 
Ring  (8,  26):  Dar  xuo  ward  geschaffen  Da^  man  auch  schoUe  machen  Einen  xaun 
all  umb  den  plan  Dasf  wa^  jo  also  schier  getan  Und  dar  auf  scholl  man  priigi 
legen  Durch  der  schönen  frawen  wegen  Die  den  tumer  schölten  sehen,  —  Anm.  5: 
Weitere  und  zum  teil  charakteristischere  belege  hätte  Schultz  aus  Niedner  a.  a.  o. 
s.  73  entnehmen  können.  —  Dass  bei  mancher  tjost  auch  lieder  von  den  littem 
gesungen  werden,  berichtet  Ulrich  von  Liechtenstein  (Trauend.  458 ,  8  fgg.):  Diu  liet 
gesungen  wurden  vil:  Für  war  ich  iu  da^  sagen  wü,  Bt  den  lieden  wart  geriten 
Manie  tjost  nach  ritters  siten.  Diu  liet  man  vü  gerne  sane  Dd  ßwer  üx  tyost 
von  helme  spranc:  Si  dühten  manegen  ritter  guot,  Si  rieten  ritterlichen  muot. 

8. 139]  Mit  unrecht  hat  Schultz  die  Lachmaun' sehe  textoonstitutionvonFarz.812, 
9  fgg.  aufgenommen.  Die  Paul'sche  darlegung  (PBrBeitr.  2,  97),  die  weiterhin  Niedner 
(a.  a.  0.  s.  32  fg.)  vervolständigt  hat,  hebt  klar  ihre  unzulässigkeit  hervor  und  zeigt,  dass 
zu  schreiben  ist:  der  dritte  ist  xen  muoten:  Ze  rehter  ijost  den  guoten  Ich  hurtecltchen 
hän  geriten-,  vgl.  auch  noch  die  von  Paul  angeführten  stellen  Willeh.  29,  15  und 
361,  21  fgg.  —  Was  die  weitere  Interpretation  der  fünf  stiche  anbetrift,  so  kann  ich 
mich  mit  Köhler  und  Schultz  nicht  einverstanden  erklären,  die  mit  ungenügenden 
gründen  das  tumier  nur  als  massenkampf  in  geschlossenen  formationen  aufhssen. 
Ich  möchte  vielmehr  Niedner  beistimmen,  der  eine  Zusammensetzung  aus  massen- 
und  einzelkampf  annimt,  ohne  jedoch  seine  ausführungen  in  allen  einzelheiten  unter- 
schreiben zu  können.  Wie  wollen  z.  b.  Schultz  und  Köhler  bei  ihrer  auffassung  das 
justieren  zwischen  den  schäm  erklären,  das  als  etwas  besonders  mutvolles  gerühmt 
wird  (vgl.  Niedner  s.  53  und  Tand.  12833:  ich  stcech  gern  elHch  sper  enx4cei  Noch 
hiute  xwischen  den  schäm;   vgl.  auch  weiter  Sachsenspiegel  1,  38,  2)? 

8.  140]  Schultz  hat  den  Zusammenhang  übersehen:  nicht  Demantin,  sondern 
Andiför  ruft  den  namen  der  schönen  Delasie.  An  den  in  der  anm.  3  aus  Demant 
angeführten  stellen  wird  6730  Alophie  von  dem  vogt  und  6734  Beämunt  von  Firga- 
nant  angerufen. 

S.  141]  Das  zäumen  erwähnt  Schultz  gar  nicht  bei  seiner  Schilderung  des  tur- 
niers,  und  doch  ist  es  von  grosser  Wichtigkeit,  vgl.  Niedner  a.  a.  o.  s.  67  fg.  und 
auch  Ring  7b,  37  fgg.;  7c,  20 fgg.;  8b,  38 fgg.  Es  scheint  beim  schwertkampf  auch 
darauf  angekommen    zu  sein  mit  den,   allerdings  stumpfen  waffen   den  zäum  der 


ÜBER  SCHULTZ,  HÖFISCHBS  LEBEN  109 

rosse  zu  durchschlagen  und  so  das  führungslose  ross  mit  fortzuziehen:  der  reiter 
konte  kaum  so  schnell  die  zügel  widergewinnen,  da  er  in  der  rechten  band  das 
Schwert  und  in  der  linken  den  schild  hatte.  Anders  als  eben  angedeutet  kann  ich 
die  bekante  stelle  im  Biterolf  (8450  fg.)  nicht  verstehen :  Ja  aiht  man  von  ir  handen 
(von  den  nicht  tumiererfahmen  leuten  des  Witzlan)  Durch  xoume  selten  ge- 
slagen, 

8.  142]  Dass  bei  lichte  Ijostiert  wurde,  erzählt  üliich  von  Liechtenstein:  Diu 
naht  den  tae  het  gar  verswant.  Nach  grölen  liehten  ich  dd  sant:  Der  kom  mir 
üf  da^  velt  gar  viL  Für  war  ich  iu  da$  sagen  toil,  Wir  stächen  bt  des  lichtes 
schtn:  Sd  gern  dient  ich  der  vrowen  min  (Frauend.  271,  25). 

S.  152]  Auch  Rfipot  von  Yalkenberc  (Frauend.  474,  25  fgg.)  gehört  wol  zu  den 
schnaphähnen ,  die  sich  durch  plündern  und  rauben  ernähren. 

S.  157J  Der  besiegte  gibt  knieend  mit  handsohlag  seine  Sicherheit:  Als  er  die 
sehoBnen  maget  sach  Er  kniete  mir  sie  unde  sprach:  Vrowe,  ich  bringe  iu  siclier- 
heit  Tand.  9650;  Diu  maget  die  tserinen  hant  Enphie  und  hiez  in  üfe  stäti 
Gärel  1810. 

S.  174]  Bei  den  ordalen  war  vielleicht  noch  ein  algemeiner  verweis  auf  Grimm, 
RA.  912  fgg.  hinzuzufügen.  Eine  interessante  erzählung  eines  Arabers  über  die  got- 
tesgerichte  und  zwar  über  den  Zweikampf,  die  feuer-  und  wasserprobe  und  über  die 
stel Vertretung  bei  weibem  und  krüppeln  steht  in  dem  werkchen  von  G.  Jacob,  Ein 
arabischer  berichterstatter  aus  dem  10.  oder  11.  Jahrhundert  (Berlin  1890)  s.  14 
fgg.  —  Über  die  bedingungen  bei  einem  Zweikampfe  mit  einem  hunde  handelt 
QA.  1,  179,  371  fgg.:  Man  sol  dem  man  ein  knütel  geben,  Da  mit  er  vristen 
kan  sin  leben,  Armes  grd^  und  elen  lanc,  Da^  ist  mtn  rät  und  min  gedanc: 
Oueh  gebe  man  dem  hunde  Die  xend  in  einem  munde,  Da  mit  er  sieh  weren  sol, 
Des  mac  er  sich  vrien  wol. 

S.  199]  Anm.  9:  tüsent  schützen  wol  geriten  Gärel  4300.  Vgl.  auch  die  abbil- 
dungen  in  Boeheims  Waffenkunde  8.390—392. 

S.  202]  Anm.  4  ist  Schultzens  angäbe  wol  dahin  zu  berichtigen ,  dass  nach  der 
gewöhnlichen  annähme  armbrust  wol  kaum  aus  der  form  aroubalista,  sondern  viel- 
mehr aus  mlai  arbalista  entstanden  ist.  Eine  andere  etymologie,  die  schon  Gott- 
sched (vgl.  Adelung,  "Wb.  sub  armbrust)  aufgestelt  hatte,  versucht  W.  Boeheim 
(Waffenkunde  402)  wider  aufzunehmen.  Seine  aufstellungen  sind  ihm  zwar  sehr 
sicher,  aber  doch  nicht  richtig.  Er  sagt:  „Der  deutsche  name  sezt  sich  aus  den  wer- 
ten ,arm^  und  ,rüstung^  zusammen  und  bedeutete  somit  ursprünglich  eine  ,arm- 
rüstung^  Mit  dieser  bezeichnung  ,armrust^  erscheint  sie  schon  im  12.  Jahrhundert 
Am  ende  des  15.  Jahrhunderts  unterlag  das  wort  armrust  einer  neuen  Schreibart,  die 
dem  m  ein  b  anfügte,  wie  u.  a.  bei  räumblich,  saumb,  Beheimb,  ziemblich '^.  Jedes 
einzelne,  was  Boeheim  hier  anfuhrt,  ist  nun  unrichtig:  Im  12.  Jahrhundert,  wie  auch 
sonst,  komt  meines  Wissens  die  schreibtmg  armrust  nie  vor,  sondern  schon  seit  dem 
11.  jahriiundert  wird  stets  armbrust  geschrieben  (Schmeller*  1,  145).  Diese  form 
tritt  hoch-  und  niederdeutsch  auf  und  wird  von  hier  aus  durch  die  nordischen  spra- 
chen entlehnt.  Ende  des  13.  Jahrhunderts  taucht  eine  form  ärmst  auf.  Vom  ein* 
fach  lautlichen  Standpunkt  wäre  trotz  alle  dem  angeführten  eine  entstehung  des 
Wortes  aus  arm  und  rust  (Instrument,  Werkzeug  Schmeller*  2,  163)  nicht  ganz 
unmöglich,  und  die  form  ärmst  könte  direkt  darauf  zurückgehen.  Der  einschub  des 
b  als  übergangslaut  wäre  vne  bei  kumher  <;  cumulus  zu  erklären.  Allein  die  Schwie- 
rigkeiten scheinen  mir  zu  überwiegen,   so  dass  man  diese  etymologie  keineswegs  als 


110 

hinlfinglich  begründet  hinstellen  kann.  Indessen  ist  mir  die  deatung  aas  arbalista 
ebenso  unwahrsoheinlich. 

8.  203]  £ine  besondere  art  der  armbnist  war  die  kraparmbrtui  Ottok.  v.  St 
cap.  714;  vgl.  noch  Schmeller'  1,  145. 

8.  212]  Bei  der  beeprechung  der  Streithämmer  wai'  wohl  auf  fig.  111  (s.  205) 
zu  verweisen,  wo  die  abbildong  eines  solchen  sich  findet. 

8.  213]  Das  Verhältnis  von  kiule  und  koU>e  (anm.  3)  ist  so,  dass  kitde  ursprüng- 
lich die  am  ende  des  kolbens  befindliche  kngel,  mit  welchem  weite  es  auch  lautlich 
zusammenhängt,  bezeichnet  Erst  spfiter  wird  der  name  kiule  auf  die  ganze  waffe 
übertragen. 

8.  216]  Anm.  1:  Ein  Zusammenhang  von  flatsche,  fletsche  mit  poln.  paiasx 
wird  kaum  anzunehmen  sein.  Die  nebenform  plaeehe  ist  zu  erklären  wie  flecken  : 
placken,  fleUen :  pletxen  (vgl.  noch  Lexer  2,  388). 

8.  219]  Die  kolmerhüete,  welche  die  bauem  tragen,  haben  wir  schon  oben  zu 
s.  9  erwähnt  8ie  waren  auch  hier  anzuführen.  —  Dass  die  fusssoldaten  nuinchmal 
auch  eisenrüstungen  tragen,  zeigen  stellen,  wie  die  folgenden:  Ich  füer  oueh  »wei 
iüsent  achiUxen  dar  Und  x'iser  xwei  tüsent  aarjant  Gftrel  2394;  Zu  dem  kunig 
Cham  dar  Zu  fueaxen  ain  gros  Her,  Wot  beraü  vu  Wer  Vnd  in  gancxem  Har- 
nasch  Ottok.  v.  8t  cap.  678. 

8.  225]  «Unter  der  fahne  jemandes  sein^,  heisst  „sich  einem  unterstellen,  auf 
seiner  seite  unter  ihm  kämpfen**.  Dies  zeigt  auch  schon,  dass  eine  hauptfahne,  die 
des  fahrenden  fürsten,  den  mittelpunkt  des  ganzen  bildete.  Vgl.  Bestät  er  (Tristan) 
in  dem  lande,  Wir  sin  iemer  mi  genesen  Und  muo^  Ridl  der  grdve  wesen  Mit 
varhie  under  d$nem  vanen  Türh.  Trist  140. 

8.  228]  Ungelenk  im  ausdruck  sind  die  folgenden  sätze:  ,Im  deutschen  und 
englischen  wird  der  carroccio  gewöhnlich  standart  genanf*  (s.  228),  „In  den  deutschen 
gedichten  wird  das  wort  stanthart  selten  erwähnt**  (s.  229)  und  „Deutsch  wird  das 
carroccio  heerwagen  genant**  (s.  234). 

8.  229]  Anm.  5 :  Die  carrosche  von  Mainz  erwähnt  Ottok.  v.  St  cap.  678. 

8.  230]  Eine  genaue  Schilderung  des  carroccio,  hier  heeiwagen  genant,  und 
seiner  einrichtung  gibt  Des  teufeis  netz  7241  fgg. 

8.  237]  Anm.  2:  Zu  den  citaten  aus  Demanün  ist  auch  noch  Demant.  10681 
fgg.  zu  vergleichen. 

8.  238]  Anm.  2  füge  hinzu:  Virg.  663  fgg.,  Gudrun  195,  2. 

8.  241]  Über  die  grosse  von  Wegstrecken,  die  einzelne  am  tage  zurücklegten, 
teilt  auch  Gasner  (a.  a.  o.  s.  120)  einiges  mit  Vgl.  femer  noch  die  Vie  domestique 
(s.  60  fg.):  Jean  de  Blois  legt  an  einem  tage  bis  zum  disner  35  kilometer,  an  einem 
andern  tage  in  der  zeit  vom  mittagessen  bis  zum  abend  13  kilometer  zurück. 

8.  245]  Schultz  hätte  noch  anführen  sollen,  was  es  heisst  den  woldan  rUen: 
woldan  ist  ein  rascher  Verstoss  gegen  den  feind,  eine  gewaltsame  rekognosderung, 
vgl.  J.  Grimm,  Ztschr.  f.  d.  a.  5,  494  fgg.  (wo  aber  die  mythologische  deutung 
unrichtig  ist),  Bartsch  zu  Demant  7381,  Ottokar  von  Steyer  cap.  319.  343.  740.  Vgl. 
weiter  geweidiger  ryi  Böhmer,  Cod.  dipl.  Mcenofrancfurt.  587  a.  1344. 

8.  251]  Ein  anderes  zeit  wird  geschildert  Altsw.  91,  28  fgg.:  Das  gexsU  was 
ein  rot  balkin.  Die  seil  wären  grüen  sidin^  Von  silber  waren  die  pfel.  Von  rotem 
gold  sunder  hei  Warn  die  knöpf  uf  dem  gexelt.  —  Das  zeit  des  Godomas,  welches 
Meleranz  erkämpft,  weiss  der  Fleier  in  den  glänzendsten  färben  zu  malen  (Mel.  10379 
— 10398).  —   Die  oben  im  text  gegebene  dai'stellung  entspricht   nicht  der  in   der 


ÜBER  SCHULTZ,  HÖJI8CHB8  LEBEN  111 

anmerkung  (3)  angeführten  stelle  des  Franendienstes :  Ulrich  hat  vier  hanner  und 
ISsst  diese  je  einen  rosslauf  von  einander  entfernt  aufstollen.  So  wird  ein  carree 
begrenzt:  eingehegt  wird  es  durch  schnüre,  die  um  diese  vier  banner  geschlungen 
werden.  Längs  derselben  lässt  er  in  Zwischenräumen  seine  mit  fahnen  geziei*ten 
Speere  in  die  erde  stecken. 

S.  255]  Vor  dem  beginne  des  krieges  werden  die  heergesetze  beschworen:  er 
(der  kaiser)  gebot  da^  man  stcuor  (E^  wcere  riter  oder  kneht)  Den  herfride:  da^ 
was  reht  Eracl.  ed.  Oraef  2718. 

S.  266]  In  der  nähe  des  feindes  soll  jeder  die  nacht  hinduroh  im  hämisch 
bleiben  und  sein  ross  an  der  band  halten  (Alph.  330  und  332). 

8.  267]  Die  wache  dauert  einen  tag  lang,  so  war  es  bestimt:  In  den  selben 
xUen  toären  diu  reht,  Swer  die  wart  teoU  suoehen,  rittet  oder  kneht,  Der  phlac 
ir  tpol  mit  iren  bi^  der  tae  ein  ende  nam.  Älsd  tete  ouch  Älphart,  als  einetn 
ritter  tcol  gexam  Alph.  205. 

8.  277]  Die  anm.  6  aus  dem  Tandareis  (13638  fgg.)  angeführte  stelle  ist  zu 
streichen,  da  hier  vom  tumier  die  rede  ist  Dagegen  ist  zu  dtieren  Dietr.  Fl.  8744 
fgg.    8759  fgg. 

8.281]  Ottokar  von  Steyer  schildert  die  reichsfahne:  Des  Reiches  Warxayehen 
Das;  ist  ain  Vane  smal   Der  get  lang  her  x/u  tal  (cap.  810). 

S.  282]  Das  singen  von  liedem  vor  und  während  des  kampfes  wai*  algemein: 
Ze^amen  st  dö  drangen,  die  schefte  brdchens  gar.  Ir  unse  s%  do  sungen  in  bei- 
denthalp  der  schar  Wolfd.  A.  336,  3.  Das  Kyrieleis  wird  gesungen:  Ein  sendleich 
Gesankch  Hubens  mit  dem  Kyrieleis,  Sain  wax  ir  Raisx,  Do  si  xu  einander  staph- 
ten  Ottok.  v.  8t  cap.  571;  Ee  si  den  Rueff  vol  sungen,  Do  chomen  si  gedrungefi 
Zu  einander  mit  ainem  Stoxx  Ottok.  v.  Si  cap.  572.  Das  gewöhnliche  schlachtlied 
war  aber  der  leich  ^Sant  Marei,  muoter  unde  meit,  AI  unser  ndt  si  dir  gekleit^ 
(vgl.  Schultz  2,  279):  Do  hueb  der  Ootes  Kaplan  Äinn  Ruff  mit  lauter  Stimm  an: 
Sand  Marey  Muter.  Diser  Ruef  guter  Wirt  selten  geschwigen  von  den  Heren, 
Denn  so  sy  xesamen  cheren  Mit  Helm  verpunden  Ottok.  v.  St.  foL  626  b.  —  Aber 
nicht  immer  waren  die  lieder  der  ausdruck  kampfesfreudiger  Stimmung:  der  feige 
suchte  sich  am  abend  vor  der  Schlacht  durch  sie  mut  einzusingen  und  weite  freudig 
erscheinen:  Der  xage  trüwet  niht  genesen  Als  er  den  vient  ane  siet.  Er  beginnet 
singen  siniu  liet  Sam  er  stolx  und  frö  si  Und  ist  doch  niender  da  In  (Eracl.  ed. 
Graef  4734). 

S.  292]  Durch  das  „besitzen''  des  Schlachtfeldes  machte  man  sich  zum  eigen- 
tümer  desselben ;  vgl.  noch  Der  künec  besas;  die  naht  da$  ical  Herz.  Ernst  B.  4751 ; 
die  naht  besäßen  sie  da$  wdl  ebd.  4870. 

S.  296]  Über  wei^l  vgl.  Lexer  3, 748  und  mei^el  ebd.  1,  2090.  Die  gewöhnlichen 
heilmittol  bei  Verwundungen  erwähnt  noch  Eracl.  ed.  Graef  4804:  Sie  bedürften  de- 
heiner  salben,  Weder  wei^  noch  phlaster.  Eine  grüne  übelriechende  salbe,  die 
Bechstein  für  unguenium  populeum  hält,  erwähnt  Ulrich  im  Frauendienst  (28,  2  fgg.). 
Für  die  eignen  vei'wundeten  wird  nach  besten  kräften  gesorgt:  J^Nü  volge  mir^  Ijam- 
parte*^,  sprach  aber  Alberich,  j,Und  suoehefi  tvir  die  toten,  da^  ist  gewi^^enlich. 
Die  wol  genesen  kunnen  under  diseme  her.  Die  sende  wir  in  barken  Zuo  den  kie- 
len Üf  da^  mer'^  Ortnit  IV,  342,  1. 

8.  297]  Die  Chirurgen  müssen  damals  nicht  sehr  vertrauenerweckend  operiei-t 
liaben.    Und  danini  war  es  (un  groftsos  waguis,    wonii  Uh'ich  von  Liechtenstein  zu 


112 

dem  entschluss  kam:  Der  lefSf  der  ich  drie  hän,  Der  wil  ich  eine  sntden  län 
(Frauend.  25,  3).  Auch  bei  kleinen  Operationen  wurde  der  patient  festgebunden 
(Frauend.  25,  27).  Wie  bei  dem  aderlassen  und  baden,  so  gab  es  auch  günstige  tind 
ungünstige  zeiten  für  Operationen.  Für  besonders  vorteilhaft  scheint  der  mai  gegol- 
ten zu  haben:  E$  ist  nü  gar  enwihi:  Ich  sntd  iueh  vor  dem  maien  niht.  Kumt 
ir  mir  in  dem  maien  her,  Bi  min  triuwen  ich  iueh  wer:  Ich  mach  tu  iwem 
munt  also,  Da^  ir  sin  sU  von  schulden  vrd  (Frauend.  24,  5  fgg.). 

S.  298]  Des  Teufels  Netz  (7282  fgg.)  erwähnt,  dass  man  die  armen,  die  ver- 
wundet waren,  ruhig  auf  dem  schlaohtfelde  habe  liegen  lassen. 

S.  303]  Anm.  1 :  Vgl.  noch  Des  teufeis  netz  7279  fgg. 

8.  305]  Über  die  ausplünderung  von  leichen  vgl.  die  ausführung  der  hand- 
schriften  BC  in  Des  Teufels  Netz  nach  7289. 

8.  306]  Zu  dem  gebrauch,  im  notfalle  erde  oder  gras  statt  der  hostie  in  den 
mund  zu  nehmen,  war  wol  auf  Wackemagels  erörterungen  Ztschr.  f.  d.  a.  6,  288  fg. 
und  auf  Böckel,  Volkslieder  aus  Oberhessen  s.  XUVill  anm.  1  zu  verweisen. 

S.  307]  Die  gefallenen  mannen  des  Ermrich  werden  den  vögeln  überlassen 
(Dieü*.  Fl.  9891  fg.).  Später  (10050  fgg.)  aber  wird  erzählt,  dass  Dietrich  die  edel- 
sten habe  aufheben  und  bestatten  lassen,  ja  sie  beklagt  habe,  obwol  sie  seine  feinde 
gewesen  seien.  Der  dichter  fasst  sein  urteil  über  dieses  tun  so  zusammen:  er  begie  ein 
tugent  an  der  stat  Da^  vil  selten  dehein  künec  ie  Solhe  tugende  hegte  Hie  bevor 
bi  einen  tagen  (Dietr.  Fl.  1(X)46).  Ähnliches  wird  Alph.  462  fgg.  berichtet:  D6  spracti 
der  vogt  von  Beme:  E^  sol  erlottbet  toesen,  Da^  man  vüere  %e  lande,  Die  mugent 
noch  genesen.  Die  toten  al  geliehe  sol  man  hie  begraben:  Viende  und  vriunde 
stUen  des  urloup  haben, 

S.  323]  Anm.  7  füge  hinzu:  CCCXLin,  (XICL. 

S.  333]  Anm.  8:  Nu  pegund  vaste  schreien  Der  oben  in  der  keiben  (Pez: 
Scheiben)  sa^  Ottok.  v.  Si  cap.  40. 

8. 337]  Weisse  und  schwarze  segel  erwähnt  Heinr  v.  Fi-eibeigs  Trist.  6345  fgg. 

S.  367]  Anm.  6:  Rüdeger  der  gap  duo  Eines  lorboumes  xuü  Einem  garxün, 
der  stuont  da  bi  Und  horte  gar  diu  nuere  Wa^  in  enboten  w<xre  Bit  9932.  — 
Anm.  10:  ^Neinä,  werder  grdve,  du  soU  min  böte  sin"".  Einen  vcUken  saaUe  im 
Üf  die  hant  die  edel  kaiseHn  Wolfd.  D.  YDI,  203,  1.  Er  tcolte  in  mit  gewalte 
i«$  dem  satel  geworfen  ßiän,  Dd  er  im  kam  so  nähe,  des  vogels  wart  er  gewar: 
Den  sper  warf  er  urtnhe,  der  edele  fürste  klär  ebd.  205,  2.  —  Auf  andere  weise 
deutet  Wälwein  dem  Lanzelet  an,  dass  er  nicht  mit  ihm  kämpfen  will  (Lanz.  2381  fgg.). 

S.  368]  Anm.  4:  (Karl)  nam  xo  eme  eynen  rittere  Ind  machden  sieh  xtoene 
myssagere  Ind  heyngen  eynen  schilt  umb  gekert  Vp  eren  ruck  vnuerueirt  Ind  geyn- 
gen  ane  landen  do  Der  stat  xo  Agune  xo.  Also  plagen  de  boden  xo  der  xyt  Ere 
botschafft  xo  done  ane  nyt  Karlm.  348,  40. 

S.  409]  Bei  der  von  Schultz  anm.  5  angeführten  stelle  aus  der  Krone  (11735 
fgg.)  ist  wol  das  y,don  enmohten'^  am  anfange  nicht  zu  entbehren,  um  das  oitat  ver- 
ständlich zu  machen.  Übrigens  ist  hier  von  der  bezwingung  der  Ginover  die  rede, 
und  die  gleichsetzung  des  igel  mit  dem  priapus  stüzt  Schultzens  auffassung,  dass 
der  igel  dieselbe  maschine  sei,  wie  der  widder;  vgl.  priapus  als  bezeichnung  des 
Widders  bei  Schultz  oben  anm.  4. 

S.  437]  Kam  ein  feindlicher  krieger  zu  nahe  an  die  mauer  der  belagerten  stadt 
heran,  so  suchte  man  um  mit  krapen  (krapfen)  zu  fassen  und  herauf  zu  ziehen.  So 
wird  Grendel  gefangen  (Orend.  2353  fgg.). 


ÜBEA  S0HI7LTZ,   HÖTISOHBS   LEBKN  113 

8.  450]  Über  die  plünderung  seitens  der  Soldaten  vgl.  noch  Des  Teufels  Netz 
7290  fgg. 

8.  454]  Nach  einer  stelle  im  jüngeren  Titurel  (5873)  gibt  Schultz  schlechtweg 
an:  ,Der  könig  schwur  bei  seinem  harte,  und  dieser  eid  galt  als  unverletzlich*^.  Das 
ist  in  dieser  algemeinheit  sicher  unrichtig,  vgl.  Von  Britanien  Fanisdr,  Der  üf 
sitne  hoibte  swdr  Zu  dtnste  dem  von  Engelant  Demant.  9921;  So  is  he  di  werde 
Äehilant,  Di  üf  sine  krönen  swdr  Sinre  amienj  do  he  vor  ü^  slme  riche  in 
Engelant,  He  wolde  or  dinest  tun  hekant  ebd.  9880;  Ich  stcür  und  lotete  onie  do, 
Do  he  mir  clagete  sine  ndt,  Des  werdin  Demantines  ddt:  Den  stcür  ich  üf  die 
erönen  min.  Di  eit  mö^  gehalden  sin,  Da^  si  mir  Hb  adir  leit  ebd.  6064. 
Den  schwur  bei  dem  harte  tut  noch  der  kaiser  Cosdroas  (er  stvuor  bi  einem  barte 
Eracl.  5178)  und  Otto  mit  dem  barte  (swa^  er  bi  dem  barte  geswuor,  Da^  liei;  er 
alle^  taär  Otte  6).  —  Das  richtige  in  Schultzens  anschauung  scheint  mir  in  folgen- 
dem zu  bestehen:  Man  schwöit  im  algemeinen  bei  einem  höheren;  gott  schwört  bei 
sich  selbst  Und  so  mag  es  auch  kommen,  dass  —  ein  abglanz  göttlicher  würde  — 
die  könige  bei  sich  selbst,  bei  einem  teil  ihrer  person  und  einem  attribut  ihrer  her- 
schaft schwören. 

8.  470]  Aus  anm.  7  geht  nicht  hervor,  dass  die  kirchenglocken  beim  begräbnis, 
sondern  nur  dass  sie  beim  todesfall,  wie  noch  heute  vielfach,  geläutet  wurden. 

HALLE  ▲.  S.,   AUGUST   1890.  JOHN   MEIBB. 


Die  Sprachwissenschaft,  ihre  aufgaben,  methoden  und  bisherigen 
ergebnisse  von  G.  ?•  d.  Gabelentz.  Leipzig,  T.  0.  Weigel.  1891.  XX  und 
502  s.    gr.  8.    14  m. 

Dem  werke,  über  das  wir  hier  berichten,  wird  es  versagt  bleiben,  beui*teiler 
zu  finden,  welche  mit  der  über  die  erde  reichenden  sprachkentnis  des  Verfassers 
wetteifern  könten.  Aber  doch  darf  und  muss  auch  von  dem  an  solchem  massstabe 
bemessen  engen  Standpunkte  der  indogermanischen  linguistik  aus  der  versuch  gemacht 
werden,  den  vielseitigen  inhalt  des  buches  zu  würdigen;  oder  sagen  wir  für  unser 
teil  lieber:  einige  bruchstücke  dieses  inhalts,  wie  sie  eben  den  interessen  des  bespre- 
chenden nahe  liegen.    Mögen  andere  von  andern  selten  her  das  ihrige  beitragen! 

Der  Verfasser  erzählt  einmal,  wie  sein  vater  ihn  gewöhnt  habe,  kein  unnützes 
buch  zu  lesen:  in  derselben  zeit  könne  man  eine  neue  spräche  hinzulemen,  und  davon 
habe  man  mehr!^  In  dem  bilde  der  Sprachwissenschaft,  welches  v.  d.  Gabelentz  hier 
entwiift,  nimt  denn  auch  die  technik  des  lemens  und  übens  tiefer  stehender  spra- 
chen, von  denen  nur  etwa  ein  stück  bibelübersetzung  oder  dgl.  vorliegt,  breiten 
räum  ein.  Wie  man  seine  collectaneen  anlegen  soll,  papier  nicht  sparen,  deutlich 
aber  klein  schreiben:  über  diese  und  ähnliche  dinge  wird  —  gelegentlich  nicht  ohne 
eine  gewisse  breite,  die  man  überhaupt  in  dem  buche  wahmimt  —  praktischer  rat 
erteilt     Dann  wie  elementargrammatiken  und  wie   kurze   grammatische  Vorschulen 

1)  An  dies  wort  klingt  eine  stelle  des  bachs  an  (s.  184) ,  die  mir  zu  charakteristisch  scheint,  um 
sie  zu  fibeigehen.  Der  Verfasser  wirft  die  frage  auf:  gesezt  es  gelänge,  die  Ursprache  der  Indogermanen 
in  aller  Tolkominenheit  herzostellen,  was  wäre  damit  gewonnen?  Die  erste  antwort  lantet  recht  beschei- 
den: „Man  hätte  zn  tausend  bekanten  sprachen  noch  eine  tausend  und  erste".  Dann  folgt  fireilich  noch 
eine  zweite  und  dritte  antwort.  Aber  ich  bezweifle,  dass  unter  den  erforschem  indogermanischer  spra- 
dien  ein  einziger  auf  jene  erste  verfallen  sein  würde. 

ZniSCHBIFT  F.   DBUTSCHK  FHILOLOOIE.      BD.   XXV.  8 


114  OLDSNBIBa 

aussehen  sollen,  wie  man  es  mit  paradigmen  und  Übungsstücken  zu  halten  hat: 
viel  recht  zutreffendes  und  gesundes,  dazwischen  freilich  gelegentlich  eine  über- 
raschende Wunderlichkeit*. 

Die  erforschung  der  fernen  und  weiten  Sprachgebiete,  auf  denen  die  tätigkeit 
des  Verfassers  sich  überwiegend  bewegt,  steht  nun  ofifenbar  unter  bedingungen,  welche 
die  entwickiung  der  exakten  methoden  sprachgeschichtlicher  unterauchung,  wie  die 
indogermanistik  sie  auszubilden  bemüht  ist,  wenigstens  in  der  gegen  wart  wenig 
begünstigen.  Hier  liegt,  wie  mir  scheint,  die  hauptsächlichste  schwäche  des  buchs. 
Es  ist  überaus  reich  an  geist-  und  phantasie vollen ,  aus  sinniger  anschauungskraft 
erzeugten  beobachtungen  über  die  verschiedensten  gebiete  des  Sprachlebens;  aber  oft 
genug  vermisst  man  —  wenigstens  in  bezug  auf  die  bchandlung  der  mehr  körper- 
lichen Seite  der  Sprache,  der  laut-  und  formenlehre  glaube  ich  dies  behaupten  zu 
müssen  —  die  energie  zielbewusster  methode. 

Das  ganze  gliedert  sich,  wenn  wii*  die  einleitenden  erörterungen  des  ersten 
buchs  (s.  1  —  53)  bei  seite  lassen,  in  drei  hauptteile.  Zunächst  handelt  es  sich 
(buch  11)  um  die  „einzelsprachliche  forschung*^.  Es  folgt  die  , genealo- 
gisch-historische Sprachforschung'^  (buch  111),  endlich  die  „algemeine 
Sprachwissenschaft*^  (buch  lY). 

Die  einzelsprachliche  forachung  hat  (s.  60)  „die  spräche  nur  so,  aber  auch 
ganz  so  zu  erklären,  wie  sie  sich  jeweilig  im  volksgeiste  darstelt*^.  „Dies  volk  hand- 
habt seine  Sprache  ohne  rückwärts,  auf  ihre  Vorgeschichte,  oder  seitwärts,  auf  ihre 
dialekte  imd  auswärtigen  verwanten  zu  schauen;  alle  faktoren,  welche  die  richtige 
handhabung  der  spräche  bestimmen,  liegen  lediglich  in  dieser  Sprache  selbst,  wollen 
also  aus  ihr  heraus  begriffen  sein*^  (s.  61).  Begriffen?  Wie  wiU  es  beispielsweise 
eine  grammatik  der  homerischen  spräche  anfangen,  nur  aus  dieser  heraus  es  zu 
begreifen,  wenn  neben  dem  präsens  i^^/Vcti  eine  reihe  anderer  formen  stehen,  welche 
nicht  ^  sondern  <p  haben:  fjieifvov,  tfovog  usw.?  Man  kann,  so  lange  man  sich 
streng  nur  innerhalb  dieses  Sprachgebiets  hält,  wol  das  betreffende  faktum  consta- 
tieren  und  vielleicht  noch  mehr  oder  minder  wahrscheinlich  machen,  dass  der  home- 
rische dichter  die  Zusammengehörigkeit  der  ^-formen  und  der  ^-formen  noch  irgend- 
wie gefühlt  hat:  aber  von  begi'eifen  der  erscheinung  kann  doch  nur  die  rede  sein, 
sobald  man  über  die  homerische  Und  über  die  griechische  spräche  hinausgehend  die 
Schicksale  der  indogermanischen  velarlaute  überblickt'  —  wobei  sich  auch,  beiläufig 
bemerkt,  noch  fragen  Hesse,  ob  selbst  das  nackte  faktum,  dass  jene  beiden  „defeo- 
tiven  verba*^  einander  so  merkwürdig  ergänzen  (Joh.  Schmidt,  Kuhns  ztschr.  XXV, 
168),  je  bemerkt  worden  wäre,  wenn  nicht  eben  betrachtungen  der  vergleichenden 
lautlehre  auf  dasselbe  hingeführt  hätten. 

Wenn  wir  übrigens  unter  v.  d.  Gabelentzs  beispielen  von  grammatischen  dar- 
stellungen  einer  einzelBprache  neben  dem  von  ihm  (s.  22  fg.  116)  stark  überachäzten 
Pänini  —  welchen  man  mit  den  heutigen  doch  nicht  in  reih  imd  glied  stellen  solte !  — 

1)  So  8.  94:  da  es  zur  Wissenschaft  gehöre,  seine  lehren  auch  za  beweisen,  so  sei  es  za  tadeln, 
wenn  selbst  in  ausfOhrlichen  grammatücen  der  nachweis  vermisst  werde,  „dass  die  and  die  formen  yer- 
schiedenen  klanges ,  z.  b.  dieaJt  nnd  amd ,  gleichwertig ,  jene ,  obschon  von  gleichem  klänge ,  wie  dioal, 
amai;  cMei,  anutf  veisohiedenwertig  sind".  Solchen  anlbrderongen  mflsse  genüge  geschaft  werden, 
mOge  es  noch  so  viel  kopficerbrechens  kosten.  „In  der  tat  scheint  die  phUologische  grammatik  schon 
anfii  krttmelsuohen  angewiesen.  Non  wird  sie  nicht  mnrren,  wenn  ihr  eine  neue  aulje^abe  gestelt  wird, 
eine  philosophische  im  grossen  stile." 

2)  Der  anerkennong  dieeer  sachlsge  verschliesst  sich  übrigens  auch  der  verftisser  an  manchen 
stellen  seines  buchs  (z.  b.  s.  149)  keineswegs. 


ÜBIB  ▼.  D.   OABBLUm,   SPRA.CHWI88BN8GHAFT  115 

auch  der  griechischen  grammatik  Bragmanns  begegnen  (s.  119),  so  hätte  der  Verfas- 
ser, der  dieselbe  dem  leser  im  gegensatz  zu  didaktischen  grammatiken  als  beispiel 
einer  kritischen  grammatik  vorführt,  durch  etwas  eingehendere  betrachtung  dieses 
Werks  wol  auf  die  bemerkung  geleitet  werden  müssen,  wie  gar  nicht  „einzelsprach- 
lich *^  doch  im  gründe  eine  solche  einzelsprachliche  grammatik,  sobald  sie  ihre  auf- 
gäbe bis  in  die  tiefe  verfolgt,  ist  und  sein  kann. 

Aus  der  beschränkung  auf  den  zustand  der  einzelnen  spräche  zu  einer  gege- 
benen zeit  führt  uns  das  dritte  buch  in  die  weiten  der  „genealogisch -historischen 
Sprachforschung*^.  Wird  nicht  hier,  wo  die  sprachen  als  im  fluss  geschichtlicher 
entwicklung  sich  wandelnde  Wesenheiten  erscheinen,  vor  allem  von  den  grossen  mäch- 
ten die  rede  sein,  welche  das  anderswerden  der  sprachen  beherschen,  von  lautwan- 
del  und  analogie?  Zuvörderst  nicht,  sagt  uns  der  Verfasser.  „Es  handelt  sich  hier 
zuvörderst  nicht  um  „prinzipien  der  Sprachgeschichte*^,  wie  sie  Paul  in  seinem  so 
betitelten  buche  und  früher  Whitney  (Life  and  Growth  of  Language)  dargestelt 
haben '^  (s.  145).  Also,  wenn  nicht  zuvörderst,  so  später?  Nicht  doch,  sondern  in 
der  darstellung  der  genealogisch -historischen  Sprachforschung  überhaupt  nicht  „Die 
entdeckung  solcher  algemeiner  grundsätze'^,  fährt  v.  d.  Qabelentz  fort,  „gehört  weder 
der  einzelsprachlichen  noch  der  historisch  -  genealogischen  forschung*^.  Also  wir  sol- 
len damit  auf  buchlY,  die  „algemeine  Sprachwissenschaft^  wai'ten?  Was  sollen  wir 
nun  in  buch  ÜI?  „Der  zweig  der  Sprachforschung,  der  uns  hier  beschäftigt,  hat  es 
zunächst  mit  den  trockensten  einzeltatsachen  zu  tun:  sind  die  sprachen  A  und  B 
mit  einander  verwant,  und  in  welchem  grade?  gibt  es  dieses  woii  oder  jene  fonu 
in  der  und  der  spräche  oder  in  der  und  der  zeit  der  Sprachgeschichte?  wie  lautet  es 
da?  welche  gesetzmässigkeit  herscht  in  den  lautlichen  abweichuugen?'^  Wie  denn, 
wir  sollen  doch  schon  hier  darüber  bescheid  wissen  oder  lernen,  wie  man  fragen  zu 
beurteilen  hat,  welche  die  gesetzmässigkeit  des  lautwandels  betreffen?  Eben  war 
doch  gesagt  worden ,  dass  die  betreffenden  grundsätze  anderswohin  gehören.  So  geht 
dem  leser  das  gefühl,  in  klar  und  scharf  bezeichneter  bahn  sich  vorwäits  zu  bewe- 
gen, verloren  —  ich  muss  hinzufügen,  hier  wie  au  vielen  stellen  des  buchs. 

In  der  tat  ist  nun  schliesslich  von  den  „sprachhchen  mächten*  bereits  in  der 
abteilung  von  der  genealogisch -historischeu  Sprachforschung  die  rede  (s.  191  fgg.). 
Ich  hebe  die  besprechung  des  lautwandels  hervor.  Man  sieht  sehr  deutlich,  wie  an 
den  discussionen  über  die  hier  einschlagenden  fragen,  welche  in  den  lezten  15  jäh- 
ren die  indogermanische  linguistik  so  leidenschaftlich  bewegt  haben,  die  belesenheit 
des  Verfassers  keineswegs  vorübergegangen  ist,  wie  dieselben  aber  sein  eigenes  den- 
ken doch  kaum  in  der  tiefe  berührt  haben,  v.  d.  Oabelentz  erkent  das  ausnahmelose 
wirken  der  lautgesetze  in  gewisser  weise  an:  d.  h.  er  will  dasselbe  gelten  lassen 
„nicht  als  dogma,  geschweige  denn  als  bewiesenen  lehrsatz,  sondern  nur  als  ein 
methodologisches  princip,  das  besagt:  denke,  es  wäre  so;  richte  deine  forschungen 
darnach  ein;  beruhige  dich  nicht,  ehe  du  das  lautgesetz  oder  den  grund,  warum  es 
im  einzelnen  falle  durchbrochen  scheint,  entdeckt  hast:  dann  gehst  du  so  sicher,  wie 
es  nach  läge  der  sache  möglich  ist*  (s.  200).  Aber  wenige  Zeilen  später  lesen  wir: 
„Lautverschiebungen  greifen  nur  almählich  um  sich,  nicht  nur  in  örtlicher,  sondern 
auch  in  sachlicher  hinsieht*  —  beispiel:  et,  dat,  toai  der  niederrhein.  mundart,  die 
sonst  das  s  angenonmien  hat.  Also  doch  eine  lautliche  bewegung,  die  einen  laut 
in  einem  teile  der  Wörter  ergreift,  vor  einem  andern  teile  halt  macht?  Ist  das 
nicht,  ruhig  und  ohne  alles  widerstreben  oder  weiterstreben,  die  anerkennung  gerade 
dessen,  wovon  eben  vorher  gesagt  war,  dass  wir  uns  dabei  nicht  beruhigen  sollen? 

8* 


116  OLDKNBIB& 

Paul  hat  sich  bei  dem  dat,  wat  weniger  leicht  beruhigt;  er  hat  bemerkt,  dass  diese 
ausnahmen  ein  beweis  gegen  die  oousequente  Wirkung  der  lautgesetze  sein  würdoi, 
wenn  sich  nicht  eine  formel  dafür  finden  liesse,  wodurch  sie  auf  eine  rein  lautliche 
Ursache  zurückgeführt  werden.  Diese  formel  hat  er  dann  gesucht  und  vielleidit 
gefunden  (PBr.,  Beiträge  VI,  554).  Dass  dies  v.  d.  Oabelentz  bekant  sei,  würde  man 
an  sich  nicht  verlangen.  Aber  wenn  er  zum  beweise  für  ein  die  fundamente  unsrer 
Wissenschaft  berührendes  princip,  welches  die  indogermanistik  in  schweren  kämpfen 
übei'wunden  zu  haben  glaubt,  sich  nun  einmal  auf  germanistische  details  berufen 
will  —  hatte  er  da  nicht  die  pflicht,  sich  das  tenain  genauer  anzusehen?  Zu  der 
deutschen  Spracherscheinung  fügt  er  dann  noch  eine  japanische:  im  japanischen  lasse 
sich  beobachten,  wie  seit  einem  jahi'tausend  die  neigung,  unbetonte  mit  t»  oder  n 
anlautende  silben  in  u  zu  verwandeln,  immer  neue  opfer  fordere.  Ich  kann  natür- 
lich über  diese  erscheinung  nicht  miti'eden.  Aber  ich  meine,  dass  wir  aus  ihr  für 
die  wissenschaftliche  methode  vorläufig  nichts  lernen.  Die  erforschung  des  japani- 
schen hat  offenbar  noch  ein  weites  stück  weges  vor  sich,  bis  ihr  zeugnis  in  prin- 
cipienfragen  der  lautgeschichte  etwas  entscheiden,  ihre  etwaigen  miserfolge  unser  ver- 
trauen auf  die  consequenz  der  lautlichen  entwicklung  irgend  erschüttern  könten^. 

„Und  so  ist*,  fährt  v.  d.  Gabelentz  weiter  fort,  „wol  nirgends  die  möglichkeit 
schlechthin  zu  verneinen,  dass  lautverschiebungen  an  gewissen  stellen  ins  stocken 
gei-aten,  anderwärts  weiter  gedrungen  seien,  dass  sie  wol  auch  nach  langen  pausen 
wie  atavistische  anlagen  von  neuem  zum  durchbruch  kommen*^.  Die  lezton  worte, 
dem  anschein  nach  im  tenor  des  vorhergehenden  sich  weiterbewegend,  berühren  in 
der  tat  einen  völlig  neuen  punkt.  Mag  man  es  glauben  oder  bestreiten,  dass  der 
lautwandel  vor  gewissen  werten  oder  Wortklassen  halt  macht:  niemand  kann  leugnen, 
dass  die  wii'kung  eines  lautgesetzes  in  zeitlichen  grenzen  eingeschlossen  sein',  und 
dass  ein  abgelaufenes  lautgesetz  in  einem  späteren  Zeitalter  von  neuem  zur  geltung 
kommen  kann.  Als  beispiel  wählt  v.  d.  Gabelentz  eine  von  ihm  selbst  aufgestelte 
hypothese  (s.  201).  Der  italienische  Übergang  von  auslautendem  s  in  *  (in  Wien  wie 
noi,  poi  usw.)  könne  das  aufleben  einer  erscheinung  aus  indogermanischer  urzeit 
sein,  wo  sich  dann  die  nominative  plur.  mit  dem  i-suffix,  skr.  te,  lat.  equi,  gr. 
YtittoI'  neben  den  auf  s  ausgehenden  wie  skr.  asväs  erklären  würden  ,  vielleicht  auch 
—  mit  hilfe  des  reflexivpronomens  —  die  auf  i  ausgehenden  medialendungen  des 
skr.  und  griechischen.  Ich  weiss  nicht,  ob  die  Sprachgebiete,  in  welchen  v.  d.  Gabe- 
lentz vorzugsweise  zu  hause  ist,  materialien  für  die  in  rede  stehende  erscheinung  des 
„atavismus"  darbieten,  über  welche  orientiert  zu  werden  dann  auch  dem  Indoger- 
manisten lehrreich  sein  könte.    Aber  ich  glaube,  dass,  wenn  er  einmal  sein  beispiel 

1)  'Wenn  v.  d.  Gabelentz  8.  200  sagt,  des  onerklarliöhen  werde  immer  genug  bleiben,  immer 
werde  es  vorkommen,  dass  uns  die  lautgesetze  einmal  im  stich  lassen,  ohne  dass  wir  erklAren  könten, 
was  sie  durchbrochen  habe,  so  wird  dem  wol  aach  der  hofimmgareichste  Optimist  kaom  widei^rechen. 
Aber  ich  halte  es  für  bedenklich,  wie  v.  d. Gabelentz  tat,  hier  ezemplificierongen  zu  versuchen:  woran  kön- 
nen wir  es  denn  irgend  einer  noch  so  dunklen  lantlichen  erscheinung  ansehen,  dass  ihre  erklämng  nicht 
gelingen  wird,  vielleicht  morgen,  vielleicht  in  femer  zukunft?  Und  schon  heute  ist  man  weiter  als 
V.  d.  Gabelentz  meint ;  das  gesetz  z.  b. ,  nach  welchem  das  englische  bald  das  harte ,  bald  das  weiche  th 
hat  (s.  200) ,  gehört  keineswegs  mehr  zu  den  ungelösten  Problemen ;  siehe  Morsbach ,  Über  den  Ursprung 
der  neuenglischen  Schriftsprache,  s.  90  (ich  verdanke  den  hinweis  hierauf  der  gute  G.  Sarrazins). 

2)  Der  gesichtspunkt  der  zeitlichen  begrenzung  der  lautgesetze  komt  übrigens  bei  v.  d.  Gabelentz 
so  gut  w;ie  gar  nicht  zur  geltung.  In  der  s.  196  fg.  gegebenen  Übersicht  über  die  f&lle ,  in  welchen  laut- 
gesetze scheinbare,  aber  eben  nur  scheinbare  ausnahmen  zulassen,  vermisse  idi  den  so  unendlich  hAu- 
%en,  dass  der  laut,  welcher  durch  ein  lautgesetz  gewandelt  sein  müste,  in  der  tat  aber  nidit  gewan- 
delt worden  ist,  sich  an  der  betreffenden  stelle  erst  nach  ablauf  dieses  lautgesetzes  entwickelt  hat. 


ÜBEB  V.   D.   GABELSNTZ,   SPRACH WISSENSOHAITT  117 

dem  indogermanischen  gebiet  entnehmen  weite,  er  in  bezug  auf  die  methode  lautge- 
setzlicher foTschung  strengere  massstäbe  hätte  anlegen  müssen. 

Sehr  deutlich  treten  ähnliche  mängel  auch  in  dem  kapitel  über  den  sandhi 
hervor  (s.  203  fgg.)i  welchen  begriff  v.  d.  Oabelentz  als  Jeder  art  gegenseitige  beein- 
flussung  von  lauten  oder  betonungen*^  fasst.  Auch  hier  arbeitet  er  überwiegend  mit 
indogermanischen  materialien,  und  es  kann  wol  vermutet  werden  —  ich  selbst  habe 
hierüber  kein  urteil  — ,  dass  die  indogermanischen  sprachen  eben  die  einzigen  sind, 
in  welchen  der  -gegenwärtige  stand  der  Wissenschaft  tieferes  methodisches  eindringen 
in  das  wesen  der  sandhiersoheinungen ,  ein  einigermassen  sicheres  sondern  der  man- 
nigfaltigen Strömungen,  die  hier  zusammengeflossen  sind,  ermöglicht  Wie  weit  aber 
bleibt  hier  v.  d.  Gabelentzs  darstellung  an  schärfe  und  feinheit  in  der  behandlung 
der  principiellen  fragen  sowie  an  volständigkeit  in  der  aufführung  auch  nur  der  haupt- 
sächlichsten erscheinungstypen  hinter  dem  von  andern  en*eichten  zurück  I  Dass  das 
wenige,  was  er  hier  von  tatsachen  der  entlegeneren  Sprachgebiete  aufführt,  den 
indogermanisten  etwas  bietet,  scheint  mir  kaum;  handelte  es  sich  aber  darum,  den 
erforscber  jener  gegenden  der  linguistik  dui'ch  die  darlegung  indogermanistischer 
methode  und  resultate  anzuregen,  so  hätte  diese  aufgäbe  meines  eraohtens  eine 
wesentlich  volkommenere  lösung  zugelassen. 

Ich  habe  etwas  länger  bei  einigen  abschnitten  des  kapitels  von  der  „genea- 
logisch-historischen Sprachforschung^  verweilt,  in  welchen  grundfragen  der  Sprach- 
geschichte so  zu  sagen  nach  deren  körperlicher  seite  zur  behandlung  kommen.  Ich 
begnüge  mich  mit  einem  kurzen  hinweis  auf  die  abschnitte  von  der  analogie  (s.  210 
fgg.),  über  den  bedeutungswandel  mit  den  ihn  bewegenden  mächten  (s.  225  fgg.)  und 
über  die  einflüsse  des  Verkehrs  und  der  Sprachmischung  (s.  254  fgg.). 

Das  vierte  buch,  „die  algemeine  Sprachwissenschaft^  (s.  292 — 466),  hat  es 
überwiegend  mit  fragen  der  Sprachpsychologie  zu  tun  —  erörterungen ,  deren  einge- 
hende Würdigung  ich  berufeneren  überlassen  muss.  Ich  hebe  nur  den  vom  Verfasser 
etwas  eigentümlich  benanten  abschnitt  „ sprachwürderung '^  hervor  (s.  371  fgg.),  den 
versuch  einer  Wertbestimmung  der  sprachen  und  der  gewinnung  von  rückschlüssen 
aus  ihnen  auf  die  geistesart  der  nationen.  Man  findet  hier  einen  reichtum  feiner 
bemerkungen  imd  treffender  Charakteristiken.  Wenn  die  kühnheit,  mit  welcher  der 
Verfasser  vorgeht,  von  zügen  der  wilkür  nicht  frei  ist,  wie  könte  das  bei  fragen  die- 
ser art  anders  sein,  wo  für  jezt  nur  ahnungen  in  kühnem  fluge  zu  zielen  hinstreben 
können,  denen  in  dem  bedächtigen  gange  exakten  foi*schens  sich  anzunähern  viel- 
leicht der  Wissenschaft  ferner  zukunft  vorbehalten  sein  mag? 

XliEL.  H.   OLOENBBRe. 


The  Monsee  Fragments,  newly  collated  text  with  introductions,  notes, 
grammatical  treatise  and  exhaustive  glossary  ..  by  Geor^iro  A.  Hench* 
Strassburg,  Trübner.  1891.    XXV  und  212  s.    5  m. 

Das  bedürfnis,  Massmanns  ausgäbe  der  fragmente  durch  eine  neue  abzulösen, 
haben  schon  hinlänglich  die  neuen  collationen  erwiesen,  die  seitdem  einzelnen  bruch- 
stücken  zu  gute  gekommen  sind.  Hench  hat  zum  ersten  male  wider  den  ganzen 
bestand  zusammengefasst  und,  wie  zu  erwarten  war,  sich  auch  da,  wo  ihm  Scherer, 
J.  Haupt  und  Weinhold  vorgearbeitet  hatten,  die  gewähr  eigener  prüfung  nicht  ent- 
gehen lassen. 


118  WÜHDBBUGH 

Seine  ausgäbe  bietet  naturgemäss  eiae  bereicherang  des  textes ,  da  er  ja  die 
erst  nach  Massmann  veröffentlichten  blätter  mit  einbeziehen  konte;  aber  auch  gegen 
Weinhold  bringt  er  für  Isidor  neues  material  bei  (blatt  XXXVI). 

Wichtiger  scheint  mir  die  entzifferung  einzelner  neuer  werte  an  anderen  stel- 
len und  vor  allem  die  feststellung  einzelner  wortfragmente,  wodurch  verschiedene 
coDJekturen  teils  gestüzt^  teils  beseitigt  werden*,  namentlich  da  in  dem  zeilengetreuen 
abdruck  auch  die  lücken  räumlich  präcisiert  sind*. 

Derartige  ergebnisse  greifen  oft  über  die  oonjekuralkritik  hinaus  in  andere 
gebiete  über.  So  ist  es  z.  b.  für  die  syntax  von  Interesse,  dass  in  XXXTT,  11  die 
lesart  ist  gcUeaan  für  legitur  gegen  Weinholds  coi^'ektur  uuirdit  galesan  graphisdi 
gesichert  ist;  vgl.  auch  Daer  in  VI,  10  für  qui  gegen  «o  er  in  MüllenhofEs  Sprach- 
proben  u.  a.  Ebenso  kann  es  für  syntax  und  formenlehre  wert  gewinnen,  dass  in 
XV,  28  die  lesait  habest  der  Sprachproben  nicht  gestüzt  ist,  dass  vielmehr  das  manu- 
script  habe8  zeigt. 

Die  Selbständigkeit  des  herausgebers  zeigt  sich  aber  auch  in  änderungen,  zu 
denen  er  ohne  handschriftliche  grundlage  gelangt.  So  hat  z.  b.  in  XXYin,  22 
seine  lesung  dodh  gegenüber  doch  bei  Massmann  und  joh  in  den  Denkmälern  alle 
Wahrscheinlichkeit  für  sich,  namentlich,  wenn  man  XXXIX,  12  zum  vergleich  her- 
anzieht, wo  auch  die  Denkmäler  (172,  2)  dodh  lesen.  Auch  infeme  XXVm,  23 
und  Alle  XXIX,  2  dürfen  als  Verbesserung  gelten,  während  der  oocg'unctiv  sii  in 
XYII,  8  gegenüber  dem  indicativ  bei  Braune  (Ahd.  lesebuch  s.  22  nr.  5  z.  6)  minde- 
stens hätte  begründet  werden  müssen. 

Auf  Massmann  ist  Hench  gegenüber  neueren  emendationen,  wenn  ich  richtig 
beobachtet  habe,  nur  einmal  zurückgegangen:  XXVm  z.  13  Loboen  truhtin  cUle  InUi 
de o tun  enti  so  selb  inan  loboen  alle  liuti  (Laudate  dominum  omnes  gentes  et  com- 
mendate  eum  omnes  populi).  Die  handschrift  zeigt  hinter  so  selb  ein  verblasstes  so, 
auf  welches  gestüzt  die  Denkmäler  so  selb  relativisch  aufgefasst  hatten  und  somit  an 
enti  nicht  festhalten  konten.  Hench  bemerkt,  dass  die  tinte  dieses  blattes  sich  in 
so  unveiminderter  frische  erhalten  hat,  dass  die  verblasste  färbe  von  so  der  rasur 
oder  ähnlichem  zuzuschreiben,  die  partikel  also  jedesfids  zu  eliminieren  sei.  Dann 
steht  auch  der  Massmannsohen  lesung  nichts  mehr  im  wege. 

Verdienste  hat  sich  der  herausgeber  vor  allem  auch  um  den  lateinischen 
text  erworben,  in  ei-ster  linie  beim  Matthäusevangelium  (vgl.  einl.  XIV — XX),  des- 
sen lateinische  vorläge  dem  codex  Amiatinus  zunächst  komt,  jedoch  mit  so  bedeu- 
tenden abweichungen,  dass  dem  syntaktiker  grosse  vorsieht  geboten  ist  in  allen  den 
fällen,  in  denen  uns  die  fragmente  nur  den  deutschen  text  erhalten  haben. 

Was  nun  den  abdruck  des  deutschen  textes  betrift,  so  bezeichnet  ihn  der 
herausgeber  selbst  als  einen  diplomatisch -kritischen  (einl.  XXV).  Diplomatisch 
ist  er  insofern,  als  die  zeilen  und  die  Zwischenräume  zwischen  einzelnen  Worten  und 
wortteilen  festgehalten  wurden,  ebenso  wie  die  inierpunktion,  die  abkürzungen  und  das 
schwanken  zwischen  grossen  xmd  kleinen  buchstaben;  kritisch  insofern,  als  Schreib- 
fehler verbessert,  offenbare  lücken  ergänzt  und  conjekturen  eingefügt  wurden ,  wo  sie 
auf  Wahrscheinlichkeit  ansprach  machen  konten  und  syntaktisch  erforderlich  waren. 
Compromisse  werden  niemals  alseitig  befriedigen,   namentlich  die  von  Henoh  wider 

1)  Vgl.  XXV,  10  gegen  Braune,  Ahd.  lesebuch  8.  28  nr.  8  x.  2.  Vgl.  vor  allem  X  mit  Braune  s.  20. 

2)  Vg^.  y,  1  gegen  Biaone  1. 18  z.  21;  XXVDI,  16  (haret)  gegen  MSD.*  166  (4,  4). 
8)  YgL  s.  b.  XXVI,  17  gegen  MSD.»  166,  4. 


ÜBKR  HBNGH,  MONSKE-FRAQinNTS  119 

eingeführte  zen-eissimg  der  Wörter  dürfte  neben  so  einschneidenden  eingriffen,  wie  sie 
der  kritiker  sieh  erlaubt,  befremden.  Nach  dieser  seite  hätte  wol  eine  probe  genügt 
(wie  sie  das  facsimile  in  der  tat  bietet),  um  ein  bild  der  schreibergewohnheiten  zu 
geben.  Der  Vorwurf  der  inconsequeoz  wird  hier  schwer  zu  umgehen  sein;  wir 
begreifen  nicht,  warum  der  herausgeber,  der  Schreibfehler  zu  verbessern  verspricht 
und  in  YII,  24  das  eine  xa  imo  ausstreicht,  daneben  das  halb  angefangene  h  nach 
quad  wider  einfuhii;  wir  wundem  uns  auch  über  die  rückkehr  zu  kebem  statt  kebom 
in  XVn,  8.  Auch  gautieridofU  in  XXIX,  5,  die  auslassung  von  so  in  XXXV,  23, 
von  axaniuuurtin  in  XXXIX,  28  und  die  lücke  in  XXXIII,  5.  6  muss  befremden. 
Bei  uuamissu  in  XXIX,  16  hätten  wir  wenigstens  auseinandersetzuog  mit  MSD., 
die  uuaamissu  lesen  (s.  167,  z.  11),  erwartet. 

Einfache  druckfehler  sind  wol  meisiar  in  XXIX,  1  und  die  zahl  „9^  in  den 
aumerkungen  (s.  84)  zu  gauueridon  XXIX,  5. 

Wie  schon  im  titel  angedeutet,  gibt  unser  herausgeber  auch  aumerkungen, 
grammatik  und  glossar,  sowie  eine  einleitung. 

Am  wenigsten  gelungen  ist  die  einleitung.  Wie  es  dem  herausgeber  schon 
nicht  glückte,  in  dem  ersten  abschnitte  „History  of  the  manuscript  and  editions*' 
seine  eigene  leistung  gegen  rückwärts  abzugrenzen,  so  hat  er  es  auch  nicht  verstan- 
den, durch  die  „description  of  the  manuscript''  ein  anschauliches  bild  von  dem  codex 
zu  geben.  Vor  allem  führt  uns  die  schwankende  terminologie  irre.  Auf  seite  IX 
werden  die  blätter  des  codex  bald  „pages'^  bald  „leaves*'  bald  „folios'^  genant,  was 
um  so  mehr  verwirt,  als  am  einzelnen  blatte  die  vorder-  und  die  rückseite  textlich 
eine  getrente  rolle  spielen  und  als  die  gleichen  zahlen  bald  auf  das  einzelne  blatt, 
bald  auf  quatemionen  bezug  nehmen.  Ausserdem  wird  bald  nach  dem  jetzigen 
bestand,  bald  nach  dem  früheren  gerechnet;  das  ist  um  so  störender,  weil  wir 
nicht  etwa  auf  seite  IX,  sondern  erst  spater  aus  dem  texte  ersehen  können,  dass 
beide  bestände  sich  nicht  decken.  Vielmehr  lag  blatt  I  (bei  Hench)  früher  etwa  in  der 
mitte  des  vierten  quatemio;  blatt  lY  und  X  konten  deshalb  die  äusseren  blätter  eines 
quatemio  bilden,  weil  zwischen  IX  und  X  (bei  Hench)  ein  blatt  (x)  fehlt. 

Die  aumerkungen  enthalten  nur  textkritischen  apparat;  da  der  abschnitt 
^Grammatical  treatise''  nur  laut-  und  formenlehre  behandelt,  so  wäre  die  syntax 
bei  solch  einer  fundgrube  für  syntaktische  boobachtungen,  wie  es  die  fragmente 
sind,  ganz  leer  ausgegangen \  wenn  sie  nicht  im  glossar  wenigstens  gestreift  würde. 
Blieb  so  die  syntax  unberücksichtigt,  sind  ebenso  für  die  „notes'^  die  anregungen, 
die  in  den  aumerkungen  zu  MüUenhoffs  und  Scherers  Denkmälern  so  reichlich  aus- 
gestreut sind,  unwirksam  geblieben,  so  ist  andererseits  die  laut-  und  formenlehre 
zu  breit  geraten.  Sie  greift  über  den  kreis  der  Monseer  fragmente  hinaus  durch 
mitteilungen,  die  weder  neu  sind  noch  dazu  sich  eignen,  die  eigenart  der  fragmente 
zu  beleuchten.  Was  sollen  phonetische  mitteilungen,  wie  die  auf  s.  102  und  s.  113, 
wenn  sie  ausser  allem  bezug  stehen  zur  graphischen  widergabe? 

Dankenswert  dagegen  ist  die  breite  nach  ihrer  statistischen  seite  hin.  Das 
ganze  material,  das  hier  zusammengetragen  ist,  in  erster  Knie  auch  die  doppelvokale 
als  längebezeichnungen  und  die  graphischen  Schwankungen  der  lateinischen  werte 
bieten  solide  Stützpunkte  für  andere  forscher.  Die  „conclusion*^,  die  Hench  seinem 
grammatikalischen  abriss  anhängt,   wird  teilweise   durch  seinen  späteren  fünd   (vgl. 

1)  Die  eüixige  ayptaktiflohft  bemerkung  in  s.  110  „Ahm  does  not  oocur  . .  in  its  Emotion  as  pre- 
poaitioB". 


120  KOSPPEL,  ÜBBR  BEBZFKLD,  BAT8IL  DBS  XZXTERBÜCH8 

8.  XXIV  und  XXY)  erschüttert,  wonach  der  eine  schreiher,  der  die  gesamten  frag- 
mente  geschrieben  hat,  verschiedene  vorlagen  hatte,  bei  deren  einer  er  die  reihen- 
folge  änderte,  um  das  Matthäusevangelium  an  die  spitze  zu  stellen.  Nicht  nnr  die 
bald  grössere  bald  geringere  Sorgfalt  des  abschreibers,  sondern  auch  die  Verschieden- 
heit der  originale  hat  also  die  graphischen  Schwankungen  bedingt,  die  zwischen  Baiem 
und  Rheinfranken  lavieren. 

Die  beziehungen  unserer  fragmente  zum  Isidorübersetzer  eingehender  zu 
untersuchen,  hat  sich  Hench  vorbehalten,  und  wir  dürfen  erwarten,  dass  sich  die 
gründlichkeit  und  der  hingebende  eifer ,  mit  denen  der  herausgeber  bis  jezt  die  for- 
melle grammatik  und  die  textkritik  behandelt  hat,  nun  auch  der  syntax  und  der  Sti- 
listik zu  gute  kommen  mögen. 

HKTOELBEBO,  JANUAB  1893.  H.   WTTNDIRUCH. 


Die  rätsei  des  Exeterbuches  und  ihr  Verfasser  von  Oeorg  Herzfeld.    Ber- 
lin, Mayer  &  Müller.  1890.    72  ss.    2  m. 

Mit  gewissenhafter  berücksichtigung  der  einschlagigen  litteratur  nimt  Herzfeld 
nochmals  die  frage  auf,  ob  die  rfitsel  des  Exeterbuches  von  Gynewulf  verfasst  seien. 
Nach  bekantem  Schema  vergleicht  er  in  gründlicher  weise  die  rätsei  mit  den  anderen 
werken  Cynewulfs  und  es  ergibt  sich  ihm  als  das  A  und  0  seiner  Untersuchungen 
die  Überzeugung,  dass  die  rätsei  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  Cynewulf  zuzuschrei- 
ben sind.  Mit  einer  ausnähme:  das  vielumstrittene  erste  rätsel  trent  er  von  der 
rätsei -samlnng,  indem  er  es  nicht  als  rätsel,  sondern  mit  Bradley  als  einen  drama- 
tischen monolog  aufTasst,  den  er  Gynewulf  abzusprechen  geneigt  ist  (s.  64  fgg.).  In 
einem  nachtrag  (s.  71  fg.)  nimt  er  noch  Stellung  zu  der  von  Sievers  neuerdings  (Anglia 
Xni,  1  fgg.)  geäusserten  ansieht,  dass  die  rätsel  vor  Cynewulfs  zeit  entstanden  seien. 
Er  ist  von  der  Stichhaltigkeit  der  gründe,  welche  Sievers  entwickelt  hat,  nicht 
übei*zeugt 

Herzfelds  Untersuchung  ist  mit  grossem  fleisse  durchgeführt  Gieichwol  habe 
ich  nach  dem  Studium  derselben  das  gefühl,  dass  wir  durch  sie  der  erkentnis  der 
Wahrheit  nicht  näher  gekommen  sind.  Ich  halte  diese  ganze,  hauptsächlich  auf 
Übereinstimmungen  im  wertschätze  und  in  stilistischen  und  metrischen  gepflogenhei- 
ten  begründete  forschungsmethode  für  verfehlt,  in  erwägung  des  formelhaften  wesens 
der  altenglischen  poesie.  Um  auf  diesem  gebiete  zu  einigermassen  sicheren,  die 
Chronologie  der  dichtungen  aufhellenden  ergebnissen  zu  gelangen,  müssen  wir  gewiss 
auf  dem  von  Sievers  betretenen  wege  rein  sprachlicher  kritik  weitergehen.  Ich 
gestehe,  dass  Sievers*  argumente  gegen  die  annähme,  dass  Cynewulf  die  rätsel 
gedichtet  habe,  für  mich  mehr  überzeugendes  haben,  als  alle  die  fein  ausgearbeiteten 
Zusammenstellungen  Herzfelds,  die  zu  gunsten  der  autorschaft  sprechen  sollen. 

Dass  Herzfelds  ausfühiimgen  im  einzelnen  viel  gutes  bringen,  möchte  ich  zum 
sohluss  nochmals  betonen.  Besondere  beachtung  scheint  mir  die  von  ihm  neu  gebo- 
tene lösung  des  51.  rätseis  (s.  69)  zu  verdienen. 

MÜNCHXN,  HÄBZ  1891.  B.   KOBPFXL. 


F.  YOQT,   ÜBBB  BIEL8CH0 W8KY ,   D0BFP0B8IB  121 

Geschichte  der  deutschen  dorfpoesie  im  13.  Jahrhundert.  I.  Leben  und 
dichten  Neidharts  von  Reuenthal.  Untersuchungen  von  Albert  Biel- 
sehowsky.  (Sonderabdruck  aus  Acta  Germanica  II,  2).  Berlin,  Mayer  und  Mül- 
ler. 1891.    YUI  und  294  s.    9,50  m. 

Hans  Heselohers  lieder.  Von  dr.  August  Hartmanii,  Erlangen,  Fr.  Junge. 
1890.  (Separatabdruck  aus  der  festschrift  für  Eourad  Hofinann.  Romanische  for- 
schungen  V,  2).    70  s.    gr.  8. 

Zwei  verdienstliche  beitrage  zur  frühesten  und  spätesten  geschichte  der  „höfi- 
schen dorfpoesie '^.  Diese  bekantlich  durch  LachmaDn  eingeführte  benennung  der  durch 
Neidhart  begiündeten  dichtungsgattung  möchte  Bielschowsky  allerdings  am  liebsten 
aus  unserer  litteraturgeschichte  verbannen,  weil  nach  seiner  meinung  nur  der  klei- 
nere teil  von  Neidharts  liedem  für  die  hofgeselschaft,  der  grössere  für  das  dorfpubli- 
kum  bestimt  war  (s.  250  fg.);  Lachmann  habe  jenen  namen  mit  besonderer  rück- 
sicht  auf  eine  Strophe  gewählt,  welche  Haupt  mit  recht  für  unecht  erklärte.  Aber 
erstens  bedarf  die  litteraturgeschichte  einer  bestimten  bezeichnung  für  die  ganze 
gattung,  für  die  „  unechten '^f  von  nachahmern  Neidharts  herrührenden  Strophen  und 
lieder  so  gut  wie  für  die  von  ihm  selbst  verfassten;  zweitens  tragen  doch  auch 
die  nach  Bielschowskys  ansieht  für  die  bauem  bestimten  gedichte  Neidharts  keines- 
wegs  einen  rein  dörflichen  Charakter,  sondern  sie  verraten  deutlich  genug  den  litter- 
lichen  stand  des  Verfassers,  auch  seine  Vertrautheit  mit  der  technik  höfischer  kunsi 
Die  mischung  dieser  verschiedenen  demente,  die  in  der  einen  oder  anderen  weise 
schliesslich  überall  in  diesen  gedichten  hervortritt,  lässt  entschieden  die  beibehaltung 
der  einmal  eingebürgerten  Lachmannschen  benennung  zweckmässig  erscheinen. 

Des  Verfassers  Stellung  in  dieser  frage  hängt  nun  schon  mit  einer  sehr  wich- 
tigen Seite  seiner  schrift  zusammen.  Es  ist  ihm  ganz  besonders  darum  zu  tun,  den 
volkstümlichen  Ursprung  und  die  volkstümlichen  bestandteile  der  Neidhartschen  dich- 
tung  aufzuweisen.  So  werden  denn  im  1.  abschnitt  (Ursprung  der  dorfpoesie) 
Neidharts  reien  aus  der  frühlingsfeier,  insbesondere  aus  den  dabei  gesimgenen,  mit 
tanz  verbundenen  liedem  der  mädchen  abgeleitet,  im  dritten  (inhalt  der  som- 
merlieder)  die  charakteristischen  eigenheiten  ihres  inhaltes  damit  in  Zusammenhang 
gebracht  Im  vierten  kapitel  tritt  uns  aus  der  behandlung  der  form  der  sommer- 
lieder  insbesondere  die  volksmässige  einfachheit  ihrer  syntax,  die  Schlichtheit  und 
Sparsamkeit  ihrer  poetischen  mittel  im  gegensatz  zu  den  höfischen  lyrikem  vor  äugen. 
Im  6.  werden  als  das  publikum  der  sommerlieder  die  bauem  bezeichnet,  zu 
deren  frühlingstänzen  die  reien  gedichtet  und  gesungen  wurden;  nur  ganz  ausnahme- 
weise fasste  Neidhart  bei  ihnen  eine  höfische  Zuhörerschaft  ins  äuge.  Für  die 
bostimmung  der  reil\enfolge  der  sommerlieder  (kap.  7)  gilt  der  grundsatz:  je 
volkstümlicher  um  so  älter,  je  höfischer  um  so  jünger;  und  ihre  metrik  (kap.  13) 
zeigt  in  der  imteilbarkeit  oder  zweiteiligkeit  der  Strophen,  in  der  grösseren  einfach- 
heit der  reime  und  in  dem  einflusse  des  vierhebungstypus,  dass  sie  auf  volkstüm- 
licher tradition  ruht;  die  „  Otfridstrophe '^  ist  schliesslich  die  gemeinsame  gmndlage 
ihrer  verschiedenen  formen. 

Dem  gegenüber  verraten  nun  die  winterlieder  viel  nähere  berühmng  mit 
der  höfischen  poesie,  aber  daneben  ist  doch  auch  in  ihnen  der  Zusammenhang  mit 
dem  volksieben  und  der  Volksdichtung  nicht  zu  verkennen.  Bei  Zusammenkünften 
der  minner  im  winter  soll  es  sitte  gewesen  sein,  einerseits  eine  poetische  besohwö- 
nmg  oder  Verwünschung  des  winters,  andrerseits  aber  auch  spotlieder  zu  singen; 


j»^.  .vM-r.   -L. 


122  F.  YoeT 

8p8ter  kamen  beide  geschlechter  za  gemeinsamer  unterhaltmig  zusammen,  auch  zum 
tanze,  der  aber  hier  nicht  die  rolle  spielte  wie  beim  frählingsfest  und,  eben  weil  er 
späteren  Ursprunges  war,  sich  in  höfischen  fonnen  bewegte.  AUe  diese  umstände 
haben  ihre  sparen  in  Neidharts  winterliedem  hinterlassen,  die,  in  der  höfischen  drei- 
teiligen Strophe  gebaat,  teilweise,  aber  keineswegs  durchweg,  für  den  tanz  bestirnt 
sind,  die  winterklage  und  die  Verspottung  von  mSnnem  enthalten,  die  frauen  dage- 
gen ganz  in  den  hintergrund  treten  lassen  (s.  23  fgg.).  Dies  Verhältnis  höfischer  and 
volkstümlicher  bestandteile  und  beziehungen  wird  nun,  unter  besonderer  betonong 
des  Unterschiedes  von  den  reien,  nach  allen  Seiten  hin  an  den  winterUedem  in  einer 
der  erörterung  über  die  sommerlieder  genau  entsprechenden  kapitelreihe  dargestelt, 
und  in  einem  besonderen  abschnitte  wird  noch  der  nach  weis  hinzugefugt,  dass  nicht 
der  mindeste  anlass  zu  der  mehrfach  vorgebrachten  annähme  vorliegt,  Neidharts 
dichtungen,  insbesondere  die  winterlieder,  seien  durch  die  altfranzösische  pastourel- 
lenpoesie  beeinflusst. 

Der  inhalt  der  reichhaltigen  schrÜt  ist  damit  noch  nicht  erschöpft.  In  den 
angedeuteten  kapiteln  komt  natürlich  ausser  dem  punkte,  den  ich  als  besonders  cha- 
rakteristisch hervorhob,  noch  mancherlei  anderes  zur  spräche;  zwei  parallelkapitel 
über  den  bau  der  reien  und  der  winteiüeder  (V  und  X)  behandeln  die  einzelnen 
teile  der  dichtungen  und  ihre  innere  Verknüpfung,  sowie  die  frage  nach  ihrer  vol- 
ständigkeit  und  nach  der  Zusammengehörigkeit  der  einzelnen  Strophen  eines  tones; 
ein  anderes  kapitel  (II)  ist  dem  leben  Neidharts  gewidmet  Alles  das  ist  woldurch- 
dacht,  und  es  wird  auf  grund  eingehender  prüfung  des  dem  Verfasser  zu  geböte  ste- 
henden materials  und  der  arbeiten  anderer  in  ansprechender  form,  ohne  die  beliebte 
tuerei  und  effekthascherei  dargestelt  Manches  hätte  sich  freilich  bei  etwas  weniger 
schematischer  anläge  des  ganzen  knapper  zusammenfassen  lassen;  noch  häufiger  hätte 
eine  grössere  kürze  erzielt  werden  können,  wenn  der  Verfasser  zu  gunsten  beweisen- 
der und  beweisbarer  dinge  nichts  beweisende  und  nicht  beweisbare  überall  bei  seite 
gelassen  hätte. 

Eine  strengere  sichtung  wära  meines  erachtens  schon  bei  den  im  1.  abschnitte 
beigebrachten  alten  Zeugnissen  zur  frühlingsfeier  zu  wünschen  gewesen;  auf  tanze 
und  gesänge  zur  Frühlingszeit  geht  schliesslich  nur  das  capitulare  bei  Benedictus 
Levita  und  die  nachricht  der  chronik  von  St.  Trond  (s.  4.  5);  imd  auch  sie  beziehen 
sich  nicht  auf  den  mai,  in  den  nach  s.  15  «das  hauptfrühlingsfest  falt*  und  „an  den 
der  deutsche  natureingang  überall  anknüpft ''. 

Ganz  ohne  grundlage  scheint  mir  die  annähme,  dass  bei  den  alten  frühlings- 
gesängen  zwischen  dem  morgenhymnus  und  dem  nachmittags -tanzliede  zu  scheiden 
sei,  und  der  versuch,  gar  noch  den  alten  hymnentypus  aus  Neidharts  natnreingSngen 
herzustellen  (s.  14  fg.).  Das  gleiche  gilt  für  das  „alte  winterbeschwörungslied  *  s.  24, 
als  dessen  anfang  übrigens  nicht  ein  nirgend  belegtes  owe  dir  8umencu$me  bitte 
reconstruiert  werden  sollen;  Neidhart  gebraucht  in  diesen  eingfingen  niemals  das  dir, 
und  MF  37,  18  ist  bekantlich  nicht,  wie  Lachmann  liest,  8o  tce,  sondern  so  wol  dir 
stitnertcuttne  überliefert,  was  hier  der  scheidenden  sommerwonne  als  ein  freundlicher 
abschiedsgruss  nachgerufen  wird ,  den  Reinmar  MF  182,  4  der  entschwundenen  freude 
nachsendet. 

Hat  der  vei*fasser  vorhin  schon  mancherlei  Zeugnisse  ohne  genügenden  grund 
auf  das  rituelle  frühUngslied  bezogen,  so  stelt  er  dasselbe  weiterhin  entschieden  zu 
einseitig  als  das  Volkslied  xar'  i^oxn^  hin,  wenn  er  lediglich  von  ihm  die  anwendung 
des  natureinganges  bei  den  minnesfingem  herleitet,  im  fortbleiben  oder  in  der  umge- 


ÜBEB  BIIL80H0W8KT,  DORTPOBSIB  123 

staltong  des  natareinganges  aber  überall  eine  geflissentliche  abkehr  vom  volkstüm- 
lichen sieht  Dass  beim  Kümberger  eine  solche  nicht  vorliegt,  zeigt  doch  wol  sein 
poetischer  stil  iind  sein  metnun  zur  genüge;  «welch  eine  kluft  liegt  nicht  zwischen 
seinen  liedem  und  denen  eines  Hausen,  Moruagen,  Beinmar!  Und  doch  soll  sich  bei 
ihm  die  ,,tiefe  Verachtung,  mit  der  die  gute  geselschaft  des  12.  Jahrhunderts  auf  das 
Volkslied  herabsah*^,  ebensowol  zeigen  wie  bei  diesen,  nur  weil  in  seinen  15  Strophen 
kein  beispiel  für  den  natnreingang  vorkomt.  Die  Verwendung  desselben  im  minne- 
liede  hängt  aufs  engste  zusammen  mit  der  von  jedem  imverknöcherten  menschenher- 
zen  empfundenen  beziehung  zwischen  der  eigenen  Stimmung  und  dem  leben  der 
nator:  freudiges  hoffen  bei  seinem  erwachen,  wehmut  bei  seinem  absterben.  Beim 
liebenden  betiift  das  natürlich  das  eine,  alles  beherschende  gefühl;  und  so  ergibt  sich 
von  selbst  im  minnesang  die  parallele  zwischen  dem  jahrzeitbilde  und  dem  liebes- 
ieben. Die  Voranstellung  des  ersteren  entspricht  dem  auch  sonst  in  der  lyrik 
vrie  in  der  spruchdichtong  bemerklichen  streben,  vom  objektiven  zum  subjektiven, 
vom  algemeingültigen  zum  besonderen  falle  zu  schreiten;  sie  ist  demgemäss  häufig, 
aber  sie  ist  nicht  notwendig.  Dabei  wird  nun  die  parallele  zwischen  dem  herbstbilde 
und  dem  liebeskummer  mindestens  ebenso  früh  und  ebenso  oft  angewendet  wie  die 
zwischen  dem  frühlingsbilde  und  der  liebeshofhung  und  liebeslust;  die  eine  gattung 
zeigt  keinen  volkstümlicheren  Charakter  als  die  andere;  und  doch  würde  nur  die 
zweite  parallele  sich  nach  den  ausführungen  des  Verfassers  erklären  lassen  und  mit 
seiner  ansieht,  dass  die  liebeslyrik  ^allein  im  friihlingsliede  die  Schwingungen  des 
herzens  ertönen  liess*^,  im  einklang  stehen.  —  Entsprechen  die  herzenserfahrungen 
nicht  den  Stimmungen,  die  mit  der  Jahreszeit  im  einklange  stehen  würden,  so  wird 
das  als  eine  abnormität  empfunden,  und  es  tritt  in  dem  kontrast  zwischen  naturbild 
und  liebesieben  in  die  dichterische  erscheinung:  trotz  dem  frühling  liebesleid,  trotz 
dem  Winter  liebeslust.  Und  ganz  von  selbst  sohliesst  sich  an  diese  vorsteliungsreihe 
weiteriiin  der  gedanke:  keine  frühlingswonne  ohne  liebesglück,  bei  liebesglück  kein 
winterleid.  Ich  halte  das  nur  för  ganz  naturgemässe  Variationen  jener  parallele  zwi- 
schen natur-  und  Seelenleben,  nicht  für  eine  tendenziöse  höfische  Umänderung  der 
allein  volkstümlichen  einen  form.  Gibt  es  wol  ein  minnolied,  von  dem  man  behaup- 
ten könte,  dass  es  dem  volksliede  näher  verwant  sei  als  das  rührend  schlichte  mich 
dunket  niht  sd  gitotes  MF  3,  17?  und  doch  müsten  wir  es  nach  Bielschowskys 
ansieht  zu  denjenigen  gedichten  rechnen,  deren  Verfasser,  um  sich  nicht  „in  den 
äugen  der  höfischen  geselschaft  zu  kompromittieren,  an  der  form  und  tendenz  des 
natureinganges  so  lange  herumänderten,  bis  es  kaum  noch  als  kind  des  volkliedes  zu 
erkennen  war^.  Natürlich  haben  die  höfischen  lyriker,  die  ia  den  verschiedensten 
richtungen  nach  einer  bereicherung  der  poetischen  mittel  strebten,  die  längst  übliche 
naturparallele  nicht  inimer  wider  vorbringen  können;  und  wenn  dieser  und  jener 
unter  ihnen,  von  dem  genug  überliefert  ist,  um  ein  volständiges  bild  von  seiner 
kunst  zu  geben,  bei  auch  sonst  erken barem  streben  nach  gewählter  darstellung  den 
natoreingang  ganz  vermeidet,  so  darf  man  da  gewiss  eine  absieht  vermuten,  die  bei 
der  beurteilung  seiner  Stellung  zu  den  volkstümlichen  traditionen  mit  ins  gewicht 
falt  Allein  für  sich  beweist  aber  die  Verwendung  oder  nichtverwondung  des  natar- 
einganges, seine  vei*wertung  als  parallele  oder  als  kontrast  noch  nichts,  und  in  dem 
umfange  xmd  in  den  formen,  in  welchen  Neidhart  ihn  gebraucht,  gehört  er  eben  zur 
tanzpoesie,  die  bei  den  älteren  lyrikem  nicht  vertreten  ist 

Aus  dem  abschnitte  über  Neidharts  leben  hebe  ich  besonders  den  wolgelun- 
genen  wahrscheinlichkeitsbeweis  dafür  hervor,  dass  das  lied  101,  20  im  herbst  1241 


124  F.   yOGT,  VbEB  BIELSOHOWSKT,  DORFPOSSn 

verfasst  ist,  während  mich  der  versuch,  noch  spätere  bestirnte  daten  für  eiDzebie 
lieder  festzustellen,  insbesondere  die  beziehung  des  liedes  33,  15  auf  die  Ver- 
leihung des  königsringes  an  den  herzog  im  mai  1245,  nicht  überzeugt  hat —  Engel- 
mars vielumstrittenen  spicgelraub  mit  Bielschowsky  als  eine  art  pfandnahme  aufzu- 
fassen, die  ihm  ein  gewisses  anrocht  an  die  besitzerin  verschafte,  hat  manches  für 
sich;  nur  wird  man  die  annähme  durch  des  Verfassers  erklärung  von  48,  20  fg.  nicht 
stützen  können.  Denn  wenn  hier  das  mädchen ,  welchem  Neidhart  einen  griffel  geraubt 
hat,  erzürnt  sagt,  sie  wolle  nimmer  seinen  treirös  singen  noch  nach  ihm  den  reien 
springen,  so  kann  doch  das  dem  Sänger  und  tanzführer  gegenüber  nur  im  eigent- 
lichen sinne  gefasst  werden,  nicht  mit  Bielschowskys  auslegung  wie  unser  „nach 
jemandes  pfeife  tanzen''. 

Bei  der  erörterung  des  inhaltes  der  sommerlieder  falt  es  auf,  dass  der  Verfas- 
ser die  typische  hindeutung  auf  den  unwiderstehlichen  dichter  nicht  zur  geltxmg  bringt 
Durch  sie  wurde  schon  ein  stark  subjektives  element  in  die  reien  hineingetragen,  wel- 
ches bei  deren  Charakteristik  entschieden  berücksichtigung  heischt;  und  der  umstand, 
dass  es  inmier  wider  gerade  der  ritter  oder  knappe  ist,  der  als  der  auserwählte  der 
bauemmädchen  erscheint,  scheidet  diese  lieder  denn  doch  bei  allen  sonstigen-  bezie- 
hungen  genugsam  von  der  poesie  der  bauem.  Denn  dass  diese  selbst  in  ihren  lie- 
dem  schon  vor  Neidhart  den  ritter  als  den  begünstigten  liebhaber  besungen  haben 
selten,  ist  eine  Vermutung  des  Verfassers  (s.  112),  die  wol  keine  Zustimmung  finden 
wird.  In  den  gesang  der  ditmarsischen  bauem  ist  das  motiv  sicher  erst  aus  der 
höfischen  dorfpoesie  gekommen.  Der  umstand,  dass  der  volksgesang  sich  früher  so 
gut  wie  heute  aus  der  kunstdichtung  bereichert  hat,  ist  noch  lange  nicht  genug 
gewürdigt.  Sehr  bemerkenswert  ist  doch  auch,  dass  der  miserfolg  in  der  liebe,  die 
Verdrängung  des  dichters  durch  bäurische  nebenbuhler,  im  winterliede  ebenso  typisch 
ist  wie  seine  unwiderstehlichkeit  in  den  sommerliedem;  ja  wenn  ihm  im  sommer  ein 
liebesleid  widerfahren  ist,  so  beklagt  er  das  doch  nicht  im  sommerUede,  sondern  im 
winterliede.  Die  alte  naturparallele  in  ihrer  einfachsten  form  übt  hier  eine  wahre 
zwingherschaft  aus;  gewiss  war  sie  so  schon  zu  einem  unveränderlichen  motiv  in  der 
gattung  von  bauemliedem  erstart,  an  die  Neidharts  poesie  anknüpfte. 

Bei  der  behandlung  des  inhaltes  der  winterlieder  sind  bairische  sitten  der 
gegenwart  s.  189.  191  in  glücklicher  weise  zur  erklärung  herbeigezogen.  Unter  den 
berührungen  dieser  gattung  mit  der  höfischen  dichtung  werden  beziehungen  zu  Mo- 
mngens  liedem  hier  zuerst  nachgewiesen;  die  belegstellen  hätten  freilich  widerum 
einer  sti-engeren  kritik  unterzogen  werden  sollen;  es  finden  sich  genug  verse  unter 
ihnen,  bei  denen  die  entlehnung  aus  Morungen  oder  auch  die  entlehnung  überhaupt 
mehr  als  zweifelhaft  ist;  zwei  stellen  sind  unrichtig  aufgofasst:  MF  128,  7  fg.  spricht 
Morungen  nicht  von  der  geliebten,  sondern  von  der  höfischen  geselsohaft;  MF  122,  22 
ist  zu  wol  ir  vü  siiexer  nicht  lip  zu  ergänzen,  sondern  süexer  ist  dat.  sing.  fem. 

Bei  der  frage  nach  der  Zusammengehörigkeit  der  Strophen  jedes  einzelnen 
tones  verhält  der  Verfasser  sich  mit  i'echt  ablehnend  gegen  die  modernen  auflösungs- 
bestrebungen;  aber  ausnahmelos  lässt  sich  die  regel,  dass  Neidhart  in  einem  tone 
nie  mehr  als  ein  lied  gedichtet  habe,  nicht  durchführen,  besonders  nicht  bei  dem 
tone  69,  25  fg.  Der  versuch,  der  s.  246  fg.  gemacht  wird,  auch  hier  die  regel  zu 
retten,  scheint  mir  nicht  glücklich. 

In  dem  abschnitt  über  die  metrik  wird  Meyers  versuch,  aus  der  häufigeren 
oder  seltneren  vei*wendung  bestimter  reimworte  die  reien  auf  bestimto  perioden  zu 
verteilen,   einer  vernichtenden  kritik  unterzogen.    Des  Verfassers  methode,   aus  der 


ÜBER  HABTMANN,  HBSBLLOHEB  125 

gesamtzahl  der  hebungen  einer  stropho  Schlüsse  auf  deren  grundtypus  zu  ziehen,  ist 
freilich  auch  nichts  weniger  als  einwandsfrei.  Das  streben,  zu  möglichst  festen 
regeln,  zu  möglichst  abgerundeten,  leicht  formulierbaren  ergebnissen  zu  gelangen, 
lässt  ihn  überhaupt  nicht  selten  zu  gekünstelten  mittein  greifen  oder  das  gewicht  der 
zu  geböte  stehenden  tatsachen  überschätzen.  Das  weitere  fortschreiten  seiner  for- 
schungen  wird  ihm  wol  von  selbst  etwas  entsagung  in  dieser  hinsieht  eintragen.  So 
sehen  wir  dem  zweiten  teil  seiner  arbeit  mit  guter  erwartung  entgegen. 

Ein  kleiner,  aber  recht  dankenswerter  beitrag  zur  lösung  seiner  weiteren  auf- 
gäbe ist  durch  Hartmanns  ausgäbe  der  vier  lieder  des  Hans  Heselloher  gelie- 
fert, von  denen  bisher  nur  eines  veröffentlicht  war.  Die  erklfirung  dieser  ungelenken, 
aber  stellenweise  von  gesundem  humor  belebten  Spätlinge  höfischer  dorfpoesie  ist 
durch  Hartmanns  anmerkungen,  die  freilich  noch  nicht  alle  Schwierigkeiten  heben, 
dagegen  manches  entbehrliche  enthalten,  doch  entschieden  gefördert.  Urkundliche 
nachweise  werden  hinzugefügt,  welche  den  Hans  Heselloher  für  die  zeit  von  1450 — 
1483,  seinen  bruder  Andi-e  (der  nach  einer  hier  mit  nicht  eben  zwingenden  grün- 
den angezweifelten  angäbe  Füetrers  gleichfals  ein  dichter  war)  für  1443  — 1483 
bezeugen,  während  Hans  im  jähre  1486,  Andre  1493  als  verstorben  erwähnt  wird. 
Mit  dem  nachweis  einer  nachahmung  Hesellohers  in  Fichards  handschrift  und  einer 
solchen  im  Neidhart  Fuchs  verbindet  dann  der  Verfasser  einige  weitere  interessante 
beitrage  zur  erkentnis  der  quellen  des  lezteren.  —  Möchte  das  bisher  arg  vernachläs- 
sigte Studium  der  spätmittelhochdeutschen  lyrik  bald  durch  die  monographische  behand- 
lung  auch  anderer  Sänger  dieses  Zeitraums  weiter  gefördert  werden! 

BRESLAU.  F.   VOGT. 


Neue  beitrage  zur  textkritik  von  Hartmanns  Gregorius.     Von  Hermann 
Seegers*    Kieler  diss.  1890.    47  s.    In  comm.  bei  G.  Fock,  Leipzig.     1,50  m. 

Die  lateinische  Übertragung  von  Hartmanns  Gregorius  durch  den  Lübecker 
kleriker  Arnold  ist  eine  litterarhistorisch  beachtenswerte  erscheinung.  Ausser  ihrer 
kultur-  und  sprachgeschichtlichen  bedeutung  komt  ihr  sogar  das  recht  zu,  in  fragen 
der  textkritik  des  deutschen  gedichtes  gehört  zu  werden,  da  sie  nur  um  einige  jähre 
jünger  als  das  original  und,  obwol  später,  doch  ungleich  besser  überliefert  ist 
In  diesem  sinne  dies  denkmal  zu  verwerten  ist  die  aufgäbe  der  vorliegenden  abhand- 
lung.  Der  Verfasser  hat  sich  aber  nicht  darauf  beschränkt  einzelne  stellen  nach 
gewissen  gesichtspunkten  zu  gruppieren,  danach  den  kritischen  wert  der  lateinischen 
Schrift  zu  bestimmen  und  demgemäss  einzelne  lesarten  des  deutschen  textes  zu^bestä- 
tigen  oder  zu  berichtigen  —  vielmehr  weiss  er  aus  dieser  Untersuchung  ein  sowol 
sachlich,  wie  rein  technisch  höchst  interessantes  problem  zu  entwickeln. 

Er  begint  im  ersten  teile  seiner  arbeit  damit,  durch  einen  vergleich  mit  dem 
original  zu  zeigen,  dass  die  Übertragung  im  ganzen  eine  recht  freie  zu  nennen  ist, 
was  besonders  daher  i-ühi-t,  dass  Arnold  sich  bemüht,  geistlichen  ton  und  geistliche 
anschauung  in  die  erzählung  hineinzutragen.  Daraus  ergibt  sich,  dass  sein  werk  nur 
in  solchen  fällen  für  die  textkritik  des  Gregorius  verwertet  werden  kann,  wo  es  sich 
um  bedeutsamere,  den  sinn  ändernde  Varianten  handelt  (s.  11).  Jedoch  kann  uns  der 
Verfasser  an  einer  reihe  von  stellen  zeigen ,  dass  die  in  zweifelhaften  fällen  bisher  von 
der  kritik  befolgte  Wertschätzung  der  einzelnen  handschriften  richtig  war;  das  resul- 
tat  ist  also  im  ganzen  ein  bestätigendes.     Berichtigung  finden  wir  nun  für  v.  993 


126  BoeaxBAam 

(821)  \  wo  nach  Arnolds  text  die  von  PaoI  in  der  volBtändigen  textaosgabe  dordi 
rede  ersezte  lesart  viseke  wider  herzustellen  ist  Einen  besonderen  fall  bilden  die 
verse  1043.  44  (871.  72),  welche  in  der  vorläge  Arnolds  augenscheinlich  gestanden 
haben,  unter  den  handschriften  des  deutschen  gedichts  aber  einzig  in  A  sich  finden. 
Seegers  hält  mit  Martin  diese  verse  für  interpoliert  und  gewint  so  das  bemerkens- 
werte resultat,  dass  die  vorläge  Arnolds  in  naher  beziehung  zur  handschrift  A  gestan- 
den haben  muss.  Wenn  mir  nun  auch  die  annähme  Martins  begründet  und  somit 
die  folgerung  des  Verfassers  berechtigt  erscheint,  so  halte  ich  es  doch  für  bedenk- 
lich, wenn  er  noch  weiter  geht  und  ohne  weiteres  die  von  Seelisch  (in  dieser  Zeit- 
schrift XYI,  284)  aufgestelte  einteilang  der  Gregoriushandschrift  in  zwei  gruppen  m 
und  n  sich  zu  eigen  macht,  demgemäss  er  die  vorläge  Arnolds  der  gruppe  m  zuweist. 
Hier  komt  Seegers  zu  weit  auf  das  gebiet  der  blossen  Vermutung,  als  dass  er  die 
folgerungen  sicher  aufbauen  köute,  welche  wir  nachher  kennen  lernen  werden.  Viel- 
leicht wird  ims  in  der  angelegenheit  der  Gregoriushandschriften  das  eigebnis  der  hand- 
schrift K  weiterbringen. 

Im  zweiten  teile  der  arbeit  macht  sich  der  Verfasser  den  weg  zu  seinea 
weiteren  ausführungen  dadurch  frei,  dass  er  zeigt,  dass  die  von  Schmeller  heraus- 
gegebene lateinische  Gregorsdichtung  (Ztschr.  f.  d.  a.  II,  488—500)  für  die  textkri- 
tik  in  Haitmanns  Gregor  nicht  in  betracht  komt.  So  kaou  er  dann  im  dritten  teile 
aus  dem  im  ei*sten  teile  gewonnenen  die  nutzanwendung  ziehen  auf  die  einleitung 
zu  Hartmanns  erzählung,  welche  von  dem  entsprechenden  abschnitt  bei  Arnold 
beträchtlich  abweicht.  Der  Verfasser  geht  aus  von  der  zwar  beiden  gemeinsamen, 
aber  doch  sehr  verschiedenartigen  Verwendung  des  gleichnisses  vom  barmherzigen 
Samariter.  £r  findet  einerseits,  dass  bei  Hartmann  die  darstellung  nur  lose  an  das 
biblische  vorbild  anknüpft,  dass  sie  wenig  mit  der  sonst  erkenbaien  im  mittelalter 
üblichen  behandlung  des  stoftes  übereinstimt,  und  dass  schliesslich  dieses  biblische 
motiv  auch  mit  dem  inhalt  des  gedichtes  nur  sehr  locker  zusammenhängt;  anderseits, 
dass  die  einleitung  des  Arnold  im  wesentlichen  nur  die  in  den  predigten  und  erklä- 
renden geistlichen  Schriften  übliche  symbolische  behandlung  des  evangeliums  bietet 
und  so  zwar  teilweise  mit  dem  mhd.  texte  übereinstimt,  aber  nirgends  eine  der  ein- 
zelheiten  widergibt,  welche  diesem  eigentümlich  sind.  Deshalb  schlägt  der  Verfasser 
vor,  das  Verhältnis  Arnolds  zum  mhd.  texte  für  diese  einleitung  umzukehren  und  zu 
erwägen,  ob  das  ältere  hier  nicht  bei  Arnold  zu  finden  sei  und  die  nachahmung 
in  der  vor  Hartmanns  Gregorius  in  einigen  handschriften  (nicht  in  der  ältesten  AI) 
überlieferten  einleitung.  Da  nun  dem  Verfasser  die  Urheberschaft  Hartmanns  für 
die  einleitung  aus  manchen  Übereinstimmungen  mit  dem  Stile  und  der  Weltanschauung 
anderer  Schriften  Hartmanns  wahrscheinlich  ist,  so  nimt  er  an,  dass  Arnold  zuerst 
die  beziehung  auf  die  biblische  erzählung  dem  Gregor  als  einleitung  vorausgeschickt, 
und  dass  sodann  Hartmann,  dadurch  angeregt,  im  späteren  alter  ebenfals  eine  dich- 
tung  verfasst  habe,  welche  jene  ei'zählung  enthielt,  und  diese  einer  zweiten  recen- 
sion  des  Gregor  als  einleitung  vorausgestelt  habe  (s.  45).  £r  sieht  sich  hierin  bestäi'kt 
durch  seine  annähme  über  die  vorläge  Arnolds.  Er  meint,  diese  habe,  ebenso  wie 
die  handschrift  A,  überhaupt  die  einleitung  nicht  enthalten;  die  einleitung  komme 
vielmehr  nur  der  gruppe  n  (CD EG)  zu,  welche  die  zweite,  nach  einsieht  von  Arnolds 
buch  entstandene  recension  repräsentiere.     Auf  diese  weise  werde   dann  auch  der 

1)  Ich  citiere  nach  der  zShlufig  de«  textAbdnicIts  von  Paol  (1882)  unter  beifO^ong  der  Tüfthmenn- 
■ohen  dhlnng  in  klanuner. 


ÜBEB  SEBGERS,   TEXTKRITIK  DBS  aBBQOBIUS  127 

widerspruoh  zwischen  dem  tone  der  einleitung,  welcher  im  algemeinen  ein  höheres 
alter  des  dichters  vermuten  lasse  und  besonders  in  z.  5  fgg.  ausdrücklich  einen  gegen- 
satz  zu  den  iumben  jären  ausdrücke,  und  der  algemein  angenommenen  frühereü 
datienmg  des  Gregorius  befriedigend  ausgeglichen. 

Ein  hin  weis  auf  die  weitgehenden  folgerungen,  welche  sich  aus  einer  solchen 
annähme  ergeben,  genügt  um  es  zu  rechtfertigen,  dass  wir  etwas  naher  darauf  ein- 
gehen, als  in  der  aufgäbe  dieser  besprechung  zu  liegen  scheint.  Mir  scheint  die  fitige 
am  ehesten  deutlich  zu  werden  an  einer  undeutlichkeit,  in  welcher  der  Verfasser 
sich  bewegt.  Seine  auseinandersetzung  geht  aus  von  der  biblischen  erzählung  vom 
barmherzigen  Samariter;  die  folgerungen  werden  aber  ohne  weiteres  auf  die  ganze 
einleitung  bei  Hartmann  bezogen.  Ganz  können  wir  sie  aber  nicht  der  ursprüng- 
lichen fsssung  des  gedichtes  absprechen,  weil  am  Schlüsse  derselben  unverkenbai-, 
teilweise  mit  wörtlicher  anspielung  auf  sie  zurückgegriffen  wird,  v.  3959 — 3988 
(3787  —  3816).  Nun  zerfält  aber  die  mhd.  einleitung  in  zwei  deutlich  getrente  teile, 
y.  1 — 86  und  v.  87  — 170,  von  denen  nur  der  zweite  das  biblische  thema  behandelt, 
der  erste  aber  keine  spur  davon  enthält.  Demgemüss  wäi'e  nur  der  zweite  teil 
als  späterer  zusatz  anzusehen.  Dies  scheint  mir  aus  folgenden  gründen  mindestens 
möglich. 

Die  beiden  teile  finden  sich  auch  bei  Arnold  wider.  Sie  unterscheiden  sich 
dadurch  sehr  kentlich  von  einander,  dass  der  erste  nur  einen  knappen  auszug  der 
Hartmannischen  werte  gibt,  der  zweite  dagegen,  vom  inhalt  abgesehen,  fast  noch 
weitläufiger  ist  als  der  abschnitt  bei  Hartmann.  Es  lässt  sich  nun  durch  nichts 
erweisen,  dass  dem  Arnold  der  erste  teil  nicht  vorgelegen  habe,  vielmehr  scheint 
die  individuelle  ausdrucksweise  Hartmanns  noch  erkenbar  zu  sein.  Man  vergleiche 
z.  b.  s.  2  j^nune  ergo  qui  aliquando  fabulis  scetii/iis  intentus  fuisti""  und  ^Min 
herxe  hat  bexunmgen  vil  dicke  mtne  xwige^i,  dax>  si  des  vil  gesprochen  hat,  dax 
fläch  der  tcerlde  Idae  stät/'^  v.  1  —  4;  sowie  den  schluss  y^pereunt  ad  tartara  ducti^ 
und  ,,  leitet  üf  den  ^egen  töf^  v.  86.  Dagegen  ist  es  kaum  denkbar,  dass  Hart- 
nianns  zweiter  teil  (v.  87  — 170)  dem  Arnold  bekant  gewesen  sei.  Dies  scheint  mir 
durch  die  darlegung  von  Seegers  hini'eichend  klargestelt  zu  sein,  indem  dieser  zeigt, 
dass  Arnold  hier  gar  nichts  von  der  eigentümlichen  darstellung  Hartmanns  widergibt, 
sondern  nur,  was  ihm  die  geistliche  ti'adition  bot  Die  einfachste  erklänmg  hierfür 
liegt  darin,  dass  er  dies  stück  aus  eigener  initiative  in  die  einleitung  neu  einfügte. 
Was  ihn  dazu  veranlasste,  war  wol  der  gedanke,  den  er  gleich  zu  beginn  schon 
geäusscii  hatte,  dass  die  gnade  gottos  allein  selig  mache,  welcher  nach  der  symbo- 
lischen erklärung  auch  dem  gleichnisse  zu  giTinde  liegt. 

ümgekehi't  lässt  sich  manches  dafür  anführen,  dass  v. 87  — 170  bei  Hartmann 
durch  das  vorbild  Arnolds  hervorgerufen  seien.  Das  gleichnis  mit  seiner  üblichen 
Interpretation  lag  der  aufTassung  Hartmanns,  dass  die  erlösung  auf  einem  inneren 
Vorgang,  der  riutce  beruhe,  so  fem,  dass  er  kaum  andei-s  als  durch  eine  äussere 
anregung  dazu  veranlasst  werden  konto,  es  in  die  einleitung  zu  seinem  Gregor  zu 
vei-flechten.  Infolge  dessen  verrät  die  darstellung  das  bemühen,  einen  fremden  bestand- 
teil  in  seinen  gedaoken Zusammenhang  hiucinzuarbeiten.  Dazu  kommen  aber  noch 
äussere  anhaltspunkte,  welche  darauf  schliessen  lassen,  dass  die  verse  87  — 170  tat- 
sächlich in  einer  älteren  fassung  des  Gregor  nicht  vorhanden  gewesen  sind.  Dies 
ist  einmal  die  künstliche  form  des  Überganges  vom  ersten  zum  zweiten  teil,  wo  der 
weg,  den  der  Samariter  wandelt  v.  97,  gewaltsamer  weise  mit  der  engen  Strasse,  die 
zur  Seligkeit  fühi-t  v.  87,   identificieri  wird;   und  dann  der  auffällige  umstand,   dass 


128  RBX! 

der  sweLte  teä  mit  demselbea  gedmiken  endet,  wie  der  erste,  dem  gedanken,  dass 
der  xwUfd,  d.  L  das  gcgeoteÜ  der  riuwe,  zur  ewigen  verdamnis  führe.  Der  dich- 
ter acbeint  abnchtUch  dem  neuen  abechinsse  der  einleitnng  ein  ihnlicfaes  aussehen 
gegeben  zu  haben  wie  dem  älteren,  um  die  einfugnng  zu  verbergen.  Und  diese 
annähme  wird  endlich  noch  bedeutsam  gestüzt  durch  den  tatbestand  der  Überliefe- 
rung: die  älteste  handschrift,  A,  hat  die  ganze  einleitung  nicht;  die  jüngeren,  I 
und  K,  haben  sie  ganz;  aber  die  fragmente,  welche  von  der  einleitung  in  G  enthal- 
ten sind,  gehören  nur  zum  ersten  teile,  sie  schliessen  mit  v.  86  und  leü  in 
üf  den  Iwegen  tot  und  gehen  dann  gleich  ohne  lücke  zum  an£Euige  der  erzählung 
über:  E^  was  ein  icälhisefie^  lani. 

Alles  dies  zusammen  macht  es  mir  wahrscheinlich,  dass  die  Verwendung  der 
geschichte  vom  barmherzigen  Samariter  zuerst  von  Arnold  herrührt  und  dann  von 
Hartmann  nach  einsieht  der  Übersetzung  übernommen  ist,  wol  in  dem  bedürfnis, 
seinen  wichtigsten  gedanken  in  möglichst  eindringlicher,  gottwolgefälliger  form  zu 
widerholen.  An  Hartmanns  Urheberschaft  für  die  verse87  — 170  zu  zweifeln,  liegt  auch 
meiner  meinung  nach  kein  grund  vor.  Es  ist  auch  leichter  zu  erklären,  dass  Hart- 
mann selbst,  als  dass  irgend  ein  späterer  Schreiber  das  budi  Arnolds  in  die  bände 
bekommen  hat  Auf  demselben  wego,  auf  dem  Wilhelm  von  Lüneburg  noch  bei 
Hartmanns  lebzeiten  Hartmanns  werk  erhielt,  konte  er  ihm  auch  eine  abschrift  der 
arbeit  Arnolds  zugehen  lassen.  Seegers  scheint  es  als  möglich  hinzusteUen  (s.  45), 
dass  Hartmann  das  gleichnis  erst  selbständig  behandelt  habe;  wahrscheinlicher  ist  es 
mir,  dass  es  gleich  mit  bezug  auf  den  Oregorius  ausgearbeitet  wurde. 

Die  von  Seelisch  vorgeschlagene  gruppiemng  der  Gregoriushandschrifken  bedarf 
mit  rücksicht  auf  unsere  darlegungen  noch  erneuter  prüfung.  Auch  kann  ich  mich 
nicht  einverstanden  erklären  mit  der  meinung,  dass  nur  wenn  die  ganze  einleitung 
späterer  zusatz  wäre,  der  Widerspruch  zwischen  der  üblichen  datierung  des  gedichtes 
und  dem  tone  der  einleitung  aufgehoben  würde.  Dieser  widersprach  ist  gar  nicht  so 
gross.  Der  ausdrack  mtniu  tumben  jär  v.  5  besagt  nicht  mehr,  als  dass  der  dichter 
nimmehr  aus  einer  anderen  Stimmung  heraus  schreiben  will,  als  früher;  er  passt 
zum  tone  der  ganzen  erzählung  und  hindert  gar  nicht,  dass  derselbe  nach  diesen 
Worten  noch  den  Iwein  schreiben  konte.  Man  braucht  noch  kein  greis  zu  sein,  um 
von  seinen  yfumben  jdren^  reden  zu  können. 

Mit  den  angeführten  einschrSnkungen  halte  ich  die  hypothese  des  Verfassers 
für  ebenso  bemerkenswert,  wie  sie  origineU  ist;  sie  darf  auch  meines  erachtens  in 
allen  fällen,  wo  sie  in  frage  kommen  kann,  nicht  unberücksichtigt  bleiben. 

FLSNSBUBO,  IM  OETOBES  1891.  Q.   BOSENHAQXN. 


Die  Angeln.    Ein  kapitel  aus- der  deutschen  altertumskunde.    Von  Lud- 
wig Weiland.    Tübingen,  Laupp'sohe  buchhaudlung.  1889.    40  s.    Im. 

Yorliegende  schrift,  die  der  Verfasser  in  anspruchsloser  weise  als  ein  „kritisch- 
wissenschaftliches  referat''  bezeichnet,  gibt  eine  zusammenfEissende  darstellung  dessen, 
was  die  bisherige  forschung  (besonders  MüUenhoff,  Möller  und  Seelmann)  über  die 
herkunft  der  Angelsachsen  ermittelt  hat*.  Eine  solche  zusammenfassende  und  kri- 
tische darstellung  kann  man  nur  wilkommen  heissen,  und  es  ist  erfreulich,  dass  die 

1)  Nicht  bennzt  ist  Langhans ,  Über  den  urspnmg  der  Nordfrieeen;  ten  Brink,  Beownlf  s.  194  — 
207;  Ref.,  Kdd.  Jahrbuch  Xm,  s.  6— 12;  Siebs,  Zur  gesoh.  der  engU-finee.  spräche,  s.  5— 26. 


ÜBEB  WSILANI),  DIB  ANGELN  129 

TOiiagshandluBg  einen  sonderabdmck  von  dieser  sohrift  herausgegeben  hat,  welche 
einen  teil  der  „Festgabe  für  Georg  Hansen  zum  31.  mal  1889,  Tübingen  1889*^  bil- 
det Das  verdienst  der  arbeit  besteht  in  der  kritischen  Sichtung  der  bekanten  Zeug- 
nisse der  geschichtet  und  der  ags.  sage.  Das  hauptergebnis  ist  ein  völlig  gesichertes: 
Jütland  und  Schleswig- Holstein  ist  die  Urheimat  der  Angelsachsen,  und  zwar  kamen 
die  kentischen  Juten  aus  Jütland,  die  Angeln  aus  Schleswig,  die  Sachsen  aus  Hol- 
stein und  von  der  Eider-  und  Eibmündung.  In  allen  einzelnen,  weitergehenden  fragen 
gestattet  die  dürftigkeit  unserer  Überlieferung  keine  so  sichere  antwort.  Man  wird 
hier  nie  über  einen  gewissen  grad  algem einer  Wahrscheinlichkeit  hinauskommen.  Fra- 
gen, wie  die  über  die  beteiligung  der  Chauken  und  Friesen  an  der  besiedelung  Eng- 
lands, werden  daher  von  den  forschem  sehr  verschieden  beantwortet.  Ein  sicherer 
fortschritt  ist  allein  von  den  ergebnissen  der  sprachforechung  zu  erwarten,  welche 
freilich  so  komplicierter  natur  sind,  dass  vor  voreiligen  Schlüssen  nicht  genug 
gewarnt  werden  kann.  Leider  ist  die  zahl  der  methodisch  geschulten  Sprachforscher 
auf  dem  gebiete  des  friesischen  und  des  sogenanten  nordfriesischen  winzig  klein,  und 
femer  stehende  sind  nicht  leicht  in  der  läge  sich  ein  urteil  über  die  von  einzelnen 
aufgestelten  behauptungen  zu  bilden.  Hat  doch  Siebs  in  seinem  buche  Zur  geschichte 
der  englisch  -  friesischen  spräche  und  in  Pauls  Grundriss  den  lesom  eine  gemeinsame 
Ursprache  des  ostfriesischen  und  des  sogenanten  nordfriesischen  zugemutet  I  Es  kann 
nicht  meine  aufgäbe  sein,  an  dieser  stelle  zu  zeigen,  wie  weit  die  sogenanten  nord- 
friesischen mundarten  eine  nähere  beziehung  zu  den  ags.  mundarten  ergeben.  Nor 
so  viel  steht  fest:  1)  dass  beide  sprachen  einander  von  hause  aus  näher  standen  als 
dem  ost-  und  westfriesischen;  2)  dass  eine  unmittelbare  zurückfühmng  einer  nordfrie- 
sischen mundart  auf  eine  ags.  daran  scheitert,  dass  die  mehrzahl  der  mundartlichen 
unterschiede  des  ags.  ei'st  auf  britischem  boden  die  uns  bekante  geographische  aus- 
dehnung  gewonnen  hat;  3)  dass  von  den  beiden  sprachen,  welche  man  wohl  unter  dem 
namen  nordfriesisch  zusammenzufassen  pflegt,  die  dei:  inseln  Sild,  Föhr,  Ammm  und 
Helgoland  der  westsäcbsischen  mundaii  Englands  verhältnismässig  am  nächsten  steht. 
An  dieser  stelle  sei  nur  einer  einzelheit  erwähnung  getan,  zu  deren  besprechung 
Weilands  schrift  herausfordert.  Dass  Chauken  an  der  besiedlung  Englands  beteiligt 
gewesen,  ist  sehr  wohl  glaublich,  aber  durch  nichts  beweisbar;  auch  die  quelle  der 
Sprachforschung  versagt  in  diesem  falle.  Um  so  unfruchtbarer  ist  es  darüber  hypo- 
thesen  aufzustellen,  ob  die  Nordhumbrer  (so  Weiland  mit  Möller)  oder  die  Eenter 
(so  Weiland,  Gott.  gel.  anz.  1889,  8.942)  Chauken  sein.  Einen  auf  englischem  boden 
noch  erkenbaren,  besonderen  stamm  werden  die  Chauken  schwerlich  gebildet  haben; 
ihr  name  gieng  in  Deutschland  unter  dem  der  Sachsen  auf;  weshalb  nicht  auch  in 
England?  Möller  glaubt,  dass  die  bewohner  von  Sild,  FÖhr,  Ammm  und  Helgoland 
alte  Chauken  seien;  Weiland  s.  38  (s.  156)  und  Gott.  gel.  anz.  1889,  8. 942  möchte  hier 
eher  an  die  Avionen  denken.  Die  Wohnsitze  der  Avionen  lassen  sich  ziemlich  sicher 
bestimmen.  Es  ist  bisher  unbeachtet  geblieben,  dass  die  sildringische  sage  ihren  namen 
bewahrt  hat;  sie  kent  ein  geschlecht  der  TJtcen,  welche  von  osten  her,  also  aus  dem 
nuunschlande  gekommen  sein  sollen';  Vwen  ist  spi'achgeschichtlich  ==  ags.  £awan  =» 
uigerm.  *Auwanix;   Avionea  bedeutet  „bewohner  des  marschlandes '^ ;   das  volk  hat 

1)  Bei  Weiland  fehlt  die  bekante  stelle  aus  .Slfreds  Qroeins  von  der  la^  Schleswigi  hetuh  WiM- 
dmn  and  Setueum  and  Angle. 

2)  Hansen,  üald'  S51d'ring  tialen,  s.  22;  Hansen,  Beitiflge  za  den  sagen  naw.  der  Noidfrie- 
,  8.80. 

ZEITSCinUFT  F.   OKUTSCHK  PHILOLOGIE.     BD.  XXIV.  9 


130  BRANDES 

also  in  dem  schleswigschen  marschlande  gesessen  und  ist  identisch  mit  unseren  heu- 
tigen n  Nordfriesen*. 

Neu  ist  die  s.  36  (s.  154)  ausgesprochene  sehr  ansprechende  Vermutung,  dass 
Theudebert  in  dem  briefe  an  Justinian  im  jähre  535  mit  den  ,,8axonibus  Euciis,  qui 
se  nobis  voluntate  propria  tradiderunt '^^  die  kentischen  Juten  Beda*s  gemeint  habe. 
Ich  möchte  das  gleiche  auch  von  dem  Euthio  bei  Yenantios  Fortunatus  glauben, 
welcher  neben  dem  Saxo  und  Britannus  als  feind  der  Franken  genant  wird. 

HALLE,   U.  MABZ   1S91.  OTTO  BRmnCR. 


De  Düdesche  Schlömer.  Ein  niederdeutsches  drama  von  Johannes 
Stricker.  (1584).  Herausgegeben  von  Jolumnes  Bolte.  76  und  236  s.  8.  Nor- 
den und  Leipzig,  Soltau.  1889.  (Drucke  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprach- 
forschung, m.). 

Die  von  Bolte  gelieferte  ausgäbe  des  Strickerschen  Schlömer  macht  ein  wert- 
voUes  niederdeutsches  litteraturdenkmal  algemein  zugänglich.  Der  originaldruck  (A) 
des  dramas,  der  sich  in  einigen  wenigen  exemplaren  erhalten  hat,  die  zum  teil 
deutschen,  zum  teil  ausländischen  bibliotheken  gehören,  ist  1584  in  der  Balhomschen 
ofGcin  zu  Lübeck  hergestelt  Der  neudruck  widorholt  A  buohstabon-  und  seiten- 
getreu; auch  die  alte  Interpunktion  findet  sich  in  ihm  im  wesentlichen  wider.  Aus 
den  nachdrucken  von  1593  (B  und  C)  hat  der  herausgeber  eine  anzahl  von  randglos- 
sen  aufgenommen,  die  wie  die  mehrzahl  der  in  A  stehenden  auf  biblische  stellen 
hinweisen;  im  übrigen  hat  er  sich  auf  die  korrektur  der  in  dem  alten  druckfehler- 
verzeichnis  angegebenen  versehen  und  auf  die  berichtigung  einiger  weiterer  offenbarer 
irtümer  des  Originaltextes  beschränkt.  Allen  anforderungen,  die  wir  an  einen  neu- 
druck zu  stellen  gewohnt  sind,  ist  somit  entsprochen:  Boltes  text  ersezt  das  original 
voU  und  ganz. 

Der  umstand  jedoch,  dass  der  Balhomsche  druck  nicht  als  eine  gute  überiie- 
ferung  des  werkes  Strickers  gelten  kann,  da  er  an  mehr  als  einer  stelle  Schwierig- 
keiten bietet,  die  nur  durch  mehr  oder  minder  starke  eingriffe  gehoben  werden 
können,  lässt  es  mir  zweifelhaft  erscheinen,  ob  Bolte  gut  daran  getan  hat,  ein  so 
conservatives  verfahren  einzuschlagen.  Manche  Verderbnisse  hätten  sich  nach  anlei- 
tung  von  B  C  mit  leichtigkeit  beseitigen  lassen.  B  und  C  lesen  v.  185  Stervet;  der 
herausgeber  hat  den  wink  nicht  beachtet  und  das  an  der  stelle  unmögliche  praet  des 
schwachen  verbums,  das  A  sezt,  beibehalten.  Auf  die  widerherstellung  des  verses 
hat  B  in  zweckentsprechender  weise  bedacht  genommen;  die  achte  sübe  wird  durch 
einschaltung  des  flickwortes  gar  vor  aalichliek  gewonnen.  Den  küyup  v.  733  hat 
Bolte  festgehalten,  obwol  schon  Lübben  (Wb.  2,  328)  mit  dem  ausdrucke  nichts 
anzufangen  wüste.  Wir  haben  es  mit  der  imperativischen  bildung  küpup  zu  tun, 
durch  die  der  haushälterische  sparsame  sinn  der  frau,  der  auch  v.  577  fgg.  angedeu- 
tet ist,  dem  Standpunkte  des  mannes  entsprechend  charakterisiert  wird.  An  v.  2242: 
Sunder  ydt  affgeraden  sehlieht  haben  BundC  anstoss  genommen.  B  ändert :,i?a(fen 
mi  tho  dem,  C:  Sunder  hebbent  affgeraden.  Keiner  dieser  versuche,  dem  verse 
aufzuhelfen,  befriedigt  jedoch.  C  lässt  den  folgenden  infinitivsatz:  Mit  en  tho  holdn 
dat  frouwdenepü  unberücksichtigt,  und  B  entfernt  sich  viel  zu  weit  von  dem  in  A 
überlieferten.  Ordnung  lässt  sich  nur  schaffen,  wenn  man  liest:  Sundr  hebten  my 
geraden  sehliekL     Weren  v.  2229  ist  in  Were  zu  bessern. 


ÜBER   DEN  DÜD.   SGHLÖBOCR  ED.  BOLTB  131 

Über  einige  zweifelhafte  stellen  hat  sich  Bolte  in  den  anmerlningen  ausgespro- 
chen, de  putx,  in  der  redensart  de  putx  gheit  my  an  ist  in  der  anmerknng  zu  ▼.  844 
richtig  erklärt  Eine  euphemistische  bezeichnung  des  teufels,  wie  Lübben  meinte, 
kann  de  putx  schon  deshalb  nicht  sein,  weil  die  wendnng  sowol  im  SchlÖmer  wie 
im  Fall  Adams  und  Even  mehrmals  dem  teofel  selbst  in  den  mnnd  gelegt  ist  Da 
sie  ausser  an  den  von  dem  herausgeber  citierten  stellen  im  Schlömer  v.  347  and 
T.  3921,  in  Strickers  erstem  drama  bl.  B%  Ciiij^  Fviy*  nnd  je  zweimal  auf  bl.  G* 
nndOy*  erscheint,  so  müssen  wir  schliessen,  dass  sie  bei  dem  dichter  in  besonderer 
gnnst  stand.  Einmal  (Fall  Adams  bl.  D^'*)  hat  er  de  ptUx  durch  Das  Spielehen 
ersezt  —  Die  verse  3599  ^g. : 

Eeffetu  dy  denn  wol  supen  eehn, 

Lastern,  sehenden,  honen,  sehmehen, 

Düh  dreff  he  so  steds  Dach  und  Nacht. 

werden  verstfindlich,  wenn  man  my  for  dy  schreibt.  Stricker  will  sagen,  dass  der 
Schlömer  beim  gennss  von  wein  und  hier  einen  unglaublichen  eifer  an  den  tag  legte. 
Die  redensart  ist  unlängst  in  dieser  ztschr.  XXI,  256  von  Gering  mit  bezug  auf  Lau- 
remberg  I,  352,  im  Nd.  korrespondenzbl.  12,  37  von  Schlüter  und  ebd.  13,  3  von 
Sand  VOSS  behandelt  worden.  —  In  dem  v.  5009:  De  HERR  wert  kamen  harnende 
liegt  weder  ein  hebraismus  vor  noch  ist  ramende  zu  lesen.  Stricker,  der  nicht  die 
von  Bolte .  citierte  zweite  sondern  die  erste  hälfte  von  Hab.  2,  3:  De  Wyssegginge 
wert  yo  noch  eruMlet  werden  tho  syner  tydt,  vnnd  werth  entliken  fryg  an  den  dach 
kamen  (Wittenberg,  H.  Lufft  1541)  im  sinne  hatte,  schrieb:  De  HERR  wert  kamen 
am  ende.  Der  reim  ende :  weh,  der  sich  damit  ergibt,  hat  bei  unserem  dichter  nichts 
aofliaUendes.  Dem,  was  der  herausgeber  s.  56  fgg.  der  einleitung  über  seine  reim- 
knnst  bemerkt,  ist  hinzuzufügen,  dass  er  auch  in  seinem  ersten  drama  ohne  beden- 
ken mehr :  Seh^pffer  (bl.  Bv»,  Bvij**,  Cig**),  mehr :  tausenthänstner  (bl.  Bv»),  lehr: 
Sehepffer  (bL  Gvi*)  bindet    am  end  „endlich**  braucht  er  im  Fall  Adams  (bl.  Mii^^): 

Doch  bleibt  Jammer,  not  tmd  elend 
Der  Sünden  seid,  der  Tod  am  end. 

Zu  tho  gloven  v.  1145  habe  ich  einen  hinweis  auf  ztschr.  XXI,  256  vemiisst 
Das  auf  nd.  gebiete  seltene  wort  Orindt  v.  1511  tritt  im  Fall  Adams  bl.  Evj^  auf: 

Meinestu,  das  ich  sey  ein  Kind? 
Nim  hin  den  puff  an  deinen  grind. 

Die  redensart  „sich  die  kühe  nehmen  lassen**  belegt  Bolte  zu  v.  2222  erst  aus  Schrif- 
ten, die  dem  ende  des  16.  Jahrhunderts  entstammen.  Indess  erläutert  sie  schon 
Agricola  in  der  ersten  sprichwörtersamlung  unter  nr.  154:  Er  leßt  yhm  die  kwe  nemen 
=»  Er  leßt  sieh  bald  erzürnen.  Die  v.  3429 — 3430  lehnen  sich  an  einen  bekanten 
sprach  an,  der  volständig  im  Nd.  reimb.  v.  2107  — 2112  steht  und  der  von  Johannes 
Junior  in  die  form  des  leberreims  gebracht  ist  (vgl.  Nd.  jahrb.  10,  82  nr.  99). 

Das  Verzeichnis  der  abweichungen  der  drucke  B  und  C  von  der  Originalausgabe 
enthält  einige  überflüssige  angaben.  Die  unzweifelhaften  druokfehler  der  jüngeren 
dracke  und  einiges  andere  hätten  ohne  schaden  fortbleiben  können.  Die  Variante  zu 
V.  1480  muss  geragen  heissen,  die  zu  v.  2433  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  gdin. 
Auf  welchen  vers  sich  die  zu  v.  3230  angegebene  var.  my  fehlt  C  bezieht,  habe  ich 
nicht  ermitteln  können. 

Yortrefliche  abhandlungen  über  Johannes  Stricker,  das  spiel  von  Adam  und 
Eva,  die  quellen  und  den  inhalt  des  Schlömer  leiten  die  ausgäbe  ein.    Besonders  in 

9* 


132  B&1KDB8 

<kir  schildeniDg  des  lebensganges  des  dichtere  nnd  in  der  qaellenantersachnDg  zeigt 
Mßh  Boltes  umfangreiche  kentnis  aller  einschll&gigen  fragen  im  helsten  lichte.  Die 
dantellimg  der  zahlreichen  bearbeitongen  des  Everymanstoffes  oder,  wie  man  jest 
auf  gnrnd  der  darlegungen  Elalffs  wol  besser  sagt,  des  Elckerlijcstoffes  verdankt  der 
etgenen  forschung  des  herausgebers  ausserordentlich  viel. 

Die  druckkorrektur  ist  mit  Sorgfalt  behandelt  Drei  versehen  im  texte,  die 
ich  mir  notiert  habe:  disser  statt  dith  v.  61,  schon  statt  schal  v.  1335  and  larutmodt 
statt  lanekmadt  v.  5463  führe  ich  nur  deshalb  besonders  auf,  weil  eins  von  ihnen 
bereits  die  Ursache  einer  bemerkung  über  die  mundart  Strickers  geworden  ist 

BKBLIN.  flXBICAN  BBAHDIS. 


Über  die  niederdeutschen  Übertragungen  der  Lutherschen  Übersetzung 
des  N.  T.,  welche  im  16.  Jahrhundert  im  druck  erschienen.  Von  Karl 
Eduard  Schanb.    Greifswalder  diss.  1889.    75  s. 

In  Schaubs  abhandlung  über  die  im  16.  Jahrhundert  gedruckten  nd.  Übertra- 
gungen der  Lutherischen  Übersetzung  des  N.  T.  haben  wir  einen  beitrag  zu  der 
noch  ausstehenden  umfassenden  geschichte  der  nd.  bibelübersetzung  erhalten.  Wer- 
den in  der  kleinen  schrift  auch  manche  fragen,  die  sich  an  die  nachlutherische  nd. 
bibelübertragung  knüpfen,  nicht  einmal  gestreift,  so  sind  einzelne  ihrer  ergebnisse 
doch  wertvoll  genug,  um  in  uns  den  wünsch  rege  zu  machen,  eine  ähnlich  angelegte 
arbeit  über  das  Verhältnis  der  vorlutherischen  nd.  bibelausgaben  zu  einander  und  zu 
den  hd.  drucken  zu  besitzen.  Hinsichtlich  der  sich  an  Luther  anschliessenden  nd. 
bibelübersetzung  dürfen  wir  manches  von  der  von  Reifferscheid  vorbereiteten  textaus- 
gabe  erhoffen. 

Schaub,  der  von  der  absieht  ausgegangen  ist,  ßugenhagens  anteü  an  der  nd. 
bibelübersetzung  des  16.  Jahrhunderts  zu  bestimmen,  bespricht  an  erster  stelle  die 
texte,  die  vor  der  einwirkung  dieses  gehülfen  Luthers  auf  das  nd.  Übersetzungswerk 
liegen,  den  Hamburger  (Hg)  und  den  Wittenberger  (W  1),  die  beide  in  das  jähr  1523 
fallen.  Der  Verfasser  betritt  gleich  hier  den  boden,  auf  dem  er  sich  in  der  folge 
fast  ausschliesslich  bewegt,  den  der  textvergleichung.  Wie  ängstlich  von  ihm  jeder 
schritt  vom  wege  vermieden  ist,  liesse  sich  an  zahlreichen  beispielen  zeigen.  Eins 
möge  genügen.  Der  von  Schaub  benuzte,  der  Wemigeroder  bibliothek  gehörige 
druck  von  Wl  schliesst:  gedrücket  tho  Wittemberg  dorch  Melchior  vnde  Michael 
LoUher  bröder  M.  D.  XXIII,  während  Dath  Nyge  Testammt  tho  dude.  VuiUem^ 
berg.,  welches  mir  aus  der  bibelsamlung  der  hiesigen  königlichen  bibliothek  zur  Ver- 
fügung steht  und  das  mit  dem  von  Goeze  beschriebenen  identisch  zu  sein  scheint, 
auf  bl.  eeyj'  den  vermerk  trägt:  Gedruckt  tho  Vuittemberg  dorch  Melchior  Lotter 
den  Mngem  1,  6.  23,  (Wx).  Schaub  geht  über  diesen  unterschied,  auf  den  ihn 
Goezes  Historie  der  gedruckten  niedersächsischen  bibeln  hätte  hinführen  müssen,  mit 
stilschweigen  hinweg.  So  lange  wir  aber  nicht  über  das  Verhältnis  orientiert  sind, 
in  dem  die  beiden  Wittenberger  drucke  von  1523  zu  einander  stehen,  haben  auf 
textvergleichung  gegründete  ausfühnmgen  über  die  beziehungen  von  Wl  zu  Hg  nur 
einen  sehr  geringen  wert  Auch  die  frage,  ob  dem  ELamburger  drucke  oder  einem 
der  Wittenberger  die  priorität  gebührt,  wird  möglicherweise  durch  dieses  Verhältnis 
berührt  Nur  scheinbar  wird  die  über  die  ersten  nachlutherischen  nd.  bibeln  her- 
schende  Unsicherheit  noch  dadurch  vermehrt,  dass  Goezes  auszüge  aus  dem  in  seinem 
besitz  befindlich  gewesenen  exemplar  sich   in   oiibographischer  beziehung  von  den 


ÜBBB  8CHAÜB,  MUDSRD.   ÜBEBTRAQÜNQBN  VON  LÜTHEBS   NT.  133 

entsprechenden  abschnitten  des  Berliner  exemplars  unterscheiden,  denn  in  der  wider- 
gabe  der  Orthographie  der  von  ihm  verzeichneten  drucke  ist  Goeze  leider  durchaus 
unzuverlässig.  Eher  kann  man  sich  auf  seine  bemerkungen  über  druckeinrichtung, 
fehler  in  der  Seitenzählung  und  ähnliche  merkmale  verlassen.  Da  seine  diesbezüg- 
lichen angaben  s.  156  fgg.  auf  den  von  Melchior  Lotter  d.  j.  hergestelten  druck  pas- 
sen, so  hege  ich,  obwol  seinem  exemplar  das  schlussblatt  abgieng,  keinen  zweifei, 
dass  er  diesen  in  bänden  gehabt  hat.  Einige  eigentümlichkeiten,  an  denen  der  druck 
leicht  zu  erkennen  ist,  hat  Goeze  übersehen.  Im  ersten  teil  ist  das  XXX.  bl.  als 
XXXI.  und  das  LXXI.  als  LXXII.  bezeichnet,  so  dass  die  blatzahlen  XXXT  und 
LXXn  zweimal  auftreten;  im  zweiten  teil  sind  die  zahlen  der  bll.  XVin — XXV 
in  Unordnung  geraten.  Der  druck  zeigt  diese  folge:  XVIII,  XVIII,  XIX,  XYIII, 
XXI,  XXU,  XXm,  XXV.  Die  Signatur  des  vierten  blattes  fehlt  in  den  lagen  B, 
E — L,  Q,  S,  T,  a,  b,  d — f,  1  —  o.  Die  von  Schaub  Wl  entnommenen  citate  habe 
ich  zum  teil  in  dem  NT  Melch.  Lotters  d.  j.  nachgeschlagen,  und  es  hat  sich  heraus- 
gestelt,  dass  beide  drucke  in  orthographischer  hinsieht  nicht  unbedeutend  von  einan- 
der abweichen.  Ich  lasse  einige  belege  folgen:  Mt.  13,  46  kostlike  Wl,  köstliche 
Wx.  —  Lc.  5,  1  tho  kören  dat  toort  gadeaWl^  tho  hoeren  dat  toorth  OadesWn,  — 
Lc.  22,  67  gelöue  Wl,  gkd'ite  Wx.  —  Mt.  2,  (vgl.  kap.  IV  des  anhanges)  1  van 
Wl,  von  Wx;  3  den  konnig  Wl,  de  k,  Wx;  5  ist  geschreuen  Wl,  ia  g.  Wx; 
6  von  Wl,  van  Wx;  7  von  Wl,  van  Wx;  8  vorforseheth  Wl,  vorfroscheth  Wx; 
12  in  or  Wl,  yn  or  Wx;  13  Heren  Wl,  heren  Wx;  vnde  sede  Wl,  vnd  8.  Wx; 
15  Beren  Wl,  heren  Wx;  16  sendete  Wl,  sendede  Wx;  mit  Wl,  mith  Wx; 
18  ere  Wl,  ore  Wx;  19  süWl.su  Wx;  eren  Wl,  heren  Wx;  22  de  Galliley- 
sehen  Wl,  des  6^.  Wx;  23  vp  dat  Wl,  vp  dath  Wx.  Im  übrigen  scheint  mir 
schon  nach  dieser  probe,  auf  deren  Unzulänglichkeit  ich  nicht  hinzuweisen  brauche, 
die  annähme  einer  engen  Zusammengehörigkeit  der  beiden  Wittenberger  drucke 
zulassig. 

Interessant  ist  der  von  Schaub  gelieferte  nachweis,  dass  Hg  undWl  die  Hal- 
berstadter  bibel  nicht  unberücksichtigt  lassen.  Der  Zusammenhang  zwischen  der  vor- 
lutherischen und  nachlutherischen  nd.  bibelübersetzung  ist  somit  dargelegt.  Freilich 
scheint  sich  der  Verfasser  unserer  Schrift  der  Wichtigkeit  der  von  ihm  gefundenen 
taisache  nicht  voll  bewust  geworden  zu  sein.  Denn  anstatt  den  spuren  dieses  Zusam- 
menhanges in  den  von  Bugenhagen  beeinflussten  texten  nachzugehen,  begnügt  er  sich 
bei  der  besprechung  von  W2,  dem  ersten,  bisher  unbekanten  druck,  dem  Bugen- 
hagens  tätigkeit  zu  gute  gekommen  ist  (ex.  in  Schaubs  besitz),  mit  der  kurzen  bemer- 
kung,  dass  sich  der  Urheber  dieser  Übersetzung  um  die  vorlutherische  Halberstädter 
bibel  nicht  mehr  gekümmert  habe.  Selbst  wenn  diese  Behauptung  richtig  wäre,  so 
wäre  noch  immer  die  möglichkeit,  dass  die  vorlutherische  fassung  durch  vermittelung 
von  Hg  und  Wl  ihre  einwirkung  geäussert  hätte,  zu  erwägen  gewesen.  Daran  hat 
Schaub  nicht  gedacht.  Schaubs  abschliessende  äusserung  lässt  sich  zudem  in  der 
form,  in  der  er  sie  voi-trägt,  schon  deshalb  gar  nicht  aufrecht  erhalten,  weil  die 
anzeichen  einer  fortdauer  des  einflusses  der  vorlutherischen  bibel,  die  in  der  Witten- 
berger ausgäbe  von  1524  unzweifelhaft  vorhanden  sind,  eine  direkte  benutzung  der 
Halberstädter  bibel  durch  den  unter  Bugenhagens  äugen  arbeitenden  Übersetzer  kei- 
neswegs aasschliessen.  Die  beiden  stellen,  die  Schaub  anführt,  um  die  abhängigkeit 
des  von  ihm  mitW2  bezeichneten  druckes  vonWl  zu  erweisen:  Matth.  20,  4  (und  7) 
L  ynn  den  toeynberg,  Wl  W2  ynn  mynen  tvynberg  (der  zusatz  W2  toyngarden 
soll  sich  wol  auf  Wl  beziehen?    Wx  hat  wyngarden)  und  Matth.  22,  4  L  meyn 


134  HHANDES 

mcUxeyt  hob  ich  bereyt,  Wl  W2  myn  maüydt  ys  beredet  können  mit  gleichem 
rechte  als  zengnisse  für  beziehongen  von  W2  zu  H  angesehen  werden,  da  sie  in 
der  dassong  H  von  Wl  aufgenommen  sind.  Entscheidet  man  sich  aber  auch  auf 
grund  weiterer  beobachtungen  einmal  dafür,  Wl  als  die  quelle  der  genanten  lesarten 
in  W 2  zu  betrachten,  so  bleibt  die  indirekte  beeinflussung  der  von  Bugenhagen 
inspirierten  bibelübersetzung  durch  die  vorlutherische  nd.  bibel  bestehen.  Die  lesart 
myn  maUydt  ys  beredet  hat  übrigens  schon  WS  zu  gunsten  des  engeren  ansohlusses 
an  Luther  aufgegeben. 

Bugenhagens  anteil  an  der  nachlutherischen  nd.  bibelübersetzung  bestirnt 
Schaub  auf  grund  der  eigenen  auslassungen  des  theologen  über  diesen  punkt,  die  in 
die  vorreden  und  nachreden  verwebt  sind,  die  er  zu  den  1524—1541  erschienenen 
ausgaben  geschrieben  hat  Dass  die  werte  Bugenhagens  als  eine  zuverlässige  quelle 
anzusehen  sind,  wird  niemand  bestreiten  wollen;  ebenso  sicher  ist  aber,  dass  Schaub 
ihnen  einen  sinn  unterschiebt,  den  sie  nicht  haben  können.  Bugenhagen  spricht  sich 
über  sein  Verhältnis  zu  ^2  folgendermassen  aus:  Dyth  nye  Testament  ys  vlytiek 
pordüdesehet,  also  dat  me  vnstrafflick  de  rechte  menynge,  alse  de  Euangelisten 
vnde  Äpostele  gescreuen  hebben,  hyr  ynne  lesen  maehy  vnde  ya  nicht,  alse  de  erste 
vordüdeschynge  was,  sünder  reyn  vnde  fyn,  vth  vnses  werdtgen  vadere  Doetorts 
Martini  vordüdesekynge.  Wo  wol  ikterst  dat  desse  arbeyt  ys  vullenbraeht  doreh 
eynen  andern,  doch  hebbe  ick  gehandelt  vnde  radt  gegeuen  in  allen  örden  vnde 
sieden,  dar  ydt  stoer  was  in  vnse  düdesch  tho  bringende,  8chaubs  interpretati(m 
knüpft  an  den  von  Bugenhagen  gebrauchten  ansdruck  su>er  an.  Er  soll  dem  unge- 
nanten und  nach  des  Verfassers  meinung  auch  wol  ungelehrten,  des  griechischen 
unkundigen  Übersetzer  an  allen  schwierigen  stellen  mit  seinem  rate  geholfen  haben, 
unter  den  schwierigen  stellen  sollen  aber  in  erster  linie  solche  zu  verstehen  sein,  an 
denen  Luthers  fassung  aufgegeben  werden  muste,  weil  sie  nicht  genau  dem  grund- 
texte  entsprach.  Diese  auslegung  gewint  einen  schein  der  berechtigung  dadurch, 
dass  W 2  tatsächlich  das  streben  erkennen  läset,  den  Lutherschen  text  nach  dem  grie- 
chischen original  zu  berichtigen.  Trotzdem  ist  sie  unhaltbar.  Sohaubs  fehler  ist, 
dass  er  das  wort  swer  wilkürlich  aus  dem  zusammenhange  herausgenommen  hat 
Bugenhagen  sagt  gar  nicht,  dass  er  an  allen  schwierigen  stellen  mit  seinem  rate  und 
seiner  hülfe  eingetreten  sei,  sondern  er  bescheidet  sich  mit  dem  Verdienste,  für  eine 
singemfisse  Übersetzung  in  den  fällen  gesorgt  zu  haben,  dar  ydt  swer  was  in  vnse 
düdesch  tho  bringende.  Er  war  auf  nichts  anderes  als  auf  ein  tadelloses  nd.  gewand 
für  Doctoris  Martini  vordüdesehynge  bedacht  Auch  die  möglichkeit,  dass  Bugen- 
hagen zuweilen  bei  der  suche  nach  einem  treffenden  nd.  ausdruck  für  eine  Wendung 
Luthers  den  grundtext  zu  rate  gezogen  habe,  kann  ich  nicht  zugeben.  Durchmustert 
man  die  von  Schaub  bezeichneten  textänderungen  in  'W2,  die  im  anschluss  an  den 
grundtext  erfolgt  sind,  so  stösst  man  kaum  auf  einen  einzigen  fall,  wo  der  engere 
anschloss  an  das  griechische  original  dem  nd.  Übersetzer  bei  seiner  arbeit  eine 
erleiohterung  gewährt  haben  könte.  Ging  man  etwa  Schwierigkeiten  aus  dem  wege, 
wenn  man  Joh.  19,  13  yaßßa&ä  mit  Qabbaiha  widergab,  anstatt  bei  Luthers  Bab<k- 
tha  zu  bleiben,  oder  wenn  man  vorzog,  Mt  7,  4  ix  roO  dip&alfioo  aov  (vth  dynem 
oge)^  Lc.  1,  6  &fiff6TeQo&  (beyde)^  Lo.  9,  45  ttc^^  toO  ^ijfiaTos  tovtov  {umme  dat* 
sulue  wort)^  Lo.  24,  3B  iv  taig  xaqdCaig  {>(AShf  {in  iuwe  herte),  Joh.  8,  12  iv  rj 
a»oT{(f  {in  der  düstemisse)^  Born.  4,  24  ^ItfioOv  tbv  xuqmv  {Seren  Jesum)  zu  über- 
tragen anstatt  Luthers  aus  dem  äuge,  alle  beyde,  vmb  dasselbe,  ynn  ewer  hertz, 
yn  finstemisy  hem  Jhesum  Ohrist?    Förderte   es  das  bemühen,  Luthers  text  in 


DbkR  SCHATJB,    NIBDKRD.   ÜBKRTRAOüNQEN   von  LÜTHKR8  NT.  135 

jeinem  niederdeutsch  vorzulegen,  wenn  man  Joh.  4,  45  tcente  se  teeren  dar  ock  vp 
dat  fest  gekamen,  Joh.  17,  14  (oder  16)  gelyek  cUse  ick  ok  nickt  van  der  werlt  byn 
nach  dem  grundtexte  zusezte?  Hat  das  zurückgreifen  auf  den  griech.  text  aber  nicht 
dazu  beigetragen,  Schwierigkeiten  zu  beseitigen,  die  bei  der  Übertragung  des  Luther- 
schen  textes  ins  niederdeutsche  auftauchten,  so  ist  es  auch  nicht  auf  Bugenhagens 
rechnung  zu  setzen,  sondern  dem  Übersetzer  beizumessen,  der  demnach  wol  über 
ein  umfangreicheres  wissen  verfügte,  als  Schaub  anzunehmen  scheint. 

Das  Verständnis  des  Zusatzes,  den  die  nachrede  Bugenhagens  in  W3,  einer 
nicht  unwesentlich  verbesserten  zweiten  ausgäbe  von  W2,  erhalten  hat:  Dar  bauen 
ys  in  dessem  testen  drucke  vlytigen  thogedan,  dat  ym  vl>rigen  vorsümet  vnde  vth- 
gelaten  wasj  Dartko  ock  etlike  stede  klarliker  vardüdeschet ,  wird  durch  die  deutung 
der  ursprünglichen  fassung  der  begleitworte  bedingt.  Wenn  Bugenhagen  auf  text- 
eigänzungen  aufmerksam  macht,  so  kann  er  nur  Wörter  und  sfltze  der  Lutherschen 
Übersetzung  meinen ,  die  in  der  ersten  aufläge  der  nd.  Übertragung  übergangen  waren. 
Solche  versehen  des  Übersetzers  oder  druckers  lagen  Mt.  17,  20  und  Joh.  20,  5  — 7 
vor.  Grössere  Schwierigkeiten  macht  die  erklärung  des  zweiten  teiles  des  Zusatzes, 
in  dem  Bugenhagen  erwähnt,  dass  ock  etlike  stede  klarliker  vordüdeschet  seien.  Bei 
der  bestimtheit,  mit  der  sich  unser  gewährsmann  stets  äussert,  kann  man  in  dieser 
bemerkung  nur  einen  hinweis  auf  die  durch  Schaub  hinlänglich  bezeugte  erneute 
benutzung  des  grundtextes  erblicken.  Hätte  Bugenhagen  das  Verhältnis  des  nd.  tex- 
tes zum  Lutherschen  im  sinne  gehabt,  so  hätte  er  sich  zweifellos  klarer  ausgedrückt, 
zumal  er  sonst  Saßesch  düdeseh  und  hochdüdesehj  vnse  diideseh  und  Doctoris  Mar» 
tini  pordiidesckynge,  de  Saßiseke  Biblia  und  de  hochdüdeßche  Biblia  sorglfältig  aus- 
einanderhält Die  berichtigung  der  druckversehen  der  ersten  ausgäbe  wie  einzelne 
Verbesserungen  nach  dem  grundtext  in  W3  bin  ich  geneigt,  Bugenhagens  tätigkeit 
zuzuschreiben,  wenngleich  man  in  dem  zusatze  die  ausdrückliche  bezugnahme  auf 
die  person  des  Schreibers  vermisst.  Ich  stütze  mich  bei  meiner  Vermutung  auf  die 
anfongsworte  des  zweiten  Zusatzes,  der  den  begleitworten  in  der  Wittenberger  aus- 
gäbe von  1533  zu  teil  geworden  ist:  Thom  testen  .  .  .  hebhe  ick  ock  gemaket  Sum- 
marien.  Bugenhagen  konte  so  nur  fortfahren,  wenn  er  vorher  mindestens  zwei  Vor- 
züge des  nd.  textes  genant  hatte,  die  aus  seiner  beteiligung  an  der  herstellung  des- 
selben resultierten.  Da  er  in  der  ersten  fassung  des  nach-  resp.  Vorworts  nur  das 
eine  verdienst  für  sich  in  anspruch  nimt,  für  eine  singemässe  nd.  Übersetzung  schwer 
widerzugebender  Wendungen  Luthers  sorge  getragen  zu  haben,  so  müssen  wir  ihn  als 
den  Urheber  der  nachbesserungen  anerkennen,  deren  der  zusatz  in  W3  gedenkt 

Bugenhagens  anteil  an  den  unter  den  wichtigen  nachlutherischen  nd.  texten 
in  erster  reihe  stehenden  Wittenberger  drucken  von  1524  und  1525  beschränkt  sich 
somit  darauf,  dass  er  bei  dem  ersten  drucke  rat  erteilte,  wo  der  Übersetzer  um  einen 
passenden  nd.  für  einen  Lutherschen  ausdruck  verlegen  war,  und  dass  er,  als  die 
neue  aufläge  vorbereitet  wurde,  einerseits  die  bestandteile  der  hauptvorlage  bezeich- 
nete, die  in  der  ersten  ausgäbe  nicht  zu  ihrem  rechte  gekommen  waren,  andrerseits 
für  einige  stellen  auf  grund  des  griech.  textes  eine  durchsichtigere  fassung  angab. 
Will  man  sich  überzeugen,  dass  auch  in  W3  nicht  alle  Veränderungen  nach  dem 
griech.  grundtexte  von  Bugenhagen  herrühren,  so  braucht  man  nur  einen  blick  in 
Schaubs  liste  s.  38  fg.  zu  werfen.  Bugenhagen  war  es  allein  um  das  bessere  Ver- 
ständnis des  textes  zu  tun,  die  meisten  der  durch  Schaub  verzeichneten  neuen  les- 
arten  erklären  sich  aber  nur  aus  der  absieht,  eine  möglichst  genaue  Übereinstimmung 
mit  dem  grundtext  auch  in  nebensächlichen  punkten  herzustellen. 


130  BSAVDXS,   ÜBXB  SCHAX7B,   NUDKBD.   ÜBKRTRA.OUVOKN  TON  LÜTHIBS   Z?T. 

Die  eigeDtümlichkeiten  der  einzelnen  drucke  belegt  Schaub  durch  statllche  rei- 
hen von  beispielen.  Bei  genauerer  nachprüfung  ergibt  aich  allerdings,  dass  es  um 
die  beweiskraft  der  belegstellen  nicht  immer  zum  besten  bestelt  ist  Für  die  abhängig- 
keit  des  von  Schaub  Wl  genanten  textes  von  Hg  beweisen  weder  die  föUe  etwas, 
in  denen  zu  Hg  und  Wl  die  Yulgata  stimt,  noch  die,  in  denen  entweder  die  mög- 
lichkeit  einer  einwirkung  der  Yulgata  oder  mischung  des  Lutherschen  textes  und  der 
Halberstädter  bibel  angenommen  werden  kann.  Lc.  5,  39  L  der  alte  ist  milder ,  Hg 
de  olde  is  heder ^  Wl  de  olde  is  better  steht  vetus  melius  est  zur  seite,  zuLc.  19, 10 
L  das  verloren  ist,  Hg  dat  vorlaren  was,  W 1  dath  vorlaren  was  stelt  sich  H 
dtUh  dar  was  vorgan,  quod  perierat,  mit  Mt.  7,  2  L  wirt  eueh  gerichtet  wer- 
den, Hg  Wl  werde  gy  gerichtet  werd&n  ist  zu  vergleichen  H  werde  gy  vorordeU, 
iudicabimini.  Auch  die  falle  hätten  in  diesem  Zusammenhang  unberücksichtigt  blei- 
ben müssen,  in  denen  solche  nd.  ausdrücke  gewählt  sind,  die  jedem  niederdeut- 
schen bearbeiter  durchaus  nahe  lagen.  Wenn  Mc.  14,  56  L  stympt  nicht  vbireyn 
von  Hg  Wl  mit  droech  nicht  ouer  eyn,  Mc.  15,  24  L  wileher  was  vbirkeme  mit 
we  dar  wat  van  kreege  widergegeben  werden,  so  steht  die  Selbständigkeit  der  bei- 
den Übersetzer  noch  keineswegs  in  frage.  Der  ihnen  von  Schaub  untergelegten 
bedeutung  entbehren  femer  alle  die  stellen,  die  sich  durch  stark  hervortretende 
eigenheiten  im  Sprachgebrauch  des  Urhebers  von  Wl  erklären  lassen.  Obwol  der 
Verfasser  unserer  schrift  durch  beispiele  die  in  W 1  sich  geltend  machende  neigung, 
das  verbum  mit  den  hilfsverben  willen,  kunnen,  schalen  usw.  zu  verbinden,  wie  die 
abneigung  des  bearbeiters  gegen  die  anwendung  der  inklination  belegt,  hat  er  keine 
bedenken,  Lc.  6,  44  L  man  lieset  nicht  »=»  Hg  Wl  men  kan  nicht  leßen  und  Mc. 
14,  19  L  ichs  ==  Hg  Wl  ick  dath  unter  die  beweise  für  die  verwantschaft  von 
Wl  mit  Hg  aufzunehmen. 

Mit  der  spräche  der  von  ihm  behandelten  texte  ist  der  Verfasser  nicht  hin- 
länglich vertraut  8.  35  berührt  er  die  bekante  nd.  erscheinung,  dass  subst  die  Vor- 
silbe ge  abstossen.  Unter  den  beispielen,  die  er  anführt,  findet  sich  Joh.  6  water 
W2  gegenüber  gewesser  L,  obgleich  ein  entsprechendes  nd.  subst  mit  der  vorsilbe 
ge,  das  der  Übersetzer  hätte  verwenden  können,  nicht  vorhanden  ist  Ebensowenig 
ist  gerichtestol  neben  richtestol  belegt,  wenngleich  hier  die  möglichkeit  der  existenz 
zugegeben  werden  kann,  da  gerichte  neben  richte  erscheint  Das  erste  beispiel  des 
abschnittes  Mt.  9,  16  L  twch  :=  W2  wände  gehört  überhaupt  nicht  hierher,  da  von 
dem  nd.  bearbeiter  ein  ganz  anderes  wort  gebraucht  ist  als  von  Luther.  In  dem  Ver- 
zeichnis der  in  den  für  die  abhandlung  benuzten  Übersetzungen  erscheinenden  Wör- 
ter, welche  bisher  gar  nicht  oder  in  anderer  bedeutung  belegt  sind,  üift  man  auf 
mehr  als  einen  gut  bekanten  bestandteil  des  nd.  Wortschatzes.  Genau  mit  der  von 
Schaub  geforderten  bedeutung  findet  man  in  den  von  ihm  genanten  lexikalischen 
hilfsmitteln,  dem  Mnd.  wb.  und  dem  Mnd.  hdwb.,  aufgeführt:  averlop,  averflödich, 
averwynynge,  bedroch,  dacht,  dorhaftich  als  overlop,  overvlodich,  overwinninge, 
bedrech,  dacht,  doraftich,  ferner  borde,  seeltagen,  spletter,  wolteren  neben  bordene, 
seletogen,  splittere,  weiteren.  In  anderen  fällen  unterscheiden  sich  Luthers  aus- 
drücke von  den  in  den  mnd.  Wörterbüchern  angesezten  bedeutungen  ganz  imerheblich. 

BEBLIN.  BXBBIAN  BBANDBS. 


KAWIBJLÜ,  ÜBER  DENKMÄUSB  DER  ALT.   DEUTSCHXR  LITT.  137 

Denkmäler  der  älteren  deutschen  litteratur  für  den  litteratorgeschichtlichen 
Unterricht  an  höheren  lehranstalten  im  sinne  der  amtlichen  bestimmungen  vom 
31.  märz  1882  herausgegeben  von  dr.  G.  BIfttieher,  Oberlehrer  am  Lessing - 
gymnasium,  und  dr.  Karl  Klnzel,  Oberlehrer  am  Grauen  kloster  zu  Berlin. 
Halle  a.  S.,  buchhandlung  des  Waisenhauses,  m  2  u.  3:  Martin  Luther,  aus- 
gewählt, bearbeitet  und  erläutert  von  dr.  Rieh.  Nenbaner,  professor  am  Grauen 
kloster  zu  Berlin.  1890  und  1891.  IX,  187  s.;  VII,  252  8.;  preis  je  1,80  ra. 
ni  4:  Kunst-  und  Volkslied  in  der  reformationszeit,  ausgewählt  und 
erläutert  von  dr.  Karl  Kinzel.    1892.    Vm,  140  s.    1  m. 

Neubauer  hat  sich  seiner  aufgäbe,  aus  Luther  eine  auswahl  für  die  zwecke 
höherer  lehranstalten  zu  treffen,  mit  grosser  umsieht  unterzogen.  Das  erste  heft 
bringt  überwiegend  den  kirchlichen  reformator,  das  zweite  den  deutschen  mann  zur 
anschauung.  Heft  1  wird  daher  ausser  dem  lehrer  des  deutschen  auch  dem  gescbichts- 
lehrer  und  besonders  dem  religionslehrer  wilkommen  sein.  Für  die  stofauswahl  ist 
hier  der  gang  der  reformationsgeschichte  bestimmend  gewesen.  Luthers  leben  bis 
1517  in  der  treuherzigen  erzählung  seines  Schülers  Mathesius  macht  den  anfang; 
dann  beleuchten  den  ablassstreit  Luthei-s  eigener  späterer  bericht  in  der  schrift  «^i- 
der  Hans  Worsf  sowie  auszüge  ans  den  95  thesen  nach  der  deutschen  Übersetzung, 
die  von  J.  Jonas  stammen  soll.  Von  den  drei  reformatorischen  hauptschriften  ist 
„An  den  christlichen  adel*^  in  umfänglichen  wörtlichen  auszügen,  Captivitas  babyl.  in 
kurzem  referat,  „Freiheit  eines  Christenmenschen '^  wider  im  auszug  mitgeteilt.  Die 
Wartburgszeit  vergegenwärtigt  der  brief  Luthers  an  seinen  vater,  in  welchem  er  über 
seinen  eintritt  ms  kloster  gegen  des  vaters  willen  bekentnis  ablegt  und  seine  schrift 
de  votis  monasticis  einleitet.  Die  rückkehr  nach  Wittenberg  ist  durch  den  berühm- 
ten brief  an  den  kurfürsten  und  eine  der  predigten  gegen  die  bilderstürmer  charak- 
terisiert. Dann  wird  Luthers  lehre  von  der  obrigkeit  durch  stücke  aus  der  schrift 
„Von  weltlicher  obrigkeit**  gekenzeichnet.  Die  lezten  stücke  gelten  dem  bibelaus- 
leger  (vorrede  auf  den  psalter)  und  bibelübersetzer;  dazwischen  ist  die  schrift 
über  das  martyrium  Heinrichs  von  Zütphen  eingeschaltet.  Seinen  bahnbrechenden 
principiellen  erklärungen  über  die  Übersetzungskunst  ist  mit  recht  ein  grösserer  räum 
zugewiesen;  den  wert  seiner  eignen  Übersetzungsleistung  illustrieren  in  parallel -colum- 
nen  mitgeteilte  proben  aus  der  mittelalterlichen  deutschen  bibel  und  aus  seiner  ver- 
deutschimg,  wobei  anch  seine  eigene  fortarbeit  an  seiner  Übersetzung  berücksich- 
tigt ist. 

Bunter  ist  der  Inhalt  des  zweiten  heftes.  Luthers  bahnbrechende  Schriften 
Über  das  Schulwesen  eröfnen  hier  den  reigen,  einige  andere  stücke  weltlichen  inhalts 
folgen;  dann  fabeln,  gleichnisse,  Sprüche  und  reime,  mit  grosser  belesenheit  aus  den 
verschiedensten  teilen  seiner  Schriften  zusammengetragen;  sodann  eine  auswahl  von 
dichtungen,  wobei  dass  kirchonlied  nur  durch  „Ein  feste  Burg*^  vertreten  ist,  offen- 
bar um  heft  m  4  nicht  weiter  vorzugreifen;  und  auch  der  briefschreiber  Luther 
komt  in  9  gut  gewählten  nummem  in  humor  und  zom  zu  seinem  rechte.  Eine  präch- 
tige beigäbe  ist  das  kapitel  „Aus  der  lebensweisheit  Luthers**,  kürzere  sinvoUe  aus- 
sprüche  und  betrachtungen  aus  verschiedenen  Schriften,  besonders  auch  aus  den 
tischreden  zusammengesteli  Kurz,  die  auswahl  verrät  einen  kundigen  und  seiner 
aufgäbe  gewachsenen  mann.  Die  textrecension  geht  auf  die  originale  oder  wenigstens 
auf  die  ältesten  gesamtausgaben  zurück.  Die  orthographischen  wilkürlichkeiten  der 
alten  drucke  sind  beseitigt;  Luthers  spräche  ist  xmversehrt,  aber  in  einer  das  Ver- 
ständnis des  Schülers  erleichternden  Schreibung  widergegeben.    Alle  hülfe,  deren  der 


138  KAWXBAU 

schtQer  sachlich  oder  sprachlich  bedarf,  ist  ihm  in  knappen  anroerkungen  unter  dem 
text  geboten;  knrze  einleitaogen  orientieren  ihn  über  die  entstehung  und  die  geschieht- 
liehe  Situation  der  einzelnen  Schriften.  So  ist  genügend  dafür  gesorgt,  dass  der 
Schüler  auch  in  privater  lektüre  zum  rerständnis  und  genuss  des  lesestoffes  gelangen 
kann.  Aber  auch  weitere  kreise  werden  den  im  2.  hefte  s.  215 — 252  gegebenen 
„grammatischen  anhangt  freudig  begrüssen,  der  knapp  und  übersichtlich  über 
lautstand,  wortlehre,  flexion  und  über  syntaktisches  bei  Luther  belehrung  bietet  — 
für  jeden  theologischen  leser  Luthers  eine  sehr  wilkommene  gäbe.  Es  sei  hervor- 
gehoben, dass  der  Verfasser  für  den  in  diesen  blättern  in  lezter  zeit  mehrfach  nach- 
gewiesenen und  behandelten  gebrauch  des  ytthäte*^  im  conditionalsatz  in  der  bedeu- 
tung  „nicht  vorhanden  wäre^  eine  beispieisamlung  bietet,  welche,  ganz  unab- 
hängig von  den  in  diesen  blättern  bisher  mitgeteilten  stellen,  den  erweis  liefert,  wie 
verbreitet  diese  so  lange  übersehene  redeweise  in  Luthers  Schriften  ist.  Ob  seine 
herleitung  aus  vorausgeseztem  tvanne  [wofern  nicht]  t<ieU,  haltbar  ist,  vennag  ich 
nicht  zu  beurteilend  Ich  mache  nur  darauf  au&nerksam,  dass  die  jüngst  erschienenen 
Analecta  Lutherana  et  Melanthoniana  von  G.  Lösche,  Gotha  1892  wider  drei  neue 
beispiele  aus  Luthersohen  tischreden  bieten:  s.  214:  loen  des  [das]  thet  [seil,  caro 
nostra],  so  tcolt  wir  im  [dem  satan]  ifol  ein  xam  erUsitxen:  wenn  unser  fleisch 
uns  nicht  zu  schaffen  machte,  weiten  wir  dem  teufel  wol  trotz  bieten;  s.  294:  ^cen 
Ärius  kette  getan,  wenn  A.  nicht  aufgetreten  wäre;  s.  380;  hett  Cherintus  [Cerinthus] 
gethan,  Joannes  nunqtiam  haee  scripsisset  »»  wäre  Cerinth  nicht  aufgetreten.  Ich 
notiere  femer  G.  Witzel,  Drey  Gesprechbüchlin  von  der  Religion  Sachen.  Leipzig 
1539.  Bl.  M:  „  Vnd  thet  das  geld,  es  gienge  tceder  Pfaff  noch  Senger  noch  Güster 
einen  trit  ins  Chor^^  würde  nicht  geld  dafür  bezahlt  —  Zu  den  sachlichen 
erläuterungen  sei  zu  bd.  m,  2  s.  84  bemerkt:  die  walfahrt  nach  Regensburg  in  der 
refonnationszeit  galt  nicht  „den  leibem  gewisser  heiligen^,  sondern  der  kapelle  der 
„schönen  Maria*^;  zu  III,  3  s.  20:  die  „Waldenser^,  von  denen  Luther  redet,  sind 
die  böhmischen  brüder,  vgl.  Erl.  ausgäbe  28  s.  389.  IE,  2  s.  143  lies  Claus  Harms 
(si  Harm). 

In  heft  in,  4  gibt  Einzel  zunächst  eine  auswahl  aus  dem  kirchenliede  des 
16.  Jahrhunderts,  wobei  er  die  auswahl  auf  solche  lieder  einschränkt,  welche  sich 
bis  in  die  gegenwart  in  kirchlichem  gebrauch  erhalten  haben.  Neben  Luther  sind 
Speratus,  N.  Decius,  N.  Herman,  P.  Eber,  B.  Waldis  u.  a.  bis  auf  Phil. 
Nikolai  vertreten.  Freilich  handelt  es  sich  hierbei  zum  teil  um  sehr  unsichere 
Verfasserschaft.  Bei  Albrecht  v.  Brandenburg-Culmbach  („Was  mein  gott 
will*^)  erhebt  Einzel  selber  zweifei;  aber  auch  Joh.  Hess  als  Verfasser  von  „0  weit 
ich  muss  dich  lassen*^  gehört  wol  nur  jener  späten  gesaogbuchslegende  an,  wie  ihm 
das  lied  „0  mensch  bedenk  zu  dieser  frist*^  sicher  abgesprochen  werden  muss.  Die 
notiz  bei  Nikolai,  dass  er  „wegen  seiner  gelehrten  streitschrifren  dr.  theoL  von  Wit- 
tenberg wurde '^^  vorleitet  zu  dem  irrigen  glauben,  als  hätte  man  damals  ehrendok- 
toren  emant  Gut  ist  es,  dass  der  herausgeber  diesen  geistlichen  liedem  anhangsweise 
die  alten  lateinischen  texte  solcher  stücke  anfügt,  die  von  Luther  deutsch  umgedich- 
tet wurden;  ebenso  die  mittelalterliche  form  von  leisen,  welche  die  reformation  sich 
angeeignet  hat;  auch  die  andern  proben  aus  der  lateinischen  geistlichen  poesie  sind 
am  platze.  Doch  ist  es  nicht  ausreichend,  wenn  der  schüler  erfährt,  dass  Luthers 
lieder,  neben  selbständig  erfundenen,   aus   beai'beitungen   lateinischer  vorlagen  oder 

1)  Ich  giknbe  es  nicht;  vgl.  die  notis  bd.  XXiV,  432  diecer  seitechrift.  0.  E. 


ÜBKB  DKinaf.  DKB  ALT.   DEUT8CHXN  LITT.  139 

aus  psalmennmdichtoDgen  bestehen.  Wo  bleibt  die  bearbeitung  und  erweitenmg  yon 
deutschen  liedem,  die  er  vorÜEuid  (z.  b.  nr.  3  ^Gelobet  seist  du,  Jesu  Christ^)?  wo 
die  bearbeitung  andrer  biblischer  texte  (z.  b.  nr.  5)  und  wo  seine  katechismuslieder? 
Aber  die  auswahl  selbst  ist  geschmackvoll  und  instruktiv,  und  die  beigefügten  erlfiu- 
temngen  werden  lehrem  und  schülem  wilkommen  sein. 

Als  reprSsentanten  der  weltlichen  kunstdichtung  sind  Fischart  und 
Hütten  (warum  in  dieser  reihenfolge?)  gewählt;  dann  folgen  die  berichte  über  den 
meistergesang  von  A.  Puschmann  1574  und  Wagenseil  1697.  Schliesslich  sind 
34  Volkslieder,  darunter  in  nr.  27 — 34  historische,  aus  den  samlungen  von  ühland, 
V.  Liliencron  und  Goedeke  gut  ausgewählt.  Auch  dieses  heft  darf,  neben  seinem 
nächsten  zweck  für  den  litteraturgeschichtlichen  Unterricht,  als  hülfsmittel  auch  für 
den  geschichts-  und  religionsunterricht  an  höheren  lehranstalten  empfohlen  werden. 

KIEL.  e.   KAWERAU. 


MISCELLEN. 

Zur  beschichte  des  begrUbnisscs  „more  Teutonico^^« 

Auf  s.  505  des  XXIV.  bandes  dieser  Zeitschrift  hat  B.  Röhricht  unter  obigem 
titel  mehrfache  beispiele  für  die  sitte  angeführt,  leichname  durch  kochen  in  fleisch- 
teile und  knochen  zu  zerlegen.  Ein  weiterer  belag  mag  aus  einer  isländischen  quelle, 
dem  Einars  [>&ttr  Sokkasonar,  hier  beigebracht  werden. 

Die  queUe  erzählt,  wie  die  Grönländer  beschlossen,  in  ihrem  lande  einen  eige- 
nen bischo&stuhl  zu  errichten,  und  den  Einarr  Sokkason  nach  Norwegen  schickten, 
um  diesen  plan  auszuführen.  Mit  hülfe  des  königs  Sigurdr  Jorsalafari  gelang  es 
diesem,  den  priester  Anuddr  zur  Übernahme  der  würde  zu  bestimmen,  welcher  denn 
auch  vom  erzbischof  Ozurr  von  Lund  für  Grönland  geweiht  wurde;  die  isländischen 
annalen  setzen  seine  weihe  in  das  jähr  1124.  Ober  Norwegen  fahren  Amaldr  und 
Einarr  nach  Grönland  ab,  werden  aber  durch  schlimmes  wetter  genötigt  auf  Island  zu 
zu  überwintern,  wo  demzufolge  nach  isländischen  annalen  im  sommer  1126  drei 
bischöfe  am  Allthinge  anwesend  waren.  In  demselben  jähre  erreichten  die  beiden 
genossen  Grönland,  wo  sofort  das  bistnm  organisiert  wurde.  Gleichzeitig  mit  ihnen 
war  von  Norwegen  aus  ein  zweites  schiff  abgegangen,  von  einem  manne  namens 
Ambjöm  geführt;  aber  dieses  kam  nicht  an  und  galt  als  verschollen,  bis  endlich 
nach  längerer  zeit  von  einem  Grönländer  namens  Sigurdr  das  leere  schiff,  und  teils 
In  einem  landzelte,  teils  nahe  bei  diesem  die  leichen  der  manschaft  gefunden  wurden. 
Da  liess  nun  Sigurdr  in  den  kesseln,  die  man  bei  den  toten  fand,  die  leichen  sieden, 
um  das  fleisch  von  den  gebeinen  zu  lösen,  und  brachte  diese  iann  mit  allem  gute, 
das  er  bei  den  verstorbenen  fand,  nach  dem  bischofssitze  zuGardar;  es  geschah  jenes 
aber,  weil  es  so  leichter  schien,  die  gebeine  zur  kirche  zu  bringen.  Die  einschlä- 
gigen Worte  stehen  in  Grönlands  historiske  mindesrmserker  II,  s.  690  und  in  der 
ilateyjarbök  UI,  s.  447;  der  verfall  gehört  aber  nach  dem  Schlüsse  der  saga  jedes- 
fals  noch  der  zeit  vor  dem  tode  des  königs  Haraldr  gilli  an  (tll36),  und  mag  etwa 
in  das  jähr  1130  gesezt  werden. 

MÜNCHKN.  K.   MAUBER. 


140  MISCELLIN 

Zum  drama  Tom  Terloreneii  söhn« 

Die  ministerialbibliothek  von  Schaffhanson  besizt  als  nr.  23  ihrer  baudschriften 
ein  bändchen  „Lateinisches  Schauspiel.  Travestie  der  parabel  vom  verlorenen  söhn. 
1588*^.  Im  handschriftenvei'zeichnis  ist  auf  grund  einer  bemerkung  auf  dem  lezten 
blatte  des  mscr.  als  Verfasser  Samuel  Bovillus  (=  Oechsli)'  angegeben,  aber  mit 
unrecht.  Jene  notiz  lautet:  Acta  est  haee  comoedia  a  clarissimo  viro  D.  SamueU 
Bovillo,  hoc  tempore  sekolae  Scapkusianae  rectore.  Anno  1588  tdtimi  temporis 
4  die  septembris.  Der  Schaffhauser  schulrector  hat  also  nur  die  aufföhning  veran- 
lasst; das  stück  selbst  aber  ist  eine  wörtliche  abschrift  des  Acolastus  von  Gna- 
phaeus,  die  offenbar  für  schulzwecke —  denn  schüler  führten  das  stück  auf —  her- 
gestelt  war.  Weder  Holstein  noch  Spengler  (Der  verlorene  söhn.  Innsbruck  1888*) 
erwähnen  diese  handschrift.  Von  8.  Oechsli  stamt  nur  der  prolog  und  der  epilog, 
beide  deutsch  abgefasst;  sie  stehn  am  Schlüsse  des  dramas  nach  der  lateinischen  pero- 
ratio.  Der  prolog  besteht  aus  100,  der  epilog  aus  170vei-sen,  alle  parweise  gereimt-, 
nur  im  epilog  sind  27  —  29  (abschnitt)  sowie  am  schlösse  168 — 170  je  drei  verse 
durch  denselben  reim  gebunden. 

Der  prolog  enthält  eine  rechtfertigung  solcher  , nutzlichen  ergetzlichkeit ^ 
(v.  22)  auch  in  trauiigen  zeitläuften,  da  sie  zur  beförderung  der  gottesfurcbt  diene  (29 
— 40),  die  Jugend  zum  fleiss  und  eifer  im  studieren  reize  (41  —  60),  von  weisen 
leuten  auch  an  anderen  orten  hochgeschäzt  werde  (61 — 68).  Speciell  der  inhalt 
dieses  Stückes  sei  nützlich: 

Und  lernt  darauss  ein  ieder  Christ 

Sund,  schand  zu  meiden,  in  der  not 

Sich  kehren  zu  dem  lieben  GoU  (69—80). 

Bemerkenswert  ist,  dass  v.  85fgg.  deutsche  vorbereitende  inhaltsangaben, 
sowie  deutsche  ge sänge  erwähnt  werden: 

Jedoch,  das  ir  auch  köndt  verston, 

Wie  eins  werd  auff  das  ander  gon. 

So  würt  man  euch  in  teütscher  sprach 

Vorhin  erzellen  alle  sach, 

Euch  zgüt  braucht  man  euch  teutsche  gsang. 

Von  beiden  ist  aber  in  der  handschiift  nichts  erhalten. 

Im  epilog  werden  die  aus  dem  inhalte  des  Stückes  sich  ergebenden  lehi-en 
den  Zuhörern  nachdrücklich  an  das  herz  gelegt. 

Beide  stücke,  zu  deren  volständigem  abdruck  hier  kein  räum  ist,  können  zur 
ergänzung  der  vorhandenen  ausgaben  des  ,  Acolastus '^  dienen. 

ZÜBICH.  THEOOOB  OOINOA. 


Nochmals  dribolde  seheren. 

Zu  den  dankenswerten  ausführungen  des  heim  coUegen  Siebs  über  ^dribolde 
scheren^  (bd.  XXIV  s.  567  dieser  Zeitschrift)  erlaube  ich  mir  einige  bemerkungen  hin- 
zuzufügen. 

1)  Vgl.  Baechtold,  Schveiz.  lit.  gesch.  8.  64,  anmerlmiig. 

2)  Zu  Spenglers  veReidmis  der  Acolastos - aoff&hrangen  sind  atuiBKchtold,  Schweiz,  litt -gesch. 
8.  68  fjsg.  nachzutragen :  1586  Zflrieh ;  1670/71  Zürich ;  1696  Solothnm ;  1627  Steckbom ;  sowie  unsere 
SchafEhaoser  aafrühnmg  vom  4.  September  1688. 


141 

Da  Babucke's  ausgäbe  des  Josef,  Von  den  sieben  todsänden  (Norden  1875) 
mir  hier  leider  nicht  zugänglich  ist,  vermag  ich  nicht  zn  nnteisnchen,  ob  in  der 
von  Siebs  nach  Schiller -Lübben  IV,  612  angefahrten  stelle  die  bedeutong  von  tri- 
boU  =  platte,  tonsnr  in  der  tat  anzonehmen  ist  Aus  den  citierten  werten  scheint 
sich  dies  mir  nicht  ohne  weiteres  zu  ergeben,  und  das  von  Schiller  und  Lübben  zn 
jener  erklarung  gesezte  fragezeichoi  ist  jedesfals  nicht  unberechtigt  Ohne  zweifei 
stelt  sich  der  triboU  hier  wie  bei  Johann  von  Buch  als  eine  art  der  haarschnr 
dar;  aber  nur  der  nähere  Zusammenhang  könte  erkennen  lassen,  ob  diese  wirklich 
im  dienste  einer  ernstlich  gemeinten  mönchsweihe  statfand  und  somit  als  tonsnr 
im  technischen  sinne  verstanden  werden  muss.  Indessen  ist  dies  eine  für  uns  nicht 
erhebliche  frage.  Denn  auch  wenn  für  die  in  rede  stehende  stelle  die  bedeutung  von 
triboU  =  tonsnr  feststünde,  so  müste  dieselbe  gleich wol  für  den  prolog  zum  Richt- 
steig abgelehnt  werden.  Johann  von  Buch  will  durch  das  j,dribolde  scheren'^  die 
bösen  menschen  für  jedermann  kentlich  machen  —  es  liegt  auf  der  band,  dass  dies 
nicht  durch  eine  tonsur  geschehen  konte.  Nicolaus  Wurm  bemerkt,  dass  man  auf 
diese  art  die  geisteskranken  zu  bezeichnen  pflege  —  es  ist  nicht  minder  deutlich, 
dass  auch  hierfür  nicht  eine  tonsur  dienen  konte.  Wenn  also  in  der  angeführten 
stelle,  was  dahingestelt  bleiben  muss,  eine  solche  ein  tribolt  genant  wurde,  so  wäre 
dies  nur  ans  einer  änderung  der  bedeutung  dieses  wertes  im  laufe  der  zeit  zu 
erklären. 

Die  ursprüngliche  bedeutung  von  dribold  betreffand  habe  ich  nun  folgendes  zn 
dem  bd.  XXIV  s.  284  fg.  bemerkten  nachzutragen. 

Herr  oberbibliothekar  dr.  Steffenhagen  hierselbst  hatte  die  freundlichkeit 
mich  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  Nieolaus  Wurm  (Handschriftenklasse  E 
des  Richtsteigs  s.  Homeyer  s.  85  note  79)  bei  seiner  motivierung  des  driholde  sche- 
ren unzweifelhaft  an  diejenige  der  bestrafung  zu  haut  und  haar  durch  die 
Buchsche  Sachsenspiegelglosse  gedacht  hat  Wurm  nämlich  hat  Johann  von  Buchs 
Worte  im  Richtsteigprolog  y,uppe  dat  me  de  guden  bekande^  verändert  in  die  werte: 
dax  sy  mochtin  frome  luie  ir kennen  und  sich  vor  in  hutin.  Und  die  ^osse 
zu  Ssp.  II,  13  §1  gibt  als  zweck  der  strafe  zu  haar  an,  j^dat  me  'n  bekente  unde 
sik  vor  etne  hodde  (so  in  der  mir  von  herm  dr.  Steffenhagen  freundlichst  mit- 
geteilten form  der  Amsterdamer  handschrift;  s.  übrigens  Homeyer  Ssp.*  I,  243). 
„Man  wird  also*^,  meint  herr  dr.  Steffenhagen,  bei  y,dribolde  scheren  zunächst  an  die 
entehrende  strafe  des  haarabscherens  zu  denken  haben,  wofür  auch  die  Zusam- 
menstellung mit  dem  , durch  die  zähne  brennen'  im  Richtsteigprolog  spricht  Vg^ 
die  belegstellen  bei  Grimm,  RA.  s.  709,  11*.  Ohne  die  möglichkeit  dieser  annähme  in 
abrede  stellen  zu  wollen  trage  ich  doch  bedenken  sie  zu  teilen.  Die  anlehnung 
Wurms  an  die  glossenstelle  erklärt  sich  zur  genüge  aus  der  gleichheit  des  zwecks 
bei  den  verschiedenen  auwendungsfallen  der  haarschnr.  Wurms  werte  „mocht  ich 
sy  bescheren  gleich  den  toren  als  man  pflit  cxu  tun  den  rechten  toren'^^  durch 
welche  er  Johann  von  Buchs  j^dribolde  scheren'^  ersezt,  lassen  doch  erkennen,  dass 
er  in  diesem  die  besondere  art  der  haarschnr  erblickt,  die  geisteskranken  zu  teil  wird. 
Und  dies  wird  gerade  dann  noch  wahrscheinlicher,  wenn  Wurm  sich  im  übrigen  hier 
an  die  glosse  zu  Ssp.  H,  13  §  1  anschloss  und  somit  viel  mehr  Veranlassung  hatte 
an  die  haarschnr  der  diebe  als  an  die  der  geisteskranken  zu  denken.  Dass  bei 
diesen  eine  eigentümliche  art  der  haarschnr  statfand,  um  sie  anderen  leuten  kentlich 
zu  machen  (s.  auch  die  von  Siebs  angezogene  stelle  bei  Schiller -Lübben  IV,  77), 
durfte  für  die  zeit  Nicolaus  Wurms  durch  dessen  werte  selbst  für  den  unwahifchein- 


142  wacaujBf 

liehen  fall  erwiesen   sein,  dass  dieselben  lediglich  eine  irrige  omsohreibang  des 
Buohsohen  j,dribolde  ackeren'*'  sein  selten. 

Was  nun  schliesslich  die  etymologie  des  wertes  dribold  anbelangt,  so  muas 
ich  natürlich  hier  das  wort  an  die  herren  faohmjümer  abtreten.  Sachlich  scheint  mir 
gegen  die  ansieht  von  Siebs  namentlich  zn  sprechen,  dass  der  dribold  seinen  namen 
dem  yagabunden  entlehnt  haben  soll,  dass  aber  einerseits  es  eine  blosse  (ich  fuge 
hinzu:  eine  meines  erachtens  nicht  wahrscheinliche)  vermatong  ist,  dass  jeder  yaga- 
band  geschoren  wurde,  und  dass  anderseits,  auch  wenn  dies  richtig  wftre,  doch 
die  haarschur  weder  ihren  Ursprung  noch  jemals  ihre  alleinige  oder  nur  vorzü^chd 
anwendung  bei  den  Yagabunden  gehabt  hat. 

unter  diesen  umständen  scheint  mir  eine  viel  einfachere  deutung  von  dribold 
den  Vorzug  zu  verdienen,  die  mir  herr  bibliothekar  dr.  Wetzel  in  £iel  f^undlichst 
mitgeteilt  hat,  und  deren  sprachliche  zulässigkeit  nach  dem  urteile  des  herm  colle- 
gen  Gering  bedenken  nicht  unterliegt.  Daniach  wäre  driboU  einfach  eine  Zusam- 
mensetzung von  dri  und  btät  «=  häufe,  bündel  (Schiller-Lübben  s.  v.  bulte 
I,  449  fg.  Berghaus,  Sprachschatz  der  Sassen  s.  v.  bült  I,  270)  und  bezeichnete 
somit  ein  bei  der  schür  übrig  gelassenes  dreibündel  oder  dreibüschel  von  haaren  auf 
dem  köpfe.    Sachlich  würde  dies  augenscheinlich  sehr  gut  passen. 

EIEL,  29.   IXBBUAB  1892.  KAX  PAPPENHXIM. 


Zn  Wilhelm  Mllllers  roBuuuM  ,,Est  est^^ 

In  der  romanze  £st  est  (Gedichte  von  Wilhelm  Müller,  herausgegeben  von 
Max  Müller.  Leipzig,  1868.  2,  64)  schildert  der  dichter  mit  köstlichem  humor,  wie 
ein  deutscher  ritter,  dem  auf  seinen  zügen  in  Italien  die  welschen  weine  nicht  mun- 
den, seinen  knappen  vorausschickt,  damit  er  an  das  tor  einer  jeden  schenke,  wo  er 
den  Stoff  gut  finde,  ein  «esf^  schreibe.  In  Montefiascone  mundet  nun  dem  der  edle 
muskateller  so  gut,   dass  er  mit  „feuerrotem  stift**  ein  doppeltes  est  an  die  tür  der 

taveme  schreibt 

„XTnd  der  litter  kam,  sah,  trank 

Bis  er  tot  zu  boden  sank*^. 

Der  knappe  aber  sezt  ihm  einen  leichenstein  mit  der  inschrift: 

Propter  nimium  est  est 
Dominus  mens  mortuus  est 

Aus  der  anmerkung  Max  Müllers  zu  diesem  gedichte  seines  vaters  (a.  a.  o. 
s.  190)  können  wir  nur  im  algemeinen  entnehmen,  dass  dieser  die  sage  poetisch  frei 
behandelt  hat  Genaueren  aufschluss  darüber  gibt  uns  eine  bemerkung  Longfellows, 
der  im  december  1827,  kurz  nach  dem  tode  des  auch  von  ihm  geschäzten  dichters, 
in  Montefiascone  sich  aufhielt  Er  war  offenbar  durch  die  romanze  Müllers,  von  des- 
sen liedem  er  einige  der  schönsten  ins  englische  übertragen  hat,  veranlasst  worden, 
den  ort  zu  besuchen,  worauf  auch  ein  citat  aus  derselben  schliessen  lässt  Er  berich- 
tet in  Outre-MeTf  Italy  (Prose  Works,  Authors  edition.  London  G.  Houdledge  and 
Sons  0.  j.  s.  469)  folgendes:  ^I pasaed  a  night  at  Montefic^eone,  renoamed  for  a 
ddieate  Muacat  feine,  tohieh  beara  the  name  of  Eai,  and  made  a  midnight  pil- 
grimage  to  the  tomb  of  the  Biahop  John  Defoucria,  who  died  a  martyr  to  hia  love 
of  thia  tdne  of  Montefiaaeone. 


NEÜI  KSSCHKnniNOSK  143 

y^Propter  nimium  Est,  Est,  Est, 
Dominus  meus  mortuus  esf^, 

A  marble  slab  in  the  patement,  uom  by  the  footsteps  of  piigrims  like  myself, 
Covers  the  daminie's  askes.  T/iere  is  a  rüde  fiffure  earved  upon  ü^  at  tchose  feet 
I  traeed  out  the  eabalistie  words,  ^Est,  Est,  Est^.  The  remainder  of  the  inscrip- 
tion  was  iUegible  by  the  fliekering  light  of  the  sexton*  s  lantem "', 

NOKIUEIM.  R.   SPBINQIB. 


NEUE  ERSCHEmXJNGEN. 


Altmann,  W.,  Stadien  zu  Eberhart  Windecke.  Beriin,  E.  OSrtner.  1891. 
VIII  und  109  8.    2,80  m. 

Der  verÜBSser  bringt  aus  der  bisher  so  gut  wie  unbeachtet  gebliebenen  hand- 
schiift  der  Wiener  hofbibliothek  nr.  2913  neue  abschnitte  und  ergänzungen  zu 
Windeckes  weltchronik  bei,  die  besonders  auch  für  historiker  Yon  Interesse  sind. 
Ausserdem  wird  die  ganze  handschriftenfrage  vom  historischen  gesichtspunkte  aus 
behandelt 

Bendiardt,  £.,  Die  fürwörter  der  anrede  im  deutschen  (du,  ihr,  er,  sie). 
Abdruck  aus  den  Jahrbüchern  der  kgl.  akademie  gemeinnütziger  Wissenschaften  zu 
Erfurt,  neue  folge,  heft  17.    21  s. 

Auf  grund  der  von  J.  Grimm  (Gramm.  IV,  297  fgg.  El.  Schriften  m,  236 
fgg.)  gegebenen  anregungen  hat  der  Verfasser  den  Sprachgebrauch  in  mehreren 
älteren  und  neueren  deutschen  dichtwerken  genauer  beobachtet  —  Eine  recht 
interessante  Studie  über  dasselbe  thema  ist  früher  veröffentlicht  von  Werner 
Hahn  im  Deutschen  montagsblatt  (Berlin)  vom  26.  11.,  3.  12.,  10.  12.  1888  und 
5.  1.  1889;  eine  ältere  schon  von  Friedrich  Oedike  (vorgelesen  in  der  Berliner 
akademie  der  Wissenschaften  am  30.  Januar  1794,  ei'schienen  bei  F.  ünger). 

Kneiper,  Philipp,  Französische  familiennamen  in  der  Pfalz,  und  franzö- 
sisches im  Pf&lzer  volksmund.  Zweite  verm.  aufläge.  Eaiserslautem,  Aug. 
Gotthold.    1891.    84  s. 

Lanson,  Ludviir?  ordforradet  i  de  älsta  islänska  handskiiftema  .  .  .  leksikaUskt  ock 
grammatiskt  ordnat  Lund  1891.  Phil.  lindstedts  universitets-bokhandel.  (VI), 
VI,  438  88.    4.    Nur  in  200  exemplaren  gedruckt.    20  kr. 

Meyen  klasslkeraiisgabeii«  Kritisch  durchgesehen  und  erläutert  Leipzig  lud  Wien, 
bibliographisches  institut 

In  dieser  empfehlenswerten  samlung  sind  neu  erschienen  Gellerts  dich- 
tungen  (auswahl  in  einem  bände),  bearbeitet  von  A.  Schullerus;  Eichendorf fs 
werke  (auswahl  in  zwei  bänden),  bearbeitet  von  R  Dietze;  femer  Hauffs  werke, 
herausgegeben  von  Max  Mendheim  (3  bände).  Die  texte  sind  korrekt,  die  einlei- 
tungen  knapp  aber  gründlich  durchgearbeitet  Der  preis  von  2  mark  für  jeden 
teil  in  gutem  ganzleinenband  ist  bei  der  vorzüglichen  ausstattung  sehr  massig 
zu  nennen. 

MlUler-FraneBsteiii,  G.,  Von  H.  v.  Eleist  bis  zur  gräfin  M.  Ebner-Esohen- 
bach.  Zehn  vortr&ge  über  die  neueste  deutsche  litteratur.  Mit  10  bildnissen  in 
holzschnitt    Hannover,  L.  Ost  1891.    VIll  und  382  s.    4,50  m. 

Zur  orientierenden  Übersicht,  sowie  zum  anhält  für  den  lehrvorti'ag  recht 
brauchbar. 


144  RACRRICHTE5 

Nordes  Indskrifter  med  de  aeldre  runer.  üdgivne  for  det  norske  historiske  kilde- 
skriftfond  ved  Sophiu  Bngge.  Iste  hefte.  Christiania  1891.  A.  W.  Braggers 
bogtrykkeri.    48  8.    4. 

Das  erste  heft  dieser  hochbedeutenden  publikation,  auf  die  wir  in  einer  aus- 
fiihrlichen  besprechung  zurückkommen  werden,  behandelt  die  runeninschriften  auf 
dem  steine  von  Tune,  dem  brakteaten  von  Fredrikstad  und  der  bronzeflgur  von 
Freihus. 

Olbrlch,  Karl,  Goethes  spräche  und  die  antike.  Leipzig,  F.  W.  v.  Bieder- 
mann. 1891.    116  s.    2  m. 

Der  Verfasser  bespricht  für  die  Wortstellung  namentlich  das  attributive 
a^jectivum,  für  den  wortgebrauch  die  fortlassung  des  artikels,  die  prädicative 
anfügung  ohne  als,  den  comparativ  und  Superlativ  der  a^jectiva,  verschiedene 
Verwendungen  der  casus,  den  gebrauch  der  participia  und  die  neubildung  zusam- 
mengesezter  ac^ectiva.  Bei  einigen  gebrauchsweisen  kann  man  zweifeln,  ob  sie 
wirklich  durch  antikes  Vorbild  veranlasst  worden  sind;  manchmal  hätte  mit  schär- 
ferer kritik  dasjenige  ausgesondert  werden  können,  was  selbst  durch  den  Vorgang 
Goethes  im  deutschen  nicht  üblich  geworden  ist.  Sonst  aber  ist  die  arbeit  soig- 
faltig  ausgeführt  und  sehr  dankenswert. 

Sehulze,  Berthold,  Zwei  ausgewählte  kapitel  der  lehre  von  der  mhd. 
Wortstellung.  Mit  besonderer  rücksicht  auf  Wolframs  Parzival.  Berlin,  diss. 
1892.     (Heinrich  und  Eemke).    58  s. 

Inhalt:  1.  Die  steUung  verbum  —  subject  im  aussagesatze  ohne  satzeröf- 
nende  bestimmung.  2.  Die  negativ -excipierenden  Sätze.  —  Der  Verfasser  macht 
sich  die  sache  nicht  leicht;  er  hat  nicht  nur  fleissig  gesammelt  und  gezählt,  son- 
dern auch  seine  resultate  mit  rücksicht  auf  die  früheren  eröiterungen  der  hierher 
gehörenden  fragen  gründlich  erwogen.  Lehrreich  ist  namentlich  die  besprechung 
der  nachsätze  mit  voranstehendem  verbum  (s.  40  fg.),  sowie  der  inversion  nach 
und  (s.  44fgg.),  die  neulich  von  herm  Job.  Pöschol  (Grimma,  G.  Gensei.  1891. 
13  s.  4)  zum  gegenständ  einer  besonderen  abhandlung  gemacht  worden  ist    o.  k. 


NACHRICHTEN. 

Der  ausserordentl.  professor  dr.  Konrad  Burdach  in  Halle  ist  zum  Ordinarius 
ernant,  prof.  dr.  Oskar  Brenner  in  München  als  nachfolger  Lexers  nach  Würzbuig 
versezt. 

Es  habilitierten  sich  für  germanische  philologie:  in  Heidelberg  dr.  Bernhard 
Kahle,  in  Halle  dr.  Siegmar  Schnitze,  in  Wien  dr.  Ferdinand  Detter. 

Gestorben:  am  29.  Januar  1892  in  Strassburg  professor  dr.  Bernhard  ten 
Brink  (geb.  12.  jan.  1841);  am  15.  februar  zu  Lund  der  ordentl.  professor  der  nor- 
dischen Philologie  dr.  Theodor  Wisen,  mitglied  der  schwedischen  akademie  (geb. 
1835).  

Berlehtigiuigr. 

Bd. XXIY  s. 467b  vers9  kandais]  lies  kanda'ü,  s.  482a  vers6  v.u.  Pvhurt] 
lies  PVhurt.  

Halle  a.  S. ,  Buchdrockerei  dee  WaiBonhaasea. 


ZUE  KLAGE. 

Unter  Lachmanns  kriterien  für  die  „unechten"  teile  der  Nibelun- 
genlieder nent  K.  MüllenhofF  („Zur  geschichte  der  Nibelunge  not** 
s.  3)  vornehmlich  zwei  innere  kenzeichen.  Das  eine  sind  „wolfeile 
beschreibungen  von  kleidem  und  ritterfesten  **  —  sicher  der  beste 
beweis  für  jüngeren  Ursprung  der  betreffenden  partie.  Das  Nibelungen- 
lied in  den  auf  uns  gekommenen  fassungen  gehört  eben  bereits  der 
„höfischen"  periode  an;  der  geschmacksrichtung  dieser  epoche  also 
entrichten  schon  die  redaktoren  der  fassung  A,  in  noch  höherem  grade 
aber  die  von  B  und  C  ihren  tribut  Ein  zweites  kriterium  innerer  art 
ist  das  „müssige  anbringen  der  burgundischen  beiden  (Dancwart,  Ger- 
not u.  a.)  bloss  in  der  absieht,  damit  sie  nicht  vergessen  werden". 
Mit  recht  bemerkt  Müllenhoff:  „Solte  aus  den  liedem  ein  gedieht  wer- 
den, so  durften  nicht  einzelne  personen  lange  strecken  hindurch  dem 
blick  entschwinden;  so  brachte  man  sie  an,  auch  wo  sie  eigent- 
lich nichts  zu  sagen  noch  zu  tun  haben".  Auch  diese  manier  der 
Überarbeiter  und  erweiterer  steht  im  zusammenhange  mit  höfischem 
geschmack,  mit  den  gewohnheiten  des  ritterepos.  Die  alte  heldensage, 
einfach  in  ihren  mittein  und  beschränkt  in  der  anzahl  der  auftretenden 
personen,  liess  ihre  nebenfiguren  abtreten,  sobald  sie  nicht  mehr 
unmittelbar  in  den  gang  der  ereignisse  eingriffen.  Das  ritterepos  dage- 
gen schwelgt  in  Staffage.  Ganze  heerlager  von  beiden,  mehr  oder 
weniger  individualisiert,  in  grösserem  oder  geringerem  zusammenhange 
mit  der  eigentlichen  handlung,  bringt  es  auf  den  Schauplatz;  und  wo 
sich  gelegenheit  bietet,  sorgt  es  dafür,  dass  die  herren  nicht  der  Ver- 
gessenheit anheimfallen,  und  selten  sie  weiter  nichts  tun  als  beim 
nächsten  tumiere  mit  postieren  und  buhurdieren.  Im  Verhältnis  dazu 
steht  natürlich  das  Interesse  an  der  person  des  haupthelden:  daher  die 
fortsetzungen  und  abschlüsse  der  unvollendet  gebliebenen  grossen  epen, 
des  Willehalm,  Titurel,  Tristan;  ein  interesse,  das  sich  über  wiege  und 
sarg  des  beiden  hinaus  erstreckt:  daher  die  Zusammenfassung  der  lie- 
der  von  Hagens  jugend,  von  Hilde  und  von  Eudrun  zu  einem^ganzen ; 
daher  die  geschichte  der  eitern  des  holden  im  Tristan  und  im  Parzival, 

a^fnSCHTOFT  F.   DEUTSCHE  PBILOLOOIE.      BD.   XXV.  10 


146  BIIB&IR 

an  dessen  schluss  der  dichter  noch  einen  ausblick  auf  die  geschichte 
Lohengrins,  des  sohnes  des  Farzival,  gibt 

Eine  zeit,  die  einer  solchen  geschmacksrichtung  huldigte,  und  in 
der  man  anfieng  auch  die  alten  heldenlieder  zum  ritterroman  umzu- 
giessen,  muste  in  den  Nibelungenliedern  noch  etwas  mehr  vermissen 
als  etwa  das  widerauftreten  Dancwarts  oder  Rumolts.  Wo  blieb  denn 
vor  allem  nach  dem  untergange  der  Burgunden  Brünhilt,  die  doch 
Hagen  zum  morde  angestiftet  hatte  und  damit  der  lezte  urgrund  von 
der  Nibelunge  not  geworden  war?  Was  wurde  aus  dem  reiche  der 
Burgunden  nach  dem  falle  der  drei  könige?  Was  aus  der  witwe  des 
markgrafen  Rüedeger  und  aus  seiner  tochter,  deren  verlebter  Giselher 
gefallen  war?  Was  endlich  aus  Dietrich  und  HUdebrant,  den  eilenden^ 
die  nun  alle  ihre  leute  verloren  haben  —  was  schliesslich  auch  aus 
Etzel?  Mag  uns  heute  das  Nibelungendrama  vollendet  und  in  sich 
abgeschlossen  erscheinen  ~  das  publikum  an  der  wende  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  konte  darüber  ganz  anderer  ansieht  sein. 

Nun  finden  in  der  tat  alle  jene  fragen  eine  —  wenn  auch  nicht 
überall  befriedigende  —  beantwortung  in  jenem  gedichte,  das  uns  in 
den  handschriften  als  anhang  zum  Nibelungenliede  erhalten  ist,  mit 
der  benennung  (v.  2160):  diu  klage.  Oder  vielmehr  (genauer  aus- 
gedrückt) in  einem  teile  dieses  gedichts.  Denn  dasselbe  zerfalt  sei- 
nem Inhalte  nach  in  zwei  an  umfang  ziemlich  gleiche  abschnitte.  Der 
vordere  gibt  einleitungsweise  (bis  293)  in  kurzen  zügen  eine  darstel- 
lung  vom  untergange  der  Nibelungen;  alsdann  werden  (294 — 1269) 
die  einzelnen  hervorragenden  beiden  der  Burgunden,  Hunnen  und 
Amelungen  aus  ihrem  blute  weggeschaft  und  bestattet  Bei  jedem 
erhebt  sich  neue  klage  der  überlebenden.  Da  wir  etwas  diesen  klagen 
entsprechendes  in  unserer  älteren  litteratur  nicht  besitzen,  so  lassen 
wir  es  auf  sich  beruhen,  ob  dieser  teil  des  gedichts,  der  beinahe  jeder 
handlung  entbehrt,  seinem  inhalte  nach  im  geschmacke  der  alten  sage 
oder  des  neueren  ritterromans  ist,  und  ob  er  überhaupt  für  einen  fort- 
setzer der  Nibelungenlieder  notwendig  war.  Der  zweite  teil,  von  1270 
an,  gibt  dafür  das  gewünschte.  Die  überlebenden,  Etzel,  Dietrich,  HU- 
debrant, senden  boten  nach  Bechelaren  und  Worms,  an  ihrer  spitze  den 
spilman  Swemmelin,  der  schon  das  botenamt  versah,  als  er  die  Bur- 
gunden zu  dem  verhängnisvollen  feste  lud.  Man  kent  ihn  daher  in 
Worms  bereits  (1792).  Die  rüstungen  und  streitrosse  von  Rüedeger 
und  Ounther  führen  sie  mit  sicL  So  geht  es  zunächst  über  Wien 
nach  Bechelaren.  Gotelint  und  DieÜint,  die  bereits  infolge  von  träu- 
men und  der  art  und  weise,  wie  sie  die  boten  dann  herannahen  sehen, 


ZUR  KLA.OK  147 

von  bösen  ahnnngen  erfült  sind,  will  man  zuerst,  dem  geböte  Dietrichs 
gemäss,  mit  der  lüge  abspeisen,  Rüedeger  sei  mit  Etzel  auf  der  her- 
fiihrt  begriffen.  Allein  als  Dietlint  weiter  in  die  boten  dringt,  wie 
denn  Eriemhilt  den  Hagen,  wie  sie  Günther  empfangen,  ob  sie  beiden 
verziehen,  vor  allem  wo  denn  ihr  bräutigam  Oiselher  bleibe,  und  man 
sie  auch  jezt  noch  mit  falscher  hofnung  trösten  will  —  da  kann  einer 
der  boten  sein  schluchzen  nicht  mehr  zurückhalten  und  nötigt  zum 
geständnis  der  Wahrheit  Jedoch  lässt  Etzel  versprechen,  dass  er  für 
beide  frauen  wie  ein  vater  sorgen  wolle;  auch  Dietrich  entbietet  ihnen 
seinen  dienst  und  stelt  seine  baldige  ankunft  in  aussieht  Von  hier 
machen  sich  die  boten  nach  Worms  auf  den  weg.  Ootelint  kann  sie 
vor  trauer  bei  ihrem  abschiede  nicht  empfangen  (1635),  nach  wenig 
tagen  stirbt  sie  vor  gram  (2115).  Dietlint  behält  noch  so  viel  besin- 
nung,  um  den  verwanten  in  Worms  melden  zu  lassen,  dass  sie  mit 
Oiselher  verlobt  gewesen  sei  (1640).  Beim  weiterzuge  der  boten  nach 
Worms  tauchen  nun  alle  alten  bekanten  aus  dem  entsprechenden  teile 
des  Nibelungenliedes,  dem  zuge  der  Burgunden  von  Worms  nach  Beche- 
laren,  wider  auf:  zunächst  Filgerim  von  Passau,  bei  dem  das  gedieht 
lange  verweilt  1647  fgg.;  er  ist  ja  nächster  verwanter,  frtmn  Uoien 
swesterkint  Der  bösen  Baiem  wird  gedacht  1745  fg.,  die  jedoch  dies- 
mal ganz  zahm  sind,  aus  respekt  vor  Etzel  (vgl.  ihr  verhalten  gegen 
Werbel  und  Swemmel  Nib.  1369  aus  dem  gleichen  gründe),  ja  die 
boten  mit  gäbe  unterstützen.  Else  hört,  wie  es  den  Burgunden  ergan- 
gen und  freut  sich,  nunmehr  an  Hagen  und  Dancwart  für  seines  bru- 
ders  (Oelphrat,  der  name  wird  nicht  genant)  tod  gerächt  zu  sein  (1753 
— 1763).  In  Worms  sodann  finden  sich  (1765  fg.)  alle  jene  personen 
vor,  die  das  lied  dort  zurückgelassen:  Brünhilt,  der  junge  könig,  Bu- 
molt,  dem  Nib.  1459  Günther  weib,  kind  und  reich  übergeben  hatte  — 
und  der  Verfasser  verfehlt  nicht,  auf  RümoUes  rät  mit  nachdruck  hin- 
zuweisen El.  2010,  2029  fgg.:  wie  es  scheint  in  den  damaligen  ritter- 
lichen kreisen  ein  beliebtes  motiv,  das  auch  Wolfram  im  Parziv.  420, 
26  —  30  verwendet  Auch  Sindolt  der  schenke  tritt  auf  (1872).  Nur 
Hunolt  fehlt,  der  im  liede  anfangs  immer  mit  Sindolt  zusammen 
erscheint  und  in  A  mit  ihm  zusammen  (719)  zum  lezten  male  genant 
wird,  während  ihn  C  an  dieser  stelle  nicht  erwähnt  Uote  erscheint 
von  ihrem  sedelhof  bei  der  von  ihr  gestifteten  abtei  ze  L&rse  (1842), 
vgl.  Nib.  1082,  5  %.  (nur  in  G).  Dort  wird  sie  auch  bestattet,  als  sie 
vor  gram  gestorben  ist  (1992).  Brünhilt  hat  als  anstifterin  von  Sieg- 
frieds ennordung  die  lezte  schuld  am  ganzen  unheil,  darf  also  nicht 
straflos  ausgehn,  wo  die  andern  dem  furchtbarsten  geschick  verfallen 

10* 


148  BIBOIR 

sind.  Sie  einfach  infolge  Schmerzes  mn  die  gefallenen  sterben  zu  las- 
sen, wie  Ootelint  und  üote,  schien  dem  dichter  mit  der  Brünhilt  des 
lY.  liedes  und  der  brautnacht  doch  nicht  vereinbar,  auch  war  das 
motiv  verbraucht;  daher  deutet  er  ihren  ungeheuren  seelenschmerz  an, 
in  der  selbstanklage,  El.  1987  —  1991. 

Bis  hierher  reicht,  um  mich  so  auszudrücken,  der  destruktive 
teil  des  gedichts:  nunmehr  begint  der  Verfasser  wider  aufzubauen.  Sche- 
rer (L.  G.^  s.  124)  charakterisiert  den  eindruck,  den  der  schluss  von 
der  Nibelunge  not  auf  den  heutigen  leser  macht,  mit  den  worten: 
„Bliebe  uns  die  hofaung,  dass  Dietrichs  loos  sich  mildem  werde,  dass 
noch  unter  seinem  kraftvollen  regimente  iigendwo  das  heil  erblühen 
könte,  so  hätten  wir  die  empfindung  wie  am  schluss  einer  Shakespeare- 
schen  tragödie,  wo,  nachdem  eine  generation  voll  sünde  und  schuld 
dahingeraft  ist,  nun  unter  führung  eines  jungen,  reinen  beiden  ein 
neues  leben  zu  beginnen  scheint  Aber  es  ist  nicht  so.  Der  dichter 
eröfnet  uns  keinen  solchen  beruhigenden  ausblick.  Er  sagt  ausdrück- 
lich, dass  er  nichts  mehr  zu  berichten  wisse,  als  dass  man  die  ge&l- 
lenen  beweinte.  Dieser  Etzel,  dieser  Dietrich,  dieser  Hildebrant,  die 
an  dem  grabe  des  liebsten  stehen,  was  sie  besassen,  haben  keine  zukunft^. 
Wie  disharmonisch  muste  dieser  ausgang  des  ganzen  das  publikum 
berühren,  das  keinen  rechten  sinn  mehr  für. die  alten  heldenlieder  in 
ihrer  grossartigen  tragik  hatte,  das  publikum  der  höfischen  ritterromane! 
Schon  aus  diesem  gründe  verlangt  das  Nibelungengedicht  in  jener 
weicheren  zeit  einen  anhang,  der  das  gewaltige  drama  wenigstens  durch 
frohe  ausblicke  in  die  zukunft  mildert  Nun  ist  ja  für  den  haupthel- 
den  des  Nibelungengedichtes,  Siegfiried,  gleichsam  schon  gesorgt  in 
jenem  gedichte  selbst:  Nib.  659  fg.  wird  ihm  ein  söhnlein  geboren, 
Günther  nach  seinem  seh  wager  genant;  dieses  söhnleins  gedenkt  der 
sterbende  sorgend  936;  Eriemhilt  (1030)  befiehlt  es  der  obhut  ihres 
heimziehenden  vaters,  den  sich  der  teilnehmende  leser  auch  nach  der 
katastrophe  an  Etzels  hofe  gleichfals  noch  am  leben  denken  kann. 
Für  das  buigundische  haus  sorgt  unser  Verfasser:  die  koesten  und  die 
besten  (El.  1998)  versammeln  sich  auf  die  nachricht  Swenmiels  hin  bei 
hofe,  und  das  um  seinen  rat  befragte  volk  schlägt  vor,  den  jungen 
könig  (Stvrit  11,  Nib.  662)  zum  ritter  zu  schlagen  und  ihn  under  kröne 
ffin  zu  lassen;  so  werde  man  nicht  mehr  ohne  voget  sein  und  der 
königin  ein  teil  erleschen  ir  ungefilegen  Möge.  Schon  Filgerim  (El. 
1725  fgg.)  hatte  den  boten  aufgetragen,  die  Ountheres  man  an  ihre 
treue  gegen  diesen  und  den  jungen  könig  zu  mahnen,  den  sie  xe 
einem  man  xtehen   sollen.     Dann    tröstet  Sindolt   (Kl.  1878)    Brünhilt 


ZUR  KIAGfi  149 

damit,  dass  er  ihr  die  aussieht  auf  krönung  ihres  sohnes  eröfnet  End- 
lich dringt  Rumolt  (KL  2039)  auf  ausführung  des  beschlusses.  So  wird 
denn  zu  Worms  das  fest  der  krönung  gefeiert  (2046).  Der  leser  kann 
befriedigt  abschied  nehmen. 

Nun  zu  den  Amelungen.  Dietrich  tritt  mit  Hildebrant  die  rück- 
kehr  in  sein  reich  an,  nimt  aber  seine  verlobte  Herrat,  Hdchen  swe- 
ster  iohter,  mit  (zweimal  im  lied  erwähnt,  Nib.  1321  und  1329,  ohne 
dass  sie  dort  irgendwie  selbständig  hervortritt).  So  braucht  der  leser 
auch  an  seinem  Schicksale  nicht  zu  verzweifeln:  dieser  Dietrich  und 
damit  auch  sein  getreuer  Hildebrant  haben  eine  zukunft!  —  Aber  auch 
über  Dietlints  geschick  werden  wir  einigermassen  beruhigt  Dietrich 
berührt,  wie  er  versprochen,  Bechelaren,  wo  er  freilich  Gotelint  tot 
findet  Herrat  küsst  die  verwaiste  Dietlint,  drückt  sie  an  ihre  brüst 
und  verheisst  ihr,  so  lange  Dietrich  lebe,  solle  sie  nicht  verlassen  sein 
(El.  2120  fgg.)  —  eine  anmutige,  echt  höfische  rührscene!  Dietrich 
selbst  aber  schwört  ihr  2136:  sol  ich  deheine  tvUe  leben,  ich  ttnl  dich 
einepn  manne  geben,  der  mit  dir  boive  diniu  lant  Er  befiehlt  sie  ir 
vater  mannen,  Sie  erschrickt  (2141),  dax  diu  vü  grdxe  ere  (über  das 
land  ihres  vaters  zu  herschen),  an  si  eine  was  komen.  Der  dichter 
versichert  dann  noch,  dass  man  ihr  alle  ihr  zukommende  ehren  habe 
zu  teil  werden  lassen,  dass  niemand  ihr  etwas  zu  leide  getan,  und 
dass  sie  vil  gerne  des  ihr  von  Dietrich  versprochenen  gatten  gehart 
habe.  Dass  der  versprochene  gemahl  nicht  noch  wirklich  eintrift,  und 
dass  das  ganze  nicht  mit  einer  hochzeit  abschliesst,  ist  nicht  schuld 
unseres  Verfassers:  er  hatte  eben  beim  besten  willen  keinen  der  bei- 
den aus  diesem  kreise  mehr  zu  vergeben,  und  für  den  alten  Hildebrant, 
der  Eriemhilden  in  zmsinne  erschlagen,  war  sie  ihm  doch  zu  gut 
Wie  viel  besser  war  da  der  dichter  des  Schlusses  der  Eudrun  daran: 
dem  gestattete  die  zahl  der  glücklich  geretteten,  zulezt  eine  drei&che 
hochzeit  zu  veranstalten!  —  Am  schlechtesten  komt  der  arme  Etzel 
weg,  der  überhaupt  durchweg  mit  grosser  Ungunst  behandelt  ist  und 
wenig  mänlich  und  königlich  erscheint  (El.  415  fg.,  425,  510  fg.,  1155, 
2091  fg.).  Allein  der  ist  ja  ein  beide!  Er  war  zwar  fünf  jähre  lang 
Christ,  hat  sich  aber  durch  seine  abgot  wider  zum  abfalle  verleiten  las- 
sen (El.  494  fgg.).  Über  ihn  und  sein  Schicksal  sezt  sich  der  höfische 
leser  noch  am  ehesten  hinweg.  Er  muss  denn  auch  daran  verzweifeln, 
dass  ihn  gott  von  neuem  annehmen  will;  er  hat  keinen  trost  als  den 
tod  (496 — 504).  Er  ist  zulezt  von  allen  verlassen,  niemand  kümmert 
sich  um  ihn  (2100),  er  ist  nicht  tot  und  nicht  lebend,  swebi  in  einem 
twalm  (2098).    Der  dichter  weiss  nichts  von  seinem  Schicksale,  nach 


IM)  BIE6ER 

abzug  der  Amelonge  (2101  %.))  ^^  ^^  J^  &uch  in  der  sage  hiemach 
YöUig  spurlos  verschwindet 

Verdankt  aber  die  Klage  oder  doch  der  von  uns  betrachtete  teil 
derselben  seine  entstehung  dem  höfischen  geschmack,  den  der  abschluss 
der  Nibelungentragödie  nicht  befriedigte,  so  muss  sich  zeigen,  wie  auch 
im  einzelnen  die  ganze  behandlung  der  aus  der  Nibelungensage  über- 
nommenen personen  demselben  rechnung  trägt  Bei  weitem  im  Vor- 
dergründe des  Interesses  steht  f&r  den  höveschen  man  natürlich  das 
weih  Kriemhilt  Mit  ihr  beschäftigt  sich  unser  dichter  ganz  beson- 
ders angelegentlich  und  oft.  Man  denke  sich  die  Eriemhilt,  die  den 
eigenen  söhn  mit  Überlegung  und  absieht  ihrer  räche  opfert  (wenigstens 
in  der  fassung  von  AB  str.  1849),  die  ihre  am  morde  des  gatten 
unschuldigen  brüder  Oemot  und  Giselher  mit.  ins  verderben  stürzt,  mit 
dem  blutigen  haupte  ihres  bruders  Ounther  vor  Hagen  tritt,  diesen 
selbst  schliesslich  enthauptet,  vor  dem  forum  jener  ritter  und  damen! 
Ihre  handlungsweise  also  bedarf  in  jeder  hinsieht  der  erklärung,  recht- 
fertigung  und,  wo  es  angeht,  milderung.  Was  das  lezte  betrift,  so 
lässt  unser  gedieht  1968  Eriemhilt  Hagen  nicht  eigenhändig  das  haupt 
abschlagen,  nur  den  befehl  zu  seiner  und  Günthers  abschlachtung 
geben,  während  allerdings  367  und  374  mit  der  fassung  des  Nibelun- 
genliedes stimmen.  Freilich  hält  es  an  der  lezten  stelle  der  Verfasser 
für  nötig,  gegenüber  seinem  publikum,  das  die  tötung  des  grimmen 
Hagen  durch  weibeshand  für  lüge  halte,  sehr  energisch  die  Wahrheit 
des  geschehenen  zu  betonen!  Davon,  dass  sie  Ortlieb  opfert,  erwähnt 
unser  dichter  nichts,  wie  ja  auch  die  fassung  C  des  liedes  diesen 
besonders  grauenhaften  zug  der  älteren  dichtung  beseitigt  hat  Sehr 
warm  ist  seine  Verteidigung  Eriemhilts.  Yor  allem  ist  es  ihm  natür- 
lich um  ihr  Seelenheil  zu  tun.    279  %g.  wendet  er  sich  deshalb  gegen 

die,  welche  meinen: 

—  dax  si  deir  helle  swaere 

habe  von  solhen  schulden, 

daz  si  gein  gotes  htUden 

geworben  hab  sd  verre, 

dax  got  unser  herre 

ir  s6le  niht  enwoÜe  — 

eine  stelle,  die  ja  ausdrücklich  den  eindruck  bezeugt,  welchen  die 
Eriemhilt  des  Nibelungenliedes  auf  das  damalige  publikum  machen 
muste.  Der  dichter  weist  jene  ansieht  scharf  zurück:  man  solle  nicht 
lieblos  über  andere  urteilen,  niemand  sich  so  von  sünde  frei  dünken, 


ZÜB  KLAGE  151 

dÜBS  er  der  gnade  gottes  nicht  bedürfe;  die  sei  aber  Eriemhilt  sicher 
KU  teil  geworden,  da  sie  ja  mit  dem  tode  gebösst  und  alles,  was  sie 
getan,  nur  aus  iriuwe  getan  habe.  Denn  ihr  verrat  an  den  Burgun- 
den  ist  eben  nur  scheinbar  tmtriuwe:  sie  ist  kein  mann,  der  sofortige 
appell  ans  schwort  ist  ihr  versagt,  64  fgg.: 

sine  haete  mit  ir  henden 

ob  si  möhte  sin  ein  man, 

ir  sehaderij  als  ich  mich  verstän, 

errochen  maiiege  stunde, 

geschehen  ex  niene  künde: 

wan  si  haete  vrowen  lip. 

Jene  triuwe  als  einziges  motiv  behandeln  auch  69 — 79: 

tvan  ex  ir  rechen  gexam, 
des  ensol  si  nieman  schelten  und 

stver  dax  maere  merken  kan, 
der  sagt  unschiddic  gar  ir  lip, 
wan  dax  dax  vil  edel  toip 
taste  nach  ir  triuwe 
ir  räche  in  groxer  riuwe. 

Wer  solte,   fügt  der  dichter  hinzu  (70  fgg.)?  künftighin  noch  den  mut 

haben,  eine  tat  der  treue  zu  volbringen,   wenn  man  es  den  entgelten 

lasse,   der  rehter  triwen  künde  phlegen?    Ja  unser  dichter  lässt  sogar 

Etzeln  selbst  eben  diese  „treue",  durch  die  er  alles  verloren  hat,  noch 

preisen  415  fgg.: 

het  ich  die  ganxen  triuwe 

an  ir  werden  Übe  erkant, 

ich  het  mit  ir  elliu  lant 

gerümet  e  ich  si  het  verlorn. 

getriuwer  tatp  wart  nie  gebor^i 

von  deheiner  muoter  mere. 

Man  beachte,  wie  diese  gattentreue  in  den  lezten  liedem  der  Nibelun- 
gen in  den  hintergrund  tritt,  und  Kriemhilt  immer  nur  als  die  välen- 
tinne  erscheint  Daher  denn  ihr  tod  durch  Hildebrant,  den  wir  am 
Schlüsse  des  XX.  liedes  fast  wie  eine  woltat,  eine  notwendige  sühne 
empfinden,  hier  scharf  verurteilt  wird,  366: 

di  mit  unsinne  het  erslagen  Hiltebrant;  375  fgg.:  dar  umbe  vlds 
och  si  den  lip  von  Hildebrant  äne  ndt  man  klagt  der  kilni- 
ginne  tdt  deiswär  von  allem  rehte,  rtter  unde  knehte  die  tätenx 
piUiche. 


152  SIEGER 

399  klagt  Hildebrant  selbst  um  sie.  Dem  Zugeständnis  652  %.  het 
diu  künigin  dax  eine  län,  dax  si  Bloedelinen  usw.  —  so  entaaere  ez 
allex  niht  getan  folgen  657  die  werte  ex  was  also  gebrouwen  vofi  des 
tievels  schulden ,  um  Kriemhilt  zu  entlasten!  954  fg.  muss  ganz 
algemein  (ähnlich  wie  65  fg.  die  physische  schwäche  des  weibes)  weib- 
liche kurzsichtigkeit,  Unzulänglichkeit  weiblichen  Verstandes,  infolge 
dessen  es  ihr  nicht  gelungen  sei,  ihre  räche  so  einzurichten,  dass 
ihre  brüder,  vor  allem  Gernot  und  Giselher  verschont  blieben,  als  eine 
art  von  entschuldigung  herhalten.     Ganz  ähnlich  130  fgg.: 

diu  enhet  sin  alsd  niht  gedäht. 
si  het  ex  gerne  da  xuo  bräht, 
dö  six  brüefen  began, 
dax  niwan  der  eine  inan 
den  Up  haete  verlorn. 

Also  sie  hätte,  als  sie  ihren  racheplan  auszuführen  begann,  nicht 
gedacht,  dass  es  soweit  kommen  würde,  und  ganz  fatalistisch  heisst 
es  kurz  vorher,  aber  in  demselben  sinne,  119 — 123: 

swie  gern  in  (Hagen)  het  gescheiden  dan 
KrimhiÜ  diu  künigfn, 
des  enkunde  niht  gesin: 
dd  lie  six  als  ex  mähte, 
wan  ex  niht  anders  tohte. 

Kriemhilts  guter  wille,  das  wird  immer  betont,  war  vorhanden,  aber 
es  muste  eben  so  kommen!  Sehr  bezeichnend  ist  auch  144:  da  wird 
hervorgehoben,  dass  das  ganze  unheil  hätte  leicht  verhütet  werden 
können,  wenn  jemand  Etzeln  davon  mitteilung  gemacht  hätte,  dass  in 
so  vient  waere  Krtmhilt  ir  swester  (vgl.  473): 

die  von  Burgonde  lant 
Uexenx  durh  ir  übermuot: 
dö  het  och  KriemMU  tool  behuot 
mit  Ustecltchem  sinne, 
dax  ers  niht  wart  inne. 

Also,  wenn  die  Burgunden,  die  bedrohten,  Etzeln  keine  mitteilung 
von  den  ihnen  bekanten  absiebten  der  Schwester  machten,  so  war  dies 
von  ihr  erst  recht  nicht  zu  verlangen.  Einzig  ihr  Übermut  brachte 
jene  ins  unglück.  Der  dichter,  wie  man  sieht,  quält  sich  formlich  ab, 
entlastende  momente  für  Kriemhilt  zu  finden!  Bedenklich  viel  wird 
freilich  dem  urteile  des  lesers  zugemutet,  wenn  Ejdembilt  405  gerühmt 
wird,  dass  sie  ie  unvalschiu  wort  hete  M  ir  Übe. 


ZÜB  KLAGE  153 

Alles  Unheils  Ursache  wird  dagegen  zusammengehäuft  auf  das 
haupt  Hagens,  der  es  fertig  gebracht  hat,  Kriemhilt  zu  allen  zeiten 
Schmach  und  schände  ohne  zwingenden  grund  zu  bereiten  (El.  2019 
fg.)  —  derselben  Kriemhilt,  die  noch  im  tode  Dietrich  durch  ihre  Schön- 
heit zur  bewunderung  fortreisst  (Kl.  386  fg. :  wir  sehen  wie  der  dichter 
bestrebt  ist,  auch  hierdurch  ihr  die  Sympathie  seiner  höfischen  leser  zu 
gewinnen!)  Auch  Bumolt  meint  2022:  dar  umbe  ichz  ir  niht  totxen 
tüü.  Wenn  625  fg.  der  alte  Hildebrant  beim  anblicke  von  Hagens 
leiche  in  die  worte  ausbricht: 

nu  seht  wä  der  välant 

ligty  der  ex  aUex  riet 

dax  manx  mit  gttote  niht  enschiet, 

dax  ist  von  Hcujen  schulden, 

xe  miner  frowefii  hulden 

möhten  si  wol  sin  kom^n, 

so  klingt  das  fast  wie  bewuste  replik  auf  die  worte  Hagens  zu  Kriem- 
hüt,  Nib.  2307,  3  fgg.: 

du  hast  ex  nach  dinem  toillen  xe  einem  ende  bräht, 
und  ist  och  rehte  ergangen  als  ich  mir  hite  gedäht  usw. 
den  schatx  weix  nu  nieman  wan  got  unde  min: 
der  sol  dich  vcUentinne  immer  gar  verholn  sin! 

Kl.  648  fg.  wird  dem  Hagen  gefltuxhet  sere  von  den  leuten,  die  seine 
leiche  gewahren.    Ebenso  flucht  ihm  bischof  Filgerim  1710: 

dax  in  sin  muoter  ie  getruoc, 
dax  milexe  got  sfn  gekleit, 
dax  sus  lange  wemdex  leit 
und  also  grim/miu  maere 
und  och  sd  vil  der  swa/ere 
von  im  ist  erstanden 
sd  totten  in  den  Ui/nden. 

Wenn  aber  über  den  tod  Hagens  sogar  die  als  roh  und  gewalt- 
tätig verschrieenen  Baiem  sich  freuen,  1761,  weil  er  künde  strtts 
nie  werden  sat,  so  fahrt  uns  dies  zu  einem  dem  bisher  besprochenen 
verwanten,  durch  den  höfischen  geschiüack  hervorgerufenen  momente, 
der  degeneration  der  alten  recken  als  solcher.  Wir  finden  — 
worauf  W.  Scherer  hingewiesen  hat  —  diese  erscheinung  schon  inner- 
halb der  Nibelungenlieder.  Der  kecke,  tolkühne,  mit  der  türe  ins  haus 
fallende  Siegfried  des  ersten  liedes  (Nib.  56.  59,  106  —  109,  121,  124) 
wird  im  dritten  glatt,   höflich,  ein  sentimentaler  schäfer  (Nib.  284  %., 


*-    jr*" 


154  BiiexB 

290  fgg.,  319))  der  sich  nicht  einmal  mehr  zutraut,  die  liebe  eines 
mädchens  zu  erringen;  Günther,  an  dem  im  ersten  liede  „jeder  zoll 
ein  könig^  war,  verfalt  im  zweiten  liede  infolge  der  kxiegserkläning 
der  Sachsen  und  Dänen  förmlich  in  melancholie  (Nib.  146,  152,  154, 
157,  4).  In  unsrem  gedichte  ist  es  £tzel,  der,  wie  schon  angedeutet, 
zu  einer  ganz  würdelosen  rolle  degradiert  wird,  während  er  im  liede 
zwar  gutmütig,  aber  doch  würdig  und  königlich  erscheint  (vgl  z.  b. 
Nib.  1833  —  aber  er  ist  dann  unversöhnlich  2026,  3  fgg.;  2032; 
2074,  4).  Hier  ist  sein  gebahren  weibisch;  das  sagt  ihm  Dietrich  ins 
gesiebt  Kl.  509  fgg. 

ach  &ive  dirre  maere, 

gefreischt  man  diu  in  dax  lant, 

dax  ir  mit  tointender  kant 

stit  als  ein  bloede  wip, 

diu  ir  xukt  und  ir  Itp 

fläch  friunden  sire  hat  gesent 
In  Ohnmacht  fält  er  dreimal:  425,  wo  ihn  Dietrich  ebenfals  darum 
tadelt,  1154  und  2092.  317  fgg.  wird  die  art  seines  tvüefens  als  laster 
für  ihn  bezeichnet,  wofür  er  aber  kein  gefühl  mehr  habe,  weil  er  den 
sin  verwandelt.  Wenn  er  415  fgg.  die  ihm  so  verhängnisvoll  gewor- 
dene treue  Kriemhilts  gegen  den  ersten  gatten  preist,  wird  ihm  schon 
einiges  zugemutet  Die  werte  dort:  ieh  het  mit  ir  eUiu  kmt  gerümt 
e  ich  si  het  verlorn  in  seinem  munde  heben  Kriemhilt  auf  seine  Unko- 
sten; des  herschers  eines  so  grossen  reiches,  als  der  Etzel  zu  denken 
ist,  sind  sie  wenig  würdig.  Noch  sei  bei  dieser  gelegenheit  den  sehr 
interessanten  versen,  Kl.  479 — 504,  enthaltend  Etzels  selbstanklage, 
eine  betrachtung  gegönt  Er  gesteht,  dass  seine  heidengötter  ihm  nichts 
geholfen,  dagegen  ihn  der  christengott  gestraft  habe,  weil  er,  der 
fünf  jähre  Christ  gewesen,  wider  abgefallen  sei.  Jezt  werde  ihn  gott, 
wenn  er  sich  abermals  bekehren  wolle,  gar  nicht  wider  annehmen. 
Dieses  motiv  der  vemoijierung  Etzels  findet  sich  nun  auch  in  der  £as- 
sung  G  des  liedes:  Büedeger,  als  werber  für  Etzel  bei  Kriemhilt,  weist 
deren  bedenken,  einem  beiden  sich  zu  vermählen,  vornehmlich  damit 
zurück,  dass  er  bereits  Christ  gewesen  sei,  jedoch  wider  abgefiallen; 
würde  Kriemhilt  sein  weib,  so  m>öhte  stn  noch  werden  rät  (Z.  192,  3). 
Wir  sehen,  die  aus  diesem  motiv  gezogenen  folgerungen  sind  dort  ganz 
verschieden,  ebenso  seine  Verwendung.  Wir  bemerkten  oben,  dass 
diese  epoche  mit  ihren  gemilderten  sitten,  ihren  weicheren  empfindun- 
gen,  kein  rechtes  Verständnis  mehr  haben  konte  für  die  grossartige 
tragik   der  alten   heldensage.     Das   über  ganze  geschlechter  herein- 


ZUR  KLLQiE  155 

brechende  unheil  erschien  ihr  zu  ungeheuer,  der  Untergang  dieser  hel- 
den  zu  furchtbar;  sie  fragte  sich:  wo  sind  die  diesem  Verhängnis  ent^ 
sprechenden  Verschuldungen?!  Etzel,  der,  in  der  deutschen  sage  kei- 
neswegs als  „geissei  der  Völker^  erscheinend,  bruder,  weih,  Mnd  und 
die  besten  seiner  mannen  verliert,  stelt  also  dem  höfischen  verfiisser 
nicht  das  leichteste  problem  —  selbstredend  nur  dem  duldsamen.  Dass 
aber  der  unsere  nicht  zu  den  religiös  unduldsamsten  gehört,  das  zeigt 
neben  der  naiven  bemerkung  437  igg,:  svne  si  wären  beiden,  och 
toas  xerbannen  umbe  sie,  der  umstand,  dass  man  1170  %.  auch  Bloe- 
delin  christlich  begräbt,  für  seine  seele  betet  und  Dietrich  cds  es  triii' 
wen  iöhte  pfaffen  herbeiholt  den  beiden,  der  och  die  gexmn.  Dazu 
1089  fg.  Wer  so  denkt,  der  kann  sich  nicht  damit  zufrieden  geben, 
dass  gottes  Strafgericht  einfach  deshalb  über  Etzel  hereinbricht,  weil  er 
eben  beide  ist.  Etwas  anderes  freilich  ist  es,  wenn  dieser,  der  sd  vü 
der  recken  in  kristenltcher  i  bei  sich  hat,  selbst  fünf  ganze  jähre  Christ 
war,  dann  aber  got  betrouc  —  gleichviel,  ob  unser  dichter  dies  motiv 
erfunden  hat  oder  ob  er  es  aus  C,  wo  es  ganz  anders  verwendet  ist, 
herübemahm. 

Für  die  Burgunden  dagegen  ist  die  alte  Verschuldung,  Siegfrieds 
ermordung,  schon  durch  die  sage  gegeben;  sie  braucht  nur  inmier  ins 
gehörige  licht  gerückt  zu  werden.  Und  das  unterlässt  unser  dichter 
bei  keiner  gelegenheit  So  heisst  es  El.  98/99  ich  waen  si  dUer  sünde 
enguÜen,  und  nicht  mere  —  lezterer  zusatz,  wenn  er  nicht  blos  den 
vers  hat  füllen  sollen,  sieht  gerade  aus  wie  eine  abwehr  derer,  die 
das  geschick  der  Burgunden  etwa  zu  hart  finden  könten;  113/14  dd 
nrnose  in  misseUngen  von  einen  (Uten  schulden;  635  fg.  Hildebrant  in 
den  mund  gelegt: 

ich  enkan  mihs  anders  niht  verstin, 

wan  dax  die  helde  üxerkam 

den  freisUchen  gotes  xom 

nu  lange  her  verdienet  hdn. 
Auch  meister  Hildebrant  wird  schwach  und  ohnmächtig:  El. 
1044  %g.  soll  er  Büedegers  leiche  aus  dem  blute  heben;  doch  sie  ist 
ihm  zu  schwer,  die  ihm  von  Hagen  geschlagene  wunde  bricht  wider 
auf,  und  er  sinkt  über  der  leiche  zusammen.  Etzel  selbst  begiesst  ihn 
mit  Wasser  —  ganz  wie  es  sonst  den  weibem  geschieht,  die  ja  fast  alle 
ihre  ohnmacht  durchmachen.  Out,  dass  sich  der  alte  beld  wenigstens 
später  seiner  schwäche  schämt,  1059! 

Recht  charakteristisch  sind  die  verse  El.  695  fgg.  über  Volker. 
Unser  dichter  besorgt,  die  leser  könten  bei  dem  küenen  spilman  etwa 


156  BIEGEB 

an  einen  „fahrenden^  ihrer  zeit  denken.  Daher  die  ausdrückliche  Ver- 
sicherung, Volker  sei  aus  freiem  geschlechte  und  habe  schönen  frauen 
ritterlich  gedient. 

Wir  wiesen  schon  darauf  hin,  wie  EL  144  fg.  die  Burgunden 
gleichsam  selbst  filr  ihr  geschick  verantwortlich  gemacht  werden,  weil 
sie  durch  ir  übermuot  Etzeln  nichts  vom  zorne  Eriemhilts  gegen  sie 
verrieten.  Derselbe  gedanke  begegnet  uns  auch  Nib.  1803.  Der  unter- 
schied zwischen  dieser  und  jener  stelle  liegt  in  der  art  und  weise, 
wie  im  liede  dies  motiv  so  ganz  beiläufig  eingeflochten  vrird,  nur  um 
zu  zeigen,  wie  bei  einem  haar  der  grimme  unde  starke  hass  Eriem- 
hilts doch  nicht  zum  ziele  gekommen  wäre,  gegenüber  der  rolle,  die 
es  in  der  klage  spielt  Der  dichter  wird  nicht  müde  es  immer  wider 
aufisu  tischen: 

El.  456  dax  si  daz  verdagten  mich, 
dax  kom  von  ir  übermuot 

472  dwe  dax  nieman  mir  verjehen 
toolde  der  rehten  nuiere, 
dax  in  sö  vtent  waere 
KrimhiÜ  ir  swester! 

558  ja  waerex  anders  mir  geseit 
ir  tot  und  min  arbeit 
het  ich  wol  understän. 

628  (Worte  Hüdebrants): 
ja  het  wir  vemomen 
harte  wol  diu  maere, 
tair  heten  iwer  swaere 
vü  wol  understanden. 

607  waer  ex  mir  ^  kunt  getan, 
si  müesen  alle  stn  genesen. 

Dass  dieses  schweigen  als  falscher  stolz  gleichsam  den  Burgunden  zum 
Vorwurf  gemacht  vnrd,  kenzeichnet  die  auffassung  unseres  gedichtes: 
die  recken  hätten  also  von  vornherein  bei  Etzel  gewissermassen  um 
schütz  gegen  die  Schwester  bitten  sollen?! 

Bezeichnend  für  höfische  auifassung  ist  die  stelle  El.  796  %g. 
Dass  schoene  meide  unde  ivtp  die  toten,  die  doch  den  Uuten  rehte 
ungenaeme  sind  (1137),  ihrer  blutigen  rüstung  entkleiden  müssen,  weil 
es  an  männem  fehlt,  steigert  noch  das  jammervolle  der  läge.  800  hält 
der  Verfasser  es  für  angezeigt,  sich  ausdrücklich  auf  seine  quelle  zu 
berufen,   damit  man  ihm  glaube.    803  fg.  weint  Etzel  am  allermeisten 


zun  KLAGE  157 

gerade  darüber,  und  als  er  dann  gesunder  manne  vil  (806)  herbei- 
kommen sieht,  raft  er,  der  sonst  nichts  kann  als  jammern,  sich  um 
der  taip  willen  zu  einem  anMl  von  zom  auf,  808: 

weit  ir  des  haben  ire, 
dax  totp  mit  töten  umbe  gänt  usw. 

Noch  sei  der  etwas  sentimentalen  scene  EL  1428  fgg.  gedacht. 
Küedegers  ross,  sonst  gewohnt  sich  mit  dem  zäume  loszureissen  und 
zurückzulaufen  sobald  es  seinen  herrn  vermisst,  lässt  sich  jezt  gedul- 
dig von  den  knappen  führen,  nur  von  zeit  zu  zeit  sich  umsehend:  es 
weiss  eben,  dass  sein  herr  tot  ist!  Das  erinnert  fast  an  Iweins  gefühl- 
vollen löwen. 

Unsere  auffassimg  von  der  entstehung  der  Klage  oder  vielmehr 
ihres  zweiten,  eine  wirkliche  handlung  darstellenden  teiles  steht  nun 
allerdings  im  Widerspruch  mit  deijenigen  des  auch  um  unser  gedieht 
verdientesten  forschers,  E.  Lachmanns.  Sein  urteil  lautet  (Zur  Klage 
s.  287):  „Das  gedieht  von  den  Nibelungen  hat  augenscheinlich  in  der 
Klage  nicht  fortgesezt  werden  sollen,  obgleich  sie  die  handschriften 
derselben  beifügen.  Ja,  der  dichter  hat  es  nicht  einmal  gekaut:  wann 
und  wie  Etzeln  gaste  in  Heunenland  gekommen  (sagt  er  85),  wisse 
er  nicht,  sondern  nur  dass  herren  und  mann  gar  freudig  von  über 
Rhein  gefahren  seien.  Kleine  Widersprüche  und  auslassungen  würden 
so  viel  nicht  beweisen:  aber  hier  sagt  er  ausdrücklich,  von  einem 
bedeutenden  teile  der  sage  sei  ihm  nichts  bekant^.  Allein  wir  sahen 
oben,  dass  der  Verfasser  der  Klage  seine  boten  nach  Worms  ganz  den- 
selben weg  nehmen  lässt,  den  die  Burgunden  im  liede  in  umgekehrter 
richtung  einschlagen,  um  den  aufenthalt  bei  Pilgerim  beiseite  zu  las- 
sen, da  Lachmann  diesen  erst  bei  Vereinigung  von  E[lage  und  Nibe- 
lungen in  diese  lezteren  hineingetragen  sein  lässt:  wenn  die  boten 
durch  Baiem  und  Schwaben  ziehen  (Klage  1745  fgg.  —  Nib.  1433  usw.); 
wenn  es  heisst,  wer  in  in  Beiem  vnderreit,  von  den  wart  in  nikt 
getan,  also  nach  dem  ganzen  zusammenhange  der  stelle  mit  beziehung 
darauf,  dass  die  Burgunden  damals  von  den  Baiem  angegriffen  wor- 
den sind;  wenn  Elses  und  seines  von  Hagen  und  Dancwart  erschlage- 
nen bruders  erwähnung  geschieht  —  so  wird  damit  doch  Kl.  85  wert- 
los gemacht  Wir  werden  auf  diesen  Widerspruch  noch  zurückkommen. 
Ob  der  Verfasser  gerade  eine  der  uns  erhaltenen  fassungen  des  liedes 
gekant  und  benuzt  hat,  und  welche  von  ihnen  dies  gewesen  ist;  ob 
und  wieweit  in  eine  derselben  widerum  motive  der  Klage  verarbeitet 
worden  sind  —   das  alles  bleibe  dahingestelt    Nur  auf  eines  sei  es 


WV#  ■«!.-  .     '«»..■ 


158 

erlaubt  aufinerksam  za  machen.    Es  gibt  mehrere  wörtliche  Überein- 
stimmungen zwischen  stellen  der  Nib.  und  der  Klage;  man  Tergleidie: 
Nib.  1010,  1  ein  jaemerltchex  scheiden  wart  dd  da  getan 
mit  EL  1213  ex  tvaa  ein  grimmez  scheiden  von  kneten  und  von 

heiden; 
ebenso  Nib.  1369,  2  ir  silber  unt  gewant  dax  ennam  in  nieman: 

man  vorkte  ir  hSrren  xom 
mit  El.  1745  eioer  in  in  Beiren  tviderreit,   von  den  wart  in  niht 

getan  (dax  muost  man  durch  ir  herren  län); 
Nib.  1417,  4  durch  dax  er  videlen  honde,  was  er  den'  spilman  genant 
mit  El.  695  durch  dax  er  videlen  künde,  dax  vctk  m  xe  aller  stunde 

hiex  einen  spilman; 
Nib.  1772,  2  küener  videlaere  toart  noch  nie  dehein 
mit  El.  672  kiiener  heU  xen  handen  videlns  nie  mSr  began; 
Nib.  1803  mit  El.  456  und  472  (s.  oben); 
Nib.  2015,  2  %.  dax  bhwt  allenthalben  durch  diu  Weher  vldx  und 

da  xe  den  rigelsteinen  von  den  töten  man 
mit  El.  819  dax  bluot  allenthalben  vldg  durch  diu  rigeUoch  hemider; 
Nib.  2139,  4  vater  aUer  tagende  lac  an  Räedegere  tÖt 
mit  El.  1066  dß  truog  man  RüedegSre,  vater  aller  fügende; 
Nib.  2260,  4  owi  dax  vor  leide  nieman  wol  sterben  mac 
mit  El.  1033  dwi  dax  nieman  sterben  mac  unx  im  kumt  s^  lester  tae 
(beidemal  worte  im  munde  des  verzweifelnden  Dietrich!)  —   Nun  ist 
die  frage,  ob  in  diesen  stellen,  die  meist  dem  lezten  drittel  der  Nibelun- 
gen angehören,  da  es  ja  eben  die  Elage  mit  dem  untergange  der  Bur- 
gunden  zu  tun  hat,  jeder  mit  Müllenhoff  (ZONN.  s.  79)  nur  formein 
und  ausdrücke  sieht,  wie  sie  in  aller  epischen  poeeie  feststehn  und 
sich  selbst  in  liedem  aus  ganz   verschiedenen  gegenden  widerholen. 
Wir  haben,  als  wir  die  entstehung  unseres  gedichtes  nachzuweisen 
suchten,  nur  die  handlung  im  zweiten  teile  desselben  in  betracht  gezo- 
gen; für  den  ersten  Hessen  wir  die  sache  unentschieden.    Wir  woll^i 
jezt  soweit  gehen,  zu  sagen:  wer  dem  Nibelungenliede  in  dem  von  uns 
gekenzeichneten    sinne   fortsetzung   und    abschluss  geben  wolte,    der 
konte  zwar  passend  die  aufhebung  der  toten  und  die  klage  der  hinter- 
bliebenen  mit  berichten;    aber    er   hätte    dieses  aller  handlung  bare 
moment  schwerlich  zu  solcher  länge  ausgesponnen.    Dazu  stiessen  wir 
bereits  auf  Widersprüche  im  einzelnen  zwischen  beiden  teilen  des  ge- 
dichts.    Im  vordem  wird  ausdrücklich  die  ermordung  Hagens  durch 
Eriemhilts  eigene  band   hervorgehoben,  El.  367 — 374,  aber  1968  tg. 
heisst  es  den  recken  loblichen  hiex  si  beiden  nemen  den  %>.    Auf  den 


ZUR  KLAGK  159 

widersprach  zwischen  v.  85  und  der  darstellung  der  botenreise  1745 — 
1763,  durch  die  der  Verfasser  beweist,  dass  er  vom  zuge  der  Burgun- 
den  nach  Etzels  hofe  recht  wol  weiss,  machten  wir  eben  aufmerksam. 
Lachmann  („Zur  Klage ^  s.  288)  nent  noch  246  und  961,  wo  Gemot 
schuldig,  1705  wo  er  unschuldig  sei;  auf  den  saalbrand,  der  294  und 
854  erwähnt,  sei  später  keine  rücksicht  genommen;  Irincs  tod  (209, 
540,  1186)  fehlt  in  des  spielmanns  erzählung  1925.  Dass  der  vordere 
teil  des  gedichts  als  steril  und  langweilig  bezeichnet  werden  muss, 
während  der  hintere  entschieden  anmutige  scenen  bietet  (Lachm.  a.  a.  o. 
8.  289),  könte  man  der  Verschiedenheit  des  inhalts  zuschreiben,  beweist 
an  sich  nichts,  gewint  aber  an  bedeutung  im  verein  mit  andern  beweis- 
momenten. 

Wie  steht  es  nun  mit  der  Verknüpfung  der  beiden  teile?  liest 
man  von  1247  an,  wie  Dietrich  und  Hildebrant  beschliessen,  mit  Her- 
rat Etzel  zu  verlassen,  wie  dann  die  waffen  und  rüstungen  aufgesam- 
melt und  aufgehoben  werden,  so  hat  man  mit  1273,  1  den  eindruck, 
dass  doch  hier  eigentlich  die  sache  zu  ende  sei,  und  ist,  wenn  man 
den  inhalt  des  ganzen  nicht  schon  vorher  kent,  höchst  neugierig,  was 
denn  nun  noch  kommen  solle !  Nun  geben  Dietrich  und  Hildebrant  im 
folgenden  (1273,  2  %g.)  Etzeln  den  rat,  jene  waffen  den  waisen  der 
gefiEdlenen  zuzusenden.  Woher  diese  plötzliche  Sinnesänderung,  nach- 
dem soeben  beide  geraten  haben,  die  waffen  zu  behalten  und  aufzu- 
bewahren, und  nachdem  Dietrich  beim  anblick  der  herrenlos  daliegen- 
den Waffen  1263  geäussert  hat,  die  entoixxen  tuir  wem  nu  geben? 
Warum  komt  ihm  jener  gute  gedanke  nicht  gleich  hier?  Dazu  tritt 
doch  die  Zusendung  der  waffen,  durch  die  Etzel  die  jungen  (1279) 
sich  geneigt  machen  soll,  im  folgenden  überall  recht  sehr  in  den  hin- 
tergrund.  Von  einer  eigentlichen  Übergabe  der  waffen  ist  nirgends  die 
rede,  nirgends  findet  sich  eine  hervorhebung  oder  erwähnung  dessen, 
dass  Etzel  es  sei,  der  ross  und  wehr  als  geschenk  sende,  vgl.  1468  i^., 
1613—1769  ^.,  1776,  1792:  hauptsache  ist  überall  die  botschaft 
Denken  wir  uns,  der  vordere  teil,  die  eigen tliche  „ Klage ^,  habe,  ein 
selbständiges  poem,  mit  dem  entschlusse  der  Amelunge  abzuziehen  und 
mit  der  aufsamlung  der  waffen  geendet,  so  gehörte  für  den  fortsetzer 
nicht  alzugrosse  erfindungsgabe  dazu,  an  diese  waffen  seine  botschaften 
so  anzuknüpfen,  dass  die  Zusendung  derselben  an  die  hinterbliebenen 
als  veranlassung  für  die  botschaft  hingestelt  wird.  So  liess  er  den 
schluss  seines  Originals  unangetastet  —  wie  er  den  an£Etng  unangetastet 
gelassen  hat    Denn  wenn  es  v.  10  fgg.  heisst: 


160 

des  en  kundez  mhi  beMben, 

e%  enst  och  da  von  bekant, 

tme  die  von  Burgonde  lant 

bt  ir  xttn  und  bt  ir  tagen 

mit  iren  heten  sieh  betragen, 
so  können  diese  lezten  drei  zeilen  doch  unmöglich  auf  den  inhalt  des 
ganzen  gedichtes  oder  auch  nur  des  ganzen  vorderen  teiles  gehen,  son- 
dern nur  auf  13 — 293.  Der  sinn  der  stelle  kann  dann  wol  nur  der 
sein,  dass  unser  zweiter  Verfasser  sich  gleichsam  entschuldigt,  dass  er 
noch  einmal  den  inhalt  der  Nibelunge  ndt,  den  er  sonst  mehrmals  als 
bekant  voraussezt  (24,  800,  2011),  gebe;  allein  sein  original,  das  buoch 
des  iihtaere  verlange  es  so.  —  Ein  zweites  moment  komt  bei  jener 
stelle  hinzu:  der  1250  gefosste  plan  der  Amelunge,  heimzuziehen,  mit 
Herrat,  komt  erst  2076  fgg.,  ganz  am  Schlüsse  des  ganzen,  zur  aus- 
führung.  Ist  unser  gedieht  ein  einheitliches  werk,  so  versteht  man 
nicht,  was  dieser  verschlag  dort  soll,  vor  absendung  der  boten,  deren 
rückkehr  abgewartet  werden  muss.  Anders,  wenn  2056  fgg.  dem  fort- 
setzer von  1250  fgg.  angehört 

Wenn  nun  am  Schlüsse  erzählt  wird,  der  bischof  Pilgerim  von 
Passau  (der  zweifelsohne  schon  22/23  gemeint  ist),  habe  üx  Hebe  der 
nefen  sin  das  maere  lateinisch  ab&ssen  lassen  (vgl.  auch  1730 — 1741 
und  2050  fg.),  so  liegt  doch  an  sich  kein  grund  vor,  diese  angäbe  völ- 
lig in  den  wind  zu  schlagen.  Warum  soll  nicht  in  dieser  notiz  Wahr- 
heit und  dichtung  sich  mischen,  und  soviel  wahr  sein,  dass  das  latei- 
nische original  am  hofe  Pilgerims,  ende  des  10.  Jahrhunderts,  entstanden 
ist?  War  es  eine  prosaniederschrift,  wie  man  nach  2148  und  2156 
denken  könte  —  oder  hat  vielleicht  ein  geistlicher  am  bischöflichen 
hofe,  ein  gewanter  versificator,  eine  lateinische  elegie  „de  caede  Nibe- 
lungorum"  verfasst,  deren  hauptinhalt  die  querellae  bildeten?  Daneben 
erscheint  als  quelle  das  buoch  eines  ühtaere  (9  fg.;  desgl.  285,  1  des 
buoches  meister  und  800  der  meister)^  jedesfals  die  direkte  vorläge 
unseres  verfasseis,  wie  man  vermutet  hat  eine  der  vielen  Kl.  2157/58 
bezeugten  deutschen  um-  und  nachdichtungen.  Das  'lateinische  werk 
aber  sowol  wie  das  buoch  wird  von  unserer  klage  ganz  algemein  als 
quelle  für  disiu  maere  genant;  2151  gibt  sie  den  inhalt  ihrer  quelle 
an  mit  den  werten:  wie  ez  sich  huob  usw.  unde  vne  si  alle  gelägen 
tot,  ähnlich  1732  %g.  Nicht  an  einer  einzigen  stelle  bezieht  sich  der 
dichter  für  den  inhalt  des  zweiten  teiles  auf  eine  quelle,  was  er  doch 
sonst  so  liebt  (vgl.  9,  22,  148,  285,  800,  1099)  —  weder  auf  den 
tihUiere  noch  auf  Pilgerim.     2072  ak  man  uns  gesagt  hat  und  2043 


ZÜB  KLiLGl  161 

als  toir  diu  liute  hoeren  sagen  sind  doch  zu  algemein  formelhaft,  um 
ernstlich  in  betracht  zu  kommen;  in  lezterer  stelle  könte  man,  will 
man  ihr  gewicht  beilegen,  eher  die  bezeugung  einer  dritten,  münd- 
lichen quelle  sehen. 

Allein,  wenn  wir  nicht  ganz  im  irtum  sind,  verrät  sich  unser 
Verfasser  im  anfange  des  gedichtes  selbst  als  zudichter.    Y.  5  sagt  er: 

het  ich  nu  die  sinne, 
dax  six  gar  xe  minne 
haeten  die  ex  erfunden! 
nun,   die  jammervolle  geschichte  seinem  publikum  so  gut  es  geht  zu 
lieben,  bemüht  er  sich  eben  durch  den  zweiten  teil,  seine  zudichtung, 
den  befriedigenden  abschluss!   Daher  auch  v.  7  die  bitte,  sich  zu  gedul- 
den und  die  rede  fürebax  zu  hören. 

Was  nun  den  schon  erwähnten  widersprach  zwischen  85  und 
1745  fgg.  betrift,  so  weiss  freilich  der  ältere  teil  der  Klage  nichts  von 
jenem  teile  der  Nibelungen,  wol  aber  der  fortsetzer.  Er  hätte  vielleicht 
ohne  Schwierigkeit  die  werte  seines  Originals  86,  jäne  weix  ich  niht 
der  maere  abändern  können  etwa  in  iu  sint  wol  kunt  diu  maere  — 
jedoch  er  übersah  diesen  widersprach,  wie  so  manchen  andern. 

Nun  konstatiert  allerdings  Lachmann  (Zur  Klage  287  fg.)  auch 
innerhalb  unseres  zweiten  teiles  Widersprüche,  die  auf  verschiedene  in 
demselben  verarbeitete  recensionen  hinweisen  sollen.  Dagegen  sei  fol- 
gendes angeführt.  Wäre  mit  frowe  1633  wirklich  Gotelint  gemeint, 
so  ist  doch  dann  der  widersprach  in  direkt  aufeinander  folgenden 
versen  so  schreiend,  dass  ihn  selbst  ein  ganz  mechanisch  arbeitender 
redaktor  nicht  übersehen  konte.  Beispiele  für  derartige  „versehen^ 
dürfte  man  anderwärts  vergebens  suchen!  Nein,  die  werte  1634  der 
marcgrävinne  riehen  sind  gerade  des  gegensatzes  wegen  hinzugesezt: 
sie  sollen  motivieren,  warum  die  tochter  für  die  boten  sorgt,  nicht, 
wie  es  sich  gehörte,  die  gattin  des  fürsten  selbst  (man  setze  also  hin- 
ter giietUchen  :).    Als  frowe  ist  DietUnt  auch  1523  bezeichnet 

Ähnlich  steht  es  mit  1398  fgg.  Die  boten  bringen  es  bei  Isalde 
in  Wien  trotz  Dietrichs  befehl  nicht  fertig,  die  maere  xu  hdn,  wie 
sie  sich  ja  schliesslich  auch  vor  Gotelint  und  den  Baiem  verraten: 
an  den  boten  six  ervant  1381,  das  ganze  gebahren  derselben  muste  ihr 
bald  das  geschehene  verraten.  Was  die  Wiener  wissen,  das  kann  man 
auch  dem  landvolk  dieser  gegend  nicht  geheim  halten;  so  komt  man 
bis  Treisenmüre:  von  hier  bis  Bechelären  zwingt  man  sich  wider  zu 
strengstem  schweigen,  damit  nicht  etwa  Rüedegers  angehörige,  betreff 
deren  die  boten  ganz  besonderen  aufixag  haben,   sie  über  den  sach- 

ZKITBCHBIFT  F.   DEUT80HB  PHRiOLOGIS.      BD.   XXV.  11 


162  BnOIB,   ZUR  KLAGE 

verhalt  zu  täuschen,  schon  vor  ihrer  ankunft  künde  erhalten.  Was 
der  verfiASser  will,  drückt  er  vielleicht  hier  wie  dort  nicht  besonders 
geschickt  aus;  aber  er  ist  eben  kein  künstler,  das  zeigt  jede  seite. 
Freilich  auch  nicht  der  stümper,  für  den  man  ihn  wol  bei  weniger 
eingehender  betrachtung  seines  opus  halten  möchte.  Denn  gerade 
dadurch,  dass  Dietrich  befiehlt,  die  Wahrheit  zu  heln  und  dass  dies 
nachher  bei  der  grosse  des  Jammers  für  die  boten  nicht  durchführbar 
ist,  hat  der  Verfasser  gewisse  dramatische  effekte  zu  erzielen  versucht 
und  zweifellos  ist  ihm  das  gelungen  in  der  scene  E^.  1473  —  1555: 
über  Rüedeger  selbst  gelingt  es  den  boten  zunächst  die  frauen  zu 
beruhigen,  indem  sie  zugleich,  dem  kern  der  sache  geschickt  auswei- 
chend, dieselben  schon  hier  der  freundschaft  Etzels  und  Dietrichs  ver- 
sichern —  da  fragt  DieÜint  nach  einzelheiten,  nach  dem  empfang  der 
Burgunden  durch  Eriemhilt,  zulezt  nach  ihrem  bräutigam:  einer  der 
boten  kann  nicht  mehr  an  sich  halten  und  weint  —  jezt  ahnt  DietUnt  die 
ganze  grosse  des  unheils:  si  und  mtn  vater  sint  waetUch  tdt  —  bei 
diesen  werten  bricht  nunmehr  einem  der  boten  daz  schrien  mit  dem 
bbiote  aus  dem  munde  —  hierauf  die  lezte  dringende  frage  der  Gote- 
lint,  tvie  schiedet  ir  von  minem  man?  und  der  böte  muss  die  volle  Wahr- 
heit enthüllen  I  Niemand  wird  dieser  scene  eine  gewisse  dramatische 
Spannung  und  dramatische  Steigerung  absprechen.  Dass  in  dem  dop- 
pelten auftrage,  ross  und  rüstung  zu  überbringen  und  gleichzeitig  den 
tod  der  besitzer  zu  verheimlichen,  eigentlich  ein  Widerspruch  liegt,  das 
entgieng  dem  dichter.  Die  ganze  waffensendung  ist  ihm  eben,  wie 
wir  sahen,  völlig  nebensache,  sie  ist  nur  äusserlich  die  brücke,  die 
vom  vorderen,  älteren  teile  herüberleitet. 

Fassen  wir  zum  schluss  nochmals  zusammen,  was  sich  zur  gesamt- 
beurteilung  der  klage  ergeben  hat,  so  dürfte  dies  das  folgende  sein, 
unsere  „Klage^  geht  in  ihrem  vorderen  teile,  als  dem  grundstock  des 
ganzen,  zurück  auf  ein  lateinisches  werk  vom  ende  des  10.  Jahrhun- 
derts. Dieses,  oder  eine  deutsche  umdichtung  desselben,  wird  gegen 
ende  des  12.  Jahrhunderts,  zur  zeit  der  aufblühenden  ritterlichen  dich- 
tung,  im  höfischen  geschmacke  fortgesezt,  in  der  absieht,  dass  das 
ganze  nunmehr  eine  fortsetzung  und  einer  einigermassen  befriedigenden 
abschluss  des  Nibelungenliedes  bilden  soll.  Der  höfische  dichter,  der 
jenes  alte  gedieht  „  Klage  ^  findet,  wird  vielleicht  gerade  erst  durch 
dasselbe  zur  fortsetzung  der  „  Nibelungensage  ^  angeregt  Jedenfals 
kamen  ihm  diese  totenbestattungen  und  -klagen  gerade  recht:  sein 
höfischer  leser  muss  doch,   bevor  er  die  weiteren  Schicksale  der  über- 


RÖHSICHT,   BIBICHT  ÜBER  DMl  JIBÜSALWITAHRT  163 

lebenden  erföhrt,  genau  wissen,  wie  man  die  toten  begrab!  Bei  der 
fortsetzung  wurde  natürlich  auch  jener  vordere  teil  einer  Überarbeitung 
in  demselben  sinne  unterzogen  (die  vielleicht  zum  teil  schon  der  deut- 
sche umdichter,  des  buoches  meister,  besorgt  hatte),  jedoch  nicht  sorg- 
^tig  genug,  als  dass  nicht  einzelne  Widersprüche  zwischen  dem  vor- 
deren und  dem  hinteren  teile  unbeseitigt  geblieben  wären. 

CHEKNITZ,   IM  JANÜAB   1892.  J.   BIBQBR. 


ZWEI  BEEICHTE  ÜBEß  EINE  JEErSALEMFAHET  (1521). 

Nachdem  wir  bereits  in  dieser  Zeitschrift  XXTTT,  26  auf  einen 
eigentümlichen  zweig  der  deutschen  litteratur  „die  pilgerschnften^  kurz 
hingewiesen  und  die  gereimte  darstellung  einer  Jerusalemfahrt  veröffent- 
licht haben,  legen  wir  jezt  zwei  ebenfals  bisher  unbekante  ausführliche 
berichte  dieser  art  unsren  lesem  vor,  wobei  wir  noch  besonders  her- 
voriieben,  dass  die  zahl  dieser  deutschen  texte,  welche  teils  Über- 
setzungen älterer  pilgerschriften,  teils  Zusammenstellungen  der  ablass- 
stätten  „jenseit  des  meeres^,  teils  endlich  gereimte  oder  prosaische 
reiseschilderungen  enthalten,  ausserordentlich  gross  ist;  eine  Übersicht 
ist  in  des  herausgebers  Bibliotheca  geographica  Palaestinae  (Berlin  1890, 
744  s.,  8®)  geboten  worden. 

Es  wird  zur  genüge  bekant  sein,  mit  welcher  pietät  man  bereits 
in  der  ältesten  zeit  des  Christentums  alle  diejenigen  statten  Palästinas, 
mit  denen  sich  die  erinnerung  an  die  geschichte  Christi,  seiner  apo- 
stel  und  der  Jungfrau  Maria  auf  grund  der  sicheren  zeugmsse  der 
evangelien  oder  der  wenig  zuverlässigen  angaben  apokryphischer  Schrif- 
ten oder  endlich  gewagter  exegetischer  combinationen  verknüpften,  zu 
fixieren  suchte,  wie  man  die  durch  die  tradition  einmal  festgelegten 
punkte  schliesslich  zu  einem  geschlossenen  ganzen  verband,  diese  aber 
im  vierzehnten,  fünfzehnten  und  sechszehnten  Jahrhundert  zum  teil 
wider  verschob,  zum  teil  noch  erheblich  vermehrte.  Wir  begegnen 
daher  in  den  ausführlichen  reiseschilderungen,  von  denen  hier  haupt- 
sächlich zu  reden  ist,  fast  immer  einem  gewissen  regelmässig  widerkeh- 
renden stocke  von  angaben,  nämlich  einer  Zusammenstellung  aller 
andachtstätten  des  heiligen  landes  (meist  nur  Jerusalems  und  seiner 
nächsten  Umgebungen),  zum  teil,  da  hier  einfach  ein  sogenantes  pilgeiv 
buch  eingelegt  ist,  mit  genau  denselben  werten,  zum  teil  mit  einzelnen 
Veränderungen  und  zutaten,  welche  für  die  geschichte  der  tradition 

11* 


164  BOBRKCHt 

und  der  durch  bauten  oder  besitzwechsel  eingetretenen  tatsächlichen 
Veränderungen  von  bedeutung  sind.  Aber  neben  diesem  traditionellen 
kern  tritt  doch  wider  eine  solche  fülle  interessanter  nachrichten  über 
eigene  erlebnisse,  historische  ereignisse  und  personen  in  den  vorder- 
grund,  dass  wir  eine  hauptquelle  für  die  kentnis  und  das  yerständnis 
des  specifisch  kirchlichen  wie  des  algemeinen  kulturlebens  darin  erken- 
nen müssen.  Jedenfals  liegt  der  erste  antrieb  zu  einer  niederschrift 
der  eigenen  erlebnisse  in  dem  streben,  sich  und  seinen  nachkommen 
das  andenken  an  eine  so  grosse  und  mühevolle,  aber  auch  gott  wol- 
gefallige  buss-  und  bet-fahrt  zu  sichern  oder,  wenn  der  Verfasser  ein 
kleriker  war,  andere  zur  nachahmung  anzuspornen  und  über  die  ein- 
richtung  einer  solchen  langen  reise  genauer  zu  unterrichten.  Die 
abfassung  machen  sich  aber  manche  pilgerschriftsteller  recht  leicht;  sie 
schreiben  das  eben  erwähnte  pilgerbuch  einfach  in  ihren  text  hinein, 
ergänzen  es  durch  einige  persönliche  bemerkungenoder  kopieren  ältere 
umfangreiche  reisebeschreibungen  und  ändern  sie  bloss  in  der  au£zäh- 
lung  der  daten,  namen  und  anderer  nebensachen.  Sehr  häufig  wird 
genau  dieselbe  reise  von  Venedig  nach  Jerusalem  und  zurück  von 
zwei  oder  mehr  berichterstattem  geschildert;  in  diesem  falle  ist  ein 
doppeltes  verfahren  zu  beobachten.  Entweder  nämlich  führen  sie  zu- 
sammen ein  gemeinsames  tagebuch,  und  jeder  stelt  daraus  für  sich 
einen  eigenen  text  mit  kleinen  abweichungen  von  der  vorläge  zusam- 
men, oder  aber  jeder  gibt  einen  vom  andern  volständig  unabhängigen 
bericht  (ja  erwähnt  manchmal  kaum  seine  reisegefahrten),  der  je  nach 
dem  ritterlichen  oder  bürgerlichen,  geistlichen  oder  laien- Standpunkte 
verschieden  gefärbt  ist    Dieser  zweite  fall  liegt  hier  vor. 

Der  pfalzgraf  Ottheinrich  bei  Khein  unternahm  1521  eine  reise 
nach  Jerusalem  und  hat  uns  in  seinem  tagebuche  (1521  — 1534)  eine 
beschreibung  derselben  hinterlassen;  sie  ward  in  den  „Deutschen  pil- 
gerreisen nach  dem  heiligen  lande"  veröffentlichte  Ihr  wert  besteht 
weniger  in  genauen  angaben  über  die  heiligen  statten,  welche  in  einem 
nicht  mehr  erhaltenen  anhange  besonders  aufgezählt  und  beschrieben 
waren,  als  vielmehr  in  sehr  sorgfaltigen  Schilderungen  des  lebens  auf 
Cypern  und  Bhodus  und  in  einer  ausführlichen  aufzahlung  der  wich- 
tigsten reisegefahrten.  Diesem  berichte  treten  zur  seite  unsere  zwei 
texte,  deren  Verfasser  sich  aber  leider  nicht  genant  haben  und  auch 
nicht  erraten  lassen.    Der   erste  bericht  stamt  aus   der  feder  eines 

1)  Von  Böhricht  tmd  Meisner,  Berlin  1880,  351 — 401;  vgl.  die  unter  dem- 
selben titel  von  Röhricht  allein  besorgte  neue  bearbeitung,  Gotha  1888.  Beide  schiif- 
ten  sind  im  folgenden  kurz  mit  RM.  und  R.  bezeichnet. 


BKiaCHT  ÜBER  KINE  JIRTJBALBMFAHBT  165 

Schweizers,  da  er  sagt,  er  freue  sich  „gebom  sein  ain  Schweytzerlein'' 
und  schildert  die  reise  von  Venedig  nach  Jerusalem  und  zurück  im 
wesentlichen  genau  mit  denselben  details  wie  Otiheinrich,  der  auf  der 
heimfahrt  in  Parenzo  seine  reisegefährten  verliess.  Dagegen  ist  sein 
beiicht  doch  in  mancher  beziehung  wider  ausführlicher,  so  besonders 
durch  die  genaue  aufzählung  der  heiligen  statten,  durch  die  erwähnung 
kleiner  erlebnisse,  besonders  aber  durch  die  reflexionen,  welche  Jeru- 
salem und  die  not  des  volkes  in  Palästina  und  auf  Cypern  in  ihm 
erweckt;  dieses  lezte  moment  scheint  die  annähme  zu  begünstigen, 
dass  der  Verfasser  bäuerlicher  abkunft  war.  Trotzdem  zeigt  er  einen 
gewissen  stolz;  über  die  Unmöglichkeit,  wie  die  hohen  herren  aus  der 
begleitung  des  pfaJzgrafen  die  ritterwürde  des  heiligen  grabes  zu  empfan- 
gen und  über  die  kalte  aufnähme,  die  er  mit  seinen  schweizerischen 
reisegefährten  seitens  der  Johanniter  auf  Rhodus  erfuhr,  weiss  er  sich 
sehr  einfach  zu  trösten  und  angesichts  der  recht  splendiden  tafelgenüsse 
seiner  reichen  mitpilger  lobt  er  sich  das  habermus  seiner  bergigen  heimat 

Kürzer  als  sein  bericht  ist  der  zweite;  er  begint  mit  der  ankunft 
in  Jerusalem  und  schliesst  mit  der  landung  auf  Cypern  während  der 
rückfahrt.  Ob  er  ursprünglich  überhaupt  diesen  umfang  gehabt  hat 
oder  nur  verstümmelt  vorliegt,  können  wir  nicht  ausmachen,  doch 
scheint  uns  das  erstere  als  wahrscheinlicher,  da  sehr  viele  pilgerberichte 
die  beschreibung  der  hin-  und  rückfahrt  einfach  als  nebensächlich 
übergehen.  Trotz  dieser  kürze  und  trotz  mancher  unvermeidlichen 
widerholung  hat  unser  bericht  manches  neue,  so  vor  allem  viele  höchst 
sorgfaltige  angaben  über  masse  und  zahlen,  welche  sich  auf  die  hei- 
ligen statten  beziehen,  woraus  ein  schluss  auf  den  geistlichen  stand 
des  Verfassers  sich  eigentlich  von  selbst  ergibt,  femer  eine  genauere 
erzählung  über  den  raubanfall  bei  Bamlah  und  das  Schicksal  des  patrons 
der  pilger.  Die  spräche  lässt  ebenfals  auf  schweizerische  abkunft 
schliessen. 

Der  herausgeber  ist  nicht  germanist,  um  den  sprachlichen  wert 
dieser  texte  in  das  rechte  licht  zu  stellen  und  ist  daher  seinem  col- 
legen  herm  dr.  Arwed  Fischer,  welcher  dieser  mühe  bereitwillig  und 
sachkundig  sich  unterzogen  hat,  vielen  dank  schuldig.  Sonst  hat  er 
sich  in  der  erklärung  des  eigentlich  traditionellen  auf  das  notwendigste 
beschränkt,  hauptsächlich  mit  rücksicht  auf  den  Charakter  dieser  Zeit- 
schrift und  in  erwägung,  dass  wir  in  den  unübertroffenen  specialstu- 
dien  von  Titus  Tobler  eine  fast  erschöpfende  behandlung  der  ganzen 
traditionsfragen  besitzen,  so  dass  es  nur  angezeigt  erschien,  besondere 
bestätigungen  oder  abweichungen  kurz  anzumerken. 


a:j*> 


166  BOHBIOHT 

Zum  schluss  spricht  derselbe  herm  oberstadienrat  prof.  dr.  W.  von 
Heyd  in  Stuttgardt,  welcher  auf  diese  texte  aufinerksam  machte,  und 
herm  pro£  dr.  Staudenmeyer,  direkter  des  königl.  würtembergischen 
filial-archivs  zu  Ludwigsburg,  welcher  aus  diesem  archiv  (abteilung 
Weingarten)  die  höchst  sorgfältigen  copien  selbst  besorgte,  seinen  herz- 
lichen dank  aus. 

Itinerarium  ins  H.  Land.    L 

Item  des  ersten  hindan  gesetzt,  was  sich  von  Heymad  aus  auf 
dem  Weg  darzu  was  zu  Yenedig  verluffen.  Zu  Venedig  sind  wir  aufi- 
gefaren  auf  das  schiff  am  fünften  tag  Juni,  der  do  was  des  heyligen 
Bischöfe  Bonifacius,  ynnd  also  lagen  wir  still  bis  an  Ereytag,  der  do 
was  der  sybendt  im  Juni;  ain  stund  vor  tag  zoch  man  all  segel  auf 
vnd  fuoren  mit  genedigem  wynnd  vnnd  gnosnen  wetter  denselben  tag 
zimlich  weyt  Angeend  der  nacht  stuond  der  wynd  ab  vnnd  ward 
styll  wynnd,  den  man  nennet  Bonatzo',  der  do  wert  bis  am  Mitwuchen, 
do  schlugen  wir  die  ersten  schala',  kamen  in  ain  stat  genennet  Bug- 
wina^,  da  ligt  ain  haylige  Junckh&aw  EufEemia,  der  leychnam  Ich 
vnnwirdiger  mitsamt  anndem  gesehen  hab.  Ditz  gedacht  stat  ligt  in 
Hystria  vnnd  ist  zu  Zeiten  von  Grauen  Gristoffel  franckha  Ban,  auf 
Beuelch  dess  Bömischen  kaysers^,  gewunnen  worden,  vnnd  ain  gros 
Baub  daruon  gefuert  Dis  land  nach  meinem  Bedünckhen  ist  vast 
rauh  vnnd  steynmechtig,  doch  zimlich  gewechs  weyns  vnnd  koms, 
aber  des  flayschs  welicher  hannd  man  wyll  überflüssig.  In  dieser 
stat  belyben  wir  den  tag,  der  do  was  der  zwölft  im  Juni.  Auf  die 
nacht  besamelten  sich  die  Bylger  wider  zu  schyfiF,  belyben  zu  erwar- 
ten des  wintz  die  nacht  vnnd  morgentz  den  dreuzehenden  tag  Juni.  — 

Item  in  diser  Zeit,  alls  wir  außgefaren  waren  von  Yenedig  mit 
gedachtem  styllem  wynnd,  der  vnns  dann  hie  har  dann  dort  hin  try- 
ben  was,  sahen  wir  nahen  ligen  hüpsch  land,  alls  Frey  Jul.  Grauatis ^ 
Histria,  auch  manich  Stät  häryn  in  disen  landen  gelegen,  alls  Piran, 
Ymago,  Cita  noua,  Farentza,  FoUa^.  Dis  stet  ligen  an  den  Stand 
des  meers  vnnd  ettlich  auf  Höhinen,  das  maus  bescheydenlich  sehen 
mag.  — 

1)  Dieses  hiess  nach  Ottheiorichs  angäbe  (üoresti,  Coressi,  ob  zu  corazza,  har- 
nisolL?  2)  bonaocia  ital.  meeresstiUe. 

3)  scala  itaL  treppe,  hafeo.  4)  Bovigno. 

5)  MaTimilian  I;  die  eroberoDg  Boyignos  erfolgte  1509  durch  Christoph  Fran- 
gipan. 

6)  Croatien;  was  soll  Frey  (frei?)  JoL  bedeuten? 

7)  Firano,  Umago,  Gittanova,  Parenzo,  Pola. 


BUaOBT  ÜB8B  EINK  JBRÜSALIMFAHBT  167 

Item  auf  den  vierzehenden  tag  Juni  in  der  nacht  kam  vnns  ain 
wynd  an,  wol  etwas  widerwertig,  der  vnns  treyb  das  Romanisch  Bürg 
hinuf,  nahend  gein  Anckhona  vnnd  gein  Loreta  zw,  das  wir  es  auch 
bey  zwaintzig  meyllen  sehen  mochten.  Da  dann  ettlich  Bylger  ir 
andacht  ordneten,  nach  ains  yetlichen  geschickhlichayt.  Also  warden 
wir  getryben  das  gepürg  hinuf  den  funfzehenden  vnnd  den  sechzehen- 
den  tag  Juni,  das  wir  darzwischen  auch  manich  Schloss  vnnd  Eloster 
sehen  mochten.  — 

Item  am  sybenzehenden  tag  Juni  zu  nacht,  alls  wir  lanng  ge- 
schruwen  heten  nach  ainem  wjmd,  kam  vuns  schnelligklich  ain  Sturm- 
wynd  an,  wiewol  er  mit  vnns  was,  must  man  doch  durch  vngestümig- 
keit  wyllen  des  winds  die  segel  abnemen,  die  man  gar  schwerlich 
vnnd  kaum  gewynnen  möcht,  also  das  gefär  was  vnnd  sorglicheit 
Erwartz  mit  grosser  geferte,  wo  man  die  segel  nit  het  mögen  bezwin- 
gen. In  disem  waren  die  Bylger  etlich  betrüebt,  doch  ainer  meer 
dann  der  annder,  aber  mir  was  nit  sonnders  daruon  angelegen,  ver- 
meynt,  sollt  also  sein,  wiewol  Ich  sach  ettlich  mit  ernstlicher  Bitt  sich 
dem  Almechtigen  beuelhen,  die  der  Sachen  etwas  bas  ain  erfaren  heten. 
Auf  solichem  ward  Ich  mich  auch  durch  mein  offen  Beychtsprechen 
dem  Schöpfer  aller  dingen  aufopferen,  mit  mir  zw  hanndlen,  was  sein 
Mayestat  meinthalben  auf  gesetzt  hat,  könnt  auch  darnach  nit  sunders 
beten,  dann  Ich,  mein  andacht  leyder  wenig  ist,  des  tags  verbracht 
vnnd  gesprochen  hat,  mir  was  lustig,  das  das  Schyf  also  gumpet  vnnd 
ainer  hiehin  vff,  der  ander  dorthin  zu  fallen  gezwungen  ward,  Etlich 
auch  gar  herlich  speyen  warden.  Aber  nachdem  der  Segel  behafitet 
ward,  was  nit  gros  sorg  meer,  wiewol  der  wind  dieselb  nacht  vnnd 
morgens  bis  zw  Yesper  grymlichen  noch  lag,  beschach  doch  nyemandts 
nüchtzig  leyd  noch  schaden,  dann  das  ain  Schyf,  den  man  nennet  den 
Barckhen,  verloren  ward,  das  man  für  ain  Fortuna^  seyt  gehallten 
werden.  Dann  ain  Sprüchwort  ist:  Ain  Naf^  on  ain  Barckhen  ist 
gleichwie,  wie  ain  Barckh  on  ain  Naf.  — 

Item  har  zwischen  tryb  vnns  der  wynd  das  Bulgist'  gepürg  hinuf, 
da  man  auch  etlich  hüpsch  gelegenheit  vnnd  schloss  vnnd  Stät  ligen, 
die  von  vnns  gesehen  wurden,  vnnd  insonders  ain  grosse  Stat  haysst 
vnd  würt  genennet  Prendis^,  soll  fast  gros  sein,  vmbgeben  mit  dem 
meer,  in  gleichnus  wie  Venedig,  auch  in  grosse,  wiewol  nit  souil  Leut 
darynn  wonen.    Ditz  stat  ist  ain  vnnd  des  Reichs  Pulgezen^    Dar- 

1)  fortana  itaL  sturm.  2)  nave  ital.  das  grosse  schiff. 

3)  apulisoh.  4)  Brindisi. 

6)  Apulien,  Paglia. 


.  .k  ■ 


lij8  RÖHBICHT 

nach    stets    daran   Calabrien,    das  wir  von   weiten    auß    gesiebt   ver- 
loren. — 

Item  am  Achtzehenden  vnnd  am  Newnzehenden  tag  Juni  kamen 
wir  des  ersten  gar  nachet  auf  ain  Innsel  genennet  Corffo^,  beschleust 
sechtzig  meyl  in  vmbkrays,  gehört  den  von  Venedig  in  schirm.  Dar- 
gegen  an  ettlichen  orten  dreyssig  meyl,  an  etlichen  viertzig  danion 
ligt  ain  gepürg,  heyst  Zimera*,  begreyfift  wol  hundert  vnd  sechtzig 
meyl,  steet  an  die  Türckhen,  in  welichen  wonen  eüich  völcker,  sind 
weder  Cristen  noch  Türckhen,  reden  aber  alboneschis^,  sind  noch  nye 
bezwungen  worden,  weder  von  glaubigen,  noch  vngelaubigen,  wiewol 
maus  vor  Zeiten  vnnderstanden  hat,  doch  vngeschafft  abgestanden. 
Schaft^  das  sy  nit  aus  irem  Lannd  komen,  sodann  yemands  von  ann- 
dem  Yölckem  zw  in  anlent,  mögend  sie  in  bestreyten,  so  thuend  sie 
es.  Ists  dann  nit,  so  fliehends  dem  gebürg  zu.  Alßdann  seind  sie 
vnbegreyffenlich,  ir  schnell  lauffen  schafl^s,  das  man  will  ainen  zim- 
lichen  Boßlaufen  fürsetzen.  So  sie  ain  Cristen  fahend,  so  verkauffend 
sie  im  den  Türckhen,  so  sie  aber  ain  Türckhen  fahend,  so  tödten  sie 
im  von  stund  an.  In  disem  gebürg  würt  geseyt,  das  auf  ain  Zeit  ett- 
lich  Fürsten,  von  Venedigem  geschickht,  ankamen,  die  ...^  von  den 
weybem  verjagt  warden.  Daraus  kombt,  das  die  weyber  auch  streyt- 
ten.  In  disem  gepürg  wechst  gnug,  was  man  bedarf,  kom,  wein  vnnd 
gut  keß,  sagt  man  auch  das,  das  Hüpschest  Zimerholtz  vil,  das  im 
ganntzen  land  sey,  das  sie  doch  nit  auf  dem  lannd  [lannd],  dann  mit 
grossen  listen.  Diß  sind  so  böß  Leut,  das  ain  Sprüchwort  daraus 
komen,  so  man  yemandts  schellten  will,  das  man  spricht:  Bist  böser 
dann  ain  Zimeriet.  — 

Item  darnach  kamen  wir  zw  ainer  Innsel  zimlich  weyt,  mit  allem 
versehen,  was  zw  notturfft  der  menschen  bedarf,  hayst  Cefolonia^. 
Beherrschen  die  von  Venedig,  gar  nahendt  dabey  leyt  auch  ain  Inn- 
selein,  heyst  Santa  maura^,  haben  den  von  Venedig  durch  vnnd  in 
vertragsweis  den  Türckhen  vbergeben.  — 

Item  am  Donerstag  der  do  was  der  zwaintzigst  im  Juni  schlugen 
wir  die  andern  schala,  oder  anfaren  in  der  Innsel  Alzantty®,  wölche 
in  Beschlus  hallt  bey  achtzig  meylen,  darynn  sind  bey  sechtzig  Dörfiin, 
vermögen  bey  viertzig  tausent  mannen,  darunter  zweyhundert  wol  zw 
Boß  gerüst  gefunden  werden  zw  ainem  Bedürffen,  wiewol  die  gedach- 
ten leut  nit  gros  widerstand  thund  den  vngleubigen,  vmb  des  verstannds 

1)  Corfa.  2)  Chimara.  3)  Albanesisch.  4)  das  maoht 

5)  Lücke.  6)  Eephabnia.  7)  Santa  Maura  (Leukadia). 

8)  Zante. 


BKRIOHT  ÜBER  UNI  JlRÜSALIIfFAHRT  169 

wyllen,  dann  sie  mit  ynnd  zu  ainander  haben,  werden  sie  doch  mit . .  .^ 
zw  Zeitten  vberfaren,  derohalben  sie  nechtlich  gros  wacht  zu  roß  vnnd 
fuos  hallten  müssen,  vnnd  so  der  feind  vnnd  vberfidl  zw  gros  würd, 
eyllt  weyb  vnd  man  dem  schloss  zw,  das  eben  starckh  ist  von  mau- 
ren,  sunst  von  Ingepew«  gar  nützig,  denn  etlich  klaine  HeußUn,  dar- 
ynn  behelfiPen  sie  sich.  Ynnd  so  sie  es  ain  Monat  enntheben  mögen, 
kumbt  in  von  Venedig  Hilf,  die  wol  Newnhundert  meyl  zw  in  haben. 
Ob  sie  dann  schon  Heuser  verbrennen,  sind  sie  doch  nützig  werdt, 
dann  kains  ist  das,  das  über  ain  gaden  oder  gemach  ellenklich  auf- 
gepawen  sey,  darzw  in  klainem  Begryff,  also  das  mich  bedünckt,  man 
find  wol  in  vnnsem  lannden  ains  Bauren  haus,  das  derselben  zway- 
hundert  in  kostlicheit  übertreff.  In  der  Innsel,  sprechen  sie,  döriSen 
nit  hoch  bawen,  ains  tayls  der  Räubern  halb,  des  andemn  dess  Erd- 
bydens  halben,  die  daselben  gar  manichmal  erheben,  das  man  wol 
sieht  an  dem  Schloss,  das  ligt  auf  ainer  zimlichen  Höhe,  wie  etlich 
thüm  zerspallten  sind.  In  disem  Schloss  sind  zwo  kirchen,  aine  der 
Cristen,  die  ander  in  greckischer  Zungen.  In  diser  Innsel  wächst  alles, 
was  man  bedarf,  auch  ettlich  spetzerey,  Gypett',  süflholts,  das  man 
vast  wolfeyl  haben  mag,  an  etüichen  vunden  herein  sind  auch  gar 
lüstig  ebene,  da  gesund  zu  wonen.  Ditz  Insel  würt  annderwert  genen- 
net Romani*,  wann  do  in  der  gut  Romanier  wechst,  den  wir  auch  ver- 
suchten, das  etlicher  nit  auf  den  füessen  möcht  geston,  ettlicher  vor 
sterckhe  nit  trinckhen  möchten.  In  der  gedachten  Innsel  waren  wir 
bis  auf  den  Ainwndzwaintzigisten  tag  Juni  zu  nacht,  mit  zimlicher 
narung  versehen  vnnd  in  leydenlichem  gellt,  wiewol  die  Herberg  dürr 
angeschlagen  ward,  dann  vnnser  Acht  musten  über  nacht  ain  Ducaten 
zalen,  wie  wol  wir  auch  HüB  darnach  eyllten.  In  diser  redt  man 
greckhisch,  doch  vil  welischs  das  selb  gesind.  — 

Item  dargegen  über  nit  sonders  weyt  stost  das  Türckhenland  an, 
welichen  zw  dem  fordersten  anstöst,  ain  starckh  schlos  ligt,  haist  Gastel 
Dumes^,  von  welichem  man  noch  kumen  möcht  zum  Heyligen  lannd, 
doch  durch  gros  gefer  vnnd  wagnus  der  Reuber.  — 

Item  am  Ainvnndzwaintzigisten  tag  zu  nacht  bescheid  man  menigk- 
lich  wider  zw  schiff,   da  wir   dann  die  nacht  sunder  wind  verhüben 

1)  Lücke.  2)  gebftude. 

3)  zibetto  ital.  zibet,  drüsenabsonderong  der  zibethkatze,  vielfach  als  parfiim 
oder  arzenei  angewani 

4)  HomaDia,  als  name  für  Zante  sonst  nicht  bekant. 

5)  Bei  Ottheinrich  366  Tarnes  (Torneste)  genant,  Zante  gegenüber  an  der  küste 
von  Morea. 


170  BÖHBICBT 

bis  anf  den  zwayrnndzwaintzigisten  tag,  an  wolichem  vir  nit  weyter 
fuoren,  dann  das  wir  genannt  Schloss  vnnd  Innsel  sehen  möchteiL  — 
Item  am  drewnndzwaintzigisten  tag  Juni  des  morgens  kamen  wir 
an  ain  gebürg,  geheyssen  Morea,  das  vor  Zeiten  der  Yenediger  war, 
an  disem  gepürg  füren  wir  hinuf  denselben  tag  vnnd  auch  den  vier- 
vnndzwaintzigisten  im  Juni,  der  do  was  sannt  Johanns  tag  des  Hay- 
ligen  teuffers,  an  disem  gepürg  ligen  ferren  von  einander  zwo  Stet, 
gehayssen  Modun^  ynnd  Tordan*,  die  wir  scheinparlichen  sehen  waren, 
von  welchen  man  sagen  was,  wie  sie  vor  kürtzen  so  reich  Stet  waren 
in  gewallt  der  Venediger,  aber  ...^  durch  den  Türckhen  abgewunnen, 
darzw  wie  souil  Bluts  derselben  beeder  partheyen  vergossen  sey,  got 
gedenckh  der  armen  seel  in  Barmhertzigkeit!  Ich  ward  fragen  vnnder 
annderm  ain  frumen  man,  was  die  vrsach  wer,  der  mir  nit  änderst 
anntwort,  allain  sprechen:  wir  Gristen  möchten  so  frümbklich  erberk- 
lieh  hanndlen,  got  der  Himlisch  vater  geb  vnns  mer  glückh  zu  strey- 
ten  wider  sein  feind,  alls  Er  vor  Zeiten  mer  gethon,  wollt  Ich  nit 
weyter  ei^ründen,  dann  mögt  wol  gedennckhen,  was  auf  Im  zw  ruch 
trug.     Quia  propter  peccata  eueniunt  aduersa.  — 

Item  am  Zinnstag,  der  do  was  der  Fünfvndzwaintzigist  Juni,  am 
morgen  kamen  wir  nahend  an  ain  Innsel,  geheyssen  Zerrigo^,  ist  Gri- 
sten der  von  Venedig.  In  diser  Innsel,  wart  geseyt,  gewonnt  haben 
die  schön  Helena,  alls  sie  durch  Fariden  Bwigklich  hingefuert  ward, 
dardurch  Troia  zerstört.  Ditz  Innsel  ist  bey  Achtzig  oder  mer  meylen 
weit,  darüber  ligt  ain  Innsel,  mag  von  der  Rauben  niemand  inwonen, 
heyst  Zerrigo  minor.  Bey  derselben  muß  man  nahend  hinfaren,  steet 
nit  weyt  von  dem  anstoß  der  Insel  Gandia.  — 

Item  am  sechsvnndzwaintzigisten  tag  Juni,  der  do  was  der  lieben 
Hey  ligen  tag,  die  man  nennet  die  syben  schläfer,  das  sich  wol  beschein, 
dann  ettlich  gut  Herren  vnd  gesellen  schliefien,  bis  das  man  essen 
zutrug,  an  demselben  kamen  wir  gegen  dem  anstoB  der  Innsel  Gandia, 
da  zuuor  ligt  ain  fieckh,  geheyssen  Gyssano'^,  das  wir  sehen  möchten. 
Doch  füren  wir  noch  bis  morgen  zu  nacht,  der  do  was  der  syben- 
vnndzwainzigist  tag  Juni,  mit  sambt  der  ganntzen  nacht,  das  wir  weder 
zw  lannd  noch  vnnsers  wegs  faren  konnten,  die  Innsel  verlib  vnns  all 
stund  vnnder  äugen,  so  widersins  erzaigt  sich  der  winnd.  Vnd  wie- 
wol  der  Patron  des  Schife  des  willens  was,  die  Bylger  abzusetzen,  das 
lannd  lassen  zu  beschawen   vnnd  sich  mit  ettlichen  wein  zuuersehen, 

1)  Modon.  2)  Goron.  3)  Lücke.  4)  Gerigo. 

5)  Wol  die  insel  Qrabusa  am  nord-west-eiDgange  der  bai  von  Kisamo. 


BXBIORT  ÜBKB  EIMB  JKBTOALBMFAHRT  171 


must  er  doch  daruon  ston  vnnd  schickht  sich  wider  den  gesixackhsten 
weg  zufaren  auf  Rodis.  Also  musten  wir  die  gedacht  Innsel  fürfaren, 
ynerkhannt  alles,  das  mengem  schwer  angelegen,  doch  ward  mir  geseyt 
Tf  mein  erforschen  von  der  gedachten  Innsel,  das  vor  Zeiten  ain 
mechtig  künigreich  ain  gewalltigen  Bracht  füren  gewesen  sey,  vnnd 
vor  Zeiten  dorch  kriegs  not  von  Venedigem  bezwungen  worden,  vnd 
die  künig  vertryben,  doch  dem  volckh  die  gnad  erzaigt,  das  sie  frej 
sitzen,  sunder  steur,  sunst  möchten  die  genannten  Yenediger  nit  behall- 
ten, dann  das  lannd  mit  versehen  ist  mit  starckhen  fleckhen,  das  tür 
kain  gewallt  sein  möchten.  Aber  der  wyllen  der  leuten  vnnd  Inwoner 
machens  starckh,  die  so  günstig  sein  sant  Marx,  auß  vor  gedachter 
nachgelassner  freyhait  willen,  das  sie  maynen  würden,  sich  wider  all 
weUt  vor  gewalt  beschirmen.  Diso  Innsel  beschleust  syben  hundert 
meyl  im  vmbkreys,  darynn  wonhaffüg  funden  werden  ob  zway  mal 
hundert  tausent  menschen  vnnd  meer,  das  zw  glauben  steet,  dann  ob 
sechzehen  tausent  Ho&ayten  vnnd  wonungen  herein  funden  werden, 
ettlich  klein,  etlich  zimlich  grösser  nach  gewonhait  vnnd  Brauch  dess 
lannds.  Dis  lannd  ist  überflüssig  koms  vnnd  weins,  darzw  allerhannd 
flaisch,  was  man  begeret,  man  spricht  vnnd  seyt  auch,  wiewol  ain  gros 
summ  weins  järlich  gesamelt  werd,  herynn  der  Innsel  sey  doch  vber- 
flüssigkait  der  milch  mer  dann  des  weins,  die  sie  zw  notturfiR;  brau- 
chen, das  überig  in  keß  vnnd  annders  verwanndeln,  nach  Brauch  irs 
lannds,  des  sie  darnach  ain  gros  Zal  den  frembden  zuuerkhauffen  zw- 
schickhen.  — 

Item  am  sybenvnndzwaintzigisten  tag  Juni  auf  die  nacht  kam 
vnns  ain  zimlich  genediger  wind,  vnd  der  do  wert  dieselben  nacht, 
in  der  wir  deswegs  zimlich  gefürdert  wurden,  der  do  wert  bis  auf 
den  Achtvnndzwaintzigisten  tag,  warden  wir  getröstet,  so  Er  also  ver- 
üb, möchten  wir  alls  auf  den  Newnvndzwaintzigisten  tag,  der  do  was 
sannt  Peter  vnnd  Pauls,  der  lieben  Zwelfpoten  tag,  zw  Bodis^  anko- 
men,  das  doch  etlich  Bylger  widerstryten  vnnd  vermeynten  vnmüglich 
zu  sein,  dann  der  gedacht  winnd  was  etwas  still  vnnd  zimlich  warm.  — 

Item  am  Achtvnndzwaintzigisten  tag  Juni  auf  den  Anbys^  stund 
der  wind  ab,  vnnd  ward  aber  Bonato,  der  do  wert  den  tag  vnnd  die 
nacht,  mit  sampt  dem  Newnvndzwaintzigisten  tag,  das  wir  gar  wenig 
des  wegs  gefürdert  wurden.  — 

Item  am  Dreyssigisten  tag  Juni  kamen  wir  nahend  am  morgen 
zw  ainer  Innsel  genannt  Nyssary",  in  welcher  vier  Castell  funden  wer- 

1)  Bhodns.  2)  Zur  frühstüokszeii  3)  Nisyro. 


172  BÖHRIOHT 

den.  Dise  Innsel  ist  etwas  Yon  Hohem  gepürg,  doch  volkomen,  was 
man  bedarf,  zw  leybs  notturfft  Dis  gehört  den  Herren  von  Rodys  zw 
vnnd  ist  dreyssig  meyl  weyt  von  derselben  Herren  . .  .^  Diß  Innsel  macht 
vil  Schwefel  vnnd  grosse  menig  der  Feygen,  also  das  ain  Herr  allain 
von  den  Zehennden  aufhymbt  derselben  Feygen  vierhundert  Ducaten, 
nit  weyt  von  dannen  ligt  das  Schlos  samt  Peters',  mit  sambt  annde- 
ren  Innseln,  die  mit  Schlössern  wol  bewart  stand.  — 

Item  am  ersten  tag  July,  der  do  was  der  Montag  vnnd  vnnser 
lieben  Frawen  Haymsuchung  oben,  schickhet  sich  das  glückh,  das  wir 
beging  lanng  gestannden  waren,  Bodys  die  Stat  zu  sehen.  Also  auf 
die  Non  Zeit  stunden  wir  ab  dem  Schyff,  vnnd  warden  verliehen  em- 
pfanngen,  zimlich  versehen  mit  Herberg,  auch  alles  was  zw  Speis  not 
ist,  allain  das  den  Bylgem  fast  wider  was  der  starckh  wein,  den  man 
bringt  gemainklich  auß  Candia,  für  mich  zu  reden.  Er  hat  mich  nahend 
getödt,  ye  mer  Ich  tranckh,  ye  hitziger  Ich  ward,  also  das  Ich  mich 
hueten  must  außzugon,  allain  auf  der  nacht,  da  Ich  lanng  nichs  sehen 
mocht,  dann  das  gebew,  das  do  eben  wunderbarlich  mächtig  ist,  zu- 
uor  an  in  verren  ston  drew  starckh  thüm  wie  die  Schlösser,  der  vnderst 
hayst  sant  Niclausthum.  Do  wir  inn  seyen  gesein,  da  gesehen  haben 
mächtig  wol  geordnet  geschütz,  auch  ain  fast  gewaltig  gebew,  vnnd  am 
Herausgon  not  man  vnns  zu  trinckhen.  Also  bot  man  vnns  gnugsamen 
guten  wein,  den  wir  getrunckhen  betten,  wann  wir  haimlich  bey  einan- 
der gesessen  weren.  Der  oberst  haist  sannt  Eaterina  thum,  der  Mit- 
tel der  Frantzhosen  Thum.  Diß  bewaren  gewaltigklichen  den  . . .»  vnnd 
ain  grosse  weyte  des  mers,  das  nyemand  beleyben  mag.  Damach  ist 
die  stat,  die  nit  sunders  gros  ist,  mit  ainer  viertzigschuchingen  mau- 
ren  vmbgeben,  die  mit  zwen  vast  tiefen  graben  bewart,  in  wunderbar- 
lichem  gepew,  mit  mancher  haimücher  gewer.  Doch  bricht  man  vil 
ab,  die  in  ander  sterckhin  gehauen  solln  werden.  Darüber  ist  ain  ...^, 
haist  der  ...^,  ist  teutscher  Zungen,  der  sich  in  trew  emnstlich  in  solichem 
bezeigt,  als  wol  bevryst  das  werckh,  wölhes,  so  es  auß  gemacht  würt, 
wol  mag  der  mechtigist  sterckhsten  gebawen  sein,  alls  auf  erdtrich  fun- 
den  werde.  In  disem  sarch  vnnd  vmbkreyß  der  Stat  sind  manich  vnnd 
vil  annder  gepauwen  Heusslin,  die  all  in  gewelb  bedeckht  sind,  vnnd 
kains  vber  zway  gemach  hoch,  allain  das  Schloss.  Dise  stat  ist  mit 
zimlichn  kirchen  nider  gebawen,  weder  lay  latinist  vnnd  greckhisch 
versehen,  wölbe  mit  gezierden  gnugsam  begäbet,  doch  aber  tryfEt  die 
oberst  nit  vnbiUich  sannt  Johanns  tempel,  wölher  in  myten  des  Schloss 

1)  Lücke.  2)  Vgl.  EM.  22;  R.  59  fg.;  Conrady,  Vier  rheinisohe Palfistina- 

pilgerschriften  105.  3)  Lücke.  4)  Lücke.  5)  Lücke. 


BIBIOHT  ÜBKR  RINE  JKBÜSALBMFAHRT  173 

ligt,  vnnd  vmbgeben  ist,  nit  sunder  gros,  aber  mit  Zierden  reychlichen 
begabt,  darunter  der  merertayl  auß  klarem  gold  gearbayt  sind.  Alda 
ist  ain  osterlam  vnnd  zwen  enngel  darneben  vnnd  annders  mer.  Dar- 
zw  sind  all  Ampeln  vnnd  vil  licht  stöckh,  mit  sambt  den  Zwelpoten 
an  beeden  wennden  erhebt,  silber  übergüUdt,  so  schon,  das  mans  ach- 
tet, werdt  sein  Zwayhundert  tausent  Ducaten  vnnd  mer.  Das  Hayltum 
daselbst  ist  überflüssig.  Alda  ist  ain  Messin  creutz  gemacht  auß  dem 
Beckhin,  daraus  got  der  almechtig  seinen  Jüngern  die  füß  wuosch. 
Item  zwen  dorn,  die  blüen  all  karfreytag.  Item  ettlich  der  pfennig, 
da  got  vmb  verkauffl  ward.  Item  ain  Arm  von  sant  Katarina  vnnd 
meer.  Der  vmbkrais  dess  Schloss  ist  zimlich  weyt,  aber  gegen  der 
Stat  ganntz  nichtig,  werhaffkig,  wann  sie  wennd  die  Stat  mit  sampt 
dem  schlos  behallten.  Ditz  ist  außgetailt  den  Bitern  nach  Zal  vnnd 
menge  der  leuten.  Doch  haben  die  teutschen  die  mynsten.  Diser  Her- 
ren leben  vnnd  Regiment  ist  mir  mit  sunders  mißfällig,  mich  bedünckht, 
haben  ain  zimlich  lieb  vnnd  au&ehen  zusamen,  des  gemaynen  volckhs 
Zucht  vnnd  insonders  der  weyber  ist  nit  gantz  durch  mich  bewert, 
dann  mich  dünckht,  seyen  etwas  zuuil  vnschamhaffiig,  das  Ich  nit  zw 
Rytten  hab.  Die  Zerung  vnnd  Herberg  ist  teur  vnnd  kostlich,  auch 
ist  fast  bös  gellt  luoffig  härein.  Vor  diser  stat  sinnd  zw  Zeiten  bey 
fünfEtzig  Jaren^  gelegen  die  Türckhen  Hundert  tausent  starckh,  haben 
sie  beschossen  gewaltigklichen,  dann  man  funden  hat  bey  vier  tausent 
grosser  Stainen  kugeln  in  rynngweys  der  Stat,  die  noch  bey  Zeit  zw 
ainer  gedechtnus  vmb  die  weg  ligen,  zu  letzst  gestürmt  vnnd  weyt 
erüberiget,  also  das  man  maynt,  wer  schon  gethon.  Do  kam  der  obrist 
Meister,  der  do  was  ain  Cardinal,  schlug  sein  feind  hertigklich  zurückh, 
mit  gnad,  das  die  Cristen  sighafftig  warden,  da  zw  ainer  gedechtnus 
gepawen  ist  ain  schön  kloster,  gehayssen  zw  sant  Victoria.  Dis  Innsel 
ist  bey  Hundert  vnnd  viertzig  meylen  in  vmbkreis,  vnnd  vermag  dreys- 
sig  tausent  man,  sind,  on  die  Stat  Kodis,  sunst  Schlösser  vast  starckh 
auch  daryn,  heissen  Lindouw,  Ferraclo,  Polochia^  Do  ist  kains,  man 
mag  sechs  Hundert  man  lannge  Zeit  behalten  vnd  versehen  mit  speis. 
Die  gedacht  Stat  ist  auch  nit  so  vest  versehen  mit  mauren,  alls  mit 
Munition  versorgt,  das  man  sehen  mag  dann  durch  die  gantzen  Stat 
sinnd  gewelb  vnnder  der  erden,  die  vol  körn  geschüttet  stond,  vnnd 
annders  was  man  bedarf,  auf  syben  Jar  lang.  In  diser  Stat  beliben 
wir  bis  auf  den  vierdten  tag  Juli,  des  Barchen  zu  erwarten.    Darzwi- 

1)  1480;  vgl.  EM.  183,  371. 

2)  Lindo,  Castello  di  Ferraclo,  Polaka. 


174  BÖHUGHT 

sehen  sach  Ich  nichs  sonnders,  dann  hüpsch  gepew  vnnd  geechütz, 
wie  obstat,  darnach  drew  Straussen,  die  grufilich  zw  schawen  sind  von 
wunderbarlicher  gestallt,  auch  ir  seltzam  Ayer  brueten.  Die  laoffen 
in  ainem  hüpschen  garten  mit  anndem  Rossen.  In  disem  garten  was 
auch  ain  man,  der  brüetet  Ajer  auB  drewhundert  auf  ain  mal,  es  weren 
Hüner  oder  Ennten,  Gännß,  Pfawen  Ayer.  Dis  bedaucht  mich  auch 
insonders  wunderbarUch  zu  sagen.  Ich  fragt,  wie  yU  Er  wol  auBbrue- 
ten  möcht  ains  Jars.  Anntwort  Er,  als  vil  Er  Ayer  het,  vnnd  so  sie 
geschlossen  sind,  so  gibt  Ers  ainem  koppaunen  zu  fuoren.  — 

Item  an  dem  fünften  tag  Juli  schyfften  wir  aber  von  dannen 
ynnd  kamen  mit  genedigem  wind,  den  tag  vnnd  nacht,  mit  sambt  dem 
sechsten  ynnd  sybenden  tag,  ain  gros  Zall  meylen  vnnsers  wegs  über 
das  Hoch  meer,  in  welchem  wir  kain  Innsel  noch  lannd  sehen  moch- 
ten, wiewol  vnns  zuuerston  geben  ward,  weren  gerichtig  der  Innsel 
Cyprien  enntgegen,  die  wir  zw  der  linckhen  Hannd  verluren.  — 

Item  den  Achtenden  tag  Juli  stunden  wir  begirig  nach  Vertrö- 
stung des  Tatron  ^  vnnd  seiner  schifmaystem  ynnder  äugen  zu  erlangen 
das  Haylig  lannd  Suriam^,  des  wir  doch  betrüebt  warden.  Harrung 
manchem  beschwert  bracht,  doch  getröstet  morgens,  seitens  nit  so  frw 
mögen  ersten,  würden  Irs  verlanngen  gewert  vnnd  ersettiget  — 

Item  AlBdann  morgens,  der  do  was  der  Neundt  tag  Juli  am 
aufgon  der  sonnen,  vnnd  Ich  noch  schlaffen  lag,  ward  gemeldet  durch 
den  paren»  darüber  gesetzt,  der  auch  harvon^  von  den  Bylgerin  ver- 
irrt^ wurtt,  geschrien:  terra,  terra!  Daruon  ain  erheben  ward  der  Bil- 
geren, lauffen  zu  schawen,  dannckhten  got  der  gnad  nach  ains 
yeüichen  andacht.  Ich  hört  aber  in  gemayn  nit  vil  singens  noch  Jubi- 
lieren. Erlangten  also  des  morgens  bey  viertzig  meylen  vnnd  kamend 
angeends  ainem  alten  Schlos  vber,  halst  Castrum  peregnnorum^,  da 
vor  Zeiten  etwan  die  Bilger  ausstunden.  Aber  vmb  wyllen  das  den- 
selben manichs  vnbillichs  beschach,  hat  geenderet,  lennden  nun  zumal 
auff  Jassa^,  ist  vor  Zeiten  der  Bodiser  Hern  vnndertönig  gestanden, 
weihe  mit  gewallt  vnnd  kriegs  not  heruon  vertryben  sind  worden.  — 

Item  denselben  Neundten  tag  Juli  fuoren  wir  vmgeends  dem  stad 
nach  hinauf,  do  dann  auch  eüich  allt  tum  vnnd  wonungen  gesehen 
wurden,  mit  ganntz  styllem  wind,  den  man  nennet  Galmas  l  Diser 
wert  auch  die  nacht  durgentz  vnnd  den  morgen,  den  zehenden  tag, 

1)  Verschrieben  für  patron.  2)  Soria,  Syrien. 

3)  Wol  der  sogenante  „geschworene  patron".  4)  Lies  verehrt? 

5)  Capellum  peregrinorom  d.  heutige  Athlith.  6)  Jaffa.  i 

7)  cahna  ital.  windstiUe. 


.T^ 


BIBICHT  ÜBIH  UNS  JEBÜSAT.ltMf  AHRT  175 

das  wir  wenig  dess  wegs  gefürdert  wurden.  Doch  wurden  wir  durch 
gnad  gots  geleytet,  das  wir  auf  den  Mittag  nahet  gein  Jaffa  ankamen, 
Ynnd  alls  wirs  nahend  sehen  mochten,  ward  durch  den  Wirdigen  Her- 
ren Bischof  Vicentz  Octuensis^  prediger  ordens  Meß  gehallten,  vnnd 
da  andechtigklichen  das  Te  Deum  laudamus  gesangen,  vnnd  darnach 
ainer  den  andern  zuuerzeihen  ermanet.  — 

Item  alls  von  stund  an  nach  Mittag  fuor  der  Patron  zw  lannd, 
do  Er  dann  den  Guardian  von  Jerusalem  begryff,  der  durch  ander 
Bylger  willen  gein  Jaffet  kernen  ward,  vnns  verkhünt,  seitens  für  ain 
glückh  achten,  kemen  dester  bälder  ab  dem  Schyff,  dann  sonnst  weren 
die  Bilger  gemainlich  Acht,  Newn  oder  Zehen  tag  behallten  worden, 
wir  würden  aber  in  zway  tagen  dess  Schyffs  erlöst.  Also  wyst  Ich 
nit,  wes  die  schuld,  allain  das  wir  die  yrten^  vberschlugen  vor  dem 
wirt,  musten  bis  an  den  sybennden  tag  in  vngedullt  gefanngen  ston, 
doch  allweg  beredt,  morgens  morgens,  farend  Ir  zu  lannd.  — 

Item  an  dem  Fünfzehenden  tag  Juli  sahen  wir  ettlich  zu  roß 
komen,  schlugen  zwu  Zollten  auf,  do  all  die  Bylger  erfreuet,  dan  wir 
in  sorgen  stunden,  würden  vnns  nit  zw  lannd  lassen,  alls  vor  meer 
beschehen  ist,  Vnnser  fürnemen  zw  verbringen,  vmb  kriegs  leuf  wil- 
len, die  sich  her  inn  dem  lannd  erheben,  dann  sich  gar  newlich  die 
HerschafiFt  vnnd  gewalt  zw  Jerusalem  geendert  vnnd  verwandeUt  het, 
nach  mittag  kamen  ettlich  vil  derselben  Türckhen,  die  man  nennet 
Jeniterey^,  zw  vnns  in  das  schif,  besahen  ettlich  kaufmanschatz,  dar- 
gegen  sie  verteuschen  wollten  zway  futer  Marder  oder  Tebelin*.  Doch 
warden  sie  nit  ains,  vnnder  disem  wurden  gar  man  schwer  betruebt 
von  dem  mer,  also  das  sie  dort  hinfielen  wie  das  vich,  doch  trunckhen 
ettlich  gar  seuberlich  wein,  den  sie  von  stund  an  wider  speyten,  dar- 
nach wider  antrunckhen.  Aber  ettlich  wollten  kain  wein  versuchen, 
vnnder  disem  bedünckht  mich  manicher  geschickht,  vnnd  etlich  zw 
nichtigem  tügig^  — 

Item  auf  den  sechzeh enden  tag  Juli,  der  do  was  des  Hayligen 
sannt  Alexius  vnnd  Zertaylung  der  Apostel,  des  morgens  frw  warden 
wir  gefuert  zw  lannd,  ward  ains  yeüichen  namen  vnnd  seins  vaters 
auf  verschreiben,  darnach  geteylt  in  zway  gewelb  geleit,  auf  ain  wenig 
stro,  den  tag  vertryben  wir  bis  zu  nacht.  Also  was  man  aufhallten 
die  Bylger,  mit  Essel®  in  gnügsamkait  must  man  wir  hindner  sich 
mer  zu  beschickhen,  beleyb  man  bis  morgens.  — 

1)  Ottheinrich  360  nent  den  bischof  za  Dalmanen,  der  für  Leo  X.  w^üfahrtete. 

2)  zehrung,  wii-tshausrechnuDg.  3)  janitscharen. 

4)  zibellino  itaL  zobel.  5)  tauglioli.  6)  esel. 


376  BÖHSIOBT 

Item  Ton  Jaffet  das  annder  . .  .^  nennen  darum'  Jaffet,  das  dasselb 
Jaffet  zwu  meyl  daraon  ligt,  bedaucht  mich  nit  sonnders  zu  merckhen, 
daxin  das  ain  ge wonlich  anfaren  der  Bilgerin  daselben  beschicht,  spricht 
man,  sej  ain  hüpsche  allte  Stat  gewesen,  vor  Zeiten  Ton  Noe  sün 
gepawen  worden.  Yff  dise  Zeit  sieht  man  noch  zwen  allt  tum.  Daruf 
die  wach  des  anfarens  gehallten,  vnnd  darunter  ettlich  gewelb,  darein 
die  Bilger  gelegert,  ettlich  zwen  tag,  etlich  drew  tag,  werden.  Dar- 
bey  in  weytem  vmbkreys  vil  alts  starckhs  gemeuer  ligt,  darunter  hüp- 
iscbe  gewelb  funden  sehen  werden.  Von  dem  lannd  aber  bedaucht 
mich  vnfruchtbar  dann  zu  wonen,  als  wol  erzaigt  das  arm  innwonet 
volckh  Yon  beeden  Cristen',  alls  sie  sagen,  vnnd  moren,  auch  die  au£ 
beleyten  sollte  ain  Herr  von  Bama^  vnnd  ain  geschickhter  von  dem 
Herren  von  Jerusalem,  bedauchten  mich  mit  zu  achten  gegen  vnnsem 
Herren.  — 

Item  auf  den  Achtzehenden  tag  Juli  des  morgens  ward  gnugsam- 
lieh  versehen  den  Bilgerin  vmb  Essel,  doch  ettlich  schwach,  also  das 
mancher  zu  Häuf  fiel,  Manicher  zu  fuß  zugon  gezwungen,  vmb  das 
die  Essel  nit  volgen.  Also  waren  wir  geleyten  in  guter  Hut,  bis  gein 
Rama,  darz wischen  ligt  ain  zerstört  StäÜin,  hayst  Jaco^,  auch  annder 
mer,  die  wir  in  gesiebt  haben  möchten,  das  land  aber  gnugsamlich 
lustig,  dann  das  vor  türry  auf  dieselb  Zeit,  wenig  wachsen  möcht 
Das  volckh,  vnnd  insonders  die  frawen  arbaytselig,  also  das  mich  Irs 
lebens  verwundert,  die  Erawen  verbinden  sich,  das  maus  kaum  mag 
vnnder  äugen  schawen,  vnnd  sind  doch  zumal  vngestallt  Also  nit 
nach  langem  wegen  kamen  wir  gein  Rama,  dauon  mich  nichtig  bedaucht 
zu  bedenckhen,  dann  das  vor  Zeiten  sollt  ain  schön  Stat  gewesen,  alls 
Er  zaigt  hin  vnd  her,  ain  allt  gepew  mit  ettlichen  tümen  sich  erzai- 
gen  weyt  in  vmbkrais,  vnnd  alls  wir  nechst  darzw  kamen,  stund  zuuor 
ain  gemaurt  haus,  ain  schein  habend,  darein  wir  durch  ain  ennge 
thür  gelassen,  vnnd  in  ettlich  gewelb  daselbst  außgetailt.  Dis  Haus 
wtirt  geseyt  den  Bilgem  zw  gutem  von  ainem  Herren  von  Burgund* 
gepawen  worden  sein,  doch  bedaucht  mich,  sollt  en  gekauflft  gewesen, 
dann  das  gebew  erzaiget  kainen  Spital  der  Bilger,  laß  Ich  beleyben. 
Herein  komen  von  vil  geschlecht  Jung  volck,  sich  sprechend  Cristen 
zu   sein,   brachten   Ayer,  Brot,   trauben,  Feygen,  Hüner,    aber   kain 

1)  Lüoke.  2)  Text:  harom. 

3)  Wol  aus  Anabitae  (versohrieben  für  Arabitae,  <L  i.  wol  Nestorianer)  ent- 
•tanden;  vgl.  Conrady  45. 

4)  Der  emir  von  Ramla.  5)  Jazur. 

6)  Philipp;  das  jähr  der  erbauong  dieser  pilgerherberge  ist  nicht  sicher. 


BKRICHT  Obsr  kink  jkbüsalemfahbt  177 

wein.    Das  volchk  in  diser  Stat  wonnt  in  den  zerbrochnen  gewelben, 
da  in  vnnsem  lannden  nit  die  vnuemünffügen  thier  weren. 

Item  in  derselben  nacht,  wiewol  Ichs  nit  dann  von  ferrem  gese- 
hen, was  darkomen  ain  Türckhischer  gesannten,  das  land  zu  beordern 
mit  grossem  Heer  vnnd  kostlichem  gevralt,  aUs  ettlich  sagen,  die  in 
seiner  Zelt  gewesen  durch  verwilligung  vnnser  patron.  Alda  was  der 
PfiEdtzgraf,  Hertzog  Ott  vnnd  annder,  gehaben  han  wol  vierhundert 
kamelthier^  vnnd  annder  Pferd  vnd  rüstung,  doch  vnnder  annderen 
loben  sie  mer,  dass  sie  vnnder  souil  volcks  ain  semlich  stillen  vema- 
men  vnnd  hörten,  das  nit  müglich  wer  vnnder  kristen  zu  gepieten, 
alls  auf  mytternacht  füren  sie  für  auf  Gazara^  zw.  — 

Item  auf  den  Achtzehenden  tag  Juli  des  aubends  nach  vil  müe 
vnnd  ansuchen,  den  Owardian,  den  Patron,  vnnd  auch  die  Beleyiier, 
warden  wir  wider  zw  Essel  beryten,  vnnd  zogen  durch  Rama  hin  ain 
lannge  weyl,  durch  vil  zerstört  gebew,  unnd  alls  wir  ettlich  ebnen 
vnnd  Berglin  gefuoren,  ain  stund  oder  zwu  in  die  nacht,  ward  das 
leger  gehallten  bey  ainem  brinner,  vnnder  ainem  zerstörten  schloßlin, 
hayst  Castel  latron^.    Da  lagen  wir  mit  ettlicher  sorg  der  Arabier.  — 

Item  auf  den  Newnzehenden,  zwu  stund  vor  tag,  bestimbt  man 
aber  auf  zu  sein.  Also  fieng  bald  an  ain  zimlich  ruch  staynet  gebürg, 
vomen  an  nyder,  vnnd  angeends  ye  hoher  vnd  höher  komen,  also  auf 
die  zehenden  stund  vnser  Zeit  kamen  wir  zw  ainem  paß.  Do  waren 
wir  gelassen  in  ainen  garten,  ward  lachen  zwischen  mir  vnnd  ettlichen 
tür,  dann  wir  für  den  wein  hinaus  waren,  wann  auch  ainer  ain  Bröt- 
lin  hat,  aß  ers  auß  dem  Ermel,  auß  disem  warden  wir  aber  geschriben, 
ains  yeckhlichen  namen,  vnnd  fiengen  dauon  von  stund  an  aufzureiten 
am  Berg  werdt  bis  gein  Jerusalem,  dahin  wir  kamen  von  den  gnaden 
gots  zw  Vesper  Zeit  lieblichen  empfangen  von  den  Brüdern,  auch  an- 
geends tisch  gesetzt  vnnd  gespeyst,  mit  zimlichem  vast  gutem  wein 
getrenckht  — 

Item  auf  dem  weg  von  Rama  bis  gein  Jerusalem  ward  nit  gese- 
hen, dann  manch  zerstört  gepew,  dardurch  man  ryt  noch  bey  Zeit, 
ettlich  arm  leut  warn,  vnnd  vnder  annderm  zehen  meyl  von  Jerusalem 
ligent,  ward  vnns  gezaigt  ain  zerstört  Behausung  auf  die  linckh  Hannd, 
das  vor  Zeiten  genennt  ward  Aranathia^,  dauon  sannt  Joseph,  ain 
haymlicher  Jünger  des  Herren  bürtig   was.    Daselbst  auf  die  Recht 

1)  Otthemrich  376.  2)  Oaza. 

3)  Heat  el-lätrün. 

4)  Arimathia,  sonst  identificiert  mit  Nebi  Samwil. 

ZETTSOHBIFT  F.   DEUTSCHS  FHILOLOQIB.      BD.   XXV.  12 


178  BÖHKECHT 

Hand  ward  vnns  weyter  gezaigt  ain  SchlöBlin  genannt  Silo^,  daselbst 
soll  gewesen  sein  die  arch  gots,  soll  auch  daselbst  künig  saol  gesalbet 
sein  worden  vnnd  erweiter  künig  genennt  — 

Item  alls  wir  nun  das  mal  genomen  vnd  dess  Essens  vnnd 
trinckhens  ersettiget,  ward  aim  Bylger  innsonders  überanntwort  ain 
tabett,  darauf  zu  ligen,  vnnd  ain  lyderin  küsß  vnnder  sein  Haupt 
Ward  darnach  gefiiert  in  ain  Haus  den  Bylgem  zw  Herberg  bestjrmbt, 
daran  sich  ettlich  vergnügten,  etUch  versahen  sich  annderßwo.  Dis 
Haus  ist  nahet  dem  tempel  in  wunderbarlichem  gepew  eingebawen, 
also  das  man  spricht,  sey  vor  Zeiten  des  Patriarches  wonung  gewesen, 
ist  wol  zu  glauben  etwas  wirdigs  gestanden  sein,  nach  gestallt  der 
zerstörten  mauren,  auf  disen  mag  man  sehen  vber  die  ganntzen  stat 
Jerusalem,  die  in  ganntzer  Zerstörung  ligt  Aber  in  wesen  mags  wol 
das  schönst  vfF  erden  geheyssen  werden.  — 

Item  den  Zwaintzigisten  tag  Juli,  des  morgens  warden  die  Brue- 
der  wider  versamelt  in  dem  Gloster  des  Bergs  Sion ,  vnnd  da  ain  schon 
Ambt  gehallten  vnnd  volenndet,  darnach  ain  sermon  oder  ermanuug 
den  Bylgem  in  drew  sprachn,  lateinisch,  welisch  vnnd  teutsch,  zw 
gutem  vnnd  vnnderweysung  gehallten,  insonders  sich  auf  vier  Articul 
bewaren- 

Den  ersten,  so  yemands  sunder  vrlob  des  babst  dahin  komen  auB 
veisaiunnus  oder  vnwissnhait,  harumb  in  den  strickh  dess  Bandts  gefal- 
len, ward  menigklichs  da  absoluirt  vnnd  ennÜedigt  — 

Des  Andern,  not  zu  sein,  ainem  y etlichen  ain  gewissen  glauben 
der  Dingen  daselbst  geweyst  werden,  sunder  welhem  nützig  zu  erlan- 
gen ist  — 

Des  Dryten,  ain  Brüderliche  liebe  vnd  sundere  Diemut  einander 
zu  beweysen,  auch  kainer  für  den  andern  sich  erhöhen.  — 

Zum  Yierdten,  gedult,  also  so  yemands  belaydigt  würd  von  den 
moren  oder  anndem,  mit  got,  simders  murmlen  emphahen,  auB  wöl- 
hem  wir  dann  war  Bilger  genennt  werden  möchten.  — 

Zum  FünfEten,  theten  sie  die  armen  Yetter  die  Ersamen  Bilger 
biten,  so  in  nit  beschehe  nach  ains  yeÜichen  ge&llen,  das  die  vetter 
betreffen  werd,  sey  in  speyssen,  oder  in  annderen,  sollt  man  in  Vor- 
zeichen, dann  mer  des  mangels  schuld,  dann  des  bösen  willen,  nit 
wollen  erzaigen,  des  sie  sich  mit  got  bezeugten.  Damach  ward  ain 
schön  proceß  angefangen  vnnd  den  Bylgem  klärlichen  erzaigt  die 
Misteria  des  Bergs  Sion,  daraus  alles  vnnser  Hayl  geflossen.  — 

1)  Nach  der  altchristlichen  meinung  lag  das  alttestamentliche  Silo  bei  dem 
heutigen  Nebi  Samwü  (Tobler,  Topogr.  II ,  883). 


BIBICBT  ÜBIR  UNS  J1BV8ALEBIFAHRT  179 

Item  zum  ersten  ward  viins  gezaigt  Nachdem  das  kloster  aof 
dem  Berg  zw  Höchst  gepawen,  sind  die  vnndersten  wonungen  die 
weytesten,  also  das  zimlich  zu  wonen  ist,  vnnd  seind  vil  Heuser  vnnd 
wonungen,  darin  sich  vnnser  Hayl  verlauflfen  hat,  in  gepewen.  Aber 
zw  dem  Höchsten  dess  Bergs  ^  gat  man  ettiich  Staffel  auf,  in  ain  qua- 
drierten wolgezierten  chor,  nit  sunders  weyt,  der  zuuoran  in  Mittel 
ain  schönen  altar  ston  hat,  ward  vnns  erzelt,  die  aygenntlich  Stat 
gewesen  sein,  da  got  der  Herr  das  letzst  nachtmal  nam  mit  seinen 
Jüngern,  do  Er  dann  aufgesetzt  hat  das  New  testament  vnnd  geendet 
das  allt,  auch  verhanndelt,  wie  dann  anzaigt  der  Passion,  nit  weyt 
bey  drew  sehnten  daruon,  auf  die  Becht  Hand,  ist  ain  Altar,  do  der 
Diemütigist  sich  begürtet  mit  ainem  tuch,  den  Jüngern  ir  fueß  vnd 
von  ersten  Judas  geweschen  hat,  zu  bedeuten  vnns  in  Diemut  zu 
leben.  Zw  der  linckhen  Hannd  sinnd  auch  ettiich  altär,  sind  die  stet, 
do  das  Haylig  Osterlamb  geproten.  In  disem  ist  ablas  aller  sünd.  Von 
dann  ward  gegangen  in  proceß  auft  dem  chor  ebens  fiios  an  ain  Stie- 
gen, die  bey  Ainvnndzwaintzig  Staffel  hat,  gleich  alls  wer  es  den  von 
gedachten  stetten  ain  gemach  höcher,  ward  vnns  zuuerston  geben,  alls 
Ich  glaub  die  stat  gewesen  sein,  das  der  Haylig  gaist  an  dem  Pfingstag 
der  muter  gots  vnnd  Hayligen  Jüngern  bey  zwaintzig  gewesen,  frawen 
vnnd  man  erschinen  sey,  da  sich  dan  verlauffen,  aus  an  dem  Hayligen 
pfingstag  in  der  Mrchen  gehallten  würt  Dis  ist  verlegt  mit  staynen, 
dann  die  moren  nit  wollen  vnns  darein  gon,  umb  willen,  das  man 
sagt,  soll  sein  auf  der  Begrebung  Dauid  vnnd  Salomonis.  In  diser 
stat  ist  ablas  für  pein  vnnd  schulden.  — 

Item  daruon  ward  abgegangen  mit  der  proceß,  do  nun  der  kreutz- 
gang  ist,  in  ain  klain  gewelb  Cappellin,  ward  zu  glauben  geben,  die 
stat  gewesen  sein,  da  got  der  Herr  erleucht,  alls  die  Jüngern  versa- 
melt  Sassen  mit  yerschlossner  thür  vmb  forcht  willen  der  Juden,  Zum 
anndem  mal  durch  Beschlossne  thür  erschein,  vnnd  zum  lotsten  sannt 
Thomas  sein  finger  in  die  aller  Hayligsten  seyten  legen  lies,  do  sich 
dann  yerluff  nach  Innhallt  des  euangeliums.  Ist  auch  aplas  aller 
Sünden.  — 

Item  nach  disem  ward  ynns  erlich  ausserthalb  des  Closters  gewys- 
sen  zerstört  aber  mit  etlichn  Staynen  bezaichnet,  das  Ich  hernach  mit 
anndem  bedennckhen  will.     Biß  ist  was  in  der  gotzhaus  begryffen. 

1)  Zion,  wo  allen  pilgem  die  kapelle  des  lezten  abendmahls,  der  fasswaschnng, 
die  küche  für  das  osterlamm,  die  kapeile  der  ausgiesstiiig  des  heiligen  geistes,  die 
gräber  der  jüdischen  könige  und  die  St  Thomaskapelle  gezeigt  werden  (Tobler,  To- 
pogr.  n,  101  —  125). 

12* 


löO  BÖHBIGIII 

Damach  warden  wir  zw  essen  gesannt,  da  nit  vast  wol  gekocht  was. 
Doch  gaben  vnns  die  Brueder  gnugsamlich  wein  vnnd  Brot,  fannd  man 
auch  ayer,  trauben,  Feygen  zw  kauffen.  — 

Item  desselben  Ains  vnnd  zwaintzigisten  tag  Juli  zw  aubend  war- 
den wir'beschriben  in  den  tempel  des  hayligen  grabs,  welher,  alls  mich 
bedaucht,  in  seinem  vmbkreis  von  vnns  ains  wunderbarlichen  grösten 
gepew,  dem  gantzen  Berg  Caluarie  beschütz,  von  innen  noch  vil  Tund 
manich  zerstörtem  gewelb,  das  gantz  Misterium  der  heyligen  steten, 
das  leyden  Gristi  anzaigen,  etlich  höh,  eüich  nider,  in  Girckhelweis 
begryffen,  doch  etwas  meer  lang  dann  brayt,  als  durch  die  lieben  väter 
vnns  Biigem  guetlich  gezaigt  ward.  Des  ersten  warden  wir  gefuert 
zw  der  rechten  ELannd  des  Hayligen  grabs  in  vnnser  frawen  Gapel, 
die  dann  denselben  vätem  zuuersehen  zusteet  H^üynn  allweg  zwen 
Brueder  wonen,  zu  bewaren  das  grab,  doch  werden  von  drew  Monat 
abgewechsellt,  alßdann  annder^  auch  thund.  In  derselben  Gapeilen' 
ordnet  man  ain  procession,  ain  y etlicher  Bilger  in  seiner  Hanndt  haben 
ain  brynnede  kertz,  ward  vnns  von  ersten  erscheint  in  derselben  Gapell 
zu  merckhen  vier  stückh.  Item,  das  auf  dem  mitein  Altar  die  Stat 
sey,  do  der  almechtig  seiner  geliebten  Muter  erstmals,  mit  erklertem 
leyb,  nach  der  aufersteeung  erschinen  sey,  alls  guetlich  zw  glauben 
ist.  Item  zw  der  Rechten  selten  in  ainem  geter  ain  tayl  der  seul,  do 
das  vnschiddig  lamb  gegayslet,  do  man  noch  bey  tag  die  straich  inn 
ston  sichte  Item  den  ersten  Altar  über  vf  vier  schryt,  in  Girckhels 
weis,  mit  getaylten  Staynen  verzaichnet,  soU  das  heilig  Greutz  erkhannt 
worden  sein^,  dann  der  Schacher  Greutz  waren  auß  disem  glückh  dem 
Greutz  der  erlösung,  ward  aber  erkhannt  auB  auflegung  ainer  gestorb- 
nen firawen,  die  zu  leben  erkhückht^  ward.  Haryn  ist  ablas  aller 
sünd.  — 

Item  heraus  gerichtig,  der  tür  über,  auf  fünf  schrit,  zwen  gezaich- 
net  stein,  auf  dem  der  almechtig  got,  vnnd  auf  dem  anndem  sannt 
Maria  Magdalena^  nach  der  aufersteeung,  alls  Er  sprach:  Noli  me  tan- 
gere,  da  ist  Vergebung  siben  Jar  syben  karen^.  Item  darnach  gestrackhs 
hinab   zw  ainer  höbin,   do  das  haylig  lamb   behallten  ward^,   nit  on 

1)  Lücke.  2)  St  Marienerscheinungs- kapeile. 

3)  Die  geisselongssäule.  4)  Ejreazerkexmongsort 

5)  erquickt,  d.  h.  neu  belebt  6)  Maria -Magdalenen- stein. 

7)  Earenen,  aus  quadragena  entstanden;  ,ein  abläse  von  7  karenen  ist  der 
erlass  zo  vieler  zeitUcher  strafen  als  vordem  durch  ein  vierzigtägiges  &sten  und  büs- 
sen  abgetragen  werden  musten*^  (Gonrady  72). 

8)  Kerker  Christi. 


BERICHT  ÜBSB  UNK  JERÜSALSMFAHRT  181 

sunder  gros  pein  vnnd  schmach,  vntz  das  Greutz  vnnd  was  zw  der 
marter  zwzurüsten  was,  auf  ain  lange  Zeit  verzogen.  Da  ist  verzeich- 
nus  syben  Jar  syben  karen.  — 

Item  da  dannen  dem  Girckhel  nach  zw  ainer  Gapell,  da  die 
Juden  vmb  den  kostbarlichen  vngeneeten  Rockh  gespilt  haben  ^.  Ist 
ablas  syben  Jar  syben  karen.  — 

Item  daruon  auf  vier  schrit  warden  wir  abgefuert*  Staffel  in  die 
Gapell,  zw  er  der  heyligen  frawen  Helene  gepawen^.  Harinn  sie  auch 
Ir  Bethaus  het  zw  dem  heiligen  Greutz,  alls  sie  dann  sehen  mocht 
durch  ain  Yennster  hinab,  do  dasselb  funden  was.  Herynn  ist  ablas 
aller  sünd.  — 

Item  von  diser  steigt  man  ab  Acht  Staffel  in  ain  rauhen  felsen 
gehawen,  do  dann  das  lobwirdig  Holtz  vnnser  erlösung  fanden*,  in 
ainem  Herten  felsen,  ab  ainem  tayl  gehawen,  spricht  man  sey  gewe- 
sen ain  allt  Brunn  oder  Gistem  dasselb  HayP  geworffen  vnnd  darnach 
mit  stainen  vnnd  wüstem  verschüt  daselbst  verborgen  zwayhundert 
Jar.  Da  ist  ablas  aller  schuld.  Dauon  der  gruob  kamen  wir  zw 
ainer  Gapellen,  da  in  ainem  Altar  sichtig  stat  ain  saul,  daran  der 
almechtig  gekrönnt  vnnd  verspot  ist  worden®.  Da  ist  ablas  syben 
Jar.  — 

Item  dauon  warden  wir  ermannt  zw  andacht  mit  der  muter  gots 
sprechen,  vememen  all  die  für  gonnd,  ob  sye  ain  schmertz  gleich  dem 
meinen,  das  menigclichs  zu  betrachten  het,  warden  also  gefaert,  Staf- 
fel VI.  In  groß  betrachtung  kamen  zw  der  Stat  Golgata  oder  Galuarie, 
da  auch  ain  gesyert  gewelb  gepawen  in  zimlichen  weyty,  mit  ainem 
Bogen  vnnderbawen,  auf  wölchem  zw  der  aiiien  selten  der  almechtig 
got  auf  das  kreutz  genagelt^,  do  ist  ain  altar  den  Brüdern  von  Sion 
empholhen,  auf  der  andern  seyten  drew  schrit  von  ainander  ain  ge- 
zierd  ainem  altar  gleich,  do  die  gruben  des  heyligen  kreutz  ains  eUen- 
pogen  tief  gewesen  ist  Dis  ist  mit  ainem  Marmel  bedeckht,  doch  ain 
Bundloch  gelassen  ains  gemuntz  weit,  das  mit  ainem  vbergülten  Blech 
beschlagen.  Daruon  auf  drey  schrit  erzaigt  sich  augenscheinlich  der 
wunderlich  Bergbruch  ainer  halben  eleu  weyt,  nahendt  bei  disem  ain 
altar,  da  die  stat  erkhennt  soU  sein,  alls  der  sun  der  betruebten  Muter 
in  die  schos  geleyt  ward.  Hie  ward  vnns  aber  geprediget  ain  schön 
sermon,  also  der  andacht  hat,  ward  in  waynen  geraytzt    Hie  ist  auch 

1)  Eleiderverteünngskapelle.  2)  Lücke. 

3)  St  Helenakapelle.  4)  Ereuzeifindungskapelle. 

5)  Lücke.  6)  Säule  der  Verspottung. 

7)  Ereuzerhöhnngskapelle. 


182  BÖHBICHT 

ablas  aller  sünd.  Harby  zw  der  seyten  dess  let2»tB  sinnd  zwo  seul, 
do  der  gat  Schacher  zw  der  Rechten  ynnd  der  Bös  zw  der  linckhen 
Seiten  gehanngen  ist^.  — 

Item  von  dannen  warden  wir  wider  abkomen  auf  die  ebne  des 
tempels  zw  der  Salbung,  welche  auf  Aylf  schrit  von  dem  eingang  des 
Tempels  enntgegen  stat,  mit  ainem  grabstein  gemerckht  werden  mag^ 
Do  ist  Vergebung  aller  sünd.  — 

Item  zw  letzst  kamen  wir  zw  der  einfüerung  des  allerhayligisten 
grabs,  das  mit  ainer  vor  Capel  vnnd  sunst  mit  ainer  andern  Jacobi- 
tischen  kirchen  vmbgeben  vnnd  beschlossen  ist  In  wölher  vor  Gapell 
die  marien  den  enngel  gots  ston  ÜEmden",  sprechen,  wer  will  vnns  den 
stein  dess  grabs  verrückhen,  musten  also  sittigklich  nach  einander 
eingan,  dasselb  vnzelich  gnadenreich  grab,  dann  der  einganng  dessel- 
ben nyder,  ains  halben  maus  hoch  erhebt,  inwendig  in  zimlicher  wytte 
vnnd  lennge,  also  das  sich  ain  gros  man  oder  drew  wol  mögen  gerü- 
ren  (meiner  aber  wol  fünf).  Ditz  ist  ganntz  mit  Marmel  besetzt,  also 
das  mich  bedünckht,  wunderbarlich  wirdig  gesehen  werden,  mit  ett- 
lichen  Ampeln  gezierdt,  sunst  nichtig  ist  harinn  dann  gros  Hitz,  vnnd 
darnach  den  Innern  menschen  ain  empsigkliche  Betrachtung  der  wür- 
digen Höchsten  aufilegung.  Heraus  ist  enntstanden  all  vnnser  Hayl 
Ich^  gnugsam  vemomen  die  mayestät  derselben  stat,  allain  das  ablas 
aller  sünd  verlihen.  Ditz  haylig  grab  steet  aUen  offen,  den  Bilgem  drew 
nacht  zw  allen  Zeiten.  Damach  enndet  sich  die  procession  vnnd  ttiet 
ain  yeüicher  Bylger  weyter  sein  andacht  nach  seins  Hertzen  anligen 
Item  in  disem  tempel  wonen  die  geschlecht  von  Cristen,  Yon  Ersten 
Jacoby^  hinder  dem  grab  vnd  mit  im  die  Ooffory*,  Item  daselben 
über  in  ainer  Gapellen  Furiani  ^,  Item  Indiany  ^  auf  die  linnckhen  Sey- 
ten, Item  Armeny^  in  ainer  Gapellen  auf  den  Indumie^^,  Item  Greci 
in  coro.  Item  Oorsy^^  in  Galuarie  locus ^*,  Item  Latini  aut  Eranckhi 
in  der  vorgedachten  Gapellen  vnnser  Frawen.  Item  Nestoriani  komen 
mit  medan  Emer^'.  Item  die  weyssen  Bussen  komen  auch  minime^^ 
Die  geschlecht  sinnd  stätigs  beschlossen,  bis  maus  ab  vrlaubt  singen, 

1)  SäTden  der  SohXcherkrexizlöoher..  2)  Salbungs-  oder  Adainfthq[»lle. 

3)  Eogelslcapelle.  4)  Lücke.  5)  Jaoobiten  oder  Kopten. 

6)  Unbekanter  sektemiame,  wol  arg  yenchriebeiL 

7)  Snriani,  syrische  Christen.  8)  Abyssinier.  9)  Armenier. 
10)  Der  stark  entstelte  name  ist  niöht  zu  erkliroL               11)  Georgier. 
12)  YgL  Tobler,  Golgatha  292.        13)  Ist  nicht  zu  erUiren. 

14)  TJnTerständlich.    Diese  erwihnnng  der  Weiss -Russen  ist  die  ilteste  in  der 
ooddentalisöhen  pQgerlittenitor. 


BBaCBI  tJBIB  IINI  JKBTmALlMFAHRT  183 

vnnd  lobt  ain  yeüicher  nach  seiner  andacht    Also  das  es  ain  sunders 
wyldhoren  ist  — 

Item  Hereyn  waren  wir  beschlossen  die  nacht  bis  auf^  tag  des 
Monats  Joli,  vnnd  alls  auf  denselben,  zwu  stund  in  tag,  warden  wir 
aussgelassen.  — 

Item  In  disem  tempel  vnnder  dem  Berg  Oliueti  ist  ain  Gapeil) 
dess  do  ligen  die  gebrueder  Qottofridus  vnnd  Baldowinus^.  In  der- 
selben mag  man  auch  scheinparlichen  sehen  den  Felsen  Bruch,  darin 
das  haupt  Ade  funden^    Ablas  syben  Jar  syben  karen.  — 

Item  Medium  terre  in  dem  chor  der  grecen^.  Item  vor  disem 
tempel  sinnd  vier  Capelln,  die  ain  vnnser  frawen  vnnd  sannt  Johanns 
Ewangelist,  aine  allerhayligen  Enngeln,  aine  sannt  Johanns  teuffers, 
aine  sannt  Marien  Magdalenen^  Ablas  bey  Ayde  syben  Jar  syben 
karen.  — 

Item  nach  dem  Anbyß  auf  den®  tag  Juli  warden  wir  vnnser 
ettlich  gefuert  zw  ersuchen  die  wirdigen  stet  in  Jerusalem,  von  ersten 
die  kirchen  vnnser  frawen,  da  sie  zw  schul  ist  ganngen^,  ablas  syben 
Jar.  Item  die  Porten,  die  man  nennet  speciosam^,  do  der  Arm  mensch 
sannt  Peter  vnnt  Johans  bat  vmb  ain  gaub^,  vnnd  sie  anntworten, 
gellt  noch  gauben  haben  wir  nit,  begerst  aber  gesund  zu  werden,  soll 
dir  verlihen  sein,  alls  von  stund  an  ward  er  gelöst  der  krannckheit, 
ablas  syben  Jar  syben  karen.  Item  das  Haus  Simons  leprosi,  da  got 
sant  Marien  Magdalenen  ir  sünd  vergab,  ablas  syben  Jar  syben  karen. 
Item  das  Haus  was  auch  des  wegs  des  Reichen  maus,  der  Lasaro  das 
almusen  verseyi  Item  ain  Bogen  zw  memoria,  do  der  almechtig  got 
sprach  zw  den  weybem,  weinend  über  euch  vnnd  eure  kinder.  Item 
darnach  da  vnnser  frawen  geschwannd,  alls  sy  sach  ir  liebes  kinnd 
vnnder  die  schanntlichen  Schacher  verurtaylt  sein.  Da  was  ain  schöne 
kirchen  ^^,  nun  ain  Boßstal.    Da  ist  ablas  syben  Jar  syben  karen.    Item 

1)  Lüoke. 

2)  Ihie  gräber  sind  heute  nooh  erhalten  (Tobler,  Golgatha  147  fgg.). 

3)  Der  name  Qolgatha  (schädel)  stamt  nicht  von  der  form  des  hügels,  sondern 
ans  der  legende,  dass  dort  Adams  hanpt  begraben  lag  (Tobier  254—55). 

4)  Der  gUmbe,  dass  Jemsalem  der  weltmittelpunkt  sei,  der  auch  in  mittel- 
alterlichen ,,rad]carten'^  darstellung  gefanden  hat,  mht  auf  einer  falschen  übersetzang 
der  psalmstelle  74,  12;  die  fixierong  desselben  in  der  heil,  grabeskirche  ist  zu  ver- 
schiedenen zelten  ganz  verschieden  gewesen  (Tobier,  Golgatha  277,  326 — 330). 

5)  Heute  noch  unter  denselben  namen  erhalten.  6)  Lücke. 

7)  Mariae  schule.  8)  Sehr  verschieden  fbdert  9)  gäbe. 

10)  Die  kirche  Maria  de  Spasmo  (Tobier,  Topogr.  I,  450—51). 


184  RÖRBICHT 

weyter  auf  aim  tryweg^  do  die  Juden  Simonem  Giriseum  bezwangen, 
das  kreutz  zu  tragen  gotes  Herren,  syben  Jar  syben  karen.  Item  ain 
Bogen',  do  vennaurt  ston  die  zwen  Stayn,  alle  Pilatus  das  vrtail  &llt, 
vnnd  auf  ainem  Gristus  vnnser  Herr,  vnnd  auf  dem  anndem  Pilatus  stand, 
gedacht  würt  ablas  syben  Jar.  Item  das  Haus  Pilati,  ist  nun  ain  Ross- 
stall, do  got  gegayslet  worden  ist,  ablas  syben  Jar.  Aber  das  Haus  in  im 
selbs  würt  noch  bey  Zeit  in  gi*östem  Beichlistem  gebaw  gewesen  sein, 
alß  dann  erzaigt  der  Vmbkrais.  Herynn  wont  noch  bey  Zeit  der  Begennt 
der  Stat^  vnnd  zeucht  sich  von  ainem  tayl  auf  den  Beschluss  dess  tem- 
pels,  den  Ich  heraus  bey  Basten  beschawet  hab.  Item  bey  disem  das 
Haus  Herodis,  etwas  höher  gelegen  dem  Berg  nach,  auch  zerstört*, 
ablas  syben  Jar  syben  karen.  Item  ain  kirchen,  do  die  wirdigst  muter 
gepom  ward^,  ain  Hauß  Joachim  vnd  Anne,  herynn  würt  gesehen  ain 
gewelb  vnder  der  erd  mit  enngem  einganng  vennaurt  vnd  finnster. 
Da  soll  die  geburt  verlauffen,  auf  ditz  mal  last  man  nit  vil  Bilger  mer 
hinnein,  muß  gellt  zalen,  ablas  aller  sünd.  — 

Item  ain  gros  tieffe  ergrabne  grub ,  ainem  gemaurten  weyer  gleich, 
do  das  Wasser  was,  genannt  Pisina^,  das  im  Jar  ain  mal  von  dem 
enngel  gots  bewegt,  vnnd  welcher  dann  der  krannckhen  des  ersten 
darein  kam,  ward  erlediget,  do  got  auch  den  Betrysen'  gesund  machet, 
ablas  syben  Jar.  Item  die  port,  durch  wölhe  sannt  Steffan  gefuort 
ward®,  zuuerstaynigen,  syben  Jar  ablas.  Item  die  guldin  port^,  do 
der  künig  aller  könnigen  an  dem  palmtag  durch  gerytten,  ablas  aller 
sünd.  Item  das  Haus  Veronice,  gar  zerrissen  vnnd  zerstört  Ab- 
las syben  Jar.  Item  der  tempel  Salomonis,  das  mich  bey  schönestem 
bedaucht  zu  schauwen  sey  alls  zw  Jerusalem  gesehen  mag  werden. 
Wiewol  man  vnns  nit  darynn  gelassen,  hab  Ich  doch  von  dem  Berg 
Oliueti  vnnd  auß  dem  Haus  Pilati,  wie  obsteet,  souil  vermerckht,  das 
ain  schön  gebew,  vnnd  in  gros  wird  vnd  acht  gehallten,  eingemauerte, 
do  ain  weite  ist,  allain  ettlich  Bäum  halben  vnd  etlich  Stegen,  ist  er 
vast  gros  vnnd  weyt,  in  quader  gestellt,  also  das  Ich  nit  wol  verglei- 
chen kan.  Aber  meins  Bedünckhens,  das  manche  Stat  etwas  geacht, 
die  nit  so  weyt  in  Begryf  hab.  Diser  vmbkrais  ist  mit  zwölf  eingäng, 
schöner  porten,  bewart,  zw  allen  orten,  vnnder  wöUichen  manich  Am- 

1)  Das  sogenante  Triviom.  2)  Der  Dcoe- Homo -bogen. 

3)  seit  1508  (Tobler,  Topogr.  I,  231). 

4)  Eine  auffallende  angäbe,  da  dies  haos  nach  anderen  qnellen  bei  beginn  des 
sechszehnten  Jahrhunderts  als  besonders  prächtig  sich  zeigte  (Tobler,  Topogr.  1, 650—51). 

5)  Si  Annaldrche.  6)  Probatica  piscina,  der  schafteich.  7)  ahd.  bet- 
tiriso  =  beüägeriger.    Matth.  9,  2.            8)  St  Stephanstor.            9)  Porta  aurea. 


BERICHT  ÜBER  UNB  JKBT7SALKBIFAHRT  185 

pel  hanngen,  durch  welche  man  weit  zw  dem  tempel  sehen  mag,  der 
do  steet  in  mytten,  in  rundy  gepawen,  mit  vil  vnnd  manich  fennster 
geziert,  darzw  mit  lustigem  gemeel,  das  man  nennet  Musagica^  geord- 
net, von  ynnen  wais  Ich  nichtzig,  dann  Ichs  nit  besehen,  sonnst  sinnd 
auch  ander  kirchen  den  Havden  gepawen,  die  zw  vnnd  stand  nach 
In  Begrif  des  gemaurten  Beschlus.  Ist  ablas  aller  sünd.  Item  das 
Haus  Bartolomey^  do  kain  mor  inn  wonen  mag.  Item  die  Stat,  do 
Abraham  seinen  sun  Jacob  geopfert  wolt  haben.  Item  die  Eysinn 
port^.  Item  die  gefennckhnus  sannt  Peters,  da  Ich  an  seinem  tag  inn 
gewesen  bin.    Ablas  syben  Jar.  — 

Item  auf  den  drewvnndzwaintzigisten  Juli  warden  wir  morgens 
firw  gefuert  zw  fuos  gein  Bethania ,  do  vf  dem  weg  ligt  das  Haus  Judas, 
da  Er  sich  auch  erhennckht.  Daruon  auf  zwu  meyl  zw  dem  Haus 
Simonis  Leprosi,  do  das  mal  gebauten  was,  alls  Lazarus  erstannden, 
vnnd  daselbst  sancta  Madalena  den  Herren  begoß  mit  der  kostbarlichen 
salb,  daruon  Judas  geergert,  den  Herren  verryet  Weyter  zw  dem 
Hans  vnnd  grab  Lazari,  da  ist  ablas  aller  sünd.  Nahet  darbey  ain 
Hülltz  \  da  sancta  Maria  Magdalena  etlich  Jar  gebüest ,  auch  der  Stannd, 
alls  Jesus  sprach,  Lasarus  kum  herftir,  ablas  syben  Jar.  Item  ain 
guten  weg,  ain  schlangen  schuss  daruon  zw  dem  Haus  Marie  Magda- 
lene,  alls  Martha  zu  Ir  kam  sprechen,  der  Herr  ist  hye,  ablaß  aller 
sünd.  Item  auf  ain  Büchsenschuss  das  Haus  Marthe,  in  dem  der 
Herr  oSt  zw  Herberg  was,  ablas  syben  Jar.  Item  nahend  darbey  der 
stain,  auf  wölchem  der  almechtig  got  rwet,  alls  Im  begegnet  Martha, 
Sprechen,  Herr  werst  hie  gewesen,  wer  mein  Bruder  nit  gestorben, 
ablas  syben  Jar  syben  karen.  Item  auf  demselben  weg,  am  Haimer- 
keren, besuchten  wir  die  haylige  stat  des  Bergs  Oliueti,  vnnd  zum 
ersten  an  die  stat,  do  der  Herr  sannt  die  zwen  Jünger  nach  dem 
essel,  genannt  Betphage,  den  Berg  hinauf  in  die  kirchen,  do  der 
almechtig  zw  Himel  gefaren,  alls  mann  dann  in  dem  Stayn  die  fuoß 
tryt  sieht,  ablas  aller  sünd.  Darbey  das  grab  sancte  Pelagie,  vnnd 
do  sie  gebüest  hat,  ablas  syben  Jar.  Item  auf  die  Recht  Hannd  das 
Haus  Oalilea^,  die  stat,  do  der  enngel  dess  Herren  der  muter  gots 
verkhünt  Ir  Hinscheiden,  ablas  syben  Jar.  Item  alls  wir  abgestigene 
waren  zw  der  kirchen  sannt  Marco,  do  die  Apostel  den  glauben  auf- 
gesezt,  ablas  syben  Jar.  — 

1)  Musivisch.  2)  wird  nur  in  einer  einzigen  pilgersohrift    ohne  Orts- 

angabe erwähnt  (Conrady  260).  3)  Porta  ferrea. 

4)  Algemein  wird  eine  höhle  als  bnssplatz  angegeben  (Tobler,  Topogr.  II,  459). 

5)  Vgl.  Tobler,  Siloahquelle  246. 


186  BÖauoBT 

Item  darnach  zw  der  Stat,  do  der  almechtig  got  yon  dem  Jüng- 
sten tag  warzaichen  geseyt,  Sprechen,  so  Ir  werden  sehen  krieg,  den 
Brader  wider  den  anndem  anjfiston  ablas  syben  Jar.  Item  darnach, 
do  Er  das  Pater  noster  auj^s^esetzt,  ablas  syben  Jar.  Item  darnach 
zw  der  stat,  da  er  geweynt  haben  soll  vber  die  Stat  Jemsalem,  Spre- 
chen, so  du  auch  bekanntest,  würdest  auch  waynen,  ablas.  Item 
auch  zw  der  Stat,  alls  vnser  firaw  zu  Himel  gefaren,  sant  Thomas  Ir 
gürtel  empfieng,  ablas  syben  Jar.  Item  darbey  die  Stat,  do  die  him- 
lisch  königin  rwet,  alls  sie  zw  den  hayligen  Steren  gon  wollt,  ablas 
syben  Jar  syben  karen.  Item  darnach  zw  der  Stat,  da  der  erlöser 
drew  mal  gebettet,  in  ainer  wunderbarlichen  Hüly,  ablas  aller  sünd. 
Item  darnach  zw  der  Stat,  die  man  noch  bezaichnet  sieht  mit  drew 
sitzen,  alls  der  Herr  die  drew  Jünger  sitzen  liefi  zu  beten,  vnnd  sie 
darnach  in  Schlaf  fielend,  ablas  syben  Jar.  Item  nahet  darbey  zw  der 
Stat,  alls  Er  ge&nngen  gepunden  wurd,  ablas  aller  sünd.  Item  die 
stat  darnach  do  Petrus  Malcho  das  or  abhaw,  ablas  syben  Jar.  Item 
die  stat,  do  sant  Jacob  der  mynder  sich  yerpaig,  do  darnach  ain  kir- 
chen  gq^wen  ward.  Da  ligt  auch  das  grab  Zacharie  prophete,  ablas 
syben  Jar.  Item  nach  dem  zwletzst,  vnnder  dem  Berg,  zw  dem  Dörf- 
lin  Oetiisemany,  do  der  Herr  die  Acht  Jünger  lies,  ablas  syben  Jar.  — 

Item  an  demselben  tag  vnnd  ganng  warden  wir  gefuert  zu 
wissen  die  hayligen  steet  des  tals  Josaphat  Item  die  stat  do  sannt 
St^Bin  verstayniget  worden,  sieht  man  noch  scheinbarlich  in  ainem 
yelsen,  alls  er  gefiülen  für  find  vnnd  gebeten,  ablas  syben  Jar  syben 
karren.  — 

Item  den  Mus  dess  Bachs  torrens  Cedron,  der,  alls  Ich  sah, 
ganntz  ersihen ,  vnnd  nach  meinem  Bedünckhen  gar  seilten  wasser  haben 
sollt,  über  wölben  das  haylig  holtz,  der  Stammen  des  hayligen  kreutz 
lang  Zeit  ain  steg,  darüber  zu  gan,  gewesen  ist,  Nun  aber  ain  geweiht 
Staynine  Bruckh^  ablas  aller  sünd.  Item  die  kirchen  Timser  frawen, 
do  Ir  haylige  gribnus  ist,  ablas  aller  sünd.  Dise  kirch  ist  nit  hoch 
auf  dem  ertrich,  Aber  hinnab,  ob  Tiertzig  staffidln*,  zimlich  weyt,  da 
im  Hinnabgon  auf  die  rech(t)  seit  begraben  sannt  Joachim,  vnnd  zw  der 
linckhen  der  halben  stegen  sannt  Anna,  zw  vnnderst  ain  vinster  geweiht 
tabemacül  mit  zwayen  tümen  stet  das  haylig  grab,  in  grossen  eeren 
vnnd  wirden  von  Moren  gdiallten',  nit  vil  mynder  dem  hayligen  grab 

1)  Es  ist  die  ontore  bröoke  gemeint 

2)  Andere  angaben  bei  ToUer,  SiloahqaeUe  150. 

3)  Also  die  Abyssinier,  wibrend  sonst  die  Fnmnslraner  als  besitzer  erwihnt 
werden  (ebd.  152  %.). 


BKBIOHT  ÜBBB  UNS  JBBÜSALBHFAHBT  187 

Giisti,  mit  Ampeln  vmid  liechtem  bezündt,  das  auch  den  moren  gros 
Zaicben  beweist  Dise  kirch  stet  nachend  zw  dem  Olberg.  Item  auch 
das  grab  Joseph,  ain  gemahel  Marie,  ein  in  ain  velsen,  ablas  syben 
Jar.  Item  zw  der  rechten  Hannd  ain  thum,  in  wölichem  der  konnig 
Josaphe  begraben  ligt^,  ablas  syben  Jar  syben  karen.  — 

Item  auf  den  vier  und  zwaintzigisten  tag  Juli  des  morgens  wur- 
den wir  gefuert,  die  andachtigen  stet  zu  suchen  des  tals  Siloe,  in  des 
ersten  zw  dem  Ackher  dess  bluts,  kauSt  vmb  die  dreyssig  pfennyng, 
wölcher  mit  nun  grossen  löchern  bezeünet,  die  do  gonnd  in  tieffe  ains 
gewelbs,  darein  man  die  leichnam  werffen  was^,  ablas  syben  Jar.  Item 
zw  ainer  Hülyn,  do  die  Jünger  verborgen  lagen,  zw  der  Zeit  der  des^ 
Gristi  bis  zw  der  auferstenntnus,  ablas  syben  Jar  syben  karen.  — 

Item  die  stat,  do  Ysaias  zerseget  vnnd  gemartert,  da  auch  sein 
begrebnus  was,  ablas  syben  Jar.  Item  darnach  zw  ainem  grossen 
gepew  mit  vil  vnd  wunderbarlichem  gewelb,  die  do  weit  in  borg  sich 
streckhen,  würt  geseyt  gewesen  sein  das  Haus  der  müntzung  Salomo- 
nis^.  Durch  ditz  luef  in  tyeffe  der  Aus  Syloe,  da  sich  der  Blind  ge- 
weschen ynd  darnach  sehen  ward,  ablas  syben  Jar.  Item  darnach 
zw  dem  Brunnen  Syloe,  da  die  wirdig  muter  gots  dem  zarten  kind- 
lein sein  Bewickhlung  wuosch.  Diser  Brunn  ist  wunderbarlich  gehawen, 
in  ainen  Berg,  der  hat  ain  außganng,  durch  denselben^  durch  graben, 
daruon  kumbt  Natatoria  Syloe,  ablas  syben  Jar.  — 

Item  auf  denselben  tag  zw  aubend  spat  warden  wir  aber  gelas- 
sen in  tempel  des  grabs  Gristi,  da  dann  nach  ains  yetlichen  Inbrün- 
stigkait  andechtigkUch  gebeten  ward,  vnnd  vmb  mittennacht  angefan- 
gen vil  heyliger  messen  gehallten,  alls  morgen  zwu  stund  in  tag  wider 
außgelassen,  ablas  aller  sünd.  — 

Item  auf  disen  tag  warden  mir  gezaigt  ordenlichen  nach  ainander 
die  hayligen  stet  dess  Bergs  Syon  ausserhalb  des  pflasters.  Item  die 
stat,  do  sant  Mathias  in  die  Zal  der  Apostel  erweit,  ablas  syben  Jar 
syben  karen.  Item  die  stat,  do  sant  Jacob  der  mynder  in  ain  Bischof 
zw  Jerusalem  erweit  worden  ist,  ablas  syben  Jar.  Item  die  stat,  do 
die  muter  gots  gesalbet  ward  nach  Irem  seligen  sterben,  ablas  syben 
Jar.  Item  die  stat,  do  die  erst  kirchen  gestannden  der  weit,  do  der 
würdigen  Junckhfraw  Marie  vierzehen  Jar  wonung  erkhennt  würt  nach 

1)  Vgl.  Tobler,  Siloahqnelle  309. 

2)  Hakeldama;  die  beschieibung  der  dortigen  grablöoher  siehe  bei  Tobler, 
T6pogr.  n,  264.  3)  Lücke. 

4)  Diese  angäbe  findet  sich  nur  noch  in  der  jüdischen  legende  (Tobler,  Siloah  26). 

5)  Lücke. 


188  BÖHBIORT 

dem  todt  ynnd  sterben  Irs  lieben  sons,  da  sie  auch  auß  diser  Zeit 
verscheiden,  ablas  aller  sünd.  Item  die  Stat,  do  sannt  Johanns  euan- 
gelist  yU  mal  meß  gehallten  der  vnbefleckhten  Muter,  ablas  syben  Jar 
syben  karen.  Item  die  stat,  als  do  stand  die  betniebt  muter  vnnd 
Junckhfraw  vor  dem  Haus  Cayphe,  zu  merckhn  die  straych  vnnd 
Schmach  Irem  aller  liebsten  Sone  on  vnndterlaß  angethon  warde,  ablas 
syben  Jar.  Item  das  Haus  Cayphe,  do  got  der  vnschuldig  so  gros 
vnnd  hart  Marter  geliten,  von  seinen  Jüngern  verlögnet,  die  stat  man 
augenscheinlich  sieht,  do  auch  der  Han  gestanden.  Dis  Haus  ist  nun 
ain  kirchen  genannt  sant  Saluator^,  da  auf  dem  fron  altar  der  gros 
stein  ligt  des  grabs  Gristi.  Auf  die  recht  Hannd  ain  Hülyn,  darynn 
das  haylig  lamb  gefanngen  lag  bis  zw  tag,  ablas  aller  synd.  Item  die 
stat,  alls  der  Herr  sandt  vnnd  zertailt  die  Apostel  in  die  gantzen  weit, 
ablas  syben  Jar.  Item  do  sant  Steffan  zum  anndem  mal  begraben  mit 
sant  Gamahele,  Nicodemo  et  Abibon  ^,  ablas  syben  Jar.  Item  die  stat, 
do  das  Osterlamb  gebrotten,  ablas  syben  Jar.  Item  die  stat,  do  got 
den  Jüngern  prediget,  nahend  darbey  die  stat,  alls  die  Himlisch  künig 
zuhört  den  haylsamen  werten  Irs  lieben  sons,  aßlas  syben  Jar.  Item 
nahend  darbey  das  grab  Dauid,  Salomonis  vnd  der  anndem  konnigen. 
Item  die  stat  an  dem  kloster  nehest,  do  die  himlisch  königin  Ir  Bet- 
haus hielt,  ablas  syben  Jar.  Item  die  stat,  alls  die  Juden  den  leich- 
nam  der  muter  der  Barmhertzigkait  berauben  weiten^,  alls  sy  in  zw 
grab  trugen,  vermainen,  ablas  aller  sünd.  Item  die  kirchen  aller  enn- 
geln,  die  ist  gesein  ain  Haus  Anne  principis^,  in  wölhem  der  Herr 
vnnder  annderm  pein  vnnd  schmach,  den  horten  straich  empfanngen 
hat  vnnder  das  wunsam  anntlütz.  Da  ist  ain  alter  Ölbaum,  an  weihen 
Er  gebunden  worden  ist,  bis  man  den  forsten  der  priester  aus  dem 
schlaf  erwackht,  ablas  syben  Jar.  — 

Item  die  stat,  aUs  sannt  Peter  dess  Herren  verlaugnet,  in  sich 
selber  schlug,  rwet  vnnd  wainet  innenklich,  do  auch  ain  stoltz  schön 
kirchen  gestannden,  ablas  syben  Jar  syben  karen.  Item  ain  kirchen, 
in  welcher  sannt  Jacob  der  morer  ennthauptet,  ablas  syben  Jar  syben 
karen.  Item  die  stat,  alls  der  Herr  den  drey  Marien  erschin,  spra- 
chen: Auete,  seind  gegrüest,  ablas  Syben  Jar  syben  karen.  — 

1)  Vgl.  Tobler,  Topogr.  ü,  156. 

2)  Tobler,  Golgatha  356. 

3)  Tobler,  Topogr.  ü,  128  fgg. 

4)  Das  haus  Hannas  oder  zu  den  engein,  bei  den  Arabern  olbaomklosier 
genant;  vgl.  ebenda  11,  364. 


BESICHT  ÜBKB  EINX  JSRXJ8ALK1IFAHBT  189 

Item  den  f&nfvndzwaiiitzigisten  Juli  vf  die  nacht  sind  wir  gefa- 
ren  gein  Betlahem,  daselben  die  heyligen  stet  gesucht  vnnd  gesehen^. 
Item  zum  ersten  auf  dem  weg  das  Haus  Simonis,  der  den  Herren 
beschniten  ynnd  vnder  seinen  Armen  gehallten,  ablas  syben  Jar.  Item 
an  dem  weg  ain  Baum,  darunder  die  Haylig  Junckhfraw  ruet,  kumen 
von  Betleem,  ablas  syben  Jar.  Item  darnach  auch  auf  dem  weg  drew 
Zisternen,  do  bey  der  stem  wider  den  drew  könnigen  erschin,  ablas 
syben  Jar.  Item  die  stat  auch  an  dem  weg,  do  der  enngel  Abagug 
nemen  was  bey  dem  schöpf,  füren  In  gein  Babylonia  in  die  löwen 
gruben  zw  Daniel,  ablas  syben  Jar.  Item  ain  kirchen,  do  geporen  ist 
der  prophet  Elias,  ablas  syben  Jar.  Item  das  Haus  Jacob  des  Patriar- 
chen, ablas  syben  Jar.  Item  das  grab  Rachaelis,  ain  hausfiraw  Jacob, 
ablas  syben  Jar.  Item  in  Betlehem  außwendig  dess  Dorfe  ain  aller 
schönst  kirchen  gewesen  vnnd  noch  ist,  doch  nit  in  paw  gehalten. 
Herynn  sind  die  heiige  stet,  zw  denen  wir  gefuert  wurden  mit  ainer 
andechtigen  proceß^,  der  kirchen  erben  zw  der  stat,  do  der  almechtig 
beschniten,  ablas  aller  sünd.  Damach  zw  der  stat,  alls  sich  bereyten 
die  Hayligen  könnig  zw  dem  opfer,  ablas  syben  Jar.  Item  darnach 
in  ain  krunfft,  etlich  Staffel  ab,  in  ain  Hypsch  Gapeil,  do  vnnder  ainem 
altar  die  stat  ist,  do  vnns  das  haU  vnnd  abwaschung  ynnser  sünd 
geporen  ward,  ablas  aller  sünd,  nahend  darbey  die  stat,  alls  Er  zwi- 
schen die  vnnuemünffügen  thier  in  die  krippen  geleyt  ward,  gar  orden- 
lich mit  ainem  Marmel  geziert,  darin  funden  yermerckht  würt  ain 
schön  Bedeutnus  ainer  Figur  sannt  Jheronimus,  ist  auch  ablas  aller 
sünd.  In  derselben  Capellen  zw  hinderst  ain  loch,  bezaichnet  mit 
ainem  Marmel,  do  der  stern  sich  versanckht  wunderbarlich,  ablas  syben 
Jar.  Item  von  dannen  durch  ain  gehawen  Berg  zw  dem  grab  der 
vnschuldigen  kindlin,  das  seltzam  zu  sehen  ist,  ablas  syben  Jar  syben 
karen.  Item  vnnd  alls  solichs  gescheen,  fürt  maus  in  die  Gapell  sannt 
katerinen,  verkhünden,  das  do  selben  die  gnad  zu  erlanngen  wer,  mit 
aller  Yerzeichupg,  alls  ob  man  zw  dem  Berg  Sinay,  do  die  haylig 
Junckhfraw  leibhaffk  ligt,  zu  erlangenn  wer.  Hierumb  wer  etwar  ein- 
fart  het,  wolt  maus  im  abnemen,  sach  aber  niemands,  der  sich  lies 
desselben  absoluieren.  Also  was  eben  spät,  ward  den  Bylgem  von  den 
Vätern,  daselbst  wonen,  gegeben  ettlich  wein.  Also  macht  man  Cola- 
tion'.  Darnach  vmb  mitennacht  ward  haylig  Meß  vnnd  Ämbter  ge- 
hallten. — 

1)  Die  hier  genanten  heiligen  orte  sind  in  allen  pilgersohnften  ohne  abwei- 
chongen  aufgezählt. 

2)  Lücke.  3)  oollation,  firühstiick. 


190  BÖHBIOHT 

Item  die  Heyligeu  stet  werden  gesehen ,  ligen  rmb  Betleem  nahend 
Item  die  Hüly,  daiinn  die  wirdig  Muter  Ir  lieb  kinnd  ain  lanng  Zeit 
gesügen  hat,  vor  dem  könnig  Herodi,  auß  welchem  etüich  steyn,  die 
man  nennet  die  Milch  vnnser  frawen,  sinnd  gut  zu  brauchen,  so  ain 
fraw  Ir  milch  verleurt,  gegeben  in  ainem  wein  oder  brüe^  Item  die 
stat,  alls  der  enngel  gots  den  Hirten  die  gepurt  verkhünt,  da  auch 
gesungen  wart  Gloria  in  excelsis  deo,  an  derselben  stat  hat  darnach 
gewonnt  die  lieb  Junckhfraw  Eustachia  mit  Ir  geselschafft.  Item  dar- 
gegen  an  ainem  Berg  ain  annder  Gloster,  do  Ir  Muter  Paula  gewonnt 
Item  die  gegen  dess  grabs,  da  ligen  die  zwölf  propheten.  Item  der 
Berg,  do  Dauid  Oolyam  erschlug.  Item  ain  tal,  da  vor  Zeiten  der 
SLaylig  Abbt  Sabbe,  mit  sambt  vierzehen  tausent  Brüdern,  gewonnt 
soll  haben,  Nim  nit  ainer.    Darbej  das  kloster  Agathonis  dess  Abbts.  — 

Item  am  sechsvnndzwaintzigisten  tag,  der  do  was  sannt  Jacob 
des  Apostels  sind  wir  durch  Betlaem  durch  Rauh  ynnd  Birgig  weg 
gefaren  in  das  gebürg  Montana  Judea  geheyssen.  Alls  yf  die  Newndt 
stund  kamen  wir  zw  ainem  Brunnen,  do  wir  ain  weyl  Bweten  vnnd 
erlabten  des  kallten  wassers.  Bey  disem  sagt  man  geteuft  haben  sannt 
Fhiüppus  AposÜ  Eunichum^,  Ton  dannen  aber  ain  Bauhen  weg,  Berg 
auf  vnnd  ab  vnnd  durch  ain  vngepawen  staynet  lannd,  kamen  wir 
zw  dem  Haus  Zacharias,  in  wölhem  Elisabeth  besuecht  ward  von  der 
himlischn  könnigin,  da  sich  wunderbarlich  Ding  verluof,  alls  man  list 
in  der  geschrifft,  vnd  auch  do  das  Magnificat^  erdacht  worden.  Die 
stat  ist  etwas  in  ainem  Nydem  gemach  gewesen,  ablas  aller  sünd. 
Item  auf  diser  die  stat,  alls  Zacharias  begert  den  schreybzeug  vnnd 
schreiben  was,  Johannes  ist  sein  Nam,  vnd  von  derselben  stund  an 
ward  auf  thon  sein  mund  vnnd  gestelt  das  Benedictus  dominus  Israel  ^ 
ablas  aller  sünd.  — 

Item  ain  guten  weg  daruon  die  kirchen,  die  vor  Zeiten  schön 
gewesen,  Nun  aber  ain  kwstal,  darynn  der  heylig  Johannes  der  teufer 
gebor n,  in  ainer  finstem  hylen,  ablas  aller  sünd.  — 

Item  am  Haymfaren,  nachend  bey  Jerusalem,  ain  schön  kloster, 
darynn  etlich  Gristen  wonen,  genannt  Oophty,  vnnder  dem  fron  Altar 
ward  vnns  bewisen  ain  loch,  do  das  Haylig  kreutz  Cedrus  gewachsen 
sein  soll^  — 

1)  Die  sogenante  milchgrotte;  znr  sage  vgl.  Tobler,  Bethlehem  234  fg. 

2)  Den  Eunachen,  IcämmeFer  aus  dem  mohrenland.    Apostelgesch.  8,  27. 

3)  Luc.  I,  46  fgg.  4)  Lac.  I,  68  fgg. 

5)  Das  kreuzkloster  (Tobler,  Topogr.  n,  733),  in  dessen  besitz  1519  die  Grie- 
chen waren,  während  unsere  queUe  die  Kopten  als  besitzer  nent  (ebd.  738). 


BESICHT  ÜBKH   EINK  JBBÜ8ALEMPAHBT  191 

Item  auf  den  syben  ynd  zwaintzigisteii  tag  Juli  zu  nacht  sind  wir 
aber  eingelassen  worden,  die  gnad  der  Heyligen  steten  zw  erlanngen. 
In  derselben  nacht  man  bey  vier  und  zwaintzig  zw  Kiter  schluog  \  der 
man  hernach  mir  zw  Memoria  gestelt  wurd.  Ich  was  auch  in  der 
Capell,  alls  man  Ritterlich  beziert,  mit  güldin  kettin,  sporen  ynnd 
Schwert,  weder  das  Ich  das  glückh  nit  haben  könnt,  auß  ainem  paum 
ain  herren  zu  erweit  werden.  — 

Item  auf  den  Acht  vnnd  zwaintzigisten  tag  Juli  vmb  Yesper  Zeit, 
ward  yederman  bestimpt  zu  faren  vnnd  besuchen  den  Hayligen  Aus 
Jordan,  also  beliben  etlich  doch  wenig,  Byten  dieselb  nacht  durch  bis 
gein  Jericho,  daselbst  man  etwas  wenigs  aß  vnnd  tranckh.  Damach 
eylends  wider  auf,  vnnd  kamen,  alls  die  sunn  auf  gieng,  zw  dem  Hay- 
ligen Aus,  do  sich  dann  ettlich  Araber  sehen  Hessen,  hierumb  wir 
ynns  nit  lanng  saumpten,  auch  stund  vnns  ain  Bylger  ab,  der  do 
ertranckh  von  den  anndern  schyf,  warden  daruon  auch  die  Bilger 
erschreckht,  vnnd  nit  vnbillich,  wann  es  schnelligklichen  zugieng.  Ich 
het  den  armen  Menschen  erwüscht  bei  dem  Har,  mocht  Im  aber  nit 
zw  lannd  helfen,  dann  Ich  besorgt,  würd  mich  auch  ergreyffen,  könt 
ich  dann  nit  mer  von  Im  komen,  got  helf  der  sei*.  — 

Item  alßbald  legt  sich  menigklichs  wider  an,  zogen  hinder  sich 
zw  der  stat,  die  man  nennt  karanthana',  zu  ainem  Brunnen,  do  Eli- 
seus  das  ysin  einwarf  vnnd  schwimmen  macht,  vnnd  alls  wir  dar  kamen 
auf  den  Mittag,  heten  wir  erliten  ain  grosse  hitz,  waßen  sich  etlich 
Bilger  erfiristen  in  dem  Bach,  das  darnach  zw  übel  erschos,  dann  gar 
manicher  kranckh  ward,  auch  etlich  stürben  darnach.  — 

Item  als  wir  etwas  geessen  vnnd  trunckhen,  waren  vnnser  etlich 
der  Bilger,  die  nit  achten  die  gros  Hitz,  steigen  auf  den  hohen  sorgk- 
lichen  Berg,  do  der  almechtig  viertzig  tag  vimd  nacht  in  ainer  wun- 
dersamen Hülyn  gefastet  hat,  bey  der  sonst  auch  vil  annder  Hülyn 
seind,  darinn  noch  vil  Haylig  männer  vnns  hören  sterben,  gelebt  haben 
hertigklich,  ablas  aller  sünd.  Zw  oberst  dess  Bergs  ain  Gapeil,  do  der 
teufel  den  almechtigen  versuchen,  was  sprechen,  so  du  mich  anbetest, 
gib  Ich  dir  vnnderwürflich  alle  dise  Reich  ^  Da  sieht  man  die  gegnen 
aller  wellt,  ist  ablas  aller  sünd.  — 

1)  Merkwürdigerweise  erwähnt  Ottheinrich  377  diesen  ritterscblag  nicht 

2)  Vgl.  Ottheinrich  378. 

3)  Der  berg  der  versachong  Quarentana,  ai'ab.  Kmiintal.  4)  Erfrischten. 
5)  Nach  den  übrigen  berichten   (Tobler,  Denkblätter  ans  Jerosalem  715  fg.) 

war  im  sechszehnten  Jahrhundert  dort  keine  kirche  noch  kapelle  mehr,   sondern  nur 
ein  trümmeriiaofen. 


192  RÖBBIGBT 

Item  auf  dem  weg  würt  diB  gesehen  von  Hayligen  steten.  Zum 
ersten  das  Closter  Joachim,  alls  Er  wonen  was  vnnder  den  hirten, 
nach  der  außtreybung  dess  tempels.  Item  die  stat,  alls  ain  Man  komen 
Yon  Jericho,  ward  angryffen^yon  den  Räubern.  Item  die  stat,  alls  ain 
Blynnd  sitzen  bey  dem  weg  gein  Jericho,  schreyen  was  zw  dem  ber- 
ren,  0  ain  sun  David,  erbarm  dich  mein.  Item  zw  Jericho  das  Haus 
Zachee,  darynn  der  herr  empfangen  ward.  Bey  disem  ablas  syben 
Jar  syben  karen.  — 

Item  das  Closter  sancti  Johannis  Baptiste,  das  yf  ditz  mal  etwas 
weyt  von  dem  Aus  dess  Jordans  stat,  da  ist  auch  die  stat  gewesen  der 
teufEüng  Cristi,  ablas  aller  sünd.  Nahend  bey  disem  sieht  man  das 
tod  mer,  alls  die  fünf  stet  versunckhen.  Item  an  dem  anndem  teü  des 
fluss  faht  an  die  gros  wüsten  in  Egipten.  — 

Item  auff  den  Newnunndzwaintzigsten  tag  Juli  vor  tag  kamen 
wir  vast  vnnd  hertigklich  beschwert  von  hunger,  durst  und  schlaff 
dann  in  drew  nachten  mit  den  tagen  nichtzig  geschlafen,  auch  etlich 
Tbel  geessen  vnnd  trunckhen,  wider  gein  Jerusalem.  Rweten  den  tag 
vnnd  die  nacht  also.  — 

Item  auf  den  dreyssigisten  tag  Juli  luden  die  väter  des  Bergs 
Syon  die  Bylger  zu  gast,  vnnd  alls  im  aufheben  beschah  ain  ermanung 
an  die  Bylger,  das  sie  Ir  Almusn  mit  Raychten  nach  ains  götlichen 
Yermügn,  do  durch  die  Haylig  stat  bewart  vnnd  die  Brueder  narung 
haben  möchten.  Also  ward  angehebt  ain  erber  Summ,  doch  sollten 
die  Brueder  leben,  auß  dem  das  Ich  sach  die  welschen  geben,  würden 
nit  alls  fayst  packhen  tragend  — 

Item  auf  den  Ainvnnddreyssigisten  tag  Juli  vermainten  wir  hin 
von  Jerusalem  zu  scheiden.  Also  ward  vnnser  patron  mit  ainer  kranck- 
hait  beschwert,  die  do  werdt  in  driten  tag.  Also  ward  vnnser  hinfart 
verzogen  bis  auf  den  driten  tag  Augusti.  Darzwischen  kam  Ich  Zwir- 
net in  den  Tempel  dess  Hayligen  grabs  mit  bezalung  vier  Marckhet', 
schieden  also  auf  den  genanten  driten  tag  Augusti  auf  den  aubend  von 
der  Hayligen  stat.  Aber  von  Bösen  leuten  kamen  derselben  nacht  zw 
herberg  bey  ainem  prunnen  zehen  meyl  von  der  Stat,  haist  Föns  Jere- 
mies Item  auf  den  vierden  tag  Augusti  zw  mittag  kamen  wir  gein 
Bama,  do  wir  behallten  wurden  zwu  nacht  in  gros  sorglich  vnrw,  dann 
wir  besorgten  Hunger  vnnd  Durst  müsten  leyden,  unnd  alls  auf  den 

1)  Dass  viele  pilger  sich  undankbar  gegen  die  gastlichen  mönche  zeigten,  ist 
anch  sonst  bezeugt  (RM.  29). 

2)  Ein  marchetto  ist  Vt  weisspfennig ;  vgl.  RM.  16. 

3)  Heut  Koriet  el-Aneb  (Tobler,  Topogr.  II,  748). 


■r.«     .»    .  ..       .»^M 


BERICHT  ÜBER  EIinE  JBSÜBALBMFAHBT  193 

• 

sechsten  tag  dess  Morgen  warden  wir  zu  reyten  bestimpt,  auf  solichs 
was  yederman  auf,  mnd  alls  wir  ain  wenig  für  die  Herberg  hinaus, 
warden  wir  wider  zurückh  getryben,  der  do  der  Hinderst  was,  empfannd 
wol  der  straichen,  mußten  wider  in  die  beschlossn  Behalltung  auf 
zwu  stund.  Also  darnach  was  man  wider  auf,  vnnd  kamen  auf  Mit- 
tag gein  Ja&t,  musten  daselben  beleyben  bis  nahend  zu  nacht,  war- 
den etlich  vbel  geschlagen,  doch  mir  beschach  nichs  von  den  gnaden 
gots.  Etlich  fuoren  von  stund  an  zw  schif ,  schannckhten  aber  zwen 
Marcel^  für  den  Man,  das  der  merertayl  der  Bilger  nit  thun  wollt,  wir 
ließen  vnnsem  patron  von  etlichs  spanswegen  zu  Bama,  der  behalten 
ward  auf  etlich  tag.  — 

Item  als  sechs  tag  Augusti,  auf  die  nacht  wie  obstet,  kamen  wir 
wider  zu  schif  vnnd  warden  also  verhallten  bis  auf  den  zehenden  tag, 
das  wir  nichs  vememen  kunten  von  Ynnserm  patron,  der  zw  Bama 
verhallten  was'.  Deßhalb  ain  vnrw  zwischen  den  Bylgem  ennstund. 
Etlich  vermainten,  verschaSt  werden,  mit  gewalt,  die  segel  au£suzie- 
hen  vnnd  daruon  ze  faren,  was  vnns  zw  ...^  er  helfen  seit,  den  patron 
solatieren^,  oder  syn  kaufinanschatz  vertreiben  oder  verenndem.  Etlich 
vermainten,  das  lannd  hinauf  zu  faren  vnnd  In  mit  gewalt  erobern, 
alls  vor  auch  beschehen  ist,  mit  ertödten,  was  man  findt,  etlich  böser 
zu  sein,  ain  gewiß  erfarung  vnnderston  zw  haben,  ob  schon  etwas 
kosten  würd,  vnnd  so  man  dann  gewiß  vemomen,  den  gedachten  patron 
auf  Damasco  geryten  sein,  solt  vnnd  möcht  man  dan  darzw  thun, 
vnnser  weg  zu  faren.  In  diser  red,  die  zwen  tag  gewert,  vnnd  als 
auch  etlich  dess  schifs  Begirer  nit  ains  werden  konnten,  welcher  patron 
sein  sollt,  dann  ain  y etlicher  dess  Begennts  begeret,  das  zuletzst  mit 
Harraufen  gericht  ward.  Ainer  dess  schifs  schreyber,  ain  gestannder^ 
Man,  zoch  oder  ryß  ain  Zan  auß  dem  Mund,  zu  bedeuten,  vngerochen 
nit  lassen  hingen  gogen  ainem  Jungen,  des  Patrons  knecht,  der  mit 
Im  gereufft  hat  Inn  solichem  auf  den  Mittag  des  obgenannten  zehen- 
den tags  Augusti  ward  vnns  aygenntlich  gewysen,  den  vilgedachten 
patron  am  Lannd  zu  sein,  der  auch  von  stund  an  hernach  komen 
wurd,  alls  beschach  auf  zwu  stund  hernach.  Da  wurden  ettlich  Inn 
begrüessen,  etlich  nit,  wann  sy  maynten,  wo  Er  het  wölln,  wer  man 
zw  derselben  Zeit  in  Gipem,  dann  es  sich  darzwischen  vil  guts  winds 

l\  Ein  marcello  ist  c.  5  reichspfennige  (RM.  16). 

2)  Über  den  wahren  grund  siehe  die  genauen  nachrichten  unten  im  zweiten 
texte.  3)  Lücke. 

4)  Ob  sooUare,  losmachen? 

5)  eifkhrener,  entschlossener;  vgl.  Mhd.  wb.  U,  2,  576. 

ZDT8CHRZFT  f.   DKUT8CH1  PHOOLOOU.      BD.   XXV.  13 


194  BÖHBIOHT 

verlauffen  hat,  satz  sich  also  alle  ding  nyder,  ynnd  auf  gutem  weg 
belyben,  das  nit  weyter  red  enntstund.  Darnach  gar  bald  ward  man 
die  segel  aufziehen,  zu  rüsten  vnnd  sich  keren,  wo  wynnd  kam,  hin- 
zufaren.  Item  alls  auf  denselben  zehennden  tag  nach  Mitnacht,  bekhain 
ain  wind,  lies  man  die  segel  fallen,  ain  yetlichn  nach  einander  mit 
seinem  zugehörenden  geschrey  vnnd  gesegen,  die  dann  die  Harinary^ 
nach  gewonhait  her  zw  haben,  so  sy  von  ainer  port  zu  schiffen  ver- 
mainen.  AUs  gegen  tag  warden  wir  getryben  so  weit,  das  man  das 
Haylig  lannd  nit  dann  von  ferren  sehen  möcht,  schifften  also  fürt, 
vnnd  yf  die  nacht  stund  aber  Bonatza  an,  der  do  wert  die  nacht,  mit 
sambt  dem  zwölften  tag  Augusti,  das  wir  gar  wenig  des  wegs  gestreckht 
wurden.  Herzwischen  verluren  wir  Vnnser  milgespanen*,  die  Bartzot- 
ten ^,  das  wir  In  Ton  ferren  nit  mer  sehen  konnten.  — 

Item  dieweyl  mir  nichs  von  der  heyligen  stat  bißher  innsunders 
zu  bedencken  gesetzt,  das  Ich  doch  leychtlich  vergessen  würd,  schafft 
krenckhe  meiner  gedechtnus,  will  Ich  mir  ditz  kürtzlich  zw  ainer  Me- 
moria. Die  Haylig  Stat,  alls  nun  sichtbar  steet,  hindan  gesetzt  was 
zerstört,  von  dem  Ich  nichs  acht,  dann  alls  vil  es  gillt,  ertrich  vnd 
steyn,  ist  gepawen  von  oben  des  Bergs  Syon,  streckhen  sich  hynnab 
zu  tal,  das  man  nennet  Josaphat,  doch  nit  gantz  dann  noch  ain  zim- 
liehe  Höhin  ist,  bis  zw  vnnderst  dess  Bergs,  do  dann  der  Bach  Gedron 
sein  Aus  hat,  an  welchem  stet  der  Oliueti.  An  wölhem  ort  auch  gar 
kain  wonung  sind  dann  der  Tempel  dess  hayligen  grabs,  vnnser  frawen 
vnnd  die  anndem  hayligen  stet,  die  oben  bedeut  stond,  mitsambt 
etlichen  allten  gräbem,  vnnd  harumb  ligt  die  gedacht  heylig  stat,  wol 
zwischen  zwayen  Bergen.  Auf  ditz  mal  aber  ist  kain  wonung,  allain 
den  Berg  Syon  hinnab,  welher  stat  vmbkreis  vnnd  weyte  mich  bedaucht, 
vergleicht  mögen  werden  ainer  zimlichen  stat  in  vnsem  lannden,  alls 
Zürich  oder  Bern,  Irs  gebawes,  aber  gar  nichs  in  eren,  mag  wol  vor 
Zeiten  ain  herlich  Ding  gesehen  sein  worden,  dünckht  es  mich  doch 
der  Gristen  munier  vnnd  wonungen  nit  vergleichen  mögen,  das  Ich 
herauß  nym  von  den  vnndersten  gewelben,  die  nit  wol  haben  zerbro- 
chen mögen  werden,  darynn  noch  die  leut  wonhafft  sind,  die  gar 
schlecht  zugerüst  Darzw  so  man  gat  auf  den  Marckht,  den  man  nen- 
net Magar^,  der  gar  in  gewelb  stat,  in  ainer  grossen  weyte,  dardurch 
manich  stras  geordnet,  an  etlichen  sitzen  die  kaufleut,  an  etlichen  die, 
die  Baumwollen  verkaufen  vnnd  sie  ar halten,   an  etlichen,   di^  kraut 

1)  marinaro  ital.  matrose.  2)  reisegenossen. 

3)  Parzotto  ist  der  name  des  zweiten  pilgerschifs  (Ottheinrich  378). 

4)  bazar. 


BESICHT  ÜBIB  BINB  JEBUSAIJDfPAHBT  195 

Yimd  Obs  fayl  haben,  an  etlichen  die  handtwerckhsleut,  synd  doch  die 
lädlin  oder^  derselben  Innwoner  so  enng  vnnd  klain,  das  wol  ain 
schein  hat,  nit  sonder  gewesen  sein  solle,  dann  die  ledlin.  Haben  nit 
thtLren,  noch  ander  außgenng,  dann  allain  ain  Bogen,  darynn  der  Inn- 
woner sein  Armut  beschleust,  mit  etlichen  Brytem  verstellt  Daseiben 
mus  Er  auch  auß  ynnd  einsteigen,  diser  arbaytseligen  Hülin  seind 
mer  dann  die  halben  nit  wonhafft,  sollt  Ich  dann  sagen  von  den  . .  .*  der 
Juden,  die  nit  bösers  verdient,  möcht  es  menigklich  erparmen,  so 
grossem  vnlust  vnnderligen,  darzw  von  dem  vrtail  gots  besorgt  schon 
verdambt  werden,  wolhe  von  ainer  Hülyn  in  die  annder  fliehend,  so 
sie  sehen  in  der  anndem  vnüats  halber,  oder  das  niderfollen  wollt, 
nymen  wonen  mtigen.  Der  anndem  Innwoner,  alls  türckhen  oder 
Moren,  wie  sie  leben  oder  wanndeln  in  grossem  ellennd,  will  Ich  für- 
gon.  Allain  mich  erbarmt  Lrs  lebens,  gleich  der  Armen  vnnd  der 
Reichen.  Des  will  Ich  sie  gelobt  haben,  das  mer  trew  einander  bewey- 
sen  vnnd  thund,  dann  manch  cristen  gemuet  gegen  seinem  nebenmen- 
schen thun  möcht,  was  soll  Ich  sagen,  die  synd  Übel  behaust,  ärm- 
klichen  bedaidt  vnnd  noch  aller  schlechtigist  gespitzt^,  darzw  in  her- 
terer  obrigkait  gehallten.  Also  das  Ich  sagen  möcht,  weren  in  alln 
vnselig,  Allain  das  sy  gnugsamlich  mit  Betheusem,  die  sie  nennen 
Muschoga^  versehen  sind,  deren  sie  vil  hin  vnnd  her  aufgericht  haben, 
gantz  weis  bekleidt  oder  gemalt,  darbey  sie  dann  Ir  abgestorbnen  ver- 
graben. Dis  stet  seind  vnns  cristen  verpoten  zu  berüren,  vnnd  das 
Ich  mer  Ir  weis  bedeut,  sind  dis  nit  so  wanndelbar  zu  uerwanndeln 
von  Zeit  in  Zeit  Ir  klaidung,  alls  etlich  wir  Cristen,  sonders  bekleidt 
sich  der  man  in  ain  lanngen  Bockh,  zw  den  knoden  Im  stossend^, 
darunter  ain  lang  Hembd  habend  vom  wullen  oder  tuch,  sein  köpf 
nach  Vermögen  mit  aim  Bainen  vast  weyssen  subtylen  langen  schlayer 
oder  vast  groben  Duch  vmbunden,  so  seind  h\  auch  zway  bar  schuech 
mit  eyssen  beschlagen,  ain  Jar  lanng  werend.  Der  Frawen  wat,  deren 
Ich  etwan  Zwaintzig  oder  Yierundzwaintzig  min  einander  zw  Iren  Bet- 
heussem  gon  gesehen  hab,  seind  gemainlich  all  mit  ainem  vast  weys- 
sen raynen  tuch  vmbzogen,  das  man  In  nichs  sehen  ist,  allain  die 
fües,  das  angesicht  mit  ainem  schwartzen  seydin  tüchUn  verdeckht 
Ynnd  dis  in  der  stat,  in  den  Dörffem,  oder  auf  dem  Lannd,  vast 
ellendigklich  mit  klaidung  versehen.  Dis  arm  volckh  ist  ain  wenig 
gellt  hanndlen,  wolhe  sie  nennen   serafi^,   sind  Ducaten,   Medini^  Ir 

1)  2)  Lücke.  3)  gespeist  4)  mosoheen. 

5)  mit  knoten  ihn  befestigend?  6)  seraphi  goldstücke;  vgl.  BM.  16;  R.  54. 

7)  Meidine;  vgl.  RM.  16;  R  53 

13* 


196  BÖBBIOHT 

Schilling,  fluß^  Ir  niynnst,  also  das  vier  auf  pfenning  komen.  Die 
Strassen  der  stat  seind  enng  vnnd  vor  Zeiten  vast  all  gewelbt,  das 
darauf  niemants  nas  werden  möcht,  die  durch  etlich  subtyl  taglöcher 
schein  haben  wasen  auf  dismal,  die  nit  gewelbt  ston,  sein  zw  beeden 
Seiten  erhebt,  das  menigklichs  zw  Begen  Zeiten  wandeln  mag.  Die 
stat  ist  yast  ein  in  altem  gepew,  also  das  wol  vil  leuten  vor  Zeiten 
herynn  gewonet  vnnd  noch  villeicht  wonen  mügen,  wann  Ich  Ir  nit 
abgezelt  Doch  ist  der  tempel  Salomonis  mer  dann  der  vierdt  tayl  in 
seinem  vmbkreis  bekümern,  do  kain  leut  beleiben.  Dise  stat  ist  zu 
beschliessen,  als  man  es  auch  nechtlich  beschleust,  aber  mit  aller 
schlechtigisten  porten.  In  diser  stat  sind  etlich  tu  hoch  tum,  auf 
wölhe  zu  nacht  vnnd  morgens  etlich  dar  zw  bestellt  steygen  seind,  das 
volckh  mit  Irem  geschrey  zu  beten  ermanen,  Alßdann  wir  Cristen 
bedeuten  wollen  nüt  den  gloggen,  auf  disem  thum,  auch  durch  das 
gantz  lannd  sind  die  volkher  auizünden  brynnend  feurer,  zw  der  Zeit 
Irer  vasten^,  die  sich  erhebt  vnnd  anfaht  des  ersten  tags  Augusti,  vnnd 
werdt  denselben  außhallten  dise  gewonheit  Irer  fasten,  das  sie  nichs 
essen  sind,  von  ainem  stem  zw  dem  andern,  vnnd  so  sie  zu  nacht 
den  ersten  stem  ersehen,  heben  sie  an  ermklichen  sich  zu  fursehen 
mit  speis,  des  Ich  nit  geleben  möcht,  bezeug  Ich  mich  mit  got,  Ich 
müeste  dann  thon.  Diser  Leut  tisch  oder  stul  sind  anders  nichs,  dann 
die  Haylig  erd,  so  haben  sie  auch  nit  souil  trinckhen  noch  essen, 
gerüst  noch  Aparatz  ^,  dann  wir  gewont  haben.  — 

Item  von  dem  Zwölfften  tag  Augusti  sind  wir  gefaren,  ains  mals 
haben  Bonatzo,  annders  widerwertigen  winnd  bis  auf  den  sybenzehen- 
den  tag,  das  wir  die  Innsel  Cüpern  nit  erlanngen.  Herzwischen  war- 
den  wir  nahend  getriben  zw  dem  lannd,  das  man  nennt  Bamt^,  etwas 
auf  die  recht  Hannd  weyters  dann  die  Innsel  Oipem  ligen,  doch  wol 
von  vnns  mögen  gesehen  werden,  vnnd  alls  wir  nach  lanngem  Begem 
zuletzst  auf  den  gedachten  sybenzehenden  tag  ankamen,  bey  ainer  port 
genennt  Salline^,  warden  wir  darnach  gefuert  2;w  etlichen  Heusern^ 
von  dem  mer  ligen  hayssen  Lamica^.  Do  beliben  wir  den  tag,  auf  die 
nacht  versah  sich  menigklich,  der  mit  Boß,  der  mit  Esel,  zu  reyten, 
der  gein  Famagust,  der  gein  Niclosia^.  Ich  was  nemen  den  weg, 
mit  sampt  ainem  gesellen,  auf  Niclosia,  vnnd  alls  auf  den  Achtzehen- 
den zu   stundin   tag,    kamen   wir  zw   Herberg  diser  gedachten   stat 

1)  fids  (vom  lat  foliis,  schuppe),  Scheidemünze. 

2)  im  Kamadhan.  3)  wol  für  apparat;  vieUeichi  ist  dar  genetiv  gemeint, 
4)  Beirat  5)  Salinis.  6)  ergänxe:  die  fem  ...  7)  Lamaka. 
8)  Famagusta,  Nicosia. 


BERECHT  ÜBER  MINE  JEBÜSALBMFAHRT  197 

Niclosia,  die  von  dem  meer  ligt  zwu  meyl,  seind  newn  Ciperisch  meyl. 
Das  lannd  darz wischen  vast  bürgig  vüiid  vol  Domen,  doch  eüich  hüpsch 
gärtenbaw  wellen  bringen,  warden  von  weyten  gesehen.  Die  gedacht 
stat  ist  die  gewaltigist  vnnd  vemamptest  der  Innsel  Gipern,  wöliche  mit 
eiltesten  besten  meuren  vmbgeben  in  weytem  Tmbkreis,  doch  innwenn- 
dig  in  gebew  in  kainen  eeren,  auch  vil  leer  Fletz  haben,  darzu  vil 
vnnd  manich  kirchen  vnnd  Gapellen,  da  etlich  zerstört,  eÜich  in  myii- 
sten  eeren  stond.  In  diser  stat  hanndelt  man  manicherlay  Müntz,  doch 
sind  die  fordersten  Garcy^,  sind  pfenning,  Bysanti  gonnd  zehen  auf 
ain  Ducaten.  Da  belib  Ich  den  tag,  mit  sambt  dem  Newnzehenden 
vnnd  zwaintzigisten  tag  Augusti.  — 

Item  auf  den  Ainvnndzwaintzigisten  tag  zw  aubend  Beyt  Ich  mit 
etlichen  herren  vnnd  gesellen  zw  sant . .  .*,  der  do  ligt  vierundzwaintzig 
meyl  von  der  gedachten  stat,  ain  schön  eben  lannd,  aber  auf  die  Zeit 
ganntz  erdürret,  vnnd  alls  des  morgens  kamen  wir  dahin,  do  wir  fann- 
den  den  hayligen  ligen,  in  ainer  klainen  Gapellen,  mit  ainem  staynin 
grossen  sarch  bewart  Do  am  Mitten  dess  Deckhels  des  grabs  sind 
zway  Löchlin,  daraus  scheinbarlich  fleust  ain  liquor,  den  man  den  Byl- 
gem  fürsetzt  vnnd  mit  tayl  in  etlichen  klainen  gläßlin.  Ditz  soll  zw 
allen  kranckhen  leuten  haylsam  sein,  als  wol  zu  glauben  ist.  Dann 
Ich  daselbst  sach  wonen  ob  fünf  Armer,  die  sich  dess  Liquors  emer- 
ten,  vnnd  zuletzst  in  kurtzem  vertrauten  gesund  werden.  Den  tag 
beliben  wir  da,  vf  die  nacht  zugen  wir  wider  zw  Niclosia,  da  belib 
Ich  den  drewundzwaintzigisten  vnd  den  vierundzwaintzigisten  tag,  zu 
erwarten  ains  teutschen,  der  den  weg  wüst  — 

Item  des  vierundzwaintzigisten  tags  zu  nacht  was  ich  allain  Bet- 
ten, nach  dem  das  thor  beschlossen  ward,  das  man  mir  auch  aufthet, 
des  wegs  ain  tayl  auf  Famagust,  bey  sechs  meylen,  vnnd  alls  Ich  den 
weg  verlur,  von  vinstere  der  nacht,  fannd  Ich  darnach  ain  greckbischen 
man  bey  ainem  Haus,  dem  Ich  alls  vil  erzaigt,  das  Er  mich  fuort  in 
ain  Haus,  da  man  wein  verkaufiR;,  satzt  Ich  mich  vnnder  vier  pauren 
vnnd  ain  frawen,  tranckhen  bey  ainer  stund,  bis  sie  frölich  wurden. 
Zw  jüngst  zallt  Ich  die  yrten,  vnnd  leyt  mich  darnach  nider  ain  stund, 
zu  schlaffen,  bis  der  Mon  scheinen  begund,  alls  darnach  was  mich 
ainer  derselben  weysen  den  Bechten  weg,  saß  auf  vnnd  kam  diselben 
nacht  mit  den  halben  tag  durch  ain  zünlich  gut  Lannd,   dann  das  es 

1)  Garcy  (ob  ans  grossns  verderbt?),  Scheidemünze;  Bysanti,  sübermünze: 
vgl.  Desmioni,  Oiomale  lignst  XI,  1882,  13  fgg.  (Separatabzng). 

2)  Ergänze  Montfort;  seine  grabstätte  wird  in  allen  pilgersohriften  seit  anfang 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  erwähnt  nnd  beschrieben  (vgl.  £M.  23;  R  60). 


Id8  ROHBICHT 

mich  fast  dürr  bedaucht  Doch  sind  manich  wonungen  nahend  bey- 
einander,  darzwischen  in  ainer  gantzen  ebne,  kam  also  auf  die  vesper 
gein  Famagust,  die  sechsvnnddreyssig  meyl  von  der  gedachten  stat 
ligt,  welche  in  allem  sterckhesten  gebew  ainer  Rinckhmaum  vnnd 
wunderbarlichen  stat  grabens,  auch  allermechtigist  BoUwerckh  vnnd 
thure  haben,  rmbgeben  ist.  Innwendig,  so  sie  mit  Munition  vnnd 
speis  aus  wol  fürsehen  würt,  alls  Ich  verston,  versehen  sein  mit  mau- 
ren,  Büchssen  vnnd  kriegsleuten,  mags  wol  der  sterckhsten  stet  sein, 
so  auf  erden  erfunden  werden.  Yon  Innen  hat  sie  allt  zerstört  heusser, 
der  gar  wenig  wider  in  eeren  gebracht  werden,  gibt  mans  die  schuld 
den  kriegsleuten,  der  bey  Achthundert  da  wonen.  Ynnd  von  stund 
kamen  etlich  vnnser  Zungen,  mich  emphaen,  vnd  ain  herren  schelten, 
des  Ich  mich  zum  merermal  versprach,  nicht  destermynder  must  Ich 
beleiben,  klao  begaben  sie  sich  mit  mir  wöUen  zu  nacht  essen,  vimd 
weiters,  wo  sie  mir  gedienen  könnten,  das  Ich  sie  vngespart  nit  liefi, 
vnnd  erkhannten  doch  vnder  anderm  Ir  gros  Armut,  vnnd  das  sy  nit 
mer  begerten,  auß  der  Innsel  entrunnen  mögen.  Yersach  Ich  mich 
wol,  wo  mein  herschaft  auB  wolt,  die  mir  beleih  bis  morgen,  alls  Ich 
die  yrten  zalen  sollt,  mußt  Ich  ain  Ducaten  verzert  haben,  nach  aller 
Rechnung.  Also  bin  Ich  auch  ain  mal  zw  ainem  Herren  worden,  darf 
aber  dess  kain  gülden  sporn  fueren.  Doch  acht  Ichs  klain,  dann  mein 
tag,  wo  Ich  ye  hin  kam  in  frembd  land,  hab  Ich  niemand  erfunden 
meiner  landsleuten,  oder  teutscher  Zungen,  der  mich  ansprech,  wer 
dann  ärmer  als  Ich,  das  Ich  dann  nach  Natürlicher  Billigkait  Inn  mein 
Armut  mitzutailen  nit  versagen  möcht  Ynnd  ob  schon  eüich  . .  .^  warend 
in  vermügen,  mir  zu  helfTen,  wassen  sie  sich  vor  mir  verbei^gen. 
Ditz  must  Ich  auch  bewert  nemen  zw  Bodis,  aUs  ab  Büger  von  der 
hohen  teutschen  Zungen  geladen  worden,  sunders  Ich  außgeschlossen, 
man  gabs  aber  auch  dem  zw,  das  Ich  ain  schweytzer  mich  hies,  des 
Ich  mich  hernach  an  vil  orten  schrib,  mich  frewet  gebom  sein  ain 
Schweytzerlin.  — 

Item  auf  den  sechs  vnnd  zwaintzigisten  tag  Augusti  gieng  Ich  zu 
fiios  zw  sant  Katerina,  die  auf  ain  teutsch  meyl  von  der  gedachten 
stat  Eamagust  ligt,  in  ainem  aller  größten  wunderbarlichsten  ältesten 
gebaw,  das  man  nennet  alt  Famagust,  daselbst  gesehen  ain  Capellen 
auf  aller  größten  gewelben,  wol  sich  erzaigen  aius  künigs  wouung 
gewesen.  Daseiben  auch  nahend  darbey  die  gefennckhnus,  allain  steend. 
In  dem  felld  hypsch  zu  sehen,  nahend  darbey  zwu  staynin  seul,  daran 

1)  Lüoke. 


BimOHT  ÜBKR  KINE  JERUSALKMFAHBT  199 

die  haylig  JiiDckh&aw  gemartert,  die  auch  noch  blutfarb  scheinen. 
Auf  die  nacht  rayt  Ich  allain,  mit  zwen  kriegsknechten,  gein  Salline, 
sind  vieryndzwaintzig  meilen,  da  belib  Ich  den  sybenvnndzwaintzigisten, 
mit  sambt  dem  Achtmndzwaintzigisten  tag  Augusti.  Item  auf  den 
Achtvnndzwaintzigisten  tag  zu  nacht  fuoren  wir  zu  schif,  was  vnns 
der  wind  alls  wider,  das  wir  beleiben  muSten  den  Neunvnndzwain- 
tzigisten  tag,  den  dreyssigisten,  mit  sambt  dem  ainvnddreyssigisten  tag. 
Ynnd  auf  den  dreyssigisten  tag  starb  ains  Enngellenders  knecht,  got 
hab  der  seel  gedult,  vnnd  behuet  die  anndern,  dann  gar  mancher  sich 
beclagt,  im  namen  gotz  der  erst,  wie  der  Münich  sagt^  auf  den 
Barzotten  waren  fünf  daruon.  — 

Item  in  der  gedachten  Innsel  Cipern,  die  vor  Zeiten  den  Breis 
behielt,  sein  die  fruchtbarst.  Zu  diser  Zeit  der  mer  ynd  grösser  tail 
venrnnutz,  verwüst  von  den  hewschreflfen,  die  zw  etlichen  Zeiten  in 
so  gros  menng  sich  auf  lond,  das  von  embsiger  dickhe  die  Sunn  hells- 
tags  nit  gesehen  mag  werden,  die  sich  nach  narung  Irer  Natur  dann 
nyder  lonnd,  vnnd  so  sie  auf  grüne  volkomne  fellder,  seien  was  ge- 
schlecht der  fruchten,  sich  nider  lond,  werden  dieselben  von  den 
genannten  hewschryckel  verfretzt  vnnd  gar  gefressen,  alls  wer  es  ain 
dürryn  Egert',  vnnd  nye  gebawen  gewessen.  Heruon  leidt  der  Arm 
gar  schwer  vnnd  gros  nachtail,  die . .  .^  aber  wennd  dennocht  geessen  han, 
vnnd  auf  hohen  Rossen  reyten,  got  sey  es  klagt,  nach  gemainem 
Sprüchwort,  der  arm  leidt  an  allen  orten.  Doch  nit  destermynder  ist 
noch  zw  Zeit  erberlich  wesen,  herynn  zimlich  Zuckher,  den  man  fär 
den  besten  hallten  will,  von  drey  kochen,  die  auch  gar  mit  grosser 
arbait,  costen  vnnd  wunderbarlichen  geschyrren,  darzw  gehörennd,  zw 
ennd  erhoUt  vnnd  gemacht  würdt.  Darbey  grosse  menge  der  besten 
Baumwollen,  alls  auf  erden  gefunden.  Ditz  würt  vnnd  kumt  aber  vast 
der  Nutz  den  vorderigen  ...^  Man  spricht  auch,  das  in  diser  Innsel  vor 
Zeiten  das  best  vnnd  schönest  goUd  gegraben  sey  worden,  das  man 
noch  dickh  nennet  Ciperest  gpld.  Doch  nymer  von  der  Türckhen  wegen 
dörSen  darnach  graben,  die  Ir  sunsts  gar  aufsetzig  sind.  Es  müssn 
auch  die  Yenediger  Jerlich  sechtzehen  tausent  Ducaten  daruon  tribut 
den  Türeken  bezallen  vnnd  zw  Haus  schicken,  wann  an  ainem  ort  Er 
gar  leichtlich  in  die  vil  gedacht  Innsel  komen  möcht,  wann  sie  Im 
nahend  an  sein  land  stost  Darzw  das  das  grösser  ist  dem  Armen 
vnnd  dem  Reichen  gemayn,  Aber  den  Yenedigem  am  höchsten  Nütz- 

1)  Wol  eine  Bpriohwörtliche  redensart.  2)  brachfeld. 

3)  und  4)  Lüoke. 


».' 


200  RÖHBICHT 

lieh  hat  die  meer  genannt  Innsel  ain  saltzgruob,  inner  kurtzen  Jaren 
worden  vnnd  angestannden ,  dann  vor  Weingarten  daselbst  gepflanntzt 
worden.  Ist  in  grosse  ains  zimlichen  weihers.  Dis  sagt  man  von 
süessem  wasser  Zusamenlauffen  sich  daselbst  versamblen,  würckht  dar- 
nach die  sonn  in  Irer  krafit  darein,  das  der  schäum  zw  oberst  ains 
gemüntz  hoch  schneeweis  saltz  würt,  Ringsweis,  so  weyt  das  wasser 
sich  außbray t  anzusehen ,  alls  im  wynnter  in  vnnsem  lannden  die  wey er 
gefrürend,  vnnd  darnach  ain  schnee  darauffallen  ist,  den  man  etwan 
mit  eckhsten  gewynnen  ynnd  aufhawen  mus.  Also  thund  sie  nit  mer 
noch  minders,  dises  saltz  zu  haben,  dann  etwan  zwayhundert  vnnd 
meer,  der  mit  Eckhsten  aufzuhawen,  der  mit  Esel  hinweggzufueren, 
der  zw  hauffen  worffen,  bei  den  gestat,  do  sy  dann  gros  hauffen  sam- 
len,  bis  die  Yenediger  schiff  komen  vnnd  hinfueren,  sunst  darf  nie- 
mants  daselbst  sich  versehen,  zu  laden,  werd  dann  durch  gros  bit 
nachgelassen,  den  Yenedigem  thut  aber  niemands  weren.  Es  seind 
wol  ettlich,  die  sprechen,  diso  Saltzgruob  sey  vnnd  enntstannd  von 
dess  meers  überlauffen,  zw  Winters  Zeit,  vnnd  wann  dann  des  Sumers 
die  Sunn  in  dasselb  wasser  würckhen  sey,  enntstannd  dann  dasselbig 
saltz,  das  auch  wol  zu  glauben,  dann  die  gedacht  stat  ligt  nahend  bey 
dem  meere,  sey  aber  welhes  zum  Besten  ze  glauben  für  war  gehall- 
ten, so  will  Ich  dannocht  lieber  in  vnnsem  lannden  mein  leben  fderen, 
zw  Jüngst,  nach  au&atz  got  des  almechtigen  ennden  vnnd  beschliessen, 
solt  Ich  das  salz  noch  so  tewr  sein,  macht  man  doch  gut  suppen  vnnd 
häberinn  Muos.  — 

Item  also  vorlagen  wir  den  Newnvndzwanzigsten,  den  Dreys- 
sigisten  mitsambt  dem  Ainvnddreyssigisten  tag  Augusti  auf  dem  schiff 
das  wir  Hindemus  dess  winds,  auch  das  der  Naf  nit  zugeröst  vnnd 
in  Ordnung  was,  nyrgends  hin  fürstreckhten,  des  etlich  Bilger  schmäl- 
ten, vermainten,  bas  vnnd  lieber  auf  dem  lannd  verliben  sein,  zum 
mynsten  die  speis  erspart  habenn,  die  In  darnach  gepresten^  möcht, 
so  waren  aber  etlich  triben  gefürdert  werden,  zu  schif  zu  fetren,  vmb 
das  sy  ain  klain  gellt  ersparten,  das  sie  sonnst  verzeren  muefiten. 
Dieer  waren  meer,  dann  der  anndem.  Hierumb  der  Patron  vnwülig 
In  zw  willen  ward  vnnd  zu  schif  kert  Mußten  aber  hernach  dieselben 
wol  von  Im  hören,  alls  es  sy  beschwert,  so  lanng  verharren,  an  lannd 
zu  sein.  — 

Item  auf  den  ersten  tag  Septembris  in  der  nacht,  die  darnach 
was  dess  Ainvnddreyssigisten  tag  Augusti,  auf  ain  Sambstag,  zwu  stund, 

1)  gebrechen. 


BESICnr  ÜBEB  EXIQE  JERÜSALEUFAHBT  201 

kam  ain  zimlicher  Wind  von  dem  lannd,  lies  man  all  segel  fallen, 
abermals  mit  gewontem  geschray  vnnd  segen,  herzw  gehörenndt  vnnd 
gewoni  Auf  den  Mittag  ward  Galmas,  auf  die  nacht  stond  der  allt 
Wind  an  genannt  Prouintza^,  der  vns  mer  hindert,  Also  das  wir  zw  . .  .* 
hinnauf  mueßten,  der  werdt  bis  an  den  andern  tag,  an  welchem  ain 
eerlicher  herr  vnnd  Vicari  auß  dem  Nyderlannd  abstarb,  die  schuler ^ 
der  Natur  bezalt,  got  der  erlöser  gedennckh  der  seel  vnd  des  Namens, 
der  do  heyßt  Theodorios  de  Hagen  ^.  Alls  man  In  besanng,  ward  Er 
darnach  balld  in  das  meer  geworffen.  Derselben  nacht  betten  wir  ain 
starckhen  widerwind,  der  vnns  den  segel.  Contra  metzan  genannt ^ 
zum  tayl  in  das  meer  warf,  doch  kaine  sorglichait  geboren,  dann  das 
etlich  Bilger  seer  vast  erschrackhen,  hierumb  got,  seine  hayligen 
anruefiten.  Diser  Wind  wert  den  vierdten ,  den  fiinfften ,  den  sechsten, 
den  sybennden  tag,  das  wir  all  weg  des  Aubendts  nahend  bey  der 
Innsel  hjnfaoren,  do  vnns  vil  hüpsch  gelegenhait,  Zuckher  vnnd  Baum- 
wollen bringen  gezaigt  wurden.  Auf  die  nacht  aber  must  man  dem 
wind  enntgegen  weyhen,  die  segel  vmbkeren,  do  wir  dann  darnach  so 
weit  zw  Bosit^  getriben,  das  wir  der  nachgeenden  Nacht  nit  vü  beuor 
gewunnen,  an  dem  ort  wider  befunden  werden,  aus  wir  daruon  ge- 
scheiden.  Das  werdt  die  genannt  Zeit.  Doch  zuletzst,  nach  willn  dess 
herren,  lanngten  wir  gegen  Baffet*^,  da  vor  Zeiten  ain  grosse  stat 
gestannden,  erbawt  gewesen,  auf  ditz  mal  mit  klainistem  gepew  sich 
erzaigt.  Da  waren  etlich,  vermainten  zu  lannd  gelassen  werden,  das 
doch  nit  stat  het,  segelten  also  Besitz  hynnaus,  das  wir  des  mor- 
gens die  Innsel  gar  nahend  auß  gesiebt  verluren,  vermainten  etlich  zu 
sein  auf  dem  Golfo,  schifften  darnach  auf  die  weyte  des  mers,  vnnd 
alls  vnns  an  dem  Achtenden  tag  aber  wider  wind  ankam,  der  do  wert 
bis  zw  morgens  des  Neundten  tag  Septembris,  was  man  die  Innsel 
Cipems,  die  wol  sybenhundert  meyl  in  vmbkreis  beschleust,  wider 
sehen.  Daruon  die  Bilger  betruebt,  vnnd  ward  annder  annderm  ange- 
zeigt, das  man  von  ainem  hayligen  Görpel  zu  Niclosie  genomen  sollt 
haben  ain  tail^  desselben  hayligen  maus,  der  vnns  nit  faren  lies,  wer 
dann  widerkert  Ditz  ward  auf  ain  Bischof  gelegt  vnnd  geredt,  deß- 
halben  Er  gar  gros  Scheltwort  von  ainem  Frantzosen  hörn  must,  etlich 

1)  proyinza 2)  Lücke.  3)  schuld. 

4)  Wild  sonst  nicht  erwähnt 

5)  contramezzana,  gegensegel  am  hintermasi  6)  beiseit 

7)  Bapha,  früher  Paphos. 

8)  Ein  schiff,  welches  reliquien  an  bord  hatte,  war  nach  dem  abei^laaben  der 
Schiffer  dem  nntergange  verfallen  (RM.  18;  B.  17.) 


202  BÖHBICHT 

sonst  Tmb  vnnser  sünd  willen,  ymbtiiben  worden  vennainten.  Füren 
also  vngewis  den  Neundten,  den  Zebennden  tag,  an  weihen  auch  ler- 
schaid  ain  gesel  der  Riterschafft,  so  zw  Jerusalem  sich  het  lassen 
schlagen,  hies  der  von  der  Aw,  gebom  von  ...^  der  verlies,  alls  man 
saget,  ain  hüpsch  jung  weib  vnnd  jungen  kind,  darzw  vil  guts.  — 

Item  des  Aylfiten  tags  septembris  starb  aber  ain  Briester  aus 
Pomem.  Die  beed,  alls  maus  besanng,  versanckht  maus  in  das  meer, 
der  ain  wolt  aber  nit  zw  grund  gon,  got  der  erbarm  sich  der  See- 
len. — 

Item  den  Zwölften  tag  zw  Aubendt  ward  man  Türckhisch  lannd 
sehen,  daruon  wir  erkhückht  enstunden,  vnnd  alls  auf  den  dreyzehen- 
den  tag  dess  moigens  kamen  wir  Nehand  zw  dem  gebürg,  genannt 
die  y eisen  Zinidonia',  ligen  in  türckheien,  an  disem  warden  wir 
getriben,  dann  Neben  hin  auB,  dann  wider  zw  lannd  keren,  den  vier- 
zehenden  vnnd  fünfzehenden  tag  Septembris,  das  wir  noch  kain  annder 
Hoflfhung  betten,  dann  der  hilf  gots  zu  erwarten,  der  wir  auch  bedurff- 
ten,  dann  vnns  abgieng  an  wein,  an  gutem  flaisch  vnd  allermaist  an 
geschmachten  wasser.  — 

Item  an  disem  gebürg  sagt  man  gelegen  sein  ain  alt  stat  gehays- 
sen  Cacuba',  alls  sich  dann  des  noch  etlich  thüm  erzaigen,  wölbe  von 
schickimg  gots  versenckht,  zw  mores  grund.  Item  weiter  an  disem 
gebürg  ward  vnns  gewisen  ain  gelegne,  do  soll  ain  schlos  hayßt  Castel 
Kos,  ston*,  vnndertönig  den  herren  von  Rodis.  Bey  derselben  gegne 
Hessen  sich  auch  sehen  etlich  segel,  die  vnns  ain  schreckhen  versa* 
melten.  — 

Item  des  fünfzehenden  tags  beten  wir  vmb  den  Mittag  ain  zim- 
lichen  genedigen  wind,  der  do  wert  bis  auf  die  nacht  Damach  stund 
aber  Bonata  zw,  die  do  wert  denselben  sechzehenden  tag,  kamen  also 
zwischen  das  gebürg,  auf  den  Golfo,  do  wir  verhalten  in  werender 
Bonata,  das  wir  des  wegs  gar  nit  fürstreckhsten.  Doch  kam  etwan 
ain  Blosts^,  von  dem  wir  erfreut,  keret  man  die  segel  eylennds,  den- 
selben zu  emphahen,  werten  aber  in  kainer  sterckhy.  Hierumb  wir 
also  vorlagen  auch  den  sybenzehenden  tag,  das  wir  das  Rodischer 
gebürg  wol  schawen  mochten,  vnnd  betten  wirs  wollen  abmalen.  Da- 
rauff  ersehen   worden   drew  Heusser,    hayssen   das   ain   Lindaw,    das 

1)  Lücke;  nach  Ottheinrich  386  war  der  verstorbene  Johannes  von  Aue  ,etwan 
ein  rentmeiBter  zu  Meohel*^. 

2)  Chelidonia.  3)  Kekoba  w.  vom  vorigen. 

4)  Castelloryzo  (meis),  w.  von  Kekoba.  5)  wind. 


BKBICBT  ÜBBB  UNB  JXBUSALKMFAHBT  203 

annder  üaraklo,  das  drit  sant  Angelo^,  vimd  auf  den  Achtzehenden  tag, 
alls  wir  die  nacht  die  stat  Bodis  fürfaren  gezwungen  von  widerigem 
wind,  kamen  wir  zw  lannd,  des  gedachten  Achtzehenden  tags  auf  den 
Anbis.  Da  aber  etlich,  aUs  sich  bezamt,  schon  vnnd  erlich  empfann- 
gen,  mit  vil  weins  vnnd  schenckh  geert,  Aber  vnns  schweytzem,  der 
vier  waren,  sties  derselb  wein  nit  das  hertz  ab,  wann  man  v^nns  nit 
schickhen  was,  der  eeren  auch,  so  man  vnns  embot,  ist  leichtlich  zu 
dannckhen,  ligt  aber  nit  daran.  Allain,  wo  Ichs  alls  gut  het,  wurds 
mir  zu  bedennckhen  ston.  — 

Item  yerliben  also  zw  Bodis  den  Neunzehenden,  den  Zwaint- 
zigisten,  den  Ainyndzwaintzigsten,  den  Zwayynnzwaintzigisten,  den 
Drewvnndzwaintzigisten  tag  Septembris.  Dazwischen  ward  gesagt  von 
etlichen  vil  segln  der  vncristen,  die  sich  kürtzlich  erzaigt  haben,  die 
auch  auf  den  groBmaister  von  Rodis,  der  Newlich  in  Acht  tagen  dar 
komen  was',  mit  vil  newer  Beden,  die  ain  yeüicher  verston  weit  nach 
seinem  aeligen,  schüEFiien.  Auf  dis  warden  wir  gewarnet,  fürzesehen. 
Es  war  bas  zu  thun  gewis  ain  Zeit  lanng  gebaytet,  on  vngewis  in 
schaden  komen,  hierumb  ward  Bat  gesucht  bey  dem  groß  Maister,  der 
Anntwort  weren  allweg  &ey  vnnd  sicher,  möchten  hin&m  vnsem 
w^.  — 

Item  auf  den  Drewundzwaintzigisten  tag  zu  nacht  warden  wir 
aber  bestimbt  zw  schiff,  das  zu  letzst  beschach,  vnd  alls  wir  etwas 
lenngers  ennthalten  wurden,  den  der  Bartzot,  was  man  sprechen,  vnn- 
ser  schifleut  weren  nit  wol  erfaren,  das  vnns  doch  zw  grossem  vnd 
heylsamen  Nutz  erschoss,  mit  dem  das  wir  Widerwind  überkamen,  der 
vnns  zu  Buckh  trayb,  dann  wo  wir  für  gefiEuren  weren  alls  zw  Buckh, 
betten  wir  ain  hertny  Nuß  beyssen  müessen,  daruon  vnns  niemand 
erlösen  het  mögen,  dann  allain  der  Almechtig  got,  vnnd  vnnser  Be- 
schirm, die  zu  sorgen  was,  nit  mögen  widerston,  dann  der  widertaU 
zu  strackh  erscheint,  als  hernach  steet  — 

Item  auf  den  Yierundzwaintzigisten  tag  des  Morgens  zwu  stund 
dess  tags,  alls  wir  wie  obstat,  zw  Buckh  von  widerwind  getriben  wa- 
ren, stuend  an  ain  lanng  werender  Bonatza,  Also  das  man  Bodis  von 
weyte  sehen,  darzw  das  gebürg,  der  vngleubigen  gehaysse  zw  der 
anndem  selten.  Ynnd  alls  man  daruon  Beden  was  auch  das  gebirg 
hinab  zw  sehen,  von  ferren  warden  geschawt  in  scheinbarm  Augen- 
schein Manich  vnd  vil  segel,   die  man  für  Galleen  vnnd  füsten  gar 

1)  lindo,  oapelle  Feorraolo,  8t.  Angdo. 

2)  Philippe  Villiers  de  Tlsle  Adam,  der  am  11.  sept.  1521  gelandet  war  (Wo- 
chenblatt d.  Johanniter -Balley  Brandenburg  1881,  8.  17). 


204  RÖHRICHT 

wol  erkhannt  bey  ftinfzehen  Stückhen,  nit  was  gewis,  das  nit  freund, 
hierumb  man  bas  aufeehen  was.  Da  ward  erkhannt,  dise  Segel  oder 
Galeen  strytten  zwo  Candiottischs  grypen*,  die  dess  anndern  Morgen 
von  vnns  gefaren,  ward  man  gar  scheinbarlich  den  Bauch  dess  geschütz 
aufgeen  sach.  Daruon  enntstund  vnnder  vnserm  Schyff  ain  lermen 
mit  gemüster  forcht,  dann  sy  gegen  vnns  schyfften,  so  hetten  wir  auch 
ain  werende  Bonatza,  das  wir  kain  Hilf  noch  vorteil  suochen  möch- 
ten, noch  zu  fliehen,  noch  zw  Beschirmung,  alls  dann  ainer  Naf  not 
ist  wind  zw  haben,  Ist  sy  halb  bas  zu  bewaren,  dann  in  ainer  Bonatza 
mögen  die  füsten*  vnd  Galleen  zw  vnnd  von  faren,  die  NafFen  sche- 
digen,  so  sie  dann  sehen  ain  vortail,  stürmen  sy,  das  in  ainem  guten 
wind  nütten  ist,  doch  sind  sie  glückh  wol  in  sorgen,  wo  der  widertail 
zu  starckh,  als  do  was  zu  erwogen.  Daruon  ward  ain  Ordnung  zuge- 
rüst.  Erstmals  das  geschütz,  das  zw  mal  nit  ganntz  berayt  mit  zuge- 
hörender Bewaning,  das  man  nahend  als  gros  aufsehen  haben  must 
vnnsers  geschütz,  alls  der  feind,  wan  man  vngewarsamlich  mit  dem 
Bulfer  hanndlet  Damach  vnder  dem  volckh  doch  nichts  ordenlich  alls 
mich  bedaucht,  dann  wan  es  darzw  kem,  solt  ain  yetUcher  thon  alls  ain 
Redlich  Man.  Das  von  dem  von  Neumeckh®  widerredt,  vnnd  an  patron 
Beden  lies,  das  man  ain  yeclich  Nation  auBteylen  solt  an  ain  ort,  die- 
selb  zu  bewaren,  vnnd  die  teutsche  an  das  vnsicherst,  dann  wir  all- 
wegen  denselben  Blatz  innhielten,  beschah  aber  nit  In  solichem,  alls 
sich  ain  yetlicher  berayten  was  nach  dem  Besten  in  Im  erkhannt,  was 
man  sehen  außgonn  zw  Bodis  ordenlichen  nach  einannder  ain  galeen 
mit  ettlichen  predegtinen,  darzw  das  gros  schif  (ain  Haus  darinn  ze 
sehen,  sein  Beschlus  vnnd  Zugerüst).  Dennoch  volgten  bey  Newn 
segel,  auch  gros  schif,*  vnnd  alls  sy  heraus  auf  die  weyte  kamen,  war- 
den  sy  gesehen  vnnd  geacht,  als  sy  auch  waren,  ain  zimlich  omaten, 
vnnd  alls  dis  gesehen,  Empfiengen  wir  gros  freud,  dann  sy  ain  pre- 
degtin*  zw  vnns  schickhten,  von  dem  wir  alle  Bescheid  verstunden, 
was  dise  segel,  so  wider  vnns  weren,  für  leut,  vnnd  was  sy  gehandelt 
hetten.  Diser  ward  geschickht  zw  dem  Durchleichtigsten  Pursten, 
Hertzog  Ottheinrichn  in  Bayrn,  pfalntzgraf  am  Beyn,  ob  sein  fürstlich 
gnad  vermaint  wider  zw  keren  gein  Bodis,  das  sy  In  selten  emphaen 
vnnd  dahin  Anntworten.  Das  da  sein  fürstlich  gnad  nit  thun  wolt, 
sonders  säur  vnnd  sues  mit  den  Bilgem  empfahen,  vnnd  was  der 
Almechtig  got  seinthalben  geordnet  hei     Also  was  vnns  das  gedacht 

1)  grippo,  eine  sohifiBart.  2)  fosta,  ital.  kaperschiff. 

3)  OtÜieinrich  390:  Reinhard  v.  N.  4)  brigantino,  schiüsart 


BBBICHI  ÜBEB  EINS  JBBÜSALKMFAHBT  205 

Predegtin  etwan  ferr  dess  wegs  durch  die  Bonatza  ziehen,  darum  der 
patron  In  ain  Baryllen  . .  .^  schencken  was,  die  gar  bald  gelert  ward.  Die 
feind  aber  erschrackhen  von  disem,  deßhalben  sy  eylennds  zw  ßuckh 
zügend  in  Ir  gewarsam,  betten  aber  vor  vnnd  ehe  die  vorgedachten 
Grippen  vnnd  Galeen  gewonnen,  vnnd  alls  darauf  ertödet,  vnd  gefan- 
gen, was  sy  funden,  bey  dreyssig  personen,  allain  ain  Patron,  der 
abel  wund  war,  alls  er  auch  zuletzst  abscheid,  der  seelen  got  barm- 
hertzig  sey.  Drey  Jung  beten  sich  in  den  sand  vergraben,  sind  auch 
daruon  komen,  vnnd  alls  die  feind  sahen  die  enntschüttung  so  nahend, 
haben  sy  verlassen  die  genannten  Grippen  vnd  Galleen,  die  darnach 
gein  Bodis  wider  gefuert  wurden,  etlichen  vnnd  der  grossen  segeln 
manngeln.  Auf  die  vesper  Zeit  kerten  die  gedachten  schif  von  Bodis 
widerumb,  zw  denen  wir  dann  in  miten,  dann  zuletzst,  dann  zw  for- 
derst, so  widerig  was  der  wind,  komen  waren.  Vnnd  alls  sy  wider 
zw  Haus  kerten,  ward  der  von  Neuneckh  mitsambt  dem  Patron  ge- 
schickht  in  das  gros  schif,  zu  berayten,  ob  wir  vnnsers  wegs  faren 
möchten,  vnnd  alls  sy  wider  kamen,  brachten  sy  in  anntwort.  Wo  nit 
ain  grosser  Wind  kem,  der  mit  vnns  gieng,  sotten  wir  es  nit  vnnder- 
ston.  Darnach  ward  an  sie  begert,  ob  sy  vnns  nit  beleyten  könndten, 
Anntworten  sie,  weren  nit  versorgt  mit  speis.  Daenntzwischen  stiend 
vnns  an  gar  ain  schwer  hert  weter  mit  schleg.  Bogen  vnd  seltzamen 
winden,  die  sich  von  augenblickh  vnnd  stund  verwanndleten,  daraus 
sich  nyemandt  verston  könnt  Es  waren  bey  Fünfzehen  segel  bey  ein- 
ander, den  auch  ain  vnfal  begegnet  von  starckhem  wind,  alls  die  fni- 
men  Byter  vom  schif  stigen,  ertrannckhen  zwen*  vnnd  sonnst  ainer, 
got  tröst  der  seel.  Da  betten  etlich  Bonatza,  etlich  wider  wind,  etlich 
fort  wind.  Darumb  fuoren  die  von  dem  grossen  schif  in  das  port,  die 
anndem  mußten  aber  furfaren,  das  kains  zw  anparckh  komen  möcht 
Ditz  weter  werdt  bis  auf  die  nacht.  Also  lies  man  die  segel  nyder, 
vnnd  schwebten  die  nacht  vor  Bodis  über.  Dess  morgens  het  vnns 
der  wind  aber  weyt  getriben  von  der  stat,  also  das  wir  bis  zw  Anbiss 
nit  wider  dar  ze  komen  möchten.  Dess  fünfvnndzwaintzigisten  tags 
vnnd  alls  es  sich  so  lanng  verzog,  man  meniclich  den  Anbis  in  dem 
schif.  Damach  kam  aber  gar  ain  grosser  Bogen,  der  vnns  verhinndert, 
bis  auf  die  vesper  abzusteigen,  vnnd  alls  etlich  wider  zw  Herberg 
empfangen ,  ward  sich  ain  freud  mit  genügster  Dannckhsagung ,  got  dem 
almechtigen,  erhebt,   ains  tails  der  Bilger  aus  so  ainer  grossen  sorg- 

1)  Lücke;  ein  barille  hält  jezt  c.  20  flaschen. 

2)  Ottheinrich  390. 


206  BÖHBICBT 

liehen  gefer  erlöst  sind,  annderstails  deren  87  emphahen  waren,  die 
auch  sagten,  gar  trewlich  für  yns  gebeten  haben,  dann  sy  vermein- 
ten, weren  durch  fort  wind  den  Hennden  ynnser  feind  zu  tail  wor- 
den. — 

Item  auf  den  sechsvnnzwaintzigisten  tag  ward  aber  zw  Rodis  ein 
grippen  eingefürt,  daraus  all  beraitschafft  vnnd  leut  genomen  vnnd 
ertödt  waren,  ain  schwer  hert  sach  zu  uememen.  Also  die  Gristen 
von  den  vDgleubigen  Hunden  durchächtet ^  werden,  aber  vmb  der  sünd 
willen  synd  wir  vnnderwürfiflich,  vil  leut  an  disem  was  Ich  gewe- 
sen bey  ynnser  lieben  frawen  zw  fiUerma',  da  gesehen  fürwar  ain 
schön  andacht  Ditz  ligt  auf  ainem  Hohen  Berg,  ain  teutschen  meyl 
yon  Bodis.  Die  zart  Junckhfraw  ward  für  ynns  Ir  liebs  kind  bit- 
ten mit*  ...  — 

Item  den  sybenynndzwaintzigisten,  den  Achtvndzwaintzigisten, 
mit  sampt  dem  Neunynndzwaintzigisten  tag  lagen  wir  styll  zu  Rodis 
in  grossem  ynn willen  etlicher,  die  do  maynnten,  weren  wol  durch  die 
feind  koman,  was  aber  der  merertayl  darwider,  weiten  mer  yerligen 
ynnd  gelt  yerzeren,  dan  sich  in  gefär  ynnd  sorglichait  leibs  ynd  guts 
geben,  dieweil  ynns  der  Almechtig  ain  mal  so  genedig  yersehen  ynnd 
erlöst  het,  das  sich  darnach  nit  gut  zu  wagen,  auch  sein  guetigkait 
zuuersuchen.  Herzwischen  enstunden  manicherlay  Bed  ynnd  Hannd- 
lung  vnnser  Hin&rt,  dann  wolt  man  auf  Gonserua^  warten  vnnd  sollt 
es  sich  ain  Monat  zwen  verziehen,  dann  wolt  man  den  gros  Maister 
biten  lassen,  vnns  im  Beschirm  zu  belayten.  Daruon  auch  annstund 
ain  taylt  Bed,  etlich  vermainten,  nayn,  ob  sy  vims  schon  geleyten,  wer 
In  dann  herwider  hülf,  dann  die  wind  gar  zu  starckh  weren,  die  sich 
erzaigten  mit  zwen  ynndzwaintzig  Segeln,  etlich  sagten.  Ja,  man  würd 
vnns  sterckhung  geben  mit  drey  galleen,  ynnd  dem  grossen  schif ,  wan 
maus  zurüsten  lies,  es  möcht  aber  noch  niemand  wissen  furwar,  auch 
wann  vnnser  Hinfart  sich  schicken  solt  Herzwischen  kamen  manicher- 
lay schif  zw  Bodis  an,  auß  Ponent,  vnd  Leuant^,  die  mancher  hannd 
newer  meer  sagten,  dauon  wir  auch  dester  begiriger  wurden  hinzw- 
&ren.  Deßhalben  mer  betruebt,  die  Zeit  also  zuuerligen,  vnnd  aber 
in  vnnsem  lannden  so  wunderbarlich  Sachen  verhanndelt  wurden. 
Item  in  disem,  alls  wir  also  still  lagen,  kam  ain  Bübschif  aus  Leuant 
auf  den  Achtvnndzwaintzigisten  tag  Septembris,  das  do  bracht  ain 
Grippen,  so  sie  gewunnen  hetten,  darzw  einander...^  darauf  gewonnen 

1)  yerfolgt  2)  St  Maria  de  Philermo.  3)  Lücke. 

4)  coDsenra,  hülfe.  5)  Ponente,  Levante  —  westen,  osten. 

6)  Lücke. 


BSBXOHT  ÜBER  EIHK  JEBUSALBMFAHBT  207 

Neunynndneuntzig  Moren  vimd  Hayden,  darzw  aniider  kaufmanschatz, 
aus  Leder  ynnd  Keys,  weihe  ditz  weiten  gefiiert  haben  in  Alexandria, 
ynnd  aber  sy  zw  Bodis  ausstunden ,  warden  sy  gemainklich  gefuert  für 
den  gros  Maister,  der  all  wegen  von  zehen  ain  haben  ist,  die  anndem 
warden  verkaufit  Wiewol  sy  mich  liederlich  leut  dünckhten  sein, 
werden  sie  doch  teur  hingegeben.  — 

Item  den  dreyssigisten  Septembris,  mit  dem  ersten  tag  Octobris 
ward  nichts  gehanndelt,  dann  das  furthin  weg  gesucht  ward  vnnser 
Hinfart,  auch  wie  man  vnns  gelayten  wolt,  dan  was  man  das  sagen, 
dann  ain  anders,  nit  wißt  Ich  der  yrsach,  dann  allain,  das  vmb  des 
Pfaintzgrauon  willen  die  Recht  warhait  nit  geoffembart  wart,  damit 
sein  gnad  dester  minder  yerspeht  Darzw  kamen  furthin  vil  newer 
Reden  von  ynnsem  Lannden,  die  den  Bilgem  angelegen.  Darumb 
begerten  gefordert  — 

Item  alls  auf  den  anndem  tag  Octobris  warden  wir  bestimbt  zu 
schif,  auf  die  nacht,  do  nun  menigklichs  gerüst  stund,  solichs  zuuol- 
bringen,  was  angestannden  ain  fast  grosser  wind  Wiewol  Er  mit  vnns 
gewesen,  möcht  man  doch  gar  kümerlich  zw  dem  nauf  kernen,  der  Naf 
weniger  auß  dem  Haffen  musten,  also  aber  gehindert  stond.  Ich  was 
aber  im  besten  mir  vermerckhen,  das  got  der  Almechtig  vnns  zw 
gutem  also  geschickht,  verlyben  also  den  driten  tag,  den  vierdten,  das 
man  on  vnderlas  hanndelt,  wie  zu  schiffen  wer,  vnns  hin  mögen  faren, 
vnnd  alls  man  aber  nichts  gewiß,  noch  enntlichs  sagen  was,  wie  wir 
gelaytet  sollten  werden,  oder  mit  galleen,  oder  mit  naffen,  wurden  wir 
doch  zuletzst  beschayden  zu  schiff,  dess  vierten  tag  Octobris  gegen  der 
nacht  also  kamen  etlich,  die  anndem  verlyben  bis  morgens,  darunder 
gar  manicher  kümerlich  hernach  kam.  Da  entzwischen  was  ain  gryp- 
lin  ankomen  von  Venedig,  das  vnnder  den  feynnden  gewesen,  dem 
sy  kain  laid  gethon,  sonnders  die  sie  auch  vor  gefanngenn  heten,  wie 
obstet  Bey  syben  wider  schickhten  sy  herwider,  die  vrsach  erkhannt 
man  nit,  dann  das  sy  sagten,  der  Hauptman  Dürckhen  wer  nit  dess 
willens,  niemands  kain  layd  zu  thun.  Das  etlich  in  bösem  verston 
weiten,  villeicht  er  vnns  Bilger  darmit  raytzen,  allain  fürzufaren.  Vnnd 
also  gegen  tag  dess  fünften  Octobris  was  man  all  Anker  aufheben, 
dann  sich  der  wind  ganntz  gestyllet  Darnach  kamen  drew  galleen, 
die  vnns  auß  dem  Haffen  zogen,  ain  guten  weg  in  das  mör.  Do  stund 
Bonatza  an,  das  wir  also  schwebten,  in  dem  zogen  hernach  die  schiff 
vnnser  Gonserua,   alns  der  partzo^,   auch  ain  Bilgerschif,   darnach  die 

1)  Vgl.  oben  s.  Id4  anm.  3. 


208 

Maryetten  genant,  gar  ain  gering  kriegsschif,  das  auch  manich  erlich 
»tackh  erlanngt,  mit  ainer  andern  nafTen,  darzw  drew  galieen,  ain 
Predegtin,  darzw  etlich  Oripen,  also  das  vnns  bey  zehen  segel  wurde, 
auf  die  nacht  thet  sich  die  galleen  zw  vnnsenn  schif ,  danunb  das  ditz 
den  fürsten  füren  was,  machten  es  zw  Hauptman,  darumb  Er  die  lat- 
temen  außstreckht,  das  dem  anndem  schif  dem  Barzotten  beschmahen 
was,  dann  es  vnnder  den  Meerleuten  vnnd  schiffen  gar  ain  gros  £er 
zwgibt,  die  ainer  dem  anndem  gar  kaum  nachlast  Also  namen  die 
galleen  das  Warzaichen  vnnd  allen  beschayd,  gesegneten  vnns  vnnd 
füren  etwas  auf  die  linckh  Hannd  weyt  Yon  vnns  hindan,  wann  wir 
dem  wind  nach  nahend  zw  der  Türckhen  lannd  &ren  musten,  den 
wolte  zu  nemen,  so  vnns  aber  etwas  ankem,  solt  maus  In  bedeuten, 
mit  ainem  schuss  ward  yerlassen.  — 

Item  in  der  nacht  stund  der  wind  ab,  do  wir  dess  morgens  auf 
erstunden,  waren  wir  dess  Wegs  nit  weyt  gefiuren,  vnnd  alls  man  sich 
vmbsach,  was  vnnser  Ck)nsertta  nah^id  bey einander,  das  lustig  zu  sehen. 
In  dem  bliesen  die  galleen  Ir  trumeten  auf,  vnd  schanckhten  dem  fnr- 
Hten  ynnd  den  Bilgem  ain  guten  tag,  ymbfueren  das  schif,  darnach 
oyllten  sy  dann  dem  Turcklüschen  lannd  zw,  Inen  wasser  zu  fEissn.  — 

Item  disen  sechsten  tag  weret  die  Bonatza  bis  zw  Anbis,  in  dem 
gesehen  ward  ain  weis  Ding,  sich  regen  vnnd  bewegen,  also  wie  es 
wais  Ich  nit,  ob  von  forcht  oder  sonnst  au£  vnerfarenhait  man  wölt 
sagen  furwar,  es  wer  ain  fusten  von  den  feynden,  vnd  do  maus  wol 
ergründt,  was  ain  vogel,  der  zuletzst  hinflog,  alls  nach  mittag  kam 
ain  wind,  der  etwas  wider  vnns  was,  hierumb  man  lauieren  must 
Diser  wert  bis  zw  der  nacht,  das  wir  wenig  furstreckhtn,  gegen 
aubend  kamen  aber  die  Oalleen  vnnd  schannckhten  dem  durchleuchtigen 
fürsten  vnnd  den  Bilgem  abermals  ain  gut  nacht,  namen  warzaichen, 
alls  darzw  gehört,  vnnd  beliben  auf  der  seytten  hallten.  — 

Item  in  der  nacht  kam  ain  galleen  zw  warnen,  das  meniclich 
sich  versach  vnd  munder  wer,  dann  sy  besorgten,  die  feind  nit  weit 
von  dann  zuhalten,  die  sich  mit  ainer  Galleen  vnnd  fusten  sehen  bet- 
ten lassen.  Doch  b^ab  sich  anders  nichts  die  nacht,  dann  guts,  weder 
das  wir  ganntz  schwachen  wind  überkamen  gegen  tag,  des  Achtenden 
Octobris,  alls  wir  auch  am  selben  aus  dem  Canal  von  Bodis  schifften. 
Darnach  begunden  aber  die  galleen  vmbfarren  den  Naf,  mit  erscheiten 
trumeten,  gaben  dem  fürsten  aber  ain  guten  tag,  damach  zogen  sy  die 
schif  ain  lannge  weil,  auf  den  Anbis  fuoren  sy . .  .^  hinaus,  das  ¥nrs  bis 

1)  Lücke. 


BERICHT  ÜBER  EINS  JEBUSALEMFAHRT  209 

in  die  nacht  nit  sahen,  alls  darnach  begunden  sy  wider  zw  komen, 
vnnd  brachten,  das  sy  erkhannt  hetten,  die  Aromata^  der  türckhen 
hin  zu  sein  von  dem  alten  ort,  aber  wo  aus,  wissen  sy  nit,  yermain- 
ten  also  vnns  zu  lösen.  Also  was  mans  biten,  das  sy  mit  vnns  fuoren 
bis  morgens,  das  sie  guetlich  verwiligten.  — 

Item  dess  morgens  dess  Achtenden  tag  Octobris  waren  wir  der 
Innsel  genannt  Caua  Carpanton*  über,  der  Venediger,  ligt  Achtzig 
meyl  von  Rodis,  ain  klainen  schwachn  wind  haben,  alls  darnach  waren 
vns  die  galleen  gesegnen  mit  werten,  trumeten  vnnd  geschütz,  fuoren 
wider  in  Iren  Canal  zw,  da  sy  verhallten  weiten,  bis  morgens,  darumb, 
wann  vnns  etwas  ankem,  darin  wir  Ir  notturfft  hetten,  selten  wir  es 
mit  ainem  schuss  bedeuten,  weiten  sy  vnns  zw  Hilf  faren.  Also  schie- 
den wir  von  einander,  belyben  bey  ein  das  annder  bUgor  schif,  furwar 
nit  in  klainer  gefar  vnd  sorglichait,  daraus  vnns  der  allmechtig  got 
erlösen  wölL  — 

Item  bis  zw  nacht  desselben  Achtenden  tags  Octobris  het  vnns 
der  winnd  so  weyt  getriben  in  das  meer,  das  vnns  der  Beschirm,  wie 
vorstat,  nit  het  mögen  hören,  vnnd  hetten  wir  joch  alls  vnnser  geschütz 
enntschossen.  Hierumb  wir  ailain  in  dem  schirm  der  Driualtigkait, 
der  wirdigen  Muter  vnnd  aller  lieben  Hayligen  stunden,  die  vnns  vor 
allem  übel  behüten  wasen,  alls  wir  teglich  beten  sind.  — 

Item  des  Neundten  tag  Octobris  zwo  stund  vor  tag  kam  vnns  gar 
ain  starckh  weender  wind,  der  mer  vnns  zu  hindern  anlag,  beschütz 
oder  mer  enntgegen  komen,  vnnd  darumb  auf  dem  Arcy  Pelago^  schif- 
fen wasen,  darin  gar  vil  Innsel  vnnd  felsen  sich  erzaigen  wasen,  wir 
etwas  in  vnsicherhait,  deren  ain  anzufaren.  Dieweil  es  sich  aber  dem 
tag  nahend,  möchten  wir  dester  bas  hindurch  komen,  vnnd  alls  der- 
selb  vnns  den  tag  bis  nahend  der  nacht  anlag  innweren  der  sterckhin 
mit  etwas  Regens  vnnd  bösem  luflft  vermischt,  was  das  schif  gröblich 
geappen*  vnnd  den  wellen  nach  auf  vnnd  nyder  gon.  Hierumb  etlich 
bilger  gar  hart  beschwert  warden  vnnd  Ich  insonnderhait,  wann  Ich 
mich  in  ainer  klainen  weil  wol  zehen  mal  vervnnwillet  vnnd  gespewt, 
das  Ich  doch  nit  vermaint,  dann  in  anndem  dergleichen  mit  nichts  zu 
schaffen  gab.  — 

Item  auf  die  nacht  stiend  an  ain  Bonatza,  sonnst  het  man  nit 
vil  dem  patron  weins  getrunckhen.  Die  weret  bis  gegen  tag  des  zehen- 
den Octobris,   vnnd   alls   darnach   was  aber   sich  begeben  ein  bleyin^ 

1)  Annada.  2)  Kai'patho.  3)  Arcipelago. 

4)  schwanken.  5)  schweres. 

ZETTSCHBIFT  F.   DEUTSCHE  PRILOLOaiE.      BD.   XXV.  14 


210  BÖHRICBT 

weter  mit  gemüstem  wind,  das  auf  den  Mittag  zu  besorgen  was  vnge- 
stümigkait,  hierumb  trewlich  aufsehen  hies,  darunder  sich  gros  geschrey 
verluffen,  liessen  die  segel  nyder,  kam  ain  starckher  wind  mit  ainem 
Regen,  der  bald  erlag.  Der  Wind  aber  ward  auf  die  nacht  schwer 
vnnd  gros,  also  das  derselb  gar  vnstümigklich  ween  vnnd  blasen  was, 
hierumb  das  schif  sich  in  stettem  krachen  grewlich  beweget  dieeelb 
gannz  nacht  Ynnd  dieweil  Er  vnns  gantz  wider  erzaigt,  het  man  all 
segel  eingefaßt,  allain  den  trinckhget  nit,  mit  demselben,  gegen  tag 
dess  Aylften,  wasen  wir  weit  auB  dem  Bediten  weg  getriben  zw 
etlichen  Inseln,  die  wir  sunst  fürgefaren  waren,  ynerkhant.  Also  da 
ist  Fanapia,  Parys,  Anteparys,  SyfTanno,  Millo,  Niyo,  Sannt  Tuirynno, 
Anaffi^  Dise  ligen  all  nahend  bey  einander  im  vmbkreis,  mit  vil 
anndem,  da  kaine  leut  inenwonen.  In  disem  was  man  vns  sagen,  vil 
schöner  weyber  wonen,  darzw  etlich  mit  guten  starckhen  schlossern 
bewart  sein,  das  sy  von  den  türckhen  kain  sorg  haben.  Disen  In  wo- 
nenden wachst  auch  zw  notturSt,  was  sy  bedörffen.  — 

Item  alls  dess  Aylften  Octobris  der  starckh  wider  wind,  in  dem 
wir  manchen'  vnsicherlich  vnnderworffen,  stettigs  anlag,  bereyt  sich 
der  Patron  in  der  Innsel  Nyo  anzufaren,  dahin  wir  zw  Buckh  guten 
wind  betten,  vnnd  alls  man  auff  Mittag  nahend  dahin  komen,  das  der 
Haff  mit  ainem  schlos  auf  ainer  Höchyn  ligen  gesehen  ward,  kert  man 
widerumb  dess  wegs,  alls  wir  darkomen,  der  vrsach  wais  Ich  nit, 
dann  das  man  sagt,  der  wind,  der  sich  ain  klain  geendet,  weit  ynns 
nit  zu  lannd  keren  lassen,  vnd  alls  wir  darnach  hin  vnnd  her  getri- 
ben warden,  von  ennderung  der  lüfften,  ward  gegen  aubendt  gesehen 
daher  komen,  von  ferren  aus  lauent,  ain  grosser  segel  ains  mechtigen 
schife  oder  Naf,  das  in  allen  segeln  wind  haben,  gegen  vnns  schiffen 
pfiag,  vnnd  als  man  fragen  was,  sagt  man  vnns,  wer  ain  Yenediger 
oder  ain'  Damach  nam  yederman  das  nachtmal,  in  dem  das  gedacht 
schif  nahend  auf  vnns  komen.  Hierumb  enntstunden  vil  getail  Beden, 
ain  yetlicher  vermaints  beym  besten  zw  erkhennen,  ainer  schribs  dem 
zw,  der  ander  disem,  der  drit  vnnserm  patron,  so  vnns  füren  was' 
glückh,  als  thetten  sy  es  on  all  Mittel  erkhennen,  deßhalben  nit  sorg 
was.  Dieweil  aber  das  komen  schif  sein  Banner  außgestreckht,  thett 
man  das  vnnser  auch  lassen  fliegen  on  ainige  Arckhgewon,  vnnd  alls 
ditz  nahend  zw  vnns  komen,  sanckht  es  sein  trinckhet  de  geba^,  auß 
dem  ennstund,   das  maus  für  ain  Cürser  vnnd  Baubschif  achten  thet 

1)  Kunnpia  (?),  Faros,  Antiparos,  Sipheno,  Müo,  Nio,  Santorin,  Anaphi. 

2)  und  3)  Lücke. 

4)  trinchetta  da  geba  (gabbia),  besansegel  am  mastkorbe. 


BSBIQHT  ÜBKB  KNB  JSRÜSALEMFAHRT  211 

Ward  in  forcht  geschryen,  meniclichs  gerüst  sein,  vnnd  insonnders  die 
Büchsse,  die  do  gar  klain  zw  wer  stunden,  alls  Ich  mich  verston. 
Darzw  bedaacht  mich  auch,  wo  es  so  bös  gewesen,  das  in  feindschaßt 
wider  vnns  hett  wöUn  fümemen,  weren  wir  wol  zw  grund  geschossen, 
getrenckht  gewesen,  oder  vnns  ergeben  müssen,  ob  wir  die  zw  wer 
beten  mögen  erlanngen,  so  nah  beten  wirs  lassen  iaren.  Dieweil  aber 
der  herr  der  best  vnnd  höchst  hüter  ist,  der  die  seinen  versieht,  in  die 
hennd  der  feind  nit  zw  kommen,  ward  bald  erkhennt,  dise  Cristen  zu 
sein,  vnnd  nit  Rauber.  Hierumb  wir  der  sorg  halb  bald  erlöst  war- 
den,  wo  es  aber  not  het  thon,  wer  es  glückh  gewesen.  Hierumb  der 
Spruch  Dauids  war  bleybt,  Es  sey  den  das  der  herr  behüt  die  stat, 
so  wachen  vergebens  die  Wächter,  die  sie  behüten  wölln*.  Damach 
ward  mit  geschrey  bedeut  zw  einander,  das  wir  ain  bilger  schif  zu 
erst  vnnd  sy  ain  karan',  oder  ain  gros  Naf  von  Genua,  in  süryenn 
faren  begert,  vnnd  alls  wirs  erfragten,  was  newes  wer,  anntwurten  sy 
nichs  sonnders.  Darauf  wir  Inen  anzaigten  die  Armata  der  Türckhen, 
so  wir  in  dem  Canal  zw  Rodis  funden  beten,  das  sy  sich  darnach 
wissten  dester  gewarsamlich  zu  halten,  gesegneten  darnach  aller  ainan- 
der  mit  geschrey  vnnd  geschütz,  da  vnnsers  gar  kaum  hemachckam, 
man  kont  nit  lanng  verharren  vnnd  zuhalten,  sie  beten  starcken  fort 
wind  oder  In  pupa",  beten  wir  wider  wind,  der  vnns  die  ganntze 
nacht  hindert,  das  wir  die  gedachten  Innseln  stets  nahend  zw  band 
heten,  vmb  die  wir  gar  nahend  drew  necht  gefaren  waren.  — 

Item  dess  zweifiten  tags  Octobris  des  morgens  bekam  ain  finster 
weter  mit  ainem  kurtz  werenden  Regen,  das  braht  vnnd  gab  vnns  Hal- 
ben wind,  wol  etwas  zu  starckh,  doch  wasen  wir  mit  demselben  für 
gut  haben,  allain  Besorgen  stiend  bald  ab,  der  do  wert  bis  auf  die 
nacht  mit  aller  sterckhy,  in  welher  wir  darnach  wind  in  pupa  haben 
wasen,  herumb  wir  dess  wegs  fast  gefürdert,  man  sagt  vnns,  das  wir 
ainer  stund  bey  zwelf  vnnd  mer  meylen  fiirschlugen  mit  schiffen,  das 
war  tag  vnnd  nacht  zway  Hundert  vnnd  Achtvnndachtzig  meyl.  In 
derselben  Zeit,  bis  auf  mitnacht,  was  man  fürgezogen  das  türckhen 
lannd  vnnd  Eckh  (genennt  Gana  lyon)^  ain  gros  gebürg,  da  zw  gegen 
wir  auch  auß  dem  Arcy  Felago  schifften,  wölhes  bey^  Innseln  be- 
schleust in  ymbkreis,  darzw  die  Innsel  Gyrigo  Gyzerigo,  alls  bey  drew 

1)  Psalm  127,  1. 

2)  caiaca,  arab.  oharaka,  transportschiff  (Ottheinrich  387;  vgl.  Wochenblatt 
der  Johanniterballey  Brandenburg  1869,  nr.  7;  Ck)nrady  195). 

3)  poppa  ital.  schifshinterteil. 

4)  Höchst  wahrschemlioh  Cap  Malla  (Caput  Angeli.).  5)  Lücke. 


212  BÖHBICHT 

stunden  gegen  tag,  ward  der  wind  so  starckh,  das  man  den  segel 
uydem  must,  vnd  in  ain  vach  oder  paner  abnemen,  nicht  destermin- 
der  warden  wir  großlich  fürgetriben,  darynn  wir  gegen  tag  des  drew- 
zehenden  Octobris  dem  lannd  Morea  vberlanngten,  da  zuuor  ain  gegen 
vnns  gezaigt  ward  ain^  vnnd  port  haben,  do  nichts  dann  Cristen  grecy 
wonen  sind.  Daselbst  sollen  vnnd  diser  Zeit  im  mitten  des  Octobris 
so  gros  vnd  vil  mennge  der  Wachteln  komen  vnd  niderlond,  das  wun- 
dersam daruon  zu  sagen,  auch  von  derselben  feyste,  alls  weren  die 
mit  speckh  vberzogen,  sind  die  Innwoner  mit  schlechter  kunst  fahen, 
tödten,  vnnd  zusamen  bringen  ain  yeüicher  die  jhenen,  so  Er  auf  sei- 
nem ertrich  ergreyffl;  vnnd  haben  mag,  die  sie  darnach  einsaltzen, 
hinwegg  schicken  zuuerkauffen.  Ditz  gegne  vnnd  lanndtschafiPt  würt 
genennt  Mania^.  Item,  alls  sich  mit  der  Zeit  vil  vnnd  mancherlai 
begibt,  das  in  etlichen  zw  gutem  bedacht,  in  annderm  auf  all  bös 
Argkhwon,  weg  vnnd  Nachtail  außgelegt  vnnd  gezogen  wirt,  Also 
waren  auch  etlich  in  vnnser  Yersamblung,  den  nit  recht  lag,  hieng 
noch  gieng,  wie  maus  doch  anfahen  was,  es  war  mit  faren,  still  ligen, 
wind  haben,  oder  Bonatza,  auch  so  etwan  ain  sayl  oder  annders,  wie 
sich  dann  begibt  in  ainem  solichen  Bruch,  brechen  begundt,  vennain- 
ten,  ditz  sollt  versehen  sein,  wo  Ordnung  stiend,  den  doch  (alls  Ich 
glaub)  nit  nach  willen  kombt,  alles  was  sy  zw  walten  haben,  daheym 
in  Iren  Heusem,  das  sy  auch  nit  enndem  wissen,  wie  wee  es  Inen 
thut.  Doch  laß  maus  sein,  ain  Argkhwenig  Red  gibt  anzaigung  ains 
bekümerten  gemüts,  ains  neydigen  hertzen,  wem  ist  es  aber  schedlicher 
dann  Im  selbs.  — 

Item  aUs  wir  disen  wind,  nach  Bescherung  dess  Almechtigen, 
furthin  den  drewzehenden  tag  haben  wasen,  theten  wir  vnns  dess  gar 
gros  erheben,  machten  aber  vnnser  Rechnung  an  den  Wirt,  der  wolt 
in  sechs  tagen,  der  annder  in  Acht  tagen  gein  Venedig  komen.  Darzw 
meinten  Wür,  vnnserer  mitgesellen,  den  Barzottenn  nymer  zu  beyten. 
In  disem  stund  an  ain  Bonatza  auf  den  Mittag,  der  wert  bis  zu  nacht, 
das  wir  also  zwischen  Koron^  vnd  dem  felsen,  Sapientia^  genannt, 
darauf  man  über  das  weyt  mer  sieht,  haben  wasen.  — 

Item  auf  die  nacht  dess  drewzehenden  Octobris  stiend  an  ain 
klainer  schwacher  lufift,  der  vnns  treyben  was  nit  sterckher,  dann  das 
wir  dess  morgens  am  vierzehenden  Octobris  gerichtig  der  stat  Modun^ 
über  raichten,  da  wir  aber  nit  in  klainer  gewagnus  wonnten,  dann  wir 

1)  Lücke.  2)  Maioa.  3)  Eoron  im  gleichnamigen  golfe. 

4)  Sapienza  westlich  davon.  5)  Modon  nördlich  von  Sapienza. 


BBBIGHT   ÜBKR  BINB  JERUBALKM FAHRT  213 

den  feinden  ganntz  in  gesiebt  vnd  äugen  halten  musten,  vmb  willen 
das  der  wind  so  schwach  ween  thet  Der  wert  nach  Imbis  mitsampt 
der  nacht,  vnd  den  fünfzehenden  tag  Octobris  bis  zw  non  Zeit,  darinn 
wir  auch  vnnder  weylen  lanng  Bonatza  haben  wasen,  möchten  also 
ynnserm  Begem  nit  Ersettigang  erlanngen,  ab  dem  weg  zw  komen. 
Schwebten  in  solichem  dem  gepürg  Morea  genannt,  über,  das  wir 
etlicher  nacht  vnd  tag  nit  zwelf  meyl  fürstrackhten.  — 

Item  dess  sechzehenden  Octobris  angeend  dem  tag  kamen  vnns 
nahend  ain  klain  Naff,  genant  Carauela^,  die  durch  ain  scbuss  zw 
Tnns  ze  komen  beruefft  ward,  demselben  sie  von  stund  gehorsameten, 
Iren  außgelassen  Barckhen  zw  vnns  schicken  wasen.  Yon  dem  wir, 
wann  es  kam,  anntwurt,  auß  Neapoly  de  Bomania^,  vnnd  wohin  es 
wolt,  gein  Venedig,  erfragten.  Darbey  was  vnns^  wie  der  Türckh  von 
den  Vngem  emyder  gelegen  vnnd  erschlagen  wer,  vnnd  der  gros 
türckh  in  aigner  persona.  Dis  kam  zwen  tag  nach  vnns  von  Alzant^, 
darab  Wir  in  sonder  (nit  vnbillich)  freud  emphahen  wasen.  Oegen 
der  nacht  stiend  vnns  an  ain  solich  still  Bonatza  (alls  wir  der  Rays 
nie  gehebt)  — 

Item  dess  morgens  am  sybenzehenden  Octobris,  alls  wir  der  Inn- 
sel  Alzannts  nit  weyt  von  lanngten,  stiend  an  ain  Wind,  etwas  widerig 
weend,  der  vnns  zw  Besitz  treyben  was  auf  ainer  klainen  Innseln 
genannt  Stribali^,  da  etlich  frum  Ainsidel  wonen  sind,  in  sondern  gna- 
den gots  bewart  vnd  beschirmt  Als  das  wir  nahend  sehen  wasen, 
schifiten  also  den  tag  vnd  die  nacht  vmb  die  gedacht  Insel  Alzant, 
das  wir  lufHs  halben  nit  zw  port  komen  möchten.  In  disem  ward  die 
Caruela,  wie  vorsteet,  so  komen  was  von  Neapolis  de  Romania,  von 
widrigem  wind  so  weyt  zw  Bückh  geworffen,  das  dieselb  darnach  zwen 
tag  auf  vnns  zw  Alzanti  ankamen,  Yrsach,  das  die  leichten  schiff  dem 
wind  nit  wider  ze  stond,  geladen  sind.  — 

Item  des  Achtzehenden  zwu  stund  vor  tag  kamen  wir  bey  der 
gedachten  Insel  Alzanti  zw  anker.  Alßbald  ain  grypen  zw  vnns  komen 
was,  von  dem  wir  erfragten,  was  newes  gesagt  wurd,  also  enntstunden 
wir  ganntz  das  widerspil  dess  türckhen  halben,  dauon  (alls  zu  glau- 
ben ist)  ain  yetlich  hertz  sich  betrübt,  ward  gesagt,  wiewol  der  Türckh 
große  menge  seins  volckhs  verloren,  vnnd  Im  erschlagen  weren  bey 
fiinfzigtausend  man,  het  er  doch  den  Yngem  abennthalten  vnnd  abge- 
wonnen ain  schön  stat,  geheyssen  Belgrad,  vnd  andere  Schlösser,  darynn 

1)  caravelle,  kleiner  schnelsegler.  2)  Napoli  di  Romania  oder  Nauplia. 

3)  Lücke.  4)  Belgrad  ward  am  29.  aog.  1521  durch  Soliman  ü.  erobert 

5)  Zante.  6)  Strivali-inseln  südlich  von  Zante. 


214  BÖHBIOHT 

ynglaublich  wüterey  gebraudit,  das  got  dem  herren  geklagt,  vnns  Gri- 
sten  also  leben,  das  sein  Bannhertzigkait  bewennt,  die  Buten  aus- 
streckht,  sein  feind  mit  seinen  freunden  straffen  ist  Disen  tag  yerliben 
wir  daselben  mit  dem  Neunzehenden  vnnd  zwaintzigisten  tag.  Also 
ward  eylends  geboten,  das  man  speis  zufQrt,  ward  von  stund  an  so 
ain  große  wölflin  der  Hüner,  vnd  was  man  bedorfft,  das,  wo  man  zw 
Bodis  etwas  vmb  ain  gellt  kauffen  must,  möcht  man  herynn  drewmal 
alls  vil  haben.  Hierumb  wir  gar  mit  Bingem  kosten  daselbst  wenn- 
ten.  Es  kaufften  auch  die  bilger  vnnd  schifleut  gar  vil  guts  von 
essender  speis,  als  Hüner,  Ajer,  Brot,  Gittruiien,  Öpfel,  ynnd  guten 
Wein,  die  auch  eüich  versuchten,  gleich  wie  im  Hinnein  ÜEiren,  das 
sy  nit  auf  den  füeBen  gston  könnten.  Auß  disem  man  mercken 
mag,  die  vügedacht  Innsel  gar  Beichlich,  mit  aller  narung  begäbet 
sein.  — 

Item  des  Neunzehenden  tag  Octobris,  hat  der  Durchleuchtig  fürst, 
mein  genediger  herr,  ainen  türcken  zw  Gristen  helfen  beuestigen,  der 
geheyssen  ward  Otto^,  nach  seinen  fürstlichen  gnaden,  dem  sein  gnad 
schanckh  zehen  krönen.  Item  desselben  tags  kamen  eüich  frantzosen 
zw  mir,  sagten  warlich  verstannden  haben,  dess  künigs  von  franckh- 
reichs  Zug  solt  dem  Bapst  sein  beer  belaydigt  haben  vnd  geschlagen, 
das  sy  doch  nit  wyssen  möchten,  darumb  wol  &eud  umbsunst,  die 
bald  ain  ennd  het  Item,  als  wir  die  Zeit  verzogen,  wie  vorsteet, 
kamen  aus  allen  lannden  stetigs  Nafen,  Garauely,  galion  vnnd  grypen, 
darzw  zwu  Yenediger  galleen,  die  gar  schön  zugerüst  stunden,  mit 
allem  Bedürffenden,  die  von  Gonstantinopel  schifften,  darumb  vil  segel 
bey  einander  ankerten,  das  lustig  zu  sehen  was.  Es  ist  auch  dersel- 
ben Zeit  gewonlich,  das  alle  schif  zu  haus  komen,  vnd  sich  rüsten 
fhimd.  — 

Item  des  zwaintzigisten  Octobris  nach  Inbis  füren  wir  zu  schiS^ 
darnach  ylends  daruon,  von  dem  wir  guten  wind  in  pupa  haben  waren, 
es  versumten  sich  etlich  Bilger,  den  Essen  lieber  was,  da  sy  darnach 
lanng  hernach  faren  musten,  etUch  gar  da  hynden  verlyben.  Was  aber 
nit  des  patrons  schuld,  dann  ers  zeitlich  gnug  die  Hinfart  bedeut  het, 
mit  dissem  guten  luflt  kamen  wir  bis  zw  ennd  der  Innsel.  Ynnd  als 
gegen  der  nacht  sich  nahet  vnd  was,  stund  an  ain  wynd  widerwertigs 
komend,  also  das  wir  der  nacht  nichts  fürfuren. 

Item  gegen  tag  dess  Ainvndzwaintzigisten  Octobris  verwand  sich 
derselb,  vnd  ward  mit  vnns  ain  guter  wind,   der  vnns  trayb  bis  nach 

1)  Ottheinrich  schweigt  davozL 


BIBICHT  VBMU  CHE  JgBUBAT.KMf  AHKT  215 

mittag,  für  die  Insel  Ceffolonia,  soll  gar  in  schön  vnnd  feyst  ertrich 
vnnd  Innwonung  erfanden  werden,  von  allem  was  man  bedarf,  darzw 
mit  starekhen  Bletzen  vnnd  schlossern  bewart,  deßhalben  die  Spanyer 
vnnd  Frantzosen  zw  Zeiten,  als  der  türckh  Modun  gewan,  erobert  Er 
dise  Innsel  auch  wider  abgewonnen,  den  die  Yenediger  zu  schwach 
vnnd  zw  forchtsam  waren.  — 

Item  zw  Vesper  kamen  wir  dem  gebirg  der  türcken  über,  das 
man  nennet  Caua  de  Gaty^,  ligt  Hundert  vnnd  zwaintzig  meyl  von 
Alzanti,  vnnd  als  wir  die  nacht  vnd  den  zwenvndzwaintzigisten  tag 
styllen  wind  haben  wassen,  warden  wir  gegen  der  nacht  getryben  bis 
auf  die  Insel  CorflFö',  von  der  man  sagt,  gar  mit  ringstem  kosten  vnnd 
wol  gelebt  mög  werden ,  von  allem  was  man  begem  ist.  Die  auch  mit 
zwayen  schlossern  im  meer  ligen,  mit  starekhen  meuren  vmbgeben, 
bewart,  darvmb  manich  hüpsch  Haus  vnnd  wonung  stond.  Bey  diser 
hinab  warden  wir  getryben  den  tag  auf  die  nacht,  stuend  an  ain  Wind, 
der  vnns  des  wegs  nichts  für  tryb,  sonder,  als  zw  besitz  hinaus  faren 
wasen,  begab  sich  das  wir  dess  Diorgens  am  drewvndzwaiutzigisten 
tag  wider  an  dem  ort  vnns  befanden,  als  wir  dess  morgens  daruor 
gestanden  wasen.  Vnd  dieweil  derselb  den  tag  weren  begund,  darzw 
auf  die  nacht  sich  sterckht,  waren  wir  größlich  gehynndert  Diser 
weret  die  nacht,  vnnd  den  vierundzwaintzigsten  tag,  das  wir  mer  hinn- 
der  sich  zugen,  dann  fürlanngten,  stetigs  bey  der  Insel  Gorffo,  über 
nahend.  Der  weret  aber  die  nacht  bis  auf  den  fünfvndzwaintzigsten 
tag,  das  man  sich  aber  befannd,  nahend  bey  der  gedachten  Innsel 
CorfFo,  vmbschifFend,  so  gantz  verdrtisslich  dess  widerwertigens  Winds, 
das  man  von  allem  geschray  vnnd  gesanng  gestannden  was,  so  gewart 
stund  den  weg  anzuzaigen,  vnd  als  man  vmb  Sext  Zeit,  nach  gewon- 
halt,  ain  vnconsecrierte  meß  hyelt,  lies  der  patron  durch  den  Nauteyr* 
außschreyen,  das  man  ainen  Bilger  erwelen  wölt,  mit  ainem  opfer,  so 
dann  die  frumen  Bilger  herzwsteuren  würden,  denselben  schicken,  mit 
disem  zw  dem  lieben  Hayligen  sant  Niclaus  in  Parens^  vnns  vmb  die 
Barmhertzigkait  gots  erwerben,  ain  genedigen  wind  vnns  vnnsers  wegs 
treybende,  dann  wir  nun  in  vier  tagenn  vmb  disen  felsen  Corffo  getry- 
ben wurden,  vmbzufaren,  vnd  als  auf  ditz  ward  aufgesamelt  ain  opfer, 
darzw  der  pot  gestellt  Dieweil  aber  der  Herr  die  stimen  der  sünder 
nit  erhören  ist,  warden  wir  wieuor  den  tag  ennthalten,  vf  die  nacht 
stund  an  ain  Bonatza,   die  wert  bis  morgens  am  sechsvnndzwaintzigi- 

1)  Gap  Dacato  auf  der  südspitze  von  Santa  Maora. 

2)  nooohiere  itaL  steuennaim.  3)  Parenzo. 


216  BÖHBIGBT 

sten  tag  Octobris,  das  wir  desselben  neher  bey  den  forderigen  enden 
standen.  Wie  wir  nun  fünf  tag  geschwebt,  an  dem  erfuren  vnns 
nahend  drey  schiff,  die  zum  mynsten  zwen  tag  zw  Alzanti,  nach  vnns 
vom  lannd  gescheyden,  etlich  gros  vnleidlichait  entstunden,  vnd  ain 
segel  tryspitzig^,  den  man  nennet  fela  Deteja',  damnder  ains  ynser 
mit  gesel,  was  der  anndem  Bilger,  das  ander  auch  ain  Venediger  schiff 
beyst  der  patron  liccadegoba',  der  in  Cipem  kürtzlich  bey  zwayen 
tagen  daruor  hingefaren  was.  Als  wir  von  JafEat  wider  in  Cipem 
lanngten,  diser  darzwischen  in  Barut  lanng  gelegen,  sein  sachen  gestelt 
▼nd  berwider  komen,  daraus  man  wol  nemen  thut,  in  disem  Jar  vnns 
Bilgor  zw  Bezeit  von  Venedig  gescheiden  sein.  Als  dann  ward  man 
ingedenckh  der  Bed,  so  zw  Alzanti  verluffen,  von  etlichen  galyonen 
vnd  fusten  dess  Bapsts,  die  auf  die  Venediger  angryffen  vnnd  raubten, 
Vrsach  dess  angehebten  kriegs  zwischen  einander.  Hierumb,  als  man 
ditz  schif  zw  vnns  schiffen  sach,  ward  ain  Bed  mit  etlicher  forcht, 
diso  sind  die  obgenanten  vom  Bapst  gesandt  Ruber,  das  auch  ain  weil 
lanng  also  in  Zweiuel  belag,  doch  bald  entschossen.  Es  betten  aber 
die  Venediger  vnd  etlich  Franzosen  nit  ain  klain  forcht  im  Buossen^, 
vnd  als  dis  auf  vesper  nahend  zw  vnns  komen  theten,  schickht  man 
vnnser  gundelin^  zw  in,  zu  erfragen  die  newen  mer,  die  in  antwort 
brachten,  sy  weren  von  dem  türcken  angewendt  worden,  doch  nichts 
layds  von  im  empfanngen,  darzw  es  wer  auch  vnns  von  dem  anndern 
Bilger  schiff  nit  not  gewessen,  Belaytung  mit  zu  fueren,  dann  sy  nit 
da  weren,  den  Venedigem  ainigen  schaden  zu  thun,  noch  zugefuegen, 
allain  das  sy  weiten  den  weg  vnd  mer  von  den  Meer  Räubern  frey 
halten,  beten  doch  annder  schiff  disen  in  äugen  nider  geleyt,  darumb 
wol  zu  besorgen,  wo  wir  In  zu  hannden  komen,  beten  müssen  bezaln. 
Item  auf  die  nacht,  alls  wir  noch  stetigs  bey  dem  gebürg  Zimem 
genannt,  vmblanngten  zw  ainer  selten,  die  felsen  vnnd  gebüig  zw 
Napels  zw  der  anndern  haben  wasen,  deßhalben  nahend  durch  den  golf 
komen,  wo  wir  etwas  Winds  mit  vnns  gehebt  betten,  als  darnach 
bekart  sich  ain  klain  der  lufft,  fieng  man  wider  an  zu  bedeuten  den 
weg,  der  wert  die  nacht  schwächlichen  ween,  bey  drew  stunden,  be- 
fandt  sich  wider  ain  Stillung  ains  Galmas  bis  gegen  tag  des  sybenvnd- 
zwaintzigisten  Octobris,  das  wir  nahend  beystunden.  Als  wir  nun 
bey  sechs  tagen  gefaren  wasen,  in  disem  enstund  ain  zimlicher  wind, 
den  wir  in  pupa   bezwanngen,   als  Er  vnns  nit  mynders  trost  vnnd 

1)  dreispitzig.  2)  Yela  di  tre. 

3)  Wird  sonst  nirgends  in  pilgerschriften  genant. 

4)  busen.  5)  gondel. 


BERICHT  ÜBER  ONE  JEBÜ8ALB1IFAHBT  217 

hofiteung  erneweret,  als  Er  vnns  dess  wegs  fiirtreyb,  allain  forchtende, 
denselben  nit  lanng  verlyben ,  theten  wir  y nns  desselben  hoch  erfrewen, 
der  do  wert  den  tag  bis  zw  aubend,  vnnd  alls  Er  sich  stercken  ward, 
kamen  wir  den  felsen  genannt*  sichtbarlichen  zw  ainer  vnd  dem  Na- 
pulischen  Büig,  do  dann  zuuor  ligt  die  stat  0 tränt',  zw  der  andern 
seyten,  auch  in  gesicht  gerichtigs  über.  Alßdan  wir  auch  durch  den 
golf  geschiflPt  heten,  der  sich  bey  disem  verleurt,  vnnd  dieweil  ain 
finster  weter  ain  Begen  bedeuten,  ain  stund  darzw  starcken  wind,  das 
man  nit  wol  die  gelegenhaiten  darumb  sehen  was,  fuoren  wir  etwas 
in  grosser  ynsicherhait,  das  doch  nit  yeder  vermercken  was,  die  nacht 
mit  starckhem  Wind  in  pupa,  der  vnns  getryben  het  bey  vierzehen 
meyllen,  ainer  stund.  Item  des  morgens  am  Achtundzwaintzigisten 
Octobris,  alls  es  etwas  geregnet  vnnd  finster  was,  mocht  man  nit 
erkhennen,  vmb  was  gelegenhait  wir  vmb  schifften,  darumb  wir  stetigs 
in  gleicher  vnsicherhait  segleten  mit  vollem  wind,  vmb  die  Innseln, 
die  do  ligen  in  dem  meer  hin  vnd  her,  Meliga,  Langusta,  Pegulosa', 
vmb  diö  die  Venediger  gar  manich  nachtail  vnnd  schifbruch  erlidten, 
allennaist  in  nybligem  Weter,  alls  wir  heten.  Bey  disen  hinab  ligen 
annder  Insel  alls  Caza,  Cazoly,  Lissa^,  do  man  die  serdintin^  fahen 
ist,  sant  Andrea,  MeliseUa,  Cursula,  Turtura,  Lesena^,  gantz  reichlich, 
was  man  bedarf  vnd  insonders  der  vischen,  die  wir  all  zw  beeden 
seyten  verliessen,  vnnd  aUs  es  ward  gegen  Aubend,  erschein  zum  tail 
ain  Heysterey^,  ward  man  die  Innseln  bescheidenlich  sehen,  darumb 
wir  gewarsamlicher  faren  theten.  In  disem  wasen  wir  auch  den  ste- 
ten Banagusy  oder  Aragusy  vnnd  Catary®  vber  gerichtigs®.  Dis  Ara- 
gusy  ligt  auf  dess  türcken  lannd  in  etlichen  mechtigen  gebürg,  hat 
macht  vnnd  erweit  ain  ainigen  Hertzogen,  leben  auf  der  Venediger  art, 
geben  aber  dem  türcken  tribut,  sind  weyt  in  alle  lannd,  hanndeln  mit 
kaufinanschatz,  soll  daruon  den  Namen  haben  Ranagusa*^,  das  vor  Zei- 
ten ain  grosse  menge  der  frösche  daselbst  wonnten,  die  Raini  in  welsch 
genennet  werden,  Gatary  aber,  ein  stat,  ist  den  Venedigem  vnnder- 
tanig.  — 

Item  in  der  Nax^ht  bewand  sich  der  wind  etwas  wider  vnns  mit 
etlichen  schweren  Wetem,  der  keltin  vnnd  plitzgens.  Also  das  wir  nit 
mit  klainer   sorg  vmbgeben   die  Zeit  der  nacht  verzarten.     Vnd  alls 

1)  Lücke.  2)  Otnnto.  3)  Meleda,  Lagosta,  Pelagosa. 

4)  Cazza,  C^jola,  lissa.  5)  sardmen. 

6)  S.  Andrea,  Mellisello,  Curzola,  Torcida,  Lesina.  7)  heiteres  wetter. 

8)  Bagusa,  Gattaro.  9)  grade  gegenüber. 

10)  Eir.  onglüoklioher  erklärungsversaoh. 


218  BÖHBIUUT 

dess  moigens  am  Newnimdzwaintzigisten  Octobiis  ward  derselb  sterckher 
wider  ynns  weea,  darumb  man  sich  behelffen  must,  hia  ynd  her  zw 
keren.  Alßdann  kamen  wir  zw  den  gedachten  Innseln,  wie  oben  yer- 
zaichnet  stat  Lyssa,  da  man  groß  menge  der  sardinilin  fahen  ist,  zw 
Aiibend  nahend  zw  der  schönen  vnnd  firuchtbam  Inseln,  Lessena,  in 
der  vnnder  annderer  vberflüssigkait  gar  wunderlich  groB  vyle  der 
fischen  teglich  gefanngen  werden,  darzw  mit  zimlicher  weytin  ymb- 
geben,  mit  vil  Arbaytsamer  Innwoner,  dis  zuuor  ain  starckh  scbloss, 
mit  manichen  Heusem  darumb  ston  hat,  auf  welchs  wir  gar  nahend 
komen  wassen,  die  weil  ligt  in  schlaffonia^  derselben  sprach  sy  auch 
reden.  Item  derselben  nacht  bekart  sich  der  winnd,  darynn  wir  gröA- 
lieh  filrfiioren,  Also  das  wir  dess  morgens  am  dreyssigisten  tag  Octo- 
bris  nahend  auf  die  Innsel  Clar',  die  auch  mit  gewaltigen  pletzen  vnnd 
Lustparkait  beziert  Darumb  auch  an  disem  erzaigt  sich  gar  ain  schwer 
gros  Wetter,  mit  starckhem  wind,  in  dickher  finsterhait,  dadurch  das 
mer  gröblich  erhebt  vnnd  wüten  ward,  vnd  darumb  man  besorgen  was, 
dasselb  zuzunemen  in  stercky,  daraus  dann  ain  fortun  oder  gewagnus 
enntston  möcht,  ließ  man  die  segelmaister  genannt  fallen,  den  man 
bezwungen  hielt,  auf  ain  halbe  stund.  Vnnd  alls  aber  dasselb  sich 
zerteilt  in  Stillung,  Rieht  man  gar  bald  den  segel  wider  auf  den  wind 
zu  empfalien,  den  wir  in  pupa  haben  wasen.  Hierumb  wir  zw  Aubendt 
nahend  auf  die  Innseln  geheyssen  Ossera^  komen  warden,  darinn  gar 
lieblich  flaisch  allerlay  hannd  erzogen  wirt,  des  sich  die  Yenediger  zum 
maisten  beneren  in  Ir  metzg^.  In  disem  ward  vnns  der  wind  gar 
genedigclichn  fürtreyben.  Also  das  wir  die  andern  schif,  der  sonst 
drew  bey  vnns  vmbschifiEten,  fiirfuoren,  auB  dem  wol  zu  nemen,  ain 
schifiT  das  annder  überfert,  darnach  es  in  segeln  gerüst  stet,  wie  dann 
vnnsers,  der  Naf  Goressy,  auch  was  geordnet,  darumb  es  wol  zu 
beriefen.  — 

Item  ain  stund  in  die  nacht,  als  wir  etlichen  Schlünden  über 
waren,  nahend  bey  dem  gepürg  in  EUstria  zw  ainer,  vnd  dem  Pul- 
gischen  gebürg  zw  der  andern  selten,  enntstund  gar  ain  schwerer 
starcker  wind,  zw  beed  seit  komend,  vnd  alls  es  nacht  gar  vinster 
was,  waren  wir  nit  in  klainsten  sorgen,  darumb  man  die  segel  nieder 
liess,  die  man  mit  grosser  Arbait  bezwang,  vnd  aUs  derselb  die  durch- 
geend  nacht  mit  grewlichem  wüten  anlag,  dorft  man  ditz  nit  wider  in 
höhe  aufrichten.    Deßhalben  des  morgens  am  tag  Nouembris  wir  nichtzig 

1)  Slavonien.  2)  dar.  3)  Orseia,  nördlich  von  Bovigno. 

4)  metzgerei,  fleisohbank. 


BKBIGST   ÜfiSB  SINK  JKRUSALEMFAHBT  219 

des  wegs  furgeschlagen  wasen,  allaia  wir  befanndea  vnns  nahend  bey 
dem  gebürg  in  Histria,  da  sich  etlich  stetlin  sehen  liessen,  als  Mede- 
lin^  vnnd  ander,  auf  den  mittag  gerichtigs  dem  flecken  Pola^  in  gesicht, 
enntgegen  zw  Vesper  nahend  vnder  äugen  dess  stetlins  Bubina  ^,  darby 
sonst  ander  auch  vnder  äugen  lagen,  auf  lustigen  bürgen,  bis  gein 
Parentz^,  da  wir  hinkomen  auf  die  nacht,  fast  in  Ynnserm  weter,  das 
wir  der  gelegenhait  nichtzig  sehen  möchten.  Alßdann  eüich  zw  lannd 
fiioien  in  schiffen,  die  von  weytem  zw  vnns  kamen,  in  diser  nacht 
aber  gar  ain  hert  schwer  wetter  mit  grossem  Regen  vnd  hertem 
starckhem  wind,  als  wir  kaum  gehebt  hetten  der  Beiß,  also  das  nahend 
niemants  was,  der  an  trucken  steten  verlyben  möcht  Ynd  als  derselb 
so  yngestümigklich  wüten  was,  deBhalben  ain  Ancker  lieft,  hierumb 
wir  aber  nit  in  minsten  sorgen  stunden,  dann  man  maynen  was,  die 
andern  würden  auch  nit^  das  doch  in  gutem  vnnd  gnossnen  ausschlug. 
Dess  morgens  am  ersten  Nouembris  vnd  aller  Haylgen  tag  kam  Ich 
zu  lannd  in  die  genannten  stat  Farentz,  die  zumal  in  lustigen  zim- 
iichen  höchyn  ainer  landtschaft  ligen  thut,  mit  vil  nutzbam  Ölbäumen 
ymbgeben,  vnnd  sonst  von  allem  gewechs,  was  man  not  ist,  in  son- 
ders ain  Glösterlin,  darynn  zwen  münnich  wonen,  haist  sant  Niclaus, 
gar  in  ainer  lustigen  Zierdt  der  grünen  gärten  vnd  mancherlay  firucht- 
bam  Bömen,  darzw  nahend  ain  Insel.  Dis  stat  ist  nit  fast  suber 
wanndeln,  doch  mus  bedüncken,  faist  darynn  zu  wonen,  vnnd  lustig 
gesetzt  auf  ainem  ebnen  felsen.  In  disem  Farentz  was  ain  großer  teuf- 
stain,  darynn  Ich  wol  geschwumen  wolt  haben.  Hie  wurden  sich  die 
Bilger  zertailen,  auf  die  nacht,  der  auf  Ankonien,  der  auf  Tryest^, 
der  vf  Venedig,  nachdem  es  ainem  yeÜichen  wolkem,  vnnd  als  den 
niemands  mer  noch  auf  den  patron,  noch  auf  mitbiiger  warten  waren, 
dann  gesellen,  enstund  der  nacht  ain  wylde  Zertaylung,  in  der  wir 
so  weyt  fürschlugen  dess  wegs,  das  wir  auf  mittag  zw  Humago^  aus- 
stunden. Darzwischen  ligt  ain  stetlin,  haist  Gittanona^.  In  disem 
Humago  verlyben  wir,  dem  weter  zu  erwarten,  das  sich  in  Begen  vnnd 
wyderigem  wind  den  gantzen  driten  tag  Nouembris  erzaigt.  In  der 
nacht  bewannt  sich  das  vngewiter  in  ain  schöne.  In  demselben  ma- 
niclichs  zw  schiff  zoch,  dahin  schied,  kamen  gegen  tag  dem  stetlin 
Tyran^  über,  da  wir  dann  aber  über  ain  klainen  golfen  faren  musten. 
Vnd  dieweil  vnnser  schiff lin  so  klain,  waren  wir  etwes  in  sorgen,  der 
wir  guetigklichen   erlöst  wurden,  vnnd  alls  wir  zimlich  wind  haben 

1)  Medolin.  2)  Pola.  3)  Bovigno.  4)  Parenzo. 

5)  Lücke.  6)  Anoona,  Triest  7)  ümago.  9)  Cittanova. 

9)  Pirano. 


220  HINOEB 

waseD,  füren  wir  die  steten  Orauw,  Aquilea^,  da  ain  patiiarchat,  Mar- 
ran,  Montfalchon ^,  ligen  an  dem  gebürg  Dadmatya,  oder  Fingol^  Zw 
Imbis  kamen  wir  auf  ain  Insel  Caneriy^  genannt,  da  vor  Zeiten  ain 
schön  stat  gelegen,  nun  aber  mer  dann  halb  von  meeres  ynstümigkait 
versunckhen,  wir  aßen  daselbst  zw  Imbis,  alles  gnugsam  was  man 
begeret,  in  leichter  Zerung,  das  mich  verwundert,  dann  diese  Innwo- 
ner  sich  nichtzig  begonnd  dann  Vischens  vnd  waydwerckhs  der  wyl- 
den  ennten,  vnnd  anders  geflügel,  eßen  nicht  desterminder  gar  gut 
weis  prot.  Ton  disser  mag  man  faren  durch  ain  graben  zw  bösen 
Zeiten  oder  in  gutem  weter,  auf  dem  meer  gein  Venedig,  da  wir  hin- 
kamen von  den  genaden  gots,  mich  der  fart  in  huot  nun  verlassen, 
auf  den  fiinfften  Nouembris,  damit  meinem  färgenomen  gemuet  vnd 
lanng  verhartem  Begern  gnug  gethon,  vnd  erstattet,  in  hoffen,  in 
künfftigem  mir  zu  vil  gutem,  fürderung,  vnd  hernach  abbruch,  ze  myn- 
dern  mein  sündigs  leben,  das  mich  der  schopfer  aller  Ding  in  seinem 
willen  vnnd  gefallen  vnderziehe,  ze  volennden. 

BERLIN.  BEOmOLD   RÖHRICUT. 


ÜBER  WIELANDS  GEEON. 

Eine  Utterargesehichtliche  untersuehung. 

Bald  nachdem  mit  Goethes  und  Herders  ankunft  ein  neuer  auf- 
Schwung  des  litterarischen  lebens  in  Weimar  begonnen  hatte,  erschien 
im  Deutschen  Mercur  (1777,  1,  3  fg.)  Wielands  romantische  erzählung: 
Oeron  der  Adelich  (umgearbeitet  in  der  gesamtausgabe  von  1794 — 
1796  bd.  8).  Obwol  von  geringem  umfange  und  von  der  neueren 
litteraturforschung  bisher  unbilliger  weise  vernachlässigt,  verdient  die- 
ses gedieht  dennoch  schon  wegen  dieses  Zeitpunktes  seines  erscheinens 
besondere  beachtung,  zumal  da  es  in  Inhalt  und  spräche  mehr  als 
irgend  ein  anderes  beweist,  wie  auch  Wieland  damals  von  der  ein- 
Wirkung  Goethes  und  Herders  nicht  unberührt  bliebt 

Die  vorliegende  studio^  berücksichtigt  in  erster  linie  diejenigen 
eigentümlichkeiten  des  Geron,  welche  mit  den  gesicbtspunkten  in  zusam- 

1)  Aquileja.  2)  Marone,  Monfalcone.  3)  Earsi  4)  Gaorle. 

5)  Vgl  Soherer,  Litgsch.  s.  515:  Geron  ist  Wielands  ernstestes  tmd  durch 
selbetverläugnung,  ruhigen  ton,  abwesenheit  der  manier,  eigentümliclie  oomposition, 
ästhetische  und  sitliche  baltung  vielleicht  sein  volkommenstes  gedieht 

6)  Schon  februar  1889  der  redaction  dieser  ztschr.  übersendet;  daher  konte 
auch  der  im  III.  bd.  der  Yiertelljabrsschrift  f.  d.  1.  (okt  1890)  enthaltene  aufsatz  von 
G.  Rousshoff  nicht  berücksichtigt  werden. 


ÜBER  WIELANDS  GBBON  221 

hang  stehen,  die  für  Wieland  bei  der  ausarbeitung  des  gedichtes  mass- 
gebend waren  ^. 

Ich  habe  demnach  zunächst  die  composition  des  gedichtes 
untersucht  und  dessen  Verhältnis  zur  quelle  im  einzelnen  dargelegt 
Sodann  habe  ich  die  diction,  welche  sich  Wieland  selbst  hoch  anrech- 
net, auf  folgende  fragen  untersucht:  1.  Wieweit  ist  Wieland  in  der 
nachahmung  älterer  redeweise,  namentlich  der  spräche  des  16.  Jahr- 
hunderts gegangen,  und  in  welcher  art  hat  er  die  von  ihm  selbst 
genanten  Vorbilder  benuzt?  2.  Welche  mittel  hat  er  angewendet,  um 
dem  gedichte  den  Charakter  wlirdevoUer  einfachheit  und  Schlichtheit  zu 
geben?  3.  Lässt  sich  im  einzelnen  ein  einfluss  des  französischen  Ori- 
ginals oder  anderen  fremden  Sprachgebrauches  auf  die  stilistische  form 
nachweisen? 

Eine  eingehende  besprechung  des  versbaues  habe  ich  unterlassen; 
doch  sei  schon  hier  bemerkt,  dass  der  Oeron  reimlose  filnffiissige  Jam- 
ben zeigt,  und  dass  Wieland  die  wähl  dieses  versmasses  besonders 
rechtfertigen  zu  müssen  glaubt  Auf  einzelnes  ist  gelegentlich  hin- 
gewiesen. 

Der  Untersuchung  liegt  die  recension  des  gedichtes  zu  gründe, 
welche  Wieland  selbst  als  die  endgiltige  angesehen  wissen  wolte,  die 
der  gesamtausgabe  von  1794 — 96  (Leipzig,  Göschen,  kl.  8),  nach  wel- 
cher ausgäbe  auch  citiert  wird  (W);  damit  wurde  die  erste  ausgäbe 
(Teutscher  Merkur  1777  Jänner  u.  i^g.  (T.  M.)  verglichen. 

Der  königlichen  bibliothek  zu  München  danke  ich  für  die  gütige 
übermitlung  der  Bibliothdque  universelle  des  Bomans  1776,  des  alten 
druckes  des  Qyron  le  Courtois  von  Jean  Petit  und  Michel  le  noir,  sowie 
der  Bodmerschen  „Proben  der  alten  schwäbischen  poesie*'. 

I. 

Starkes  hervortreten  der  persönlichkeit  des  dichters  ist  eine  der 
hervorstechendsten  eigentümlichkeiten  der  romantischen  erzählungen 
Wielands.  Durch  den  überwuchernden  Subjektivismus  wird  der  leser 
fortwährend  daran  erinnert,  dass  er  sich  eigentlich  nur  für  gebilde  der 
freischaffenden  phantasie  erwärme,  deren  wilkür,  wie  die  Charaktere,  so 

1)  Brief  Wielands  an  Merck  vom  16.  apiil  1777  (Briefe  an  Merok  106):  «Das 
Original  (des  Geron)  will  ich  Ihnen  mit  dem  April- Merkur  schicken.  Sie  werden 
sehen  . . .,  dass  ich  mir  von  Geron  gar  nichts  zuzueignen  habe,  als  das  Bischen  Com- 
position und  die  Jamben  und,  wenn  Sie  wollen  eine  Diction,  die  dem  Golorit,  womit 
sich  die  Geschichte  meinem  (reiste  darstellte,  etwas  nahe  kommt*^. 


222  8IN&BB 

auch  die  taten  und  geschicke  der  beiden  schaft;  eine  wilkür,  die 
soweit  geht,  dass  sie  mit  vielem  aufwände  Verwicklungen  herbeifahrt 
und  die  handlung  bis  zu  einem  der  vollenduDg  nahen  punkte  stei- 
gert, um  dann  das  ganze  in  ein  nichts  verpuffen  zu  lassen. 

So  tief  begründet  sind  die  damit  zusammenhängenden  eigentüm- 
lichkeiten  des  Stils  in  des  dichteis  innerster  natur,  dass  sie  sich,  mehr 
oder  minder  stark  hervortretend,  in  fast  allen  seinen  epischen  dichtun- 
gen  erkennen  lassen.  In  behaglicher  breite  fliesst  die  erzahlung  dahin, 
zumeist  in  launigem  tone  gehalten,  als  ob  der  erzähler,  der  in  den 
meisten  fällen  der  dichter  gelbst  ist,  zeigen  wolte,  dass  er  durchaus 
über  seinem  stoffe  stehe,  und  dass  das,  was  seine  beiden  aufregt,  ihm 
nicht  die  heitere  ruhe  rauben  könne,  mit  der  er,  der  schöpfer,  die  ent- 
wicklung  der  dinge  übersieht.  Mitten  in  erregter  und  erhöhter  dar- 
stellung  mahnt  eine  altägliche  wendung,  ein  dem  kreise  des  gewöhnlichen 
entlehntes  wort  den  leser,  sich  nicht  alzutief  ergreifen  zu  lassen.  Nicht 
selten  wendet  sich  der  dichter  persönlich  an  den  leser  mit  fragen  und 
ausrufen;  ausführliches  moralisieren  unterbricht  öfters  den  gang  der 
erzahlung;  zahlreiche  eingeschobene  sätze  geben  bald  einen  vergleich, 
bald  eine  Zwischenbemerkung,  die  einen  zweifei,  einen  wünsch,  einen 
ausdruck  der  befriedigung,  eine  einschränkung  enthält  Zahlreich  sind 
auch  in  den  späteren  romantischen  erzählungen  anspielungen,  welche 
durch  den  Widerspruch  mit  ton  und  Charakter  der  eigentlichen  eizäh- 
lung  die  Stimmung  fast  gewaltsam  unterbrechen.  Auch  an  anachronis- 
men  fehlt  es  nicht  Dahin  gehört  es,  wenn  Oberen  in,  16  Scherasmin 
von  ,,Schweizem'*  spricht;  oder  wenn  Gandalin  stock  und  hut  ergreift, 
um  ins  freie  zu  laufen  (G.  8),  recht  wie  eine  figur  eines  Chodowiecki- 
schen  kupfers.  Die  anrede  „euch^  wechselt  mit  dem  seit  der  mitte  des 
Jahrhunderts  immer  mehr  zur  geltung  gelangenden  „sie^,  so  in  den 
gesprächen  Gandalins  mit  der  zofe.  Nicht  minder  fremdartig  berührt 
es,  wenn  Scherasmin,  indem  er  das  märchen  von  Gangolf  und  Rosette 
erzählt  (Oberen  YI,  70),  Diogenes  und  Salomon  als  autoritäten  für  die 
unzuverlässigkeit  des  weiblichen  herzens  anführt  Ganz  unvermerkt  ist 
hier  Siegewins  knappe  zu  Wieland  geworden. 

In  bezug  auf  die  behandlung  der  liebe  lassen  sich  die  roman- 
tischen erzählungen  der  späteren  zeit  —  Glelia  und  Sinibald  hiebei 
nicht  in  betracht  gezogen  —  in  zwei  gruppen  scheiden:  Pervante  und 
Sommermärchen  einerseits;  Gandalin,  Oberen  und  Gteron  anderseits. 
Durchaus  zeigen  diese  leztgenanten  eine  höhere  auffassung  des  gegen- 
ständes. Die  casuistik  der  liebe  behandelt  der  Gandalin.  Aber  der 
ton  des  gedieh tes  ist  bei  aller  Zartheit  und  feinheit  vielfach  derart,  als 


ÜBKR  WULANDS   OBBON  223 

ob  sich  der  dichter  über  die  unnützen  und  thörichten  selbstquälereien 
seines  ^Schützlings*^  lustig  machen  wolte.  Menschlicher  Schwachheit, 
wie  sie  der  dichter  so  oft  besungen,  erliegen  die  beiden  im  Oberen, 
aber  in  standhafter  treue  erproben  sie  ihren  inneren  wert  Und  die- 
sem gehalte  entspricht  auch  die  darstellung. 

Einen  siegreichen  kämpf  der  pilicht  mit  der  leidenschaft  schildert 
der  „Greron".  Ungewöhnlich  bei  Wieland  ist  dieses  thema,  ungewöhn- 
lich auch  die  art  der  darstellung.  Der  dichter  ist  gleichsam  aus  sich 
selbst  herausgetreten.  Wie  er  selbst  durch  die  einfachheit  und  würde 
des  gegenständes  tief  ergriffen  wurde,  so  wolte  er  diesen  eindruck  auch 
im  leser  hervorbringen.  Darum  übte  er  die  äusserste  selbstbeschrän- 
kung  und  Selbstverleugnung.  Nur  die  sache  selbst  solte  wirken.  Im 
„Oeron^  ist  der  gegenständ  gleichsam  zum  herm  geworden  über  den 
dichter,  und  so  lässt  dieser  seine  individualität  möglichst  zurücktreten: 
Gteron  ist  die  objektivste  unter  den  romantischen  erzahlungen  Wielands, 
diejenige,  in  der  sich,  vom  mittelalterlichen  stoSe  abgesehen,  die  wenig- 
sten berührungspunkte  mit  den  eigentümlichkeiten  der  romantischen 
schule  finden.  Wie  hoch  hier  das  verdienst  Wielands  zu  schätzen  sei, 
ergibt  der  vergleich  der  beiden  recensionen  des  gedichtes  unter  einan- 
der und  mit  der  quelle.  Denn  er  zeigt,  wie  strenge  Selbstkritik  der 
dichter  geübt  hat 

Kunstvoller  und  einheitlicher  als  bei  irgend  einer  anderen  roman- 
tischen erzahlung  ist  die  composition  unseres  gedichtes.  Im  Sommer- 
märchen, in  Pervonte,  Musarion,  Hann  und  Gülpenheh,  im  Yogelsang 
wird  ohne  weiters  mit  der  erzahlung  begonnen;  die  ereignisse  sind 
nach  der  Zeitfolge  geordnet  Andere  bieten  eine  vorrede,  in  der  das 
thema  angekündigt,  die  wähl  desselben  gerechtfertigt  wird,  sei  es  vom 
dichter  allein,  sei  es  in  form  eines  supponierten  geepräches,  wie  im 
Gandalin,  in  Sixt  und  Clärchen,  Glelia  und  Sinibald  oder  selbst  im 
Oberen.  Freilich  bietet  gerade  bei  diesem  die  kunstvolle  ankündigung 
des  themas  ihre  eigenen  reize,  umsomehr  als  sie  in  dem  spannendsten 
momente  abbricht  und  die  achte  Strophe  in  heiterer,  leicht  ironisieren- 
der weise  zur  ruhigen  epischen  erzahlung  hinüberleitet  Nicht  von 
anfang  an  „wie  alles  sich  begab  ^  (Ob.  I,  8)  wird  uns  die  handlung 
erzählt,  sondern  nach  gut  epischer  art  werden  wir  mitten  in  dieselbe 
versezt  Erst  nach  der  erkennungsscene  im  Libanon  erfahren  wir  aus 
Hüons  munde,  was  um  gezwungen  habe,  die  fahrt  zu  unternehmen. 

Erzähler  und  dichter  sind  im  Wintermärchen  und  im  Oeron  von 
einander  geschieden.  Im  ersten  sind  die  in  der  einkleidung  der  mär- 
chen  von   „Tausend  und   eine  nacht ^   auftretenden   personen   genant 


224  SIN0ER 

vgl.  Spiegel  der  köDige  von  Scheschiao.  Aber  die  wenigen  verse 
erscheinen  als  eine  rein  äusserliche  zutat,  vielleicht  nur  herübergenom- 
men, um  an  das  original  zu  erinnern.  Im  Geron  jedoch  sind  die 
erzählende  und  die  hörenden  personen  nicht  blosse  figuranten,  sondern 
sie  interessieren  uns  an  sich.  Die  erzählung  von  Gerons  treue  und 
edelsinn  erscheint  als  die  zielbewuste  handlung  des  alten  Branor.  Wir 
erkennen  die  inneren  gründe,  welche  den  alten  Branor  bewegen,  in 
dieser  geselschaft  gerade  diese  geschichte  aus  dem  reichen  schätze  sei- 
ner erinnerungen  zu  erzählen. 

Die  äussere  anregung  zur  wähl  dieser  form  gab  der  text  des  aus- 
zuges  aus  dem  alten  ritterromane  Gyron  le  Courtois,  den  das  oktober- 
heft  1776  der  Bibliothdque  universelle  des  Romans  enthält  Dort  heisst 
es  (s.  48),  „Der  genaue  titel  dieser  geschichte,  die  zu  Paris  bei  Verard 
gedruckt  ist  (ohne  Jahreszahl),  besagt,  dass  sie  von  Branor  dem  Brau- 
nen überliefert  ist,  dem  alten  ritter,  der  mehr  als  hundert  jähre  zählte 
und  an  den  hof  des  königs  Artus  kam,  begleitet  von  einem  firäulein, 
um  den  jungen  rittern  gegenüber  zu  erproben,  welche  die  reisigeren 
wären,  ob  die  jungen  oder  die  alten;  und  wie  er  den  könig  Artus  aus 
dem  Sattel  hob  und  vierzehn  könige,  die  in  seiner  geselschaft  waren, 
und  alle  ritter  der  tafeirunde;  und  es  behandelt  das  genante  buch  die 
grösten  abenteuer,  die  irgend  einmal  irrenden  rittern  zustiessen.  Bra- 
nor der  Braune  also  erzählt,  dass  er  eines  tages  in  einer  höhle  oder 
einem  unterirdischen  grabe  zwei  alte  ritter  fand  usw.**  —  Diese  daten, 
die  einen  innem  Zusammenhang  nicht  erkennen  lassen,  hat  Wieland 
zu  einer  schönen,  in  sich  geschlossenen  handlung  vertieft. 

Die  scenerie,  in  der  die  handlung  des  Geron  begint,  ist  die  so 
vielen  Artusromanen  eigentümliche.  Wie  im  „  Sommermärchen "  im 
saale,  so  sind  Artus  und  sein  hof  hier  im  freien  vor  der  bürg  versam- 
melt Da  komt  ein  schwarzer  ritter  vom  walde  her,  „er  ganz  allein^. 
Die  Worte  deuten  darauf  hin,  dass  Wieland  hier  mit  voller  absieht 
von  seiner  quelle  abgewichen  ist  Die  nebengedanken,  die  sich  daran 
knüpfen  könten,  dass  der  ritter  in  geselschaft  einer  jungen  dame 
erscheint,  stünden  im  Widerspruch  mit  dem  eindrucke  der  höchsten 
ehrwürdigkeit,  den  er  auf  Artus  und  seinen  hof  und  mittelbar  auf  den 
leser  machen  soll. 

Der  held  —  eines  hauptes  länger  als  die  andern  alle  —  bittet 
den  könig  Artus  mit  höflichen  werten,  er  und  seine  ritter  möchent  zu 
ehren  aller  minniglichen  frauen  und  zu  erprobung,  ob  den  alten  oder 
den  jungen  rittern  der  preis  der  ritterschaft  gebühre,  einer  nach  dem 
andern  mit  ihm  eine  lanze  brechen.     Alle  kämpfen  mit  ihm  doch  kei- 


ÜBER  WUELANDS  OBßON  225 

ner  yermag  den  fremden  zu  überwinden.  Als  der  lezte  wird  Lanzelot 
besiegt  Durch  eine  reihe  kleiner  züge  ist  die  persönlichkeit  Branors 
fein  charakterisiert,  die  kämpfe  sind  mit  frischer  lebendigkeit  geschil- 
dert^. Als  auch  Lanzelot  aus  dem  sattel  gehoben  ist,  steigt  der  sieger 
vom  rosse  und  geht  nach  dem  zelte  des  königs.  Scheu  weichen  ihm 
die  ritter  aus;  mit  edlem  anstände  empfängt  ihn  Artus  und  fordert 
ihn  auf,  sein  antlitz  zu  zeigen,  seinen  namen  zu  nennen.  Als  der 
fremde  den  heim  vom  haupte  nimt,  erblicken  die  ritter  der  tafeirunde 
ein  schönes,  edles  greisenantlitz.  Die  kraftvolle  herliche  erscheinung 
gewint  aller  herzen.  Er  heisse  Branor  der  Braune  und  sei  ein  vasall 
und  waffengefahrte  von  Artus  vater,  könig  Uther  Pandragon,  gewesen, 
erzählt  der  alte;  er  gibt  seiner  freude  darüber  ausdruck,  junge  männer 
zu  sehen,  die  „noch  nicht  völlig  aus  der  väter  art  geschlagen^.  Bei 
tische  wird  „höflichen  gespräches  viel  gepflogen  bis  um  mitternachts. 
Ein  bewunderndes  wort  des  königs  Artus  erweckt  in  Branor  die  weh- 
mütige erinerung  an  die  gefahrten  seiner  Jugend;  er  nent  einige  sei- 
ner genossen,  zulezt  den  Oeron.  Hier  benüzt  nun  Wieland  das  ihm 
aus  anderen  romanen,  vornehmlich  dem  Lanc^lot  du  Lac  bekante  lie- 
besverhältnis  zwischen  Lanzelot  und  Genievra,  um  Oerons  geschichte 
in  einen  inneren  Zusammenhang  mit  ihrer  umkleidung  zu  bringen. 

Schon  in  den  eingangsversen  des  gedichtes  ist  leicht  auf  das  Ver- 
hältnis zwischen  Lancelot  und  der  königin  gedeutet  worden  (W.  13): 
„Und  zwischen  ihm  und  ihrem  Lancelot  sass  Genievra"  ...  T.  M. 
8.  3  hat  hier:  „Und  neben  ihm  (Artus)  in  sommersschönheit  sass*^  ... 
Die  änderung  erklärt  sich  daraus,  dass  der  dichter  schon  im  anfange, 
wenn  auch  nur  flüchtig  auf  einen  für  die  composition  seines  gedichtes 
so  wichtigen  gegenständ  hinweisen  wolte.  Ausführlicher  wird  die  sache 
erörtert,  da  geschildert  wird,  wie  Lancelot  sich  zum  kämpfe  mit  dem 
schwarzen  ritter  anschickt.     (W.  19  z.  2  v.  u.) 

Lancelot  fordert  auf  den  wink  seiner  dame  Branor  auf,  von  den 
tat^n  seiner  Zeitgenossen  zu  erzählen.  Dieser  willigt  ein  und  ver- 
spricht, „von  Geron,  von  dem  edelsten  der  männer",  die  er  gesehen, 
zu  erzählen. 

Das  folgende  entspricht  nun  im  ganzen  dem  auszuge  der  Biblio- 
thöque  universelle.  Doch  beschränkt  sich  Wieland  darauf,  die  geschichte 
von  Hektors  des  Braunen  schwert  zu  erzählen.    Nur  in  wenigen  wor- 

1)  Die  darstellung  dieser  kämpfe  weist  merkwürdige  übereinstimmuDgen  mit 
den  betreffenden  stellen  des  oiiginalromanes  «Gyron  lo  Coui'tois'^,  die  sich  in  der  B. 
nicht  finden,  auf.  Vielleicht  bin  ich  im  stände  hiei'über  und  über  etwaige  beziehungen 
zu  Luigi  Alamannis  „Groneil  Goitose'^  in  einem  der  nächsten  hefte  kurz  zu  berichten. 

ZKIT8GHBIFT  F.  DKUT80HS  PHILOLOGIE.    BD.  XXV.  15 


226  smosR 

ten  deutet  er  darauf  hio,  dass  dem  edlen  Oeron  nach  seinem  siege 
über  seine  leidenschaft  ein  neues,  reines  liebesglück  erblühte.  Die 
Bibliothöque  gibt  nämlich  hier  dem  alten  romane  gemäss  folgendes: 
Q&ron  wird  von  Danayn  (dies  auch  bei  Wieland)  auf  das  schloss  des 
alten  ritters  gebracht.  —  Beim  abschiede  treffen  die  freunde  das  über- 
einkommen, es  solle  der  kranke  von  allen  vorkomnissen  unterrichtet 
werden.  So  erfahrt  Geron,  dass  die  dame  von  Maloanc  krank  gewor- 
den sei,  dass  sie  im  fieber  nur  von  ihm  gesprochen,  dass  sie  mit  sei- 
nem namen  auf  den  lippen  gestorben  sei.  Mit  mühe  nur  wird  er 
selbst  geheilt  Die  liebe,  die  in  seiner  pfiegerin  schon  lange  glüht, 
wird  von  Qeron  erwidert;  er  beschwört  die  Jungfrau,  sie  möge  ihn  zu 
ihrem  ritter  annehmen,  und  gerne  gewährt  es  die  dame  Blaye.  Da 
er  Danayn  sein  geheimnis  anvertraut,  wird  dieser  darüber  ungehalten, 
und  nur  zu  bald  erkent  Geron,  aus  welchem  gründe.  Am  nächsten 
morgen  ist  die  damoyselle  Blaye  gewaltsam  entführt;  ein  zurückgela^ 
sener  brief  offenbart  dem  bestürzten  Geron,  dass  Danayn,  unfähig, 
seine  leidenschaft  zum  schönen  fräulein  zu  bezwingen,  der  täter  sei, 
Geron  sucht  die  beiden  auf.  Nach  unzähligen  abenteuern,  auf  deren 
widergabe  die  Biblioth^ue  mit  recht  verzichtet,  findet  er  die  beiden 
und  entreisst  dem  treulosen  freunde  die  geliebte.  Wol  schenkt  er  dem 
besiegten  das  leben,  verzeiht  aber  erst,  als  er  von  Danayn  aus  einer 
schweren  gefangenschaft  befreit  wird.  Dann  werden  noch  die  taten 
von  Gerons  söhn  geschildert.  Dieser  zweite  teil  soll  Gerons  tugend 
durch  die  treulosigkeit  seines  freundes  in  ein  noch  helleres  licht  stel- 
len. Man  vgl.  Gerons  werte  gegenüber  dem  besiegten  Danayn:  et 
certes  tu  pouvois  te  rappeler  certaine  courtoisie  qui  te  fiil  faite  par 
ton  ami  Gyron.  (B.  u.  90.) 

Wieland  hat,  wie  erwähnt,  darauf  verzichtet,  seinen  Branor  diese 
abenteuer  erzählen  zu  lassen.  Rasch  ist  Geron  geheilt.  In  aller  kürze, 
mit  kräftigen,  ergreifenden  werten,  die  sich  enge  an  die  quelle  an- 
schliessen,  wird  das  ende  der  frau  von  Maloanc  geschildert  Dann 
schweigt  der  alte  ritter.  Wenige  aber  kräftige  züge  zeichnen  die  Wir- 
kung der  erzählung  auf  die  hörer  und  insbesondere  auf  Genievra  und 
Lanzelot  „Und  wie  giengs  nun  eurem  Geron  weiter?*'  fragt  Lanze- 
lot Branor  aber  „hat  nichts  mehr  zu  erzählen''.  Das  vom  könige 
angebotene  obdach  weist  er  zurück;  geheimnisvoll,  wie  er  gekommen, 
kehrt  er  in  seinen  wald. 

In  den  anmerkungen  zum  T.  M.  gibt  Wieland  eine  ziemlich 
ausführliche  darstellung  des  liebesverhältnisses  zwischen  Genievra  und 
Lanzelot     An  einer  anderen  stelle  dieser  anmerkungen  meint  er,   es 


ÜBBK  WÜELAm»  OEBON  227 

würde  zu  nichts  helfen,  den  lesem  darüber  rechenschaft  zu  geben, 
warum  er  ,,es  so  und  nicht  anders  gemacht^  und  besonders  warum 
er  ^den  weg,  diese  geschichte  durch  den  alten  Branor  an  könig  Artus 
tafel  erzählen  zu  lassen,  gewählt^. 

Indessen  lässt  die  art,  wie  die  quelle  bentizt  wurde  —  und 
natürlich  sind  hier  erweiterungen  und  abweichungen  besonders  unter- 
richtend —  des  dichters  absieht  klar  erkennen. 

Liebenswürdig  ist  die  gestalt  Gerons,  imposant  und  ehrwürdig  die- 
jenige des  yertreters  seiner  anschauungen  unter  dem  jungen  gechlechte. 
Auch  in  den  äusserlichen  dingen,  auf  die  das  rittertum  wert  legt,  ist 
Branor  Artus  und  seiner  tafeirunde  überlegen.  Die  überwiegende  phy- 
sische tüchtigkeit  lässt  seine  moralische  persönlichkeit  den  hörem  und 
damit  auch  den  lesem  um  so  bedeutsamer  erscheinen.  Erst  aus  eines 
solchen  mannes  munde  ist  die  erzählung  ihrer  vollen  Wirkung  sicher. 

Die  composition  lässt  das  streben  nach  strenger  geschlossen- 
heit,  nach  motivierter  Verbindung  aller  einzelheiten  erkennen.  AufiTal- 
lend  sind  zunächst  zwei  abweichungen  von  der  quelle.  Bei  Wieland 
(W.  32)  unterbricht  sich  Branor,  nachdem  er  von  Hektor  des  Braunen 
tode  und  von  dem  erbe  berichtet,  das  dieser  Geron  hinterlassen  mit 
den  werten:  „Wie  ers  verwaltet,  des  will  ich  euch  ein  beispiel  geben, 
wenn  ihr  zuzuhören  nicht  müde  seid^. 

Lanzelot  und  seine  dame  verneinen  dies  im  namen  aller  anwe- 
senden. Mit  einem  scharfen  blicke  misst  Branor  die  beiden,  diese 
senken  ihre  äugen,  eine  kurze  stille  folgt  imd  Branor  fährt  fort  zu 
erzählen.  Diese  episode  ist  von  Wieland  frei  erfunden.  Hingegen  hat 
der  dichter  ein  abenteuer  übergangen,  das  die  Bibliothöque  im  zusam- 
menhange dieser  geschichte  erzählt  Als  Geron  nach  Maloanc  zurück- 
kehrt, weil  er  es  fem  von  se^em  freunde  nicht  dulden  kann,  begeg- 
net er  im  walde  dem  fräulein  Blaye.  Die  dame  erbittet  sich  des  ritters 
geleit  und  schirm  und  Geron  findet  bald  gelegenheit,  sie  durch  einen 
tapfem  kämpf  vor  einer  beleidigung  seitens  des  Chevalier- sans-peur 
zu  schützen.  Die  dame  gelangt  glücklich  in  ihr  nahegelegenes  schloss. 
Geron  lässt  sich  in  einem  benachbarten  kastell  von  seinen  wunden 
heilen  und  sezt  dann  seinen  weg  fort,  ohne  vorläufig  einen  tieferen 
eindruck  von  der  Schönheit  seines  Schützlings  empfangen  zu  haben. 
Eben  diese  damoyselle  Blaye  pflegt  ihn,  als  er  nach  seinem  Selbstmord- 
versuche auf  das  schloss  des  alten  ritters  gebracht  wird.  Dem  Verfas- 
ser des  romanes  mochte  dieses  erste  zusammentreffen  Gerons  mit  sei- 
ner späteren  geliebten  zur  besseren,  wiewol  nach  unserem  gefühle 
unnötigen,    motivierung   der  liebe    der  Jungfrau    dienlich   erscheinen. 

15* 


228  8INOER 

Wieland,  der  Oerons  neues  lieboslebeii  nur  flüchtig  andeutet,  hat  im 
interesse  des  rascheren  fortschrittes  der  haudlung  auf  diese  episode 
verzichtet 

Aus  dem  gleichen  gründe  mag  er  auch  in  der  kurzen  darstellung 
der  heilung  Gerons  einen  vielleicht  dem  Amadis  entlehnten  zug  ver- 
wendet liaben.  Bei  ihm  ist  des  ritters  tochter  —  T.  M.  hat  wie  die 
Bibliothöque  noch  die  nichte  —  gleich  einer  der  heldinnen  des  Ama- 
dis viel  verborgner  mittel  kundig,  die  schwersten  wunden  „leicht  und 
wol  zu  heilen",  während  die  Bibliothöque  davon  erzält,  dass  die  Jung- 
frau berühmte  ärzte  habe  kommen  lassen,  und  eine  art  krankenge- 
schichte  gibt. 

Das  abenteuer,  wie  Branor  die  beiden  alten  in  der  unterirdischen 
hölile  findet,  schliesst  sich  im  algemeinen  an  die  quelle  an.  An  unter- 
schieden sei  folgendes  erwähnt:  die  woi-te  qu'un  jour  il  trouva  dans 
une  caveme  ou  tombeau  souterrain  (49)  werden  dahin  ausgeführt,  .dass 
Branor  bei  einem  unwetter  in  einer  höhle  schütz  sucht.  Ein  enger 
gang^  der  sich  in  den  felsen  windet,  lockt  ihn  an,  weiterzugehen,  und 
nun  trift  er  auf  die  greise.  Auch  die  folgende  stelle  hat  Wieland 
geändert.  Es  heisst  in  der  quelle:  Pour  se  desennuyer  dans  ce  som- 
bre  s6jour  les  deux  anciens  guerriers  se  racontoient  leurs  vieilles  guer- 

res.     C'est  ä  moi  disoit  Giron   le  Vieux Wieland  lässt  beim  ein- 

tritte  Branors  die  beiden  alten  gleichsam  aus  einem  sanften  Schlummer 
erwachen.  „und  wohl 

Zu  tlmn  schiens  ihnen,  wieder  einen  Menschen 
Zu  sehn,  Sie  hiessen  mich  mit  dumpfer  Stimme 
Willkommen,  sagton  mir  ..." 
Nun  folgen  aus  dem  munde  der  beiden  die  nachrichten  über  ihr  leben. 
Sie  wären  ruhesehnend  in  diese  gruft  gestiegen.  In  der  weit  würden 
sie  längst  für  tot  gehalten.  Erdgeister  pflegten  sie  und  brächten  ihnen 
künde  von  den  lebenden.  Geron  hiess  der  eine,  Brehus  der  andere. 
Geron  (der  ältere)  habe  sein  reich  Gallien  seinem  ältesten  söhne  über- 
lassen, um  sich  ganz  der  ritterschaft  zu  widmen.  Dieser  habe  das  bei- 
spiel  seines  vatera  nachgeahmt  und  das  reich  seinem  jüngeren  bruder 
überlassen.  Nach  vielen  abenteuern  sei  er  zu  seinem  vater  in  die 
gruft  hinabgestiegen  und  dort  gestorben.  Dem  zweiten  söhne  habe  Pha- 
ramund  der  Franke  tron  und  leben  geraubt.  Nur  Geron  der  Adoliche 
sei  von  seinem  stamme  noch  übrig.  Was  die  erdgeister  von  diesem 
melden  ist  die  nahrung,  die  den  alten  nicht  sterben  lässt.  —  Nun  ent- 
schliesst  sich  Branor,  Geron  den  Adelichen  aufzusuchen.  Er  findet 
ihn,  gewint  ihn  lieb,  begleitet  ihn  und  ist  zeuge  seiner  taten.    Daran 


ÜBEB   W1BLANDS   QKRON  229 

schliesst  sich,  wie  eine  nachricht,  die  Branor  aus  Gerons  munde  erfah- 
ren, in  aller  kürze,  dass  Geron  einst  durch  Hektor  den  Braunen  geret- 
tet worden,  dass  dieser  sein  lehrer  und  väterlicher  freund  gewesen  und 
ihm ,  als  er  in  einer  schlacht  schwer  verwundet  sein  ende  nahen  gefühlt, 
sein  Schwert  zum  erbe  hinterlassen  habe. 

Vergleichen  wir  damit  die  quelle.  Wer  die  beiden  alten  waren, 
und  dass  man  sie  in  der  weit  für  tot  gehalten,  erzählt  Branor  vor  den 
eben  citierten  werten:  „Pour  se  usw.**  Geron  der  alte  erzählt,  sein 
enkel  Geron  der  Adeliche  sei  der  rechtmässige  herr  Galliens.  „Mein 
geschlecht  geht  bis  auf  die  ersten  christlichen  könige  dieses  landes 
zurück.  Ich  erhielt  die  kröne  nach  dem  erbrecht,  ich  habe  sie  dann 
im  Stiche  gelassen,  um  als  irrender  ritter  die  weit  zu  durchziehen, 
bis  ich  schliesslich,  nachdem  ich  mich  bis  zur  ermüdung  durch  hohe 
Waffentaten  ausgezeichnet,  es  für  gut  fand,  mich  zu  vergraben.  Mein 
ältester  söhn  folgte  in  allem  meinem  beispiele^.  (Dies  wird  weiter  aus- 
geführt.) „Meine  konstitution,  zweifelsohne  stärker  als  die  seine,  ist 
Ursache,  dass  ich  ihn  überlebe.  Ich  bin  hier  von  der  übrigen  weit 
abgetrent;  doch  tragen  die  erdgeister  dafür  sorge,  mich  von  zeit  zu 
zeit  von  den  grossen  und  bewunderungswürdigen  taten  meines  enkels, 
Gerons  des  Adelichen,  zu  benachrichtigen.  Dieser  war  noch  in  der 
wiege,  als  sein  vater  den  tron  Galliens  seinem  jüngeren  bruder  über- 
liess.  Der  aber  hat  ihn  unseliger  weise  durch  Fharamund  usurpieren 
lassen.  Dieser  Usurpator  ist  der  söhn  eines  mannes,  der  mein  sklave 
war.  Er  überschritt  zu  gelegener  zeit  den  Rhein,  stelte  sich  an  die 
spitze  eines  haufens  von  barbarischen  beiden,  die  man  Franken  nent, 
und  kam  mit  ihnen,  um  mein  reich  zu  rauben  und  sich  desselben  zu 
bemächtigen.  Er  tötete  meinen  jüngeren  söhn.  Der  junge  Geron,  der 
lezte  meines  Stammes,  war  gerettet  worden,  zu  jung,  um  seine  abkunft 
zu  wissen,  und  war  an  den  hof  des  königs  Uter  Fandragon  gebracht 
worden,  wo  er  erzogen  ward.  Dieser  monarch  ist  bis  jezt  der  einzige, 
der  das  geheimnis  seiner  abstammung  kent;  er  weiss  auch,  dass  mein 
enkel  durch  seine  mutter  von  H61ain-le-Gros  abstamt,  der  seinerseits 
der  linie  Josephs  von  Arimathäa  angehörte,  jener  Unie,  die  so  hoch 
geehrt  ist  als  hüterin  des  heiligen  Grals  ^.  Was  nun  folgt  findet  sich 
wortgetreu  bei  Wieland  wider,  bis  auf  den  umstand,  dass  Hektor  der 
Braune  nur  als  der  lehrer  des  knaben,  nicht  als  sein  retter  erscheint 

Die  unterschiede  beider  fassungen  bedeuten  eben  so  viele  Vorzüge 
der  bearbeitung.  Der  stoff  ist  einfacher,  klarer  und  psychologisch  wah- 
rer geordnet,  wodurch  die  widerholungen  der  quelle  vermieden  wer- 
den.    Das  genealogische  beiwerk  entsprach  gewiss  dem  geschmacke  der 


230  snfQiR 

leser  des  ursprünglichen  romans;  wir  aber  würden  es  nur  als  störend 
empfinden.  Die  erzählung  Oerons  des  alten  vom  untergange  seines 
sohnes  klingt  bei  Wieland  weit  würdevoller  als  im  romane;  ebenso 
sind  die  ruhmredigen  werte:  jusqu'ä  ce  qu'6tant  las  de  me  distinguer 
par  tant  de  hauts  faits  d'armes,  je  pris  le  parti  (s.  50). . .  durch  die 
verse  Nachdem  sie  auf  dem  Lebensmeere  lang 

Herumgetrieben,  alt  und  ruhesehnend  usw. 
in  einer  unserem  gefühle  weit  entsprechenderen  form  widergegeben. 

Verzicht  auf  alle  für  die  entwicklung  des  ganzen  unbedeutenden 
nebendinge  zeigt  auch  die  weitere  erzählung.  Wo  der  auszug  der  Bi- 
blioth^ue  dem  alten  romane  das  wort  lässt,  sucht  Wieland  möglidist 
engen  anschluss  auch  im  Wortlaute;  doch  wird  auch  ausser  der  episode 
mit  fräulein  Blaye  (s.  o.)  noch  manches  ausgelassen ,  was  etwa  zu  wider- 
holungen  anlass  geben  könte.  Die  bemerkungen  und  reflexionen  Tres- 
Sans  meidet  der  dichter  widerzugeben,  so  sehr  sie  seiner  eigenen 
manier  entsprechen,  oder  formt  sie  doch  so  um,  dass  sie  dem  Charak- 
ter Branors  gemäss  werden. 

Geron  gewint  die  freundschaft  Danayns  des  Rothen.  Dessen 
gemahlin  macht  durch  ihre  ausserordentliche  Schönheit  einen  tiefen  ein- 
druck  auf  den  beiden.  Der  aber  weiss  sich  zu  beherschen;  nicht  so 
die  frau,  die  von  liebe  zum  ritter  ergriffen  merkt,  was  in  ihm  vor- 
geht und  dadurch  den  mut  findet,  ihm  ihre  gefühle  zu  offenbaren. 
Er  aber  ruft  die  &au  zu  ihrer  pfiicht  zurück: 

n  la  rappela  ä  son  devoir,  il  la  conjura  de  ne  point  user  de  tout 
Tempire  de  ses  charmes  et  de  permettre  qu'il  restftt  fiddle  ä  l'amitiö. 
QueUe  Situation  pour  Tamoureux  Gyron!  Quel  excds  de  vertu  dans 
ce  loyal  Chevalier!  Qu'il  fiit  digne  de  Tepöe  du  brave  Hector-le-Brun! 
O'est  peu  de  condamner  son  propre  amour  ä  se  taire;  il  pousse  rh6- 
roi'sme  jusqu'ä  fermer  la  bouche  ä  sa  Dame  au  moment  ou  eile  lui 
fit  l'aveu  de  sa  passion! 

T.  M.  107  gibt  diese  stelle  in  ähnlichem  Charakter  wider: 

Nun  denkt  Euch  eine  Frau  in  aller  Glorie 

Der  Schönheit  und  der  Jugend  und  der  Liebe 

Dem  Manne,  der  für  sie  brennt, 

Sich  in  die  Arme  werfend  — 

Und  denket,  was  es  ist,  ihr  widerstehen! 

Wie  wenige  selbst  von  den  Besten  des 

Sich  mögen  rühmen  können  usw. 
In  W«  erscheint  die  stelle  ganz  verändert    Die  Wieland  so  gewöhn- 
liche einleitung  der  Schilderung  durch:    „Nun  denkt  euch  (z.  b.  Gand. 


ÜB£B  WULANDS  OKBON  231 

m,  170.  YIII,  229)  ist  ausgefallen;  die  figur  der  apostrophe  ist  ganz 
gemieden;  an  die  stelle  der  reflectierenden  lobpreisenden  darstellung, 
die  Branors  zwecken  widerspricht,  ist  eine  sehr  lebendige  Schilderung 
der  grosse  und  gefahr  der  Versuchung  getreten,  doch  ist  die  sünde  von 
vom  herein  als  solche  hingestelt  Das  dem  weiteren  verlaufe  wider- 
sprechende 

und  sie  zu  sehen  öffnet  er  auch  ihr  die  Augen 
ist  getilgt;  Oerons  werte  sind  einfacher,  naturgemässer,  würdevoller. 
Stellen  die  quelle  und  die  erste  fassung  den  verlauf  so  dar,  als  ob  es 
sich  um  einen  kaum  begreiflichen  heroismus  handle,  so  erscheint  in 
W.  Oerons  verhalten  einfach  als  eine  handlung,  wenn  auch  schwerer 
Pflichterfüllung. 

Die  firau  liebt  Geron  um  seiner  treue  willen  nur  noch  mehr  und 
zeigt  ihm  dies  in  ihren  blicken,     um   der  versucherin  auszuweichen 
verlässt  der  ritter  das  schloss  seines  freundes.    Doch  hält  er  es  unter 
den  fremden  leuten  nicht  lange  aus:  er  kehrt  zu  Danayn  zurück. 
Wie  viel  die  Frau  von  Maloanc  an  seinem  Überdruss 
Theil  haben  könnte,  mocht  er  so  genau 
Sich  selbst  nicht  fragen  (S.  38). 

Die  Bibliothdque  hat  hier:  il  se  dissimula  du  mieux  qu'il  put 
toute  la  part  qu'y  avoit  sa  Dame.  Quoi  qu'il  en  soit,  il  prit  ses  armes 
usw.  (S.  55/56.)  Ähnliche  psychologisierende  bemerkungen  liegen  zu 
sehr  in  der  manier  Wielands,  als  dass  er  diese  werte,  die  ja  sehr  am 
platze  sind,  nicht  hätte  aufnehmen  sollen.  Doch  ist  seine  wendung 
milder  als  die  seiner  vorläge.  Über  das  in  dieser  erzählte  abenteuer 
Oerons  s.  o.  s.  227. 

Danayn  ist  hocherfreut  über  Oerons  rückkehr.  Wörtlich  fast  aus 
der  vorläge  herübergenommen  ist  die  bemerkung,  dass  niemand  ausser 
Danayn  imd  dessen  gemahlin  Oerons  namen  wüste,  sondern  alle  leute 
in  der  bürg  ihn  nur  den  guten  ritter  nanten. 

Ein  Schildknappe  komt,  um  Danayn  zu  einem  tumier  vor  der 
beiden  Schwestern  bürg  zu  laden  und  dieser  verspricht  zu  kommen. 
In  der  vorläge  fragt  Danayn  den  knappen,  wer  das  tumier  veranstalte, 
dieser  gibt  darüber  auskunfk,  und  nun  erklärt  Danayn,  dass  das  tumier 
nicht  ohne  ihn  vor  sich  gehen  werde.  Rede  und  gegenrede  hat  Wie- 
land wol  als  für  den  fortschritt  der  handlung  bedeutungslos  übergangen. 

Danayn  sucht  seinen  freund  auf,  und  die  beiden  entschliessen 
sich,  unerkant  am  tumier  teilzunehmen.  Die  frau  von  Maloanc  hört 
davon.  Um  Oeron  bewundern  zu  können,  bittet  sie  ihren  gemahl,  sie 
zum  tumier  zu  führen.    Dieser  erklärt,   er  könne  es  nicht  tun,   wolle 


232  8INGKR 

sie  aber  hingeleiten  lassen.  Die  Schilderung  des  seelenzustandes  der 
&au  von  Maloanc  ist  mit  geringen  änderungen  in  der  disposition  aus 
der  quelle  herübergenommen.  Dass  die  dame  ihre  hofhung,  Danayn 
werde  sie  zum  tumiere  mitnehmen,  auf  die  bestehende  sitte  gründet, 
erwähnt  Wieland  nach  der  Bibliothdque,  doch  nur  ganz  kurz.  Die 
geschichte  der  entstehung  dieser  sitte  übergeht  er  ganz. 

Indes  die  &au  von  Maloanc  in  grossem  Staate  (en  grand  cort^e!) 
den  geraden  heerweg  zieht,  nähern  sich  die  freunde  auf  neben  wegen 
der  bürg.  Nahe  bei  derselben  begegnet  ihnen  herr  Flaunz,  der  sie 
zum  kämpfe  zu  reizen  sucht  und,  als  sie  seiner  nicht  achten,  trotz  der 
mahnungen  des  Irmns  höhnt,  ohne  jedoch  einen  erfolg  zu  erzielen. 
Auf  diese  stelle,  die  bis  auf  die  namen  mit  der  vorläge  stimt,  komnie 
ich  in  einem  anderen  zusammenhange  zurück. 

Geron  und  Danayn  sind  sieger  im  turnier,  und  die  frau  von 
Maloanc  ist  hocherfreut  über  Geron.  Ihre  Schönheit  entzündet  in  Lac, 
dem  freunde  des  königs  Melias,  eine  heftige  leidenschaft  Der  könig 
fangt,  um  Lac  auszuforschen,  von  der  dame  zu  reden  an.  Lac  erklärt, 
er  getraue  sich  die  frau  ihren  sechsundzwanzig  rittern  abzugewinnen, 
fals  er  dem  zuge  in  einem  walde  begegnete.  Der  roman  hat  hier  noch 
eine  zweifelnde  gegenrede  Meliads,  auf  die  hin  Lac  seine  Versicherung 
widerholt    Beides  fehlt  bei  Wieland. 

Darauf  wird,  jedoch  kürzer  als  in  der  vorläge,  erzählt,  Geron 
habe  Lacs  werte  gehört  und  ihm  dies  zu  verstehen  gegeben.  Lac  bleibt 
bei  seiner  behauptung  und  wird  in  folge  dessen  von  Geron  aufgefordert, 
den  beiden  freunden  den  dank  des  tumiers  streitig  zu  machen.  Lac 
erklärt  sich  dazu  bereit.  Danayn,  der  hinzugekommen,  und  Meliad 
nehmen  an  der  wette  teil.  Die  beiden  freunde  behalten  den  sieg.  In- 
dessen bricht  die  nacht  herein.  Da  Danayn  einen  rachezug  gegen  die 
mörder  seines  neffen  zu  unternehmen  hat,  lässt  er  Geron  und  der  frau 
von  Maloanc  entbieten,  nach  hause  zu  kehren  und  dort  seiner  zu 
harren. 

Dass  Danayn  sich  allein  auf  den  rachezug  begibt,  wird  B.  u.  68 
besonders,  jedoch  nicht  glücklich,  motiviert.  Wieland  unterlässt  dies 
mit  recht,  da  er  wol  voraussezt,  dass  die  frage,  warum  Geron  sich 
nicht  am  rachezuge  beteiligt,  überhaupt  nicht  aufgeworfen  werden 
würde,  und  dass  die  fassung  der  stelle  dem  leser  genügend  raura  zu 
Vermutungen  biete. 

Geron  hat  der  werte  Lacs  nicht  vergessen  und  folgt  der  frau  von 
Maloanc  von  ferne,  als  sie  nach  hause  zurückkehrt.  Lac  hat  indessen 
deren  zug  im  walde  aufgelauert,  jagt  die  begleiter  in  die  flucht  und 


ÜBEB   WIELANDS  OERON  233 

reitet  mit  der  frau  davon.  So  trift  ihn  Geron,  der  durch  einen  ziifall 
die  spur  der  frau  von  Maloanc  verloren  hatte.  Rasch  wird  die  dame 
befreit.  Von  Lac  ist  weder  in  der  vorläge  noch  bei  Wieland  weiter 
die  rede. 

In  der  folgenden  stelle  hat  Wieland  sowol  die  form  der  exclama- 
tio  als  den  gedankengang  aus  Tressans  auszug  aufgenommen.  Doch 
sprechen  seine  werte  das  gefühl  weit  mehr  an  als  die  kühle  rhetorik 
des  franzosen. 

Wortlos  stehen  die  dame  und  Geron  einander  gegenüber;  er  aber 
findet  bald  seine  fassung  wider:  die  dame  sei  frei,  sie  könne  nach 
ihrem  willen  nach  Maloanc  zurückkehren.  Schon  diese  werte  sind 
nahezu  unverändert  dem  auszuge  Tressans  entnommen,  der  hier  den 
alten  roman  getreu  widergibt 

Dasselbe  gilt  für  das  ganze  folgende  gespräch  und  für  die  dar- 
stellung  des  seelenzustandes  Gerons  und  seiner  dame,  da  sie  schwei- 
gend nebeneinander  reiten.  Der  kunstvolle  parallelismus  mit  untergeord- 
neten antithesen,  in  dem  die  Vorgänge  im  Innern  der  beiden  geschildert 
werden,  ist  mit  wenigen,  bloss  auf  den  Wortlaut  bezüglichen  änderungen 
der  quelle  nachgebildet.  Ebenso  ist  das  gespräch,  welches  zur  liebes- 
erklärung  führt,  eine  fast  wörtliche  Übersetzung  des  französischen  tex- 
tes.  Doch  finden  sich  einige  kürzungen.  Sowol  in  T.  M.  (120)  als 
auch  in  W.  (156)  schliesst  Gerons  zweite  rede  mit  den  werten 

wo  nicht 
Die  Minne,  die  er  zu  Euch  trug,  ihm  Kraft 
Zu  solcher  That  gegeben  hätte 

(mais  la  trös  grand'  Amour  qu'il  avoit  ä  vous  luy  fit  faire  et  entre- 

prendre  ung  si  grant  fait  que  vous  vites  B.  u.  74);  während  B.  u.  dann 

nochmals  auf  die  besiegung  Laos  zurückkomt. 

W.  hat  in  der  dritten  rede  Gerons  folgende  werte,  die  sich  T.  M. 

120  nach  B.  u.  75  finden,  ausgelassen: 

Und  zwar  mit  solcher  Minne,  wie  ich  glaube,  dass 

Kein  andrer  Ritter  bass  als  ich  gewinnen  möge. 

(Et  voyrement  aimöje  en  teile  maniöre,   qu'il  m*est  avis  que  nul  autre 

Chevalier   ne   put   plus   aimer  que  j'aime.)     Die  auslassung  ist  darin 

begründet,   dass  sowol  T.  M.  121  als  W.  57  eine  ganz  ähnliche  stelle 

an  einem  passenden  orte,   übrigens  auch  in  wörtlichem  anschlusse  an 

die  quelle  geben: 

Ja  liebe  Frau  — 

Ihr  seid  es,  die  ich  minne,  so  wie  bass 

Kein  andrer  ritter  seine  Dame  minnen  mag. 


234  8IN0KB 

(B.  u.  76.  Oai  chdre  Dame  vous  etee  celle!  meme  quo  j'aime  de  tout 
moQ  coeur  ainsi  fort  comme  Gheyalier  puisse  aimer  Dame.)  Als  die 
&au  von  Maloanc  dies  hört,  ist  sie  so  glücklich,  dass  sie  für  ihre  freude 
keine  worte  findet 

Hier  ist  die  schlichte  Stilisierung  des  Originals  von  Wieland  viel- 
leicht nicht  zu  ihrem  vorteile  verändert  worden. 

Indem  Oeron  und  die  frau  schweigend  nebeneinander  reiten, 
erblickt  der  ritter  einen  pfad,  der  zu  einem  waldbrunnen  führt  Er 
schlägt  der  dame  vor,  dort  ein  wenig  zu  riihn,  denn  er  fühle  sich 
sehr  müde.  Die  frau  ist  damit  einverstanden.  So  reiten  sie  dem  brun- 
nen  zu.  Dort  bindet  Geron  sein  pferd  an  einen  bäum  und  hilft  der 
dame  herab.  Die  Schilderung  des  plätzchens  findet  sich  an  dieser  stelle 
der  vorläge  nicht,  eine  in  manchen  punkten  ähnliche  jedoch  im  zwei- 
ten teile  des  romans. 

Oeron  entwa&iet  sich  und  ist  nahe  daran,  die  treue  auch  durch 
die  tat  zu  verletzen,  da  fält  sein  schwort  vom  brunnenrande  ins  was- 
ser.  Er  zieht  es  heraus,  wischt  es  ab,  und  indem  er  es  betrachtet,  ob 
es  nicht  beschädigt  sei,  falt  sein  äuge  auf  die  Inschrift  T.  M.  124 
schliesst  sich  hier  enger  an  die  vorläge  an  als  W. 

„Er  liest  und  liest  die  Inschrift^:  und  nun  folgt  die  widergabe 
der  ganzen  Inschrift 

Und  Geron  liest  und  liest  es  wieder  und 
Zum  drittenmale 
(vgl.   ses  yeux  involontairement  se  fixörent  sur  la  divise  vertueuse: 
Loyaut6  passe  tout,   trahison  temit  tout  etc.    TL  la  relit  ä  plusieurs 
r6prises,  comme  s'il  la  remarquoit  pour  la  premidre  fois.) 

Bloss  die  ersten  worte  der  Inschrift  zu  geben  und  daran  ein 
„usw."  zu  setzen,  war  für  Wieland  ganz  untunlich;  daher  hat  W.  62, 
um  die  widerholung  zu  meiden: 

Er  bebt  und  liest  und  liest  es  wieder  und 
Zum  drittenmal. 
Dies  ruft  ihn  zu  seiner  pflicht  zurück.  Er  sinkt  in  tiefes  sinnen,  und 
da  er  lange  nichts  spricht,  redet  ihn  die  frau  von  Maloanc  endlich  an. 
In  der  vorläge  antwortet  er  sofort  Wieland  lässt  seinen  Geron  die 
frage  zuerst  völlig  überhören.  Lange  harrt  die  frau  der  antwort;  end- 
lich widerholt  sie  in  zärtlicherer  form  die  frage:  Nun  erwidert  ihr  Ge- 
ron, indem  er  sich  anklagt.  Ehe  die  frau  es  hindern  kann,  durchbohrt 
er  sich  mit  dem  Schwerte.  Nur  mit  mühe  hindert  ihn  die  frau  von 
Maloanc,  sich  noch  einen  zweiten  stoss  zu  geben.  Indes  hat  Danayn 
seinen  rachezug  vollendet    Auf  dem  wege  nach  seiner  bürg  hört  er 


ÜBBB  WIILA1ID6  GIBON  235 

die  klagerofe  und  reitet  zum  bronnen.  Geron  gesteht  dem  freunde 
Beine  schuld,  die  der  frau  verbirgt  er.  Danayn  erkent  jezt  erst  die 
herlichkeit  der  tugend  seines  freundes  und  bittet  ihn  zu  leben.  Garon 
willigt  ein  und  wird  auf  einer  bahre  nach  dem  nächsten  schloss 
gebracht    Der  schluss  wurde  bereits  besprochen. 

Anachronismen  sind  in  dem  auszuge  der  Biblioth^ue  vorhanden, 
und  Wieland  hat  dieselben  wol  bemerkt  und  zu  beseitigen  gesucht 
Der  seneschall  des  königs  Artus,  Gries,  wird  in  der  einleitung  unseres 
gedichtes  als  ein  mann  hingestelt,  der  höflichkeit  mit  rittersitten  paarte. 
Ein  gewanter,  wackerer  krieger,  tritt  er  nur  gelegentlich  des  kampfes 
Branors  mit  den  rittem  der  tafeirunde  auf.  Die  rolle,  welche  der 
roman  dem  seneschall  Breux  zuschreibt,  Geron  und  Danayn  zu  höh- 
nen, hat  bei  Wieland  herr  „Flaunz^  erhalten.  Bemerkt  sei  übrigens, 
dass  Giies  im  Sommermärchen  so  charakterisiert  wird,  wie  Breux  (Eeie) 
im  Gyron  und  anderen  romanen.  —  Herr  Flaunz  wird  von  Irwin, 
„einem  der  adeligsten  ritter  der  tafeirunde ^  zurechtgewiesen.  Herr 
Irwin  (messire  Yvain  wird  auch  im  alten  romane  an  dieser  stelle  genant) 
ist  der  wolbekante  Iwein.  Wieland  mag  gedacht  haben,  dass  Irwin 
seinen  lesem  nicht  bekant  genug  sei,  um  von  ihnen  nicht  für  ein  mit- 
glied  der  ersten  taf eirunde,  deijenigen  Uter  Pandragons  gehalten  zu 
werden,  von  welcher  er  in  den  anmerkungen  im  Deutschen  Merkur 
spricht  Vielleicht  haben  wir  es  auch  mit  einer  flüchtigen  herüber- 
nahme  einer  einzelheit  zu  tun ,  die  genau  genommen  der  Voraussetzung 
des  gedichtes  widerspricht  —  An  einer  anderen  stelle  hat  Wieland 
einen  kaum  fahlbaren  anachromsmus  beseitigt  Bei  Tressan  heisst  es 
8.  78:  Icelle  6p6e  —  comme  le  lecteur  peut  s'en  souvenir  —  avoit 
appartenue  jadis  au  bon  et  vaillant  Chevalier  Hector-le-Brun.  Et  pour 
amour  de  lui  et  aussi  pour  ce  que  r6p6e  etoit  parfaitement  bonne 
Gyron  le-Ck>urtois  la  prisoit  plus  chörement  que  ne  faisoit  le  Roi 
Artus  le  meilleur  chftteau  qu'il  eüt 

W.  61  ist  dem  Geron  das  schwort  so  lieb, 

Dass  er  nicht  das  beste  Schloss 
Des  Königs  üther  drum  genommen  hätte. 
Hier  hätte  es  Wieland  sehr  nahe  gelegen  die  werte  que  ne  faisoit  le 
roi  Artus  durch  ein  „wie  euch,  o  könig,  euer  bestes  schloss^  oder  ähn- 
lich widerzugeben.  Dass  er  dies  nicht  getan,  legt  zeugnis  ab  für  seine 
soigfalt  bei  der  arbeit  —  An  einer  stelle  jedoch  scheint  der  dichter 
durch  die  erinnerung  an  seine  quelle  tatsächlich  zu  einer  inconsequenz 
verleitet  worden  zu  sein.  W.  53  nämlich  werden  die  gedanken  der 
frau  von  Maloanc  gegeben: 


4^36  SINOER 

Der  wäre  nicht  des  Ritternamens  wert, 
Der  eine  fraii  wie  ihr  zum  drittenmal 
Abweisen  könnte. 

Von  einer  wirklichen  abweisung  ist  aber  im  gedichte  nur  einmal  die 
rede.  Dass  man  nicht  annehmen  dürfe,  die  frau  von  Maloanc  betrachte 
Gerons  entfernung  oder  etwa  seine  werte  nach  der  besiegung  Lacs  als 
eine  zweite  abweisung,  lehrt  der  vergleich  mit  W  s.  58: 

Denn  es  ist  so  lange  nicht  usw., 

welche  stelle  sich  nur  auf  das  erste  gesprach  Gerons  mit  der  dame 
bezieht.  Die  ganze  sache  erklärt  sich  leicht,  wenn  man  annimt,  Wie- 
land  habe  bei  dem  „zum  drittenmale*'  an  Bibl.  un.  s.  55  gedacht: 
Soutenue  par  Tespoir,  la  Dame  de  Maloauc  fit  a  Gyron  une  seconde 
Ouvertüre.  Diesen  werten  erst  folgt  die  auch  von  Wieland  beibehal- 
tene darstellung  des  benehmens  der  dame,  welches  Greron  veranlasst 
Maloanc  zu  verlassen.  Psychologisch  interessant  ist  es,  dass  die  werte 
der  vorläge  (B.  u.  71),  denen  unsere  stelle  nachgebildet  ist,  eine  zwei- 
malige abweisung  zwar  als  möglich,  nicht  aber  als  notwendig  voraus- 
setzen. Sie  lauten:  qu'il  ne  Teconduie  tout  ainsi  comme  il  i'a  autre- 
fois  fait. 

n. 

Die  Verwertung  des  vorgefundenen  stofies  hat  die  absieht  des 
dichters  erkennen  lassen,  möglichste  geschlossenheit  und  einheit 
der  handlung  zu  erzielen  und  dabei  den  Charakter  würdevoller 
einfachheit  zu  wahren:  „Die  geschichte  war  zu  heilig  in  meinen 
aogen,  um  sie  verschönem  zu  wollen,  und  das  einzige,  was  ich  be- 
daure,  ist^  dass  ich  sie  nicht  noch  einfaltiger,  noch  gotischer  und  holz- 
sehnitmässiger  habe  vortragen  können,  als  es  geschehen  ist.  Es  mag 
wol  sein,  dass  sie  in  einer  minder  altfränkischen  gestalt  vielen  moder- 
nen lesem  und  leserinnen  besser  gefallen  würde.  Auch  steht  nun 
jedem  frei,  damit  zu  machen,  was  er  kann  und  will;  ich  meines  orts 
muste  meinem  gefüble  folgen.  Eine  spräche,  die  der  täuschung,  als 
ob  man  den  alten  Branor  selbst  reden  hörte,  so  wenig  als  möglich 
hinderlich  wäre,  ist  zu  meinem  zwecke  ebenso  notwendig,  als  eine 
apologie  deswegen  in  unseren  tagen  überflüssig  sein  würde'^.  (T.  M. 
131.)  Ähnliehe  gedanken  spricht  die  vorrede  zu  W.  1796  ans,  und 
sie  weist  noch  deutlicher  auf  die  mittel  hin,  deren  sich  der  dichter 
bediente:  ,,hiugegen  suchte  ich  mir,  indem  ich  mir  nach  unserer  spräche 
im   sechzehnten  Jahrhundert   eine   art  von  deutschem  Gaulois  bildete. 


ÜBER  WIELANDS   GERON  237 

eine  diction   herauszubringen,   welche   ohne  unverständlich  und  abge- 
schmackt zu  sein,  der  täuschung,  als  ob^  ...  usw. 

Diese  äusserungen  zeigen,  von  welchem  Standpunkte  aus  der 
dichter  sein  werk  beurteilt  wissen  will.  Indessen  lässt  sich  das  volle 
Verständnis  für  die  sprachlichen  eigentümlichkeiten  des  Geron  denn 
doch  nur  aus  einem  grösseren  zusammenbange  gewinnen. 

Die  bestrebungen  der  Schweizer,  die  dichterische  Sprache  des 
18.  Jahrhunderts  aus  dem  frischen  born  der  Volkssprache  und  aus  der 
mittelhochdeutschen  und  älteren  neuhochdeutschen  spräche  zu  bereichern 
und  zu  verjüngen,  hatten  vielfachen  Widerspruch,  aber  auch  mannig- 
fache förderung  erfahren.  Im  Nordischen  aufeeher  wies  Klopstock  darauf 
hin,  dass  man  ältere  sprachformen  und  Wörter  mit  vernünftiger  aus- 
wahl  widerbeleben  solle;  dass  Luther,  Opitz  und  Haller  die  nachzu- 
ahmenden muster  seien.  In  ähnlichem  sinne  erneuert  Lessing  das  an- 
denken Logaus.  Von  gröster  Wichtigkeit  jedoch  ist  hier  das  auftreten 
Herders.  In  den  „Fragmenten  über  die  neuere  deutsche  litteratur** 
fordert  er  (H.  19,  31),  dass  man  die  Idiotismen  aus  den  zeiten  der 
meistersänger,  des  Opitz  und  Logau,  des  Luthers  usw.  samle  und  inson- 
derheit mehr  von  Klopstock  lerne.  Auch  die  kühnheit  der  Idiotismen 
bei  einem  einzelnen  autor  gebe  gelegenheit,  auf  sein  genie  zu  achten. 
Er  nimt  sich  der  Schweizer  an,  die  zwar  manches  übertrieben  hätten, 
deren  gutes  aber  noch  zu  wenig  geprüft  sei.  Er  rühmt  das  verdienst, 
das  sich  der  „patriarchische  Bodmer''  durch  die  herausgäbe  der  Minne- 
sänger erworben,  ein  verdienst,  das  seiner  meinung  nach  grösser  ist, 
als  das  Lessings  durch  seinen  Logau.  Noch  schärfer  spricht  sich  hier- 
über die  zweite,  rechtmässig  nie  zur  ausgäbe  gekommene  aufläge  der 
fragmente  aus  (H.  19,  351):  „Können  wir  uns  also  auch  nicht  für 
aÖTÖx^oveg  ausgeben,  so  wollen  wir  uns  doch  derselben  (der  Idiotismen) 
als  eines  eigentums  rühmen  und  mit  patriotischem  stolze  idioten  sein 
nach  der  griechischen  bedeutung  dieses  wertes ''.  Und  s.  360:  „Ich 
komme  von  ihm  (Klopstock)  zu  Luthern  zurück,  um  über  ihn  einen 
commentar  und  aus  ihm  eine  anthologie  zu  wünschen.  Auch  mit 
Opitzens  spräche  selten  wir  vertrauter  werden  . . .  Erst  solte  man  doch, 
ehe  man  über  deutsche  Schreibart  sprechen  will,  lernen,  was  wahres 
deutsch  gewesen  ist  und  bleiben  wird^.  8.  362.  „Nimt  man  diesen 
(den  Schriftstellern)  das  idiotische  ihrer  spräche  als  einer  lebendigen, 
als  einer  angebornen,  als  einer  nationalsprache,  so  nimt  man  ihnen 
geist  und  kraft  ^. 

Damit  berührt  es  sich,  wenn  er  gegen  Sulzer  die  uneigentlichen 
Wörter,  synonymen,  Idiotismen  als  notwendige  bestandteile  einer  jeden 


238  SIMGBB 

sinlichen  spräche  in  schütz  nimt  Freilich  verkent  er  die  Schwierig- 
keiten nicht,  die  unsere  spräche  zu  überwinden  hat,  um  etwa  die 
machtwörter  und  inversionen  Homers  nachzuahmen  (Fr.  40). 

Im  12.  und  13.  abschnitte  der  fragmente  legt  er  die  bedeutung 
der  Inversion  für  den  sprachlichen  ausdruck  dar.  Diese  inversion  ist, 
um  aufmerksamkeit  zu  erregen,  jene,  um  sie  zu  erhalten;  diese  über- 
rascht, jene  bewegt  die  ganze  seele  usw.  So  hatte  ja  auch  Bodmer 
(Pr.  LII)  die  metathesis  oder  Verwerfung  der  gewöhnlichen  Wortver- 
bindung für  eine  Ursache  vieler  und  verschiedener  Schönheiten  der  alt- 
deutschen spräche  erklärt 

In  der  gleichen  tendenz  nun  veröffentlichte  im  jähre  1776  der 
deutsche  Mercur  eine  reihe  von  auMtzen,  in  denen  das  leben  deut- 
scher schriftsteiler  und  gelehrter  aus  dem  Zeitalter  des  humanismus  und 
der  reformation  dargestelt  wird. 

Diese  nachrichten,  die  sich  in  der  hauptsache  auf  Heinrich  Pan- 
taleons  „Teutscher  Nation  Heldenbuch^  stützen,  haben  für  uns  keinen 
wert  mehr.  Die  anregung  aber,  die  hier  gegeben  wurde,  muss  als 
eine  höchst  verdienstliche  angesehen  werden.  Im  februarheft  wird 
Sebastian  Brants  Schreibart  charakterisiert  Seine  spräche  schwebe  zwi- 
schen deijenigen  der  minnesänger  und  dem  neuen  hochdeutschen  in 
der  mitte  und  habe  viele  Wörter,  die  noch  jezt  in  Schwaben  üblich 
und  mit  einer  menge  anderer  brauchbarer  alter  Wörter  von  spä- 
teren Sprachverbesserem  unverständiger  weise  aus  der  Schriftsprache 
ausgemerzt  worden  seien.  „Es  wäre  zu  wünschen,  dass  ein  guter  teil 
dieser  ausser  cours  gekommenen  Wörter  wider  zurückgeholt  und  wenig- 
stens in  die  komische,  launigte.  satirische  und  burleske  Schreibart  — 
versteht  sich  mit  auswahl  und  geschmack  —  eingeführt  werde. 

In  diesem  sinne  ist  Wieland  bei  der  abfassung  des  Oandalin  vor- 
gegangen, der  im  selben  jähre  im  Deutschen  Mercur  erschien.  So  ist 
es  eine  ganz  unverkenbare  nachahmung  der  spräche  des  heldenbuches, 
wenn  das  6.  buch  mit  den  werten  begint: 

Sie  nahte  nun,  die  furchtbare  Stunde, 
Da  Gandalin  weit  grössre  Fahr 
Als  alle  ritter  der  tafeirunde 
Je  untergangen,  bestehen  war. 
Die  gefahr,  von  der  gesprochen  wird,  ist  die  belauschung  der  „Jelän- 
gergelieber^  im  bade. 

Als  quellen  werden  das  alte  heldenbuch  (wahrscheinlich  hatte 
Wieland  die  auch  von  Lessing  besprochene  Frankfurter  ausgäbe  von 
1560  vor  sich),  die  vier  ersten  bücher  des  deutschen  Amadis  aus  Gallia, 


ÜBER   WIILANDB  BZBOV  239 

der  Teaerdank,  der  Froschroäuseler,  die  werke  Hans  Sachsens  und  das 
NarrenschifF  nebst  vielen  anderen  angegeben;  wie  ja  der  Froschmäu- 
seler  auch  in  einer  anmerkung  zum  Geron  ein  in  bezug  auf  die  spräche 
UassiBches  buch  genant  wird.  Dass  man  der  Sprachbereicherung  sehr 
bedürfe,  steht  nach  Wielands  meinung  ganz  ausser  frage. 

Die  folgenden  hefte  des  T.  M.  1776  bringen  die  biographien  Gei- 
lers Yon  Eaisersberg,  Ulrichs  von  Hütten,  Johannes  Fischarts  —  der 
übrigens  in  erster  linie  als  rechtsgelehrter  gefeiert  wird  u.  a.  m. 

Die  nachrichten  über  Hans  Sachs  werden  im  märzhefte  gegeben. 
Das  aprilheft  bringt  den  kräftigsten  protest  gegen  die  anmassenden 
kritiker,  die  über  die  männer  des  16.  Jahrhunderts  abgesprochen:  Goe- 
thes „Erklärung  eines  alten  holzschnittes,  darstellend  Hans  Sachsens 
poetische  sendung^.  In  unmittelbarem  anschlusse  daran  wurden  zwei 
gedichte  des  Nürnberger  meistersängers  abgedruckt,  der  prächtige  schwank 
„St  Peter  mit  der  Geis''  und  der  wunderliche  „Der  liebe  Zanck**. 

Bezeichnend  genug  ist,  dass  Bertuch  damals  den  Plan  einer 
ausgäbe  der  werke  Hans  Sachsens  fasste. 

Von  des  dichters  manier  und  spräche  heisst  es  s.  95:  „Seine  alte, 
rauhe  aber  kräftige  spräche,  die  ungefeiltheit  seiner  verse,  die  holz- 
schnitmässige  Dürersche  manier  soll  uns  nicht  länger  hindern,  den 
geist,  das  herz,  die  in  allen  seinen  werken  leben,  zu  fühlen^  zu  erken- 
nen und  zu  lieben.'' 

Vergleicht  man  diese  werte  mit  den  oben  citierten  und  mit  der 
art,  wie  veraltete  wortfoimen,  Wörter  und  constructionen  im  Gandalin 
gebraucht  werden,  so  sieht  man,  dass  Wieland  in  verhältnismässig 
kurzer  zeit  seine  anschauungen  über  den  wert  der  alten  spräche  wei- 
teigebildet  hat.  Im  Gandalin  wird  HI,  170  ein  grosses  gemach  „alt- 
fränkisch verziert"  geschildert;  in  diesem  ist  Jelängeijelieber.  „So  steif, 
so  voller  Dürerscher  falten"  ist  ihr  anzug.  Im  Geron  aber  ahmt  er 
die  alte  spräche  nach,  um  den  eindruck  ehrwürdiger  einfachheit  her- 
vorzubringen. 

An  diesen  einmal  gewonnenen  theoretischen  anschauungen  hält 
Wieland  auch  fest 

In  der  abhandlung  „Über  die  frage:  Was  ist  hochdeutsch?" 
(W.  H.  38,  17)  erklärt  er  in  naher  Übereinstimmung  mit  Herder,  dass 
sich  diese  fi^ge  nur  aus  den  werken  der  besten  schriftsteiler  beant- 
worten lasse,  und  dass  hieven  auch  die  schriftsteiler  des  16.  und  17. 
Jahrhunderts  nicht  ausgeschlossen  werden  dürften.  Die  älteren  dialekte 
seien  noch  inmier  als  gemeingut  und  eigentum  der  echten  deutschen 
spräche  anzusehen;  sie  bildeten  eine  art  fundgrube,  aus  welcher  man 


240  SINOBB 

der   Schriftsprache   in    fallen,   wo   es  vounötcn    sei,    zu  liilfe   kommen 
könne. 

Entscheidenden  einfluss  auf  die  diction  des  Geron  übte  auch  der 
sprachliche  Charakter  der  vorläge.  Der  auszug  der  Bibliothöque  gibt 
uämlich  an  den  bedeutendsten  stellen  den  alten  ronian  ziemlich  getreu 
wider.  Da  finden  sich  denn  veraltete  formen,  Wörter,  deren  bedeutung- 
einer  erklärung  beduiite,  die  dann  in  klammern  beigefügt  ist  Ebenso 
finden  sich  einzelne  constructiouen ,  die  dem  französischen  des  18.  Jahr- 
hunderts nicht  mehr  geläufig  sind.  Zu  diesen  stellen  kommen  andere, 
die  zwar  auch  durch  anführungszeichen  als  wörtlich  aus  dem  originale 
herübergenommen  bezeichnet  werden ,  an  denen  sich  jedoch  der  excerp- 
tor  änderungen  erlaubt  hat.  Zeichnen  sich  diese  stellen  im  ganzen 
durch  einen  naiv-volksmässigen,  herzens warmen  ton  aus,  so  ist  dage- 
gen der  ganz  von  Tressan  herrührende  rest  von  kühlem  rhetorisieren- 
den  Charakter,  reich  an  ausrufen,  reflexionen  u.  dgl. 

Was  Wieland  in  sprachlicher  beziehung  zur  nachahmung  reizte, 
waren  die  älteren,  echten  teile.  Er  will  ein  „deutsches  Gaulois** 
schaffen. 

Für  die  richtige  beurteilung  des  grades  der  kühnheit,  die  Wie- 
land sich  als  Sprachbildner  zuschreibt,  ist  der  vergleich  seiner  spräche 
mit  dem,  was  in  Adelungs  Wörterbuch ^  als  hochdeutsch  bezeichnet 
wird ,  sehr  lehrreich.  Man  muss  liiobei  jedoch  darauf  achten ,  dass  Wie- 
land bei  der  abfassung  des  Qeron  nur  die  beiden  ersten,  bis  inclusive 
R  reichenden  bände  des  Wörterbuches  benützen  konte  —  die  vorrede 
des  dritten  bandes  ist  von  der  ostermesse  1777  datiert  — ;  dass  ihm  aber 
bei  der  zweiten  bearbeitung  das  volständige  werk  zur  Verfügung  stand. 

Demgemäss  kann  in  T.  M.  nur  dasjenige  als  trotz  Adelung 
geschaffen  angesehen  werden,  was  in  die  vorbezeichneten  grenzen  fält 
Für  alles  übrige  lehrt  der  vergleich  zunächst  nur,  worin  Wielands 
Qeron  von  dem  abweicht,  was  Adelung  als  sprachrichtig  gilt 

Manche  änderungen  von  W.  gegenüber  T.  M.  dürften  auf  den 
einfluss  des  Wörterbuches  zurückzuführen  sein;  im  ganzen  und  grossen 
jedoch  hat  Wieland  an  den  grundsätzen  festgehalten,  die  für  ihn  bei 
der  ersten  abfassung  massgebend  waren.  Für  dasjenige,  was  in  W. 
beibehalten  ist,  kann  also  der  ganze  Adelung  in  derselben  weise  zum 
vergleiche  herangezogen  werden,  wie  für  den  ersten  teil  des  wortvor- 
rates  von  T.  M. 

Der  grundsätzliche  gegensatz  zwischen  Wieland  und  Adelung 
könte  leicht  überschäzt  werden,   wenn  man  es  unterliesse  auf  einige 

1)  Das  Wieland  bekantlicli  sehi*  gewissenhaft  und  fleissig  benüzt  hat. 


ÜBER  WIKLAND8  (»EBOK  241 

wichtige  bemerkungen  in  der  vorrede  zum  ersten  bände  des  Wörter- 
buches näher  einzugehen.  „Die  sogenante  höhere  Schreibart",  sagt 
Adelung,  „arbeitet  unaufhörlich  an  dem  untergange  der  mundart  des 
täglichen  Umganges.  Da  sie  nicht  immer  neue  bilder,  neue  Wahrhei- 
ten sagen  kann,  so  will  sie  die  alten  Sachen  doch  immer  wenigstens 
mit  neuen  Wörtern  nennen.  Sie  nimt  alsdann  ihre  Zuflucht  gemeinig- 
lich zu  der  oberdeutschen  mundart  ....  Ein  glück  wäre  es  noch, 
wenn  es  auf  diesem  wege  behutsam  fortgienge;  die  oberdeutsche  mund- 
art hat  einen  solchen  reichtum  an  unerkanten  erhabenen  ausdrücken 
und  Wortfügungen,  dass  sie  die  hochdeutschen  dichter  und  redner  noch 
Jahrhunderte  hindurch  damit  versehen  kann,  ohne  erschöpfet  zu  werden. 
Sie  (die  hd.  mundart)  figieren  und  auf  alle  folgende  Zeitalter  einschrän- 
ken zu  wollen,  heisst  den  lauf  aller  menschlichen  dinge  verkennen. 
Man  müste  zugleich  auch  den  künsten  und  Wissenschaften,  den  moden, 
ja  der  ganzen  art  zu  denken  und  handeln  auf  ewig  grenzen  setzen". 

Man  sieht,  auch  der  conservative  Adelung  kann  sich  den  einflüs- 
sen  der  neuerer  auf  sprachlichem  gebiete  nicht  völlig  entziehen,  so 
wenig  freundlich  er  ihnen  auch  gegenübersteht.  Gegenüber  den  oben 
(s.  239)  erwähnten  äusserungen  Wielands,  dass  sich  die  frage,  was 
hochdeutsch  sei,  nur  aus  den  werken  der  besten  schriftsteiler  beant- 
worten lasse,  und  dass  hiervon  auch  die  schriftseller  des  16.  und  17. 
Jahrhunderts  nicht  ausgeschlossen  werden  dürften,  weist  es  doch  auf 
eine  bedeutsame  Verschiedenheit  der  anschauungen,  wenn  Adelung  in 
ansehung  der  reinigkeit  der  spräche  keinem  Schriftsteller  das  prädikat 
„klassisch"  zugestehen  wül,  die  aufnähme  veralteter  und  provinzieller 
bedeutungen  und  Wortfügungen  aus  Luther,  Opitz,  Logau,  Flemming 
des  weiteren  rechtfertigt  und  diese  rechtfertigung  mit  den  werten 
schliesst:  „solte  es  auch  nur  geschehen  sein,  um  den  unkundigen  oder 
ausländischen  ieser  zu  warnen". 

Ich  führe  nun  aus  dem  wortvorrat  des  Geron  die  irgend  auffal- 
ligeren Wörter  in  alphabetischer  Ordnung  an,  ähnlich,  wie  es  Wieland 
selbst  in  seinen  anmerkungen  zum  Geron  (Teutscher  Merkur  1777, 
8.  132  u.  fgg.)  gehalten  hat. 

Adelieh.  Hiezu  bemerkt  Wieland  (T.  M.  132):  „Ich.  gebrauche  dieses  wort  als  ein 
äquivalent  für  das  französische  eaurtois.  In  unsern  Zeiten  wii-d  edel  mehr  gebraucht, 
den  adel  des  gemüts  und  der  sitten,  adelich  hiagegen  mehr  den  adcl  der  geburt 
zu  bezeichnen.  Bei  unseiii  alten  war  es  just  umgekehrt.  Sie  sagten  odel  von 
geburt,  adelioh  von  sitten*.  Wieland  vei*weist  auf  den  Sprachgebrauch  der  alten 
Übersetzung  des  Amadis  de  Gaule,  in  welcher  eourtois  häufig  durch  adclich  wider- 
gegeben wird.  Dass  er  es  nicht  mit  höflich  übei-setze,  i-echtfei-tigt  or  mit  der  abge- 
schliffenen bedeutung  dieses  wortes.    Courtois  —  adelich  ist  ihm  gleichbedeutend 

ZEITSGHBIFC  F.   DEITTSCHB  PHniOLOOUE.     BD.  XXV.  16 


242 

mit  xaXös  xal  uya&og.  Er  verwahrt  sich  jedoch  hier  ebenso  wie  in  der  etwas  kür- 
zeren auf  dieses  wort  bezüglichen  stelle  der  vorrede  dagegen,  dass  er  damit  dem 
adel  ein  kompliment  machen  wolle. 

In  demselben  sinne  gebraucht  das  wort  auch  Luther:  ,,die  aller  adiligiste 
und  theuerste  tugend*^  (Briefe  2,  254).  —  Und  hetten  ir  mir  bestanden  —  mit 
ellenhaften  haudon  —  das  were  adelich  getan  (Hdb.  707,  31).  —  schön,  wolerzo- 
gen,  adelich  (H.  S.  der  ermört  Lorenz  z.  5)  von  einer  kaufmannstochter.  —  8owol 
T.  M.  als  W  haben  adelieh.  Diese  Schreibung  schlägt  auch  Adelung  für  die  figür- 
liche an  Wendung  des  wertes  vor  und  bemerkt  weiter:  In  dieser  figürlichen  bedeu- 
tung  fängt  das  wort  an  zu  veralten,  vermutlich,  weil  die  Sache  selbst  bei  unserem 
heutigen  adel  aus  der  gewohnheit  gekommen  ist. 

Anmathen,  sieh  =  sieh  anmaasen.  Adelung  weist  das  einüache  „anmuten  jmd. 
etwas '^  dem  gemeinen  leben  zu.  Die  Verbindung  mit  dem  reflexivpronomen  fehlt 
ganz. 

Ansprengen  auf:  „Spi'engt  im  stuim  auf  seinen  gegner  an*^.  DWb.  I,  470  gibt  zahl- 
reiche beispiele  für  a.  mit  blossem  aocusativ  =  conoitato  equo  aggredi,  aber  keines 
für  a.  auf  —  schnell  auf  jetnand  losreiten.  Das  gleiche  gilt  von  Adelung,  der 
das  wort  als  tätiges  Zeitwert  von  anspringen  erklärt 

Arbeit:  „Und  könig  Artus  kaum  mit  arbeit  . . .  sich  festhielt^  W.  16.  n.  a.  s=  mit 
mühe;  DWb.I,  540.  Bed.  6:  „Hieran  grenzt  unmittelbar  die  von  schwerer  knedits- 
arbeit  zuerst  abgeleitete  abstraktion  grosser  mühe  und  anstrengung.  „Der  wird 
uns  trösten  in  unserer  mühe  und  erbeit  auf  erden  L.  1.  Mos.  5,  29.  Ich  habe  sie 
(die  heil,  schrift)  über  zwelf  jähre  gelehrt  mit  grosser  schwerer  erbeit  L.  6,  24  a*^. 
Die  hier  citierten  beispiele  lassen  das  wort  minder  entfernt  von  seiner  ursprüng- 
lichen bedeutung  erscheinen,  als  es  bei  Wieland  gebraucht  wird.  Ygl.  aber  Ade- 
lung: „Im  hochdeutschen  ist  diese  bedeutung  (sorge,  verdmss)  nicht  mehr  üblich, 
ausser  dass  arbeit  zuweilen  noch  für  mühe  gebraucht  wird^. 

AuÜBehmUeken:  ein  aufgeschmüoktes  ross  W.  Das  wort  klingt  gegenwärtig  veraltet 
DWb.  727,  wo  es  mit  exomare,  denuo  omare  erklärt  wird,  gibt  beispiele  aus  Goe- 
the, Musäus,  Tieck  und  Jean  Paul.  Auch  bei  Adelung  erscheint  das  wort  als 
durchaus  gebräuchlich. 

Anslaufen,  sich:  und  so  bald  sein  ross  Sich  ausgelaufen  W  16.  S.  a«  :=  genug  lau- 
fen, vom  pferde,  das  in  der  caniere  schwer  lenkbar  ist  und  erst  almfthlich  in  eine 
mindere  gangart  überg$ht,  „sich  auslaufen*^  muss.  Diese  bedeutung  fehlt  DWb.  I, 
904.  a.  7.  nur  „sich  auslaufen:  nach  langem  sitzen  sich  bewegen,  gleichsam  die 
beine  wider  auslaufen.  Auch:  sich  ermüden*^.  Auch  bei  Adelung  nur  die  erkli- 
rung:  Sich  durch  laufen  gehörige  bewegung  machen. 

Answägen:  Er  hatte  aus  einem  grossen  häufen  Speere  ...  den  schwersten  ausgewo- 
gen W.  19.  In  Verbindung  der  wörtlichen  und  der  übertragenen  bedeutung  = 
nach  dem  gewichte  prüfend  wählen;  fehlt  DWb.  I,  1008.  Angegeben  bei  Adelung 
A«  1.  Herauswägen,  nach  dem  gewichte  aussuchen. 

Bar:   aller  ehren  bar  W.  51.    Wieland  selbst  erklärt  T.  M.  133:   soviel  als  nackt, 

entblösst,   ausgezogen wird  durch  unser  beraubt  nicht  völlig  ersezt     Auch 

Bodmer  findet  es  nötig,  das  wort  im  glossar  zu  den  Proben  zu  erläutern.  Damit 
stimt  es,  dass  die  DWb.  I,  1057  angeführten  beispiele  aus  dem  18.  und  19.  Jahr- 
hundert für  diese  bedeutung  durchweg  jünger  sind  als  die  Proben.  Adelung  erklärt 
das  wort  in  der  bedeutung  unserer  stelle  für  gänzlich  veraltet. 


ÜBIR  WIKLANDS   OERON  243 

Bergen:  ...  bis  zu  heiss  die  wunde  brent,  sie  dem  —  zu  bergen  W.  36.  b.  = 
yerbergen,  verhehlen,  vor  DWb.  I,  1508,  4.  Adelung  bezeichnet  das  wort  als  nur 
noch  im  oberdeutschen  üblich,  citiert  jedoch  beispiele  auch  aus  Schlegel. 

Bewtthmni^:  zu  bewährung,  wem  in  ritterschaft  —  der  preis  gebühi*e  "W.  15.  Das 
wort  ist  hier  in  der  bedeutung  exploratio  gebraucht,  ähnlich  wie  T.  M.  5  entspre- 
chend hat:  und  zu  bewähren,  wenn  usw.,  wo  b.  =  explorare,  dartun,  prüfen. 
Vgl.  Und  welcherlei  eines  jeglichen  werk  sei,  wird  dies  feuer  bewähren.  L.  1.  Cor. 
3,  13.  —  Die  hier  entsprechende  bedeutung  fehlt  DWb.  I,  1765.  Adelung  hat 
bewährung  überhaupt  nicht;  unter  bewähren  erkläit  er  die  bedeutung  „prüfen*^  für 
Teraltet 

Barne:  wird  sowol  für  gemahlin  als  für  geliebte  gebraucht  Vgl.  DWb.  II,  702  und 
Adelang:  Dame  „ein  vornehmes  frauenzimmer,  besonders,  wenn  es  verheurathet  ist**. 

Dank:  Den  dank  davonzutragen  W.  45.  Den  dank  des  tumeys  zu  gewinnen  W.  48. 
tragen  .  .  .  des  tumeys  dank  davon  W.  48.  Wieland  erläutei-t:  „Dank  ist  das 
eigentliche  wort  für  den  preis,  der  dem  sieger  im  tumey  zuerkant  wurde.  Man 
sagte  nie  preis  des  turniers,  sondern  dank.  —  Er  hat  den  dank  gewonnen '^  T.  M. 
133.  Wieland  verwendet  das  wort  auch  im  Oberon  zweimal  in  der  gleichen  bedeu- 
tung: trug  durch  hinterlist  . . .  den  dank  davon  I,  35,  Und  ratet,  welchen  dank  der 
Sieger  heut  erhält  Xu,  81.  Seitdem  ist  der  gebrauch  dank  =  siegespreis  wider 
in  aufoahme  gekommen;  vgl.  Schillers  Handschuh:  den  dank,  dame,  begehr  ich 
nicht!  Dazu  DWb.  II,  731.  9.  Wielands  vorlagen:  Gott  geh  im  glück  in  dem 
tumier,  dass  im  der  höchst  dank  heimgfall  H.  S.  h.  S.  289.  Adelung:  besonders 
bedeutete  dieses  wort  ehedem  die  belohnung,  die  der  überwinder  bekam,  den  preis; 
dazu  ein  beispiel  aus  Opitz  citiert. 

Befeii:  der  edle  degen  üther  Pandragon  T.  M.  10;  im  W.  23  ersezt  durch  der  edle 
ritter  usw.  —  Degen  =  held,  ritter.  —  Aber  der  teurdank  der  degen  rein  — 
beschüzte  sich  mit  rechter  mass  W.  83,  58;  wer  ist  der  reine  degen,  der  uns  die 
lere  git  Hdb.  63,  22.  Zur  geschichte  des  wertes  DWb.  U,  895:  „Vom  14.  Jahr- 
hundert kam  es  (das  wort)  in  abnähme.  In  neuerer  zeit  erscheint  es  wider  häu- 
figer, aber  man  betrachtete  es  als  einen  bildlichen  ausdruck  von  ensis^.  Vielleicht, 
dass  Wieland  die  änderung  von  degen  in  ritter  eben  mit  rücksicht  darauf  — 
man  denke  an  die  wenig  heldenmässigen  galanteriedegen  des  18.  Jahrhunderts  — 
vornahm.  Im  Gandalin  ist  das  wort  H,  169  und  III,  172,  beidemale  in  scherz- 
haft spöttelnder  anrede  verwendet  Adelung  bezeichnet  das  woit  degen  in  der 
bedeatong  „kriegsmann,  rechtschaffener,  redlicher  mann^  als  völlig  veraltet;  er 
citiert  Teuerdank  und  Logau. 

]>e88elbeBirIeiehe]i  W.  51  =  desgleichen,  ibidem,  similiter;  die  DWb.  II,  1030  ange- 
führten beispiele  gehören  durchwegs  "der  älteren  spräche  an.  Adelung:  „Die  ver- 
längerte form  desselbengleichen,  welche  in  der  deutschen  bibel  mehrmals  vorkömt, 
ist  im  hochdeutschen  völlig  veraltet 

DieiieB:  and  zwanzig  dienten  bei  der  tafel  T.  M.  11;  verändert  in:  zwanzig  andre 
pflegten  des  diensts  dabei  —  TJnd  zwanzig  bei  der  tafel  W.  25.  Ygl.  DWb.  E, 
1105  d.  5,  ab.  —  Adelung:  Zu  tische  dienen,  bei  tische  aufwarten,  im  gemeinen 
leben  sowol  Nieder-  als  Oberdeutschlands. 

PueUaneht:  durchlaachter  herr  W.  14;  d«  =  durchlauchtig;  vgl.  DWb,  H,  1638; 
Adelung  kent  vor  Substantiven  nur  den  gebrauch  der  form  durchlauchtig,  die  er 
auch  anter  durchlauoht  (a^jeotiv)  bespricht 

16* 


244  8IN0KH 

Elaüek:  Je  ehrlicher  sie  sprachen,  desto  grober  ward  herr  Flaonz  W.  42.  Dazu 
Wieland  T.  M.  133:  „In  der  alten  bedeutung,  in  der  es  hier  genommen  wird,  mit 
dem  französischen  worte  honnete  gleichbedeutend  and  also  mit  höflich  beinahe 
einerlei.  Gleichwol  ist  zwischen  diesen  beiden  synonymen  noch  ein  feiner  unter- 
schied. Höflich  sprechen  kann  auch  ein  schalk;  ohrlich  sprechen  ist  höflichkeit  des 
biedermannes.  In  diesem  sinne  ist  das  wort  ehrlich  im  alten  Amadia  and  in  andern 
werken  dieser  art  vom  15.  und  16.  jahriiundert  inmier  gebraucht*^.  —  Das  wort 
verbindet  also  hier  die  DWb.  m,  70  e  gegebenen  bedeutungen  3  ehrlich  =  red- 
lich, ohne  faUch  von  leuten,  und  5  =  xiemend,  anständig  von  Sachen.  Bei 
Adelimg  passt  hierher  am  nächsten  I  (3)  dem  äusseren  wolanstande  der  reinigkeit 
der  Sitten  gemäss,  im  gemeinen  leben. 

Enthalten  sieh:  während  Geron  sich  zu  Maloauc  enthielt  W.  38;  wo  ein  guter,  alter 
ritter  sich  enthielt  W.  67.  =  sich  aufhalten.  DWb.  II,  551.  0.  1  führt  dazu  zahl- 
reiche beispiele  namentlich  aus  Luther  an;  u.  a.:  Da  zog  Abraham  hinab  in  Ägyp- 
ten, dass  er  sich  daselbst  enthielte  I.  Mos.  12,  10,  auch  sonst  ist  es  sehr  häufig, 
wird  aber  gegen  das  18.  Jahrhundert  zu  immer  seltener.  Aus  der  zeit  der  klas- 
siker  weist  DWb.  nur  die  beiden  falle  im  Geron  nach.  Adelung  erklart  diese  ganze 
bedeutung  für  veraltet. 

Entstehet:  Entstehet  eurem  treuen  ritter  nicht  TM.  8  =  verlasst  ihn  nicht  Yerlasset 
euren  usw.  W. 

Erbe:  Das  Hektor  Braun  . . .  sterbend  ihm  zum  erbe  liess  W.  61  =  erbschaft,  erb- 
stück;  DWb.  3,  710.  6:  „Neben  verba  setzen  wir  statt  des  einlachen  erbe  heutzu- 
tage das  schlagendere  erbschaft  Es  heisst  nicht  erbe  laxen,  sondern  erbschalt 
hinterlassen.  Noch  bei  Schweinichen :  „Was  for  erbe  s.  f.  G.  gelassen*.  —  Erben 
=  „zum  erbe^  geben  im  glossar  zu  den  Proben  277.  Adelung  (5)  bezeichnet 
das  wort  als  im  gemeinen  leben  noch  häufig  für  erbschaft  angewendet;  dazu  citiert 
er  Geliert:  das  dritte  gebetbuch  hat  sie  aus  dem  väterlichen  erbe  bekommen. 

Erbidmen:  Dass  die  erde  unter  ihrem  stampfen  —  erbidmete  W.  15  =  erbeben, 
erzittern.  DWb.  ni,  722  tremere  =  dem  einfachen  bidmen:  Rauten  also  neidigk- 
lich  auf  einander,  dass  man  bedaucht  das  feld  erbidmet  unter  ihnen  Aimon  s.  1*. 
Und  fiel  so  ungestümig^ch  emider,  dass  das  erdrich  . .  erbidmet  Buch  der  liebe 
274,  1.  —  Auch  die  übrigen  zahlreichen  beispiele  gehören  durchwegs  der  älteren 
spräche  an.    Das  wort  fehlt  bei  Adelung;  ebenso  bidem,  bidmen. 

Erfirenen  sieh:  erfreut  sich  ohne  mass  W.  57  =  sich  freuen.  DWb.  m,  807,  2  nur 
mit  gen.  der  sache  oder  prSposition.  —  Bei  Adelung  e«  2  im  gleichen  gobraudie  wie 
bei  Wieland:  ich  erfreue  mich,  dass  es  dir  wolgeht 

Freeh:  nichts  mocht  ihm  seine  vorsieht  frommen,  nichts  —  sein  frecher  mut  W.  19 
=  kühn,  yerwegen;  sonst  überwiegt  nhd.  die  üble  bedeutung.  (DWb.  IV,  1,  92.) 
vgl.  ich  yerwunder  mich,  wie  du  deines  tods  so  frech  warten  darfst  Am.  125.  Die 
gute  bedeutung  wird  von  Adelung  als  veraltet  bezeichnet;  doch  im  sächsischen 
churkreise  ,fder  rocken  wuchs  in  wenig  tagen  so  firech,  dass  man  sich  darüber  ver- 
wunderte* d.  i.  stark,  mutig. 

FroBunen,  s.  o.  =  nützen.  Wieland  hält  es  für  nötig,  diesen  gebrauch  durch  die 
berufung  auf  Hdb.  zu  rechtfertigen  (T.  M.  133).  „Der  stein  ist  aber  stark  —  er 
frumt  dich  in  ein  jare  —  wol  achczig  tausent  mark.  Hdb.  32,  28.  Ich  habe  es 
zwai'  alles  macht,  aber  es  frombet  nicht  L.  1.  Cor.  1,  12.  Doch  bietet  DWb.  auch 
mehrfache  beispiele  füi*  diesen  gebrauch  aus  der  zeit  kurz  vor  und  nach  dem  Ge- 


t^BEB  WIKLAKD8   QERON  245 

roD.    Adelung:   =  nutzen,   vorteil  bringen,   ein  wort,  welches  im  hochdeutschen 
ungewöhnlich  geworden.    Darum  die  erklärung  im  T.  M.? 

Fracht:  Des  hatt'  (hätf  T.  M.)  er  wenig  frucht  W.  44.  Dazu  T.  M.  133:  ^die  gewöhn- 
liche alte  redensart  für:  er  hatte  wenig  nutzen,  vorteil  davon.  Ohne  Wielands 
erläuterung  Ifige  es  näher  frucht  hier  in  der  DWb.  lY,  1,  263,  5  c  erörterten  bedeu- 
tung  folge,  erfolg  aufzufassen.  So  auch  Adelung:  (5)  folgen,  erfolg,  (a)  die  guten 
folgen,  der  nutzen.    Die  Verbindung  «wenig  frucht*^  fehlt  bei  Adelung. 

Gaekeln:  mögen  sie  —  Was  ihnen  lüstet,  gackeln  W.  44;  =  schwätzen.  DWb.  IV, 
1,  1128.  1.  Vom  geschrei  der  hühner.  2.  Danach  von  menschen,  besondere  frauen; 
rheinisch  =  hell  lachen,  sonst  =  plaudern,  schwätzen.  Wieland  gibt  damit  B. 
u.  63  laissons  les  exercer  leur  jactance  wider.  Die  form  gackeln  bei  Adelung  nicht 
angegeben;  von  gackern  nur  die  wörtliche  bedeutung. 

Creeken:  der  ...  die  unbekanten  ritter  geckte  W.  44  =  xum  narren  hohen,  höhnen, 
vgl.  DWb.  lY,  1,  1921/2.  Adelung:  im  gemeinen  leben  einiger  gegenden  vexieren; 
jemanden  gecken  oder  ausgecken  =  seiner  Schwachheit  spotten. 

Helmlin:  nimt  das  helmlin  ab  T.  M.  123;  verändert  in:  nimt  die  haube  ab  W.  61  = 
si  die  jßon  haubert  B.  u.  78.  H.  =  heim.  DWb.  lY,  2  .  .  .  H.  1  =  kleiner 
heim.  Das  wort  wird  aber  vielfach  geradezu  für  heim  verwendet;  an  der  DWb. 
citierten  stelle:  mit  einem  schwerdt,  helbmlein  und  schildt  H.  S.  3,  2,  238'  ist  die 
bedeutung  kleiner  heim  ganz  ausgeschlossen,  wie  der  volständige  Wortlaut  dersel- 
ben lehrt:  „der  ris  komt  usw.^  Wieland  mochte  das  wort  W.  61  durch  haube 
ersezt  haben,  weil  er  annahm,  dass  es  zu  nahe  läge,  an  die  deminutive  bedeutung 
des  n-lein*'  zu  denken. 

Henrasgeifem:  alles  kurz  und  klein  herauszugeifem  W.  44.  Hier  wie  das  einfache 
geifern  im  16.  Jahrhundert  als  verächtlicher  ausdruck  von  nichtigen  reden,  aus- 
führungen  usw.  gebraucht;  jezt  denkt  man  gewöhnlich  an  giftig  lästerndes,  schmä- 
hendes reden.  Ygl.  DWb.  lY,  1,  2566  und  lY,  2,  1034,  wo  Wigandus  Ob  die 
newen  Wittenberger  22'  citiert  wird:  das  ir  wider  die  öffentliche  Schriften  ein 
blawen  dunst  herausgeifert.  Es  fehlt  bei  Adelung,  der  auch  das  einfiEU)he  geifern  nui 
in  der  bedeutung  geifer  fliessen  Uusen  kent. 

Hinan:  ritt  zum  könig  hinan  W.  16.  =  hin,  hinzu,  dem  älteren  Sprachgebrauch 
gemäss,  während  es  in  jüngeren  quellen  sonst  auf  einen  höher  gelegenen  ort  zeigt 
(DWb.  lY,  2,  1383)  und  die  damit  gebildeten  verba  der  bewegung  im  algemeinen 
ein  steigen  oder  klimmen  anzeigen.  Nach  Adelung  Wielands  gebrauch  ganz  regel- 
mässig: h«  ein  nebenwort,  ein  nahekonmien  an  einen  ort  oder  eine  sache  zu  be- 
zeichnen. 

Hoelimnten:  der  ....  hochmutete  und  neckte  männiglioh  W.  42.  Die  vermeinen 
ungestraft  —  uns  hochzumuten  W.  43  =  hochmütig  behandeln.  T.  M.  134:  „Einen 
hochmuten,  ein  trefliches  wort,  das  wider  cours  zu  bekommen  verdient,  wie  es 
ehemals  sehr  gewöhnlich  war.  Sein  sinn  bedarf  keiner  erklärung.  Jedermann  sieht, 
dass  die  redensarten,  deren  wir  uns  bisher  als  mit  dieser  gleichbedeutend  bedient 
haben,  z.  e.  einem  hochmütig  trotzen,  einem  trutzen  u.  dgl.  das  wort  hochmuten 
keineswegs  ersetzen**.  Das  wort  ist  namentlich  in  der  Amadisübersetzung  sehr 
häufig,  z.  b.:  ritter,  was  bewegt  euch  diese  fraw  also  schendlich  zu  hochmuten. 
Am.  4^  Grossen  verdriess  name  der  Juncker  ab  dem,  dass  er  jrer  so  viel  den  könig 
Perion  hochmuten  und  trotzen  sähe  Am.  8.  Ygl.  auch  DWb.  lY,  2,  1627.  Bei 
Adelung  fehlt  das  wori  Doch  findet  sich  in  der  anmerkung  zu  hochmut:  Im 
Oberdeutschen  hat  man  auch  das  Zeitwert  hochmütigen,  aus  hochmut  verhöhnen. 


246  SDfOiR 

Hohn:  höhn  dem  mann  X.  32  =  Et  tont  homme  est  honni  B.  xl  52.  =  schmach, 
schände.  DWb.  lY,  2,  1722  gibt:  I.  erniedrigong,  schmach,  schände,  die  einem 
widerfährt:  da  kompt  verachtang  mit  schmach  und  höhne.  L.  Spr.  Sal.  18,  3:  Die 
götzen  machen,  müssen  allesampt  mit  schmach  und  höhn  bestehen  Jes.  45,  16. 
Vereinzelt  auch  noch  bei  Bürger,  während  die  neuere  spräche  sonst  mit  höhn  den 
begriff  (4)  übermütig  spottender  Verachtung  verbindet.  Adelung  bezeichnet  das  wort 
als  nur  der  edleren  Schreibart  angehörig  und  (1)  die  bedeutung  schände  als  grösten- 
teils  veraltet. 

Höhnen:  Und  höhnen  sie  uns  heute  —  Leicht  mags  sein,  es  reut  sie  morgen 
W.  43  (a).  —  Denn  gehöhnt  auf  ewig  —  Und  aller  ehren  bar  war  ich  geblieben 
W.  51  (b).  a  =  verhöhnen  DWb.  IV,  2,  1726.  h.  46.  —  b  =  „gering,  niedrig, 
verächtlich  machen  [car  j'etois  deshonoree  k  toujours]  eine  bedeutung,  die  nhd. 
noch  bis  ins  18.  Jahrhundert  vorkomi    Wen   hast   du   gehöhnt  und  gelästert  X. 

2.  Könige  19,  22.  Etliche  aber  griffen  seine  knechte,  höhnten  und  töteten  sie 
Math.  22,  6.  Der  Basler  nachdruck  des  neuen  testamentes  zählt  höhnen  unter  die 
der  erklärung  bedürftigen  Wörter  und  erläutert  es  durch  spotten,  schmähen,  schän- 
den      Sagt,   wer  ist  schimpflicher  gehöhnt  —  der  heid,   von  dem  ein  Sch(Ön- 

aich)  dichtet  —  der  dichter,  den  ein  0(ott8ched)  krönt  Lessing  1,  34.  Auch  bei 
Wieland  (eben  W.  51),  doch  nach  dessen  eigener  erklärung  in  nachahmung  der 
spräche  des  16.  jahrtiunderts*'  DWb.  IV,  2,  1725  h«  1.  Adelung  gibt  zunächst  nur 
die  bedeutung:  mit  Verachtung  verspotten.  In  der  anmerkung:  Bei  den  schwä- 
bischen dichtem,  die  es  aber  auch  für  tadeln  gebrauchen,  gehoenen. 

Jan|rfr*ii:  Zwölf  Jungfrauen  standen  W.  13  und  mehrfach.  Nach  Wieland  T.  M.  134 
in  der  alten  bedeutung  mit  fräulein  gleichbedeutend  gebraucht  „Was  wir  jezt 
Jungfrau  nennen,  hiess  vor  alters  bekantlich  magd,  maget  —  daher  magetlich  jung- 
fräulich —  oder  maid.  Im  rosengarten  zu  Worms  —  oder  im  dritten  teile  des 
sogenanten  heldenbuches  heisst  die  königin  Eriemhild,  könig  Gibichs  tochter,  weil 
sie  noch  unvermählt  ist,  die  königliche  magd*^.  Vgl.  auch  Oot,  dir  sei  es  im  himel 
klagt  —  das  ich  ein  königliche  magt  H.  S.  h.  S.  327.  Königliche  magt  gehabt  euch 
wol;  ebend.  651.  —  Der  deutsche  Amadis  wendet /un^/rat«  auf  mädchen  an,  von 
denen  unmittelbar  vorher  erzählt  worden ,  dass  sie  eine  liebesnacht  verbracht  haben. 
Adelung:  J«  1.  „In  der  weitesten  bedeutung  eine  junge  person  weiblichen  geschlech- 
tes, sie  sei  verheuratet  oder  nicht;  eine  im  hochdeutschen  veraltete  bedeutung*. 
unter  3,  (2)  (c)  findet  sich  auch  der  alte  gebrauch  von  „magd*'  für  das  neuere 
„Jungfrau''  berührt.    Solte  dies  Wieland  veranlasst  haben,  ein  gleiches  zu  tun? 

Klaffen:  Lass  sie  klaffen  W.  44  =  laissez  les  coqueter  B.  u.  62  =  schwatzen  DWb. 
V,  894,  26.  „Im  16.  und  17.  Jahrhundert  schwatzen,  lästig  viel,  vorlaut,  anmas- 
send  oder  selbstgefällig  reden.  Zwar  noch:  Klaffe  nicht  zu  laut  oder  von  der  seele 
empfindung  Voss  5,  203*.  Wieland  dürfte  das  wort  der  lektüre  des  heldenbuches 
verdanken:  sag  an  was  kanstu  klaffen  70,  21.  Du  gibst  mir  schwere  büsse,  du 
achtest  nit  was  ich  claff  660,  18.    Das  klaft  sie  senleich  reich  und  armen.  Fm«  I, 

3,  I,  91.  Adelung  erörtert  auch  die  verschiedenen  fig.  bedeutnngen  des  Wortes 
und  bemerkt:   Im  hochdeutschen  ist  es  in  allen  diesen  bedeutungen  ungewöhnlich. 

Knappe:  Dreissig  knaben  hielten  —  Im  schatten  W.  13;  und  die  knappen  bei  den 
hohen  rossen  standen  W.  15  —  T.  M.  4  knaben  —  und  mehrfach.  Wieland  halt 
es  T.  M.  135  für  nöthig,  die  bedeutung  des  Wortes  zu  erklären  (ebenso  das  glos- 
sar  zu  den  Proben  283):  „knappen,  knaben,  schüdknappen,  knechte  ist  in  der 
spräche  unserer  alten  ritterzeiten  gleichbedeutend  mit  dem  altfranzösischen   valet 


ÜBEB  WIBLANDS  GKRON  247 

damoyseaa  und  eouyer'^.  Darauf  wird  in  kürze  die  geselschafÜiche  stellang  usw. 
der  knappen  besprochen.  «Flaiinz  der  schalk  nante  die  beiden  unbekanten  riiter 
schimpflicherweise  knechte,  weil  er  sie  ihres  schlechten  aufznges  wegen  nicht  für 
voll  ansah.  Adelung  erklärt  das  wort  für  ,,im  gemeinen  Sprachgebrauch  der  hoch- 
deutschen gröstenteils  veraltet*^.  2.  (1)  «^oi^  einem  von  jungem  adel,  welcher 
noch  nicht  ritter  war,  sondern  die  rittersohaft  erst  noch  erlemete ein  Schild- 
träger, knecht,  edelknecht,  im  engl,  ehedem  knave^. 

KBeeht:  spottet  er  .  .  .  der  beiden  schwarzen  knechte  W.  43  s.  o.  =  knappe.  Pr. 
Gl.  283  knecht  =  Waffenträger,  reuter;  vgl.  noch  Adelung:  2,  (1.)  (a)  Adelige 
männliche  personen,  welche  zur  erlangung  der  ritterwüixie  andern  rittem  dienten, 
hiessen  sowol  knappen  und  edelknappen  als  knechte  und  edelknechte. 

Magetlieh:  s.  Jungfrau  T.  M.  12,  mageÜich  ist  W.  27  durch  jungferlich  ersezi  Das 
wort  ist  von  Adelung  nicht  aufgenommen.  Zu  magd  =  Jungfrau  bemerkt  er:  eine 
im  hochdeutschen  veraltete  bedeutung,  in  welcher  das  wort  ehedem  sehr  üblich 
war,  fehlt  DWb.,  wo  VI,  1434  nur  magdlich. 

lüumlielt:  Kein  anderer  genoss  der  tafeirunde  tats  ihm  zuvor  an  mannheit  und  an 
schöne  W.  20.  Von  solcher  mannheit  W.  26.  T.  M.  135:  „Mannheit  besagte  bei 
unsern  alten  soviel  als  männliche  tugend  und  kraft  mit  ihrem  äusseren  glänz  und 
anstand,  sowie  weibheit  (wibheit)  weibliche  Sinnesart  und  sitte  mit  ihrem  ausser- 
liehen  sanften  reiz.  Beides  Wörter  voller  bedeutung,  ehe  Üppigkeit  und  neufran- 
zösische lebensart  beide  geschlechter  so  untereinander  gemengt  und  eine  so  wun- 
dersame wechselseitige  mitteilung  der  eigenschaften  unter  ihnen  bewirkt  haben, 
dass  daraus  eine  zwitterart  von  menschen  entstand,  die,  mit  erlaubnis  zu  sagen, 
weder  als  mann  noch  als  weih  recht  zu  brauchen  sind''.  Vgl.  das  sie  gern  fech- 
ten sehe  die  ritter  umb  ir  manheii  Hdb.  623,  22.  Dir  ist  noch  verboi^n  die 
grosse  manheit  mein  652,  5.  DWb.  VI,  1587,  2.  Adelung:  2.  „Ehedem  wurde 
es  auch  sehr  häufig  für  tapferkeit  gebraucht,  in  welchem  verstände  es  aber  ver- 
altet ist*'.  —  So  verwendet  es  Schlegel  im  Lear:  dass  du  so  meine  mannheit  kanst 
erschrecken. 

Mlmdflieli:  neckte  männiglich  W.  42  =  jedermann.  DWb.  VI,  1591  m.  1.  „Der 
gewöhnlichen  rede  gehörte  männiglich  nur  im  16.  und  17.  Jahrhundert  noch  an; 
spater  steht  es  bei  dichtem  und  im  kanzleistU,  heute  ist  es  völlig  veraltet^.  Vgl. 
damit  Adelung:  im  hochdeutschen  veraltetes  unabänderliches  fürwort  für  jedermann, 
welches  noch  im  oberdeutschen  üblich  ist.  Mennigklich  auch  desshalb  lob  gieht 
Tdk.  kap.  95.   Menigklich  nam  gross  freud  ab  der  erlichen  tat  Tdk.  kap.  82. 

Milde:  zwang  ihn  von  der  milde  —  der  frau  von  Maloanc  sein  leben  anzunehmen 
W.  =  gnade,  freigebigkeit  mhd.  tniUe;  vgl.  DWb.  YI,  2208  m.  1.  Adelung 
verweist  unter  milde  auf  das  adjeotiv,  wo  (3)  (4)  die  an  unserer  stelle  passenden 
bedeutungen  erörtert  werden. 

mime:  vieüjach  =  liebe  T.  M.  135/6:  „Minne  für  liebe,  minnen  für  lieben  ist  durch 
unsere  alten  minnesänger  aus  dem  13.  Jahrhundert  und  durch  unseren  Oleim,  der 
uns  einige  ihrer  lieder  in  einer  vernehmlicheren  spräche  vorgesungen,  bekant  genug; 
oder  solte  es  wenigstens  sein,  wenn  gleichgiltigkeit  gegen  alles,  was  unsere  nation 
war  oder  tat,  nicht  so  tief  eingewurzeltes  nationallaster  unter  ims  wäre.  Rechte 
minne  ist  so  viel  als  parfait  amour  in  den  altfiranzösischen  gedichten  und  romanen 
und  wurde  ehemals  so  gebraucht  „Von  rechter  minne  minnen  ist  als  im  ganzen 
ernst  lieben  otmer  de  parfait  amour  oder  aimer  par  amoure,  wie  sich  die  dame 
de  Maloanc  im  Oyron-le-Courtois  ausdrückt*'.    Wieland  selbst  gebraucht  das  wort 


248  «moEBL 

miDne  widerholt  im  Oberen,  Gandalia  usw.  Fr.  Ol.  erklärt  miime  durch  liebe, 
Venus.  Zur  geschichte  der  widerbelebung  des  wertes  DWb.  VI,  2241/2  M«  8. 
Adelung  erklärt  das  wort  für  veraltet,  bespricht  jedoch  ziemUch  ausführlich  bedeu- 
tung  und  geschichte  desselben. 

Itinnekraft:  Wärs  nicht  in  dieser  übergrossen  minnekraft  —  Ich  hätt  in  diesem 
tumey  nicht  getan  —  Was  ihr  gesehen  habt  W.  56.  Mit  rücksicht  auf  die  vorläge 
=  kraft,  welche  die  minne  verleiht  DWb.  VI,  2243  gibt  nur  unsere  stelle.  Bei 
Adelung  fehlt  das  wort 

Minniglieh:  Zu  ehren  aller  rainniglichen  frauen  W.  15.  Fr.  Gl.  erklärt  das  wort 
durch  „allerliebst".  Das  was  ein  minnikliche  tochter  schone  H.  S.  0.  u.  0. 15.  DWb. 
VI,  2245:  Um  1773  wider  aufgefrischt  und  seither  öfter,  immer  mit  altertümlichem 
klänge.    Fehlt  bei  Adelung. 

MSir<^ii  =  können,  vielfach.  DWb.  VI,  2452:  mögen  für  vermögen  „entweder  im 
falle  mundartlichen  anklanges,  (da  im  fränkischen,  bairischen  xmd  alemannischen 
Sprachgebiet  mögen  noch  immer  =  vermögen,  können  ist)  oder  bei  gehobener  und 
altert ümelnder  redc*^.  Adelung  weist  diese  bedeutung  den  oberdeutschen  dialekten 
zu,  „aus  welchen  mundarten  es  noch  einige  hochdeutsche  kanzelleyen  behalten 
haben". 

Muten:  Uns  zu  höhnen  mutets  ihnen  heut  T.  M.  112;  in  W  geändert  in:  Und  höhnen 
sie  uns  heute.  T.  M.  138:  sie  sind  in  der  laune.  Wieland  bezeichnet  die  redens- 
art  als  eine  von  ihm  selbstgewagte,  für  die  er  keine  autorität  anführen  könne.  Das 
wort  muten  selbst  sei  altdeutsch.  DWb.  VI,  2796.  m.  3:  „hessisch  einfaches 
muten  =  anmuten  in  der  neueren  bedeutung.  Das  mut  mich  nicht  =  das  zieht 
mich  nicht  an,  habe  keine  lust  dazu.  T.  M.  112  ist  DWb.  nicht  angeführt.  Ade> 
lung  hat  das  wort  und  gibt  2:  „als  ein  activum  verlangen,  begehren,  besonders 
formell  um  etwas  ansuchung  tun,  in  welchem  verstände  es  noch  im  gemeinen  leben 
üblich  ist".    Die  Wendung:  es  mutet  mich  kent  er  nicht. 

Not:  Der  ritter  . . .  müste  wol  von  not  der  besten  einer  sein  W.  47.  Welch  ein 
gewaltig  Wesen  müste  dann  von  not  —  die  minne  sein  W.  55.  —  Not  ist  ilir  zu 
reden  W.  52.  Der  not  war,  ihrem  herzen  luft  zu  schaffen  W.  55.  (6);  von  not 
=  necessarto  DWb.  VII,  916  n.  B.  11,  welchs  als  ketzerisch  muss  sein  von  not 
Fastnachtssp.  9,  24.  Der  musz  von  not  dreckig  beliben  Mumer  narrenbeschwörung 
57  Überschrift;  selten  bei  neueren".  Von  not  fehlt  bei  Adelung.  Not  sein  = 
necesse,  opus  esse  mit  dativ  der  person:  Doch  des  erschlagnen  tod  zu  rächen  — 
War  dem  feilen  tross  nicht  not  W.  Oberen  1 ,  37.  Die  anderen  von  DWb.  ange- 
führten beispiele  zeigen ,  dass  auch  diese  construktion  der  älteren  spräche  geläufiger 
ist  als  der  jüngeren.  Adelung:  Im  hochdeutschen  ist  dieses  nebenwort  veraltet, 
ausser  dass  man  in  der  höflichen  sprechart  des  gemeinen  lebens  zuweilen  „mir  ist 
not  sagt"  (für  das  körperliche  bedürfnis). 

Na:  Und  von  diesem  nu  vermied  er  streng,  ins  äuge  ihr  zu  sehn  W.  33.  =  augen- 
blick  DWb.  VIE,  995  n.  2  c,  d.  Adelung:  Nu  und  nun  werden  zuweilen  auch  als 
hauptwörter  gebraucht,  doch  selten  in  der  anständigen  sprechart 

Btthren:  Bührt  ihn  des  schwarzen  schaft  mit  solcher  macht  W.  17.  =:  berühren 
treffefu  Wan  das  birg  wird  von  regen  nass,  —  so  lösten  sich  die  stein  darvon  — 
wen  sie  dan  rürten,  der  was  tot  Tdnk.  49,  16.  Ein  grosser  stein  rürt  —  dem 
held  beed  sparadem  sein,  ebd.  30.  Einer  ist  mir  zwischen  beed  bein  —  gefallen 
und  hat  mich  gerürt  ebd.  z.  50.  Adelung:  2  (1.)  von  einer  tätigen  bewegung  in 
gerader  richtung  sofeme  sie  sich  an  ein  gewisses  ziel  erstrecket  . . .    Seine  band 


ÜBIR  WZELANDS   6EB0N  249 

hat  uns  nicht  gerühret  1.  Sam.  6,  9.  Die  hand  gottes  hat  mich  gerühret  Hiob  19, 
21,  wofür  man  doch  jezt  anrühren,  berühren  braucht. 

Sache  =  urstiehe:  der  also  ohne  sache  —  die  unbekanten  ritter  geckte  W.  44.  Pr. 
Gl.  288.  Sache  =  rechtssache  Sne  sache  ohne  recht;  Pr.  s.  7:  daz  äne  sache  ir 
iht  geschehe.  Adelung:  8.  eine  Ursache,  eine  veraltete  bedeutung.  Er  ist  ohne 
sache  aufgeblasen  in  seinem  fleischlichen  sinn  L.  Col.  n ,  18. 

Scluift  =  lanxe;  sie  brachen  manigen  schaft  Hdb.  183,  5.  Adelung:  2  (1)  Die  lange 
gerade  stange  an  einem  spiesse  heisst  noch  hin  und  wider  ein  schaft.  Daher  die- 
ses wort  ehedem  auch  wol  für  den  spiess  selbst  gebraucht  wurde. 

Sehalk:  Herr  flaunz  —  Ein  junger  schalk  und  prahler  W.  42  (a).  Hohn  dem  mann, 
der  seinen  schalk  —  Yerbergen  will  im  löwenbalg  W.  32  (b).  a  =  spötter  vgl. 
raüleur  inciril  et  plus  que  fanfaron  B.  u.  62.  b  =  spitzbube,  schlechter  mensch; 
tritt  jezt  almählich  zurück.  Mein  gewant,  das  ist  ein  igels  balk  —  damit  deck 
ich  meinen  groben  schalk  H.  S.  Heinz  Widerporst  55.  als  ob  ich  sei  der  ergest 
schalk  H.  S.  Wolfsklage  47,  und  so  vielfach.    Bei  Adelung  beide  bedeutungen. 

Sehier  ==  nahe,  beinahe:  Und  wie  er  schier  herangekommen,  stieg  er  ab  W.  14. 
Adelung:  Ein  noch  in  der  gemeinen  sprechart  Ober-  und  Niederdeutschlands  sehr 
gangbares  wort,  welches  aber  in  der  anständigen  schreib-  und  sprechart  der  hoch- 
deutschen veraltet  ist.  (2)  bald,  mit  nächstem. 

Schimpf:  . . .  Halb  im  schimpf  imd  halb  —  Im  ernst  gesprochen  W.  18  =  T.  M .  7. 
Halb  im  schimpf  gesprochen  —  Und  halb  im  unmut;  =  scherz  . . .  Und  begiengen 
vil  manheit  durch  frawen  willen  zu  schimpf  und  zu  ernst  Hdb.  vorrede  s.  2.  von 
emsthafiften  und  schimpfflichen  Sachen  Am.  vorrede  s.  3.  Eanstu  denn  keinen 
schimpf  verstau  H.  S.  Rockenstube  183.  Schimpf  und  ernst  von  Pauli.  Adelung: 
Schimpf  (1.)  der  scherz ^  eine  im  hochdeutschen  veraltete  bedeutung,  welche  aber 
in  den  Schriften  der  vorigen  zeit  häufig  vorkomt. 

Schlecht:  Doch  unbekant  und  nur  in  schlechten  waffen  W.  39.  Ihr  ganzer  aufzug 
schlecht  und  scheinlos  W.  42  Denn  wiewol  er  nur  —  in  schlechten  waffen  auf- 
zog W.  45.  —  schlecht  =  schlicht,  einfach,  dem  älteren  sprachgebrauche  gemäss, 
wie  bei  Adelung  1.  (3.)  (b)  einen  geringen,  oder  geringeren  wert  habend. 

Sold:  Die  der  minne  süssen  sold  . . .  wol  zu  geben  —  vermochten  W 13  . . . .,  dem 
ein  edles  weih  den  sold  der  minne  nicht  versagen  könte  W  35.  =  Lohn  vgl.  minne. 
Gandalin  hat  noch:  Und  Sonnemon  —  verspricht  mir  dafür  der  minne  lohn.  — 
Der  minne  sold  später  noch  häufiger  verwendet.  Adelung:  In  der  hohen  Schreibart 
wird  sold  noch  zuweilen  für  besoldung  und  lohn  überhaupt  gebraucht 

Sparen:  Die  auf  morgen  sich  sparen  weiten  W.  43.  T.  M.  136  erklärt  das  wort  durch 
schonen  und  gibt  als  muster:  Wer  seine  feinde  spart  —  Und  auch  erzürnt  sein 
freunde  —  Der  ist  nicht  wol  bewahrt  (Hdb.  36,  38).  —  ich  muss  mein  haut  sel- 
ber spam  Fm.  I,  3,  v.  137.  Adelung  1  (2)  fig.  (a)  erhalten,  die  unverlezte  fort- 
dauer  eines  dinges  bewahren;  eine  im  hochdeutschen  veraltete  bedeutung. 

SpüssUng:  strenge  spässlinge  W  44.  T.  M.  138:  Auch  das  wort  spässling  für  spass- 
vogel  un  Plaisant  nach  der  analogie  von  witzling  u.  a.  ist  meines  Wissens  unge- 
stempelt*. —  Fehlt  bei  Adelung. 

SplessgeseUe:  Geron  ward  sein  spiessgesell  W  33.  Und  wiewol  sie  schon  —  So 
lange  spiessgesellen  waren  W  38.  (Et  neanmoins  qu'il  y  avoit  dejä  longtemps, 
qu'ils  etoient  compagnons  d'armes  ensemble  B.  u.  58.)  Und  liegt  wo  seine  spies- 
geeellen  lagen  W  21.  =  waffengenosse.  Weigand  H,  765.  Zum  andern,  liber 
spisgeseU  —  ist  dis  an  dir  ein  grosser  fäl  Fischart  Flohhatz  555.  —  Adelung:  := 


250  Buieut 

kamerad,  eommüUo;  J67«t  gebraucht  man  es  noch  zuweilen  Yon  einem  jeden  mit- 
gesellen oder  kamerad,  doch  am  häufigsten  nur  im  bösen  oder  verächtlichen  ver- 
stände. 

Stange  =  lanxe:  Bass  sie  die  stange  vor  der  faust  zersprengten  W  21.  Das  er  im 
solte  bringen  her  —  ein  siangen  dick  und  darzu  schwer  Tdk.  103,  22.  Adelung: 
2.  Die  Stange  an  einem  spiesse,  welche  doch  lieber  schaft  genant  wird. 

Strenge:  Und  von  diesem  nu  —  Yermied  er  streng,  ins  äuge  ihr  zu  sehn.  W  34  (a). 
—  strenge  spässlinge  W.  44.  Doch  unter  ihnen  allen  keiner  hielt  —  den  strengen 
stoss  des  unbekanten  aus  W.  =  stark,  getccUttg:  (Weigandll,  836)  fiengen  solch 
sti'engen  vnd  harten  streit  an  Am.  4.  Gen  dem  wurt  der  junkfrawen  herz  — 
enzünt  in  strenger  lieb  H.  S.  Die  lasabet  m.  i.  Lorenzen  28.  Der  ein  in  streng 
anlief  ebend.  100.  Adelung:  stark  .  .  tapfer,  eine  ehedem  sehr  gangbare  bedeu- 
tung,  in  welcher  es  . . .  veraltet  ist 

Stunde :  von  stund  an  mögen  sie  —  Was  ihnen  lüstet  gackeln  W.  44.  =  von  jext 
an.  Von  stund  an  sähe  der  abenteur  Fm.  I,  3,  XIY,  106.  Das  wirs  von  stund 
an  könten  wissen  Fm.  I,  3,  XV,  194.  Im  18.  Jahrhundert  noch  üblicher  als  jezt; 
vgl.  Adelung:  I.  Eine  kleine  weile,  ein  augenblick,  eine  ehedem  sehr  übliche  bedeu- 
tung,  welche  auch  jezt  noch  gangbar  ist  Von  stund  an,  von  demselben  augen- 
blick an,  sogleich. 

Trügen:  Auch  trügt  das  menschenherz  —  Sich  selbst  zu  gern  T.  IL  108.  Der  satz 
in  W.  ausge&llen.  =  betrügen,  wiltst  um  den  beutel  triegen  mich  H.  S.  T.  m. 
d.  W,  1060.  Adelung:  2  als  ein  activum  mit  der  4.  endung  der  person  ...  In 
dieser  bedeutung  ist  es  im  hochdeutschen  veraltet,  wo  betriegen  dafür  üblicher  ist 

Tagend:  Gross  und  selten  war  des  Schwertes  tugend  W.  32.  =  vorxug,  tauglichkeäj 
trefiichkeit,  gute,  Adelung:  3.  fig.  ist  die  tugend  (1)  der  zustand,  da  ein  ding  die 
zu  seiner  bestimmung  nötigen  eigenschalten  besizt  (a.)  als  ein  abstractum  tugend 
eines  hauses,  eines  pferdes.  Auch  diese  bedeutung  gehört  in  der  edleren  Schreib- 
art zu  den  veralteten. 

Überwägen:  Ihn  überwiegt  —  des  schwarzen  ritters  stürzendes  gewicht  W.  21.  = 
Mit  gewicht  bedrücken,  überwältigen,  hier  mit  starker  betonung  der  concreten 
bedeutung.  (Vgl.  Weig.  n,  988.)  Und  ward  vom  schlaf  überwogen  und  fiel  hinun- 
ter vom  dritten  söUer  L.  Ap.  20,  19;  als  denn  der  schlaf  in  überwiegt,  das  er  da 
wie  ein  toter  liegt  E.  S.  d.  Baur  i.  d.  f.  143.  Adelung:  2  fig.  (1)  überwältigen, 
übermannen  ...  in  dieser  bedeutung  fangt  es  an  zu  veralten. 

Ungeschicbt:  Herr  Geron  hatte  durch  ein  abenteuer  —  Von  ungeschicht  (=  von 
ungefähr  W.  49)  den  weg  verloren:  T.  M.  116.  (Diverses  aventures  lui  en  firent 
perdre  les  traces,  et  le  memo  hasard  qui  les  lui  avoit  faire  perdre  les  lui  fit 
retrouver)  B.  u.  T.  M.  137:  V.  u.  soviel  als  durch  einen  unglücklichen  zufaU.  Ich 
erinnere  mich  diese  redensart  im  Froschmäuseier  gefunden  zu  haben  ....  welches 
werk  in  absieht  der  spräche  billig  ein  klassisches  buch  sein  solte.  Er  fand  am 
weg  aus  ungeschicht  —  Ein  leuenhaut  wol  zugericht  Fm.  I,  3,  X,  34.  Fehlt  bei 
Adelung. 

Ungewahrsam:  Und  ungewahrsam  lässt  sie  auf  und  ab  —  die  äugen  schweifen  . . . 
W.  35  =  „ohne  dass  es  jemand  wahrnahm^  oder  ohne  sich  in  acht  zu  nehmen?*^ 
fehlt  bei  Adelung. 

Yerdriess:  . . .  hörte  mit  verdriess  W.  44  =  verdniss.  Es  wäre  mir  leydt,  etwas 
zu  begeren,  das  jhm  verdriess  brächte  Am.  2.  grossen  verdriess  name  der  Juncker 
ab  dem  Am.  8.    Da  den  sass  ein  büd  zu  verdriess  dem  hausherm  L.  Hes.  s.  3. 


ÜBBB  WnLASfDB  GIBON  261 

one  yerdriess  Fm.  n,  1,  IV,  95.    Adelung:   ein  im  hoohdentschen  veraltetes  wort 
für  yerdmss,  welches  noch  einigemale  in  der  deutschen  bibel  vorkomi 

TergMoneii;  Hätt  euer  mut  die  sohmach  mir  nicht  vergaumet  W.  51.  =  prohibere 
D^b.  IV,  1,  1580,  2d.  Obersohwäbisch  und  schweizerisch,  gaumen  Zeitwert  zu 
gaum  =  die  hui  Fehlt  bei  Adelung;  das  simplex  wird  als  oberdeutsch  beobach- 
ten, hüten  erklärt 

Yeijülieii:  Veijäht  herr  Lanzelot  T.  M.  8  =  80  spricht  W.  20  (a)  veijähte  tao  T.  M. 
114  =  verfehlte  W.  46.  Veijäht  herr  Geron  T.  M.  112  =  versezt  herr  Geron 
W,  43.  (b.)  a  =  sprechen;  b  =  ertoidem,  antworten,  Wielands  muster  gebrau- 
chen das  wort  häufig:  wir  leben  ane  sorgen,  —  das  wil  ich  dir  veijehen  Hdb. 
114,  31.  Dasselbig  bitt  ich  sie  zu  sehen,  —  damit  sie  müge  veijehen  —  wer  unter 
uns  erlangt  den  sieg.  Tdnk.  103,  61.  Die  ich  dir  nit  kan  veijehen  d.  w.  t  158. 
Doch  deckt  sich  Wielands  gebrauch  nicht  völlig  mit  dem  der  angeführten  beispiele, 
da  er  das  wort  mit  dem  einfachen  jehen  gleichbedeutend  verwendet  Adelung  hat 
nur:  verjehen,Yenltet&8  wort  für  bekennen y  beichten. 

Terlassen:  Sterbend  ihm  zum  erb  verlassen  T.  M.  123  =  erbe  liess  W,  61.  =  las- 
sen, hinterlassen,  welcher  seinen  bruder  als  erben  des  königreichs  verliess  Am. 
vgL  das  subst  Verlassenschaft.  Adelung:  1.  (1.)  (a).  Man  verlässt  etwas,  wenn 
man  es  bei  seinem  tode  auf  der  weit  zurücklässt,  wofür  jedoch  hinterlassen  edler 
und  üblicher  ist 

Termllilte:  Des  Danayns  vermählte  W.  23  =  . . .  Gemahel  T.  M.  106  =  gentahlin. 
Zu  gemahel:  und  wo  ich  denn  komme  in  die  e  —  da  mach  ich  meinem  gemahel 
we.  H.  S.  Heinz  Widerporst  79.  wart  mir  zu  einer  gemahel  geben  H.  S.  der 
wunderl.  träum  5.    Vermählte  fehlt  bei  Adelung. 

Yermessen,  sieh:  Vermess  sich  keiner  W.  32.  Pr.  Gl.  293:  vermessen  =  sich  in 
die  gedanken  nehmen,  wagen.  Der  muss  sich  grosser  ding  vermessen  H.  S.  d.  SchL 
Adelung:  2  (1)  . .  3.  im  weiteren  verstände  ist  sich  vermessen  zuviel  unternehmen, 
was  über  jemandes  kräfte  ist    Es  wird  in  dieser  bedeutung  wenig  mehr  gebraucht 

Torsagen:  Und  wie  das  herz  es  ihnen  vorgesagt  W.  45  =  vorhersagen;  vgl.  ahd. 
forasctgo.    Die  von  Wieland  angewendete  bedeutung  fehlt  bei  Adelung. 

Wa^Ueh:  ...  sie  könte  wol  —  Aus  einem  feigen  menschen  einen  waglichen  —  Be- 
herzten ritter  madien  W.  55.  =  leicht  wagend;  waglich  kühn  G^d.  I,  161.  Ade- 
lung kent  das  wort  nur  in  der  bedeutung  mit  gefahr  verbunden,  eine  wagliche 
Sache,  wobei  man  viel  wagt  Vgl.  „im  16.  Jahrhundert  mit  wagnis  verbunden^ 
Weigand  ü,  1038. 

Wehren:  Dessen  wehrten  sie  —  Gar  höflich  sich  W.  42.  (a)  Doch  kont  er  sich  nicht 
wehren,  dann  und  wann  —  Sie  anzusehn  W.  54.  (b).  a  =  sich  weigern  Adelung  2: 
widerstand  leisten,  als  ein  reciprocum,  sich  wehren,  es  geschehe  nun  auf  welche 
art  es  wolle,  b  =  sich  enthalten,  sich  versagen.  Diese  bedeutung  fehlt  bei 
Adelung. 

Werten:  Dessen  seele  solcher  tat  —  Sich  werten  dürfte  W.  47  =  sich  wert  hal- 
ten, sich  zutrauen.  Wieland  bezeichnet  auch  diese  Wendung  als  von  ihm  selbst 
gewagt  T.  M.  138.    Das  wort  fehlt  bei  Adelung. 

WIeht:  Der  in  rittersohalt  —  Kein  kleiner  wicht  zu  sein  sich  dünken  liess  W.  42. 
T.  M.  137:  „Wicht  (engl,  tcight)  für  person,  mensch  oder  was  die  Engländer  jezt 
a  fellow,  ein  bursche,  ein  kerl  nennen,  ist  uralt  und  komt  im  heldenbuqhe  häufig, 


252  BZNOSB,   ÜBKB  WIJBLAIVDB  QUZOH 

aber  immer  in  einer  verftchtlichen  bedeutong  und  meist  mit  den  beiwörtem  ^armer, 

falscher  wicht''  vor Noch  jezt  sagt  man  in  Niedersachsen  ,  dat  arme  wicht- 

ken'^.  Den  Oberdeutschen  ist  davon  nur  bösewicht  geblieben ''.  Die  histonsche 
ableitung  des  Wortes  und  sein  bedeutungswandel  war  Wieland  unbekani  ^Wir 
haben  den  wicht  —  Nur  einmal  in  unsem  schütz  genommen*^  Gand.  prolog  154, 
vgl.  wiltu  dich  nit  verkeren,  —  du  arger,  böser  wicht  Hdb.  70,  15.  so  was  er 
nit  ein  wicht  Hdb.  658,  8.  Du  bist  ein  untreuer  wicht  Tdnk.  24,  5.  Adelung: 
Ein  für  sich  allein  im  hochdeutschen  veraltetes  wort,  welches  aber  ehedem  in  ver- 
schiedenen bedeutungen  üblich  war. 

Winnen:  . .  und  wo  in  ritterspielen  ehre  —  Zu  winnen  war  T.  M.  106  (=  ruhnt  xu 
holen)  W.  33;  =  gewinnen  Adelung:  das  für  sich  allein  im  hochdeutschen  veral- 
tete stamwort  für  gewinnen,  so  noch  im  niederdeutschen  üblich  ist 

Wolgetan:  Ihr  seid  so  wolgetan  von  leib  und  angesicht  W.  53.  T.  M.  138.  In  Wie- 
lands mustern  sehr  häufig.    Fehlt  bei  Adelung. 

Wunder:  Voll  wunders  über  seine  statliche  gestalt  W.  14.  =  Yerwunderong;  vor 
wunder  mecht  mein  bauch  aufbrechen  H.  S.  Gl.  Narr  62.  Adelung  (1.)  die  ver- 
wxmderung  ...  In  dieser  gröstenteils  veralteten  bedeutong  wird  es  nur  noch  ohne 
artikel  und  in  einigen  wenigen  Verbindungen  gebraucht,  welche  noch  dazu  im 
gemeinen  lehen  und  in  der  vertraulichen  sprechart  üblicher  sind,  als  in  der 
edleren. 

Wundem:  Der  könig  sah  den  fremden  wundernd  an  W.  14  (a).  Sie  drängen  wun- 
dernd sich  hinzu  W.  23  (b).  a  =  sich  wundernd,  verwundert.  Adelung  3.  Ver- 
wunderung oder  die  empfindung  des  ungewohnten  durch  werte  und  geberden  aus- 
drücken; ein  provinzieller,  nur  in  wenigen  gegenden  noch  übHcher  gebrauch,  b  = 
bewundem;  fehlt  bei  Adelung. 

ZIemlleh :  wie  für  eine  frau  —  ...  ziemlich  ist  W.  40  =  geziemend.  Adelung:  (1) 
Was  sich  ziemt  . . .  geziemend,  eine  im  hochdeutschen  veraltete  bedeutung. 

Zucht:  Den  schönen  mund  versiegelte  die  zucht  W.  21.  =  sitsamkeit,  äusserer  an- 
stand. Pr.  Gl.  295:  „Zucht  =  sitsamkeit,  wolgezogenheit;  mit  züchten  =  sitsam, 
wolgezogen '^ ;  vgl.  des  danct  im  da  mit  ziehten  —  der  bemer  unverczeit  Hdb. 
in  eren  und  in  grosser  zucht  H.  S.  G.  u.  G.  —  Im  Gandalin:  entblöst  (mit  züch- 
ten) lU,  170.  Adelung:  3  (2)  die  Wirkung  dieser  zucht,  wo  es  besonders  noch 
für  sitsamkeit,  schamhafügkeit,  ehrbarkeit  gebraucht  wird.  In  dieser  bedeutung  . . . 
ist  es  wenig  mehr  gebräuchlich. 

Zücken:  Und  mit  dem  werte  zückt  —  £r  seinen  arm  W.  65.  =  mit  kurzer  geschwin- 
der bewegung  ziehen;  Weig.  H,  1191.  Wir  sind  gewohnt  dabei  waffen,  Werkzeuge 
usw.  als  Objekt  zu  denken.  Doch:  der  held  zuckt  seine  faust  im  zom  Tdnk.  24,  26. 
Damit  zuckt  er  die  hend  und  schwort  Fm.  I,  3,  11,  79.  Adelung  2.  erklärt  die 
vorliegende  bedeutung  für  ehedem  üblicher  als  jezt 

Zurttekkehren  transitiv  =  MMrückwenden  (fehlt  bei  Adelung) :  Kehrt  dann  . . .  seinen 
. . .  schritt  zum  goldnen  zeit  zurück  W.  22.    Vgl.  DWb.  V,  410. 

WIEN.  LUDWIG   6IKGEB. 


WSIKHOLD,  MiLIIEUS   V.  LBXEB  253 

MATTHIAS  V.  LEXEB. 

Am  16.  april  1892,  dem  ostersonnabend,  starb  auf  der  rückreise  von  Berlin 
nach  München  zu  Nürnberg  dr.  Matthias  v.  Lezer,  ordentlicher  professor  der 
deutschen  spräche  und  litteratur  an  der  Universität  zu  München,  ordentliches  mitglied 
der  k.  bayerischen  akademie  der  Wissenschaften  und  des  obersten  schulrates  des 
königreichs  Bayern. 

Ich  habe  meinem  teuren  freunde  schon  in  der  beilage  zur  Algemeinen  zeitung 
vom  28.  apiil  (nr.  99)  einen  nachruf  gewidmet,  spreche  aber  auf  wünsch  der  leiter 
der  zeitschiift  für  deutsche  philologie  hier  noch  einmal  kurz  über  ihn,  zum  teil  mit 
benutzung  jenes  nachrufes. 

M.  Lexer  ward  am  18.  Oktober  1830  zu  liesing  im  Lesachthal,  der  west- 
lichen fortsetzung  des  Qailthals,  in  Kärnten  geboren.  Sein  vater  besass  im  Klebas- 
graben  hinter  dem  dorfe  eine  mühle  mit  zugehörigem  grundstück;  die  wilden  muren, 
welche  in  den  kämtischen  und  Tiroler  alpentälem  bei  jedem  gewitterguss  fürchter- 
liche Verheerungen  anrichten,  haben  auch  sein  geburtshaus  längst  (1872)  hinweg- 
gerissen. Die  guten  anlagen  des  knaben  brachten  die  eitern  auf  den  gedanken,  ihn 
für  das  Studium  zu  bestimmen;  ein  älterer  bruder  von  Matthias  war  nach  München 
gegangen,  unter  Eaulbachs  anleitung  zu  malen.  Und  so  führte  ihn  die  mutter  in 
drei  langen  tagereisen  nach  Elagenfurt,  erbat  mittagstische  bei  woltätdgen  bürgers- 
leuten,  und  Matthias  begann  auf  dem  gymnasium  seine  Studien.  Im  herbst  1851 
legte  er  die  reifeprüfnng  ab  und  gieng  nach  Graz,  hier  jus  zu  treiben.  Aber  bald 
gab  er  den  plan  auf  und  schloss  sich  mir  als  eifriger  schüler  an.  Er  war  mit  sei- 
nen freunden  Alois  Egger  und  Franz  Ilwof  bei  der  samlung  des  Stoffes  für  mein 
buch:  „Weihnachtspiele  und  lieder  aus  Süddeutschland  und  Schlesien*^  ein  treuer 
helfer,  und  begann  auf  meine  anregung  für  den  Wortschatz  und  die  volksüberliefe- 
rungen  Eämtens  eifrig  zu  sammeln.  In  Frommanns  Mundarten  und  in  der  Zeitschrift 
für  deutsche  mythologie  gab  er  seit  1855  proben  davon. 

Da  in  Graz  noch  keine  prüfungs-kommission  für  das  höhere  lehramt  bestund, 
gieng  Lexer  nach  Wien,  um  sein  examen  dort  zu  machen.  Er  ward  dann  als  hilfs- 
lehrer  nachKrakau  geschickt,  und  lehrte  auf  dem  damals  deutschen  ober -gymnasium 
deutsch,  geschichte  und  geographie  von  1855 — 57.  In  dem  programm  für  1856 
erschien  seine  arbeit  „^^^  ablaut  in  der  deutschen  spräche*^,  worin  er  die  theoiie 
Th.  Jacobis  klar  auseinandersezte. 

Mit  einem  ministerialstipendium  gieng  Lexer  zum  herbst  1857  zur  weiteren 
wissensohaftlichen  ausbildung  nach  Berlin,  wo  er  Haupt,  Bopp,  A.  Weber,  Kiepert, 
Gosche  hörte  und  in  einen  angeregten  jungen  kreis  trat,  aus  dem  er  namentlich  mit 
W.  Mannhardt,  seinem  hausgenossen,  viel  verkehrte. 

Nach  seiner  rückkehr  nach  Wien  erhielt  er  zunächst  für  den  abschluss  seiner 
kämtischen  samlungen  eine  ministerialunterstützung,  aber  eine  anstellung  fand  sich 
für  ihn  nicht.  Er  übernahm  daher  eine  hoimeisterstelle  in  dem  gräflich  Hunyady- 
schen  hause,  die  er  indessen  1861  wider  aufgab,  als  ihn  die  historische  konmiission 
der  k.  bayerischen  akademie  der  Wissenschaften  zum  philologischen  mitarbeiter  bei 
herausgäbe  der  deutschen  Städtechroniken  nach  Nürnberg  berief.  Seine  tätigkeit  hier 
sowol,  als  sein  1862  erschienenes  Kämtisches  Wörterbuch  empfahlen  ihn  dann  für  die 
neue  ausserordentliche  professur  des  deutschen  in  Freiburg  i.  Br.,  die  er  1863  antrat; 
1866  ward  er  zum  ordinaiius  befördert.  Aber  die  besoldung  war  klein,  und  in  der 
jungen  ehe  muste  der  gülden  zweimal  umgedi-eht  werden,  ehe  er  zur  ausgäbe  kam, 
zumal  krankheiten  nicht  ausblieben.    Daher  war  die  berufung  nach  Würzburg  wil- 


264  WSEMHOLD 

kommen,  der  Lexer  im  herbst  1868  folgte,  wemi  aaöh  die  yerbeaseroDg  zimächfit 
nicht  sehr  bedeatend  war. 

In  "Würzburg  hat  nun  Lexer  dreiondzwanzig  jähre  gewirkt,  beliebt  und  hoch- 
angesehen an  der  Julius -Maximilian -Universität  wie  in  weiteren  kreisen.  Zweimal 
war  er  roctor,  sehr  oft  Senator.  Hier  hat  er  seine  beste  kraft  entwickeln  können, 
hier  hat  er  das  dreibändige  Mittelhochdeutsche  Wörterbuch  (1869  —  78)  nebst  dem  Mit- 
telhochdeutschen taschenwörterbuch  (1878.  1881.  1885.  1891)  gearbeitet,  hier  den 
VII.  band  des  Grimmschen  deutschen  Wörterbuchs  (N.  0.  P.  Q)  und  die  drei  hefte 
vom  XI.  bände  (T  bis  Todestag!)  fertig  gestelt  £r  war  für  diese  aufopfernde 
unablässige  lexikographische  tätigkeit  der  geeignete  treue  mann,  wie  Salomon  Hirzel 
früh  erkant  hatte;  willig  verzichtete  er  darauf,  durch  andre  bücher  seinem  namen 
einen  glänzenderen  Schimmer  zu  geben. 

Als  in  Strassburg  die  besetzung  der  deutschen  professur  1872  in  beratnng  kam, 
ist  auch  an  Lexer  recht  ernstlich  gedacht  worden.  Nach  Schereis  berufung  ward 
Lexer  in  Wien  auf  die  Vorschlagsliste  gesezt  und  der  unterrichtsminister  entschied 
sich  für  ihn.  Aber  er  lehnte  den  ruf  in  sein  Vaterland  ab,  da  ihn  Bayern  festhielt 
und  die  Würzburger  Verhältnisse  ihm  sehr  lieb  geworden  waren. 

1885  ward  ihm  das  ritterkreuz  des  Verdienstordens  der  bayerischen  kröne  xmd 
damit  der  persönliche  adel  verliehen;  1890  erfolgte  seine  emennung  zum  ordentlichen 
mitgliede  des  obersten  sohulrates.  Und  als  Eonrad  Hofmann,  der  Münchener  germa- 
nist  und  romanist,  anfangs  Oktober  1890  gestorben  war,  ward  unserm  Lexer  die 
ordentliohe  deutsche  professur  angetragen.  Aber  er  konte  sich  zur  annähme  nicht 
entschliessen ;  erst  im  mai  1891,  nachdem  der  antrag  zum  zweiten  male  an  ihn  kam, 
entschloss  er  sich  den  dringenden,  ihn  hoch  ehrenden  wünschen  des  herm  miniatexs 
nachzugeben. 

Am  1.  august  übernahm  er  das  neue  amt,  doch  war  es  ihm  nicht  vergont  es 
lange  zu  führen.  Nachdem  er  das  gefühl  gewonnen,  er  werde  sich  in  Münch^i  gut 
einleben,  getragen  durch  das  algemeine  vertrauen,  das  er  genoss,  führte  ihn  ein 
rascher  tod  unerwartet  nach  schluss  des  Wintersemesters  hinweg.  Bereits  erkältet, 
wagte  er  ende  märz  1892  eine  reise  nach  Berlin.  Er  blieb  nur  zwei  tage  hier,  da 
er  sich  unwol  fühlte.  Erfrischt  durch  die  fahrt  nach  Würzburg,  blieb  er  zwei  tage 
dort  in  geselligem  verkehr  mit  den  freunden;  in  Nürnberg  aber,  wo  er  seine  tochter 
besuchte,  kam  eine  rippenfeil-  und  lungenentzündung  zum  ausbruch,  die  nach  vor- 
übergehender bessemng  sein  ende  herbeiführte.  Matthias  v.  Lexer  starb  in  den 
ersten  nachmittagsstunden  des  16.  aprils,  von  seiner  ganzen  familie  umgeben.  Am 
19.  april  ist  er  auf  dem  Johanniskirohhof .  in  Nürnberg  beerdigt  worden. 

Wer  ihn  kante,  hat  ihn  tief  betrauert.  Er  war  ein  ganzer  mann,  ein  wolwd- 
lender,  parteiloser,  reiner  mensch,  eine  goldene  treue  seele.  Ein  schwerer  verlust 
ist  sein  tod  für  das  bayrische  Schulwesen;  in  der  deutschen  Wissenschaft  erhalten 
seine  gründlichen  arbeiten  sein  andenken,  länger,  als  [die  harzen  schlagen  werden, 
die  in  liebe  und  freundschaft  an  ihm  hängen,  denn  sie  halten  auch  dem  toten  die  treue. 


ÜBERSICHT  VON  M.  LEXERS  GEDRÜCKTEN  ARBEOTEN. 

1855.  Mundartliches  aus  dem  Lesachthaie  im  herzogthum  Kärnten:  Frommann,  Die 
deutschen  mundarten  n,  241  fgg.    339  fgg.    513  fgg. 

1856.  Der  ablaut  in  der  deutschen  spräche.  (Programmabhandlung  des  Krakauer 
gymnasiums.)  Krakau  1856.  25  s.  gr.  8.  —  Mundartliches  ans  dem  Lesachthaie: 
Erommann,  Die  deutschen  mundarten  lU,  114  fg.    305  fg.    464  fg. 


MAIXHUS  ▼.  LEXn  256 

1857.  MundarÜiches  aus  dem  Lesachthaie:  Frommann,  Die  deutsohen  mandarten  IV, 
36  fg.    155  fg.    481  fg. 

1858.  Spraohproben  aus  dem  MöllthaLe  im  herzogtum  E&mteD.  1.  Qasslreime. 
2.  Die  Sendrin  in  Wildentux:  Erommano,  Die  deutschen  mundarten  Y,  99 — 103. 

1859.  Mundartliches  aus  dem  Lesachthaie:  Frommann  VI.  191  fgg.  —  Volksüberlie- 
ferungen aus  dem  Lesachthaie:  Zeitschrift  für  deutsche  mythologielQ,  29 — 36.  — 
VollESüberlieferungen  aus  Kärnten  prauthal).    Ebd.  IV,  407—414. 

1862.  Kärntisches  Wörterbuch.  Mit  einem  anhange:  Weihnachts- spiele  und  lieder 
aus  Kärnten.  Leipzig.  S.  XVin  sp.  340.  Lex.  8.  —  £ndres  Tuohers  Baumei- 
sterbuoh  der  Stadt  Nürnberg.  Mit  einer  einleitung  und  sachlichen  anmerkungen 
Yon  Friedlich  yon  Weech,  herausg.  durch  M.  Lexer.    Stuttgart   S.  XIV.  387.  8. 

1862 — 66.  Chroniken  der  deutsohen  städte  vom  14 — 16.  Jahrhundert,  herausgegeben 
im  auftrage  der  königl.  bayr.  akademie.  Bd.  I — V.  (Diese  bände  enthalten  die 
Chroniken  von  Nürnberg  und  Augsburg;  Lexer  war  mit  Frensdorff  kritischer  bear- 
beiter  der  texte  und  hat  auch  die  glossare  ausgearbeitet  Auch  die  texte  des  1892 
ausgegebenen  3.  bandes  der  Augsburger  Chroniken  sind  vor  1866  von  Lexer  her- 
gestelt  und  mit  seiner  handschriftenbeschreibung  unverändert  abgedruckt) 

1864.  1866.  1867.  Bücheranzeigen  im  Anzeiger  für  künde  deutscher  vorzeit  Nürn- 
berg (nicht  unterzeichnet). 

1869.    Bruchstücke  der  kaiserchronik:  Zeitschr.  f.  deutsches  altert  XIV,  503 — 25. 

1869 — 78.  Mittelhochdeutsches  handwörterbuch.  Zugleich  als  Supplement  und  alpha- 
betischer index  zum  Mittelhochdeutschen  wörterbuohe  von  Benecke- Müller -Zamcke. 
L  A— M.  Leipzig  1872.  S.  XXIX  sp.  2262  und  2.s.  —  n.  N— U.  Leipzig  1876. 
S.  Vn  sp.  2050  und  1.  s.  —  HL  V— Z.  Leipzig  1878.  8.  IV  sp.  1226  und  1.  s. 
Nachträge  sp.  406.    gr.  8. 

1873.    Über  ViTalther  von  der  Vogelweide.    Ein  vertrag.    Würzburg.    33  s.    8. 

1877.  Bede  zur  feier  des  295.  stiftungstages  der  Universität  zu  Würzburg:  Über 
deutsche  philologie.    Würzburg.    26  s.    4. 

1878.  Mittelhochdeutsches  taschenwörterbuch.  Leipzig.  —  1881.  Zweite  aufläge  mit 
nachtragen.  Ebd.  S.  320.  —  1885.  Dritte  umgearbeitete  und  vermehrte  aufl. 
Ebd.    S.  vn.  413.  —    1891.   Vieile  aufl.    Ebd. 

1881 — 89.  Deutsches  Wörterbuch  von  Jacob  Qnmm  und  Wilhelm  Grimm.  Siebenter 
band.  N.  0.  P.  Q.  bearbeitet  von  Matthias  v.  Lexer.    Leipzig.    Sp.  VIU.  2386.  4. 

1882 — 86.  Johannes  Turmair's  genant  Aventinus  Bayerische  chronik.  München.  L  1. 2. 
1882.  83.  S.  1184.  H.  1.  2.  1884.  1886.  S.  808.  8.  (Glossar  von  H.  Stümper, 
umgearbeitet  von  Lexer). 

1888.    Miscelle:  sttexen,  in  der  Zeitschrift  für  deutsche  philologie  XXI.    S.  255  fg. 

1890.  Festrede  zur  feier  des  306.  stiftungstages  der  Universität  zu  Würzburg:  Zur 
geschichte  der  neuhochdeutschen  lexikographie.    Würzbuig.    4. 

1890.  91.  Deutsches  Wörterbuch  von  Jacob  Grimm  und  Wilhelm  Grimm.  Elfter  band. 
(T.  U).  Bearbeitet  von  M.  Lexer.  lief.  1.  2.  Leipzig  1890.  lief.  3.  Ebd.  1891.  4. 
Zur  geschichte  des  deutschen  Wörterbuches.  Mitteilungen  aus  dem  briefweohsel 
zwischen  den  brüdem  Grimm  und  Salomon  Hirzel:  Anzeiger  für  deutsches  alter- 
tum  \md  deutsche  litteratur.  Berlin  1890.  XVI,  220—264.  Nachlese  aus  dem  brief- 
weohsel zwischen  den  brüdem  Grimm  und  Sal.  Hirzel.   Ebd.  1891.  XVn,  237—54. 

BIBUN.  KABL  WUIIHOLD. 


266 


UTTEEATÜE. 


AltdeutBche  predigten.    Herausgegeben  von  Anton  EL  SehSnlMieli«    IIL  bd.: 
Texte.    Graz,  yeriagsbachhandlong  Styria.  1891.    YIII  u.  451  s.    9  m. 

Von  den  predigtsamlungen,  die  noch  yor  Berthold  fallen,  ist  die  voriiegende, 
welche  Schönbach  zuerst  in  ihrer  volständigkeit  herausgegeben  hat,  ihrem  inhalte 
wie  ihrer  spräche  nach  unstreitig  die  wichtigste.  Sie  ist  enthalten  in  der  pergament- 
handschiift  der  Wiener  hofbibliothek  nr.  2684*  und  umfasst  die  predigten  des  Con- 
radus  prespiter  —  so  nent  sich  der  Verfasser  in  seiner  lateinischen  voirede. 
Ihren  wert  hatte  man  bereits  kennen  gelernt  durch  prof.  Joh.  Schmidt,  welcher  in 
dem  Jahresbericht  des  kk.  staatsgynmasiums  im  3.  bezirke  in  Wien  1878  unter  dem 
titel  „Priester  Eonrads  deutsches  predigtbuch '^  einen  geregelten  text  von  sieben  pre- 
digten nebst  der  vorrede  daraus  veröffentlichte.  Auf  grund  dieser  proben  sowie  der 
vielen  bis  dahin  unbelegten  ausdrücke,  welche  das  mhd.  handwörterbuch  Lexers  in 
seinen  nachtragen  nach  mitteilung  Schmidts  aus  Konrad  brachte  (vgl.  Lexer  m,  Vor- 
wort 8.  Y),  haben  gewiss  nicht  wenige  philologen  gewünscht,  recht  bald  die  ganze 
samlung  gedruckt  zu  sehen.  Diesen  wünsch  hat  nun  Schönbach  durch  die  in  rede 
stehende  ausgäbe  erfült  und  damit  sich  den  dank  aller  faohgenossen  verdient 

Wie  in  dem  vorhergehenden  predigtbande  geschehen,  so  sind  auch  diesmal 
die  von  Karl  Roth  herausgegebenen  Regensburger  bruchstücke,  wo  sie  zu  Konrads 
texte  stimmen,  zur  vergleichung  mit  abgedruckt  worden.  Aber  auch  in  bezug  auf 
die  widergabe  der  handschrift  selbst  ist  der  herausgeber  seinem  bisher  befolgten  ver- 
fahren treu  geblieben,  wonach  die  berechtigten  eigenheiten  des  Schreibers  möglichst 
geschont  und  nur  die  offenbaren  nachlfissigkeiten  und  versehen  desselben,  insofern  sie 
den  Zusammenhang  und  das  Verständnis  beeinträchtigen,  berichtigt  worden  sind.  Wie 
Schönbach  in  der  vorrede  bekent  s.  VI,  hat  er  hierbei  nicht  nur  die  abschrift  des 
prof.  Schmidt  mit  dem  original  verglichen,  sondern  auch  manche  ergänzungen  und 
Verbesserungen,  die  Schmidt  in  seinem  texte  angebracht  hatte,  benutzen  können. 

Die  behandlung  des  textes,  um  auf  diese  zunächst  einzugehen,  hat  wie  ander- 
wärts so  auch  hier  ihre  besondem  Schwierigkeiten,  namentlich  wo  es  gilt  bei  einzel- 
nen auffallenden  wortformen  zu  entscheiden,  ob  sie  als  dialektische  eigenheit  dem 
Schreiber  zu  belassen  oder  als  Schreibfehler  in  die  Varianten  zu  verweisen  sind.  So 
finde  ich  ein  auffälliges  schwanken  bei  folgenden  formen: 

prälichen  ist  102,  40,  vriUieh  113,  29  im  text  verblieben;  dagegen  23,  13 
und  41,  18  sowie  46,  26  unter  die  Varianten  gerückt  und  durch  vrolieh  im  texte 
ersezt;  vgl.  Germ.  9,  360. 

giraeheü  für  das  überlieferte  gigirseheit  steht  23,  29;  dagegen  71,  25  und 
155,  17  —  22  ist  die  lezte  form  im  texte  gelassen,  ebenso  wie  das  54,  31  und 
155,  25  stehende  a^jektiv  gtgirseh. 

27,  28  und  30,  33  ist  die  form  vnSmden  falienis)  in  die  Varianten  verwiesen 
und  statt  dessen  vrSmden  gesezt,  dagen  106,  28  und  112,  31  im  texte  verblieben; 
vgl.  Trudbei-ter  H.  lied  146,  28  frimidiu  dinch, 

31,  4  in  almaetigen  in  die  var.  gesezt,  dagegen  28,  5  im  texte  belassen; 
ausserdem  steht  xtitiget  («=  xiihtiget)  70,  25  unter  den  varr.  und  ebenso  erektUte 
(»  erehuhte)  136,  30  und  31;  im  text  aber  220,  23  braetest  {==  braektesty,  l60,  11 
und  35  vergittiget  («  vergihtiget);  160,  38  vergit  (^  vergiht)',  161,  4  vergüte; 
229,  15  flutic  (=»  flt4htie)\  34,  36  dumaetecliehen;  183,  27  vorsam  (=  varhtsam); 
vgl.  darüber  Woinhold,  Alem.  gramm.  §  234  und  Germania  9,  361. 


t^BKR  SOHÖNBACH,  ALTD.   PREDIGTEN  IH  257 

57,  3  hat  die  handschrift  an  vü  maengen  (Regensb.  bmchst.  mcmigen)  sun- 
dotßre,  im  text  steht  maengem  für  maengen;  ebenso  71,  15  mit  sinem  (var.  einen) 
groxen  geicalt;  dagegen  ist  unverändert  geblieben  die  Überlieferung  31,  14  xe  mensch- 
liehen  bilde;  141,  6  einen  andern  genaedio  stn. 

13,  34  ist  das  überlieferte  ann  im  (im  text  an  im),  68,  41  ann  iu  (im  text 
an  iu)  in  die  varr.  gesezt,  während  150,  6  annin,  186,  35  annim  (hs.  an  min), 
245,  6  annim,  249,  6  ammns  unberührt  gelassen  sind;  übrigens  steht  auch  in  den 
Regensb.  bruchstücken  s.  80  ann  in  und  ann  im. 

Die  form  toaere  (lat.  verus)  ist  131,  9  und  15,  ebenso  144,  5  und  149,  26 
aus  dem  texte  entfernt  um  tcäre  platz  zu  machen,  dawider  221,  18  stehen  geblieben. 

50,  12  in  dirre  heiligen  xit  (y&r.xiten),  ebenso  163,  7  xtto  einen  (var.  siner) 
hoeheiten  und  164,  15  «e  minen  (var.  miner)  hoehciten;  unverändert  heisst  es  dage- 
gen 104,  23  in  siner  küniclichen  hochgxiten, 

194,  31  ist  überliefert  der  heix  Nero,  wo  hiex  für  heix  in  den  text  gesezt 
ist,  während  57,  12  diu  heiz  Sara  ungeändert  blieb;  über  das  in  alemannischen 
Schriften  häufig  erscheinende  ei  =  ie  vgl.  Germania  9,  359  und  Beitr.  von  Paul  u. 
Braune  UI,  516. 

Nach  so  wol  sezt  die  handschrift,  entsprechend  den  im  Mhd.  Wöiierb.  UI, 
799^,  20  fg.  aufgeführten  beispielen,   den  accusativ  216,  37  so  wol  uns  vil  armen 

sundaere des  wart,  da^  usw.,  ebenso  220,  30;  206,  8  und  233,  32;  aber  nur 

an  den  beiden  lezten  stellen  ist  die  Überlieferung  gewahrt,  an  den  zwei  ersten  hat 
der  herausgeber  den  accusativ  in  den  dativ  verwandelt. 

229,  20  heisst  es  nach  der  hdschr.  dax  siu  der  bescermete  von  dem  vil  vheln 
tivel,  ebenso  230,  27  da^  er  sol  bescermen  von  der  aneveJUunge  des  v.  ü.  tivels; 
aber  in  dem  zweiten  beispiele  ist  von  unter  die  varr.,  vor  dafür  in  den  text  gestelt 
worden;  vgl.  dagegen  bisdrman  einen  fon  bei  Graff,  Sprachsch.  VI,  547  und  die 
beispiele  im  Mhd.  wörterb.  ^^  162 **,  45  ^.;  Trudperter  Hoheslied  50,  5  si  schirmet 
den  menniskin  von  den  schoben  des  tieuels. 

In  der  redensart  von  stnen  genäden,  wie  sie  richtig  überliefert  ist  z.  b.  162, 
35  und  256,  38,  scheint  der  Schreiber  öfter  vor  für  von  gelesen  zu  haben;  213,  27 
ist  dieses  vor  von  dem  herausgeber  den  Varianten  überwiesen,  dagegen  dem  text 
belassen  207,  37;  239,  23;  241,  31;  248,  14;  254,  20;  257,  8;  260,  37;  261,  6. 
Auch  67,  29  ist  vor  der  liebe  wol  versehen  des  Schreibers  für  von  d.  l. 

253,  35  so  ne  mähte  si von  dem  warn  gots  urchunde  niemen  betwin- 

gen,  sunder  sine  wollen  i  ersterben;  anders,  und  nach  meinem  dafürhalten  richtiger 

interpungiert  ist  dieselbe  redeweise  235,  25  von  siner  minne,   dd  mohte  siu 

nieman  von  betwingen  sunder,  sine  liexen  sieh  e  slahen. 

Geschont  konte  ausserdem  die  Überlieferung  noch  werden  an  folgenden  stellen: 

92,  5  der  heilige  bast  (so  die  hdschr.  für  babst)  und  154,  21  ein  paste 
(hdschr.  für  pabste);  dieselbe  form  lässt  sich  noch  nachweisen  in  dem  stiftungenbuch 
des  klosters  Zwetl  ed.  J.  v.  Fräst  s.  1:  ein  haüigen  bäst  der  hiex  Paschal  den  vie 
er;  in  J.  Haupts  Beitr.  zur  litt.  d.  deutschen  mystik  n,  72  und  75  der  heilig 
päst  Leo. 

200,  9  sine  boten  unde  sine  vurfrit;  vom  herausgeber  vurfrit  in  die  varr. 
verwiesen,  vurstrit  dafür  in  den  text  gesezt;  aber  viearius,  vurfrit  verzeichnet  En- 
gelhard aus  der  Herrad  v.  Landsperg  s.  193  ^ 

135,  6  pi  dem  got  sun  sin  und  173,  28  des  helfe  iu  der  wäre  got  sun; 
beide  male  ist  hier  für  got  sun  gedmckt  gots  sun;   aber  auch  diese  überlief eiiing 

ZEXTSOHSm  F.   DEUTSCHE  FHILOLOaZB.      BD.   ZXV.  17 


258 

lässt  sich  belogen  dox'ch  Diemer,  D.  gedd.  230,  23  und  gote  aun  ebenda  in  der  anm. 
zu  249,  26. 

13,  3  in  der  hdschr.  brätgo,  35,  16  bruiegä,  wofür  in  den  text  gesezt  ist 
brutgoum  und  brtUegüm;  wahrscheinlich  ist  aber  hier  kein  Schreibfehler  anzuneh- 
men, denn  im  stadtbucho  von  Augsburg  ed.  Meyer  findet  sich  s.  242,  243  und  244 
widerholt  braeutgaewe,  braeutgaew. 

129,  27  und  29,  ebenso  135,  38  ist  bexeeheni  überliefert,  statt  ddssen  bexei- 
eheni  in  den  text  gesezt  worden;  doch  man  vgl.  die  beispiele  von  ^  »=  ei  in  der 
Germania  9,  359;  im  Trudberter  H.  liede  ist  bexeckenon  sehr  häufig  zu  finden. 

21 ,  14  unde  giegen  (d.  h.  gieng  in)  der  (stem)  alleic  vor;  21 ,  96  unde  gie^- 
gen  (d.  h.  giengen)  st  in  da^  seihe  hüs;  140,  11  die  gnade  die  begieger  (d.  h.  be- 
gieng  er);  im  texte  Schönbachs  dafür  giengen  und  beginger;  auch  reifte  134,  37 
scheint  hierher  zu  gehören,  wenn  es  nicht  druckfehler  für  renfte  (254,  26)  ist;  wei- 
tere belege  für  die  überlieferte  alemannische  form  bringt  Weinhold,  Alem.  gr.  §  200. 

82,  21  und  23  sowie  86,  33 — 36  enthalten  nach  der  Überlieferung  die  formen 
ekünsche,  ehünschdiehcn,  unckünsehen;  es  sind  bis  jezt  die  ältesten  belege  aleman- 
nischer nasaliei-uug  des  wertes  kiusehe;  Weinhold  L  1.  §  201  und  Lexer  s.  v.  Hu- 
sche, kiusehecheit ,  kiuseßdicke  bringen  erst  beispiele  aus  dem  14.  Jahrhundert;  nach 
meinem  dafürhalten  war  hier  kein  zwingender  grund,  die  gemeindeutsche  Schreibung 
geltend  zu  machen. 

77,  21  nach  der  hdschr.  aUe  die  erkaufet  unde  erlöst  hat;  Seh.  ergänzt  er 
vor  erkouffet,  und  so  findet  sich  erkauft  und  erlöst  93,  24;  101,  13;  217,  24. 
Gleichwol  fragt  sichs,  ob  man  nicht  einfacher  die  er  chouffet  hat  zu  schreiben  habe. 
Dass  das  partic.  praeteriti  von  kaufen  oft  des  augments  entbehre,  erwähnen  Wein- 
hold, Mhd.  gr.  §  405  und  Hildebrand  im  DWb.  V,  324;  es  ist  das  aber  nicht  nur  in 
md.  quellen  der  fall,  wo  es  sich  aus  nd.  nachbarschaft  erklärt,  sondern  nicht  min- 
der häufig  in  oberdeutschen.  So  heisst  es  bei  Berthold  v.  Begensburg  285,  14  so 
hast  du  den  luft  für  brat  kauft;  287,  16  in  hat  der  almehtige  got  kauft  mit  siner 
martel;  149,  13  unkouft;  Habsburg -österr.  urbarbuch  113,  3;  179,  3;  244,  28; 
254,  12;  Alemannia  6,  232,  37;  244,  23;  259,  43;  269,  40.  Lassberg  L.  8.  I, 
549,  92;  Urkundenb.  von  Augsbui'g  I,  nr.62  (a.  1280),  84  (a.  1284),  142  und  146 
(a.  1295),  166  (a.  1298),  196  (a.  1304)  usw.;  vielleicht  auch  bei  Reinmar  v.  Zweier 
n,  7,  5  her  nidere,  herre,  in  dtne  tiure  kauften  cristenheit.  Dagegen  ist  das  par- 
tic. dient  in  diesen  predigten  232,  9  wahrscheinlich  Schreibfehler  für  gedient;  in 
oberdeutschen  Schriften  ist  es  sonst  nicht  nachweisbar. 

164,  31  den  hei^t  er  xesamne  pinden  paidiu  hende  unde  fuxe,  da  si  im 
ni?ä  sines  tpillen,  sunder  da  si  dem  tievel  mit  habent  gedient;  in  der  hdschr.  steht 
nu  für  im;  nach  tpillen  hat  Schönbach  mit  habent  getan  eingeschoben,  was  mir 
entbehrlich  scheint,  wenn  man  stnes  willen  als  archaistischen  ausdruck  versteht  wie 
in  den  in  der  Germ.  30,  273  beigebrachten  beispielen  und  dem  Zeitwert  dienen  eine 
zeugmatische  funktion  zuweist 

174,  18  nu  hat  er da^  selbe  lax  siner  gnaden  hin  xiu  also  geeheri, 

die  ir  von  der  heidensehefte  gebom  unde  chomen  sit,  da^  ir  usw.  Das  relativum 
die  hat  der  herausgeber  zugesezt,  wie  mir  scheint  ohne  not,  da  im  archaistischen 
stQ  des  12.  Jahrhunderts  das  pronomen  ir  ausreichend  war  für  relative  sätze,  vgl. 
Grimm,  Gr.  3,  17;  Pfeiffer  zu  den  Myst.  I,  342,  26;  Behaghel  in  der  Qerman.  17, 
277  fg.;  St. Trudberter  Hoheshedll,  5—20;  31,  1;  44,  15  usw.  Derselbe  fall  liegt 
vor  in  den  vorliegenden  predd.  76,  39:   in  dem  selben  alter  da  erstit  auch  ir  alle 


DbKB  80HÖNBi.0H,  ALT.  FBBDIQTKN  HI  259 

wme,  ir  junge  oder  aU  von  disem  libe  gesehatdet;  hier  hat  der  herausgeber  noch 
ob  vor  ir  junge  dem  texte  zugefügt.  Femer  166,  24  fg.:  herre,  keiliger  gots  eun, 
du  da  her  in  dise  weit  ehome  unde  gebom  unde  gemarteret  umrde  durch  die  armen 
sundaeref  ich  geloube  an  dich,  herre;  hier  ist  nüttels  der  interpunktion  das  archai- 
stische gepräge  der  rede  verwischt;  statt  des  ausrofungszeichens  nach  sundaere  solte 
ein  komma  stehen.  Ausserdem  182^  37  wan  stoie  er  iu  dax  niht  gehai^en  hete, 
spricht  sant  Paulus,  ir  da  von  der  heidenschefte  chomen  sit  usw.;  hier  glaubt 
Schönbach  durch  ein  vor  den  werten  ir  da  von  eingeschobenes  wany  Schmidt  s.  5, 
34  durch  sit  an  derselben  stelle  nachhelfen  zu  müssen.  Endlich  42,  5  lautet  nach 
dem  unter  dem  texte  abgedruckten  Begensburger  bruchstücke:  chomet  her  xuo  mir, 
spriehet  er,  ir  da  mit  arbeiten  lebt  und  die  swaeren  bürde  trait;  statt  dessen  findet 
man  in  Schönbachs  texte  die  moderne  fassung:  ir  die  da  mit  arbeiten  lebt  unde 
ir  die  da  hie  swaere  burdin  traget.  Findet  sich  die  wirklich  schon  in  der  Wiener 
handschrift? 

259,  15  fg.:  stoie  selten  si  ir  vil  seonen  lip  gnadet  oder  gedwüge  unde  swie 
übel  ir  gewasken  wäre  ode  gelest  unde  swie  mager  oder  swie  plaicher  ir  vil  sconex 
antlutxe  von  der  heiligen  vasten  wäre  unde  svne  undare  si  ir  här  gepunden  oder 
gestralt  hete  usw.  Zuerst  fragt  sich,  was  soll  hier  gelest  bedeuten?  jedenfals  steckt 
darin  ein  synonymer  ausdruck  zu  baden,  dwahen  und  wasken;  ich  vermute  daher 
geleet  für  gelest.  Lecken  =  benetzen,  in  dem  schwitzbade  bearbeiten,  mit  dem 
badewedel  streichen,  ist  hier  mit  dem  dativ  construiert  nach  der  analogie  des  dane- 
ben stehenden  wcLsken;  von  lezterem  finden  sich  in  den  mhd.  Wörterbüchern  noch 
keine  beispiele  vermerkt,  doch  vgl.  Lassberg  L.  S.  HI,  157,  384  im  wart  geweschen 
und  gesMoagen  Von  räm  und  von  schimel  (=  Ö.  Abent  I,  222,  404  er  wart  gewe- 
sehen  und  getwagen  von  räme  und  oueh  von  sehimele)',  dazu  die  beispiele  von  twa- 
hen  einem  bei  Schmeller-Fronmiann  11,  1175.  Denselben  sinn  hat  der  dativ  bei  den 
folgenden  Zeitwörtern  binden  xmd  straelen,  eines  Zusatzes  wie  här  bedurfte  es  hier 
nicht;  vgl.  über  binden  Mhd.  wörterb.  I,  129»»;  über  straelen  Martina  181,  60  fg. 
äne  twahen  er  im  strälte  Ze  berge  üf  der  unguoter,  Alsam  ein  stiefmuoter  Straelt 
ir  Stiefkinde,  Des  (hs.  der)  siu  xe  ingesinde  ZaÜer  xit  verdriuxet;  Alemannia  10,  76 
sy  stritt  oder  xwdhet  im  und  die  beispiele  aus  H.  Sachs  bei  Schmeller- Frommann 
n,  813.    Entsteh  ist  endlich  noch  plaicher,  wofür  plaich  gelesen  werden  muss. 

Von  offenbaren  fehlem,  die  der  Schreiber  verschuldet,  habe  ich  noch  folgende 
in  dem  texte  wahrgenommen: 

29,  22  idoch  so  ne  wü  er  durch  sine  guet  sine  Hute  troesten;  hier  war  ne 
zu  tilgen. 

40,  7  er  gesenfl  iu  aller  iuwer  arbeit;  lies  alle  für  cUler,  vgl.  42,  6  ja  wil 
ich  iu  iuwer  arbeit  unde  iuwer  bürde  gesenflen, 

49,  2  nain  diu,  sprach  er,  da^  soltu  mir  glauben;  man  erwartet  nain  du 
für  n.  diu;  oder  hat  sich  die  z.  b.  in  dem  St  Tmdberter  Hohenliede  so  häufig  auf- 
tretende form  diu  =  du  hier  erhalten?  vgl.  Germania  9,  360. 

52,  24  da^  sage  ich  iu  da^  urchünde,  gemeint  ist  da  xur  chunde;  misver- 
standen  hat  wol  auch  das  in  der  vorläge  stehende  dc^  der  Schreiber  von  199,  13: 

so  warf  si die  scame  da  ruche,   wo  wol  ui'sprünglich  dax  ruche  stand  für 

da  xeruche;  vgl.  Walther  141,  14  scliame  hin  xe  rügge  legen  und  Frauenlob  spr. 
216,  8  dd  sich  din  schände  xe  rucke  leget. 

64,  7  der  stap  der  da  dürre  ierUmbt  unde  gruonte  ist  unverständlich;  viel- 
leicht der  da  durrer  loubte;   stark  flektiert  in  der  apposition  ist  das  adyektiv  z.  b. 

17* 


260 

90,  9  der  von  der  strä^  muoder  chomen  tat;  20,  17  gienger  lebentiger  in  da^ 
grap;  106,  10  ob  er  nu  müter  unde  diumuettger  von  tu  gescheiden  st;  234,  17. 

54,  25  mit  der  gttoten  wercheny  L  den  für  der. 

101,  21  uf  die  er  den  heiligen  tauf  und  den  heiligen  glauben  geleri  hol; 
1.  geleit  für  gelert  wie  117,  1. 

117,  5  sin  eJiüneglich  hantgemalen  an  den  menschen  legen;  I.  Jiantgemale 
wie  116,  22  und  117,  1. 

132,  38  da^  si  des  gots  riches  umbe  verstoßen  werdent;  L  (2a  für  da^ 

133,  31  wan  x/uo  der  werlt  dienst  da  ne  treibt  iueh  non  entstarct  iuch  nie- 
men  Mio;  in  der  hdschr.  traib  und  steret;  darnach  hätte  man  entweder  das  pnte- 
ritom  traib  und  staret  oder  das  präsens  traibt  und  steret  zu  setzen.  Ein  sw.  ▼. 
treiben  läset  sich  aus  dem  J.  Titurel  3633,  4  (der  sieh  mit  eilen  dar  nihl  treibet: 
weibet)  und  aus  der  Krone  5930  nachweisen.  Tgl.  auch  Graft  V,  488  und  Lexer  s.  v. 
durchtreiben.  Indessen  zwei  Zeilen  weiter  heisst  es  in  den  vorliegenden  predigten 
da^  trib  iuch  unde  sterch  iuch  mw  dem  gotes  dienst.  Daher  wol  auch  vorher  tribt 
statt  traib  zu  lesen.  In  der  vorläge  des  Schreibens  stand  wol  trib  iueh  noch  ensieret 
iueh,  das  t  gespart  wie  41,  25  erxaig  unde  eroffent  hat  und  in  den  zu  159,  21 
angezogenen  stellen. 

142,  3  dax  ir  wolle,  1.  wollet  —  146,  33  die  sich  ir  sunden  da  niene  hei- 
lent,  1.  heleni,  —  148,  32  des  stät  ir  im  alles  gehorsam,  1.  gehorsamen,  —  151,  20 
do  spräche  si  da,  e^  wäre  von  ir  schulden  niht  da^  si  poslichen  taeten,  1.  spra- 
chen statt  sprach. 

159,  21  der  selbe  sin  der  ist  nu  leider  vil  harte  eralten  unde  ervemt  in  den 
alten  sunden;  gemeint  ist  hier  eralterU,  wie  in  den  Predd.  IE,  4,  25;  9,  23  und  27; 
Windberger  Ps.  17,  51  sune  die  fromiden  eraltent  sint  (so  nach  Wallbui^)  und 
Ps.  31,  3  sint  eraltenet  {inveteraverunt).  Auch  181,  22  gevesten  unde  gesterehet, 
vom  herausgeber  in  gevestent  gebessert;  185,  39  lob  unde  ert  in,  ebenials  vom  her- 
ausgeber  lobt  für  lob  geändert;  aber  auch  239,  10  bedürfte  der  besserung:  swenne 
swer  diu  werlt  ahte  durch  da^  gotes  rehte  unde  iuch  schiUet,  1.  ähtet,  und  ebenso 
248,  26  von  der  wilden  haidinschefte  erroute  unde  bechert,  1.  errautet  Der  Schrei- 
ber hat  in  diesen  fallen  ein  t  am  ende  des  ersten  verbums  gespart  wie  in  den  zu 
133,  31  vermerkten  beispielen. 

161,  32  ir  stdt  iu  dar  xuo  gemuxegen;  der  dativ  iu  statt  iuch  (vgl.  dagegen 
255,  3  und  32)  ist  hier  ebenso  unhaltbar  wie  bei  manen  54,  16;  52,  9  und  110,  30, 
obwol  bei  lezterem  dieser  casus  einmal  nachgewiesen  ist  von  Einzel  zu  Lamprecht 
3846.     Vgl  Weinhold,  Mhd.  gr.  §  474. 

162,  3  nu  ist  aver  ir  übel  so  gro^,  da§  ir  ofte  daif  gotes  dienste  von  ir 
äsalofte  versumen  muxet:  was  heisst  hier  äsalofte?  ist  es  eine  Zusammensetzung 
wie  brutto ft,  hintloft?  Die  auffallende  wortform  ist  wol,  wie  Bartsch  bemerkte, 
dadurch  entstanden,  dass  ofte  vom  Schreiber  zweimal  gesezt  ist;  dsal  könte  ans 
ägexxel  =  oblivio  entstanden  sein;  vgl.  darüber  noch  Windb.  Ps.  s.  28,  117,  627 
und  J.  Haupt,  Über  das  md.  arzneibuch  des  Meister  Bartholomaeus  s.  11  (459)  von 
der  achxxel  (1.  ägexxel):  Schmeller- Fromm.  I,  947.  Aber  auch  an  das  ahd.  a^ili, 
edacitas  bei  GrafTI,  529  könte  man  denken. 

167,  9  an  der  selbe  wile,  1.  selben  für  selbe.  —  181,  22  da  xuo  so  hat  itn 
allex  gevestent  unde  gesterehet  diu  wirme  unde  da^  fiuer;  1.  in  für  im. 

184,  6  der  selben  xaichen  unde  der  selben  vraisen  der  ist  iu  nu  wol  so  vU 
chomen;  im  vorhergehenden  ist  von  vorboten  und  vorraisen  die  rede;   für  vraisen 


ÜBBB  80HÖNBACH,  ALTD.  FBEDIGTBN  m  261 

bietet  die  handschiift  raisen;  daher  liegt  es  wol  näher  vorraisen  dafür  zu  yermuten. 
Anch  auf  s.  209,  33  steht  ain  vorbot  unde  ain  raise  in  der  hdschr.  statt  vorraise. 

192,  22  vor  dem  heilige  Christo,  1.  vor  dem  heiligen  Ohr,  —  212,  23  dte 
troet  alle  der  heiligen  gots  man,  1.  heilige  für  heiligen,  wie  bei  Schmidt  s.  9. 

208,  29  deste  groxer  tagende  unde  deste  groxer  erlist,  1.  deste  grdxerer  list; 
auch  152,  28  ist  zu  schreiben  groxerer  $m  statt  groxer  im. 

42,  24  wan  ei  negewinnent  wnbe  da$  gewette  alle  niht,  1.  umbe  da^  da^ 
geicette;  vgl.  damit  das  Begensbburger  bruchstuck. 

59,  2  diu  iuwer  eigen  unde  ir  aun:  hier  steht  diu  (dienerin)  nach  eigen, 
\nQ  das  Regensb.  fragment  lehrt,  oder  es  ist  iuwer  eigen  diu  fax  diu  iuwer  eigen 
zu  lesen;  auch  31,  28  war  diu  vom  Schreiber  ausgelassen. 

80,  8  der  sin  erweit  junger  an  im  gexwivelt,  da^  ir  von  sim  unglouben 
bestaeteget  unde  gevestent  werdent  an  dem  h.  glouhen;   diesen  werten  lässt  sich  nur 

ein  sinn  abgewinnen ,  wenn  man  mit  dem  Regensb.  bruchstück  liest  da^  er lourde 

für  do^  ir werdent, 

29,  8  da^  du  niummer  deheinen  XAcivel  dar  an  habest,  unser  herre  der 
welle  einen  Hüten  xe  helfe  chomen;  in  der  hdschr.  aber  steht  unser  herren;  diese 
verschreibung  'führt  darauf,  dass  in  der  vorläge  des  Schreibers  stand  unser  herre 
dem  wette  wie  es  die  regel  erheischt  nach  Paul,  Mhd.  gr.  §  339.  Der  Schreiber 
fügte  das  enklitishe  en  aus  versehen  an  herre  statt  an  der, 

105,  28  na^ih  groxer  aerbeit  unde  nach  groxem  dienst  da  gehört  och  groxiu 
riuwe  unde  groxex  Ion  wol  billieh  nach.  Dem  zusammenhange  nach  muss  es  hier 
ruou^  heissen  für  riuwe, 

132,  33  die  des  waent  da^  si  da  mit  behalten  sin,  ob  et  si  die  groxen  gebot 
ünde  die  groxen  sculde  vermiden;  nach  gebot  ist  wol  behalten  (oder  gehalten)  aus- 
gefallen; der  Schreiber  konte  durch  das  in  der  nähe  stehende  behalten  dazu  verlei- 
tet sein. 

139,  6  fg.  getuoni  oueh  si  wider  unsere  herren  kulden  iht,  die  iwerm  lerere, 
er  chan  oueh  si  sin  vil  wol  gexuhtigen;  für  iwerm  1.  iwem;  si  vor  stn  ist  zutat 
des  herausgebers,  wobei  aber  sin  unverständlich  bleibt;  ich  vermute  dass  litäe  nach 
siin  ausgefallen  ist,  vgl.  138,  34 — 35. 

147,  31  unxe  er  sieh  mit  aime  umbehange  gehangen  muost,  1.  behangen  für 
gehangen. 

149,  38  sin  vinger  da  er  den  mennisken  mit  beruhte,  1.  beruorte  für  beruhte 
virie  z.  6. 

154,  28  diu  sde  diu  samnet  diu  Hut  elliu  also  xe  samne,  da$  si  werdent 
ain  lip,  wan  si  gibt  dem  ougen  da$  gesehene  unde  dem  oren  da$  gebärde;  1.  lit 
für  Uta,  vgl.  z.  30. 

173,  38  da$  er  er  iwer  herxe  erfülle:  ein  er  ist  zu  streichen;  ebenso  ein  ir 
in  174,  15—16. 

186,  9  do  west  da$  der  gots  trut  (=  Johannes)  wol,  da^  im  diu  vanenusse 
hinxe  dem  Itbe  und  hinxe  dem  tode  erleit  was;  für  erleit,  das  hier  keinen  passen- 
den sinn  gibt,  lässt  sich  erteilt  vermuten. 

212,  9  wan  do  tmserm  herren sin  heiligex  opher amphanclieh 

was,   da$  erxait  unde  eroffent  er da  mit:   1.  das;  für  do  wie  bei  Schmidt 

S.  O,    uJf, 

238,  11  da^  nie  der  ist  beliben  deheiner  slahte  stouhe:  1.  niender  statt  nie 
der,  —  244,  32  Thoma,  nu  du  also  du  da  gesprochen  hast:  1.  nu  tu  für  nu  du.  — 


262  BSCH 

246,  29  da  von  st  so  ere  habent,  da^  si  usw.:  nach  so  ist  ein  wort  wie  getan  oder. 
ffrdx  ansgeÜBÜlen. 

251,  41  an  iuwem  letzten:  hier  ist  TiUen  vom  Schreiber  ausgelassen,  wie 
man  aus  38,  31  ersieht 

In  der  predigt  nr.  110,  welche  von  den  hUUaem  überschrieben  ist,  zieht  der 
prediger  die  stelle  von  der  Speisung  der  5000  heran  und  spricht  dann  von  der  speise 
der  auf  die  weit  gerichteten  und  von  der  speise  der  auf  den  himmel  gerichteten  See- 
len. Dann  fährt  er  355,  1  fort:  da^  sint  Moare  die  groxen  ehorbe  unde  die  mani- 
gen  deinen  undertraeht  der  geistliehen  spise,  da  diu  gots  Hute  mit  gefuort  wer- 
dent  an  der  seUy^ie  sieh  xuo  dem  gots  dienisie  unde  xuo  dem  gots  vire  da  geimu- 
xeget  habent.  In  den  Zusammenhang  will  sich  %uo  dem  gots  vire  nicht  schicken, 
es  muss  wol  heissen  xuo  der  gots  vuore.  Auch  das  folgende  ist  falsch  überliefert: 
nostra  autem  eonversatio  in  celis  est.  Diu  geistliehe  unde  diu  gots  vire  ist  dax^, 
dax  ir  gemuote  unde  ir  herxe  xaJlen  citen  ist  mit  dem  ahn.  got  unde  da  xe  »iner 
ewigen  hoehdten  usw.;  denn  auch  hier  mus«  es  wol  heissen  gots  vuore  für  gots 
vire;  derselbe  fehler  noch  z.  29  diu  gotliche  vire  und  z.  32  der  heren  gots  viere. 
In  der  vorläge  des  Schreibers  stand  vielleicht  die  form  vre  wie  im  8pec.  eccles.  48. 
Von  der  speise  der  seelo  (dem  sptsen  und  fuoren)  ist  in  diesen  predigten  noch  die 
rede  60,  21  und  73,  6;  von  geistlicher  Wmar  135,  13,  von  geistlicher  wirtsehaft 
(==  sptse)  135,  34;  von  der  fuore  der  sele  Fundgr.  I,  30,  18;  von  der  fuor  des  hei- 
ligen öhristes  Si  Pauler  predd.  34,  19;  von  der  ewigen  fuore  Kangans  sprachd. 
101,  18.  Vor  allem  vgl.  Wackem.,  Predd.  56,  267  fg.  diu  spise  da^  ist  da^,  da^ 
si  (=  sHe)  an  deheime  dinge  üf  ertrieh  inheinen  trdst  noch  inheine  vroide  hat, 
niht  wan  an  himelschen  dingen;  dar  an  suoehet  si  trost  und  wirt  ouch  da  von 
gespisit  und  gevuoret. 

Eine  bequeme  Übersicht  über  den  diesen  predigten  eigentümlichen  wertschätz 
und  ihren  Sprachgebrauch  zu  geben  hat  auch  diesmal  Schönbach  unterlassen,  es  aber 
nicht  in  abrede  gestelt,  dass  er  noch  gelegenheit  haben  werde  naher  darauf  einzu- 
gehen. Ein  glossar  schien  ihm  ausser  der  billigen  rücksioht  auf  die  Verlagsbuch- 
handlung schon  darum  nicht  unbedingt  notwendig,  weil  er  die  Wahrnehmung  machte, 
dass  „der  dem  denkmal  eigentümliche  wortvorrat  beinahe  in  seinem  ganzen  umfange 
dem  nachtragshefte  des  mhd.  handwörterbuches  von  Lexer  einverleibt*^  worden  war. 
Indessen  sind  mir  von  seltenen  Wörtern,  die  bei  Lexer  nicht  gebucht  smd,  doch  noch 
folgende  aufgefallen: 

paere,  f.  106,  8  (und  11  und  16)  der  (stoe)  veredelt  aver  sich  unde  misse- 
riet  also  harte,  da^  unser  herre  von  im  an  sim  heren  hütoe  ain  vil  großen  scha- 
den nam  unde  da^  im  ain  vil  gro^iu  paere  wart  an  sim  himelschen  wingarten. 
die  paere  die  newolt  'idoch  unser  herre  mit  der  selben  slaJUe  stocke  nikt  wider 
hmoen  noch  wider  avem  usw.;  paere  ==  bare,  bere,  bar,  nuditas,  die  kahle,  unbe- 
pflanzte  stelle  im  Weinberge;  bei  Lexer  nur  bar,  f.  aus  Roland  241,  17;  vgL  ahd. 
bari  in  houbitbari,  ealvitium;  DWb.  I,  1057  s.  v.  baare. 

barmherxunge,  f.  238,  3:  nur  noch  in  den  Trierer  psalmen  ed.  Graff  s.  313 
und  569  barmherxunge,  miseratio. 

büwewereh,  n.  140,  3,  landbau;  nur  noch  im  ersten  bände  dieser  predigten 
385,  30  im  sinne  von  ars  architectoria  (nach  Steinm.  ztschr.  19,  206  anm.);  das 
bei  Lexer  I,  404  angesezte  büwewere  ist  druckfehler  für  büwewec. 

dietlant,  n.  194,  20;  230,  14  u.  18;  245,  12  u.  21;  noch  in  einer  Münchener 
psalmenübersetzung  des  14.  jahrh.  bei  Khull,  Beitr.  26:  patria gentium,  dietlant. 


ÜBKB  8GHÖNBA0H,  ALTD.  FBIDIQTEN  m  263 

domaUhe.  f.  137,  23;  DWb.  E,  1300. 

ebengendxsam,  a^j.  171,  28. 

ebenmd^Mngef  f.  97,  28  und  35;  163,  4. 

eigensun,  m.  anciüae  filius,  57,  21;  vgl.  e^entrlp,  aneilla,  57,  14  und  23; 
58,  3  (im  gegensatz  zum  vrigen  fdbe). 

ergranten?   157,  32  da^  si  —  den  wären  gotea  eun ergranten  unde 

erstechen  (^^euffoeare)  meehten;  vgl.  158,  18  do  erstaht  unde  uberchom  er  si  harte. 
Man  könte  an  ergrannen  denken,  das  nur  einmal  überliefert  ist  bei  Diemer,  D.  gedd. 
15,  17  und  wofür  dieser  ergremen  veimutete;  denn  das  von  Lexer  I,  132  ange- 
zogene beispiel  aus  der  Martina  203,  96  ist  zu  streichen,  es  muss  dort  heissen  er 
grante.  Allein  der  Zusammenhang  erfordert  hier  statt  des  iroperf.  ergranten  einen 
Infinitiv;  überdies  würde  ergrannen  oder  ergremen  neben  erstceken  auch  seiner 
bedeutung  nach  sich  nicht  recht  schicken.  Mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  glaube  ich 
daher  in  ergranten  einen  Schreibfehler  zu  sehen.  Ich  nehme  au,  dass  der  flüchtige 
Schreiber  g  und  t  yersezt  hat,  dass  es  ursprünglich  ertrangen  (erdrangen)  hiess  = 
euffoeare,  was  zu  dem  dabeistehenden  synonymen  erstechen  (erstechen)  vortreflich 
passen  würde.  Das  ursprüngliche  erdrangen,  erdrengen  scheint  aber  sehr  früh 
schon  an  das  lautlich  nahe  hegende  ertrenken  seine  bedeutung  abgegeben  zu  haben, 
welches  an  mehreren  stellen  die  bedeutung  von  suffocare  angenommen  hat,  wie  man 
aus  folgenden  stellen  ersieht:  Fundgr.  I,  93,  38  d6  die  dorne  üf  komen,  dö  iriran- 
eheten  (aninvi^av,  suffoca^erunt  nach  Lucas  8,  7)  sie  den  guoten  sämen;  ebenso 
in  den  vorliegenden  predigten  47,  40  den  ertränkten  och  die  dorne;   bei  Grieshaber 

Plredd.  II,  52  die  dorne ertrancten  den  sämen;   Schönbach,  Predd.  II,  51,  8 

die  dorn  machent  den  sämen  boes  find  ertrenchent  in;  Schmelier- Fromm.  I,  667; 
Graff,  Sprachsch.  5,  542  irtrancta,  irtraneti,  suffpeati.  Daneben  finde  ich  erdren- 
gen nur  niederdeutsch  belegt  bei  Schiller -Lübben  I,  716. 

erseemen,  swv.  reflex.  sich  e.  191,  17;  vgl.  I,  104,  20;  Frauenlob,  Spr.  125, 
10;  Trebnitz.  ps.  24,  20  =  erubescere;  H.  v.  Hesler,  Apokal.  4916;  Deut  chron. 
13,  114,  14  einen  erschemen, 

verteHaere,  m.  103,  18. 

vish'Schifltn,  n.  129,  1;  vgl.  Diefenbach  400^  s.  y.  oria, 

vol'Sren,  swv.  5,  40;  so  noch  in  der  Germ.  31,  304  (289);  in  Lassbergs  L.  S. 
I,  570,  413. 

vol'ldnent  swv.  258,  15. 

viwer-eiter,  n.    Hndschr.  vitoe  aiter,  138,  39  =  viurin  aiter  218,  16 — 31. 

gemande,  n.  admonitio,  144,  31  elliu  mtn  wamunge  unde  dUe^  mtn  ge- 
mande;  156,  27  von  stme  gemande  u.  euch  von  stner  lere;  vgl.  Windb.  ps.  s.  557 
vermanede,  eoniemhu  »=  ahd.  farmanida,  farmanidi  Gi-aff  11 ,  771. 

gemuexegenf  swv.,  sich  dar  kmo  g.  da^  usw.  161,  32;  255,  32;  vgl.  Wacker- 
nagel,  D.  predd.  s.  281,  19;  sich  gern,  von  allen  unmuoxen  im  St  Trudb.  Hohenlied 
106,  25. 

genoxsamen,  swv.  refl.  sich  g,  4,  25;  12,  14;  76,  36;  102,  4  u.  16:  116,  42; 
206,  16;  246,  22;  bei  Lexer  unbelegt 

gigirseh,  a^j.  54,  31  alle  gigirschiu  (Kegensb.  hdBohx.  girskiu)  Hute;  155,  25 
den  gigir sehen  man;  vgl.  gegim  bei  Lexer  I,  782;  gigirdo,  gigiridi  bei  Graff  lY, 
229;  gegerunge  bei  Schönbach,  Predd.  I,  3,  11. 

gigirseheü,  f.  23,  29  var.  71,  25;  155,  17  —  22. 

gots-gelichnusse,  f.  diu  here  g.  161,  12. 


204  SICH,  ÜBBR  SCBÖNBAGH,  ALTD.  FBEDIOTIN  m 

hersal,  m.  100,  2  (vgl.  100,  37). 

hersedel,  m.  =  heratuol,  103,  5  u.  7  u.  25;  155,  82. 

heimladunge,  213,  22  u.  25. 

kinnebedes?  adv.  129,  20  Petre,  du  soU  n4  kttmebedea  ain  viskBr  Hn  der 
Hute.  Die  seltene  form  köote  man  zuräckführen  auf  hin-abe-des  =  von  jezt  ab, 
hinfort,  vgl.  after-des,  innen -des;  in  diesem  sinne  steht  hin  abe  im  Moiitz  v.  Craan 
695;  Manritias  u.  Beamunt  in  v.  d.  H.  Germania  9,  111  (459);  wahrscheinlicher 
aber  hat  man  an  hinne-bü-des  zu  denken,  vgl.  ht  da^  (und  hÜ  diu)  belGraffUI,  12; 
Foodgr.  IT,  34,  12;  41,  26;  dafür  pedes  bei  Diemer,  D.  gedd.  341,  26;  und  hinnan 
bi  des  =  a  modo,  aus  Notkers  psalmen  67,  25  von  Graft  1.  1.  angeführt 

horufelin,  n.  „limus  terrae*^,  „erdenkloss*,  216,  29;  217,  6. 

lantstte,  f.  98,  37. 

leigeltch,  adj.  laicus,  61,  20;  255,  30;  noch  in  Aristotilis  Heimlichkeit  ed. 
Toischer  1824  leiliche  wort;  ahd.  leielik,  GrafP  11,  152. 

mirrensmae,  m.  93,  12;  noch  bei  J.  Haupt,  Bruder  Philipps  Marienleben 
8.  57,  177  mirresmac. 

nedehein  =  niedehein,  nehein  100,  16  und  27. 

pfaffensamenunge,  f.  208,  33. 

reismantel,  m.  sagum,  239,  37. 

riusaerinne,  f.  »=  rtuwescterinne,  198,  35;  noch  in  der  busse  Adams  und 
Evas  ed.  Fischer  in  der  Germ.  22,  249  nach  einer  Variante  rewserin  statt  riuwerin; 
Ztschr.  f.  d.  a.  20,  160  retisarin, 

sämbalde,  adv.  =  sän  holde,  50,  38;  75,  29;  93,  11;  99,  11  u.  15;  111,  39; 
112,  33;  155,  16;  159,  40;  179,  27;  191,  16. 

scefstiuraere ,  m.  252,  30  u.  24. 

toußotege,  swf.  lavatorium,  mare  fusile,  das  „eherne  meer*',  98,  38;  99,  1; 
ein  eriniu  toufb,  100,  35;  101,  16  u.  18. 

unanesihtic,  a^j.  223,  31;  224,  13  u.  19—24. 

ungeufislichen,  adv.  43,  14  u.  19  vü  u,  loufen  =  in  ineertum  currere. 

wenigt,  f.  parva  statura,  95,  22;  96,  6;  noch  bei  GrafP  I,  891. 

xuoweten,  swv.  aceedere,  123,  22;  124,  22  ih  hän  xehen  ohsen  gehMift,  da 
nrnox  ich  xuo  weten  unde  muox  die  bewam  =  Lucas  14,  19  juga  boum  emi  quin^ 
que  et  eo  probare  illa;  vgl.  Mhd.  wörterb.  HI,  535*,  41. 

Einen  ganz  aussergewöhnlichen  fleiss  hat  der  herausgeber  wider  verwant  auf 
die  dem  texte  angefügten  bemerkungen,  in  welchen  auf  s.  271 — 421  nicht  nur  die 
laufenden  biblischen  citate  nachgewiesen,  sondern  auch  die  verborgensten  quellen  aus 
den  kirchenschriftstellem  zu  tage  gefördert  werden.  Das  Verzeichnis  der  19  kirchen- 
väter,  bei  denen  er  nach  s.  446  auf  der  suche  gewesen  ist,  gibt  allein  schon  ein 
beredtes  zeugnis  von  den  unsäglichen  Schwierigkeiten  und  mühsalen,  die  der  uner- 
müdliche forscher  auf  weitestem  und  entlegenstem  gebiete  hier  zu  überwinden  hatte. 
Und  wenn  auch  für  die  sprachliche  seite  der  altd.  predigten  zunächst  nur  wenig 
damit  gewonnen  worden  ist,  für  die  entstehung  derselben  und  ihre  geschichte,  beson- 
dere auch  für  die  dogmengeschichte  bleiben  diese  Untersuchungen  Schönbachs  ein 
unsch&tzbarer  gewinn. 

ZCITZ,  DECKBIBER  1891.  FBDOB  BECH. 


8T70HIIB,    ÜBEB  QINELIN,  HÖFISCHE  EPIN  265 

Unsere  höfischen  epen  nnd  ihre  quellen.    Von  dr.  Plaeld  Genelln,     InDS- 
bruck,  H.  Schwiok.  1891.    I,  115  s.    1,50  m. 

Von  der  vorliegenden  abhandlung  muss  leider  ausgesagt  werden,  dass  sie  die 
Wissenschaft  nicht  fordert,  wol  aber  in  manchen  stücken  hinter  der  zeit  zurückbleibt, 
und  mit  einer  Sorglosigkeit  geschrieben  ist,  der  man  glücklicher  weise  auch  in  anfän- 
gerarbeiten nicht  alzuhäufig  begegnet.  Vielleicht,  wenn  der  Verfasser  sich  darauf 
beschränkt  hätte,  einen  unser  höfischen  romane  mit  seiner  quelle  zu  vergleichen, 
wäre  es  ihm  an  der  band  eines  kundigen  führers  gelungen  ein  bescheidenes  ziel  zu 
erreichen.  Nun  er  aber  die  gesamtheit  unserer  höfischen  romane  mit  den  zu 
gründe  liegenden  darstellungen  behandeln  will,  hat  er  nur  eine  illustration  zu  dem 
französischen  Sprichwort  geliefert:  Qui  trop  embrasae,  mal  Sir  eint. 

Von  den  bekantem  romanen  scheint  in  der  darstellung  keiner  zu  felden.  Eini- 
ges was  nur  in  bruchstücken  erhalten  (die  niederrheinische  schlacht  von  Aleschanz, 
Elies,  Girart  de  Boussillon)  odor  nur  durch  anspielungen  bekant  ist  (Segramors),  ist 
unerwähnt  geblieben.  Was  besprochen  wird,  findet  sehr  ungleiche  beachtung:  dem 
Parzival  sind  35  Seiten  gewidmet  (s.  46-— 81);  Wigalois  wird  mit  2  zeilen  abgetan 
(s.  45).  Das  meiste  ist  aus  litteraturgeschichten  oder  bekanten  Specialuntersuchungen 
compiliert.  Einiges  beruht  auf  eignem  lesen,  doch  ohne  nutzen  für  die  Sache.  Oft 
ist  minderwertige  litteratur  herangezogen  und  wichtiges  bei  seite  gelassen.  Zum 
Willehalm  wird  das  buch  von  San  Marte-  (Quedlinburg  1871)  nicht  benuzt.  Yen 
Gaston  Paris  sind  weder  die  aufsätze  in  der  Histoire  litteraire  bd.  XXX  noch  die 
litterature  fran9aise  au  moyen  Ige  (2.  aufi.  1890)  verwertet  Der  Ursprung  der  Ar- 
thursage wird  dargelegt,  aber  ohne  kentnis  von  Zimmers  und  W.  Försters  einschnei- 
denden arbeiten. 

Minder  verzeihlich  als  diese  unkentnis  einschlägiger  litteratur  scheint  mir  die 
nachlässigkeit,  in  der  ausdi*uck  und  inhalt  dem  leser  vorgefahrt  werden.  Gleich  auf 
der  ersten  seite  ist  von  Schert  Wace  die  rede.  Das  misverständnis,  dem  dieser 
vomame  entstamt,  scheint  unausrotbar  zu  sein;  er  muss  wie  die  seeschlange  immer 
von  neuem  auftauchen.  —  Auf  s.  9  heisst  es:  „man  war  [in  Nordfrankreich]  begierig 
nach  dem  gai  savoir,  worunter  man  namentlich  jene  romantischen  erzählungen,  epen 
und  lieder  verstand,  welche  der  wirklichen  ritterlichen  weit  eine  phantastische  . . . 
entgegensezten'^.  Der  ausdruck  gai  saber  wurde  im  14.  Jahrhundert  von  den  proven- 
zalischen  meistersängem  aufgebracht.  Fragen  wir  lieber  nicht  was  er  zu  einer  zeit 
und  in  einem  land  bedeutete,  wo  man  ihn  nicht  kante.  Auf  s.  10  wird  „der  berühmte 
bischof  Wiston*  genant;  in  der  tat  hiess  er  Wulf  stau  oder  Wulst  an.  Naoh 
8.  11  berief  Heinrichs  I.  gemahlin  AUx  von  Brabant  im  jähre  1122  nordfranzösische 
dichter  nach  England.  Man  wüsste  gern,  woher  der  Verfasser  dieses  weiss;  doch 
wird  es  wol  aus  der  luft  gegriffen  oder  aus  einer  trüben  quelle  geschöpft  sein.  Nach 
s.  12  dichtete  Christian  von  Troyes  für  Marie  de  Champagne,  die  gemahlin  Balduins, 
des  spätem  kaisers  von  Constantinopel.  Indessen  weiss  man  längst,  dass  er  der 
mutter,  nicht  der  tochter  nahe  stand. 

Vorstehendes  ist  den  ersten  fünf  Seiten  entnommen  (die  abhandlung  begint  auf 
8.  7).  Aus  dem  folgenden  erwähne  ich  liasse  für  laisae  s.  19;  Willehalm  stirbt  862 
(s.  30);  die  mutter  Percevals  heisst  Cammuelles,  obgleich  der  Verfasser  die  ände- 
mng  Bartschens  kent  (s.  59 fg.);  Feirefiz  komt  „zweifellos  aus  fier  und  fila*^  (s.  65); 
die  Tristansage  scheint  zuerst  von  den  französischen  spielleuten  ausgebildet  worden 
zu  sein  s.  88;  der  pfaffe  Lamprecht  schrieb  sein  gedieht  im  lezten  drittel  des  12.  Jahr- 
hunderts s.  105. 


266  BÜCBIBB 

Das  falschsohreibeQ  too  eigennamen  gehört  zu  den  liebhabereieii  des  Verfas- 
sers. Hier  nur  einiges:  Potevin  s.  1.  11.  12,  Thiodor  [sicj  de  la  Viüemarque  s.  50, 
Lachman  s.  19,  kuiy  Quest  s.  44,  Stmrok  s.  63,  Behaghel  ebd.,  Ävenar  le  Rot 
s.  100;  drei  entstelte  namen  stehen  in  einer  zeile  s.  98  anm.  2. 

Von  citaten  nur  eine  probe:  am  ende  von  s.  103  wird  vom  Verfasser  aof  seine 
eigene  sohrift  s.  58  anm.  2  verwiesen;  das  oitat  ist  falsch,  es  scheint  s.  98  anm.  4 
gemeint  zu  sein. 

Schliesslich  nehme  ich  Wolfram  gegen  die  anschuldigong  in  schütz,  er  habe 
aus  ä  termes  irtümlich  einen  eigennamen  gebildet  (die  ausgäbe  der  Bataille  d*  Aliscans 
von  Gxiessard  schreibt  richtig  d  Termea  s.  25),  und  protestiere  gegen  die  behauptong 
(auf  s.  38),  ich  hätte  für  Ulrich  von  demTürlin  eine  französische  quelle  angenommen. 

HALLE.  mEBHAKN  SÜCHIKR. 


Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  in  der  Schweiz.    Von  dr.  J« 

merii«   I.  teil:  Die  Sprachgrenze  im  Jura.    Nebst  einer  karte.   Basel,  Georg.  1891. 
IX,  80  s.    8.    16  tafeln,  1  karte.    3  m. 

Nachdem  Konstant  This  auf  grund  persönlicher  forschungen  die  deutsch.- fran- 
zösische Sprachgrenze  erst  in  Lothringen  (1886),  dann  im  Msass  (1888)  bis  an  die 
Schweizer  grenze  verfolgt  hat,  nimt  nuuQiehr  Zimmerli  den  faden  auf  und  spint  ihn 
von  da  weiter  durch  den  Schweizer  Jura  bis  zum  Neuenburger  see.  Zimmerli  hat 
sich  auch  in  der  einrichtung  seiner  arbeit  an  seinen  Vorgänger  angeschlossen,  was 
nur  zu  billigen  ist 

Er  hat  zunächst  die  ergebmsse  der  schweizerischen  volksz&hlungen  verwertet 
BekanÜich  zeichnen  sich  leztere,  wie  auch  die  belgischen,  vor  den  Volkszählungen 
der  grossem  länder  dadurch  aus,  dass  in  ihnen  auch  die  spräche  der  bewohner  der 
statistischen  au&ahme  gewürdigt  wird.  Daher  konte  eine  feststellung  der  Sprach- 
grenze schon  auf  grund  der  schweizerischen  Statistik  vorgenommen  werden.  Zim- 
merli hat  diese  angaben  auf  widerholten  fusswanderungen  nachgeprüft  und  erginzt 
und  überall  an  ort  und  stelle  erkundigungen  eingezogen,  so  dass  seine  darsteUung  von 
dem  sprachlichen  leben  in  den  grenzorten  ein  detailliertes  und  zuweilen  anschauliches 
bild  gibt. 

Nachdem  er  die  einzelnen  Ortschaften  durchgenommen  hat,  stelt  er  in  einem 
besondem  abschnitt  das  hin-  und  herwogen  der  bevölkerung  in  folge  von  fabrikanla- 
gen,  auswanderungen  u.  dgL  dar.  Auf  romanischem  gebiet  hat  ein  starker  zuzug 
deutscher  bevölkerung  statgefunden ,  welche  in  manchen  bezirken  Va — V4  der  geaamt- 
bevölkerung  ausmacht  Doch  darf  hieraus  nicht  auf  eine  Verschiebung  der  Sprach- 
grenze geschlossen  werden.  Denn  ,|fragen  wir  nach  den  sprachlichen  geschioken  der 
in  neuerer  zeit  durch  einwanderung  in  den  welschen  Jura  geführten  deutschen  bevöl- 
kerung, so  lautet  die  auf  eine  grosse  anzahl  einzelbeobachtungen  gestüzte  antwort 
dahin:  sie  geht  in  der  regel  in  der  zweiten  genoration  im  romanentum  unter,  d.  h. 
die  auf  welschem  boden  gebomen  kinder  deutscher  eitern  verstehen  das  deutsche 
noch,  sprechen  aber  mit  verliebe  französisch  und  werden  die  begninder  französisch 
sprechender  familien^  (ZimmerU  s.  56). 

Es  folgt  dann  ein  kapitel  vom  häuserbau  mit  9  grundrissen  keltoromanischer 
und  alemannischer  (dreisässiger)  hfiuser.  Dann  werden  die  deutschen  grenzmund- 
arten  auf  drei  selten  kurz  charakterisiert,  und  schliesslich  die  französischen  patois 
eingehender  behandelt,  deren  lautverhältnisse  erst  im  algemeinen  dargelegt  und  dann 


ÜBEB  ZnOOBLI,   DBTItSOH-FBZ.  SPRAGHeBBNZI  267 

auf  16  tafeln  durch  beispiele  yeranschanlicht  weiden.  Eine  landkarte,  welche  die 
Sprachgrenze  als  Unie  —  und  nicht,  wie  man  erwarten  solte,  als  gürtel  —  darstelt, 
beschliesst  das  buch. 

Die  einzelnen  tatsachen,  die  der  yerüasser  anführt,  wird  nur  der  nachprüfen 
können,  der  selbst  gelegenheit  hat,  die  Sprachgrenze  zu  besuchen.  Ich  möchte  hier 
nur  gegen  die  etymologie  eines  Ortsnamens  bedenken  aussprechen,  da  das  überlieferte 
material  mir  nicht  die  ansieht  des  Verfassers  zu  stützen  scheint.  Das  fast  ganz  fran- 
zosische protestantische  pfardorf  Vauffelin  hat  gegenwärtig  zwei  deutsche  namen: 
Füglüthal  und  Wölflingm.  Urkundlich  haben  wir  Walfelin  1228,  Vallü  VoluGrum 
um  1311,  Fugli8t(d  1349.  Hieraus  schliesst  der  Verfasser  (s.  33):  j,Wölflingen  ist 
jedenfals  die  älteste  form  des  namens,  aus  welcher  dann  durch  romanisierung  Vauf- 
felin hervorgieng,  während  Füglisthal  lediglich  die  deutsche  Übersetzung  der  später 
von  klerikem  aufgebrachten  bezeichnung  VaUis  Volucrum  zu  sein  scheint^.  Indes- 
sen entsprechen  sich  Wölflingen  und  Vauffelin  doch  keineswegs  volkommen;  und 
höchst  auftjEÜlend  bleibt,  dass  die  angeblich  älteste  form  des  namens  erst  in  unserer 
zeit  auftaucht.  Mir  ist  daher  viel  wahrscheinlicher,  dass  der'  ort  ursprünglich  Füg- 
listhal  hiess,  dass  dies  in  Val-fdin  (Vallis  volucrum)  romanisiert  wurde,  und  dass 
W'ölflingen  auf  einer  wilkürlichen  Verdeutschung  des  namens  Vauffelin  durch  irgend 
einen  lokalforscher  beruht 

In  den  lautlichen  angaben  ist  nicht  alles  ganz  correct  ausgedrückt  Intervo- 
kales p  gibt  in  safere  vu  sagt  der  Verfasser  s.  78;  doch  ist  in  savt^.i^  nur  v^=p  imd 
t^,^  =  fz.  oi  =  lat  g.  —  Ovum  hat  niemals  kurzes  o,  weder  im  lateinischen  noch  im 
filteren  romanisch  (s.  74).  —  Auch  in  den  tabellen  sind  einige  etymologien  zu  berich- 
tigen. So  ist  violetam  nicht  möglich  als  lateinische  form  für  das  romanische  viol& 
violäi  (t  XI),  sondern  nur  violittam.  Auch  kann  tißv  (t  XV)  neben  kä/v  nicht  aus 
eaveam,  sondern  nur  aus  eavam  entstanden  sein. 

Hoffentlich  lässt  uns  der  Verfasser  auf  die  versprochene  fortsetzung  nicht  gar 
zu  lange  warten. 

HALLB.  HBBHA.NN  SUCHIKB. 


Conradi  Hirsaugiensis  dialogus  super  auctores  sive  didascalon.  Eine 
litteraturgeschichte  aus  dem  XII.  Jahrhundert,  erstmals  herausgegeben  von  dr. 
Q.  Sehepss.    Würzburg,  A.  Stuber.  1889.    84  s.    1,60  m. 

Der  Verfasser  dieser  schrift  ist,  wie  von  Stölzle  nachgewiesen  wurde,  der  aus 
der  gegend  von  Speier  stammende  Benediktinermönch  Eonrad  von  Hirschau, 
langjähriger  leiter  der  klosterschule  daselbst,  welcher  unter  kaiser  Eonrad  III.  blühte 
und  um  1150  im  alter  von  80  jähren  gestorben  ist  Der  bekante  abt  Job.  Trithe- 
mius,  dem  wir  die  unsem  autor  betreffenden  notizen  verdanken,  nent  diesen  einen 
in  welÜichen  und  geistlichen  Schriften  wolbewanderten  philosophen,  rhetor,  musik- 
verständigen  und  dichter,  der 'unter  dem  pseudonym  „ Feregrinus '^  viele  berühmte, 
durch  klassische  form  ausgezeichnete  lateinische  werke  geschrieben  habe,  von  denen 
er  7  namhaft  macht,  darunter  neben  dem  Didascalon  auch  ein  lobgedicht  auf  den  hl. 
Benedictus  und  ein  musikalisches  werk.  Ausser  diesen  weiss  der  im  jähre  1588 
verstorbene  abt  Job.  Parsimonius  von  Hirschau  noch  einige  theologische  Schriften 
Eonrads  zu  nennen. 

Das  Didascalon  unseres  autors  ist  nur  in  einer  Würzburger  handschrift  des 
12.  jahriiunderts  erhalten  und  von  Sehepss  in  der  vorliegenden  schrift  zum  ersten- 


268  ALiHor 

mal  herausgegeben  worden.  Nach  einer  einleitung  über  Eonrads  leben  und  werke 
(s.  3 — 18)  folgt  Ton  8.  19—84  der  abriss  der  litteraturgeschichte  in  form  eines 
gesprächs  zwischen  lehrer  und  schüler.  Der  wesentliche  Inhalt  des  dialogs  ist  fol- 
gender: 

Der  lehrer,  vom  schüler  gebeten,  ihn  in  das  Studium  der  alten  autoren  ein- 
zuführen, sträubt  sich  anfangs  unter  hinweis  auf  den  neid  des  Bavius  und  Maevius 
und  die  gefahren ,  welche  die  beschäfdgung  mit  weltlicher  Wissenschaft  mit  sich  bringt, 
erklärt  sich  jedoch  auf  widerholtes  bitten  des  wissbegierigen  bereit,  ihm  das  wich- 
tigste über  die  alten  Schriftsteller,  wie  er  es  selbst  von  anderen  erfahren  habe,  mit- 
zuteilen. Zunächst  spricht  er  jedoch  (meist  im  anschluss  an  Isidors  origines,  bezw. 
den  auf  diesen  zurückgehenden,  gröstenteils  noch  ungedruckten  Theodulkonmientar 
des  Bemhardus  Trajeotensis  aus  dem  ende  des  11.  Jahrhunderts),  dem  wünsche  des 
Schülers  entsprechend,  über  einige  wichtige  rhetorische  begriffe,  über  die  verschie- 
dene bedeutung  von  liber,  über  den  unterschied  zwischen  ungebundener  und  rhyth- 
misch oder  metrisch  gebundener  rede,  über  titel  und  einleitung,  über  die  verschie- 
denartigen bezeichnungen  für  schriftsteiler.  Es  folgen  sodann  belehrungen  über  die 
dichtungsarten,  wobei  der  lehrer,  wie  bei  den  meisten  übrigen  erläuterungen, 
auch  auf  die  worterklärung  rücksicht  nimt,  femer  über  die  verschiedenen  arten 
der  argumenta,  über  den  ordo  naturalis  und  artiücalis  bei  den  schiiftstellem  und 
die  4  arten  der  explanatio,  über  tropologia  und  anagoge,  sowie  über  die  3  stil- 
arten. Hierauf  nent  er  einige  Schriftsteller,  welche  in  die  fussstapfen  älterer  autor^ 
getreten  sind,  spricht  von  den  7  punkten,  welche  die  alten  bei  der  erklärung  von  litte- 
raturwerken  berücksichtigten,  während  die  neueren  deren  4  annehmen:  operis  materia, 
sciibentis  intentio,  finalis  causa  et  cui  parti  philosophiae  subponatur,  quod  scribitur. 
Nachdem  er  sich  hierüber  im  einzelnen  ausgelassen  hat,  begint  er  mit  seiner  littera- 
turgeschichte, indem  er  mit  den  leichtesten  autoren,  „der  milch  für  die  Säuglinge*^, 
den  anfang  macht,  um  darauf  die  schwierigeren,  „die  feste  speise  der  entwöhnten', 
von  den  eben  genanten  4  gesichtspunkten  aus  zu  betrachten. 

Donatus  ist  zwar  für  die  unterste  stufe  geeignet,  doch  wegen  seiner  lehre 
von  den  8  redeteilen  von  der  grösten  bedeutung  und  als  das  fundament  für  das  Stu- 
dium der  übrigen  autoron  zu  betrachten.  Er  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  ketzer 
Donatus,  hat  lange  vor  Priscianus  gelebt  und  war  der  lehrer  des  Hieronymus.  Die 
kürzere  bearbeitung  seiner  grammatik  ist  für  anfänger,  die  ausführlichere  für  fort- 
geschrittenere geeignet;  sie  sind  zum  Studium  der  grammatik  unentbehrlich.  —  Wie 
das  syllabarium  auf  das  abeoedarium  so  folgt  auf  Donatus  Cato.  Es  lebten  in  Born 
zu  verschiedenen  zeiten  viele  dieses  namens.  Da  er  von  der  person  des  schulschrift- 
stellers  nichts  sicheres  weiss,  spricht  er  von  dem  Inhalte  seiner  lehrhaften  Sprüche, 
die  der  schüler  nicht  nur  lesen,  sondern  auch  befolgen  soU,  denn  die  conectio  mo- 
rum  ist  der  fructus  finalis  bei  allen  autoren.  Die  Sprüche  des  Cato  (von  catus  = 
ingeniosus) ,  der  seine  lehren  lieber  in  kurzen  doppelversen  als  in  langatmigen,  pedan- 
tischen ermahnungen  vortragen  wolte,  sind  zu  den  moralphilosophischen  Schriften  zu 
rechnen.  —  „Hesopus*^  gibt  Eonrad  gelegenheit,  von  den  fabeln  überhaupt  und 
dem  unterschiede  zwischen  den  äsopischen  und  den  dichtungen  des  Terentius  und 
Plautus  zu  sprechen.  Als  beispiel  der  ersteren  wird  die  fabel  vom  wolf  und  lamm 
angeführt  und  erläutert,  zum  vergleiche  werden  stellen  aus  der  hl.  schrift  herange- 
zogen. —  Der  vierte  Schriftsteller  für  die  untere  stufe  ist  der  fabeldichter  Avianus, 
nach  seinem  prologe  ein  Zeitgenosse  des  Theodosius  (den  Eonrad  augenscheinlich  mit 
dem  im  folgenden  genanten  kaiser  für  identisch  hält),   ein  nachahmer  des  Äsop,  wie 


ÜBER  C0NRADÜ8  HIRS.   ED.   SCHIPSS  269 

dieser  des  Altiinon  (Alcmon)  Crotonlensis.  Doch  überragt  er  beide,  da  er  ein  katholischer 
Christ  und  in  ungebundener  (vgl.  Teuffei,  Gesch.  d.  röm.  litt.  §  450,  5)  und  gebun- 
dener rede  wolerfahren  ist.  Von  den  fabeln  erwähnt  er  die  erste  von  der  femina  per- 
fida,  die  dem  mönchischen  magister  die  wurzel  alles  Übels  ist,  und  die  zweite  von 
der  testudo,  welche  er  zu  einer  wegschnecke  macht.  Dann  folgen  nutzanwendun- 
gen.  —  Bevor  sich  nun  der  autor  zu  der  lektüre  für  die  fortgeschritteneren  wendet, 
nimt  er  veranlassung,  von  den  Vorzügen  der  heUigen  Schriften  vor  den  werken  der 
heidnischen  Schriftsteller  zu  sprechen,  und  komt  dann  zu  Sedulius  (sedulus  in  lit- 
tens  ewangelicis) ,  der  nach  ihm  in  Achaia  zur  zeit  des  Yalentinianus  und  Theodosius 
lebte.  Anfangs  weltlicher  Weisheit  ergeben,  hat  er,  um  die  Jugend  von  der  beschäf- 
tigung  mit  den  heidnischen  dichtem  zum  Studium  der  hl.  schnft  zu  führen,  die 
göttlichen  wunder  des  alten  imd  neuen  testamentes  in  seiner  dichtung  behandelt. 
Auch  sein  alphabetischer  hymnus  auf  Christus  und  sein  in  reoiproken  distichen  abge- 
fasstes  Carmen  werden  genant. —  Ihm  schliesst  sich  der  spanische  presbyter  Juven- 
cus,  ein  Zeitgenosse  Constantins  I.,  an.  Dieser  optimus  versificator  hat  sein  haupt- 
werk  in  engem  anschluss  (pene  verbum  ad  verbum  transferens)  an  die  evangelien, 
besonders  an  Lukas,  geschrieben,  denn  er  weite  verbis  simplicibus  ecclesiae  lactare 
infantulos.  Daher  muste  er  auf  mystische  auslegungen  verzichten,  was  ihm  auch 
der  grosse  umfang  des  Stoffes  gebot.  —  Dem  rechtgläubigen  und  in  den  Schriften  der 
hL  Väter  wolbewanderten  Pros  per  (sermone  scolasticus,  assertionibus  subtilissimus) 
verdanken  die  tiruncuH  scolares  eine  samlung  der  Sentenzen  Augustins,  die  der 
abwechselung  wegen  teils  in  prosa,  teils  in  elegischen  versen  abgefasst  sind.  Aus  dem 
genanten  kirchenvater  sind  auch  seine  epigrammata  geschöpft,  doch  hat  er  selbst 
auch  manche  exhortationes  hinzugefügt.  Er  will  den  leser  ermahnen,  die  weit  zu 
verachten,  die  laster  zu  verabscheuen,  die  tugenden  zu  pflegen  und  die  Seligkeit  zu 
erstreben.  Auch  seine  chronik  von  der  erschaffung  des  ersten  menschen  bis  zui*  ein- 
nähme Borns  durch  Geserich  wird  nebenbei  erwähnt  (composuisse  dicitur).  Er  war 
ein  Aquitanier  und  lebte  zur  zeit  des  papstes  Leo,  entsagte  zulezt  seiner  schriftstel- 
lerischen tätigkeit,  seiner  gattin  (vgl.  Teuffei,  §  460,  5)  und  der  weit,  um  sich  die 
lezte  zeit  seines  lebens  den  werken  der  frömmigkeit  zu  widmen.  —  Theo  dolus,  ein 
söhn  christlicher  eitern,  wurde  in  Italien  geboren  und  studierte  in  Athen.  Er  will 
von  den  heidnischen  lügen  abraten  und  die  Wahrheit  der  hl.  schrift  empfehlen;  daher 
heisst  er  mit  recht  Theodolus  =  dei  servus  oder  Theodorus  =  dei  inspector.  Seine 
ekloge,  in  der  er  heidnisches  und  christliches  zusammengefügt  und  die  lüge  und  die 
Wahrheit  mit  einander  streitend  dargestelt  hat,  aufs  genaueste  zu  feilen,  ist  er  durch 
den  tod  verhindert  worden.  Dass  er  in  dem  werte  secretum  (in  v.  320  der  ekloge) 
die  erste  silbe  kurz  braucht,  darf  jedoch  nicht,  wie  einige  wollen,  als  ein  zeichen 
von  flüchtigkeit  angesehen  werden,  vielmehr  ist  nach  Eonrads  koi\jektur  an  der 
betreffenden  stelle  „et  Troianum  lauderis  scire  sacratum^  (sacratum  PaUadis  simula- 
cmm)  zu  lesen.  „Beatus,  qui  non  offendit  in  verbo**.  Auf  die  frage  des  Schülers, 
was  eine  ekloge  sei,  wird  ihm  geantwortet,  das  wort  bedeute  caprinus  sermo,  entweder 
weil  die  ekloge  von  hirten  handele,  wie  Virgils  bucolica,  oder  weil  sie  die  hässlichen 
laster  geissele,  durchweiche  der  bock  sich  auszeichnet.  Nachdem  der  lehrer  auseinan- 
dergesezt  hat,  was  man  bei  der  lektüre  der  gedachten  ekloge  zu  berücksichtigen  habe, 
wendet  er  sich  zu  Arator.  Dieser  lebte  zur  zeit  des  Cassiodorus  und  Priscianus, 
befand  sich  in  dem  von  den  Goten  belagerten  Rom,  wurde  vom  papst  Yirgilius 
befreit  und  zum  subdiaconus  geweiht  Seiner  metrischen  darstelluug  der  actus  apo- 
stolorum  schickte  er  zwei  voi'worte  an  Yirgilius  und  Florianus  voraus.     Die  dichtung 


270  AXAHOP 

begint  mit  der  himmelfahrt  des  herrn  und  reicht  bis  zum  märtyrertode  des  Petras 
imd  Panlus.  Im  widerspräche  mit  Eusebius  Ittsst  er  ebenso  wie  Pmdentias  -zwischen 
der  kreozigiing  des  ersteren  nnd  der  enthauptong  des  lezteren  ein  jähr  veistreicheo, 
während  doch  beide  apostel  an  einem  und  demselben  tage  unter  Nero  das  martyiium 
erlitten  haben.  Ein  solcher  irtum  ist  aber  verzeihlich  und  nicht  schwer  wiegend  bei 
einem  schriftsteiler,  der  die  rechte  gesinnung  gegen  seinen  schöpfer  und  den  wahren 
£^ben  hat  —  Den  vorher  besprochenen  autoren  ist  Prudentius  anzuschliessen, 
welcher  seinen  ausgezeichneten,  klaren  Stil  seiner  beschäftigung  mit  weltlicher  und 
geistlicher  litteratur  verdankt  Er  soll  aus  der  landschaft  „Traconia^  stammen, 
welche  nun  wegen  der  schlangen  unbewohnbar  ist,  war  dreimal  consul  und  liess  sidi 
schliesslich  taufen.  Seine  werke  werden  kurz  aufgezählt,  worauf  der  lehrer  ausfuhrlicher 
auf  iohalt  und  tendenz  seiner  psychomachia  einübt,  die  sich  in  seinen  händen  befindet 
Die  lebenszeit  des  autors  hat  der  ver&sser  zwar  angeben  wollen;  da  ihm  jedoch 
augenscheinlich  darüber  nichts  bekant  war,  so  hat  er  eine  lücke  gelassen  (wie  spä- 
ter auch  bei  Homer).  —  Dem  Tullius  als  Prosaschriftsteller  ist  kaum  einer  seiner 
Vorgänger  und  nachfolger  zu  vergleichen.  Seine  werke  de  amicitia  und  de  senectute 
sind  dem  Atticus  gewidmet,  nach  welchem  sich  der  schüler  erkundigt  Nachdem  der 
lehrer  von  dem  freunde  Cioeros  und  von  der  veranlassung  zur  abfassung  der  beiden 
werke  gesprochen,  geht  er  auf  anordnung  und  inhalt  der  erstgenanten  schrift  ein. 
Dabei  benuzt  er  die  gelegenheit,  von  den  prologen  überhaupt  und  den  4  arten  der 
exhortatio  (ab  utili,  ab  honesto,  a  possibili,  a  neoessario)  zu  sprechen.  Der  schü- 
ler fragt  dann  nach  den  büchem  de  senectute,  „de  rhetorica'^  und  dem  „liber  invec- 
tivarum''  (aus  s.  55,  2  fgg.  kann  man  schliessen,  dass  die  Gatilinarischen  reden 
gemeint  sind),  doch  wird  nur  die  zuerst  genante  schrift  im  folgenden  besprochen,  wäh- 
rend Konrad  von  den  übrigen,  sowie  von  den  lebensumständen  Cioeros  ganz  schweigt 
Mit  recht  scheint  uns  daher  E.  Voigt  in  der  fieutschen  litt.-ztg.  1889,  nr.  41  hier 
wie  an  einigen  anderen  orten  eine  lücke  anzunehmen.  —  Sallustius,  der  nach  Kon- 
rad zur  zeit  des  kaisers  Augustus  blühte  und,  abgestossen  von  den  ausschweifungen 
seiner  jugendgenossen,  sich  der  schriftstellerei  widmete,  schildert  in  Catilina  und 
Jugurtha  zwei  bösewiohte,  von  denen  der  eine  innere,  der  andere  äussere  kriege 
erregte;  sie  sollen  dem  leser  als  abschreckende  beispiele  dienen.  Der  gesohichte  der 
CatiHnarisohen  Verschwörung  ist  ein  prologus  ezcusatorius  praeter  rem  vorausgeschickt, 
dessen  unterschied  von  einem  prologus  ante  rem  dem  schüler  erörtert  wird.  —  Auf 
die  frage  des  lezteren,  warum  denn  Boetius,  von  den  römischen  sohriflsteUem 
ingenio  üusundiaque  ülustrissimus ,  der  nun  ausführlicher  behandelt  wird,  seinem 
werke  de  consolatione  philosophiae  nicht  auch  einen  prolog  vorausgeschickt  habe, 
wird  ihm  erwidert,  dass  der  titel  des  buches  mit  wenigen  werten  den  zweck  eines 
solohen  erfülle.  Doch  stehe  es  nicht  fest,  ob  der  titel  von  Boetius  selbst  oder  von 
anderen  herrühre.  Hierauf  werden  die  namen  und  titel  des  Schriftstellers  erklärt  und 
gedeutet,  der  begriff  philosoph  definiert  und  der  inhalt  der  gedachten  schrift  besprochen. 
Dass  sie  der  belege  aus  der  hl.  schrift  entbehrt,  ist  darauf  zurückzuführen,  dass  der 
Verfasser  die  bosheit  der  ungläubigen  (Aiianer),  unter  denen  er  lebte,  berücksichtigte, 
teils  aber  auch  darauf,  dass  er  lediglich  mit  vemunftgründen  die  weltverachtung 
predigen  wolte.  Sein  grab  hat  Boetius  zu  Pavia  an  der  seite  des  hl.  Augustinus 
gefunden,  den  er  sich  in  seiner  (ihm  fälschlich  beigelegten)  schrift  de  sancta  trinitate 
zum  vorbilde  genommen  hat.  —  Dem  Boetius  reiht  sich  würdig  Lucanus  an,  über 
dessen  Charakter  und  fähigkeiten  Konrad  sich  sehr  anerkennend  ausspricht  Er  blühte 
zur  zeit  Neros,  des  ramusculus  antiohristi,  \md  hat  dessen  leben  und  sitten  palliata 


ÜBEB  OONRIDXTS  HIBS.  KD.  S0HKF8S  271 

ütera  gegeisseli  Er  will  durch  seine  geschichte  des  büi'gerkrieges,  der  mehr  als  ein 
bdrgerkrieg  war,  und  dessen  Ursachen  und  verlauf  kui'z  angegeben  werden,  zum 
frieden  und  zur  eintracht  ermahnen.  —  Gelegentlich  der  besprechung  des  „Oracius*^, 
der  nach  Eonrad  (quelle:  Hieronymus)  im  57.  lebensjahre  zu  Rom  starb,  komt  der 
lehrer  auf  den  wert  der  weltlichen  Schriften  für  die  studirenden  überhaupt  zu  reden. 
Ihre  Weisheit  ist  keineswegs  ganz  zu  verwerfen,  doch  muss  man  es  mit  ihnen  hal- 
ten wie  mit  dem  dill,  den  man  fortwirft,  wenn  er  seine  Schuldigkeit  als  gewürz 
getan  hat;  die  beschfiftigung  mit  weltlicher  Wissenschaft  darf  nicht  von  den  geist- 
lichen Studien  abziehen.  Der  dichter  hat  sich  besonderes  verdienst  erworben  diurch 
seine  ars  poetica  (die  ausführlicher  besprochen  wird),  während  die  sermones  und 
odae  für  die  tirunculi  eine  zwar  nicht  unnütze,  aber  doch  zum  teil  verderbliche  lek- 
türe  bilden.  Doch  dürfen  wir  aus  der  vitiosa  oratio  nicht  auf  die  sitton  des  autors 
schliessen.  —  Da  es  so  viele  gute  bücher  gibt,  braucht  man  das  gold  nicht  aus  den 
unflätigen  Schriften  Ovids  herauszusuchen  und  sich  dabei  zu  beschmutzen.  Seine 
fasti,  de  Pento,  die  (ihm  falschlich  zugeschriebene)  elegie  de  nuce  und  einiges  andere 
sind  erträglich,  die  Schriften,  in  denen  er  „de  amore  croccitat*^,  und  einige  briefe 
dagegen  unleidlich.  Besonders  aber  werden  die  metamorphosen  als  heidnische  lügen 
verdamt  unter  hinweis  auf  Römer  1,  18 — 23.  Und  doch  hat  nach  met  I,  23  der 
dichter  eine  ahnung  von  dem  einigen  Schöpfer  aller  dinge  'gehabt,  ohne  ihm  jedoch 
dankbarkeit  zu  zollen.  Trotz  seiner  entschiedenen  abweisung  des  heidentums  hält 
aber  Eonrad  für  erlaubt,  werte  imd  gedanken  aus  heidnischen  autoren  in  kirchlichen 
Schriften  anzuführen,  denn  das  finden  wir  auch  bei  Moses  und  den  propheten,  fer- 
ner bei  Paulus,  Augustinus  und  Hieronymus,  und  die  Wahrheit,  bei  wem  sie  sich 
auch  findet,  stamt  schliessUch  von  gott  —  Yen  den  übrigen  6  heidnischen  Schrift- 
stellern, über  welche  der  schüler  belehii  zu  werden  wünscht,  wird  im  folgenden 
Terentius  nicht  weiter  berücksichtigt,  so  dass  wir  hier  wohl' mit  Voigt  a.  a.  o.  eine 
lücke  anzunehmen  haben.  —  Nach  wenigen  werten  über  Juvenalis,  den  satyricus 
optimus  Eomanorum,  spricht  er  kurz  von  Homers  liber  de  excidio  Trojae,  dann 
von  dem  minor  Homerus  und  Pindaiiis,  der  den  Homer  ins  lateinische  übersezte 
(vgl.  TeuiTel,  §  306,  2),  ferner  von  Persius,  der  fronte  inverecunda  die  laster  der 
Römer  geisselte,  und  erläutert  bei  dieser  gelegenheit  wort  und  begriff  satire.  Es 
folgen  dann  einige  bemerkungen  über  die  Thebais  und  die  AchiUeis  des  Statins, 
die  von  einem  und  demselben  dichter  dieses  namens  veifasst  sind,  worauf  er  aus- 
führlicher und  mit  wärme  über  den  lezten  der  von  ihm  behandelten  autoren,  Vir- 
gilius,  spricht  Er  ist  nach  dem  Zeugnisse  Augustins  ein  dichter  von  ausserordent- 
licher anziehungskraft  und  hat,  dem  humilis,  mediocris  und  grandiloquus  stilus  ent- 
sprechend, drei  werke,  die  bucolica,  die  georgica  und  die  Aenei's  gedichtet,  welche 
eine  integra  libei-alium  disciplinarum  notitia  des  Verfassers  verraten,  der  als  vers- 
künstler  von  niemandem  übertroffen  wird  und  sich  durch  die  eigenart  seiner  darstel- 
lung  auszeichnet.  Darauf  wird  der  Inhalt  der  bucolica  angegeben  und  bemerkt,  dass 
sie  nicht  in  allegorischer  weise  auszulegen  sind.  Als  beispiel  ist  eoL  in,  90  ange- 
fühlt, wo  der  dichter  den  Bavius  und  Maevius  vei-spottet  Dann  wird  der  georgica 
gedacht,  die  magna  mediocris  stili  subtilitete  geschrieben  sind,  und  schliesslich  bei 
der  Aeneis  versbau  und  spräche  gerühmt,  auch  hervorgehoben,  dass  kein  dichter, 
wenn  er  von  der  Wahrheit  abzuweichen  gezwungen  gewesen,  offioialius  et  curialius 
gefabelt  habe.  Nachdem  Konrad  den  geburte-  imd  sterbeort  Yirgils,  sowie  seine 
grabschrift  angegeben  hat,  gedenkt  er  schliesslich  noch  der  herausgäbe  der  Aeneis 
nach  dem  tode  des  Verfassers  duixih  Varius  und  Tucca. 


272  ALTHOF,  ÜBBB  00NBADÜ8  HIB8.  KD.   8CHEFS8 

Hiermit  ist  der  kreis  der  s.  67,  33  genanten  autoren  geschlossen  and  offenbar 
der  Imrsas  der  litteratorgeschichte  zu  ende  geführt  Der  Übergang  zu  dem  folgenden, 
einer  belehrung  über  die  artes  liberales  und  die  drei  teile  der  philosophie,  welche 
widerum  besonders  aus  Isidor  geschöpft  ist,  ist  allerdings  sehr  gewaltsam  und  ent- 
spricht nicht  der  bisherigsn  darstellungs weise;  daher  haben  wir  wol  auch  hier  eine 
lücke  anzunehmen.  Die  schrift  zerfalt  somit  in  zwei  teile,  einen  algemeinen,  anfang 
und  schluss,  und  einen  besonderen,  welcher  die  einzelnen  Schriftsteller  behandelt,  und 
darauf  könte  vielleicht  die  angäbe  des  Parsimonius  (s.  6)  sich  beziehen,  dass  das 
Didascalon  zwei  bücher  umfasse. 

Der  spräche  Eonrads  rühmt  Trithemius  eine  omata  sententiarum  dispositio  et 
venusti  sermonis  cultura  nach,  ja  er  spricht  lobrednerisch  von  einer  TuUiana  elo- 
quentia  derselben.  Allerdings  ,,  steht  sie  in  woltuendem  gegensatze  zu  so  manchem 
öden  machwerke  jener  zeit  und  entbehrt  nicht  einer  gewissen  frische  und  freund- 
lichen wärme  ^,  doch  finden  sich  Verstösse  gegen  die  grammatik,  wie  sie  das  mittel- 
alterliche latein  aufzuweisen  pflegt,  und  die  ausdrucksweise  ist  mitunter  etwas  weit- 
schweifig. Auch  fallen  öfters  widerholungen  auf;  allein  wir  haben  an  die  schrift  als 
an  ein  lehrbuch  nicht  lediglich  den  ästhetischen  massstab  zu  legen,  und  wenn  wir 
uns  den  alten  magister  im  kreise  seiner  schüler  denken,  wie  er  nach  dem  grund- 
satze  „repetitio  est  mater  studiorum*^  seinen  lehrstoff  behandelt,  so  werden  wir  diese 
umschreibenden  erklär ungen  wol  am  platze  finden. 

Die  quellen,  aus  denen  Eonrad  schöpfte,  sind  besonders  sogenante  accessos- 
handschriften,  Isidor,  Bemhardus  Trsg'ectensis,  Augustinus,  Hieronymus,  Boetius, 
Servius,  Alkuin,  Bhabanus  Maurus,  Abälard  und  des  verfasseiis  lehrer  Wilhelm, 
deren  benutzung  unter  dem  in  sorgfältiger  und  schonender  weise  verbesserten  texte 
ausführlich  nachgewiesen  zu  haben,  ein  besonderes  verdienst  des  herausgebers  ist 
Trotz  der  benutzung  dieser  zahlreichen  quellen  ist  die  arbeit  jedoch  keineswegs  eine 
blosse  kompilation,  sondern  zeugt  von  umfassenden  Studien  und  selbständigem  urteile 
des  Verfassers.  Dabei  ist  vor  allem  hervorzuheben,  wie  er,  im  gegensatz  zu  dem 
grossen  Alkuin,  der  im  alter  das  Studium  des  einst  so  geliebten  Yirgil  als  gefahr- 
bringend veixlamte,  trotz  seines  bestimt  ausgesprochenen  kirchlichen  Standpunktes 
sich  der  heidnischen  litteratur  gegenüber  nicht  ablehnend  verhält,  neben  entschie- 
dener Verwerfung  Ovidianischer  Schriften  anderen  Schriftstellern,  besonders  Yirgil 
seine  anerkennung  nicht  versagt  und  der  Wahrheit,  wo  sie  sich  auch  findet,  göttlichen 
Ursprung  zuerkent 

Was  seinen  pädagogischen  Standpunkt  betrift,  so  ist  dem  mittelalterlichen 
Schulmeister  die  bedeutung  der  lateinischen  klassiker  für  die  formale  bildung  noch 
verschleiert.  Auch  sollen  sie  seiner  meinung  nach  nicht  um  ihrer  selbst  willen  stu- 
diert werden,  vielmehr  sind  sie  ihm  nur  mittel  zum  zwecke.  Sie  sollen  zum  Stu- 
dium der  geistlichen  Schriften  geschickter  machen  und  deren  zweck,  absehen  vor  den 
lästern  und  lust  zu  den  tugenden  zu  erwecken,  erfüllen  helfen. 

Die  art  und  weise,  wie  Eonrad  seinen  lehrstoff  behandelt  hat,  veitüent  alles 
lob.  Um  nicht  zu  ermüden,  hat  er  die  theoretischen  erörterungen  teils  vor,  teils 
hinter  die  eigentliche  litteraturgeschichte  gestelt  und  bei  der  besprechung  der  einzel- 
nen dichter  und  deren  werke  an  passender  stelle  weitere  belehrungen  über  rhetorische, 
philosophische  und  religiöse  fragen  eingestreut.  Die  zu  behandelnden  autoren  hat  er, 
dem  Standpunkte  der  schüler  entsprechend  vom  leichteren  zum  schwereren  fortschrei- 
tend, in  drei  gruppen  geteilt  und  die  einzelnen  nach  den  genanten  4  gesichtspunkten, 
doch  in  abwechselnder  reihenfolge  und  mit  verschiedener  ausführlichkeit  behandelt, 


ÜBBB  YBNÜSelB'rLBIN  ED.  Y.  WALDBBRG  273 

auch  die  Verbindung  zwischen  den  einzelnen  abteiluDgen  durch  immer  wechselnde, 
meist  durch  fragen  des  schülers  gebildete  Übergänge  in  geschickter  weise  herzustellen 
verstanden. 

So  bildet  denn  dieser  vom  Verleger  sehr  hübsch  ausgestattete  katechismus  der 
litteraturgeschichte  einen  wertvollen  beitrag  zur  geschichte  des  gelehrten  Unterrichtes 
in  den  klosterschulen  des  mittelalters,  und  wir  sind  dem  sachkundigen  herausgeber 
für  seine  fleissige  arbeit  zu  grossem  danke  verpflichtet. 

WmCAB,  IM  DECEMBER  1890.  HEBMANN  ALTHOF. 


Venus -gärtleio.  Ein  liederbuch  des  XVII.  Jahrhunderts.  Nach  dem 
drucke  von  1656  herausgegeben  von  Max  freihen-n  von  Waldberg.  (Braunes 
neudrucke  nr.  86—89).    Halle,  Max  Niemeyer.  1890.    XLVI  u.  220  s.    2,40  m. 

Trotz  des  erfolgreichen  eifers,  mit  dem  in  Deutschland  das  sammeln  und  ^sich- 
ten der  spuren  volkstümlicher  lyrik  betrieben  worden  ist  und  betrieben  wii'd,  fehlt 
es  doch  bis  jezt  volständig  an  einer  klaren  einsieht  über  die  entwicklung  des  deut- 
schen Volksliedes  seit  den  dreissiger  jabren  des  siebzehnten  Jahrhunderts.  Diese  tat- 
sache  erklärt  sich  einmal  daraus,  dass,  wenn  auch  von  den  heute  noch  im  volke 
gesungenen  und  in  zahlreichen  samlungen  vorliegenden  liedern  viele,  ja  die  meisten 
dem  ausgang  dos  17.  oder  dem  beginn  des  18.  Jahrhunderts  ihre  entstehung  ver- 
danken, doch  naturgemäss  nur  wenige  leser  oder  hörer  die  zeit  ihres  urspiiinges  sofort 
richtig  zu  bestimmen  wissen.  Andereraeits  sind  die  gedruckten  und  handschriftlichen 
liodersamlungen  und  einzoldrucke  von  der  zweiton  hälfte  des  17.  Jahrhunderts  an 
schwer  zugänglich  und  nur  wonigen  bekant,  und  von  neueren  samlungen  der  Volks- 
lieder des  17.  und  18.  Jahrhunderts  ist,  genau  genommen,  nur  eine  zu  verzeichnen. 
Man  kann  es  daher  nur  als  wünschenswert  bezeichnen,  wenn  zunächst  die  lieder- 
samlimgen  dieser  periode  wider  leicht  zugänglich  gemacht  worden,  und  muss  mit  dank 
die  emeuerung  eines  für  die  geschichte  des  deutschen  volksgesanges  wichtigen  lieder- 
buches  entgegennehmen,  welche  M.  von  Waldberg  in  dem  vorliegenden  neudruck 
unternommen  hat. 

Das  Yenusgärtlein ,  von  welchem  noch  drei  ausgaben  aus  den  jähren  1656, 
1659  und  1661  vorhanden  sind,  gibt  uns  eine  ungefähre  Vorstellung  von  dem,  was 
um  die  mitte  des  17.  Jahrhunderts  in  den  breiten  schichten  des  Volkes  gesungen  wor- 
den ist,  und  zeigt  uns,  welche  lieder  algemeiner  beliebtheit  sich  erfreuten.  Es  ent- 
hält einige  ältere  Volkslieder,  sehr  viele  geselschaftslieder  und  ebenfals  sehr  viele 
erzeugnisse  der  kunstlyrik  des  17.  Jahrhunderts.  Die  leztgenanten  hat  der  herausgeber 
alle  nachgewiesen,  für  die  anderen  lieder  mögen  hier  noch  einige  nachweise  die  ein- 
leitenden bemerkungen  des  herausgebers  ergänzen. 

Nr.  50.  S.  65.  Wir  zweene  sind  hie  alleino  in  einem  fl.  bl.  von  1616: 
Drey  Schöne  Newe  Lieder.  Das  Erste.  Wir  Zwey  sind  hie  allein,  niemand  kan  vns 
sehen,  etc.  In  seiner  eigen  Melodie.  Das  Ander.  Mütterlein,  was  soll  ich  thun? 
Michelein  vnsers  Nachbarn  Sohn,  schmatzt  mich,  etc.  Das  Dritte.  Der  Liebste  mein 
hat  mich  verlassen,  die  (sie!)  mich  hat  zum  fall  gebracht  Gedruckt  Im  Jahr  1616. 
(Eönigl.  bibl.  zu  Berlin,  Ye  1241.) 

In  der  strophenzahl  übereinstimmend.  Ich  verzeichne  die  wichtigsten  Varian- 
ten: I.  1.  Wir  zwey  sind  hie  allein,  n.  2.  mit  euch  zu  machen  ein  red.  IE.  3. 
wenn  mein  Mutter  kem,   vnd  den   (denn).    IV.  1.   Nun  solt  jhr   drinnen  wachen. 

ZBRSOHBm  F.   DEUTSCHE  PHILOLOOIE.      BD.    XXV.  18 


274  ELUIVOIB 

lY.  4.  hey  hey  seyd  zufrineiL  IV.  7.  dz  bitt  ich  euoh  mein  allerliebst  liebelein. 
y.  1.  Warumb  dürfft  jr  diß.  V.  6  und  7.  bleib  stan,  bleib  stan,  bleib  stan,  schöns 
Lieb  ich  hab  zur  stund  mit  euch  gethan.  YL  1.  Ach  was  sol  das  gesein.  2.  jr  thut 
mir  so  grosse  pein.  3  u.  fg.  mir.  YII.  1  u.  2.  Anders  nichts  Venus  Kind,  als  was 
ewer  Mutter  benimpt.  6.  u.  7.  aber  acht,  gute  nacht,  ade  sohöns  Ueb  halt  mich  in 
ewer  gedacht 

Nr.  53,  8.  68.  Kehr  vmb  mein  Seel,  vnd  trawre  nicht  Ich  yermag 
Yon  diesem  liede  nur  einen  späteren  druck  aus  dem  jähre  1684  nachzuweisen,  der 
aber  wahrscheinlich  ein  älteres  fliegendes  blatt  nachdruckt:  Vier  schöne  neue  lieder. 
(Hierauf  folgen  die  anfange.)  Qetruckt  im  Jahr,  1684.  (Königl.  bibl.  zu  Berlin,  Ye 
5706.)  Der  druck  ist  deshalb  von  so  hohem  interesse,  weil  wir  aus  ihm  erfahren, 
auf  welches  ereignis  sich  unser  lied  bezieht  Das  erate:  Ein  gar  trauriges  lied.  Von 
einem  Studenten,  welcher  im  Jahre  1606.  zu  Frankfort  an  der  Oder  sich  mit  einer 
Jungfrau  verehelichet,  und  vor  der  Hochzeit  in  seine  Heimaht  gezogen,  sein  Heu- 
rahtgut  zu  hoUen,  und  also  ein  wenig  über  die  zeit  aufigebliben,  also  hat  die  Braut 
(aufi  zwang  ihrer  Eltern)  einen,  welcher  reicher  gewesen  ist,  nemmen  müssen,  als 
aber  der  erste  wider  kommen  und  erfahren,  daß  die  Braut  einen  anderen  yerheurahtet 
Als  hat  er  dises  lied  gemacht,  und  Abends  vor  ihrer  Thür  gesungen  und  letstlich 
sich  erstochen.  Allen  Venus  Rinderen  zur  wahmung  füi^gestelt,  und  in  der  Melodey: 
Nun  laßt  uns  den  Leib  begraben,  usw. 

Dieser  druck  des  liedes  stimt  mit  dem  Venusgartlein  nur  im  algemeinen  über- 
ein, im  einzelnen  finden  sich  in  jeder  zeile  Tarianten.  Da  das  lied  indessen  im  Vg56, 
im  fl.  bl.  53  Strophen  umfasst,  so  müssen  wir  es  uns  versagen,  die  sämtlichen 
abweichungen  aufzuzählen.  Die  Strophen  sind  in  dem  einzeldruck  an  mehreren  stel- 
len anders  angeordnet  als  im  Venusgartlein.  Str.  11,  28,  31,  51  und  54  finden  sidi 
nicht  in  dem  fliegenden  blatt,  dagegen  haben  wir  in  dem  einzeldruck  zwei  Strophen, 
welche  in  dem  Venusgartlein  nicht  enthalten  sind.  Und  zwar  nach  str.  17  im  Vg. 
folgendes:  Sag  nun  herzallerliebste  mein, 

Heißt  das  nicht  recht  geliebet  seyn? 

Weil  durch  die  lieb  mein  Leib  und  Leben 

Wird  schändtlich  in  den  Tod  gegeben. 
Femer  nach  str.  47  des  Vg: 

Und  wenn  dich  dünkt  für  über  seyn, 

Die  trübe  Wölk,  all  Qual  und  Pein, 

Was  du  zuvor  im  Spiegel  gsehn, 

Wird  erst  mit  rechtem  Ernst  angehen. 
Als  zweites  lied  gibt  der  einzeldruck  eine  antwort  des  mädchens,  um  dessen 
willen  sich  der  Verfasser  unsres  gedichtes  den  tod  gegeben  haben  soll.  (Das  Ander: 
Ist  die  Antwort  der  Personen,  um  welcher  willen  sich  der  Student  erstochen:  Im 
Thon,  Ach,  daß  ich  könt  von  herzen  singen,  usw.)  Das  lied  erscheint  mir  merk- 
würdig genug,  um  es  hier  mitzuteilen. 

Ach  höret  zu  mit  klagen, 

Ihr  Jüngling  und  Jungfräulein, 

Was  ich  euch  jez  wil  sagen, 

In  disem  Liedelein, 

Werd  ohn  zweiffei  gehört  han. 

Das  Lied  von  einem  Studenten, 

Der  ihm  selbs  Leid  anthan. 


ÜBEB  YINÜSGÄBILKIN  ED.  V.   WALDBKRa  275 

2.  Wegen  das  sich  vermählet, 
Sein  allerliebstes  lieb, 

Und  ein  ander  erwehlet, 
Weil  er  so  lang  außblib, 
Das  bracht  ihn  in  so  grosse  noht, 
Daß  er  sich  selbs  erstochen, 
Ja  ganz  yerwundt  in  Tod. 

3.  Bin  ich  doch  nicht  gewesen. 
Die  ürsaoh  nur  allein. 

Hat  drnm  noch  nicht  vergessen, 
Der  Treu  und  liebe  sein, 
Die  ürsach  war,  weil  mir  zokam. 
Ein  falscher  Brief,  drauf  ^  stunde, 
Sein  Pittschaft  und  sein  Nam'. 

4.  Darinnen  war  zu  lesen, 
loh  seit  hinfort  nunmehr, 
Seiner  gänzlich  vergessen. 
Er  kam  doch  nimmer  her, 

Er  het  sein  lieb  gesezet*  nun 
Auf  eine  die  ihm  lieber. 
Als  aller  Welt  Reichthum. 

5.  Als  ich  den  Brief  gelesen. 
Mit  schrecken  und  grossem  Leid, 
Wurd  mir  mein  Herz  besessen 
Mit  eitel  Traurigkeit, 

Mein  Herz  stets  seufzt  und  klaget  sehr, 
Ach  du  Liebster  auf  Erden, 
Seh  ich  dich  nimmermehr. 

6.  Der  Brief  hat  mich  betrogen, 
Und  ihn  gebracht  in  Tod, 

War  falsch  und  alles  erlogen, 
0  weh  des  Jammers  tmd  Noht, 
Den  Brief  doch  nur  geschrieben  hat. 
Ein  falsches  Herz  und  Hände, 
Und  mich  abwendig  gemacht 

7.  Drauf  hab  ich  mich  vermählet. 
Ein  ganzes  Jahr  hernach, 

Und  mir  zum  Trost  erwehlet, 
Dem  ich  vertraut  mein  klag. 
Mein  nicht  änderst  dann  alles  wahr. 
Was  mir  ward  zugeschriben. 
War  seine  Meynung  gar. 

8.  Da  er  doch  oft  geschriben. 
Ich  solt  beständig  seyn, 

1)  Text:  cUuranf.  2)  Text:  Namon.  8)  Text:  gesezt 

18* 


276  ILUNOKB 


Aber  wo  sind  geblieben, 
Dieselbig  Briefelein, 
Keinen  ich  nie  empfimgen  hab, 
Bezeug  ich  mit  Mond  and  Herzen, 
Bis  in  mein  tranrigs  Grab. 

9.  Wie  wahr  du  nun  gesungen, 
0  du  mein  treuster  Hort, 
Freilich  werd  ich  verdrungen, 
Von  eim  zum  andern  Ohrt, 

Dein  Geist  der  thut  mich  quelen  sehr. 
Daß  ich  kein  Bast  noch  Ruhe, 
Ejm  haben  nimmermehr. 

10.  Ich  schlaffe  oder  wache, 
So  komst  mir  zu  Gesicht, 
Dein  jähmerliche  Klage, 

Hat  kein  aufhören  nicht, 

Dein  bleicher  Mund,  dein  töttlich  Wund, 

Zeigst  mir  zu  allen  Zeiten, 

Wann  dann  erst  komt  die  Stund. 

11.  Daß  ich  von  hin  sol  scheiden, 
Hast  du  gesungen  mir, 

Da  muß  ich  erst  dann  leiden. 
Was  nicht  geschehen  hier, 
Sol  ich  dann  haben  gar  kein  ruh. 
Das  muß  ja  Gott  erbarmen. 
Das  klag  ich  immer  zu. 

12.  Mein  ist  doch  nicht  alleine. 
Die  Schuld,  wie  vor  gehört, 
Dannoch  so  leid  ich  Peine, 

Weil  er  sich  hat  ermördt, 
Von  meinetwegen  mir  allein. 
Ach  Gott,  tröst  du  sein  Seele, 
und  b^hüt  mir  auch  die  mein. 

13.  Diß  liedlein  hab  ich  dichtet, 
Auß  traurigem  Gemüht, 

Da  mit  ich  mir  berichtet, 

Daß  mich  allein  verfuhrt, 

Das  falsche  Schreiben,  welches  mir. 

Zukommen  und  berichtet. 

Er  komme  nimmermehr. 

14.  Ihr  Jüngling  und  Jungfrauen, 
Nemt  difi  Liedlein  in  acht, 

Und  thut  nicht  allzeit  trauen, 
So  euch  wird  zugebracht. 
Schreiben  von  eurem  lieblein, 
Daß  ihr  nicht  werd  betrogen, 
Und  komt  in  gleiche  Pein. 


ÜBIB  YXNüSGXbILIIN  ID.  Y.   WALDBERG  277 

Wenn  in  dem  lied:  Kehr  umb  mein  8eel  eine  grosse  reihe  von  mfinnem 
aus  der  biblischen  geschichte,  namentlich  aber  ans  dem  klassischen  altertom  ange- 
führt wird,  welche  die  liebe  los  nnglück  gestürzt  hat,  so  ist  das  ein  zng,  der  dem 
geselschaftsliede  des  endenden  16.  und  beginnenden  17.  Jahrhunderts  eigentümlich 
war\    Yenusgärtlein,  s.  71  des  Ndr.  str.  26 — 31. 

Troja  das  edle  Königreich 
Geschleiffet  war  der  Erden  gleich, 
Mancher  Fürst  vmb  die  Helenam, 
Erbärmlich  vmb  sein  Leben  kam. 

Julius  Cesar,  Hannibal, 
Tarquinius  und  Atribai, 
Ja  Adam,  Loth  und  Salomon, 
David,  Samson  und  Absalon. 

Dydo  die  edle  Königin, 
Ihrs  Lebens  war  ein  Mörderin, 
Aus  Liebes  Brunst,  die  sie  gewann, 
Zu  Enea  dem  kühnen  Mann. 

Leonhard  (Leander)  in  dem  Meer  umbkam. 
Da  er  zu  seiner  liebsten  schwam, 
Die  Billis  sich  zu  tode  weint, 
Da  sie  verlohr  jhm  liebsten  Fi*eund. 

Hipos  erhencket  worden  ist, 
Bonis  erschossen  wie  man  list, 
Narcissus  durch  sein  eigen  Lieb, 
Seins  Lebens  worden  ist  ein  Dieb. 

Acteon  ein  Jüngling  zart, 
Von  Hunden  sein  zerrissen  ward, 
Ynd  andere  ynzehlich  mehr, 
Welches  lang  zu  erzehlen  wer. 

Dazu  vgl.  man  nun  ein  lied,  das  in  der  vorliegenden  gestalt  zwar  nur  für  das 

ausgehende  siebzehnte  Jahrhundert  bezeugt  ist,  aber  in  einzelnen  teilen  sicher  bis  zu 

der  wende  des  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhunderts  sich   zurückführen  lässt: 

Vormals  hab  ich  jederzeit  das  LiebeD   ganz   veracht  (Gantz  neuer  Hans 

guck  in  die  Welt,  nr.  77;   Zwey  neue  weltliche  Lieder  nr.  2.    Berliner  königl.  bibl.; 

Jungfern-  und  Junggesellen -Noth,   [Liedersamlung  aus  d.  anf.  d.  18.  jahrh.]   s.  17 

fgg.)  Str.  5  — 12. 

Adam  war  mit  Hohn  und  Spott, 

Durchs  erste  Weib  verführt, 

1)  Oelegentlich  Usst  sioh  tthnliohes  aaoh  schon  in  nnseier  älteren  littentnr  nachweisen;  vgl. 
Bonen  Edelstein,  nr.  67,  s.  99  der  ausgäbe  von  PfeilFer: 

hdr  Adam  wart  ertcBret, 

Troje  wart  zeetosret, 

h6r  Sampson  wart  erUendet, 

hdr  Salomon  geschendet, 

der  tdt  man  wart  erhenket. 
Die  lexte  seile  spielt  anf  die  matrone  ron  Ephesos  an. 


278  BxnreiB 


Und  die  beiden  Töchter  Loih, 

Unwissent  er  berührt, 

Da  sie  giengn  zum  Freuden -tantz, 

Yerlohren  sie  den  Jungfer -Krantz, 

Das  bringt  die  Leffeley, 

Yanitatnm  Yanitas,  ist  lauter  Fantasey. 

Mopsus  war  ein  grober  TropfF, 
Er  nahm  sich  doch  ein  Weib, 
Debore  schor  Simsons-Kopff, 
Und  bracht  ihn  um  sein  Leib, 
Jacob  diente  Yiertzehn  Jahr, 
Um  eine  Jungfer,  das  ist  war, 
Warn  das  nicht  Jecken  drey, 
Yanitatum  Yan.  usw. 

David  war  ein  frommer  Mann, 
Ein  Mann  nach  Gottes  Hertz, 
Dennoch  gieng  er  tapfer  dran, 
Und  liebte  Frauen- schertz, 
Häts  gekost  sein  Königreich, 
Oalt  es  ihm  doch  alles  gleich, 
Noch  bleibet  er  dabey, 
Yanitatum  Yan.  usw. 

Salomon  ein  weiser  Mann, 
Wie  die  SchrifR;  von  ihm  zeugt. 
Er  grieff  vielen  Weibern  dran 
Und  beugte  seinen  Leib, 
Tausend  Weiber  eins  so  viel, 
War  das  nicht  ein  Yenus- Spiel, 
Doch  bleibet  er  dabey, 
Yanitatum,  Yan.  usw. 

Ti-oja  wer  zerstörte  dich? 
Nur  eine  schöne  Frau, 
nion  brennt  jämmerlich. 
Der  Welt -berühmte  Bau, 
Doch  damit  ist  nichts  gethan, 
Mancher  Held  mufi  auch  daran, 
Das  macht  die  Jauckeley, 
Yanitatum  Yan.  usw. 

Der  Römer  ihre  Tapfferkeit, 
Gehöret  auch  hieher. 
Da  Leander  sehwinmien  wolt 
Zur  Liebsten  übers  Meer, 
Er  versang  und  gieng  zu  Grund, 
Ward  auch  sehr  in  Lieb  verwund, 
Yersohiede  mit  Gesohrey, 
Yanitatum  Yan.  usw. 


ÜBKR  YBNÜSGABXLEIN  KD.  V.  WALDBESa  279 

IngibuB  erhenket  sieh, 
Und  starb  gleich  wie  ein  Dieb, 
Tronius  starb  jämmerlich 
Wol  umb  sein  feines  Lieb, 
Priovis  und  Disputein, 
Sind  nicht  kommen  an  den  Beihn, 
Das  macht  die  Leffeley, 
Yanitatatom  Yan.  usw. 

Als  Narcissus  in  den  Wald, 
Zu  einem  Brunnen  kam. 
Da  vergaß  der  Narr  sein  bald, 
Sah  wie  er  war  gestallt, 
Daß  er  sich  auch  vor  Unlust, 
Sich  selbst  lieb  gewinnen  must, 
0  lieb  ihm  das  verzeih, 
Vanitatum  Yan.  usw. 

Diese  art  von  berufung  auf  Vorgänge  aus  dem  altertum  oder  der  biblischen 
geschichte  ist  dann  auch  in  das  neuere  Volkslied  übergegangen;  doch  werden  hier 
meist  nur  die  tatsachen  aus  der  bibel  beibehalten,  und  reminiscenzen  aus  dem  klas- 
sischen altertum  tauchen  nur  vereinzelt  auf.  Man  vgl.  Nicolai,  feyn.  kleyn.  Alma- 
nach  n,  24,  eine  ausführlichere  fassung  bei  Ditfurth,  Yolks-  und  geselschaftslieder 
des  17.  und  18.  iahrhunderts,  s.  55  fg.  und  mehrfach  in  fliegenden  blättern,  so  z.  b. 
Sieben  schöne  neue  weltliche  lieder  nr.  3  (K.  bibl.  Berl.  Yd  7909)  in  14  Strophen, 
auch  meine  ausgäbe  des  El.  f.  a.,  bd.  II  s.  76.  Femer  das  gedieht  Kl.  f.  a.  11,  15, 
eine  bessere  fassung  in  meiner  ausgäbe,  bd.  II  s.  73  ^.,  wo  nach  der  berufung  auf 
das  Unglück,  in  das  die  liebe  Adam,  Salomo,  Simsen  und  Holofemes  gestürzt  hat, 
auch  der  Helena  gedacht  wird,  die  den  brand  Trojas  veranlasst  hat  (Str.  7.)  Ygl. 
femer  das  aus  dem  anfange  des  18.  Jahrhunderts  stammende  lied:  Leiden,  Freuden 
ist  ein  ungleiches  Paar  (Acht  neue  arien,  nr.  8.  Königl.  bibl.  zu  Berlin,  Yd  7901, 
bd.  1),  str.  4  und  5. 

Holofemes,  David  und  Salomon, 

Diese  drey  die  Wissens  ja  schon; 

Als  Holofemes  ans  Lieben  gedacht. 

Hat  ihn  die  Judith  ums  Leben  gebracht 

Wie  auch  Simsen,  der  groß  und  starke  Held, 
Wurde  durch  Lieben  ins  Elend  gestellt. 
Als  er  der  Delila  alles  vertraut, 
Hat  sie  ihm  alle  seine  Stärke  beraubt 

Die  biblischen  beispiele  tauchen  auch  in  liedem  auf,  die  die  liebe  preisen;  so 
in  dem  lied:  Lieben  ist  meine  Lust,  Lieben  ergötzt  die  Brust  (Sechs  schöne  Nagel- 
neue Weltliche  Lieder,  nr.  2.    Kgl.  bibl.  Berlin,  Yd  7909),  str.  2: 

Adam  hat  so  gethan,  Isaac  fieng  gleichfaUs  an, 

Jacob  und  andre  mehr  waren  verliebt, 

David  hat  so  geherzt,  Salomon  so  gescherzt, 

Und  sich  in  brennenden  Flammen  geübt 

Man  sieht,  wie  das  neuere  Volkslied  elemento  aus  dem  geselschaftelied  des 
17.  Jahrhunderts  aufhimt,   aber  dieselben  volständig  umbildet,   so  dass  der  gelehrte 


280  SLZJNGIB 

aufputz  des  geselschaftsliedes  ganz  in  dem  volkstümlichen  geiste  aufgeht.  Wenn 
man  die  entstehungsgeschichte  des  neueren  Volksliedes  betrachtet,  so  muss  num  auf 
diesen  Zusammenhang  zwischen  dem  älteren  geselschaftslied  und  dem  neueren  Volks- 
lied besonders  achten,  da  sich  aus  ihm  manche  lehrreiche  resultate  ergeben. 

Die  verwantschaft  des  liedes:  Kehr  vmb  mein  Seel  vnnd  trawre  nicht 
mit  dem  unter  nr.  105  im  Yg.  mitgeteilten  gedieht:  Phöbus  dein  instrument 
8.  145  fgg.  scheint  dem  herm  herausgeber  nicht  aufgefallen  zu  sein.  Und  doch  kann 
wol  bium  ein  zweifei  darüber  obwalten,  dass  eines  der  beiden  lieder  durch  das 
andere  beeinflusst  worden  ist  Das  ergibt  sich  nicht  allein  daraus,  dass  auch  in  dem 
zulezt  genanten  liede  beruf ungen  auf  klassische  gestalten  widerkehren,  denen  die 
liebe  den  tod  gebracht  hat,  (vgl.  str.  26.  Pyramus  aus  liebes -Trieb,  vmb  Thisbe 
ließ  den  Leib,  vnnd  Troilus,  ersterben  muß,  vmb  sein  verlohmen  Leib.)  sondern  audi 
aus  dem  umstände,  dass  ähnliche  gedanken  in  beiden  liedem  zum  teil  mit  den  glei- 
chen Worten  ausgedrückt  sind,  man  vgl.  nr.  53,  str.  42  mit  nr.  105,  str.  30;  ferner 
53,  54  mit  105,  31.  Welches  von  den  beiden  liedem  später  entstanden  ist,  wird 
sich  schwer  entscheiden  lassen. 

Nr.  63.  Das  Yoigtländer'sche  lied:  Ich  habe  offt  vor  vielen  Jahren  ist 
auch  in  beträchtlich  geküraten  einzeldrucken  verbreitet  worden:  Drey  Weltliche  Newe 
Lieder.  Im  Jahr  1646.  (Berlin  kgl.  bibl.  Ye  1650),  nr.  3  enthalt  von  den  30  Stro- 
phen des  gediohtes  nur  sieben,  nämlich  str.  1  —  3,  worauf  sich  in  folgender  reihen- 
folge  anschliessen  str.  27,  6,  30,  25. 

Nr.  64.  Ach  ich  armes  Mägdlein  klage.  Über  die  nachwirkung  dieses 
VoigÜänder'schen  liedes  ist  jezt  auf  meine  ausgäbe  der  Komödien  und  harlekinsspiele 
Christian  Beuters,  Braunes  neudrucke,  nr.  90  und  91,  s.  XIU  zu  verweisen. 

Nr.  65.  Zu  YoigÜänders  lied:  Eine  reiche  Magd  hat  Matz  sei  darauf  hin- 
gewiesen, dass  der  Aminta  der  englischen  komödianten  unmöglich  durch  YoigÜänder 
beeinflusst  sein  kann,  denn  die  von  dem  herausgeber  in  seinem  buch:  Benaissance- 
lyrik,  s.  192  fg.  angezogenen  werte  aus  dem  Aminta  finden  sich  genau  schon  ebenso 
in  der  samlung  der  englischen  komödianten  von  1630.  Will  man  eine  gegenseitige 
beeinflussung  aimehmen,  so  würde  Yoigtländer  von  dem  volksdrama  abhängig  sein. 
Das  wahrscheinlichste  aber  wird  dies  sein,  dass  das  witzwort  schon  früher  vorhan- 
den war. 

Nr.  69.  Frölich  ist  man  im  Früeling  im  Garten.  Ein  sehr  abweichen- 
der druck  von  1618  in  der  königl.  bibliothek  zu  Berlin:  Ein  schön  newes  und  kuitz- 
weyliges  Lied,  zuvor  nie  in  Track  außgangen,  au£F  die  zwölff  Monat  gericht  d Frö- 
lich ist  man  im  Früling,  im  usw.  In  seiner  eignen  Melodey  zusingen.  (Darunter 
ein  titelbild.)    d  Gedruckt  zuAugspurg,  durch  Johann  Ylrich  Schönig.  1618.  Yel301. 

Str.  1  im  Yg.  stimt  mit  kleinen  abweichungen  mit  der  ersten  strophe  des  flie- 
genden blattes  überein.    Hierauf  folgen  in  dem  einzeldruck  folgende  drei  gesetze,  die 

im  Yg.  fehlen: 

Mertz. 

Dann  der  Mertzen  dem  Erdtrioh  das  leben, 
Wirdt  safiFt  und  krafft  wider  geben, 
Thüt  vns  nach  Fruchtbarkeit  streben. 
Die  Gärten  werden  schön  zugerichtet, 
Die  der  traurig  Winter  vernichtet, 
Ynd  der  Pflfig  zum  Acker  gerichtet 


tBlB  VBirUSGÄBILBIN  ED.   Y.  WALDBEBG  281 

Aprill. 
Im  Aprill  sich  eröfibet  die  Erden, 
Die  Dämpff  daiauß  gelassen  werden, 
Die  Efilden  bringts  nimmer  ins  Gefrörte, 
Die  Bäben  und  Bäum  werden  gestatzet, 
Die  Yelder  gar  schön  gebatzet, 
Das  es  dem  Menschen  sehr  nutzet. 

May. 
In  dem  Mayen  gar  gesund  ist  das  baden, 
Wol  leben  die  Gelehrten  und  Bäthen, 
Seine  Gesellen  seit  einer  auch  laden, 
Ertzenay,  Purgieren,  Aderlassen, 
All  langkweil  und  traurigkeit  hassen, 
Ynd  fein  lustig  sein  aller  massen. 

Hierauf  folgt  str.  2  des  Yg.  mit  manchen  abweichenden  lesarten,  worauf  sich 
widerum  drei  im  Yg.  fehlende  gesetze  anschliessen: 

Junij. 
Der  Jun^  läßt  sich  vememmen, 
Wirdt  Hew  ynd  Korn  schneyden  bald  lemen, 
Darauff  rieht  man  die  Pöden  und  Thennen, 
Die  Hewwägen  werden  herför  gesetzt. 
Die  Sichel  zum  Schnitt  gewetzt, 
Die  Baum  zu  der  Arbeit  angehetzt. 

Julij. 
In  dem  Julg  mit  Bechen  und  Gabeln, 
Legt  man  das  Hew  auff  den  wagen. 
Das  sie  Hitz  ynd  durst  nit  plagen, 
Darumben  sie  sich  auff  den  Morgen, 
Mit  Flttrioh  yol  Wasser  yersorgen. 
Man  saufft  das  kein  Würth  mehr  will  borgen. 

AugustL 
Im  Augusto  wann  geschnitten  ist  das  Eom, 
Ynd  alle  Wysen  beschom. 
So  sieht  man  kein  Arbeyt  yerlom, 
Die  Bäum  yoll  Frucht  werden  gefunden. 
Die  Fässer  zum  Wein  gebunden, 
Das  soll  yns  er&'ewen  all  stunden. 

Die  str.  3  dos  Yg.,  welche  dann  folgt,  gebe  ich  ebenfals  in  der  fassung  des 
einzeldruckes,  da  diese  beträchtliche  abweichungen  im  ausdruck  aufweist;  die  Stro- 
phen über  die  drei  herbstmonate  fehlen  widerum  im  Yg. 

Herbst. 
Frölich  ist  man  im  Herbst  bey  dem  Beben, 
Die  Wein  ynd  Tranck  yon  sich  geben. 
Zu  erquioknng  das  (sie!)  Menschlich  leben, 
In  dem  wald  sich  die  Hörnlein  erhöUen, 


282  ELLXNaSB 

Wann  der  Jäger  sampt  seinoD  Gesellen, 
Thüt  ein  Instigs  feins  Jagen  anstellea. 

September. 
Im  September  das  Obst  wird  abbrocket, 
Krammetvögel  vnd  Lorohen  gelocket, 
Yil  ander  Vögel  werden  geropffet, 
Man  th6t  schon  ablesen  die  Böben, 
Die  den  lieblichen  Most  von  sich  geben, 
Der  mit  lost  wird  getnmcken  dameben. 

Ootober. 
Der  October  gibt  Wein  vber  die  massen, 
Daromb  pflegt  man  zn  zechen  vnd  prassen. 
In  Würtshänssem  anff  gassen  ynd  Strassen, 
Die  Wärme  vnd  Sommer  will  weichen. 
Die  Kälten  wlrdt  hereiner  streichen, 
Danunb  thüt  euch  mit  holtz  wolbereichen. 

November. 
Im  Noaember  der  Baum  Kirchtag  verschwinden, 
Vnd  lassen  sich  d'Gänß  noch  finden. 
Das  wir  noch  ein  frewdt  haben  könden, 
Die  Kältin  th&t  zimblich  herstreichen, 
Vnd  kommen  die  kalten  Beiffen, 
Der  Winter  wii'dt  vns  angreiffen. 

Str.  4  des  Yg.  stimt  dann  mit  der  nächsten  Strophe  des  einzeldmcks  überein, 
doch  widerom  mit  starken  abweichungen,  so  lauten  in  dem  fl.  bL  z.  4 — 6:  Die  Bäume 
am  Walde  sich  entferben  -—  Die  Bletter  daran  thun  verderben  —  Alle  Blümlein  im 
Garten  damit  sterben.    Dann  zwei  im  Yg.  nicht  vorhandene  Strophen: 

Deoember. 
Ln  December  der  trawrig  Wintter, 
Der  wird  uns  dem  nach  desto  ringer. 
Wann  wir  schlagen  faist  Schwein  und  Rinder, 
Mit  Brotwurst  und  Schweinen  Braten, 
Da  erfüllen  wir  vnsere  Zährgaden, 
Die  Keller  mit  Wein  wol  beladen. 

Januar. 
Im  Januar  man  kein  Holtz  soll  sparen. 
Die  Stuben  vor  Kälten  bewaren, 
Ist  auch  lustig  im  Schlitten  vmbfahren. 
Ein  warme  Stuben  thüt  weyt  das  beste, 
Darinn  holt  man  vil  Malzeyt  vnd  Feste, 
Sein  fein  lustig  und  frölich  die  Gäste. 

Leider  fehlt  die  lezte  seite  des  einzeldrucks,  welche,  wie  aus  dem  umwende- 
vermerk  hervorgeht,  noch  eine  den  februar  behandelnde  Strophe  und  dann  wahr- 
scheinlich die  zwei  Schlussstrophen,  mit  Yg.  str.  5  und  6  übereinstimmend,  enthielt 
Fragt  man  nach  dem  Verhältnis  der  beiden  fassungen  zu  einander,  so  scheint  die  hier 


ÜBBB  YBNITBGAKILIIN  BD.  Y.  WALDBXBG  283 

indergegebene  die  ältere  za  sein,  aus  der  dann  die  im  Vg.  vorliegende  version  erst 
durch  zusammenziehung  entstanden  wäre.  An  poetischem  wert  hat  das  lied  durch 
die  ausstossung  der  gesetze  über  die  einzelnen  monate  entschieden  gewonnen. 

Nr.  81.  S.  122.  Warumb  thustu  mich  kränoken  in  einem  11.  bl.  der 
königL  bibl.  zu  Berlin:  Drey  Weltliche  Newe  Lieder.  Das  Erste,  Warumb  thustu 
mich  krencken,  Amor  du  (titelbild).  Das  Ander,  Der  Liebste  mein  hat  mich  verlas- 
sen, der  mich  |  Das  Dritte,  Betrübe  dich  doch  nicht  so  gar,  nimb  selber  |  Im  Jahr 
1646.  Yel656.  Einen  andern  einzeldruck  citiert  Ditfurth,  Volks-  und  geselschafts- 
lieder,  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  s.  3.  Der  Berliner  druck  stimt  mit  ganz  gerin- 
gen abweiohungen  mit  dem  Yg.  überein. 

Nr.  107.  Viel  Trawren  in  meinem  Hertzen  in  einem  fl.  bl.  der  königl. 
bibL  zu  Berlin:  Drey  Weltliche  Newe  Lieder.  Im  Jahr  1645.  Ye  1611,  nr.  1  im 
wesentlichen  mit  dem  Yg.  übereinstimmend,  die  abweiohungen  sind  ganz  unbedeu- 
tend, die  wichtigste  str.  2,  z.  1  Yg.:  a£fectioniret,  ü.  bl.:  inamoriret. 

Nr.  109.  S.  150.  Joseph  liebster  Joseph  mein.  Einzeldruck  der  königl. 
bibL  zu  Berlin:  Drey  Schöne  newe  Weltliche  Lieder.  Gedruckt  im  Jahr,  1615.  Ye 
1221.  Nr.  3.  Das  lied  umfasst  in  dem  fl.  bl.  nur  neun  Strophen,  während  es  im  Yg. 
deren  zwölf  zählt,  und  zwar  fehlen  str.  6,  8  und  10.  Die  abweiohungen  sind  nicht 
erwähnenswert 

Nr.  114.  S.  158.  Mein  Hertz  ist  mir  in  der  Lieb  entzündt  in  einem 
fl.  bl.  der  königl.  bibL  zu  Berlin:  Yier  Schöne  Newe  Lieder.  Gedruckt  zu  Magde- 
burgk.    Ye  816,.nr.  3  im  wesentlichen  mit  dem  Yg.  gleichlautend. 


Das  Yonusgärtlein  kann  in  der  geschichte  des  doutschen  Volksliedes  sorgfältige 
berücksichtigung  deshalb  beanspruchen,  weil  es  uns  zeigt,  wie  es  mit  dem  lieder- 
bestand  um  die  mitte  des  siebzehnten  Jahrhunderts  bestelt  war  und  was  wirklich 
gesungen  worden  ist.  Es  sind  verhältnismässig  wenige  Volkslieder  aus  dem  sechzehn- 
ten Jahrhundert,  die  damals  sich  noch  algemeiner  gunst  zu  erfreuen  hatten;  neben 
liedem,  die  von  bekanten  Verfassern,  wie  Simon  Dach,  Bist,  Finckelthaus,  Greflin- 
ger  herrühren  (83  lieder  unter  169,  wobei  ich  die  stücke  Yoigtländers,  von  denen 
gleich  die  rede  sein  wird,  nicht  mitzähle)  gehöii  dib  gröste  zahl  der  anderen  gedichte 
dem  geselschaftslied  an.  Ein  teil  derselben  stamt,  wie  die  nachweise  zeigen,  aus  der 
zeit,  in  welcher  das  eigentliche  geselschaftslied  zu  einer  art  von  blute  gekommen  ist, 
d.  h.  aus  dem  endenden  16.  und  beginnenden  17.  Jahrhundert  Ein  andrer  teil  dage- 
gen reicht  schwerlich  viel  weiter  als  etwa  in  die  vierziger  jähre  des  17.  Jahrhunderts 
zurück.  Yei^leichen  wir  nun  diese  lieder  mit  den  stücken  des  älteren  geselschafts- 
liedes,  so  muss  der  vergleich  unzweifelhaft  zu  gunsten  des  lezteren  ausfallen.  Alle 
schlechten  eigenschaften,  die  das  ältere  geselschaftslied  besass,  sind  geblieben;  von 
den  guten  Seiten  desselben  haben  sich  die  meisten  verloren.  Das  geselschaftslied, 
wie  es  uns  aus  Hof&nanns  vortreflicher  samlung  entgegenüitt,  zeichnet  sich  durch 
eine  Zierlichkeit  und  anmut,  gewantheit  in  spräche  und  oomposition  und  eine  treu- 
herzige altfränkische  naivetät  aus,  die  ihm  namentlich  in  einzelnen  erzählenden  stücken 
vortreflich  zu  gesiebte  steht  Es  geht  ihm  ab  die  tiefe  des  gefühls,  wie  sie  uns  aus 
dem  Volkslied  des  fünfzehnten  und  aus  der  ersten  hälfte  des  sechzehnten  Jahrhun- 
derts entgegentritt;  der  ton  ist  prosaischer,  verstandesmässiger,  nüchterner,  ja,  wenn 
man  das  wort  nicht  mis verstehen  will,  spiessbürgerlicher  geworden.  Dieser  ton  stei- 
gert sich  nun  im  laufe  des  siebzehnten  Jahrhunderts;  dazu  komt,  dass  auch  die 
guten  eigenschaften,  welche  dem  älteran  geselschaftsliede  eignen,  almählich  verloren 


284  BLUNeiB 

geben.  An  die  stelle  der  Zierlichkeit  tritt  rohheit,  die  gewantheit  in  compositioD  und 
Sprache  verschwindet  In  diesem  zustande  treffen  wir  das  geselschaftslied  in  der 
zeit,  in  der  das  Yenusgärtlein  entstanden  ist,  und  ein  teil  der  in  dieser  samlung  mit- 
geteilten stücke  legt  von  dieser  herontergekommenheit  des  geselschaftsliedes  zengnis 
ab.  Der  rechte  repräsentant  dieses  Stadiums  des  geselschaftsliedes  ist  Gabriel  Yoi^- 
länder,  der  mit  seinen  plumpen  und  hölzernen  liedem  einen  ausserordentlich  grossen 
erfolg  errang.  Man  kann  es  daher  nur  als  einen  fortschritt  bezeichnen,  dass  dieser 
plumpen  Produktion  gegenüber  lieder  von  kunstdichtem,  die  in  einer  verhältnismässig 
gebildeten  spräche  auch  zarteren  empfindungen  ausdruck  gaben,  in  auihahme  kamen 
und,  wie  das  Yenusgärtlein  (s.  o.)  und  viele  einzeldrucke  beweisen,  häufig  und  gern 
gesungen  wurden.  Nur  aus  dieser  Verbreitung  der  kunstmässigen  lieder  im  volk  ist 
der  grosse  einfluss  zu  erklären,  den  die  lyrische  kunstdichtung  des  17.  Jahrhunderts 
auf  die  entstehung  des  neueren  Volksliedes  ausgeübt  hat  Diese  einwirkung  ist  ent- 
schieden eine  woltuende  gewesen;  einzelne  ihr  nicht  angemessene  demente,  wie  z.  b. 
die  horübemahme  des  so  beliebten  daktylischen  metrums  in  das  Volkslied,  hat  die 
Volksdichtung  mit  sicherem  takte  schnell  wider  ausgestossen.  Wer  diese  beeinflus- 
sung  des  neueren  Volksliedes  durch  die  kunstdichtung  auch  in  der  vorliegenden  sam- 
lung mit  bänden  greifen  will,  der  braucht  nur  einmal  Görings  adschiedslied,  s.  16  fg. 
mit  den  volkstümlichen  abschiedsliedem ,  wie  sie  seit  dem  beginne  des  18.  Jahrhun- 
derts aufkamen,  zu  vergleichen:  die  verwantschaft  in  empfindungs-  und  stimmungs- 
gehalt,  ton  und  motiven  springt  auf  der  stelle  in  die  äugen. 

Eine  andere  frage  ist,  ob  sich  in  dem  Yenusgärtlein  schon  die  anfönge  des 
neueren  Volksliedes  nachweisen  lassen.  Diese  frage  ist,  wenn  wir  den  gesamtinhalt 
des  buches  betrachten,  entschieden  zu  verneinen.  Der  typus  desselben  ist  im  wesent- 
lichen kunstdichtung  und  geselschaftslied  in  vergröbertem  zustande,  dazu  wenige 
bruchstücke  aus  den  älteren  Volksliedern  der  beiden  vorigen  Jahrhunderte.  Das  waren 
die  lieder,  die  das  volk  damals  sang  Das  Yenusgärtlein  gibt  uns,  wie  die  gleich- 
zeitigen einzeldrucke  bestätigen,  ein  volkommen  zutreffendes  bild  von  dem  zustand 
des  volksgesanges  um  1650,  wenn  es  auch  natürlich  nicht  alle  damals  gesungenen 
lieder  umfassi  Aber  die  keime  des  neueren  Volksliedes  zeigen  sich  doch  bereits, 
wenn  auch  nur  ganz  vereinzelt.  So  wird  in  dem  s.  XYII  fg.  mitgeteilten  lied  bereits 
ein  ton  angeschlagen,  der  dann  im  neueren  volksliede  weiter  ausgebildet  worden  ist 
Femer  vgl.  man  das  valetUed  s.  10.  Besonders  wichtig  ist  in  dieser  beziehung  das 
lied  s.  138  Ein  Hirschlein  gieng  im  grünen  Wald,  der  erste  vorklang  der  jäger- 
romantik,  die  nachher  einen  so  bezeichnenden  zug  des  neueren  Volksliedes  ausmacht 
Aber  diese  ganz  vereinzelten  spuren  wollen  gegenüber  der  gewaltigen  menge  der 
anderen  lieder  nichts  besagen;  und  wenn  auch  hin  und  wider  ein  vorklang  der 
gefühlsweichheit,  die  namentlich  für  das  liebeslied  des  neueren  Volksliedes  cha- 
rakteristisch ist,  auftaucht,  so  erinnert  es  doch  mehr  an  die  gleichzeitige  religiöse 
dichtung,  die  ihrerseits  ja  auch  wider  vom  volks-  und  geselschaftsUede  gelernt  hat 
Es  mag  bei  dieser  gelegenheit  darauf  hingewiesen  werden,  dass  Schefflers  schönes 
lied:  Psyche  die  verliebte  Seele  offenbar  von  dem  liede  Yenusgärtlein,  s.  58  fg.: 
Duo  mein  hochbetrübter  Sinn  beeinfiusst  worden  ist    Man  vgl.  str.  10  und  11 

des  liedes: 

Darumb  jhr  Hirten  gute  Nacht, 

Ihr  Wälder  drinnen  Echo  wacht, 

Ihr  Myrthen,  Bösen,  lalgen,  Klee, 

Thaal,  Berge,  Wiesen,  Muß,  Ade. 


ÜBKB  YINüSeABILIIR  SD.   Y.   WALDBIBG  285 

Da  auch  0  Doris  leb  in  Buh, 
Doch  schließ  den  harten  Sinn  nicht  zu^ 
LaB  deiner  Augen  Thrfinen-Baoh, 
Mir  zu  dem  Orabe  folgen  nach. 

und  Scheffler,  Heilige  Seelenlust  (Breslau  1657),   buch  lY,  nr.  6,  s.  29  fgg.,  str.  2 

^d  3"-  Gute  Nacht,  jhr  grüne  Matten, 

Gute  Nacht  du  bundtes  Feld: 
Gute  Nacht  jhr  kühle  Schatten, 
Sprach  sie,  und  du  gantze  Welt: 
Gute  Nacht  du  süsser  Bach, 
Denn  ich  folge  Jesu  nach. 

Gute  Nacht  jhr  Schäfferinnen, 
Meiner  Nachbarn  liebe  Schaar: 
Lebet  wohl,  muß  von  hinnen, 
Und  euch  lassen  gantz  und  gar: 
Gute  Nacht  jhr  Sch&ffelein, 
Und  was  mich  gekönt  erfreun^ 

Auch  in  dem  Neu  weltlichen  Liederbüchlein  finden  sich  nur  wenige 
Yorklilnge  des  neueren  Tolksliedes.  Die  samlung,  die  etwa  um  1680  anzusetzen  ist, 
zeigt  freilich  ein  anderes  aussehen  auf  als  das  Yenusgärtlein.  Neben  den  kunstdich- 
tem, zu  denen  jezt  auch  noch  Schoch  hinzukömt,  finden  wir  eine  reihe  von  wüsten 
zotenHedem  mit  den  widerwärtigsten  Zweideutigkeiten,  eine  gattung,  die  gegen  das 
ende  dee  17.  Jahrhunderts  grosser  beliobtheit  sich  erfreut  haben  muss.  Daneben  eine 
reihe  von  geselschaftSliodem,  auch  einzelne  kriegslieder.  Dass  wir  uos  bereits  nicht 
mehr  in  einer  so  unproduktiven  periode  befinden  wie  zur  zeit  der  abfassung  des 
Yenusgärtieins  zeigt  der  merkwürdig  individuelle,  und  trotz  mancher  harte  in  der 
Sprache  zu  herzen  gehende  ton  des  liedes:  Frisch  auff  mein  Gemüht,  bedaure 
nicht.  Schlag  alles  in  den  Wind  (nr.  71).  Aber  von  dem  ton  des  neueren 
Volksliedes  ist  hier  noch  nichts  zu  spüren;  dieser  zeigt  sich  ziemlich  ausgebildet  nur 
in  einem  lied  der  samlung:  Ach  wer  ist  doch  so  selig  als  ich  bin,  Der  ich 
nicht  mehr  darff  lieben  wie  vorhin.  Yolständig  ausgebildet  begegnet  uns 
indessen  das  neuere  Volkslied  erst  in  den  samlungen,  die  um  die  wende  des  sieb- 
zehnten und  achtzehnten  Jahrhunderts  gedruckt  worden  sind,  dem  Tugendhaften 
Jungfrauen-  und  Jungen-Gesellen  Zeit-Yertreiber  und  dem  Gatnz  neuen 
Hans  guck  in  die  Welt,  beide  entschieden  um  ein  oder  zwei  Jahrzehnte  jünger 
als  das  Neu  weltliche  Liederbüchlein.  Ein  lied  wie  das  in  dem  Gantz  neuen  Hans- 
guck in  die  Welt  nr.  79  mitgeteilte:  „Ach  Gott,  wie  kann  es  möglich  sein,  dass  ich 
soll  lassen  die  Liebste  mein'^  zeigt  schon  durchaus  den  wehmütig -sentimentalen  ton, 
durch  den  sich  das  neuere  volkstümliche  liebeslied  so  eigentümlich  von  dem  älteren 

1)  Vgl.  aach  Jakob  Schwinger,  Liebes-grillen,  Hambuig  1666.    III,  18: 

Der  gohte-Naoht  sagende: 
Onhte  Naofat,  ihr  sohSne  Wieseal 
Qiihte  Nacht  du  Lust  Revier, 
loh  moM  Absohied  nehmen  hihr 
Und  ein  fremdes  Land  erkiesen. 
Chihte  Nacht  gehabt  each  wol 
TTnd  lebt  hoher  Fireoden  vol. 


286  lOBGILLDr 

abhebt.  Natürlich  stehen  in  beiden  samlungen  diese  zeichen  eines  neuen  erbluliens 
der  Yolkspoesie  noch  unter  Tielerlei  älteren  und  minderwertigen  stücken;  aber  trotzdem 
ISsst  es  sich  doch  deutlich  erkennen,  dass  der  charakteristische  ton  des  neueren  rolks- 
liedes  bereits  zum  durchbruche  gekommen  ist  Ebenso  wie  die  einzeldrucke  wird 
eine  eindringende  Untersuchung  der  herkunft  der  heute  noch  im  voIke  lebenden  lie- 
der  weisen  uns  also  auch  die  liedersamlungen  auf  die  wende  des  17.  und  18.  Jahr- 
hunderts als  auf  die  zeit  hin,  in  der  die  für  das  neuere  Volkslied  entscheidenden 
Züge  gefunden  und  ausgebildet  worden  sind.  Freilich  müssen  auch  die  etwas  spfiter 
gedruckten  liedersamlungen  noch  mit  hinzugezogen  werden,  so  vor  allem  das  Berg- 
liederbüchlein, welches  keineswegs,  wie  ühland  meinte,  sehr  alte  und  weit  zurück- 
gehende lieder  enthält,  sondern  im  wesentlichen  den  liederbestand  um  1700  repiS- 
sentiert 

Die  fra^  nach  der  entstehung  des  neueren  Volksliedes  ist  bis  jezt  trotz  der 
Wichtigkeit  des  gegenständes  immer  flüchtig  nur  berührt,  und  vorsuche  zu  ihrer 
lösung  sind  kaum  gemacht  worden.  Ich  glaube,  dass,  wenn  auch  im  einzelnen  nodi 
manches  dunkel  ist,  die  oben  gegebenen  gesamtanschauungen  das  richtige  treffen. 
Sobald  meine  Studien  über  diesen  gegenständ  volständig  zum  abschlusse  gekommen 
sind,  werde  ich  den  verauch  machen,  die  firage  in  einem  grosseren  zusammenhange 
zu  beantworten. 

BUtLHI.  eiOBG  KLUKOXB. 


MISCELLEN. 

Gardinenwiese. 

In  meiner  heimatstadt  Quedlinburg  liegt  zwischen  dem  Wiperti-ldoster  und 
dem  schlossberge  ein  stück  land,  das  den  namen  der  ,,  Gar  diu en  wiese '^  führt. 
Zulezt  hat  über  diese  bezeichnung  Oberlehrer  dr.  Rudolf  Kohlmann  in  der  festschrift 
zur  feier  des  350jährigen  bestehens  des  Quedlinburger  gymnasiums  (Quedlinburg,  druck 
von  Carl  Yoges  1890,  s.  10)  gehandelt,  der  neben  der  landläufigen  erklärung  aus 
dem  frz.  jardin  auch  die  Vermutung  Brechts  in  den  erläuterungen  vor  dem  2.  bände 
des  urkundenbuches  der  stadt  Quedlinburg,  bearbeitet  von  E.  Janicke  s.  XCI:  ,i Gar- 
dinen-wiese,  d.  i.  wol  Cortinen-  oder  Wall  wiese*'  abgelehnt  hat 

Zunächst  ist  zu  bemerken,  dass  wir  in  der  Quedlinburger  bezeidinung  eine 
volksetymologische  umdeutung  des  flumamens  Gartine,  Gärtine  haben,  der  in 
dieser  form  aus  Könnern  an  der  unteren  Saale  beigebracht  ist  (s.  DWb.  4,  1418)  in 
einer  gerichtlichen  anzeige,  in  der  ein  bäuerliches  grundstück  feilgeboten  ward, 
bestehend  in  einem  husche,  einer  gartine  auf  der  Pernener  mark  und 
12  morgen  aoker.  Femer  führt  Yilmar  im  idiotikon  von  Eurhessen  s.  117  aus 
Niederhessen  die  bezeichnungen:  „In  der  Gärthine^\  „in  der  obersten  Oärikine*"^ 
„in  der  Breitengarthine^ ;  „in  denen  Qärthifien^  an.  Kohlmann  sieht  in  der  bezeich- 
nung mit  dem  deutschen  wörterbuche  eine  Weiterbildung  von  garten  in  der  bedeu- 
tung  „umzäuntes  landstück*^.  Allein  es  ist  klar,  dass  diese  bezeichnung  eine  zu 
algemeine  ist,  als  dass  sie  zu  einer  speoiellen  flurbezeichnung  hätte  werden  können. 
Ich  möchte  deshalb  vielmehr  auf  das  alte  niederdeutsche  femininum  jart,  jardtf  jar- 
den  verweisen,  über  das  die  herausgeber  dos  Mittelniederdeutschen  Wörterbuchs  bd.  2, 
s.  401  bemerken:  „Es  ist  ohne  zweifei  das  fries.  ierde,  aits.  gerde,  engl,  yard,  rute 


NKUB  xBsamaiffxjNQKif  287 

oder  messrute  gemeint,  die  von  Terschiedener  grosse  ist  Nach  der  aussage  von  land- 
leaten  ans  Zwisohenahn  (im  Ammerlande  bei  Oldenburg)  verstellt  man  nnter  Jarthen 
oder  Varyarthen  ,wendeäoker'',  d.  h.  landstreifen  auf  den  eschen,  auf  denen  der  pflüg 
umwendet,  die  daher  nicht  eher  besamt  werden  dürfen,  als  bis  die  hinter  ihnen 
liegenden  stücke  besamt  sind*^.  Ebenda  wird  erwähnt,  dass  das  wort  noch  im  Olden- 
burgischen zur  bezeichnung  von  länderstüoken  gebräuchlich  ist,  z.  b.  iun^ard, 
twi^ahrte,  Dobiakrten,  wie  es  sich  denn  appellativisch  auch  in  einer  Oldenburger 
Urkunde  von  1496  findet:  üem  ene  stucke,  heten  de  dorp  iaren,  dat  buwet  Ey- 
lere,  1  sehepel  komes,  Dass  das  westphSÜsche  und  hessische  garde,  gerde,  in  dri- 
gerde,  vifgerde  usw.,  von  denen  gardine,  gärdine  (mit  dem  ton  auf  der  zweiten 
Silbe)  regelrechte  Weiterbildungen  sind,  dasselbe  wort  ist,  ist  ebendaselbst  richtig 
bemerkt  Yilmars  meinung,  dass  gart  aus  qtMrt  entstelt  sei,  wird  mit  redit  als 
völlig  unhaltbar  hingestelt;  aber  audi  gegen  Hildebrands  (DWb.  5,  s.  1392  und  Woe- 
Btes  (Ztschr.  des  bergischen  geschichtsvereins  1872  s.  183)  erklamng,  die  es  Bxdgart, 
garten,  zäun,  umzäuntes  land  zurückführen  wollen,  wird  zurückgewiesen.  «Dagegen 
spricht  das  verschiedene  genus  und  die  bestirnte  Unterscheidung  (wenigstens  im  Old.) 
zwischen  garden  und  jart,  sowie  sachlich  der  umstand,  dass  jart,  fals  es  ein  teil 
eines  esches  ist,  niemals  eingehegt  gewesen  sein  kann,  weü  die  esche,  im  gegensatz 
zu  dem  eingehegten  Sondereigentum,  immer  offen  waren''. 

ROBXHIQC.  B.  SPBBMQIB. 


NEUE  ERSCHEINIINGEN. 


B5ttleher,  O.  und  Kinzel,  K«,  Denkmäler  der  älteren  deutschen  litteratur 
für  den  litteraturgeschichtlichen  Unterricht  I,  3:  Nibelungenlied.  YI  und  170s. 
1,20  m.  rV,  1:  Litteratur  des  17.  Jahrhunderts,  ausgewählt  und  erläutert 
X  und  130  s.    Im.    Halle,  buchhandlung  des  Waisenhauses.  1892. 

Bndtnialer,  prof.  dr.,  Goethecult  und  Goethephilologie.  Eine  Streitschrift. 
Tübingen  1892  (in  oomm.  bei  G.  Fock,  Leipzig).    lY  und  120  s.    2,50  m. 

Der  Verfasser  hat  durch  seine  Geschichte  der  poetischen  theorie  und  kritik 
von  den  disoursen  der  maier  bis  auf  Lessing  (Frauenfeld  1888.  89)  bewiesen, 
dass  es  ihm  weder  an  litteraturkentnis  noch  an  geist  fehlt  In  der  vorliegenden 
Streitschrift  zeigt  er  auch  einen  lebhaften  und  stellenweise  drastischen  schwä- 
bischen witz;  aber  von  dem  fein  abgeklärten  und  selbst  bei  scharfer  sachlicher 
gegnerschaft  stets  liebenswürdigen  humor,  den  Fr.  Yischer  bei  behandlung  der- 
selben fragen  anzuwenden  wüste,  bleibt  dieser  witz  sehr  weit  entfernt  Neben 
manchem  beachtenswerten  enthält  die  schrifb  auch  rasche  und  schiefe  urteile;  vor 
allem  ist  einzuwenden,  dass  fast  alle  männer,  die  der  verfiAsser  wegen  ihres  über- 
triebenen Goethecultus  speciell  angreift,  in  demselben  bei  weitem  nicht  in  dem 
masse  befangen  waren  und  sind,  wie  herr  Braitmaier  durch  citieren  einzelner 
äusserungen  (oder  auch  ohne  citat)  glaublich  machen  wilL  Die  lebenden  mögen 
selber  für  sich  reden,  wenn  es  ihnen  in  diesem  falle  der  mühe  wert  erscheint; 
aber  gegen  angriffe  auf  einen  verstorbenen  sollen  auch  hier  einige  werte  gesagt 
sein.  Wie  kann  herr  Braitmaier  s.  38  von  einer  abneigung  Scherers  gegen  Schil- 
ler reden?  Hat  er  niemals  die  Charakteristik  desselben  in  Scherers  litteratnr- 
geschichte  s.  581 — 613  gelesen,  die  allein  schon  zeigt,  wie  viel  verwantschaft  mit 
Schillers  geiste  in  Scherer  selbst  lag?  Goethes  werke  hat  er  bewxmdert  und  analy- 


288  NAOHRIGHnK 

siert',  Schiller  war  er  selbst  oongenial,  soweit  dies  ein  forscher  des  neunzehnten 
Jahrhunderts  einem  denlcer  und  dichter  des  achtzehnten  Jahrhunderts  nur  sein 
kann.  Wie  komt  femer  herr  Braitmaier  dazu,  die  bezeichnung  ^^Durchsduiits- 
wiener*  s.  37  fg.  mit  bezug  auf  Scherer  zu  gebrauchen,  der  —  so  lange  er  in  Wien 
wirkte  und  noch  später  —  gerade  gegen  die  mit  dieser  benennung  von  herm 
Braitmaier  gemeinten  schwächen  des  phäakentumes  und  des  mangels  an  nationa- 
lem selbstbewustsein  mit  aller  kraft  gekämpft  hat  (vgl.  z.  b.  Yortriige  und  aufiBitze  ^ 
s.  146.  192;  vgl  den  schluss  der  Utteratnrgeschiohtel)?  Wie  kann  endlich  heir 
Braitmaier  mit  bezug  auf  die  erwähnten  schwächen  sagen,  dass  Scherer  für  die 
,1  weiblichen**  Perioden  der  litteraturgeschiohte  gegenüber  den  „männlichen*  ge- 
schwärmt habe?  Die  bezeichnendste  äusserung  Scherers  bei  der  au&tellung  jener 
geistvollen  antithese  ist  (QFI2,  2):  „der  rühm  frauenhafter  zelten  ist  ihi-e  gerech- 
tigkeit,  ihre  duldsamkeit,  ihre  anerkennung  des  gegners*^.  Herr  Braitmaier  frei- 
lich scheint  einer  solchen  epoche  nicht  entsprossen  zu  sein,  o.  x. 

Die  Hvenisehe  ehronik  in  diplomatischem  abdruck  nach  der  Stockholmer  handschrift 
nebst  den  Zeugnissen  Yedels  und  Stephanius  und  den  Hvenischen  volksubeiliefe- 
rungen  herausgegeben  von  Otto  Lvltpolt  Jireecek.  (Sonderabdruck  aus  Acta 
Germanica  III,  2.)    Berlin,  Mayer  &  Müller.  1892.    XYII,  39  s.    1,80  m. 

Kelle^  Joh«,  Geschichte  der  deutschen  litteratur  von  der  ältesten  zeit  Ins 
zur  mitte  des  elften  Jahrhunderts.    Berlin,  W.  Hertz.    1892.    435  s.    8  m. 

Poesehel)  Job.,  Die  sogenante  inversion  nach  und,  Anregung  zu  einer  sprach- 
geschichtlichen Untersuchung.  [Einladungsschrift  der  landesschule  Grinmia  am 
24.  septbr.  1891.]    Grimma,  G.  GenseL    13  s.    4.    0,75  m. 

Von  der  gründlich  angelegten  und  schaifsinnig  unterscheidenden  Unter- 
suchung enthält  dieses  programm  leider  nur  den  ersten  abschnitt  Sobald  die 
volständige  ausgäbe,  welche  der  Verfasser  vorbereitet,  erschienen  ist,  soll  sie  in 
dieser  Zeitschrift  ausführlich  besprochen  werden. 

Beieke,  Job.,  Zu  J.  Chr.  Gottscheds  lehrjahren  auf  der  Eönigsberger 
Universität  I.  Eönigsberger  diss.  1892  [auch  abgedruckt  Altpreussische  monats- 
schrift  XXIX,  1.  2;   der  11.  teil  wird  in  derselben  Zeitschrift  erscheinen].    34  s. 

Wessely,  B«,  Über  den  gebrauch  der  casus  in  Albrechts  von  Eyb  deut- 
schen Schriften  unter  vergieichung  des  mhd.  und  nhd.  Sprachgebrauches.  Ber- 
lin, diss.  1892.    58  s. 

Der  Verfasser  hat  nicht  nur  fleissig  gesammelt,  sondern  auch  die  verschie- 
denen gebrauchsweisen  der  obliquen  casus  sorgfältig  gesondert  und  nicht  ohne 
scharfisinn  übersichtlich  dargestelt 


NACHRICHTEN. 

Der  ao.  professor  dr.  B.  Seuffert  in  Graz  wurde  zum  Ordinarius  emast 
Der  privatdocent  dr.  Friedrich  Kauf f mann  in  Marburg  ist  als  ao.  professor 

für  germanische  philologie  an  die  Universität  Halle  berufen;   dr.  Ernst  Elster  in 

lieipzig  ist  zum  ao.  professor  für  deutsche  spräche  und  litteratur  emant 

Herr  dr.  Albert  Eöster  (zulezt  in  Hamburg)  ist  als  ao.  professor  für  neuere 

deutsche  spräche  und  litteratur  an  die  imiversität  Marburg  berufen;   ebenso  prof.  dr. 

Berthold  Li tz mann  von  Jena  zum  1.  Oktober  an  die  Universität  Bonn. 


Halle  a.  S.,  Buchdrackerei  des  Waisonhausee. 


ÜBER  GOETHES  BRUCHSTÜCKE  DES  GEDICHTES 

„DER  EWIGE  JUDE". 

Wie  arg  die  Ooetheforschung  in  die  irre  gerät,  wenn  sie  ohne 
Steuer  und  kompass  sich  dem  meere  der  einfalle  überlässt,  zeigen  neuer- 
dings wider  Paul  Hoffmanns  „Untersuchungen  über  Goethes  ewigen  Juden" 
in  Seufferts  „Vierteljahrschrift '^  (IV,  116  — 152).  Sie  bedarf  einer  auf 
alseitiger,  durch  Übung  gereifter  kentnis  der  mittel,  welcher  die  Unter- 
suchung zu  erfolgreicher  Wirksamkeit  sich  bedienen  muss;  einer  mit 
liebevoller  soigfalt  den  spuren  der  dichtung  folgenden,  von  inniger 
Vertrautheit  mit  des  dichters  fühlen,  denken,  leben  und  streben  getra- 
genen anschauung;  eines  besonnenen,  alle  umstände  erwägenden,  durch 
keinen  augenblicklichen  schein  zu  bestechenden  urteils  und  voller 
beherschung  des  weit  verbreiteten  gebietes,  aus  dem  jederzeit  das  ent- 
sprechende dem  forscher  zur  Verfügung  stehen  muss.  Ganz  besonders 
erweisen  sich  diese  Vorbedingungen  als  nötig,  wo  es  sich  um  ergüsse 
von  Goethes  jugenddrang  handelt,  deren  Verständnis  dem  alternden 
dichter  selbst  längst  verloren  gegangen  war,  so  dass  seine  eigenen 
äusserungen  aus  den  beiden  lezten  Jahrzehnten  seines  lebens  nichts 
weniger  als  den  Stempel  urkundlicher  Wahrheit  tragen.  Hof&nann  fasst 
die  Untersuchung  am  unrechten  ende  an,  häuft  übereilte  Schlüsse  auf- 
einander, sucht  das  zu  entdecken,  was  klar  ausgesprochen  vorliegt, 
und  findet  schliesslich  das  gerade  gegenteil. 

Gtehen  wir  zunächst  auf  den  hauptpunkt  ein,  in  welchem  Hof&nann 
von  der  bisherigen  meinung  abweichen  zu  müssen  glaubt  Er  sezt 
die  dichtung  des  bruchstückes  in  das  frühjahr  1775  statt  in  den  vor- 
hergehenden Sommer.  Hierzu  gelangt  er  auf  eigentümlichem  wege: 
er  sucht  zunächst  die  Stimmung  zu  entdecken,  aus  welcher  die  bruch- 
stücke  geflossen  seien,  sucht  sodann  nachzuweisen,  zu  welcher  zeit 
diese  Stimmung  bei  Goethe  geherscht,  und  da  er  so  glücklich  ist,  diese 
auf  eine  kurze  zeitstrecke  zu  beschränken,  so  hat  er  sein  ziel  erreicht. 
Hoffmann  findet  in  der  dichtung  „erbitterung  und  hohn^  gegenüber 
den  Vertretern  der  kirche,  und  besonders  der  protestantischen  geistlich- 
keit;  angriffe  gegen  den  katholicismus  fehlten,  weil  dieser  Goethe  frem- 
der gewesen  als  das  wirken  der  protestantischen  lehre.    Und  doch  wird 

ZDfSCHRIFT  F.   DRUTSGHK  PHILOLOOIB.      BD.   XXY.  19 


kt 


290  DÜNTZKR 

der  katholicismus  gehörig  gestreift  in  v.  201  fgg.;   denn   dort  werden 
die  katholischen  länder  als  diejenigen  bezeichnet,    ,,wo  man  so  viele 
kreuze  hat,   und  man  für  lautiBr  kreuz  und  christ  ihn  eben  und  sein 
kreuz  vergisst^.    Manche  protestantische  und  auch  katholische  geistliche 
schäzte  Goethe  persönlich  sehr  hoch,  sein  Unwille  galt  nur  den  hersch- 
süchtigen,   das  Christentum  zu  ihren  weltlichen  zwecken  ausbeutenden 
herren  der  kirche.     Gegen   den  protestantismus,   wie  er  geworden, 
wante  er  sich,  weil  dieser  sich  rühmte  die  kirche  gereinigt  zu  haben; 
wogegen  er  bedauern  muste,   dass  auch  die  reformation  nichts  gebes- 
sert, nur  den  pfafFen  haus  und  hof  genommen  habe,  um  wider  p&ffen 
hineinzupflanzen,   die  freUich  weniger  grimassen  machen,  aber  desto 
mehr  schwatzen  (277 — 281).    Die  Protestanten,  bei  denen  Christus  nur 
noch  auf  den  kirchfahnen,  den  Windfahnen,  vorkomme,  hätten  freilich 
den  Sauerteig  ausgescheuert;    aber  auch  von  der  religion  des  herzens 
sei  wenig  übrig  geblieben.     Und  so  fuhrt  er  uns  diese  bloss  auf  ein 
möglichst  angenehmes  leben  und  eine  neue  hierarchie  gerichtete  geist- 
lichkeit  in  den  köstlichen  bildem  eines  „geistlichen  schafes^  (213 — 226) 
und  eines  im  konvent  herschenden  „oberpfarrers"    (229 — 233.   286  — 
293)  leibhaft  vor.    Daneben  hören  wir,  dass  nirgendwo  eine  spur  von 
Christi  lehren  zu  finden  sei  (235  —  240);  und  wie  wenig  man  vom  evan- 
gelium  wisse,  wird  mit  recht  ergötzlicher  laune  dadurch  gezeigt,   dass 
bei  der  torwache,  wo  man  die  namen  der  ein-  und  ausgehenden  auf- 
schreibt,   niemand    des  Heilands    evangelische    bezeichnung    als    „des 
menschen  sohn*^  versteht    Das  ist  heiterster  humor,  nicht  verbissene 
Verhöhnung.     Christus  selbst  staunt,  dass  die  sitliche  besserung,  die  er 
mit  seiner  lehre  bezweckt  hat,  nirgendwo  erscheine,  vielmehr  alle  bösen 
leidenschaften  in  voller  blute  stehen,  sein  geist  der  liebe  und  des  wol- 
tuns  verweht  sei  (173  —  200);  was  der  dichter  selbst  vorher  mit  derbem 
ausdrücken  bezeichnet  hat  (165 — 172).    Es  war  Goethes  innerste  Über- 
zeugung, dass  das  Christentum  die  reine  lehre  seines  gründers  auf  das 
ärgste  verunstaltet  habe,  keineswegs  ein  ausfluss  der  Verbitterung  und 
des  hasses,   wie  uns  Hoffinann  gern  einreden  möchte.    Das  aufßUligste 
scheint  Hof&nann  der  „cynische  ton^,  in  welchem  in  unsem  bruch- 
stücken  von   der  gottheit  die  rede  sei,   besonders  im  gespräche  von 
Gott  vater  mit  seinem  lieben  söhne  (97  — 112).     Dieses  ist  freilich  in 
sehr  humoristischem  tone  gehalten,  und  die  scharfe  laune  über  das  auf 
die  gottheit  unwürdig  angewante  menschliche  familienverhältnis  lässt 
sich  nicht  verkennen.     Hoffinann  selbst  ist  freilich  weit  entfernt,  die 
launige  dichtung  zu  verstehen,   nach  welcher  Gott  vater  darüber  auf- 
gebracht ist,  dass  sein  die  menschen  heilender  söhn,  statt  auf  die  erde 


GOETHXS  VWIGEB  JÜDS  291 

seine  äugen  za  richten,  nach  einem  weit  entfernten  steme  geeilt  ist, 
um  einem  weihe  in  seiner  not  beizustehen;  er  muss  ihn  rufen,  weil 
es  auf  der  erde  eben  übel  zugeht  Wenn  Goethe  sich  auch  die 
TermenschUchung  der  gottheit  sonst  wol  zurechtzulegen  wüste  (obgleich 
ihm  die  freilich  würdig  gehaltene  darstellung  in  Klopstocks  „Messias^ 
nicht  ganz  behagte  und  die  vergröberung  derselben  in  der  Vorstellung 
mancher  geistlichen  und  besonders  des  volks,  bei  der  hohen  geistigen  Ver- 
ehrung, mit  der  ihn  selbst  die  gottheit  erfiilte,  äusserst  misfallen  muste) 
so  erklärt  es  sich  doch  leicht,  wie  bei  dem  einmal  angeschlagenen 
launigen  tone  sein  drastischer  spott  gerade  dieses  Verhältnis  traf. 
Übrigens  gehören  diese  verse  zu  den  spätem  bruchstücken,  die  ihm 
von  zeit  zu  zeit  einfielen;  ursprünglich  und  kurz  hintereinander  gedich- 
tet waren  nur  die  drei  stücke  1—72,  116—200  und  201—297.  Wie 
er  beim  „  Faust  ^  von  dem  gespräch  mit  Wagner  gleich  zur  belehrung 
des  Studenten  durch  Mephisto  und  dann  zu  der  geachichte  mit  Gret- 
chen  übersprang,  so  hier  von  der  ersten  einführung  des  ewigen  Juden, 
noch  ehe  er  der  beziehungen  desselben  zum  heilande  gedacht  hatte, 
zur  widerkunft  des  herm  nach  dreitausend  jähren,  und  dann  mit  vor- 
läufiger übergehung  der  katholischen  länder  zum  besuche  der  prote- 
stantischen. Goethe  war  längst  entschiedener  freidenker;  denn  es  ist 
ein  seltsamer  irtum,  wenn  Hoffinann  (s.  150),  durch  Goethes  darstel- 
lung im  fünfzehnten  buche  von  „Wahrheit  und  dichtung^  verleitet, 
sich  denkt,  erst  im  jähre  1774  habe  er  sich  von  der  brüdergemeinde 
getrent. 

Aus  diesem  „cynischen  tone^,  der  hier  eigentlich  gar  nicht  herscht, 
aber  (bezeichnend  für  den  Charakter  der  ganzen  dichtung)  schon  in  der 
einleitung  frisch  und  frei  hervorbricht,  macht  Hoffmann  einen  schluss, 
der  ihn  recht  weit  führt,  aber  dafür  auch  kein  schluss,  sondern  ein 
sprang  ist  Dieser  ton  „habe  offenbar  seinen  grund  in  einer  Stim- 
mung, in  der  Goethe  an  der  Vorsehung  wie  an  der  menschheit  und 
sich  selbst  nicht  verzweifelte,  aber  zweifelte''.  Fragen  wir  nach  einem 
diese  behauptung  nur  irgend  vertretenden  gründe,  so  hören  wir:  „Dass 
sich  dazwischen  wider  stellen  von  wahrer  Innigkeit,  namentlich  von 
fronuner  Verehrung  des  heilandes  finden,  wie  vor  allem  in  der  antwort 
Gbiisti:  ,Du  fühlst  nicht'  usw.  (133  fgg^)',  beweist  das  schwankende 
im  empfinden  und  denken  des  dichters.  Schroffer  können  sich  gegen- 
sätze  nicht  gegenüberstehen  als  die  cynisch  gehaltene  rede  Gott  vaters 
und  diese  antwort"  Aber  die  verse  113  fgg.  sind  nichts  weniger  als 
antwort  auf  die  rede  des  vaters  108  — 112,  worauf  sie  nicht  passen; 
beide  steUen  gehören  zu  verschiedenen  bruchstücken,   und  die  zweite 

19* 


292  DÜNTZEB 

sezt  eine  andere,   nicht  ausgeführte  rede  des  vaters  Yoraus,  in  der  er 
sich  nicht  über  des  sohnes  teilnähme  an  bedrängten  (d.  i.  leidenden, 
wie  das  105  fg.  erwähnte  weib),  sondern  über  sein  miÜeid  mit  Sün- 
dern,  die   ängstlich  um   rettung   flehen,   ausgesprochen  haben   muss. 
Solcher   wegen   hatte  der  vater  den  söhn  gerufen.     Die  betreffenden 
versa  dürften    kaum    ganz    gleichzeitig   mit  97  — 112,    sondern    erst 
nach  einiger  zeit  gedichtet  sein,  wofür  auch   das  ganz  abweichende 
versmass  zu  zeugen   scheint;   denn  nur  hier  haben   wir  sechsfussige, 
früher  vier-  oder  fünffüssige,   unter  die  sich  durch  blosses  versehen 
zweimal   (76  und  77)   in   einem   andern   bruchstück  ein  sechsfossiger 
verirte,   aber   nicht   unmittelbar  hinter  einander  in  einem  reimpaar. 
Doch  hiervon  abgesehen,  wie  könte  es  vom  schwanken  des  empfindens 
und  denkens  des  dichters  zeugen,   wenn  er  zwei  verschiedene  per- 
sonen  auch  in  verschiedenem  tone  sprechen  lässt?    und  der  ton  des 
vaters  ist  keineswegs  „cynisch^;   er  ist  nur  „ganz  angebrachte,   wie 
der  dichter  ausdrücklich  sagt,   und  er  spricht  in  dem  einem  ernsten 
vater  einem  jungen  söhne  gegenüber  nicht  zu  verübelnden  tone:   „Das 
hast  du  dumm  gemacht*'  (das  war  ein  dummer  streich).     Alles  dies  ist 
freilich  mit  keckem,  fast  Lucianischem  tone  hingeworfen;   selbst  dass 
der  heiland  auf  einem  weit  entfernten  steme  einer  gebärenden  beisteht, 
ist  eine  kecke,  übermütige  dichtung,  die  Ooethe,   hätte  er  das  gedieht 
wirklich  ausgeführt,  wol  fallen  gelassen  haben  würde,  da  97  — 112,  ja 
auch  113  fgg.  kaum  zu  der  mit  116  beginnenden  widerkunft  stimmen 
dürften ,  die  ja  eine  andere  veranlassung  vorauszusetzen  scheint    Jedes- 
fals  ist  es  der  entschiedenste  irtum,   wenn  Hoffinann  aus  diesen  von 
ihm  nicht  verstandenen  versen,   die  nicht  derselben  zeit  wie  die  drei 
grossem   stücke   anzugehören   scheinen,   ein   schwanken  im  empfinden 
und  denken  findet  und  die   schro&ten   gegensätze  in  Goethes   eignem 
geiste  daraus  herleitet     Aber  auch  hiermit  ist  er  noch  nicht  am  ziele. 
Ganz  unvermittelt  wagt  er  den  lezten  sprung:    „Goethe  muss  zu  jener 
zeit  innerlich  aufs  schwerste  gelitten  haben. ^     Solte  daraus,  dass  Goetiie 
den  vater  und  den  söhn  in  verschiedenem  tone   sprechen  lässt,   sich 
ergeben,   dass  dieser  innerlich  au6  schwerste  gelitten  habe,  wie  unse- 
lig müsten  erst  die  dramatiker  sein,   welche   die   allerverschiedensten 
Charaktere,   ihr  gefühl  und  ihr  ganzes  wesen  lebendig,   oft  in  höchster 
aufregung,  auszuprägen  verpflichtet  sind! 

Trotz  allem  glaubt  HoSmann  wirklich  drei  „merkmale^  erwiesen 
zu  haben,  aus  denen  sich  Goethes  Stimmung  bei  der  dichtung  der 
bruchstücke  ergebe.  1.  „Hass  gegen  die  geistlichkeit,  so  weit  sie  nicht 
dem  ideale  des  christlichen  laien  entspricht^     (Yielmehr  spottet  er  der 


eOBTHBS  BWieEB  JUDE  293 

geistlichkeit,  deren  leben  ein  höhn  auf  die  gemütliche  lehre  des  Stifters 
des  Christentums  sei.)  2.  ^Zweifel  an  sich,  der  menschheit  und,  nach 
dem  cynischen  tone  zu  schliessen,  an  Gott".  (Jeder  beweis  daför  fehlt; 
dass  Goethe  an  den  gott  der  christlichen  Offenbarung  nicht  geglaubt,  ist 
gewiss,  ergibt  sich  aber  keineswegs  aus  dem  spotte  des  dichters  über 
die  durchaus  verweltlichte  Vorstellung  von  Gott  vater.)  3.  „Wechsel 
von  solchen  bittern  Stimmungen  und  inniger  hingäbe,  und  zwar  in 
ein  und  demselben  gedichte,  ja  im  selben  teile  des  gedichts".  (Wie 
seltsam  es  mit  dieser  behauptung  stehe,  haben  wir  gesehen.)  Diese 
wilkürlich  erschlossene  Stimmung,  „die  bitterkeit  gegen  die  menschheit 
und  die  gottheit  selbst,  die  innere  Zerrissenheit  des  dichters",  wird  nun 
mit  gewohnter  raschheit  zum  beweise  misbraucht,  die  einzige  zeit,  in 
welcher  die  bruchstücke  gedichtet  sein  könten,  sei  das  frühjahr  1775. 
Zu  keiner  zeit  hat  unsem  dichter  das  vertrauen  auf  ein  über  ihm  wal- 
tendes Schicksal,  eine  weise,  auf  unergründlichen  wegen  ihn  leitende 
Vorsehung  verlassen,  wenn  er  auch  über  die  art,  wie  die  menschen 
sich  dieses  unsichtbare  und  unfassbare  wesen  denken,  wol  scherzen 
mochte:  wie  er  sich  zu  diesem  grossen  unbekanten  verhielt,  hat  er 
in  der  zeit  seines  titanischen  Jugenddranges  seinen  Faust  aussprechen  las- 
sen. Wenn  Fritz  Stolberg,  was  HofEmann  nicht  erwähnt,  ihm  einen 
„titanenkampf  gegen  seinen  gott"  zuschrieb,  ja  berichtete,  im  november 
oder  december  1775  habe  er  ihm  von  riesengeistem  gesprochen,  die 
sich  auch  den  ewigen  geoffenbarten  Wahrheiten  nicht  beugten,  so  gehört 
dies  zu  den  leidenschaftlichen  entstellungen  des  bildes  seines  Wolfgang, 
womit  er  den  treulosen  abfall  von  diesem  vor  sich  selbst  zu  bemänteln 
suchte,  da  er  sich  den  glauben  an  eine  gottheit  nicht  vorstellen  konte, 
ohne  die  drei  personen  der  christlichen  Offenbarung;  während  es  zur 
zeit  viele  wahrhaft  fromme  freidenker  gab,  denen  Lavaters  „entweder 
Christ  oder  atheist"  ein  greuel  beschränktester  Unduldsamkeit  war. 
Welche  Widerwärtigkeiten  ihm  auch  in  seinem,  dem  naturdrange  unab- 
lässig folgenden',  von  mancherlei  leidenschaften  umgetriebenen  leben 
bereitet  waren,  er  vertraute  seinem  Schicksale,  dass  es  ihn  recht  führe, 
und  verehrte  es  gläubig,  wie  schwer  es  ihm  auch  zuweilen  fiel.  Was 
Hofi&nann  zum  beweise  „einer  religiösen  Wandlung  und  bittersten  Ver- 
stimmung" in  den  ersten  monaten  des  jahres  1775  aus  seinen  briefen 
herausreisst,  erscheint  in  ganz  anderer  beleuchtung,  wenn  man  es  im 
zusammenhange  und  in  Verbindung  mit  seinem  damaligen  leben  betrach- 
tet, dabei  auch  sein  dichterisches  schaffen  nicht  ausser  acht  lässt,  das 
mit  einer  Verzweiflung  an  sich,  der  menschheit  und  Gott  ganz  unverein- 
bar ist.    Das  ausheben  einzehier  äusserungen  aus  des  dichters  wunderbar 


294  DÜNTZEB 

wechselndem,  von  mancherlei  tiefgreifenden  Verhältnissen  bewegtem,  oft 
wild  stürmischem,  dann  wider  sich  beruhigendem  und  heiterm  leben 
ist  eine  leere  Spiegelfechterei.  Hätte  Hoffmann  auf  der  suche  nach 
äusserungen,  die  seinem  Vorurteile  günstig  schienen,  Goethes  Seelen- 
leben in  den  monaten  märz  und  april,  wie  es  trotz  aUer  lückenhaftig- 
keit  im  algemeinen  klar  vorliegt,  reiflich  erwogen,  er  würde  gefunden 
haben,  dass  dieser  bei  allen  Verworrenheiten  und  aller  ihn  umtreiben- 
den Unruhe  nie  das  vertrauen  auf  seine  gute  natur  und  ein  ihm  gewo- 
genes Schicksal  verloren  hat.  Man  nehme  nur  die  äusserung  an  die 
gräfin  Auguste  Stolberg:  „Mir  ists  wider  eine  zeit  her  für  wol  und 
wehe,  dass  ich  nicht  weiss,  ob  ich  auf  der  weit  bin,  und  da  ist  mirs 
doch,  als  war'  ich  im  himmel."  Wie  könte  ein  an  Gott  und  weit  ver- 
zweifelnder, ein  in  sich  zerrissener  sich  so  aussprechen?  Doch  wozu 
einzehies  hervorheben,  wo  das  hin-  und  herwogen  der  innigsten  gefuhle 
von  lust  und  leid  so  ergreifend  vorliegt?  Seltsam  genug  bringt  Hoff- 
mann es  nicht  zu  einer  festen  Zeitbestimmung  von  Goethes  „höchstem 
innem  leiden^;  freilich  sezt  er  es  s.  145  in  den  mai,  aber  sonst  spricht 
er  vom  „spätem  frül^ahr''.  Die  merkwürdige  Veränderung  seiner  Stim- 
mung durch  die  im  lezten  drittel  des  april  plötzlich  erfolgte  geheime 
Verlobung  erwähnt  er  mit  keinem  werte.  Und  doch  ist  es  unzweifel- 
haft, dass  des  dichters  unruhe  vor  dieser  am  stärksten  war,  er  darauf 
das  glück  des  bräutigams  kurze  zeit  genoss,  bis  dieses  durch  die  Stel- 
lung, welche  die  famiUe  der  braut  gegen  ihn  und  seine  eitern  einnahm, 
getrübt  wurde,  so  dass  er  bald  daran  dachte,  eine  Verbindung,  die  das 
gehofte  familienglück  nicht  verspreche,  ganz  aufzugeben.  Zunächst 
fasste  er  den  entschluss,  seine  Schwester  in  Emmendingen  zu  besuchen, 
um  sich  zu  vergewissem,  ob  er  Lili  entbehren  könne.  In  dieser  zeit, 
vor  der  ankunft  der  grafen  Stolberg,  wahrscheinlich  am  zweiten  Bücke- 
buiger  posttage  des  monats,  am  6.  mai  (später  war  er  von  der  anwe- 
senheit  der  grafen  zu  sehr  in  ansprach  genommen),  scheint  der  brief 
an  Herder  geschrieben,  aus  dem  Hoffmann  kapital  schlagen  möchte. 
Er  begint  mit  gefasster  rahe:  „Mir  gehts  wie  dir,  lieber  bruder.  Mei- 
nen bauen  spiel'  ich  wider  die  wand  [versuche,  was  ich  vermag]  und 
federballen  mit  den  weibem  [unterhalte  mich  mit  frauenzimmem]. 
Dem  hafen  häuslicher  glückseligkeit  und  festem  fuss  in  wahrem  leid 
u&d  freud  der  erde  [die  ihm  die  ehe  zu  geben  versprach]  wähnt'  ich  vor 
kurzem  näher  zu  kommen ,  bin  aber  auf  eine  leidige  weise  wider  hinaus 
ins  weite  meer  geworfen.^  Am  Schlüsse  heisst  es:  „Ich  tanze  auf  dem 
drahte,  fatum  congenitum  [das  mitgeborene  Schicksal]  genant,  mein 
leben  so  weg!    Yon  meiner  frescomalerei  wirst  ehstens  sehen  [„Erwin 


eOBIUBS  XWIOBB  JUDE  295 

und  Elmire^],  wo  du  dich  ärgern  wirst,  gut  gefühlte  natur  neben 
scheuslichem  locus  communis  zu  sehen.  Fiat  voluntas!  [Ein 
freundlicher  wünsch,  nicht  im  evangelischen  sinne.]  ^  Und  doch  ver- 
wendet Hoffinann  eben  diesen  brief  als  beweis,  dass  damals  Goethes 
inneres  leiden  den  höchsten  grad  erreicht  habe;  denn  er  zeige  hier 
„Verachtung  des  menschen  und  der  christlichen  lehre,  und  zum  min- 
desten nichtachtung  gegen  die  gottheit  selbst^.  Von  alle  dem  findet 
sich  nichts,  nur  entschiedener  Unglaube  an  die  christliche  Offenbarung 
und  das  gefühl  menschlicher  beschränktheit  Herder  hatte  ihm  seine 
beiden  neuesten  christlichen  Schriften  „Erläuterungen  zum  neuen  testa- 
ment^  und  „Briefe  zweener  brüder  Jesu^  (Jacobus  und  Judas)  gesant, 
worin  ihn  dessen  gefühlvolle  behandlung  fesselte.  Die  ganze  lehre  von 
Christo  schien  ihm  nur  ein  scheinding,  das  ihn  als  menschen,  als  ein- 
geschränktes bedürftiges  ding  rasend  mache;  doch  so  behandelt,  werde 
ihm  alles,  auch  gott  oder  teufel,  lieb,  da  er  darin  eiaen  ewig  gleichen 
bruder,  den  menschen  erkenne,  der  freilich  bald  gott,  bald  wurm,  bald 
narr  sei.  Hof&nann  scheint  zu  meinen,  erst  jezt  sei  Goethes  Unglaube 
an  die  christliche  Offenbarung  durchgebrochen,  es  sei  bei  ihm  eine  „alge- 
meine innere  Umwälzung^  eingetreten,  die  Goethe  in  „das  tiefste  see- 
lische leiden^  gestürzt,  dessen  vornehmster  grund  wol  „das  schwaDkende 
und  unleidliche  seines  Verhältnisses  zu  lili^  gewesen.  Kante  er  denn 
nicht  das  berühmte  bekentnis  im  briefe  an  Ffenninger  vom  26.  april 
1774,  das  viel  schärfer  und  bestirnter  als  die  äusserung  an  Herder 
ist!  Und  selbst  Jacobis  gattin  macht  er  aus  seinem  Unglauben  kein 
geheinmis:  ob  ihre  buben  an  Ohrist  oder  an  Götz  oder  an  Hamlet 
glaubten,  das  sei  alles  eins,  ruft  er  zwei  monate  früher  aus;  nur  an 
etwas  müsten  sie  glauben,  da,  wer  an  nichts  glaube,  an  sich  selber 
verzweifle.  Und  an  welches  höhere  wesen  er  glaubte,  wüste  er  sehr 
bestimt;  an  diesem,  an  sich  selbst  und  den  menschen  verzweifelte  er 
nicht,  am  wenigsten  damals,  wie  sehr  er  auch  um  Lili  litt  Yon  jenem 
völligen  Unglauben  an  Gott,  von  innerer  Zerrissenheit  und  menschen- 
verachtung  zeigt  sich  bei  Goethe  nie  eine  spui*;  und  am  wenigsten 
kann  man  einen  solchen  verzweifelten  zustand  im  frühjahr  1775  nach- 
weisen, wenn  er  auch  im  april  zunächst  durch  die  ungewissheit  seines 
yerhältnisses  zu  lili  und  manches  andere,  wie  durch  Wagners  spot- 
schrift  „Prometheus^  und  Jacobis  misverständnis  seiner  „Stella^,  in 
Unruhe  versezt  wurde.  In  das  ende  des  monats  falt  gar  seine  Verlobung, 
die  ihn  nur  sehr  kurze  zeit  beglückte,  da  wol  schon  in  den  ersten 
tagen  des  mai  der  widerstand  von  lilis  &milie  hervortrat  In  dieser 
zeit,  am  3.  mai,  schrieb  er  an  Knebels  Schwester,  der  er  nicht  ver- 


296  DÜNTZKB 

raten  durfte,  was  ihn  quälte,  er  „lebe,  wie  immer,  in  strudele!  und 
unmässigkeit  des  Vergnügens  und  schmerzens^.  Ist  es  schon  auffallend, 
dass  Hoffmann  keinen  bestimten  Zeitpunkt  für  das  bruchstück  festzu- 
setzen vermag,  um  so  erstaunlicher  scheint  es,  wenn  er  kurzweg,  indem 
er  zwischen  dem  plan  und  dem  beginn  der  ausführung  eine  längere  zeit 
vergehen  lässt,  s.  150  erklärt:  „Der  plan  selbst  falt  in  die  zeit  der  tren- 
nung  von  der  brüdergemeinde,  also  ins  jähr  1774,  das  firagment  aber 
in  der  hauptsache  in  den  spät&ühling  1775.  Beide  fliessen  aus  einer 
quelle,  dem  deutschen  Volksbuch.  Aber  während  der  entwuif  aus  reli- 
giösen zweifeln  hervorgieng  [an  diesen  litt  Goethe  damals  nicht,  er 
war  längst  fest  entschieden,  wie  wir  gezeigt  haben]  und  eine  ernste 
dichtung  beabsichtigte,  wich  das  fragment  infolge  eines  Umschwunges 
der  Stimmung  von  dem  plane  ab  in  der  behandlung  des  Stoffes  und 
in  seinem  ganzen  ton.^  Da  haben  wir  ja  ganz  neue  aufsteilungen,  die 
zu  beweisen  nicht  die  geringste  anstalt  gemacht  wird.  Dass  die  tren- 
nung  von  der  brüdergemeinde  in  das  jähr  1774  versezt  wird,  yrider- 
spricht  allem,  was  wir  sonst  wissen.  Erinnerte  sich  denn  Hoffmann 
nicht  einer  der  bekantesten  tatsachen,  dass  Eestner  schon  im  november 
1772  schrieb,  Ooethe  gehe  nicht  in  die  kirche,  auch  nicht  zum  abend- 
mahle, bete  selten,  weil  er  dazu  nicht  lügner  genug  zu  sein  behaupte, 
habe  aber  vor  der  christlichen  religion  alle  hochachtung,  nur  nicht  in 
der  gestalt,  wie  sie  unsere  theologen  vorstelten!  Und  doch  behauptet 
Hoffmann,  der  dichter  habe  sich  erst  1774  von  der  brüdeiigemeinde 
getrent,  ja  sein  „Ewiger  Jude"  sei  der  geheime  absagebrief  von  dieser. 
Wer  den  anfang  des  gedichts  mit  Verständnis  liest,  der  muss  sich  sagen, 
dass  hier  kein  länger  gehegter  und  gepflegter  entwurf  zu  gründe  liege, 
noch  weniger  ein  früherer  ganz  umgeworfen  worden,  sondern  dass  die 
dichtung  mit  reissender  gewalt  aus  der  seele  fliesse.  Und  schon  der 
dritte  vers  bohrt  alle  aufsteilungen  Hoffmanns  in  den  grund;  denn  ein 
zerrissener,  an  nichts  glaubender,  Gott,  weit  und  sich  verachtender 
mensch  ist  das  gerade  gegenteil  von  dem,  was  Goethe  hier  von  sich 
sagt:  „Nie  war  mein  busen  seelenvoller." 

Auch  der  wideraufiiahme  des  planes  der  dichtung  auf  der  fahrt 
über  die  Apenninen  im  Oktober  1786  gedenkt  Hofimann,  wobei  er  mit 
recht  von  dem  tagebuchbericht  an  frau  von  Stein  ausgeht:  „Heute  [am 
22.  Oktober]  früh  sass  ich  ganz  still  im  wagen  [mit  einem  päpsÜidien 
officier,  dessen  geselschaft  ihm  „von  vielem  nutzen  war"]  und  habe 
den  plan  zu  dem  grossen  gedieht  der  ankunft  des  herrn  oder  dem 
ewigen  Juden  recht  ausgedacht"  Er  bemerkt  aber  nicht,  dass  sich 
aus  der  art  der  einführung  ergibt,  frau  von  Stein  müsse  von  diesem 


00BIHI8  BWIQEB  JT7DS  297 

plane  gewusst  haben,  und  eine  Veranlassung,  gegen  die  freundin  des- 
selben zu  gedenken,  ergibt  sich  leicht,  wenn  es  auch  jedesfals  zwei- 
felhaft bleibt,  ob  in  die  abschrift  seiner  ungedruckten  werke,  die  er 
dieser  im  jähre  1781  verehrte,  auch  die  bruchstücke  des  gedichtes  auf- 
genommen waren.  Das  grosse  mystische  gedieht  „Die  geheimnisse^, 
von  dem  Goethe  in  den  jähren  1784  und  85  unter  ihrer  wärmsten,  ihn 
drängenden  teilnähme  eine  bedeutende  anzahl  stanzen  schuf,  muste,  da 
es  auf  die  Verschiedenheit  der  religionen  sich  bezog,  auch  die  rede  auf 
seine  Jugenddichtung  bringen,  in  der  er  die  arge  entartung  des  gemüt- 
lichen Urchristentums  mit  scharfer  laune  getroffen  hatte.  Schon  damals 
dürfte  er  auch  die  Schlussentwicklung  des  Zusammentreffens  des  zur 
erde  zurückgekehrten  heilands  mit  dem  ewigen  Juden  naher  bedacht 
haben,  mochte  er  auch  noch  nicht  zum  entschlusse  gekommen  sein, 
wo  diese  statfinden  solle.  So  wäre  es  leicht  zu  begreifen,  wie  er  auf 
dem  wege  nach  Bom  gegen  frau  von  Stein  dieses  plans  unter  der 
bezeichnung  der  „ankunft  des  herm  oder  des  ewigen  Juden  ^  als  eines 
bekanten  gedenken  konte.  Die  ausführung,  welche  Qoethe  im  jähre 
1814  in  der  „Italienischen  reise^  der  kurzen  stelle  des  tagebuchs  gab, 
darf  eben  so  wenig  auf  Zuverlässigkeit  anspruch  machen  als  die  dort 
firei  ausgeführten  plane  der  „Iphigenie  in  Delphi**  und  der  „Nausikaa** ; 
es  fehlten  Goethe  ältere  aufzeichnungen,  so  dass  er  die  lücken  seines 
gedächtnisses  frei  ergänzen  muste.  Im  vorigen  jähre  hatte  er  im  fünf- 
zehnten buche  von  „Wahrheit  und  dichtung"  eine  gleichfals  durchaus 
freie  darsteUung  des  anfangs  des  gedichtes  bis  zu  dem  augenblick  ent- 
worfen, wo  der  Jude,  betroffen  vom  fluche  des  heüandes,  von  „unruhe 
und  Sehnsucht"  zu  seiner  Wanderung  sich  getrieben  fühlt.  „Von  die- 
ser*', schloss  er  „und  von  dem  ereignis,  wodurch  das  gedieht  zwar 
geendigt,  aber  nicht  abgeschlossen  wird,  vielleicht  ein  andermal"  Man 
darf  zweifeln,  dass  ihm  damals  vorgeschwebt  habe,  was  er  1814  in 
der  „Italienischen  reise"  mit  einer  deutlich  vorliegenden  zeitverschie- 
bung  über  die  katastrophe  des  gedichtes  frei  ergänzte.  Das  tagebuch 
hatte  des  planes  am  22.  Oktober  gedacht,  dann  am  27.  eines  priesters, 
der  seit  der  entfemung  des  päpstlichen  officiers  in  seinem  wagen  platz 
genommen.  Dies  veranlasste  ihn  mit  der  freiheit,  welche  die  bearbei- 
tung  der  „Italienischen  reise"  auch  sonst  zeigt,  das  brüten  über  den 
plan  des  gedichtes  um  fünf  tage  zu  verschieben  und  es  mit  der  anwe- 
senheit  des  priesters  und  der  nähe  Roms  in  Verbindung  zu  bringen. 
So  heisst  es  denn  jezt:  „Dem  mittelpunkte  des  katholicismus  sich 
nähernd,  von  katholiken  umgeben,  mit  einem  priester  in  eine  sedie  ein- 
gespert",  habe  er  lebhaft  empfunden,  welch   ein  barockes  heidentum 


298 

heute  auf  den  gemütlichen  anfangen  des  Christentums  laste.  Da  sei 
ihm  denn  der  ewige  Jude  wider  eingefallen,  der  einen  so  wunderlichen 
zustand  erlebte,  dass  Christus  selbst,  als  er  zurückkomme,  in  gefiihr 
gerate,  zum  zweiten  mal  gekreuzigt  zu  werden.  „Jene  legende:  Yenio 
iterum  crucifigi,  solte  mir  bei  dieser  katastrophe  zum  stoff  di^ien*^, 
schliesst  er  etwas  seltsam.  Nur  in  sehr  entfernter  weise  hätte  dieses 
wort  des  heilandes  an  Petrus,  der  durch  die  flucht  sich  der  Verfolgung 
wegen  seiner  lehre  entziehen  wolte,  hier  anwendung  finden  können, 
wie  ich  dies  schon  früher  bemerkt  habe.  Auch  Hof&nann  erkent  das; 
aber  er  hilft  sich  mit  der  leeren  Vermutung,  Goethe  habe  von  der 
legende  nur  jene  werte  gekant,  „in  der  bedeutung,  wie  er  sie  selbst 
verwenden  will*'.  Aber  nicht  von  jenen  werten  ist  die  rede,  sondern 
von  der  legende,  die  durch  das  Stichwort  kurz  bezeichnet  wird.  Noch 
schlimmer  als  diese  misdeutung  ist  es,  wenn  Hoflbnann  nicht  weiss, 
dass  Ooethe  sich  auch  noch  in  Rom  mit  der  sage  beschäftigte.  Schmidt 
hat  (Schriften  der  Ooethegeselschaft  11 ,  396)  aus  einem  römischen 
notizhefte  die  werte  mitgeteilt:  „Ewger  J(ude).  P(ius)  YL  Schönster 
der  menschenkinder  [als  solcher  erscheint  Christus  immer].  Neid.  Will 
ihn  einsperren,  ihn  nicht  weglassen,  wie  ihn  [den  papst]  der  kaiser  [wäh- 
rend der  anwesenheit  de  spapstes  in  Wien,  wie  die  sage  gieng].  |  Staats- 
gef(angen)  im  Vatikan  behalten.  |  al  Geeu  [kloster  in  Bom].  Jesuitentross. 
Lob  des  ungerechten  haushalters.*'  Das  dürfte  denn  doch  Hoffinanns  an- 
sieht zuwiderlaufen,  in  Italien  habe  Ooethe  „ein  strenges  und  keusches 
kunstwerk*'  in  seüiem  „Ewigen  Juden**  beabsichtigt  Auch  Schmidt 
denkt,  „ein  neues  stilvolleres  gedieht**  habe  die  bruchstücke  in  knittel- 
telversen  verdrängen  sollen.  Ooethe  bedachte  damals  wol  nur  den 
abschluss  der  Wanderung  durch  das  erscheinen  des  heilands,  ohne  ernst- 
liche absieht,  das  gedieht  neu  auszufiihren.  HofQnann  bezieht  sich 
auch  auf  das  nach  Riemer  im  jähre  1808  von  Ooethe  beabsiditigte 
gedieht  „Maran  Atha  oder  der  herr  komt**.  Oanz  unbekant  scheint  es 
ihm  dabei  geblieben  zu  sein,  dass  eine  schrift  Herders  von  1779,  wel- 
che dieser  selbst  für  sein  meisterstück  erklärte,  den  titel  „Maran  Atha. 
Das  buch  von  der  Zukunft  des  herm**  führte.  In  dieser  neuen  bear- 
beitung  der  „Offenbarung**,  die  Ooethe  mit  anteil  las,  behauptete  Her- 
der, die  „Offenbarung*^,  an  deren  abfassung  durch  Johannes  er  festhielt, 
enthalte  das  wesen  des  Christentums  und  der  Weltgeschichte  und  beruhe 
auf  dem  gedanken,  nur  auf  den  trümmem  eines  so  verfallenen  reiches 
könne  das  wahre  reich  gottes  erscheinen.  Ooethe  scheint  eine  dich- 
terische darstellung  dieser  widerkunft  des  herm  augenblicklich  im  sinne 
gehabt  zu  haben,  wobei  wol  an  sein  zusammentreffen  mit  dem  ewigen 


OOIIHIS  IWIGBB  JÜDB  299 

Juden,  das  nicht  notwendig  zu  dieser  gehört,  kaum  gedacht  war. 
Vielleicht  war  er  dazu  gekommen  durch  von  Sonnenbergs  Überspantes 
gedieht  „Donatoa  oder  das  weitende^,  das  nach  dessen  tode  von  Oru- 
ber  herausgegeben  worden  war.  Ooethe  schenkte  dasselbe  Weihnachten 
1806  der  frau  von  Stein. 

Ganz  unbegreiflich  ist  es,  wie  Hoffinann  aus  einem  gedichte,  das, 
wie  der  anfang  auf  das  unzweideutigste  dartut,  der  ausfluss  übermütig- 
ster laune  und  überschäumender  schaffungskraft  ist,  die  bitterste  yer- 
zweiflung  an  Oott  imd  weit  und  die  furchtbarste  Zerrissenheit  heraus- 
lesen konte.  In  kräftigstem  tone  hören  wir  den  launigen  sänger  rer- 
künden,  sein  dichterischer  drang  lasse  ihn  nicht  ruhen,  es  treibe  ihn 
nachts  aus  dem  bette,  um  einen  reisenden  mann  zu  singen,  der  unzäh- 
lige wunder  gesehen,  die  noch  immer  „in  unserm  unbegriffenen  gotte 
in  einem  punkte  (augenblicklich)  geschehen^,  während  man  die  zeit 
der  sogenanten  eigentlichen  wunder  gewöhnlich  für  längst  abgeschlos- 
sen erklärte,  was  er  als  kindische  gotteslästerung  abweist  („trutz  der 
lästrer  kinderspotte '^).  Kann  er  auch  nur  in  kunstlosen  knittelversen 
sich  aussprechen,  so  fühlt  er  sich  doch  dazu  gedrungen,  er  erkent  es 
als  seine  pfiicht;  und  die  lieben  leser,  fügt  er  launig  hinzu,  lassen  sich 
so  Tiel  gefallen,  dass  sie  auch  das,  was  der  geist  ihm  eingibt,  in  sei- 
nem kauderwelsch  freundlich  aufnehmen  werden,  und  mit  welcher 
lachenden  laune  beschreibt  er,  wie  er  zum  ersten  besten  kiel  greift, 
um  seine  gedanken  au&  papier  zu  bringen,  wobei  der  lustige  vergleich 
mit  den  auf  einem  besenstiele  reitenden  hexen  leise  angedeutet  ist! 
Bei  dem  dränge,  das  innerlich  geschaute  niederzuschreiben,  erinnert 
man  sich  der  ausgeführten  Schilderung  am  anfange  des  sechzehnten 
buches  von  „Wahrheit  und  dichtung'^,  wo  er  bemerkt,  er  habe  oft  lust 
gehabt,  wie  Petrarca,  sich  ein  lederwams  machen  zu  lassen,  und  sich 
zu  gewöhnen,  darauf  auch  bei  finsterer  nacht  zu  schreiben.  Schon  im 
fün&ehnten  buche,  und  zwar  gleich  nach  den  andeutungen  über  den 
„Ewigen  Juden ^,  hatte  er  seines  produktiven  talents  gedacht,  das  ihn 
seit  einigen  jähren  keinen  augenblick  verlassen  habe;  ja  er  bringt  dort 
die  betrachtung  desselben  mit  seinem  „Prometheus^  in  Verbindung. 
Dieselbe  heiter  alles  beleuchtende  übermütige  laune,  wie  im  eingange, 
herscht  in  der  Schilderung  des  schusters  im  heiligen  lande  Judäa,  wo- 
hin er  das  separatistengetriebe  seiner  lieben,  konventikelreichen  Vater- 
stadt Prankfurt  verlegt;  und  schon  hier  bricht  seine  leidige  Überzeugung 
durch,  dass  das  Christentum  durch  die  priester  greulich  verunstaltet, 
die  geistliche  leitung  zu  einem  seinen  mann  nährenden  handwerk 
erniedrigt  worden  sei;   der  lieben   eitelkeit  der  Separatisten  wird  ein 


300  DÜNTZBt 

guter  teil  ihres  frommen  treibens  zugewiesen.  Wenn  irgendwo  guter 
humor  die  leicht  fliessende  darstellung  belebt,  so  in  diesen  72  versen 
der  einleitung,  dieses  neckischeQ  epischen  proömiums.  Aber  yon  hier 
macht  der  dichter,  wie  schon  früher  bemerkt,  einen  gewaltigen  sprung 
über  dreitausend  jähre.  Die  zwischenliegenden  bruchstücke  hat  Hoff- 
mann  mit  grosser  kühnheit  auf  bestirnte  zeiten  der  kirchengeschichte 
bezogen,  wobei  er  von  der  Voraussetzung  ausgeht,  sie  stünden  in  der 
handschrift  in  derselben  folge,  in  welcher  sie  Biemer  hat  drucken  lassen. 
Da  die  Weimarer  ausgäbe  den  „Ewigen  juden^  noch  nicht  gebracht,  wis- 
sen wir  dies  ebenso  wenig,  wie  ob  noch  andere  bruchstücke  vorhanden. 
Höchst  wahrscheinlich  finden  sich  die  bruchstücke  in  dieser  folge  nicht 
in  der  handschrift,  sondern  die  Ordnung  ward  von  Biemer  nach  dem 
Inhalt  bestiipt;  so  bruchstück  7  und  8  unmittelbar  vor  die  widerkunft 
des  herm  (9  und  10)  gesezt,  weil  sie  diesen  vorhergehend  gedacht 
werden  müssen.  Ich  gehe  hier  auf  die  deutungen  von  Hoffmann 
nicht  näher  ein.  Am  wunderlichsten  ist  die  beziehung  der  verse:  „Es 
waren,  die  den  vater  auch  gekant  Wo  sind  sie  denn?  Eh,  man 
hat  sie  verbrant^  auf  den  späten  antitrinitarier  Servet,  während  der 
köstliche  spott  nur  darauf  geht,  dass  man  sich  der  gegner  der  drei- 
einigkeitslehre  durch  hinrichtung  entledigt  habe;  wobei  Goethe  wahr- 
scheinlich noch  gar  nicht  an  die  stelle  dachte,  wo  er  dies  bon  mot 
anbringen  wolte.  Kühne,  aber  unglückliche  griffe  sind  die  deutong 
von  2  und  6  auf  Nero  und  Jung  Stilling.  Was  Goethe  sehr  spät  von 
einem  besuche  des  ewigen  Juden  bei  Spinoza  im  anfange  des  sechzehn- 
ten buches  von  „Wahrheit  und  dichtung'^  sagt,  bezieht  Hof&nann  auf 
die  älteste  zeit;  es  sei  mit  den  übrigen  bruchstücken  wenigstens  im 
geist  schon  erschaffen  worden.  Diese  stelle  war  frühestens  im  firühjahr 
1813  geschrieben,  wahrscheinlich  aber  ist  sie  ein  spaterer  zusatz.  Wenig- 
stens wird  der  Zusammenhang  eher  gefördert  als  gestört,  wenn  man 
sich  dort  die  werte  „Was  ich  mir  aber  aus  ihm  zugeeignet^  bis  «aris 
dem  sinne  schlugt  sich  wegdenkt 

Wie  sich  der  „Ewige  jude^  zeitlich  zu  den  übrigen  bedeutenden 
Schöpfungen  Goethes  in  den  drei  jähren  seines  titanismus  verhalte, 
daran  hat  Hoffmann  nicht  gedacht  Besonders  in  betracht  kommen  die 
diehtungen,  in  welchen,  wie  im  „Ewigen  Juden ^,  eine  altüberlieferte 
sage  frei,  ja  dem  ursprünglichen  sinne  zuwiderlaufend  umgestaltet  wurde, 
sein  „Prometheus^  und  „ Faust ^.  Yon  dem  ersten  wissen  wir  jezt, 
dass  er  dem  jähre  1774  angehört,  wie  auch  „Satiros^;  der  andere  wurde 
im  September  1774  begonnen  und  wol  bis  zum  december  for^gesezt;  in 
die  eisten  monate  von  1775  fisülen  die  Singspiele  und  , Stella^.    Nun 


OOITHES  XWIQER  JUDE  301 

fragt  sich:  sollen  wir  den  „Ewigen  Juden"  vor  oder  nach  dem  „Faust" 
setzen?  Da  wir  Hoffmanns  verzweiflungsstinimung  abgetan  haben,  kön- 
ten  wir  fragen:  wann  dürfen  wir  eine  solche  übermütige  laune  und 
solchen  glühenden  Schaffensdrang  bei  Goethe  annehmen,  wie  ihn  die 
bruchstücke  zeigen,  vor  „Faust"  oder  in  den  unruhig  bewegten  ersten 
monaten  von  1775?  Gerade  nach  der  bekantschaft  mit  Lavater,  Jacobi 
und  Basedow,  als  er  und  Jacobi  sich  gegenseitig  zu  lebendigem  schaf- 
fen aufmunterten,  noch  ehe  die  sorge  über  die  aufnähme  seines  „Wer- 
ther" von  Seiten  Lettens  und  Kestners  ihn  beunruhigte,  beglückte  ihn 
eine  solche  Stimmung,  wie  die  briefe  an  Jacobi  zeigen.  Schon  an  sich 
möchte  es  wahrscheinlicher  sein,  dass  Goethe  vom  „Ewigen  Juden"  zu 
dem  ihm  tiefer  am  herzen  liegenden  „Faust"  übersprang*,  als  dass  er  den 
umgekehrten  weg  gegangen  sein  solte.  Doch  weiss  ich  wol,  dass 
dies  noch  immer  nichts  beweist 

Zulezt  gedenken  wir  Goethes  eigener  äusserungen  über  unser 
gedieht  in  seiner  späten  lebensbeschreibung.  Es  hat  sich  immer  mehr 
herausgestelt,  dass  Goethe  über  die  entstehungszeit  seiner  ältesten  dich- 
tungen  nichts  bestimtes  wüste,  auch  in  spätem  jähren  sich  nicht  mehr 
völlig  in  den  geist  zu  versetzen  wüste,  der  ihm  diese  eingegeben  hatte. 
Ebenso  klar  liegt  vor,  dass  die  stellen,  wo  er  in  „Wahrheit  und  dich- 
tung"  seiner  einzelnen  werke  gedenkt,  meist  durch  die  bequemlichkeit 
bestirnt  wurden,  sie  mit  der  darstellung  seines  lebens  in  Verbindung 
zu  bringen.  „Götz"  und  „Faust"  werden  mehrfach  erwähnt,  wo  von 
seinen  ältesten  arbeiten  die  rede  ist;  aber  zur  zeit,  wo  sie  wirklich 
begonnen  wurden,  geschieht  ihrer  keine  erwähnung.  Wenn  es  im 
frühjahr  1771,  zur  zeit  seiner  ersten  bekantschaft  mit  Merck,  heisst, 
„Faust"  sei  schon  fortgerückt  gewesen,  „Götz"  habe  sich  in  seinem 
geiste  ausgebaut,  so  ist  beides  unwahr:  „Götz"  war  im  ersten  entwuif 
vollendet,  „Faust"  noch  nicht  begonnen.  Die  dichtung  von  „Wer- 
thers leiden"  wird  unmittelbar  nach  Jerusalems  tod  gesezt,  mehr  als 
ein  jähr  zu  früh,  weü  es  sich  so  am  leichtesten  machte.  So  geschah 
es  denn  auch  mit  dem  „Ewigen  Juden",  dessen  Goethe  auf  veranlassung 
seines  Verhältnisses  zur  brüdergemeinde  gedenkt,  auf  das  ihn  der  tod 
der  frommen  Klettenberg  führte.  Er  erzählt,  wie  er  plötzlich  gefun- 
den, welche  kluft  seine  ansieht  von  der  der  brüder  scheide,  wie  er  in 
folge  seiner  trennung  von  ihnen  sich  ein  eigenes  Christentum  gebildet, 
es  auch  durch  sein  frommes  vertiefen  in  die  kirchengeschichte  zu 
begründen  gesucht  Da  habe  er  denn,  weil  alles,  was  er  mit  liebe  in 
sich  aufgenommen,  „sich  sogleich  zu  einer  dichterischen  form  angelegt", 
den  wunderlichen  eiofall  ergriffen,  am  leitfaden  der  sage  vom  ewigen 


302  Dl^NTZEB 

Juden  ^die  heiYorstehenden  punkte  der  religions-  und  Mrchengeschichte 
nach  befinden  darzustellen^.  Zeitlich  schwebt  hier  die  trennung  von 
der  brüdergemeinde  nebst  der  dichtung  des  ^Ewigen  Juden''  ganz  in 
der  luft;  aber  Hoffinann  versezt  jene  trennung  in  das  jähr  1774,  was 
nicht  allein  unserer  jetzigen  kentnis,  sondern  auch  der  von  Goethe 
angegebenen  Ursache  widerspricht,  welche  die  Vollendung  des  gedichts 
gehindert  habe.  Dieses,  hören  wir,  sei  desto  eher  liegen  geblieben,  als 
sich  eine  epoche  entwickelte,  die  schon,  als  er  den  „Werther"  schrieb, 
und  nachher  dessen  Wirkung  sah,  notwendig  anspinnen  muste.  Unmit- 
telbar darauf  gedenkt  er  seines  „Prometheus",  der  bekantlich  1773 
gedichtet  wurde;  dass  Goethe  „Werther "  irrig  ins  jähr  1772  verlegte, 
ward  schon  erwähnt.  Nach  dieser  darstellung  würden  also  der  „Ewige 
Jude"  und  die  trennung  von  der  brüdergemeinde  spätestens  1772  fal- 
len; aber  eine  feste  Zeitbestimmung  wolte  und  konte  Goethe  gar  nicht 
geben.  Ihm  war  es  nur  um  eine  einleitung  zu  seiner  mitteilung  über 
die  entstehung  des  „Ewigen  Juden"  zu  tun,  die  er  an  den  tod  der 
Elettenberg  anknüpfen  wolte.  Was  er  hier  vom  Studium  der  kirchen- 
geschichte  sagt,  gehört  mehrere  jähre  früher;  schon  ehe  er  nach  Strass- 
burg  gieng,  hatte  er  sich  in  Arnolds  „Kirchen-  und  ketzergeschichte" 
versenkt,  wie  das  achte  buch  von  „Wahrheit  und  dichtung"  ausführ- 
lich berichtet  Das,  was  er  im  fünfeehnten  buche  vom  plane  seiner 
dichtung  erzählt,  beruht  ganz  auf  der  Vorstellung,  die  er  sich  im  jähre 
1813  davon  bildete,  ist  eine  so  freie  ausführung,  wie  die  der  „italieni- 
schen reise"  eingefügten  plane  der  „Iphigenie  in  Delphi"  und  der 
„Nausikaa",  was  sich  daraus  ergibt,  dass  die  hier  gegebene  Schilderung 
des  „Ewigen  Juden"  durchaus  abweicht  von  der  im  ersten  bruchstücke, 
wie  Hof&nann  selbst  bemerkt  hat  Das,  was  er  von  Simon  von  Eyrene, 
dem  tuche  der  Yeronika  und  dem  fluche  des  heilands  erwähnt,  nahm 
er  aus  erneuter  lesung  des  Volksbuches.  Hoffmann  war  nicht  berech- 
tigt, diese  im  gedieht  nicht  hervortretende  kentnis  schon  der  zeit  der 
dichtung  selbst  zuzuschieben  und  daraus  Schlüsse  zu  ziehen.  Kann 
somit  das  fünfeehnte  buch  von  „Wahrheit  und  dichtung"  nicht  als  zu- 
verlässiger zeuge  gelten,  so  bedeutet  noch  viel  weniger  der  summa- 
rische überblick  seiner  „in  die  tiefere  menschheit  greifenden"  dichtung 
der  jähre  1769  bis  1775  in  den  viel  spätem  „Tag-  und  Jahresheften". 
Hier  lesen  wir:  „Es  entsteht  ein  leidenschaftlicher  Widerwille  gegen  mis- 
leitende,  beschränkte  theorien;  man  widersezt  sich  dem  anpreisen  fal- 
scher muster.  Alles  dieses  und  was  daraus  folgt,  war  tief  und  wahr 
empfunden,  oft  aber  einseitig  und  ungerecht  ausgesprochen".  In  die- 
sem sinne  seien  „Paust",   die   „Puppenspiele"    und   der   „Prolog  zu 


GOSTBCBS  XWIOSR  JUDB  303 

Bahrdt*  zu  beurteilen.  Die  bruchstücke  des  „Ewigen  Juden"  und  von 
„Hanswursts  hochzeit"  habe  er  in  der  ausgäbe  lezter  band  nicht  mit- 
teilen dürfen;  mehreres  dieser  frechen  art  sei  verloren  gegangen,  nur 
die  farce  auf  Wieland  erhalten.  Dass  er  unter  „frech*'  nur  die  über- 
mütige laune  versteht,  bedürfte  keiner  bemerkung,  hätte  nicht  Hoff- 
mann aus  dieser  stelle,  die  der  bruchstücke  des  „Ewigen  Juden*'  nur  als 
in  diese  freiere  richtung  schlagend  gedenkt,  das  ergebnis  gezogen,  es  werde 
deren  innerer  anlass  als  „leidenschaftlicher  Widerwille**,  die  haltung 
des  ganzen  als  „frei**  bezeichnet  Aber  keiner  dieser  ausdrücke  bezieht 
sich  insbesondere  auf  die  bruchstücke,  die  Goethe  damals  noch  weni- 
ger näher  angesehen  haben  wird  als  im  jähre  1813;  denn  gerade  die 
ersten  abschnitte  der  „Tag-  und  jahreshefte**  sind  am  allerspätesten 
rasch  entworfen,  als  die  ausführlichen  berichte  seit  der  mitte  der  neun- 
ziger jähre  längst  vollendet  waren.  Uns  liegen  jezt  die  bruchstücke 
der  dichtung  vor;  an  sie  müssen  wir  uns  halten.  Aus  ihnen  eigibt 
sich  ein  viel  anderes,  wenn  auch  dem  umfange  nach  beschränkteres 
bild  als  Hoffmanns  völlig  verzertes,  zu  dessen  aufistellung  „ein  grosser 
aufwand  schmählich  ist  vertan.**  Wir  durften  nicht  gestatten,  dass  ein 
solches  Windei,  wie  es  wol  geschieht,  als  eine  leistung  verehrt  werde, 
sondern  musten  warnend  zeigen,  wie  es  damit  steht 

KÖLN.  H.   DÜirrZER. 


DAS  NEUHOCHDEUTSCHE  PEGNOMEN. 

Em  BETDRAQ  ZUR  DEUTSCHEN  GRAMMATIK. 

In  den  lezten  fünfizehn  jähren  ist  für  erforschung  der  gesetze,  die 
in  dem  werdeprozess  der  neuhochdeutschen  spräche  walten,  anerkennens- 
wertes und  gehaltvolles  geleistet  worden.  Ebenso  hat  das  Studium  der 
lebenden  mundarten  an  umfang  mid  tiefe  gewonnen;  es  ist  femer  die 
monographische  behandlung  des  Sprachgebrauchs  einzelner  schriftsteiler, 
wie  Luthers,  mehr  und  mehr  zu  ihrem  rechte  gekommen.  Dagegen 
hat  die  darstellung  des  stufenweise  fortschreitenden  ganges  der  neuhoch- 
deutschen Schriftsprache  in  der  historisch  -  objectiven  weise  Jacob 
Grimms  verhältnismässig  geringere  beachtung  gefunden.  Wol  sind 
auf  dem  gebiete  der  lautlehre  und  syntax  zwei  bedeutende  werke 
erwachsen:  „Grundlagen  des  neuhochdeutschen  lautsystems^  von  Karl 
von  Bahder  und  Oskar  Erdmanns  alle  Zeitabschnitte  der  hoch- 
deutschen  spräche,    mithin    auch    den    neuhochdeutschen,    umfassende 


304 

^ Grundzüge  der  deutschen  syntax*',  teil  L  Allein  die  neuhochdeutsche 
formenlehre  ist  seit  K  A.  Hahns  ^Neuhochdeutscher  grammatilr-" 
Abt  I.  (Frankf.  a/M.  1849)  und  Jos.  Eehreins  Orammatik  der  deut- 
schen spräche  des  fünfzehnten  bis  siebenzehnten  Jahrhunderts^  (Leip- 
zig 1854 — 56.  3  teile)  nach  der  angedeuteten  richtung  kaum  um  einen 
schritt  weiter  geführt  worden.  Das  buch  von  Hahn,  das  sich  selber 
nur  einen  „versuch"  nent  (vorrede  s.  X),  kann,  so  verdienstlich  es  für 
seine  zeit  war,  schon  darum  nicht  genügen,  weil  es  nur  auf  einem 
sehr  bescheidenen,  gröstenteils  aus  W.  Wackemagels  Deutschem  lese- 
buch  entnonmienen  apparate  von  belegen  beruhte.  Was  aber  das  werk 
von  Kehr  ein  anlangt,  so  ist  es,  abgesehen  von  seiner  beschränkung 
auf  das  15.— 17.  Jahrhundert,  wenigstens  in  dem  teile,  der  die  formen- 
lehre enthält,  nicht  viel  mehr  als  eine  zwar  reichhaltige,  jedoch  kei- 
neswegs lichtvolle,  den  verrat  des  sprachlichen  materiales  möglichst 
erschöpfende  beispielsamlung  und  lässt  die  wissenschaftliche  Verarbei- 
tung des  aufgehäuften  stofFes  nur  zu  sehr  vermissen.  Eine  neue 
behandlung  der  formenlehre  in  dem  ausgesprochenen  sinne  erscheint 
daher  nichts  weniger  als  überflüssig. 

Die  nachfolgenden  blätter  setzen  sich  nun  die  au%abe,  die  ent- 
wicklung  des  deutschen  pronomens  seit  der  zweiten  hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts auf  grund  von  reichlichen  quellenbelegen  aus  dem  bezüglichen 
litteraturschatze  in  übersichtlichem  zusammenhange  darzulegen. 

Als  quellenwerke  habe  ich  benüzt':  die  Schriften  von  Seb.  Brant,  Thom.  Hur- 
ner,  G.  Rollenhagen,  Burkh.  Waldis,  Fischart,  Luther  (Dichtungen  =  Luther 
D.),  Opitz,  Fleming,  P.Gerhardt,  Sim. Dach,  Spee,  J.Rist,  Andr.Gryphius, 
Logau,  Grimmeishausen  (Simpl.),  G.  R.  Weckherlin,  Günther  nach  den 
unter  dem  titel  „Deutsche  dichter  des  sechzehnten  Jahrhunderts*^  (Lpz.  1867 — 83. 
18  bde.)  und  „Deutsche  dichter  des  siebzehnten  Jahrhunderts'  (Lpz.  1869 — 83. 
15  bde.)  von  Karl  Goedeke  und  Jul.  Tittmann  besorgten  ausgaben;  Wickrams 
Rollwagenbüchlein,  Fischarts  dichtungen  (Fisch.  Kurz)  nach  der  „Deutschen 
bibliothek*^,  herausgegeben  von  H.  Kurz;  Witten weilers  Ring,  Niclas 
V.  Wyles  Translationen,  Paulis  Schimpf  und  ernst,  Steinhöwels  Aesop  nach  den 
ausgaben  in  der  „Bibliothek  des  litterar.  Vereins  in  Stuttgart  (bd.  23.  57.  85. 
117);  Murners  Schelmenzunft  (Murn.  Schelm.),  Fischarts  Geschiohtklitterung 
(Fisch.  Garg.),  Krügers  Hans  Ciawerts  historien,  Sandrubs  Delitiae,  Schupps 
Freund  in  der  not,  Chr.  Weises  Erznarren,  Reuters  Schelmuffsky  (1.  fassung] 
nach  den  „Neudrucken  deutscher  litteraturwerke  des  XYI.  und  XYII. 
Jahrhunderts"  (Halle  1878  fgg.  nr.9— 14.  33.  59.  65—71.  85).  —  Ferner:  Eyb, 
Albrecht  von,  Ob  einem  manne  sey  zunemen  ein  eeUch  weyb  oder  nit  (In:  Schrif- 
ten zur  german.  philologie.  Herausgegeben  von  Max  Roediger.  Heft  lY.  BerL  1890).  — 
Eyb,  A.  V.,  dasselbe,  nach  der  Nürnberger  ausgäbe  von  Fritz  Creu£ner  1472  (Eyb, 

1)  Die  von  mir  gebranchten  abkfiizangen  füge  ich  dort,  wo  sie  nicht  ohnehin  leicht  «tkeahu 
sind,  in  klammern  hinzn. 


NHD.  PBONOMBN  305 

(Creußner). —  Geiler  von  Keisorsberg,  J.,  Predigten.  Augsbui-g  1508. 4.  (Keis.)  — 
Geiler  von  Keisersberg,  J.,  Schiff  der  penitentz.  Augsb.  1514.  4,  Keis.  Pen.) 
—  Geiler  von  Keisersberg,  X,  Die  ältesten  Schriften.  Herausg.  von  L.  Dacheux. 
Freiburg  1882.  (Keis.  D.)  —  Luther,  Martin.,  Von  den  guotten  weroken.  s.  1. 
1521.  kl.  4.  (Lnth.  GW.)  —  Luther,  M.,  Vom  abendmal  Christi.  Wittemberg 
1528.  kl.  4.  (Luth.  Abendm.)  —  Luther,  M.,  Wider  den  falsch  genanten 
stand  des  Bapsts  vnd  der  Bischöffen.  s.  1.  &  a.  kl.  4.  (Luth.  Bapst.)  —  Franck 
von  Word,  Sebastian,  Sprüchwörter  gemeiner  Tütscher  nation.  Zürich,  Froschauer 
(1545).  kl.  8.  (Franck  Spr.)  —  Franck  v.  W.,  Seb.,  Paradoxa  ducenta  octo- 
ginta  ...  s.  1.  1542.  kl.  4.  (Franck  Par.)  —  Franck  v.  W.,  Seb.,  Von  dem 
grewlichen  laster  der' trunckenheit.  s.  1.  1533.  kl.  4.  (Franck  Trunk.)  —  Agri- 
cola,  Johann,  Drey  hundert  Gemeyner  Spriohwörtter.  s.  1.  1529.  2tle.  8.  (Agric.)  — 
Zinkgref,  J.  W.,  Der  Teutschen  scharpfsinnige  kluge  Spruch.  Straßb.  1626—31. 
2  tle.  8.  (Zinkgr.)  —  Bodmer,  J.  J.,  Vier  kritische  gedichte  in:  „Deutsche 
litteraturwerke  des  18.  Jahrhunderts.  Hgg.  von  B.  Seuffert*.  Nr.  12.  Stuttg. 
1883.  —  Hall  er,  Albrecht  v.,  Vei-such  schweizerischer  gedichte.  10.  aufl.  Göttin- 
gen 1768.—  Klopstock,  F.  G.,  Oden.  Hamburg  1771.  —  Lessing,  G.  E.,  Sämt- 
liche Schriften.  Hgg.  von  K.  Lachmann.  3.  aufl.  besorgt  von  Fi'anz  Muncker.  I>eip- 
zig  1886  fgg.  —  Bürger,  G.  A.,  Gedichte.  Göttingen  1778.  —  Liscov,  Ch.  L.,  l^ob 
der  schlechten  Schriftsteller.  Hannover  1794.  —  Goethe,  J.  W.,  Sämtliche  werke. 
Mit  einleitungen  von  Kaii  Goedeke.  Stuttg.  1874.  15  bde.  (G.)  —  Schiller,  Friedrich 
Sämtliche  werke.  Mit  einleitungen  von  Karl  Goedeke.  Stuttg.  1871.  4  bde.  (Seh.)  — 
Briefwechsel  des  grossherzogs  Karl  August  von  Sachsen -Weimar -Eisenach  mit 
Goethe  in  den  jähren  1775  bis  1828.  Weimar  1863.  2 bde.  (Brief w.  G.KAug.)  — 
Platen,  Aug.  v..  Gesammelte  werke.  Stuttg.  1853.  5  bde.  —  Alle  andern  von  mir 
benüzten  werke  und  ausgaben,  werden  an  der  betreffenden  belegstelle  selbst  ersicht- 
lich gemacht.  —  [Vgl.  auch  Goi*tzitza,  gj'mn.-progr.  Lyck  1877.    0.  E.] 

1.    Persönliches  ungesehlechtiges  pronoinen. 

Die  kürzeren  formen  des  gen.  sg.  mmi,  dein,  sein,  aus  denen 
die  heute  gebräuchlichen  meinet^  deiner,  seiner  hervorgiengen ,  sind 
nunmehr  vorzugsweise  auf  die  gebundene  rede  und  dichterische  prosa 
eingeschränkt  Gottsched  hat  in  seiner  ^Deutschen  sprachkunst^  (5.  aufl. 
1762)  schon  das  heutige  paradigma  der  längeren  formen;  auch  Schot- 
tel,  „Ausführl.  arbeit  von  der  teutschen  haubtsprache "  (1663)  stelt 
bereits  diese  den  einfachen  formen  voran. 

Beispiele  für  den  gebrauch  der  ursprünglichen  formen:  0,  sclio- 
7iet  mein  Seh.  (M.  Stuart)  2,  221.  Denkt  er  noch  mein?  ebd.  Ich 
denke  dein  G.  1,  33.  als  häif  ich  sein  mich  üherhoben  G.  (Tasso)  5, 
397.  Sie  erwehrte  sich  sein  G.  (Werth.)  7,  59.  0  Selige,  die  sein 
geniest  Bürger  301.  er  mvss  sich  mein  erwehren  Grillparzer,  Werke 
(Ott)  4,  170.  Dort  begegnete  der  Maler  zuerst  LaureUa,  die  .,.,  ohie 
sein  XU  acfiten,  vorilberschritt  Heyse,  Novellen  (1.  samlg.  5.  aufl.)  111. 
In  quellen  des  15.  Jahrhunderts  war  dieser  gebrauch  noch  allein  her- 

ZraTSCHBIFT  F.    DEUTSCHE  PHILOLOGIR.      BD.   XXY.  20 


306  juttklss 

sehend,  obgleich  schon  bei  Suchenwirt,  mithin  ein  Jahrhundert  vor- 
her, spuren  des  späteren  gebrauchs  zu  finden  sind;  s.  Eoberstein,  Über 
die  spräche  des  österr.  dichters  P.  Suchen wirt  (Naumbg.  1828 — 42)  11,  63. 
Auch  im  16.  Jahrhundert  tauchen  die  neueren  formen  vorerst  mehr 
vereinzelt  auf  und  fehlen  in  manchen  Schriften  noch  gänzlich.  Dage- 
gen sind  sie  im  17.  Jahrhundert  schon  stark  in  Verwendung. 

Beispiele:  ich  laß  mich  beduncken,  das  dein  gemute  vnd  hegire 
hie  gegentmlrtig  sein  vnd  sein  noch  mit  meirier  Heb  t^mbgeben,  warten 
mein  vnd  wollen  nit  an  mich  abscheiden  Eyb  58.  du  ...  .  woüest 
nit  vergessen  mein  ebd.  92.  wann  ob  er  gleych  vil  mü  vnd  arbeit 
darauff  legt,  so  spotten  sy  sein  villeicht  nur  darxu  Keis.  44*.  taar- 
lieh  man  tvirt  dein  nit  warten  Keis.  Pen.  104'.  es  lacht  alle  weit 
vnd  spottet  sein  Pauli  39.  Der  sprach  gern,  vnd  was  meiner  minder 
wert  ist,  das  uril  ich  dir  nach  geben  ebd.  207.  von  si?i  selbs  tvegen 
Franck  Spr.  1,  158^  denck  ouch  din  selbs  darby  ebd.  2,  51*.  Ein 
yeder  ist  sin  selbs  groster  fynd  2,  44**.  von  sein  selbs  wegen  Franck 
Par.  76  ^  wo  er  nit  sein  selbs  sorget  vnd  schonet  ebd.  78'.  Ja  diser 
mensch  nimpt  sich  seyn  selbs  nit  an  144**.  Vergißmeinnicht  vergißt 
auch  seiner  selbst  für  ihr  Flem.  63.  wenn  man  sein  begehrt  ebd.  49. 
wo  seiner  wird  gedacht  72.  Deiner  tvolf  er  warten  nicht  88.  So 
gedenK  ich  stetigs  deiner.  Daß  ich  auch  vergeße  meiner  180.  So 
darf  ich  deiner  doch  mit  IVeuden  stets  gedenken  268.  Wer  sein  selbst 
Meister  ist  230.  Ich  achte  deiner  nicht  Opitz  14.  daß  ich  dich  jetzt 
grüße  Vnd  deiner,  wie  ich  tviU,  . . .  genieße,  Das  macht  mein  bester 
Freund  ebd.  57  —  58.  Ein  Bergmann  aber  kan  so  wenig  sein  ent- 
gelten. Als  wenig  Ursach  ist,  der  seine  Reben  pflegt,  Daß  man- 
cher Mensch  sich  nur  auf  bloßes  Saufen  legt  84.  Der  Fürst  der 
Seligkeit  hat  seiner  nicht  geachtet  216.  wann  doch  Jesu  .  .  .  warm 
ivirst  dich  mei7i  erbarmen?  Spee  14.  Ich  seiner  oft  muß  lachen  ebd. 
157.  wann  deiner  ich  gedenke  175.  Wilstu,  daß  mjan  dich  bei  uns 
wol  verehr*  und  deiner  denke  Logau  72.  Dieser  dankte,  daß  man 
seiner  gleichwol  Mitte  da  gedacht  ebd.  220.  Wer  sein  selbst  kan  füg- 
lich sein.  Geh'  kein'  andre  Pflichten  ein  254.  —  In  westdeutschen, 
vornehmlich  alemannischen  Schriften  und  drucken  des  16.  Jahrhunderts, 
bei  Brant,  Fischart,  in  dem  Froschauerischen  drucke  von  Seb.  Francks 
Sprichwörtern  u.  dgl.,  stösst  man  zuweilen  auf  die  form  deinen  für 
dein,  deiner,  z.  b.  der  laßt  dir  im  kat  kein  recht  gon,  sonder  spottet 
dinen  Franck  Spr.  1,  66'— 66^     Vgl.  DWb.  IV./2,  1029. 

Über  den  gen.pl.  unser,  euer  ist  zu  bemerken,  dass  daneben  die 
ungrammatischen  formen  unserer,  euerer  vorkommen,  die  zu  verwerfen 


NED.  PBONOMBN  307 

sind  Sie  scheinea  erst  im  17.  Jahrhundert  entstanden  oder  wenig- 
stens in  Umlauf  gekommen  zu  sein.  In  der  zeit  Schillers  und  Ooethes 
begegnen  sie  häufig  und  sind  auch  heutzutage  gar  nicht  selten.  Gott- 
sched (Kern  d.  deutsch,  sprachkunst,  6.  aufl.  1769)  sezt  die  form  eurer 
sogar  ins  paradigma.  Das  Deutsche  Wörterbuch  III,  191  (artikel  eiier) 
bemerkt:  ,,das  erste  beispiel  dieses  fehlers  bietet  mir  Opitz  dar**.  Unab- 
hängig von  Grimm,  habe  auch  ich  trotz  fleissigster  nachsuchungen  kein 
beispiel  zur  Verfügung,  das  vor  Opitz  fiele ^.  Beispiele:  Wann  Rath 
und  That  erliegt,  wann  alles  ist  gettian,  Körnt  Oott  doch  in  das  Spiel 
und  nimt  sich  unsrer  an  Op.  218.  Nicht  aus  Verachtung  eurer  isis 
geschehn  Seh.  (Teil)  2,  537.  dann  bedarf  es  unserer  nicht  mehr  ebd. 
551.  Und  Eurer  —  wahrlich  hätf  ich  nicht  gefehlt  ebd.  542.  Und 
so  ist  der  Glückliche  vollkommen  fertig,  das  Geschöpf  unserer  selbst 
G.  (Werth.)  7,  45.  Das  Wesen  der  Wesen  bedarf  unserer  nicht  Ger- 
vinus,  Gesch.  d.  d.  dichtung  IV*,  275.  Wer  ist,  ihr  frühen  Urwelt- 
nächte, Der  eurer  ohne  Schrecken  dächte  Schack,  F.  A.  v..  Aus  zwei 
weiten  (Stuttg.  1887)  374. 

3.  PersOnliclies  geschlechtiges  pronomen. 

Der  nom.  und  acc.  sg.  neutr.  von  er  erscheint  schon  in  Schriften  aus 
dem  ende  des  15.  Jahrhunderts,  z.  b.  in  jenen  Eybs  und  Wyles,  fast 
durchgehends  in  der  heutigen  form,  -die  ursprünglich  dem  gen.  sg. 
masc.  und  neutr.  angehörte.  Hinwider  ist  dieser  alte  genetiv  bis  auf 
einzelne  spuren  in  gewissen  redensarten,  wie  „es  zufrieden  sein^,  „es 
kein  hehl  haben",  „es  dank  wissen"  u.  dgl.,  geschwunden,  in  denen 
er  ungefühlt  fortlebt  Ich  gebe  dafür  beispiele  aus  älterer  und  neuerer 
zeit  Denn  sol  ein  erbars  kind  heutte  oder  morgen  fsum  regimefnt 
gebraucftet  werden,  so  ist  es  not,  das  es  viler  leutte  wesen,  rede  . .  . 
gesehen  habe  Agric.  1,  59*.  ihr  habt  es  freien  Fug  Flem.  238.  der 
Alte  war  es  wohl  zu  frieden  Weise  104.  wenn  ichs  xu  frieden  wäre 
Schelm.  41.  Er  hat  es  nimmermehr  Getmn!  Bürger  84.  die  beruhen- 
testen  Buchführer  haben  es  darum  Icein  Hehl  Lisc.  111.  so  sind  Alle, 
nur  wollen  sie  es  nicht  Wort  haben  G.  (W.  Meister)  7,  245.  ich  bin 
es  lange  überzeugt  G.  Forster,  Werke  9,  79.  Aber  Anton  tvar  es  wohl 
zufrieden,  daß  jetzt  die  Tochter  mit  dem  Vater  fuhr  Gust  Freytag, 
Werke  5,  68.    Vgl.  DWb.  III,  1126  fgg. 

1)  Doch  yerzeichnet  Eehi-ein,  Grammatik  der  deutsch,  spräche  des  15.  — 17. 
jahrh.  I,  211  schon  aus  Joh.  Dietenbergers  „Catholischer  Bibell*^  (Cöln  1571)  die  form 
ewerer.  —  [Bei  Gortzitza  s.  66  fg.  kein  älterer  beleg.    0.  £.] 

20* 


306  JBTTKUES 

Für  den  gen.  sg.  sein,  seiner  trift  man  in  alemannischen  Schrif- 
ten und  druckwerken  des  16.  Jahrhunderts  auch  bisweilen  die  form 
seinen,  z.  b.  Nun  tvas  ein  guter  freund,  ein  Burger,  bey  jm,  so  sei- 
nen wartet  Wickr.  163,  4.  War  den  tu  fei  ein  mal  xehtifi  geladeti, 
kan  sinen  nieniermer  abkommen  Franck  Spr.  l,  98'.  Hetiest  du  sinen 
ee  gedacht,  so  wSre  er  ee  kommen  ebd.  1,  164*.  Das  ist,  sy  fraget 
keinen,  nie  er  das  sin  hab  anworden,  ob  er  sinen  tvirdig  sye  ebd.  2, 122'. 

Der  gen.  sg.  fem.  und  gen.  pl.  lautet  in  Schriften  des  15.  Jahr- 
hunderte noch  algemein  und  in  jenen  des  16.  Jahrhunderts  noch  sehr 
häufig  ir,  z.  b.  vne  wol  vil  fürsten  und  herren  yr  (Sigismunda)  beger- 
ten  XU  der  ee  Eyb  (Creußner)  59 ^  Marina  .  .  .  ließ  sich  ir  keinen 
nit  sehen  ebd.  71^  Es  tvirt  jr  kainer  sündigen  Luth.  QW.  A4'. 
Es  begegnet  eim  esel  imd  Uuiven  .  .  .  ein  huff  wolff:  als  jr  der  esel 
von  veirem  wamam,  fieng  er  an  was  er  mocht  xe  rüchlen  Franck 
Spr.  2,  127**.  darumb  solt  er  sich  ir  nit  mer  annemen  Keis.  75'.  ir 
keiner  Wald.  2,  293.  ir  eyner  Mum.  Schelm.  21.  Dagegen:  Vor  Oott 
jrer  selbs  groster  lon^  vor  der  weit  jrer  selbs  groster  schad  Franck 
Spr.  1,  172**.  U7id  wenn  ihrer  auch  fünfzig  wer,  Erlöset  mich  nur 
von  der  schlangen  Roll.  1,  162,  54.  Das  auch  darüber  viel  verderbefi, 
Ihrer  etlich  im  gfervgnifi  sterben,  ebd.  1,  232,  389.  der  jhrer  viel  7ioch 
sind  beim  lebn  Krüger,  Ciawerts  bist.  4. 

Auch  im  17.  Jahrhundert  ist  die  ursprüngliche  form  noch  nicht 
ganz  erloschen,  obwol  ihrer  immer  ausschliesslichere  geltung  gewint 
Schon  Schottel  gibt  als  hauptform  im  paradigma  ihrer  an,  fügt  aber 
ihr  daneben  in  klammern  hinzu.  Bei  Gottsched  wird  bereits  die  län- 
gere form  ih'er  allein  angeführt  Beispiele  für  beide  gebrauchsweisen: 
Kein  Schlaf,  der  sol  ihr  (gen.  sg.)  vergeße^  Flem.  179.  biß  du  jhr 
(sg.)  wider  loß  werdest  Zinkgr.  1,  382.  Ich  muß  jhr  (pl.)  schonen 
ebd.  1,  88.  Als  vmb  das  Jahr  1385  die  Juden  zu  Weissenfeid  in 
Meissefi  eiiie  zusammenkunfft  hielten  vnd  jhrei*  viel  . . .  dahin  kamen 
ebd.  1,  357.  jhrer  etliche,  die  nicht  schuldig  gewesen  Sandrub  88. 
Es  haben  ihrer  viel  . .  .  wol  großen  Ruhm  verdient  um  ihren  Muth 
U7id  Streiten  Opitz  246.  indessen  udrd  die  WeÜ  vergessen  ifirer  selbst 
ebd.  195.  Es  bitten  ihrer  zwei  nach  Rossen  Logau  43.  Es  stritten 
ihrer  zwei  ebd.  189.  Daß  eines  einem  andren  lebt,  ist  keinem  ifirer 
nicht  erlaubt  ebd.  261.  ihrer  zehen  Rist  58.  ihrer  tid  ebd.  156. 
ihrer  keinen  ebd.  186. 

Eine  seltnere  nebenform  von  ir  für  den  dat  sg.  fem.,  die  ich 
z.  b.  in  der  Creußnerschen  ausgäbe  von  Eybs  Ehebuch  (1472)  finde, 
ist  ire:  Der  man  hielt  e^  für  vnmüglich  vnd  versprach  yre  das  also  24'. 


NHD.   PRONOMEN  309 

In  alemannischen  schnften  und  drucken  des  15.  und  16.  Jahr- 
hunderts erscheint  bisweilen  für  gen.,  dat.  fem.  sg.  und  gen.  plur.,  ana- 
log mit  den  oben  besprochenen  formen  deinen^  seinen  im  dein  (deiner) ^ 
sein  (seijier),  die  form  iren,  z.  b.  Die  bübery,  wo  man  jren  nit  weert, 
laßt  sich  7iit  genügen  Franck  Spr.  1,  201  ^  er  liebet  sy  also,  das  der 
brütgam  sich  zu  jren  in  ein  fleisch  vom  himmel  herab  laßt  ebd.  1, 
77*.  Oab  jren  (dat.  sg.)  die  leer  Wickr.  16,  15.  Ein  anxahl  jhren 
(gen.  pl.)  entran  diser  Seichschwämme  . . .  Fisch.  Garg.  233.  Mit  söU 
liehen  Worten  verspotteten  sie  Esopum,  da  ireti  xwen  nuon  so  vil 
truogen  als  er  aUaifi  Steinhöwel,  Aes.  43.  Vgl.  DWb.  IY./2,  2054 — 
2055. 

Eine  andere  nebenform  des  dat.  sg.  fem.  und  gen.  pl.,  die  gleich- 
fals  zumeist  in  alemanoischen  Schriften  und  drucken  des  15.  — 17. 
Jahrhunderts  vorkomt,  hat  altertümliches  gepräge  und  heisst  iro  (ira) : 
Als  er  das  xiim  dickem  mal  von  iro  (i.  e.  siner  gemahel)  erfordert 
Salat  (ed.  Baechtold)  151.  Der  herr  verwiUigete  ira  das  und  ließ  un- 
den  bi  dem  kilchhof  ir  einen  ingang  Knochen  Strettlinger  Chronik  (ed. 
Baechtold)  84.  Im  Fricktal  machten  si  sich  uß  dem  land,  des  wurden 
inen  iro  dorfer  alle  verbrant  Liliencron,  Hist.  volksl.  II,  408.  Vgl. 
DWb.  IV./2,  2058. 

In  betreff  der  dative  ihm,  ihr,  ihnen  ist  zu  erwähnen,  dass  die- 
selben vormals  bis  spät  in  die  neuhochdeutsche  zeit  zugleich  stelver- 
tretend  für  den  der  hochdeutschen  spräche  ursprünglich  fehlenden  dat 
des  reflexivum  gebraucht  wurden.  Beispiele:  der  vater  tüird  serer 
gestraft  an  dem  sone  dann  an  im  selbst  Eyb  19.  Ain  armer  ver- 
Schulter  mensch,  der  ain  grosse  sach  auff  im  hat  Keis.  33*.  Ain 
mensch  soll  sich  offt  im  tage  txu  jm  selber  keren  ebd.  44*.  er  machte 
ihm  die  Augen  mit  Speichel  naß  Gryph.  (Dramen)  172.  def*  vater  . . 
besorgt,  ob  ir  die  tochter  den  tod  het  gethan  Eyb  58.  Es  tvar  die 
gute  Stadt  ir  selber  nicht  getreu  Rist  137.  si  dünt  in  selber  schad  und 
schand  Brant  213.  Viel  sind  .  .  .  von  Felsen  abgestürzt  Und  haben 
ihnen  selbst  die  schwere  Zeit  verkürzt  .  .  .  Opitz  207,  Von  Kirchen- 
dienern sagt  er:  sie  sollen  jhnen  drey  ding  stets  lassen  angelegen  sein 
Zinkgr.  1,  251.  Jedoch  begint  dieser  gebrauch  schon  im  16.  Jahrhundert 
almählich  der  heutigen  Verwendung  der  reflexiven  dativform  sich  zu  wei- 
chen, und  diese  —  die  dem  bedür&iisse,  Zweideutigkeiten  zu  begegnen, 
entsprungen  sein  dürfte  —  gewint  dann  seit  dem  17.  jalurhundert  mehr 
und  mehr  Verbreitung,  ohne  übrigens  so  bald  vollends  durchzudrin- 
gen. Gottsched  sezt  zwar  schon  in  seinen  lehrbüchem  der  deutschen 
spräche  den  dat.  sieh  ins  paradigma  des  reflexivum,  verwahrt  sich  aber 


310 

zugleich  gegen  den  zu  seiner  zeit  offenbar  noch  in  umlauf  befindlichen 
dat  ihm,  ihr,  ihien.  Wie  tief  die  alte  gebrauchsweise  im  wesen  der 
spräche  wurzelte,  beweisen  femer  süddeutsche  volksmundarten ,  in  denen 
sie  bis  zum  heutigen  tag  forüebt  Beispiele:  Oleich  als  wen  eyn  vot- 
ier vil  streiitige  imgehorsame  Jdnder  hat,  setzt  er  eins  aus  pien  xu 
sich  an  den  tisch  Franck  Par.  40  ^  Got  fnüß  das  angenommen  fleisch 
mit  ehr  vnd  preyfi  krönen,  mit  sich  in  die  hohe  füren  vnd  dem  eyn 
namen  geben  Ober  aUe  namen  ebd.  57  ^  Ein  frommer  Mann,  der 
stets  einen  Hund  mit  sich  lauffeti  hatte  Zinkgr.  1 ,  350.  Sucht  er  . .. 
eigen  Nutzen,  so  schadet  er  sich  selbst  ebd.  2,  53.  Die  Frauen  pfleg- 
ien  auch  in  Indien  vorzeiten,  Nachdem  ihr  Mann  verschied,  selbst 
unter  sich  zu  streiten  Opitz  232.  Wer  sich  nun  nicht  sdber  helfen 
kunie,  der  usw.  Weise  40.  wenn  es  ja  an  Oevattem  mangelte,  so 
hätten  sie  einen  Makler  bey  sich  ebd.  97.  Beide  construktionen  stehn 
neben  einander:  Allein,  weil  er  sie  mit  aller  Gewalt  wolle  neben  sich 
haben,  lüde  er  ihm  (sibi)  und  den  seinigen  grosse  Mißgunst  auf  defi 
Haifi  Schupp  11. 

Der  dat  sg.  ihm  hiess  früher  gar  nicht  selten  voller  ime,  ihnie, 
z.  b.  jme  Wyle  297,  6.  yme  Wittenweiler  206.  ime  ebd.  159.  Keis. 
D.  16,  8.  ihme  Salat  151.  Opitz  173.  Log.  11.  130.  201.  Simpl. 
1,  281.     2,  244  usw.;  vereinzelt  imo,  s.  Zamcke  z.  Narrenschiff  386. 

Der  acc.  sg.  ihn  lautete  vormals  neben  in  auch  ine^  ihne  Qhne), 
z.  b.  bei  Eyb  (Creußner)  109^  Fisch.  249,  Fisch.  Garg.  251.  334.  Sand- 
rub  122.  Zinkgr.  1,  98;  vereinzelt  sogar  inen,  ihnen,  so  bei  Luther 
D.  182.  240. 

Der  dat  pl.,  der  sich  heute  von  dem  acc.  sg.  vorteilhaft  unter- 
scheidet, hiess  noch  im  15.  und  16.  und  teilweise  selbst  im  17.  Jahr- 
hundert in,  ihn,  jedoch  ist  schon  im  15.  — 16.  Jahrhundert  die 
erweiterte  form  ifief^,  ihnet^  sehr  verbreitet,  so  zwar,  dass  die  beiden 
formen  abwechselnd  neben  einander  vorkommen.  Man  vgl.  z.  b.  bei 
Luther  GW.  jn  C  1\  E  2\  E  3*.  E  3\  I  2\  I  4\  L  2\  N  2',  jnen 
ebd.  G  2*.  D  2\  I  3\  Nl^  (an  lezterer  stelle  beide  formen  in  einer 
seile);  bei  Fischart  (Kurz)  /»  1,  34.  81.  138,  jfien  1,  169.  3,  339. 
363;  bei  Mumer  m  60.  113.  190,  inet^  39.  132;  bei  Franck  Par. 
jnen  (jhnen)  56\  57\  65\  75\  76*.  101  \  103\  jn  (jhn)  76'. 
112^  bei  Spee  ihn  86,  37.  41.  87,  45.  208,  181.  244,  45,  ihne^i 
87,  43.  173,  68.  175,  165.  179,  95.  210,  236.  231,  4.  244, 
27.  30. 

Bei  gewissen  schriftstellem,  insbesondere  prosaikem,  überwiegt 
oder  hersoht  ausschliessUeh  inai,   das  ist  z.  b.  bei  Luther  in  seinen 


NHD.   FBONOMEN  311 

späteren  Schriften  (s.  Franke,  Orundzüge  der  Schriftsprache  Luthers  189), 
in  Francks  Sprichwörtern  und  in  dessen  Paradoxa  sowie  in  Paulis 
Schimpf  und  ernst  der  fall.  Ausschliesslich  begegnet  man  dieser  form 
seltsamerweise  auch  schon  bei  Nicl.  Wyle,  man  vgl.  u.  a.  43,  28. 
56,  8.  99,  22.  135,  25.  27.  173,  21  —  22.  217,  26.  267,  32  —  33. 
274,  35  und  s.  Nohl,  Die  spräche  des  Niclaus  v.  Wyle  (Heidelb. 
1887)  s.  81.  In  der  zweiten  hälfte  des  17.  Jahrhunderts  scheint 
ihnen  bereits  durchgedrungen  zu  sein;  wenigstens  sezt  Schottel  (s.  536) 
diese  form  allein  ins  paradigma,  während  in  den  ersten  Jahrzehnten 
dieses  Jahrhunderts,  wie  wir  oben  (bei  Spee)  gesehen  haben,  ihn  noch 
fortbestund. 

Eine  seltnere  nebenform  des  dat.  pl.  ist  ine  (ihne),  z.  b.  si  won- 
ien,  iedemian  zug  ine  nach  liliencron,  Volkslieder  2,  411.  Mich  nimpt 
tminder,  das  sie  sich  nicht  vor  jhne  selber  schämen  Franck  Trunk.  F  3'. 

Anmerkung.  Die  in  manchen  Schriften  älterer  zeit,  z.  b.  in 
Wittenweilers  Bing,  vorkommenden  formen  sei,  sey  als  nom.  und  acc. 
sg.  fem.,  sey,  seu  als  nom.  pl.,  es  und  enk  für  vos,  vobis  sind  mund- 
artliche eigenheiten  von  lokaler  beschränkung. 

3.   Pronomen  possessivnm. 

Hier  mag  erwähnung  finden,  dass  in  der  flexion  von  unser,  euer, 
gerade  wie  bei  den  mit  el,  er  abgeleiteten  adjectiven,  öfter  bald  das  e 
der  endung,  bald  jenes  der  ableitung  abfalt,  z.  b.  unsere  Oliicks  Haller 
136.  unsere  ScJieidens  ebd.  166.  unsres  Reisens  134.  unsere  Streits 
lisc.  180.  wisers  Oliicks  Seh.  (Teil)  2,  532.  unsres  Sonnensystems 
G.  (W.  Meister)  8,  96.  Euers  Gelds  Lessing  (Nath.)  3,  70.  euere 
Raths  und  euers  Beistandes  O.  (Götz)  6,  71.  NicJU  eures  Oelds  he- 
darfs  —  ein  Herx  toie  euers  wiegt  Tonnen  Ooldes  auf  und  Millionen 
Schill.  (Wall.)  2,  84.  eures  Busens  Seh.  (Braut  v.  M.)  2,  439.  eures 
Winks  Platen  3,  314.  eures  Kuides  ebd.  4,  407.  mit  unserm  Arm 
Klopstock,  Oden  71.  nach  unseren  Sinn  G.  (Iphig.)  5,  318.  aus 
Euerm  Hause  Less.  (Nath.)  3,  63.  Euerm  Rathe  ebd.  70.  eurem  Rathe 
G.  3,  78.  an  Euerm ^  Oeläute  ebd.  7,  163.  rmch  eurem  Willen  ebd. 
3,  89.  vm  Eurem  Vater  Uhland,  Gedichte  (Stutig.  1853)  446.  die 
eueni  G.  (Iphig.)  5,  317.  durch  unsrer  Hände  Fleiß  Seh.  (Teil)  2,  521. 
unter  euren  Brüsten  Haller  44.  mit  Euern  eigenen  Gedanken  Less. 
3,  101.  In  altem  neuhochdeutschen  werken,  insbesondere  poetischen, 
zeigen  sämtliche  possessiva  (mit  ausnähme  von  ir,  das  häufiger  die 
unverkürzten  formen  beizubehalten  scheint)  neigung  zum  abwurf  des 
flexivischen,   seltener  des  ableitenden  e,  und  zwar  in  allen  endungen, 


312  mniLKs 

selbst  jenen,  auf  deren  e  der  consonant  r  folgt,  obschon  die  YoUen 
formen  keineswegs  fehlen.  Beispiele  für  die  gekürzten  formen:  din 
sach  Murn.  78.  sein  ttigetit  Wald.  2,  105.  sein  riarung  Pauli  207. 
euwer  fröd  ebd.  107.  mifis  lebens  Wyle  54,  35.  deins  dieners  Eyb  99. 
meins  gefiders  Sachs  1,  104.  meins  todes  ebd.  149.  deins  lebetis  149. 
seins  geseUen  Pauli  199.  unsers  hergotts  Murn.  77.  unsers  kerxens 
Weckh.  161.  ewers  abgotts  Luth.  Bapst  A  2'.  euep's  Unglücks  Weckh. 
180.  euers  fleißes  ebd.  184.  euers  lobs  185.  meinr  kunst  Wald.  2, 
101.  deinr  ere  ebd.  100.  laut  euwer  verschrybung  Wickr.  73.  mit 
sim  staiui  Brant  163.  an  sim  vater  ebd.  181.  in  sim  gwalt  Franck 
Spr.  2,  42*.  in  mim  garn  ebd.  mit  deim  brei  Fisch.  237.  in  seivi 
7iamen  ebd.  178.  vo7i  seim  OUed  Sandrub  67.  v^isemi  kusxunri  Pauli 
369.  in  vnserm  garten  ebd.  187.  wnserni  Schöpfer  Dach  73.  unserm 
Oott  Spee  113.  xü  miser  frawen  Luth.  GW.  I  3^  in  unser  Seelen 
Rist  245.  mein  rechten  fusx  Pauli  299.  sei^i  mu7id  ebd.  382.  sein 
xoren  Sachs  1,  80.  viein  bulen  ebd.  179.  unsem  geist  ebd.  72.  mein 
regel  Murn.  129.  sin  hilf  ebd.  133.  sein  frau  Sachs  1,  205.  sein 
mütter  Pauli  362.  all  sein  sach  Sandrub  123.  euer  eigne  ehr  Weckh. 
89.  dein  federn  (nom.  pl.)  Sachs  1,  104.  sein  ochsen  Wald.  2,  112. 
andre  unsrer  frehiden  mehr  Weckh.  153.  eurer  Siitiden  Dach  96. 
an  din  hindern  Murn.  249.  allen  sin  geseUen  ebd.  130.  uf  sin  federet 
64.  7nit  sein  eignen  fußen  Wald.  2,  57.  in  vnsern  reden  Pauli  337. 
xS  vnsem  xeiten  ebd.  137.  irs  ampts  Eyb  45.  irs  manns  ebd.  63.  im 
muivnl  Brant  15. 

Das  in  der  althochdeutschen  imd  älteren  mittelhochdeutschen 
spräche  noch  mangelnde  possessivum  ihr  gewint  im  15.  — 16.  Jahrhun- 
dert immer  algemeinere  Verbreitung  und  scheint  gegen  ende  des  17. 
Jahrhunderts  völlig  durchgedrungen. 

Eine  besondere  bewantnis  hat  es  mit  der  gegen  ende  des  17.  Jahrhun- 
derts aufgekommenen,  seit  der  mitte  des  gegenwärtigen  wider  verschwun- 
denen form  Ihro  in  der  feierlichen  rede.  Die  erste  spur  davon  finde  idi 
in  Abrahams  a  Sta.  Clara  „Mercks  wol,  soldat^  (Wien  1680),  vorrede  1 : 
y^Ihro  Oenädigster  Landes- Fürst ^  und  am  ende  derselben:  j^Ih^v 
Gnaden  Dienstbeflissener  P,  Fr,  Abrahamus  ä  Ä  Clara^.  Hingegen 
erscheint  in  den  zwei  jähre  später  (1682)  veröffentlichten  gedichten 
Morhofs  unter  den  vielen  Widmungen  zu  poetischen  „glückwünschen^ 
und  „  leichenbestattimgen  ^  ausschliesslich  dafür  Dero.  Aber  auch  im 
18.  — 19.  Jahrhundert  genoss  Ihro  keineswegs  algemeine  Verbreitung, 
z.  b.  findet  sich  in  Oellerts  „Briefen  nebst  einer  praktischen  abband- 
hing  von  dem  guten  geschmack  in  briefen*'  (Leipz.  1758)  keine  erwäh- 


NHD.   PBONOMEK  313 

nung  davon;  die  stelle,  die  von  dem  gebrauch  der  titulaturen  handelt, 
lautet:  „Man  soll  nicht,  wie  man  meistens  im  umgange  redet,  durch 
Sie,  Ihnen,  Ihre,  sondern  durch  Dieselben,  Dero,  Deroselben,  Höchst- 
denenselben,  reden"  (s.  76).  Andere  Schriftsteller  wider  bevorzugen 
Ihro,  Ich  gebe  einige  weitere  beispiele.  Da  tritt  der  Haitshofmeister 
herein  und  meldet  ihm  die  Beherbergung  des  verspäteten  Pfarrhermy 
und  tvie  er  itxt,  voller  Verlangen,  Ihro  Gräfliche  Gnaden  xu  sprechen, 
vor  der  Kammerthüre  lauschte  Thümmel,  Wilhelmine  (1773)  60.  In- 
deß,  sollte  etwa^s  nicht  vollkonimepi  nach  Ihro  Onaden  Bequemlichkeit 
gewesen  seyn,  so  geruhen  Ihro  Ghiaden  nur  xu  befehlen  Lessing  (Minna) 
2,  192.  Idi  wollte  nicht  um  AUes  —  Ihro  Excellenx,  fiel  ich  ein, 
ich  bitte  tausendmal  ti^n  Verxeihmig  G.  (Werth.)  7,  51.  Es  muß  doch 
wohl  so  sein,  Ihro  Durchlaucht  Seh.  (Geisterseher)  4,  77.  wenn  nicht 
der  Gedanke,  mich  für  Ihro  Dienst  verdoppelt  xu  sehen,  so  vergnüg- 
lieh  und  aufheitemd  wäre  Briefw.  G.  K.  Aug.  2,  46.  In  Hoffnung 
mich  Ihro  Gegenwart  bald  xu  erfreuen  unterthänigst  Goethe  ebd.  82. 
Das  Deutsche  Wörterbuch  (IV/2,  2058)  erklärt  dieses  Ihro  für 
possessiviscb  unter  hinweis  auf  die  gleichzeitig  daneben  vorkommende 
form  dero  und  trent  es  von  dem  oben  erwähnten  iro,  ihro,  Ihro,  das 
bald  als  gen.  und  dat  sg.  fem. ,  bald  als  gen.  pl.  gebraucht  war.  Allein 
gerade  die  kaum  zufällige  Übereinstimmung  mit  dem  in  derselben 
anwenduDg  begegnenden  gen.  des  demonstrativum,  dero,  lässt  vielmehr 
vermuten,  dass  hier  gleichfaJs  ein  ungefühlter  casus  des  persönlichen 
pronomen  und  zwar  wahrscheinlich  der  gen.  pl.  vorliegt,  der  dann 
allerdings  possessivische  Verwendung  fand.  Man  vgl.  Frisch,  Teutsch- 
lateinisches  Wörterbuch  I,  486,  wo  dieses  Ihro  gleichfals  als  gen.  pl. 
erklärt  wird. 

GRAZ.  ADALB.   JEITTELES. 

(Fortsetzung  folgt) 


DEUTSCHE  WANDEETßUPPEN  IN  DlNEMAEK. 

I. 

Schon  früh  wurde  Dänemark  von  fremden  schauspielertruppen 
besucht  So  hatte  der  könig  Friedrich  IL  zwischen  1579  —  86  zweimal 
englische  komödianten  in  seinen  diensten,  welche  auch  1585  in  Hel- 
singör  spielten  und  in  dem  folgenden  jähre,  als  die  ersten  in  Deutsch- 
land, nach  Dresden  und  Berlin  berufen  wurden.  Umgekehrt  sante 
10  jähre  später,  zur  krönungsfeier  Christians  IV.,  der  Schwager  des 
königs,   herzog   Heinrich   Julius   von   Braunschweig,   seine   englischen 


"VT 


314  FALUDAN 

komödianten  nach  Dänemark^.  In  demselben  jähre  suchte  ein  fahren- 
der poet,  der  Schlesier  Martin  Schwarzbach,  vergebens  die  erlaabnis, 
eine  komödie  ,,Studentes^ '  in  Kopenhagen  aufzuführen,  und  nicht  bes- 
seres glück  hatte  1629  ein  ähnliches  gesuch  einiger  deutschen  Studen- 
ten. Als  die  bitte  1633  erneuert  wurde,  hatte  sie  hingegen  vielleicht 
den  erwünschten  erfolg,  und  möglicherweise  ist  bei  dieser  gelegenheit 
Rists  Irenaromachia  hier  gespielt  worden  ^  1634  führte  ein  Deutscher, 
der  Satiriker  Hans  Lauremberg,  als  professor  in  Sorö  die  renaissance- 
komödie,  und  1655  die  oper  bei  hofe  ein^,  und  deutsche  opern-ballete 
waren  in  der  folgezeit  daselbst  nicht  ungewöhnlich. 

Die  an  Wesenheit  eigentlicher  Wandertruppen  aber  spüren  wir  erst 
in  der  zweiten  hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Yom  anfang  des  jahres 
1663  spielte  in  Kopenhagen  eine  niederländische  bände  unter  Andreas 
Joachim  Wulff,  der  sich  hier  ansiedeln  wolte  und  auch  ein  Schauspiel- 
haus bauen  liess,  aber  schon  1664  schuldens  halber  aufhören  muste^. 
Sein  „hauptagent^  Michael  Daniel  Treu  war  jedoch  Deutscher  und  ohne 
zweifei  derselbe,  welcher  später  als  puppenspieler  und  prinzipal  zu 
Lüneburg  1666  und  München  1677,  1681—85  auftrat«.  Vielleicht  war 
er  söhn  oder  verwanter  des  ersten  bekanten  deutschen  wanderprinzi- 
pals  Carl  Treu,  der  1622  und  25  in  Berlin  spieltet 

1)  Bolte  im  Jahrb.  d.  Shakespearegeselsch.  XXIII,  1888,  s.  99.  102.  103. 

2)  0.  zw.  von  Siimmelius  1550,  vgl.  H.  Meyera  Studentica,  Leipzig  1857. 

3)  Werlauif,  Uistoriske  antegnelser  til  Holbergs  lystspil,  Kopenhagen  1858, 
282  fgg.  Overskou,  Den  danske  skueplads,  Eopenh.  1854,  I,  80  fgg.  Paladan, 
Renaissancebevsegelsen  i  Danmarks  litt.,  1887,  307. 

4)  Paludan,  H.  Willumsen  Laorembergs  4  Skj»mtedigte,  1890,  s.  Xu  u.  XXY. 

5)  Werlauff  285  fgg.    Overakou  I,  103  fgg.    262  fgg. 

6)  Zeitschr.  f.  deutche  phil.  XXI,  283.  Gaedertz,  Theaterzustände  von  Hildes- 
heim, Lübeck,  Lüneburg,  1888,  s.  99:  Michael  Daniel  Drey  sucht  8.  sept  16ö6  zu 
Lüneburg  spielerlaubnisz ,  nachdem  wir  unsz  nuhnmehr  Edliche  Jahre  bey  Ihro  Kö- 
nigl.  Ma\j.  von  Tennemarck  auffgehalten  haben. '^  —  Bolte  in  Herrigs  Archiv  LXXXII, 
85.    Die  dort  citierten  belegsteUen  im  Jahrb.  für  Münchener  gesch.  I  konte  ich  nicht 

einsehen. 

7)  Nach  Löwen,  Schriften  lY,  13  (vgl.  Plümicke,  Theatergesch.  v.  Berlin  40;  De- 

vrient,  Gesch.  d.  deutsch,  schauspielk.  I,  201)  soll  der  dänische  hofprediger  oder  gar 
„oberhofprediger''  Lassenius  in  seiner  Jugend  zu  dieser  ältesten  Treuschen  tmppe  gehört, 
später  vielleicht  eine  eigene  gebildet  und  schliesslich  von  dem  kurfürsten  Georg 
Wilhelm  üben^det  den  schauspielefötand  verlassen  haben.  Johann  Lassenius  war  aber 
»"st  1636  als  söhn  eines  pommerschen  pfarrei'S  geboren,  verbrachte  1657 — 66  einen 
grossen  teil  seiner  Jugend  auf  zum  teil  ziemlich  abenteuerlichen  reisen,  wurde  dann  rector 
und  Prediger  zu  Itzehoe,  gieng  in  den  dienst  des  stathalters  Ranzau  als  hofpiediger, 
wurde  aber  keineswegs  in  dieser  eigenschaft,  sondern  in  der  bescheidenen  Stellung 
eines  diaoonus  oder  zweiten  predigers  an  der  deutschen  Si  Petrikirohe  1676  nach 


WANDKRIBUPFEN  IN  DANZICABE  315 

ungefähr  gleichzeitig  mit  Wulff  und  Treu  muss  nach  eigener 
aussage  der  deutsche  bandenprinzipal  Andreas  Fandszen  in  Dänemark, 
vielleicht  zu  Odense  schon  1661  und  in  Bergen  1664,  gespielt  habend 
Weiter  sind  wir  berechtigt,  in  Carl  Andreas,  der  1672  in  Kopenhagen 
Spielerlaubnis  erhielt,  einen  der  bedeutendsten,  aber  wenig  bekanten 
Vorgänger  Veltens,  Carl  Andreas  Paulsen  zu  vermuten,  der  schon  um 
1630  eine  bände  gebildet  haben  soll^  Er  wird  öfters  bloss  durch  den 

KopeDhagen  bemfeD.  Er  machte  sioh  als  eifriger  asketischer  Schriftsteller  bekant, 
wurde  1677  dr.  theoL,  im  nächsten  jähre  professor,  und  starb  1692.  Schon  das  jähr 
seiner  geburt  macht  jede  Verbindung  mit  der  viel  älteren  Carl  Treuschen  truppe 
unmöglich,  wie  auch  schon  von  Eusz  in  den  Sohl. -holst  provincialberichien  1833, 
554,  von  Schröder  in  den  Neuen  sohl. -holst,  provincialberichten  1834,  168  fgg.  (vgl. 
396  fgg.  L's  Leben  von  Enickbein),  von  Gervinus,  Hagen,  Gesch.  des  theaters  in 
Preussen  93,  u.  a.  bemerkt  ist  Dennoch  kehrt  das  misverständnis  wider,  z.  b.  bei  Brach- 
vogel, Gesch.  d.  kgl.  theaters  in  Berlin  I,  1877,  21—22,  der  auch  Lassenius  als 
^kgl.  dänischen  hofprediger '^  in  „  Stockholm '^  (!)  enden  lässt  Hagen  und  nach  ihm 
Genee,  Lehr-  u.  wandeijahre  d.  deutschen  Schauspiels  284,  glauben  an  eine  Ver- 
wechselung unseres  Lassenius  mit  seinem  gleichnamigen  vater,  der  auch  prediger 
war,  sonst  aber  ziemlich  unbekant  ist  Schröder  hingegen  und  neuerdings  Carstens, 
Axt  Lassenius  in  der  AUg.  deutschen  biographie,  finden  die  annähme  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  unser  Joh.  Lassenius  gegen  den  schluss  seines  abenteuerlichen  Wander- 
lebens, um  1666,  für  kürzere  zeit  in  eine  schauspielertruppe  geti-eten  ist.  Unstreitig 
scheint  diese  ansieht  besser  beglaubigt,  nachdem  sich  herausgestelt  hat,  dass  in  die- 
sen Jahren  wirklich  eine  jüngere  Treu'sche  (nicht  wie  Carstens:  ,,Traulsche  ^)  truppe 
bestand,  welche  die  tradition  leicht  mit  der  älteren  und  früher  bekanten  verwechselt 
haben  kann.  Lnmerhin  bleibt  es  doch  bedenklich,  dass  der  kurfürst  Georg  Wilhelm, 
der  Lassenius  von  der  bühne  abberufen  haben  soll,  schon  1640  starb.  Betrat  Lasse- 
nius nur  von  der  not  getrieben  die  bretter,  so  geschah  dies  schwerlich  zu  Berlin,  in 
der  nähe  seiner  heimat  und  der  Universität  Rostock,  wo  er  lühmlich  studieii  hatte; 
eher  im  südöstlichen  Deutschland  oder  Ungarn,  wo  er  von  den  Jesuiten  hingeschlept 
war.  Aber  auch  nicht  die  leiseste  anspielung  auf  eine  solche  episode  findet  sich  in 
den  gleichzeitigen  quellen,  dem  Programma  funebre  der  Eopenhagener  Universität  bei 
Lassenius's  tod,  der  lebensbeschreibung  bei  Moller,  Cimbr.  litt.  H,  imd  einer  anderen 
in  der  dritten  ausgäbe  von  Lassenius,  Heiliger  perlenschatz,  Copenh.  u.  Leipz.  1701,  4^, 
wahrscheinlich  von  dem  deutschen  prediger  zu  Helsingör  Boldich.  Ungefähr  zu  der- 
selben zeit,  in  die  seine  scenische  Wirksamkeit  fallen  muss,  fährt  Lassenius  in 
seinen  „Arcana  poUtico-atheistica*^,  1666,  12™°,  s.  63  fgg.  bei  beschreibung  eines 
Jahrmarkts  heftig  gegen  die  gaukler,  zahnbrecher  und  Schauspieler,  diese  „caix;ino- 
mata  et  pestes  reipublicae**  aus.  Weite  man  hier  die  reue  des  bekehrten  orthodoxen 
eiferers  über  irwege  seiner  vorzeit  sehen,  so  ist  dagegen  zu  bemerken,  dass  Lassenius 
anderswo,  z.  b.  in  dem  ^yPerlenschatze*^,  ed.  cit.,  2.  verteUung,  394,  auf  das  Schau- 
spiel zurück  komt  und  ohne  weiteren  ärger  erbauliche  gleichnisse  daraus  herleitet 

1)  Werlauff  285.  Overskoul,  110.  Suhms  Saml.  II,  2.  heft,  140.  Schütze, 
Hamb.  theatergesch.  33.    Devrient,  Gesch.  d.  d.  schauspielk.  I,  204. 

2)  Werlauff  288.    Overskou  I,  112.    Plümicke,  Theatergesch  v.  Berlin  49. 


316  PLLUDAN 

Vornamen  bezeichnet,  als  „Prinzipal  Carl",  „Carl  (Andreas)  Paul", 
„Carl  Paulson",  und  hatte  schon,  als  er  1665  zu  Frankfurt  erscheint, 
in  Dänemark  und  (1663)  in  Schleswig  gespielte  1668  war  er  in 
Mecklenburg  und  Lübeck,  und  als  die  „Carlische  geselschaft"  einige 
jähre  später  wider  in  Mecklenburg  auftritt,  hat  sie  in  der  Zwischenzeit 
Schweden  und  Dänemark  besucht  *.  Auf  dieser  reise  treffen  wir  am 
5.  Jan.  1671  den  „Prinzipal  Carl"  in  Kiel*,  und  im  märz  1672  bekomt 
„Carl  Andreas"  erlaubnis,  zweimal  wöchentlich  in  Kopenhagen  zu  spie- 
len. In  demselben  jähre  wurde  die  „trefliche  Schauspielerin"  Anna 
Paulson  von  Kopenhagen  nach  Petersburg  berufen,  ein  beweis  unter 
anderen,  dass  schon  vor  Veiten  weiber  auf  der  bühne  sich  auszeich- 
neten*. Ob  es  hingegen  diese  truppe  war,  die  in  einem  königlichen 
pass  auf  der  reise  nach  Kiel  14.  jan.  1676  als  „unsere  comedianten", 
also  als  dänische  hoftruppe  bezeichnet  wird,  ist  zweifelhaft,  da  die 
„Carlische  hochteutsche  compagnie"  schon  1674  von  Dresden  nach 
Wien  zog,  also  nicht  mehr  in  Dänemark  angesiedelt  war*.  Vielleicht 
handelt  es  sich  hier  eher  um  die  „kgl.  dänischen  priviligierten  hof- 
acteurs  mit  figuren",  also  puppenspieler,  die  in  Hamburg  um  dieselbe 
zeit,  doch  auch  mit  lebenden  personen,  agierten*.  In  diesem  falle  war 
der  hof  nicht  besonders  kritisch,  denn  höchst  wahrscheinlich  war  es 
dieselbe  truppe,  die  kurz  nachher  in  der  bitschrift  eines  gewissen  Nico- 
laus Locke  vom  sept  1680  als  „eine  so  gar-  undt  überausschlechte 
bände"  bezeichnet  wird.  Locke  dagegen  will  „eine  bände  vndt  Kern 
der  vortrefflichsten  Commoedianten "  in  Hamburg  zusammengebracht 
haben,  und  bekam  auch  für  ganz  Dänemark  Privilegium,  das  er  jedoch 
nie  benuzt  zu  haben  scheint^.  Ebenfals  suchte  1695  der  sächsische 
Schauspieler  (ehemaliges  mitglied  der  Veltenschen  truppe?)   Joh.  Aug. 

1)  litzmann  in  der  Ztschr.  f.  vgl.  litteraturgesch.  u.  renaissaDoelitt ,  n.  f.  I,  11. 
Bolte  in  Henigs  ai'chiv  LXXXII,  86.  Schon  um  1650  und  wider  25.  apr.  1664  tref- 
fen wir  n^^l  Andreas  Paulj*^  in  Lüneburg.    Gaedertz,  Theaterzustände,  75.  99. 

2)  Jahrb.  f.  niecklenb.  gesch.  1836,  1,  95.  96. 

3)  Litzmaon  a.  a.  o. 

4)  Overskou  1,  112.  Litzmann  a.  a.  o.  Die  quellen  für  die  beruf ung  nach 
RuBsland  bei  Tietz  Bunte  skizzen  aus  süd  und  ost,  Wesselofsky  Deutsche  einflüsse 
auf  das  alte  russ.  tbeater,  1876,  und  Fechoer,  Chronik  der  evangel.  gemeinden  in 
Moskau,  1876,  standen  mh'  nicht  zu  gebot. 

5)  Overskou  I,  113.  Bolte  a.  a.  o.  86.  Ob  Carl  Andreas  Paul  dann  wider 
mit  „dessen  Schwiegersohn  Veiten*^  io  Lübeck  am  7.  juni  1675  war?  Vgl.  Gaedertz, 
Theaterzustande  s.  48.  147. 

6)  Overskou  1,  113.    Schütze  96. 

7)  Overskou  I,  113.  265.    Werlauff  288.  503. 


WANDERTRUPPEN  IN   DANKHARE  317 

üblich  Privilegium  als  „Stadt- comediant*'  zu  Kopenhagen;  von  ihm  wis- 
sen wir  aber  später  nur,  dass  er  1697  in  Schweden  war^. 

Zweifelhaft  bleibt  es,  ob  der  ungefähr  sechsjährige  aufenthalt  einer 
truppe  „nordischer  comedianten  in  hochdeutscher  spräche"  oder  „chur- 
sächsischer  hochdeutscher  comedianten  **  in  Schweden  1690  —  97  auch 
die  dänische  theatergeschichte  berührt.  Die  schwedischen  Urkunden  * 
begegnen  sich  hier  mit  deutschen,  indem  wir  1697  dieselbe  truppe 
ZU  Güstrow  in  Mecklenburg  antreffen,  durch  die  hoftrauer  am  tode 
des  königs  Karl  XL  aus  Schweden  vertrieben,  nachdem  sie  sich 
„6  jähre  in  den  nordischen  platzen  aufgehalten "  ^  In  diesen  sechs 
Jahren  hat  sie  vielleicht  auch  Kopenhagen  besucht,  und  sehr  wahr- 
scheinlich Bergen  in  Norwegen,  wo  der  dichter  Holberg  als  kind 
eben  zu  dieser  zeit  biblische  Schauspiele  aufgeführt  sah*.  Die  schwe- 
dischen Verfasser  wollen  in  diesen  „  chursächsischen  comedianten*^  die 
berühmte  Veltensche  bände  sehen,  was  sich  aber  schlechterdings  nicht 
mit  der  genauen  Chronologie  bei  C.  Heine  ^  vereinigen  lässt,  ob  es 
schon  durch  die  Untersuchungen  Silfverstolpes*  beglaubigt  ist,  dass  Vel- 
tens  truppe,  vielleicht  in  Schwedisch -Pommern,  vor  dem  könige  Karl  XL 
gespielt  hat 

Im  jähre  1703  hören  wir  wider  einmal  von  einem  besuche  nieder- 
ländischer comedianten  in  Kopenhagen,  und  in  demselben  jähre  scheint  die 
witwe  Veiten  Dänemark  besucht  zu  haben';  über  wesen  und  leistungen 
aller  bisher  genanten  truppen  lassen  sich  jedoch  aus  alten,  zerstreuten 
Urkunden  nur  gelegentliche  und  fragmentarische  aufschlüsse  schöpfen. 
Zuverlässliche  erörterungen  gibt  erst  die  samlung  der  ältesten  theater- 

1)  Werlauif  292.  Silfverstolpe ,  Kfillor  til  svenska  teatems  hist,  in  der 
schwed.  zeitschr.  Framtiden,  1877,  143. 

2)  Silfverstolpe  a.  a.  o.  142.  £.  Land,  Blad  ur  svenska  teaterns  hist,  in 
Qrönstedts  schwed.  ztschr.  „Nu''  I,  1874  —  75,  s.  426.  Dahlgren,  Stockholms  thea- 
trar,  1866,  9  fgg. 

3)  Bärensprung  im  Jahrb.  f.  mecklenb.  gesch.  I,  97.  litzmann  in  der  Ztschr. 
f.  vgl.  litteraturgesch.,  n.  f.  I,  10. 

4)  Overskou  I,  119.    Holberg,  Episteln,  nr.  226.  382. 

5)  Joh.  Veiten,  Akad.  diss.,  Halle  1887.  Eher  steht  es  mit  diesem  nordischen 
aufenthalt  kursächsischer  komödianten  in  Verbindung,  wenn  ein  gewisser  „Franz  Mel- 
chior Hart,  Saxonia  Gomoediant.^  am  4.  jan.  1692  zu  Lüneburg  spielerlaubnis  sucht, 
nachdem  er  in  Schweden,  Dänemark,  Idefland,  Sachsen  usw.  gespielt  hat.  Oaedertz, 
Theaterzustände  119. 

6)  „Samlaren«,  ztschr.  d.  schwed.  litteraturgeselsch.,  1889, 55—56.  1890,  76—83. 

7)  Overskou  I,  121.  Oaedertz  a.  a.  o.  123:  Frau  Veiten  sucht  am  1.  nov. 
1703  aus  Hamburg,  nach  einer  beschwerlichen  reise  von  Kopenhagen,  in  Lüneburg 
spielerlaubnis. 


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318  PJLLUSAN 

Zettel  der  dänischen  nationalbühne  von  1722  an,  welche  auf  der  kgL 
bibliothek  zu  Kopenhagen  vorhanden  ist,  und  in  welche  sich  auch 
einige  schauspielankündigungen  der  deutschen  banden  verirt  haben,  die 
ein  wenig  früher  in  Dänemark  spielten ^  Unter  den  ersten,  wahr- 
scheinlich schon  von  1707,  treffen  wir  hier  einen  anschlagszettel  der 
truppe  der  witwe  Veiten: 

„Die  Eönigl.  Pohlnische  und  GhurfiirsÜ.- Sächsische  Hoff-Comoe- 
dianten  Werden  mit  gnädigster  Erlaubnüs,  Heute  Frey  tags  den  4  No- 
vemb.  [1707]  umb  ihnen  sonderbahre  Affection  zu  erwerber  (!),  auf- 
führen eine  von  dem  berühmten  Italiänischen  Meister  Cicognini  ent- 
lehnte Haupt -Action,  die  sich  betitult: 

Statua,  Oder:  die  in  ein  Marmorsteinernes  Bild  yerliebte 

Princeszin  Adamira. 

Personen  der  Action. 

1.  Indamoro,  König  in  Sicilien. 

2.  Adamira,  seine  Tochter. 

3.  Dionysia,    Princeszin   aus  Aragonien,    in   Gestalt  eines   Oärtners, 
unter  den  Namen  Laureno. 

4.  Heinrich,  Printz  aus  Castilien. 

5.  Fischetto,  sein  Kammer- Diener. 

6.  Corinto,  Printz  aus  Aragonien,  unbekant,  unter  dem  Nahmen  Pe- 
rideuB. 

7.  Pasquella,  seine  vermeynte  Mutter,  eine  alte  lustige  Frau. 

8.  Drusilla,  des  Königs  heimliche  Liebste. 

9.  Despino,  ihr  lustiger  Knecht 

10.  Idraspe,  Capitain  von  des  Königs  Wacht. 

11.  Trinea,  der  Adamira  Kammer- Mädgen. 

12.  Tepandro 


J  Zwey 


-^     .  I  «.,^T  Banditen. 

13.   Arzeo        | 

Kurtzer  Summarischer  Inhalt: 

Des  ersten  Actos: 

Der  Capitain  Idraspe  findet  den  Despino  auff  der  Schildwacht  vor 
der  Drusilla  Kammer-Thür  schlaffend.  Der  König  beurlaubet  sich  mit 
seiner  heimlichen  Maitresse  Drusilla,  diese  bestellet  durch  Despino  zwey 

1)  Die  Zettel  sind  schon  yon  Werlauff  Antegnelser  292  fgg.,  und  Oyerskon 
Danske  skueplads  I,  126.  136  fgg.  erwähnt,  nirgends  aber  abgedruckt  Meine  abschrif- 
ten  sind  mit  allen  Sprachfehlern  wortgetreu  und  in  ihi'er  logischen  und  giammatiscben 
unbehülflichkeit  für  die  bildungsstufe  der  fahrenden  Schauspieler  bezeichnend. 


wjlndxbtrüppkn  in  dInrmark  319 

BanditeD,  welche  den  Gärtner  Laureno  umbringen  sollen,  weil  er  in 
ihre  geile  Begierden  nicht  hat  willigen  wollen.  Printz  Heinrich  ent- 
decket seinem  Kammer -Diener  Fischetto  die  grosse  Liebe,  so  er  gegen 
die  Princeszin  Adamira  trägt,  und  klaget  daneben  über  ihre  kaltsinnige 
Härtigkeit,  Brasilia  wil  Printz  Heinrich  zur  Gregenliebe  anreitzen, 
beköAt  aber  den  Korb,  und  musz  mit  Schanden  abziehen.  Perideus 
koiüt  mit  seiner  Pflege -Mutter  Pasquella  an  den  Sicilischen  Hoff,  an 
welchem  sich  auch  die  Princeszin  Bionysia  aus  Arragonien,  in  Mafls- 
Kleidern  und  Gärtners -Oestalt,  unter  dem  Namen  Laureno  auffhält, 
damit  sie  auff  Printz  Heinrich  desto  besser  Achtung  geben  kan,  wel- 
cher ihr  in  Arragonien  die  Ehe  zugesaget,  ihre  Liebe  genossen,  und 
hernach  verlassen.  Tepandro  und  Arzeo  geben  Feuer  auff  Laureno, 
und  verwanden  ihn,  Perideus,  Pasquella  und  der  Gapitain  Idraspe 
komen  ihm  zu  Hülffe. 

Des  andern  Actus. 

Bie  Princeszin  Adamira  beklaget  ihre  heimliche  Liebe  gegen  die 
Marmorsteiner  Statuam,  und  wird  von  ihrem  Kammer-Fräulein  Trinea 
vergebens  getröstet,  Printz  Heinrich  bemühet  sich  umsonst  um  der 
Admirä  Gegenliebe.  König  Indamoro  will  von  seiner  Tochter  Adamira 
die  Ursache  ihrer  Traurigkeit  und  heimlichen  Leydens  wissen,  kan  aber 
wegen  ihrer  Halszstarrigkeit  und  Yerschwiegenheit  nichts  erfahren.  Ber 
Gärtner  Laureno  meldet  den  Perideus  und  die  Pasquella  bey  dem  Kö- 
nige an,  werden  von  demselben  in  Bienst  genommen,  und  machet 
Pasquella,  welche  sich  in  den  Laureno  verliebt  hat,  gar  poszirliche 
Händel.  Perideus  wird  in  Debe  entbrannt  gegen  die  Princeszin  Ada- 
mira, entdecket  solches  dem  Laureno,  und  begehret  seiner  Hülffe. 

Des  dritten  Actus. 

Trinea  überlieffert  der  Pasquella  die  Schlüssel  zum  Garten -Zim- 
mer, und  vexiret  sie  mit  der  Liebe  gegen  den  Laureno.  Bie  Prin- 
ceszin Adamira  klaget  gegen  die  Statua  im  Garten  ihre  Liebe,  Laureno, 
welcher  sich  verstecket  hat,  höret  solches,  und  erfähret  also  ihr  Geheim- 
nüs,  überredet  sie  auch,  dasz  er  die  Kunst  könne,  einen  Stein  leben- 
dig und  beweglich  zu  machen,  und  verspricht  solches  ins  Werk  zu 
richten.  Brusilla  lasset  durch  ihren  Biener  Bespino  dem  Perideus  ihre 
Liebe  antragen,  Laureno  offenbaliret  dem  Perideus  der  Adamira  heim- 
liche Liebe  gegen  die  Statua,  und  giebt  ihm  den  Rath,  dasz  er  auff 
die  künfitige  Nacht  die  Statua  präsentiren  solle:  die  Princeszin  zu 
betrügen,  und  seine  Begierde  zu  erfüllen,  hernach  überredet  er  den 
Printz  Heinrich,  dasz  die  Princeszin  Adamira  gegen  ihn  verliebet  sey. 


«.'■  *      .  '    -  ».      "I-.«!    * 


320  PALÜDIN 

und  werde  seiner  künfitige  Nacht  im  Garten  erwarten.  Drusilia  ent- 
decket dem  Despino  dasz  sie  die  Rache  so  wohl  an  Printz  Heinrich, 
als  an  Perideus,  wegen  verschmäheter  Liebe,  suchen  wolle.  Adamira 
kommt  im  finstem  zu  ihrer  geliebten  Statua  in  den  Garten,  welche 
sie  lebendig  machet,  und  mit  sich  führet  Printz  Heinrich  vermeinet 
Adamira  anzutreffen,  enpfanget  aber  unwissend  seine  verlassene  Liebste, 
die  Dionysia,  welche  sich  in  der  Adamira  Kleider  verstellet  hat,  wer- 
den also  Adamira  und  Heinrich  durch  die  Dunckelheit  der  Nacht  artig 

betrogen. 

Des  vierten  Aotos. 

Drusilia  klaget  dem  Printz  Heinrich  bey  dem  König  falschlich  an, 
als  habe  er  sie  mit  Gewalt  zu  seinem  Willen  zwingen  wollen,  Despino 
musz  diese  Anklage  wider  seinen  Willen  bekräfiEtigen  helffen.  Der 
König  beklaget  sich  über  Printz  Heinrich,  dieser  solches  hörend,  ver- 
meynet,  dasz  der  König  um  seine  Liebe  wisse,  tritt  derohalben  hervor, 
und  bekennet  dem  König,  dasz  er  vergangene  Nacht  der  Princ^szin 
Adamira  ihre  Liebe  genossen  habe,  der  König  jaget  ihn  zornig  von 
sich,  und  verfluchet  die  Unkeuschheit  seiner  Tochter  Adamira.  Peri- 
deus, welcher  von  ferne  solches  höret,  bildet  sich  ein,  dasz  der  König 
von  seiner  gepflogenen  Liebe  Kundschafft  habe,  und  entdecket  solches 
dem  Könige,  und  wird  mit  Grimm  abgewiesen.  Darauff  bringet  Pas- 
quella  dem  Könige  der  Adamira  Kleider,  welche  sie  in  des  Laureno 
Kammer  gefunden,  und  saget,  das  Adamira  mit  Laureno  in  Unzucht 
gelebet  habe.  Der  König,  seiner  Tochter  Ehre  zu  retten,  wil  sie  mit 
Printz  Heinrich  vermählen,  aber  Laureno  kommet  darzwischen,  und 
entdecket,  dasz  sie  die  Princeszin  Dionysia  sei,  befindet  sich  also 
Heinrich  betrogen,  bittet  seine  Liebste  um  Verzeihung,   und  vertraget 

sich  mit  ihr. 

Des  fünfften  Actos. 

Der  König  examiniret  seine  Tochter  scharff,  dasz  sie  sagen  solle, 
wer  vergangene  Nacht  bey  ihr  gewesen,  sie  aber  bleibet  beständig 
darauff,  dasz  es  die  Marmorne  Statua  sey,  weswegen  sie  der  König 
für  unsinnig  halt,  beschliesset  aber  bey  sich,  den  Betrug  zu  erforschen. 
Pasquella  suchet  Gegen -Liebe  bey  Laureno,  weil  sie  ihn  vor  ein  Manns- 
bild hält,  und  verehret  ihm  ein  köstlich  Kleinod,  Drusilia  und  Despino 
sehen  dieser  Kurtzweil  zu,  imd  vermeynet,  dasz  das  Kleinod  dem  Kö- 
nige gestohlen  sey.  Perideus  wird  in  Gestalt  der  Statua  ertappet  und 
gefangen  genommen,  und  siebet  die  Princeszin  Adamira,  dasz  sie  betro- 
gen worden.  Perideus  wird  von  der  Drusilia  als  ein  Dieb  angeklaget, 
aber  vermittelst  des  Kleinods,   wird   er  vor   den  verlohmen  Printzen 


WANDBRTRÜPPRN  IN   DÄNIUARK  321 

Coriuto  aus  Arragonien  vom  Könige  erkannt,   und  mit  der  Princeszin 
Adamira  vermählet 

Nach  dieser  vortrefiflichen,  raren,  Haupt- Action,  soll,  damit  jeder- 
mann vergnügt  uns  verlassen  möge,  den  Bescblusz  machen,  eine  Nach 
Comödie,  welche  ungemein  lustig  und  sich  betitult:  Pickelherings  Dop- 
pelte Heyrath". 

Den  titel  „kgl.  polnischer  und  churfürstlich  sächsischer  hof-come- 
dianten^  bekam  die  truppe  der  witwe  Veiten  nach  der  wähl  des  kur- 
fürsten  Friedrich  August  zum  polnischen  throne  1697;  1714  gieng  der- 
selbe auf  die  Haacksche,  später  Hoffmannsche  truppe  über^  Das  stück 
war  bereits  von  Veiten  1684  in  Dresden  und  1690  in  Torgau,  nach 
1700  vielleicht  in  Nürnberg  aufgeführt  und  ist,  wie  schon  der  theater- 
zettel  besagt,  nach  Oiacinto  Cicognini,  einem  der  besseren  dramatiker 
Italiens  im  17.  Jahrhundert  bearbeitet*.  Dem  ausführlichen  referat  bei 
Klein  zufolge  weicht  die  hauptaction  nur  unwesentlich  von  Cicogninis 
„Adamii-a  overo  la  Statua  dell'  onore*',  Venezia  1663  (1657?),  ab.  An 
dem  scenengang  ist  vielleicht  ein  wenig  geändert,  einige,  meist  unter- 
geordnete personen  haben  namen  gewechselt  (die  maitresse  des  königs 
heisst  im  original  Lesbia);  die  alte  Pasquella  und  Despino,  welcher  bei 
Cicognini  eunuch  ist,  nähern  sich  als  „lustige'^  personen  etwas  mehr 
dem  weiblichen  und  männlichen  harlekin,  dessen  figur  in  der  haupt- 
action nicht  gern  fehlen  durfte.  Bei  Cicognini  ist  die  stelle  der  hand- 
lung  an  den  hof  des  schwedischen  königs  in  „Nicosia^  verlegt,  und 
die  äusserst  verwickelten  liebesintrigen  spinnen  sich  zwischen  schwe- 
dischen, dänischen  und  norwegischen  prinzen  und  Prinzessinnen  ab, 
um  durch  die  blaue  ferne  den  romantischen  effekt  zu  erhöhen.  Wahr- 
scheinlich zu  demselben  zwecke  hat  der  deutsche  bearbeiter  die  scene 
nach  Spanien  und  Italien  zurück  verlegt,  weil  diese  gegenden  im  nor- 
den als  land  der  romantik  galten  ^  So  kam  aber  das  stück  um  das 
lokalinteresse,  welches  die  ursprüngliche  fassung  bei  einer  aufTührung 
in  Kopenhagen  dargeboten  hätte,  besonders  zu  einer  zeit,  wo  kaum 
jemand  an  dem  gänzlichen  mangel  aller  geschichtlichen  und  nationalen 
farbung  würde  anstoss  genommen  haben. 

1)  Fürsteoau,  Gösch,  der  masik  and  des  theaters  ia  Dresden  11,  290. 

2)  Heine,  Joh.  Veiten  30.  58.  60.  Klein,  Gesoh.  des  dramasY,  G6Gfgg.  Jahr- 
buch d.  Shakespearogeselsch.  XIX,  146,  nr.  11. 

3)  In  Meissners  Verzeichnis,  Shakespearejahrb.  XIX,  146,  lässt  jedoch  der 
titel:  „Die  in  eine  statua  verübte  pnnzesin  Adamira  aus  N ord wegen '^  (Nürnberg 
um  1710?)  auf  eine  verschiedene,  in  dieser  hinsiclit  Cicognini  näher  stehende  redac- 
tion  sohliessen. 

ZBITSCHRIFT  F.    DEUTSCHS  PHILOLOOIB.     BD.  XXV.  21 


322  PALÜDAN 

n. 

ungefähr  aus  derselben  zeit  datiert  sich  vermutlich  ein  zweiter 
anschlagzettel,  der  einzige,  der  sich  von  einer  Vorstellung  der  Wander- 
truppen in  den  dänischen  provinzen  erhalten  hat: 

„Comoedia  Qenandt:  Der  Verirrte  Liebes-Stand,  oder  Der 
Durchlauchtige  Bauer.  Dediciert  und  praesentiil  Dem  Hoch  und 
Wohlgebornen  Herrn,  Hn.  Hans  Schach,  Oraff  von  Schackenburg  eta 
StiSt-Befehlungs-Mann  über  Riber-Stifft  etc.,  Meinem  gnädigsten  Gra- 
fen und  Herrn**. 

Nach  einer  langen  poetischen  widmung,  einer  guten  probe  der 
elenden,  eben  so  gespreizten  als  kriechenden  komödiantenpoesie  der 
zeit,  welche  L  A.  D.  unterzeichnet  ist,  folgt  der 

„Summarische  Inhalt  der  Persohnen. 

1.  Orismanna,  Königin  in  Böhmen. 

2.  Sigislaus,  ihr  Yetter,  Frintz  in  Böhmen. 

3.  Odoardus,  Hertzog  und  General  der  Königin. 

4.  Hedregundis,  Princeszin  der  Wenden. 

5.  Salamiro,  grosser  Stadhalter  in  Böhmen. 

6.  Protopan,  Hoher -Priester. 

7.  Mehim 


} 


^    o  -2  Priester. 

8.   Sacer 


>  Königliche  Räthe. 


9.  Herminus 

10.  Belsarus 

11.  Saga,  eine  Ziegeunerin. 

12.  Dolfero   ^  ^. 

13.  Fiandus  J  ^^'S'^^^^* 

14.  Hedwan,  ein  Bauer. 

Actas  I. 
Orismanna,  Königin  der  Böhmen,  kommt  mit  Sigislao  ihres  Bru- 
ders Sohn,  nach  niedergelegten  Wendischen  Kriegs -Heer  und  Gefan- 
genschaffl;  der  Wendischen  Princeszin  Hedregundis  triumphirend  in 
Böhmen  an.  Orismanna  ertheilet  Befehl,  die  Hedregundis  den  Göttern 
auffzuopffem,  Sigislaus  wird  in  denselben  Augenblick  gegen  sie  ent- 
brant,  und  suchet  ihren  Todt  zu  hindern,  bisz  der  darzukommende 
Hohe -Priester,  nachdem  der  Tempel  eröfhet,  die  Königin  auf  mildere 
Gedancken  bringet,  und  die  Gefangene  völb'g  vom  Tode  befreyet 

Actus  n. 
Sigislaus,   nachdem  er  von  einem  erscheinenden  Nächtigen  Geist 
Nachricht  erlanget,  dasz  sein  Vater  von  Hertzog  Odoardo  mit  GifiEl  s^ 


WANDBBTRUFPBN  IN  DÄNEMARK  323 

hingerichtet  worden,  verpflicht  sich  hoch,  seinen  Tod  zu  rächen.  He- 
dregnndis  geräth  in  ein  Oespräch  mit  ihm,  welches  die  AnkunfFt  der 
ungestümen  Orismanna  verhindert  Sigislaus  entdecket  der  Königin 
Mäuchelmörderischen  Tod  seines  Vaters,  und  kan  sein  rachgierich  G^ 
müth  dabey  nicht  verbei^gen.  Die  Königin  bittet  aus  falschen  Sinn, 
er  möchte  sich  nach  dem  Ober- Zimmer  verfügen,  sie  wolle  ihm  gleich 
folgen,  und  fernere  Unterredung  halten,  Sigislaus  gehet,  und  fället  in 
die  daselbst  zugerichtete  Falle,  nehmlich  eine  Orube  von  Ottern  und 
Schla[n]gen  angefüUet  Odoardus  geräht  bey  der  Königin  in  Verdacht, 
ob  habe  er  Sigislaum  den  Mord  seines  Vaters  entdecket,  wird  aber 
bald  bey  ihr  wieder  ausgesöhnet  Die  Königin  versammlet  ein  Oericht 
über  die  unschuldige  Hedregundis,  gibt  vor  sie  sey  mit  Sigislao  ver- 
letzter Majest  schuldig,  Sigislaus  als  überwiesen  habe  die  Flucht  genom- 
men, fallet  hernach  selbst  das  ürtheil,  man  soll  ihr  einen  Trunck,  wel- 
cher sie  ihres  Sinnes  beraubet,  eingeben,  und  hernach  in  eine  wüste 
Einöde  Verstössen,   Sigislaus  entkommt  in  Bauren  Habit  den  Zorn  der 

Orismanna. 

Actos  m. 

Hedregundis  kommet  rasend  zu  einer  Compagnie  Ziegäuner,  Saga, 
die  vornehmste  darunter,  bringet  ihr  durch  einen  Kräuter- Trunck  den 
verlohmen  Verstand  wieder,  und  nimmt  sie  vor  ihre  Tochter  an,  Sigis- 
laus verdingt  sich  als  ein  Knecht  bey  einen  Bauer  Orismanna  ist  ent- 
schlossen, ihren  heimlichen  Buler  Hertzog  Odoardum  auff  den  Thron 
zu  heben,  hier  wieder  legen  sich  die  Reichs -Stände,  entschliessen  sich 
endlich  das  Oracul  zu  befragen,  welches  zur  Antwordt  gibt,  dasz  der 
Böhmische  Thron  einen  Bauren  und  Ziegeuner  bescheret  sey,  hierüber 
wird  Orismanna  erzürnet,  hauet  dasz  Götzen -Bild  entzwey,  versincket 
aber  zugleich  in  den  Schlund  der  Erden.  Odoardus  wird  aufT  Befehl 
der  Stände  gefänglich  angenommen,  das  Oracul  wird  wieder  gefragt, 
wer  das  Beich  regieren  solte,  gibt  zur  Antwort,  der  auf  einen  eysemen 
Tisch  sein  Brod  wird  essen.  Deszhalben  werden  an  unterschiedene 
Oerter  Hoff- Bediente  geschicket  solchen  zu  suchen. 

Actos  IV. 

Sigislaus  geräth  mit  der  verkleideten  Hedregundis  in  einen  Lie- 
bes-Discurs,  jedoch  unwissend,  das  es  seine  Liebste  sey.  Belsarus  ent- 
lediget den  Odoardum  seiner  Gefangnüs,  welcher  hernach  im  Wald 
dem  arbeitenden  Sigislao  unerkandt  aufT  stöst,  und  alle  seine  Schelm- 
stücke ordentlich  erzehlet,  aber  darbey  eine  grosse  Reu  blickea  last 
Sigislaus  heist  ihn  um  mehr  Sicherheit  willen,  sich  in  eine  alte  Scheuer 

21* 


324  FALÜDAN 

verbergen.  Fürst  Salamiro  mit  einem  Priester  finden  Sigislaum  auff 
dem  Pflug  sein  Brod  essen,  kündigen  ihm  Königliche  Würde  an,  wobey 
sich  der  neue  König  wunderlich  anstellet,  indem  er  den  Fürsten,  aller 
seiner  Würden  und  Güter  entsetzet,  und  die  gantze  Ziegäuner-Zunffi 
nebst  dem  Odoardo  und  seinen  Wirth  und  Wirthin  gefänglich  anneh- 
men lasset 

Actus  V. 

Sigislaus  legt  seine  verstelte  Grausamkeit  ab,  setzet  den  Fürsten 
Salamiro  in  seine  Würden  und  Güter  wieder  ein.  Belsarus  erlangt 
Gnad  wegen  des  entledigten  Odoardi.  Odoardus  wird  zu  ewigen  Zeiten 
aus  dem  Königreich  Böhmen  verbannet,  der  Bauer  Hedwan  und  die 
Ziegeuner  werden  begnadiget,  und  Sigislaus  vermählet  sich  nach  vor- 
hergehender scharfiFen  Keuschheits-Prob,  mit  der  Ziegeunerin  Hyacyn- 
tha,  welche  zuletzt  vor  die  Princeszin  Hedregundis  erkennet  wird. 

Nach  dieser  Haupt- Action  sol  folgen  eine  lustige  Nach-Comcedie 

°  Arleqvin  der  betrogene  Kup[ler]. 

Das  stück  finde  ich  nur  in  Meissners  Verzeichnis  [Jahrb.  der 
Shakespearegeselsch.  XIX,  149,  nr.  71:  „Der  Eiserne  tisch  oder  prinz 
sigislaus  aus  böhmen^,  zu  Nürnberg  nach  1700?]  erwähnt;  dessen 
Inhalt  aber  nirgends  widergegeben.  Seinen  Ursprung  habe  ich  nicht 
ermitteln  können;  vielleicht  fände  sich  wie  für  die  Adamira  ein  origi- 
nal in  der  romantischen  dichtung  Italiens  oder  Spaniens.  Die  perso- 
nennamen  in  unserem  stück  tragen  jedoch  weniger  italienisches  gepräge 
als  die  der  Adamira. 

Der  Zettel  hat  keinerlei  datierung,  falt  aber  nach  den  dem  grafen 
Schack  beigelegten  ämtern  und  ehrentiteln  zwischen  1698 — 1711*, 
wahrscheinlich  in  die  lezteren  jähre  dieser  periode.  Die  truppe  ist  auch 
nicht  näher  bezeichnet,  aber  die  buchstaben  L.  A.  D.  unter  der  poe- 
tischen Widmung  können  meiner  ansieht  nach  nichts  anders  als  Leonard 
Andreas  Deuner  bezeichnen.  Dies  war  gewiss  der  ältere  Denner,  wel- 
cher wie  sein  söhn,  der  bekante  Harlekinspieler,  seine  tochter  und 
sein  künftiger  Schwiegersohn,  der  spätere  prinzipal  Johann  Spiegelberg, 
ursprünglich  mitglied  der  Veltenschen  truppe  gewesen  sein  soll.  Nach 
Devrient*  bildeten  sie  1710  eine  eigene  geselschaft,  die  namentlich  im 
norden  hospitierte.  Die  Jahreszahl  ist  jedoch  zweifelhaft;  die  Denner- 
Spiegelbergsche  bände  dürflie  sich  schon  eher  abgesondert  haben.  Von 
den  kurf.  sächsischen  und  kgl.  polnischen  comödianten  der  witwe  Vel- 

1)  Werlauff,  Antegnelser  292. 

2)  Gesch.  d.  deutschen  schauspielk.  I,  344. 


WANDRBTBUFPIGN  IN  DÄI^EHARK  325 

ten  weiss  man  nur,  dass  sie  1697  in  Dresden  und  Wien,  1702  und 
1709  in  Hamburg,  1704  in  Nürnberg,  1707  in  Kopenhagen  spielten ^ 
Hingegen  ist  es  unsfcber,  ob  es  diese  bände  und  nicht  vielmehr  schon 
die  Denner-Spiegelbergsche  war,  welche  im  Winter  1709  — 10  bei  ihren 
irfahrten  auf  dem  eise  in  den  skandinavischen  reichen  so  übel  zugerich- 
tet wurde ,  dass  Jfr.  Denner  sich  die  beiden  grossen  zehen  amputieren  las- 
sen muste^.  Jedesfals  spielte  die  Denner-Spiegelbergsche  famiiie  noch 
vier  jähre  früher,  1706,  mit  Stranitzky  in  Wien  zusammen,  vielleicht 
doch  nur  zeitweilig  von  Veltens  getrent;  aber  nicht  lange  vor  oder 
nach  dieser  zeit  treffen  wir  urkundlich  den  älteren  Denner  als  prinzi- 
pal einer  eigenen  bände  zu  Köln.  Maltzahn,  Bücherschatz  346,  hat 
nämlich  folgenden  anschlagzettel: 

„Denen  Hoch -Edel -Gebohmen,  Gestrengen  .  .  .  Herren  Bürger- 
meisteren und  Rath  Der  Käyserlichen  Freyen- Reichs -Stadt  Collen  am 
Rhein,  Meinen  Gnädigen  und  Hochgebietenden  Herren  wolte  folgende 
Haupt- Action  nebst  vorgehendem  Musicalischen  Prologo  Genannt  Der 
im  Krieg  verirrte,  und  in  der  Lieb  verwürrte  Soldat  Als  ein  Zeichen 
seiner  unterthänigen  Pflicht  und  Schuldigkeit,  gehorsambst  aufführen 
und  verbundenst  dediciren,  Deroselben  Unterthäniger  Diener  Leonardus 
Andreas  Denner,  Principal  der  Königl.  Grosz-Britt  und  Churfürstl. 
Braunschweig-Lünebtirg.  würklichen  Hoff-Acteurs*'. 

Der  Zettel  ist  ohne  jähr;  Maltzahn  sezt  ihn,  ich  weiss  nicht  wa- 
rum, in  die  jähre  1698  — 1708,  was  nicht  übel  mit  der  mutmasslichen 
Zeitangabe  für  die  aufführung  des  „Durchlauchtigen  Bauers*'  zu  Ripen 
in  Jütland  stimt.    Der  Verfasser  der  poetischen  widmung  L.  A.  D.  spricht 

1)  Devrient  I,  315  —  16.  318.  Füretenau  II,  299.  Overskou  I,  126.  Siehe 
Gaedertz,  Theaterznstäode  121.  123. 

2)  Schmidts  mii'  leider  unzugängliche  ChroDologie  des  deutschen  theaters  erzählt 
diese  etwas  romantische  geschichte  von  Spiegelbergs  bände;  Overskou  I,  127  hingegen 
von  Veltens,  die  sich  von  Kopenhagen  nach  Holstein  reisend  auf  dem  gefromen 
Bell  verirte.  (Vgl.  hierzu  die  oben  citierte  notiz  bei  Gaedertz  a.  a.  o.  123  von  der 
beschwerlichen  überfahrt  der  witwe  Veiten  von  Kopenhagen  nach  Holstein  im  Oktober 
1703.)  Overskou  beruft  sich  auf  Löwen,  in  dessen  Theatergesch.  (Schriften  IV, 
Hamb.  1766)  diese  erzählung  sich  jedoch  nicht  findet,  dagegen  eine  andere,  höchst 
apokryphe,  von  dem  entsetzen  der  naiven,  halb  heidnischen  (!)  Gotländer,  als  Vel- 
tens truppe,  vom  stürm  vorschlagen,  in  theatercostumen  ihra  insei  betrat.  Die  zwei 
traditionen  veiinischt  Devrient  I,  344,  der,  ohne  besondere  geographische  skrupel, 
Spiegelbergs  truppe  „auf  dem  gefrornen  Belt'^  nach  Gotland  wandern  lässt  (!)  E.  Lund 
(Blad  ur  svenska  teatems  bist.,  „Nu**  1874—75,  427)  findet  mit  fugOverskous  bericht 
wahrscheinlicher;  allein  woher  stamt  denn  eigentlich  dieser?  Weder  schwedische 
noch  dänische  gleichzeitige  quellen  wissen  von  einem  besuch  deutscher  Schauspieler 
im  jähre  1710,  und  auch  die  deutschon  scheinen  etwas  trübe  und  widersprechend. 


326  PALUDAN 

auch  in  dem  Bipener  programm  mehrmals  in  der  ersten  person  und 
im  eigenen  namen,  so  dass  wir  berechtigt  sind,  in  ihm  den  prinzipal, 
und  also  in  der  trappe  die  königl.  grossbrittannischen  und  korfiirstlich 
braunschweig-Iüneburgischen  hof-acteurs  zu  vermuten.  Von  dieser 
geselschaft  weiss  man  sonst  nichts  weiter,  als  dass  die  bekante  Caroline 
Weissenbom  und  ihr  gatte  Neuber  mitglieder  waren,  als  sie  1718  zu 
Braunschweig  getraut  wurden^.  Es  war  also  nicht,  wie  v.  Beden- 
Esbeck  vermutet,  die  Haacksche  trappe,  welche  diesen  titel  führte; 
vielmehr  hatten  Neuber  und  seine  gattin  1717  ihre  scenische  laufbahn 
bei  der  Spiegelbergschen  bände  angefimgen  und  waren  dann  in  dem 
nächsten  jähre  zu  den  kgl.  grossbrittannischen  acteurs  übergegangen; 
was  sehr  natürlich  ist,  vorausgesezt  dass  Denner,  der  mit  Spiegelbeig 
in  so  naher  Verbindung  stand,  noch  8  — 10  jähre  nach  seinen  Vorstel- 
lungen in  Köln  und  Bipen  an  der  spitze  der  leztgenanten  trappe  war. 

m. 

Die  beiden  Vorstellungen  zu  Köln  und  zu  Bipen  sind  sogenante 
„Baths-komedien^,  welche  die  truppen,  um  sich  für  gute  aufnähme  zu 
bedanken,  mit  feierlicher,  auch  poetischer  widmung  der  obrigkeit  zu 
ehren  zu  geben  pflegten.  In  Deutschland,  besonders  in  den  freien 
Städten,  war  es  bürgermeister  und  rat,  denen  man  auf  diese  weise  hul- 
digte'; in  Dänemark  aber,  wo  unter  der  souveränen  regierung  die  com- 
munaladministration  weniger  entwickelt  war,  wante  man  sich  an  den 
Stelvertreter  des  königs  oder  an  hohe  und  einflussreiche  gönner.  So 
finden  wir  dasselbe  stück  „Der  verwirrte  Soldat^,  welches  in  Köln  von 
Denner  als  i-atskomödie  aufgeführt  war,  auch  in  Kopenhagen  1719,  dem 
obersecretär  der  dänischen  kanzlei  Ditlew  Wibe  zu  ehren,  von  der  Spie- 
gelbergschen truppe  gespielt  Diese  hauptaction  war  eine  der  bekan- 
testen  und  beliebtesten;  sie  stand  fünfzig  jähre  hindurch  auf  dem  reper- 
toire  verschiedener  truppen  und  gehört  zu  den  wenigen,  die  volständig 
veröffentlicht  sind,  vielleicht  in  einer  zu  Laibach  schon  1671  aufgeführ- 
ten redaction^  Später  wurde  sie  in  Dresden  1673,  und  in  Torgau  1690 
von  Veiten,  zu  anfang  des  18.  Jahrhunderts  von  Denner  in  Köln,  1719 
von  Spiegelberg  in  Kopenhagen,  1720  (auch  1733?)  in  Stockholm  und 

1)  Trausohein  bei  v.  Beden -Esbeck,  Caroline  Neuber,  41. 

2)  Vgl.  A.Gohn  im  Jahrb.  d.  Shakespeareges.  XXIII,  269  fgg.,  1692  und  1699 
in  Breslau.    Oaedertz  Theaterzusi  110,  1680  in  Lüneburg. 

3)  Durch  G.  v.  Radicz,  Agram  1865;  vgl.  litt  oentralbl.  1866,  nr.  49,  Job. 
Bolte  in  der  Ztschr.  f.  deutsche  phil.  XIX,  1887,  b.  86  und  Klemming,  Sveriges 
dramaÜBka  literatur  539. 


WANDIBTRUPPBN  IN   DANEMAJUC  327 

möglicherweise  1724  in  Hamburg  von  demselben  gespielt.  Die  aus- 
gäbe von  Badicz  stand  mir  nicht  zu  geböte;  um  andern  die  vergleichung 
zu  erleichtem,  teile  ich  hier  das  Eopenhagener  programm  mit,  nur  mit 
weglassung  der  in  Kopenhagen  eigens  hinzugedichteten  widmung  und 
einer  Aria,  worin  „Fama  der  Hoch -Edel  und  Wohlgebohmen  Wibschen 
FamilisB  alles  Glück  und  Heil  wünschet,  Wobey  sich  der  Berg  Pamas- 
sus  mit  denen  Musen  praesentiref^,  ein  stück  poesie  von  demselben 
schlage  wie  die  Dennersche.  Der  text  selbst  scheint  nach  dem  in  Bol- 
tes  au&atz  gegebenen,  kurzen  andeutungen  ganz  derselbe  zu  sein,  wel- 
cher in  Berlin  und  Wien  handschriftlich  erhalten  ist,  vermutlich  also 
auch  mit  dem  von  Badicz  herausgegebenen  gleichlautend.  Einige 
Unklarheiten  und  kleinere  namensänderungen  sind  wol  auch  hier  der 
schriftstellerischen  unbeholfenheit  des  programverfassers  zuzuschreiben. 

„Mit  Allergnädigster  Königlicher  Bewilligung,  Wollen  Dem  Hoch- 
Edel  und  Wohlgebohmen  Herrn ,  Herrn  Detlev  von  Wiben ,  Ritter  von 
dem  Elephanten  Orden.  Sr.  Königl.  Majestät  von  Dennemarck  und 
Norwegen,  etc.  Hoch-wohlbestalten  Geheimten  Rath  und  Grosz-Cantz- 
lern.  Ihrem  grossen  und  vielvermögenden  Patron  dediciren  und  über- 
geben Gegenwärtige  Blätter.  Und  Ihm  einig  zu  ehren  auf  den  gewöhn- 
lichen Theatro  in  einen  Schau -Spiel  vorstellen,  eine  galante,  modeste 
und  sehenswürdige  Action,  Genandt:  Des  glückes  Probier-Stein, 
Oder  Der  im  Krieg  verirrte,  und  in  der  Liebe  verwirrte  Lie- 
bes-Soldai  Heute  Montags  den  23  Januarii  [1719]^.  Die  vor  itzo  An- 
wesende Hoch  Teutsche  Comoedianten".  (Hier  folgt  widmung  und  prolog.) 

Persohnen  der  ActioD. 

1.  Selim,  König  in  Persien. 

2.  Selimor,  sein  Sohn,  unter  dem  Nahmen  Ormachus. 

3.  Albia,  Königs  Tochter. 

4.  Aribane,  des  Türckischen  Kaysers,  Solimans  Tochter  und  Selimors 
Liebste. 

5.  Parsinor,  ein  Land -Fürst,  und  der  Albia  Liebhaber. 

6.  Ajachmor,  Ein  Feldtherr. 

7.  Achmet 

8.  Harbi       .  Königliche  Bäthe. 

9.  Sultan     I 

10.   Orman,  Selimors  Hoff- Meister. 

1)  Der  tagesangabe  nach  könte  die  Jahreszahl  auch  1713  sein;  aber  Wibe  wurde 
erst  am  6.  jan.  1716  elephantenritter. 


328  FALUDAN 

Summarischer  Inhalt. 

Selim  ein  König  in  Persien,  halt  mit  seinen  Ministris  Kriegs - 
Bath,  ob  es  vor  sein  Land  und  Reich  besser  gethan  sey  mit  dem 
Türckischen  Kayser,  Solimann,  noch  länger  zu  streiten,  oder  gegen 
denselben  die  Waffen  nieder  zu  legen.  Harbi  will,  dasz  man  den 
Feind  mit  aller  Macht  verfolge.  Achmet  thut  unterschiedene  Vorschlage, 
wie  das  Yolck  zum  Streit  könne  muhtig  und  hertzhafift  gemacht  wer- 
den. Sultan  aber  meinet,  es  sey  weszlicher  [sie!]  gehandelt,  wenn  man 
noch  ein  klein  wenig  mit  Frieden  stille  lege,  imd  wartete,  bisz  der 
Feind  von  neuen  den  ersten  Angriff  thue.  Und  weil  Selim  sich  die- 
sen Anschlag  gefallen  lasset,  bemühet  sich  Fürst  Parsinor  auffs  beste, 
solchen  mit  Nachdruck  zu  wiederlegen.  Dieses  hat  um  desto  eher 
seine  Wirckung,  indem  die  Zeitung  von  der  Princessin  Albia  Gefan- 
genschafft gebracht  wird.  Worüber  denn  der  König  der  massen  ergrim- 
met, dasz  er  eher  sterben,  als  sein  geliebtestes  Kind  in  Solimans  bar- 
barischen bänden  lassen  will.  Der  Perser  Feldherr  Ajachmor  setzet 
mit  der  Klinge  seines  Degens  des  Türckischen  Kaysers  Tochter,  der 
Aribane  cifferig  nach,  welches  bey  jedermänniglichen  eine  grosse  Ver- 
wunderung verursachet,  da  sie  nicht  wissen,  was  es  vor  eine  Persohn 
gewesen.  Aribane  tritt  darauff  mit  geblösten  Gewehr  herein,  giebt 
sich  zu  erkennen,  und  nachdem  um  ihrentwillen  der  Krieg  angefangen 
worden,  begehret  sie  von  dem  Könige,  dasz  er  durch  ihre  Hand  ster- 
ben soll.  Ormachus  beschützet  des  Königes  hohe  Wohlfahrt  durch 
seine  Klinge,  und  redet  mit  freundlichen  werten  Aribane  ein,  dasz 
sie  ihren  zorn  mäszige.  Sie  aber  wendet  vor,  es  sey  fast  ohnmöglich, 
sich  zu  zwingen,  allermassen  der  blutdürstige  Selim  sie  ihres  Liebsten, 
durch  Ertödtung  seines  Sohnes  beraubet  hat  Doch  nach  langer  Unter- 
redung besänfiliget  sie  sich,  sonderlich,  da  ihr  Erlaubnisz  gegeben  wird, 
ihres  Liebsten  Grabmahl  zu  sehen.  Ajachmor  mit  Sultan  und  Achmet 
bringen  die  höchsterfreuliche  Nachricht,  das  Solimans  gantze  Kri^es- 
Macht  gäntzlich  von  ihnen  erleget  sey,  und  Fürst  Parsinor  die  Print- 
zessin  Albia  aus  der  Türeken  Gewalt  errettet  habe.  Albia  und  Paiisinor 
zeigen  sich  in  Persohn  selber,  und  nachdem  er  sich  so  tapffer  gehalten, 
bekommt  er  die  Printzessin  von  des  Königes  Hand,  statt  einer  könig- 
lichen Belohnung,  zu  seiner  Gemahlin.  Ormachus  als  ein  Erhalter  des 
Königes,  wird  cbenfols  begnadiget,  und  mit  dem  Fürstenthum  Meschet 
beschencket.  Aribane  eriiält  desgleichen  völligen  Pardon,  und  wird  mit 
aller  Liebe  und  Höfflichkeit  umfasset  Ormachus  beseufilzet  sein  Elend 
besonders,  dasz  er  seine  liebste  Aribane  verlassen  müssen,  und  von 
seinem  Vater  so  unbarmheilzig  verfolget  worden,  der  ihn  auch  sogar 


WANDERTRUPPEN   IN  DÄNSMARK  329 

todt  ZU  seyn  vermeinet.  Orman  als  sein  Hoffmeister,  erkündiget  sich 
bey  Ormacho  seines  wahren  Zustandes,  und  weil  er  mit  selbigem  Mit- 
leiden trägt,   versichert  er  ihn  durch  einen  theuren  Eydschwur  seiner 

getreuen  Hülffe. 

Actos  n. 

Der  König  Selim  bezeuget  ein  überflüsziges  "Wollgefallen  gegen 
Ormacho,  dasz  er  ihm  beym  Leben  erhalten,  und  wieder  Aribane 
geschützet  Aribane  wird  von  neuen  der  Königlicher  Gnade  versichert 
Ajachmor,  Sultan  und  Achmet  müssen  ihr  Gutdüncken  geben  von  Ari- 
bane Schönheit  Drauff  ofEenbahret  ihnen  der  König,  dasz  er  sie  zu 
seiner  Gemahlin  begehre.  Solches  glauben  sie  nicht,  dasz  es  geschehen 
könne,  denn  die  Liebe,  so  sie  zu  Selimor  getragen,  sey  allzu  grosz. 
Doch  Ajachmor  thut  den  Vorschlag,  man  solle  einige  Gesandschafft  an 
Soliman  abfertigen,  und  mit  ihm  Friede  stifften,  vielleicht  möchte  die 
Heurath  können  vollzogen  werden.  Darzu  wird  Fürst  Parzinor  erwählt 
Ajachmor  ist  darüber  vergnügt,  weil  er  in  dessen  Abwesenheit  seine 
Liebste  Albia  zu  entwenden  hoffet  Aribane  verwundert  sich  gegen 
Albia  über  den  prächtigen  Staat  des  Persischen  Hoffes  woboy  Parsinor 
und  Ormachus  mit  zugegen  seyn.  Ajachmor  fordert  den  Parsinor  zum 
Könige  welcher  auch  alsobald  seinen  Abschied  von  seiner  Albia  nimmt, 
und  dem  Ajachmor,  selbigen  indesz  zu  bedienen,  Überlässet  Ormachus 
allein  nimt  Gelegenheit  bey  Aribane  mit  verblümten  Reden  von  Selimor 
und  seiner  Liebe,  die  er  gegen  Aribane  gehabt,  zu  reden,  welcher 
Discours  der  König  aber  unterbricht,  worauff  sich  gleich  Aribane  beur- 
laubet wegzugehen.  Der  König  verlanget  von  Ormacho,  dasz,  weil  er 
beredtsahm,  er  doch  solle  vor  ihm  bey  Aribane  um  liebe  anhalten. 
Dieses  verspricht  er  zwar  zu  thun  aber  mit  grosser  Bestürtzung  seines 
Gemüthes,  denn  er  selber  die  Aribane  liebet  Ajachmor  entdecket  dem 
Ormacho,  dasz  er  die  Princessin  Albia  liebe,  und  obschon  Fürst  Par- 
sinor ihrer  sey  theilhafftig  worden,  wolle  er  sie  ihme  doch  wieder  ent- 
führen zu  dem  Ende  habe  er  auch  dem  König  überredet,  dasz  er  ihn 
zu  der  Gesandtschaft;  nach  Soliman  brauchen  solte.  Ormachus  erschrickt 
über  dergleichen  Boszheit  gewaltig.  Aribane,  beklaget  vor  sich  ihren 
Selimor,  dasz  sie  seiner  Liebe  nicht  weiter  geniessen  kan.  Ormachus 
dargegen  seine  Aribane,  dasz  er  sich  nicht  darff  vor  seinem  grausah- 
men Vater  ihr  zu  erkennen  geben.  Fürst  Parsinor  besuchet  Ormachum, 
und,  weil  sie  beyderseits  vertraute  Freunde,  kan  dieser  nicht  umhin, 
ihme  des  Ajachmor  Bubenstück  zu  offenbahren,  doch  ohne  Nennung 
der  Persohn,  weil  er  seine  Ehre  dabey  zu  Pfände  gesetzet  Aribane, 
welcher  von  Ormacho  höret,   dasz  der  König  sie  liebet,  ja  sie  gar  zu 


330  PALUJDAIV 

seiner  Gemahlin  haben  wül,  schlaget  solche  liebe  aus,  und  wil  Ton 
keinen  andern,  als  Selimor,  wissen.  Nachdem  Ormachus  sich  gegen 
ihr  blosz  giebet,  und  saget,  er  sey  Selimor,  der  biszhero  Ormachus 
geheissen,  sincket  sie  in  eine  starcken  Ohnmacht  zur  Erden  nieder. 
Ormachus  wird  auch  bestürtzt,  denn  da  der  König  nach  der  Ursache 
fragt,  was  der  Aribane  fehle,  weisz  er  nicht,  was  er  andt werten  soll. 
Doch,  da  er  sehr  drauff  dringet,  wendet  er  ein,  er  habe  bey  ihr  den 
Befehl  des  Königs  vollbracht,  und  als  sie  es  vernommen,  sey  sie  £ftst 
des  Todes  gewesen.  Albia  und  Ajachmor  können  sich  nicht  genug 
darüber  verwundern,  Ajachmor  rathet  demnach  dem  König,  er  solle 
mit  Gewalt  sichs  von  Ormacho  sagen  lassen,  woher  ein  solch  schleunig 
Schrecken  entstanden.  Ormachus  gehorsahmet,  und  was  er  kurtz  vor- 
her mit  deutlichen  Worten  gegen  der  Aribane  gesprochen,  dasselbe 
saget  er  hier  sehr  verklümet  aus.  Und  weil  er  sich  so  gar  an  dem 
König  mit  dem  Degen,  hernach  an  dem  Ajachmor  vergreiSt,  wird  er 
in  Yerhafft  gezogen.  Fürst  Parsinor  tröstet  die  betrübte  Aribane  mit 
liebreichen  Zureden,  der  Princessin  Albia  erweckt  er  eine  Freude  durch 
Offenbahrung  ihres  Bruders  Selimors,  welches  auch  Orman  vor  seine 
Fersohn  erweiset,  indem  er  bey  diesen  Handel  mit  Bath  und  That 
ihnen  an  die  Hand  zugehen  getreulich  angelobet 

Actus  m. 

Ormachus  im  Gefängnisz  beklaget  abermahl  seinen  unglückseligen 
Zustand,  dasz  da  ihn  der  Himmel  hat  hoch  gebohren  werden  lassen, 
er  doch  nicht,  wie  andere  Fürsten  und  Könige  Kinder,  leben  kan, 
Orman  spricht  ihm  einen  Muth  ein,  mit  Yersicherung,  er  werde  noch 
heute  sein  Aribane  als  Braut,  umarmen  können.  Dieses  will  er  nicht 
glauben,  weil  sein  geUer  Yater  ihm  verhindernisz  machet,  wird  aus 
liebe  nach  Aribane  rasend,  aus  Yerzweifflung  reisset  er  die  Ketten 
entzwey,  und  springet  aus  dem  Gefängnisz.  Aribane  solches  hörend, 
lauffet  ihm  geschwinde  nach.  Parsinor,  nebst  Achmet  und  Harbi,  las- 
sen sich  von  Orman  dem  richtigen  Yerlauff  der  Sache  mit  Ormacho 
erzehlen,  und  entschlieszen  sich  mit  einhelliger  Stimme,  ihre  Bache 
am  Selim,  den  gottlosen  Yater,  deswegen  auszuüben.  Ormachus  raset 
und  tobet,  und  will  von  Aribane  sich  nicht  besänfitigen  lassen,  ist  unge- 
halten, dasz  Aribane  seine  Liebe  verachtet,  Harbi  und  Sultan  lästern 
dem  König  und  vertheidigen  gegen  ihm  den  Ormachum,  worüber  Ajach- 
mor hefftig  erzürnet  wird.  Orman  meldet  einen  Abgesandten  von  Soli- 
man  an,  der  König  will  ihm  nicht  hören,  aber  er  musz  sich  doch  wieder 
des  Königs  Willen  stellen.    Selim  siebet  sich  verrahten,  weil  der  gantze 


WANDEBIBUFFEN  IN  DAMEUABK  331 

Hoff  voller  Auffrohr  ist  Des  Gesandten  Begehren  wird  nach  allen 
stücken  erfüllet  Der  König  fragt  den  Parsinor,  warum  er  nicht  ver- 
reiset, und  die  Oefangenschafift  [sie!]  nach  Soliman  verrichtet,  darauff 
er  diese  Antwordt  ertheilet,  weil  nemlich  Ajachmor  in  seiner  Abwe- 
senheit habe,  wollen  mit  seiner  Liebste  durchgehen.  Ajachmor  will 
sich  zur  Bede  stellen,  wird  aber  bald  abgewiesen.  Albia  sagt  ihrem 
Yater  ins  Gesicht,  es  sey  nicht  recht,  dasz  er  mit  seinen  Kindern,  als 
ein  Tyrane,  verfahre.  Ormachus  raset  abermahl,  denn  der  König  will 
wieder  ins  Oefangnisz  werffen.  Keiner  will  die  Hand  an  ihm  legen, 
weil  er  ein  Printz,  und  von  seinen  Vater  unschuldig  leiden  musz. 
Sultan  körnt,  und  meldet,  wie  dasz  Aribane  nicht  mehr  am  Persischen 
Hoffe  zu  finden  sey.  Der  Türckische  Abgesandte  giebt  sich  zu  erken- 
nen, und  zeiget,  dasz  unter  den  Manns -Kleidern  Aribane  verborgen 
gewesen.  Selbige  fordert  von  dem  Könige  und  Ajachmor  den  Degen. 
Ormachus  erhält  seinen  vorigen  Verstand.  Wird  von  jeder  männiglich 
vor  Selimor  erkandt,  und  angenommen.  Selim  bittet  um  Verzeihung, 
dasz  er  so  höchlich  geirret,  und  sagt,  es  sey  aus  einer  brünstigen  Liebe 
gegen  Aribane  geschehen.  Erlanget  Gnade.  Ajachmor  aber  wird  als 
ein  Yerrahter,  aus  Persien  auff  ewig  verbannet  Aribane  und  Orma- 
chus und  Parsinor  und  Albia  schweren  einander  ewige  Treue,  einander 
nicht  zu  lassen.  Und  wird  also  dieser  Action  unter  vielen  Glückwün- 
schungen  zu  aller  anwesenden  Gontentement  hiermit  geendiget 

Nach  Endigung  dieser  admirablen  Haupt -Action  soll  zu  desto 
mehrer  Gemüths  Vergnügung,  eine  recht  lustige  Nach  Comödie  den 
völligen  Schlusz  machen  Genandt 

Die  vier  verliebten  Geister. 

Der  Schauplatz  ist  auf  den  Schneider  Gelachs -Hause  in  der  Bro- 

legger- Strasse  auff  der  Eck  von  der  Endelosz- Strasse,   und  wird  prae- 

cise  umb  4.  Uhr  angefangen  und  giebt  die  Person  in  Logen  16 — 12 

—8  bis  4.  Lübsch^ 

IV. 

Dieselben  „hochdeutschen  Comedianten^  gaben  einige  tage  früher 
im  monat  Januar  und  wider  am  9.  mai  1719  zu  Kopenhagen  die 
bekante  tragödie  Papinian  von  Andreas  Gryphius.  In  einem  früheren 
artikel  dieser  Zeitschrift^  habe  ich  gezeigt,  wie  das  damals  so  beliebte 
stück  für  eine  dilettantenvorstellung  zu  St  Gallen  1680  abgeändert 
wurde;  es  liegt  aber  also  noch  in  einer  dritten  bearbeitung  vor,  der 
Haupt-  und  staatsaction.     Die  schauderhafte   und  erschütternde  schil- 

1)  Ztschr.  f.  deatsche  phU.  XXIH,  239. 


332  FALUDAN 

derimg  der  blutigen  regierungszeit  des  tyrannen  Caracalla  eignete  sich 
sehr  wol  für  die  Wanderbühne  und  wurde  schon  1677  von  der  Trea- 
schen  truppe,  1690  von  Veiten  in  Torgau  und  um  1710  in  Nürnberg 
gegeben  ^  Ungefähr  in  dem  leztgenanten  jähre  wurde  die  tragödie  für 
den  behuf  der  Wandertruppen  neu  bearbeitet,  warscheinlich  von  dem 
bekanten  bandenprinzipal  Haskerl,  und  in  dieser  redaction  ist  sie  neuer- 
dings von  C.  Heine  nach  einer  Wiener  handschrift  teilweise  widerge- 
geben'. Diese  Haskerlsche  hauptaction  war  es,  die  in  Kopenhagen 
1719  gegeben  wurde,  drei  jähre  früher  als  die  erste  auflührung  in 
Deutschland,  die  Heine  hat  ermitteln  können  (1722  in  Dresden  von 
der  Hoffmannschen  truppe).  Auch  hier  ist  uns  der  theaterzettel  mit 
ausführlicher  Inhaltsangabe  und  scenengang,  wie  es  damals  bei  den 
haupt-  und  Staats -actionen  üblich  war,  noch  erhalten;  er  dürfte  zu 
vergleichung  mit  Heines  auszug  aus  dem  stücke  hier  seinen  platz 
behaupten  können: 

Mit  allergnädigster  Königliche  Bewilligung  Werden  heute  am  Don- 
nerstage den  12ten  Janarij  [1719]  Die  von  denen  vor  jetzo  Anwesen- 
den Hoch-Teutschen  Comoedianten  Denen  Respective  Liebhabern  Teutscher 
Schau -Spiele;  mit  lebendigen  Fersohnen  vorstellen,  Eine  raodeste, 
galante  und  sehenswürdige  Haupt- Action  Genandt  Der  Groszmüh- 
tige  Rechts-Gelehrte  ^milius  Paulus  Papinianus  Oder  Der 
kluge  Phantast  und  warhaffte  Galendermacher  Ein  recht  Mei- 
sterstück der  Gommoedien.  —  Persohn 

Antonin  US  Bassianus,  Römischer  Kayser. 
Antoninus  Geta  Des  Kaysers  Bruder. 
Juliana  Die  Kayserin. 
Pappinjanus  Der  Rechts- Gelehrte. 
Plaucia  Pappinjanus  Gemahlin. 
Lsetus  Kayserlicher  Raht. 
Flavius,  Klean  der  Zwey  Kammer  Diener 
Trosullus  Stern  Kücker. 
Trarreus  Galendermacher. 

Actus  primus.  —  Letus  Flavius  und  Oleander  halten  unter  Re- 
dung,  wie  sie  den  Pappinjanum  seiner  ehren  Aempter  berauben  und 

1)  Jahrb.  d.  Shakespearegeselsch.  XIX,  148,  nr.  150:  „Die  Enthauptung  pa- 
piniani  des  rechtsgelehrten  unter  Caracalla**.  Der  zeit  nach  könte  dies  vielleicht  auch 
Haskerls  Bearbeitung  seiu. 

2)  Eine  bcarbeitung  des  Papinian  auf  dem  repertoir  der  Wandertruppen ,  Ztschr, 
f.  deutsche  phil.  XXI,  280  fgg. 


WANDEBTBÜPPEN   IN   DÄNEMARK  333 

wie  sie  ihn  bey  den  Kayser  in  Ungnade  bringen  mögen;  Flavius  aber 
gantz  alleine  gedencket  aufiF  Mittel  wie  er  ihn  bey  den  Kayser  in  Gna- 
den setzen  mögen,  Pappinjanus  sitzet  beym  Tisch  und  beklaget  sich 
der  Verdriszlichkeit  und  des  grossen  Unrechts  so  ihn  von  den  Kayser 
wiederfahret,  Plaucia  seine  Oem ahlin  tröstet  ihn,  bittet  er  möchte  dem 
Kayser  Fuszf&Uig  werden,  er  aber  kan  dieses  nicht  thun  weil  der  Kay- 
ser ihn  kein  Gehör  ertheilen  will,  Letus  stehet  und  lauret  und  saget 
wie  dasz  er  diese  Untreu  den  Kayser  offenbahren  will,  Trarreus  und 
Letus  haben  einige  kurtz weilige  Reden  mit  einander,  wegen  des  Pap- 
pinjanus. Pappinjanus  und  Flavius  halten  Unterredung  wegen  des 
Kaysers  gefasten  Zorn  wieder  den  Pappinjano. 

Actus  2.  —  Der  Kayser  triumphieret  wegen  seines  gehabten  Sie- 
ges, Letus  aber  bildet  dem  Keyser  ein,  als  ob  sein  Bruder  Geta  ihm 
nach  Krone  und  Cepter  trachte,  der  Kayser  will  anfangliches  nicht 
glauben,  weill  aber  der  Kayser  an  seinen  Bruder  Geta  ein  sein  Bedien- 
ten mit  einiger  Decreta  zu  unterschreiben  sendet,  weill  er  aber  die- 
selben nicht  gleich  unterschreiben  wil,  bekommt  er  einen  Argwohn, 
Letus  seinen  Wort  zu  glauben,  welcher  ihn  dann  auch  die  Anleitung 
giebet,  seinen  Bruder  umbs  Leben  zu  bringen;  Geta  beklaget  des  Kay- 
sers Zorn,  welcher  er  wieder  ihn  traget;  Julia  seine  Mutter  redet  ihm 
solches  aus  den  Sinn,  bittet  ihn,  das  er  seinen  Bruder  nichts  wieder- 
sprechen möge;  Geta  gehet  hin  seinen  Bruder  aufzuwarten;  Frasullus 
stehet  mit  seinen  Sperepectiev  und  betrachtet  den  Himmels- Lauff;  Frar- 
reus  stehet  von  hinten  und  siebet  seine  närrische  Grillen  an,  und 
haben  einen  poszirlichen  Discours;  der  Kayser  setzet  sich  mit  seinen 
Bruder  auf  den  Thron,  werden  aber  streitig  zu  sammen,  der  Kayser 
ersticht  seinen  Bruder;  die  Kay  serin  beklaget  den  Tod  ihres  Sohnes. 
Trarreus  und  Frasullus  trösten  die  Kavserin;  TrasuUus  hat  etliche 
Kurtzweil  mit  Todten  Cörper. 

Actus  3.  —  Der  Kayser  sitzet  an  den  Tisch,  beklaget  die  Mordt 
so  er  an  seinen  Bruder  gethan,  weil  er  aber,  der  Letus  welcher  ihn 
zu  dieser  Morfit  verführet,  kein  besser  Geschenck  zu  geben  weisz, 
schickt  er  ihn  einen  Brief,  nebst  ein  Dolch  und  einen  Becher  mit  Gifft, 
womit  er  sich  selbst  das  Leben  nehmen  sol,  Letus  sitzet  bey  dem  Tisch, 
frohlocket  über  dasz  jenige,  dasz  sein  Anschlag  so  wohl  von  statten 
gegangen  ist,  Flavius  überbringet  ihn  den  Brief  nebst  den  Becher  und 
Dolch:  Oleander  kommt  und  hebet  des  Kaysers  einmahl  gefaszten  Urtheil 
auf;  Frarreus  und  Frasullus  halten  einen  lächerlichen  Discours,  worüber 
sie  sich  erzürnen,  und  einander  beim  Kopff  kriegen,  einer  von  des 
Kaysers  Bedienten  wil  sie  von  einander  treiben. 


334  PALUDAN 

Actus  4.  —  Der  Kayser  begehret  von  Pappinjano,  dasz  er  eine 
Schutz -Rede  vor  dem  Volck  für  ihm  thun  sol,  welches  er  ihn  aber 
abschlägt,  worüber  der  Kayser  zornig  wird,  und  ihn  seiner  Ehren- 
Aempter  entsetzet;  Plautia  höret  die  Klage  der  Gemahlin  Pappinjano; 
Flavius  kündigt  dem  Pappinjano  die  Enfetzung  (!)  seiner  Ehren-Aem- 
ter,  und  beraubet  ihn  seines  Regiments -Staps,  Oewehr  und  seines  Kin- 
des, der  Kayser  befielet  dem  Kinde  das  Leben  zu  nehmen,  und  weil 
Pappinjanus  noch  in  seinen  Willen  nicht  willigen  wil,  befielet  der 
Kayser  ihm  auch  den  Kopff  abzuschlagen. 

Actus  5.  —  Der  Kayser  fället  in  einer  Raserey;  Julijana  und 
Plautia  kommen  und  bitten  vor  Pappinjano  weill  aber  er  schon  ent- 
haupt  ist,  erlangen  sie  diese  Antwort  das  sie  zu  späte  kommen,  uiid 
jaget  sie  von  ihnen,  die  mittel  Gardine  wird  anf^zogen,  da  Presen- 
tiret  ein  Monimient  worin  der  Pappinjanus  mit  seinem  Ednde  lieget, 
die  Kayserin  und  Plautia  kommen  und  beklagen  den  Todt  des  Pappin- 
jano, Trasullus  kommet  und  tröstet  sie,  und  schlieszen  die  Commödie 
mit  Värsen. 

Nach  Endigung  dieser  admirablen  Haupt-Action  soll  zu  desto 
mehrer  Gemüths  Vergnügung,  eine  recht  lustige  Nach  Comödie  den 
völligen  Schlusz  machen. 

Der  Schauplatz  ist  auf  den  Schneider  Gelachs -Hause  in  der  Bro- 
legger- Strasse  auff  der  Eck  von  der  Endelosz- Strasse,  und  wird  pree- 
cise  umb  4  Uhr  angefangen  und  giebt  die  Persohn  in  Logen  16,  —  12, 
—  8  bisz  4  Lübsch". 

Etwas  später  in  demselben  jähre  finden  wir  den  Papinian  wieder 
von  den  „Hochteutschen  Gomoedianten^  in  Kopenhagen  aufgeführt, 
aber  mit  geändertem  titel  Auch  in  Deutschland  lautete  nach  Heine  283 
der  titel  häufig  ganz  verschieden  an  den  verschiedenen  stellen,  wo  das 
stück  gespielt  wurde. 

„Mit  aller  gnädigster  Erlaubnisz  Wird  heute  Dienstag  den  9  Maij 
[1719]  Denen  nach  Standes  Gebühr  Hoch-  und  Viel  Geehrten  Lieb- 
habern derer  Comoedien,  Die  Welt -berühmte  Hochteutsche  Gompagnie 
eine  galante  Haupt  Action  aufführen,  Betittelt:  Der  unschuldige 
Bruder-Mord  Oder  Das  blutige  Rom,  unter  der  Regierung 
des  Römischen  Käysers  Antonini  Bassiani  Caracallae,  Wie 
auch  Der  Kluge  Phantast  und  Warhafte  Astrologus.  Zum 
Beschlusz  folgt  eine  lustige  Nach  Comoedie  Genannt,  Arleqyin  eine 
verstelte  Mumie. 

Der  Schau -Platz  ist  auff  den  Schneiders  Gelachs -Hausz  und  prse- 
sice  des  Abens  umb  5  Uhr  wird  die  Gardine  gezogen.     Anbey  dienet 


WANDIERTBUPPEN  IN  dXNEMABK  335 

ZU  wiszen,  dasz  wir  diese  Woche  nar  die  einzige  Comoedie  auffiiren 
werden;  Und  weil  sie  etwas  lang,  wird  dienstlich  ersuchet,  sich  bey 
Zeiten  einzustellen.  —  Der  erste  Platz  giebt  die  Persohn  1  Mck  lisz. 
der  andre  12  Lsl.  der  dritte  8  auch  6  Lsz.^ 

Dass  es  sich  hier  um  die  von  Heine  veröffentlichte  hauptaction 
handelt,  geht  aus  dem  inhaltsreferat  ganz  deutlich  hervor.  Zwar  finden 
sich  besonders  gegen  den  schluss  einige  Verschiedenheiten;  die  ersten 
scenen  des  4ten  acts  sind  in  dem  Eopenhagener  stück  auf  den  3ten 
verl^,  die  lezte  scene  des  4ten  acts  auf  den  5ten;  die  Überlieferung 
des  L8Btus  an  die  kaiserin  und  seine  grausame  strafe  sind  nicht  erwähnt, 
auch  trägt  die  kaiserin  hier  nicht  dem  Papinian  ihre  hilfe  an;  über- 
haupt scheint  der  lezte  teil  des  Stücks  stark  verkürzt,  und  das  ballet- 
tenartige  schlusstableau  versammelt  nicht  alle  personen  des  Schauspiels. 
Solche  änderungen  können  sich  aber  die  truppen  nach  massgabe  der 
äusseren  Verhältnisse  bei  der  jedesmaligen  aufführung  leicht  gestattet 
haben,  geschweige  dass  unser  schwerfälliges  referat  sehr  wol  wesent- 
liche teile  der  handlung  vergessen  haben  kann.  Merkwürdig  ist  es, 
dass  die  geistererscheinungen  am  schluss  des  4.  acts  in  der  dänischen 
redaction  fehlen,  da  dergleichen  gespensterscenen  sonst  in  den  mei- 
sten hauptactionen  zu  den  wichtigsten  und  fast  unerlässlichen  mit- 
tein des  bühneneffekts  zählen.  Bei  der  aufführung  in  St  Gallen  hat 
man  dagegen  geflissentlich  „dasjenige  so  bey  uns  ungebräuchlich  oder 
nicht  gern  gesehen  wirt,  wie  die  Geister  und  Höllische  Furien^  aus- 
gelassen. 

Übrigens  hat  Heine  302  fgg.  diese  hauptaction  mit  dem  original  des 
Gryphius  verglichen  um  zu  zeigen,  wie  die  fahrenden  Schauspieler  das 
gelehrte  drama  für  den  roheren  geschmack  ihres  publikums  zurecht 
machten.  Die  gröberen  elemente  der  handlung  sind  in  den  Vordergrund 
gezogen,  der  bloss  rhetorische  teil  des  dialogs  beschnitten  und  bis  auf 
einige  besonders  pathetische  stellen  in  prosa  bearbeitet,  die  lyrischen 
chöre  und  „reyhen'^,  in  denen  sich  Gryphius  am  höchsten  empor- 
schwingt, fallen  ganz  hinweg.  Die  personenliste  wird  nach  den  kräf- 
ten  der  truppe  beschränkt,  in  Dänemark  noch  stärker  als  in  Deutsch- 
land; so  sind  ausser  mehreren  nebenpersonen  nicht  nur  der  vater  Pa- 
pinians,  sondern  auch  seine  mutter  Eugenia  gestrichen  und,  wie  es 
besonders  in  dem  sehr  verworrenen  referat  des  4ten  acts  den  anschein 
hat,  teilweise  mit  der  kaiserin  vermengt  Nach  einer  anderen  seite  hin 
ist  die  handlung  wider  bedeutend  erweitert:  durch  hinzufügung  der 
für  die  hauptaction  ganz  unerlässlichen  Hanswurstscenen,  welche,  um 
dem   volksgeschmack   entgegen   zu   kommen,   dem    tragischen  element 


336  PALUDAN 

ganz  ix)li  und  äusserlich  ein  burleskes  anfügten.  Die  rolle  des  Hans- 
wursts spielt  in  der  hauptaction  der  „kalendermacher"  Trarreus,  zum 
teil  auch  der  „stemkijcker"  TrasuUus,  von  denen  nur  der  zweite  bei  Gry- 
phius  vorkomt,  dort  aber  als  ganz  ernst  gehaltene  nebenperson.  Die 
plumpen  schwanke  der  zwei  narren  sind  mit  der  handlung.  nur  lose 
verbunden  und  treten  gewöhnlich  vor  und  nach  den  ergreifendsten 
scenen  ein,  vielleicht  um  den  erschütternden  eindruck  etwas  zu  ver- 
wischen; so  heisst  es  in  der  Kopenhagener  redaction  unmittelbar  nach 
dem  brudermord  des  kaisers:  ,,Trasullu8  hat  etliche  kurzweil  mit  (dem) 
toten  körper".  Übrigens  scheinen  hier  einige  der  komischen  auftritte, 
besonders  im  anfang  des  4ten  acts,  weggelassen  oder  vielleicht,  als 
extemporiert,  in  das  programm  nicht  aufgenommen  zu  sein.  Wie  viel 
gewicht  man  derlei  narrenspossen  beilegte,  ist  aus  der  starken,  oft  gar 
irreleitenden  hervorhebung  auf  dem  anschlagzettel  klar:  „Der  gross- 
müthige  Rechtsgelehrte  .  .  .  Papinianus  oder  der  kluge  Phantast  und 
wahrhafte  Calendermacher".  Dieser  misgeschmack  war  besonders  von 
dem  berühmten  Wiener  Hanswurstspieler  Stranitzky  ausgebildet,  und 
solche  nebentitel  haben  fast  alle  von  ihm  aufgeführten  (und  geschrie- 
benen?) hauptactionen  aus  ungefähr  derselben  zeit*:  „Triumph  der  Ehre 
und  des  Glücks  oder  Tarquinius  Superbus,  mit  Hanns  Wurscht  dem 
unglückseligen  Verliebten,  durchtriebenen  Hofschrantz,  interessirten 
Kupier  usw."  „Die  Enthauptung  des  weltberühmten  Redners  Ciceronis, 
mit  H.  W.  dem  seltsamen  Jäger,  lustigen  Fallirten,  verwirrten  Brief- 
träger usw.",  „Die  Verfolgung  aus  Liebe  oder  die  grausame  Königin 
Atalante,  mit  H.  W.  dem  lächerlichen  Liebes -Ambassadeur,  betrogenen 
Curiositetenseher,  einfältigen  Meuchelmörder"  u.  m.  dgl. 

Die  Schauspieler,  welche  vom  Januar  bis  mai  1719  in  Kopenhagen 
auftraten,  bezeichnen  sich  immer  als  „hochteutsche  comedianten".  Die- 
ser name  ist  aber  nicht  einzelbezeichnung  irgend  einer  bestimten  truppe, 
sondern  die  landläufige  benennung  aller  deren,  die  deutsch  spielten*. 
Allem  anschein  nach  waren  jedoch  diese  comödianten  die  bände  Johann 
Spiegelbergs,  ein  ableger  der  berühmten  Veltenschen  truppe,  die  sich 
um  1712  aufgelöst  hatte.     Noch  früher  aber'  schieden  einige  mitglie- 

1)  Schlager,  Wiener -skizzen,  N.  F.  1839,  I,  281.  Weiss,  Wiener  haupt- 
und  Staats -actionen  1854;  die  meisten  vom  jähr  1724;  vgl.  C.  Heine,  Das  Schauspiel 
der  deutschen  Wanderbühne  vor  Gottsched  1889,  28  fgg.  35. 

2)  So  nanten  sich  z.  b.  schon  die  Carlische  truppe  1674,  die  in  Laibach  1671, 
die  in  Breslau  1692  und  99  und  die  in  Schweden  1690—97  aufti-etenden  comödian- 
ten (Ztschr.  f.  deutsche  phil.  XIX,  87.  Jahrb.  d.  Shakespearegeselsch.  XXIII,  268); 
auch  die  Yeltensche  bände,  bis  sie  sächsische  hoftruppe  wurde,  u.  a,  m. 


WANDKBTRÜPPSN  IN  DANEBCAKK  337 

der  derselben  aus  und  trieben  sich  auf  eigene  gefahr  in  Norddeutsch- 
land und  den  nordischen  reichen  herum.  Darunter  waren,  wie  schon  vor- 
her gesagt,  die  familien  Denner  und  Spiegelberg,  welche  bald  einzeln, 
bald  gemeinschaftlich  agierten.  Die  wanderzüge  der  Yeltenschen  truppe 
bis  zum  tode  Johann  Yeltens  1692  sind  neuerdings  namentlich  durch  die 
Untersuchungen  G.  Heines  ziemlich  genau  bekant  geworden,  und  auch 
die  zweite  deutsche  haupttruppe  in  der  ersten  hälfte  des  17.  Jahrhun- 
derts, die  Neuberscbe,  hat  durch  ihre  Verbindung  mit  Gottsched,  welche 
den  Übergang  zum  regelmässigen  kunstdrama  vermittelte,  die  aufmerk- 
samkeit  der  forscher  auf  sich  gezogen.  Hingegen  ist  die  geschichte  der 
kleineren  norddeutschen  Wandertruppen  in  dem  Zeitraum  zwischen 
1710  —  27  noch  ziemlich  unerörtert;  aber  eben  für  diese  geschichte 
geben  die  Eopenhagener  theaterzettel  und  andere  dänische  Urkunden, 
wie  wir  teilweise  schon  gesehen  haben,  einige  belege.  Haben  wir  es 
hier  mit  Joh.  Spiegelberg  zu  tun,  so  ist  der  ungefähr  halbjährige  auf- 
enthalt  seiner  truppe  zu  Kopenhagen  1719  die  erste  sicher  beglaubigte 
spur  von  der  Wirksamkeit  derselben;  denn  es  ist  unklar,  in  welchem 
Verhältnis  sie  zu  der  früheren  Dennerschen  geselschaft  gestanden  hatte, 
und  auch  nicht  gewiss,  ob  sie  in  Hamburg  vor  1724  auftrat^.  Spie- 
gelberg nent  sich  aber  nirgends  auf  den  Eopenhagener  theaterzetteln ; 
und  noch  mehr  verwickelt  wird  die  frage  dadurch,  dass  offenbar  unge- 
föhr  gleichzeitig  ein  zweiter  prinzipal  desselben  namens  wirkte.  Gla- 
ser^ kent  einen  ^ Hochfürstlich  Würtembergischen  prinzipal^  Christian 
Spiegelberg,  welcher  1711  während  der  Braunschweiger  messe  auftrat; 
v.  Beden -Esbeck^  glaubt  dies  durch  eine  namensverwechselung  mit 
dem  bekanten  Johann  Spiegelberg  erklären  zu  müssen.  Das  dürfte 
aber  übereilt  sein.  Gewöhnlich  wird  berichtet,  dass  Joh.  Spiegelbei^ 
auf  einem  seiner  wanderzüge  zu  Bergen  in  Norwegen  den  23.  sept 
1732  starb,  und  wirklich  spielte  noch  im  anfang  des  jahres  1733  daselbst 
eine  deutsche  truppe.  Die  noch  erhaltenen  ministerialbücher  der  dom- 
kirche  zu  Bergen  wissen  aber  von  keinem  Johann  Spiegelberg;  dagegen 
weisen  sie  aus,  dass  am  26.  sept  1732  ein  Christian  Spiegelberg  begra- 
ben wurde  ^.  Dies  zusammentreffen  mit  Glasers  bericht  kann  kaum 
zufällig  sein;  es  ist  also  wahrscheinlich,  dass  zwei  prinzipale  Spiegel- 
berg im  ersten  drittel  des  18.  Jahrhunderts  in  den  nordischen  reichen 
spielten,  und  dass  es  der  weniger  bekante  würtembergische  hofcomö- 

1)'  Sohultze,  Hamburg,  theatergesch.  48.  50. 

2)  Gesch.  d.  theateis  in  Braunschweig,  1861. 

3)  Gardine  Neaber  39. 

4)  Hoitfeldt,  Christiania  theaterhist.,  Kopenh.  1876,  s.  41. 

ZntSOHBIFT   F.   DEUTSCHE  PHILOLOeiB.      BD.   XZV.  22 


338  PALÜDAM 

diant,  nicht  aber  der  vermutlich  zu  Kopenhagen  1719  auftretende  prin- 
zipal der  „  hochdeutschen  compagnie^  Johann  Spiegelberg  war,  der  zu 
Bergen  starb.  Dagegen  treffen  wir  die  witwe  des  lezten,  Mad.  Elisabeth 
Spiegelberg  geb.  Denner,  1735  zu  Norrköping  in  Schweden  spielend^. 

V. 

Die  anwesenheit  einer  anderen  deutschen  bände  zu  Kopenhagen 
in  der  fastenzeit  1717  kennen  wir  nur  aus  einem  offidellen  briefwedi- 
sel',   welcher  weder  namen  noch  repertoire  angibt,  die  Vorstellungen 
aber  als  ziemlich  erbärmlich  bezeichnet    Das  oben  genante  jähr  1719 
hingegen  war  an  Schauspielen   in   deutscher  spräche  besonders   reich, 
indem  ausser  den  „hochdeutschen  comedianten^  auch  eine  zweite,  von 
mir  früher  in  dieser  Zeitschrift  XXIII,  231  fgg.  ausftLhrlicher  besprochene 
geselschaft  auftrat,   welche  u.  a.  den  „Titus  Andronikus^  als  puppen- 
komödie  und   als    „lustiges  nachspielt    die  tragödie   Wenceslaus    von 
Rotrou  gab.    Nach  diesem  jähre  aber  wurde  Kopenhagen  unseres  Wis- 
sens  von  keiner  eigentlichen   deutschen   Wandertruppe   mehr   besucht 
Dies  erklärt  sich  u.  a.  aus  den  Verhandlungen,  die  ein  ehemaliges  mit- 
glied  der  französischen  hoftruppe,  Etienne  Gapion,  schon  1718  mit  der 
regierung  eingeleitet  hatte,  und  welche  1720  zu  dem  ihm  vergönten 
Privilegium  ftlhrten,  dass  er  allein  komödien  mit  lebendigen  personen 
(1721    auch  mit  puppen,    Seiltänzern  u.  dgl.)    auffuhren    und  fremde 
komödianten  verschreiben   dürfet     Die   behörden  wünschten  nämlich 
den  zufluss  von  fremden   gauklem   möglichst  zu  hemmen,   und  dies 
gelang  auch  zum  teil  wirklich.    Doch  kam  der  bekante  „starke  mann^ 
Johann  Carl  v.  Eckenberg  noch  in  demselben  jähre  1720  mit  einer  bände 
von  Seiltänzern  in  Kopenhagen  an.     Über  seine  Wanderungen  in  die- 
ser ersten  zeit  herscht  einige  Unsicherheit,  die  sich  jedoch  durch  beglau- 
bigte dänische  urkimden  teilweise  aufklären  lässt    Nachdem  er  1719 
in  Bussland  aufgetreten  war,   spielte  er  in  der  fastnachtzeit  und  nach 
ostem  1720  zu  Königsberg,  verliess  aber  unzufrieden  die  Stadt  ^  und 

1)  Schwed.  zeitschr.  „Na*  I,  428. 

2)  Dr.  0.  Nielsen,  Ejöbenhavn  paa  Holbergs  Tid,  Eopenh.  1884,  s.  231. 

3)  Werlauff,  Antegnelser  1858,  s.  217  fgg.  302.  Banske  samlinger  v.  Braun, 
0.  Nielsen  und  A.  Petersen,  II,  354  fgg.  Ein  gleiches  Privilegium  war  schon  1706 
einem  Dänen,  Anders  Oamborg,  gegeben,  von  diesem  aber  nicht  benuzi  Weriauff 
a.  a.  0.  293. 

4)  Hagen,  Gesch.  des  theaters  in  Preussen  113  fgg.  Holte,  Der  ^starke  mann^ 
J.  C.  Eckenberg,  in  d.  Forsch,  z.  brandenb.  u.  preuss.  gesch.  E,  1889  s.  214.  Yon 
den  in  diesem  au&atz  genanten,  Holte  nicht  zugänglichen  werken  finden  sich  auf 
dSnischen  bibliotheken  „Ourieuse  nachrichten  von  starken  leuten*  (nicht  aber  in  dAn. 


WANDERTRUPPEN  IN  DXNEMABK  339 

mu88  gegen  ende  des  Jahres  in  Kopenhagen  angelangt  sein,  wo  er,  wie 
es  scheint,  als  eine  art  von  reklame  seine  „Abgenötigte  ehrenrettong'^ 
herausgab  und  im  december  nicht  nur  seiltänzerkünste  u.  dgl.  vor- 
führte, sondern  auch  mit  lebenden  personen  agierte,  vermutlich  „bur- 
lesques  comedies^,  possen,  die  er  ausdrücklich  nent,  als  erden  15. jan. 
1721  für  längere  zeit  spielprivilegium  suchte.  Gapion  protestierte  aber 
gegen  einen  solchen  eingriff  in  sein  Privilegium,  und  Eckenberg  muste 
sich  mit  ihm  vereinigen.  Nach  kurzer  zeit  trenten  sie  sich  jedoch  wider; 
Eckenberg  gab  abermals  allein  Vorstellungen,  verliess  aber  bald  die 
Stadt  und  kam  im  april  nach  Stockholm^.  In  demselben  monat  des 
folgenden  jahres,  1722,  erschien  er  noch  einmal  zu  Kopenhagen  und 
producierte  sich  erst  auf  Gapions  theater;  nach  drei  wochen  aber  errich- 
tete er  eine  eigene  bude  ausserhalb  der  Stadt,  wo  er  auch  comödian- 
ten  engagierte.  Auf  Gapions  klage  wurde  ihm  dies  verboten  (Septem- 
ber 1722),  und  bald  nachher  verschwindet  er  aus  Dänemark  für  immer*. 
Die  nachricht  bei  mehreren  deutschen  Verfassern,  dass  er  in  Dänemark 
geadelt  sein  solle,  oder  wenigstens  seinen  adel  erneuert  bekommen 
habe,  entbehrt  jeder  stütze.  Nach  allem,  was  wir  von  seiner  behand- 
lang seitens  der  behörden  wissen,  genoss  er  beim  hofe  keineswegs  eine 
gleiche  gunst  wie  später  in  Berlin  bei  Friedrich  Wilhelm  1*. 

Inzwischen  hatte  Gapion  1721  das  erste  eigentliche  Schauspielhaus 
gebaut  und  gab  im  jähre  1722  französische  und  deutsche  Vorstellungen 
mit  ausländischen  schauspielern.  Sein  repertoire  kennen  wir  nicht; 
aber  schon  am  23.  sept  1722  gieng  aus  der  Verbindung  des  dichters 
Holberg  mit  Gapion  und  einem  andern  ehemaligen  französischen  hof- 
schauspieler  Montaigu  eine  dänische  nationalbühne  hervor,  ungefähr 
wie  später  eine  deutsche  aus  Gottscheds  Verhältnis  zu  der  Neuberschen 
trappe.  Das  neue  nationale  repertoire  und  die  einheimischen  Schau- 
spieler stelten  die  leistungen  der  Wandertruppen  ganz  in  schatten  und 
machten  ihnen  die  concurrenz  unmöglich. 

Übersetzung,  EjÖbenh.  1720)  und  £)okenberg8  ^AbgoDotigte  ehrenrettong*^,  welche  dem 
Inhalt  und  der  zeit  nach  in  Kopenhagen  geschrieben  scheint  Neue  aufschlüsse  von 
bedeutung  geben  diese  Schriften  nicht,  meist  nur  illustrierte  beschreibung  der  kunst- 
stücke  Eckenbergs. 

1)  Werlauff  220.  476.  Dahlgren,  Om  Stookhohns  theatrar,  Stochholm  1866,  s.  22. 

2)  Werlauff  222. 

3)  Devrient,  C^ch.  d.  deutschen  Schauspielkunst  I,  353.  Schütze  62.  Plü- 
micke,  Theatergesch.  v.  Berlin  106.  Brachvogel,  Gesch.  d.  kgl.  theaters  in  Berlin 
66.  71.  YgL  0.  Nielsen,  Ejöbenhavn  paa  Holbergs  Tid  248  fgg.  Rahbek  Hesperus 
(zeitsohr.)  YI,  236,  Kopenhagen  1822. 

22* 


340  PALÜDAN 

Der  einzige,  der  mit  den  dänischen  comödianten  zu  wetteifern 
versuchte,  war  Salonion  Fanlsen  t.  Quoten,  kein  deutscher  truppen- 
prinzipal,  wie  man  bei  Devrient^  u.  a.  liest,  sondern  gewesener  däni- 
scher Soldat,  wahrscheinlich  aber  doch  deutscher  oder  niederländischer 
abkunft;  dann  zahnbrecher,  „oculist,  stein-  und  brackschnieder^  und, 
wie  dergleichen  quacksalber  oft^,  zugleich  comödiant  oder  wenigstens 
Puppenspieler.  In  Kopenhagen  trat  er  schon  1715  auf  und  erreichte 
nach  widerholten  bitschriften  1718  die  erlaubnis,  deutsche  comödien 
mit  lebendigen  personen  zu  agieren'.  Wie  er  das  priyil^um  benuzt 
hat,  wissen  wir  nicht  recht;  nach  einem  versuche  mit  Gapion  zusam- 
men zu  spielen  zog  er  sich  bald  zurück  und  gieng,  als  Gapion  spiel- 
monopol  bekommen  hatte,  mit  seiner  trappe  nach  Schonen  (okt  1720), 
wo  er  jedoch  ebenfals  abgewiesen  wurde  ^.  Unter  den  von  ihm  gespiel- 
ten sttLcken  nent  Holberg,  t.  Quoten  selbst  auf  der  bühne  TorfÜhrend, 
dr.  Faustus,  Adam  und  Eva,  Zauberei  von  Armida  ^ 

Als  die  dänische  Schaubühne  nach  dem  tode  des  pietistischen 
Christian  VI.  wider  erö&et  wurde  (1747),  baten  auch  v.  Quoten 
und  sein  söhn  mehrmals  vergebens  um  die  erlaubnis,  deutsche  (spä- 
ter auch  dänische)  tragödien  und  comödien  mit  lebenden  personen 
aufführen  zu  dürfen^  und  erlangten  endlich  ihr  ziel  durch  benutzung 
des  einem  general  Arnold  vergönten  Privilegiums.  Der  söhn,  Julius 
v.  Quoten,  zeigte  sich  als  ein  ganz  energischer  leiter,  welcher  ein 
eigenes  theateigebäude  errichtete  und  tüchtige  leute  engagierte,  Deut- 
sche wie  Dänen;  mehrere  der  lezteren  gehörten  später  zu  den  besten 
kräften  der  nationalbühne.  Er  spielte  zweimal  wöchentlich  deutsche 
comödien  abwechselnd  mit  Moliöre,  Holberg,  Seiltänzer-  und  gaukl^- 
künsten,  an£angs  nicht  ohne  glück;  nach  einem  halben  jähre  aber 
zog  er  in  dem  wetstreit  mit  der  dänischen  Schaubühne  den  kür- 
zeren und  muste  im  mai  1748  sein  vorhaben  einstellen.  Yeigebens 
suchte  er  dann  ein  Privilegium  für  die  provinzen  und  Norwegen 
und  nahm  endlich  seine  Zuflucht  zu  dem  ursprünglichen  gewerbe  sei- 
nes Vaters. 

1)  Qeaoh.  d.  deutschen  sohaospielkuDst  I,  352. 

2)  Devrient  I,  354.  Der  italiener  Sebastian  di  Scio  zu  Berlin  1693  (Bnch- 
YOgel  49)  und  Stockholm  1696,  s.  Süfverstolpe  in  der  schwedischen  zeitschr.  Yam- 
tiden  1877,  143. 

3)  Werlauff  472  fgg.    0.  Nielsen  243  fgg. 

4)  Dahlgren,  Om  Stockhohns  theatrar,  Stockhohn  1866,  21. 

5)  Hexeii  eller  blind  alarm,  act  4,  sc.  5. 

6)  Werlauff  483  fgg. 


WANDKBCBUFPBN  IN  DANIKABX  341 

Die  titel  der  yon  ihm  gespielten  stücke  hat  uns  Overskou  erhal- 
ten^. Wir  treffen  da  ungefähr  ein  d  atzend  deutscher  dramen  ausser 
einigen  nicht  näher  bezeichneten  nachspielen.  Einiges  darunter  gehört 
zum  alten  repertoire  der  Wandertruppen;  aber  die  eingetretene  geschmacks- 
änderung  zeigt  sich  auch  daran  deutlich  genug,  dass  diese  stücke  nur 
ein-,  höchstens  zweimal  aufgeführt  wurden,  während  Holbergs  dänische 
originale  und  die  Übersetzungen  aus  dem  französischen  sich  längere  zeit 
auf  der  bühne  behaupteten.  Eine  bekante  hauptaction  war  „Der  flüchtige 
Virenus  oder  die  getreue  Olimpia**  (1747  und  48  bei  v.  Quoten  zweimal 
aufgeführt),  schon  zu  Begensburg  1687,  zu  Nürnberg  um  1710  und  in 
Hamburg  1721  gespielt^.  Zweifelhafteren  Ursprungs  sind  „Ulysses  und 
Fenelope  oder  Die  treue  beständigkeit^  (1^748)  einmal)^,  „Der  grausame 
Nero  oder  Die  triumphierende  liebe  ^  (1747)  (vielleicht  die  von  Haak 
in  Hamburg  1719  gespielte  action  „Nero  oder  die  beleidigung  aus 
liebe**  ^)  und  „Aurora**  (1747),  nicht  unwahrscheinlich  identisch  mit 
^Ejonen- streit  zwischen  Aurora  und  Stella**^,  nach  Galderon  auch 
französisch  und  niederländisch  bearbeitet  und  oft  aufgeführt:  Lüneburg 
1666,  Dresden  1676,  von  Veiten  in  Torgau  1680,  vielleicht  in  Nürn- 
berg um  1710,  Frankfurt  1741,  später  von  Eopf  bearbeitet  1754.  „Die 
spanische  blutmahlzeit  oder  Tugendspiegel  der  damen**  (1747,  einmal) 
nent  Bolte  als  dem  repertoire  Eckenbergs  in  Berlin  1733  angehörig^. 
„Don  Petros  totengastmahl**  (1747 — 48),  die  bekante  geschichte  von 
Don  Juan,  war  von  Veiten  in  Torgau  1690,  in  Nürnberg  um  1710, 
in  Wien  von  Prehauser  1716,  daselbst  vdder  1752  und  1761  und 
anderswo  öfters  angeführt ^,  auch  als  Puppenspiel;  es  bleibt  aber  wol 
fraglich,  ob  dies  eine  eigentliche  hauptaction,  vielleicht  nach  einer  der 
bei  Engel  11  genanten  italienischen  dramatisierungen  der  sage  war, 
oder  nicht  vielmehr  eine  modernere  bearbeitung  nach  Moliöres  Festin 
de   Pierre    (1665).     Jedesfals  gab  v.  Quoten   1748   ein  lustspiel  von 

1)  Danske  skueplads  11 ,  63. 

2)  Jahrb.  d.  Shakespeareges.  XIX,  150,  nr.  77.    Schütze  45. 

3)  Ztschr.  f.  deutsche  phil.  XXUI,  238  näher  von  mir  besprochen. 

4)  Devrient  I,  323. 

5)  Bolte  in  der  Ztsohr.  f.  deutsche  phiL  XIX ,  92  und  in  Heirigs  Aroh.  T.YYYH^ 
122.  Heine,  Joh.  Yelten  29.  Ders.,  Das  Schauspiel  der  deutschen  Wanderbühne  7. 
8.  10,  und  Zeitschr.  f.  vgl.  litteraturgesch.  u.  renaissancelitt  N.  F.  n,  395.  Jahrb. 
d.  Bhakespearegeselsch.  XIX,  152,  nr.  122. 

6)  Forsch,  z.  brandenb.  u.  preuss.  gesch.  ü,  221. 

7)  Heine,  Joh.  Veiten  37.  Jahrb.  d.  Shakespeareges.  XIX,  154,  nr.  158  „Don 
petro  gastmahl*^.  Engel,  Deutsche  puppencomödien  I.  Bolte,  Moliere-übs.  des  17. 
jahrh.,  in  Herrigs  Archiv  LXXXII,  81  fgg. 


342  PALUDAN,  WAMDlRTBUPPnf  IN  OÄNIMABK 

Destoucbes  „Das  gespenst  mit  der  trommeP  in  Gottscheds  deutscher 
Übersetzung  von  1740.  Neueren  Ursprungs  waren  ebenfals  die  schafer- 
spiele „Pavona  oder  die  vierfache  liebe ^  (1748)  und  „Der  versteckte 
hammel  oder  die  gelehmte  liebe^  (17^8))  dieses  von  J.  G.  Rost  1742^). 
Eigens  für  die  v.  Quotensche  trappe  gedichtet  waren  ein  paar  stücke 
in  deutscher  spräche,  ein  heldenspiel  „Die  träumende  liebe^  oder  „Phi- 
stophile^  von  dem  Schauspieler  linckwitz  1747,  und  ein  singespiel 
„Die  gekrönte  tugend^  zum  geburtstag  der  königin  1748'.  Endlich 
treffen  wir  zwei  lustige  nachspiele:  „Harlequins  Bryllup**,  1747 — 48  mit 
tanz,  imd  „Die  böse  Grethe  oder  Harlequins  Pattebam^  (d.  i.  „Säug- 
ling^, 1748),  dieses  mit  halb  dänischem,  halb  deutschem  titel,  woraus 
sich  nicht  ersehen  lässt,  in  welcher  spräche  es  angefahrt  ist  Gott- 
sched hat  unter  dem  jähre  1716  die  zwei  bekanten  gesangspossen 
„Harlekins  (singender)  hochzeitschmaus '^  und  „Harlekins  kindbetterin- 
schmaus^,  die  jedoch  schon  in  Nürnberg  um  1710,  und  auch  später, 
ungefähr  gleichzeitig  mit  v.  Quotens  Vorstellungen,  erwähnung  finden'. 
Beide  sind  1730  ins  dänische  übersezt:  „Herr  Harlequins  Bröllups- 
og  Barsei -Gilde,  Sangviis  Forrestillet^^,  und  es  unterliegt  wol  keinem 
zweifei,  dass  wenigstens  erstere  in  dieser  Übersetzung  aufgeführt  wurde. 
Ob  dagegen  „die  böse  Grethe^  mit  dem  „Eindbetterin-schmaus*^  iden- 
tisch ist,  bleibt  unsicher;  in  den  erhaltenen  exemplaren  der  leztgenan- 
ten  ist  von  keiner  „bösen  Grethe'^  die  rede. 

Von  der  v.  Quotenschen  concurrenz  befreit  sezte  die  dänische 
Schaubühne  ihre  Wirksamkeit  fort,  wesentlich  auf  Holberg,  Molidre  und 
die  Franzosen  gestüzt,  aber  von  dem  hinsiechenden  deutschen  drama 
ganz  unbeeinflusst  Sie  hatte  von  der  mitte  des  Jahrhunderts  nur  noch 
mit  französischen  schauspielern  und  italienischer  oper  zu  kämpfen,  und 
muste  daher  auch  ballet  und  Singspiel  auf  das  repertoiie  setzen,  selbst 
bisweilen  französisch  spielen.  Deutsch  wurde  aber  niemals  gespielt, 
und  von  deutschen  Wandertruppen  hören  wir  wenig  mehr.  Durch  die 
Gottschedsche  reform  nahmen  diese  auch  nach  und  nach  ein  anderes 
gepräge  an  und  näherten  sich  mehr  den  stehenden  bühnen.  Der  „kgl. 
dänische  privilegierte  comödiant^  J.  F.  Darmstädter,  welcher  1735  zu 

1)  Gottsohed  317.    Maltzahn  533. 

2)  Ovenkon  U,  45.  61. 

3)  Jahrb.  d.  Shakespeareges.  XIX,  152,  nr.  129  ,,8ingente  harlequin*,  nr.  130, 
""kindbetts  sohmaosz''.  Maltzahn  533  (1743).  Sohütze  87.  266  (1750.  1742).  Köh- 
ler, Ztsohr.  f.  deutsches  altert,  u.  deutsche  litt  XX,«  119  fgg. 

4)  Kgl.  bibl.  zu  Kopenhagen,  Dan.  katalog  55—263,  2  expL 


DUFLOÜ,  HANS  SACHS  ALS  MORALIST  343 

Rostock  auftrat  \  war  schwerlich  mehr  als  ein  taschenspieler.  unter 
der  pietistischen  regierung  Christians  YL,  1730 — 46,  als  alle  theatra- 
lischen Yorstellungen  in  Dänemark  selbst  eingestelt  waren,  wissen  wir 
auch  nicht,  dass  fremde  Schauspieler  privilegiert  wurden.  Schwieriger 
erklärlich  ist  die  lezte  erwähnung  einer  deutschen  truppe  in  Kopen- 
hagen, als  vom  mai  bis  Oktober  1749,  in  ausdrücklichem  widerstreit 
mit  den  Privilegien  der  dänischen  bühne,  ein  gewisser  Ferdinand  Hal- 
lasch aus  Königsberg  Schauspiele,  seiltanz  und  andere  künste'  gab. 
Gewiss  aber  waren  hier  die  gauklerkünste  vorwiegend;  denn  in  den 
deutschen  theatergeschichten  dieser  zeit,  besonders  bei  Hagen,  Theater 
in  Freussen,  finde  ich  keinen  prinzipal  oder  Schauspieler  dieses  namens, 
und  dänische  quellen  geben  über  seine  Vorstellungen  auch  keinen  wei- 
teren au&chluss. 

KOPENHAOEN.  J.   PALUDAN. 


HANS  SACHS  AIS  MOßALIST  IN  DEN  FASTNACHT- 

SPIELEN. 

Es  ist  ein  unbestrittenes,  physisches  wie  politisches  gesetz,  dass 
jede  starke  impulsion  eine  reaction  nach  sich  zieht  Wie  der  erfrischende 
Strom  der  renaissance  den  wüst  der  scholastischen  gelehrsamkeit  weg- 
schwemte,  so  machte  die  durch  die  philosophischen  Schriften  vorberei- 
tete französische  revolution  den  drangsalen  und  Standesungerechtigkeiten 
vorläufig  ein  jähes  ende;  und  die  deutsche  Jugend  verliess  damals  die 
von  den  drei  einheiten  eingeengte  bühne  der  französischen  dramatischen 
muster,  um  sich  jubelnd  dem  neu  entdeckten,  scheinbar  masslosen 
Shakespeare  hinzugeben. 

Dieses  gesetz  bewährt  sich  auch  an  den  einfachsten  gegenstän- 
den. Es  ist  gewiss,  dass  das  fastnachtspiel  des  15.  Jahrhunderts  von 
groben,  alles  Zartgefühl  verletzenden  Schilderungen  strozi  Wie  wir 
nun  Hans  Sachs  aus  seinen  werken  kennen,  die  in  auffälliger  weise 
das  gepräge  seines  geistes  tragen,  kann  es  uns  nicht  zweifelhaft  sein, 
dass  er  es  als  eine  heilige  Sendung  auf  erden  ansah,  mit  diesem  kot 
und  kehricht  aufzuräumen,  und  dass  Goethe  recht  hatte,  als  er  ihn  so 

1)  Jahrb.  d.  Vereins  f.  meokleiib.  gesch.,  1836,  I,  103:  BSrensprong,  Gesch. 
des  theaters  in  Meoklenburg-Sohweiin.  Nach  Dahlgren,  Stockholms  theatrar  29,  komt 
er  1736  und  38  auch  in  Schweden  als  oomödiant  und  zahnbrecher  vor  (vgl  Nu,  m&- 
nadsskrift  v.  Joh.  Grönstedt  I,  1874—75,  428). 

2)  Overskoa  ü,  96. 


344  OTJ7L0U 

auffasste  und  darstelte  (Hans  Sachsens  poet  sendung  v.  39  fgg.).  ^In 
einen!  fliegenden  blatt:  Gespräch  mit  der  fasnacht,  wante  sich  Hans 
Sachs  1540  in  heiterer  form,  aber  mit  ernster  mahnung  an  seine  mit- 
bürger.  Doch  das  sagte  er  sich  wol  selber,  es  muste  die  stimme  eines 
unwilkommenen  Sittenpredigers  im  algemeinen  lärm  verhallen  ...  Hier 
(aber)  sah  der  mann,  der  unstreitig  mit  an  der  spitze  des  geistigen 
lebens  seiner  Vaterstadt  stand,  seinen  eigentlichen  beruf  angezeigt^  ^ 
Hans  Sachs  war  sich  dessen  so  gut  bewusst,  dass  er  dieser  niedrigen 
kunstgattung  des  &stnachtspieles  so  viel  fleiss  zuwendete,  wie  es  vor- 
her und  nachher  nie  geschehen  ist. 

In  bezug  auf  die  herkunft  der  vom  dichter  bearbeiteten  Stoffe  müs- 
sen uns  gleich  die  häufigen  entlehnungen  aus  Boccaccios  Decame- 
rone  auiMlen.  Dieser  in  allen  lebensgenüssen  verfeinerte  weitmann, 
der  von  männem  wie  frauen  die  anstössigsten  geschichten  in  der  rei- 
zendsten form  erzählen  lässt,  war  ein  lieblingsschriftsteller  des  Hans 
Sachs.  Wie  tief  muss  im  herzen  des  braven  mannes  das  sitliche  gefuhl 
gewurzelt  haben,  dass  er  sich  daran  ergötzen  und  doch  die  reinheit 
des  gemütes  bewahren  konte!  Aber  dem  reinen  ist  alles  rein.  Der 
dichter  nahm  seine  Stoffe  allenthalben  her,  nur  sorgte  er  dafür,  dass 
die  nutzanwendung  keine  falsche  war.  Wenn  ich  das  verfahren  des 
mannes  beobachte,  komme  ich  immer  auf  denselben  vergleich.  Der 
natter  schneidet  man  Stachel  und  giftdrüsen  aus  um  sie  nachher  sogar 
als  unschädliches  Spielzeug  zu  gebrauchen;  ebenso  lässt  sich  nachwei- 
sen, dass  Hans  Sachs  aus  dem  von  Boccaccio  überkommenen  stoff  das 
unzüchtige  ausmerzt,  ehe  er  ihn  verwertet  Wenn  wir  den  Bauer  im 
fegefeuer  (Goetze,  Neudrucke,  nr.  42)  mit  Decamerone,  giom.  HI.  8 
vei^leichen,  so  constatieren  wir  im  ganzen  den  nämlichen  verlauf  der 
geschichte,  mit  dem  unterschiede,  dass  bei  Boccaccio  der  abt  den  ein- 
fältigen bauer  in  ein  unterirdisches  gemach  einsperren  lässt,  um  unter- 
dessen die  frau  besitzen  zu  können,  während  im  deutschen  dieses  motiv 
in  ein  sehr  löbliches  und  dem  amte  des  geistlichen  angemessenes  verwan- 
delt ist:  die  lust,  den  ehemann  von  seiner  lästigen  eifersucht  curieren  zu 
helfen.  Im  Grosz  eyferer  (Goetze  nr.  45)  komt  ähnliches  vor.  Die 
frau  sagt  ihrem  eifersüchtigen  mann,  dass  sie  zur  beichte  gehen  will; 
dieser  besticht  den  kaplan  und  fungiert  als  beichtvater,  um  hinter  die 
geheimnisse  seiner  frau  zu  kommen,  welche  ihn  erkent  und  ihm  schalk- 
haft gesteht,  dass  sie  jede  nacht  den  besuch  eines  p&ffen  empfängt 
Der  angebrachte  gatte  bezwingt  sich  und  steht  nachher  zwei  nachte 

1)  Ooedeke  und  TittmanD,  Dichtungen  des  Hans  Sachs  in,  s.  XXL 


HANS  SACHS  ALS  MOBALIST  345 

hindurch  schildwache  an  der  hintertür,  natürlich  vergebens.  Bei  Boc- 
caccio (giom.  Vn,  5)  will  sich  die  geplagte  frau  dadurch  an  ihrem 
manne  rächen,  dass  sie  seinen  unbegründeten  argwöhn  rechtfertigt,  und 
die  geschichte  mit  der  beichte  ist  nur  eine  list,  um  ihn  zu  entfernen 
und  den  ehebruch  zu  ermöglichen.  Wenn  aber  bei  Hans  Sachs  die 
magd,  welche  die  stelle  einer  kuplerin  vertritt,  den  verschlag  macht, 
sich  mit  dem  liebhaber  in  Verbindung  zu  setzen,  antwortet  die  frau: 
V.  43  Ich  hab  mich  fromb  ghalten  biszher 

An  ihm,  dieweyl  und  aber  er 

Seins  eyfem  je  nit  ab  wil  lassen, 

So  beweisz  ich  ims  solcher  massen, 

Dasz  im  erst  eyfem  not  musz  thon. 

Doch  wil  ich  mein  Ehr  bhalten  schon 

Und  aller  Bubrey  müssig  gehn 

Als  ein  fromb,  ehrlich  Weib  bestehn, 

und  in  mein  Ehling  stand  beharren 

Doch  den  Eyfrer  machn  zu  ein  Narren. 
Dazu  ist  jede  frau  berechtigt;  man  merkt  aber  den  unterschied. 

Wenn  nun  aber  die  tendenz,  das  alzu  derbe  fastnachtspiel  zu 
versiüichen,  bei  Hans  Sachs  fast  überall  scharf  ausgeprägt  erscheint, 
so  ist  dies  doch,  glauben  wir,  nicht  ausnahmelos  der  fall.  Tadellos  in 
dieser  beziehung  sind  nicht  alle  stücke.  Ich  denke  dabei  an  die  num- 
mem  46,  54,  61,  74  der  Ooetzeschen  ausgäbe.  In  46,  54,  74  wer- 
den die  ehemänner  von  ihren  frauen  geprelt  und  geäft,  einfach  weil 
sie  zu  dumm  sind  um  zu  merken,  dass  man  ihnen  einen  blauen  dunst 
vormacht,  oder  (um  in  der  spräche  der  zeit  zu  reden)  dass  man  sie 
am  narrenseil  herumzieht  Nr.  61  enthält  die  geschichte  einer  übrigens 
ehrlichen  frau,  welche  sich  von  einer  kuplerin  durch  eine  alzu  grob 
gesponnene  list  verführen  lässt,  vom  rechten  pfade  abzuweichen.  Was 
uns  in  diesen  stücken  verlezt,  ist  die  demütigung  und  Verhöhnung  des 
guten  und  der  triumpb  des  bösen,  welches  mit  erhobenem  köpf  den 
sieg  davonträgt. 

Allein  auch  hier  lässt  sich  einiges  zu  gunsten  des  dichters  bei- 
bringen, und  obgleich  die  tatsachen  als  solche  offen  am  tage  liegen, 
glauben  wir  dennoch  so  viel  von  der  gemütsstimmung  des  biedern 
meisters  erraten  zu  haben,  um  über  den  Sachverhalt  ins  klare  zu  kom- 
men. VieUeicht  könte  ein  unbedingter  bewunderer  des  Hans  Sachs 
entgegnen,  dass  aus  jedem  stück  ein  moralisches  epimythion  gezogen 
werden  kann.  Das  ist  insofern  richtig,  als  sich  aus  jedem  stücke 
überhaupt  irgend  welche  lehre  abstrahieren  lässt     Aber  völlig  ent- 


wmT  .  ■  J  4 


346  DTJVLOU 

schuldigt  wird  der  dichter  dadurch  noch  nicht;  und  sein  Verteidiger 
hätte  zugleich  einen  satz  aufgestelt,  welcher  der  reinsten  wilkür  das  tor 
öfnen  würde.  Wie  wir  den  dichter  kennen,  so  steht  es  aber  geradezu 
fest,  dass  ihm  hier  keine  unsitlichen,  höchstens  schalkhafte  absichten 
unterzulegen  siod.  Man  beachte  dazu  noch  folgendes.  Das  54  fost- 
nachtspiel,  in  dem  Heinz  Meyr  von  seiner  frau  hintergangen  wird  und 
diese  ungestraft  wegkomt,  ist  datiert  vom  12.  Oktober  1553.  Ist  es 
nicht  auffallend,  dass  er  schon  am  24.  ein  neues  spiel  schreibt,  wo 
die  frau  energie  und  geduld  ihres  gatten  erproben  will  xun  nachher 
desto  ruhiger  die  ehe  zu  brechen,  aber  übler  zugerichtet  wird  als 
irgend  welche  andere?  Das  wainent  hüntlein  wurde  yeifasst  am 
25.  Januar  1554.  Ist  es  nicht  geradezu  entscheidend,  dass  das  nächst- 
folgende, nur  6  tage  später  geschriebene  fastnachtspiel  einen  plumpen 
„  buhler  ^  schildert,  der  von  seiner  geliebten  spöttisch  geäft  und  von 
der  eignen  frau  gehörig  „gelaust*^  wird?  Wir  glauben  hiemach  an 
die  möglichkeit,  dass  der  biedere  dichter,  bewusst  oder  unbewusst, 
scrupel  empfand  in  bezug  auf  das  vorhin  geleistete,  und  seinem  ehr- 
lichen gewissen  gegenüber  gleichsam  seinen  fehler  dadurch  sühnen 
wolte,  dass  er  zunächst  ein  spiel  mit  schrofT  entgegengeseztem  ausgang 
verfiEisste. 

Sehen  wir  uns  jezt  die  moral  des  Hans  Sachs  genauer  an !  Unter 
den  von  Ooetze  publizierten  stücken  gibt  es  nur  ein  halbes  dutzend 
ungefähr,  welche  wirklich  bloss  einen  spass  oder  eine  schalkheit  zum 
gegenstände  haben,  ohne  dass  dabei  die  moral  dem  dichter  über  die 
Schulter  blickt  Es  sind  etwa  die  nummem  21,  34,  37,  51,  72,  79, 
80.  Sonst  ist  die  absieht  deutlich,  wobei  der  dichter  nun  in  doppelter 
weise  verfährt.  Entweder  sind  die  stücke  ernst  gehalten  und  es  werden 
uns  allegorische  personen,  wie  frau  Olück,  frau  Wahrheit,  frau  Armut, 
Flutus  usw.  und  algemeine  typen  wie  der  rt^^S"'  ^^^  „Mild*^  vor- 
geführt; oder  das  stück  ist  ein  dramatisierter  schwank,  wo  die  moral 
offen  hervortritt,  ohne  dass  der  dichter  es  je  unterlässt  am  schluss  den 
herold  oder  einen  andern  eine  direkt  auf  das  publikum  bezügliche  sit- 
tenpredigt  halten  zu  lassen. 

Betrachten  wir  zunächst  des  menschen  Verhältnis  zu  Gott,  so 
finden  vrir  bei  Hans  Sachs  die  hauptidee  der  Lutherischen  glaubens- 
neuerung  wider: 

XIX,  309  das  man  verfarawe  got 

In  aller  trüebsal,  angst  und  not 

Der  kan  heUfen  zw  seiner  zeit 

Aus  aller  widerwertikeit 


HANS  SACHS  AIS  MOKAUST  847 

Oder  LQ,  403,  wie  Adam  za  Eva  sagt,  von  gott  redend: 

Du  hörst,  das  er  sunst  nichts  begert. 
Denn  das  ihn  Menschlich  gschlecht  auff  erdt 
Im  glaube  und  vertraw  allein. 

Der  glaube,  nichts  als  der  völlige,  unbedingte  glaube  an  Gott  war  es, 
den  Luther  als  mittel  zur  Seligkeit  den  ablassbriefen,  gebeten  und  guten 
werken  der  katholiken  entgegensezie  ^.  Und  Oott  ist  ein  liebevoller 
vater,  dessen  gute  unerschöpflich  ist  So  stelte  sich  ihn  Luther  vor, 
der  mit  ihm  in  direkter  communion  lebte  und  zu  ihm  ein  grenzen- 
loses vertrauen  hatte ^.  Hans  Sachs  war  nicht  so  stolz  und  verwegen; 
doch  übertragt  er  auf  Gott  die  charakterzüge  eines  grundbraven  Deut- 
schen. In  dem  spiele  von  den  ungleichen  kindern  Evae  erscheint 
er  uns  wie  ein  liebreicher  hausvater,  der  seine  bedrängten  kinder  ver- 
tröstet Er  fragt  die  kinder  Adams,  ob  sie  beten  können;  man  bildet 
Edch  fast  ein,  dass  er  sich  nach  ihren  fortschritten  in  der  schule 
erkundigen  wird;  weil  Set  so  gut  betet,  macht  er  ihn  zum  könig,  einen 
zweiten  zum  ritter,  einen  dritten  zum  bürgermeister,  usw.  Wie  ganz 
im  einklang  damit  ist  die  äusserung  Gottes  (LXYII,  363  fgg.))  dass  er 
die  menschen  wol  plagen  und  quälen  müsse,  weil  sie  es  sonst  zu  bunt 
machen  würden! 

Zu  dieser  evangelischen  moral,  in  welcher  der  gotteigebene  mensch 
nie  mündig  wird,  gesellen  sich  aber  demente,  welche  gar  nicht  dazu 
stimmen.  Ich  will  nicht  zu  grosses  gewicht  legen  auf  den  häufig  wider- 
kehrenden ausdruck  das  wältxend  glück,  der  bei  Hans  Sachs  eine 
dem  blinden  Schicksal  der  Griechen  ähnliche  macht  bezeichnet  und 
vielleicht  nur  eine  durch  seine  belesenheit  in  den  Schriftstellern  des 
altertums  veranlasste,  rhetorische  figur  sein  mag.  Aber  im  algemeinen 
erscheinen  uns  des  Hans  Sachs  personen  nicht  als  unfrei,  und  im 
68.  spiele  schildert  er  die  laster  als  an  einen  pfähl  gebunden,  von  dem 
jedermann  sie  nach  seinem  gutdünken  ablösen  darf  oder  nicht.  Dies 
will  doch  deutlich  sagen,  dass  der  mensch  der  urheber  seines  eigenen 
Schicksals  sei  und  sich  selbst  bestimme.  Verfolgt  man  dagegen  jene 
der  evangelischen  moral  zu  gründe  liegende  communion  mit  Gott  bis 

1)  Pauli  Bomerbrief  m,  28. 

2)  Schweitzer,  Hans  Sachs  (1887,  Nancy)  s.  126  erwähnt  das  fiActom,  dass, 
als  Melanchthon  krank  war,  Luther  aus  unmut  darüber  Gott  ,die  ehren  rieb*  nnd 
seinem  freunde  versicherte,  Gott  werde  ihn  genesen  lassen,  was  diesmal  auch 
zutraf.  —  [Im  algemeinen  verweisen  wir  bei  dieser  gelegenheit  auf  die  eingehende 
bespreohung  des  Schweitzersohen  werkes  durch  M.  Rachel  in  dieser  zeitschriit  ZXIY, 
265—269.    Bed.] 


348  Dunou 

in  ihre  lezten  winkel,  so  stöst  man  auf  den  quietismas,  d.  h.  auf  die 
yemeinung  des  freien  willens,  welche  folgerung  Erasmas  trotz  allem 
widerstreben  Luthers  unerbiüich  gezogen  hat^. 

Zwischen  diesen  beiden  glaubensanschauungen  liegt  eine  grosse 
kluft,  und  doch  sind  beide  tatsächlich  bei  Hans  Sachs  Torhanden. 
Männer  wie  Luther  und  unser  dichter,  rüstige,  tatkräftige,  volblütige 
menschen,  kühne  geister,  waren  nicht  dazu  aufgelegt  ihrem  ich  zu 
entsagen.  Das  16.  Jahrhundert  hat  keine  schlaffen,  lauen  leute  her- 
Yoigebracht;  für  deigleichen  ist  in  stürmischen  Zeiten  kein  platz.  Und 
Schweitzer  sagt  treffend  von  Luther:  „die  gesunde  yemunft  des  men- 
schen corrigierte  die  logischen  fehler  des  theologen'^^ 

Aus  dem  vorhergehenden  begreift  es  sich,  dass  in  den  fastnacht- 
spielen das  wort  sünde  fast  nicht  vorkomt  Der  gedanke,  der  Hans 
Sachs  stets  vor  dem  geiste  schwebt,  ist,  dass  man  sich  des  bösen  erweh- 
ren soll  nicht  etwa  der  gnade  und  rechtfertigung  wegen,  sondern  weil 
es  schlecht  und  töricht  ist  Deshalb  wird  das  wort  sünder  durch  narr 
ersezt  Dieser  die  ganze  moral  seit  Brant  dominierende  spotname  ist 
die  strafe  des  bösen,  welche  ihn  noch  im  diesseits  trift;  und  als  der 
kern  der  lehre,  wie  Oervinus  vorzüglich  sagt,  stelt  sich  für  den  ein- 
zelnen die  selbsterkentnis  heraus,  gerade  wie  bei  den  alten,  auf  dem 
fronton  des  delphischen  tempels. 

Betrachten  wir  nun  die  menschen  in  ihrem  Verhältnis  zu  ein- 
ander. Hier  treibt  die  moral  unseres  dichters  ihre  reichsten  bluten. 
Hans  Sachs  wendet  sich  abwechselnd  an  jung  und  alt,  verheiratete  und 
Junggesellen,  frauen  und  männer,  bauem  und  bürger,  Untertanen  und 
herscher.  Jedes  gebiet  berührt  er,  die  notwendigkeit  eines  guten  regi- 
ments  wie  das  häusliche  leben  auf  dem  lande,  das  los  der  fursten  der 
erde  wie  die  kindererziehung.  Hans  Sachs,  der  mit  seinem  stände 
zufriedene  schuster,  weiss  wol,  dass  die  reichen  und  mächtigen  nidit 
immer  die  glücklichsten  sind,  und  es  ist  von  jeher  so  gewesen.  Als 
der  herr  die  stände  schuf,  sagte  er  zu  Eva: 

LH,  377  Köng,  Bitter,  Burger  und  EJaufEman 

Oleich  wol  gar  kein  Handtarbeit  han; 

Doch  unter  jrem  bracht  verborgen 

Stecken  sehr  grosz  müh,  angst  und  sorgen 

Von  Krieg,  Auffrhur  und  Bauberey, 

Eranckeyi;  und  Unglücks  mancherley. 

So  sich  zu  tr^  im  Begimendt 

1)  Ygl.  darüber  Schweitzer  s.  127. 

2)  Ebenda  s.  126. 


HAKB  SACHS  ALS  MORALIST  349 

Die  andern  stände 

Haben  kein  ander  sorg  nit  mehr, 

Denn  wie  man  Weib  nnd  Eind  emehr. 

Die  handt  arbeit  ist  in  gesnndt, 

Macht  süssen  schlaff,  nüchter  und  rundt. 

In  ist  auch  wolschmach  speisz  und  tranck. 

Auch  ist  in  die  weil  nit  so  lang. 
Wer  über  menschen  und  länder  regiert,   soll  das  wankelmütige 
glück  furchten;  er  hat  viele  feinde  und  wenig  freunde;  man  lauert  ihm 
yiel£Eu:h  auf  um  ihn  umzubringen;  denn  furcht  ist  der  grundstein  seiner 
herschaft:  Du  sagst  recht,  ir  viel  fürchten  mich; 

Ich  allein  musz  sie  fürchtenr  all  — 
sagt  Dionysius  zu  Dämon  (XLYU,  214  fg.);  sowie  Diogenes  zu  Alexan- 
der (XUV,  175%.): 

So  fürchtens  dich  als  ein  allein, 

Du  must  sie  fürchten  all  gemein. 
Hans  Sachs  ist  consequent,  wenn  er  kaiser  Augustus  auf  seinem 
weichen  polsterbette  schlaflose  nachte  zubringen  lässt  (L,  283  fgg.).  Er 
sucht  den  irtum  zu  beseitigen ,  als  ob  nur  die  mächtigen  die  glücklichen 
dieser  weit  wären;  er  selbst  erklärt  uns,  weshalb  er  seine  popularität 
nie  benuzt  hat  um  seinen  Schusterschemel  gegen  einen  sessel  im  stadt- 
regiment  zu  vertauschen: 

ViJI,  305   Erst  het  dein  stille  rhu  ein  end, 

Du  würst  ein  £necht  der  Unterthanen. 
Es  gereicht  dem  dichter  zur  ehre,  die  Unabhängigkeit  und  sein 
handwerk  geliebt  und  die  gleichheit  der  stände  in  bezug  auf  acht- 
barkeit unwandelbar  bis  in  sein  hohes  alter  durch  sein  beispiel 
behauptet  zu  haben.  Aber  nicht  jedermann  dachte  wie  er,  und  öfters 
fühlte  er  das  bedür&iis,  diese  so  tüchtige  lehre  den  leuten  aufis  neue 
einzuschärfen.  Ne  sutor  vUra  crepidam,  haÜ  sieh  mer  ider  in  sein 
stand  (LXXYm,  223);  oder  wie  es  L,  327  fgg.  heisst: 

Halt  innen  beide  mundt  und  handt. 

Das  er  nit  mehr  hie  thu  verzem. 

Denn  im  sein  pflüge  mag  ernem; 
und  umständlicher  IX,  256  %g.: 

Welcher  kein  Bosz  am  paren  hat, 

Derselbig  sol  zu  Fusen  lauffen; 

XTnd  welcher  nicht  hat  Wein  zu  kauffen, 

Der  trinck  Wasser  an  seinem  Tisch; 

Und  wer  nit  bat  Wiltpret  und  Fisch, 


350  DUVLOU 

Der  Esz  Biutfleisch  odr  Haberprey; 
Uud  wen  die  Aimut  drucken  sey, 
Der  ker  den  Mantel  nach  dem  Wind, 
Den  Sack  zu  halbem  Theil  zu  pind 
Und  nem  für  das  Merer  das  Minder, 
Damit  er  hin  pring  Weib  und  Kinder  . .  .;^ 

denn  LVni,  359  fg.: 

Wer  nit  müeg  rüeben  essen, 

Der  mfles  zu  leczt  den  grebel  fressen. 

Und  er  bleibt  noch  immer  in  derselben  gedankenreihe,  wenn  er  betont, 
dass  auf  zeitliches  gut  nicht  zu  achten  sei,  sondern  auf  „firümkeit^; 
das  sei  der  rechte  reichtum  (XXX,  430). 

Das  sind  Yorzügliche  ratschlage  für  arme  leute,  die  andere  um 
ihren  wolstand  beneiden;  doch  die  reichen  redet  er  auch  an,  und 
sein  beständiges  streben  geht  darauf  hinaus,  das  gute  einvernehmen 
zwischen  armen  und  reichen  zu  befestigen.  Der  reiche  soll  mild  und 
freundlich  gegen  den  armen  sein  (XX YI,  361  tgg.)]  desgleichen  dieser 
immer  fleissig,  standhaft  in  der  tugend  und  ohne  neid.  Der  eine  kann 
ja  den  andern  nicht  entbehren;  der  arme  wäscht,  kocht,  spült,  bäckt 
für  den  reichen,  und  dieser  beschüzt  ihn  mit  seinen  „geworben^. 
Zwei  laster,  welche  Hans  Sachs  auch  ausrotten  will  und  die  ebenMs 
dem  reichtum  anhaften,  sind  die  zwei  extreme  geiz  und  Verschwen- 
dung. 

Vn,  67  wer  gelt  lieb  hat. 

Der  wird  des  geltes  nimmer  sat 

vn,  81  gutes  vü 

wird  weng,  wo  mans  verschwenden  wil  — 

das  sind  epigrammatische  Zusammenfassungen  zweier  gedanken,  wo- 
rüber der  dichter  sich  ausführlich  verbreitet  Dem  geiz  vor  aUem  ist 
er  feind;  der  ist  der  quell  vieler  andren  laster  wie  „wucher,  furkauff 
und  finantz,  arglist,  renck  imd  alaümtz  (YII,  193  %.);  seine  begier  ist 
grenzenlos;  geschieht  es,  dass  etwa  ein  pfennig  fehlt  — 

YII,  135  Da  liegst  du  denn  die  nacht  zu  wemmem. 
An  rhu  zu  seufFtzen  und  zu  gemmem. 

Auch  schont  Hans  Sachs  die  geizhälse  nie.  In  nr.  32  wird  der  Bei- 
chenburger,  welcher  Simplicius  sein  geld  entwendet  hatte,  audi  seiner- 

1)  Dasselbe  thema  behandelt  das  69.  kapitel  aus  Marners  Narrenbesohwö- 
Tttng. 


HAM8  SACHS  ALS  MORALIST  351 

seits  Yon  Sapiens  geprelt  In  nr.  16  wird  gogen  den  Eargas  ein  com- 
plott  geschmiedet,  wodurch  man  ihm  einige  taler  abzwackt,  welche  die 
lustigen  spassvögel  gleich  verschmausen.  In  nr.  41  spielt  man  dem 
geizigen  einen  noch  ärgeren  possen.  Man  stiehlt  ihm  seinen  schinken, 
gibt  ihm  eine  aus  dreck  gemachte  pille  zu  verspeisen  und  überzeugt 
ihn  zulezt,  dass  er  sich  selbst  bestohlen  haba    Und  der  dichter  sezt 

hinzu  : 

317  Also  musz  man  schuhen  die  Affen 

und  die  filtzingen  geitzhels  straffen; 

denn  332  Ein  Sparer  musz  ein  zerer  haben, 

Dasz  der  geltsack  zu  grosz  nit  wachs 
Bey  kargen  Leuten,  wünscht  Hans  Sachs. 

Verschwendung  aber  ist  kaum  besser.  „Demmen  und  schlemmen^, 
possierliche  kleider  kaufen  (VIII,  111  fgg.),  jagen  und  koppeln  halten 
(ebd.  196  fgg.)  zieht  armut  und  eine  reihe  von  quälen  nach  sich  wie 
den  husten,  die  reude,  die  kratze,  die  Schwindsucht,  den  hamstein, 
reissende  schmerzen,  rote  äugen,  sausende  obren,  Schwindel  usw. 
(LXVlil,  362  fgg.).  Die  katze  wird  das  beste  stück  vieh  im  hause, 
und  der  schlemmer  denkt  sich  im  himmel,  wenn  ihm  der  eintritt  in 
ein  spital  verstattet  wird.  Den  goldnen  mittelweg  soll  man  folglich 
wählen,  der  ehrenvoll  ist  und  beliebt  macht 

Was  unserm  dichter  eben&ls  ein  dorn  im  äuge  ist,  ist  das 
unzüchtige  leben  mancher  jungen  leute  und  sogar  mancher  eheleute. 
Einmal  verfährt  er  dabei  gewissermassen  theoretisierend,  d.  h.  er  lässt 
von  einem  erdichteten  „buhl er '^  die  quälen  aufzählen,  welche  ihn  betrof- 
fen haben,  oder  einen  richter  dessen  betragen  verurteilen.  Den  buhler 
stelt  er  uns  dar  „traurig  und  kranklich  dahergehend^,  durch  seine 
geschenke  verarmt,  abgehärmt  von  dem  tollen  leben,  der  eifersucht, 
dem  „sehnen  und  meiden'^,  und  dabei  im  krieg  mit  den  franzosen^ 
Wol  sucht  der  buhler  einzuwenden,  dass  die  buhlerei  der  menschlichen 
natur  entspricht,  dass  gott 

V,  64  das  werck  der  liebe  pur 

Selbst  hat  gepflantzt  in  die  natur, 

dass  der  buhler  glücksvolle  stunden  zubringt,  usw.;  aber  seine  brüder, 
der  trinker  und  der  Spieler,  die  er  um  das  väterliche  erbe  betrügen 
will,  reissen  ihm  schonungslos  die  larve  vom  gesiebt    Manches  beispiel 

1)  Nl.  Syphilis,  damals  auch  wälsche  krätz  genant  Vgl.  Histoires  de 
Paolo  Jovio  (Don  1558)  I,  206  iind  Dechambre,  Dictionn.  des  sciences 
medicales,  3.  sehe.  XIY,  255  fgg. 


352  DUfLOü 

aus  dem  alten  testament  und  den  proverbiis  Salomonis  wird  angefahrt 
Ton  diesen  bibelfesten  menschen  um  darzutun,  dass  Oott  die  buhlerei 
immer  grausam  bestraft  hat.  Es  ist  aber  auch  wahr,  dass  sie  dagegen 
andere  stellen  aus  der  bibel  aufklauben,  um  ihr  eigenes  sündiges  leben 
zu  rechtfertigen,  was  abermals  beweist,  wie  bequem  sich  mit  bibel- 
steUen  herumschlagen  lässt  Die  gesellen  des  buhlers  sdionen  ihn 
durchaus  nicht;  scherzweise  erinnert  man  ihn  daran,  wie  er  mandmial 
rücklings  die  stiegen  hinuntergeworfen  wurde;  kurzum,  es  wird  ein 
abschreckendes  gemälde  entworfen. 

Das  zweite  yerÜEdiren  unseres  dichters  besteht  dann,  dass  er  einen 
buhler  handelnd  auftreten  lässt,  so  dass  wir  Zuschauer  dessen  sind, 
was  ihm  widerfahrt  Mit  wenigen  ausnahmen  kommen  diese  leute 
nicht  so  glatt  weg,  wie  man  sich  denken  könte.  Im  Teufelbannen 
wird  dem  höckerigen,  unzüchtigen  pfarrer  ein  possen  gespielt,  der  den 
spass  wirklich  auf  die  äusserste  spitze  treibt  (nr.  37);  in  nr.  62  wird 
ein  alter  zahnloser  kerl  unbarmherzig  verspottet  Nr.  69  fährt  uns  einen 
messner  vor,  der  sich  blind  stelt,  um  seine  ehebrecherische  &au  auf 
frischer  tat  mit  dem  geistlichen  zu  ertappen;  er  schiesst  diesem  einen 
eisernen  bolzen  in  den  buckel  und  legt  seiner  firau  „fünfiBngerkraut^ 
aa£3  haupt  Den  frauen  ergeht  es  nicht  besser,  obschon  ihre  unver- 
gleichliche erfinderische  verschmiztheit  sie  öfters  geschwind  eine  list 
oder  ausrede  ersinnen  lässt,  wodurch  sie  dem  gerechten  zome  des 
gatten  entgehen.  Wenn  sie  sich  nach  einem  mißlungenen  versuche  (wie 
in  nr.  57)  bekehren,  dann  unterbleibt  die  strafe;  wenn  sie  aber  die 
geduld  ihres  mannes  misbrauchen  und  überreizen,  so  begegnet  ihnen 
mitunter  noch  schlimmeres  als  prügel,  wie  ein  aderlass  (nr.  56);  und 
wenn  eine,  die  selber  „holz  trägt ^,  die  Verwegenheit  so  weit  treibt, 
die  tugend  ihres  mannes  zu  erproben,  da  verbrent  sie  sich  jämmer- 
lich die  finger  (nr.  38).  Also,  gleichviel  wohin  man  sich  wendet,  fast 
überall  sehen  wir  die  Unzucht  gestraft 

um  diesem  übel  abzuhelfen,  wo  es  unter  jungen  leuten  grassiert, 
kent  Hans  Sachs  nur  ein  mittel,  das  sein  lieblingsthema  ist:  die 
ehe.  Yon  der  würde  des  ehelichen  Standes  ist  keiner  mehr  überzeugt 
als  er.  Nicht  nur  komt  dieses  motiv  zu  widerholten  malen  in  seinen 
fastnachtspielen  und  anderen  dichtungen  wider,  sondern  auch  hier, 
wie  schon  einmal  vorher,  constatieren  wir  das  übereinstimmen  von 
wort  und  tat  Der  siebenundsechzigjährige  greis  fühlte  sich  noch 
gesund  und  rüstig  genug  um  eine  zweite  ehe  zu  schliessen  mit  einem 
achtzehnjährigen  mädchen,   Barbara  Harscherin,   deren  reize  der  greis 


Bans   BACHS  ALS  M0BAU8T  353 

in  versen  verherlichte,   welche   eher  von  einem  jüngling  herzurühren 
scheinen.     Schon  1518  schrieb  er,  indem  er  sich  an  die  frauen  wante: 

I,  382   Spardt  ewr  lieb  bisz  in  die  £h, 

Denn  habt  ein  Lieb,  sonst  keine  meh. 

Dem  buhler  gebietet  er  (in  nr.  5,  nach  1533  gedichtet): 

V.  463  thu  dir  selber  nemen 

Einen  Gemahel  zu  der  Ehe! 
Die  hab  denn  lieb  und  keine  meh! 

Gleiche  aussagen  finden  wir  in  VIII,  253  (12.  juli  1538);  XXIII,  385 
(10.  Oktober  1550);  LXXXIV,  465  fgg.  (31.  Oktober  1560). 

Es  macht  einen  sonderbaren  eindruck,  wenn  man  daneben  die 
galerie  der  bösen  weiber  durchmustert.  Aber  doch  sind  beide  dinge 
zu  vereinbaren.  Hans  Sachs  ist  der  ansieht,  dass  der  mann  sich  seine 
frau  erziehen  kann  und  muss,  und  dass  es  seine  eigne  schuld  ist, 
wenn  es  ihm  nachher  in  der  ehe  sauer  wird.  Deshalb  unterlässt  er 
nicht  die  männer  zu  belehren,  um  den  hausMeden  zu  fordern: 

XXVin,  295  Zeuch  erstlich  dein  weyb  an  den  ortten 

Zu  gehorsamb  mit  guten  wortten^. 

Zum  beispiel: 
XVII,  82  Mein  Omahel,  es  wer  mein  gemüt, 
Meins  hertzen  wolgfallen  und  wil, 
Das  du  einzogen  werst  und  stil. 

Vieles  gepolter  taugt  nicht  (XII,  366  fg.);  helfen  aber  keine  guten  werte, 

XXVni,  298   So  thu  dich  etwas  ernstlich  stellen 

Zu  wem  ir  eygen  sinnig  art 
Wo  sie  dir  noch  helt  wider  hart. 
So  magstus  straffen  mit  der  zeyt, 
Doch  mit  vernunfft  und  bscheidenheyt, 
Wie  man  den  spricht:  ein  frommer  man 
Ein  ghorsamb  weyb  im  ziehen  kan^. 

Vor  allem  aber  komt  es  darauf  an,  ihr  anfangs  nicht  die  zügel  schies- 
sen zw  lassen',  und  beiderseits  nicht  aufbrausend  zu  sein^:  so  erlangt 
man  schliesslich  wol  den  y,pachen  im  deutschen  hof^.  Der  schlimste 
fehler,  mit  dem  ein  mann  behaftet  sein   kann,   ist  zulezt  noch  die 

1)  Vgl.  XXVE,  34  fg. 

2)  Dasselbe  Xn,  373  fg. 

3)  Vgl.  XXVni,  23  fg.  und  XXVE,  382  fgg. 

4)  Nr.  LXrV. 

ZUTSGHiaVT  F.   DKÜT8GHS  PHILOLOeiB.     BD.   XXV.  23 


■*•-;». 


364  DUFLOÜ 

eifersucht  Nicht  nur  ist  sie  eine  unaufhörliche  folter,  welche  den 
mann  geradezu  wahnsinnig  macht,  sondern  sie  ist  auch  das  beste  mittel 
um  das  herbeizuführen,  was  man  befürchtet  Die  spiele  42  und  45 
sind  beide  gegen  diese  plage  gerichtet  Im  17.  wird  einer  von  dieser 
krankheit  durch  einen  von  Hans  Sachs  angestelten  arzt  curiert 

Also  ist  der  biedermann  fortwährend  bestrebt  seine  mitmenschen, 
die  ehemänner,  zur  richtigen  erkentnis  ihrer  pflichten  und  rechte  anzu- 
halten. Und  man  kann  ihm  nicht  zur  last  legen,  dass  er  den  stoff 
nicht  erschöpft  habe.  Also:  wenn  es  geschieht,  dass  man  mit  einem 
„scheliigen  gaul  erschlagen^  ist,  der  nicht  hören  will,  so  muss  man 
in  extremis  wol  zum  bereits  erwähnten  kraut,  zu  prügeln  und  beschwö- 
rungen  eigentümlicher  art^  seine  Zuflucht  nehmen '.  Hans  Sachsens 
ideal,  eine  treue,  züchtige^  frau,  die  fleissig  ihre  haushaltung  besorgt 
und  keine  klatschschwester  ist,  wird  zwar  auf  diese  weise  nicht  ver- 
wirklicht; aber  es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  der  mann,  welcher  aus 
erfahrung  reden  konte,  zweifelsohne  richtig  sah,  als  er  den  Ursprung 
mancher  häuslichen  Uneinigkeit  auf  die  Unvernunft  des  mannes  zurück- 
führte. 

Man  denke  nicht,  dass  unser  bild  bereits  volständig  sei.  Nach- 
dem er  das  Verhältnis  von  mann  und  frau  beleuchtet  und  erörtert  hat, 
geht  der  dichter  zu  den  kindern  über: 

Y,  481  jr  solt  ewre  Kinder  halten 

unter  der  Buten,  die  mit  schmertzn 
Des  Kinds  thorheit  treib  ausz  dem  hertzn, 
Auff  das  nit  wüsüing  darausz  werden. 

Man  soll  sie  auferziehen  „auff  Gottes  forcht,  sitten  und  tugenf^^ 
(v.  489),  denn 

YI,  363  So  bald  ein  Son  kompt  zu  den  Jam, 
Sol  man  ihn  fleissiglich  bewam 
Vor  loser  gsellschafiEt,  wo  man  kan. 
Wie  uns  lert  der  weisz  Salomon^ 

1)  Z.  b.  LXIV,  309  fgg. 

Haie  Bestia  in  spelonckes 

Chabes  kümaulqne  et  munckes 

Pengel  qne  snb  Schulter  et  lentes 

Fadt  dein  rüesel  faic  loquentes!   (die  frau  weite  nicht  sprechen). 

2)  Vgl.  XXVI,  380  fgg.;  XUX,  365  %g. 

3)  Vgl.  LXXXIV,  428  fgg. 

4)  Dasselbe  LU,  402. 

5)  Proverb  I,  10;  IV,  14. 


HANS  SACHS  ALB  MORALIST  355 

An  die  Jünglinge  selbst  wendet  der  dichter  sich;  er  begnügt 
sich  nicht  im  algemeinen  aaf  die  notwendigkeit  der  guten  sitten  und 
der  tugend  hinzuweisen  (wie  XIX,  320  fgg.),  sondern  das  ganze  spiel 
nr.  8  ist  dazu  bestirnt,  die  ranke  und  schlingen  blosszulegen,  welche  der 
fürwitz  oder  „bethulancia",  hier  gewissermassen  ein  Inbegriff  der  ver- 
führerischen lockungen,  denen  der  jüngling  ausgesezt  ist,  der  Jugend 
bereitet  Wir  heben  nur  eins  hervor,  das  für  den  dichter  bezeichnend 
ist,  nämlich  den  rat,  den  er  müssiggängern  gibt,  ihre  zeit  auf  das  Stu- 
dium zu  verwendend 

Was  nun  die  mädchen  anbelangt,   so  ist  Hans  Sachsens  moral 
recht  hausväterlich  und  vorsichtig: 
XXXIX,  533  Thut  fleissig  aufif  ewr  Töchter  schawen. 

Das  sie  sich  einmütig  einziehen*, 
Beywonung  der  Manszbilder  fliehen 
Und  der  gar  nit  zu  Hause  laden. 
Wann  es  bringt  jren  ehren  schaden; 
Obs  gleich  nit  unehrlich  zu  geht. 
Doch  ein  bösz  gschrey  darvon  entsthet 
Durch  der  klaffer  gifitige  zungen. 
Es  sei  uns  gestattet,   zum  schluss  das  sonst  noch  hin  und  her 
zerstreute  aufzulesen  und  hier  zusammenzustellen. 

Wie  der  dialog  Ciceros  de  amicitia  dem  dichter  bekant  war, 
so  unterlässt  er  nicht  auf  das  seltene  glück  eines  rechten  freundes 
hinzuweisen,  der  den  tadel  nicht  zurüökhält;  falsche  freunde  und  heuch- 
1er  werden  scharf  mitgenommen^.  Dieses  spricht  für  des  dichters  bie- 
dersinn;  für  seine  gesunde  vemuult  hingegen  spricht  seine  Verspottung 
der  „alchamey^  (^ni)  325)  und  der  wahrsagerei,  deren  zweck  und 
kern  er  ganz  richtig  erfasste  (X,«200  fgg.).  Törichte  woltaten  rügt  er 
ebenfals;  man  soll  nicht  den  ersten  besten  „  freihart  ^  beherbei^n,  der 
abends  an  die  türe  klopft  (XXY,  346  fgg.),  und  Spitzbuben  soll  man 
auch  nicht  trauen 

Wan  art  die  lest  selten  von  art  (LXXXI,  392). 
Gleich  unvernünftig  ist  es,  sich  in  andrer  leute  händel  einzumischen; 
LXYI,  423  das  sich  sol  ein  weiser  mon 

Eains  fremden  haders  nemen  on 
Und  sich  gar  nicht  darmit  peküemer, 
Das  nit  an  in  springen  die  trüemer. 

1)  Vm,  140  und  vgl.  die  äusserong  des  doctors  LXXXTTT,  168  fgg. 

2)  Dasselbe  LXXXIY,  435. 

3)  Proverb  VUE,  133;  XIT  passim;  XIX,  314  fgg;  XXXI,  passim. 

23* 


356  K.   0.  MATIB 

Der  grund  ist  malerisch  ausgedrückt  Mao  soll  sich  immer  vor  den 
folgen  fürchten,  sagt  der  dichter,  und  eben  deshalb  soll  man  auch  ein 
geheimnis  treu  bewahren.  Diese  lehre  wird  illustriert  durch  das  spiel 
vom  knaben  Lucius  Papirius  Cursor  (nr.  73).  Dies  führt  Hans  Sachs 
auf  den  gedanken,  dass  man  immer  vor  weibem  und  kindem  reinen 
mund  halten  soll,  damit  kein  geheimnis  ruchtbar  werde  und  dadurch 
etwa  ein  mit  vieler  mühe  aufgebauter  plan  mislinge  (v.  391  fgg.).  Des- 
halb ist  es  auch  zu  empfehlen,  dass  man  nicht  zu  neugierig  sei,  oder, 
wenn  man  etwas  gemerkt  hat,  es  geheim  halte.  Alles  zu  bekritteln 
und  zu  beschnattern,  hat  nie  einem  menschen  vorteil  eingebracht;  im 
schlimsten  fall  kann  es  eine  derbe  Züchtigung  veranlassen,  wie  der 
aime   narr  Jeckel    zu   seinem   schaden   fühlen   moste  (nr.  83). 

Es  ist  jezt  also  klar:  Hans  Sachs,  der  vernünftige  und  praktische 
mann,  wendet  sich  in  seiner  moral  haupts^hlich  an  den  gesunden 
menschenverstand  seiner  zuhörrr;  viel  weniger  an  das  herz,  die 
höhern  ge fühle.  Doch  glauben  wir,  dass  sie  vor  dem  vonvurf  der 
hausbackenheit  gesichert  ist.  Einzelne  ausspräche  zeugen  von  einem 
überlegenen,  der  zeit  vorausgeeilten  einblick  in  die  weltverhältnisse; 
manches  der  spruchgedichte  (die  wir  hier  absichtlich  von  unserer 
Untersuchung  ausgeschlossen  haben)  zeigt  uns  den  dichter  als  einen 
so  feinen  und  fleissigen  beobachter  der  politischen  ereignisse,  wie  es 
ein  beschränkter  geist  nie  hätte  sein  können.  Allein  er  war  ein  kind 
seiner  zeit  und  liess  sich  die  klarheit  des  blickes  durch  keine  trugbU- 
der  und  falsche  Vorstellungen  trüben.  Wie  er  verfuhr,  so  muste  in 
dieser  zeit,  wo  der  physische,  man  dürfte  sagen  tierische  teil  des  men- 
schen noch  so  grell  hervortrat,  jeder  verständige  reformator  verfahren, 
wenn  er  nicht  scheitern  wolte.  Hans  Sachs  ist  öfters  Luther  an  die 
Seite  gestelt  worden  wegen  des  anteils,  den  er  an  der  reformation  in 
seiner  Sphäre  nahm;  wir  glauben,  dass  beide  auch  zusammengehören  als 
unermüdliche  bekämpfer  der  torheit  und  des  lasters. 

OENT.  O.   DUFLOU. 


DIE  QUELLEN  VON  EUNÖEES  LUSTSPIEL:  DER 

DEEWISCH. 

Nachdem  Klinger  in  seinem  „Orpheus^  zum  erstenmal  den  boden 
der  märchenweit  betreten  hatte,  versuchte  er  mit  unleugbarem  gesdück 
märchenhafte  motive  auf  der  scene  zu  komischer  Wirkung  zu  verweiv 


qUELLXN   VON  SLINOERS  DSBWISGH  357 

ten.  Diesem  versuche  verdanken  wir  eines  seiner  besten  stücke:  das 
lustspiel  „Der  derwisch"  (Prag)  1780;  aufgenommen  in  bd.  HI  des 
theaters  1786,  sonst  in  keine  samlung  Elingerscher  Schriften.  Man 
kante  bisher  die  quellen,  aus  welchen  Klinger  die  motive  zu  diesem 
stücke  schöpfte,  nur  zum  geringen  teile;  vgl.  M.  Bieger:  Klinger  in  der 
Sturm-  und  drangperiode,  Darmstadt  1880,  s.  297.  Klingers  haupt- 
quelle war  Henri  Pajons  „L'Histoire  des  trois  fils  d'Hali  Bassa  de  la 
mar  et  des  filles  de  Siroco,  gouvemeur  d'Alexandrie''.  Dieses  märchen 
erschien  zuerst  1745  im  Mercure  de  Erance  (august  —  december)  unter 
dem  Pseudonym  M.  Jaques  (vgl  Le  cabinet  des  f6es,  Genf- Paris  1786 
bd.  XXXIV,  s.  7).,  Der  Abb6  de  la  Porte  druckte  es  unter  dem  titel 
„N6angir  et  ses  fr^res,  Argentine  et  ses  soeurs^  in  seiner  „Bibliothdque 
des  F6es  et  des  G6nies^  ab.  Daraus  übersezte  es  Wieland  in  dem 
ersten  bände  seines  „Dschinnistan  oder  auserlesene  feen-  und  geister- 
mährchen"  (3  bde.  1786  —  89;  beiHempel  30.  teil  s.  75—129).  In  der 
samlung  von  feenmärchen  „Le  cabinet  des  f^s^  1786  findet  es  sich 
abgedruckt  bd.  34,  s.  119  —  236. 

Die  hauptzüge  der  äussei-st  verwickelten  handlung  des  märchens 
sind  folgende.  Ein  weiser  derwisch  machte  den  drei  söhnen  des  Bassa 
vom  meere  drei  wertvolle  geschenke,  deren  besitz  ihnen  glück  bringen 
solte.  Dem  ältesten  söhne  gab  er  einen  rosenkranz  mit  neunundneunzig 
der  schönsten  korallen  und  begleitete  seine  gäbe  mit  den  werten: 
„Bewahre  diesen  schätz,  sei  dem  propheten  getreu  —  und  du  wirst 
glücklich  sein^.  Dem  zweiten  söhne  schenkte  er  ein  täfeichen  von 
kupfer,  auf  welchem  der  name  des  gesanten  gottes  in  sieben  sprachen 
eingegraben  war,  und  sagte:  „Der  name  des  freundes  des  allerhöch- 
sten möge  dein  haupt  bedecken;  der  turban,  das  zeichen  der  recht- 
gläubigen begleite  ihn  immer  —  dann  wird  dein  glück  volkonmien 
sein^.  Dem  jüngsten  söhne  legte  er  ein  armband  an  mit  den  werten: 
„Bein  sei  deine  rechte,  und  deine  linke  unbefleckt!  Bewahre  dieses 
kleinod,  das  in  Medina  verfertigt  wurde  —  und  dein  glück  wird  nicht 
gestört  werden". 

Die  söhne  des  Bassa  achten  der  werte  des  derwisches  nicht  und 
geraten  ins  unglück.  Der  älteste  söhn  misbraucht  den  rosenkranz.  Er 
verliert  eine  koralle  davon  und  ist  verurteilt  mehrere  stunden  des  tages 
die  verstreuten  korallen  aufzulesen,  zu  zählen  und  die  fehlende  ver- 
geblich zu  suchen.  Der  jüngste  söhn  berührt,  nicht  eingedenk  der 
Warnung  des  derwischs ,  eine  unreine  speise.  Sofort  verliert  seine  band 
die  natürliche  färbe  und  wird  zu  ebenholz.  Drei  stunden  muss  er 
täglich  sein  unglück  beweinen.    Dem  zweiten  söhne  N6angir  wird  das 


358  K.  0. 

kupfertäfelcben  entwendet  Er  wird  dadurch  in  einen  kupfernen  koch- 
tiegel  verwandelt  und  erlangt  erst  nach  einigen  jähren  seine  natürliche 
gestalt  wider. 

Den  drei  söhnen  des  Bassa  waren  von  kindheit  an  die  drei  töch- 
ter  des  gouvemeurs  von  Alexandrien  Siroco  zu  frauen  bestirnt  Auch 
diese  besitzen  talismane  in  gestalt  von  ringen,  welche  sie  vor  Unglück 
schützen  sollen.  Zwei  der  mädchen  lassen  sich  von  listigen  Juden  ihre 
talismane  herauslocken  und  werden  auf  der  stelle  in  zwei  taschenuhren 
verwandelt:  Argentine  in  eine  silberne,  Aurore  in  eine  goldene.  Sie 
können  nur  entzaubert  werden,  wenn  man  ihnen  die  beiden  ringe 
wider  anhängt  Doch  erlangen  sie  für  eine  stunde  ihe  natürliche 
gestalt,  wenn  man  sie  um  mittemacht  aufzieht  ünterlässt  man  di^ 
so  rollen  sie  dem  jeweiligen  besitzer  eilends  davon. 

Die  beiden  ringe  werden  den  Juden  von  zwei  Cirkassierinnen 
entlockt  Dabei  spielt  der  oben  erwähnte  derwisch  eine  rolle.  Die 
zwei  Cirkassierinnen  erzählen  vor  dem  Bassa  und  seinen  söhnen  ihre 
wundersamen  erlebnisse.  Sie  waren  für  den  harem  des  grosssultans 
bestimt  Auf  der  reise  dahin  werden  sie  von  zwei  jungen  männem 
entfährt  Der  eine  ist  der  prinz  der  schwarzen  marmorinsel  D61icat; 
der  andere  —  Thölamir  —  ist  zwar  nicht  von  so  vornehmer  abkunft; 
aber  er  besizt  geheimnisse,  die  ihn  dem  grösten  herscher  ebenbürtig 
machen.  D61icat  muste  aus  der  residenz  seines  vaters  fliehen,  weil  er 
die  ihm  bestimte  braut  nicht  heiraten  wolte.  Die  jungen  männer  brin- 
gen die  beiden  mädchen,  D61y  und  T6zile,  auf  das  schloss  Th61amirs 
zu  genussreichem  leben.  T6zile,  die  geliebte  Th61amirs,  zeigt  bald  eine 
aufEallende  Zärtlichkeit  gegen  D61icat  und  erregt  ihres  liebhabers  eifer- 
sucht  Dieser  findet  einst  nachts  im  walde  D61icat  mit  einer  schönen 
in  zärtliches  Zwiegespräch  vertieft.  Er  halt  das  mädchen  für  T6zile; 
die  erlauschten  werte  des  gespräches  scheinen  seine  Vermutung  zu 
bestätigen.  In  raschem  zome  schlägt  er  den  liebenden  mit  einem  säbel- 
streich beide  köpfe  ab.  Mit  schrecken  wird  er  sich  nach  begangener 
tat  seines  irtums  bewust  Eilig  legt  er  die  abgehauenen  köpfe  an  die 
leiber  an,  steckt  ihnen  eine  magische  pille  in  den  mund  —  und 
sogleich  wachsen  die  köpfe  an,  ohne  die  mindeste  narbe  sehen  zu  las- 
sen. In  der  dunkelheit  und  eile  hatte  er  aber  die  köpfe  vertauscht 
Erst  als  man  in  den  palast  zurückkomt,  wird  die  Verwechslung  ent- 
deckt Th61amir  will  den  schaden  wider  gut  machen  und  beiden  noch- 
mals die  köpfe  abschlagen,  um  sie  auszutauschen;  doch  die  beiden 
Opfer  seiner  eifersucht  wollen  sich  zu  dieser  „Operation"  nicht  ent- 
schliessen.     Einige  zeit  nach  dieser  begebenheit  stirbt  Dölicats  vater. 


QUELLEN  VOH  KLINOERS  DERWISCH  359 

Es  findet  sich,  dass  er  seinen  söhn  von  der  thronfolge  ausgeschlossen 
hat  Trotzdem  will  D6Iicat  mit  D61y  in  die  hauptstadt  Er  hoft  das 
Yolk  für  sich  zu  gewinnen.  Da  zeigen  sich  aber  die  schlimmen  folgen 
des  kopfwechsels.  Er  sowie  D61y  werden  für  betrüger  erklärt.  Beide 
werden  enthauptet  Thölamir  und  T^zile  legen  die  abgehauenen  köpfe 
an  die  leiber  an,  und  die  magischen  pillen  tun  abermals  ihre  Wirkung. 
In  der  eile  wurde  aber  D61icats  köpf  nicht  genau  an  den  hals  ange- 
passt,  und  der  prinz  stirbt  sogleich  nach  seiner  widerbelebung  an  Ver- 
blutung. D61y  im  höchsten  schmerz  und  zom  durchbohrt  Th61amir 
als  den  urheber  des  ganzen  Unglücks  mit  einem  Schwerte.  So  weit  die 
erzählung  der  beiden  Girkassierinnen. 

Das  märchen  eilt  sodann  dem  ende  zu.  Die  zwei  töchter  Sirocos 
gelangen  in  den  besitz  ihrer  ringe  und  gewinnen  ihre  natürliche  gestalt 
wider.  In  der  fünften  falte  des  kleides  der  entzauberten  Aurore  findet 
sich  die  vermisste  neunundneunzigste  koralle.  Dadurch  wird  der  älteste 
söhn  des  Bassa  von  seinem  zauber  erlöst  Auch  der  dritte  söhn  wird 
bald  von  seiner  ebenholzhand  befreit,  und  eine  reihe  von  Vermählun- 
gen schliesst  die  verwickelte  handlung. 

Elinger  hat  in  seinem  lustspiele  die  motive  dieses  märchens  auf- 
gegriffen und  zu  komischer  Wirkung  ausgearbeitet  In  den  mittelpunkt 
stelt  er  einen  derwisch.  Ein  solcher  spielt  auch  im  märchen  eine 
rolle;  Klingers  derwisch  trägt  jedoch  ganz  andere  züge.  Den  Zusam- 
menhang derselben  einerseits  mit  dem  derwisch  AI  Hafi  in  Lessings 
Nathan,  andererseits  mit  dem  grafen  Cagliostro  weist  M.  Bieger  über- 
zeugend nach  in  Klingers  leben  s.  290  fg.  Der  derwisch  besizt  (wie 
Th61amir  im  märchen)  die  gäbe  tote  zu  erwecken.  Nur  bewirkt  er 
dies  nicht  mittels  magischer  piUen,  sondern  mit  hilfe  einer  Wunder- 
kerze, die  er  den  toten  in  den  mund  steckt.  Aus  allen  teilen  der  weit 
konmien  leute  nach  Ormus  zum  derwisch  um  sich  da,  wenn  sie  gestor- 
ben, zu  neuem  leben  erwecken  zu  lassen.  An  dem  hofe  des  sultans 
von  Ormus  lebt  dessen  Schwester,  die  schöne  Genevra.  Der  ruf  ihrer 
Schönheit  zieht  viele  prinzen  an  ihren  hoC  Doch  keiner  von  ihnen 
vermag  den  zauber  zu  lösen,  der  sie  fesselt  „Unaufhörlich"  —  so 
erzählt  einer  ihrer  bewerber,  der  prinz  Mustapha,  seinem  cousin,  dem 
prinzen  Oronoko  [H,  2]  —  „unaufhörlich  zählt  sie  Diamanten.  Ein 
kleines  niedliches  Körbchen  trägt  sie  in  der  Hand,  da  sammelt  sie 
dieselben  hinein   und   schüttet  sie  wieder  aus  und  sucht  sie  wieder. 

So  geht  das  rastlos  fort Es  müssen  neunundneunzig  Diamanten 

sein,  wenn  ihr  Geschick  ein  Ende  nehmen  soll.  Zählt  sie  aber  die 
Steine,  so  sind  es  achtundneunzig.     Da  zahlt  sie  wider  und  seufzt: 


360  K.  0.   MATXB 

Achtundneunzig  sinds.  Verwünschtes  Schicksal!  Bevor  sie  neunund- 
neunzig  gleiche  Diamanten  zählt,  darf  sie  mit  keinem  von  uns  reden 
und  keinen  zum  Gemahl  erwählen''.  Sie  leidet  also  unter  demselben 
Zauber,  wie  der  älteste  söhn  des  Bassa  vom  meere.  Wie  dessen  erlö- 
sung  von  der  entzauberung  der  beiden  in  taschenuhren  verwandelten 
töchter  des  Siroco  abhängt,  so  ist  die  befreiung  der  Oenevra  an  das 
Schicksal  zweier  illyrischer  Prinzessinnen  geknüpft  Diese  wurden  von 
dem  mächtigen  zauberer  Primrose  in  taschenuhren  verwandelt  (der 
grund  ist  nicht  erzählt)  und  spielen  in  dem  stücke  als  taschenuhren 
ihre  roUe.  Sie  können  nur  erlöst  werden,  wenn  man  sie  mit  dem 
glockenschlage  zwölf  aufzieht  Prinz  Musfapha  erzählt  [I,  7]  dem  der- 
wisch  folgendes  abenteuer:  „Gestern  Morgen  kauf  ich  eine  Uhr  von 
Gold.  Wie  ich  Abends  in  mein  Zimmer  trete,  liegt  eine  Uhr  von 
Silber  grad  auf  meiner  Schwelle.  Ich  nehme  die  Uhm  und  hänge  sie 
beide  gegen  mein  Bett  Um  Mittemacht  erwacht  ich  und  hörte  die 
Uhm  deutlich  sagen:  ,Ach  diesmal  sind  wir  wiederum  nicht  angezogen 
worden!'  Da  sprang  ich  auf,  weg  waren  meine  Uhren,  die  Gekaufte 
und  Gefundene  miteinander". 

Im  5.  auftritt  des  lY.  aufzugs  liegen  die  beiden  taschenuhren  auf 
der  scene. 

[,Die  Prmzessinnen  aus  lUyrieD  als  zwei  Uhren  auf  dem  Boden:] 
Prinzessin  Böse  a.  T.  U.:  Prinzessin  Schwester! 
Prinzessin  Zamora  a.  T.  U.:   He! 
Pr.  Rose  a.  T.  U.:  Bist  Du  abgelaufen? 
Pr.  Zamora  a.  T.  U.:   Du? 
Pr.  Rose  a.  T.  U.:  Ja! 
Pir.  Zamora  a.  T.  ü.:  Ich  auch! 
Pr.  Rose  a.  T.  ü.:  Zwölfe  muss  es  nun  gleich  sein! 
Pr.  Zamora  a.  T.  U.:  Ich  denke,  ja! 

Pr.  Rose  a.  T.  TJ.:  Würden  wir  doch  einmal  zur  rechten  Zeit  aufge- 
zogen! 
Pr.  Zamora  a.  T.  ü.:  Möchte  sich  doch  einmal  das  schreckliche  Schick- 
sal versöhnen  lassen! 
Pr.  Rose  a.  T.  U. :  0  Himmel !  welch  ein  harter  Stand  fiir  Prinzessin- 
nen, als  Taschenuhren  in  der  Welt  herumzurollen  !^ 
Man  vergleiche  damit  folgende  stellen  des  märchens,  die  Elinger 
fast  wörtlich  benuzt  hat:   Ntongir,   der  zweite  söhn  des  Bassa,   kauft 
bei  einem  Juden  eine  silberne  taschenuhr.    Als  er  abends  nach  hause 
komt,  findet  er  auf  der  schwelle  seines  zimmers  eine  prächtige  goldene 
uhr  liegen.     Gab.  d.  f6es  XXXIV  [s.  129  fg.]:  „il  se  coucha  tranquiUe- 


QUELUEN  VON  KLZNOEBS   DEBWI8CH  361 

ment  aprds  avoir  mis  ces  deux  montres  sur  l'estrade  oü  il  se  pr^pa- 
roit  ä  dormir.  S'6tant  6yeill6  par  hasard  au  milieu  de  la  nuit,  il 
entendit  une  voix  aussi  douce  qu'un  tiiubre  d'argent,  qui  sembloit 
sortir  d'une  des  deux  montres  (comme  eile  en  sortoit  en  effet)  qui  dit: 
ma  chöre  Aurore,  ma  chöre  soeur,  vous  a-t-on  montö  ä  minuit?  Non, 
ma  fidelle  Argentiue,  r6pondit  une  autre  voix;  et  vous?  Moi?  r6pon- 
dit  la  premidre,  on  m'a  aussi  oubli6e;  quel  malbeur,  il  est  une  heure 
pass6e,  nous  ne  pourrons  sortir  que  demain  de  notre  prison!  Oui, 
dit  la  prenii6re  voix,  en  cas  que  Ton  ne  nous  nöglige  pas  encore  comme 
aujourd'hui.  Nous  n'avons  plus  ä  faire  ici,  dit  Aurore,  rendons  nous  ä 
notre  destinöe:  partons.  Aussitöt  le  jeune  Nöangir  qui  s'etoit  lev6  ä 
moiti6  surpris  d'un  semblable  predige,  vit  ä  la  clart6  de  la  lune  les 
deux  montres  sauter  par  terre  et  rouler  hors  de  sa  chambre  par  la 
chattiftre*'. 

Der  betler  Derbin  in  Klingers  stück  findet  endlich  die  beiden 
uhren  und  entzaubert  sie,  indem  er  sie  zur  rechten  zeit  aufzieht.  In 
einer  falte  des  Unterrocks  der  prinzessin  Böse  findet  sich  der  fehlende 
neunundneunzigste  diamant,  dessen  die  schöne  Genevra  zu  ihrer  ent- 
zauberung  bedarf. 

Zur  hauptperson  des  E^lingerschen  Stückes  ist  der  derwisch  gemacht; 
die  motive  der  handlung  aber  nahm  Elinger  aus  der  erzählung  der 
beiden  Cirkassierinnen  bei  Pajon.  Der  derwisch  verliebt  sich  in  ein 
reizendes,  einfaches  mädchen,  Fatime,  dessen  mutter  er  vom  tode 
erweckt  Die  dankbarkeit  fordert  Fatimes  gegenliebe.  Der  derwisch 
will  mit  ihr  an  den  Ganges  ziehen,  um  dort  ein  stilles,  glückseliges 
leben  zu  führen.  Zum  unglück  verlieben  sich  aber  auch  der  sultan 
und  sein  favorit  Culi  in  das  mädchen  und  suchen  es  in  ihre  netze  zu 
locken.  Fatimes  bruder  Halli,  an  gesinnung  und  aussehen  seiner 
Schwester  ganz  unähnlich,  gibt  sich  zum  Werkzeug  für  die  Verführungs- 
absichten Gulls  her.  Er  bestelt  seine  Schwester  in  der  dämmerungs- 
stunde  in  des  sultans  garten  zu  einer  Unterredung.  Fatime  findet  sich 
ein.  Sie  will  ihren  bruder  bereden ,  seinem  bisherigen  schlechten  lebens- 
wandel  zu  entsagen  und  mit  an  den  Ganges  zu  ziehen.  Der  derwisch, 
welcher  des  sultans  und  Gulls  absiebten  auf  Fatime  wol  kent,  erfährt, 
dass  sich  seine  geliebte  zu  einem  steldichein  in  des  sultans  garten 
begeben.  Voll  eifersüchtigen  zoms  über  Fatimes  angebliche  treulosig- 
keit  ergreift  er  einen  säbel  und  eüt  ihr  nach.  Er  findet  sie  mit  einem 
manne  scheinbar  in  ein  liebesgespräch  vertieft;  die  werte,  die  er  hört, 
bestärken  seinen  verdacht,  und  mit  einem  Säbelhieb  schlägt  er  beiden  die 
köpfe  ab.    Jezt  erst  entdeckt  er  seinen  irtum.    Der  vermeintliche  lieb- 


362  CKDIB80BIÖLD 

haber  ist  Fatimes  bruder  Halli.  Rasch  passt  der  derwisch  die  köpfe 
an  den  rümpf  an  und  lässt  seine  Wunderkerze  wirken.  Aber,  o  schreck! 
er  hat  in  der  dunkelheit  die  beiden  köpfe  vertauscht,  und  seine  geliebte 
Fatime  trägt  nun  Hallis  hässliches,  rotbärtiges  gesiebt  Ihr  bruder  mit 
seinem  tausche  zufrieden,  macht  sich  eiligst  aus  dem  staube,  um  einem 
zweiten  geköpftwerden  zu  entgehen.  Fatime  ist  trostlos.  Die  drastische 
wirkling,  welche  in  der  komik  dieser  scene  liegt,  weiss  Klinger  gut 
auszubeuten.  Um  Fatime  wider  zu  ihrem  köpfe  zu  verhelfen  muss  ein 
deus  ex  machina  in  der  person  des  mächtigen  Zauberers  Primrose  her- 
bei. Mit  dessen  hilfe  schlägt  der  derwisch  dem  Halli  den  köpf  ab  und 
sezt  ihn  wider  seiner  geliebten  auf.  In  einem  wolkenwagen  bringt  er 
sie  an  den  Ganges. 

WnUN,   29.  SEPTEBfBEB   1891.  K.   0.   MAYEB. 


THEODOB  WISM 

Die  alte  norwegisch -isländische  litteratur  ist  schon  seit  langer  zeit  in  Schwe- 
den eifrig  gepflegt  worden.  Nachdem  man  in  der  ersten  hälfte  des  17.  jahih.  auf 
Island  angefangen  hatte,  den  denkmälem  der  vorzeit  aufs  neue  seine  aufmerksamkeit 
za2suwenden,  erweckte  diese  bewegong  (die  isländische  ,  renaissance '')  zon&chst  in 
Schweden  den  stärksten  nachhall,  wo  der  eifer  die  Schriftwerke  der  ersten  blüteepoche 
nordischer  litteratur  zu  sammeln ,  herauszugeben  und  zu  erklären  damals  grosser  war, 
als  in  der  dänisch -norwegischen  monarchie,  obgleich  von  den  in  dieser  vereinten  beiden 
Völkern  das  eine  durch  die  politische  Zusammengehörigkeit,  das  andere  durch  stamver- 
wantschaft  den  Isländern  näher  stand.  Im  18.  Jahrhundert  änderte  sich  dies  freilich, 
da  namentlich  durch  die  grossartige  Wirksamkeit  Ami  Magnüssons  jezt  Kopenhagen 
der  hauptsitz  der  isländischen  phüologie  wurde,  während  in  Schweden  die  altnor- 
dischen Studien  lauer  betrieben  wurden.  Sie  erloschen  jedoch  niemals  ganz.  Als 
später,  am  anfang  unseres  Jahrhunderts,  der  grosso  linguist  Bask  in  Dänemark  zu 
einer  eindringenderen  und  wissenschaftlicheren  behandlung  der  altskandinavisohen 
sprachen  den  grund  legte,  hatte  Schweden  zwar  keinen  ihm  ebenbürtigen  Sprachfor- 
scher aufzuweisen,  aber  die  häupter  der  nationalen  (oder  sogenanten  gotisohen) 
schule,  Tegner,  Ge\jer,  Ung,  Afzelius  u.  a.  verstanden  es  doch,  den  inhalt  der  altn. 
sagas  und  lieder  in  Schweden  bekant  und  beliebt  zu  machen.  Bald  darauf  begann 
jedoch  auch  bei  uns  mit  Schlyter  und  Bydqvist  ein  streng  philologisches  Studium, 
das  sich  freilich  zunächst,  wie  billig,  hauptsächlich  dem  altschwedischen  zuwante. 
Die  veriiältnisse  änderten  sich  aber,  als  die  nordischen  sprachen  zum  gegenstände 
des  universitatsunterrichies  gemacht  und  (1859)  professuren  für  dieses  fach  inüpsala 
und  Lund  errichtet  wurden.  Die  ersten  inhaber  dieser  lehrstühle,  Carl  Säve  und 
Carl  August  Hagberg,  waren  nämlich  enthusiastische  bewunderer  der  altisländischen 
spräche  und  litteratur;  sie  lasen  vorzugsweise  über  diese  und  stelten  sie  auch  bei 
den  Prüfungen  in  den  vordei*grund. 

Hagberg,  der  erst  in  ziemlich  vorgerücktem  alter  die  Vertretung  des  neuen 
iacheB  an  der  Universität  Lund  übernommen  hatte  —  vorher  hatte  er  sich  nament- 


THioDOB  vnstn  363 

lieh  duroh  seine  musterhafte  Shakespeare -Übersetzung  bekant  gemacht  —  kam  freilich 
selbst  in  der  nordischen  Sprachforschung  wenig  über  den  Standpunkt  des  genialen 
dflettanten  hinaus,  verstand  es  jedoch  als  lehrer  fruchtbaren  samen  auszustreuen.  Als 
er  1864  starb,  wurde  einer  seiner  besten  schüler,  Theodor  Wisen,  sein  naohfolger. 

Wisen  wurde  1835  in  der  nahe  von  Ealmar  geboren;  sein  vater,  der  dem 
bauemstande  entstamte,  war  prediger.  Auf  der  schule  sowol  als  auf  der  Universität 
erwarb  sich  der  junge  Wisen  durch  seinen  klaren  verstand  und  gründlichen  fleiss 
grosse  anerkennung.  Nachdem  er  den  doctorgrad  erreicht  hatte,  wurde  er  1862 
docent  für  griechische  spräche  und  litteratur.  Den  klassischen  sprachen  hatte  er 
nämlich  bis  dahin  vorzugsweise  seine  Studien  gewidmet,  während  er  die  nordischen 
nur  nebenbei  betrieben  hatte.  Um  so  mehr  ist  es  zu  bewundem,  dass  er  auch  in  die- 
sen, nachdem  Hagbergs  stelle  ihm  übertragen  worden,  sehr  bald  gründlich  zu  hause  war. 

Als  Professor  hat  Wisen  mit  geschick  und  pflichttreue  gewirkt  Bei  der  wähl 
des  hauptfaches  Hess  er  sich  von  der  in  Schweden  traditionellen  verliebe  für  die 
schöne  und  reiche  altnorwegisch -isländische  litteratur  bestimmen,  die  besonders  anf 
diejenigen,  die  mit  der  griechisch-römischen  klassicität  sich  vertraut  gemacht  haben, 
eine  grössere  anziehungskraft  auszuüben  scheint.  Seine  Vorlesungen  behandelten  die 
poetische  Edda,  die  alte  skaldendichtung  und  isländische  sagas,  vorzüglich  die  tslen- 
dingasQgur.  Als  direkter  des  Seminars  für  nordische  philologie  in  Lund  —  das  er 
selber  begründet  hatte  —  leitete  er  jedoch  auch  Übungen  im  alischwedischen,  goti- 
schen, angelsächsischen  usw.  In  seinem^  Unterricht,  wie  überhaupt  in  allem  was 
er  sich  vornahm,  betätigte  Wisen  bei  dem  entwerfen  des  planes  reife  bedachtsamkeit 
and  bei  der  ansführang  Scharfsinn,  klarheit  und  eleganz.  Daher  waren  seine  collegien 
auch  sehr  beliebt,  und  viele  haben  durch  sie  die  anregung  zu  ernsteren  Studien 
empfangen. 

Wisens  litterarische  tätigkeit  ist  nicht  so  umfassend  gewesen,  wie  man  dies 
bei  seiner  grossen  begabung,  dem  lebhaften  interesse  für  sein  fach  und  seinem 
unermüdlichen  fleisse  hätte  erwarten  sollen.  Seine  ungewöhnliche  praktische  tüchtig- 
keit  und  formgowantheit  waren  nämlich  die  ursacho,  dass  seine  zeit  und  seine  kräfte 
in  sehr  bedeutendem  masse  durch  andere  aufgaben  in  ansprach  genommen  wurden; 
und  zwar  bediente  man  sich  seiner  besonders  gern  bei  den  geschäften,  welche  die 
Verwaltung  und  leitung  der  Universität  nötig  machten.  Rector  der  Universität  war  er 
1876 — 77  ujid  1885—91.  Von  den  sonstigen  pflichten,  die  ihm  auferlegt  wurden, 
sei  nur  noch  erwähnt,  dass  er  von  1879 — 85  bei  den  Studentenexamina  (d.  h.  den 
matoritätsprüfungen  an  den  gymnasien)  censor  war  und  im  jähre  1878  zum  mitgUede 
der  schwedischen  akademie  emant  wurde;  besonders  das  leztgenante  ehrenamt  hat 
ihm  viele  arbeit  verursacht. 

Trotz  dieser  hindernden  umstände  hat  Wisen  jedoch  durch  eine  reihe  tüchtiger 
und  nützlicher  arbeiten  seine  Wissenschaft  fördern  können.  Da  am  Schlüsse  dieses 
naohrufes  ein  volständiges  Verzeichnis  seiner  Schriften  gegeben  wird,  beschränke  ich 
mich  hier  darauf,  nur  diejenigen,  die  mir  die  bedeutendsten  scheinen,  besonders  her- 
vorzuheben. 

Für  die  grammatische  Untersuchung  des  altisländischen  war  es  dringend  not- 
wendig, dass  die  umfangreichste  der  auf  uns  gekommenen  älteren  handschriften,  die 
grosse  isländische  Homiliubök  (Cod.  membr.  Holm.  15,  4®)  mit  diplomatischer  treue 
veröffentlioht  werde.  Wisen  unterzog  sich  dieser  aufgäbe,  die  doppelt  schwer  war, 
einmal  wegen  der  beschaffenheit  der  handschrift  selbst  und  dann  deswegen,  weil  er 
in  Lund,  wo  die  arbeit  ausgeführt  werden  muste,  weder  gelegenheit  hatte,  vergleiche 


364  CIDKRSCHIÖLD 

mit  anderen  alten  handschriften  anzustellen,  noch  von  fachmännem,  die  auf  demsel- 
ben gebiete  tätig  waren,  rat  einholen  konte;  das  unternehmen  war  überdies  in  Schwe- 
den das  erste  seiner  art.  Trotzdem  entsprach  Wisens  ausgäbe  der  Homiliubok,  die 
1872  erschien,  den  ansprächen  der  damaligen  zeit  in  voistem  masse.  Neuerdings 
hat  freilich  ein  jüngerer  forscher,  dr.  L.  Larsson,  eine  von  Wisens  buch  abweichende 
lesimg  und  den  tun  g  mehrerer  (doch  meist  minder  wichtiger)  punkte  erweisen  wollen; 
aber  Wisen  verteidigte  seine  aufTassung,  und  es  dürfte  bis  jezt  noch  nicht  entschie- 
den sein,  wie  weit  der  eine  oder  der  andere  recht  hatte. 

Die  norwegisch -isländische  kunstdichtung  (die  skaldenpoesie)  kann  als  der 
eigentliche  mittelpunkt  von  Wisens  philologischer  schriftstsllerei  bezeichnet  werden. 
Als  fruchte  langjähriger  arbeit  auf  diesem  gebiete  erscheinen  1886  und  1889  die  bei- 
den bände  seiner  Carmina  norroena,  einer  reichhaltigen  auswahl  von  skaldischen 
dichtungen,  von  den  ältesten  dürftigen  resten  des  8.  Jahrhunderts  bis  hinab  zu  den 
erzeugnissen  der  rimurpoesie.  Die  texte  sind  sprachlich  und  metrisch  normalisieTt; 
es  folgen  auf  sie  ein  kritischer  apparat,  bemerkungen  über  die  gedichte  und  ihre 
Verfasser,  eine  ausführliche  erörterung  der  verschiedenen  motive  und  endlich  ein  vd- 
ständiges  glossar.  Die  (}armina  norroena  haben  bereits  bei  denen,  die  sich  mit  der 
skaldischen  poesie  beschäftigen,  als  ein  sorgfältiges  und  zuverlässiges  handbuch  grosse 
anerkennung  gefunden;  sie  übertreffen  durch  diese  eigenschaften  ganz  bedeutend  das 
nach  einem  grösseren  massstab  angelegte,  aber  leider  alzu  subjektive  und  wilkürliche 
Corpus  poeticum  boreale  von  Yigfusson  und  Powell.  —  Fernere  Zeugnisse  für  das 
liebevolle  Studium,  das  Wisen  der  altnordischen  poosie  widmete,  sind  die  editio  piin- 
ceps  von  drei  grösseren  cyklen  von  „rimur^  („  Riddararimur '^) ,  eine  Untersuchung 
über  das  eigentümliche  metrum  „M&lahittr^  und  eine  sorie  „  Emendationer  och  exe- 
geser tili  norröna  dikter*',  sowie  seine  Edda-syntax,  die  schon  vor  dem  bekanten 
buche  von  Nygaard,  das  dasselbe  thema  behandelt,  erschien. 

An  dem  grossen,  noch  nicht  ganz  vollendeten  schwedischen  conversationslexi- 
kon  „Nordisk  familjebok*^  hat  sich  Wisen  als  fleissiger  und  gewanter  mitarbeit«r 
betätigt;  alle  artikel  zur  nordischen  mythologie  und  verschiedene  andere  zur  altnor- 
dischen sprach-  und  litteraturgeschichte  sind  von  seiner  band. 

Es  geschah  besonders  wegen  seiner  Verdienste  als  Sprachforscher,  dass  die  schwe- 
dische akademie  Wis6n  zu  ihrem  mitgliede  erwählte;  aber  auch  als  stillst  und  redner 
hätte  er  diese  auszeichnung  verdient.  Unter  seinen  Schriften,  die  in  den  abhandlun- 
lungen  der  akademie  erschienen,  sind  die  biographischen  arbeiten  zum  gedachtnisse 
J.  E.  Eydqvists  und  G.  J.  Schlyters  für  philologen  von  besonderem  Interesse. 

Zum  schluss  muss  noch  erwähnt  werden,  dass  Wisen  es  war,  der  die  akade- 
mie veranlasste,  die  arbeiten  an  dem  grossen  neuschwedischen  wörterbuche,  die  vor 
mehr  als  hundert  jähren  begonnen,  aber  ins  stocken  geraten  waren,  nach  einem 
neuen  plane  wider  aufzunehmen  (1883).  Unter  seinen  auspicien  wurde  dann  diese 
Sache  so  eifrig  gefördert,  dass  die  eigentliche  redactionsarbeit  1891  beginnen  konte. 
An  dieser  konte  er  sich  leider  nicht  lange  beteiligen,  da  am  15.  febr.  1892  der  tod 
seinem  wirken  ein  ziel  sezte. 

Wisens  heimgang  erweckte  algemeine  trauer,  und  nicht  bloss  die  näheren 
freunde,  sondern  alle  diejenigen,  die  sein  klares  urteil  und  seine  in  yerschiedenen 
ämtern  vielfach  erprobte  kraft,  seinen  festen  Charakter  und  seinen  offenen,  redlichen 
sinn  hatten  schätzen  lernen,  empfanden  seinen  tod  als  einen  schweren  veilust  Der 
unterzeichnete,  ein  treuer  und  dankbarer  freund  und  sohüler  Wisens,  hegt,  W9a  die- 
sen nachruf  angeht,   nur  die  befürchtung,   dass  er   in  dem  bestreben,   den  schein 


■J^«      -i»    .   •.      ,  — 1^  .    ~.       ■       r-v-..» 


THSODOB  WI8^'  365 

Übertriebenen  lobes  zu  vermeiden,   den  Verdiensten  des  verstorbenen  nicht  genügend 
gerecht  geworden  ist. 

CHRONOLOGISCHES   VERZEICHNIS  DER  VON   TH.  WISÄN    VERÖFFENT- 
LICHTEN SCHRIFTEN 

(mit  ausschluss  der  rein  amtlichen). 

De  vi  et  usu  particolae  a»^   apud  Thucydidem  commentatio.     Havniae  1862.    (Akad. 

abhandlung.) 
Hjeltesängeme  i  Sämunds  Edda.  I.    Land  1865. 

Gm  ordfogningen  i  den  äldre  Eddan.    Acta  Univ.  Land.  1865  (aach  als  akad.  abhand- 
lang erschienen). 
Recension  von:  Efterladte  skrifter  af  R.  Keyser.    Nordisk  tidskr.  1866. 
Recension  von:    Norrcen   fornkvaedi,    udg.   af  Sophas  Bagge,    und  von:   Saemundai* 

Edda,  handudg.  ved  Sv.  Grundtvig.    Nordisk  tidskr.  1868. 
Urval  af  norroBnum  fomkvsedum  handa  hinum  bökmennta-idkendum  tint  saman  ok 

ütgefit     Lund  1870.      [Ein  anonym  erschienener  voiiäufer  der  Carmina  norroBna 

zum  gebrauch  bei  akad.  Vorlesungen.] 
Gm  qvinnan  i  nordens  fomtid.    Nordisk  tidskr.  1870.    (Auch  besonders  erschienen.) 
Altnordische  wortdeutungen.    Germania  XVI  (1871). 
Homiliu-bok.    Isländska  homilier,   utg.  efter  en  handskrift  fr&n  tolffce  ärhundradet. 

Lund  1872. 
Gden  och  Loke.    Tvä  bilder  ur  fomnordiska  gudaläran.    Stockh.  1873. 
Artikel   (besonders  die  nord.  mythologie  betreffend)   in  Nordisk  fami^ebok,   Stockh. 

1875—92. 
Inträdestal  i  Svenska  akademien   den  20  dec.  1878.     (Minnesteckning   öfver  Johan 

Erik  Rydqvisi)    Svenska  akademiens  handlingar  frän  1796  UV  (Stockh.  1879). 
Riddara-rimur,  efter  handskriftema  utgifha.    Köpenhamn  1881.    (Skrifter  udgivne  af 

Samfond  til  udgivelse  af  gammel  nordisk  litteratur,  nr.  4). 
Tal  vid  Lunds   universitets   fest  d.  1  okt  1881    (kronpiins  Gustafs  och   prinsessan 

Victorias  fürmäliüng).    Lund  1881. 
Gm   norrona  medialformer  pä   -umk  i  första  personen   singularis.     Arkiv   f.  nord. 

filol.  I  (Christ.  1883). 
Tal  i  Svenska  akademiens  högtidsdag  den  20  dec.  1883.    Svenska  akademiens  hand- 
lingar frln  1796  LX  (Stockh.  1884). 
Carmina  norroena.    Ex  reliquiis  vetustioris  norroenae  poesis  seleota,   recognita,   com- 

mentarÜB  et  glossario  instructa.   Vol.  I.   Lundae  MDCCCLXXXVI.    Vol.  11.  Lundae 

MDCCCLXXXIX. 
M&lah&ttr.    Ett  bidrag  tili  norröna  metriken.    Arkiv  f.  noid.  filol.  m  (Christ  1886). 

Auch  als  univ.-progr.  von  Lund. 
Gm  den  filosofiska  graden  vid  Lunds  universitet    Lund  1886.    (Programm.) 
Emendationor  och  exegeser  tili  norroena  dikter.    Lund  1886  —  91.    (Ursprünglich  in 

universitäts- Programmen  gedruckt) 
Uttalande  i  rftttstafhingsfrägan,   afgifvet  tili  Svenska  akademien.     Lund  1887.    (Nur 

in  25  expll.  gedruckt) 
Textkritiska  anmärkningar  tili  den  Stockholmska  homiüeboken.    Ark.  f.  nord.  filol.  IV. 

(Christ  1888). 
N&gra  ord  om  den  Stockholmska  homilieboken.    Ett  genmäle.    Lund  1888. 


366  MÖLLER 

Minnesteckning  ofver  Carl  Johan  Schlyter.    Svenska  akademiens  handlingar  fr&Q  1886 

IV.    (Stockh.  1890). 
ReccDsion  von:   Der  lj6[>ahättr,   eine  metrische  Untersuchung  von  Andreas  Heusler. 

Arkiv  f.  nord.  fiiol.  VIU.    (Lund  1892). 

LÜND  DC  HAI  1892.  QTT8TAF  CEDER8GHIÖLD. 


LITTEEATUE. 

Fritz  Beehtel,  Die  hauptprobleme  der  indogermanischen  lautlehre  seit 
Schleicher.  Oöttingen,  Vandenhoeck  &  Buprechts  vorlag.  1892.  X,  414  8.  8. 
9  m. 

Der  gedanke,  die  ^hauptprobleme  der  indogerm.  lautlehre  seit  Schleicher*^  zum 
gegenstände  eines  eignen  buches  zu  machen,  ist  ein  vorzüglicher  zu  nennen.  Das 
buch  soll  (Vorwort  s.  V)  ^über  die  wichtigsten  Umgestaltungen  bericht  erstatten,  die 
das  von  Schleicher  entworfene  System  des  gemeinindogermanischen  lautbestandes  seit 
dem  erscheinen  des  Coropendiums  erfahren  hat.  Es  soll  zeigen,  welche  probleme 
aufgeworfen,  auf  welchem  wege  und  wie  weit  sie  gelöst  seien;  und  es  soll  da,  wo 
die  lösung  noch  nicht  gelungen  ist,  den  versuch  machen,  sie  der  lösung  auf  eigene 
Verantwortung  hin  näher  zu  führen*^.  Ob  und  wie  weit  die  lösung  eines  problems 
gelungen,  darüber  besteht  nun  allerdings  in  einigen  föllen  Übereinstimmung,  so  in 
betreff  des  problems,  das  die  vermeintliche  „erste  Steigerung**  bot;  in  andern  aber 
nicht  So  halt  nicht  der  Verfasser  und  auch  der  referent  nicht,  aber  ein  grosser  teil 
der  Sprachforscher  das  problem,  das  die  längen  i  und  ü  bieten,  für  gelöst  durch 
Osthoff:  Kluge  hat  die  folgerungen  der  OsthofiiBchen  lehre  ja  sogar  in  sämtlichen 
auflagen  seines  Etymol.  Wörterbuchs  als  sicherstehend  dem  grossen  pubUkum  vor- 
geführt £s  ist  klar,  dass,  wo  es  sich  um  probleme  gleich  diesem  handelt,  ein  buch 
mit  dem  titel  des  vorliegenden  je  nach  dem  Standpunkte  des  Verfassers  ein  sehr  ver- 
schiedenes aussehn  haben  muss;  und  zwar  in  einem  um  so  höheren  grade,  ein  je 
selbständigerer  forscher  der  Verfasser  ist  Ein  weniger  selbständiger  Verfasser  könte 
in  solchen  iällen  rein  orientierend  darlegen,  was  tatsächlich  zur  zeit  der  abfassung 
von  einem  teile  der  forscher  angenommen  wird,  was  von  andern.  Ein  buch,  das  so 
verführe,  könte  für  denjenigen,  der  erst  sich  in  die  Sprachwissenschaft  hineinzuver- 
setzen bestrebt  ist,  erwünschter  sein  als  das  vorliegende,  und  es  könte  auch  sein^ 
dass  mancher  anhänger  einer  vom  Verfasser  bekämpften  ansieht  lieber  eine  solche 
behandlung  gesehen  hätte.  Die  meisten  forscher  werden  indessen  doch  zweifellos, 
wie  der  referent  es  tut,  auch  ohne  überall  dem  Verfasser  zustimmen  zu  können,  ein 
buch,  wie  das  vorliegende  es  ist,  vorziehen  und  dem  Verfasser  dafür  danken,  dass 
er  da,  wo  die  lösung  (nach  seinem  urteil)  noch  nicht  gelungen  ist,  den  versuch 
machen  will,  die  probleme  „der  lösung  auf  eigene  Verantwortung  hin  näher  zu 
führen**. 

Wir  haben  demgemäss  in  dem  vorliegenden  buche,  wie  für  ein  buch,  dessen 
Verfasser  F.  Bechtel  ist,  völlig  in  der  Ordnung,  genau  gesagt  eine  darstellung  der 
behandlung  der  hauptprobleme  der  indogerm.  lautlehre  von  Schleicher  um  1860  bis 
Bechtel  1890.  Die  darstellung  .ist  nicht  in  allen  abschnitten  völlig  gleichmässig:  in 
einigen  kapiteln  wird  mit  grösserer  kürze  und  mit  weniger  Zwischengliedern  von 
Schleicher  zu  Bechtel  übergegangen,   ohne  dass  die  länge  oder  kürze  überall  zu  der 


ÜBBB  BBCHTKL,   HAUPTPBOBLIME  DEB  INDOOERM.   LAUTLBHHB  367 

zahl  der  wirklich  bestehenden  Zwischenglieder  oder  zu  der  Wichtigkeit  des  probiems 
in  genauem  Verhältnis  steht.  Nicht  alle  probleme  werden  behandelt,  was  auch  der 
titel  „die  hau p't probleme^  nicht  verspricht:  wie  der  Verfasser  im  vorwort  s.  VI  mit- 
teilt, sind  „ein  kapitel  über  die  tonlosen  aspiraten,  ein  anderes  über  die  Unterschei- 
dung von  ^  und  j,  tf  und  v'^  vorhanden  gewesen,  abdr  „gefallen''.  Die  ansichten 
des  Verfassers  scheinen  noch  während  des  druckes  manche  Wandlungen  erfahren  zu 
habend 

S.  2  der  acht  Seiten  langen  „Einleitung''  lesen  wir:  „Es  sind  zwei  gesetze, 
deren  aufßndung  für  die  ontwickelung  massgebend  geworden  ist,  die  die  sprach wis* 
senschaft  nach  Schleicher  genommen  hat:  die  von  Karl  Yemer  mitgeteilte  ei-gänzung 
des  Grimmschen  lautverschiebungsgesetzes,  und  das  von  mehreren  gelehrten  gleich- 
zeitig gefundene  palatalgesetz".  „Die  entdockung  des  palatalgesetzcs ",  sagt  der  Ver- 
fasser s.  6,  „steht  an  titigweite  hinter  der  Vernerschen  entdeckung  nicht  zurück". 
Dies  kann,  wenn  man  die  unmittelbarsten  wichtigen  konsequenzen  des  einen  wie  des 
andern  gesetzes  zählt,  richtig  genant  werden.  Aber  um  die  bedeutung,  wie  einer 
historischen  tat  überhaupt,  so  auch  einer  solchen  auf  dem  gebiete  der  Wissenschaft, 
richtig  zu  ermessen,  muss  man  nicht  allein  vorwärts,  auch  rückwärts  blicken.  Yer- 
fährt  man  demgemäss,  so  wird  man  finden  (und  keiner,  der  die  zeit  um  1875  als 
forscher  auf  dem  gebiete  der  indogeim.  lautlehre  miterlebt  hat,  wird  darüber  in  zwei- 
fei sein),  dass  vom  ersten  erscheinen  des  „Compendiums"  bis  heuto  keine  sprach- 
wissenschaftliche arbeit  an  epochemachender  bedeutung  sich  mit  dem  „Kopenhagen, 
juli  1875^  datierten  aufsatz  im  2.  heft  von  Kuhns  zeitschr.  23  messen  kann,  und 
dass  mit  dem  gesetz,  das  so  lauge  eine  idg.  Sprachwissenschaft  lebt  Vemers  namen 
fortführen  wird,  eine  neue  periode  der  idg.  Sprachwissenschaft  begann,  die  noch 
heute  fortdauert,  ohne  durch  eine  neue  abgelöst  zu  sein.  Das  von  dem  miteotdecker 
Yemer  so  genante  „  palatalgesetz "  (s.  Liter,  centralbl.  1886,  sp.  1710)  steht  auf  den 
schultern  des  „  Yemerschen  gesetzes " '.  Das  palatalgesetz  und  das  Yemersche  gesetz 
verhalten  sich,  wenn  man  entdeckungen  einer  einzelwissenschaft  mit  weltgeschicht- 
lichen ereignissen  vergleichen  darf,  zu  einander  etwa  wie  Baiboas  findung  des  Gros- 
sen oceans  1513  und  Ck>lumbus  erste  reise  1492. 

Der  Verfasser  zeigt  s.  6  fgg.  den  Zusammenhang  zwischen  Schleichers  „forde- 
rung,  die  vorgeschichtlichen  phasen  der  sprachentwickelung  in  die  betrachtung  zu 
ziehen ,  und  den  entdeckungen  seiner  nachfolger"  (s.  2).  S.  7 :  „Die  vermittelung  zwi- 
schen Schleicher  und  Yerner  bildet  Scherers  1868  erschienenes  buch  Zur  geschichte 
der  deutschen  spräche". 

Der  erste  (in  folge  der  im  andern  vom  Verfasser  vorgenommenen  Streichungen 
bei  weitem  grossere)  teil  von  Bechtcls  buch  (s.  10 — 290)  hat  den  titel:  „Aus  der 
lehre  von  den  vokalen". 

Der  „Erste  abschnitt"  (s.  10—181)  behandelt  in  vier  kapiteln  „Kürzen 
und  diphthonge  mit  kurzem  ersten  komponenten". 

1)  Ref.  hat  in  seinem  leben  kein  buch  gesehen,  in  dem  auch  nur  annähernd 
so  häufig  kai*ton  gelegt  ist,  wie  in  diesem. 

2)  Ob  die  „Zweiteilung  des  a",  die  „mindestens  für  das  germanische  eine 
ursprüngliche  war",  „ihre  motive  in  früheren  spiuchzuständen  hat  oder  bis  in  die 
indogermanische  periode  hinaufreicht*",  erklärt  Yemer  zu  ende  seines  aufsatzes  KZ.  23, 
1%  für  „einer  näheren  Untersuchung  wert",  die  er  darauf  selbst  mit  den  andern  ent- 
decken! des  palatolgesetzes  angestelt  hat. 


-üOm 


368  MÖLLKB 

Das  1.  kapitel  (s.  10— 73)  führt  nns  von  Schleichers  a  mit  seiner  , ersten 
Steigerung*^  ä  durch  Curtius'  „Spaltung  des  a- lautes*^,  MüllenhofEs  lehre  von  der  prio- 
lität  des  e  und  o  vor  i  und  u^  Amelungs  „zwei  irgendwie  verschiedenen  a-laaten^ 
der  grundsprache  mit  läugnung  der  „Spaltung*,  Brugmanns  a^,  a,,  a,  und  mög- 
licherweise noch  mehr  a,  CoUitz*  und  Joh.  Schmidts  kritik,  zum  palatalgesetz  (s.  62), 
mittels  dessen  bewiesen  wird,  was  die  Überschrift  des  kapitels  ist:  Die  vokale  a, 
e,  0  gehören  der  Ursprache  an*^.  «Der  von  Bopp  und  Schleicher  als  keines 
beweises  bedürfende  [I.  bedürfend  hingestelte]  satz,  dass  der  urspiiachliche  vokalismus 
nach  dem  arischen  rekonstruiert  werden  müsse*^,  macht  s.  63  dem  satze  platz,  ,dass 
der  vokalismus  der  Ursprache  im  wesentlichen  mit  dem  eui'opäischen  identisch  sei*. 
„Wer  nach  diesem  neuen  principe  den  vokalismus  der  Ursprache  konstruiert*,  lesen 
wir  ebenda,  lässt  es  nicht  mit  Brugmann  ,ununtersucht\  wie  viel  kurze  ,a-laute^  die 
Ursprache  besessen  habe:  er  behauptet  vielmehr,  dass  die  anzahl  jener  vokale  drei 
gewesen  sei,  nicht  weniger,  aber  auch  nicht  mehr*^.  (Trotz  dieser  mit  bestimtheit 
vorgetragenen  werte  lernen  wir  später  im  3.  kapitel  s.  104  einen  vierten  an  stelle  des 
einen  Schleicherschen  a  erscheinenden  kurzen  vokal  kennen,  den  der  Verfasser  9 
schreibt.  Dieser  soll  wol  als  „Schwächung*  ausserhalb  der  mhe  stehn:  ob  er  aber 
auch,  wenn  wir  die  laute  der  von  uns  erschlossenen  periode  der  grundsprache  pho- 
netisch betrachten  könten,  ausserhalb  der  reihe  zu  stehen  hätte,  kann  der  Verfasser 
nicht  wissen.)  „Er  nent  sie  indes*,  so  lesen  wir  s.  63  unten  weiter,  „weder  a-laute, 
noch  färbungen  des  a,  weil  er  nicht  der  Vorstellung  voi*schub  leisten  will,  er  denke 
sie  aus  einem  einheitlichen  laute  hervorgegangen*.  „Dies  ist*,  bemerkt  eine  note, 
„nötig  hervorzuheben,  weil  für  F.  Masing  „zweifellos  ist,  dass  a^  und  a,  sich  aus 
einem  und  demselben  a-laut  differenziert  haben*.  In  diesem  punkte  stimme  ich 
Masing  bei  gegen  den  Verfasser:  ein  e  und  ein  o  können  wol,  wenn  sie  in  irgend 
einem  sprachzweige  in  völlig  verschiedenen  werten  vorkommen,  von  haus  aus  völb'g 
unabhängig  von  einander  sein:  sie  können  aber  unmöglich,  wie  im  indogermanischen, 
in  einem  ablautverbältnis  zu  einander  stehn,  ohne  dass  entweder  der  eine  der  beiden 
laute  aus  dem  andern,  oder  beide  aus  einem  gemeinsamen  dritten  hervorgegangen 
sind.  —  Innerhalb  des  §  5  „Collitz  und  Schmidt*  wird  s.  46  — 60  die  auf  Schleicher 
zurückgehende  lehre  Brugmanns  zurückgewiesen,  nach  welcher  europ.  o  in  offnei 
Silbe  durch  indoiran.  ä  vertreten  wird.  In  der  sache  steht  der  referent  völlig  auf  der 
Seite  Colütz,  Joh.  Schmidts  und  des  Verfassers  (vgl.  EZ.  24,  519  note  2,  PBB.  7, 
498).  Was  aber  die  formelle  seite  der  kritik  betnft,  so  kann  ich  nicht  umhin  zu  finden, 
dass  Brugmann  hier  vom  Verfasser  weniger  gerecht  behandelt  wird,  als  dieser  einai 
andern  mit  seinen  ansichten  ihm  näher  stehenden  forscher  behandeln  würde.  Dass 
ein  gelehrter  eine  im  jähre  1876  aufgestelte  ansieht  der  kritik  gegenüber  im  jähre 
1880  in  engeren  grenzen  fester  zu  stellen  sucht,  durch  einen  zusatz,  den  er  1876 
in  derselben  fassung  noch  nicht  geben  konte  (nämlich  durch  ausnähme  des  o ,  das  mit 
ö  ablautet,  da  Brugmann  doch  schon  früher  das  bestehen  andrer  „a-laute*  angedeu- 
tet hatte),  wovon  hier  viel  wesens  gemacht  wird  (s.  51  fgg.),  darin  vermag  ich  durch- 
aus nicht  etwas  verwerfliches,  nur  etwas  höchst  natürliches  su  sehen. 

Das  2.  kapitel  ^Die  Steigerungen*  (s.  73 — 97)  führt  von  dem  Schleicher- 
schen System  der  drei  vokalreilien  zu  der  erkentnis,  die  heute  gemeingut  ist,  dass  die 
vermeintliche  „erste  Steigerung*  der  i-  und  i«- reihe  in  Wirklichkeit  die  gnmdstufe, 
die  veimeintliohen  „grundvokale*  i  und  u  in  Wahrheit  Schwächungen  wai^n. 

Das  3.  kapitel  behandelt  die  „vokalschwächung*  (8.98—154).  „Schwä- 
chung* ist  dem  Verfasser  (s.  104)  der  gesamtbegriff,  „reduktion*  und  „ansstoasung* 


ÜBER  BXCHTEL,  HAÜPTFROBLKICE  DRR  INDOGERM.   LAUTLEHRE  369 

nent  er  dessen  Unterabteilungen  (r=  Holtzmanns  „vokalschwächung ''  und  ^vokalaus- 
stossung'',  Schleichers  Schwächung  im  engem  sinne  und  ^ Schwund*^).  Die  doppelte 
form  der  Schwächung  rührt  teils  (s.  105)  von  der  verschiedenen  ^natur  der  laute, 
die  den  zu  schwächenden  vokal  umgeben*^,  teils  (s.  106)  von  der  ^Verschiedenheit 
der  Stellung  des  wertes  im  satze  und  der  hierdurch  bedingten  Verschiedenheit  des 
accentes*^.  Mit  der  annähme  dieses  lezten  erklärungsgrundes  gibt  der  Verfasser 
Osthoft  i-echt,  so  wenig  er  sich  auch  ^die  ausführung  dieses  gedankeus,  bekant  unter 
dem  namen  ^nebentonige  und  tonlose  tiefstufe ^  anzueignen  vermag*^.  In  doppel Wör- 
tern wie  got.  guma:  lit  zmä  sieht  Bechtel  ^Zeugnisse  für  die  abstufung  des  exspi- 
ratoiischen  accentes  im  vortone,  die  wir  uns  durch  vergleichung  mit  dem  mhd.  ton- 
losen und  stummen  e  veranschaulichen  dürfen^.  ,,Nehmen  wir  an^,  sagt  der  Verfas- 
ser, dass  der  von  Paul  für  das  germanische  aufgestelte  satz:  „es  können  nicht  zwei 
auf  einander  folgende  Silben  ganz  gleiche  tonhöhe  oder  gleiches  tongewicht  haben '^ 
für  die  uraprache  galt,  „so  wii*d  der  vorton  des  zweisilbigen  wertes  da  seinen  silben- 
wert zu  erhalten  im  stände  sein,  wo  er  zwischen  zwei  haupttönen  liegt**.  „Wo  aber 
dem  schwachen  vokale  des  vortones  schon  ein  anderer  schwacher  vokal  vorhergieng, 
hatte  er  keine  kraft  der  Vernichtung  zu  widerstehn  **.  (Verglichen  könte  hier  werden 
nhd.  ge-leit  :  be-g-leiten;  ge-leise  :  ent-g-leisen;  ge-nug,  ge-nüge  :  be-,  ver-g^nü- 
geft.)  Die  accente  der  beiden  Osthoffschen  tiefstufen,  wenn  diese  hier  mit  i'echt  zur 
erklärung  herangezogen  werden,  können  in  dem  vorliegenden  falle  nichts  andi'es  als 
ein  urspiünglicher  „anudätta*^  und  ein  „anudättatara**  gewesen  sein. 

Der  Verfasser  behandelt  in  diesem  kapitel  die  Schwächung  des  „vor  die  ton- 
silbe  geratenen  e"^  (s.  106).  Er  nent  also,  wie  auch  andre  es  getan  haben  und  tun, 
den  vokal  vor  seiner  Schwächung  e,  obwol  er  gar  nichts  darüber  wissen  kann,  ob 
der  ungeschwächte  vokal  wirklich  ein  e  gewesen  ist:  feststehend  ist  nur,  dass  es  sich 
um  die  Schwächung  desjenigen  vokals  handelt,  der  in  der  ursprünglich  hochtonigen 
Silbe  als  e  erscheint  Wenn  dieses  e  erst  durch  den  hochton  aus  einem  ursprüng- 
lichen a  hervorgegangen  ist,  so  ist  derselbe  ursprüngliche  vokal,  tonlos,  vor  seiner 
Schwächung  schwerlich  ein  e  gewesen,  ob  derselbe  gleich  durch  die  Schwächung  in 
der  .Stellung  vor  verschlusslaut  oder  spirant  zu  einem  vokal  geworden  ist,  der  in  den 
verschiedenen  indogerm.  dialekten  mit  dem  hochtonigen  e  qualitativ  zusammengefallen 
ist  und  auf  vorhergehende  X;- laute  gleich  diesem  wirkt.  Der  ungeschwächte  tonlose 
vokal  könte  sich  zu  diesem  reducierien  verhalten  haben,  wie  das  ahd.  tonlose  a  in 
xunga,  fogcU  zum  mhd.  reduciei*ten  laut  in  »unge,  vogel,  der,  wo  dor  vokal  e 
geschrieben  wii-d,  derselbe  laut  gewesen  sein  kann  wie  im  nhd.  (wenn  nicht  ein  nasal 
oder  eine  liquida  selbstlautend  geworden  ist),  nämlich  der  dem  a  näherstehende 
mediopalatale  (engl,  „mixed**)  vokal,  verschieden  von  dem  antepalatalen  e.  Den  redu- 
cierten  vokal  der  grundsprache,  der  dem  hochtonigen  e  gegenübersteht,  schreibt  der 
Verfasser  9.    Sein  9  entspricht  J.  Schmidts  «.    Bechtel  behandelt 

1)  die  Schwächung  des  „mit  muten  und  Spiranten  verbundenen'^ 
vokals  (s.  108 — 114).  Der  schwache  vokal  erscheint  gleich  dem  hochtonigen  im 
sanskr.  als  a,  im  griech.  als  «,  im  germ.  als  e'.  (Manche  der  vermeintlichen  9  kön- 
ten  jedoch  in  Wirklichkeit  unter  dem  hochton  entstandene  e  gewesen  sein,  die  durch 
ausgleichung  an  die  stelle  der  9-  oder  Schwundstufe  getreten  sind.)  —  Das  von 
Thumeysen  (KZ.  30,  351)  für  die  grundsprache  zu  erweisen  gesuchte  selbstlautende  x 
wird  vom  Verfasser  in  einer  note  (s.  106  fg.)  mit  recht  abgewiesen. 

1)  Andera  Sievers,  Beitr.  16,  236  fg. 

ZEITSCHRIFT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   XXV.  24 


m    -«h»,r*i 


370  MÖLLER 

2)  Sohwächung  des  „mit  nasalis  oder  liquida  yerbandonen'^  vokals^ 
(s.  114 — 143).    Der  vokal  mit  folgendem  m,  n,  r,  /  vrird  (s.  114) 

I.  vor  folgendem  vokal 

a)  (mit  ausstossung  des  vokals)  zu  m,  n,  r,  l;  oder 

b)  (durch  reduktion)  zur  „Verbindung  eines  schwachen  vokales  mit  jenen  konso- 
sonanten**:  Diese  Verbindung  wird  in  den  jüngeren  sprachen  wie  folgt  ver- 
treten (s.  115): 

„idg.  9  4'*'*  =  SADskr.  am,  gr.  afA^  got  um. 

idg.  9  4'*'  =  sanskr.  ir,  griech.  o^,  got  aür^. 
Der  Verfasser  bezeichnet  also  den  reducierten  vokal  vor  liquida  oder  nasal,  dessen 
Vertretung  in  den  jüngeren  sprachen  eine  ganz  andere  ist,  mittels  desselben  Zeichens 
9  wie  den  reducierten  vokal  vor  verschlusslaut  oder  spirant,  obwol  er  nicht  behaup- 
ten kann,  dass  der  reducierte  vokal  in  der  grandsprache  in  jenem  falle  derselbe  gewe- 
sen ist,  wie  in  diesem,  auch  nicht  einmal,  dass  jener  vokal  nach  geschehener  reduk- 
tion in  dem  gesamten  gebiete  der  grundsprsche  und  vor  liquiden  einerseits,  nasalen 
anderseits,  ein  einheitlicher  gewesen  ist:  aber  der  Verfasser  will  alles  dieses  anch 
gewiss  nicht  —  Indem  Bechtel  (wie  Joh.  Schmidt)  reducierten  vokal  -^  m,  n,  r,  l 
vor  vokal  für  die  grandsprache  annimt',  stelt  er  sich  in  einen  gegensatz  gegen  „die 
anhänger  der  sonantentheorie*^  (s.  131),  die  den  wurzelvokal  beseitigt  sein  lassen  und 
der  grandsprache  die  lautgrappen  mm,  fm,  fr,  ü  zuschreiben.  „Gegen  denotige 
ausätze  eriiebt  das  germanische  protest,  wie  Paul  (PBB.  6,  109  fg.)  gezeigt  hat^,  dem 
Bechtel  (s.  132)  sich  anschliesst,  obwol  Paul,  ohne  das  von  ihm  selbst  früher  vor- 
gebrachte zu  wideilegen,  seinen  einwand  hat  fallen  lassen  (6,  409).  In  got  baurans, 
numans,  slaäum,  munum  usf.  „kann  niemals  der  vokal  vor  nas.-liq.  ganz  geschwun- 
den gewesen  sein*^,  es  müste  sonst  y^akullum  heissen  gerade  wie  kuüum'^.  Paul  und 
Bechtel  bemerken  nicht,  dass  so  gut  wie  das  germanische  auch  die  übrigen  europiischen 
dialekte  protestieren:  nur  das  griechische  a  vor  v,  fi  könte  passen,  es  heisst  aber  ßaq^ 
usw.,  nicht  ^ßQttQv^^  oder  j,ßttQQi^s'^.  Die  „formulierung*^  (Bechtel  s.  217)  könte  nun 
allerdings  so  gegeben  werden,  dass  alles  passt*:  die  lautgruppen  mm,  nn,  rr,  ü 
einerseits,  schwacher  vokal  -}-  m,  n,  r,  l  anderseits  sind  in  Wirklichkeit  in  schwa- 
cher Silbe  nicht  in  dem  masse  von  einander  verschieden,  wie  es  auf  dem  papier  den 

1)  liquidae  und  nasale  fasst  der  verteser  unter  dem  euten  von  R  Seelmann 
(Ausspr.  des  lateio  1885,  s.  242)  eingeführten  ausdraok  „mittdlaute*^  zusammen:  für 
verschlusslaute  und  Spiranten  entbehrt  er  dagegen  eines  zusammenünssenden  ausdrncks, 
da  er  die  benennung  „  geräuschlaute '^  nicht  im  Sieversschen  sinne,  sondern  in  der 
bedeutung  „nicht -vokale^  gebraucht  Für  (Sievers')  geräuschlaute  und  jene  „mittel- 
laute*^  eine  zusanmien&ssende  bezeichnung  zu  haben,  ist  allerdings  wünschenswert 

2)  Das  gleiche  tut  P.  Kretschmer,  KZ.  31 ,  394  (welcher  den  reducierten  vokal 
mit «  bezeichnet). 

3)  Germ.  Wörter  und  wortformen  mit  uil  haben  zu  der  zeit,  als  der  vokal 
sich  einstelte,  ganz  gewiss  noch  kein  ü  gehabt:  solte  dies  aber  doch  der  &11  sein, 
so  kum  behauptet  werden,  dass  in  unbetonter  silbe  lautgesetzHch  ul  mit  kurzem  l 
entstanden,  und  später,  als  die  silbe  den  ixm  empfieng,  das  U  durch  systemzwang 
widerhergestelt  wäre.  Das  entsprechende  gilt  von  den  germ.  wm,  umm,  urr.  Die 
1,  m,  n,  f  mit  folgendem  einfachen  konsonanten,  also  auch  U  usw.,  wenn  solcfae 
Verbindungen  vorkamen,  waren  nämlich  kurze  silben,  darum  konte,  wenn  2  zu 
germ.  ul  ward,  aus  II  auch  nur  ul  hervorgehn,  da  sonst  die  lautgrappe  von  vokal 
zu  vokal  um  <üe  dauer  des  ersten  silbenauslautenden  /  länger  geworden  wäre.  Aus 
demselben  gründe  haben  die  im  sanskrit  und  griechischen  aus  ti,  m  einmal  entstan- 
denen *a",  a^  den  nasal,  der  die  silbe  lang  gemacht  hätte,  verloren. 


ÜBER  BEGHTBL,   HAÜPTPROBLEIOC  DER   INDOGERIC.   LAUTLEHRE  371 

anschein  hat,  sie  liegen  sich  vielmehr  in  der  präzis  recht  nahe,  so  dass  sie  häufig 
mit  einander  wechseln.  Bass  aber  die  uns  vorliegenden  vokale  griech.  «,  germ.  u 
usw.  vor  m,  n,  r,  l  notwendig  aus  sonantischen  m,  n,  r,  l  erwachsen  sind,  kann 
nicht  bewiesen  werden:  bei  unbefaugener  betrachtung  weisen  dieselben  auf  einen 
grandsprachlichen  schwachen  vokal  zurück^,  und  mit  den  möglicherweise  vorgekom- 
menen phasen  mm,  nn,  fr,  II  brauchen  wir  uns  nicht  zu  befassen.  In  diesem  punkte, 
wo  es  sich  um  die  grundsprachlichen  Vorläufer  der  griech.  a/i,,  av,  uq,  aX,  germ. 
um,  un,  ur,  tU  vor  vokal  handelt,  gebe  ich  also  dem  Verfasser  recht 

n.  «Folgt  aufm,  n,  r,  l  ein  konsonanf,  sowird  die  ursprüngliche  lautgruppe 
im  falle  der  Schwächung  ersezt  (s.  114)  „durch  die  Verbindung  eines  schwachen  voka- 
les mit  jenen  konsonanten**.  Bechtels  auffassung  weicht  auch  hier  „von  derjenigen, 
die  von  Brugmann  inauguriert  und  heute  fast  algemein  angenommen  ist'',  „darin  ab, 
dass  diese  mit  selbstlautenden  m,  n,  r,  l  operiert,  deren  stimton  sie  in  den  einzel- 
sprachen zum  vollen  vokale  sich  entfalten  lässt*^.  „Dass  bei  auflösung  der  Ursprache 
silbenbildende  nasale  und  liquidae  nicht  bestanden  haben**,  meint  der  Verfasser  s.  128 
unten,  gehe  „aus  den  erscheinungen  der  einzelsprachen **  hervor.  Es  wird  aber  nur 
das  slavisch- litauische  ins  feld  geführt  Joh.  Schmidt  hat  bewiesen  (Zur  gesoh.  des 
idg.  vok.  2,  8  fgg.),  dass  die  selbstlautenden  r,  l  slavischer  dialekte  „an  die  stelle 
urslavischer  ^r,  U,  selten  är,  iU  getreten  sind*',  denen  (wie  Jagi6  gezeigt  hat)  lit.  ir, 
il,  ur,  td  entsprechen.  Ebenso  hat  das  gemein -slavisch -litauische  statt  selbstlauten- 
der nasale  die  Verbindung  i  -{-  nasal  gehabt  Durch  das  slavLsch- litauische  i  vor 
dem  r,  l  oder  nasal  ist  vorhergehendes  h,  g  im  slav.  in  c,  i,  im  lettischen  in  %^  f 
gewandelt  worden.  „Der  schwache  vokal**,  meint  Bechtel  s.  131,  „ist  also  auf  einem 
gewissen  Sprachgebiete  in  sehr  früher  zeit  vorhanden  gewesen.  Die  sonantentheorie 
ist  dazu  gezwungen,  ihn  dort  neu  entstehen  zu  lassen.  Sie  ist  es  eben  so  für  jede 
einzelsprache  [dem  steht  auch  durchaus  nichts  im  wege],  und  kann  als  unveränder- 
ten fortsetzer  eines  ursprachlichen  lautes  einzig  das  indische  r  betrachten**.  Bis  zu 
diesem  punkte  können  und  müssen  alle  anhänger  der  „sonantentheorie**  Bechtel  recht 
geben.  Ich  glaube  aber  nicht,  dass  viele  von  ihnen  sich  genötigt  sehen  werden,  auf 
des  Verfassers  ausführungen  hin  die  sonanten  fallen  zu  lassen.  In  den  Engl.  Studien 
3  (1879),  s.  149  habe  ich  drei  gründe  angegeben,  aus  welchen  es  mir  notwendig 
schien  mit  Brugmann  grundsprachliche  selbstlautende  liquiden  und  nasale  anzimeh- 
men.     Bechtel  bemerkt  s.  133,   dass  von   diesen  „zwei  geprüft  werden  müssen**'. 

1)  der  nicht  in  dem  gesamten  gebiete  der  grundsprache  ein  und  derselbe 
gewesen  zu  sein  braucht  (doch  ist  der  vokal,  aus  dem  griech.  a  und  germ.  u  her- 
vorgegangen, gewiss  vor  allen  vier  konsonanten  der  gleiche  gewesen,  und  zwar  der- 
selbe laut,  der  unten  im  2.  abschnitt  s.  387  mit  a  bezeichnet  werden  wird). 

2)  Warum  nicht  auch  der  dritte,  sagt  er  nicht  Der  dritte  grund,  bei  mir  der 
erste,  war  die  beobachtung,  dass  „im  sansMt  k,  g  vor  selbstlautendem  f  und  dem  Ver- 
treter von  selbstlautendem  nasal  k,  g  bleiben,  hpni-  „wurm**,  gcUc^  „gegangen**  (aus 
gtrUdr-Y  nicht  zu  palatalen  werden,  vgl.  Kluge,  QF.  32,  s.  19  fg.  Hiergegen  hat  mir 
F.  de  Saussure  im  august  1879  bemerkt  (in  einem  briefe,  aus  dem  ich  mir  seine  erlaub- 
nis  erbeten  hab^  das  folgende  mitzuteilen),  dass  dem  indo- iranischen  palatal  oder  nicht - 
palatal  nicht  viel  zu  entnehmen  sein  werde.  Es  sei  nicht  zu  beweisen,  dass  g  grade 
in  der  form  gaid  lautgesetzlich  sei;  der  Ursprung  des  g  der  Wurzel  gam  (neben  zend 
gamaiti  und  der  w.  gcvm  im  Naighantuka)  könne  ebensowol  in  formen  wie  gagmüs, 
gagS^ma,  gäntum,  d^gOt  usw.  gesucht  werden.  Vor  f  und  der  Vertretung  von 
(Saussures)  f  scheine  sJlerdings  k,  g  das  regelreohte,  zu  sein.  „Aber  wir  finden  z.  b. 
schon  im  Yeda  efiäti  „knüpfen**,  crttd,  vi-cft,  «o^-cf'^  und  dabei  nicht  einmal  ein 
cart-'*'.    Ein  weiterer  fall,   ^r^,   sei  „gewiss  keine  junge  form,   da  sie  von  ihrer 

24* 


372  MÖLLKR 

Den  ersten  unter  diesen  beiden  (bei  mir  dritten),  von  Sanssore^s  langen  f,  n,  in  her- 
geholten gnind  lasse  ich  fallen.  Denn  angenommen,  dass  Bechtel  mit  seiner  l&og- 
nong  der  kurzen  selbstlantenden  f,  I,  n,  m  der  grundsprache  recht  haben  solte,  so 
könten  selbstverständlich  auch  keine  langen  grundsprachlichen  f  usw.  bestanden  haben 
und  deren  existenz  könte  auf  keine  weise  bewiesen  werden.  —  Der  zweite  grond 
aber,  dessen  beweiskraft  Bechtel  s.  134  fg.  bestreitet,  scheint  mir  nach  wie  vor  ent- 
scheidend. Was  ich  vorbrachte,  gründete  sich  auf  Bezzenbergers  abhandlung  «Zur 
lehre  von  den  silbenbildenden  konsonanten  **  in  seinen  Beitr.  3,  133 — 37.  Bechtel 
hfilt  sich  ausschliesslich  an  die  a.  a.  o.  beigebrachten  slavisch- litauischen  wortformen 
und  sagt  von  den  (griechischen  und)  germanischen  kein  wert.  In  einer  note  bei  Bech- 
tel s.  136  fg.  bemerkt  £.  Seelmann:  , Angenommen  die  Verbindung  {ktnto-  od&r  gnUi-'^ 
würde  zum  ausdruck  zu  bringen  gesucht,  so  würde  der  Vorgang  physiologisch  nur 
so  denkbar  sein,  dass  die  explosion  des  k  oder  g  innerhalb  des  geschlossenen 
mundes  statf2Uide,  denn  die  kleinste  mundöfnung  würde  einem  vokale  räum  geben 
und  dem  m  als  sonanten  den  garaus  machen  .  .  .  Aber  akustisch  würde  der  k- 
oder  ^-laut  hier  gar  nicht  zur  geltung  kommen,  und  mit  der  perception  würde  der 
laut  dem  gefühle  überhaupt  und  alsbald  der  spräche  verloren  gehen''.  Hierzu  ist  nur 
zu  sagen:  dies  ist  völlig  richtig.  Es  hat  eben  darum  auf  den  vei'schiedensten  Sprach- 
gebieten die  entstandene  mundöfoung  einem  vokale  räum  gegeben;  formen  aber,  aus 
der  zeit  bevor  dieses  geschah  datierend,  in  denen  der  verschlusslaut  vor  dem  sonan- 
ten der  spräche  verloren  gegangen  ist,  haben  sich  in  verschiedenen  Sprachgebieten 
erhalten.  Zu  diesen  gehört  der  von  Bechtel  abgewiesene  zeuge  aus  dem  slavisch- 
litauischen,  preuss.  infuwis,  slav.  ji^y-itö  „zunge'^  aus  ^nzü-  aus  neu-  aus  dn^kü-. 
Da  das  d  vor  in  nicht  abgefallen  wäre,  so  kann  dessen  abfall  zu  keiner  andern  zeit 
geschehen  sein,  als  bevor  der  vokal  i  im  gemein -slavisch- litauischen  sich  eingestelt 
hatte.  Formen  wie  diese  müssen  am  gleichen  orte  xmter  gleichen  bedingungen  in 
allen  fällen  entstanden  sein,  in  den  meisten  fällen  jedoch  ist  der  verschlusslaut  ans 
den  starken  kasus  wider  hergestelt  worden:  in  dem  werte  „zunge'^  aber  war  die 
einmal  vorhanden  gewesene  form  der  starken  kasus  *ddns;hü,  *ddn^ua*  wol  schon 

Wurzel  (cari-)  halb  getrent  da  steht  und  im  gewöhnlichen  gebrauche  durch  carita 
ersezt  ist*^.  ,,£in  hübsches  beispiel  ist  ^gdrcUS  '^ singen*',  garitdr  „sfinger*^  neben 
grnü^ti  „singen,  preisen**,  gürtd  „gepriesen",  gfr  „stimme"  usw.*  —  In  diesen  lezten 
beispielen  handelt  es  sich  nicht  um  einfaches  skr.  f  gegenüber  hochtonigem  dr,  son- 
dern um  die  dem  hochtonigen  skr.  dri  gegenüberstehende  reduktion,  (Saussures  f, 
Bechtels  »ff  s.  u.,  woraus)  skr.  fr,  ür,  Bechtel  wird  sagen,  dass  in  gir,  gürtd- 
sein  9  also  im  indischen  durch  einen  hinteren  (postpalatalen)  vokal  vertreten  gewesen 
ist,  und  dasselbe  wird  er  für  skr.  r  nach  nicht -palatalen  behaupten  können,  ohne 
dass  eine  Widerlegung  möglich  ist:  wie  slavisches  r  aus  gemeinslavischem  tr,  ür,  so 
wäre  skr.  f  aus  einer  älteren  form  mit  hinterem  vokal  {ar  oder  ur)  hervorgegangen. 
(Auslautend  ist  -ur  statt  -f  erhalten,  s.  J.  Wackemagel,  KZ.  25,  287  fg.) 

1)  Seelmann  sagt,  dass  solche  Verbindungen  (also  ihn,  gm  vor  dental)  in  kei- 
nem ihm  bekanten  idiome  vorkommen  und  er  grund  habe,  „sie  für  phantasiebildun- 
gen  zu  erklären".  Man  kann  indessen  heute  gelegentlich  formen  wie  smtö'm  „Symp- 
tom", tnt'itmm  „tentamen"  gesprochen  hören,  und  ein  km,  gm  vor  dental  würde  unter 
denselben  bedingungen  auch  entstehn.  Ebenso  sind  in  der  grundsprache  selbstlau- 
tende m,  t^,  wenn  überhaupt,  dann  sicher  auch  in  der  verbindxmg  nach  k-lxat  und 
vor  <-laut  entstanden. 

2)  Wenn  Joh.  Schmidt,  Pluralbildungen  s.  75  note  mich  PBBtr.  7,  544  (nicht 
514)  fff.  sagen  Iftsst,  „im  gotischen  (tuggö)  sei  urspr.  -na  za  '^  geworden",  so  hat 
er  mich  mis verstanden.  Das  gotische  ö  habe  ich  nicht  anders  als  das  altn.  -a,  ae. 
afr.  -a-,   ahd.  -ö-  in   Mmg(hw   erklärt,    während  ich   aUerdings  ^ube,   dass   das 


ÜBKR  BBOHTIOi,    HAUPTPROBLEMK  DEB  IND06BRM.   LAUTLBHBE  373 

frühe  verloren  gegaogea.  Ein  vorzügliches  und  völlig  sicheres  germanisches  beispiel 
des  gleichen  Schwundes  des  versohlusslautes  ist  germ.  sefHm,  goi  sibun  , sieben^ 
ans  8^m  aus  septm.  Das  t  wäre  vor  einem  wenn  auch  noch  so  kurzen  vokale  nie 
und  nimmer  geschwunden:  sowol  vorgerm.  pt  wie  germ.  ft  vor  vokal  war  die  gewöhn- 
lichste konsonantengruppe.  Dass  altfries.  tmga  (Brokm.)  neben  gunga  ^  gehen  ^  auf 
gemeingermanische  oder  vorgermanische  zeit  zurückgehe  als  ursprüngliches  verbum 
auf  -mi  (s.  Kluge,  QF.  32,  155  fgg.)  germ.  gd/ngö  (älter  ^hdngkmi)^  pl.  ungme  aus 
*ngme  (aus  ^nghme)^  scheint  mir  möglich,  lässt  sich  indessen  zunächst  nicht  mit 
Sicherheit  behaupten.  Es  werden  aber,  wenn  die  aufmerksamkeit  darauf  hingelenkt 
ist,  gewiss  noch  andere  derartige  beispiele  des  Schwundes  des  versohlusslautes  aufzu- 
treiben sein.  Ein  beispiel  des  Schwundes  eines  k  der  Verbindung  sk  vor  {  ist  bekant, 
ahd.  8eal,  prät  aolda,  solta^.  Den  Schwund  eines  dentals  vor  {  zeigt  litauisch  ilgas, 
lett.  ilga  „lang*^  aus  den  obliquen  kasus  eines  delgho-a,  dlgM-:  das  2,  vor  dem  das 
d  schwand,  kann,  gegen  Bechtel,  widerum  nur  alter,  nicht  jünger  sein  als  das 
gemein -slavisch- litauische  ü:  im  slavischen  ist  das  d  aus  den  starken  kasus  wider 
hergestelt;  vielleicht  einmal  ebenso  in  vorgermanisoher  zeit  in  goi  tiUgtta.  —  Vor  f 
finden  wir  andre  erscheinungen'i  im  slavisch- litauischen  und  germanischen  den  Über- 
gang eines  sf  in  str.  Lett  litt  8Hma  „reh*^  =  (k3ch.  sloven.  sma:  im  slavischen 
ist  das  8  aus  den  urspr.  starken  kasus  widerhergestelt  Altn.  8tormrj  ae.  as.  storm 
(aus  8ermd'8^  8Tme'8o)^  hd.  stürm  (aus  sermö,  srmefös)^  wurzelverwant  mit  griech. 
opfjiii,  zu  dem  es  von  Kern,  Taalk.  bdr.  1,  38  gestelt  ist,  gehört  als  benennung  des 
windes  und  des  windgottes  genauer  zu  griech.  ^EQfAe(ttg,  *EQ/^fjg,  vgl.  sanskr.  sardmä 
botin  des  Indra,  sardfu-  m.  „wind*^,  f.  name  eines  flusses.  Das  f,  dem  das  t  sein 
dasein  dankt,  kann  hier  widerum  nur  älter  sein  als  das  germ.  ur,  lit  slav.  tr.  Bech- 
tels  meinung,  indem  er  von  diesen  formen  schweigt,  ist  wol  die,  dass,  da  germ.  ur 
mit  ru,  griech.  aQ  mit  qu  wechselt,  die  von  Bezzenberger  gezeigte  erscheinung  vor 
der  lautfolge  r  -j-  vokal  eingetreten  sei,  und  dann  anstatt  dieser  die  lautfolge  vokal 
+  r  etwa  um  das  er  der  hochtonform  willen  sich  eingestelt  habe.  Aber  für  das  lit 
tTf  das  nie  als  ri  erscheint,  ist  diese  annähme  ausgeschlossen  (siehe  Bezzenberger 
a.  a.  0.).  Wir  haben  also  Zeugnisse  für  das  vorhandengewesensein  der  f,  f,  9,  1^ 
aus  dem  slavisch -litauischen  und  dem  germanischen,   geltend  für  die  vor -slavisch - 

ursprüngliche  -ü  in  ahd.  xungün,  an.  tungu  fortlebe,  ebenso  wie  in  dem  ü  der  obli- 
quen kasus  der  von  Joh.  Schmidt  s.  74  hinzugefügten  ahd.  Itmga,  foraha,  an.  fura 
=  qtiercus,  ahd.  barta,  an.  barda  =  slav.  brady  (von  denen  Joh.  Schmidt  jedoch, 
wie  von  tuggö,  annimt,  dass  sie  ein  v  vor  dem  vokal  der  endun^  verloren  nahen). 
Ein  alter  ü- stamm  ist  auch  „kirche'^,  kirkü-  (was  der  i«-umlaut  m  afr.  B.  tsiurke, 
E.  txiurke,  H.  8x4urke  notwendig  macht),  woraus  entlehnt  slav.  e^ky, 

1)  Vgl.  J.  y.  Fierlinger,  KZ.  27,  191  fg.  Eierlinger  lässt  das  k  vor  konso- 
nantischem /  geschwunden  sein,  nämlich  in  der  3.  plur.  8fdi4n,  im  opt  und  inf.: 
da  diese  formen  aber,  ^vie  er  selbst  erkent,  gar  nicht  lautlich  aus  einer  3.  plur. 
*8lun,  einem  pl.  opt  *shme,  inf.  *8lan  mit  sl  aus  skl  hervorgegangen  sein  können, 
dürfen  wir  diese  formen  mit  skl  auch  gar  nicht  zu  gründe  legen.  Das  fehlen  des  k 
kann  nicht  ursprünglich  zu  hause  sein  in  den  formen  mit  ul  vor  vokal  (u  des  pL 
skulum,  %  des  opt,  a  des  inf.),  nur  in  formen  mit  ul  vor  kons.,  also  im  prät  soldc^ 
8oUa  (wozu  die  tatsache  passt,  dass  diese  fonn  ursprünglich  am  weitesten  ohne  das 
k  verbreitet  ist,  vgl.  Braune,  Ahd.  gr.  §  374),  ausserdem  im  part  auf  urspr.  -to- 
und  vor  dem  urspr.  j  des  opt:  k  kann  aber  in  diesen  formen  natürlich  nicht  vor 
dem  vokal  u^  nur  vor  dem  urspr.  l  geschwunden  sein. 

2)  Im  griechischen  nach  Bezzenberger  3,  136  den  Übergang  eines  mf  in  mbf, 
woraus  bf  in  ßd^afiM  ?=  iidqvafiM^  wogegen  s.  Kretschmer  KZ.  31,  393. 


374  MÖLLEB 

litauisohe  und  vorgermaiiische  zeit,  und  wir  haben  im  indischen  das  f  voiliegend: 
es  wird  nicht  notwendig  sein,  auch  noch  Zeugnisse  aus  den  übrigen  dialekten  zu 
suchen,  wo  sie  auch  wol  zu  finden  sein  würden.  —  In  einer  weiteren  polemik  gegen 
Brugmann  (s.  136 — 40)  glaubt  Bechtel  „den  naohweis  liefern  zu  können,  dass  Brug- 
mann  durch  seinen  Standpunkt  zur  Verteidigung  einer  völlig  haltlosen  hypotheso,  der 
existenz  betonter  nasaler  sonanten,  sich  gezwungen  sieht^:  dies  werde  zugleidi  eine 
kritik  jenes  Standpunktes  sein.  Die  annähme  betonter  selbstlautender  h,  m  scheint 
Bechtel  a  priori  als  etwas  absurdes  zu  betrachten,  ohne  grund.  Dass  so  gut  wie  die 
ursprünglich  stets  unbetonten  i,  u,  a  auch  die  geschwächten  silben,  welche  hoch- 
betonten  em,  en,  er,  d  gegenüberstehen,  durch  accentverschiebung  nachträglich  den 
ton  erlangen  können,  kann  Bechtel  selbstverständlich  nicht  läugnen;  aber  die  annähme 
eines  betonten  reducierten  vokals  ^,  zu  der  er  sich  genötigt  sieht,  scheint  mir  mis- 
licher  als  jene  annähme.  Dass  ein  unbetonter  reducierter  vokal  in  den  verschiede- 
nen jüngeren  sprachen  zu  allem  möglichen  werden  kann,  slav.  lit  t,  griech.  a, 
germ.  «,  kann  angehn:  durch  den  hochton  aber,  solte  man  denken,  müste  derselbe 
zu  einem  vokal  mit  einem  nach  einer  bestimten  richtung  hin  mehr  ausgeprägten 
Charakter  geworden  sein,  der  nicht  dieselbe  bunte  Vertretung  nach  den  verschieden- 
sten richtungen  hin  in  den  jüngeren  sprachen  erführe.  Brugmanns  annähme,  dass 
betonte  nasaUs  sonans  im  sanskrit  und  griech.  durch  an  (cni)  vertreten  sei,  finde  ich 
mit  Bechtel  unrichtig:  dieser  schliesst  richtig,  dass  skr.  saptd,  griech.  inrä  , durch 
ihre  Übereinstimmung  beweisen,  dass  die  nachkommen  der  betonten  „nasalis  sonans'^ 
von  denen  der  unbetonten  sich  nicht  abheben*^.  Aber  skr.  saptd,  gr.  knra  bewei- 
sen anderseits,  gegen  Bechtel,  dass  septm',  dieselbe  form  die  oben  durch  das  germa- 
nische erwiesen  ward,  nicht  8epi9m  zu  gründe  liegt  Denn  nach  betontem  vokal  9 
wäre  der  auslautende  nasal  im  griechischen  (als  v)  und  im  sanskrit  erhalten  geblie- 
ben ,  so  gut  wie  in  ivY6t^  skr.  jugdm, 

3)  „Schwächung  der  Verbindungen  ei,  eu^  (s.  143  fgg.).  Unrichtig  meint 
der  Verfasser  s.  145:  „in  den  ursprachlichen  formen  ele%ö,  sreuö  fiel  die  silbengienze 
nicht  vor,  sondern  mitten  durch  ^,  u"^',  man  habe  sich  jene  form  „gesprochen  zu 
denken  wie  die  lateinischen  peiitis,  eiius*^.  Wäre  dies  richtig,  dann  würden  urspr. 
i  und  u  oonsonans  zwischen  sonanten  (ausser  in  wurzelhaftem  -<fa-  nach  dem  Ver- 
fasser s.  146)  stets  lange  silbe  schaffen:  sie  wären  nicht  einfachem  r,  l,  n,  m,  son- 
dern einem  silbenauslaut  -|-  silbenanlaut  rr,  ü,  tun,  mm  oder  ursprünglichem  r,  l,  n, 
m  +  kons,  parallel.  Lat  peiius  mit  (durch  konsonantische  länge  bei  kurzem  vokal) 
langer  erster  silbe  ist  ">  ital.  peggio;  das  gemeingermanische  hat  eben  soldie  %% 
(>-  nord.  ggj,  goi  ddi,  westgerm.  ij)  und  entsprechende  y^  neben  einfachen  %,  % 
gehabt,  die  der  Verfasser  selbst  in  den  Nachr.  d.  ges.  d.  wiss.  z.  Gott  1885  s.  235 
fgg.  behandelt  hat,  aber  dass  jene  j(ii  W  &^  der  urspraohe  ererbt,  die  einfachen 
%i  U  dagegen  durch  ein  germanisches  lautgesetz  aus  jenen  gekürzt  seien,  wird  der 
Verfasser  schwerlich  beweissen  können. 

Bechtel  acceptiert  (s.  147)  mit  Osthoff  „Eögels  hypothese,  dass  der  Übergang 
von  ei  und  eu  in  i  und  u  durch  die  mittelstufe  f  und  ü  erfolgt*^  sei.  Aber  ei  und 
eu  gelten  nur  xmter  dem  ursprünglichen  hochton:  wer  sagt  dem  Verfasser,  dass  die 
unbetonten  noch  ungeschwäohten  Vorläufer  der  •  und  u  eben  solche  ei  und  eu  und 
nicht  vielmehr  ai  und  au  gewesen  sind?^     In   den   Engl.  Studien  3  (1879),   151 

1)  Selten  etwa  die  urspriln^chen  a,  ai,  au  in  unbetonter  silbe  zunächst  e, 
ei,  eu  (mit  einem  von  dem  hochtonigen  ^  =  o  qualitativ. verschiedenen  e-laat),  diese 


ÜBBB  JBBCHTBL,  HAUrTPBOBLKME  BKB  INDOOIBM.   LAUTLEHRE  375 

bemerkte  ich,  dass  die  schwache  stufe  vor  konsonanten  wol  nicht  durch  ^ aasfall  des 
a^,  sondern  doroh  kürzung  nach  früher  geschehener  kontraktion  entstanden  sei:  die 
ursprünglichen  ai  und  au  wären  in  unbetonter  silbe  zonfichst  zn  S  nnd  ö  kontra- 
hiert (wie  z.  b.  im  ahd.,  faris  aas  -ats,  fridoo  aus  -aux)^  diese  dann  später  gekürzt 
worden^.  Osthoffs  gedanken,  dass  die  f,  ü  als  längen  erhalten  bleiben,  „wenn  der 
sie  enthaltenden  silbe  der  nebenton  gewahrt  blieb**,  weist  Bechtel  s.  148  ab.  An  des- 
sen stelle  sezt  er  die  hypothese:  „f  und  ü  yerharren  als  solche,  fals  sie  durch  einen 
sekundären  process  den  hochton  erhalten **.  Die  möglichkeit  solcher  entstehung  langer 
f,  ü  vermag  ich  selbstverständlich  nicht  zu  läugnen':  als  irgendwie  wahrscheinlich 
zu  acceptieren  vermag  ich  dieselbe  indessen  nicht  Die  Bechtelsche  aocentverschie- 
bung  wäre  eine  ältere  gewesen  als  diejenige,  mit  der  wir  sonst  rechnen,  durchweiche 
i,  üy  d  (äyvi)  und  die  betonten  f,  2,  n,  m  (oder  des  Verfassers  9)  ihren  accent  erhal- 
ten haben.  Neben  dieser  bekanten  eine  andre  noch  frühere  accentverschiebung  anzu- 
nehmen (durch  welche  neben  f ,  A  ein  a  entstanden  oder  als  von  dem  ursprünglichen 
hochtonigen  in  keiner  weise  zu  unterscheidender  lauger  vokal  vor  der  Schwächung 
bewahrt  worden  wäre),  sehe  ich  keinen  genügenden  grund.  Die  f  und  ü  haben  kei- 
neswegs meistens  den  hochton,  stehn  vielmehr  „meist  in  unbetonten  silben^  (Joh. 
Schmidt,  A.  f.  d.  a.  6,  119;  Osthoff,  Morph,  unters.  4,  280),  womit  gemeint  ist  „in 
nicht  hochtonigen**  (näheres  s.  u.  s.  378). 

Das  4.  kapitel  „Dehnung**  (s.  155  — 181)  behandelt  die  innerhalb  der 
„6- reihe**  statfindende  „aufsteigende  bewegung**  der  vokale.  Der  ver&sser  zeigt 
zunächst  (s.  156 — 176),  „dass  wurzelhaftes  e  sowol  in  seiner  ursprünglichen  gestalt 
wie  in  der  ablautform  o  dehnung  erfahren  könne**,  um  darauf  (s.  176 — 181)  „über 
die  versuche  zu  berichten,  die  der  frage  nach  dem  treibenden  faktor  der  aufsteigen- 
den bewegung  näher  getreten  sind**. 

Hinsichtlich  der  erklärung  der  dehnungen  ar  und  9,  heisst  es  s.  177,  sind  wir 
leider  „über  die  negation  bisher  nicht  hinausgekommen.  Denn  die  beiden  versuche, 
die  seit  Benfey  gemacht  sind  um  die  entstehung  sekundärer  längen  aufzuhellen,  — 
der  Verfasser  meint  den  des  referenten  (PBBtr.  7,  492  fgg.)  und  den  von  Fick  (GGA. 
1881 ,  1452  fg.)  —  „  führen  nicht  zum  ziele  **. 

Gegen  meine  erklärung  des  ö  als  durch  den  tiefton  oder  svarita  bewirkte  deh- 
nung eines  o  in  offner  silbe  bringt  Bechtel  zwei  einwände  vor:  ein  dritter  nämlich 
von  ihm  geäusserter  einwand  „würde  nicht  viele  Schwierigkeiten  machen**,  wie  der 
Verfasser  selbst  (s.  178)  richtig  bemerkt.  „Eine  theorie**,  sagt  Bechtel  zunächst 
(178  fg.),  „die  nicht  im  stände  ist  eine  einheitliche  erklärung  der  beiden  parallel  lau- 
fenden längen  zu  liefern,  befriedigt  von  vornherein  nicht.  Möller  vermag  mit  der 
seinigen  die  entstehung  des  ö  begreiflich  zu  machen,  aber  nicht  die  des  ?;  daher 
kann  er  ?  . . .  nur  als  sekundäre  entwickelung  gelten  lassen  **.  Ein  andrer  „  princi- 
pieller  einwand  **  (s.  179  fg.)  zielt  gegen  Fick  und  mich  zugleich.  Es  „werden  hier 
einem  und  demselben  accente  Wirkungen  zugeschrieben ,  die  Wirkungen  zweier  wesent- 
lich verschiedener  accente  sind.     Hängt  wirklich  das  erscheinen  der  vokale  0  und 

lezteren  dann  sekundär  f,  ü  geworden  sein?  vgl.  lat  fdUo  fe-feUi;  eaedo  ee-eifdiy 
in-cftdo  aus  ^eeidt,  -ceidö;  claudo  ex-clüdo  aus  *cleudö, 

1)  Aus  ai,  au  hervorgegangene  monophthonge  pflegen  zunächst  geschlossene 
„low  vowels**  ((i,  a)  zu  sein,  aann  aber  sehr  häufig  zu  geschlossenen  ,,mid  vowels** 
i,  d  zn  zu  werden,  deren  kürzungen  zji  i,  ü  werden  können. 

2)  Auch  aus  urspr.  ad,  au  in  tonloser  silbe  hervorgegangene  geschlossene  i,  o 
könten  sehr  wol  durch  sekundären  hochton  f,  ü  geworden  sein. 


376  MÖLLER 

[nach  Fick]  a  mit  deren  Stellung  im  nachtone  zusammen,  so  moss  in  dem  acoente, 
der  die  vokalfarbe  bestimt  hat,  das  musikalische  moment  überwogen  haben.  Dagegen 
haben  vokalreduktion,  vokalausstossung  . . .  einen  wesentlich  exspiratoiischen  aocent 
zur  Voraussetzung'^.  „Die  Vermischung  beider  arten  von  Wirkungen  ist  der  fehler, 
den  Möllers  theorie  mit  der  theorie  Ficks  teilt *^.  Dieser  einwand  ist  insofern  begrim- 
det,  als  dinge,  die  zwei  verschiedenen  auf  einander  gefolgten  perioden  angehört  haben 
müssen,  einfach  als  geschehen  hingestelt,  aber  nicht  in  zeitlicher  Ordnung  auseinan- 
der gehalten  worden  sind.  Werden  die  Wirkungen  zweier  verschiedener  acceute  zwei 
verschiedenen  perioden  zugewiesen,  dann  wird  dieser  einwand  gegenstandslos. 

Ebenso  ist  die  dehnung  durch  den  svarita  zeitlich  zu  sondern  von  den  dingen, 
mit  denen  sie  gemeinsam  als  geschehen  hingestelt  worden  ist  Die  sache  könte  also 
(wie  ich  sie  mir  seit  langem  zurechtgelegt  habe),  in  möglichster  kürze  dargestelt, 
etwa  gewesen  sein  wie  folgt 

In  einer  ältesten  periode,  in  welcher  neben  dem  musikalischen  aocent  ein 
exspiratorischer  aocent  vielleicht  wonig  oder  gar  nicht  bemerkbar  war,  hatte  die 
grundsprache  drei  verschiedene  musikalische  acoente,  den  hochton  oder  akut  (udätta), 
tiefton  oder  gravis  (svarita),  unton  (anudätta,  neben  welchem  vielleicht  noch  einen 
anudättatara).  Der  hochton  gab  dem  ursprünglichen  d  die  hohe  farbung,  aus  wel- 
cher später  6,  der  tiefton  dem  ä  die  tiefe  färbung,  aus  welcher  später  o  hervoigieng. 
Ob  das  a  der  untonsilbe  zunächst  a  blieb,  oder  irgend  welche  qualitative  modifika- 
tion  erfuhr  (vgl.  oben  s.  369.  374),  kann  unentschieden  bleiben.  Es  gab  ein-  und 
mehrsilbige  hochtonwörter  wie  md  oder  a/ntä  „mich*^  (später  mi);  es  gab  mehrsilbige 
Wörter  mit  hochton  imd  folgendem  tiefton  wie  gen.  td-sä  oder  idsajä  (>*  tesd  oder 
tSsfd)^  mehrsilbige  Wörter  mit  hochton  und  folgendem  unton  (vor  hoohton  oder  üef- 
ton  des  folgenden  wertes);  es  gab  ein-  und  mehrsilbige  tieftonwörter  wie  aä  {>  so, 
griech.  6),  tä-da  (">  tdd,  gr.  t6),  ein-  und  mehrsilbige  untonwörter  oder  pro-  und 
enklitika,  wie  nava  (>-  nu)  „nun*^.  Wol  die  meisten  Wörter  und  wortformen  der 
spräche  konten  je  nach  dem  vei-schiedenen  ihnen  beigelegten  gewicht  oder  der  ver- 
schiedenen bedeutung  höchst  verschiodenen  accent  haben:  einsilbige  Wörter  drei 
verschiedene  acoente  (oder  mit  dem  anudättatara  vier),  mehrsilbige  Wörter  noch  mehr 
gestalten.  Der  nominativ  und  genitiv,  ursprünglich  identisch,  waren  nur  durch  die 
verschiedene  Stellung  des  accents  unterschieden,  nom.  sdvä-sa  (>  sivö-s  „suus^, 
k6i)^  pädorsa  ^fuss*^,  gen.  sava-aä,  padä-8a^.  Der  vokativ  konte  einerseits  hochton- 
wort  sein,  als  rufkasus,  entweder  mit  zwei  hochtönen,  wie  ddivd  {däjavd?)  {^düvt^ 
skr.  deva,  iit  ds'vh  und  deve\  oder  mit  dem  tiefton  an  zweiter  stelle  (s.  u.),  wie 
ddivä  (vgl.  gelegentliches  nhd.  keü'nir!  oder  kelVnkr!  wäeht'h-!)^  anderseits  wahr- 
scheinlich, als  enklitischer  vokativ,  untonwort'  (wie  air  in  ne.  yea  sir,  no  sir): 
dctiva, 

Dass  die  musikalische  betonung  zwischen  der  eben  kurz  gekenzeichneten  periode 
der  grundspraohe  einerseits  und  dem  uns  vorliegenden  sanskrit  imd  griechischen 
anderseits  jemals  zeitweilig  aufgegeben  gewesen  sei,  gUube  ich  nicht  Aber  in  einer 
zweiten  periode  hat  sich  neben  dem  gogensatz  der  musikalischen  höhe  und  tiefe  ein 

1)  (PBBtr.  7,  522,  Tidskr.  f.  filol.  n.  r.  10,  306).  Wie  der  gen.  des  sing,  auf 
'0-8,  '8  zum  nom.  sing,  des  maso.  und  fem.,  ebenso  verhielt  sich  urspr.  der  gen.  des 
plur.  auf  -o-m  zum  nom.  des  neutr.  auf  -o-fi». 

2)  Vgl.  Bezzenberger  in  seinen  Beitr.  15,  298. 

3)  In  den  jüngeren  sprachen  hochtonwort  mit  dem  hochton  an  erster  stelle 
und  folgendem  unton  (vgl.  Eretschmer,  KZ,  31 ,  359). 


ÜBEH  BICUTEL,  UAUFTPBOBLBBUC  DER  INDOQKRH.   LAUTLEHRE  377 

gegensatz  des  grösseren  oder  geringeren  nachdncks  an  seinen  Wirkungen  bemerkbar 
gemacht:  bestanden  haben  kann  er  sehr  wol  schon  in  der  vorigen  periode.  Musika- 
lisches und  exspiratorisches  mehr  und  minder  scheinen  (wie  nicht  notwendig  aber 
doch  meistens  der  fall)  in  der  grundsprache  auf  denselben  silben  zusammengetroffen 
zu  sein'.  Mit  dem  musikalischen  hochton  war  ein  exspiratorischer  hauptdruck  oder 
, hauptton*',  mit  dem  musikalischen  tiefton  ein  exspii'atorischer  ,, nebenton *^,  mit  der 
musikalischen  eine  exspiratorische  „tonlosigkeit''  verbunden.  In  dieser  periode  ist 
unbetontes  urspr.  a  zunächst  im  auslaut  und  gleichzeitig  vielleicht  noch  in  andern 
Stellungen  geschwunden.  Dann  sind  tonlose  urspr.  ai  und  au  monophtongiert  wor- 
den. Später  hat  die  tonlosigkeit  Verkürzung  langer  vokale,  vokalreduktion  und  vokal- 
ausstossung  (soweit  die  lezte  nicht  schon  geschehen  war)  hervorgerufen.  Zu  ende 
dieser  periode  haben  die  Wörter  der  giTmdsprache  im  algemeinen  die  gestalt  gehabt, 
die  wir  heutzutage  als  die  grundsprachliche  anzusetzen  pflegen,  jedoch  ohne  die  jtln- 
gere  accentverschiebung  und  die  ausgleichung  zwischen  den  starken  und  schwachen 
kasus  usw.,  und  ohne  die  später  eingetretene  dehnung.  Wörter  wie  eevo-8,  genos, 
die  sich,  wenn  ich  nicht  irre,  die  meisten  mit  tonloser  zweiter  silbe  gesprochen  den- 
ken, sind  vielmehr  mit  tiefton  und  nebenton  auf  dem  o  gesprochen  worden,  Sevds, 
gends. 

Nachdem  die  e  und  o  qualitativ  völlig  von  einander  verschiedene  vokale  gewor- 
den waren  und  diese,  sowie  die  andern  in  der  vorigen  periode  entstandenen  silben- 
träger i,  u  usw.  so  lange  bestanden  hatten,  dass  ihre  knüpfung  an  je  einen  besondem 
accent  nicht  mehr  eine  innere  notwendigkeit  und  fürs  Sprachgefühl  nicht  mehr  vor- 
handen war,  konten  accentverschiebungen  eintreten,  indem  wortformen  nach  der 
analogie  andrer  wortformen  mit  accenten  versehen  werden  konten,  die  ihnen  nach 
der  natur  ihrer  silbenträger  von  haus  aus  nicht  zukommen  konten.  Ein  o  und  die 
ursprünglich  nur  untonigen  i,  u,  f,  n,  m,  a  konten  den  hoch  ton  erhalten,  ein  e 
und  jene  i,  u  {a  usw.)  konten  den  tiefton  bekommen,  ein  e  und  o  konten  tonlos 
werden  {septtn,  nicht  89ptfn,  usw.). 

In  dieser  periode  nun,  nach  diesen  accentverschiebungen,  ist  die  dehnung  von 
vokalen  in  offner  silbe  durch  den  gravis  oder  nebenton  eingetreten.  Diese  dehnung 
ist  genau  derselbe  Vorgang,  wie  die  aus  dem  nhd.  (und  andern  modernen  sprachen) 
bekante  dehnung  von  vokalen  in  offner  silbe  durch  den  gravis,  den  selbständigen  gra- 
vis in  näme^f  nebentonigen  in  brösäme  usw. 

Bechtels  satz  (s.  177),  „dass  der  accent  die  länge,  die  er  trift,  konserviert, 
aber  niemals  schafft'',  den  der  Verfasser  natürlich  nur  als  für  das  gemeinindogerm., 
und  nach  dem  worüaut  des  bei  ihm  vorhergehenden  möglicherweise  auch  nur  als  für 
den  indogerm.  „hauptton''  geltend  verstanden  haben  wird,  kann,  wie  er  nicht  gemein- 
gültig ist,  auch  für  den  indogerm.  ^nebenton"  oder  „tieften"  ungültig  sein. 

In  den  Beitr.  7,  498  gab  ich  die  dehnungsregel  in  der  fassung,  dass  o  durch 
den  tiefton  vor  doppeltem  unton  in  offner  silbe  gedehnt  werde,  also  tod  aus  täda, 
aber  pf^dtn  aus  pädama.  Wenn  aber  die  ausstossung  des  untonigen  vokals  bereits  vollen- 
det war,  dann  ist  die  regel  dahin  zu  ändern,  dass  die  dehnung  in  offner  silbe  ein- 
getreten ist,  daher  o  in  tod,  Sevds,  neutr.  g&nds,  aber  ö  im  acc.  sing.,  nom.  plur. 
des  masc.  und  fem.  pd  d^m^  nepotm,  -torm,  -onm,  jiirji.  pddes  usw.  Eine  konsequenz 
dieser  fassung  der  regel  ist  die  annähme,  dass  die  dehnung  in  dem  mit  -s  nach  vor- 
hergehendem kons,  versehenen  nom.  sing,  des  masc.  fem.  nicht  eingetreten  sein  kann: 

1)  Andrer  ansieht  ist  Bartholomae,  Bezz.  beitr.  16,  274. 


378  MÖLLER 

die  gnmdspiachliche  foim  nach  eingetretener  dehnung  wäre  also  gewesen  pod-s,  acc. 
pö^dm,  pl.  pddes  (wie  nhd.  lautgesetzlioh  köf,  höfes,  höfe)^  ebenso  in  den  andern 
von  Beohtel  s.  171  fg.  (unter  b)  angeführten  warzelnomina:  durch  Übertragung  aber 
konte  später,  noch  grundsprapchlich ,  das  ö  auch  in  den  nom.  treten  (wie  in  nhd.  höf, 
kofesy.  Die  dehnung  tritt  auch  im  auslaut  ein:  8f$  muste  es  heissen,  wo  der  artikel 
den  tiefton  gewahrt  hatte  (ved.  aä^  ^metrisch  yerlangerf^),  so  (yed.  «a,  gr.  <(),  wo 
das  in  dieser  form  ursprünglich  nur  tieftonige  wort  tonlos  geworden  war.  Ebenso  ent- 
standen zahlreiche  andre  doppelformen:  gen.  -^tjd  (ved.  -ctaja)  neben  -09b,  pi^-  ^ 
(germ.  tö)  neben  do  (slav.  do,  ahd.  %a)^  pr^  (ved.  prdf  avest  frä,  lai  pro)  neben 
pro  (gr.  nq6y  skr.  pra,  avesi  got.  fra)  usw.  Vgl.  Whitney,  Ind.  gr.  §  248;  Osthoff^ 
Morph,  üni  4,  226). 

Der  von  der  dehnung  betroffene  vokal  war  häufiger  als  irgend  ein  andrer  ein 
Of  einfach  darum,  weil  allein  diesem  vokal  nach  alter  regel  der  tiefton  zukam.  Hüle 
der  dehnung  eines  0  durch  den  tiefton  habe  ich  Beitr.  7,  498  fgg.  massenhaft  beige- 
bracht*. Der  ursprüngliche  vokativausgang  -d  ward  jezt  durch  dehnung  -^,  dei^ 
(s.  Bezzenberger,  Beitr.  15,  296  fgg.),  während  die  vokativausgänge  —H,  -o»  bleiben 
(skr.  dgnSy  8Ünö,  lii  nakte,  Hlnau,  gr.  XrjTot,  vgl.  Eretschmer,  KZ.  31,  356  fgg.). 
Begelrecht  ist  die  dehnung  in  der  3.  person  sing,  des  perfekts  (Bechtel  s.  165),  gr. 
yfyiov€,  unerklärt  bleibt  jedoch  die  kürze  dos  o  in  der  1.  sing.,  skr.  tiUdpa  usw. 
(und  im  europ.  in  der  3.  sing.):  das  o  muss  wol  in  diesem  falle  nicht  tieftonig  geblie- 
ben, sondern  vielmehr  hochtonig  geworden  sein.  Regelrecht  ist  die  dehnung  in  der 
1.  dual,  bherdvefsj,  1.  plur.  hhiri^mefsi)  (daneben  in  Europa  gr.  ip4^ofikg  usw.  mit 
tonlos  gewordenem  0?).  Die  kausativen  haben  in  der  ersten  silbe  den  tiefton  gehabt 
{(dy  ou),  so  schwer  derselbe  hier  auch  zu  erklären  ist,  daher  (Bechtel  s.  169)  skr. 
päiöjcUi  aus  pi^t^i  usw.  (neben  pat^faii  aus  formen  mit  tonloser  erster  silbe). 

Zu  der  zeit,  als  diese  dehnung  eintrat,  haben  aber  auch  andre  vokale  den  tief- 
ton tragen  können.  Zunächst  nicht  wenige  e.  Neben  hochtonigem  mS  ^mich*^  hätte 
die  tieftonige  form  nach  früherer  regel  *fnd  lauten  müssen;  neugeschaffen  war  aber 
statt  dessen  ein  *fiü,  woraus  jezt  mit  dehnung  m^  (vgl.  Osthoff,  Zur  gesch.  des  per- 
fekts s.  126).  Ebenso  vS"  „oder*^  (skr.  vä)  neben  hochtonigem  vS  und  untonigem  tt 
(gr.  ij^ßi,  lat.  ne-ve,  ne-u,  Osthoff  ebd.  128,  Eretschmer,  KZ.  31,  365);  q^  neben 
urspr.  hochtonigem,  dann  untonigem  qe  „und*^  (Osth.  128);  augment  ^  (gr.  17-)  neben  i 
(ebd.  129).  In  einer  Zusammensetzung  ^septnC-d^emto-fn,  mit  der  dehnung  aeptm'- 
dSemto-m  (got.  sibun-tskund,  das  h  nach  tathun)*^  war  der  tiefton  oder  svarita  auf 
die  erste  silbe  des  zweiten  bestandteils  gefallen:  in  einer  früheren  periode  hätte  der 
tiefton  den  vokal  zu  0  gefärbt  (*dö*efftt-),  was  jezt  nicht  mehr  möglich  war.  80  im 
zweiten  bestandteile  von  kompositen  mehrfach,  wie  in  skr.  ^atd-gärtida'  a4j-  ,hun- 
dert  herbste  zählend,  gebend*^,  n.  „alter  von  hundert  jähren^. 

1)  Aus  einer  flexion  pdd-s,  pl^d-m  konten  später  doppelformen  wie  rovos  und 
skr.  tä'na-,  dieses  wie  pä'da-,  hervorgehn  (vgl.  PBBtr.  7,  509). 

2)  Zahlreiche  daselbst  unrichtig  mit  ö  angesezte  Wörter  haben  nach  der  neuen 
fassung  der  regel  vielmehr  o  gehabt:  ndkt-  „ nacht '^  500,  pdes  got.  faJis  510,  pdtra 
„herrin*'  511,  ddc-mn  ^öyf^a  516  usw. 

3)  Anders  über  sibuntshund  usw.  Brugmann,  Morph,  unters.  5,  12  fgg. —  YgL 
Joh.  Schmidt,  Die  Urheimat  der  Indop;ermanen  und  das  europäische  zahlsystem  (Ab- 
handl.  der  Berliner  akad.  1890).  Einige  beispiele  der  dehnung  oder  „vrddhi*^  finden 
sich  8.  26  dieser  schiift  und  bei  P.  Eretschmer  EZ.  31,  456  verzeichnet. 


ÜBIB  BIOHXBL,  HA13FIPB0BLBIIE  DIR  INDO0SBM.   LAUTLEHRS  379 

Der  tiefton  konte  auch  auf  die  von  haus  aus  nur  untonigen  i,  u  fallen.  n(t 
(vgl.  Osthoff,  Mü.  4,  273)  ist  neugeschaffene  tieftonform  nehen  dem  untonigen  nu 
^nun*^,  nicht,  wie  Bechtel  s.  150  annimt,  die  durch  den  hochton  gerettete  mittelstufe 
zwischen  der  ältesten  erschliessbaren  betonten  form  *neu  (vielmehr  nivd  <:  ndvä)^ 
und  der  jüngsten  nu.  Ebenso  H*  neben  tu  „du^  (Osthoff,  MU.  4,  268  fgg.),  der 
enlditischen  form  des  urspr.  to-va;  sii-  neben  su  «gut''  (ebd.  251);  f*-  neben  i-  „er^ 
(ebd.  229  fgg.),  der  enlditischen  form  des  urspr.  orja  (hochtonig  ^'d-m,  skr.  ajäm 
,er*,  lat  acc.  «w»);  nt-  neben  m-  „nieder*  (ebd.  223);  ebenso  wird  piri-  mit  ton- 
losem i  zu  pStt-,  wenn  der  tiefton  auf  die  zweite  silbe  fiel  (ved-  pärf-  in  pärf-vria- 
usw.,  ebd.  245)  usw.  Hierher  gehören  alle  von  Osthoff  (MU.  4)  behandelten  gemein- 
indogermanischen' f  undt2,  die  nicht  Saussures  (aus  seinen  i^,  uA  hervorgegangene) 
fy  ü  sind';  zunächst  nur  soweit  sie  in  ofber  silbe  des  indogeimanischen  ihre  stelle 
gehabt  haben,  sodann  durch  formübertragung  auch  in  weiterer  ausdehnung.  Der 
„nebenton*'  hat  aber  nicht  die  l,  ü  konserviert,  sondern  die  länge  ist  sekundär, 
durch  den  nebenton  geschaffen,  genau  wie  bei  den  S,  ö,  die  bei  Osthoff  vol- 
ständig  von  den  f,  ü  getrent  sind.  „Nebentonige  tie&tufe'^  ist  (da  Osthoffs  „ tief- 
stufe* nach  Mü.  4,  281  die  schwächste  stufe  bei  exspiratorischer  betonung  bezeic 
hnet'*)  eine  contracUotio  in  adjecto:  das  richtige  wäre  „nebentonig  gewordene  frühere 
tiefstufe*. 

Nach  der  analogie  zahlreicher  einsilbiger  tieftonwörter  (Beitr.  7,  499)  von  der 
art  wie  bhdr-s  „fortträger,  dieb*  zu  bkerd,  deren  acc.  *bhdrm,  pl.  *hhdres  jezt  durch 
die  dehnung  bhorm,  bhöWes  wurden,  waren  andre  einsilbige  wurzelnomina  mit  dem 
tiefton  gebildet  worden,  die  nicht  mehr  den  vokal  o  bekamen.  So  verschiedene  mit 
dem  vokal  6,  der  diesen  tiefton  Wörtern  von  haus  aus  durchaus  nicht  zukommen 
konte:  von  dem  in  lat.  rego  vorliegenden  wurzelnomen  gebildet  *ri^-8,  acc.  jezt  mit 
dehnung  repn  (lair^em),  pl.  r^^  {sikx.rcfgcu,  nom.  sg.  rö^,  Bechtel  171.  Ebenso 
von  legk'  „liegen*  acc.  Wghm  (lat  legem)  ^  Bechtel  173.  Neben  dem  hochtonworte 
gkvSrd-s  (lat  ferus)  das  tieftonwort  aoc.  gkvtrrn,  yighvgres  {S-fj^a,  ^iiQ€g),  —  Ein- 
silbige wurzelnomina  von  t-  und  i«- wurzeln  hatten  von  haus  aus  in  den  starken 
kasus  die  diphthonge  di  und  du,  wie  vöie^s  „haus*,  aoc.  vdiem  (in  gr.  o7xa-<f£),  gen. 
vieds:  war  in  solchen  Wörtern  das  i,  u  aus  den  schwachen  kasus  in  die  starken 
gedrungen,  dann  ward  es  jezt  in  offner  silbe  gedehnt,  vic-s,  acc.  t^cm  (woraus  avesi 
ffl8'  neben  skr.  vi^).  So  konten  zu  dieser  zeit  auch  tieftonwörter  mit  iy  u  neu 
gebildet  werden,  die  den  diphthong  nie  gehabt  haben,  so  vielleicht  das  wort  „maus*, 

1)  Um  zum  werte  nevd-  „neu*  zu  gelangen,  müste  Bechtel  also,  ebenso  wie 
Osthoff,  MU.  4,  274  ein  suffix  -o  oder  -e  antreten  lassen.  Ich  dachte,  dass  Bechtel, 
der  „auf  den  schultern  Ascolis  imd  Ficks  steht*,  „über  ein  stambildendes  suffix*  -o 
nicht  „verfügt*  (s.  230). 

2)  Also  nicht  die  durch  einzelsprachliche  (z.  b.  iranische)  lautgesetze  zu  stände 
gekommenen  längen,  auch  nicht  italische,  germanische,  slavische  alte  ei,  die  eine 
verliebe  für  lange  f  zu  solchen  gestempelt  hat,  noch  gotische  als  möglichkeiten  ange- 
sezte  „ü* ,  die  in  Wirklichkeit  u  sind  usw.  Auch  nach  der  analogie  bestehender  f ;  i, 
ü:u  an  die  stelle  ursprünglicher  et  (;«),  eu  (:u)  getretene  jüngere  %,  ü,  wie  wahr- 
scheinlich das  ii  in  skr.  guhati,  sind  auszunehmen. 

3)  Genauer  alle  ausser  den  von  £j:etschmer,  EZ.  31,  380—87  behandelten  %,  ü, 

4)  Da  OsthofEB  „tiefstufe*  und  mein  „tiefton*  ausser  dem  ersten  bestandteil 
des  namens  nichts  mit  einander  gemein  haben,  so  ist  nicht  einzusehn,  wie  das,  was 
Osthoff  von  seiner  „tiefetufe*  sagt,  der  entstehimg  der  „o -stufe*  durch  meinen 
„tiefton*  den  boden  soll  entziehen  können  (Morph,  imters.  4,  xv). 


380  IIÖLLKB 

gen.  muads,  aco.  mü*9in,  pl.  tintses  (u  in  mus-ko-,  s.  Osthoff,  Mü.  4,  217  %.)'.  Ygl. 
Bechtel  s.  174,  note.  Die  nominative  des  sing,  haben  den  langen  vokal  schliesslioh 
von  den  andern  starken  kasus  angenommen,  lai  rBx,  l8x,  nUis,  gr.  Sijq  usw.:  der- 
selbe Vorgang,  wie  wenn  im  nhd.  die  in  offner  silbe,  tvijfes,  entstandene  länge  auch 
dem  einsilbigen  werte,  tcSg,  zuerteilt  wird. 

Ebenso  hatten  die  tieftonwörter  auf  -i,  -u  (die  in  ihrer  flexion  kein  -ei-,  -etc- 
hatten,  gen.  -id«,  -uo«),  als  die  dehnung  durch  den  tiefton  in  offiier  silbe  eintrat, 
neben  dem  o  bereits  andre  vokale.  Neben  dorn  hochtonwort  auf  -A-  gen^  „weib^  war 
mit  dem  gleichen  vokal  im  zweiten  teile  von  kompositen  ein  tieftonwort  auf  -t-, 
*-3^»-«,  entstanden,  woraus  jezt  -g^'m-«  (skr. -^Am-,  z.  b.  in  dvi-^itni',  got.  selb- 
ständig geworden  qSns).  Vielleicht  ist  ebenso  das  B  entstanden  in  medku-Bdi-a  ^ho- 
nigesser*^,  slav.  medv-ed^  „bär''.  Das  germanische  hat  zahlreiche  adjektive  auf  -i, 
von  e- Verben  gebildet,  mit  dem  vokal  ?,  alle  ursprünglich  mit  präfixen,  wie  -ng^mi-a 
(jgot  anda-n&ma ,  mhd.  ge-ncSnie)  ^  -prS^ct-a  {ahd.  gi-frägi,  an.  fro'g'r)  usw. —  Germ. 
kü'di'X  „haut^  neben  lat.  cu-ti-s  (Osthoff  4,  98)  muss  wol  ein  ktt-tt-s,  gen.  kuiids 
gewesen  sein.  —  Mhd.  swäger  „Schwager*^  wird  ein  m- stamm  gewesen  sein,  svl^eru-s'*. 

Weibliche  tieftonwörter  auf  -a',  das  später  meistens  durch  -A  abgelöst  worden 
ist,  wie  xionrjf  Itünrj,  Öqk  „sorge'',  *aTQa»<pa,  '^TQtona,  wovon  OTQQHftuo,  TQtoniuo  zu 
OTQ^ifo},  xQinto,  haben  neben  den  ö  ein  h  gehabt,  daher  häufige  germanische  bildun- 
gen  wie  germ.  nSmö  die  „-nähme*',  vBrö  „sorge*',  vrBkö  (ahd.  rähha)  neben  germ. 
m-akö  (ae.  tcrcusu)^  dieses  aus  den  obliquen  kasus  von  *vrögä,  Oder  sind  solche 
Wörter  im  zweiten  teile  von  kompositen  aus  hochtonwörtem  mit  ä  entstanden,  also 
germ.  gebö  (ahd.  gebd)^  aber  -gSbö  (mhd.  gähe)^  urspr.  in  an-^  ab-,  über-,  wider - 
gäbe  usw.? 

Indogerm.  a  (in  äyw)^  von  haus  aus  unbetont,  muste  natürlich  gleichzeitig 
unter  denselben  bedingungen,   duich  sekundären  nebenton  in  offner   silbe   gedehnt, 

1)  Ein  „ablaut*  ü:u,  den  Job.  Schmidt,  KZ.  25,  21,  Pluraib.  8.219  fg.  (f :» 
ebd.  220)  zu  erweisen  sucht  (womit  nicht  der  tatsächliche  Wechsel,  sondern  die 
geschehene  Verkürzung  eines  altem  langen  ü  zu  u  in  tonloser  silbe,  entsprechend 
der  des  S  zu  a,  gemeint  ist),  könte,  wenn  nicht  eine  widerholte  reduktion  statgefun- 
den  hat,  nur  durch  jüngere  analogie  zu  stände  gekommen  sein,  da  der  ablaut,  die 
kürzung  in  tonloser  silbe,  beendet  war  als  das  i2  (f)  aus  dem  vielmehr  älteren  u  (i) 
entstand.  (Die  von  Job.  Schmidt  gelehite  „doppel Verkürzung"  vor  weiter  fort- 
rückendem hochton,  welche  Bechtel  s.  270  zweifelhaft  findet,  vermag  ich  nicht  anzu- 
nehmen). 

2)  Das  wort  „schwager*'  hat  ursprünglich  jedesfals  nicht  den  gatten  der  Schwe- 
ster, nur  den^bruder  der  frau,  den  vormund  und  fortgeber  der  braut  als  söhn  und 
rechtsnaohfolger  des  verstorbenen  schwähers  bezeichnet  Das  wort  war  wol  ursprüng- 
lich zweites  glied  eines  kompositums  (=  „für-schwäher*,  „jung-sohwäher*  oder 
dgl.),  daher  das  germ.  g.  In  der  lautgruppe  idg.  kr  kann  das  A:,  als  die  dehnung 
eintrat,  zur  folgenden  silbe  gehört  haben  (sonst  müste  die  dehnuns  in  -sv&fru-s, 
wenn  dies  die  gi'undform  war,  jünger,  nach  zahlreichen  Vorbildern  analogisch  geschaf- 
fen sein).  Über  die  grundform  des  wertes  „schwäher*  vgl.  Kretschmer,  KZ.  31, 446  fg. : 
lautete  dies  wort  bereits  avieurd-s  {ixvQÖg^  ahd.  stcehur,  ae.  atoior  usw.),  dann  wird 
die  grundform  des  wertes  „Schwager*  -8vtct4ro-s  gewesen  sein.  War  das  wort  selb- 
ständig, dann  entstamt  dais  germ.  g  der  den  obliquen  kasus  entnommenen  oxytonie- 
rung  {svBcru-8  oder  svEeurö-a), 

3)  Mit  diesem  -a  ist,  der  lehre  Job.  Schmidts  gemäss,  das  griech.  -a  des  plu- 
rals  des  neutrums,  das  aber  von  Schmidt  selbst,  Pluraib.  2^,  völUg  verkant  worden 
ist,  ursprünglich  identisch. 


ÜBBR  BBCHTEL,  HAUPTPROBLEME  DER  INDOGERM.  LAUTLEHRE  381 

d*  werden,  also  mit  dem  nraprünglich  hochtonigen  a  zusammenfallen.    So  in  nau-s 
(später  nOM-a)^  gen.  navds,  aco.  nüCvtn  u.  a.^ 

Ob  auch  ein  f  (n  usw.)  gleich  dem  i,  u  sekundär  den  nebenton  bekommen 
konte  ?  A  priori  wird  man  es  nicht  verneinen  können.  Ein  durch  unsre  dehnung  in 
offner  silbe  entstandenes  langes  f  hätte  natüilich  nichts  zu  tun  mit  Saussures  f ,  dem 
Bochtel  die  existenz  abspricht  (s.  u.):  es  braucht  nicht  durch  dieselben  skr.  ir, 
ür  vertreten  zu  sein,  durch  welche  dieses  vertreten  sein  solte.  Ist  griech.  xfj^^  skr. 
-härd-  (acc.  m.  -hS^rdam  in  su^hard-  „wolgesint",  dur-hä'rd-  „übelgesint*)  und  skr. 
härdi  „herz*^  (Bechtel  171,  vgl.  Job.  Schmidt,  Pluralb.  224)  ein  altes  cfd-  (neben 
erd-f  skr.  kfd-),  efdt,  so  dass  theoretisches  f  gemeinindogerm.  durch  Br  vertreten 
wäre?  Germ,  hert-  im  n- stamme  got.  kairtö  könte  lautgesetzlich  aus  älterem  egrd' 
entstanden  sein  mit  kürzung  der  länge  vor  der  konsonantengruppe  (der  n-stamfn  wie 
in  au8ö  aus  älterem  aiM-,  vgl.  Job.  Schmidt,  Pluralb.  109). 

Den  tiefton  auf  der  Wurzelsilbe  hatte  von  alters  her  der  sing,  des  perfekts: 
3.  sing,  vöide,  skr.  vS'da,  gr.  fotSe,  goi  vaii.  Indem  als  charakteristisch  für  das 
perfekt  nicht  sowol  der  vokal,  als  vielmehr  dieser  bestirnte  accent  gefühlt  ward,  sind 
nach  dieser  analogie  perfekte  mit  überti'agung  des  vokals  des  präsens,  der  dann  in 
offner  silbe  durch  den  tiefton  gedehnt  ward,  neu  gebildet  worden:  tde  „ass*^  (lat 
edit,  got  -^),  redupl.  griech.  (d-ri&e  (nach  älterer  regel  hätte  es  heissen  müssen 
ed-ode)'^  ebenso  mit  a  statt  des  älteren  ö'  perfekta  wie  gr.  UXrid'a,  lat  scäbi,  got 
köf  usw.  *  Manche  andre  perfekta  sind  nach  solchen  Vorbildern  wahrscheinlich  erst 
in  jüngerer  zeit  gebildet  worden,  die  griechischen  -rixa  zu  '6jö  usw.;  lat  -liqui^ 
vidi,  die,  wenn  das  f  alt,  bildungen  wären  wie  oben  vip-. 

Alle  fälle  der  dehnung  können  durch  das  gesetz  in  der  oben  gegebenen  form 
nicht  unmittelbar  erklärt  werden:  ebenso  wie  im  nhd.  ist  der  in  offener  silbe  gedehnte 
vokal  auch  in  geschlossene  silbe  und  in  Stellungen  vor  konsonantengruppen  hinein- 
getragen. So  bleibt  einstweilen  unerklärt  die  vokaldehnung  im  «-aorist,  slav.  visu 
^führte*^  zu  vedq,  nSsü  „trug*^  zu  nesq  usw.,  lat  rSci,  texi  usw.  (Bechtell57):  vgl. 
Osthoff,  Zur  gesch.  des  perf.  112.  227,  der  diese  lat  e  durch  Übertragung  aus  dem 
ültern  perfekt  l8gi,  *r^i  erklärt.  Die  dehnung  h&b  in  den  verschiedensten  sprachen 
Über  ihr  ursprüngliches  gebiet  hinausgegiiffen':  namentlich  im  indischen  hat  das  aus 

1)  Wie  die  Schwächung  der  hochstufe  a  muste  das  a,  das  Schwächung  der 
hochstufen  ^,  o  ist  (s.u.),  durch  die  gleiche  dehnung  ä  werden:  so  in  einigen  unter 
den  von  Bremer,  Beitr.  11 ,  268  fg.  zusammengestelten  ä.  —  Von  diesem  a  qualitativ 
verschiedenes  unbetontes  a  (von  Bechtel  a  geschrieben,  Saussures  '^),  woraus  griech.  a, 
skr.  t  (s.  u.),  ist  im  sanskrit  nach  dem  hoch  ton  ausserordentlich  häufig  lang,  f  {brd- 
vimi  „rede*^,  ataa-fman-  „ausbreitung*'):  die  dehnung  wird  durch  den  dem  hochton 
folgenden  abhängigen  svarita  bewirkt  und  bereits  in  grundspitichlicher  zeit  zugleich 
mit  jenen  andern  dehnungen  eingetreten  sein.  (Solte  dieser  vokal  mit  jenem  a 
ursprünglich  identisch  gewesen  sein,  s.  u.,  dann  hätten  wir  &  als  resultat  der  deh- 
nung durch  den  selbständigen  tiefton,  dagegen  im  sanskrit  ein  f,  wo  die  dehnung 
durch  den  abhängigen  svarita  erfolgte.)  Die  Unregelmässigkeit  der  länge  lässt  dieselbe 
eher  als  rest  einer  alten  regel,  denn  als  ergebnis  einer  jüngeren  regel  erscheinen. 

2)  Die  germ.  perfektplurale  nSmumj  setumy  brikum  usw.  worden  wol  (wie 
die  flh-um  vom  sing,  for)  von  älteren  3.  sing.  ^nSni,  *8&,  *brgk  (=  lat  emit, 
sedit  usw.)  herrühren,  die  neben  den  1.  sing,  twm  usw.  bestanden  haben,  aber  dann 
(ausser  Bt  und  ae.  nom,  cwom)  durch  diese  ersezt  worden  sind. 

3)  So  ist  nach  der  analogie  der  (von  J.  Schmidt,  Pluralb.  82  fgg.  nachgewie- 
senen) kollektiven  feminina,  welche  die  stelle  des  plurals  des  neutr.  vertraten,  auf 
-on;  -dr,  'öS  (die  die  länge  des  nom.  aus  dem  aoo.  sing,  übernommen  hatten),   im 


•.  '  »IfmtJk. 


382  MÖLLBB 

8  and  ö  entstandene  ä  in  geschlossener  sflbe  (wie  in  säpta-  n.  , siebenzahl*  von 
saptd)^  wozu  auch  alle  äi  und  äu  vor  konsonanten  gehören,  als  ^yrddhi*^  oder 
,,  zweite  Steiger ong*^  weite  ausdehnung  gefunden. 

Dass  die  Wirkung  des  tieftons  nicht  auf  den  vokal  o  beschränkt  gewesen  sei, 
habe  ich,  nachdem  ich  selbst  schon  solches  gedacht,  zuerst  ausgesprochen  gefondea 
bei  M.  Bing,  AlÜatein.  Studien,  Pressburg  und  Leipzig  1882,  s.  52:  «^^  svarita 
blieb  svarita  und  vokalbÜdner  auch  dann,  als  Ifingst  . . .  der  kurze  grandvokal  durch 
die  betonung  zu  e  und  d  differenziert  war*^.  —  Otto  Bremer,  PBBtr.  11,  267  lehrt, 
dass  den  f  und  ü  innerhalb  der  t-  und  ««-reihe  ein  ä  innerhalb  der  a- reihe  (tds 
deren  hochstufe  er  s  ansieht)  entspreche,  und  bemerkt,  dass  die  lange  neben  der 
kürze  „auch  sekundär  sein"  (264,  note  2),  „t  und  a  unter  bestirnten  bedingnngen 
gedehat  worden  sein*^  könten.  —  Paul  Kretschmer,  der  (KZ.  31,  338  fg.)  für  Osi- 
hoffo  hypothese  „eine  tatsächliche  grundlage  nicht  aufzufinden  vermag*^,  da  in  den  ein- 
zelsprachen, welche  die  alte  betonung  gewahrt  haben,  „keine  spur  einer  von  der 
steDung  im  satz  abhängigen  Verschiedenheit  der  tonstärke,  geschweige  denn  von 
einem  danach  sich  regelnden  Wechsel  von  i,  ü  mit  %,  u  zu  entdecken*^  ist^,  erklärt, 
dass  betontes  ü  (und  also  auch  f)  „nur  in  unbetonter  sUbe  entstanden  sein  kann* 
und  hält  es,  ebenso  wie  unabhängig  von  ihm  Beohtel,  für  „wahrscheinlich,  dass  es 
seine  länge  darum  festhielt,  weil  es  den  accent  erhielt,  ehe  es  weiter  zu  ü  reduoiert 
wurde''.  Kretschmer  meint  aber,  meines  erachtens  richtiger  als  Bechtel,  „daas  der 
accent,  welchen  ü  durch  diese  Verschiebung  empfieng,  der  circumflex  gewesen  zu 
sein  scheint''  (der  mit  dem  selbständigen  tiefton  oder  svarita  identisch  ist):  er  weist 
u.  a.  hin  auf  die  nequsnoifiivfi  in  griech.  vihf,  — 

Der  „zweite  abschnitt*'  (s.  182—290)  behandelt  in  abermals  vier  kapiteln, 
die  einzeln  durchzunehmen  ich  mir  versagen  muss  (das  erste  und  lezte,  5.  und  8., 
übergehe  ich  vöUig),  „Längen  und  diphthonge  mit  langem  ersten  kompo- 
nenten". 

Neben  den  im  4.  kapitel  besprochenen  dehnungen  kurzer  vokale  hat  die  grund- 
sprache  lange  vokale  A,  S,  ö  gehabt,  die  ihrersdits  älter  sind  als  die  aus  ihnen  her- 
vorgegangenen kürzungen. 

Kürzung  dieser  lezteren  a,  e,  ö  ist  (vor  der  tonsilbe  und  durch  acoentver- 
schiebung  in  der  tonsibe)  nach  s.  238  fgg.  im  eoropäischen  ohne  das  griechische  a 
{aS-  ,|Säen%  dö-  „geben'':  lat  sätus,  däha):  im  griechischen  erscheint  als  kürzung 
eines  wurzelauslautenden  ti,  oi  neben  dem  «  ein  c,  o  (h6g,  d-irög,  derög;  iorog, 
noTÖg)^  selten  im  aussergriechischen  europ.  ein  ebensolches  e  (s.  244),  o  (247).  Bech- 
tel vermutet  (s.  248.  265),  dass  „e,  o  und  a  zwei  verschiedene  schichten  der  Schwä- 
chung repräsentieren,  jene  die  ältere,  diese  die  jüngere".    Er  sagt  nicht,  wie  er  sich 

iranischen  ein  -Sni  geschaffen  (J.Schmidt  160 fgg.,  der  aber  diese  endung  für  gemem- 
indogerm.  hält);  ebenso  im  indischen  i)lur.  neutr.  -anti,  -ämsi  aus  -öfUa,  -önsa 
nach  -&ni  aus  -öna  (oder  nach  J.  Schmidt  aus  önt-i  usw.). 

1)  Nach  spuren  seiner  regel  in  den  einzelsprachen  suchend  findet  Osthoff 
(s.  351),  dass  wir  „in  der  tat  auch  nach  dieser  seite  hin  nicht  gänzlich  von  allen 
anhaltspunkten  entblöst"  sind.  Es  heisst  (s.  352)  regelmässig  ü  (statt  u)  nUf  ü  su, 
und  von  i-  „gehen",  üh^  „schieben"  hinter  präfizen  (wie  sam)  ijät,  tJ^'äi,  nicht 
^at,  aJ^'at,  „Es  dürfte",  bemerkt  Osthoff  s.  353,  „vielleicht  von  interesse  sein,  zu 
er&hren,  dass  ich  auf  diese  historisch- einzelsprachlichen  reminiscenzen  an  das  alte 
gesetz  . . .  erst  hinterdrein  aufmerksam  geworden,  nicht  zum  entwerfen  meiner  kon- 
struktionen  von  ihnen  ausgegangen  bin".  (Man  greift  doch  überall  erst  im  wassm^ 
nach  dem  Strohhalm.) 


ÜBER  BBCHTEL,  HAX7PTFR0BLKMC  DBB  INDOGEBK.  LiLUTLSEBB  383 

dies  denkt  Dass  eine  ältere  Schwächung  nicht  mit  allen  e  und  ö  in  gleicher  läge 
YolBtfindige  , Schicht  gemacht*^,  sondern  einer  jungem  Schicht  einen  teil  der  arbeit 
hinteriassen  haben  solte,  kann  man  sich  nicht  wol  denken.  Selten  aber  zwei  schich- 
ten auf  einander  gefolgt  sein,  so  solte  man  doch  denken,  dass  das  dem  ungekürzten 
e  und  ö  ferner  geruckte  a  das  ergebnis  der  altem  (s.  u.),  das  ihm  näher  geblie- 
bene s,  0  das  ergebnis  der  jungem  schiebt  gewesen  sei.  Eine  jüngere  schiebt  der 
Schwächung  wäre  nur  als  jüngerer  analogievorgang  denkbar:  das  e,  o  könte  nur 
entweder  eine  qualitative  an^eichung  des  älteren  resultats  der  Schwächung  an  das 
hochtonige  s,  ö,  oder  neue  Schwächung  eines  durch  ausgleichung  widerhergestelten 
e,  ö  sein.  Diesen  Vorgang  aber,  in  welcher  weise  er  nun  geschehen  sein  mag,  wird 
man  wahrscheinlicher  der  einzelsprache  als  der  gmndsprache  zuschreiben.  Im  grie- 
chischen ist  qualitative  ausgleichung  eine  häufige  erscheinung. 

Das  indisch -iranische  sezt  eine  dem  gemeineurop.  a  entsprechende  einheitliche 
kürzung  der  drei  längen  voraus.  Der  Verfasser  zeigt  (s.  248  fgg.),  dass  dieses  europ.  a 
im  indisch -iranischen  im  übrigen  durch  i  (skr.  sihitd-  ararög,  ddta"  ^n6g,  ^iiä- 
(naXiy-yxoTog)^  in  zwei  fällen  aber  durch  älteres  a  veiireten  wird,  nicht  wie  Saus- 
sure und  mit  ihm  Hübschmann  annehmen  vor  j  und  r,  dagegen  1)  unmittelbar  vor 
einem  ursprünglichen  t ,  mit  dem  das  a  sich  zum  diphthong  verband  (skr.  sthSmdn- 
«festigkeif^),  2)  wo  das  a  sekundär  unter  den  hochton  geraten  ist  (dd^i  ^beisst*^, 
gr.  <fax-). 

Mit  recht  wird  von  Bechtel  s.  240  die  ezistenz  eines  ursprünglichen  beton- 
ton a  geläugnet  und  s.  256  fgg.  ein  „grund vokal  a^  neben  dem  von  ihm  e  genanten 
grundvokal  abgewiesen:  jener  vermeintliche  grund vokal  ist  überall  Schwächung. 

Die  S,  ö,  denen  kürzimgen  zur  seite  stehli,  fasst  Bechtel  zum  teil  (s.  202. 
235)  als  dehnungen  von  der  art  der  im  4.  kapitel  behandelten:  er  spricht  mehrfach 
davon,  dass  die  dehnung  ,  grund  vokal  einer  neuen  reihe  gewoixlen  ist^  (so  202)  und 
von  kürzungen  solcher  dehnungen.  Omndvokal  einer  neuen  reihe  aber  (dies  ist  bei 
Bechtel  nirgends  zu  sehn)  kann  die  dehnung  doch  nur  durch  jüngere  analogie  gewor- 
den sein,  da,  als  die  dehnung  eintrat,  die  kürzung,  die  wir  ablaut  nennen,  bereits 
vollendet  war.  Anderseits  kann  ö,  was  Bechtel  aber  nur  vom  Ö  im  wurzelinlaut 
bemerkt  (s.  235),  „ablaut  einer  der  längen  ?,  ä  vorstellen*.  Klar  dargelegt  sind 
diese  Verhältnisse  vom  Verfasser  nicht,  wie  überhaupt  das  6.  und  7.  kapitel,  die 
nach  den  Überschriften  bzw.  , belege  der  grundvokale  e,  ä,  ö'^  bringen  und  die 
„Schwächungen  von  0,  g,  ö^  behandeln  sollen  (während  im  6.  kapitel  ebenso  viel  von 
diesen  die  rede  ist,  und  das  7.  kapitel  ebenso  gut  die  Überschrift  des  6.  führen 
könte),  weniger  übersichtlich  geordnet  sind. 

Woher  stammen  denn  nun  aber  die  nach  abzug  der  dehnungen  und  der 
ablauts-d  als  rest  bleibenden  langen  „gmndvokale*?  Der  Verfasser  weist  s.  237 
Saussures  hypothese  ab.  a  in  Xa^to,  sagt  Bechtel,  soll  aus  ea  (so  schreibt  er  für 
Saussures  a^^),  d  in  *XßL(o^ft  aus  oa  (Saussures  a,-^)  entstanden  sein:  Saussures 
hypothese  ist  also  genötigt  „zwei  entgegengesezt  wirkende  kontraktionsweisen  neben 
einander  zu  behaupten*^.  Aber  eine  andere  erklärung  der  langen  vokale  ist  a  priori 
weit  wahrscheinlicher  als  die  durch  kontraktion  von  vokal  -f-  a- vokal.  Von  meinem 
erklärungsversuch ,  Beitr.  7,  492  note  2  (vgl.  Engl.  stud.  3,  150  fg.)  sagt  Bechtel  nichts. 
Unendlich  oft  sehen  wir  vokalische  länge  durch  Schwund  eines  konsonanten  entstehn, 
und  sehr  oft  finden  wir  in  unsem  jüngeren  sprachen  einerseits  auf  diese  weise  ent- 
standenen langen  vokal,  anderseits  vokal  -f-  konsonant  als  genossen  z.  b.  in  derselben 
ablautreihe,  wie  nhd.  se-  (sehe,  geeehen)  neben  geb^  (mit  von  Norddeutschen  verschie- 


•%" 


384  MÖLLER 

den  gesprochenem  e-laut  hier  und  dort),  aber  nirgends  sehn  wir  wol  in  entsprechender 
weise  eine  lantgruppe  vokal  +  vokal  a  oder  aus  derselben  durch  kontraktion  entstan- 
dene länge  als  genossen  einer  lautgruppe  vokal  +  nichtvokaL  Ich  behaupte  doBhalb, 
als  eine  hypothese  die  weit  wahrscheinlicher  ist  als  jede  andre  zur  erklfirung  derselben 
beobaohtung  findbare,  dass  die  indogermanischen  langen  ,grundvokale*  aus  dem  einen 
kurzen  grundvokale  (Bechtels  e)  und  einem  folgenden  geschwundenen  konsonanten 
hervorgegangen  sind '.  Das  ablautverhältnis  B:  ö  ist  einfach  ein  e:o  mit  geschwun- 
denem folgenden  konsonanten.  Im  ablautverhältnis  ^ ;  ö  ist  dagegen  ein  solcher  kon- 
sonant  geschwunden,  der  älteres  e  in  a  gewandelt  (oder  auch  urspr.  a,  das  sonst  S 
wird,  konserviert)  hat  War  die  entstehung  des  ä  :  ö  aus  ea  :  oa  schon  darum 
unwahrscheinlich,  weÜ  dort  lücksohreitende,  hier  fortschreitende  kontraktion  vorläge, 
so  können  wir  ein  ä  und  d,  aus  einem  e  und  o  und  geschwundenem  folgenden  kon- 
sonanten entstanden,  tatsächlich  neben  einander  finden.  Im  englischen  ist  mittelen^. 
or  zu  o£Ehem  ö  (ä),  ß{r)^  8tö{r)m  usw.,  dagegen  mittelengl.  erznä  geworden,  fä(r) 
me.  fer,  sUHf)  me.  sterre,  dä(r)k  rae.  derk,  ha(r)t  (geschr.  heart)  me.  herie  usw. 
Ein  neuengl.  8tä(r)v(e)  :  *8tö{r)ven  aus  me.  sterve :  storven,  derselben  ablautreihe  wie 
help :  holpen  angehörig,  besteht  zufällig  in  der  Schriftsprache  nicht  mehr,  da  das  ver- 
bum  (wie  auch  help)  schwach  geworden  ist,  könte  aber  bestehn.  Der  konsonant,  der 
im  indogerm.  ä:  ö  geschwunden  ist,  könte  also  möglicherweise  derselbe,  wie  der  hier 
im  neuengl.  geschwundene,  gewesen  sein,  ein  hinteres  r,  verschieden  vom  Zungen- 
spitzen-r.    (Ein  andrer  häufig  schwindender  konsonant  ist  ?,  vgl.  ne.  taJ(l)k,  fo{l)k.y. 

Die  oben  besprochene  Schwächung  a  der  „langen  grund vokale*^  ist,  ebenso  wie 
die  i,  u  aus  urspr.  ai,  au  (hocht.  et,  eu),  nicht  durch  „ausfall  des  a*^  bei  lebzeiten 
des  folgenden  konsonanten,  sondern  durch  kürzung  des  langen  vokals  zu  stände 
gekommen.  Das  einförmige  a  (der  „älteren  schiebt*^)  ist  nicht  Verkürzung  der  hoch- 
tonigen  S*,  (£  (dann  wäre  das  resultat  der  Verkürzung  ein  mannigfaltiges  geworden, 
wie  die  analogische  Verkürzung  der  „jüngeren  schiebt '^),  sondern  vielmehr  kürzung 
eines  einförmigen  untonigen  dl,  das  aus  dem  einheitlichen  ursprünglichen  a  mit  dem 
jedesmaligen  früheran  folgenden  konsonanten  hervorgegangen  war. 

Dass  die  „einsilbigen*'  verbalwurzeln  ursprünglich  zweisilbig  gewesen  sind, 
erkent  Bechtel  mit  Ascoli  und  Fick  (aber  wol  nicht  für  die  wurzeln  auf  langen  vokal) 
an.  Als  „zweisilbige  wurzeln '^  (die,  aber  nicht  nach  Bechtels  aufPassung,  ursprüng- 
lich dreisilbig  gewesen  sind)  bezeichnet  er  s.  193  die  von  Saussure'  sogenanten  udät- 
ta- wurzeln^,  solche  wie  griech.  x£^a-(i^i;^»)y  xQ€fjia-{wvfjii ,  -fiai).  Der  Verfasser 
hält  den  auslautenden  vokal  solcher  zweisilbiger  wurzeln ,  gr.  a  =  skr.  i  (f )  für  ein 
gemeinindogerm.  a,  und  er  hält  ein  wirkliches  und  primitives  Xia  diesem  falle  nicht 
durch  kürzung  entstandenes)  gemeinindogerm.  a  für  den  ursprünglichen  auslaut  solcher 
wurzeln.  In  dem  durch  Saussures  scharfeinn  erklärten  -na  des  präsens  solcher  wur- 
zeln, ^{e)fAa',  präs.  &dfi-vri-fjii,  skr.  fami-,  präs.  ^am-nüt-mi  usw.  (vgl.  jug-,  pris. 

1)  Bremer,  Btr.  11,  265  noto,  scheint  in  der  täuschuug  begriffen  zu  sein,  dass 
in  *ea  *oa  (woraus  nach  ihm  g,  ö)  das  a  wirklich  vorliege,  nicht  hypothetisch  sei. 

2)  „Wie  got.  qifnan,  qifan,  stilan  usf.  zu  skr.  gä^  (griech.  ßä-)^  gü'jaü 
„  singt '',  smjiir  „dieb*"  stehe  *"  (Bechtel  243),  habe  ich  Beitr.  7,  494  zu  erklären 
gesucht 

3)  nach  dem  Dhätupä^ha. 

4)  die  Bechtel  nach  andern  grammatischen  werken  „»^-wurzeln''  (d.  i.  aa-i-t^ 
mit  einem  i  versehene,  im  gegensatz  zu  den  „on-^- wurzeln*'  ohne  das  t)  zu  nen- 
nen vorzieht. 


Ü6KR  BECHTEL,  HAUPTTROBLEUS  DER  INDOOERM.  LAUTLEHRE  385 

ju-ne-g-mi  >  skr.  jtmdgmi;  cru  ^hören'',  präs.  cr-ne-u-mi  >  skr.  ^rnomi)  ist  ihm 
das  ä  ^kontraktionsprodukt'^  (s.  206)  von  e  (des  elements  -ni-)  und  dem  wurzelvokal 
a,  was  er  für  das  ä  in  Xi&ta  abwies.  Für  Saossure,  und  ebenso  für  mich,  ist 
natürlich  das  (t  des  präs.  -na^mi  dasselbe  wie  das  u  in  Xäd^to:  für  mich  ist  das  -ns'- 
entstanden  aus  dem  element  -"ne-  und  dem  geschwundeneu  konsonanten,  von  wel- 
chem oben  die  rede  war,  und  dieser  war  der  wirkliche  auslaut  der  wurzel,  wenn 
man,  von  dem  ursprünglich  folgenden  (sog.  ,, thematischen'^)  vokal  absehend,  z.  b.  in 
j{e)ug-  den  konsonanten  g  als  „wurzelauslaut^  bezeichnet. 

Da  wir,  wo  wir  von  „wurzeln*  sprechen,  nicht  die  wirkliche  wurzel,  d.  h. 
das  urwort,  sondern  tatsächlich  in  unsem  wöiiern  vorliegende  bestandteile  zu  meinen 
und  anzusetzen  pflegen,  so  werden  wir  auch  jenen  unbekanten  konsonanten  bei  der 
ansetzuDg  der  wurzel  ignorieren  und,  wie  die  wurzel  von  ImS^h}  und  Xuv&dvw  als 
läcUt  oder  ladk,  ebenso  im  wurzelauslaut  mit  Bechtel  ein  -a  ansetzen.  Einem  derc-, 
veid-,  jeug-j  lüdh-  entspiicht  Bechtels  ansetzung  dema-,  tera-  usw.,  einem  drc-, 
vid-fjtig-,  ladk-  entspricht  die  ansetzung  der  wurzel  als  dnia-,  tra-K 

Oft  ist  beobachtet  worden,  dass  „zweisilbige*  oder  „udätta- wurzeln*  und  kür- 
zere „einsilbige*,  „anudätta- wurzeln*  neben  einander  stehn,  vgl.  Saussure  s.  260, 
Kretschmer  KZ.  31,  395,  Bechtel  s.  195.  So  svep-  „schlafen*  (skr.  svdptum)  und 
svepa-  (skr.  svapi-)^  ves-  „kleiden*  und  vesa-  (skr.  vasi-^  gr.  ia-v6g)^  ver-  „wäh- 
len* (skr.  vrtd-)  und  vera-  (vrnJtCj  vürnä-)^  ster-  (skr.  sirtd-,  siärtum)  und  stera- 
(skr.  stlrnd-,  stdrVtum,  stärtman-)^  ereu-  „hören*  und  creva-  (>  (Jrö-,  xlv-\  i^eu- 
„opfern,  anrufen*  (wovon  das  germ.  „gott*  und  das  wort  idg.  ^heut(f,  gen.  ^kutSrds, 
">  nom.  skr.  hötä  „opferer,  hauptpriester*,  altn.  godi)  und  ^eva-  (skr. kütd-,  hdvi- 
man-).  Osthoff  meint  MU.  4,  279:  „Bas  misliche  seiner  ganzen  theorie  tritt  bei 
de  Saussure  besonders  s.  260  fg.  hervor,  wo  er,  auf  eine  anzahl  unserer  fälle  mit 
t",  it  zu  sprechen  kommend,  sich  nur  so  zu  helfen  weiss,  dass  er  mehrere  wurzeln 
für  „udättäs*  und  „anudättäs*  zugleich  erkläit').  £s  scheint  doch  klar  zu  seia, 
dass  diese  längeren  „zweisilbigen  wurzeln*  sich  zu  den  kürzeren  nicht  anders  ver- 
halten, als  durch  andre  konsonanten  „erweiterte*  wurzeln,  z.  b.  ^heud  „giessen* 
(ßitäa,  fundo)  zu  i^keu  (;^^/to),  dass  also,  wenn  wir  den  in  dem  langen  ä  geschwun- 
denen unbekanten  konsonanten  mit  (dem  zeichen  des  umgekehrten  V)  A  bezeichnen, 
z.  b.  das  zweisilbige  stera-,  ui'spr.  stara-Aa^  eine  erweiterung  des  urspr.  stara  ist, 
wie  steru'y  urspr.  stara-va  eine  andre  erweiterung  derselben  wurzel  (skr.  stfnomi^ 
lat.  struoy  got  straujan,  vgl.  Bechtel  210),  und  dass  überhaupt  die  uraprünglich  in 

1)  Diese  lezte  weise  der  ansetzung  der  wurzeln  verglich  ich  Engl.  stud.  3,  151 
der  in  der  semitischen  grammatik  üblichen.  Vom  Standpunkte  meiner  hypothese  aus, 
welche  die  „langen  grundvokale*  durch  die  annähme  geschwundener  konsonanten 
erklärt,  wären  „zweisilbige  wurzeln*^  auf-a,  wie  die  oben  angesezten  0^(e)ma-,  t(e)ra- 
mit  einem  teiminus  der  semitischen  grammatik  als  wurzeln  „tertiae  gutturalis* 
(solche  mit  mitlerem  a  wie  UTdh  als  „mediae  gutturalis**)  zu  bezeichnen,  wenn  näm- 
üch  die  geschwundenen  konsonanten,  wie  höchst  wahrscheinlich,  welche  man  sich 
auch  denken  mag  (gutturales  oder  kehlkopf-r,  h,  der  Spiritus  lenis  usw.),  gutturale 
oder  kohlkopfkonsonanten  gewesen  sind  (neben  welchen  die  A;- laute  natürlich  nicht 
,, gutturale*  genant  werden  dürfen). 

2)  „Ich  fürchte*,  fährt  OsthofF  fort,  „dass  diese  so  ausnahmsweise  zugelassenen 
zwitterwurzeln  schliesslich  nicht  eine  winzige  minderheit,  sondern  bei  weitem  die 
grosse  mehrheit  aller  sein  werden*.  „La  liste  de  ces  variations  no  serait  Jamals 
nnie*  hatte  Saussure  selbst  bemerkt  (s.  246,  note).  Ygl.  Joh.  Schmidt,  Pluralb. 
380  fg. 

ZEITSCHRIFT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGUE.     BD.  XXV.  25 


386  MÖLLtB 

Wirklichkeit  dreisilbigen  wurzeln  durch  hinzutritt  eines  Clements  ans  älteren  wirklich 
zweisilbigen  hervorgegangen  sind.  Was  aber  die  hinzugetretenen  elemente  ursprÜDg- 
lich  bedeutet  haben,  ist  natürlich  in  den  meisten  fiülen  verborgen. 

Die  einsilbigen  auf  langen  yoJ[al  ausgehenden  wurzelformen  von  udätta- wur- 
zeln,  wie  atrO-  (lat  gtrOtus)  zu  siera-,   fasst  Bechtel  s.  207  fgg.  (vgl.  201  fg.)   als 
entstanden  durch  „dehnung^  des  auslautenden  wurzelvokals.    Die  ansieht  Saussares, 
der  die  in  Europa  erscheinenden  r,  l  mit  folgendem  langen  vokal  indischem  %r,  Ur, 
und  europ.  m,  n  mit  folgendem  langen  vokal  indischen  Qn,  ü  gleichsezte  und   aus 
langer  liquida  oder  nasalis  sonans  hervorgehen  Hess,   weist  Bechtel  s.  212  mit  recht 
ab.     (Ebenso  Kretschmer,  KZ.  31,  400.     Beide  zeigen,   dass  der  lange  vokal  nach 
der  liquida  oder  dem  nasal  gemeinindogermanisch  ist.)    Aber  auch  Bechtels  ansieht 
ist  nicht  richtig.    Richtig  urteilt  über  das  rä  Kretschmer,  KZ.  31,  403  ^g.    Der- 
selbe komt  „zu  dem  ergebnis,   dass  die  zweisilbigen  odor  udätta- wurzeln  nicht  wie 
die  einsilbigen  eine,  sondern  zwei  stai'ke  formen  besitzen*^:  die  r&  (mä,  vä,  ja  usw.) 
sind  hpchtonformen  gleich  den  era  {ema,  eva,  e/a).    „Wie   sich   diese  doppelform 
erklärt**,  sagt  Kretschmer,  „ist  eine  frage  für  sich**:  er  meint,  es  „dürfte  die  annähme 
am  nächsten  liegen,   dass  den  beiden  starken  formen  -er-ä^  -zu  gründe  liegt  (O*  = 
a,  Sf  d),  d.  i.  Wurzel  -jr  angetretener  langer  vokal.    War  die  zweite  silbe  betont,  so 
wurde  er^^  zu  r^';  trug  dagegen  die  erste  silbe  den  ton,  so  sei  der  lange  vokal  redu- 
dert  worden.    Ganz  richtig  ist  das  nicht.     Zunächst  ist  der  besitz   zweier  starker 
formen  nicht  eine  eigentümlichkeit  der  sogenanten  udätta -wurzeln:  auch  zahlreiche 
sogenante  „einsilbige**  wurzeln,   nämlich  solche  mit  drei  konsonanten  (den  apiritns 
lenis  eingerechnet),  die  gleich  jenen  ursprünglich  dreisilbig  gewesen  sind,  zeigen  den 
hochtonigen  vokal  bald  vor  dem  zweiten,   halb  vor  dem   dritten   konsonanton.    So 
erscheint  neben  detv-  ein  ^eu-  aus  urspr.  ddfava  :  dajdva;   neben  dere-  „sehn"  ein 
dree-  aus  urspr.  ddraea  :  dardca;  pero  (ahd.  as.  fergän)   „fragen**  neben  pree  aus 
päraca : pardca;  ceru-  (skr.  ^fnlfmi)  neben  creu  „hören**  dXß  edrava :  earäea^.  Wie 
sterU'  neben  streu-  „ausbreiten**  ein  stdrava :  stardva,  ebenso  ist  stera'  neben  strH- 
ein  urspr.  stdra-Af^  •  stard-A^i"    Die  Urbedeutung  der  doppelheit  atertk-  und  strä-  in 
der  verbalfiexion  hat  dagegen  wol,   nach  Benfey  (in  der  Kieler  monaisschrift  1854), 
Bechtel  richtig  erkant.    Die  differenzierung  war  ein  dynamischer  Vorgang.    Ursprüng- 
lich  bezeichnete  wol   die  form  mit  dem  accent  auf  erster  silbe  {dra)   ein  tempus 
imperfectum,  die  mit  dem  accent  auf  der  zweiten  (arcQ  ein  tempus  perfectum.    Oder 
(vgl.  Bechtel  s.  190  fgg.)  jene  erate  wurzelform  bezeichnete  die  „besondem**  Zeiten 
(präsens,  imperfekt),  diese  zweite  die  „algemeinen**  (perfekt,  aorist,  futur),  v^.  dree- 
in  skr.  fui  druksjä'mi  neben  derc-  (&^Qxofna)\  ghrebh-  „greifen**  in  skr.  perf.  gagräbha 
neben  gherbh'  (in  ahd.  garba  „garbe**)'. 


1)  Oft  erscheint  der  vokal  an  erster  steUe  anlautend  als  a  anstatt  des  erwar- 
teten e,  S.  die  von  Saussure,  Mem.  275 — 283  zusammengestelten  „phenomenes  spe- 
ciaux„:  aus^  :  ves-,  auks- :  veks- ,  (*anbh-)  anibh- :  nebk- ^  {^amdh-)  andh-  :medh' 
usw.  Ob  ein  später  verlorener  urindogermanischer  konsonant,  den  ich  hier  mit  ' 
bezeichnen  will,  ein  folgendes  ^  in  a  gewandelt  (oder  das  ursprüngliche  o  konser- 
viert) hat,  'eits  (>•  au8):*ife8,  aus  ^dvasa.-^avdsa? 

2)  Wie  das  perfekt  scheinen  überhaupt  tieftonwörter  ursprünglich  nur  von  der 
zweiten  form  der  wurzel  gebildet  zu  sein;  so  dfotta-,  djeus-  (gen.  divds)^  nicht  cidtr-«. 

Komparativ  und  Superlativ  werden  von  der  zweiten  wurzelform  gebildet  neben 
einem  positiv  von  der  ersten  form,  vgl.  PBBeitr.  7,  506. 


ÜBER  BBCHTEL,  HAÜFTPHOBLEHE  DBB  INDOGKBM.  LAUTLEHBB  387 

Die  verschiedenen  konsonanten,  denen  die  langen  vokale  ihre  entstehung  ver- 
danken, können  zu  verschiedenen  zeiten  geschwunden  sein:  wenn  der  schwimd  des 
unbetonten  zweiten  nnd  dritten  vokals  trilitteraler  wurzeln  (vor  dem  konsonanten  eines 
Suffixes)  wie  derc-  aus  ddraea*^  älter  ist  als  der  Schwund  des  konsonanten,  dem  das 
hochtonige  ä  seine  länge  dankt,  dann  kann  das  von  Eretschmer  als  zu  gründe  liegend 
angesezte  -erä,  das  einer  wurzelform  mit  zwei  e- vokalen  wie  derec  entspräche,  in 
dieser  gestalt  nicht  existiert  haben  und  der  vorliegende  kurze  vokal  (gr.  a,  skr.  i) 
kann  dann  nicht  reduktion  des  langen  ä  sein.  Der  konsonant  muste  in  diesem  falle 
zwischen  konsonanten,  wenn  es  ihm  möglich  war,  auf  eignen  beinen  stehn,  event. 
zum  selbstlauter  werden  (wie  das  u  in  -ert^)^  und  dieser  selbstlauter,  wenn  er  nicht 
vokal  war,  konte  nachtrfiglich  in  einen  vokal  übergehen.  Bechtel  betont  s.  206  (aber 
von  der  irrigen  Voraussetzung  ausgehend,  dass  dies  -a  ein  ursprüngliches  sei)  den 
unterschied  des  im  auslaut  „zweisilbiger  wurzeln*^  erscheinenden  -a  von  dem  a,  das 
kürzung  der  „langen  grund vokale '^  ist:  er  schreibt  aber  beide  mit  dem  gleichen  zei- 
chen a,  (Eretschmer,  der  den  laut  in  beiden  fällen  für  reduktion  einer  länge  hält, 
schreibt  wie  Brugmann  in  beiden  föllen  9.)  Bechtel,  der  also  zusammenfall  der  bei- 
den nach  ihm  „strenge  zu  scheidenden*^  elementß  in  dem  einen  laute  a  annehmen 
muss,  lässt  trotzdem  die  beiden  laute  in  den  verschiedenen  sprachen  zum  teil  einen 
verschiedenen  weg  einschlagen.  Im  griechischen  haben  wir  das  gleiche  a,  ebenso 
nach  s.  208  dasselbe  a  im  lateinischen,  im  indisch -iranischen  das  gleiche  i  (und  7), 
aber  nur  die  „ kürzung*'  a  wird  hier  unter  nachträglich  sich  einstellendem  hochton 
durch  d  vertreten,  nicht  der  auslaut  der  udätta-wurzel*.  Im  germanischen  legt 
Bechtel  der  „ kürzung*'  die  Vertretung  a  (s.  239  fgg.),  dem  ,,wurzelauslaut*'  dagegen 
die  Vertretung  u  bei  (s.  206  fg.)'-  &hd.  antä,  lat.  atuis;  ahd.  hintcc,  gr.  xegafög; 
dazu  das  germ.  u  in  der  endung  des  perfekts  =  gr.  «,  skr.  i.  Dieser  im  germa- 
nischen durch  u  vertretene  laut  kann  nicht  wo!  das  von  Bechtel  angenommene  a 
gewesen  sein  (indogerm.  o  in  endungen  wird  lautgesezlich  nicht  durch  germ.  t«,  son- 
dern durch  germ.  a  verti'eten,  vgl.  Beitr.  7,  537).  Brugman  wählt  sein  zeichen  for 
den  laut  „in  anlehnimg  an  den  gebrauch  des  9  für  den  „indistinct  vowel-sound'"' 

1)  Wo  der  lezte,  der  sogenante  thematische  vokal,  vor  dem  anlautenden  kon- 
sonanten eines  Suffixes  fehlt,  ist  sein  Schwund  gewiss  eben  so  alt,  wie  der  des  unbe- 
tonten ursprünglichen  -a  im  auslaut  des  sell:itändigen  wertes  (s.  o.  s.  376):  der 
Schwund  des  unbetonten  zweiten  vokals  (des  in  derco-  geschwundenen)  mindestens 
eben  so  alt,  warscheinlich  noch  älter. 

2)  Betontes  sanskr.  -<l-,  das  wurzelauslautendem  skr.  -«',  gr.  -a  zur  seite  steht 
lässt  Bechtel  s.  195  —  99  vielmehr  giiechischem  -e-  oder  -o-  in  xaU'{aaai),  duö-^aaai) 
entsprechen.  Dieses  kann  richtig  sein.  (Auf  die  -€,  -o  im  auslaut  zweisilbiger  wur- 
zeln und  die  ihnen  zur  seite  stehenden  längen  'S,  -ö  vermag  ich  hier  nicht  einzu- 
gehn.) —  Bechtel  meint  (195  fgg.  208),  das  „ursprachliche  a''  (gr.  a,  skr.  t),  das  „in 
der  zweiten  silbe  des  ursprachlichen  wertes  steht,  und  zwar  hinter  der  tonsilbe'', 
laute  ab  mit  betontem  e  (gr.  xiXa-  :  xal^-^  skr.  ^äsi- :  ^asä-^  Dieses  bin  ich  nicht 
im  stände  für  richtig  zu  halten.  Das  sanskr.  a  =  gr.  €,  o  in  pari  ^vtMänt-  neben 
3.  sing,  fvdsi-ti  „schnaubt*'  usw.  (s.  196)  ist  in  meinen  äugen  sicher  der  thematische 
vokal,  und  zwar  entweder  der  der  älteren  und  küi'zeren  anudätta-wurzel,  oder  der 
der  udätta- Wurzel,  in  dem  lezteren  falle  also  der  dem  geschwundenen  konsonanten 
ursprünglich  folgende  vokal  (vor  dem  der  konsonant  spurlos  geschwunden  wäre): 
sanskr.  vamor-  =  griech.  /f^^-  (für  lautgesetzL  *fafjii-)  aus  irnnS-  wäre  also  ent- 
weder urspr.  vamd-  oder  raw^(i-. 

3)  nach  Bezzenberger,  Beitr.  17,  216  note,  der  hinzufügt,  dass  e  in  hd.  hirux, 
miluh,  seüuf  vor  solchem  wurzelhaften  t«,  nicht  aber  vor  einer  svarabhakti,  zu  • 
werde. 

25* 


388  MÖLLER 

(Ghrondr.  1,  101).  Der  laut,  den  Bnigmann  im  äuge  hat,  den  Sweet  und  andre  zum 
teil  durch  9,  zum  teil  und  wie  mir  scheint  besser  (da  das  zeichen  a  dazu  verführt 
einen  e- artigen  laut  zu  sprechen)  dui'ch  das  a- ähnliche  zeichen  (des  umgekehrten  v) 
a  bezeichnet  haben,  kann,  w^ie  ich  glaube,  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  als  jeder 
andre  dem  im  auslaut  der  udätta- wurzeln  erscheinenden  grundsprachlichen  vokal  bei- 
gelegt werden:  Bechtels  tera-,  BiTigmanns  ierd-,  Bezzenbergers  tero-  (woraus  gr. 
T(Qa^  skr.  tari-)^  wofür  man  auch  schreiben  kann  tera-,  hätte  demnach  etwa  wie 
engl,  terror  gelautet.  Im  neuengl.  ist  dieser  vokal  besonders  häufig  in  unbetonten 
Silben,  die  früher  ein  (in  der  schrift  bis  heute  foiigeführtes)  r  enthielten,  das  vor 
seinem  Untergang  ein  hinteres  r  war.  Wenn,  wie  oben  vermutet,  das  indogerm.  ä 
entstanden  ist  wie  der  gleiche  laut  in  ne.  8iä{r)^  das  mit  ihm  ablautende  indogerm.  ö 
wie  der  gleiche  laut  in  ne.  8tö(r)nij  dann  kann  der  eben  angesezte  indogerm.  laut  in 
tera-  (aus  täraAo)  aus  selbstlautend  gewordenem  hinteren  r  (oder  auch,  wie  im  engl, 
meistens,  aus  schwachem  vokal  -|-  hinterem  r)  hervorgegangen  sein.  Der  Übergang 
dieses  vokals  im  sanskrit  in  i  wäre  dasselbe  „unrounding*^,  das  dem  selben  unbeton- 
ten vokale  in  englischen  mundarten  oft  begegnet,  der  Übergang  in  den  entsprechen- 
den front -glide-vowel  (wio  in  der  in  die  gebildete  spräche  aufgenommenen  ausspi-ache 
der  zweiten  silbe  von  j^Mra^  für  das  ältere  jezt  „vulgär*^  gewordene  ^^Misaus'^  der 
romane,  d.  i.  -sas  mit  a  als  Vertreter  des  ursprünglichen  r).  Der  Übergang  im  grie- 
chischen in  (K  ist  leicht  zu  begreifen^  und  die  entstehung  des  germ.  u  aus  diesem 
laute  begreiflicher,  als  es  die  aus  jedem  andern  kurzen  vokal  ausser  urspr.  o  und  u 
wäre.  Ebenso  ist  begreiflicl\  der  schwund  dieses  vokals.  Im  litauischen  ist  der  aus- 
laut der  ^zweisilbigen  wurzel*^  zwischen  konsonanten  geschwunden,  dehnung  dos  vor- 
hergehenden e  und  d  und  gestossene  betonung  hinterlassend  (s.  Bezzen berger  in  sei- 
nen Btr.  17,  221  fgg.,  danach  kurz  Bechtel  s.  227):  ger-ve  „kranich*  y^qa-vog,  mel-su 
„melke*^  vgl.  got  miluks,  dntis  „ente^*. 

Den  hochtonformen  e^a  und  e^a  stehn  als  untonformen  t  und  ü  zur  seite, 
von  Saussure  erklärt  (aus  ia,  ua^^  die  auch,  neben  $a,  %a,  als  untonformen  gegen- 
über den  zweiten  hochtonformen  jßy  ykä  erecheinen  (vgl.  Eretschmer,  EZ.  31,  383  fg., 
svadurs  :  goi  stU-s).  Saussure  hat  nun  als  Schwächungen  von  era,  ema,  aia  die- 
sen f ,  ü  parallele  grundsprachliche  lange  selbstlautende  liquiden  und  nasale  angenom- 
men, die  im  sanskr.  durch  ir,  ür,  an,  ä,  im  europäischen  veiischieden,  zum  grossen 
teile  durch  liquiden  oder  nasale  mit  folgendem  langen  vokal  vertreten  seien.  ,Die 
Voraussetzungen,  auf  welche  de  Saussure  seine  aufstellung  von  idg.  langen  f  (m,  n) 
begründete*^,  haben  Osthoff  (Morph,  unters.  4,  rv)  und  Brugmann  (Grundr.  1,  252  fg.) 
„im  wesentlichen  unbeachtet  gelassen,  dagegen  die  daraus  gezogene  folgerung  ursprach- 
licher langer  liquida  (und  nasalis)  sonans  bereitwillig  anerkant*^  (Kretschmer,  KZ.  31, 
4(X)).    Dass  im  sanskrit  %r,  üTj  an,  ä  die  schwache  stufe  zu  ari,  ami,  ani  dar- 

1)  Ein  a  ist,  wie  auch  aus  starkem  vokal  e  +  hinterem  r  (westföl.  dasken 
„dreschen'^)  häufig  aus  unbetontem  nhd.  -er  der  schrift  entstanden.  Vgl.  eine  steÜe 
dor  Flieg,  blätter,  die  ich  aus  dem  gedächtnis  widergebe:  Schalterbeamter:  . . .  „macht 
in  summa*^  so  imd  so  viel.  Bäurin:  „In  summa?  Wie  ^iel  macht's  denn  nacha  im 
winta?*. 

2)  Nach  vorhergehendem  tieften  (was  selten  vorkam,  da  es  nach  ursprüng- 
licher regel  statt  töla-  vielmehr  tUf  -  hoissen  muste,  s.  s.  386  note  ^)  scheint  der  laut 
algemein  geschwunden  zu  sein,  bevor  dehnung  in  offner  silbe  eintreten  konte,  daher 
TdA-(^a)  neben  rela-,  rala-. 

3)  wenn  ich  für  den  rest  dieses  abschnittes  a  für  Saussures  ^  setzen  darf. 


ÜBSB  BKCHTRL,  HAUFTPBOBLUIE  DSB  INDOOEBM.   LAUTLEHBX  389 

stelle,  ist  unwiderleglich  von  Saussure  bewiesen:  dass  jenen  lautgruppen  aber  indo- 
germanische lange  liquida  und  nasalis  sonans  zu  gründe  liege,  haben  unabhängig  von 
einander  Eretschmer  (a.  a.  o.  395  fgg.)  und  Bechtel  (216  —  233)  widerlegt,  die  auch 
beide  gezeigt  haben,  dass  jenen  europäischen  r&j  lä  {rö,  /ö),  mä,  nä  {nS)  yielmehr 
indoiran.  rä,  lä,  md,  nä  entsprechen. 

Die  Schwächung  der  hochtonigen  ir,  Sl,  im,  en  vor  vokalen  war  (s.  o.  s.  369, 
in  Bechtels  bezeichnung)  9r,  9l,  9m,  9n,  woraus  skr.  ir,  ur,  am,  an.  Schwächung 
der  hochtonigen  h'a,  Sla,  ema,  ina  war  demgemäss  9ra,  9la,  9ma,  9na  (Bechtel  9ra, 
Eretschmer  ^^9  usw.).  Im  griecliischen  sind  diese  lautgruppen  durch  itQa^  nXa,  a/xa, 
opa  vertreten,  die  Saussure  (267.  273,  Bechtel  s.  230)  nicht  zu  erklären  weiss: 
ßägaS'gov,  rdXttg,  xdfxaTog,  S-dvaros.  Im  sanskrit  entsprechen  den  griech.  aga,  cda 
in  einzelnen  fällen  das  erwartete  tri,  uri,  uli  (Bechtel  230  fg.)S  in  den  meisten 
fällen  jene  ir,  ür.  Dass  der  vokal  in  skr.  ir,  ur,  am,  an  und  in  ir,  ür,  am,  ä{n) 
qualitativ  der  gleiche  ist,  betonen  beides  Eretschmer  und  Bechtel  als  wesentlich  und 
wichtig.  Eretschmer  sezt  diese  skr.  fr,  ür,  am,  fl(n)'  unmittelbar  =  giiech.  aga, 
ttXa,  ttfitty  ttva,  und  dieses  halte  ich  für  das  richtige.  Er  bemerkt  (EZ.  31,  402 
oben,  409  unten),  dass  der  wurzelauslaut  skr.  i  „unter  dohnung  des  vorangehenden 
Yokals  geschwunden*^  ist.  Die  dehnung  in  fr  für  iri  usw.  ist  der  gleiche  Vorgang 
wie  in  den  eben  gesehenen  litauischen  er,  61,  an  (auf  welche  auch  Bechtel  hinweist) 
aus  idg.  era,  ela,  ana,  Bechtel  nimt  indessen,  was  ich  nicht  für  richtig  halte, 
s.  232  neben  den  idg.  9ra  usw.  eine  gomeinindogerm.  zweite  Schwächung  an,  deren 
resultat  9f  usw.  war,  die  Verbindung  des  „schwachen  vokales  mit  der  langen  nasalis 
oder  liquida  consonans*^.  Die  Inder  und  Eranier,  erklärt  er  (229),  hätten  „die  deh- 
nung von  dem  konsonanteu  auf  den  vokal  verlegt*^  ^.  Ohne  Saussure  hätten  wir  hier 
schwerlich  die  zeichen  f,  m  usw.  gesehen,  sondern  statt  dessen  die  sonst  für  konso- 
nanteu übliche  doppelschreibung  (oder  ist  der  längensb'ich  gesezt  um  dem  äuge  for- 
men wie  ^r9mmtö-,  r>  ski*.  ^ä7Ud- ,  zu  ersparen?).  Die  assimilation  des  a  (oder 
auch  des  ihm  zu  gründe  liegenden  konsonanten)  an  die  r,  m,  n  würden  wir,  wenn 
vor  konsonanten,  um  so  eher  vor  vokalen  erwarten,  wo  wii*  sie  nicht  sehn  (vgl. 
oben  s.  386,  anm.  ')*, 

Eine  zweite  gemeinindogermanische  Schwächung  der  „zweisilbigen  wurzeln*^ 
auf  -a  habenwir  vielmehr  in  der  der  zweiten  hochtonform  auf  -ä  ohne  vorhergehen- 

1)  Parallele  mögliche  ami,  ani,  von  denen  Bechtel  nichts  sagt,  sind  von  den 
ursprünglich  hochtonigen  6mi,  äni  nicht  sicher  zu  scheiden;  es  gibt  jedoch  einige 
imi  (s.  205  fg.). 

2)  an  ward  ä  vor  t  in  vortoniger  silbe,  am  ward  On  vor  dentalen  (Joh.  Schmidt, 
Plur.  170  fg.,  Bechtel  220  fg.). 

3)  „Dass  die  Eranier  anteil  nahmen'',  meint  Bechtel,  „geht  aus  ihrer  mit  der 
indischen  übereinstimmenden  behandlung  der  langen  vokale  hervor ''.  Die  Eranier 
haben  avest  ä  =  skr.  ä  (xäta-,  skr.  gätd-  „geboren^),  aber  avest.  are  =  skr.  fr 
(dareya-  „lang*^  skr.  dlrgßiä-^  arema-  „arm,  hand'^,  skr.  frmo-).  Liest  Bechtel  also 
däreya-?  Oder  ist  ihm  are  =  jenem  skr.  iri?  Eretschmer  erklärt  dagegen  (s.  396): 
„die  vokallänge  in  fr,  ür  ist  also  ausschliesslich  indisch*'. 

4)  Im  litauischen  haben  wir  (nach  Bezzenberger,  Beitr.  17,  214  fgg.)  als 
Schwächung  der  „zweisilbigen  wurzeln*'  vornehmlich  ur,  ul,  um,  die  Bechtel  den 
skr.  fr,  ür,  an  gleich  sezt,  neben  lit.  ir,  il,  im,  in.  Von  urspr.  e}^,  6;|a  hat  das 
litauische  (Bezzenb.  217  fgg.)  noch  die  Schwächungen  uv,  ui.  Dies  ui  ist  natürlich 
nicht  das  urspr.  f ,  sondern  jüngere  analogische  speciell  litauische  Schwächung:  das  a 
wird  vor  seinem  Schwund  im  litauischen  die  f«-färbung  angenommen  haben  und  diese 
ist  dann  in  den  ur,  ul,  um,  ui  auf  den  vorgehenden  selbsÜauter  übertragen. 


390  MÖLLER 

den  yo^al  zur  seite  stehenden  sohwächnng  auf  a  (oioht  a),  gr.  «  =  skr.  «,  wie  in 
xixkttfievf  über  welche  Eretschmer  s.  404  1);.,  der  lateinische  und  germanische  bei- 
spiele  mit  a  beibringt,  Bechtel  kurz  s.  206. 

Zweiter  teil:    „Aus  der  lehre  Yon  den  konsonanten*'. 

9.  kapitel    „Die  gutturale*  (8.291  —  380). 

An  stelle  der  einen  Schleicherschen  ik- reihe  nimt  der  Verfasser  mit  Bezzenber- 
ger  (Beitr.  16,  234  fgg.)  und  Osthoff  (Morph,  unters.  5,  note  s.  63  fg.)  nicht  zwei, 
sondern  drei  grurdsprachliche  lautreihen  an: 

1)  eine  g- reihe  (q,  3,  3A),  Osthoffs  „  postvelare '^,  Brugmanns  „velare  Ter- 
schlusslaute  mit  labialisierung  in  den  tf- sprachen*^. 

Im  german.  ist  das  nachgeschlagene  tf  vor  (yorgermanischem)  0,  ö  (germ.  o, 
ö)  und  u,  ü  lautgesetzlich  verloren  gegangen. 

Im  griechischen  verlieren  g- laute  nach  v  die  labialisierung  (s.  353,  nach  Saus- 
suro  Mem.  de  la  soc.  de  ling.  6,  161),  wie  in  X&xog,  xiJxXog,  vyQog,  ßov-xolag  (neben 
Inno-  usw.  -n6kog),  Tor  0  lehnt  Bechtel  (s.  355)  mit  recht  eine  Vertretung  der 
9 -reihe  durch  x- laute  statt  durch  tt- laute  ab  (ausser  der  ion.  stamform  xo-^  die  in 
der  enklise  entstanden  sein  wird):  Bugges  Zusammenstellung  von  xolnog  mit  alt- 
schwed.  hwüfr  „wÖlbung*^  erklärt  er  für  nicht  zwingend  (xöXnog  ist  vielmehr 
dem  ahd.  kalba  verwant).  Vor  c  und  t  werden  9 -laute  in  einer  bestirnten  dialekt- 
gruppe  des  äolischen,  die  Bechtel  (s.  358)  nachFick  „achäisch*^  nennen  will,  durch  n- 
laute  (ausser  in  thessal.  x«;,  kypr.aig^  =  Tig)^  im  übrigen  griechischen  durch  t- laute 
vertreten.  Worte  der  griechischen  spräche,  die  ;r- laute  vor  e,  t  statt  dieser  erwar- 
teten T -laute  zeigen  (nirQa,  ß(a  „gewalf^,  ß(og  „leben '^)  müssen  aus  jener  achäischen 
dialektgruppe  stammend 

2)  eine  JI;- reihe  {k,  g^  gh)^   Osthoffs  „palatovelare*^ ,   Brugmanns  „volare  ver- 

schluBslaute  ohne  labialisierung  in  den  t^- sprachen*'. 

Das  griechische  allein  gibt  zu  bemerkungen  anlass.    Während  nach  Brugmann 

ik- laute  ohne  labialisierung  vor  e,  »  im  griech.  x- laute  bleiben,  sind  nach  Bezzen- 
berger  (16,  248)  und  Bechtel  (359)  auch  die  ä;- laute  vor  (^  »  normalerweise  durch 
T- laute  vertreten  {ah^o),  d€k(pvg,  Telx^vtg),  Doch  sind  für  diese  reihe  vor  €,  t  tat- 
sächlich X- laute  häufiger,  wie  in  xikrig,  x^vtqwv,  y^Qtcvog,  xifpitXii:  Bechtel  will  die- 
selben (s.  367),  „fals'^  sie  „nicht  sämtlich  aus  anders  vokalisierten  formen  eingeführt 
sind'',  als  Wirkungen  einer  Schuchardtschen  „rein  lautlichen  analogie*'  erklären,  was 
wenige  werden  aoceptieren  können.  —  Im  äolischen  hat  die  7 -reihe  in  die  x- reihe 
übergegriffen  (Bezzenberger  16,  253  fgg.,  Bechtel  361  fg.):  labiale  als  Vertreter  die- 
ser reihe  müssen  wider  aus  dem  achäischen  stammen,  vor  €,  i  {6(pMa>,  äftmlog 
neben  äyxiov)  und  vor  andern  lauten  {növog  neben  ^uixovog,  ßaaTdC(o)\ 


1)  Diese  von  haus  aus  untonige  pronominalform  muss  also  in  diesem  dialekte 
in  der  enklise  das  ^  verloren  haben,  bevor  A^  zu  tt  werden  konte. 

2)  Aber  knCarafiM,  das  Bechtel  (s.  361)  wie  Bezzenberger  (16,  237)  zu  diesen 
Worten  stelt  als  „ denominativum  von  ^Tnaxo-  =  skr.  cütd-  „verstand*'*',  hat  doch 
gewiss,  der  alten  annähme  gemäss,  die  präposition  km.-  und  gehört  zur  wurzd  arä- 
wie  «verstehn",  ahd.  fir-stän,  fir-stantan,  ae.  for-stondan,  ne.  under-sUmi, 

3)  0.  Hoffinann,  Bezz.  beitr.  18,  149  fgg.,  will  aus  dem  eioen  thessal.  xi^ 
schliessen,  dass  9 -laute  „in  allen  griechischen  dialekton  vor  hellem  vokale  das  t 
verloren"  haben,   dagegen  die  äolischen  xr- laute  neben  ionisch -dorischen  r- lauten, 


»■  •      -. 


ÜBER  BBCETKL,  HAUPTPBOBLKICE  DBB  INDOOBBM.   LAÜTLBHBB  391 

3)  Die  p- reihe  (Bechtel  schreibt  mit  Fiok  p,  i,  zh.    loh  schreibe  wie  früher 

Diese  lautreihe,  die  die  meisten  mit  mir  für  eine  reihe  palataler  yersohlnss- 
lante  gehalten  haben  (Die  palatalreihe  der  idg.  grundspr.  Leipzig  1875)  hält  Bechtel 
(s.  370  fg.)  mit  Joh.  Schmidt  (EZ.  25,  134  fg.,  Urheimat  der  Indogermanen  8)  und 
Fick  (Vgl.  wb.  *)  für  eine  grundsprachliche  reihe  palataler  Spiranten.  „Welchen  weg 
die  palatalen  Spiranten  zurückgelegt  haben  um  bei  den  westeuropaischen  gutturalen 
verschlusslauten  anzugelangen,  entzieht  sich  der  erkentnis*^.  Bechtel  sagt  zunächst 
gar  nicht,  welchen  lautwert  er  seinen  „palatalen  Spiranten*^  beigelegt  wissen  wüL 
Meint  er  den  palatalen  Spiranten  /  (wie  in  nhd.  ich)  mit  einem  dazu  gehörigen  tönen- 
den /  und  aspirierten  yA?  Dann  wären  diese  Spiranten  im  westeuropäischen  unmit- 
telbar, ohne  Zwischenstufe,  in  verschlusslaute  übergegangen,  zunächst  in  palatale 
verschlusslaute,  die  dann  neben  nicht  palatalen  lauten  zu  velaren  wurden:  der  Über- 
gang tonloser  Spiranten  in  tenues  ist  nicht  selten,  der  tönender  Spiranten  in  medien 
sehr  geläufig  (vgl.  das  anlautende  g  des  niederdeutschen,  das  erst  neuerdings  in  einem 
grossen  teil  des  gebietes  media  geworden  ist  aus  älterem  im  nnl.  erhaltenen  Spiran- 
ten). Bechtel  aber  meint  gewiss,  nach  den  von  ihm  verwanten  zeichen  zu  sohliessen, 
den  laut  des  skr.  p  (=  poln.  ^  und  dazu  gehörige  tönende  z,  zh.  Diese  mouillier- 
ten oder  palatalen  8 -laute  wären  dann  zunächst  zu  ;^- lauten  geworden  (wie  im  spa- 
nischen geschehen)  und  diese  auf  dem  eben  angegebenen  wege  zu  A;- lauten. 

Ich  kann  mich  der  auffassung  Bechtols  nicht  anschliessen.  £ine  ursprüng- 
liche (nicht  aus  einer  reihe  von  verschlusslauten  erwachsene)  reihe  palataler  Spiranten, 
aus  tonlosem,  tönendem  und  tönendem  aspirierten  gliede  bestehend,  könte  erst  ange- 
nommen werden,  wenn  auch  andre  dreigliedrige  spiiuntenreihen,  oder  mindestens 
eine  solche  nachgewiesen  wäre,  neben  dem  dentalen  8  ein  x  und  ein  xh  (wol  zu 
merken  ein  vom  8  von  haus  aus  geschiedenes,  nicht  aus  ihm  in  tönender  Umgebung 
hervorgegangenes  x^).  Eine  dreigliedrige  Spirantenreihe,  die  palatale,  eine  für  Spi- 
ranten abnorme  tönende  aspirata  mit  umfassend,  ohne  parallele  Spirantenreihen,  aber 
neben  den  dreigliedrigen  reihen  der  verschlusslaute,  könte  zunächst  nur  aus  einer 
filteren  reihe  von  afi&ikaten,  ti,  dz,  dzk,  hervorgegangen  sein,  welche  laute  nirgends 
ursprünglich  sind,  sondern  aus-  palatalen  verschlusslauten  erwachsen  zu  sein  pflegen. 
Diesen  schluss  zieht  Bechtel  nicht.    Es  wäre  also  nur  die  ost-indogerm.  Wandlung  der 

wo  ihnen  lateinische  und  germanische  je? -laute  entsprechen,  aus  urspr.  kv,  gv,  gkv 
erklären.  Dies  lezte  könte  in  einigen  oder  allen  fallen  richtig  sein.  Hoffmann  weist 
hin  auf  S-i^q  =  äol.  tpi^Q  (aus  ghve  r-  :  ostslav.  ^Sr^  mit  ^  als  ergebnis  der  zweiten 
slavischen  palatalisierung,  nicht  ^,  während  das  westslav.,  poln.  xtoiirx^,  dech.  xvir, 
und  das  lit  zveri-s  auf  palatalen  anlaut,  wie  ihn  Hoffmann  für  das  wort  annimt, 
xhveris,  zurückweisen).  Aber  woher  sollen  denn  die  übrigen  äol.  tt- laute  vor  heUen 
vokalen  stammen,  denen  nicht  lai  germ.  jo- laute,  sondern  ^- laute  entsprechen? 
Die  beschränkung  auf  lat.  ^rm.  p- laute  ist  schwerlich  hältbar:  Hoffinann  hat  selbst 
ein  loch  in  seine  regel  genssen,  indem  er  auch  dem  zahlwort  „vier*'  trotz  lai  qua- 
tttar  den  urspr.  anlaut  kv  statt  q  zuerteilt  (äol.  niav^eg  für  *7rvavQ€g,  aus  der 
schwachen  form  kuiv-,  wie  (pirvw,  Id-vg  aus  *(pvTV(a,  *vd'vg  usw.?).  Die  konsequenz 
würde  gewiss  sein,  dass  alle  q,  3?  3^  für  ursprüngliche  k,  g,  gh  -j^  v  erklärt  wür- 
den (über  xi^  s.  o.  s.  389  note  *).  [Ursprüngliche  q  -^  v  nimt  0.  Wiedemann  an  In- 
dogerm.  forschungen  1,  256.] 

1)  Bartholomaes  indogerm.  xh,  das,  wenn  begründet,  eine  solche  lautliche 
entwickelung  gewesen  wäre  (gxh,  hxh  aus  gh,  hh  +  s),  ist,  nach  Eretschmers 
bemerkungen  EZ.  31,  433  fg.,  von  Bartholomae  selbst  zurückgenommen  Idg.  forsch. 
1,  313. 


Mb      Am 


392 


liOLLER 


paUtalen  verschlusslaute  zu  einer  gemeiDindogermanischeD  gemacht,  im  übrigen  nichts 
gewonnen :  das  westeuropäische  wäre  nur  auf  einem  weiten  umwege'  wider  zum  ausgangs- 
punkte  zurückgekehrt  Bechtel  hält  die  annähme  einer  gemeinindogermanischen  palata- 
len  spiranienreihe  darum  für  notwendig,  weil  die  griechischen  x,y,x  dieser  reihe  nicht 
durch  folgende  palatale  vokale  c,  t  gewandelt  werden:  er  meint  darum,  die  sprossen  der 
p- reihe  könten  nicht  verschlusslaute  gewesen  sein  zu  der  zeit  wo  die  sprossen  der 
k'  und  der  g- reihe  vor  palatalen  vokalen  palatalisiert  wurden.  Ich  glaube  nicht,  dass 
wir  in  einem  so  komplicierten  falle  wie  diesem  mit  Sicherheit  sagen  können,  dass  wir 
alle  möglichkeiten  des  lautwandels  übersehen:  es  kann  sehr  leicht  ein  fehler  in  der 
rechnung  bestehn.  So  kann  in  unserm  falle  der  fehler  leicht  da  Uegen,  wo  wir  einen 
schwachen  punkt  bemerken,  in  der  von  Bechtel  angenommenen  Vertretung  der  k- 
reihe  vor  c,  «  im  griechischen.  Die  x- laute  der  xdrig,  y^Qavog,  in  denen  Bechtel 
die  Unregelmässigkeit  sieht,  könten  mit  Brugmann  die  regelrechten  Vertreter  dieser 
il- reihe,  die  r- laute  in  aiHa)  und  genossen  dagegen  die  regelrechten  Vertreter  der 
9 -reihe  sein,  und  die  Unregelmässigkeit  entweder  in  diesen  vorgriechischen  q,  s,  ^ 
oder  in  den  aussergriechischen  Vertretungen  dieser  g- reihe  liegen'.  Die  k  (entspre- 
chend überall  die  modien  und aspiraten)  wären  dann  vor  «,  t  zu  palatalen  ^,  gleich- 
zeitig (wie  im  ostslavischen)  die  A^  (alte  kv,  wie  alte  gf*^,  die  zusammengefallen 
waren)  zu  palatalen  K^  geworden:  diese  palatalen  Ji^  (aus  welchen  achäisch  n) 
wären  darauf  im  nicht  achäischen  griech.  zu  t'^^  woraus  r,  umgesprungen,  während 
die  palatalen  U  im  übrigen  blieben  und  mit  den  giTindsprachlichen  palatalen  zusam- 
menfielen. 

Angenommen  jedoch,  dass  Bechtels  prämissen  richtig,  so  müste  ich  seine 
Schlussfolgerung  bis  auf  weiteres  gelten  lassen.  Aber  ich  würde  dieselbe  doch  nur 
gelten  lassen  können  für  das  griechische,  nicht,  wie  Bechtel  will,  für  das  gomein- 
indogermanische.  Brugmann  in  seinem  Orundriss  §  380  nahm  einen  dialektischen 
unterschied  in  der  behandlung  der  palatalen  (Bechtels  p- laute)  für  die  indogerm. 
grundsprache  an.  Ich  halte  dieses  für  richtig.  Diese  differenz  braucht  für  die  grund- 
sprache  in  nichts  anderem  bestanden  zu  haben,  als  dass  im  weston  reino  palatale 
verschlusslaute  K,  g,  gh,  im  osten  diese  laute  mit  nachgeschlagenem  >  oder  j  gespro- 
chen wurden,  JU^  ^,  g/ifi  (ebenso  wie  das  gemein -englischfriesische  ein  solches  JK| 
gehabt  hat  =  tie.  ee,  an  stelle  des  spätem  engl,  eh,  fries.  tx,  sth,  sz  usw.).  Das 
griechische  würde  sich,  wenn  Bechtel  it^cht  hat,  zum  osten  gestelt  haben.  Die  wei- 
tere entwickelung  wäre  im  osten  gewesen  Uj  >  t'ä  >  ä  (oder  stellenweise  vielleicht 
iy  >  ty  >  /),  entsprechend  gj  ">  nfi  ">  z  (oder  gj  >  d'y  >  y):  im  griech.  wären 
endlich  die  palatalen  Spiranten  auf  dem  oben  angegebenen  wege  zu  verschlusslauten 
X,  y  gewoitien*.  Es  könten  auch  wol  jene  U*  oder  Kj  gemeinindogermanisch  gewesen 
sein:  im  italischen,  keltischen,  germanischen  wäre  dann  die  palatale  affektion  auf- 
gegeben, ebenso  wie  heute  auf  Seeland  die  gemeindänischen  K'j,  gj  {ig,  gj  der  schrift) 
zu  X',  ^  geworden  sind.    Anzunehmen,  dass  die  westeuropäischen  verschlusslaute  auf 


1)  Ä  >«;•><«>  5  >;r  >  k. 

2)  So  könten  z.  b.  ae.  eüfor-iamb,  ahd.  chUburra  „kmm*^,  aus  denen  auf 
ursprünglich  g  für  &(X(fijg^  ASfXiffög  und  zubehör  geschlossen  wird,  den  anlaut  k 
für  kw  von  ae.  eealf,  ahd.  ehalp  übernommen  haben. 

3)  Der  tönende  aspirierte  spirant  sh  zur  tonlosen  aspirata  /  =:  M  nicht  auf 
dem  wege  yÄ  >•  /A  >>  M  (wenn  /,  x  ^^  o^°  ^^^  tonlosen  und  tönenden  Spiranten 
bezeichnen),  denn  /A  wäre  gewiss  mit  /  zusammengefiülen,  sondern  auf  dem  weg« 
yÄ  >  ^Ä  >  M. 


ÜBER  BBCHTEL,  HAÜFTPBOBLSUE  DER  IMDOGKRM.   LAUTLEHRE  393 

demselben  umwege  wie  die  griechischen  entstanden  seien,  ist  (wenn  Bechtel  für  dsa 
griech.  recht  hat)  ebenso  wenig  notwendig,  als  es  um  des  schwedischen  tx  (ti,  ti)^  j 
willen  nötig  wäre  anzunehmen,  die  seeländischen  U^  g  seien  zunächst  aus  palatalen 
Spiranten  /'  oder  i  mit  dazu  gehörigem  tönenden  hervorgegangen. 

Bechtel  nimt  (s.  364  fgg.  370  fg.)  mit  Job.  Schmidt  einen  Zusammenhang 
zwischen  den  griechischen  t,  &,  &  als  Vertretern  der  beiden  ersten  reihen  und  den 
indoiranischen  und  slavischlitauischen  palatalen  an.  Die  grundsprache,  meint  er 
(371),  habe  eine  palatale  9'- reihe  und  eine  palatale  K- reihe  gehabt  (vor  palatalen 
vokalen  an  stelle  der  q-  und  A;- laute),  für  eine  dritte  palatale  X5- reihe  an  stelle  der 
Bechtelschen  p- reihe  sei  kein  räum.  Dieses  lezte  argument  ist  nicht  zwingend:  waren 
diese  ältesten  palatale  schon  zur  stufe  Xf»  {Kj)  vorgerückt,  dann  könte  daneben  wol 
eine  vom  parasiten  noch  nicht  afficierte  Xf- reihe  aufkommen.  Aber  dass  die  beiden 
reinen  palatalreihen,  die  9'- reihe  und  die  X^-i*eihe,  wie  in  Westeuropa  geschehn, 
reinlich  auseinander  gehalten  wären,  scheint  mir  höchst  unwahrscheinlich.  Ein 
palatales  oder  mouilliertes  q'  hätte  auch  schwerlich  den  labialen  nachschlag  1^  erfah- 
ren, den  das  9  in  Europa  ohne  das  slavisch- litauische  erfahren  hat  Sicherer 
würde  es  dann  sein,  wie  eventuell  die  palatale  affektion  der  c-i*eihe  (l^  oder  £;'), 
ebenso  die  labiale  affektion  der  9 -reihe  schon  der  grundsprache  als  gemeinindoger- 
manisch zuzuschreiben,  q**  oder  qv  (woraus  vor  palatalen  vokalen  q'^  oder  9  r) ': 
die  labiale  affektion  wäre  im  osten  nachträglich  wider  geschwunden  wie  die  palatale 
im  Westen. 

Den  Zusammenhang  zwischen  der  griechischen  palatalen  affektion  der  beiden 
hinteren  A;- reihen  und  der  indo- iranischen  will  ich  durchaus  nicht  bestreiten,  da 
lautwandlungon  bis  in  die  späteste  zeit  über  die  grenzen  von  dialekten  und  sprachen 
hinweg  sich  verbreiten  können:  jedenfais  ist  dieser  palatalismus  jünger  als  die  affek- 
tion der  grundsprachlichen  palatalreihe.  Ein  terminus  ad  quem  für  das  eintreten 
jener  affektion  im  osten  ist  die  indoiranische  Wandlung  des  e  in  a.  Im  slavisch- 
litauischen hat  noch  das  gemeinslavolit.  ^,  das  an  stelle  des  Bechtelschen  9  erecheint, 
Ä;> laute  in  derselben  weise  beeinflusst  wie  die  älteren  e  und  i.  Im  griechischen  steht, 
wenn,  wie  ich  zu  glauben  geneigt  bin,  Brugmann  gegen  Bezzenberger  und  Bechtel 
recht  hat,  natürlich  nicht  allein  die  affektion  des  ^  und  kv,  die  zu  t  führte,  son- 
dern ebenso  die  durch  diese  vorausgesezte  affektion  des  k  in  U  (s.o.)  in  xäXffg,  yiQa- 
voq  mit  der  indoiranischen  und  slavolitauischen  palatalisierung  beider  hinteren  A;- reihen 
in  Zusammenhang.  Mie  diesen  griechischen  palatalen,  die  x^  y^  x  blieben,  verhielt 
es  sich  genau  ebenso  wie  mit  den  speciell  litauischen  k,  g  vor  palatalen  vokalen, 
die  auch  reine  palatale  verschlusslaute  geblieben  sind.  Der  grundsprache  jedoch  kann 
diese  im  osten  geschehene  affektion  dieser  beiden  reihen  nicht  mit  Sicherheit  zuge- 
schrieben werden.  Bei  ansetzung  grund  sprachlicher  formen  darf  sie  (bei  dem  jetzigen 
stände  unserer  kentnis)  nicht  in  der  schrift  bezeichnet  werden,  denn  solte  sie  bereits 
indogermanisch  gewesen  sein,  so  wissen  wir  nicht,  ob  nicht  auch  (wie  im  heutigen 
russischen)  alle  möglichen  andern  laute  durch  folgenden  palatalen  vokal  mouilliert 
oder  palatalisiert  worden  sind,  so  dass  wir,  wenn  wir  q',  U  vor  e,  %  schreiben,  vor 
denselben  vokalen  auch  t\  p\  n^  m\  i  usw.  schreiben  müsten. 

Das  lezte  10.  kapitel  (s.  380—390)  lehrt  in  der  Überschrift:  „/  gehört  der 
Ursprache   an''.     Dies  folgt  aus  „Fortunatovs  regel'^    (Bezz.   beitr.  6,  215—220), 

1)  Sezt  man  dieses  «',  «<,  so  kann  man  sich  mit  einer  reihe  von  zeichen,  k,  g, 
gh,  begnügen:  g^B^ni-s,  ikhd-s  usw. 


«    "^l^i«.* 


394  8UM0NS 

Dach  welcher  /  +  dental  im  sanskrit  mit  schwand  des  l  durch  den  lingual  vertreten 
wird  {ani-  «achsennagel'^  aus  cUni-,  ahd.  lun;  patala-  «dach,  hülle,  decke,  Schleier" 
ans  peU'y  gr.  nilrfi,  altn.  feldr  «decke*^;  pufa-  „falte*^  auspZto-  oder  Bechtels  paUo-y, 
während  r  +  dental  im  skr.  unverändert  bleibt.  Ausnahmen  von  der  regel  sacht 
Beohtel  auf  den  lezten  Seiten  385  fgg.  zu  erklären,  entweder  durch  geschehene  dia- 
lektmischung  innerhalb  des  indischen  oder  durch  systemzwang  (wie  wenn  das  pari 
pün^  »^oU^  das  r  seines  wurzelverbs,  prfis.  piparmi  „fülle*  festgehalten  hat  Ich 
glaube  eher,  dass  ür  aus  qU  überhaupt  auszunehmen  ist,  da  hier  der  dental  ursprüng- 
lich nicht  unmittelbar  folgte,  ü'rna  „wolle*',  mardhän-  m.  «haupt''  ae.  acc.  moldan 
m.  „Scheitel*^). 

Die  nach  dem  vorwort  gestrichenen  kapitel  und  namentlich  den  „anhang  über 
den  ursprachlichea  accent''  möchten  wir  dem  Verfasser  nicht  gänzlich  schenken: 
hoffentlich  kann  er  uns  einmal  in  der  folge  seine  gedanken  imd  seine  resultate  auch 
betrefs  dieser  probleme  in  einer  gestalt  vorlegen,  die  ihn  selbst  und  uns  befriedigt, 
wie  das,  was  er  uns  in  dorn  vorliegenden  buch  gegeben,  wenn  auch  wol  nicht  alle, 
doch  hoffentlich  die  meisten  leser  und  jedesfals  den  unterzeichneten  referenten  im 
grossen  und  ganzen  befriedigt  und  dem  Verfasser  zu  dank  verpflichtet  hat 

Einige  zu  ende  des  buches  nicht  berichtigte  druckfehler,  die  ich  mir  bemerkt 
habe,  sind:  s.  114,  z.  3  v.  o.  lies  a//n.  (oder  a»s/.?)  statt  aesn.  S.  226  in  der  noie 
1.  213  statt  253.  S.  328,  z.  10  v.  o.  1.  Ifl  statt  kSf.  8.  340,  z.  15  —  17  waren  nicht 
die  k  unter  südeurop.,  die  h^  unter  germ.  zu  setzen,  sondern  die  beiden  reihen 
kt  k^  usw.  ohne  Zwischenraum  zusammenzudrucken. 

FREDRRIXSBERO  (kOPBNHAOXN)  ,  FKBB.   1892.  HSUfANN  MÖLLKR. 


Die  Y^lsungasaga.  Nach  Bugges  text  mit  einleitung  und  glossar  herausgegeben 
von  WniMlm  Baiüseh.  Berlin,  Mayer  k  MüUer.  1891.  XVm,  216  s.  8. 
m.  3,60. 

Die  bestinunung  der  vorliegenden  ausgäbe  ist,  wie  der  herausgeber  im  vorwort 
bemerkt,  „für  lehrzwecke,  insbesondere  für  die  erste  nordische  lektüre*'  zu  dienen. 
Aus  personlicher  erfahrung  möchte  ich  der  Verwendung  der  Y^lsungasaga  für  den 
angedeuteten  zweck,  trotzdem  sie  den  nicht  gering  anzuschlagenden  vorteil  bietet, 
dass  sie  den  anfänger  in  einen  ihm  teilweise  bekanten  stofkreis  einführt,  nicht 
unbedingt  das  wort  reden.  Dass  die  Y^lsungasaga  den  älteren  tslendingasQgur  sti- 
listisch weit  nachsteht,  ist  bekant  Bedenklicher  aber  ist  ein  anderer  mangel,  der 
munittelbar  aus  der  entstehungsweise  der  saga  hervorgeht  Als  paraphrase  von  alten, 
vielfach  bearbeiteten  und  interpolierten  liedem,  die  dem  sagaschreiber  häufig  genug 
nicht  mehr  verständlich  waren,  ist  die  erzählung  ohne  fortwährende  hinzuziehung 
und  vergleichung  der  zu  gründe  liegenden  Strophen,  die  doch  dem  anf&nger  nicht 
zugetraut  werden  kann,  weder  überall  leicht  fasslich  noch  besonders  genussreich. 
Und  nun  gar  in  den  partien,  wo  durch  die  grosse  lücke  des  Codex  B^ns  die  ver- 
gleichung der  quellen  versagt,  lässt  sich  die  erzählung  häufig  nur  unter  der  voraos- 
setzong  verstehen,  dass  der  Verfasser  Strophen,  deren  Zusammenhang  und  sinn  ihm 
unklar  waren,  in  ungefKhrer  prosaischer  Umschreibung  ihres  Wortlautes  wideigegeben 
hat  So  kann  ich  in  den  kapiteln  28  und  29,  besonders  im  lezten,  oft  nur  ein 
zusammenhangsloses  gestammel  entdecken,  womit  sich  „für  die  erste  nordische  lek- 
türe*  nicht  viel  anfügen  lässt 


ÜBER  YOLSüNOASAeA  ED.   SAinSCH  395 

Doch  soll  durch  dieses  bedoDken  das  verdienst  des  heransgebers  nicht  geschmä- 
lert werden.  Als  einzige  zugleich  ausführliche  und  zusammenhängende  quelle  für  die 
nordische  gestalt  der  Nihelungensage  verdiente  die  saga  eino  handliche  neue  ausgäbe. 
Bugges  text  in  den  „Norröne  skrifter  af  sagnhistorisk  indhold*  (Det  norske  oldskrift- 
selskabs  samlinger  YIII)  ist  nicht  leicht  mehr  zu  beschaffen  und  entbehrt  sowol  einer 
einleitung'  als  eines  glossars,  während  Wilkens  ausgäbe  (1878)  sich  über  zwei  bände 
eistreckt  (das  glossar  erschien  1883  besonders)  und  überdies  wegen  ihrer  verwirrenden 
einleitnng  dem  anfänger  nicht  empfohlen  werden  kann.  Sanisch  gibt  nach  einer  ein- 
leitung,  die  meines  erachtens  den  am  wenigsten  befriedigenden  teil  der  ausgäbe  bil- 
det, einen  abdruck  des  textes  (s.  1—79)  und  ein  ausführliches  glossar  (s.  80—212) 
nebst  namenveizeichnis  (s.  213 — 16). 

Der  tezt  ist  ein  mit  Bugges  genehroigung  veranstalteter  abdruck  des  in  den 
,,Norrone  Skrifter*^  veröffentlichten,  doch  in  der  oi'thographie  verschiedentlich  von 
diesem  abweichend.  Ranisch  verwendet  die  typen  ^,  0,  e  (=0»),  e  (=  tf),  braucht 
ß  auch  im  in-  und  auslaut,  x  statt  a  nach  II  und  nn  (mit  nicht  streng  durchgeführ- 
ter Vereinfachung  des  vorhergehenden  consonanten),  ferner  x  statt  eines  dentals  +  s 
und  in  der  medio- passiven  form  des  verbums  (also  z.  b.  ilxka,  menxkr;  sverx,  ox; 
hafax).  Über  die  consequenz  dieser  Orthographie  liesse  sich  bekantlich  mit  dem  her- 
ausgeber  rechten,  zumal  auch  die  vorse  sich  derselben  haben  fügen  müssen;  ich 
unterlasse  es  jedoch  auf  diese  (rage  weiter  einzugehen.  Von  den  besserungsvorschlä- 
gen,  welche  Bugge  in  seiner  ausgäbe  unter  dem  texte,  in  den  anmerkungen  hinter 
dem  texte  und  auf  dem  Umschlag  in  den  „tillseg  og  rettelser'^  bietet,  sind  viele  mit 
recht  aufgenommen,  und  der  herausgeber  hätte  bei  einem  für  anfänger  bestimten 
buche  in  der  herstellung  eines  lesbaren  textes  inihig  noch  etwas  weiter  gehen  können. 
Freilich  war  die  grenze  schwer  zu  ziehen,  wenn  von  dem  eigentlichen  plane,  einen 
reinen  abdruck  des  Buggischen  textes  zu  geben,  einmal  abgewichen  wurde.  Als  bei- 
spiel  erwähne  ich  c.  29,  z.  113  (Bugge  153'*),  wo  Sigur)>r,  indem  er  seine  unaus- 
löschliche liebe  zu  Brynhildr,  auch  nach  seiner  Vermählung  mit  Gu|>run,  beteuert, 
u.  a.  äussert:  en  af  mir  bar  ek,  sem  ek  mätta,  ßcU  er  ek  var  i  konungshqU,  ok 
unßa  ek  ßvi  ßö,  at  vir  vdrutn  qll  saman  usw.  Ich  kann  der  stelle  nur  dann  einen 
vemünfkigen  sinn  abgewinnen,  wenn  man  die  von  Bjömer  vorgeschlagene,  von 
Bugge  fragend  wider  aufgenommene  conjektur  acceptiert:  mdtta,  ßd  er  ek  var  (so 
auch  Wilken  und  G.  Vigfüsson  Cpb.  11,  539),  oder  nach  Bugges  verschlag  in  den 
„tillaBg*^  Pat  ganz  streicht  Die  deutung  der  Überlieferung  in  Ranischs  glossar  s.  v. 
bera  (s.  91^)  vermag  ich  nicht  recht  zu  verstehen;  richtig  übersezt  Edzardi:  „doch 
unterdrückte  ich  es,  soviel  ich  vermochte,  die  weil  {=:ßfi  er  oder  er)  ich  im  königs- 
saale  war*^.  Zum  absoluten  gebrauch  von  bera  af  sSr  in  der  hier  geforderten  bedeu- 
tung  „sich  in  etwas  finden,  sich  über  etwas  hinwegzusetzen  suchen'  vgl.  z.  b.  Laxd. 
0.  76  (ed.  K&lund  283^^):  Oußrunu  ßötti  mikit  fräfall  pwrkeU,  en  bar  ßö  ekqndiga 
af  sSr;  weitere  beispiele  bei  Fritzner*  I,  128*.  In  diesem  wie  in  manchen  ähnlichen 
fällen  hätte  dem  zweck  der  ausgäbe  die  aufnähme  einer  leichten  emendation  besser 
entsprochen  als  die  beibehaltnng  einer  nicht  oder  schwer  verständlichen  lesart  Viel- 
leicht wäre  es  auch  wünschenswert  gewesen,  in  den  dem  texte  einverleibten  Strophen 

1)  Noch  der  mnsohlag  des  dritten  heftes  der  „NorrOne  Skziftar'*  (1873)  Teripridit  eine  einlei- 
tnng, die  n.  a.  nntermchnngen  ,,oin  Tedkommende  aagaer,  aange  og  sagn**  entfaaltn  aolte.  Wir  yer- 
dnnlcen  Bngge  so  viel,  dass  ihn  za  mahnen  undankbar  erschienen  k5nte.  So  mOge  sieh  nur  sehfiditsm 
der  mmsch  hei vai wagen,  dan  anch  diese  einleitnng  nns  noch  einmal  die  leiohe  belehnng  imd  anrsgnng 
■pettde ,  ohne  welche  keiner  von  einer  Boggischeo  arbeit  sich  trent. 


Pa.£-. 


396  SIJM0N8 

erhaltener  and  verlorener  lieder  sichere  metrische  besserungen  nicht  zu  verschmShen, 
also  z.  b.  stf.  22^  vip  himni  in  vip  himin  zu  ändern,  das  auch  sprachlich  den  Vor- 
zug verdient  (vgl.  Vsp.  57'  Hyndl.  42*.  Helg.  Hund.  II,  38  *•  u.  ö.),  sowie  ande- 
rei*8eit8  metrisch  verderbte  zeilen  irgendwie  als  unrichtig  zu  bezeichnen,  wie  z.  b. 
str.  23  ^  bliku  reipi  (reid  Cd.)*  Unter  dem  teide  ist  auf  die  quellenstellen  verwiesen, 
dagegen  sind  die  handschriftlichen  lesarten,  wo  der  tert  von  ihnen  abweicht,  nicht 
verzeichnet. 

Im  gl  ossär  liegt  entschieden  der  Schwerpunkt  von  Ranischs  arbeit.  Der  her- 
ausgeber  bat  es  „in  nahem  anschluss  an  Wimmers  musterglossar  zum  (sie!)  Lsesbog 
(sie!)  gearbeitet*^.  Ohne  sein  muster  zu  erreichen,  darf  es  doch  als  sorgfaltig,  ver- 
ständig und  seinem  zwecke  durchaus  entsprechend  gerühmt  werden.  Die  bedeutungen 
sind,  soweit  ich  nachgeprüft  habe,  in  guter  anordnung  aufgeführt,  schwierigere  aus- 
drücke volständig  übersezt,  die  nötigen  grammatischen  fingerzeige  hinzugefugt,  sodass 
es  den  anfänger  kaum  irgendwo  im  stiebe  lassen  dürfte.  Wilkommon  sind  auch  die 
gotischen  entsprechungen ;  hie  und  da  wird  auch  auf  andera  germanische  sprachen 
verwiesen  (so  s.  v.  afl,  afla,  apaldr,  drcUigar,  blatär,  rekkr)^  doch  ohne  ersicht- 
liches System,  unter  aka  wird  gar  lat  tigere  angezogen.  Bichtiger  wäre  es  gewesen, 
wenn  der  herausgeber  sich  aufs  gotische  beschränkt,  hier  aber  nach  möglichster  vol- 
ständigkeit  gestrebt  hätte.  Für  den  anfänger  ist  es  femer  verwirrend,  dass  nicht 
geschieden  ist  zwischen  völliger  identität  der  got  und  an.  Wörter  und  loserem  zusam- 
menhange. Gegen  eine  formel  wie  d  (got.  ana) ,  akr  (got  akrs) ',  hjarga  (goL  bairg- 
an)  ist  nichts  einzuwenden;  aber  bei  bdptr  (got.  bajöps)^  berg,  bjarg  (got  betirga- 
hei)^  daupi  (got  dauptts)  u.  ä.  wäre  ein  „vgl.*^  als  Warnungstafel  wol  am  platze 
gewesen.  Vor  allem  aber  wie  gesagt  hätte  der  herausgeber  den  gotischen  Wortschatz 
noch  eifriger  ausbeuten  können.  Beim  durchblättern  des  glossars  sind  mir  die  folgen- 
den got.  entsprechungen  aufgestossen,  die  nach  Ranischs  System  hätten  angeführt 
werden  sollen:  aldr  (vgl.  got  framaldrs  adj.,  ein  bahuvrihi- compositum?);  zu  atim- 
i^gf  vgl.  got  anns  (Noreen  Ark.  6,  313  fg.);  band:  vgl.  got  bandi;  blaupr:  vgL 
got  blaufy'an;  blömi:  got  *bldma^;  zu  dul  vgl.  got.  dwals  und  seine  sippe;  eigna: 
got  ga-aiginon;  einnhverr:  vgl.  got  ainhwarjixuh;  eypa:  vgl  got  *auPs;  fdr: 
vgl.  got.  *ferja  „nachsteller'';  zu  den  compositis  mit  fjql-  waren  die  entsprechenden 
mit  got  fUu-  heranzuziehen;  zu  fldr  wäre  dem  anfänger  eine  Verweisung  auf  got 
ga-piaihan  nützlich;  [frd:  got  /ra-  findet  sich  nur  in  der  Zusammensetzung];  fripa: 
got.  ga^fripdn;  fyrirkoma:  got.  fa/uraqiman;  gdigi:  got  galga;  gaman  doch  wol 
=  got.  gaman  xoivtavta  II  Cor.  13,  13  (s.  Kluge,  Kuhns  ztschr.  26,  70.  J.  Schmidt, 
Idg.  neutra  s.  25);  gaumr:  vgl.  got  gaumjan;  gipta:  vgl.  got  fra- gifte;  zu  gneipr 
dürfte  got  ganipnan  zu  vergleichen  sein;  gnött:  vgl.  got  ganohs;  gramr:  vgl.  got 
gramjan;  hamr:  vgl.  got  -hani^;  heü:  got  ga-hait;  zu  heida  wäre  zu  verweisen 
auf  got  hoMde  (an.  hqküll)\  heipta:  got  haftjan;  hJjöta:  vgl.  got.  hiauPe  stm«;  zu 
hljöpr,  hl^pa  vgl.  got  *kliup  stn.?  (an.  hf/öp);  hUgja:  got  uf-hldhjan;  krieta: 
vgl.  got  "hriejan;  keyra  entspricht  lautlich  genau  dem  got.  katujanf  und  auch  die 
bedeutungen  lassen  sich  vermitteln;  leyna:  got  ga-laugnjan  (sik);  lifna:  got  af- 
lifnan;  liki:  got  ga-ieiki;  linbrök:  vgl.  got  lein;  zu  Ijöp  vgl.  got  HuPon,  Hußar- 
eis;  menxkr:  got  mannisks;  mettr:  zu  got  vnatjan;  m^l^a:  vgl.  got  rnüka-mödei; 

1)  arkn  881»  ist  ein  unschidlioher  dnickMilor.     BedoDldicher  ist  s.  v.  Mfir:  got.  bmin;  lies 

MRTt. 

2)  Belegt  ist  nnr  aoc.  pl.  bISmana,  doch  vgl.  ansser  an.  bl6mi  auch  ags.  bl6ma,  aa.  bifimo,  tM, 
bbtomD, 


ÜBKR  VOLSüKOASAOA  ED.  RANISCH  397 

ofr  (od.  of):  vgl.  got.  uß6  ^überfluss"  11  Cor.  9,  1;  reyrieinn:  vgl.  got.  raus; 
zu  8€Ur  vgl.  got.  seUjan  ^ wohnen'^;  seinn:  vgl.  got.  aainjan;  sißr  adv.  comp.:  goi 
ßana-seißs;  skapi:  vgl.  goi  skaßis;  anarpr:  vgl.  got  at'Snarjyjan;  snjör:  got. 
snaür^;  sporßr  ist  wol  =  goi  spaürds;  zu  «/flrA;a  vgl.  got.  kleißra-stakeins,  auch 
^stctks  (stakins)?;  sveUa  swv.:  vgl.  got.  swiltan  (an.  svelia,  8valt)\  zu  to^  vgl.  got. 
tikan;  traust:  vgl.  goi  trausti;  üborinn,  ükunnr,  üviss^:  got.  «<9t2)auran^,  «m- 
kunßs,  umceis;  zu  t«^^r,  urt^r,  tiz^^'nn  vgl.  got.  unnuts,  untpita,  uniceniggö;  tdlar- 
lagPr:  zu  goi  umlla;  vargr:  goi  launa-tcargs;  ve:  vgl.  got  weihs;  vist:  zu  goi 
triffan  (an.  »era);  t^^t;  vgl.  goi  fra-weit,  id-weit;  v^'nta:  vgl.  goi  wef^'an  (an. 
9<vmr);  perra:  vgl.  goi  gapairsan;  pS  =  goi  j^c^^iA  (ags.  ^^<iÄ);  porpari:  zu  got. 
ßaürp  (an.  Porp)\  zu  Prutna  vgl.  got.  prutsfill,  us-priutan  (an.  Pfjöta);  Pverliga: 
vgl.  goi  pwairhs;  pyrft:  goi  paürfts;  zu  />y<r  vgl.  goi  put -kaum;  Pqkk:  vgl.  goi 
Pagks;  qvi:  vgl.  got.  atir«;  qndverpr:  goi  andwairps.  Hiermit  sei  die  liste  geschlos- 
sen, obwol  gewiss  noch  manches  übersehen  ist. 

Indem  ich  einzelne  bemerkungen  zum  glossar,  die  sich  natürlich  unschwer 
machen  lassen,  unterdrücke,  hebe  ich  noch  einmal  ausdrücklich  hervor,  dass  ich 
dasselbe  trotz  der  gerügten  nngleichmässigkeiten  als  eine  rühmenswerte  und  nutz- 
bringende arbeit  betrachte. 

Leider  kann  der  einleitung  nicht  dasselbe  lob  gespendet  werden.  Ranisch 
bemerkt  über  sie  im  vorwort,  sie  solle  „einen  überblick  über  die  nordische  Nibelun- 
gendichtung bis  auf  die  Vglsungasaga ^  geben,  unter  besonderer  benutzung  von  Mül- 
lenbofEs  abhandlungen  in  der  Ztschr.  f.  d.  a.  10,  146  fgg.  23,  113  fgg.  und  dem 
(inzwischen  erschienenen)  kommentar  zu  den  eddischen  8igurl>sliedem  (Deutsche  alter- 
tomskunde  V,  2);  manches  eigene  sei  „freilich  mehr  behauptet,  als  bewiesen'^. 
Schwerlich  dürfte  diese  angäbe  über  zweck  und  anläge  der  einleitung  zugleich  auch 
ihre  rechtfertigung  enthalten.  Was  man  an  oi'ster  stelle  in  einer  einleitung  zu  einer 
neuen  ausgäbe  der  Y^lsungasaga  zu  linden  hoft,  eine  erörterung  der  litterargeschicht- 
lichen  Stellung  des  denkmals,  sucht  man  vergebens;  denn  dio  hastigen  notizen  am 
Schlüsse  (s.  Xym),  zwanzig  zeilen,  können  gewiss  nicht  dafür  gelten.  Von  der  Über- 
lieferung, dem  Verhältnis  der  saga  zur  liedersamlmig,  zur  Ragnarssaga,  zur  l'idi-eLs- 
saga,  zu  den  rimui*,  ist  nicht  oder  kaum  die  rode.  Statt  einer  wünschenswerten 
Zusammenstellung  der  litteratar  über  die  saga  wird  der  „  anfanger '^  in  einer  schluss- 
uote  abgespeist  mit  einem  hinweis  auf  meine  Untersuchungen  über  die  Y^lsungasaga 
iu  den  Beiträgen  und  die  einleitung  zu  Edzaixiis  nicht  näher  namhaft  gemachter  Über- 
setzung —  tmd  ist  80  klug  noch  wie  zuvor,  fals  er  nicht  Edzardis  ausgezeichnete 
einleitung  hinzunimi  Anderei'seits  darf  billig  bezweifelt  werden,  ob  demjenigen^  der 
Ranischs  buch  als  „erste  nordische  lektüre*^  benutzen  soll,  mit  dem  zwar  vielfach 
ansprechenden,  aber  nirgends  über  blosse  andeutungen  und  voimutungen  hinauskom- 
menden chronologischen  überblick  über  die  eddische  Nibelungendichtung  gedient  ist, 
der  den  grösseren  teil  der  einleitung  bildet  (s.  XI — XYIII).  Ranisch  unterscheidet 
von  den  alten  liedem  des  10.  Jahrhunderts  —  Reginsm61,  Fäfnismäl,  Sigrdrifumäl, 
das  lied  (oder  die  lieder),  das  c.  26.  27  der  Ys.  zu  gründe  liegt,  Brot  af  Sig.,  das 
fast  volständig  sein  soll,  anfang  und  schluss  der  Sig.  skamma,  Atlakvi{)a,  Ham{>is- 
mäl  —  die  gedichte  einer  zweiten,   um  1000  anhebenden  litteraturepoche,   recapitu- 

1)  Doch  ist  in  der  bedeatong  nimgewiss"  wol  üvias  anzasetzsii  tmd  in  diesem  falle  got.  '«hwim 
xa  vecgleiotien.  Entspredhend  waren  s.  ▼.  iAas  die  bedeatnngen  1)  und  2)  zu  trennen  als  v(m  (got.  -WMt) 
und  viaa  (got.  *-icm<).  Mit  recht  nimt  Bernhardt  tmiMfaMma  I  Cor.  9«  26  (die  einzige  stelle,  wo  sich 
das  wort  findet)  als  Schreibfehler  fOr  unwiaaamma. 


.»r  .       UM 


3d8  8IJMON8,    ÜBER  V0LSUNOA8AOA  ID.  RANI8CH 

lationsgedichte,  Prophezeiungen,  ausmalungen  von  rührenden  Situationen  (s.  XIV — 
XYII).  Als  jüngstes  unter  den  heldenliodern  der  Edda  gilt  ihm  mit  recht  die  rein 
dialogische  Gripiss])^  (s.  XVII  fg.)-  Manche  gute  und  fördernde  bemcrkung  fliesst 
dabei  unter,  kann  aber  eine  blosse  aneinanderreihung  von  behauptungen  über  eines 
der  schwierigsten  litterarhistorischen  probleme  an  ungeeignetem  orte  nicht  rechtfer- 
tigen. Was  nützen  dem  anfönger  annahmen,  wie  die  der  interpolation  von  Fafn.  41 
(s.  XII  anm.  =  DA  V,  367),  die  kritische  Sichtung  der  Sig.  sk.  (s.  XITT,  vgl.  DA  V, 
373  fgg.)i  die  erörterung  über  das  gegenseitige  Verhältnis  der  drei  Guf>runlieder 
(s.  XVn,  vgl.  DA  V,  370.  392.  396  fgg.)  usw.,  wenn  er  sich  nicht  bei  Müllenhofif 
die  nähere  begründung  sucht?  In  einer  besprcchung  der  Deutschen  altertumskunde 
V,  2  komme  ich  auf  einige  der  hier  berührten  fragen  zurück.  Zu  Ranischs  deutong 
von  Sig.  sk.  34 — 41  (s.  XV  fg.),  die  ihm  soweit  ich  sehe  eigentümlich  ist,  darf  ich 
auf  diese  ztschr.  XXIV,  25  fgg.  verweisen. 

Der  erste  teil  der  einleitung  (s.  V — XI)  skizziert  die  vorauszusetzende  frän- 
kische gestalt  der  Nibelungensage,  sowie  die  speciell  nordischen  Umgestaltungen  der- 
selben, die  zwischen  der  ersten  aneignung  der  sage  und  der  eddischen  dichtung  lie- 
gen. In  allen  hauptpunkten  schliesst  Ranisch  sich  an  Hüllenhoff  an,  sodass  auch 
für  mich  zum  widersprach  nur  in  einzelheiten  eine  veranl&ssung  vorliegt  Auf  die 
Brynhildr-Sigrdrifafrage  einzugehen  darf  ich  mir  durch  einen  hinweLs  auf  diese  Zeit- 
schrift XXIV,  1  fgg.  erspai'en.  Mit  MüUenhoff  verlegt  Ranisch  auch  den  wesentlichen 
inhalt  von  c.  1  und  2  der  Vs.  in  die  fränkische  sage:  dem  gegenüber  beharre  ich 
bei  meinem  widersprach  (s.  Pauls  Grundr.  n,  1 ,  24).  Weder  für  die  erzählangen 
von  Sigi  und  Rerir,  deren  namen  schon  genügend  ihren  nordischen  Ursprung  ver- 
raten, noch  für  die  abstammung  des  Welsimgengeschlechtes  von  ö{>inn  lassen  sich 
in  dor  deutschen  sage  die  leisesten  andeutungen  entdecken,  und  Müllenhoff  gelingt 
nur  durch  die  annähme  einer  lücke  in  der  Überlieferung,  die  Ranisch  s.  VI  ,, nicht 
unbegründet '^  findet,  die  herstellung  eines  verständigen  Zusammenhanges.  Gegen 
meine  behauptung,  dass  der  intavvfiog  des  geschlechtes,  Walis,  der  ältesten  fränkischen 
sage  auch  a]s  der  stamvater  desselben  gegolten  habe,  wendet  Martin  in  seiner 
besprechung  der  betreffenden  lieferang  des  grundrisses  (diese  ztschr.  XXTTT,  369)  ein, 
dass  dessen  name  weiter  zurück  deute,  der  „ echte '^  sei  doch  der  echte  abkömling, 
und  man  frage  natürlich,  wessen?  Aber  Walls  (got  walia)  bedeutet  zunächst  nicht 
„echt*^,  sondern  „auserlesen*^,  wie  die  etymologie  und  die  Verwendung  des  got  a^jec- 
tivs^  lehren:  leider  steht  die  bildung  in  den  germanischen  sprachen  vereinzelt  (doch 
8.  Müllenhoff,  Ztschr.  f.  d.  a.  23,  172  fg.),  sie  schliesst  sich  aber  ungezwungen  an 
griechische  ai^ectiva  wie  alri&rig  „unverhohlen'*,  univ&Tig  „unerforscht",  die  mit  der 
für  ein  westgerm.  *wali8  (ags.  Wcels)  vorauszusetzenden  suffixbetonimg  die  bedeutung 
des  part  perf.  pass.  verbinden.  Bragmanns  aussprach:  „adjectiva  von  der  art  des 
gr.  ^jfEvdrig  &va'fitvi]g  sind  [im  germ.]  wol  nicht  vorhanden**  (Grundriss  11,  395) 
bedarf  demnach  einer  einschränkung.  Weshalb  nun  der  stamvater  eines  geschlechtes 
nicht  „der  auserlesene*'  heissen  solte,  ist  nicht  abzusehen.  Ein  Welisung  als  patro- 
nymicum  zu  ^  Walis  (ZE  nr.  X,  1)  =  ags.  Walsing,  an.  Vqlsungr  entspricht  seiner 
bildung  nach  dem  Berhtung  der  Wolfdietrichssage,   welches  patronymicum  gleich fais 

1)  Col.  3, 12  gmoaJUdai  guips,  weihams  jah  vtaKaans  ixlexrol  &eoVy  aytoi  xal  rjyanij/uuro*.  Zwar 
ftbenest  es  Fhü.  4,8.  X  Tim.  1 ,  2  und  Tit.  1 ,  4  gr.  yvi^atogf  «ber  in  der  bedentnng  ,,  trea  beflmdeQ". 
In  der  stelle  n  Tim.  2,  1  hat  waH»6  keine  entsprechnng  im  original.  Bemerkenawert  ist  der  «asschlifle»- 
lidie  gebraneh  soihwadier  formen,  such  da,  wo  man  die  starke  erwartete  (ITim  1,  2.  Tit.  1,4),  dodi 
ebenso  II  Tim.  1,2:  Piauhu  apanuimibu Trimm^iriaH  NmMm  bama. 


KAUrFMANN,   ÜBER  MEYER,   EDDISCHE  XOSMOOONIE  399 

auf  einen  algemein  lobenden  namen  *Ber(a)kt  (got.  hairkts)  ^der  glänzende,  her- 
liche'^  für  den  stamvater  eines  fränkischen  heldengeschlechtes  hinweist  Wie  die 
Ys.  irt,  wenn  sie  Sigmunds  vater  Y^lsungr  nent,  so  ist  in  unseren  mhd.  Wolfdie- 
trichen  die  tradition  bereits  verdunkelt,  wenn  sie  den  vater  der  Berchtonge  selber 
patronymisch  bezeichnen. 

Zum  Schlüsse  noch  ein  paar  einzelheiten.  Attilas  tod  wird  s.  Y  fälschlich  451 
statt  453  angesezi  —  Zu  der  von  Kanisch  s.  YI  angenommenen  Kögeischen  deutung 
des  namens  Sintarfizzilo  vgl.  jezt  Sievers  Beitr.  16,  363,  dessen  bedenken  nicht  unbe- 
gründet sind.  —  BaDisch  hält  s.  YIII  beide  formen  der  sage  von  Sigfrids  tod  — 
draussen  im  walde  oder  im  bette  an  Gu])runs  seite  —  für  alt  und  meint,  sie  seien 
zugleich  nach  dem  norden  gekommen.  Die  frage,  die  bekantlich  in  verschiedener 
weise  beantwortet  ist,  soll  hier  nicht  erörtert  werden,  da  ich  andernorts  auf  sie  ein- 
zugehen gedenke.  Hier  sei  nur  erwähnt,  dass  Ranischs  beiiifung  aut  Golther  Germ. 
34,  280  anm.  diesem  gelehrten,  dessen  auffassung  ich  übrigens  nicht  teile,  schwer- 
lich behagen  wird.  Golther  hat  sich  mit  aller  entschiedenheit  für  die  ursprünglich- 
keit derjenigen  form  der  sage  erklärt,  welche  Sigfrids  tod  in  den  wald  verlegt 
(s.  namentlich  seine  Studien  zur  germ.  sagengesch.  s.  78  fgg.  und  neuerdings  litbl. 
1891,  sp.  264);  und  auch  die  citierte  Germania -stelle  besagt  nicht,  was  Ranisch  her- 
ausliest. 

ORORIKGBN,  9.  DECRHBER  1891.  B.   SIJUONS. 


Die  eddische  kosmogonie.  Ein  beitrag  zur  geschichte  der  kosmogonie  des  alter- 
tums  und  des  mittelalters  von  El.  Hngro  Meyer.  Freiburg  i.  B.,  akademische 
Verlagsbuchhandlung  von  J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck).  1891.  YU  und  118  s. 
3,60  m. 

Im  5.  jahrhundeii;  hatte  ein  byzantinischer  künstler  es  gewagt,  Christus  mit 
den  Zügen  eines  Zeus  darzusteUen,  in  der  absieht,  die  Christen  einen  Christus,  die 
beiden  einen  Zeus  im  bilde  sehen  zu  lassen.  Theodorus  Lector  erzählt,  ein  gericht 
gottes  habe  dem  frevler  die  band  gelähmt  (L.  Dietrichson,  Christusbiliedet  s.  162  fg.). 
So  dachte  schon  die  alte  kirche  über  Synkretismus.  Noch  besass  sie  nichts  von  der 
rigorosen  strenge  der  ecdesia  triumphans  des  11.  und  12.  Jahrhunderts.  In  den  kata- 
komben  sah  man  den  auferstandenen  erlöser  als  Helios  auf  dem  sonnenwagen  zum 
himmel  fahren  oder  den  göttlichen  hohopriester  im  bilde  des  Orpheus  aUer  kreatur 
seine  wunderbaren  werte  verkündigen  (Dietrichson  s.  158.  160).  Es  liegt  etwas  in 
diesen  darstellungen  von  dem  geiste  jener  zeit,  da  nach  Lactanz  die  missionare  von 
der  heidnischen  bevölkerung  der  antiken  weit  zu  hören  bekamen,  dass  auch  sie  an 
einen  gott  glaube,  dass  sie  denselben  gott  anbete  wie  die  Christen  —  mit  dem  ein- 
zigen unterschied,  dass  sie  ihn  nicht  Christus,  sondern  Jupiter  nenne.  Der  gegen- 
satz  der  kirche  zu  der  antiken  kultur  war  ein  total  anderer  als  der  gegensatz  der 
kirche  zu  der  germanischen  welt^  Yen  jener  borgte  die  kirche  das  gewaltige  rüst- 
zeug,  mit  dem  sie  diese  sich  unterworfen  hat.  Es  ist  folglich  ganz  und  gar  unhisto- 
risch, wenn  in  der  vorliegenden  studio  Juvencus  für  einen  Saemundr  zeugnis  ablegen 
solL     Es  ist  damit  gerade  so  bestelt,    wie  mit  dem  taufstein    von   Otfcravakyrka 

1)  Man  beachte  namentlich  den  nntenchied  der  cbristlicfa  anlJsefSrbten  heidnischen  litteimtar 
(Aeachylos,  Sophokles  n.  a.),  worabor  Oieseler,  Kirchengeschichte  I,  1,  225  and  die  daselbst  citierte 
SSchrift  von  Aug.  BOckh  za  yeigleichen  ist. 


' .    ^ 


400  KAX7FFHANN 

(8.  23),  der  nach  Meyer  ums  jähr  1000  (!!)  gearbeitet  ist  und  nnter  alten  Christas- 
Symbolen  Thor  mit  hammer  und  drachen  darstelt  Ich  habe  denselben  im  Stock- 
holmer museum  selbst  gesehen  und  kann  nur  bestätigen,  dass  die  von  Hans  Hilde- 
brand gegebene  deutung  auf  den  steinhauer,  der  am  taufstein  arbeitet,  die  einzig 
mögliche  ist,  H.  Hildobrand,  Fränäldre  tider  s.  24  fg.  (Statens  Historiska  Museum 
s.  77).  Ich  habe  nicht  die  absieht,  auch  den  übrigen  ,, vermumm ungen  ^  die  maske 
zu  lüften.  Es  bedarf  nur  des  beweises.  dass  die  grundvoraussetzung  Meyers,  die 
heidnischen  Germanen  könten  überhaupt  eine  kosmogonie  gar  nicht  gehabt  haben, 
irrig  ist.  Diesen  beiveis  zu  führen,  macht  keinerlei  Schwierigkeiten.  Über  den  baby- 
lonischen Schöpfungsbericht  hat  sich  £.  H.  Meyer  seine  eigenen  gedanken  gemacht, 
die  um  so  weniger  gegenständ  der  discussion  sein  können,  als  die  neuesten  auf- 
schlüsse  der  jüngst  entzifferten  sumerischen  tafel  einen  fachmann  zu  ganz  andern 
resultaten  geführt  haben  (vgl.  Deutsche  rundschau  1891,  juUheft  s.  105  fgg.);  und 
was  den  platonischen  Timaeus  betrift,  so  ist  mit  der  ganz  vereinzelten  sogenan- 
ten  Übereinstimmung,  die  Meyer  s.  107  fgg.  darlegt,  so  lange  nichts  gewonnen,  bis 
Meyer  den  zwergkatalog  als  gleichzeitig  mit  den  umgebenden  partien  nachgewiesen 
und  nach  den  arten  der  dämonen  in  gruppen  aufgelöst  hat  —  eine  Sisyphusarbeit, 
die  nur  in  den  äugen  derjenigen  gelingen  wird,  die  mit  Meyer  glauben,  der  Yölnspa- 
dichter  könte  die  von  heftiger  leidenschaft  ergriffenen  wesen  des  Chalcidius  in  dem 
einen  Al|)j6fr  zusammengefasst  haben  (s.  109).  Mir  falt  bei  diesen  und  andern  sogenau- 
ten  Übereinstimmungen  die  hübsche  geschichte  von  pastor  Richardt  und  Lope  de  Vega 
ein,  die  ich  bei  Joh.  Steenstrup,  Yore  folke viser  fra  middelalderen  s.  272  fgg.  nach- 
zulesen bitte. 

Den  grundirtum  der  Mey ersehen  schrift  bildet  das  Vorurteil,  in  den  eingangs- 
strophen  der  VqlospQ  sei  uns  eine  kosmogonie  überliefert,  das  wort  in  dem  sinne 
genommen,  wie  wir  es  z.  b.  für  den  mosaischen  schöpfongsbericht  zu  gebrauchen 
pflegen.  Meyer  kämpft  gegen  Windmühlen.  Schon  AVilh.  Müller  hat  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  götter  im  Schöpfungsbericht  der  Scandinavier  mehr  als  Ordner 
und  bildner,  denn  als  eigentliche  Schöpfer  der  naturzustände  auftreten.  Den  göttem 
wird  kein  urbeginn,  vielmehr  ein  begrenzter  anfang  wie  ein  begrenztes  ende  zuge- 
messen. Die  ewigkeit  der  materie,  die  ketzerische  philosophenlehre  von  der  priorität 
des  weltstoffes,  welche  der  mittelalterlichen  kirche  so  viel  zu  schaffen  gemacht  hat, 
bildet  auch  den  ersten  differenzpunkt  der  christlichen  und  der  heidnisch -germanischen 
legende.  Die  germanischen  götter  haben  die  geimanische  kulturordnung  geschaf- 
fen, nicht  unsem  planeten,  der  vor  ihnen  gewesen  und  nach  ihnen  sein  wird.  Alles 
liegt  begriffen  in  den  weiten  der  volva:  Bors  syner  petr  es  mipgarß  mairan  seöpo. 
Die  götter  sind  es,  welche  die  heimat  der  menschen  wohnlich  eingerichtet  haben. 
Die  götter  haben  weder  die  riesen  noch  die  zwerge  noch  die  menschen  erschaffen. 
YqI.  10  steht  klar  und  deutlich,  von  den  göttern  sei  eine  art  klassenordnung  der 
zwerge  veranlasst  worden,  und  zwar  sei  Motsogner  der  oberste,  Durenn  der  zweit- 
oberste aller  zwerge  geworden.  Wie  ich  schon  in  dieser  zeitschr.  XXIV,  96  ange- 
deutet habe,  bin  ich  ganz  mit  Meyer  einverstanden,  wenn  auch  er  die  menschen- 
schöpfung  den  zwergen  zuweist  (s.  107).  Askr  und  Embla  haben  die  götter  bereits, 
wenn  auch  als  schwache,  hilflose  wesen,  vorgefunden.  Die  götter  haben  am  men- 
scfaengeschlecht  nach  seinen  anatomisch -physischen  elementen  keinen  anteiL  Ihnen 
verdankt  der  mensch  allein,  was  ihn  zum  kulturwesen  gemacht  hat:  den  geist  und 
die  seele  mit  ihren  trieben,  die  körperliche  erscheinung  nach  form  und  bewegung  der 
Organe,   dazu    das  blut.     Gerade  das   lezte   erscheint    für   die  Germanen    besonders 


ÜBER  METER,  EODISGHE  KOSMOGONIB  401 

bedeutsam,  wenn  man  Leist,  Gräcoitalisohe  rechtsgeschichte  s.  7(56  fgg.  vergleicht 
Mit  all  dem  weiss  sich  Meyer  nicht  zu  helfen  (s.  111  fg.),  und  das  ist  sehr  bezeich- 
nend. Die  vQlya  weiss  nichts  von  der  erschaffung  der  tiere,  nichts  von  der  orschaf- 
ung  der  lichtkörper  usw.  Die  natürliche  weit  des  organischen  und  anorganischen  ist 
älter  als  die  götter.  Das  göttergeschenk  in  die  urzeitliche  natürliche  weit  ist  die 
kultur:  die  götter  stehen  nach  germanischer  Vorstellung  nicht  am  anfang  der  Schöp- 
fung, sondern  am  anfang  der  geschichte.  Man  entschliesse  sich  nur  einmal,  die 
religiöse  Überlieferung  nicht  unter  dem  bilde  eines  gewitterschauspiels,  sondern  als 
Zeugnisse  aus  dem  Volksleben  des  altertums  zu  betrachten  —  und  man  wird  hier  einen 
der  angelpunkte  germanischer  religion  erkennen. 

Meyer  zählt  nun  aber  s.  15  fgg.  eine  reihe  von  belegen  auf,  die  seine  annähme 
bestätigen,  dass  die  Germanen  überhaupt  nicht  reif  dazu  gewesen  seien,  eine  kosmo- 
gonie  zu  erzeugen.  Ich  begnüge  mich,  die  reihe  dieser  belege  nur  um  einen  zu 
vermehren,  der  dem  belesenen  Verfasser  nicht  hätte  entgehen  sollen,  denn  er  ist 
wichtiger  als  Babylon  und  die  Ophiten.  Er  führt  uns  mitten  in  das  herz  Deutsch- 
lands. Als  nämlich  Bonifatius  im  jähre  719  mit  vollmacht  von  papst  Gregor  aus- 
gestattet die  mission  in  Ostfranken  und  Hessen  eräfnete,  wante  er  sich  an  den  bischof 
von  Winchester,  seinen  freund  Daniel,  der  ihm  schon  a.  718  einen  geleitsbrief  aus- 
stelte  und  der  auch  im  späteren  leben  dem  missionar  ein  treuer  berater  gewesen 
ist  Es  zeugt  für  den  ungewöhnlichen  ernst  des  verehrungswürdigen  mannes,  dass 
er  das  bekehrungsgeschäft  nicht  ohne  sorgfältige  Vorbereitung  beginnen  weite.  Er 
hat  sich  von  Daniel  auskunft  erbeten,  wie  er  den  pi'aktisohen  missionsbetrieb  werde 
einzurichten  haben.  Auf  die  anfrage  ist  bei  Bonifatius  ein  schreiben  eingetroffen, 
das  für  beide  männer  ein  schönes  denkmal  acht  humaner  gesinnung  bleiben  wird. 
Der  erfahrene  wanderprediger  spricht  aus  jeder  zeile  dieses  briefes  (Jaffe,  Monumenta 
moguntina  s.  71).  Er  warnt  den  Bonifatius  davor,  sich  zu  niedrige  Vorstellungen 
von  seinem  heidnischen  publikum  zu  machen.  Die  einbildungskrafk  reiche  weit  genug, 
wenn  er  es  unternehmen  wolle,  den  gesichtskreis  der  beiden  von  unserer  erde  auf 
das  unbegrenzte  all  zu  erweitem ,  und  ihr  verstand  sei  scharf  und  geübt  genug,  seine 
apologien  zu  bekämpfen.  Beize  sie  nicht,  indem  du  ihre  vorstellungsweit  lächerlich 
machst;  aber  bemühe  dich  in  ruhig  sachlicher  debatte  ihnen  die  absurden  consequen- 
zen  ihres  glaubens  zu  gemüte  zu  führen:  quatenus  magis  eonfuse  quam  exasperaU 
pagani  erubescant  pro  tarn  abstirdis  opinionibtis  et  ne  nos  latere  ipsorum  nefa- 
rio8  ritus  ae  fabtUas  estiment.  Ich  stehe  nicht  an,  diesen  brief  unter  die  wert- 
volsten  denkmäler  germanischen  heidentums  zu  rechnen;  nicht  bloss  weil  hier  einmal 
der  Vorhang  über  eine  bühne  sich  lüftet,  auf  der  leibhaftige  individuen  stehen,  noch 
mehr  weil  Daniel  seine  missionsgrundsätze  durch  beispiele  erläutert  hat,  und  weil  hier 
einmal  ein  missionar  spricht,  der  es  geradezu  verwirft,  die  heidnische  religion  ein- 
fach zu  negieren,  vielmehr  individuell  aus  der  seele  der  beiden  heraus  irtum  und 
Wahrheit  mit  einfach  logischer  conseqaenz  sich  entwickeln  lässt  Den  reichhaltigen 
brief  kann  ich  hier  nicht  in  seinem  ganzen  werte  behandeln.  Meyer  konte  aus  ihm 
lernen,  wie  unhistorisch  das  bild  ist,  das  er  sich  von  den  Germanen  der  heidenzeit 
gemacht  hat,  wie  irrig  es  war  denselben  jede  fähigkeit  zu  kosmogonischer  Spekulation 
abzusprechen,  wie  richtig  die  YQlospq  die  sogenante  Schöpfung  nicht  auf  das  weltall 
ausdehnt,  sondern  auf  unsem  planoten  einschränkt,  und  wie  lauter  sie  germanisches 
heidentum  überliefeii;,  wenn  sie  von  der  ungeschaffenen,  seit  urbeginn  vorhandenen 
materie  zeugnis  gibt  Daniel  fordert  den  Bonifatius  ausdrücklich  auf:  quodsi  sine 
initio  semper  exstüisse  mundum  eontenderint  —  quod  multis  refutare  ae  eon- 

ZIOTSCHRIFT  F.    DEUTSCHE  PHILOLOOIE.      BD.   XXV.  26 


m     «■»•   ^.»^ 


402  wtnvDi&ucfi 

vineere  doeumenits  argumeniisque  stude  —  tarnen  aUereomtes  inierroga: 
quis  ante  natos  deos  mundo  imperaret?  quis  regeret?  usw.  Die  fortsetzüiig  der 
fragen  schliesst  schon  die  taisache  in  sich,  dass  der  heide  dieselben  nicht  ohne 
antwort  lässt;  und  wolte  man  die  fragen  als  ein  am  grünen  tisch  ausgehecktes  sdiema 
betrachten,  so  widerstritte  dem  schon  die  angäbe  des  briefes:  ne  nos  latere  ipso- 
rum  nefarios  ritu8  ac  fabulas  estiment.  Schlagende  bestätigung  für  den  bericht 
der  v^lva  enthalten  die  fragen:  quomodo  autem  suo  subdere  daminaiui  vel  suijtiris 
faeere  mundum  ante  se  eemper  eonsiHentem  potuerunt?  unde  autem  vel  a  quo  rel 
quando  substiiuiue  out  genüus  primua  deua  vel  dea  fuerat?  Es  entspricht  völlig 
den  intentionen  des  briefschreibers ,  dass  auf  solche  weise  der  missionar  sich  ganz 
an  den  vorstellnngskreis  des  beiden  hingibt,  bis  er  ihn  auf  dem  eigenen  gebiete 
geschlagen  hat  Das  theogonische  problem  bringt  den  beiden  schliesslich  in  die 
schlinge  der  schlussfragen:  uirum  autem  adkue  generare  deos  deasque  alios  aliaS' 
que  auspieantur?  Vel  ei  jam  non  generant^  quando  vel  cur  eeesaverunt  a  eoneu- 
büu  et  partu?  Si  autem  adkue  generant,  infinitus  jam  deorum  effeetue  nume- 
rus est. 

Meyer  erwartet,  dass  sein  buch  nur  von  dem  einzig  richtigen  Standpunkt  aus, 
nämlich  dem  historischen  beurteilt  werde.  Ich  habe  in  vorstehendem  nur  die  historie 
reden  lassen,  die  Meyer  nicht  so  versäumen  solte,  wie  es  in  seinen  büchem  der  &I1 
ist  Was  Meyer  zum  Verständnis  der  Snorreschen  compilation  beigebracht  hat,  ist 
widerum  so  nützlich,  dass  ich  den  wünsch  widerfaole,  er  möge  nicht  länger  wasser 
in  das  bodenlose  fass  giessen  und  sich  begnügen,  das  theologische  quellenmaterial 
der  Oylfsginning  zusammenzutragen.  Die  arbeit  ist  notwendig,  und  man  möchte  sie 
gerne  in  seiner  band  wissen.  Entschliesst  er  sich  dazu,  die  composition  der  Gylfa- 
ginning  zu  zergliedern,  dann  werden  ihm  auch  ihre  heidnischen  quellen  in  anderem 
lichte  erscheinen. 

MARBÜBQ  I.  H.,  DBCEMBIR  1891.  FBIIDBIGH  KAÜFFMAKR. 


Diu  Wärheit,  eine  reimpredigt  aus  dem  11.  Jahrhundert    Von  £•  Weeie. 
Kieler  diss.    65  s.    Leipzig,  G.  Fock.  1891.    2  m. 

,  Textbearbeitung  nebst  darstellung  der  spräche  und  verskunst*  ist  die  auf- 
gäbe, die  sich  der  verfiisser  vorgezeichnet  hat,  und  er  lässt  derogemäss  wie  in  einem 
kleinen  ausschnitte  die  verschiedenen  gebiete  unserer  Wissenschaft  an  uns  vorüber- 
ziehen. Solche  mannigfaltigkeit  wird  leicht  auch  die  leistungen  etwas  beeinflussen, 
vor  allem  wenn  ein  so  vielumstrittones  gebiet  wie  die  metrik  nur  neben  andern  zur 
darstellung  komt  Freilich  Weede  lässt  die  versknnst,  die  er  festgestelt  hat,  grund- 
legend auch  auf  die  textbearbeitung  zurückwirken,  womit  sich  seine  Stellung  in  die- 
sen fragen  sofort  kenzeichnet  Er  sagt  selbst  (einleitung  s.  8):  ,Mit  grösserer  freiheit 
bin  ich  verfahren,  wo  es  sich  darum  handelte,  die  zwei  verse  eines  reimpaares  auf 
die  gleiche  hebungszahl  zu  bringen;  in  solchen  fallen  habe  ich  öfters  eine  ent- 
behrliche Partikel  oder  eine  überflüssige  adverbiale  bestimmung  als  mutmass- 
lichen Schreiberzusatz  gestrichen.  Die  berechtigung  solcher  änderungen  (^ube  ich 
kapitel  Y  nachgewiesen  zu  haben '^.  In  diesem  kapitel  geht  der  Verfasser  jedoch 
zunächst  von  der  Voraussetzung  aus:  ,|Wir  dürfen  dem  dichter  nicht  zutrauen,  dass 
er  vei'se  von  ungleicher  hebungszahl  zu  reimen  verband  *^  (s.  47)  und  streicht  dann 


i^BKS  WBEDB,  WABBStT  403 

je  nach  bedürfois  nicht  nur  adverbia  wie  vil  (v.  64.  80)';  tcol  (ü9),  sondern  aach 
Possessivpronomina  wie  mtne  in  mine  vil  liehe  (v.  27),  das  doch  in  v.  126  unbean- 
siandet  blieb;  ähnlich  iutoer  in  69.  Auch  inhaltsvollere  werte  werden  gestrichen, 
wie  in  75  {churxen  xüeri)\  der  parallelismns  wird  aufgehoben  in  68  (für  &ne  wnr- 
xen  unde  äne  aaf  ähnlich  27),  der  sinn  verändert  in  49.  Vor  allem  fehlen  ver- 
suche, zu,  erklären,  inwiefern  die  Schreiber  zu  einschaltungen  kommen  konten;  z.  b. 
wäre  in  einer  stelle  wie  182  des  sulen  si  die  not  Men  die  auslassung  des  pronomens 
durch  einen  Schreiber  viel  leichter  erklärlich,  als  umgekehrt  der  einschub.  In  vers 
122.  123  tut  die  Umstellung  bei  Weede  der  syntax  gewalt  an.  Wo  nun  aber  die 
Streichungen  nicht  ausreichten,  teilt  Weede  in  zwei  verse  ab,  obwol  er  hier  gegen 
die  reimtechnik  verstösst  und  gegen  die  verstrennungspunkte,  die  uns  die  Schreiber 
ziemlich  genau  erhalten  haben.  Und  doch  ist  ihm  ja  nicht  entgangen,  dass  namentlich 
ziir  markierung  von  abschnitten  längere  verse  beliebt  sind  (s.  48).  Ausserdem  ist 
bei  den  jüngeren  Schreibern  hier  ein  bestreben  ersichtlich,  überlange  verse  des  Origi- 
nals auf  kosten  der  reimtechnik  zu  kürzen  (vergleiche  die  falschen  trennungspunkte 
in  90.  91);  also  scheint  es  schon  hieraus  unrichtig,  die  überlangen  verse  den  Schrei- 
bern zuzuweisen,  und  verse,  wie  sie  Weede  mit  38  unde  leides  ansezt,  scheinen 
noch  bedenklicher  als  die  überlangen. 

Nach  dieser  seite  hin  möchte  ich  also  die  textgestaltung  bei  Weede  nicht  unbe- 
dingt als  fortschritt  gegen  die  ausgäbe  von  Waag  (Kleinere  gedichte  des  XL 
und  XII.  Jahrhunderts.  Halle,  Niemeyer.  1890.  S.  125  fgg.)  ansehen,  vor  deren 
erscheinen  Weede  anscheinend  seine  arbeit  schon  abgeschlossen  hatte.  Dagegen  zeigt 
sich  nach  der  philologischen  seite  Weede  entschieden  im  vorteil.  Schon  die  tren- 
nung  und  Umstellung  in  18.  19  muss  einleuchten,  während  bei  37.  38  wol  noch 
nicht  alles  in  Ordnung  ist.  Olücklich  ist  die  lesung  wunde  in  112,  wogegen  in  114 
wol  besser  mit  Kraus  (A.  f.  d.  a.  XVII,  s.  29)  xiuhet  üx  einzusetzen  wäre.  Die 
lesungen  lieben  (27),  triuwun  (103),  ewarte  (111),  missetrostan  (146),  winde  (165) 
haben  jedesfals  das  für  sich,  dass  sio  —  ohne  grammatikalische  bedenken  zu  erre- 
gen —  die  reimtechnik  heben.  Wenn  sie  also  auch  nicht  gerade  bindend  sein  kön- 
nen, so  befriedigen  sie  wenigstens  die  forderung,  dass  eine  textbearbeitung  auch 
etwas  von  einer  arbeit  an  sich  trage. 

Die  anmerkungen  Weedes  zu  seinem  texte  verdienen  von  den  verschiedensten 
gesichtspunkten  ans  lob.  Dass  wir  freilich  solche,  wie  die  zu  v.  49.  75  beanstan- 
den, erklärt  sich  aus  dem  oben  gesagten.  Die  ausführungen  über  die  spräche  und 
über  den  versbau  des  gedichtes  (abschnitt  IV  und  V)  machen  den  eindruck  von 
gründÜchkeit  und  zeigen  beobachtungsgabe.  Die  druckfehler  hat  der  Verfasser  selbst 
sorgsam  berichtigt 

HKIDSLBXRO,  MAI  1892.  H.  WÜNDEBUGH. 


Prothese  und  aphserese  des  h  im  althochdeutschen.    Von  Hermaiin  Garke. 
(Quellen  und  forschungen  69.)    X  und  127  s.    Strassburg,  Trübnor.  1891.     3  m. 

,Orthogi'aphisohe  ungenauigkeiten "  werden  die  ei-scheinungen  gerne  genant, 
die  Garke  zu  eingehender  Untersuchung  heranzieht;  und  von  diesem  gesichtspunkte 
aus  wird  zur  erkläi-ung  gewöhnlich  auf  das  romanische  zurückgegriffen,   das  ja  auf 

1)  In  2i  tieoü  vü  wo<  ist  das  vä  mit  recht  als  Tarachreibimg  aafjsoflust 

26* 


404  WUNDEEUCH,   ÜBER  OARSE,  PROTHISI  UNO  APHABESE  DES  h 

die  schrifdiche  fixierung  unserer  spräche  so  entscheideDden  einfluss  ausgeübt  hat. 
Wie  im  romanischen  protheso  und  aphärese  band  in  hand  gehen  als  yerschiedenaitige 
zeugen  desselben  laut  Vorganges,  nämlich  der  Unsicherheit  im  vokaleinsatze,  so  hat 
man  beide  auch  für  das  deutsche  aus  einer  wurzel  abgeleitet.  Garke  stelt  sich  dem 
gegenüber  zimächst  rein  auf  deutschen  boden;  auf  diesem  sondergebiet  löst  sich  ihm 
auch  die  prothese  völlig  ab  von  dor  aphärese,  und  er  gelangt  dazu,  dem  prothe- 
tischen  h  den  Charakter  eines  volwertigon  selbständigen  lautes  zu  sicheni,  der  am 
einzelnen  werte  haftet;  während  die  aphärese  den  wechselfiülen  des  satz-  und 
Wortzusammenhanges  unterliegt,  der  am  einzelnen  werte  das  anlautende  h  nicht 
immer  zur  geltung  kommen  lässt 

Garke  hat  also  prothese  und  aphärese  ganz  und  gar  auf  das  phonetische  gebiet 
verlegt,  während  beiden  bei  Braune  (Ahd.  gramm.  §  152,  1  und  §  153,  anm.  2)  nur 
graphische  existenz  zugestanden  wird^  Diese  ist  freilich  auch  für  Garke  der  aus- 
gangspunkt,  und  er  hat  ihr  durch  sorgfältige  Statistik  eine  so  breite  grundlage  geschaf- 
fen, dass  er  für  die  prothese  900  belege  ins  treiTen  führen  kann  —  eine  zahl,  die 
jene  erscheinung  über  die  blosse  „ungenauigkeit*^  hinaushebt,  auch  wenn  mit  Stein- 
meyer DLZ.  Xm,  s.  755  einige  belege  gestrichen  werden  müssen.  Die  stofliche 
beschränkung,  die  in  dem  thema  liegt,  wird  erfreulich  ergänzt  durch  die  volle 
beherschuug  des  eng  begrenzten  raumes,  und  aus  dieser  Verbindung  keimen  hüb- 
sche eigebnisse  auf.  Es  gelang,  die  räumliche  Verbreitung  der  prothese  abzugren- 
zen (s.  30),  in  dem  alle  dialektisch  volkommen  gesichelten  fälle  dem  westdeut- 
schen gebiete  angehören,  während  die  bairischen  denkmäler  die  prothese  nur  m 
spuren  fremder  dialekte  zeigen.  Ausserdem  ergab  sich  für  die  prothese  selbst  als 
mitbestimmender  factor  der  dem  vokale  folgende  konsonant,  indem  spirantische  und 
sonore  laute  in  erster  linie  beteiligt  sind  (s.  11);  und  endlich  haftet  die  erscheinung 
am  werte  selbst  und  von  ihm  ausgehend  auch  an  gewissen  durch  die  bedeutug  zusam- 
mengehaltenen gruppen  (s.  21). 

Dieser  feststellung  von  tatsachen  hat  der  ver&sser  nun  auch  noch  den  ver- 
such einer  erklärung  zur  seite  gostelt,  wobei  er  sich  an  ein  Hamburger  programm 
von  A.  Paul  anschliesst  Mit  der  lockerung,  dem  leiserwerden  des  vokalischen 
anlautes  im  Satzzusammenhang  soll  sich  die  entwicklung  eines  leisen  hauches  ver- 
binden, ähnlich  wie  sich  der  lateinisch -romanische  Spiritus  lems  entwickelte,  wie 
sich  auch  im  silbenanlaute  im  wortinnern  der  verba  pura  ähnliches  volzog.  An  die- 
ser entwicklung  hatten,  wie  schon  hervorgehoben,  die  folgekonsonanten  ihren  bestim- 
ten  anteil,  und  der  Charakter  des  leisen  hauches  wurde  dann  durch  die  analogie  des 
h  zum  volwertigen  hauchlaute  verschärft.  Ob  dieser  erklärungsgrund  das  richtige  trift, 
kann  wol  erst  nach  umfassenden  phonetischen  Untersuchungen  festgestelt  werden; 
namentlich  dürfte  eine  beobachtung  des  heutigen  bairischen  vokaleinsatzes  im  gegen- 
Satze  zum  westdeutschen  hier  wol  nicht  umgangen  werden. 

Die  aphärese  ist  knapper  behandelt  worden,  als  die  prothese;  für  sie  sind 
auch  einzelne  fälle  zugestanden  worden,  in  denen  „individuelle  fehlerhafte  ausspräche*' 
vorliege,  die  keinen  anspi-uch  erheben  könne  „in  das  gesamtbild  der  deutschen 
Sprache  aufgenommen  zu  werden*^  (s.  45).  Yielleicht  gilt  ein  ähnlicher  erklärungs- 
grund auch  für  die  vereinzelte  prothese  einiger  denkmäler,  die  Garke  dem  baiiischen 
dialekte  abgesprochen  hat,  vgl.  Braune  im  litt,  centralblatt  1892  (s.  650). 

1)  Wirklichen  laatwort  teilt  Braane  einem   anderen  h  zu,    das   sich  anlautend  zwischen  zwei 
vokalen  entwickelt  (§  163  b);  Qarke  spricht  aber  diesem  h  Zusammenhang  mit  der  prothese  ab  (s.  9). 


F.  YOGI,  Obib  liohienbkbokb,  nibilünoin  405 

Die  darstellung  ist  klar,  die  spräche  flüssig.  Die  belegstellen  sind  nach  den 
denkmälem  (s.  49  fgg.)  und  nach  begriflichen  gruppen  (s.  83  fgg.)  geordnet,  wobei 
sehr  dankenswert  ist,  dass  das  pronomen  der  3.  persona  und  worte  wie  huwo  und 
elcfant  für  sich  betrachtet  werden  (s.  110  fgg.)-  Auch  jüngere  prothese  und  aphärese 
(s.  122  fg.)  werden  aufgeführt,  soweit  ihnen  keine  ahd.  parallelen  zur  seite  stehen. 
Systematische  volständigkeit  konte  hier  natürlich  nicht  erzielt  werden.  Das  Verzeich- 
nis auf  seite  15  fgg.  nimt  eigebnisse  desjenigen  auf  seite  83  fgg.  vorweg,  ohne  damit 
viel  nutzen  zu  stiften.  Namentlich  die  einreihung  von  begriffen  wie  gkUxe,  stirih 
ohne  beifügung  eines  für  prothese  empfänglichen  lautbildes  muss  den  leser  eher  ver- 
wirren als  aufklären.  —  Die  Schlusszeilen  auf  seite  19  über  die  beiden  Schreiber  der 
Heliandstellen  (102  und  4144)  haben  das  tatsächliche  Verhältnis  gerade  umgekehrt; 
sonst  sind  mir  keine  derartigen  Verstösse  aufgeCallen. 

HKZDILBERO,  FIBS.  1893.  H.  WUNOIBLICH. 


Le  poeme  et  la  legende  des  Nibelungen  par  H.  lielitenberger,  docteur  es 
lettres,  maitre  de  Conferences  ä  la  faculte  des  lettres  de  Nancy.  Paris,  Hachette. 
1891.    442  B.    Preis? 

Es  ist  ein  zeichen  für  den  parteigeist,  der  die  deutsche  Nibelungenforschung 
beherscht  oder  beherschte,  dass  uns  moch  bis  heute  eine  einleitung  in  unser  grosses 
nationalepos  fehlt,  welche  mit  ruhigem,  rein  sachlichem  urteil  die  verschiedenen 
hypothesen  über  dasselbe  klarlegte  und  auf  grund  selbständiger  und  unbefangener 
prüfung  und  forschung  die  einschlägigen  fragen  erörterte  und  forderte.  Ein  franzö- 
sisches werk  ist  es,  welches  unter  obenstehendem  titel  zuerst  wenigstens  einen 
wesentlichen  teil  dieser  aufgäbe  löst.  Der  Verfasser  gibt  zunächst  eine  Übersicht  über 
den  inhalt  des  gedichtes,  indem  er  zugleich  auf  dessen  ungleichmässigkeiten  wesent- 
lich im  anschluss  an  Lachmanns  kritik  aufmerksam  macht.  Er  stelt  sodann  in  kur- 
zen Zügen  Lachmanns,  Müllenhoffs,  Holtzmanns  und  Bartschs  hypothese  dar,  wobei 
er  Holtzmanns  auüstellungen  und  die  Vermutungen  über  des  Eümbergers  beziehungen 
zum  Nibelungenlied  als  völlig  haltlos  von  der  weiteren  Untersuchung  ausscheidet;  auf 
ein  urteil  über  die  grössere  ursprünglichkeit  von  A  oder  B  verzichtet  er  von  vorn- 
herein ebenso  wie  auf  jede  erörterung  des  rein  formalen;  den  gegenständ  seiner  Unter- 
suchung soll  ausschliesslich  einerseits  der  stoff,  andererseits  der  anschauungskreis 
der  dichtung  bilden;  bei  beiden  sind  aber  ältere  und  jüngere  demente  von  einander 
zu  sondern,  und  so  greifen  diese  Studien  überall  in  die  frage  nach  der  entstehungs- 
nnd  entwickelungsgeschichte  dos  Nibelungenliedes  ein.  Sie  sind  geeignet  zur  entschei- 
dung  darüber  beizutragen,  inw^ieweit  es  ein  individuelles  werk,  in  wieweit  es  das 
natürliche  erzeugnis  der  vereinigten  tätigkeit  österreichischer  spielleute  ist,  und  ob 
sich  dem  entsprechend  die  wage  mehr  zu  Lachmanns  oder  zu  Bartschs  gunsten  neigt 
So  werden  denn  nun  weiter  nach  einem  überblick  über  die  quellen  die  historischen 
bestandteile  und  der  Ursprung  der  sage  kurz  erörtert,  sodann  die  einzelnen  teile  der- 
selben ausführlich  in  der  weise  behandelt,  dass  die  verschiedenen  berichte  verglichen, 
die  älteste  form  und  deren  umwandelungen  festgestelt,  insbesondere  die  darstellung 
des  Nibelungenliedes  auf  ihre  grössere  oder  geringere  ursprünglichkeit,  auch  auf  das 
über-  oder  nebeneinanderliegen  von  schichten  verschiedenen  alters  untersucht  wird. 

1)  Oarke  leitet  dieee  pronomiiuJfoimeii  mit  h  nicht  von  einem  entsprechenden  itunme  ab ,  son- 
dern erkllrt  sie  doich  protbeee. 


406  r.  VOGT 

Der  Verfasser  komt  zu  dem  resultat,  dass  unserem  epos  wirklich  einzelne  lieder  zu 
grande  liegen,  um  die  sich  nach  und  nach  jüngere  bestandteilo  ansozten,  so  jedoch, 
dass  alle  stucke  immer  die  glieder  einer  grossen  kette  bildeten  und  jedem  neu  hin- 
zutretenden von  vornherein  sein  bestirnter  platz  zukam.  Man  kann  seiner  meinong 
nach  zugeben,  dass  sich  der  inhalt  eines  Laohmannschen  und  der  eines  alten  liedes 
vielfach  deckt.  Es  hat  sicher  lieder  von  SiegfHeds  ankunft  in  Worms  (I),  von  Brun- 
hild  (lY  und  Y),  von  Siegfrieds  tod  (VIII)  gegeben,  und  es  ist  äusserst  wahrsdiein- 
lieh,  dass  sie  in  den  entsprechenden  abschnitten  des  Nibelungenliedes  mehr  oder 
weniger  getreu  widergegeben  sind;  ähnliches  gilt  für  den  zweiten  hauptteil  des  epos. 
Aber  danim  besitzen  wir  noch  nicht  die  alten  originallieder.  Welche  Veränderungen 
die  dichtungen  in  den  bänden  der  spielleute  erfuhren,  können  wir  an  anderen  epen 
sehen.  Die  einzelnen  teile  des  Nibelungenliedes  stimmen  im  Eitile  doch  immer  viel 
mehr  überein  als  irgendwelche  selbständigen  volksepen.  Vor  allem  setzen  die  offen- 
bar älteren  stücke  unserer  dichtung  vielfach  die  jüngeren  voraus  oder  bereiten  sie  vor. 
Alles  das  spricht  dafür,  dass  wir  das  ganze  nur  in  einer  durch  verschiedene  bände 
nicht  allein  erweiterten,  sondern  auch  überarbeiteten  gestalt  besitzen.  Die  ursprüng- 
liche form  der  lieder,  auf  denen  es  aufgebaut  ist,  wird  sich  daher  nicht  mehr  her- 
stellen lassen. 

Es  folgen  einige  kapitel,  welche  die  auf  den  könig,  den  beiden,  das  weib 
bezüglichen  anschauungen,  sitten  und  poetischen  motive  des  Nibelungenliedes  dar- 
stellen. Unter  vergleichung  der  altgermanischen  Verhältnisse  nach  Tacitus  und  der 
behandlung  der  entsprechonden  dinge  in  der  spielmannspoesie  und  in  der  höfisch^i 
dichtung  wird  auch  diese  seite  unseres  epos  entwiokelungsgoschichtlich  beleuchtet 
Eine  kurze  Übersicht  über  die  geschichte  der  Nibelungensage  und  -dichtung,  wie  sie 
sich  nach  allem  voi'angegangenen  darstelt,  bildet  den  schluss.  Anhangsweise  ist  noch 
eine  recht  zweckmässige  Übersicht  über  die  quellen  der  sage,  eine  Zusammenstellung 
der  Zeugnisse  über  sie  und  ein  gut  ausgewähltes  Verzeichnis  der  wichtigsten  litterar 
tur  beigegeben. 

Der  Verfasser  beherscht  seinen  gegenständ  durchaus;  er  ist  auch  in  der  neue- 
sten forschung  volständig  bewandert,  und  in  dem  streite  der  meinungen  trift  er  mit 
klarem  und  besonnenem  urteil  seine  entscheidimg.  Bei  seiner  Stellung  zur  lieder- 
theorie  weiss  er  sich  im  einklang  mit  anschauungen,  die  neuerdings  verschiedene 
germanisten  unabhängig  von  einander  kundgegeben  haben  (s.  324  anm.).  Da  auch  die 
von  mir  im  Grundriss  der  germ.  philologio  ausgesprochenen  dazu  gehören,  so  brauche 
ich  nicht  auch  meinerseits  noch  hervorzuheben,  dass  ich  im  prinzip  mit  dem  Verfas- 
ser zusammentreffe.  Doch  nehme  ich  sowol  für  den  als  älteste  grundlage  vorauszu- 
setzenden liedercyklus  als  auch  für  gewisse  elemente  der  bearbeitung  mehr  plan  und 
Zusammenhang  an.  Die  gründe  dafür  auseinanderzusetzen  und  des  weiteren  auf  alle 
einzelheiten  einzugehen,  bei  denen  ich  in  dieser  ü-ago  mit  dem  Verfasser  nicht  über- 
einstimme, muss  ich  mir  hier  versagen.  Er  erhebt  ja  auch  keineswegs  den  anspruch, 
diese  dinge  irgend  erschöpfend  behandelt  zu  haben.  Aber  schärfer  hätte  er  seine 
Stellung  zu  Laohmanns  anschauungen  doch  wol  unter  allen  imiständen  bestimmen 
können,  sowol  wo  er  mit  ihnen  übereinstimt  als  wo  er  von  ihnen  abweicht 

Dass  er  sich  nicht  einmal  für  die  prioiität  von  A  oder  B  entscheidet,  hat 
allerdings  tatsächlich  weniger  zu  bedeuten,  als  man  meinen  könte.  Bei  seinen  eror- 
terungen  folgt  er  doch  Lachmanns  ausgäbe,  und  sie  würden  wol  nirgend  anders  aus- 
gefallen sein,  wenn  er  sich  zu  A  bekant  hätte.  Warum  er  das  nicht  getan  hat, 
gestehe  ich  nicht  recht  einzusehen.     Da  ihm  z.  b.  der  unterschied  der  str.  13  fgg. 


ÜBER  LICHTINBER6EB,  NIBELÜNOIN  407 

vom  Torhergehenden  volBtändig  klar  ist  and  er  auch  hier  nach  A  übersezt  (s.  9),  so 
hat  er  doch  anch  sicherlich  die  Überzeugung,  dass  A  mit  dorn  selbständigen  anfieuig 
der  Str.  13  E^  troumde  KriemhiUe  usw.  gegen  BO,  wo  die  Verbindung  mit  der  ein- 
leitung  hergestelt  ist  (In  disen  höhen  eren  usw.),  das  ursprüngliche  bietet 

Mehr  bedeutung  hat  es,  dass  der  Verfasser  sich  andrerseits  doch  hie  und  da 
stärker  unter  dem  banne  der  Lachmanschen  kritik  befindet,  als  es  eigentlich  seinen 
grundanschauungen  entspricht;  so  wenn  er  gelegentlich  die  von  Laohmann  ausgeschie- 
denen Strophen  an  bedeutender  stelle  stilschweigend  bei  seite  Ifissi  Das  geschieht 
z.  b.  bei  str.  1528.  Es  liest  sich  ja  recht  schön,  wenn  er  mit  fortlassung  derselben 
die  mitteilung  Hagens  über  die  prophezeiung  der  meeijungfrauen  und  die  Schilderung 
ihrer  Wirkung  folgendermassen  berichtet:  «7  leur  ripHe  la  prSdietion  des  ondines. 
„Je  va%8  votis  annoneer  de  terribles  nouvelles:  noua  ne  reviendrans  jamats  au 
pays  des  Bürgendes  (1527)  ....  M  ces  nouvelles  voUrent  de  rang  en  rang  et  les 
hiros  rapides  palirent  usw.*'  (1530).  Aber:  1.  sagt  Hagen  str.  1527  auch  noch  nu 
eMhaU  iueh,  ritter  unde  knekt  man  sol  vriunden  volgen:  ja  dunket  ex  mich  reht. 
Er  lässt  also  die  schon  in  marsch  befindlichen  halt  machen,  weil  er  ihnen  einen  rat 
geben  will,  den  sie  befolgen  soUen.  Dieser  rat  aber  wird  einzig  und  allein  in 
Str.  1528  orteilt:  nu  rät  ich  wax  man  tuo:  dax  ir  iueh  tcäfent,  helde,  vr  sult  iueh 
tDol  bewam:  wir  haben  hie  starke  vtnde;  dax  icir  gewerltehen  vam.  Streicht  man 
diese  strophe  und  bezieht  man  die  eindringliche  mahnung  Hagens  ihm  zu  folgen  nur 
auf  die  auffordemng  zum  halt  machen,  so  muss  man  denken,  er  wolle  das  beer  von 
der  Weiterreise  abhalten.  2.  Widerum  nur  in  str.  1528  sagt  Hagen,  dass  er  seine 
Prophezeiung  von  den  meerweibem  habe.  Diese  berufung  auf  die  göttlichen  frauen 
ist  aber  ganz  unerlfisslich ,  wenn  seine  werte  einen  so  gewaltigen  eindruok  hervorrufen 
sollen.  Nach  str.  1452  hat  ihm  niemand  glauben  geschenkt,  als  er  von  der  reise 
abriet  (von  der  darstellung  im  XIII.  liede  ganz  zu  schweigen);  und  jezt  soll  seine 
ohne  jede  gewähr  vorgebrachte  behauptung,  dass  keiner  von  der  reise  heimkehren 
werde,  das  ganze  beer  erbleichen  machen,  ohne  dass  irgend  jemand  fragt,  wie  er  zu 
dieser  meinung  komme!  Str.  1528  ist  also  ganz  unentbehrlich.  Damit  ist  aber  erwie- 
sen, dass  die  erzählung  vom  kämpfe  mit  Else  und  Gelpfrät,  mag  man  nun  über  ihr 
alter  denken  wie  man  will,  jedesfals  an  dieser  einen  stelle  mit  Lachmanns  XIV.  liede 
unauflöslich  verknüpft  ist  —  Li  anderen  fällen  sind  derartige  Verbindungen  der  nach 
Lachmann  älteren  und  jüngeren  teile  dem  Verfasser  nicht  entgangen.  So  bemerkt  er 
mit  vollem  rechte  bezüglich  des  VHI.  liedes,  welches  ja  als  ein  rechtes  paradestück 
von  den  anhängem  der  Lachmann -MüllenhofEschen  hypothese  vorgeführt  zu  werden 
pflegt,  in  den  versen  921,  4  er  sach  nach  einem  bilde  an  des  kUenen  gewant  und 
922,  2  er  sehdx  in  durch  dax  criuxe  scheine  ihm  die  anspielung  auf  das  YH.  lied  so 
evident  wie  nur  möglich.  Er  hätte  aber,  da  hier  von  einer  ausscheidbaren  interpo- 
lation  nicht  die  rede  sein  kann,  ohne  jede  einschränkung  den  schluss  daraus  ziehen 
können,  dass  mn  selbständiges  VÜI.  lied  nicht  mehr  hergestelt  werden  kann,  dass 
wir  es  nur  in  einer  fassung  besitzen,  in  der  es  mit  dem  (jüngeren)  siebenten 
auf  das  engste  verbunden  ist  Es  scheint  mir  noch  nicht  bestimt  genug,  wenn 
der  ver&Bser  dazu  nur  bemerkt,  die  ablehnung  der  möglichkeit,  dass  die  alten 
lieder  überarbeitet  seien,  führe  zu  sehr  unwahrsoheinliohen  hypothesen,  und  man 
würde  hier  z.  b.  annehmen  müssen,  dass  der  urheber  des  Vill.  liedes  ein  dem  Vn. 
entsprechendes  aber  älteres  gekant  haben  müste.  Es  handelt  sich  nicht  allein  darum, 
woher  er  den  zug  kent,  sondern  auch  darum,  wie  er  ihn  erzählt  Er  konte  ihn  so 
wio  es  hier  geschieht  nur  berühren,  wenn  vorher  der  nötige  aufschluss  über  das  zei- 


406  r.  YOOT 

eben  auf  Siegfrieds  kleid  gegeben  war.  Sonst  musto  man  ihm  ein  Ungeschick  in  der 
erzihlnng  zuschreiben,  wie  es  den  schlimsten  der  vielgetadelten  interpolatorensüDdien 
würdig  ZOT  Seite  zu  setzen  sein  würde.  Denn  es  handelt  sich  ja  hier  dorchaos  nicht 
nm  ein  sagenmotiv,  welches  ein  dichter  als  albekant  und  selbstrerständlicb  Torans- 
setzen  konte;  yielmehr  nm  einen  zng,  von  dem  keiner  der  anderweitigen  berichte 
▼on  Siegfrieds  ermordnng  auch  nnr  das  geringste  weiss.  Wer  also  eine  filtere  gnind- 
läge  des  YII. liedes  voranssetzen  wolte,  müste  schon  annehmen,  dass  der  veifasser  des 
VnL  diese  nicht  nur  gekant,  sondern  dass  er  sein  iied  auch  im  anschlnss  an  sie  gedich- 
tet hätte,  damit  es  nur  mit  ihr  zusammen  voiigetragen  würde.  Um  die  Selbständig- 
keit des  VlIL  liedes  würde  es  also  dann  ebensowol  geschehen  sein,  und  die  ganze 
annähme  würde  keinen  schritt  weiter  fuhren.  —  In  andern  ßülen  würde  den  yerÜBs- 
ser  gewiss  schon  ein  eingehen  auf  die  einzelheiten  von  Lachmanns  textherstellnng  zu 
einer  noch  entschiedeneren  ablehnung  der  alten  liedertheorie  gebracht  haben,  doch 
lag  ja  das  seinem  programm  fem.  Ich  will  daher  auch  meinerseits  nur  noch  auf 
einige  litterarbistorische  und  sagengeschichtliche  punkte  eingehen. 

Bezüglich  des  Eürnberges  bemerkt  der  Verfasser  s.  56,  dass  man  über  alles 
was  ihn  betrift  est  arrive  au  seepticisme  le  plus  eomplet.  Ich  glaube,  dass  bei  den 
vielbesprochenen,  vom  Verfasser  auf  s.  55  ^.  behandelten  Strophen  MF  8,  1  und 
9,  29  vor  allem  folgendes  zu  erwägen  ist.  Wir  müssen  uns  zunächst  unter  allen 
umständen  gegenwärtig  halten,  dass  wir  es  hier  nicht  mit  den  bei  einer  bestimten 
Situation  gesprochenen  werten,  sondern  mit  einem  gedichte  zu  tun  haben.  Auch  wenn 
wir  uns  mit  Steinmeyer  A.  f.  d.  a.  14,  122  fg.  die  Strophe  8, 1  an  den  boten  gerichtet 
denken,  können  wir  doch  unmöglich  annehmen,  dass  sie  von  der  frau  diesem  wiik- 
Uch  so  zugesungen  sei.  Oder  sollen  wir  glauben,  dass  sie  dem  boten  ihren  befehl 
in  poetisch  musikalischer  form  vorgetragen  habe,  dass  dieser  ihn  dann  dem  ritter, 
dem  der  auftrag  galt,  wider  vorgesungen  und  dass  MF  9,  29  der  ritter  alsbald  in 
derselben  vers-  und  strophenform  seinen  waffenknecfat  mit  dem  befehl  angesungen 
habe,  ihm  ross  und  hämisch  zu  bringen,  damit  er  sich  vor  der  alzu  liebebedürftigen 
landesherrin  rette?  Und  das  alles  wäre  uns  dann  urkundlich  getreu  überliefert? 
Denkt  man  sich  aber  die  erste  strophe  etwa  als  eine  von  der  frouwe  dem  ritter 
schriftlich  zugestelte  poetische  liebesbotschaft,  so  weiss  ich,  von  andern  Schwierig- 
keiten abgesehen,  nicht,  wie  str.  9,  29,  für  die  man  dann  doch  zweifellos  mit  dem- 
selben rechte  eine  wirkliche  Situation  voraussetzen  muss,  als  antwort  auf  den  liebes- 
brief  in  versen  erklärt  werden  soll;  und  in  jedem  falle  fohlt  mir  das  Verständnis 
dafür,  wie  überhaupt  em  weib,  und  noch  dazu  eine  landesherrin,  sich  in  Wirklichkeit 
mit  einer  so  begehrlichen  und  so  kategorischen  liebeserklärung,  mit  einem  liebes- 
befebl  bei  strafe  der  landes Verweisung,  einem  ihr  unbekanten  ritter  offen  an  den  hals 
weifen  könte.  Die  auffassung,  welche  Steinmeyor  für  die  wahrscheinlichere  erklärt, 
dass  str.  8,  1  überhaupt  nicht  von  einer  frau,  sondern  von  dem  dichter  der  dazu 
gehörigen  str.  9,  35  verfasst  sei,  ist  also  doch  wol  die  einzig  gegebene.  Dann  kön- 
nen wir  natürlich  gar  nicht  wissen,  ob  und  in  wie  weit  diese  Strophe  an  irgend  ein 
erlebnis  des  dichters  anknüpfen  mag;  aber  sicher  wissen  wir,  dass  die  rede  der  dame 
fingiert,  dass  die  ganze  poetische  gestaltung  der  Situation  des  dichters  dgentum  ist 
Zu  welchem  zwecke  kann  er  nun  unter  diesen  umständen  in  diesem  liedchen  den 
Kürenbero  genant  haben?  Das  singen  gerade  der  Kürenberges  unse  lediglich 
als  Signalement  für  den  aufzusuchenden  sänger  anzugeben,  würde  meines  eraohtens 
recht  pedantisch  und  darum  auch  unpoetisch  sein,  wenn  die  besonderheit  dieses 
Signalements  an  sich'gar  kein  interesse  und  keinen  wert  hätte,   ebensogut  durch  ein 


ÜBER  UCHTENBRBOER,   NIBKLÜKGEN  409 

andei'cs  ^besonderes  kenzeichen^  ersezt  werden  könte.  Wo  sonst  in  einem  liede  ein 
dichteroame  genant  wird,  da  handelt  es  sich  stets  um  irgend  eine  besondere  bezie- 
hang  zwischen  dem  Verfasser  nnd  jenem  anderen  dichter,  nnd  irgend  eine  besondere 
absieht  komt  in  betracht,  sei  es  anszeichnung,  sei  es  herabsetzung  des  genanten  oder 
dergleichen.  Wenn  nun  hier  Eürenberc  als  Verfasser  der  weise  genant  wird,  deren 
gesang  einen  so  überwältigenden  eindmck  auf  die  dame  macht,  so  bedeutet  das 
für  ihn  als  dichter  zweifellos  ein  ganz  besonderes  lob.  Soll  der  Verfasser  des  liedes 
dies  einem  kunstgenossen  gezolt  haben?  Wenn  er  selbst  unter  dem  sänger  verstan- 
den sein  will,  durch  dessen  lied  die  frouwe  sich  so  hinroissen  l&sst,  so  würde  diese 
Schmeichelei  gegen  den  kunstgenossen  eine  starke  beeinträohtigung  der  eigenen  kunst- 
leistung  enthalten;  und  eine  solche  würde  doch  hier  durchaus  nicht  am  platze  sein, 
wo  der  dichter  nur  die  ausserordentliche  Wirkung,  die  gerade  er  mit  seinem  gesange 
erzielt  hat,  zur  geltung  bringen  wiU;  sie  würde  überdies  einem  so  selbstbewnsten, 
von  seiner  unwiderstehlichkeit  so  durchdrungenen  dichter,  wie  er  sich  sonst  in  die- 
sem liede  zeigt,  durchaus  nicht  anstehen.  Soll  aber  unter  dem  Sänger  in  8,  1  (und 
damit  natürlich  auch  unter  dem  in  9,  29  redenden)  nicht  der  dichter,  sondern  eine 
unbestimte  persönlichkeit  gemeint  sein,  ist  also  das  ganze  rein  episch  oder  dramatisch, 
nicht  lyrisch  gedacht,  so  gewint  vollens  die  in  diesem  falle  einzige  beziehung  auf  eine 
bestimte  person,  welche  durch  die  nennung  des  Eürenberc  erfolgt,  ein  ganz  beson- 
deres Interesse,  und  es  wird  nicht  auch  hier  noch  irgend  ein  dritter  darunter  zu  ver- 
stehen sein.  In  beiden  fallen  ist  es  durchaus  das  natürliche  anzunehmen,  die  weise, 
deren  gesang  der  dichter  solche  wunder  tun  lässt,  sei  seine  eigene.  Jede  andere 
auslegung  nimt  meines  erachtens  dem  liedchen  ebensowol  seine  pointe,  wie  das  bei- 
spielsweise bei  dem  liede  MSH  I,  151  fgg.  (Minor,  Ulrich  v.  Wintcrstetten  s.  21) 
geschehen  würde,  wenn  man  behaupten  wolte,  der  Schenk,  dessen  lieder  da  nach 
den  reden  der  mutter  imd  der  tochter  eine  so  grosse  und  so  verführerische  Wirkung 
haben,  sei  nicht  der  dichter  dieses  liedes,  es  sei  nur  von  dem  samler  imter  seinen 
namen  gebracht,  weil  dieser  darin  genant  sei.  Von  den  beiden  möglichk^iten ,  die 
ich  betrefs  der  persönlichkeit  des  in  unserem  liede  eingeführten  Sängers  aDdeutete, 
ist  mir  die  annähme,  der  dichter  wolle  sich  mit  ihm  identificieren ,  entschieden  die 
wahrscheinlichste.  Das  motte,  welches  er  zum  schluss  für  sein  ganzes  minnewerben 
aufstelt:  wip  unde  vederspil  diu  werdeni  likte  xam,  swer  si  %e  refUe  lucket  so 
suoehent  st  den  man  gilt  auch  für  dies  kecke  liedchen,  nach  welchem  selbst  die 
herrin  eines  landes  den  unwideretehlichen  Sänger  suochet  und  er  sie  dann  obendrein 
noch  ablaufen  lässt.  Die  verhüllende  art,  in  der  er,  der  Eürenbero  selbst,  sich  hier 
bezeichnen  lässt,  entspricht  dem  gebrauche,  den  er  beobachtet,  wenn  er  mit  dem 
ein  sehoene  ritter  10,  21  sich  selbst  meint,  wenn  er  die  frouwe,  die  sich  selbst  mit 
dem  geliebten  zusammen  wünscht,  rufen  lässt  got  sende  si  xesamene  die  gerne  geliebe 
wellen  stn,  und  wenn  er  deijenigen,  die  sich  nach  dem  manne  sehnt,  die  werte  in 
den  mund  legt:  was  ich  wünsche  ist  den  Hüten  gelieh.  —  Für  irgend  eine  der  unter 
seinem  namen  überlieferten  Strophen  eine  frau  als  Verfasserin  anzunehmen,  liegt  kein 
grund  vor,  da  wir  einmal  wissen,  dass  schon  die  ältesten  lyriker  frauen  redend  ein- 
führen. Gerade  das  als  besonders  weiblich  zart  gelobte  liedchen  swenne  ich  stän 
aleine  in  mtnem  hemede  8,  17  gibt  ein  bild  von  der  geliebten,  wie  es  sich  nur  die 
Phantasie  des  liebenden  ausmalt:  dass  ihre  „färbe  erblüht  wie  die  rose  am  dom- 
strauch**  bezeichnet  das  erröten  so  wie  es  ein  anderer  anschaut,  nicht  so  wie  man  es 
selbst  empfindet;  sie  könte  nur  etwa  sagen:  ich  fühle,  wie  mir  das  blut  in  die  Wan- 
gen steigt;  sonst  würde  sie  die  äusserung  ihrer  gemütsbewegung  gewissennassen  im 


•iP^ 


410  r.  VOGT 

Spiegel  beobachten,  und  das  wäre  mindestens  nicht  naiv.  Ich  sehe  also  keine  Ver- 
anlassung, weshalb  wir  an  der  richtigkeit  der  handschriftlichen  Überlieferung  zweifeln 
solten,  nach  welcher  diese  unter  allen  umständen  in  ritterlichem  kreise  entstandenen 
lieder  demselben  ritterlichen  dichter  zuzuschreiben  sind.  Sein  name  von  Kürenberc 
ist  in  der  zeit,  in  der  gegend  und  in  dem  stände,  in  welche  wir  den  verüasser  «os 
verschiedenen  gründen  ohnehin  werden  setzen  müssen,  urkundlich  nachgewiesen;  dass 
ein  Kürenberc  lieder  gedichtet  hat,  geht  aus  8,  5  zweifellos  hervor;  dass  er  die  vor- 
liegenden lieder  verfasste,  wird  durch  ebendiese  stelle  nach  der  vorgetragenen  ans- 
legung  nicht  widerlegt,  sondern  bestätigt.  Die  form  der  lieder  7,  19 — 10,  24  findet 
sich  sonst  in  keinem  lyrischen  gedichte;  sie  taucht  erst  wider  im  Nibelungenliede  und  in 
späteren  epen  auf.  Daraus  schliossen  zu  wollen,  dass  der  Kürenberc  auch  das  Nibe- 
lungenlied gedichtet  habe,  ist  schon  deshalb  unberechtigt,  weil  die  grundvoraussetznog 
dieser  annähme,  dass  kein  dichter  eines  anderen  weise  entlehnen  durfte,  nicht  durch- 
aus zutrift,  und  weil  wir  voliens  über  das  Verhältnis  der  epischen  zu  den  lyrischen 
formen  in  dieser  beziehung  nichts  wissen.  Vor  allem  aber  liesse  sich  niemals  fest- 
stellen, was  denn  der  Kürenberger  an  dem  Nibelungenliede  gedichtet  haben  solte,  da 
ja  die  vorliegende  fassung  für  ihn  gar  nicht  in  betracht  kommen  kann,  bis  zu  ihrem 
Zustandekommen  aber  verschiedene  bände  an  dem  epos  tätig  gewesen  sind.  Mit 
recht  misst  daher  auch  Lichtenberger  dieser  hypothese  keine  bedoutung  bei;  doch 
irt  er,  wenn  er  s.  57  meint,  dass  nach  der  algemeinen  ansieht  der  Kürenberger  schcm 
vor  1150  gelebt  habe. 

S.  79  bemerkt  der  Verfasser  gewiss  mit  recht,  dass  die  hypothese  von  der 
widergeburt  des  deutschen  volksepos  in  den  Rheinlanden  und  dessen  belebung  durch 
die  nordfranzösischen  chansons  de  geste  unzulänglich  begründet  scheine;  aber  die 
dem  Verfasser  zusagende  ansieht,  dass  dieselben  doch  den  rheinischen  Spielleuten  eine 
grosse  anzahl  epischer  formein  geliefert  hätten  (vgl.  auch  s.  327),  ruht  doch,  vor- 
läufig wenigstens,  durchaus  nicht  auf  besserer  grundlage.  £s  wäre  gewiss  ein  dankens- 
wertes unternehmen,  den  stil  der  französischen  und  den  der  deutschen  volksepik  ein- 
gehender zu  vergleichen,  als  es  bisher  geschehen  ist  An  bisher  nicht  bemerkten  Über- 
einstimmungen würde  es  wol  nicht  fehlen;  nur  müste  man  nicht  alles  gleich  auf  ent- 
lehnung  zurückführen.  Gleiche  Ursachen  können  auch  in  der  poesie  unabhängig  von 
einander  gleiche  Wirkungen  haben,  und  andererseits  darf  nicht  ausser  acht  gelassen 
werden,  dass  das  altfranzösische  volksepos,  mag  man  auch  seine  germanischen 
demente  nicht  so  hoch  anschlagen  wie  JRigna,  jedesfals  nicht  in  der  keltischen  oder 
lateinischen,  sondern  in  der  germanischen  schiebt  des  französischen  Volkstums  wur- 
zelt. Für  verwantschaft  und  entlehnung  von  motiven  sind  auch  Heinzeis  Zusammen- 
stellungen in  den  Wiener  Sitzungsberichten  119,  78  fg.  zu  beachten. 

Auf  s.  87  und  434  pflichtet  der  Verfasser  Müllenhoff  in  der  annähme  bei, 
daraus,  dass  seit  dem  8.  jahrhundeii  Nibelung  als  personenname  vorkomme,  gehe 
hervor,  dass  damals  das  wort  schon  seine  eigentliche  bedeutung  verloren  hatte,  da 
kein  vater  seinen  söhn  einen  c(^non  infernal  genant  haben  würde;  während  der  Ver- 
fasser doch  ebenda  bezweifelt,  ob  Nibelung  jemals  demon  infernal  oder  eaprit  de 
Unkbree  bezeichnet  habe.  Sicher  ist  in  der  tat  nur  der  Zusammenhang  des  namens 
mit  nebd;  dass  dieser  nicht  mehr  empfunden  sein  könte,  als  man  Nibelung  als  per- 
sonennamen  gebrauchte,  möchte  ich  nicht  behaupten;  auch  die  mythische  beziehung 
braucht  man  dabei  nicht  vergessen  zu  haben,  so  wenig  wie  bei  der  wähl  der  nameo 
Alf  oder  Alberich.  Weder  die  herkunft  ihres  namens  noch  ihr  gegensatz  zu  dem 
lic]itheros  nötigt  etwas  anders  als  nebelgeistor,   die  zugleich  auch  als  dunkelgeister 


ÜBSB  UCHTBNBieRQXB,  NIBELUNOEN  411 

gedacht  sein  werden,  in  ihnen  zu  sehen.  Es  ist  sicherliob  nicht  ziiMlig,  dass  sich 
in  ihrem  besitze  die  unsichtbar  machende  tamkappe  befindet:  zu  den  Nibelungen 
gehört  auch  von  vornherein  die  nebelkappe.  Den  zweifei,  den  der  Verfasser  s.  98 
und  157  an  der  ursprünglichkeit  dieses  zuges  äussert,  weil  der  zaubermantel  aizusehr 
an  die  feenmfirchen  erinnere,  kann  ich  daher  nicht  teilen.  Bemerkenswert  bleibt 
auch,  dass  im  SiegfriedsUede  der  held  durch  dichte  finsternis  dorthin  gelangt, 
wo  er  nachher  den  schätz  der  söhne  Niblings  findet;  und  im  Walberan,  wo  die 
unsichtbarkeit  des  ganzen  zwergenheeres  zwar  erwähnt  wird,  aber  ohne  bedeutung 
bleibt,  auch  nicht  festgehalten  wird,  ist  gerade  Nibelung  der  führer  einer  schar,  bei 
der  allein  jene  eigenschaft  wirklich  zu  pi*aktischer  geltung  kernt,  indem  sie,  von  kei- 
nem menschen  gesehen,  schiffe  entführt  (Walberan  139  fg.,  vgl.  Nibelunge  451/2). 
Der  Nibelung  Engel  reitet  im  Siegfiiedliede  auf  einem  kohlschwarzen  pferde  und  ist 
mit  der  nebelkappe  ausgestattet  ebenso  wie  der  Nibelungenmann  Alberich  im  Nibe- 
lungenliede; Alberichs  unsichtbarkeit  spielt  auch  im  Ortnit  bekantlich  eine  grosse 
rolle;  denselben  streich  wie  Nibelung  im  Walberan  fühlt  er  Ortn.  291  fg.  aus.  Dass 
aber  nun  auch  bei  der  gewinnung  der  Brünhlld  die  anwendung  der  tamkappe  ursprüng- 
licher sein  müste  als  der  gestaltentausch,  folgt  natürlich  aus  dem  allen  noch  nicht. 

Auf  die  schwierige  frage,  wie  die  burgundischen  könige  in  der  sage  zu  Nibelungen 
wurden,  weiss  auch  der  Verfasser  keine  antwort,  die  ihn  befriedigte.  Die  Lachmann- 
sche  hypothese,  dass  es  neben  dem  historischen  ursprünglich  auch  einen  mythischen 
Günther  gegeben  habe,  dünkt  ihn  immerhin  am  wenigsten  unwahrscheinlich  (s  83). 
Aber  diese  annähme  stüzt  sich  doch  schliesslich  auf  nichts  weiter  als  auf  den  wünsch, 
die  Verschmelzung  der  mythischen  und  der  -historischen  elemente  irgendwie  zu  erklä- 
ren. Will  man  einer  der  personen  der  sage  eine  solche  doppelroUe  zuweisen,  so 
würde  sich  ein  genügender  grund  nur  bei  Gibeche  finden,  dessen  namo  einerseits 
an  der  spitze  der  burgundischen  könige  steht,  andrerseits  als  der  eines  zwerges,  eines 
elbischen  wesens  überliefert  ist.  Zur  Verteidigung  dieser  ansieht,  welche  Rieger 
zulezt  noch  in  den  Quartalblättem  des  histor.  Vereins  f.  d.  grossherzogtum  Hessen 
1881  s.  43  fg.  vertreten  hat,  Hesse  sich  noch  darauf  hinweisen,  dass  der  herr  des 
Wormser  rosengartens  (wenn  wir  von  Eriemhilt  absehen,  vgl.  Germ.  26,  173)  könig 
Gibeche,  nicht  etwa  könig  Günther,  ist;  während  andererseits  in  den  tirolischen  ber- 
gen eines  solchen  pai'adiesgartens  ein  zwerg  waltet,  Laurin,  ein  mit  übermenschlicher 
Schönheit,  stärke,  pracht  und  herlichkeit  ausgestattetes  wesen,  wie  auch  der  name 
des  zwerges  Gibeche  auf  reichtum  und  milde  deutet.  Eine  Übertragung  der  rolle  des 
elben  auf  den  gleichnamigen  burgundischen  kÖnig  könte  also  bezüglich  der  rosen- 
gartensage immerhin  statgefunden  haben;  ja  es  wäre  denkbar,  dass  beide  ursprünglich 
identisch  waren,  dass  der  burgundische  Gibica,  von  dem  nach  der  nordischen  über- 
lieferuDg  das  könlgsgeschlecht  seinen  namen  trägt,  ursprünglich  nur  der  mythische 
stamvater  desselben  war.  Aber  alles  das  ist  ja  keineswegs  sicher,  und  es  würde  von 
da  immer  noch  ein  sehr  weiter  schritt  zur  sage  von  Siegfried  und  den  Nibelungen 
sein.    Eine  andere  erklärung  scheint  mir  hier  viel  näher  zu  liegen. 

Zu  den  ältesten  bestandteilen  dieser  sage  gehört  jedesfals  die  Vorstellung,  dass 
der  Nibelungenschatz  im  Rheine  ruhe.  Sie  findet  sich  in  den  alteren  nordischen 
quellen  ebensowol  wie  im  Nibeihngenliede  und  im  SiegfriedsUede.  Längst  hat  man 
darauf  hingewiesen  \   aber  nicht  überall  ist  es  genügend  beachtet,   dass  dies  sagen- 

1)  Zalert  besonders  Rieger  a.  a.  o.  nnd  Heinzel,  Nibelungeiisage  s.  12  (Wiener  Bitznngsber. 
109,  680). 


4r2  F.   VOOT 

motiv  eiDon  tatsächlichen  bintergrund  in  der  goldhaltigkeit  des  Rheines  hat  Wenn 
auch  jezt  die  goldgewinnung  dort  nicht  mehr  lohnt  (trotzdem  ein  Pariser  die  kühne 
rechnung  anfgostelt  hat,  dass  zwischen  Basel  und  Mannheim  noch  gold  im  werte  von 
170  millionen  fi'ancs  im  Rheinsande  ruhe),  so  ist  es  doch  nicht  lange  her,  dass -noch 
münzen  aus  Rheingold  geprägt  wurden,  und  das  ganze  mittelalter  hindurch  hat  die 
goldwäscherei  am  Oberrhein  eine  nicht  unbedeutende  rolle  gespielt  Marquard  Freher, 
Origines  Palat  ed.  2  (1613)  lib.  11  cap.  XYII  s.  84  fg.  bemerkt,  dass  der  Rhein  das 
gold  e  mantium  auriferorum  fibrts  radicibusque  cUfrasutn  arenis  suis  involtai  et 
in  certos  voriiees  cUque  eaveas  (quibus  inde  nomen  natum  —  OoUgründe,  da  gegol- 
det  vmrdt)  eongerai.  Wie  leicht  sich  die  Vorstellung  hilden  konte,  dass  an  solcher 
stelle  ein  grosser  schätz  unter  den  fluten  verborgen  sei.  leuchtet  ein,  xmd  nichts  ist 
erklärlicher,  als  dass  die  Franken  den  unermesslichen  schätz  ihres  Nibelungenmythus 
in  ihrem  goldführenden  ströme,  im  Rheine  suchten.  Da  schon  um  4(X)  der  ägyptisch- 
griechische  Nonnus  den  Rhein  als  den  fluss  nent,  welcher  der  Beroe  bei  ihrer  Ver- 
mählung mit  Poseidon  das  gold  als  hochzeitgabe  herbeibringt  (Dionysiaca  43,  410), 
so  kann  den  Franken  sein  goldreichtum  damals  nicht  unbekant  gewesen  sein;  es 
spricht  also  alles  dafür,  dass  sie  den  Nibelungenhort,  von  dem  ihre  mythen  in  jener 
zeit  schon  berichtet  haben  müssen,  ebendamals  nirgend  anderswohin  versezten  als  in 
den  Rhein.  Freilich  nicht  in  den  teil,  an  dessen  ufern  sie  derzeit  sassen;  denn 
unterhalb  Mainz  scheint  kein  gold  mehr  vorzukommen,  während  unterhalb  Worms 
bei  Gemsheim,  in  dessen  nähe  jenes  Lochheim  liegt,  wo  das  Nibelungenlied  nach 
Lachmanns  auslegung  Hagen  den  hört  vorsenken  lässt,  „vor  Zeiten  eine  goldfischerei 
und  goldwäscherei  bestand '^^  und  ebenso  weiter  aufwärts  in  verschiedenen  orten  der 
bairischen  und  badischon  Pfalz.  Aber  gerade  die  nicht  durch  den  augenschein  kon- 
trolierten  gerüchte  und  berichte  aus  dem  nachbarlande  konten  sich  ins  phantastische 
steigern,  und  der  grosse  reichtum  dieser  von  der  natur  gesegneten,  durch  römische 
kultur  gehobenen  landschaft  mochte  in  der  sage,  dass  dort  der  gewaltigste  schätz, 
der  Nibelungen  hört,  ruhe,  greifbare  Vorstellung  gewinnen'.  Pflegt  der  sage  doch 
auch  sonst  der  schätz  zum  bilde  reicher  herschaft  und  grossen  besiztums,  zum  Inbe- 
griff aller  hilfsquellen  des  herschcrs  zu  werden.  Ich  erinnere  nur  an  die  Ermanrich- 
sage.  Als  daher  im  jähre  413  das  grosso  ereignis  geschah,  dass  jenes  reiche  land 
einem  germanischen  stamme,  den  Burgundionen  xmter  könig  Gundahari,  anheimfiel, 
da  wird  unter  den  Franken  gesagt  und  gesungen  sein,  dass  diese  glücklichen  leute 
nun  den  grossen  Rheinschatz  erworben  haben,  sie  werden  die  herren  des  Nibelun- 
genhortes genant  sein.  Das  war  im  gründe  nichts  anderes,  als  wenn  der  Mamer 
(Strauch  XI,  2)  von  den  reichen  Rheinländern  singt:  in  dienet  ouch  des  Rhies  grünt . . . 
der  Nibelunge  kort  lU  in  dem  Lurlenberge  in  In.  Als  aber  später  die  Burgundionen 
den  herlichen  besitz  verlieren,  als  die  Hunnen  jenes  mittelrheinische  Burgundenreich 
stürzen  und  Gundahari  mit  den  seinen  unter  ihren  Schwertern  fSlt,  da  heisst  das  in 
die  sinliche,  alles  individualisierende  spräche  der  sage  übersezt:  könig  Attila  bereitet 
dem  könig  Gundahari  mit  seinen  verwanten  und  seinen  leuten  den  Untergang,  um 
sich  des  Nibelungenhortes  zu  bemächtigen.  —  Waren  so  eimnal  Günther  und  sein 
geschlocht  zu  den  zeitweiligen  besitzem  des  Nibelungenschatzes  geworden,  die  um 
seinetwillen  zu  gründe  giengen,  so  musten  sie  natürlich  in  irgendwelche  Verbindung 
mit  denjenigen  erwerbem  und  herren  des  hortes  gebracht  werden,  von  denen  der 
mythus  schon  berichtete.    In  diesem  wurde  erzählt,  dass  Hagen  jenen  heros  Siegfried, 

1)  Dahl,  Beschreibung  des  fOntentams  Lorsch  s.  251. 

2)  Vgl.  auch  Heinzel  a.  a.  o.  s.  11  fg.  (679  fg.). 


ÜBER  UCHTENBIRGER,   NIBELUN6BN  413 

der  sich  den  schätz  erkämpft  hatte,  meuchlings  ei*mordete.  Denn  es  scheint  mir 
nicht  zweifelhaft,  was  auch  Lichtonberger  anzunehmen  geneigt  ist,  dass  Hagen,  von 
dem  keine  historische  quelle  etwas  weiss,  und  dessen  name  mit  den  allitorierenden 
der  burguudischen  könige  gar  nichts  gemein  hat,  der  nach  der  f^idrekssaga  eines 
elhen  söhn  ist,  Yon  vornherein  ebensowohl  wie  SiegMed  zum  mythus  gehörte.  Er 
wurde  nun  in  eine  enge  beziehung  zu  den  burgundischen  königen  gebracht;  die  art 
deiselben  schwankt  noch  in  den  yerschiedenen  Versionen:  bald  ist  er  der  bruder, 
bald  halbbruder,  bald  man  und  mfic,  immer  aber  steht  er  mit  ihnen  in  engster  genos- 
senschaft.  So  gewinnen  sie  denn  auch  mit  anteil  an  seiner  mordtat,  durch  die  der 
Nibelungenhort  in  seinen  und  ihren  besitz  übergeht,  und  werden  schliesslich  nach 
dem  schätze  auch  selbst  Nibelungen  genani 

Die  Verbindung  der  beiden  hauptteile  der  sage  ist  auf  diese  weise  meines 
erachtens  durchaus  genügend  erklärt  Dass  damit  nun  auch  jede  einzelne  beziehung 
völlig  aufgeholt  sei,  darf  man  natürlich  nicht  erwarten.  Verständlich  ist  es  so  jedes- 
fals,  wie  Günther  weiterhin  auch  bei  der  mythischen  tradition  von  Siegfried  und 
Brünhild  in  die  rolle  des  geheimen  gegenspielers  eintreten  konto,  der  den  von  Sieg- 
fried errungenen  preis  in  seine  bände  zu  bringen  weiss.  Aber  etwas  näheres  lässt 
sich  darüber  nicht  feststellen,  denn  wir  wissen  nicht,  auf  welcher  stufe  der  sagen- 
entwickelung  das  Brünhildenmotiv  gestanden  hat,  als  die  Verschmelzung  mit  dem 
historischen  elomente  oifolgte.  Ich  glaube  nicht,  dass  dieser  teil  der  Siegfriedsage 
damals  überhaupt  eine  einheitliche  gestalt  hatte;  hat  er  sie  doch  auch  in  der  Über- 
lieferung der  Edda  noch  nicht.  Die  geschichte  von  der  orweckung  der  Sigrdrifia  und 
die  von  der  gewinnung  der  Brünhild  konten  nur  künstlich  mit  einander  verbunden 
werden.  Wenn  Lichtenberger  s.  145  meint,  es  sei  zweifelhaft,  ob  die  erstere  ursprüng- 
lich noch  eine  weitere  folge  gehabt  habe  als  Siegfrieds  Unterweisung  im  runenzauber, 
so  steht  er  ja  mit  dieser  ansieht  nicht  allein;  aber  für  richtig  kann  ich  sie  nicht  hal- 
ten. Denn  sobald  man  mit  dem  Verfasser  annimt,  dass  auch  Sigrdrifa  von  der  lohe 
umgeben  ist,  und  sobald  man  mit  ihm  die  angäbe  der  prosa  für  echt  hält,  dass  Odin 
der  in  den  schlaf  versenkten  bestirnt  hatte  sich  zu  vermählen,  während  sie  das 
gelübde  tat,  keinen  mann  zu  nehmen,  der  sich  fürchten  könne,  so  muss  man  doch 
den  verlauf  der  erzählung  zweifellos  so  ergänzen,  dass  der,  welcher  die  flamme 
durchreitet  und  sie  aus  dem  zauberschlaf  erlöst,  eben  deijenige  ist,  welcher  keine 
furcht  kent  und  deshalb  ihre  band  erhält.  Dass  dies  wirklich  die  ursprüngliche 
entwickelung  war  und  dass  wir  andrerseits  keinen  grund  haben  Sigrdrifa  und  Bryn- 
hild  für  von  anfang  an  verschiedene  pei'sönlichkeiten  zu  halten,  hat  inzwischen  Sijmons 
in  dieser  Zeitschrift  XXIV,  1  fgg.  gezeigt.  Wir  haben  also  eine  Überlieferung  anzu- 
nehmen, nach  welcher  Siegfried  die  von  dem  undurchdringlichen  hindemis  eingeschlos- 
sene Walküre  für  sich  erwirbt,  und  wir  haben  demgegenüber  in  der  erzählung  von 
Biünhild  eine  andere  Überlieferung,  nach  weicherer  sie  für  einen  anderen,  den  Gün- 
ther erringt.  Beide  traditionen  würden  sich  auf  verschiedene  fassungen  eines  natur- 
mythus  zurückführen  lassen.  Die  eine  könte  das  erwecken  der  schlummernden, 
frostumfangenen  erde  durch  den  frühlings-  oder  lichtheros  und  die  Vermählung  der 
beiden  widerspiegeln;  die  andere  würde  zugleich  die  kehrseite  des  mythus  umfassen, 
nach  welcher  die  von  jener  freundlichen  gewalt  eroberte  der  dunkelen,  winterlichen 
macht  anheimfölt,  und  bei  ihr  möchten  dann  verwante  Überlieferungen  eingewirkt 
haben,  in  denen  wie  im  Freyr-Skimir- mythus  von  der  stelvei'ti'etenden  erwerbung 
der  eingeschlossenen  Jungfrau  oder  wie  im  Mengl^d- mythus  von  der  Verstellung  des 
eindringenden  werbers  erzählt  wurde.     Sicherheit  ist  ja  in  diesen  dingen  nicht  zu 


■     '■^•■«•A 


414  F.  voeT 

gewinnen;^  aber  uoviel  muss  doch  wol  zugegeben  worden,  dass  kein  zwingender  grond 
vorliegt,  hier  eine  älteste  einheitliche,  beide  motive  umfassende  sagengeetalt  Yoraos- 
zusetzen  und  dass  man  sich  eine  solche  schwer  würde  Torstellen  können.  Denn 
wenn  der  bann  der  waberlohe  einmal  dorchbrochon  ist,  wenn  die  von  ihr  umgebene 
Jungfrau  aus  ihrem  todesschlummer  erweckt  und  von  dem  geliebten  erworben  ist,  so 
kann  die  flamme  sie  doch  nachher  unmöglich  noch  umschliessen. 

Ganz  unaufgeklärt  Ifisst  Lichtenberger  dio  deutsche  Umgestaltung  der  sage, 
durch  welche  Kriemhild  statt  Etzels  ihren  brüdem  den  Untergang  bereitet  Er  meint 
—  nach  dem  Standpunkte  den  er  einnimt  ohne  ersichtlichen  grund  —  dass  diese 
Umwandlung  ebenso  wie  die  einführung  des  Dietrich  von  Bern  vielleicht  seit  dem 
onde  des  6.  Jahrhunderts  volzogen  sei.  Jedesfals  aber  müsse  sie  nach  dem  bekan- 
ten  Zeugnis  des  Saxo  Grammaticus  über  des  s&chsisohen  Sängers  gesang  von  der 
noiiasima  Qritnildae  erga  fratres  perfidia,  schon  im  anfang  des  12.  Jahrhunderts 
bestanden  haben.  Der  milderen  auffassung  des  Nibelungenliedes  von  Etzel  schreibt 
er  einen  späten  Ursprung  zu;  er  sieht  in  ihr  eine  anähnlichung  dieser  rolle  an  den 
verbreiteten  typus  des  guten  königs,  die  erfolgen  konte,  sobald  die  schuld  am  unter- 
gange der  Nibelimge  von  ihm  auf  Kriemhild  übergegangen  war;  übrigens  sei  sie 
nicht  einmal  konsequent  durchgeführt,  denn  auch  im  Nibelungenliede  erscheine  Etzel 
hio  und  da  noch  in  ungünstigem  lichte,  und  ganz  zu  verwerfen  sei  Thierry*s  ansieht, 
dass  Etzel  in  den  germanischen  Überlieferungen  von  jeher  eine  ganz  andere  und 
wesentlich  vorteilhaftere  rolle  gespielt  habe  als  in  den  romanischen.  Gegen  Thierry's 
unzulängliche  und  widerspruchsvolle  ausführungen  konte  Lichtenberger  natürlich  mit 
vollem  recht  auf  Attilas  Stellung  in  der  eddischen  und  ältesten  gestalt  der  Nibelon- 
gensage  hinweisen;  wenn  er  aber  glaubt,  dass  diese  auffassung  vom  Charakter  des 
Hunnenkönigs  die  gemeingemiamsche  gewesen  und  erst  ganz  spät  geändert  sei,  so 
veralgemeinert  auch  er  schliesslich  wie  Thlerry  seine  beobachtnngen  in  unrichtiger 
weise.  Natürlich  ist  Attila  von  seinen  gormanischen  gegnem  anders  beurteilt  als  von 
den  ihm  verbündeten  und  unterworfenen  Germanenstämmeu.  In  der  Diefrichsage  ist 
von  vornherein  für  den  blutdürstigen  und  habgierigen  Attila  der  Edda  gar  kein  platz. 
Schon  in  ihrer  ältesten  uns  bekanten  gestalt,  wie  sie  uns  im  Hildebrandsliede  vor- 
liegt,  geniesst  Dietrich  in  der  Verbannung  den  schütz  des  beherschers  der  Hunnen 
und  kehrt  mit  seiner  hilfe  heim.  Wir  wissen  aber,  dass  darin  nur  die  Übertragung 
eines  abhängigkeitsveihäitnisses  liegt,  in  welchem  Dietrichs  vater  Theodemer  tatsficb- 


1)  Yoigesogoii  wird  jert  im  a]g«meinen  die  dentoog  aof  den  tageneitemiiythiis,  und  die 
hang  der  vaberiohe  auf  die  nungenrOte  (Scherar  LQ^U,  Sümons  im  Qnmdxias  n,  1,  25,  "Wilmmiw 
A.  f.  d.  a.  18,  72)  ist  ja  aa  sieh  recht  aoBpreohend ,  betonden  wenn  maa  beräcksiöhtigt,  dass  die  raa 
ihr  umgebene  Brfinhiid  nach  der  Edda  wie  nach  der  deatschen  lokalsage  auf  einem  felMn  sdilamiBQct. 
Aber  weder  im  Freyr-  Skimiruythns  noch  in  dem  von  Swipdag  nnd  MenglQÖ  ist  doch  der  ra/rloy»  so  sb 
deaten,  nnd  ebensowenig  iHsst  sich  das  DomrOschenmIrchen  anf  den  Wechsel  der  tagesviten  nrilckfllk- 
len.  Ein  mythisches  motir  wird  doch  anch  sicher  in  dem  anltohneiden  der  brflnne  der  sa  eriOeendea  imd 
zu  erweckenden  jnngfran  za  suchen  sein;  wihrend  dies  sich  sehr  gut  auf  das  durchbrechen  des  die 
schlummemde  natnr  umschliessenden  frostpanzars  durch  den  licht-  und  sonncnheros  deuten  lisst,  wüste 
ich  es  aas  dem  tagesmythus  nicht  zu  erklSren.  So  habe  ich  denn  auch  bedenken ,  mich  Wilmanna  anza- 
Bchliessen ,  der  a.  a.  o.  in  seiner  nach  der  niedenchzift  des  obigen  teztes  ecsdilenenan  reoeoaion  tob  Lidi- 
tanbeigeri  buch  sehr  sinrelch  den  ersten  flammenritt  und  die  erweokung  der  Jungfrau  auf  morgeaiPte  aad 
sonnenaaijsang,  den  zweiten  flammenritt  und  ilire  Verbindung  mit  Qanther-SlegfHed  auf  abendrMe  oad 
nächtliche  ruhe  der  sonne  deutet  Übrigens  würde  man  sich  doch  auch  bei  dieser  erklinmg  die  beidea 
motivo,  sobald  sie  sich  zur  heldensage  formton,  wegen  der  zweimaligen  durehbrechung  desselben  hiader- 
nisses  nur  in  loee  nebeneinandeihergehenden  liedem,  nicht  in  einer  wirklidi  einheitlidien ,  ia  sidi 
geschlossenen  fonn  behandelt  denkea  mässen. 


ÜBER  LICHTKNBKRQER,   mSBLÜNOKN  415 

lieh  ZU  Attila  stand.  Dieso  konte  erst  nach  Dietiichs  lebzeiten  geschehen,  und  sie 
war  nur  möglich,  wenn  damals  noch  Überlieferungen  von  Theodemer  im  Umlauf 
waren,  in  welchen  der  sehn  in  die  stelle  des  vaters  eintreten  konte,  überUefemngen, 
welche  den  Attila  nicht  sowol  als  feind  und  unteiwerfer  wie  als  mächtigen  und  wol- 
wollenden  schutzhem  des  Ostgotenkönigs  erscheinen  Hessen.  Attila  spielte  also  in 
denselben  eine  rolle,  welche  ganz  seinem  namen  entsprach,  den  die  unterworfenen 
Germanen,  d.  h.  vor  aüem  wider  die  Ostgoten,  ebenso  bildeten  oder  deuteten,  wie  die 
Russen  ihren  zaren  Väterchen  nennen.  Erinnern  wir  uns,  dass  gotische  spräche  und 
Sitte  jedesfals  einen  hen'orragenden  platz  an  Attilas  hof  einnahm,  dass  an  demselben 
seine  taten  in  epischen  liedem  gefeiert  wurden ,  dass  abenteuernde  germanische  recken 
dort  genug  gelegenheit  zu  lohnendem  und  ehrendem  erwerbe  fanden,  dass  ostgotische 
konige  unter  ihm  und  für  ihn  fochten,  so  dürfen  wir  gewiss  annehmen,  dass  sich 
schon  von  Attilas  Zeiten  her  lieder  unter  den  Ostgoten  vererbten,  in  denen  er  als 
der  grosse  könig  dargestelt  ward,  um  den  sich  beiden  und  fürsten  verschiedener 
germanischer  stamme  scharen  und  der  sich  ihnen,  insbesondere  aber  den  Ostgoten 
und  ihrem  könig,  hilfireich  eiweist.  Wie  man  auch  immer  die  frage  nach  der  fort- 
dauer  von  resten  der  Rugier  in  Österreich,  von  trümmem  der  Ostgoten  in  den  öster- 
reichisch-bairisohen  Alpenlfindem  beantworten  mag,  soviel  ist  doch  sicher,  dass  die 
reich  entwickelte  ostgotische  heldensage  und  dichtung  am  ersten  und  stärksten  in  jenen 
dem  Ostgotenreiche  einst  benachbarten,  teilweise  auch  ehedem  zugehörigen  gegenden 
ausgebreitet  war;  und  wenn  nun  die  ältesten  mittelhodideutscheu  nationalepen,  die 
obendort  gedichtet  wurden,  Nibelungen,  Biterolf,  Klage,  den  Charakter  des  Etzel  und 
sein  Verhältnis  zu  germanischen  fürsten,  insbesondere  zu  dem  Ostgotenkönig  den  vor- 
auszusetzenden ostgotischen  Überlieferungen  entsprechend  darstellen,  während  er  in 
quellen  die  auf  fränkische  und  niedersächsische  tradition  zurückgehen  als  der  grau- 
same und  herschsüchtige  tyrann  erscheint,  so  wird  das  gewiss  nicht  zufallig  sein. 
AId  die  fränkische  Nibelungensage  in  die  baiiisch- österreichischen  lande  gelangte, 
begegnete  sie  eben  Überlieferungen  vom  könig  Etzel,  welche  von  einer  anderen,  gün- 
stigen auffassung  desselben  ausgiengen;  und  diese  auffassung  konte  nicht  ohne  folgen 
für  die  Nibelungensage  bleiben ,  sobald  sich  ebendort  ihre  so  naheliegende  Verbindung 
mit  der  Dietrichsage  volzogen  hatte  und  ein  ausgleich  der  verschiedenen  Vorstellun- 
gen angestrebt  wurde.  Dieser  entwickelung  kam  nun  ein  anderer,  entscheidender 
umstand  entgegen.  Es  war  ein  unbefriedigender  ausgang  der  Siegfriedsage,  dass  der 
tod  des  beiden  ungerächt  blieb.  Die  nordische  Überlieferung  liess  aus  diesem  gefühl 
heraus  den  sterbenden  Sigurd  selbst  noch  seinen  möi'dor  töten.  Die  deutsche  wendung 
der  sage  ist  durch  eine  wandeluug  socialer  anschauungen  bedingt,  die  auch  Lamp- 
reoht,  Deutsche  geschieh te  1,  106  in  Verbindung  mit  der  Nibelungentradition  sezt, 
ohne  die  meines  erachtens  wichtigste  folgemng  daraus  zu  ziehen.  Während  früher 
das  Verhältnis  zwischen  bruder  und  Schwester  als  ganz  besonders  eng  und  heilig  galt, 
heiliger  als  die  ehe,  hielt  man  mit  der  fortschreitenden  entwickelung  der  geselschaft- 
lichen  Ordnung  die  bände,  welche  die  beiden  gatten  verknüpfen,  für  die  festeren  und 
höher  zu  achtenden.  Kriemhilds  erste  pflicht  wurde  es  danach,  für  den  ermoixleten 
gemahl  blutrache  zu  nehmen;  so  wui-de  der  Untergang  ihrer  mit  der  blutschuld  bela- 
denen  brüder  als  die  folge  davon  aufgefasst,  dass  Eriemhild  dieser  pflicht  der  gattin 
nachkam,  und  die  Überlieferung,  dass  sie  ihre  brüder  an  Etzel  rächt,  schwindet  damit 
natürlich  aus  der  sage.  Dass  Etzel  dabei  immer  doch  noch  als  habgieriger  mitschul- 
diger hätte  gelten  können,  zeigt  die  I^idrekssaga.  Erst  die  Verbindung  der  in  der 
baiiisch -östcn'cichischon  sage  hei'schendon  günstigeren  auffassung  Etzols   mit  jener 


416  F.  VOQT,  ÜBER  UCBTEMBEROIB,  NIBKLÜNOKN 

Yeräoderton  anschauung  über  Eriemhilds  Verpflichtungen  gegen  den  gatten  nnd  gegen 
die  brüder  hat  die  volle  und  einheitliche  Umgestaltung  der  sage  zur  folge  gehabt 
Übrigens  zeigt  diese  wandelung,  wie  früh  die  geschichte  von  Siegfried  und  Eriem- 
hild  und  die  vom  untergange  der  Nibelunge  als  ein  zusammengehöriges  ganzes  gegol- 
ten haben  muss. 

Dass  Lichtenberger  in  den  lezten  kapiteln  für  die  kenzeichnung  des  typischen 
und  des  eigenartigen  in  den  motiven  und  Charakteren  des  Nibelungenliedes  auch  die 
spielmannspoesie  ztun  vergleiche  herbeigezogen  hat,  ist  nur  zu  loben.  Aber  er  über- 
schäzt  die  verwantschalt  der  beiden.  Er  findet  in  einzelnen  föllen  ähnlichkeiten,  wo 
ich  durchaus  keine  zu  entdecken  vermag,  z.  b.  wenn  er  s.  328  behauptet:  nous 
retrouvons  dans  le  Nibelungenlied  ,  . »  le  mauvais  rai,  redoutable  ä  Ums  eeux  qui 
pritendeni  ä  la  tnain  de  aa  fiüe.  Die  grosse  verschiedonheit  des  ganzen  poetischen 
Stiles  der  Nibelungen  xmd  der  spielmannsepen  entgeht  ihm  ja  nicht,  und  er  macht 
einen  unterschied  zwischen  der  art  der  rheinischen  und  deijenigen  der  österreichischea 
Spielleute;  aber  nach  seiner  darstellung  erscheint  diese  mehrfach  als  eine  jün- 
gere Veredelung  von  jener,  und  doch  kann  eine  dichtungsweise,  wie  sie  uns  im 
Orendel,  Morolf  und  Oswald  entgegentritt,  nun  und  nimmermehr  die  Vorstufe  der 
Nibelungenepik  gewesen  sein.  Das  Nibelungenlied  weist  zweifellos  auf  eine  lange 
zeit  weit  treuerer  und  ernsthafterer  pflege  alter  epischer  überlieforungen  zurück,  als 
sie  aus  jenen  gedichten  spricht  Schon  wenn  er  den  herzog  £mst  mit  zu  jener  spiel- 
mannspoesie zilhlt,  h&lt  der  veifusser  verschiedene  dichtungsarten  nicht  genügend 
auseinander,  obwohl  er  hier  einem  alten  herkommen  folgt  Wie  wenig  berechtigt 
dies  ist,  zeigt  Lichtenberger  selbst  am  besten,  indem  er  da,  wo  er  auf  die  einzelnen 
charakteristischen  züge  dar  spielmannspoesie  eingeht,  den  Ernst  ganz  ausser  betracht 
lasst;  sie  finden  sich  eben  in  diesem  gedichte  nicht  (vgl.  diese  ztschr.  XXII,  478  und 
480  fg.).  Auch  sonst  hat  der  Verfasser  bei  seiner  litterarischen  Charakteristik  einzel- 
nes zu  sehr  veralgemeinert,  und  diesem  und  jenem  ästhetischem  urteil  kann  ich 
nicht  beipflichten.  Aber  im  ganzen  finde  ich  sowol  die  spielmannsepen  wie  das  Nibe- 
lungenlied mit  richtigem  nachempfinden  anschaulich  und  ansprechend  charakterisiert. 
Im  Nibelungenlied  wird  spreu  und  weizen  meist  richtig  geschieden,  und  wenn  der 
Verfasser  auch  einiges  ohne  ausreichenden  grund  als  ridieule  bezeichnet,  so  hat  er 
doch  für  das  wirklich  grossartige  in  motiven  und  Charakteren  volles  verstSndnis.  Auch 
die  darstellungsweise  unseres  grossen  epos  kenzeichnet  er  zutreffend  durch  die  satse, 
mit  welchen  er  seine  abhandlung  beschliesst:  Le  poeie  se  bame  ä  reiraeer  les  ctven- 
tures  merveilleusee  que  rapporie  la  tradiiian,  il  est  sobre  dans  ses  descriptions; 
rtteeent  de  ses  ehanis  est  simple  et  frane.  Dans  aes  vers  sans  pritention,  sans 
omements  inutiles,  passe  un  souffle  de  poisie  natte  qui  etonne  par  son  äpre 
vigueur  au  sSduit  par  wie  sorte  de  grdce  arekaique,  et  ses  lieder  preteni  une  vie 
d*une  singulare  puissanee  ä  ees  figures  idiales  un  peu  raides,  mais  si  expres-- 
sives,  ä  ees  vieux  h6roSy  ä  ees  types  de  femmes  Stranges  et  mystSrieux  eelas  dans 
l'imagination  des  anciens  Qermains* 

Lichtenbergers  buch  ist  vortreflich  geeignet,  in  Frankreich  zu  eingehenderer 
beschäftigung  mit  dem  Nibelungenliede  anzuregen  sowie  die  richtige  historische  und 
ästhetische  beurteilung  desselben  und  die  erkentnis  seiner  nationalen  eigenart  dort  zu 
fordern.  Es  kann  aber  auch  deutschen  lesem  zur  einführung  in  ein  litterarhistorisches 
Studium  unseres  nationalepos  recht  wol  empfohlen  worden. 

BRXSLAU.  K.   VOOT. 


fcLÜNOEB,   ibKR  HAÜl^EN,   CkSPJA  SCäElDt  41? 

Adolf  Haoffen,  Caspar  Scheidt,  der  lehrer  Fischarts.  Studien  zur  ge- 
schichte  der  grobianischen  litteratur  in  Deutchland.  (Quellen  und  for- 
scfaungen  zur  sprach-  und  kultm'geschichte  der  germanischen  Völker,  heft  66.) 
Strassburg,  Trübner.  1889.    X  und  136  s.    3  m. 

Eine  kulturgeschichtlich  wichtige  aufgäbe  hat  sich  der  Verfasser  des  vorliegen- 
den buches  gestelt,  indem  er  die  klassische  verköiperung  des  grobianismus,  wie  sie 
im  sechzehnten  Jahrhundert  durch  Dedekind  und  Scheidt  ausgeprägt  worden  ist,  sowie 
ihre  vor-  und  nachgeschichte  darzusteUen  unternommen  hat.  Scherer  durch  seinen 
an  grossen  gesichtspunkten  reichen  artikel  über  Dedekind  in  der  Alg.  deutsch,  biogr., 
Milchsack  durch  die  sorgfältigen  zusammeDstoUungen  vor  seinem  neudmcke  des 
Scheidtschen  Grobianus  hatten  für  eine  solche  arbeit  bereits  die  wege  gewiesen.  Es 
war  selbstverständlich,  dass  die  betrachtung  von  den  altdeutschen  tischzuchten  aus- 
zugehen hatte,  dann  zu  zeigen  war,  wie  die  tischzuchten  almählich  parodistisch 
aufgefasst  werden  und  wie  hierauf,  nachdem  Sebastian  Brant  den  namen  Gro- 
bianis  geschaffen  und  die  litteratur  des  15.  und  beginnenden  16.  Jahrhunderts  in 
ihren  meisten  erzeugnissen  ein  gewaltiges  material  zur  näheren  ausmalung  dieses 
dankbaren  gegenständes  aufgespeichert  hatte,  der  sog.  kleine  Grobianus  von  1538  die 
wichtigsten  merkmale  des  zum  Grobianerorden  gehörenden  kurz  und  bündig  zusam- 
menfassi  Diesen  weg  ist  der  Verfasser  unter  sorgfältiger  berücksichtigung  des  vor- 
handenen materials  auch  gegangen  und  hat  manche  neuen  hinweise  hinzugefügt, 
namentlich  sei  auf  die  Zusammenstellungen  über  Brant  und  Murner  sowie  die  übrige 
litteratur  im  ausgehenden  15.  und  beginnenden  16.  Jahrhundert  verwiesen,  s.  19  fgg. 
Es  wird  dann  weiter  gezeigt,  wie  Dedekind  das  im  Kleinen  Grobianus  bereits  gege- 
bene Schema  besser  ordnet  und  übersichtlicher  gruppiert  und  der  gestalt  durch  eine 
grosse  reihe  von  einzelzügen  greifbares  leben  verschafb  hat  Trotz  des  lateinischen 
gewandes  (oder  vielleicht  grade  wegen  desselben)  fand  die  dichtung  eine  ungemein 
weite  Verbreitung  und  wurde  durch  Scheidts  Übersetzung  denen,  die  des  lateinischen 
nicht  mächtig  waren,  zugänglich  gemacht  Diese  Übersetzung  wird  in  der  vorliegen- 
den arbeit  sorgfältig  mit  dem  lateinischen  original  verglichen,  und  der  Verfasser  zählt 
in  übersichtlicher  weise  die  Veränderungen  und  erweiterungen  auf,  die  Scheidt  sich 
erlaubt  und  die  im  wesentlichen  den  zweck  verfolgen,  den  ganzen  Stoff  wirkungs- 
voller auszugestalten  und  die  parodistischen  demente  mehr  herauszuarbeiten.  Sodann 
betrachtet  der  Verfasser  die  zweite  fassung  von  Dedekinds  Grobianus  (1582),  die  einer- 
seits durch  aufnähme  einer  grösseren  anzahl  meist  aus  Bebeis  Facetien  geschöpfter 
schwanke,  anderseits  namentlich  durch  die  einfügung  der  weiblichen  nebenbuhlerin  des 
Grobianus,  der  Grobiana,  sich  auszeichnet  Wichtig  ist  hier  vor  allem  der  s.  64  fg. 
geführte  nachweis,  dass  die  bis  jezt  wol  ziemlich  algemein  angenommene  abhängigkeit 
der  zweiten  fassung  Dedekinds  von  Scheidts  Verdeutschung  volständig  hinfällig  und 
durch  nichts  zu  beweisen  ist.  Wendelin  Hellbachs  bearbeitung  der  zweiten  fassung 
Dedekinds,  Eienheckels  prosaischer  auszug  und  Wenzel  Scharffers  übei-tragung  in 
Alexandrinern  werden  ausreichend  charakterisiert,  worauf  dann  noch  kurz  die  übrigen 
nachwirkungen  des  Grobianus  zusammengestelt  werden.  —  Ein  weiteres  kapitel  behan- 
delt Scheidts  lobrede  von  wegen  des  Meyen,  in  der  er,  zum  teil  ebenfals  auf  latei- 
nischen Vorbildern  fassend  und  auch  von  der  französischen  litteratur  nicht  unbeein- 
flusst,  den  mai  gegenüber  dem  herbst  herausstreicht  Eine  betrachtung  über  die 
beeinflussung  Fischarts  durch  Scheidt,  welcher  neben  dem  gereimten  Eulenspiegel 
namentlich  noch  die  trunkenlitanei  aus  der  geschichtsklitterung  zu  gründe  gelegt  ist, 
bildet  den  schluss  des  buches,  welches   von  hcrm  prof.  Erich  Schmidt  angeregt  ist 

ZEITSCURIFT  F.  OEUTSCHR  PHTLOLOOIK.      BD.   ZZV.  27 


418  SLUN01B 

und   einen  schätzenswerten  beitrag  zur  koltor-  und  litteratuigeschichte  des  16.  Jahr- 
hunderts bietet 

Was  die  kulturgesohiohtlichen  folgerungen  aus  dem  vorliegenden  material 
betrift,  so  möchte  ich  davor  warnen,  den  werth  dieser  schildeinngen  zu  übeischatzan. 
Grade  die  durchgeführte  ironie  und  der  algemeine  beifall,  den  diese  bei  den  Zeitgenos- 
sen findet,  zeigt  doch  schon  eine  gewisse  erhebung  über  die  greuliche  unflfiterei.  Es 
liegt  mir  gewiss  fem,  zu  bestreiten,  dass  in  den  sitton  des  16.  Jahrhunderts  noch 
immer  eine  entsetzliche  rohheit  sich  zeigt,  allein  nach  meiner  kentnis  des  einsdila- 
genden  materials  ist  im  16.  Jahrhundert  der  höhepunkt  in  dieser  richtung  bereits 
überschritten;  dieser  fält  vielmehr  in  das  vorbeigehende  Jahrhundert,  dessen  beispiel- 
lose wüstheit  im  Zeitalter  der  reformation  entschieden  nicht  wider  erreicht  worden 
ist  Es  ist  notwendig  auf  diese  tatsache  ausdrücklich  hinzuweisen,  um  unrich- 
tigen Vorstellungen  vorzubeugen,  wie  sie  neuerdings  Johannes  Janssen  im  VI.  bände 
seiner  sogenanten  Deutschen  geschichte  wider  zu  verbreiten  gesucht  hat  (Vgl- 
darüber  meine  ausführungen  in  der  Historischen  Zeitschrift,  N.  F.  bd.  XXIX, 
s.  150  %g.) 

Zu  der  nachgeschichte  des  Orobianius  möge  noch  ein  kleiner  nachtrag  beige- 
steuert werden.  Im  jähre  1630  erschien  in  Augsburg  eine  kleine  schrift:  Alamo- 
dische  Hobelbanck  (den  langen  titel  volständig  mitzuteilen  scheint  mir  unnötig; 
exemplar  auf  der  königl.  bibliothek  in  Berlin,  Yy  1391).  Sie  enthält  einen  dialog 
zwischen  zwei  adlichen  Adolf  und  Rudolf,  der  im  ganzen  von  sehr  verstän- 
digen gesichtspunkten  aus  sowol  das  grobianische  wesen  als  die  törichte  nach- 
äffung fremder,  namentlich  französischer  sitten  oder  Unsitten  bekämpft,  auf  eine 
vernünftige  und  sorgfältige  erziehung  dringt  und  die  forderung  erhebt,  dass  der 
adliche  seinen  adol  ebenso  durch  sein  ganzes  inneres  wesen  wie  durch  den  äusse- 
ren anstand  beweisen  solle.  Dieses  gespräch  erschien  dann  umgearbeitet,  mit  sehr 
unnötiger  pedantischer  gelehrsamkeit  vermehrt  und  dadurch  entschieden  nicht  verbes- 
sert, später  noch  einmal  unter  dem  titel:  Renovirte  Und  mercklich  vermehrte 
Alamodische  Hobel-Banck  (exemplar  in  Berlin,  Yyl421;  um  1660,  da  der 
polnisch -schwedische  krieg  als  eben  beendet  erwähnt  wird,  s.  181:  Darum  die  bran- 
denburgischen Soldaten  in  jüngstverflossenem  schwedisch-  und  polnischen  krieg 
nicht  vergeblich  gesungen,  wie  schmeckt  uns  das  leder  von  den  gänsen  so  wol!) 
In  diesem  buch  schliesst  sich  an  die  dem  gespräch  folgenden  kurzen  lehren 
s.  173  —  188  an  ein:  Eurtzverfasster  Qrobianus.  Allen  Epicurischen 
Mast-Schweinen,  Venus-Nutzern,  Fantastischen  Pflaster-Trettern  und 
Müssiggengern,  sich  darinnen  zu  bespiegeln,  vorgestellet  Der  kurze 
auszug  weist  wider  16  abschnitte  auf  wie  der  sogenante  kleine  Grobianus,  Qrobianus 
tichzucht  von  1538.  Doch  hat  er  mit  diesem,  der  freilich  ebenfals  noch  ziemlich 
lange  nachgewirkt  hat,  nichts  zu  tun.  Er  ist  vielmehr  ein  kurzer  auszug  aus 
der  ersten  fassung  des  Grobianus;  das  Verhältnis  zu  Kienheckeis  bearbeitung,  an 
welche  man  wegen  der  prosaischen  form  zuerst  erinnert  wird,  konte  ich  im  augen- 
blicke  nicht  feststellen,  da  mir  diese  nicht  zugänglich  war.  Am  ausfohrUchsten  ist 
das  kapitel  über  das  trinken  behandelt,  hier  geht  die  prosa  in  eine  art  von  reimprosa 
über,  ganz  in  Fischarts  art,  an  welchen  auch  einige  maccaronische  Wendungen  erin- 
nern; einzelnes  in  dieser  stelle  klingt  an  die  trunkenlitanei  an. 

Um  eine  ungefähre  Vorstellung  von  diesem  lezten  selbständigen  ausläufer  der 
grobianischen  litteratur  zu  geben,  lasse  ich  die  einleitung  und  die  ersten  beiden 
abschnitte  folgen: 


ÜBER  BKINK,   SCRAUSPIRL  DKB  WANDKRTRUPPEK  4lÖ 

Eartzverfasster  Grobianus.  Wem  dud  diese  vorgesetzte  hobel-banck 
allzu  rigoros  und  streng  zu  seyn  scheint,  der  kann  seine  fantastische,  ungehobelte 
Sitten  behalten,  und  nach  diesem  beygefügten  Grobiane  vermehren  und  einrichten,  so 
wird  er  hie  zeitlich  nicht  allein  überall  lieb  und  angenehm  seyn,  -wie  die  sau  in  des 
jaden  haus,  und  der  esel  in  dem  blumen-feld;  nach  seinem  tod  aber  unfehlbar 
nebens  andern  seinen  geschwomen  zunfft-brüdem,  in  Nobis-krug,  wo  man  die  äp£Pel 
aufm  sims  bifttet,  sein  loschier  finden;  dann  wie  die  arbeit,  so  ist  der  lohnl  Mas- 
sen sich  nicht  wenig  finden,  welche  den  Catonem  und  alle  seine  nachfolger,  so  sich 
unterstehen,  hoff-  und  tisch -zucht,  moralien  und  tugend- lehren  vorzuschreiben, 
verlachen  und  verachten;  den  Syrach  für  einen  narren  und  dilltappen,  welcher  ver- 
mahnet: Wenn  du  bey  eines  reichen  mannes  tisch  sitzest,  so  sperre  deinen  rächen 
nicht  auf,  xmd  dencke  nicht,  hie  ist  viel  zu  fressen,  greiff  nicht  nach  allem,  was 
du  siebest,  und  nimm  nicht,  was  für  einen  andern  in  der  Schüssel  lieget;  Iss  wie 
ein  mensch,  was  dir  fürgesetzet  ist,  und  friss  nicht  zu  sehr,  auf  dass  man  dir  nicht 
gram  wird;  Wann  du  bey  vielen  sitzest,  so  greiff  nicht  am  ersten  zu,  usw.  Oap.  31. 
Und  im  42.  Schäme  dich,  dass  du  mit  dem  arm  auf  dem  tische  liegest.  Schäme 
dich,  dass  du  nicht  danckest,  wenn  man  dich  grüsset.  Schäme  dich,  nach  den 
buren  zu  sehen,  und  fremder  mägde  zu  begehren,  usw.  Diss  alles  hält  Monsieur 
Schweinhardus  Grobianus,  aus  Schlaraffenland  gebürdig,  für  saalbaderey,  und  lehret 
gerad  das  widerspiel;  weiset  hingegen  seine  brüder  und  mit-glieder  auf  das  natür- 
liche schlaff-  fress-  und  sauff- recht,  und  an  die  heutiges  tagos  im  schwang  gehende, 
incivilische  mores,  dann  allzuviel  gesetze  und  regeln,  machen  auf  trucknen  land 
segeln,  das  ist,  verwirrt  imd  nämsch  seyn.  Giebt  ihnen  demnach,  mit  veigün- 
stigung  des  Plutonischen  gross -printzen,  nachfolgendes  immerwehrendes  Privilegium, 
dergestalt  kürtzlich  verfasset,  dass  unser  neumodische  weit -fantasten,  selbiges  desto 
leichter  meroken  und  fassen  können. 

1.  Erstlich  und  zu  förderst  sollen  alle  dem  Grobianismo  beygethane,  für  allen 
dingen  ihren  bauch  oder  wanst,  als  ihren  abgott  in  ehren  halten,  und  durch  die 
finstere  nacht,  biss  an  das  helle  mittag -liecht,  schnarchando,  ratzen,  schnarchen 
und  schlaffen,  die  wegen  des  tages  über  gepflogener  woUust  ermüdete  glieder  fein 
ausrohen  lassen,  und  nicht  ehe  aus  dem  feder-nest  fliegen,  biss  die  teller  auf  dem 
tische  liegen,  xmd  die  fress -glocke  in  dem  magen  beginnet  zu  leuten,  dann  soll  er 
aus  dem  bette  schreiten,  die  kleider  auf  den  nacken  fassen,  und  sich,  wann  es  son- 
derlich kalt  ist,  hinter  dem  warmen  ofen  anziehen,  damit  die  mägde  die  weissen 
beine  und  das  schnee- weisse  hälslein  sehen,  und  sich  darein  verlieben  können,  auch 
desto  grossem  appetit  und  lost  zu  ihm  haben  mögen;  mit  dem  morgensegen  soll  er 
Inhalten,  und  selbigen  sparen,  biss  zu  dem  abendsegen:  Nam  quod  potest  fieri  per 
pauca;  non  debet  fieri  per  plura;  oder  es  doch  knrtz  und  gut  machen,  ungefehr  die- 
ses inhalts:  das  walte  gott,  und  kein  böses  weib! 

2.  Einen  guten  morgen  soll  er  niemand  wünschen,  als  nur  der  Jungfer  Elisa- 
bet,  die  ihm  fein  sanfft  macht  das  bett,  den  andern  gruss  soll  er  erspaliren,  und 
mit  selbigen  wind  die  brühheisse  suppen  über  den  tisch  blasen. 

BERLIN.  OIORO  KLUNQRR. 

Carl  Heine,   Das  Schauspiel  der  deutschen  Wanderbühne  vor  Gottsched. 
Halle,  Max  Niemeyer.  1889.    VIT  und  92  s. 

Die  geschichte  des  deutschen  volksdramas  im  siebzehnten  Jahrhundert  liegt 
noch  so  im  argen,  dass  jeder  beitrag,  der  einen  teil  des  über  dem  Schauspiel  der  fah- 

27* 


r^"  de  jr*- 


420  ietiiKolEtt 

renden  liegeDdeo  donkels  zu  lüften  im  stände  ist,  auf  dankbare  aufnähme  bei  den 
Dachgenossen  reebnen  darf.  Die  vorliegende  sohrilt  nun  stell  zunächst  die  stücke 
zusammen,  die  sich  nachweislich  auf  dem  repertoire  der  fahrenden  befunden  haben 
und  uns  volständig  erhalten  sind.  Dankenswert  ist  dann  femer  die  s.  9  fg.  gegebene 
au&tellung  über  die  herkunft  der  aufgeführten  stücke,  wobei  der  Verfasser  sich  nicht 
auf  die  volständig  erhaltenen  dramen  beschi-änkt.  Das  hauptkontingent  stell  das  spa- 
nische drama  (darunter  befinden  sich  fünf  stücke  von  Caldei-on  und  eins  von  Lope), 
daneben  erscheinen  fi*anzösische,  niederländische  und  deutsche  originale;  ob  italieni- 
scher Ursprung  bei  allen  den  stücken,  die  der  Verfasser  hierher  rechnet,  wirklkdi 
anzunehmen  ist,  muss  dahingestell  bleiben;  dass  auch  Englands  dramatische  Produk- 
tion noch  beständig  auf  das  drama  der  fahrenden  einwirkte,  sehen  wir  an  dem  Ver- 
irten  Soldaten.  Weniger  fordernd  als  diese  Übersicht  ei'scheint  mir  die  zusammenstd- 
lung  der  im  ernsten  drama  der  fahrenden  verwendeten  motive  s.  15  fgg.;  man  eihilt 
kein  richtiges  bild,  ebensowenig  wie  aus  der  s.  80  fgg.  gegebenen  übersieht  über  die 
am  häufigsten  vorkommenden  Hanswurstcharaktere.  S.  42  fgg.  berichtet  der  Verfasser 
auf  grund  der  erhaltenen  dramen  über  die  art  der  darstellung,  rollenbesetzung,  das 
aussehen  der  bühne,  die  notwendigen  requisiten  und  ähnliches,  wobei  s.  43  richtig 
bemerkt  wird,  dass  in  den  dramen  das  extemporieren  im  wesentlichen  auf  die  komi- 
schen scenen  sich  beschi'änkte,  was  sich  übrigens  auch  aus  den  älteren  puppen- 
spieltexten  ergibt 

Der  hauptwert  des  buches  beruht  auf  den  s.  61  fgg.  gegebenen  analysen  ans 
di-amenhandschriften  der  fahrenden,  welche  die  Wiener  bibliothek  besizt  Ob  nüt 
diesen  und  den  von  dem  Verfasser  früher  gegebenen  mitteilungen  die  schätze  dar 
Wiener  bibliothek  nach  dieser  richlung  hin  erschöpft  worden  sind,  sagt  der  Verfasser 
nirgends;  der  referenl,  der  die  Wiener  bibliothek  nicht  kent,  vermag  darüber  selbst- 
verständlich kein  uiieil  abzugeben.  Das  verhältnismässig  vollendetste  der  analysier- 
ten stücke,  scheint,  soweit  sich  aus  den  mitgeteilten  inhaltsangaben  schliessen  lasst, 
die  komödie  in  12  personen  s.  66  fgg.  zu  sein. 

Kann  somit  in  bezug  auf  das  neu  beigebrachte  malerial  die  arbeil  als  eine 
dankenswerte  bereioherung  unserer  kontnisse  des  dramas  der  fahrenden  dankbar  ent- 
gegengenommen werden,  so  erscheint  dem  referenten  das  verfahren  des  Verfassers, 
näheres  über  das  repertoire  der  Wandertruppen  zu  ermitteln  und  festzustellen,  bei 
weitem  nicht  ausreichend  zu  sein.  Auf  grund  der  wenigen  gleichzeitigen  handschrif- 
ten,  die  der  zufall  vor  dem  verderben  gerettet  hat,  lässt  sich  sicher  kein  auch  nur 
annähernd  richtiges  bild  von  der  beschaffenheit  und  dem  umfange  dieses  repertoiies 
gewinnen,  unsere  kentnis  derselben  würde  immer  eine  ganz  mangelhafte  bleiben^ 
wenn  wir  nicht  ein  wichtiges  hilfsmittel  mit  hinzunehmen:  die  Puppenspiele.  Ein 
grosser  teil  der  gedruckten  imd  handschriftlich  erhaltenen  Puppenspiele  reicht  in  sei- 
nem kern  in  die  zeit  des  endenden  siebzehnten  Jahrhunderts  zurück;  bei  den  meisten 
kann,  wenn  man  ihre  litterarisohe  abstammung  betrachtet,  gar  kein  zweifei  darüber 
bestehen,  dass  sie  auf  der  bühne  der  fahrenden  gespielt  sind  und  als  volksdramen  das 
Publikum  orgözt  haben.  Freilich  die  aufgäbe,  die  sich  somit  ergibt,  ist  nicht  leicht 
Zunächst  geben  die  samlungen  von  Puppenspielen,  die  wir  bis  jezt  besitzen,  so  vor- 
trefliche  dienste  sie  auch  unter  umständen  der  forschung  leisten,  doch  nur  einen 
verschwindend  kleinen  bruchteil  der  auf  den  puppenbühnen  gespielten  stüoke  wider. 
Es  müste  also  zu  einer  derartigen  arbeit  das.  reiche  handschriftliche  material  hinzu- 
gezogen werden,  das  noch  auf  den  verschiedenen  deutschen  bibliolheken  zu  finden 
ist    Dann  müsten  natürlich  die  spiele  ausgeschieden  werden,  von  denen  ein  zurück- 


ÜBKB  KRAUS,   PUPPENSPIEL  VOM  DOCTOR  FAUST  421 

reichen  bis  an  den  anfang  des  achtzehnten  Jahrhunderts  oder  noch  ins  siebzehnte 
Jahrhundert  nicht  angenommen  werden  kann.  Natürlich  wären  auch  diese  spiele  einer 
genauen  Untersuchung  zu  unterwerfen,  denn  nicht  selten  komt  es  vor,  dass  teile 
älterer  stücke  in  ganz  junge  Puppenspiele  hineingeraten  sind.  (Ein  beispiel  in  dieser 
Zeitschrift  XXI,  s.  119.  Braunes  neudrucke,  90  und  91,  s.  XIV.)  Und  ebenso  lie- 
gen uns  ja  die  älteren  Puppenspiele  vielfach  überarbeitet,  korrumpiert  und  duix^h 
roannichfache  zusätze  entstelt,  vor.  Diese  stücke  müsten  ebenfals  einer  eingehenden 
Untersuchung  unterworfen  werden;  durch  vergleichung  der  verschiedenen  iassungen, 
durch  ermittelung  der  stücke,  von  denen  sie  abgeleitet  sind,  durch  die  mittel,  die 
die  innere  kritik  an  die  band  gibt,  ist  dann  der  versuch  zu  machen,  den  ursprüng- 
lichen kern  in  diesen  stücken  festzustellen. 

Eine  ähnliche  arbeit,  wie  ich  sie  eben  skizziert  habe,  ist  gewiss  nicht  leicht 
Sie  sezt  eine  ausgebreitete  belesenheit,  ein  nicht  geringes  philologisches  geschick  und 
eine  sichere  kombinationsgabe  voraus.  Dennoch  müssen  versuche  gemacht  werden, 
sie  zu  lösen,  bevor  man  zu  einer  wirklichen  erledigung  der  frage  schreiten  kann, 
deren  beantwortung  der  Verfasser  in  dem  vorliegenden  buche  unternommen  hai  Dass 
auch  das  gleichzeitige  kunstdrama  (z.  b.  die  stücke  des  Verfassers  dßt  Kunst  über 
alle  künste)  für  die  erkentnis  des  Schauspieles  der  fahrenden  manche  wichtigen 
anhaltspunkte  gewährt,  die  noch  keineswegs  genügend  ausgenuzt  sind  —  darauf  sei 
nur  mit  einem  werte  vorläufig  hingewiesen;  ich  denke  in  nicht  alzulanger  zeit  darauf 
zurückzukommen. 

BERLIN.  eiORe  ILLINeiB. 


Das  böhmische  Puppenspiel  vom  doctor  Faust.  Von  Ernst  Kraus«  Abhand- 
lung und  Übersetzung.  Breslau,  vorlag  von  Wilhelm  Köbner.  1891.  VI  und 
170  s.    3  m. 

Das  vorliegende  buch  hat  das  verdienst,  unsere  kentnis  von  dem  ozechischen 
Faustpuppenspiel,  die  sich  bis  jezt  im  wesentlichen  auf  Andrees  bekanten  bericht  grün- 
dete, beträchtlich  zu  vermehren  und  zwei  volständige  fassungen  des  Spieles  in  einer, 
wie  es  scheint,  getreuen  Übersetzung  bekant  zu  geben.  Der  Verfasser  hat  die  beiden 
texte  (neben  denen  Andrees  bericht  und  aufzeiohnungen  eines  Studenten  über  eine 
auflnhrung  des  Puppenspiels  nur  wenig  in  betracht  kommen)  einer  sorgfältigen  ver- 
gleichung unterzogen,  deren  nachprüfnng  dadurch  wesentlich  erleichtert  wird,  dass 
die  beiden  spiele  in  sauberem  abdruck  neben  einander  gestelt  sind.  Das  resultat 
dieser  vergleichenden  Untersuchungen  über  das  Verhältnis  der  beiden  fassungen  zu 
einander  ist  dieses,  dass  die  gleiche  anläge  sowie  viele  Übereinstimmungen  im  ein- 
zelnen auf  eine  gemeinsame  vorläge  hinweisen.  Gegen  diese  annähme  wird  sich 
gewiss  nichts  einwenden  lassen.  Über  das  alter  dieser  vorläge,  die  mit  C  bezeichnet 
wird,  spricht  sich  der  Verfasser  mit  der  grösten  vorsieht  aus;  die  sprachlichen  erwä- 
gungon,  die  er  anstolt,  scheinen  ihm  zur  altersbestimmung  entscheidende  merkmale 
nicht  zu  gewähren;  aus  inneren  gründen,  über  die  wir  indessen  keine  nähere  aus- 
kunft  erhalten,  glaubt  er  sich  aber  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  C  weit  in  das 
achtzehnte  Jahrhundert  hinaufreiche.  Auf  die  weitere  frage  nach  der  vorläge  von  C 
geht  der  Verfasser  zunächst  durch  eine  vergleichung  der  böhmischen  texte  mit  den 
deutschon  Puppenspielen  ein:  irgendwelche  nennenswerte  aufschlüsse  ergeben  sich 
indessen  auf  diesem  wege  nicht,  obgleich  einzelne  gute  parallelen  angeführt  werden. 
Noch  weniger  können  aber  die  ansichten  befriedigen,  die  der  verfiEusser  über  das  ver- 


422  KLUNGEB 

hältnis  der  Volkslieder  vom  Faast  zu  den  czechischen  Puppenspielen  vorträgt  Die 
an  sich  nicht  alzu  schwer  zu  erkennenden  beziehungen  zwischen  dem  volksdrama 
und  dem  epischen  volksliede  von  Faust  sind  in  neuester  zeit  durch  einen  unnötigen 
aufwand  subtilster  Untersuchungen  mehr  verdunkelt  als  erhelt  worden.  Die  widitigste 
der  dabei  in  betracht  kommenden  fragen  ist  bekantlioh  die,  auf  welche  weise  die  in 
dem  epischen  volksliede  vorkommende  soene,  in  der  Faust  sich  den  eilöser  am  kreuz 
malen  lässt,  in  das  drama  gekommen  ist  Kraus  versucht  den  knoten  mit  einem 
kühnen  streiche  zu  durchhauen.  Auf  dem  titelblatt  des  ältesten  druokes  des  epischen 
faustliedes  wird  ein  Pragerisches  Comoodi-Iied  erwähnt  Das  bezog  man  bisher  auf 
das  bekante  lyrische  FausÜied:  , Fauste,  jene  Himmelsgaben *^,  welches  als  zweites 
stück  mit  in  dem  erwähnten  druck  enthalten  ist  und  dessen  bezeichnung  als  komödi- 
lied  schon  um  deswillen  keinen  anstoss  bot,  als  das  lied  tatsächlich  in  mehreren 
Puppenspielen  vorkomt  Kraus  stelt  nun  die  ansieht  auf,  dass  nicht  das  lyrische, 
sondern  das  epische  Volkslied  als  Pragerisches  Komödi-Iied  bezeichnet  werde.  & 
schliesst  weiter,  dass  das  lied  den  inhalt  einer  Prager  auffuhrung  widergebe.  Da 
Prag  ausdrücklich  erwähnt  wird,  so  muss  nach  seiner  meinung  diese  Prager  auffuh- 
rung eine  ganz  besondere  bedeutung  innerhalb  der  geschiohte  des  volksdramas  haben. 
Auf  diesem  woge  gelangt  Kraus  zu  der  behauptung,  dass  im  siebzehnten  Jahrhundert 
mit  dem  deutschen  volksdrama  in  Prag  eine  entscheidende  Umarbeitung  vorgenommen 
sei;  und  aus  dieser  bearboitung  sollen  sowol  die  deutschen  Volkslieder  als  die  epische 
vorläge  von  0  geflossen  sein. 

Ist  nun  schon  der  reale  Untergrund,  auf  dem  diese  Vermutungen  sich  aufbauen, 
im  höchsten  masse  bedenklich,  so  wird  die  ganze  hypothese  volkommen  hinfällig, 
wenn  man  das  titelblatt  des  ältesten  druckes  der  Faustballade  genauer  ins  äuge  fasst 
Bei  unbefangener  betrachtung  kann  es  nämlich  durchaus  nicht  zweifelhaft  sein,  dass 
mit  dem  Pragerischen  Gomödi-Iied  das  lyrische  gedieht  gemeint  ist  Was  Kraus 
s.  95  fg.  dagegen  anführt,  lässt  sich  nirgends  halten.  Der  titel  begint:  ,Eine  neue 
ausführliche  Beschreibung  des  weit-  und  wohl -bekannten  auch  weit- berühmten  Johann 
Doctor  Faust  Von  Anhalt  geboren,  Meister  der  höllischen  Geister,  wie  er  sieh  mit 
den  zwey  Oeistem  auf  24.  Jahr  verschrieben  hat''  und  nun  folgt  eine  weitere,  sum- 
marische und  grobe  Zusammenfassung  des  inhaltes  des  epischen  liedes  in  Sätzen,  die 
meist  mit  wie  eingeleitet  werden;  am  Schlüsse  der  satz:  „wie  solches  femer  im  Pra- 
gerischen Comödi-Iied  zu  vernehmen  seyn  wird^.  Es  ist  volständig  ausgeschlossen, 
dass,  nachdem  so  lange  von  dem  ersten  liede  die  rede  gewesen  ist,  dieser  satz.  der 
offenbar  auf  etwas  ganz  neues,  jedesfals  auf  etwas  anderes  als  das,  wovon  bisher 
gesprochen,  hinweist,  nun  ebenfals  auf  das  epische  lied  zu  beziehen  sein  solte.  Wer 
schon  viele  fliegende  blätter  des  endenden  siebzehnten  und  beginnenden  achtzehnten 
Jahrhunderts  gesehen  hat  und  mit  der  art  des  ausdrucks  der  titelfassungen  vertraut 
ist,  wird  gewiss  zugeben,  dass  der  titel  weiter  nichts  sagen  soll  als:  „Ein  lied  von 
der  persönlichkeit  und  den  taten  des  Faust,  femer  ein  zweites  lied  (das  Pragerische 
Comödi-Iied),  in  welchem  ebenfals  von  der  persönlichkeit  des  Faust  die  rede  ist''. 

Vorausgeschickt  hat  der  Verfasser  diesen  untersuchtmgen  eine  recht  lesenswerte 
Übersicht  über  die  ziemlich  dürftige  böhmische  lokalsage  vom  Faust,  eine  Übersetzung 
des  Faustbuches  von  1587,  eigene  czechische  dichtungen,  die  an  Faust  und  verwante 
Probleme  anknüpfen,  sowie  mitteilungen  über  die  czechischen  nachdichtungen  des 
Ooetheschen  Faust 

BKRUir.  OKORG  BLUX90SB. 


ÜBBB  BOLTE,  BAÜIR  IM  UEDB  423 

Der  bauer  im  doutschen  liede.  32  lieder  des  15. — 19.  Jahrhunderts  nebst  einem 
anhange  herauitgegebon  von  Johannes  Bolte.  Berlin,  Mayer  und  Müller.  1890. 
(Acta  Germanica,  organ  f.  deutsche  philologie,  herausg.  von  Henning  und  Hof- 
fory.  in.) 

In  dem  vorliegenden  buche  hat  Bolte  aus  einzeldmcken,  handschriftlichen  und 
gedruckten  hedersamlungen  eine  reihe  von  erzeugnissen  des  volks-  und  geselschafts- 
liedee  zusammengestelt,  in  denen  der  bauer  und  sein  leben  im  mittelpunkte  stehen. 
Der  naive  stolz  des  bauem  auf  die  vortreflichkeit  seines  Standes  komt  in  diesen  lie- 
dem  ebenso  zum  wort  wie  die  klagen  über  die  mühseligkeiten,  die  das  b&uerliche 
leben  mit  sich  bringt;  fast  alle  Verhältnisse  des  bauemlebens  werden  gestreift.  Das 
bäuerliche  liebeslied  in  den  verschiedensten  formen  fehlt  ebensowenig  wie  derbe  tiink-, 
neck-  und  scheltlieder  und  die  volkstümliche  ballade;  die  leiden  des  bauem,  etwa 
im  kriege,  werden  uns  in  charakteristischen  liedem  ebenso  vorgeführt  wie  seine 
freuden  im  Wirtshaus  und  bei  der  kirms.  Durch  diesen  umfassenden  Charakter  erhält 
die  samlung  einen  besonderen  kulturgeschichtlichen  wert,  zumal  die  äussemngen  aus 
bäuerlichen  kreisen  und  über  bäuerliches  leben,  die  hier  vermnigt  sind,  nicht  einer 
einzigen  periode  angehören,  sondern  aus  den  verschiedensten  zeitaltem  stammen  und 
somit  zu  vergleichenden  beobachtungen  hier  reiche  gelegenheit  geboten  wird.  —  Die 
meisten  der  mitgeteilten  lieder  waren  bisher  noch  nicht  bekant;  aber  auch  wo  bereits 
irgendwo  pubUcierte  lieder  mitgeteilt  werden,  gibt  der  herausgeber  aus  dem  reichen 
schätze  seiner  samlungen  neue  und  bessere  fassungen. 

Die  einleitung  skizziert  kurz  die  Stellung,  welche  der  bauer  in  den  ver- 
schiedenen Perioden  der  deutschen  litteratur  eingenommen  hat,  und  verfolgt  die 
Wandlungen  des  geschmacks  in  dieser  beziehung  bis  auf  die  gegenwart  Im  anhang 
werden  zunächst  zwei  Sprüche,  ein  lob  der  bauem  und  eine  klage  über  die  hof- 
fiahrt  der  bauem,  aus  einer  Münchener  handschrift  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
mitgeteilt;  femer  enthält  der  anhang  ein  sehr  wertvolles  Verzeichnis  von  liedem  über 
den  bauemstand  aus  samlungen,  Zeitschriften  und  fliegenden  blättem.  Namentlich  ist 
die  reichhaltige  samlung  von  fliegenden  blättern  des  18.  und  19.  Jahrhunderts,  welche 
die  königliche  bibliothek  in  25  miscellanbänden  besizt,  von  dem  Verfasser  für  dieses 
Verzeichnis  ausgenuzt  worden. 

Jeder  freund  der  volkspoesie  wird  dem  herausgeber  für  seine  gäbe  von  herzen 
dankbar  sein. 

moojN.  GEone  ellinqks. 


Egberts  von  Lüttich  Fecunda  ratis.  Zum  ersten  mal  herausgegeben,  auf  ihre 
quellen  zurückgefühii  und  erklärt  von  Ernst  Tolgi.  Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer. 
1889.    LXYI  und  273  s.    9  m. 

In  dem  geleitsbriefe  ad  Alb ol dum  episcopum  bezeichnet  sich  der  Verfasser 
der  Fecunda  ratis,  die  uns  hier  in  volständiger  commentierter  ausgäbe  geboten  wird, 
als  B.  seraoram  dei  humillimus  presbiter.  Jener  kann  nur  sein  bischof  Adalbold  von 
Utrecht  (seit  1010),  vorher  archidiaconus  an  der  kathedrale  zu  Lüttich,  der  1026, 
27.  nov.  starb.  Zwischen  1010  und  1026  also  ist  das  werk  verfasst;  genauer  zwi- 
schen 1022  und  1024,  da  der  dichter  der  von  Qugny  aus  über  die  Niederlande  sich 
verbreitenden  askese  mit  rücksichtsloser  schrofheit  entgegentritt,  der  si(^  doch  Adal- 
bold in  seinen  lezten  jähren  zuwante,  und  unter  der  von  westen  vordringenden  ketze- 
rei,   die  er  in  dem  stücke  de  malis  Francigenis  brandmarkt,   die  Neumanichaeer 


r 


424  PBPER 

zu  veretehen  sind,  die  durch  dio  synode  yod  Orleans  1022  verdamt  wurden.  Adal- 
bold  würde  auch  in  seiner  zwischen  1018  bis  1022  verfasaten  Schilderung  der  taten 
kaiser  Heinrichs  U.,  in  der  er  die  Thietmarsche  gmndlage  mit  Sentenzen  und  Sprich- 
wörtern verzierte,  dio  Fecunda  ratis  zum  schmuck  seiner  darstellung  verwant  haben, 
wenn  dieselbe  ihm  vor  dieser  zeit  zugekommen  wäre.  Der  Verfasser  hatte  das 
50.  jähr  überschritten,  als  er  schrieS,  war  also  ungefähr  972  geboren.  Er  war  Adal- 
bolds  gleichaltriger  Schulkamerad;  dieser  aber  war  nicht  in  Laubach  erzogen  unter 
Heriger  und  hatte  nicht  zu  Gerberts  füssen  gesessen,  wie  fiüschlich  angenomm«! 
worden  ist  (Lobiensis  bei  Sigebert  ergibt  sich  als  Schreibfehler  für  Leodiensis):  er 
hatte  zu  Lüttich  unter  Notker  seine  ausbildung  erhalten  und  ist  zwischen  999  und 
1003  Vorsteher  einer  dorn-  oder  stiftsschule  —  nicht  der  kathedralschule  selbst,  die 
sich  Notker  vorbehalten  —  gewesen.  —  unter  der  Lütticher  geistlichkeit  und  den 
Zöglingen  der  dortigen  schule  unter  Heiniich  U.  und  Eonrad  ü.  findet  sich  mit  dem 
anfangsbuchstaben  £  (ausser  dem  bereits  1012  vei*8torbenen  Erluin)  nur  ein  l^^rt, 
von  dem  Sigebert  von  Oembloux  c.  146  berichtet:  Egebertus  clericus  LeodiensiB  scrip- 
Sit  metrico  stilo  de  aenigmatibus  rusticanis  librum  primo  breuem  sed  ampliato 
rationis  tenore  scripsit  de  eadem  re  metrice  alterum  librum  maiuscuium  (was  Trit- 
heim  mit-  formelhaften  Zusätzen  ausgeschmückt  und  mit  falscher  datierung  versehen 
hat).  Damit  ist  inhaltlich  unser  werk  bezeichnet  (wie  sich  auch  sonst  Sigebert  mit 
der  angäbe  des  sachlichen  inhalts  statt  des  titeis  begnügt),  vgl.  soholion  zu  I,  3  eo 
quod  plena  iocis  et  rusticis  instrumentis;  auch  weite  sich  der  dichter  anfänglich  nur 
mit  der  uulgi  sententia,  dem  communis  sermo  befassen.  Der  ausdruck  aenig- 
ma  aber  ist  ein  umfassenderer  und  wird  neben  parabola  und  proverbium  gebraucht, 
wie  u.  a.  Alani  über  parabolarimi,  d.  h.  sprichwörtersamlung,  zeigt.  Im  weiteren 
verlauf  hat  er  freilich  die  grenzen  nicht  innegehalten  und  teilt  diesen  fehler  mit  ali^i 
sprichwörtei'samlungen  des  mittelalters.  Was  endlich  Sigebert  von  einer  doppelten 
bearbeitung  sagt  wird  durch  unsre  dichtung  bestätigt,  in  der  die  kürzere  urform  in 
der  ausführlicheren  bearbeitung  noch  kentlich  ist:  v.  1 — 4  bilden  den  prolog,  1006 — 
1006  den  epilog  einer  aus  rund  1000  versen  (einer  im  mittelalter  beliebten  verszahQ 
bestehenden  spruohsamlung. 

Für  zeit,  ort,  namen,  stand  ist  somit  eine  feste  grundlage  gewonnen.  Er  lebte 
unter  Otto  ü.  und  lü,  Heinrich  ü.  und  Konrad  U.,  unter  den  Lütticher  bischöfen 
Notker  f  1008,  Balderich  f  1018,  Wolbodo  f  1021,  Durand  f  1025  und  vielleicht 
Reginard  (f  1036). 

Von  seinem  Jugend-  und  mannesleben  ist  wenig  bekant:  aus  einem  deutsdien, 
adlichen  geschlechte  stammend  und  wie  sich  aus  seinen  äusserungen  ergibt,  für  die  lauf- 
bahn  des  weltgeistlichen  bestimt,  kam  Egbert  um  979  in  die  schule  Notkers,  trat  in 
ihr  seinem  mitschüler  Adalbold  nahe  und  ergriff  mit  eifer,  was  ihm  die  schule  bot; 
von  eingehenden  fachstudien  nach  dieser  zeit  zeugt  seine  umfassende  belesenheit  und 
gründliche  kentnis  der  bibel  wie  der  kirchenväter.  Er  wurde  dann  presbyter  und 
erlangte  einen  festen  platz  in  der  domgeistlichkeit.  Eine  lange  mühselige  louiter- 
suchung  widmet  der  herausgeber  der  frage,  an  welcher  anstalt  Egbert  gewirkt 
habe:  es  kann  keine  kloster-,  auch  keine  der  sieben  Lütticher  pfusohulen  niederer 
art  gewesen  sein;  es  bleibt  für  ihn  nur  die  eine  höhere  lehranstalt,  die  Lüttioh  um 
jene  zeit  besass,  die  dom schule.  Die  namen  der  Scholastiker  aber,  die  sie  geleitet, 
und  ihre  amtsgahre  sind  durchaus  bekant;  unter  ihnen  findet  sich  für  ihn  kein  platz. 
Aber  eine  bischöfliche  domsohule  kann  nicht  der  tätigkeit  eines  einzelnen  mannea 
anvertraut  gewesen  sein,  trivium  und  quadrivium  nicht  in  einer  hand  gelegen  haben: 


tJJUER   EGBBRTS  FICÜNDA  KATIS  ED.   VOIGT  425 

es  hat  unter  den  scholastici  aach  proscholi,  submagistri  gegeben,  und  ein  solcher  ist 
nach  ansieht  des  herausgebers  auch  Egbert  gewesen  für  das  gebiet  des  trivium:  er 
lehrte  grammatik  und  wertschätz  der  lateinischen  spräche,  rhetorik,  dialektik.  Und 
zum  zwecke  der  erweiterung  und  ergänzung  des  trivialen  profanunterrichts  hat  er  seine 
prora  geschrieben.  Der  herausgeber  stelt  nun  sorgsam  aus  dem  werke  zusammen 
alle  hindeutungen  auf  Egberts  erfahrungen  im  lehrerberufe  und  seine  pädagogischen 
maximen;  er  zeichnet  ein  freundliches  bild  des  fünfzigjährigen,  der  einst  einen  höhe- 
ren Wirkungskreis  gehabt  und  sich  nun  auf  die  Unterstufe  beschränkt  sieht,  für  die 
or  dies  lehr-  und  lesebuch  abgefasst  hat.  Zum  erstenmale  ist  in  diesem  die  ein- 
heimische Spruch-  lud  beispielspoesie  in  ausgedehntem  masse  berücksichtigt;  es 
ist  für  die  didaktische  dichtung  der  sächsischen  kaiserzeit  das  geworden,  was  der 
Waltharius  für  die  epische  ist  Es  sind  drei  gruppen^  in  die  sich  das  ganze  werk 
Egberts  zerlegt:  A.  die  Cätogruppe,  di^  in  der  hauptsache  nur  proverbien  und  Sen- 
tenzen enthielt,  in  einzeiligen  (bis  596)  und  zweizeiligen  (bis  1006)  Sprüchen;  da  die 
fabel,  das  zweite  element  des  primärunterrichts,  in  dem  engen  räume  nur  in  ihren 
pointen  angedeutet  wci'den  konte,  nahm  er  in  der  zweiten  gruppe  B.  in  drei-,  vier- 
und  mehrzelligen  gedichten  (bis  1768)  den  wetstreit  (?)  mit  der  römischen  fabel  dich- 
tung auf  und  führte  darin  zugleich  ein  buntes  allerlei  welÜichen,  vorhersehend  bio- 
graphischen Charakters  vor  (die  elemente  von  B  sind  hauptsächlich  1)  spruchartige 
betrachtungen  aus  der  Bibel,  den  kirchenvätem,  den  klassikem,  den  einheimischen 
spi-uch-  und  formelschatz,  2)  solche,  welche  des  dichters  individueller  empfindung 
klagenden  oder  satirischen  ausdruck  geben,  3)  fabeln  und  fabelelemente,  nebst  lehr- 
haften erzählungen  und  schwanken);  da  endlich  der  trivialunterricht  nicht  Selbstzweck, 
sondern  nur  Vorläufer  und  grundlage  der  theologischen  Studien  war,  so  fügte  er  eine 
dritte  hauptgruppe  C  (605  verse)  hinzu,  welche  katechismusstücke,  ethische,  alle- 
gorische, legendenhafte  abschnitte  umfassto  (aus  der  bibel,  Gregor,  Augustinus,  Am- 
brosius  u.  a.)  zur  Vorbereitung  und  einführung  in  die  geistliche  gelehrsamkeit.  Die 
dem  profanen  lehrstoff  im  wesentlichen  gewidmeten  gruppen  A  und  B  machte  er  zum 
ersten,  die  theologische  gruppe  C  zum  zweiten  buche  der  dichtung  und  nanto  das 
ganze,  das  wie  die  arche  Noah  die  ganze  weit  im  kleinen  umsohloss,  das  vol- 
beladene  schiff,  und  seine  beiden  bücher  bug  und  Spiegel. 

Von  der  älteren  prosa,  der  gruppe  A,  v.  1  —  1006  (warum  nicht  in  gleicher 
weise  für  die  anderen  teile  des  werks?)  stelt  der  herausgeber  sodann  die  quellen  (A: 
römische  littoratur,  prosa  und  poesie,  B:  bibel,  G:  die  kirchenväter),  soweit  sie  zu 
ermitteln  waren,  zusammen  und  zeigt,  dass  der  vei'fasser  aus  einer  altem  recension 
der  contradictio  Salomonis  geschöpft  haben  muss.  Egbert  bietet  unmittelbare 
fruchte  umfusender  auf  die  quelle  zurückgehender  lektüre;  seinem  werke  liegen  nicht 
bloss  excerpte  und  fiorilegien  zu  gründe.  Seine  answahl  aus  den  queUen  war  keine 
erschöpfende;  nur  für  die  einheimischen  sprichworter  strebte  er  nach  möglichster  vol- 
zähUgkeit.  Es  ist  ein  schätz  von  über  200  wirklich  einheimischen  Sprich- 
wörtern und  beispielen  durch  ihn  überliefert,  ein  schätz,  der  von  jedem  kenner 
der  Volkskunde  im  vergleich  mit  der  gnomik  anderer  nationen  als  ebenso  gross  und 
mannigfach  wie  sinnig  und  poetisch  bewundert  werden  wird  und  hinter  dem  alle 
neueren  samlungsversuche  geradezu  verschwinden. 

In  welcher  weise  Egberte  dichtung  auf  ihre  und  die  folgende  zeit  gewirkt  hat, 
ist  schwer  zu  sagen.  Sie  ist  nur  in  einer  handschrift  (cod.  196  der  Kölner  dombiblio- 
thek)  und  in  einem  excerpte  (n.  51 — 60  der  Proverbia  Rustici  s.  XHI  in.,  s.  Bom. 
Forsch,  m,  639)  überliefei-t;  aber  vereinzelt  ist  sie,  wie  die  sohoUen  der  handschrift 


<^    "«■••r»h       m. 


426 

beweisen,  im  Unterricht  benuzt  worden,  und  als  schuhnann  wird  Sigebert  von  Gern- 
bloux  sie  kennen  gelernt  haben.  Es  scheint  doch,  dass  es  das  voi^gehen  Egberts 
ist,  welchem  wir  die  weiteren  spiniohdichtungen  des  XI.  Jahrhunderts  verdanken: 
AmulüB  Delidae  den,  Otlohs  liber  pronerbiorum,  die  Prouerbia  Wiponis,  die 
Scheftlarer  Sprüche,  vor  allem  die  Prouerbia  Heinrid,  an  die  sioh  im  XIL  und 
XIII.  Jahrhundert  anschliessen  das  Florilegium  Yindobonense,  die  alphabetische  Uä- 
tenlese  von  St  Omer,  die  Proverbia  Rustid,  das  Florilegium  Gottingense,  die  durch 
die  in  den  nationalspraohen  abgefassten,  teils  mit  teils  ohne  lateinische  veision 
erscheinenden  deutschen  und  französischen  spruchwerke  vervolstilndigt  werden. 

Das  Verhältnis  dieser  samlungen  zu  Egbert,  mit  dem  sie  oft  im  Wortlaut  auf- 
fällig übereinstimmen,  darzulegen  hat  der  herausgeber  wol  mit  absieht  in  recht» 
erkentnis,  dass  dazu  mancherlei  vorarbeiten  gehören,  noch  nicht  versucht  (vgL  I,  146. 
224.  336).  So  ist  auch  das  Verhältnis  des  scholiasten  zu  Egberts  arbeit  (s.  s.  YIU) 
nicht  völlig  klar  gelegt;  manchmal  irt  der  scholiast  (nicht  überall,  wo  Voigt  einen 
irtum  annimt),  manches  hat  er  sdbst  nicht  verstanden;  manches  versteht  er,  was 
wir  nicht  belegen  können  (z.  b.  I,  334);  sdn  scholion  steht  einigemal  den  original- 
sprich Wörtern  näher,  als  die  fassung,  die  Egbert  dem  spruohe  gegeben  hat  (z.  b.  I, 
154  verglichen  mit  dem  Friesischen  Sprichwort),  oder  er  kent  offenbar  die  quelle  des 
Spruchs  (wie  I,  180).  Ist  es  einor,  der  die  scholien  verfasst  hat?  Sind  sie  das  werk 
mehrerer?  waren  ihm  oder  ihnen  die  quellen  Ejgberts  bekant  und  zur  band?  Die 
nächstliegende  Vermutung  ist  wol  die,  dass  der  scholiast  ein  ehemaliger  schüler  des 
dichtere  gewesen  ist 

G^hen  wir  nach  dieser  darlegung  der  grundzüge  der  einldtung  zu  dem  werke 
Egberts  sdbst  über,  so  können  wir  nicht  verhehlen,  dass  Voigt  den  wert  des  werkes 
unserer  meinung  nach  doch  überschäzt  und  ihm  zu  viel  ehre  angetan  hat.  Wenn 
wir  auch  Egberts  samlung  der  deutschen  Sprichwörter  hochschätzen  und  an  seiner 
auswahl  bezdchnender,  origineller  stellen  der  bibel  wie  der  kirchenväter  unsere  fireude 
haben,  so  lässt  sich  doch  bei  der  metrischen  und  sprachlichen  behandlung,  die 
dieser  stoff  durch  ihn  gefunden  hat,  eine  förderung  der  schüler,  die  er  durch  das  buch 
beabsichtigte,  kaum  als  möglich  denken  —  sie  kann  noch  viel  weniger,  bd  aller  neigung 
zu  jenen  Studien,  uns  heute  irgend  anmuten.  Um  so  mehr  ist  es  zu  bewundern,  was 
der  herausgeber,  um  jenen  deutschen  schätz  zu  heben,  mit  hingehendstem  eifer  und 
entsagungsvoller  unverdrossenhdt  aus  diesem  werke  gemacht  hat:  ein  buch  voll  des 
interessantesten  Stoffes,  das  keiner,  der  für  den  sprach  sinn  hat,  ohne  gewinn  aus 
der  band  legen  wird;  ein  unentbehrliches  rüstzeug  für  alle,  die  mit  dem  spriohwör- 
terwesen  im  algemeinen  und  besonderen  sich  befassen.  Der  text  sdbst  bot  dem  her- 
ausgeber bei  der  beschaffenhdt  der  einen  handschrift  nicht  gar  grosse  schwierigkd- 
ten;  was  wir  im  einzdnen  dagegen  zu  sagen  haben,  reihen  wir  später  in  unsre 
bemerkungen  ein.  Das  Verständnis  desselben  konte  nur  durch  den  bewunderns- 
werten fleiss  und  die  staunenerregende  findigkeit  (eigenschaften,  die  uns  am  heraus- 
geber nicht  mehr  neu  sind),  mit  der  Voigt  die  beziehungen  der  einzelnen  vei^  (ja 
werte)  und  ihre  qudlen  aufspürte  und  von  allen  Seiten  her  und  aus  allen  zeiten 
belege  sammelte,  gefördert,  meist  überhaupt  erst  ermöglicht  werdend  Wie  versteht 
er  es,  sdbst  aus  einem  scheinbaren  nichts  etwas  zu  machen,  was  band  tmd  fuss  hat, 

1)  Da»  lugeachick  des  dichten  iat  besonders  za  beklagen  in  den  monosticha  (Tgl.  I,  131;  oluo 
kommentar  iat  vieles  ganz  nnventlndlich ,  vie  I,  269.  S28  n.  a.;  die  konstroktion  macht  gar  oft  die 
gxOeten  Schwierigkeiten  I,  222  fg.  888  n.  a.).  In  den  zwei-  und  mehneiligen  Sprüchen  veningert  noh  die 
nnklartieit:  sie  war  ah»  folge  des  metrischen  zwangee. 


ÜBBR  EGBERTS  FECUNDA  RATIS  ED.   YOIOT  427 

und  aas  taabem  gestern  goldkörner  zu  gewinnen!  So  ist  das  buch  eine  reiche  fund- 
grabe* edlen  erzes  geworden,  aus  der  man  erquickong  gewint  für  die  mühseligkeit 
des  teztstudiums,  und  die  man  auch  ohne  den  text  zu  berücksichtigen  gern  wider 
aa£BUchi 

Bei  den  Schwierigkeiten,  mit  denen  der  erklärer  auf  schritt  und  tritt  zu  ringen 
hatte,  ist  es  für  ihn  kein  Vorwurf,  dass  er  manches  oft  recht  naheliegende  übersehen, 
dass  er  wideram  öfters  Schwierigkeiten  gefunden  hat,  wo  solche  nicht  vorliegen,  und 
über  das  ziel  hinausgeschossen  hat  Wir  wollen  im  folgenden  zusammenstellen,  was 
wir  im  einzelnen  einzuwenden  oder  hinzuzufügen  haben. 

Zum  öfteren  hat  der  herausgeber  in  dem  teile,  der  zumeist  monosticha  enthält, 
mehrere  derselben  zusammengegliedeit  Sicherlich  gibt  es  doppelverse,  z.  b.  222  fg. 
244  fg.:  aber  die  grössere  zahl  derer,  die  Voigt  dazu  stempeln  will,  dürfen  wir  nicht 
als  solche  anerkennen.  Abgesehen  von  unrichtiger  erklärung  (siehe  unsere  weiteren 
bemerkungen;  sodann  575  fg.)  ist  doch  zu  bedenken,  dass  der  dichter  in  derselben 
zeit  ganze  versreihen  geschaffen  hat,  wo  dann  ein  gedanke  den  anderen  erzeugte; 
so  ists  nicht  wunderbar,  wenn  mehrera  verse  hinter  einander  verwanten  sinnes  sind. 
Aufßllig  ist  das,  um  ein  beispiel  von  vielen  anzuführen,  bei  v.  50  und  51,  die  auf 
boobaohtung  verwanter  erscheinungen  beruhen.  Zu  doppelversen  verbinden  dürfen 
wir  dieselben  darum  doch  nicht  Ich  beanstande  also  diese  Verbindung  bei  12  fg. 
30  fg.    34  fgg.    46  fg.    148  fg.    161  fg.    205  fg.    218  fg.    333  fg.  u.  a. 

Zur  erklSrung  möchte  ich  mir  eriauben  folgende  kurze  bemerkungen  anzu- 
fügen. 

46  poletrinus  kann  hier  nimmermehr  „füllen*^  bedeuten;  es  ist  dasselbe  wie 
poltron,  desidioaus,  segnis  s.  Du  Gange.  Der  folgende  vers  hat  nur  entfernte  verwant- 
schaft  damit  und  ist  abzutrennen. 

174  kann  pro  meines  eraohtens  nur  praeposition  sein. 

178  uertit  ist  gleich  euertit  im  gegensatz  zu  sUmtea  zu  fassen. 

180  Die  erklärang  «ganz  abgesehen  usw.*^  ist  entbehrlich. 

319  Wenn  der  scholiast^/b«  als  aorornxoris  erklärt,  so  möchte  ich  sein  zeugnis 
doch  nicht  ohne  weiteres  ablehnen.  In  die  njimen  verwantschaftlicher  beziehung  hat 
sich  allenthalben  eine  erweiterte  bedeutung  eingeschlichen,  und  grade  die  bezeichnun- 
gen  Schwager  und  Schwägerin  zeugen  davon.  Die  ehe  mit  der  Schwester  der  verstor- 
benen frau  ist  noch  heute  in  vielen  landen  nicht  ohne  anstoss.  —  Der  sinn  des  ver- 
ses  ist  bei  dieser  annähme  ein  guter. 

327  Ich  interpungiere:  Our  . . .  eliUUaa?  propter  aseUoa.  Ich  finde  keine  difFe- 
renz  zwischen  Egbert  und  seinem  scholiasten. 

415  Man  kann  die  stelle  auf  die  feuer-  und  rauchaäule  des  Exodus  (13,  21) 
deuten,  oder  auf  Frontin  ü,  5,  16  verweisen:  interdiu  fumo^  nodu  igne  signifieare. 
Das  in  der  anmerkung  beigebrachte  scheint  mir  fremdartig. 

428  Ich  interpungiere:  Omne,  guod  est,  in  pr,  8tat  limUe  eaaua  (comm  geni- 
tiv).  Alles  auf  erden  ist  dem  zufall  unterworfen.  Die  erklarungen  und  parallelen 
die  Voigt  gibt,  scheinen  mir  nicht  zu  passen. 

434  Man  darf  nicht  anstand  nehmen,  hanor  in  seiner  eigentlichen,  weiteren 
bedeutung  festzuhalten;  vgl.  510. 

459  Die  Zusammengehörigkeit  mit  458  steht  nicht  so  fest  Mit  hoc  earmen 
ist  der  ruf  oder  ton  „but  but^  bezeichnet  —  also  die  klammem  müsten  fort  Was 
de  eomibus  besagen  will,  ist  nun  nicht  schwer  zu  enträtseln.  Die  knaben  „tutten*^ 
auf  den  hörnern  {eamutant)^  bringen  leider  keine  imd^ren  töne  als  das  ewiff  wider* 


.  «W^äMMfarta    ^ 


428  pufer 

holte  bui  but  horvor;  nicht  besser,  deutet  er  damit  -an,  sind  ihre  schoUeistaDgen. 
Die  bttcoina  wird  in  Diefifenhach  Gloss.  85  butieina  oder  auch  btäicitina  genant, 
btUare  (neben  buffare  d.  h.  buffas  inflare)  erwähnt  Da  Gange:  das  hängt  wol  beides 
mit  dem  naturlaute  but  but  zusammen. 

464  Wer  sein  leben  bedroht  sieht  and  sich  nicht  zar  wehr  sezt,  ist  an  einem 
morde  schuldig,  ist  so  gut  wie  ein  Selbstmörder. 

523  Die  erklärung  passt  nicht;  so  trivial  der  vers  ist,  muss  sich  doch  Egbert 
etwas  dabei  gedacht  haben;  wahrscheinlich:  „kein  genoss  ohne  arbeit;  jeder  genuss 
will  errangen  sein.^ 

531  Ich  tilge  das  komma  hinter  humi^  denn  nee  ist  nur  verstaiites  tum 
oder  soviel  wie  ne  —  q9Udem. 

538  Ich  sähe  lieber  et  statt  est. 

571  Das  komma  muss  hinter,  nicht  vor  beilum  gesezt  werden: 
dum  ioeus  est  bellum,  cessare  (sc.  a  beUo)  et  omittere  debes. 

572  donis:  natürlich  ein  ganz  frostiges  Wortspiel,  wenn  nicht  ein  bittrer  tadel 
gegen  die  lohrer  diin  steckt,  welche  geschenke  nehmen  —  wie  übrigens  Voigt  selbst 
schon  s.  XLI  anm.  7  vermutet. 

605  Ich  verstehe  den  vers  nicht,  wenn  stipulas  imitatus  verbanden  werden 
soll;  ich  würde  lieber  construieren:  ecUtulus  inprimis  oberrat  stipukts  (vorwarf  der 
Oberflächlichkeit,  vergleich  aus  dem  leben  geholt:  wer  hätte  nicht  schon  wildernde 
katzen  über  die  stoppeln  streichen  sehen?)  imitatus  artem  (nicht  initiaius  oder 
institutus  arte)^  ad  quam  sollers  uix  produxeris  ueterem.  Es  wird  trotz  deiner 
anstrengung,  trotz  langen  onterrichts  nie  etwas  anderes  als  eine  näscheiin  aus  ihr. 

628  Ich  nehme  iurgia  im  eigentlichen  sinne:  irrita  iurgia  iaetabit  =»  ipsa 
suas  nolit  pondus  habere  preces?  post  pretium  dandum  »»  quae  poseet  munus, 

659  Die  zweite  hälfte  der  erldärung  scheint  mir  entbehrlich:  (, andrerseits  darf 
nichf^  usw.);  ich  kann  eurruea  nur  als  hahnrei  gelten  lassen. 

701  nunc  scheint  mir  keine  gute  besserung  der  hds.  lesart  non:  es  dürfte  sich 
noua  . .  tusor  empfehlen,  wie  z.  b.  Quid  M.  IX,  103  naua  cum  eoniuge  bietet 

717  edita  kann  nicht  richtig  sein  (geboren?),  es  soll  doch  „bedeckt*^  heissen. 
Könte  scherzhaft  eondita  gesagt  sein? 

722  Wie  Voigt  diesen  vers  mit  721  verbindet,  ist  mir  nicht  klar  geworden. 
Ich  würde  s.  721  als  ausruf  der  matter  in  anführangszeichen  einschliessen :  da  (als 
die  mutter  das  kaum  gesagt)  ist  auch  der  wolf  schon  da.    Auch  bei  uns  üblich. 

871  Ich  sehe  keinen  grund,  aiebat  zu  ändern. 

877  Solte  nicht  besser  komma  hinter  salubres,  kolon  hinter  amor  gesezt 
werden? 

999  Der  vers  hat  meines  erachtens  mit  dem  Soldaten  bei  Horaz  nichts  zu  ton; 
er  steht  in  gedanklicher  verwantschaft  mit  den  ihn  umgebenden  versen  997  fg.  und 
1001. 

1023  Ich  würde  lieber  amorem  schreiben. 

1129  Der  gedanke  muss  sein:  mit  der  indignatio  ist  es  nicht  getan,  trotz  deren 
gedeihen  sie  wol;  sie  müssen  zertreten  werden.  Daraus  ergibt  sich  mir  iam  non 
minus  illa  uigescunt;  aus  uiescu/nt,  wie  man  wol  schrieb,  war  leicht  der  fehler  quie- 
scunt  gemacht 

1180  Der  vers  kann  nicht  dem  fuchse  in  den  mund  gelegt  werden.  Natürlich 
hat  der  bär  als  bowerber  an  der  wähl  nicht  selbst  teilgenommen;  aber  er  hat  seine 
hinterträger  gehabt  und  durch  sie  des  fuchses  misgünstiges  votum  erfahren;  dafür 


ÜfiKfi  BOfiEMS  l^KCÜNbA  luUS  Et.  VOlOT  429 

hat  er  ihn  denn  später  (inde)  derb  abgestraft,  nnd  danach  {hinc  muss  man  statt  kic 
schreiben)  berichtet  der  fuchs  den  brüdem  sein  leid.  Also  die  anfühmngszeichen  vor 
und  hinter  1180  müssen  weg,  hinter  1181  muss  kolon  gesezt  weixien. 

1205  Erwünscht  wäre  eine  samlung  yon  besonders  hervortretenden  stellen  mit 
allitteration  gewesen,  wie  sie  hier  in  tero  ter  tria  iura,  1306  loca  IcUe  lumine 
luatrans  und  anderwärts  erscheint. 

1218  indoles  egregia  lässt  sich  wol  halten. 

1243  Ich  schreibe  hine  statt  hie,  wofür  Voigt  hac  will. 

1322  oliquid  maius  gehört  zusammen. 

1323  Das  komma  setze  ich  hinter  protinus,  nicht  hinter  poteria. 

1341  Ich  möchte  dentibus  iniisis  der  hds.  lesart  inuisis  vorziehen.  Beleg- 
stellen dafür  gebe  ich  nachher  an:  für  jeues  ftnde  ich  keinen  beleg. 

1347  Es  ist  kein  grund  von  der  Überlieferung  consueta  malt  ueaania  uentris 
abzuweichen:  im  gegenteil  spricht  alles  für  dieselbe.  Warum  solte  conauetus  hier 
nicht  absolut  stehen  dürfen,  da  es  die  alten  so  gebraucht  haben?  ich  sehe  nicht,  wie 
1425  dagegen  sprechen  könte.    mali  uentris  uesania  ist  gut  gesagt:  statt  mala  u.  t. 

II.  185  quae  res  wird  kein  leser  alter  und  miüerer  zeit  anders  haben  verste- 
hen, kein  Schriftsteller  anders  haben  gebrauchen  können  als  im  recipierten  sinne  {id 
quod):  die  werte  zu  trennen  und  als  verschiedene  casus  zu  erklären,  geht  schlech- 
terdings nicht  an,  und  wenn  sich  ein  logischer  fehler  ergäbe  bei  der  gebräuchlichen 
aufiassung  der  werte,  so  müsto  dieser  dem  schriftsteiler  schuld  gegeben  werden.  Das 
scheint  aber  doch  hier  nicht  der  fall  zu  sein.  „Dieser  umstand  (diese  auseinander- 
setzung  auf  grund  der  Hiobworte)  lässt  deutlich  erkennen,  dass  [womit  auch  der 
evangelische  bericht  übereinstimt]  selbst  in  die  Schweine  der  böse  nur  auf  gottes  geheiss 
fährt.  Wer  den  ausdruck  porci  auf  sich  beziehen  solte,  wird  Egbert  wol  gewusst 
haben. 

Zu  den  Auetores  vermag  ich  noch  viel  weniger  zu  bieten,  abgesehen  von  dem 
hinweis  auf  eine  quelle,  die  seitdem  so  gut  wie  verschollen  war. 

23  Vgl.  Dracontii  Satisf.  261  de  laud.  dei  I,  295  fgg. 

52  Vor  allen  gehört  natürlich  Hercules -Juno  hierher. 

73  Gerstenbrot:  auch  als  strafkost  zuerkant  von  Marcellus  bei  Uv.  23,  17,  9. 
Geringe  kost  der  Pullanen  s.  Ersch  und  Gruber  II,  1,  137.  I,  62.  69.  Schenkl. 
Bibellexioon  s.  v.  gerste. 

440  lingua  pleetrum:  vgl.  Avitus  I,  88.    Foiiunat.  vita  Martini  4,  39. 

448  Ähnliches  erzählt  Gregor  von  Tours  de  gloria  conf.  75  und  das  kürzlich 
von  W.  Brandes  herausgegebene  gedieht  de  laudibus  domini  (Progr.  Braunschweig 
1887). 

526  Yergil.  G  II,  103  (I,  137)  vgl.  Dracont.  de  laud.  dei  I,  215.  m,  8, 
Boet  Conf.  n  o.  2  u.  a.    Otto  Spr.  s.  159  und  321  fg. 

701  Ein  kleiner  beitrag  zu  der  samlung  von  belegen  sei  mir  vergöni  Rabbi 
Jose  bar  Rabbi  Bun  sagte:  Auch  wenn  ein  mann  eine  frau  heiratete,  welche  nicht 
für  ihn  passte,  brachten  seine  verwanten  körbe  und  falten  sie  mit  feigen  und  nüs- 
sen;  darauf  zerbrachen  sie  dieselben  in  gegenwart  der  kinder,  und  diese  suchten  den 
inhalt  auf  und  sprachen:  N.  N.  ist  von  seiner  familie  abgeschnitten  worden.  Schied 
sich  ein  mann  von  seiner  frau,  so  geschah  dasselbe,  nur  sprachen  die  kinder:  N.  N. 
ist  zu  seiner  familie  wider  zurückgekehrt  Aug.  Wünsche,  der  Jerusalemische  Tal- 
mud.   Zürich  1880  s.  200. 


•  ■  •'.*«fc   .. 


4^  pnpn,  ÜBER  lOBBns  fbcünda  katib  ed.  toiot 

931  uenirieului  dem:  in  jener  seit  und  später  oft  gebranclii  C.  Bur. 
CLXXXVL 

967  Quid.  M  VI,  386  a  «lon  e#<  . .  f«M'  ia$U%. 

1005  qui  eondidü  omma  »olus:  so  wörtlich  Dracontins  de  land.  dei  IH,  11. 

1015  eommuiai  fortuna  uiees:  Boet  ConsoL  phü.  I  c.  5,  29  uerMot  Fortuna 
uices.  YfjL  Dracont  de  Und.  dei  ü,  54  (u;  miäent  elementa  uiee$  III,  306  iffnorai 
mutare  uiees  Saiisf.  247  (=  Columbani  ad  Seth.  64)  altemani  elemenia  uieee. 

1060  Horaz  Ars.  417  oeeupei  hune  Beahiee, 
1205  Ooid.  F  II,  573  tria  iura. 

1237  lierharum  uires:  Catonis  dist  II,  3.  Ebenda:  meneura  et  pondere:  Sa- 
lomon.  Sap.  11,  21. 

1275  ad  unguem:  Horai  8.  I,  5,  32  ad  unguem  Factns  homo. 

1341  dentibua  ifUisie:  Dracont  Carm.  8,  355.  Orest  618.  Man  wird  nacb 
dun  früher  aus Draoontias  belegten  stellen,  zumal  zu  1005,  nicht  zweifeln  dürfen,  daaa 
Egbert  ihn  wirklich  gehant  hat  Nach  den  jüngsten  mitteilnngen  Ton  Hanitins  im 
Rhein,  museum  46,  493  ist  daran  nichts  verwundeiiiches. 

1469  Horat  Ep.  I,  18,  84  nam  tua  re»  agüur,  pariee  cum  proximus  ariet, 

1582  Ouid.  M.  Xni,  901  bilmia  .  .  arena,  Pradent.  P.  XI,  141  hnbulae 
arenae, 

n.  33  VeigiL  0  I,  85  erepüatUibue  urere  flammte, 

66  eontento  uiuere  paueis,  ebenso  11,  593,  Tielleicht  aus  Horaz  S  I,  3,  16 
kuie  pareo  paueie  eontento? 

373  non  hostia  dignior  uUa,  und  420  hosiia  grata  deo,  erinnern  wider  an 
eine  reihe  Dracontius-stellen:  Carm.  10,  243  non  est  haee  uietima  digna,  Orest 
881  non  est  haee  hostia  grata.  Carm.  10,  246  iam  non  erit  hostia  grata,  de  laud. 
dei  III,  113  hostia  grata  iaeens. 

433  qui  dum  carpit  iter:   Ooid.  M.  X,  709  earpit  iter  XIY,  122  dumque 
Her  . .  earpit.    Dracont  Orest.  108  interea  dum  e.  i.  Satisf.  313  sessorem  dum  e.  i. 
444  ante  malorum:  Yeigil.  k  I,  198. 
463  ineireumseriptus  eireumseribenda :  Tgl.  11,  106  fg. 

Die  zahl  der  druckversehen  ist  bei  dem  schwierigen  druck  eine  zum  yer- 
wundem  geringe.  8. 122  erkl.  zu  635  z.  6  lies  einst  mehr  statt  nicht  mehr,  s.  211 
vor  99  wird  doch  wol  in  HERVSALEM  das  I  ausgefallen  sein.  Das  w&re  ausser 
einigen  abgesprungenen  punkten  alles,  was  mir  in  dieser  beziehung  aufgestossen. 

Glossar,  metrischer  index,  namen-  und  Sachregister  sind  mit  soiig- 
falt,  wie  man  es  beim  verf.  gewohnt  ist,  gearbeitet  Jedoch  ist  im  glossar  die  beschrin- 
knng  auf  werte  und  bedentungen,  die  nicht  im  Geoiges*  stehen,  bei  einem  so  schwie- 
rigen Schriftsteller,  der  allerhand  spätlateinische  ansdrücke  gebraucht,  zu  bedauem. 
Wir  haben  ähnliches  schon  beim  Isengrimos  empfunden.  Wer  weiss  ohne  nachzu- 
schlagen mit  antes,  eapulare,  uolutttbra,  uitulamina  bescheid?  und  es  ist  doch 
auch  von  vorteil,  die  belege  für  die  ganze  spätere  latinitftt  möglichst  vereint  zu 
finden. 

BRESLAU.  B.   PEEFKB. 


IdSCKLLBN  431 

MSCELLEN. 

Koeh  einmal  täte  im  bedinirnnffSMitaEe. 

Mit  bezug  auf  die  in  der  Ztschr.  f.  d.  phü.  widerholt  (zulezt  XXIY,  202.  504) 

angeregte  frage  nach  erklänmg  und  gebrauch  der  wendung  y,wenn  ...  thäte'^,.  die 

bisher  nur  für  das  16.  und  17.  Jahrhundert  belegt  war,   macht  dr.  0.  Bötticher 

mich  auf  eine  stelle  bei  Geliert  aufmerksam.    In  der  fabel  ,,Damötas  und  Phyllis* 

faeisst  es  str.  6: 

0,  thäte  nieht  sein  böser  Hund, 

Ich  miisste  diesen  Schäfer  küssen. 

Hier  ist  die  negation  nicht  hinzugefügt,  ohne  welche  der  satz  dem  18.  Jahrhundert 
ebenso  unverständlich  gewesen  wäre,  wie  uns;  aber  das  verbum  tun  in  der  bedeu- 
tnng:  wirksam  sein,  d.  h.  vorhanden  sein  (vgl.  diese  Zeitschrift  XXIII,  42)  ist  noch 
in  alter  weise  erhalten. 

Eine  ganz  ähnliche  stelle  finde  ich  so  eben  noch  in  der  anonymen  satirischen 
Schrift  Karrikaturen  (Frankfurt  und  Leipzig  1788)  s.  64:  Wenn  heut  xu  Tage  die 
vornehmen  Weiber  nicht  thäien,  würde  niemand  mehr  von  Stipendien  leben  können. 

KIKL.  0.   KRDMANN. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Comparetti,  Domenico,  der  Ealewala  und  die  traditionelle  poesie  der  Finnen.  Histo- 
risch-kritische Studie  über  den  Ursprung  der  grossen  nationalen  epopöen.  Deutsche 
vom  Verfasser  autorisierte  und  durchgesehene  ausgäbe.  Halle,  Max  Niemeyer. 
1892.    Xn,  327  s.    8  m. 

Cosya,  P.  J.,  Aanteekeningen  op  den  Beowulf.  Leiden,  E.  J.  BriU.  1892. 
32  s.    1  m. 

Der  als  Beowulfkonner  und  als  forscher  auf  dem  gebiet  altenglischer  gram- 
matik  rühmlichst  bekante  holländische  gelehrte  erörtert  und  erklärt  in  scharfein- 
niger,  bedächtiger  und  oft  überzeugender  weise  eine  anzahl  schwieriger  Beowulf- 
stellen,  meist  im  anschluss  an  die  neueste,  von  Socin  besorgte  Q.S.  ausgäbe 
des  Heynischen  Beowulf. 

Festsehrift  zur  begrüssung  des  fünften  algemeinen  deutschen  neuphilologentages  zu 
Berlin  pfingsten  1892.  Verfasst  von  mitgliedem  der  Beriiner  geselschaft  für  das 
Studium  der  neueren  sprachen,  der  geselschaft  für  deutsche  philologie  und  der 
geselschaft  für  deutsche  litteratur.  Herausgeg.  von  Jul.  Zupitza.  Berlin,  Weid- 
mann. 1892.    IV,  202  s. 

Wir  verzeichnen  aus  dem  reichen  Inhalt  dieser  festsehrift  die  beiden  artikel, 
die  für  germanisten  von  Interesse  sind:  Job.  Bolte,  „das  märchen  vom  tanze 
des  monches  im  dornbusch^  und  Erich  Schmidt,  „ein  verschollener  aufsatz 
A.  W.  Schlegels  über  Goethes  Triumph  der  empfindsamkeit*^. 

GOlliofff  Joli.,  Das  meklenburgische  volksrätsel.  Oesammelt,  eingeleitet  und 
mit  den  Varianten  herausgegeben.  Parchim,  H.  Wehdenuum.  1892.  XVI  und 
142  s.    2  m. 

Samlung  von  931  volksrätseln  in  folgender  anordnung:  1)  der  mensch;  2)  die 
tierweit;  3)  die  pflanzen  weit;  4)  haus  und  hof,  häusliche  und  feldarbeit;  5)  stand 
und  handwerk;  6)  jähr  und  Jahreszeit;  7)  rechenaufgaben  und  verwantes;  8)  Wort- 
spiele;   9)  biblische  Scherzfragen;    10)  i'ätselmärcheu;    11)  verschiedenes.  —   Die 


**•..■*.  •    •  -     ^*.fm\.      ^ 


432  ttltÜR  XBSOBtMtmotK.   —  KACMUCttTCK 

einzelnen  abteilangen  sind  durch  gut  orientierende  und  anregende  algemeine 
bemerkungen,  die  ganze  schrift  duroh  „beitrage  zur  lehre  von  der  inclination  im 
niederdeutschen'^  eingeleitet  Unter  den  litteraturausgaben  sind  die  beiden  sam- 
lungen  Frischbiers  in  dieser  Zeitschrift  bd.  IX  und  XI  berücksichtigt,  nicht 
aber  die  noch  umfangreichere  XXIV,  240 — 264,  welche  gerade  viele  parallelem 
und  Varianten  zu  den  von  Qilihoif  veröffentlichten  rätseln  bietet. 

Hess,  Oeorf,  Oeist  und  wesen  der  deutschen  spräche.  Eingeleitet  durch  eine 
kurze  lebensbeschreibung  des  Verfassers  (f  als  direktor  des  gymnasiums  zu  Erfurt 
1891)  von  K.  H.  Keck.    Eisenach,  M.  Wilckens.    95  s.    1,60  m. 

Inhalt:  I.  Lautbeschaffenheit.  IL  Formenbildung  und  formen  Verwertung, 
m.  Wortbildung  und  Wortschatz. 

SelüUer,  Geschichte  des  dreissigjährigen  krieges  (buch  HI).  Äbridged  and 
edüed  by  Karl  Breul,  university  leeturer  in  Oerman,  Cambridge,  university 
press  1892.    XXXII  und  194  s. 

Diese  schön  ausgestattete  ausgabo  beweist  in  erfreulicher  weise,  dass  man 
auch  in  England  den  schriftstellerischen  und  pädagogischen  wert  des  Schillerscheo 
geschichtswerkes  zu  schätzen  weiss.  Die  (englische)  einleitung  ebenso  wie  die 
erläuternden  anmerkungen  zeigen  eine  achtungswerte  bekantschaft  mit  der  deut- 
schen litteraturgeschichte  und  Sprachwissenschaft.  o.  x. 


NACHRICHTEN. 


Die  revidierte  Lutherbibel  ist  im  vorläge  der  v.  Gansteinschen  bibelanstalt 
in  Halle  a.  S.  erschienen;  der  preis  ist  für  die  gewöhnliche  ausgäbe  (mitteloktav  in 
Petitschrift)  ungebunden  1,60  m.,  gebunden  3— 10  m.;  für  die  feine  ausgäbe  mit 
breiterem  rande  ungebunden  5  m.,  gebunden  7  — 13,50  m.  Das  noch  von  dr.  0.  Frick 
(t  im  Januar  1892;  das  angekündigte  ausführlichere  „begleitwort*^  ist  nicht  erschie- 
nen) geschriebene  vorwort  gibt  eine  dankenswerte  Übersicht  über  die  seit  1857  für 
die  sachliche  und  sprachliche  revision  des  bibeltextes  geführten  Vorhandlungen  und 
arbeiten,  deren  resultate  1883  in  der  „probebibel*'  (verlag  der  buchhandlung  des  Wai- 
senhauses) öffentlich  vorgelegt  wurden.  Die  von  verschiedenen  Seiten  gegen  die  probe- 
bibel  ausgesprochenen  bedenken  (vgl.  darüber  diese  Zeitschrift  XVII,  125  fg.  XYUI, 
376  —  380.  XX,  30  fg.)  sind  von  den  zur  supeiTOvision  berufenen  sorgfaltig  erwogen 
worden;  sie  haben  (nach  den  treffenden  werten  von  0.  Frick)  sich  ornstlich  bemüht, 
dass  die  ehrwürdige  kraft  der  alten  Luthersprache  mit  der  spräche  der  gogenwart 
immer  mehr  in  einklang  gesezt  werde,  und  zwar  so,  dass  die  alte  Lutherbibel  uns 
als  schul-,  gemeinde-,  volks-  und  kirehenbibel  erhalten  bleiben  könne. 


Am  24.  juni  starb  zu  Kopenhagen  der  assessor  beim*  oberappellationsgericht 
und  ohrendoctor  der  Eopenhagener  Universität,  Tühjälmur  L.  Finsen,  rühmlich 
bekant  als  herausgeber  der  altisländischen  rechtsquellen  (geb.  1.  april  1823  in  Reyk- 
javik). 

Der  privatdocent  dr«  F.  Holthausen  in  Giessen  wurde  zum  ausserordentlichen 
Professor  befördert 

Halle  a.  S.,  Buchdnickoroi  des  Waisenhauses. 


HDEEKS  SAGA  UND  NIFLUNGA  SAGA, 

In  meiner  abhandlung  über  die  handschriften  und  redaktionen  der 
fidreks  saga  im  Arkiv  for  nord.  fil.  VII,  s.  205 — 243  gelangte  ich 
s.  226  fgg.,  242 — 43  zu  folgenden  resultaten: 

Die  von  einem  Norweger  geschriebene  PS.  ist  uns  in  einer 
kürzeren  ursprünglicheren  fassung  und  einer  weitläufigen  Umarbei- 
tung überliefert.  Die  kürzere  redaktion  ist  nur  teilweise,  und  zwar 
in  einer  einzigen  handschrift  erhalten,  die  längere  hingegen  ziem- 
lich volständig  und  in  mehreren  handschriften,  deren  keine  das 
original  der  Umarbeitung  ist.  Die  einzige  membrane,  nr.  4  fol. 
der  königl.  bibliothek  in  Stockholm  ist  eine  mischhandschrift,  da 
sie  teils  die  kürzere  fassung,  teils  die  längere  Überarbeitung  wider- 
gibt; dies  erklärt  sich  daraus,  dass  die  handschrift  unter  der  lei- 
tung  zweier  redaktoren,  die  von  einander  abweichende  vorlagen 
benuzten,  geschrieben  ist.  Der  erste  teil  der  handschrift,  nach 
ihrem  redactor  membr.*  genant,  hört  im  c.  196  auf,  der  zweite  teil 
aber,  membr.^,  fangt  schon  bei  c.  152  an;  der  Schreiber  von  membr.' 
hat  nämlich  in  die  arbeit  seines  Vorgängers  mehrere  blätter  ein- 
geschoben. 

Ausser  membr.^  kommen  noch  drei  handschriften  der  längeren 
redaktion  in  betracht,  nämlich  eine  schwedische  Übersetzung  der 
vorläge  von  membr.^  (S)  und  zwei  verhältnismässig  junge  papier- 
handschriften  (AB),  welche  eine  isländische  bearbeitung  der  saga 
repräsentieren.  AB  bilden  demnach  membr.^S  gegenüber  eine  gruppe 
(I)  und  zusammen  mit  membr.^S  eine  grössere  gruppe,  deren  vor- 
läge wir  U  nanten. 

Durch  heranziehung  von  membr.  ^,  welcher  handschrift  leider 
c.  1  —  20  fehlen,  ist  es  möglich  einen  teil  der  Umarbeitung  zu  con- 
trolieren.  Durch  vergleichung  der  handschriften  hat  sich  ergeben, 
dass  diejenigen  capitel  innerhalb  des  abschnittes  c.  21  bis  196, 
welche  zwar  in  U,  aber  nicht  in  mcmbr.*  überliefert  sind,  der 
ursprünglichen   saga   nicht  angehört  haben.     Es  sind  c.  152  — 169 

ZERSCIIRin  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.   ZXV.  28 


■•  V      .. 


434  ROKR 

(Sigurds  Jugend  und   eine  von   c.  170  abweichende  erzählung  von 
Hqgnis   geburt),    c.  172  — 188    (die   beschreibung   der   beiden    und 
ihrer  rüstungen).     Weiter   ergab   es   sich,   dass   in  ü   eine   zweite 
redaktion  von  c.  21  —  56  (Yilkina  saga)  und  eine  von  c.  144  abwei- 
chende   nachricht    über    Osantrix   tod    (c.  191  — 192)    hinzugefögt 
wurde  und  dies  die  veranlassung  gewesen  ist,  dass  in  den  meisten 
lins  überlieferten  handschriften  der  redaktion  U  die  ursprüngliche 
Yilkina  saga  fortgelassen  und  der  Inhalt  des  c.  144  in  I  insofern 
geändert  wurde,  dass  Osantrix  mit  dem  leben  davonkomt.    Schliess- 
lich, dass  der  prolog  unecht  und  wahrscheinlich  nicht  einmal  älter 
als  die  isländische  bearbeitung  der  fS  ist 
So   leicht   nach    erörterung    der    handschriftenfrage,    wenn    man 
membr.*  heranzieht,  die  kritik  von  c.  21  — 196  ist,  so  schwierig  ist  es, 
in  bezug  auf  den  zweiten  teil  der  tS,  welcher  nur  in  der  Umarbeitung 
vorliegt,  zu  entscheiden,  was  ursprünglich  ist  und  was  später  hinzugefügt 
wurde.     Aus  dem  Verhältnis  der  handschriften  lässt  sich  nur  auf  die 
Wahrscheinlichkeit  schliessen,  dass  auch  dieser  teil  manche  interpolutiou 
enthalten  wird,   eine  Vermutung,   welche  an  dem  mangelhaften  zusam- 
menhange  vieler  in   ihm  enthaltenen  episoden,   der  uns  noch   weiter 
beschäftigen  wird,   eine   stütze  findet;   es   ist   aber  äusserst  schwierig, 
einen  richtigen  massstab  für  die  beurteil  ung  der  einzelnen  abschnitte 
zu  finden.     Der  zweite  teil  der  I^S  fordert  demnach  eine  selbständige 
Untersuchung,  welche  ausserhalb  der  grenzen  meiner  vorigen  abband- 
lung  lag,  aber  doch   auf  grund  der  dort  erreichten  resultate  geführt 
werden  kann.    Diese  Untersuchung  bildet  den  hauptinhalt  der  folgenden 
blätter.     Bevor  wir  aber  die  einzelnen  episoden  der  I*S   in  betracht 
ziehen,   ist  es  durchaus  notwendig,   dass  wir  über  die  principien  klar 
werden,   welche  bei  der  kritik  der  I*S  im  äuge  zu  behalten  sind.     Es 
ist   in   dieser  hinsieht  viel   gesündigt,   und   die   resultate   entsprachen 
durchweg  der  methode.     Ein   fehler,   den  man  selten  vermieden  hat^ 
ist  der,   dass  man  die  ursprünglichkeit  der  einzelnen  partien   der  I^S 
nach  ihrer  grösseren  oder  geringeren  Übereinstimmung  mit  hochdeut- 
schen epen  beurteilte.    Dass  eine  solche  Übereinstimmung  nichts  beweist, 
da  ein  umarbeiter  quellen  benuzt  haben  kann,   welche  der  hochdeut- 
schen Überlieferung  verschiedener   sagen    sehr  nahe,    teilweise    sogar 
näher  standen   als   die  des  Verfassers,  wurde  a.  a.  o.  s.  229  fgg.  mit 
besonderer  berücksichtigung  der  Yilkina  saga  ausgeführt    Man  muss 
demnach  in  der  f  S  selbst  das  kriterium  zur  beurteilung  der  f  S  suchen, 
und  zwar  zunächst   in   dem   teile   der  saga,   der  ungefähr   in   seiner 
ursprünglichen  form  erhalten  ist,   d.  h.  in  c.  21  — 196.     Die  quellen- 


I^IDRKKS   SAOA   UNO    NIFLÜNOA    SAOA  435 

frage,  obgleich  von   der  frage   nach   der  komposition  der  saga  nicht 
ganz  zu  trennen,  muss  doch  genau  von  ihr  unterschieden  werden. 

Schon  bei  oberflächlicher  betrachtung  der  c.  21  — 196,  wie  sie 
in  naembr.*  überliefert  sind,  muss  es  auffallen,  dass  der  sagaschreiber 
nicht  alles  das  in  die  saga  aufnahm,  was  ihm  nur  von  fremden  beiden 
zu  obren  kam,  sondern  dass  er  seinen  stoff  zu  einem  einheitlichen 
ganzen  zu  gestalten  versuchte.  Alle  erzählungen,  auch  solche,  in  denen 
die  hauptroUe  anderen  personen  zufält,  gruppieren  sich  um  fidrekr, 
den  beiden  des  ganzen.  Der  zweite  teil  der  tS,  der  nur  in  der  Um- 
arbeitung U  überliefert  ist,  ist  dagegen  überaus  reich  an  episoden,  in 
denen  Pidrekr  gar  keine,  oder  nur  eine  bedeutungslose  rolle  spielt 
Da  liegt  denn  doch  die  Vermutung  nahe,  dass  dieser  zustand  wenig- 
stens bis  zu  einem  gewissen  grade  dem  umarbeiter  zuzuschreiben  sein 
wird.  Es  ist  weiter  von  vorn  herein  wahrscheinlich,  dass  eine  scharfe 
grenzlinie  zwischen  dem,  was  ursprünglich,  und  dem,  was  interpoliert, 
nicht  überall  nachweislich  sein  wird,  denn  nicht  nur  sind  in  der 
längeren  redaktion  neue  episoden  hinzugefügt,  sondern  es  sind  auch 
mehrere  in  abweichender  fassung  mitgeteilt,  wodurch  die  kritik  der 
betrefifenden  abschnitte  sehr  erschwert  wird  ^  Wir  müssen  daher 
bedächtig  zwischen  den  vielen  einander  manchmal  widersprechenden 
nachrichten  der  Umarbeitung  hindurch  die  spuren  des  Verfassers 
suchen,  dazu  an  die  stellen  anknüpfend,  wo  durch  ein  versehen  des 
umarbeiters  etwas  stehen  geblieben  ist,  was  an  eine  ältere  einheit 
mahnt;  denn  aus  c.  21  — 196  lässt  sich  mit  gutem  gründe  schliessen, 
dass  die  I^S,  soweit  sie  die  arbeit  6ines  Verfassers  ist,  einmal  ein  orga- 
nisches und  woldisponiertes  ganzes  gebildet  hat 

Den  ersten  abschnitt  der  f^S  schliesst  die  erzählung  von  I^idreks 
zng  nach  Bertangaland,  welche  mit  c.  224  zu  ende  ist  An  und  für 
sich  ist  es  nicht  unmöglich,  dass  schon  zwischen  c.  196,  wo  membr.' 
und  damit  die  kürzere  redaktion  der  PS  aufhört,  und  c.  224  ein  oder 
mehr  spätere  zusätze  vorkommen.  Direkte  merkmale  der  Überarbeitung 
sind  mir  hier  freilich  nicht  aufgefallen ;  es  scheint  auch  kein  anlass  dazu 
vorhanden  gewesen   zu   sein.    C.  224   verabschiedet  I'idrekr  sich   bei 

1)  Die  Vilkina  saga,  welche  zufälligerweise  in  beiden  redaktionen  erhalten  ist, 
zeigt,  wie  einige  teile  der  PS  in  ü  behandelt  sind.  Es  nfuss  einleuchten,  dass  auf 
ähnliche  weise  überarbeitete  episoden,  fals  die  lU'sprüngliche  fassung  nicht  zufallig 
überliefci*t  ist,  durch  keine  kritik  mehr  widerhergestelt  werden  können,  ebensowenig 
als  es  möglich  wäre,  aus  der  zweiten  Vilk.  s.  die  erste  zu  rekonstruieren.  Allerdings 
ist  CS  oft  tunlich,  an  einzelnen  stellen  die  Überarbeitung  deutlich  nachzuweisen. 

28* 


..-rr         .  ■•!— •wc.t^   ^ 


43G  BOKR 

kimig  IsuDgr;  darauf  reitet  er  mit  seinen  mannen  heim.  Es  folgt  in 
c.  225  als  einleitung  zu  dem  zweiten  teile  der  saga  ein  programm  für 
I'iclreks  nächste  tätigkeit:  Nu  er  pidrecr  Iconungr  oc  aUir  haiis  menn 
hafa  nrynt  sie  ai  pv(,  at  engl  maär  i  verqldu  er  sd,  er  nü  pori 
sicjqld  ai  bera  peim  i  gegn  d  hölm,  J)d  vilja  peir  nü  setja  sin  rüci  oc 
borgir  störhqfdingjum  iil  forrdäa  oc  sij&rnar.  Pidrekr  will  also  sein 
reich  befestigen,  und  zwar  dadurch,  dass  er  die  regierung  über  die 
verschiedenen  provinzen  vertrauten  personen  überträgt  Dieser  plan 
giilangt  sofort  wenigstens  teilweise  zur  ausführung:  Ferr  Hombogi  jarl 
hvim  tu  Vinlands  oc  vied  honum  Omlungr  son  kans  med  sina  lionu 
Fallborg,  oc  rdda  peir  sinu  rlki  langa  stund  med  veg  oc  scemd,  Nu 
fen'  Sintrani  austr  i  Feuidi  oc  geriz  par  hertvgi  oc  er  enn  frcegsH 
madr,  sem  hans  cettmenn  hafa  verit  Nü  ferr  Herbrandr  heim  til 
»ins  Hkis  oc  er  liann  enn  Hhasti  hertngi. 

Aber  durch  das  aussenden  einiger  vasallen  hat  I'idrekr  doch  seine 
aufgäbe  daheim  noch  nicht  vollendet;   man  würde  erwarten,   dass  jezt 
die   weiteren   Veranstaltungen   erwähnt   werden   selten,    welche   er   im 
Interesse   seines   landes   tritt  —    c.  223  eröfnet  einen  durchaus  neuen 
abschnitt  der  saga  und  muss  doch  mit  dem  folgenden  in  irgend  einem 
Zusammenhang  stehen  — ;  es  kann  uns  daher  nur  wundern,  wenn  wir 
a  226  auf  einmal  vernehmen,  dass  f  idrekr  mit  Gunnarr  nach  Niflunga- 
land  zieht  und  den  köuig  sogar  auf  der  brautfahrt  nach  Sacgardr  beglei- 
tet,  eine  nachricht,   welche  sich  übrigens  nur  in  der  I'S  findet,   und 
die  nur  den  zweck  hat,  die  folgende  erzählung  an  I^idrekr  zu  knüpfen. 
Eine  bessere  fortsetzung  des  c.  225  bietet  c.  240:   Nü  er  pat  eitthvert 
sinn,  at  pidrecr  konungr  gerir  ferd  slna  nordr  um  fjaU,  oc  med  ho- 
num Fasold  oc  petleifr  danski,   oc  ah  hefir  hann  XL  riddara,   oc 
par  iil  ferr  hann,   er  hann  kemr  til  borgar  Drecanfils,  oc  er  honum 
par  vel  fag?iad  oc  hans   mqnnum.     par   rdda  peiiri  borg  IX  dceir 
Drusians  konungs,   oc  peira  niödir  hefir  andaxc  af  peim  harmi,   er 
hon  feck,  pd  er  drepinn  var  Ecka.     Oc  nü  segir  pidrecr  konungr  sitt 
cerendi,  at  hann  vil  bidja  s6r  iil  eignariconu  ennar  elxtu  döttur  Drus- 
iafis  konungs,    en  sü   heitir   Oudilinda,   oc  annar(rar)  peira  systur 
til  handa  Fasoldi,   en  ennar  III  systur  iil  handa  peilcifi  danska  . . . 
....     Oc  nü  er  efnad  til  mildllar  veixlu  oc  gqfuglegrar,   oc  ai  pessi 
veixlu  kvdngax  pidrecf^  konungr  oc  Fasold  oc  petleifr  danski  ....     Oc 
nü  seix  Fasold  oc  petleifr  at  riki  pvi,   er  dit  hqfdu  dmtr  Drusians 
konungs,   oc  gerir  pidrecr  konungr  pd  bdda   herioga,   en  sjdlfr  rktr 
hann  heim  til  Beimar  vid  adra  suia   menn,    oc   med  honum   haus 
kona  GudiUnd;  oc  e9'  hann  kemr  heim,  sitr  Imnn  nü  i  sinu  rfki. 


I*IDRKKS   SAOA   UND   NIFLUXGA   8A0A  437 

Die  Veranstaltungen,  welche  I^iSrekr  im  anschluss  an  c.  225  trift, 
bestehen  also  darin,  dass  er  zweien  seiner  freunde,  welche  noch  kein 
land  haben,  durch  eine  heirat  dazu  verhilft,  und  dass  er  selbst  sich 
verheiratet  Was  sich  zwischen  diese  capitel  gedrängt  hat,  kann  nicht 
ursprünglich  sein.  Es  sind  zwei  episoden:  1.  Sigurds  und  Gunnars  hoch- 
zeit,  zu  welcher  interpolation  der  umstand  mitgewirkt  haben  kann, 
dass  in  c.  223^  und  dem  folgenden  c.  240,  und,  was  noch  näher  erör- 
tert werden  wird,  auch  in  dem  capitel,  welches  unmittelbar  auf  c.  240 
folgt,  von  verschiedenen  hochzeiten  die  rede  war,  wozu  aber  Sigurds 
und  Gunnars  begegnung  an  könig  Isungs  hofe  die  nächste  veranlassung 
war,  2.  die  erzählung  von  Herburt  und  Hilde.  Diese  ist  so  äusserlich 
mit  fidrekr  verbunden,  dass  man  sie  schon  aus  dem  gründe  für  eine 
zutat  zu  erklären  geneigt  sein  würde;  auch  steht  die  erbärmliche  rolle, 
die  Pidrekr  in  dieser  episode  spielt,  in  direktem  gegensatze  zu  der 
Schilderung  des  beiden  in  denjenigen  teilen  der  saga,  die  wir  als 
ursprünglich  ansehen  dürfen.  Dass  Herburt  mit  f  idreks  braut  entflieht, 
nimt  dieser  nicht  nur  ganz  ruhig  auf,  sondern  als  ob  nichts  geschehen 
wäre,  reist  er  darauf  c.  240  wolgemut  nach  Drekanfils,  um  sich  eine 
andere  braut  zu  holen.  Dass  derselbe  mann,  der  c.  240  verfasste,  auch 
die  geschichte  von  Herburt  und  Hilde  solte  geschrieben  haben,  ist  aus 
dem  gründe  sehr  unwahrscheinlich;  ein  abschreiber  aber,  der  selber 
eine  liebesgeschichte,  an  der  I'idrekr  beteiligt  war,  zu  erzählen  hatte, 
wüste  sie  nirgends  besser  anzubringen  als  unmittelbar  vor  Pidreks 
hochzeiL 

Gegen  die  ausgeführte  auffassung  von  c.  226  —  239  liesse  sich 
anfüliren,  dass  c.  224  von  c.  226  —  230  nicht  getrent  werden  kann. 
Dort  vernehmen  wir,  dass  Sigurdr  f  idrekr  aus  Bertangaland  nach  Bern 
heim  folgte;  wenn  also  im  folgenden  nicht  mitgeteilt  wäre,  dass  Sigurdr 
Bern  wider  verlässt,  müste  man  annehmen,  dass  er  fortwährend  an 
fidreks  hofe  verweilte;  es  wäre  in  dem  fall  doch  zu  versvundern,  dass 
er  dort  nachher  gar  nicht  mehr  genant  wird,  auch  wäre  diese  annähme 
mit  der  Niflunga  saga  —  wenn  man  ihre  auffassung  in  dieser  hinsieht 
gelten  lassen  will  —  in  offenbarem  Widerspruch.  Welcher  wert  aber 
auf  den  anfang  von  c.  224  zu  legen  ist,  erhelt  aus  c.  223.  Als  Pidrekr 
und  seine  beiden  sich  bei  könig  Isungr  verabschieden,  bietet  Sigurdr 
tidreks  mannen  Hombogi  und  Qralungr  grosse  ehrengaben;  er  hat  also 
die  absieht,  selber  zurückzubleiben,  und  dass  er  seinen  plan  ändert, 
wird  nicht  mitgeteilt     Dennoch  berichtet  c.  224  in  einem  tone,  als  ob 

1)  C.  223  berichtet  Qmlungs  hochzeit  mit  Isungs  tochter  Falborg. 


m.  r  ' 


438  HOKR 

solches  sich  von  selbst  ergäbe,  dass  Sigurdr  Pidrekr  begleitet  Diese 
nachricht  ist  also  vom  Schreiber  Yon  c.  226  —  230  ersonnen  i;  dasselbe 
gilt  von  dem  berichte  c.  222,  dass  Sigurdr  dadurch,  dass  er  genötigt 
inrird,  den  Zweikampf  gegen  I^idrekr  aufzugeben,  dessen  mann  wird. 

Es  ergibt  sich,  dass  der  hier  besprochene  abschnitt  der  redaction 
TT  sich  dem  originale  gegenüber  ebenso  yerhält  als  der  durch  membr.  * 
kontrolierbare  teil:  Umarbeitung  und  Interpolation  gehen  durchweg  zu- 
sammen. Auf  c.  240  folgt  die  zweite  Yilkina  saga;  wir  gehen  vorläufig 
an  ihr  vorüber  und  kommen  zu 

C.  241  — 274,  der  kurzen  saga  von  Walther  und  Hildegunde  und  der 
langen  Irons  saga  jarls.  Beim  lesen  von  c.  275  falt  es  sofort  auf,  dass 
dieses  capitel,  in  dem  die  Vermählung  Yidgas  mit  Bolfriana,  der  wit- 
we  des  Aki  Qrlungatrausti  erzählt  wird,  die  natürliche  fortsetzung  zu 
c.  240,  und  zusammen  mit  c.  225  und  240  die  einleitung  zu  den  gros- 
sen Verwicklungen  des  zweiten  teiles  der  PS  bildet  Die  grosse  Ver- 
stärkung von  Rdreks  macht,  welche  hier  in  friedlicher  weise  vor  sich 
geht,  ruft  Erminreks  neid  hervor,  und  dieser  veranlasst  I^idreks  flucht 
G.  275  gibt  darüber  aufschluss,  wie  es  komt,  dass  Yidga  in  den  fol- 
genden kriegen  auf  Erminreks  seite  kämpft,  einerseits  schliesst  es  an 
c.  240,  andererseits  enthält  es  den  keim,  aus  dem  sich  die  späteren 
ereignisse  entwickeln;  im  Zusammenhang  ist  es  also  unentbehrlich,  und 
zwar  gerade  am  ende  der  einleitung,  welche  die  zunähme  von  I^idreks 
macht  erzählt  Doch  könte  man  noch  zaudern,  c.  241 — 274 für  unecht  zu 
erklären,  wenn  nicht  auch  andere  tatsachen  die  unursprünglichkeit  die- 
ser capitel  sicher  stelten.  In  c.  275  wird  Akis  witwe  Bolfriana,  welche, 
wie  das  capitel  selbst  mitteilt,  in  der  Lombardie  zu  hause  ist,  Bolfriana 
af  Drekanfil  genant,  ein  versehen,  das  offenbar  darin  seinen  grund 
hat,  dass  ein  abschreiber  an  die  drei  c.  240  genanten  jung&-auen,  welche 
in  der  tat  zu  Drekanfils  wohnten,  dachte  und  vielleicht  auch  den  eben- 
fals  in  c.  240  erwähnten  Ekki  mit  Aki  Qrlungatrausti  verwechselte. 
Dass  dieses  nicht  hätte  geschehen  können,  wenn  c.  240  und  275  schon 
damals  durch  34  capitel  ganz  fremden  Inhaltes  von  einander  getrent 
gewesen  wären,  leuchtet  ein;  dagegen  lässt  sich  der  fehler  leicht  durch 
die  annähme  erklären,  dass  in  der  vorläge  jenes  Schreibers  c.  241 — 274 

1)  Wie  es  scheint  folgten  unmittelbar  nach  c.  223  die  werte:  Oe  nü  ferr 
piärehr  kommgr  aptr  alla  sina  leid  ena  sqmu,  sem  dar  for  kann  fram  usw.;  es 
sind  dann  am  anfang  von  c.  224  5Vs  Zeilen  hinzugefügt;  man  braucht  nicht  anzuneh- 
men, dass  vom  ursprünglichen  texte  etwas  verloren  ist.  Hingegen  müssen  c.  226 — 
230  einige  werte  verdrängt  haben,  welche  die  nachricht  enthielten,  dass  Gunnarr  und 
H^gni  aus  Bern  nach  Nifiungaland  zurückreiten. 


^lUREKS  SAGA  ÜNO  NIFLUNOA  SAGA  439 

fehlten.    In   AB   sind   die   werte   af  Ih'ekanfil  wider  fortgelassen;   S 
kürzt 

Auch  der  Zusammenhang,  in  dem  c.  241  —  274  überliefert  sind, 
beweist  ihre  iinursprünglichkoit.  C.  275  wird  von  Aki  und  Bolfriana 
als  von  noch  nicht  genanten  personen  gesprochen;  es  ist  daher  unmög- 
lich, dass  der  Verfasser  von  c.  275  unmittelbar  zuvor  eine  lange  erzäh- 
lung  solte  mitgeteilt  haben,  in  der  Aki  und  Bolfriana  die  hauptroUe 
spielen ;  eine  solche  erzählung  ist  aber  die  Irons  saga  jarls.  Ebensowenig 
ist  die  sage  von  Walther  und  Hildegunde  hier  richtig  angebracht  Sie 
weist  eine  merkwürdige  Übereinstimmung  mit  der  kurz  vorhergehenden 
sage  von  Horburt  und  Hilde  auf  —  es  liegt  nahe,  bei  diesen  liebes- 
geschichten,  deren  es  in  der  I'S  mehrere  gibt,  an  6inen  und  denselben 
Verfasser  zu  denken.  Valtari  af  Vascannsteini  tritt  c.  151  als  Ermin- 
reks  stathalter  in  Oerimsheimr  auf;  seitdem  wurde  nicht  mitgeteilt,  was 
c.  241  voraussezt,  dass  er  als  geisel  an  Attilas  hof  kam,  wozu  auch 
gar  kein  grund  vorhanden  war,  denn  nach  der  Vorstellung  der  fS  war 
das  Verhältnis  zwischen  Attila  und  Erminrekr  bisher  ungetrübt  Im 
gegensatz  zu  allen  sonstigen  berichten  der  PS  tritt  HQgni  als  Attilas 
dienstmann  auf ^  Aus  diesen  gründen  geht  klar  hervor,  dass  auch  die 
episode  von  Walther  und  Hildegunde  interpoliert  ist*. 

C.  276  —  290  enthalten  die  erzählung  von  tidreks  flucht  vor  Er- 
minrekr. Als  die  Ursache  alles  unheils,  welches  Pidrekr  erfährt,  wird 
c.  276  die  von  Erminrekr  dem  weihe  seines  ratsherrn  Sifka  zugefügte 
Schmach  genant,  was  diesen  dazu  reizt,  Erminrekr  durch  falschen  rat 
ins  verderben  zu  stürzen.  C.  278  —  283  berichten  sodann,  wie  Ermin- 
rekr auf  Sifkas  anstiften  selbst  den  tod  seiner  drei  söhne  herbeiführt, 
darauf  seine  beiden  neffen  Egard  und  Aki  unschuldig  hinrichten  lässt 
Darauf  bringt  Sifka  den  könig  c.  284  dazu,  dass  er  von  fidrekr  von 
Bern  tribut  fordert;  als  dieser  in  einem  stolzen  tone  die  forder ung 
abschlägt,  entschliesst  sich  Erminrekr  zu  dem  kriege.  Nach  dem  vor- 
hergehenden würde  man  nun  erwarten,  dass  Sifka,  der  jezt  als  heerfüh- 
rer  Erminreks  loos  in  seiner  band  hat,  keine  gelegenheit,  um  den  könig 

1)  Auf  die  Dachricht,  dass  Valtari  H^gni  ein  äuge  auswirft,  wird  zwar  in  der 
Niflunga  saga  angespielt;  daraus  lässt  sich  aber  nur,  und  nicht  einmal  mit  gowiss- 
heit,  auf  einen  Zusammenhang  mit  der  NS,  über  den  weiter  unten  die  rede  soin^xdrd, 
schliessen. 

2)  Meine  bemerkung  Arkiv  YII,  237  anm.  muss  demnach  insofern  geändert 
werden,  dass  die  episode  zwar  von  einem  anderen  Verfasser  als  die  2.  Yilk.  saga  zu 
sein  scheint,  deshalb  aber  nicht  ursprünglich  zu  sein  braucht  Ich  komme  darauf 
zurück. 


.  *  ta  r—  '  ■  -  ""  ■  •'r^r^tm^    m* 


440  OOER 

ZU  beeinträchtigen,  unbenüzt  lassen  iwiirde,  dass  er,  wenn  es  z.  b.  zu 
einer  schlacht  käme,  zum  feinde  überlaufen  oder  auf  eine  andere  weise 
seinen  könig  verraten  würde.  Statt  dessen  tritt  Sifka  von  diesem  au^en- 
blicke  an  als  Erminreks  treuer  freund,  dagegen  als  I^idreks  schlimster 
gegner  auf,  vor  dessen  gewalt  dieser  schliesslich  das  land  räumen  muss. 
Später  bleibt  Sifkas  betragen  den  beiden  königen  gegenüber  dasselbe, 
so  in  der  schlacht  bei  Gronsport;  I'idrekr  betrachtet  ihn  persönlich, 
mehr  noch  als  Erminrek  als  seinen  erklärten  feind^.  Wenn  demnach 
Sifka  nach  der  auffassung  des  sagaschreibers  mehr  I^idreks  feind  als 
ein  Verräter  gegenüber  Erminrekr  ist,  so  passen  c.  276 — 283  sehr 
schlecht  in  den  Zusammenhang  der  saga'.  Zum  Verständnis  von  c.  284 
sind  sie  entbehrlich:  I^idreks  wachsende  macht,  die  c.  240,  275  beschrie- 
ben wurde,  erklärt  genügend,  dass  Erminrekr  ihn  zu  fürchten  anfingt 
und  zu  demütigen  versucht;  wenn  zumal  Sifka  für  den  krieg  gegen 
I'idrekr  eiferte,  ist  es  nicht  nötig,  den  grund  dieses  Verfahrens  in  hass 
gegen  Erminrekr  zu  suchen;  im  gegenteil  lässt  es  sich  sehr  gut  ver- 
stehen, dass  er  als  ratsherr  zuerst  die  seitens  des  mächtigen  nachbam 
drohende  gefahr  einsah,  und  davor  warnte.  Zugleich  erklärt  sich 
daraus  fidreks  bitterer  hass  gegen  Sifka. 

Man  könte  vielleicht  diesen  mangel  an  Übereinstimmung  zwischen 
c.  276-^283  und  den  übrigen  berichten  der  tS  einer  inconsequenz 
von  Seiten  des  sagaschreibers  zuschreiben,  wenn  nicht  das  folgende 
hinzukäme.  C.  278  gibt  Sifka  Erminrekr  den  rat,  seinen  söhn  Fridrekr 
nach  Vilkinaland  zu  senden,  um  von  Osantrix  tribut  zu  verlangen; 
Osantrix  aber  ist  schon  c.  144  umgekommen.  Zieht  man  nun  in 
betracht,  dass  die  zweite  Vilkina  saga,  in  der  Osantrix  eine  hauptrolle 
spielt,  in  U  auf  c.  240  folgt,  also  von  ihrem  bearbeiter  beinahe  unmit- 
telbar vor  c.  276  gestelt  wurde  —  über  c.  241  —  274,  welche  jezt 
dazwischen  stehen  vgl.  unten  s.  441  —  weiter,  dass  unmittelbar  nach 
Pidreks  flucht  die  zweite  redattion  der  erzählung  von  Osantrix'  tode 
folgt,  so  wird  man  sich  dem  Schlüsse  nicht  entziehen  können,  dass 
c.  276 — 283  die  arbeit  desselben  Verfassers  sind,  der  die  zweite  Tü- 
kina  saga  bearbeitete  und  c.  291  —  292  schrieb.  Schliesslich  führt  eine 
nähere  betrachtung  von  c.  281 — 283  zu  demselben  Schlüsse.  Nach 
allen  früheren  berichten  residieren  Egard  und  Aki,  und  seit  seiner 
Verheiratung  mit  ihrer  mutter  Bolfriana   auch  Vidga  zu  FritUa   (Ver- 

1)  C.  325:  yfir  her  Eminreks  konungs  er  einn  kertugi  Vidga,  ydarr  htfin 
gödi  vinr,  oo  annarr  er  Sifka y  yäarr  hinn  mikli  üvinr;  vgl.  c.  326,  413  u.  a. 

2)  C.  401  tritt  Sifka  wider  als  ven-äter  auf,  abor,  wie  unten  nachgewiesen 
worden  wird,  in  einem  gleichfals  interpolierten  capitel. 


PmKRKS   8A0A   UXU   NIFLUXOA   SAGA  441 

celli).  C.  282  aber  halten  sie  sich  auf  einmal  zu  Trelinnborg  d  Rhiar 
backa  auf.  Diese  Stadt  zerstört  Errainrekr;  Vidga,  der  während  der 
belagerung  in  Bern  war,  komt  c.  283  zurück  und:  hittir  nü  sina  borg 
brenda.  Zur  sühne  gibt  Erminrekr  ihm  ]^d  borg  er  Rana  heitir,  oc 
nü  rceär  Vidga  peirri  borg,  Fritila  wird  gar  nicht  genant;  doch  heisst 
Vidga  c.  323  wider:   Viäga  Velentsson  af  Fritila. 

Übersehen  wir  von  dem  gewonnenen  Standpunkte  aus  unsere  bis- 
herigen resultate,  so  erhelt  es  schon  jezt,  dass  in  der  I^S  zwei  grup- 
pen  von  interpolationen  deutlich  zu  unterscheiden  sind.  Es  wurde 
schon  s.  439  anm.  2  bemerkt,  dass  der  Verfasser  von  c.  241  —  244  mit 
dem  umarboiter  der  Vilkina  saga  nicht  identisch  ist.  Da  es  wahr- 
scheinlich ist,  dass  der  leztgenante  die  2.  Vilkina  saga  aus  dem  gründe 
hinter  c.  240  einfügte,  weil  er  die  absieht  hatte,  bald  auf  Osantrix 
zurückzukommen  (vgl.  oben  s.  440),  muss  man  nicht  nur  annehmen, 
dass  damals,  als  er  die  PS  umarbeitete,  c.  240  noch  nicht  durch  meh- 
rere ausserhalb  des  Zusammenhanges  der  saga  stehende  episoden  von 
284  fgg.  getrent  war,  sondern  auch  dass  der  Schreiber  der  2.  Vilk.  saga 
diese  episoden  nicht  geschrieben  hat;  mit  andern  werten,  wenn  c.  241 
—  274  älter  oder  von  demselben  Verfasser  wie  die  2.  Vilk.  saga  wären, 
so  würde  er  diese  lezte  hinter  c.  274,  nicht  vor  c.  241  gestelt  haben. 
Zwischen  der  2.  Vilk.  saga  und  c.  276  Hess  er  nur  c.  275  stehen,  weil 
dieses  capitel  nach  seiner,  allerdings  richtigen,  auffassung  nicht  von 
dem  folgenden  getrent  werden  konte.  Die  sage  von  Walther  und  Hilde- 
gunde,  sowie  die  Irons  saga  jarls  sind  also  jünger  als  die  zweite  Vil- 
kina saga,  c.  276  —  283,  c.  291  —  292. 

Nach  ausscheidung  der  interpolierten  c.  276  —  283  bleiben  für 
Pidreks  flucht  c.  284  —  290  übrig.  Diese  capitel,  obgleich  im  grossen 
und  ganzen  ursprünglich,  sind  doch  nicht  in  ihrer  ältesten  fassung  über- 
liefert; aus  dem  inhalt  ergibt  sich,  dass  die  erzählung  überarbeitet  ist. 

Als  Heimir  c.  285  vemimt,  was  Erminrekr  gegen  fidrekr  im 
Schilde  führt,  macht  er  dem  könige  und  Sifka  heftige  vorwürfe;  das- 
selbe tut  Vidga,  der  darauf  (c.  286)  nach  Bern  reitet  und  Pidrekr 
erzählt,  was  Enninrekr  im  sinne  hat.  Während  Pidrekr  und  die  sei- 
nen sich  schnell  rüsten,  komt  c.  287  Heimir  mit  derselben  botschaft 
angeritten.  Darauf  kehren  Vidga  und  Heimir  c.  288  zusammen  nach 
Rom  zurück,  wo  Heimir  den  könig  und  Sifka  aufs  neue  in  bittern 
Worten  tadelt  (hier  finden  sich  anspielungen  auf  c.  276  —  283,  was 
allein  schon  beweisen  würde,  dass  die  geschieh te  umgearbeitet  ist)  und 
Sifka  ins  angesicht  schlägt.  Von  Vidga  geschüzt  entkörnt  er;  von  dem 
augenblicke  an  plündert  er  als  räuber  Erminreks  lande. 


442  BOEB 

Diese  erzählung  enthält  ziemlich  viel  unerklärliches.  Dass  Yidga 
Enninrekr  treue  schwur,  wurde  c.  275  mitgeteilt  Heimir  hingegen 
wurde  bisher  nur  als  I^idreks  mann  genant;  was  ist  die  Ursache,  dass 
er  sich  jezt  auf  einmal  an  Erminreks  hofe  aufhält?  Yidga  und  Heimir 
sprechen  zusammen  ihre  schmachreden  gegen  Sifka;  weshalb  reiten 
sie  denn  jeder  für  sich  nach  Bern?  Der  umarbeiter  hat  wol  ein- 
gesehen, dass  Heimir,  solte  seine  ankunft  in  Bern  nicht  ganz  zweck- 
los erscheinen,  wenigstens  eine  nachricht  bringen  raiiste,  welche  eini- 
germassen  neu  war:  deshalb  lässt  er  ihn  erzählen:  at  Enninricr  konungr 
mim  eiga  skamt  fangat,  was  freilich  zur  folgenden  mitteiluDg,  dass 
I^idrekr,  bevor  er  zu  Attila  flächtet,  einen  heftigen  einfall  in  Ermin- 
reks land  tut,  ohne  irgend  einem  feinde  zu  begegnen,  schlecht  stimt 
Durch  die  widerholung  geht  der  eindrucke  den  Heimirs  schelten  machen 
soll,  ganz  und  gar  verloren.  Diese  Widersprüche  lassen  sich  alle  aus 
dem  umstände  erklären,  dass  der  umarbeiter  Heimir  zu  Erminreks 
dienstmann  machte,  und  zwar  im  anschluss  an  eine  abweichende  Über- 
lieferung, welche  den  hochdeutschen  gedichten,  die  denselben  sagen- 
stotr  behandeln  (Rabenschlacht,  Dietrichs  flucht,  Alpharts  tod  u.  a.) 
näher  steht  \  der  auffassung  der  ^S  dagegen  widerspricht  Dass  der 
sagaschreiber,  auch  als  er  c.  284  fgg.  schrieb,  sich  Heimir  noch  als 
I^idreks  mann  vorstelte,  beweisen  die  folgenden  werte,  welche  der 
umarbeiter  diurch  ein  versehen  hat  stehen  lassen  (c.  287):  pd  sverr 
Heimir  pai  vid  giid,  ai  visi  lätum  v6r  väri  rlki  viä  üscemä  firir  sak- 
ar  Erminrix  kofnmgs,  oc  enn  mä  kann  fä  af  oss  meira  skaäa  en 
gagn,  dar  en  v&r  skiljum,  pöti  kann  taki  Bern  ok  aU  Omlungalandj 
wo  unter  väri  riki  doch  nur  Bern  ok  Omhtngaland  zu  verstreu  ist 
Dass  Heimir  mit  Yidga  nach  Born  reitet  und  Sifka  schilt,  kann  ein 
alter  zug  sein;  dass  er  räuber  wird  und  Erminreks  land  plündert, 
bestätigt  c.  429,  wovon  noch  die  rede  sein  wird. 

Nachdem  I^idrekr  c.  287  Erminreks  land  verheert  hat,  zieht  er 
c.  289  nordwärts  über  die  Alpen  und  komt  bald  nach  Bakalar  zum 
markgrafen  Bodingeirr,  der  ihm  mit  seiner  frau  Gudilinda  entgegen- 
reitet und  ihn  gastlich  auihimt  Hier  erhebt  sich  zuerst  die  frage,  eine 
der  wichtigsten  für  die  kritik  der  saga:  wie  verhält  sich  Bodingeirr  zur 
I^S?  Um  sie  zu  lösen,  werden  wir  diejenigen  teile  der  saga,  in  denen 
er  genant  wird,  in  ihrem  Zusammenhang  prüfen  müssen.  Es  sind:  die 
zweite  Yilkina  saga,  tidreks  flucht,  Attilas  kriege  mit  Yaldemar,  die 

1)  Hieran  erkent  man  denselben  umarbeiter,  der  auch  in  die  Yilk.  saga  zuge 
aas  der  süddeatsdien  überiieferung  aufnahm. 


PjD]lKKS   SAGA   UNU   NIFLUNOA    SAGA  443 

Schlacht  bei  Gronsport,  die  Niflunga  saga,  l'idreks  klage  über  Rodin- 
geirs  tod  auf  seiner  heimreise  nach  Bern  und  eine  kurze  bemerkung 
über  Bodingeirr  c.  415. 

Was  die  Vilkina  saga  anbelangt,  wurde  Arkiv  VII,  229  —  238 
nachgewiesen,  dass  die  redaktion,  in  der  der  name  Bodingeirr  nicht 
begegnet,  die  ursprünglichere  ist;  statt  Bodingeirr  tritt  dort  Rodolfr, 
gleichfals  margreifi  zu  Bakalar  auf.  Es  wäre  in  der  tat  aufTallend, 
wenn  derselbe  Verfasser  dieselbe  person,  der  er  denselben  rang  zuer- 
kent,  etwas  weiter  Bodingeirr  genant  hätte.  Der  bearbeiter  der  zwei- 
ten Yilkina  saga  machte  aus  Bodolfr  zwei  personen,  nämlich  Bodin- 
geirr, der  zu  Bakalar  regiert  und  einen  herzog  Bodolfr,  dessen  land 
er  nicht  nent,  der  aber  in  der  Yilkina  saga  eine  hauptperson  ist,  und 
schliesslich  für  Attila  Erka,  ihre  Schwester  Berta  für  sich  selbst  ent- 
führt Aus  dem  leztgenanten  umstände  wird  es  klar,  weshalb  der 
umarbeiter,  anstatt  überall  den  namen  Bodolfr  durch  Bodingeirr  zu 
ersetzen,  aus  Bodolfr  zwei  verschiedene  personen  machte;  nach  seiner 
meinung  nämlich  heisst  Bodingeirs  weib  Godilinda,  nicht  Herta.  Daher 
konte  es  ihm  gar  nicht  einfallen,  dass  der  entfiihrer  Erkas  und  Bertas 
mit  Bodingeirr  af  Bakalar  identisch  sein  solte.  Wenn  der  sagaschrei- 
ber,  was  nach  dem  vorhergehenden  wahrscheinlich  ist,  und  noch  näher 
ausgeführt  werden  wird,  nur  Bodolfr,  keinen  Bodingeirr  kante,  so  eigibt 
sich  daraus  unmittelbar: 

1.  dass  der  umarbeiter  in  der  I^S,  abgesehen  von  der  Vilk.  saga, 
welche  er  anders  behandelte,  überall  Bodingeirr  statt  Bodolfr 
schrieb; 

2.  dass  die  stellen,  wo  Godilinda  als  Bodingeirs  weib  genant  wird, 
nicht  zur  ursprünglichen  saga  gehören,  denn  in  dieser  heisst 
Bodolfs  weib  nicht  Godilinda,  sondern  Berta. 

Dass  der  name  Bodingeirr  in  der  tat  in  der  ältesten  fassung  der 
I*S  nicht  vorkam,  beweisen  zwei  stellen,  welche  der  umarbeiter  zu 
ändern  vergessen  hat. 

G.  293  berichtet,  dass  Yaldemar  af  Hölmgardi  in  Attilas  reich  einfält 
und  von  dort  einn  göäan  riddara  Roäolf  sendimann  gefangen  mit 
sich  führt  Dieser  ritter  kann  niemand  anders  als  der  aus  der  Yilk. 
saga  bekante  Bodolfr  af  Bakalar  sein;  wahrscheinlich  hat  ihn  der 
umarbeiter  an  dieser  stelle  nicht  als  mit  Bodingeirr  identisch  erkant, 
den  er  bald  darauf  viele  heldentaten  volbringen  lässt,  ohne  dass  es 
klar  würde,  wie  er  aus  der  gefangenschaft  entkommen  ist  Man  hat 
hier  die  wähl  zwischen  der  annähme,  dass  alles,  was  weiter  von  Bo- 
dingeirr erzählt  wird,  eine  zutat  ist,  und  der,  dass  die  erzählung  von 


444  DOKR 

Rodolis  befreiung  fortgelassen  wurde.  Die  zweite  annähme  hat  die 
grössere  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  denn  noch  einmal  wenigstens  tritt 
Ro^olfr  später  in  der  ursprünglichen  saga  auf.  Doch  ist  ohne  zweifei 
ein  teil  der  hier  von  Rodingeirr  berichteten  heldentaten  die  arbeit  des 
uniarbeiters,  und  Rodolfs  ursprüngliche  rolle  in  der  episode  wird 
ungleich  geringer  gewesen  sein.  Wenn  z.  b.  fidrekr  c.  297  vom  feinde 
umzingelt  ist,  falt  es  auf,  dass  er  anstatt  zu  Attila  einen  boten  zu 
Rodingeirr  sendet;  dieser  wird  zwar  in  dieser  und  der  folgenden  episode 
(Schlacht  bei  Gronsport),  sowie  in  der  Niflunga  saga  als  fidreks  vor 
allen  anderen  ausgezeichneter  freund  dargestelt,  aber  auch  dieses  wider- 
spricht der  sonstigen  auffassung  der  saga.  Auch  sonst  ist  in  fidreks 
kriegen  mit  Waldemar  ein  mislungener  versuch,  Rodingeirr  nachträg- 
lich zu  einer  hauptperson  zu  machen,  deutlich  wahrnehmbar ^ 

Am  abend  vor  der  schlacht  bei  Gronsport  reitet  Hildibrandr  allein 
aus  und  begegnet  Erminreks  ritter  Reinaldr,  der  ihm  die  zelte  des 
feindlichen  lagers  zeigt  (c.  326).  Hildibrandr  zeigt  darauf  auch  tidreks 
lager,  und  in  dem  lager  Rodingeirs  zeit  Hier  ist  in  membr.  Roäolfs 
stehen  geblieben,*  was  ich  a.  a.  o.  s.  234  anm.  noch  für  einen  zufall 
hielt,  was  aber  im  Zusammenhang  mit  dem  vorhergehenden  nur  so 
erklärt  werden  kann,  dass  der  umarbeiter  hier  den  namen  zu  ändern 
vergass,  ein  Versäumnis,  das  erst  von  den  späteren  abschreibern,  aus- 
genommen den  von  membr.,  nachgeholt  wurde.  Übrigens  tritt  hier 
die  neigung  des  umarbeiters,  Rodingeirr  zu  einer  hauptperson  zu 
machen,  noch  viel  deutlicher  hervor  als  in  der  erzählung  von  Attilas 
kriegen  mit  Walderaar.  Als  Pidrekr  nach  dem  siege,  der  ihm  seinen 
bnider  f  ether,  Attila  seine  beiden  söhne  Erp  und  Ortwin  gekostet  hat, 
nach  Hünaland  zurückgekehrt  ist,  will  er  vor  Attilas  äugen  nicht 
erscheinen,  sondern  er  geht  i  eiii  liiit  hüs  (c.  338).  Rodingeirr  dage- 
gen begibt  sich  in  Attilas  halle,  wo  ausser  dem  könig  und  Erka,  wie 
aus  dem  Zusammenhang  hervorgeht,  noch  einige  ritter  sich  aufhalten. 
Attila  fragt  nach  des  krieges  ausgang,  den  Rodingein*  ausführlich  erzählt 
Darauf  fragt  Attila,  wo  I*idrekr  zu  suchen  sei.  pä  srarar  einn  maitr 
(gardixurr  A) :  i  eino  sieikarahüsi  par  sitr  nü  piärekr  komingr  ok 
meistan  Hildibrandr  usw.  Hier  würde  es  schwer,  eine  antwort  auf 
die  frage  zu  geben,  was  eitm  madr  bedeuten  soll.  Ist  damit  einer 
von  Attilas  mannen  gemeint?  Diese  wüsten  vor  Rodingeirs  eintreten 
nicht  einmal,  dass  I'idrekr  aus  dem  kriege  zurückgekehrt  war.    Ist  es 

1)  Man  beachte  die  ermtidende  widerholang  von  kampfscenen  c.  308,  die  dis- 
cussion  bei  der  bclagerung  von  Palteskja  c.  311.  Bodin{^irs  naraen  wird  hier  jedes- 
mal genant;  die  grossen  schlachten  aber  worden  ohne  ihn  geschlagen  (c.  312  fgg.). 


I'IDUKKS   SAOA   UND   NIKLUXOA    SAGA  445 

ein  roann  Eodingeirs?  Aber  Bodiiigeirr  ist  allein  in  Attilas  halle 
gegangen,  und  auch  wenn  er  begleitet  gewesen  wäre,  so  würde  doch 
ein  dienstmann  sich  nicht  herausnehmen,  eine  frage,  welche  an  seinen 
heiTU  gerichtet  war,  zu  beantworten,  am  wenigsten  unter  umständen 
wie  diesen.  Es  ergibt  sich  schon  wider,  dass  auch  diese  erzählung 
nicht  in  ihrer  ältesten  gestalt  überliefert  ist:  in  der  ursprünglichen  {'S 
hat  nämlich  Attila  sicherlich  die  nachricht  von  dem  tode  seiner  kinder 
nicht  aus  Rodingeirs  munde,  sondern  von  einer  grösseren  anzahl  per- 
sonen  erfahren,  obwol  es  nicht  klar  wird,  wo  er  denselben  begegnete. 
Auch  die  unmittelbar  folgenden  werte  setzen  ein  andere  sagenform 
Toraus,  als  sie  hier  vorliegt  Attila  sagt:  Minir  tveir  riddarar,  gan- 
gilt  iit  ok  biäid  piärck  honung  minn  vin  nm  koma  usw.  Aus  dem 
Zusammenhang  lässt  sich  nicht  ermitteln,  wer  diese  tveir  riddarar  sind^ 
obgleich  sie  in  einer  weise  erwähnt  werden ,  als  ob  sie  dem  leser  schon 
bckant  seien,  was  in  der  ursprünglichen  saga  auch  zweifelsohne  der 
fall  war. 

Obige  erörterungen  genügen  um  darzutun,  dass  der  sagaschreiber 
nur  Rodolfr,  keinen  Rodingeir  kante.  Wo  also  Godilinda  als  Eodingeirs 
weih  genant  wird,  muss  man  entweder  annehmen,  dass  sie  in  der 
ursprünglichen  I^S  als  Kodolfs  weib  vorkam,  was  mit  rücksicht  auf  die 
Vilk.  sage  unmöglich  ist,  oder  —  und  nur  diese  möglichkeit  bleibt 
übrig  —  dass  wir  es  mit  einer  interpolation  zu  tun  haben.  Das  ist 
denn  auch,  was  c.  289  anbetrift,  ganz  bestirnt  der  fall.  C.  290,  obgleich 
nicht  in  seiner  ältesten  fassung  überliefert,  ist  doch  zum  teil  echt;  das 
capitel  erzählt  Pidrcks  ankunft  bei  Attila. 

In  der  Niflunga  saga  (ich  bezeichne  mit  diesem  namen  hier 
nur  c.  342  —  348  und  356  —  394)  ist  Rodingeirr  nicht  nur  eine  haupt- 
porson  an  Attilas  hofe,  bis  zu  dem  grade  sogar,  dass  er  im  gegensatz 
zu  andern  berichten  der  fS  Pidreks  bester  freund  genant  wird,  aber 
auch  Godilinda  spielt  keine  geringe  rolle:  ich  weise  auf  c.  368  fgg., 
wo  Rodingeirr  und  Godilinda  die  Nibelungen  auf  eine  weise  bewirten, 
welche  an  das  Nibelungenlied  erinnert  Der  schluss,  dass  auch  die 
Niflunga  saga  eine  interpolation,  und  zwar  vom  boarbeiter  der  zweiten 
Yilkina  saga  ist,  liegt  nahe.  Es  fragt  sich,  ob  eine  nähere  betrach- 
tung  der  NS  an  und  für  sich  zu  demselben  Schlüsse  fuhrt 

Der  Inhalt  der  NS  bildet  ein  ziemlich  abgeschlossenes  ganze  und 
enthält  nur  wenig  anspielungen  auf  ereignisse,  welche  die  PS  auch  an 
anderer  stelle  mitteilt  Wo  solches  der  fall  ist,  stimmen  die  nachrich- 
ten   der  NS  nicht  immer  zu  denen  der  f  S.     So  wird  am  anfang  der 


446  BOKR 

NS  (c.  342)  ^  von  Gannarr,  HQgni  und  Sigurdr  gesprochen  als  von  per- 
sonen,  welche  noch  nicht  genant  wurden,  obgleich  Gunnarr  und  HQgni 
als  f^idreks  gaste  mit  ihm  nach  Bertagaland  gezogen  sind  und  Sigurdr 
dort  mit  ihm  gekämpft  hat  Auch  die  Überschrift  der  NS'  lässt  ver- 
muten, dass  hier  eine  selbständige  erzählung  folgt,  obgleich  die  NS 
innerhalb  der  f^S  nur  eine  episode  sein  soll.  In  Übereinstimmung  mit 
dem  interpolierten  c.  169,  im  gegensatz  zu  dem  echten  c.  170  nent  die 
NS  Gunnars  vater  Aldrian  (Arkiv  YU,  228).  G.  342  erwähnt  die  härte 
von  Sigurds  haut  als  etwas  neues,  obgleich  davon  schon  c.  190  erzählt 
wurde ^.  G.  375  berichtet,  dass  H^gni  nur  6in  äuge  hat,  dasselbe  in 
der  interpolierten  heldenbeschreibung  c.  184;  die  Ursache  teilt  das  inter- 
polierte c.  242  mit;  in  der  ursprünglichen  ^8  findet  sich  keine  ähn- 
liche bemerkung.  C.  373  erwähnt  eine  ausserordentliche  freundschaft 
zwischen  I^idrekr  und  HQgni;  c.  375  erinnert  Attila  sich,  dass  H^gni 
früher  an  seinem  hofe  verweilt  hat;  dasselbe  in  dem  interpolierten 
c.  242;  weder  die  eine  noch  die  andere  bemerkung  wird  durch  eine 
echte  stelle  der  I^S  gestüzt  Die  angaben  der  NS  stimmen  also  nicht 
übeiall  zu  denen  der  I^S;  hingegen  scheint  zwischen  der  NS  und 
einigen  interpolationen  ein  gewisser  Zusammenhang  zu  bestehen;  doch 
würden  die  wenigen  angeführten  stellen  zur  entscheidung  nicht  genü- 
gen. Wichtiger  ist  es  zu  prüfen,  wie  weit  die  NS  in  den  Zusammen- 
hang der  ganzen  f^S  passt 

C.  316  berichtet,  dass  I^idrekr  zu  der  zeit,  als  er  zuerst  sein  land 
wider  zu  erlangen  versuchte  (schlacht  bei  Gronsport),  bereits  20  jähre 
im  exil  zugebracht  hatte;  in  dieser  angäbe  stimmen  alle  handschriften 
tiberein.  Wenn  in  der  ursprünglichen  fS  auf  die  schlacht  bei  Gron- 
sport die  ereignisse,  welche  die  NS  erzälilt,  gefolgt  sind,  so  müssen 
verschiedene  jähre  zwischen  jener  schlacht  und  f  idreks  rückkehr  nach 
Bern  angenommen  werden.     Nach  c.  396  ist  f  idrekr  denn  auch  32  jähre 

1)  A  ßessum  tima  i  NiftungcUandi  i  ßeirri  borg,  er  heitir  Vemika,  ßar 
radr  firir  Ounnarr  konungr  ok  med  honom  hans  brödir  Hqgni,  oe  hinn  ßridi 
ßeira  mdgr,   sd  er  dgeetastr  hefir  verit  firir  aUum  kqppom  oe  hqfdingjom  hvdr- 

tteggja  i  sudrlqndotn  oe  nordrlandum en  ßetta  var  Sigurdr  sveinn,   er  ßd 

dtti  Orimildi,  döitor  Aldrians  konungs  oe  sysior  ßeira  Gunnars  oe  Eqgna  (1.  Hqgna 
oe  Chmnars?),  er  ßd  dtti  Bryniüdi  hina  riko  oe  hina  fagru. 

2)  Her  hefr  upp  eagu  Niflunga  oe  frd  vidskiptum  ßeira  Sigurdar  sveins  oe 
Hqgna  oe  Otmnars  konungs  oe  af  bardaganoni  i  Susat,  oe  hverso  Qrimildr  hef(n)di 
sinnar  ösamdar  er  henni  var  gqr  at  saclauso  i  fyrstunni, 

3)  Über  das  Verhältnis  der  NS  zu  dem  interpolierten  c.  166,  welches  die  erwer- 
bong  der  homhant  eoniüilt,  wird  weiter  unten  gesprochen  werden. 


I*IDRRKS   SAGA   UND  KIVLUNOA   SAQA  447 

landesflüchtig  gewesen,  sodass  für  die  NS  12  jähre  übrig  bleiben.  Aber 
c.  429,  wo  wir  erfahren,  dass  Heimir  viele  jähre  lang  Sifka's  reich 
verheert  hat,  fahrt  der  Verfasser  fort:  A  pessu  lund  f&i^  fram  XX  vetr 
alla  pä  hriä,  er  piärekr  hmungr  var  6r  sinn  riki.  So  A,  membr. 
fehlt,  S  nent  die  dauer  von  Pidreks  exil  nicht,  in  B  ist  XX  in  XXX 
geändert,  was  auf  keinen  fall  das  richtige  trift,  denn  nimt  man  an, 
dass  die  NS  echt  ist,  so  müste  hier  in  Übereinstimmung  mit  c.  396 
XXXIL  stehen.  Die  lesart  von  A  findet  eine  stütze  an  c.  413.  Als 
Sifka  durch  Alibrandr  gefallen  ist,  sagt  Pidrekr:  ef  pat  hefäi  hami 
gqrt  IX  veU^m  fyrr,  pä  mundi  betr  standa  riki  ßmlunga.  So  A, 
B  hat  XI  statt  IX,  membr.  fehlt  Weder  die  lesart  von  A  noch  die 
von  B  gibt  einen  verständlichen  sinn,  denn  ebensowenig  vor  neun  als 
vor  elf  Jahren  war  eine  besondere  veranlassung  dazu  vorhanden,  Sifka 
zu  töten,  und  vor  elf  jähren  war  I^idrekr  schon  seit  langer  zeit  ver- 
trieben. Allerdings  würde  es  im  Amelungenlande  besser  aussehen, 
wenn  Sifka  getötet  wäre,  ehe  er  die  feindschaft  zwischen  I^idrekr  und 
Erminrekr  angefacht  hätte.  Dieses  steht  in  S  c.  355 :  hadhe  thet  wa- 
rith  giorth  for  XX  aar,  tho  stodhe  Ixether  i  hunduiigha  landhK 
I'ldreks  rückkehr  hat  also  nach  c.  413,  429  statgefunden,  unmittelbar 
nachdem  er  aus  der  schlacht  bei  Gronsport  sich  nach  Hdnaland  zurück- 
begeben hatte. 

Derselben  Vorstellung  begegnen  wir,  wie  es  scheint,  c.  397.  tid- 
rekr  verabschiedet  sich  bei  Attila,  der  ihn  bittet  zu  bleiben  oder, 
wenn  er  durchaus  nach  Bern  ziehen  wolle,  wenigstens  seine  hülfe 
anzunehmen  (pd  vil  ek  fd  p4r  lid  Hüna  fier) ,  fidrekr  weist  das  aner- 
bieten mit  den  folgenden  werten,  die  eine  anspielung  auf  die  schlacht 
bei  Gronsport,  nicht  auf  die  NS  enthalten,  ab:  eigi  vil  ek  optar  spilla 
pfnum  dpiigurn  drengjum  at  vimia  mift  land.  Abgesehen  von  dieser 
antwort  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dass  Attila  unmittelbar  nach  dem 
untergange  der  Nibelungen  im  stände  gewesen  wäre,  ausreichende  hülfe 
anzubieten;  man  beachte  die  werte  c.  393:  oc  epter  pessa  ofrostu  hefer 
voräit  svd  mikil  aud?i  i  Hünalafide  st&rmennis,  at  ei  d  dqgum  Attila 
koniings  hefer  ordit  jamngott  mannval  i  Hünalande,  sem  dar  var  en 
pesse  öfridr  höfx. 

C.  340  enthält  die  erzählung  von  Erkas  tode,  welche  I*idrekr  vor 
ihrem  hinscheiden  ihre  verwante  Herad  zur  gemahlin  gibt   Aber  f  idrekr 

1)  Aach  das  algemcine:  hctdhe  thet  warith  in  S  ist  der  lesart  ef  Pat  hefdi 
Jiann  gort  vorzuziehen,  denn  damals,  als  I'idrekr  vertrieben  wardo,  war  Alibrandr 
noch  nicht  geboran,  und  konte  also  Sifka  nicht  toten. 


448  BO£R 

hat  sich  c.  240  mit  Gudilinda  af  Drekanfils  verheiratet,  welche,  soweit 
wir  wissen,  noch  nicht  gestorben  ist  Das  auftreten  der  fird  Herad  in 
der  I^S  ist  demnach  verdächtig,  und  die  stellen,  wo  sie  genant  wird, 
bedürfen  einer  gründlichen  prüfung.  Abgesehen  von  c.  393,  welches  zur 
NS  gehört,  tritt  frd  Herad  hauptsächlich  in  der  erzählung  von  l'idreks 
rückreise  nach  Bern  auf  (c.  395  fgg.).  Was  dort  über  sie  mitgeteilt 
wird,  spricht  nicht  dafür,  dass  sie  in  der  ursprünglichen  t^S  erwähnt 
wurde.  Derjenige,  welcher  die  Überschriften  in  membr.  oder  deren 
vorläge,  vielleicht  schon  in  U,  verfasst  hat,  wolte  augenscheinlich  die 
aufmerksamkeit  auf  sie  lenken:  über  c.  393,  in  welchem  sie  gar  nicht 
genant  wird,  das  aber  die  erzählung  von  I^idreks  rückreise  eröfiiet, 
steht:  frd  piäreki  konungi  oc  frü  Heraä,  als  ob  sie  die  hauptperson 
der  ganzen  episode  wäre,  und  über  c.  397:  frd  pidreJd  konungi  oc 
hans  frü.  Nichtsdestoweniger  weiss  der  Verfasser  manchmal  nichts  mit 
ihr  anzufangen.  C.  395  verabredet  I'idrekr  mit  Hildibrandr,  dass  sie 
zusammen  ohne  begleitung  nach  Bern  reiten  wollen.  Hdrekr  sagt: 
oc  vcen  st^d  vel,  ät  ek  kmmi  i  Omlungaland  med  eigi  fleiri  7nenn 
en  tveir  vaeri  vid  saman,  pd  vil  ek  sverja  usw.  Etwas  weiter  Hildi- 
brandr: pessi  ferd  man  pickja  vera  stefnd  med  litilU  soßmd,  ef  vit 
fqrwniy  herra!  tveir  einir  saman;  e?i  heldr  en  eigi  komim  v4r  i 
Omlungaland,  pd  em  ek  fuss,  at  d  pessa  leid  gerim  ml.  Unmittelbar 
darauf  sagt  tidrekr  c.  396:  Frü  Herad  skal  fara  med  oh',  ef  hon  vily 
was  darauf  verabredet  wird.  In  der  tat  wartet  Hildibrandr  im  anfange 
von  c.  397  bei  der  pforte  mit  drei  reitpferden  und  einem  saumross,  wel- 
ches mit  gold,  Silber  und  kleidern  belastet  ist  Als  aber  I'idrekr  darauf 
Attila  lebewol  sagt,  antwortet  er  auf  dessen  anerbieten,  ihm  mit  hilfs- 
truppen  beizustehen:  einnsaman  vil  ek  keim  fara  oc  leynilega,  oc  meisi" 
ari  Hildibrandr  med  mer.  Über  frü  Herad  kein  wort  Am  Schlüsse 
von  c  397  taucht  sie  wider  auf,  an  tidreks  seite  auf  einem  pferde 
reitend.  C.  398  wird  sie  nicht  genant  —  das  capitel  erzählt  Pidreks 
klage  über  Bodingeirs  tod  und  ist  also  von  demselben  Verfasser  wie 
die  NS.  Auch  wird  hier  Bodingeirs  weib  Qodilinda  genant,  was  die 
unechtheit  des  capitels  entschieden  beweist  ^  In  c.  399  —  402,  welche, 
wie  aus  des  jarls  Eisung  auftreten  hervorgeht  (vgl.  c.  365),  ebensowenig 

1)  BeiläuGg  bemerke  ich,  dass  der  Verfasser  von  c.  308  poetische  quellen 
benuzt  Iiat,  walirscheinlich  noi-wogische  oder  dänische  Volkslieder,  denn  der  reim  ist 
sogar  in  der  altn.  prosaerzlihlung  beibehalten.  Die  Zeilen  lauton :  hon  gaf  niSr  einn 
grcenan  gunnfana,  sä  vard  tnargum  Hwuim  at  bana,  oc  eitt  hü  Pyeka  purpura 
pelly  pat  ßordi  at  bera  ütlendr  hqfdiiigi  vel.  Die  worte  vei-wcisen  auf  c.  289, 
vgl.  oben  s.  445. 


I*IDR1CK9  SAGA   UND  NIFLUNOA  SAGA  449 

wie  c.  398  von  der  NS  getrent  werden  können^,  spielt  Herad  eine  frei- 
lich passive  rolle,  in  c.  403  %g.,  welche  echt  zu  sein  scheinen,  ist  sie 
wider  ganz  überflüssig.  I^idrekr  und  Hildibrandr  reiten  südwärts  über 
die  Alpen*  in  einen  wald,  wo  Pidrekr  vom  pferde  steigt  und  zurück- 
bleibt, während  sein  genösse  die  gegend  recognosciert.  Natürlich  ver- 
weilt Herad  inzwischen  bei  I^idrekr  im  walde.  Nach  verschiedenen 
merkwürdigen  abenteuern  kehrt  Hildibrandr  c.  405  zurück,  begleitet 
vom  herzöge  Lodvigr  und  dessen  söhn  Eonrädr,  die  beide  den  könig 
mit  der  grösten  ehrfurcht  begrüssen,  vor  ihm  auf  die  kniee  fallen  und 
seine  bände  küssen,  auf  frü  Herad  aber  gar  nicht  achten,  ja,  sie  eben- 
sowenig wahrzunehmen  scheinen  als  der  leser.  Mit  derselben  blindheit 
ist  eine  schar  ritter  geschlagen,  die  c.  411  unter  Alibrands  führung 
an  dei-selben  stelle  im  walde  ankommen,  par  er  fyrir  var  piärehr 
konungr  ok  hertugt  Lodvigr.  Keine  spur  von  fru  Herad  ist  zu 
erkennen. 

Die  einzig  mögliche  erklärung  aller  genanten  Widersprüche  ist 
die,  dass  die  figur  der  frü  Herad  zuerst  von  einem  interpolator  in  die 
PS  au%enommen  ist;  dieser  folgte  derselben  methode  wie  auch  früher: 
er  fügte  nicht  nur  ganze  erzählungen  hinzu,  sondern  er  änderte  auch 
in  der  saga  das,  was  ihm  unrichtig  oder  ungenügend  erschien.  Die 
werte:  oc  fni  Heraä  hjd  honum  in  c.  403  sind  z.  b.  sein  werk;  ebenso 
die  mitteilung  c  404,  dass  Ekungr  jarl  i  Babilon  (sie)  tot  ist  (vgl. 
oben  s.  448). 

Dass  c.  415,  welches  Herads  tod  berichtet,  unecht  ist,  versteht 
sich  nach  dem  vorhergehenden  von  selbst  In  demselben  capitel  wer- 
den Rodingeirr  und  Gudilinda  noch  einmal  genant,  ohne  jeden  gewinn 
für  die  saga.  Hildibrands  strohtcd  und  die  Verurteilung  von  Arius' 
ketzerei,  die  in  demselben  Zusammenhang  mitgeteilt  werden,  sind  also 
auch  ein  späterer  zusatz;  das  leztgenante  ereignis  hat  für  die  f^S  gar 
keine  bedeutung,  das  erste  ist  entbehrlich,  denn  von  verschiedenen  von 
fidreks  beiden  wird  der  tod  nicht  erzählt;  eine  anspielung  auf  Hildi- 
brands tod  bietet  a  414:  En  meistari  Hildibrandr  skilx  aldri  vid 
piärek  honung,  svd  lengi  sem  peir  Ufa  bdäir.  Diese  bemerkung  wird 
die  erzählung  in  c.  415  veranlasst  haben. 

1)  C.  401 ,  wo  Sifka  wider  als  Verräter  dargestelt  wird  (er  gibt  den  rat,  Ermin- 
rekr  das  eingeweide  auszuschneiden!),  ist  ans  dem  gmnde  auch  nicht  von  der  2.  Yilk. 
saga  zu  trennen.  Ein  argument  für  den  Zusammenhang  zwischen  der  2.  Yilk.  saga 
und  der  NS. 

2)  fara  dUa  sina  leid  [audr  um  Munditifjall],  Hier  hört  die  Interpola- 
tion auf,  die  c.  .^7  mit  denselben  Worten  anfängt. 

ZEITSCHRIFT  F.   DEUTSCHS  PHILOLOGIE.      BD.   XXV.  29 


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450 

Mit  frd  Herad,  die  in  der  arsprünglichen  K  niigends  als 
gemahlin  erwähnt  wurde,  fält  nun  auch  c.  340,  wo  Erka  auf  dem  toten- 
bette  I^idrekr  mit  Herad  yerlobt.    Aber  ohne  c.  340  kann  die  NS  nie- 
mals zur  fS  gehört  haben.    In  der  ^S  ist  Erka  eine  haup^rson;  die 
NS  ist  die  geschichte  von   Attilas  ehe   mit  Orimhiidr,   die  natürlich 
nicht  zu  Stande  kommen  konte,  so  lange  Erka  lebte.    Es  leuchtet  ein, 
dass  c.  340  —  341  eine  einleitung  zur  NS  bilden,  und  von  demselben 
interpolator  geschrieben  wurden,   der  ausser  der  NS  auch  c.  396,  den 
schluss  von  c.  397,  c  398 — 402   hinzufügte   und   I'idreks   reise   nach 
Bern  zum  teil   umarbeitete.    Mit  der  NS  ist  nun  auch  c.  423 — 428. 
Attihis  ;tod  zu  streichen,  eine  erzählung,   die  als  fortsetzung  der  NS 
nicht  älter  als  diese  sein  kann.    Die  möglichkeit,  dass  sie  junger  sei, 
ist  nicht  ausgeschlossen  (vgl.  unten  s.  465  fgg.). 

Es  ist  hier  am  platze,  der  einwendung  zu  begegnen,  dass  die 
ursprüngliche  ^8  nicht  mit  Sicherheit  einem  einzigen  Verfasser  zuge- 
schrieben werden  könne.  Man  könte  fragen,  ob  es  nicht  denkbar  wäre, 
dass  der  erste  Verfasser  nur  den  ersten  teil  der  saga  bis  zum  Schlüsse 
von  Hdreks  zug  nach  Bertangaland  geschrieben  hätte,  und  dass  ein 
zweiter  autor  später  eine  fortsetzung  hinzudichtete,  oder  dass  wenig- 
stens der  erste  autor  noch  am  anfange  des  zweiten  teiles  von  einem 
andern  abgelöst  wurde.  Wenn  dem  so  wäre,  liesse  sich  der  unter- 
schied in  der  bearbeitung  und  der  widersprach  zwischen  den  berichten 
des  anÜEinges  und  der  späteren  teile  der  saga  einfach  daraus  erklären, 
dass  an  der  bearbeitung  der  saga  verschiedene  Verfasser  beteiligt  gewe- 
sen, ohne  dass  man  deshalb  gezwungen  wäre,  Überarbeitung  und  inter- 
polation  anzunehmen.  Es  muss  aber  bemerkt  werden,  dass,  obgleich 
die  zweite  hälfte  der  ^8  mehr  als  der  anfang  umgearbeitet  ist,  doch 
kein  bestimter  punkt  bezeichnet  werden  kann,  wo  die  arbeit  des  ersten 
Verfassers  aufhörte,  die  des  zweiten  anfienge.  Im  gegenteil  sind  die 
spuren  des  ersten  autors  bis  ans  ende  der  ^8  zu  verfolgen:  er  war  es, 
der  c.  293,  328  Bödolfr  schrieb  anstatt  Rodingeirr,  wie  die  Umarbei- 
tung hat,  der  c.  413,  429  erzählte,  dass  I^idrekr  20  jähre  landesflüch- 
tig gewesen;  der  Verfasser  der  NS  aber  fangt,  abgesehen  von  den  Inter- 
polationen im  ersten  teile  der  I^S,  für  welche  die  möglichkeit,  dass  sie 
jünger  sind,  vorläufig  zugegeben  wird,  doch  unmittelbar  hinter  c.  240 
an,  denn  die  NS  ist  von  der  2.  Yilk.  saga  nicht  zu  scheiden  (vgl. 
s.  449  anm.  1 ;  s.  463).  Da  nun  der  erste  Verfasser  auf  jeden  fall  bis 
c.  429,  und,  was  später  nachgewiesen  werden  wird,  wahrscheinlich 
noch  weiter  schrieb,  der  zweite  aber  nicht  später  als  unmittelbar  nach 
c.  240,   vielleicht  sogar  noch  früher,   anfieng,   so  ist  die  möglichkeit, 


t  •" 


PlDREKS  SAOA   UND  NIFLTJNQA  SAGA  491 

dass  die  NS  mit  dem  was  dazu  gehört  keine  interpolation,  sondern  etwa 
eine  fortsetzung  wäre,  ausgeschlossen. 

Wir  kehren  zur  Untersuchung  der  verschiedenen  partien  der  PS 
in  der  reihenfolge  der  Überlieferung  zurück.  Auf  Pidi'eks  flucht  folgt 
zunächst  die  mit  der  2.  Vilk.  |saga  zusammenhängende  zweite  erzäh- 
lung  von  Osantrix'  tode  c.  291  — 292,  über  die  ich  Arkiv  VII,  213 
gehandelt  habe.  Daran  schliessen  sich  Attilas  kriege  mit  Waldemar 
an.  Dass  diese  geschichte,  ein  ursprüngliches  element  der  I^S,  erwei- 
tert wurde,  um  Rodingeirr  zu  einer  hauptperson  zu  erheben,  wurde 
oben  8.443 — 44  ausgeführt  Ausserdem  weist  die  episode  andere  spuren 
einer  freilich  so  ungeschickten  Umarbeitung  auf,  dass  man  dabei  an 
den  Schreiber  der  2.  Yilk.  saga  und  der  NS  kaum  denken  kann.  In 
der  erzählung  von  Hdreks  kämpf  mit  I^idrekr  Valdemarsson  (c.  303  — 
307)  ist  nämlich  eine  interpolation  aufgenommen,  welche  an  unwahr- 
scheinlichkeit  alles,  was  abschreiberweisheit  ersinnen  kann,  Übertrift. 
Pidrekr  Valdemarsson  ist  als  kriegsgefangener  nach  Susat  geführt;  Erka 
erlangt  von  Attila  die  Zustimmung,  während  er  in  den  krieg  zieht,  die 
schweren  wunden  ihres  vetters  zu  verbinden,  muss  aber  mit  ihrem 
leben  dafür  einstehen,  dass  er  nicht  entflieht  Sobald  I^idrekr  Valde- 
marsson genesen  ist,  begibt  er  sich,  ohne  auf  Erkas  flehen  zu  achten, 
auf  den  weg  nach  Ruziland.  In  der  not  wendet  die  königin  sich  zu 
dem  im  vergangenen  kriege  gleichfals  schwer  verwundeten  I'idrekr  af 
Bern,  der  infolge  mangelhafter  pflege  noch  sehr  leidend  ist  Doch  rei- 
tet er  auf  Erkas  bitten  Pidrekr  Valdemarsson  nach  und  erreicht  kurz 
nach  ihm  die  wälle  der  stadt  Vilkinaborg,  die  hier  also  auf  dem  wege 
von  Soest  nach  Ruziland  liegt  Einen  augenblick  später  holt  er  seinen 
feind  im  Borgarskögr  zwischen  Pulinaland  und  Hünaland  ein.  Dieser 
wald  liegt  so  nahe  bei  Vilkinaborg,  dass  Hdrekr,  als  er  nach  langem 
kämpfe  auf  demselben  wege  zurückkehrt,  eine  dame,  welche  sich  c.  303 
auf  der  Stadtmauer  befand,  daselbst  noch  antrift,  und  die  damals  mit 
ihr  angeknüpfte  Unterhaltung  fortsezt.  Wir  wollen  uns  durch  diese 
wunderbaren  geographischen  anschauungen  nicht  stören  lassen  und 
unsere  aufmerksamkeit  darauf  richten,  was  weiter  von  Vilkinaborg 
erzählt  wird.  Zunächst  falt  es  auf,  dass  Hdrekr  Valdemarsson,  dessen 
verwanten  dort  regieren,  sich  nicht  in  die  stadt  geflüchtet  hat  Hier 
bekommen  wir  in  Übereinstimmung  mit  dem  interpolierten  c.  278  den 
auischluss,  dass  dort  ein  jarl  regiert,  dessen  namen  nicht  genant  wird, 
der  aber  nach  demselben  c.  278  Osantrix'  dienstmann  ist  und  also  dazu 
geeignet  wäre,   Osantiix'  neffen  zu  retten.    Die  tochter  dieses  jarls  — 

29* 


452 

d.  i.  die  dame,  mit  der  I'idrekr  sich  vor  der  Stadtmauer  unterhielt  — 
verbindet  c.  305  seine  wunden,  und,  damit  die  zeit  in  Vilkinaboig 
ihm  nicht  zu  lang  werde,  liegt  sie  —  wie  es  scheint  mit  Zustimmung 
ihres  vaters  —  die  nacht  über  bei  ihm;  nichtsdestoweniger  muss  noch 
c.  306  die  frage  in  erwSgung  gezogen  werden,  ob  man  besser  daran 
tue,  den  gast  zu  töten,  oder  ihn  ehrenvoll  aufzunehmen.  An  dem  hofe 
jenes  jarls  hielt  sich  nämlich  ein  verwanter  Sifkas  auf,  der  sich  des- 
sen erinnerte,  dass  vor  einigen  jähren  in  derselben  stadt  Erminreks 
söhn  Fridrekr,  fidreks  vetter  ermordet  war*;  dieser  fürchtet  fidreks 
räche  und  gibt  daher  den  rat,  ihn  zu  töten  und  dadurch  zugleich  Sif- 
kas freundschaft  zu  verdienen;  der  jarl  aber  entschliesst  sich,  I^idrekr 
durch  ein  fest  zu  versöhnen,  was  c.  307  geschieht  Nach  beendigung 
dieses  mehrtägigen  festes  reitet  I'idrekr  nach  Hünaland  zurück;  als  er 
dann  I^idrekr  Yaldemarssons  köpf,  den  er  während  der  ganzen  zeit  ver- 
borgen gehalten  hat,  vor  Erkas  fttssen  hingeworfen  hat,  gengr  pidrekr 
iü  sinnar  sceingar  oc  liggr  par  nü  i  sdrom  sem  fyrr.  Dass  I^idrekr 
verwundet  und  krank,  wie  er  war  —  das  blut  floss  durch  die  maschen 
seines  kollers  (c.  303)  —  aufstand,  um  seinen  feind  zu  verfolgen  und 
mit  ihm  zu  kämpfen,  war  schon  eine  äusserst  merkwürdige  heldentat; 
dass  er  aber,  statt  nach  dem  kämpfe  heimzukehren,  einige  tage  lang 
in  einer  fremden  stadt  feste  feiert,  und  erst,  als  er  darauf  nach 
hause  komt,  wider  an  die  wunden  denkt,  die  ihm  nicht  nur  kurz  vor- 
her das  aufstehen  schier  unmöglich  machten,  sondern  ihn  auch  jezt 
noch  zwingen,  sich  sofort  zu  bette  zu  legen,  das  wird  doch  kein  eini- 
germassen  vernünftiger  mensch  selbst  einem  beiden  zutrauen.  C.  303 
von  den  werten:  Nü  riär  kann  par  Uly  er  kann  keinr  firir  Vtlcina 
borg  bis  zum  ende  und  c.  305  —  307  bis  zu  den  werten:  H^  epHr 
leypr  usw.  sind  also  ein  Zusatz,  und  zwar  von  einem  anderen  Schrei- 
ber als  die  2.  Yilk.  saga,  was  sowol  aus  dem  sinlosen  Inhalt  wie  aus 
dem  widersprach  mit  c.  278  hervorgeht*. 

Da  an  manchen  stellen  ein  bestimtes  kenzeichen  der  Interpolation 
fehlt,  ist  es  oft  schwer  zu  entscheiden,  ob  ein  capitel  die  arbeit  des 
sagaschreibers  ist  oder  nicht  Zuweilen  beleuchtet  die  veigleichang 
mit  solchen  teilen  der  saga,  über  deren  Verfasser  kein  zweifei  möglich 
ist,  die  frage.    So  wird  in  c.  295  und  308  berichtet,  dass  die  Hunnen 

1)  C.  278  ist  der  jarl  selber  Sifkas  verwanter.  Die  anspielang  auf  Fridreks 
tod  beweist  schon  genügend,  dass  diese  erzählnng  nicht  älter  als  c.  278  ist 

2)  Dasselbe  gilt  für  einzelne  sätze  und  sazteile  in  c.  307,  welche  mit  dieser 
interpolation  zusammenhängen:  oe  med  honom  kons  VI  rtddarar;  etwas  weiter:  oe 
hans  riddara;  so  der  lezte  satz  dieses  capitels. 


I^REKS   SAOA  UND  NIFLUNGA  SAGA  453 

vor  den  Russen  fliehen.  Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  der  bear- 
beiter  der  2.  Yilk.  saga,  der  Attila  sonst  mit  grosser  Vorliebe  behandelt 
und  sogar  in  der  Yilk.  saga  eine  niederlage  seines  lieblings  in  einen 
si^  verwandelt  hat  (Arkiv  YIII,  235),  diese  capitel  geschrieben  habe. 

Auf  die  kriege  mit  Yaldemar  folgt  c.  316 — 339  die  schlacht  bei 
Gronsport,  worüber  schon  s.  444  fgg.  gehandelt  ist  Dass  c.  340 — 341 
nur  eine  einleitung  zur  NS  bilden,  wurde  s.  450  ausgeführt  Im  an- 
schluss  an  das  dort  gesagte  mnss  noch  bemerkt  werden,  dass  der  Schrei- 
ber der  NS  in  dem  lezten  texte  von  c.  339  etwas  geändert  hat;  wo 
nämlich  von  I^idrekr  gesagt  wird:  oc  er  nü  med  Attüa  kanungi  enn 
lapigar  kridir,  können  mit  rücksicht  auf  I'idreks  noch  im  selben  jähre 
folgende  reise  nach  Bern  (vgl.  s.  447)  die  werte  langar  hriäir  nicht 
ursprünglich  sein  (1.  um  hriä?) 

C.  342  —  348  enthalten  den  schon  besprochenen  ersten  teil  der 
NS.  Darauf  folgt  c.  349  —  355  die  erzählung  von  Fasolds  und  I^etleifs 
tod.  Dass  dieselbe  jünger  als  die  NS  ist,  beweist  die  s.  446  citierte 
Überschrift  von  c.  342,  woraus  hervorgeht,  dass  die  NS  einmal  ein 
einheitliches  ganze  innerhalb  der  I^S  bildete.  Auch  wenn  man  annimt, 
dass  die  Überschriften  in  membr.  nicht  ursprünglich  sind,  so  leuchtet 
es  doch  ein,  dass  diese  Überschrift,  welche  sich  auch  auf  den  nach 
c.  355  folgenden  abschnitt  bezieht,  älter  als  c.  349 — 354  sein  muss, 
die  ausserhalb  des  Zusammenhanges  der  NS  stehen.  C.  356 — 394  ent- 
halten den  schon  besprochenen  zweiten  teil  der  NS. 

Über  c.  395 — 416,  Hdreks  rückreise  n^ch  Bern,  vgl.  s.  447  fgg.; 
ausser  den  dort  nachgewiesenen  Interpolationen  sind  keine  spuren  der 
Umarbeitung  deutlich  wahrnehmbar,  obgleich  man  durchaus  nicht  mit 
gewissheit  bekaupten  kann,  dass  eine  solche  nicht  statgefunden  hat 
Was  c.  414  von  den  bildsäulen,  die  I^idrekr  sich  selbst  zu  ehren  errich- 
ten lässt,  mitteilt,  erregt  verdacht;  es  lässt  sich  jedoch  hierüber  nichts 
sicheres  sagen. 

Hingegen  erhelt  es  beim  ersten  anblick,  dass  c.  414 — 422  nicht 
alt  sind.  Nachdem  es  sich  ergeben  hat,  dass  alle  stark  romantisch 
gefärbten  episoden  der  I'S  Zusätze  sind,  welche  ganz  äusserlich  mit 
I^idrekr  in  Verbindung  gesezt  wurden,  kann  unser  urteil  über  diese 
episode  voll  der  wunderlichsten  abenteuer,  welche  nur  den  zweck  hat, 
I'idrekr  noch  einmal  sich  verheiraten  zu  lassen,  und  zwar  mit  einem 
weibe,  das  für  die  weitere  entwicklung  der  erzählung  nicht  die 
geringeste  bedeutung  hat  —  wir  vernehmen  nicht  einmal,  dass 
I^idrekr  mit  ihr  einen   nachfolger  erzeugt  —    nicht  zweifelhaft  sein. 


454  BOBB 

Sämtliche  aartretenden  personen  stehen  ausser  dem  Zusammenhang  der 
saga:  Hertnit  f  Bergara,  sein  weih  Isolde  (a  422)  und  ein  jarl  Artus, 
systurson  Isungs  konungs  (c.  422):  die  leztgenanten  namen  sind  natür- 
lich dem  brittischen  Sagenkreise  entnommen  und  erinnern  an  die  unech- 
ten c.  245  fgg,  während  der  name  Isungr  zu  gleicher  zeit  eine  Ver- 
bindung mit  c.  189  —  224  herstellen  soll,  was  völlig  mislingt  Die 
geographischen  Vorstellungen  sind  unklar:  Bergara,  wo  Hertnit  mit 
seinem  brittischen  weibe  regiert,  wird  c.  417  mit  Hünaland  verwech- 
selt Schliesslich  fält  es  auf,  dass  I^idreks  pferd  hier  zuerst  Blanka 
heisst  —  so  in  c.  437,  438,  worüber  noch  gesprochen  werden  wird  — , 
während  das  tier  sonst  die  ganze  saga  hindurch  Falka  genant  wird. 
Die  gescbichte  scheint,  nach  dem  Zusammenhang  mit  c.  245  fgg.  zu 
urteilen,  die  ai*beit  des  zweiten  interpolators  zu  sein. 

G.  423  —  428  erzählen  im  anschluss  an  die  NS  Attilas  tod,  vgl 
s.  450.  C.  429  fangt  wider  eine  echte  episode  an,  was  schon  aus  der 
dort  erhaltenen  beraerkung,  dass  l'idreks  exil  20  jähre  gedauert,  her- 
vorgeht Hier  tritt  Heimir  wider  auf,  der  nach  c.  288  seit  Pidreks 
flucht  Erminreks  land  verheert  hat,  nun  aber  seine  Sünden  bekent 
und  in  ein  kloster  geht  Obgleich  Heimirs  auftreten  zweifelsohne 
ursprünglich  ist,  scheint  doch  die  folgende  erzählung  nicht  in  ihrer 
ältesten  form  erhalten  zu  sein.  Wir  erfahren,  wie  Heimir  dadurch, 
dass  er  den  riesen  Aspilian  tötet,  so  berühmt  wird,  dass  l^drekr 
an  dieser  heldentat  seinen  alten  genossen  wider  erkent  und  nicht 
ruht,  bevor  er  ihn  aus  dem  kloster  geholt  und  wider  an  seinen 
hof  gezogen  hat  Die  hauptpersonen  sind  von  früher  bekant,  der  Zu- 
sammenhang ist  klar;  man  wäre  deshalb  geneigt,  die  episode  dem 
sagaschreiber  zuzuschreiben.  Im  Widerspruch  mit  früheren  berichten, 
(z.  b.  c.  45)  ist  der  Schauplatz  der  erzählung  nach  der  Lombardei  ver- 
legt (c.  429),  wo  Aspilian  nach  der  darstellung  der  I*S  nicht  zu  hause 
ist;  dieses  könte  eine  spätere  änderung  sein;  zu  beachten  ist  es  wenig- 
stens, dass  Heimirs  kloster  Vadincusan  zuerst  c.  434  genant  wird,  als 
Hdrekr  dahin  reitet,  um  Heimir  abzuholen.  C.  433  reitet  Aspilian^  einn 
alpandü  (Schreibfehler  für  alpandtt^^  er  menn  kalla  fil]  das  wort  alpan- 
dir  begegnet  auch  in  dem  echten  c.  118;  unserer  stelle  ungleich  näher 
stehen  aber  die  folgenden  worte  in  dem  interpolierten  c.  180:  pat  er 
P^deskir  mefin  kaüa  alpandyr  en  Vceringjar  fil.  Dass  der  umarbeiter 
an  der  episode  teil  hat,  sei  es  nun,   dass  er  sie  geschrieben  hat,  oder 

1)  So  heifist  er  in  U,  in  membr.'  Asplian. 


I^IDRKKS   BAGA   UND  NIFLUKGA  SAGA 


455 


dass  er  sie  nur  umarbeitete,  beweist  übrigens  die  Übereinstimmung  im 
einzelnen  mit  der  erzählung  von  Yidgas  kämpf  mit  Edgeirr  c.  195  ent> 
schieden.    Man  vergleiche  nur  die  beiden  capitel: 


C.  433:  Nu  keyrir  Heimir  sinn  best 
sporum  oc  rfdr  at  honum  ok  leggr  spjöt- 
inu  undir  hqnd  risans  ....  t>etta  lag 
sakar  bann  ekki.  En  risinn  shfitr  i 
gegn  Jumum  sinum  aigeir,  en  Heimir 
l^tr  undan  fram  ä  sqäulbogann  ok  ftfigr 
atgeirrinn  firir  ofan  kann  ok  i  jqrd" 
ina  par  sem  nidr  kam,  svä  at  ekki  tök 
uppy    ok   engl   madr  sidan  hefir  fundit 

|>enna  atgeir I^ä  hleypr  Heimir  ör 

sQdlinum  ....  (irffr  um  medalkafla  sfns 
sverdz  ok  bregdr  skyndiiiga.  Bisinn 
hleypr  ok  ofan,  bann  bregdr  ok  sverdi 
ok  reidir  upp  ok  heggr  til  Heimis.  En 
Heimir  bregz  undan  hQgginu,  ok  missir 
risinn  bans  ok  heggr  f  JQrdina.    Heimir 

sn;^z  aptr ok  beggr  af  risanum  b^nd- 

ina  boagri  firir  ofan  srerdzl^jaltit  .  . 
Heimir  veiiir  pegar  annat  slag  risan- 
um d  hans  leer;  sneiä  ofan  Icerit  aU 
med  beininu,  ok  svä  segjap^äersk  kvceäi 
(tyske  men  S),  ai  svä  mikit  leysti  kann 
af  hans  keri,  at  eigi  mundi  einri  hestr 

draga  meira Hann  (risinn)  reidir 

sik  til  ok  vtll  nü  falla  d  Heimi,  ok  veit, 
at  hann  rnä  fd  bana,  ef  hann  verdr 
undir  honvm.  En  svä  er  Heimir  föt- 
hvatr  ok  djarfr,  at  pd  er  hann  8&,  at 
risinn  vill  faUa  d  hann  ofan,  viU  hann 
eigi  undan  reniia  at  heldr;  hänn  hleypr 

at  risanum  vid,  ok  svd  berr  til ($1 

risinn  feUr,  fcetr  risans  koma  djqrdina, 
en  d  vinstri  hlid  Heimis  annarr  fötr 
risans  en  anrvarr  d  hoegri,  En  Heimir 
stendr  heiU  d  miUi  leggja  risans. 
Die  I^S  enthält  kein  anderes  beispiel  davon,  dass  der  Verfasser 
seine  eigene  arbeit  so  im  einzelnen  nachgeschrieben  hätte.    Nichtsdesto- 


C.  195:  Nü  teer  risinn 
oc  skfitr  at  Vidga.  En  Vidga 
leypr  i  mot  hanom,  oc  fiygr 
atgeirrinri  ifir  hann  oc  svd 
i  jqrdina  at  ecM  stöd  upp 
af  Nü  heggr  Vidga  tu  ri- 
sans d  Uer  hanom,  oc  svd 
mikit  af  vqdvanum,  at  engi 
hestr  berr  meira,  oc  |)&  heggr 
hann  annat  bQggf&doema  mik- 
it oc  hvert  at  adro,  |)ar  til 
er  risinn  fellr,  oc  he  vir  mqrg 

s&r   ok   stör oc  ketr 

hann  (risinn)  nü  faüax  til 
jardar,  pviat  hann  hyggr,  at 
Vidga  man  verda  undir  han- 
om oc  drepa  hann  svd,  En 
Vidga  leypr  aptr  i  milU  föta 
ha7iom,  pd  er  hann  reidir 
sie  til  fallx,  oc  svd  helt  Vidga 

Si7lU  Kfi, 


456  BOBB 

weniger  ist  die  aowendung  stereotyper  ausdrücke  und  beschreibungen 
eine  in  der  altn.  litteratur  so  bekante  erscheinung,  dass  man  auch  hier 
annehmen  könte,  der  Verfasser  habe  zur  beschreibung  einer  ähnlichen 
Situation  dieselben  worte  widerholt,  welche  er  c.  195  benuzt  hatte, 
wenn  sich  gegen  diese  anschauung  keine  wichtigen  einwendungen 
erheben  Hessen.  Zunächst  ist  die  zweite  erzählung  viel  länger  als  die 
erste  und  mahnt  an  die  geschwätzigkeit  der  beiden  umarbeiter,  wäh- 
rend andererseits  mehr  die  ähnlichkeit  der  berichte  als  die  der  worte,  in 
denen  sie  mitgeteilt  werden,  äuffalt.  Vor  allem  aber  ist  es  schwer, 
wenn  der  sagaschreiber  sich  selbst  plagiiert  hat,  die  Verweisung  auf 
die  aussage  deutscher  gewährsmänner  in  c.  433  zu  erklären.  Wir  müs- 
ten  in  dem  fall  von  selten  des  sagaschreibers  absichtliche  falschung 
annehmen.  Es  ist  bekant,  dass  die  oben  citierten  umstände  nach  sei- 
ner auffassung  zu  Vidgas  kämpf  mit  Edgeirr  gehören;  wir  wissen, 
dass  die  quelle  von  c.  195,  obgleich  er  sie  nicht  nent,  ein  deutsches 
gedieht  ist^  Er  verweist  aber  selten  oder  niemals  auf  deutsche  quel- 
len <;  welchen  grund  könte  er  denn  wol  dazu  gehabt  haben,  in  einer 
erzählung,  welche  nur  eine  nachbildung  eines  früher  von  ihm  selbst 
geschriebenen  capitels  wäre,  eine  solche  quelle  anzugeben?  Anderer- 
seits ist  die  Vorliebe  des  umarbeiters  für  dergleichen  Verweisungen  auf- 
fallend, und  wird  uns  noch  öfter  beschäftigen.  Absichtliche  falschung 
braucht  man  bei  ihm  nicht  anzunehmen,  er  braucht  nicht  c  195  nach- 
geschrieben zu  haben:  es  ist  nämlich  möglich,  dass  ihm  oder  seinen 
gewährsleuten  einige  verse  desselben  gedichtes  zu  obren  gekommen 
sind,  welches  die  quelle  von  c.  195  ist,  und  dass  diese  verse  in  seiner 
quelle  in  einem  anderen  zusammenhange  vorkamen',  oder  etwa  zuerst 
von  ihm  auf  Heimirs  und  Aspilians  kämpf  bezogen  wurden. 

Die  geschichte  von  Heimirs  kämpf  mit  Aspilian  ist  also  in  der 
form,  in  der  sie  vorliegt,  nicht  die  arbeit  des  sagaschreibers.  Es  ist 
sogar  die  frage,  ob  der  ausgang  nicht  ursprünglich  ein  ganz  anderer 
war,  imd  ob  nicht  Heimir  in  der  ursprünglichen  saga  von  Aspilian 
getötet  wurde.  Es  folgt  nämlich  c.  436  eine  erzählung,  die  den  ein- 
druck  macht,  als  sei  sie  nur  eine  Variation  von  jener.  Heimir  komt 
im  kämpfe  mit  einem  riesen  um;  der  kämpf  ist  dem  mit  Aspilian  sehr 
ähnlich.  —  pessi  risi  er  nü  gamaU  at  aldri  ok  er  aUra  risa  mestr 

1)  örundtvig,  D.  G.  F.. IV,  626  fgg. 

2)  Die  ganze  I^S  enthält  keine  Verweisung  auf  .deutsche  quellen,  welche  sicher 
von  ihm  ist. 

3)  Es  ist  eine  in  Volksliedern  des  mittelalters  bekante  erscheinung,  dass  die- 
selben vei'se  zuweilen  in  verschiedenen  gedichten  widerkehren. 


¥*U)IUSKS  8A0A  UND  NirLÜN6A  SAGA  457 

ok  sterkastr,  svd  at  engt  fiU  fcer  kann  borit Rann  prifr  sina 

s^Q:^f  ^  h<ßäi  er  Iqng  ok  digr;  kann  reidir  hana  upp  ok  l^str  Heimi 
usw.i  —  Die  erwähnuDg  eines  elefanten  als  des  tieres,  auf  dem  der 
riese  reiten  solte,  erinnert  an  c.  195  und  c.  433;  die  eisenstange  ist 
in  der  I'S  das  feste  attribut  Asplians  und  seiner  bruder.  Der  riese 
hütet  einen  schätz  wie  Asplians  bruder  Etgeirr;  man  hat  demnach  grund 
anzunehmen,  dass  dieser  riese  der  lezte  der  vier  bruder  ist,  die  im 
ersten  teile  der  I^S  eine  so  wichtige  stelle  einnehmen.  Es  komt  hinzu, 
dass  die  widerholung  der  kämpfe  mit  riesen  ermüdend  wirkt  und  kaum 
ursprünglich  sein  kann.  Wenn  die  hier  ausgesprochene  Vermutung, 
die  sich  freilich  auf  grund  des  vorhandenen  materiales  nicht  zur  Sicher- 
heit erheben  lässt,  richtig  ist,  wird  man  sich  die  Sachlage  so  vorstellen 
müssen,  dass  der  umarbeiter  der  I^S,  der  eine  von  c.  436  durchaus 
abweichende  Überlieferung  dieser  sage  kante,  zunächst  c.  433  hinzu- 
fügte, und  darauf,  damit  doch  ein  bericht  über  Heimirs  tod  nicht  feh- 
len möchte,  in  c.  436  das  nötigste  änderte,  an  die  stelle  des  namens 
Aspilian  einn  risi  schrieb,  und  das  schon  c.  430  angewendete  motiv, 
dass  Aspilian  vom  kloster  tribut  forderte,  durch  die  mitteilung  ersezte, 
dass  Heimir  im  namen  I'idreks  den  riesen  aufforderte,  Steuer  zu  zah- 
len. Wie  weit  c.  429  —  432,  welche  die  veranlassung  zum  kämpfe 
erzählen,  alt  sind,  lässt  sich  nicht  entscheiden. 

Wenn  c.  433  und  436  sich  so  verhalten,  wie  oben  ausgeführt 
wurde,  so  geht  daraus  hervor,  dass  c.  434,  wo  I^idrekr  Heimir  aus 
dem  kloster  Yadincusan  holt,  und  c.  435,  wo  Heimir  das  kloster  nie- 
derbrent,  zusätze  sind  und  von  demselben  Schreiber  herrühren,  der 
Heimir  Aspilian  besiegen  Hess.  Aus  dem  Inhalte  der  betreffenden  capi- 
tel  lassen  sich  in  dieser  hinsieht  keine  genügenden  Schlüsse  ziehen. 
Die  quelle  von  c.  434  ist  zweifelsohne  ein  gedieht,  was  u.  a.  aus  den 
refrainartig  mit  geringer  abweichung  stets  widerkehrenden  werten: 
^Bt'öäir,  Vit  hqfum  86t  jnargan  st&ran  snjä,  sidan  vit  skildumz  göäir 

1)  Merkwürdig  ist  auch  hier,  sowie  ia  c.  195,  433  und  auch  sonst,  wo  die 
riesischeD  bruder  in  der  I'S  beschrieben  werden,  die  Übereinstimmung  mit  einer 
beschreibung  Aspriäns  im  könig  Rother  652  fgg.: 

do  sän  sie  in  deme  melme  gän 

dnin  wunder  liehen  man, 

den  nemochte  nichein  ros  getragen, 

der  duckte  sie  ein  seltsene  knape. 

der  iroch  eine  statine  stangin, 

vier  und  xweinxdeh  ettene  lange. 

des  wart  sie  ein  miehü  kaffen  an  getan; 

sie  hrähie  ein  riese,  der  hiex  Äspriän, 


r  ' 


458  BOBR 

vinir^  hervorgeht,  und  zwar  ein  gedieht,  weldies  viele  anspielungen 
auf  früher  von  I'idrekr  und  Heimir  zusammen  erlebte  abenteuer  ent- 
hielt Darunter  findet  sich  eine  anspielung  auf  die  Irons  saga  jarls, 
was  den  gedanken  an  den  zweiten  interpolator  der  PS  nahe  legen  würde, 
wenn  das  capitel  nicht  daneben  anspielungen  auf  ereignisse  enthielte, 
welche  die  I^S  gar  nicht  mitteilt  \  sodass  die  Übereinstimmung  mit  der 
Umarbeitung  ebensowenig  wie  mit  der  ursprünglichen  saga  volständig 
ist  Der  schluss,  dass  der  dichter  des  liedes,  welches  später  die  quelle 
von  c.  434  wurde,  sagen  kante,  welche  sowol  dem  sagaschieiber  wie 
den  beiden  interpolatoren  unbekant  waren,  liegt  nahe,  was  nichts  daran 
ändert,  dass  das  lied  selbst  diesen  sowie  jenem  bekant  gewesen  sein 
kann.  Die  oben  ausgesprochene  auffiissung  von  c.  434  beruht  also  auf 
der  einfachen  Vermutung,  dass  c.  433  und  436  ursprünglidi  zusam- 
men 6ine  erzählung  bildeten,  welche  Heimirs  tod  enthielt,  und  ist  daher 
nicht  über  jeden  zweifei  erhoben.  Dasselbe  gilt  von  c.  435.  Mit 
gewissheit  kann  man  über  c.  429 — 436  nur  behaupten,  dass  in  der 
ursprünglichen  I^S  mit  c.  429  eine  episode  anfieng,  deren  held  Heimir 
war,  und  die  damit  endete,  dass  Heimir  von  einem  riesen,  wahrschein- 
lich Asplian,  erschlagen  wurde. 

C.  437  teilt  mit,  wie  I^idrekr  Heimirs  tod  rächt  Die  einzelhei- 
ten  des  kampfes  stimmen  wider  zum  teile  wörtUch  mit  denen  von  Yid- 
gas  resp.  Heimirs  kämpf  mit  Etgeirr  resp.  Aspilian  überein'.  I^dreks 
pferd  heisst  hier,  wie  in  c.  416,  in  Widerspruch  mit  den  übrigen  berich- 
ten der  I^S  Blanka';  es  unterliegt  also  keinem  zweifei,  dass  a  437  ein 
Zusatz  ist  Denselben  namen  Blanka  trägt  I^dreks  pferd  im  lezten 
capitel  von  üngers  ausgäbe  c.  438.  I'idrekr  wird  vom  teufel  in  der 
gestalt  eines  schwarzen  pferdes  fortgeführt    Der  lezte  abschnitt  der  1^ 

1)  Brödir,  minnxiu  nü  d  jM,  hversu  okkrir  hesiar  drukku  iU  vid  Frisidf 

svä  ai  vcUnxt  fvarr,   svd  mikit  sem  pat  er ok  nü  skaltu  mtnnax,    hversu 

ver  hhnwn  i  Bomaborg  til  Erminreks  konunga,  ok  hversu  vdrir  hestar  gneggjudu 
ok  allar  kurteisiskonur  stödu  ok  sd. 

2)  Gib  stendr  npp  si^ött  ok  tekr  sina  siqng  ok  hlegpr  i  gegn  honum.  pidrekr 
konungr  bregdr  nu  sinu  sverdi  hinu  hvassa  Ekkisax,  Bisinn  reidir  m«  siqngina 
bädum  hqndum  af  qllu  afli,  pidrekr  konungr  sSr  nü,  hversu  stqngin  ridr  ok  leypr 
iü  risanum  ok  viü  eigi  fltfjß.  Bisinn  l^sir  stqnginni  svd^  at  endirinn  kemr  i 
jifrdina  d  baki  Pidreks  konungs.  pidrekr  snyx  nü  fast  i  mdti  hqgginu  ok  heggr 
i  einu  hqggi  af  bädar  hendr  risans  vid  stqngina,  ok  er  kann  nü  sigriauss  ok 
handiauss,    Pidrekr  gengr  nü  eigi  fyrr  af  en  ßessi  risi  er  daudr. 

3)  Storm,  Sagnkredsene,  125  erklärt  diesen  mnstand  daraus,  dass  zvge  von 
Wolfdietrich  auf  I^drekr  yon  Ben  übertragen  seien;  die  inconseqaena  eines  verfias- 
sers,  der  in  demselben  bache  dasselbe  tier  einmal  FUka,  dann  Blanka  genant  hatte, 
wird  dadoreh  aber  nicht  erkürt 


I*IDBEX8  6A0A  UND  NIFLÜNGA  8A0A  459 

ist  ausser  in  AB  nur  in  der  schAv edischen  überzetzung  erhalten ;  da  nun 
die  Übersetzung  membr.'^  näher  steht  als  die  hss  AB,  ist  die  frage, 
wie  die  lezten  capitel  in  S  lauten,  für  die  kritik  der  ]^S  vom  grösten 
interesse.  Auch  hier  begegnet  dieselbe  erzählung  wie  in  AB,  es  folgt 
darauf  aber  unmittelbar  eine  ganz  andere  nachricht  über  Hdreks  tod. 
Es  liegt  also,  wie  so  oft  in  früheren  partien  der  I^S,  ein  fall  von  dop- 
pelter redaktion  vor;  somit  erhebt  sich  die  frage,  welche  redaktion  die 
ursprünglichere  ist  Dass  das  fehlen  der  zweiten  in  AB  nichts  beweist, 
leuchtet  ein:  auch  sonst  fehlt  in  AB,  was  doch  in  einem  der  älteren 
Codices,  von  denen  A  und  B  abstammen,  gestanden  haben  muss  (z.  b. 
die  erste  Yilkina  saga).  Dass  die  redaktion,  welche  mit  AB  überein- 
stimt,  in  S  vor  der  anderen  steht,  beweist  auch  nichts,  denn  auch 
sonst  steht  in  der  umgearbeiteten  f^S  bisweilen  eine  interpolierte  redak- 
tion Yor  der  ursprünglichen,  (z.  b.  das  interpolierte  c.  169  vor  dem 
echten  c  170).  Es  muss  also  der  inhalt  beider  erzählungen  entschei- 
den, welche  ursprünglich  in  der  1^8  gestanden  hat  Bei  dieser  Sach- 
lage wird  das  vorkommen  des  namens  Blanka  in  c.  438  zu  einem 
umstände  von  grossem  gewicht  Man  müste  wenigstens  sehr  gute 
gründe  für  die  priori  tat  von  c.  438  anführen,  wenn  man,  um  diese  zu 
behaupten,  annehmen  weite,  dass  der  sagaschreiber  dem  tiere  in  dem 
lezten  kapitel  einen  namen  gegeben  hätte,  der  sonst  in  der  ganzen 
I^S  nicht  begegnet;  dieser  name,  und  somit  das  ganze  kapitel,  kann 
nur  die  arbeit  desselben  Verfassers  sein,  der  c.  416  und  437,  wo  Blanka 
gleichfals  genant  wird,  schrieb.  Femer  ist  noch  die  Verweisung  auf 
deutsche  gewährsleute  ^,  welche  in  der  arbeit  des  sagaschreibers  ganz 
vereinzelt  dastehen  würde,  zu  beachten. 

Die  zweite  erzählung  von  ftdreks  tod,  nach  S  c.  383  —  385  teilt 
uns  mit,  dass  Yidga  nach  der  Schlacht  bei  Gronsport  von  einer  haffru 
hans  fadker  fadher  modher  (vgl.  c.  23)  nach  Seeland  geführt  wurde. 
Dann  halt  er  sich  auf  der  insel  Fimber  verborgen,  bis  Hdrekr,  der 
ihn  lange  gesucht  hat,  schliesslich  seinen  Schlupfwinkel  entdeckt  und 
ihn  im  Zweikampf  erschlägt  Hdrekr  reist  darauf  durch  Holstein  und 
Sachsen  südwärts,  stirbt  aber  unterwegs  an  seinen  wunden;  er  wird 
für  einen  kaufmann  angesehen  und  begraben.  Es  folgt  die  natürlich 
nicht  ursprüngliche  mitteilung,  dass  die  erstere  erzählung  mit  der  deut- 
schen Überlieferung  übereinstimme,  während  die  Römer  dafür  halten, 
dass  l^idrekr  gestorben  sei,  som  for  scrifviih  stör.    Obgleich  es  nicht 

1)  en  8vd  segja  p^ävershir  menn,  cU  vitrax  haß  i  draumum,  €U  pidrekr 
konufigr  haß  notit  af  guäi  ok  Sancte  Mariu,  cU  hann  mintix  Peira  nafna  vid 
bona  sinn. 


460 

sicher,  ja  nicht  einmal  wahrscheinlich  ist,  dass  die  gescbichte  in  S  ihre 
älteste  form  bewahrt  hat  —  S  kürzt  fortdauernd  — ,  so  muss  man  doch 
erkennen,  dass  sie  im  ganzen  sehr  gut  in  den  Zusammenhang  der  ^S 
hineinpassi  Der  Verfasser  bebandelt  Yidga  mit  grosser  Torliebe;  es  ist 
daher  durchaus  nicht  unwahrscheinlich,  dass  er  ihn  am  Schlüsse  der 
saga  noch  einmal  auftreten  liess,  damit  er  weniger  schmählich  umkom- 
men möchte,  als  man  nach  c.  336  glauben  würde.  Vidgas  wunderbare 
errettung  bei  Gronsport  hängt,  wie  schon  angedeutet  wurde,  mit  c.  23 
zusammen;  was  aber  am  meisten  für  die  ursprünglichkeit  dieser  redak- 
tion  spricht,  ist  der  umstand,  dass  die  erzählung,  wie  in  anderen  tei- 
len der  saga,  in  Nord-Europa  (Seeland,  Holstein,  Sachsen)  lokalisiert 
ist.  Man  denkt  dabei,  nicht  wie  S  angibt,  an  eine  tradition,  die 
in  Italien  zu  hause  ist,  sondern  vielmehr  an  eine  Volksüberlieferung, 
welche  aus  Nord -Deutschland  über  Dänemark  ihren  weg  nadi  Nor- 
wegen fand,  wie  das  auch  mit  andern  erzählungen  der  I^  der  fall  ist 
(Arkiv  VII,  242).  Die  sage  hingegen,  welche  f  idrekr  vom  teufel  fort- 
führen lässt,  ist  in  Rom  (pidreks  baä)  lokalisiert  und  eher  süd-  als 
norddeutschen  Ursprunges;  ein  merkmal  mehrerer  Interpolationen. 

In  S  folgt  noch  ein  capitel  (386),  welches  fast  ganz  ausserhalb 
des  Zusammenhanges  der  PS  steht;  wie  weit  es  ursprünglich  ist,  wage 
ich  nicht  zu  entscheiden;  die  drei  verse  am  Schlüsse  sind,  wie  der 
Inhalt  beweist,  vom  Übersetzer. 

Zu  dem  teile  der  PS,  der  nur  in  der  Umarbeitung  (U)  auf  uns 
gekommen  ist,  gehören  auch  c.  1  —  20.  Dass  diese  zum  grossen  teile 
alt  sind,  beweist  der  Zusammenhang  sowie  die  bekante  tatsache,  dass 
wenigstens  ein  beträchtlicher  teil  davon  einmal  in  membr.  gestanden 
hat  Doch  ist  auch  hier  an  ein  paar  stellen  die  band  eines  umarbei- 
ters  deutlich  wahrnehmbar. 

Nachdem  in  c.  13  erzählt  ist,  dass  Samson  jedem  seiner  beiden 
söhne  Erminrekr  und  I^etmarr  ein  reich  gegeben  habe,  heisst  es  wei- 
ter: ok  borg  pä,  er  heiUr  FriHki,  er  Vceringjar  kaüa  Fridscelu,  gaf 
hann  syni  sinum,  er  Akt  Mi,  ok  par  med  hertuga  nafn.  Mödemi 
hana  var  ekki  mikit  Aki  ist  also  ein  unechter  söhn  Samsons.  Aber 
etwas  ganz  anderes  erfahren  wir  c.  123,  wo  membr.*  berichtet:  Hafa 
peir  (Pidrekr,  Yidga,  Heimir)  tekii  sär  gisting  i  hüstim  pess  mannx, 
er  heiter  Aki  Amlungatrausti ,  hann  er  brödir  Ernvinreks  konongs 
sammoedra  oc  petmars  konongs  af  Bern,  pessi  siadr  heitir  Fritüaborg. 
Abgesehen  von  der  richtigen  lesart  Awlungairausti  statt  Amlunga- 
transH  in  A  (Storra,  Aarboger  1877,  s.  303),  weichen  AB  insofern  ab, 


^DRKES  SAGA  UND  NIFLÜNQA  8A0A  461 

dass  die  mitteilung  über  Akis  matter,  welche  c.  13  widerspicht,  fehlt  — 
AB  haben  nur:  Han7i  er  brödir  Erminreks  konungs  ok  petmars. 
Man  könte  daher  die  lesart  von  niembr.*  für  verderbt  halten,  wenn 
sie  nicht  durch  c.  275  gestüzt  würde,  wo  membr.*  hat:  Emi  gamU 
Akt  var  samfeäri  viä  Erminric  konung  oc  enn  rikasti  maär,  A  dage- 
gen hat:  Hinn  gamU  Äki  var  hröäir  Enninreks  konungs  sammcßddr 
ok  var  rikr  madir;  der  satz  fehlt  in  B,  S  kürzt  an  allen  genanten 
stellen  und  beleuchtet  die  frage  nicht  Der  Vorstellung,  dass  Aki  die- 
selbe mutter  wie  £rminrekr  und  l^etmarr  hat,  begegnen  wir  also  in  A 
sowie  in  membr.',  sie  ist  demnach,  soweit  wir  sehen,  die  der  ursprüng- 
lichen I^S;  die  nachricht,  dass  Erminrekr  und  I^etmarr  denselben  vater, 
aber  eine  andere  mutter  als  Aki  haben,  bieten  membr.^  und  AB;  sie 
stamt  daher  aus  der  gemeinschaftlichen  quelle  dieser  hss.,  d.  h.  aus  U. 
Zu  dieser  nachricht  stimmen  die  oben  aus  c.  13  citierten,  im  Zusam- 
menhang leicht  entbehrlichen  werte,  welche  demnach  ein  zusatz  sind; 
zweifelsohne  haben  sie  die  späteren  änderungen  in  c.  123  und  275  ver- 
anlasste In  demselben  c.  13  heisst  es  von  Erminrekr  in  volständigem 
Widerspruch  mit  dem  Inhalte  der  I*S:  )w,nn  er  vinscell  ok  fridsamr  hinn 
efra  tut  cefi  sinnar;  auch  diese  werte  werden  ein  zusatz  sein. 

C.  18  nent  zum  ersten  male  Brynhild  und  zwar  in  Verbindung 
mit  Eeimir.  Die  Stadt,  .wo  sie  regiert,  heisst  wie  im  interpolierten 
c.  226  Ssßgardr.  In  der  nähe  ist  Biynhilds  gestüt,  was  Zusammenhang 
mit  dem  gleichfals  interpolierten  c.  168  verrät  Vor  allem  verdient  es 
beachtung,  dass  Brynhildr  später  nur  in  den  jüngeren  teilen  der  saga 
erwähnt  wird.  Was  hier  über  sie  mitgeteilt  wird,  hat  also  in  der 
ursprünglichen  ^S  gar  keinen  sinn  und  kann  nur  von  jemand  geschrie- 
ben sein,  der  die  absieht  hatte,  später  auf  sie  zurückzukommen.  Die 
Ursache,  dass  sie  gerade  an  dieser  stelle  zuerst  genant  wird,  ist  zwei- 
felsohne diese,  dass  sie  in  der  nordischen  sage  mit  Heimir  verbunden 
begegnet;  ein  interpolator  hat  hier  also  nordische  züge  in  die  nieder- 
deutsche sage  gemischt  Es  ist  kein  grund  vorhanden,  in  c.  13  den 
beweis  zu  suchen,  dass  die  Verbindung  Brynhilds  mit  Heimir  auch 
niederdeutsch  ist  Nirgends  in  der  PS  greift  Heimir  sonst  in  Bryn- 
hilds geschichte  ein. 


1)  Eine  andere  ündening  hat  c.  275  nur  in  AB  statgefnnden,  um  das  capitel 
mit  0.  13  in  Übereinstimmung  zn  bringen.  In  membr.  steht:  andax  einn  greifi,  er 
heitir  Aki  Orlungatrausti ;  AB  haben  heriugi  statt  greifi.  Nur  durch  einen  zufall 
ist  hier  in  membr."  greifi  bewahrt;  über  dem  capitel  steht:  daude  Aka  hertuga; 
am  Schlüsse  aber:  oe  er  kann  (Vidga)  greifi  (so  auch  AB)  Erminriks  konungs. 


462  BOBR 

Dass  c.  188,  welches  erzählt,  wie  Heimir  dem  l^idrekr  das  pferd 
Falka  verschaft,  an  der  stelle,  wo  es  jezt  steht,  nicht  ursprunglich  ist, 
wurde  Arkiv  YII,  226  ausgeführt  Da  nun  dieses  capitel  in  S  an 
anderer  stelle  (als  ein  teil  von  c.  16)  vorkomt,  erhebt  sich  die  frage, 
welche  damals  unbeantwortet  gelassen  wurde,  ob  es  auch  dort  als  ein 
Zusatz  aufzufassen  ist  Dass  es  nicht  vom  sagaschreiber  herrührt,  wird 
durch  c.  91  erwiesen,  wo  dieser  Falka  zum  ersten  male  nent  und  zu- 
gleich über  seine  herkunft  au&chluss  gibt^,  was  er  doch  gewiss  unter- 
lassen hätte,  wenn  dasselbe  schon  früher  viel  breiter  von  ihm  erzählt 
worden  wäre.  Es  ist  daher  kaum  wahrscheinlich,  dass  das  capitel 
jemals  in  doppelter  redaktion  bestanden  hat  Da  es  nun  in  AB  an 
derselben  stelle  wie  in  membr.  steht,  also  auch  in  der  vorläge  dieser 
handschriften,  von  der  auch  S  stamt,  an  jener  stelle  gestanden  hat,  so 
erhelt  daraus,  dass  es  zugleich  mit  c.  172  — 187  interpoliert  ist  In  S 
erhielt  es  zuerst  den  platz  in  c.  16,  der  zur  Chronologie  der  erzählten 
ereignisse  besser  stimt 

Im  vorhergehenden  wurde  nachgewiesen,  dass  beträchtliche  par- 
tien  von  dem,  was  die  handschriften  als  teile  der  PS  überliefern,  spa- 
ter hinzugefügt  sind.  Gleichfals  hat  es  sich  ergeben,  dass  nicht  alle 
änderungen  und  zusätze  von  6inem  Schreiber  herrühren.  Es  erübrigt 
die  frage,  wieweit  es  möglich  ist,  im  einzelnen  zu  entscheiden,  wel- 
cher interpolator  die  betreffenden  teile  der  saga  hinzugefügt  resp.  um- 
gearbeitet hat  Zunächst  unterscheiden  wir  die  Niflunga  saga  im  engem 
sinne,  d.  h.  die  beiden  abschnitte  c.  342  —  348,  356  —  394,  welche, 
wie  die  Überschrift  von  c.  342  ausweist  (vgl.  s.  446  anm.  2),  zusam- 
mengehören. Da  c.  340  —  341  (Erkas  tod)  in  keiner  anderen  absieht 
geschrieben  ist,  als  um  die  NS  anbringen  zu  können,  so  ergibt  es 
sich,  dass  auch  diese  capitel  von  demselben  Schreiber  sind,  und  ebenso 
die  mit  a  340  nahe  zusammenhängenden  c.  396  —  402,  welche  auch  in 
anderer  hinsieht  der  NS  nahe  stehen  (vgl.  s.  447  fgg.)  Eine  zweite 
gruppe  von  Interpolationen  hängt  unmittelbar  mit  der  zweiten  Yilkina 
saga  (der  widerholung  von  c.  21  —  56  nach  c.  240)  zusammen.  Hierher 
gehören  c.  276 — 283,  wo  Osantrix,  der  in  der  ursprünglichen  saga 
schon  c.  144  umkomt,  als  lebend  erwähnt  wird,  und  c.  291  —  292,  die 
zweite  redaktion  von  Osantrix'  tode. 

1)  kann  var  hröäir  Skemmtngs,  er  Viäga  dtti  oe  brödir  Rispa,  er  Heimir 
dtti.  In  gleicher  weise  heisst  es  c.  190  vonGrani:  kann  er  brödir  Falka  ok  Skemm- 
inga  ok  Riapa  (so  auch  S;  der  bericht  fehlt  in  AB).  Diese  werte  können  die 
kombtnation,  welche  in  c.  168  vorliegt,  veranlasst  haben. 


T>n>BSXS   SAGA  XJVÜ  NIFLTTNGA  8A0A  463 

Zwei  tatsachen  weisen  darauf  hin,  dass  diese  beiden  gruppen 
zusammengehören,  mit  andern  worten  dass  der  Schreiber  der  zweiten 
Yilk.  saga  und  der  NS  identisch  sind: 

1.  In  dem  mit  der  NS  zusammenhängenden  c.  401  treffen  wir  die- 
selbe der  ursprünglichen  pS  widersprechende  auffassung  von 
Sifkas  Charakter  an  wie  in  den  mit  der  zweiten  Yilk.  saga 
zusammenhängenden  c.  276 — 283  (s.  449  anm.  1). 

2.  In  der  NS,  sowie  in  der  zweiten  Yilk.  saga  ist  Rodingeirr, 
der  dem  Verfasser  der  J^S  unbekant  war,  eine  hauptpersou. 

Aus  diesem  gründe  ist  es  wahrscheinlich,  dass  auch  die  änderun- 
gen  in  c.  284— 290  (pidreks  flucht),  c.  293  — 315  (Attilas  kriege  mit 
Waldemar)  und  c.  316  —  339  (schlacht  bei  Gronsport),  die  den  zweck 
haben,  Bodingeirr  zu  einer  hauptperson  an  Attilas  hofe  zu  erheben, 
dem  Schreiber  der  NS  zuzuschreiben  sind. 

Yon  einem  späteren  umarbeiter  rühren  einige  jüngere  zusätze 
her.  Mit  Sicherheit  gehören  hierher  c.  349  —  355,  die  den  Zusammen- 
hang der  NS  stören,  sodann  ein  bruchstück  von  c.  303,  sowie  ungefähr 
die  ganzen  c.  305  —  307,  welche  dem  vom  ersten  intei-polator  geschrie- 
benen c.  278  widersprechen,  vgl.  s.  451  fgg.),  c.  241  —  274,  welche  den 
Zusammenhang  zwischen  der  zweiten  Yilk.  saga  und  c.  278  stören  und 
also  jünger  als  diese  sind. 

In  den  leztgenanten  erzählungen  (sage  von  Walther  und  Hildegunde, 
Irons  saga  jarls)  herscht,  wie  schon  Treutier  (Germania  XX,  171)  be- 
merkte, eine  starke  verliebe  für  romantische  episoden,  liebesgeschich- 
ten  usw.  vor;  die  Vermutung  hat  daher  guten  grund,  dass  auch  c.  231 
— 239,  die  geschichte  von  Herburt  und  Hilde,  c.  416  —  422,  pidreks 
drachenkampf  und  seine  hochzeit  mit  Isolde,  und  wenn  dieses  der  fall 
ist,  auch  das  damit  zusammenhängende  c.  415,  welches  Herads  tod 
berichtet,  sowie  c.  437,  pidreks  räche  an  dem  riesen,  der  Heimir 
getötet,  c.  438,  die  erste  redaktion  von  ^idreks  tode,  (in  diesen  bei- 
den leztgenanten  erzählungen  heisst  pidreks  pferd  wie  in  c.  416  Blanka^) 
die  arbeit  desselben  Verfassers,  nicht  desjenigen,  der  die  zweite  Yilk.  s. 
und  die  NS  schrieb,  sind. 

Für  einige  interpolationen  ist  die  verfasserfrage,  obgleich  von  gros- 
ser bedeutung,   nicht  so  leicht  zu  lösen;   es  sind  Sigurds  Jugend  und 

1)  Die  Terweisnng  auf  deutsche  gewährsleute  in  c.  438  könte  den  gedanken 
an  den  ersten  interpolator  nahe  legen  (s.  459  anm.);  dieser  hätte  dann  auch  c.  416 
— 422,  437  geschrieben;  jedoch  ist  es  natürlich  sehr  wol  möglich,  dass  auch  der 
zweite  umarbeiter  eine  solche  hinzugefügt  haben  kann. 


-    -V  /-*       m. 


464  BOKR 

die  erste  redaktion  von  Hijgnis  geburt  (c.  152  —  169),  Sigards  und  Gun- 
nars  hochzeit  (c.  226  — 230),  Attilas  tod  (c.  423  — 428).  Für  die  hel- 
denbeschreibung  (c.  171  —  188),  ist  die  frage  von  geringerem  belang. 
.£s  kommen  die  änderungen  in  c.  13  und  c.  18  und  die  Umarbeitung 
von  c.  429  —  436  (Heimirs  lezte  heldentaten)  hinzu.  Hit  ausnähme  von 
c.  13,  171  —  188  und  429  —  436  enthalten  alle  diese  stücke  die  Vor- 
geschichte oder  die  fortsetzung  der  NS,  was  freilich  noch  nicht  beweist, 
dass  sie  von  demselben  Verfasser  herrühren,  wie  diese.  Schon  Bass- 
mann ^  hat  darauf  hingewiesen,  dass  sie  dem  NL  g^enüber  sich  ganz 
anders  verhalten  als  die  NS.  Er  macht  die  bemerkung',  dass  die  NS 
im  engeren  sinne  viel  öfter  im  einzelnen  mit  dem  NL  übereinstimt  als 
die  hier  genanten  abschnitte,  und  schliesst  daraus,  dass  die  quellen 
der  NS  der  süddeutschen  Überlieferung  sehr  nahe  stehen,  während 
c.  152— 168,  226  —  230,  423—428  eine  davon  abweichende  sagen- 
form repräsentieren;  eine  folgerung,  die  sich  mit  den  bisherigen  resul- 
taten  dieser  Untersuchung  treflich  vereinigen  lässt  Es  wurde  nämlich 
oben  schon  öfter  darauf  hingewiesen,  das  der  Schreiber  der  NS  auch 
in  anderen  teilen  der  I^S  von  süddeutschen  sagenformen  stark  beein- 
flusst  worden  ist  Wie  man  sich  die  Überlieferung,  welche  später  die 
quelle  der  NS  wurde,  vorzustellen  hat  —  ob  als  eine  süddeutsche, 
welche,  noch  auf  einer  älteren  entwicklungsstufe  als  das  NL  stehend, 
sich  im  12.  oder  13.  Jahrhundert  über  Nord- Deutschland  verbreitet 
hatte,  oder  vielmehr  als  eine  norddeutsche  Überlieferung,  welche  durch 
berührung  mit  der  süddeutschen  mehrere  züge  aus  dieser  in  sich  auf- 
genommen hatte',  entscheide  ich  hier  nicht;  es  genügt,  mit  Raszmann 
und  Edzardi  (Germania  XXIII,  92),  dessen  anzeige  Rassmanns  resul- 
tate  ergänzt,  zwischen  den  quellen  der  NS  und  denen  der  stoflich  mit 
ihr  zusammenhängenden  episoden  der  ^S  zu  unterscheiden,  und  die 
erste  im  gegensatze  zu  den  zweiten,  welche  zum  teile  wenigstens  rein 
niederdeutsch  sind,  süddeutsch  zu  nennen. 

Au  und  für  sich  ist  es  nicht  unwaiirscheinlich,  dass  zwischen  der 
tatsache,  dass  die  quellen  der  Interpolationen  der  PS  zweierlei  art  sind, 
und  der,   dass  die  interpolationen  von  zwei  verschiedenen  Schreibern 

1)  Die  NifloDga  saga  und  das  Nibelungenlied,  Heilbronn  1877. 

2)  A.  a.  0.  8.  97  —  102. 

3)  Von  einer  rein  süddeutschen  Überlieferung  kann  aus  verschiedenen  gründen, 
—  u.  a.  der  lokalisatiou  in  Westfalen  (Raszmann,  s.  14—22)  —  nicht  die  rode  sein;  doch 
enthält  die  NS  von  andorm  abgesehen  auch  geographische  reminiscenzen  au  ihren 
süddeutschen  Ursprung.  Dies  ist  z.  b.  die  ein&chste  erklärung  für  den  so  vielbe* 
8pit)chenen  bericht,  dass  die  Donau  und  der  Rhein  znsammenfliessen. 


!*IDKSE8  8A0A  UND  NIFLUNOA  SAQA  465 

herrühren,  ein  gewisser  Zusammenhang  besteht,  zumal  da  es  sich  ei'ge- 
ben  hat,  dass  bekan tschaft  mit  hochdeutschen  sagenformen  ein  beson- 
deres kenzeichen  6ines  dieser  umarbeiter  ist;  wenn  somit  eine  episode, 
welche  die  Vorgeschichte  oder  die  fortsetzung  der  NS  enthält,  auf  quel- 
len weist,  die  nicht  hochdeutsch  sind,  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass 
sie  vom  zweiten  interpolator,  dessen  arbeit  keine  bekantschaft  mit 
hochdeutschen  quellen  verrät,  geschrieben  sei.  Diese  Vermutung  ist 
um  so  mehr  begründet,  wenn  eine  solche  episode  mit  der  NS  in  vol- 
ständigem  Widerspruche  ist 

Die  erzählung,  welche  sich  mit  der  NS  am  wenigsten  vereinigen 
lässt,  ist  die  von  Attilas  tode.  Während  Grfmhildr  in  der  NS  ver- 
gebens Attila  gegen  ihre  brüder  aufzureizen  sucht,  und  schliesslich 
ohne  seine  hilfe  und  gegen  seinen  willen  ihre  räche  volzieht,  begegnen 
wir  c.  423 — 428  der  Vorstellung,  als  sei  Attilas  habgier  die  Ursache 
von  der  Nibelungen  Untergang,  weshalb  auch  ihn  die  räche  tritt,  und 
zwar  durch  einen  söhn  ÜQgnis,  Aldrian,  den  er  nach  c.  393  in  der 
nacht  vor  seinem  tode  mit  einem  weibe,  das  Rdrekr  ihm  verschaft, 
erzeugt*.  Ein  Verfasser,  der  Attila  c.  376  auf  Grimhilds  unaufhalt- 
sames flehen,  Sigurdr  zu  rächen,  antworten  lässt:  Frü,  hcett  oc  mcel 
ei  peita  opiar.  Hvi  munda  ek  svikfa  mhia  mäga,  er  ßeir  hafa  gengit 
d  mina  trü;  oc  ei  skaltupat  gera  n4  einn  maär  at  mishjöda  peim,  und 
der  c.  392  erzählt,  dass  Attila  I'idrekr  aufträgt,  Grfmhildr,  die  Ursache 
alles  imheiles,  zu  töten,  müste  doch  aller  vemunft  beraubt  sein,  wenn 
er  c.  423  fgg.  mitteilte,  dass  Attilas  tod  die  strafe  für  seinen  verrat  an 
den  Niflungar  war.  Wenn  c.  423 — 428  von  einem  anderen  Verfasser 
als  die  NS  herrühren,  so  hat  derselbe  in  der  NS  einiges  geändert, 
denn  c.  393,  welches  von  H^gnis  lezter  nacht  berichtet,  stelt  zwischen 
der  NS  und  Attilas  tod  eine  Verbindung  her,  welche  nur  dem  Schrei- 
ber der  leztgenanten  episode  zugeschrieben  werden  kann.  Vielleicht 
ist  auch  er  es,  der  c.  359  die  werte  hinzufügte:  En  Atiila  konungr 
er  allra  manna  ßgjamastr,  ok  pykMr  iüa,  er  kann  skal  ei  fd  Ntflunga 
skatt^y  was  mit  der  unmittelbar  folgenden  Weigerung,  zum  untergange 

1)  Bass  diese  Vorstellung  norddeutsch  ist,  beweist  die  Übereinstimmung  mit 
den  Eddaliedern,  wo  Attila  der  feind  der  Nibelungen,  Gudrun -Grimhildr  ihre  rächeriu 
ist;  Atlamal  88.  89  erzählt,  dass  ÜQgnis  söhn  Hniüungr  den  Atli  getötet  habe.  Einen 
söhn  HQgnls,  Ranche,  der  Grimhildr  tötet,  nennen  die  Hveensche  kronik  und  das 
läröische  HQgnilied.  In  der  süddeutschen  sage  hingegen  ist  alles,  was  sich  auf  Atti- 
las tod  bezieht,  bis  auf  wenige  spuren  vergessen  (Edzardi,  a.  a.  o.  s.  93). 

2)  Edzardi  (a.  a.  o.  s.  76)  erklärt  Attilas  worte  als  eine  reminiscenz  an  eine 
Übergangsform  der  sage,  nach  der  Grimhildr  Attila  als  Werkzeug  ihrer  räche  benuzt. 

ZmSCHBIFT  F.   DEUTSCHS  PHnX)L0GIB.     BD.   XXV.  30 


466  Boo 

der  Niflangar  mitzuwirken  (fö  er  Ounnarr  honungr  vörr  enn  karste 
vin),  und  mit  seiner  ganzen  haltung  während  des  kampfes  schlecht 
harmoniert  An  und  für  sich  ist  gegen  die  annähme,  dass  der  zweite 
inteipolator,  der  Attilas  tod  in  die  ^S  aufnahm,  auch  in  der  NS  eini- 
ges änderte,  nichts  einzuwenden:  dasselbe  tut  er  auch  anderswo,  z.  b. 
in  der  erzählung  von  I^dreks  kämpf  mit  Hdrekr  Taldemarsson  c.  303. 
307,  um  die  interpolation  c.  305  —  306  anbringen  zu  können  (vgl 
s.  452  anm.  2);  ebenso  in  c.  224  (vgl.  s.437 — 38).  Andererseits  sprechen 
ausser  den  genanten  noch  einige  andere  tatsachen  dafür,  dass  die  NS 
ursprünglich  mit  c.  394  aufhörte.  Zunächst  c.  394  selbst  Wenn  der 
verffisser  der  NS  seine  arbeit  hier  als  nur  zum  teile  vollendet  betrach- 
tet hätte,  wäre  es  doch  mindestens  aufiEeülend,  dass  er  seine  lange  aus- 
führung  über  die  glaubwürdigkeit  seiner  berichte  schon  an  dieser  stelle 
und  nicht  erst  nach  c.  428  angebracht  hat  Die  schon  däerte  Über- 
schrift von  c.  342  lässt  vermuten,  dass  die  NS  ein  geschlossenes  ganzes 
bildet,  nnd  dass  der  Schreiber  nicht  die  absieht  hatte,  sie  stückweise 
mitzuteilen  (vgl.  s.  446);  Attilas  tod  aber  ist  durch  ein  stück  d^ 
ursprünglichen  I^S  von  der  NS  getrent  Mag  der  lezigenante  umstand 
seinen  grund  darin  haben,  dass  Attila  c.  397  noch  als  lebend  genant 
wird,  so  ist  damit  doch  nur  eine  von  den  Schwierigkeiten,  welche  der 
annähme  von  der  Zusammengehörigkeit  der  NS  mit  der  erzählung  von 
Attilas  tod  sich  entgegenstellen,  gelöst  Nachdem  in  c.  393  H^gnis  tod 
erzählt  ist,  heisst  es  weiter:  oc  nü  er  lokit  cevi  Niflunga,  eine  nach- 
richt,  die  der  unmittelbar  vorhergehenden  nütteilung  über  Aldrian  Hqgna- 
sons  künftige  geburt  und  der  ganzen  erzählung  c  423  fgg.  entschie- 
den widerspricht  Herrad,  welche  doch  niemand  anders  als  I^idreks 
n.  a.  c.  340.  396  genante  gemahlin  Herad  sein  kann,  heisst  c.  393  eine 
frcenhona  piäreks  konungs  und  wird  von  I^drekr  gesant,  um  H<}gnis 
wunden  zu  verbinden.  Verweisungen  auf  deutsche  quellen  b^egnen 
in  Attilas  tod  nicht  Aus  all  diesen  gründen  scheint  es  sicher,  dass 
der  an&ng  von  c  393  bis  zu  den  werten:  oc  h6r  epHr  dayr  Hqgni 
und  die  episode  c.  423 — 428  von  dem  zweiten  interpolator  herrühren; 
dieser  hat  dann  c.  392  einen  abweichenden  bericht  über  HQgms  tod 
fortgelassen  K 

Wenn  seine  aoflassang  richtig  ist,   li^  hier  eine  von  den  kleineren  inconseqaenzen 
vor,  vne  sie  in  der  NS  öfter  sich  finden. 

1)  Es  verdient  weiter  beachtang,  dass  c.  393  den  Sigiafroä  iyaUara  nent, 
den  die  NS  sonst  nicht  erwähnt,  womit  aber  die  höhle  angedeutet  wird,  in  der  Attila 
c.  426  umkomt  Auch  die  namensform  Sigisfrod,  die  aosschliesslich  hier  vori[omt, 
legt  den  gedanken  an  einen  anderen  Schreiber  nahe.  Am  nächsten  steht  Sigfiroeä 
wie  Sigurdr  in  der  erzählung  von  seiner  Jugend  öfter  heisst 


{»IDKBKS  SAGA  UND  NIFLÜKOA   8A0A  467 

Die  betrachtang  der  composition  der  saga  fährt  also  zu  demsel- 
ben schlösse  wie  die  ergebnisse  unsrer  erforschung  der  quellen,  näm- 
lich dass  die  NS  und  die  erzählung  von  Attilas  tod  keine  einheit 
bilden.  Dem  scheint  nun  die  tatsache  zu  widersprechen,  dass  auch 
sonst,  und  zwar  in  der  Hveenschen  chi*onik  und  dem  damit  nahe  vei^ 
Wanten  fSröischen  Högniliede^  die  sagenform  der  NS  mit  der  von  At- 
tilas tode  verbunden  vorkomt.  Wie  seit  Orundtvigs  Untersuchungen 
(D.  G.  P.  IV,  586  fgg.)  algemein  angenommen  wird,  ist  PS  nicht  die 
quelle  von  H;  ebensowenig  kann  natürlich  H  die  quelle  der  viel  älte- 
ren I*S  sein;  scheinbar  bleibt  daher  keine  andere  erklärung  der  Ver- 
bindung beider  sagenformen  in  {'S  sowie  in  H  übrig  als  diese,  dass 
I^  und  H  beide  eine  dritte  quelle  benuzt  haben,  in  der  diese  Verbin- 
dung schon  vorlag.  Doch  dürfte  sich  die  sache  dennoch  anders  ver- 
halten. 

Als  die  süddeutsche  sagenform  —  ich  bezeichne  damit  hier  die 
der  NS,  ohne  dadurch  im  einzelnen  ein  urteil  über  ihre  entstehung 
aussprechen  zu  wollen  (vgl.  s.  464  fg.)  —  sich  stets  mehr  in  nördlicher 
richtung  ausbreitete  und  der  andern  echt  niederdeutschen  begegnete, 
entstanden  daraus  mischformen.  Diese  finden  wir  in  der  I^S  und  der 
viel  jüngeren  H.  Den  mit  H  nahe  verwanten  dänischen  liedem  von 
Orimhilds  räche  fehlt  diese  Verbindung  noch*.  Bei  der  vergleichung 
von  H  mit  der  I^S  fält  sofort  ein  wichtiger  unterschied  auf.  In  der 
I^  wird  Grfmhildr  von  I^idrekr  von  Bern  auf  eine  weise  erschlagen, 
die  an  das  NL  erinnert;  Hi^gnis  söhn  tötet  Attila.  Im  HQgniliede  trift 
B.qgm  HQgnasons  räche  sowol  Attila  als  Orfmhildr;  in  der  Hveenschen 
Chronik,  welche  Attila  gar  nicht  nent,  komt  nur  Grfmhildr  in  dem  mit 
schätzen  erfülten  berge  um.  Es  leuchtet  ein,  dass  die  darstellung  der 
I^S  ursprünglicher  als  die  des  Högniliedes  und  der  chronik  ist  Diese 
ist  mehr  zusanmienhängend  und  daher  vom  ästhetischen  gesichtspunkte 
aus  betrachtet  mehr  befriedigend;  aber  dieser  Zusammenhang  ist  durch 
die  entfemung  oder  entstellung  alter  züge,  welche  anderen  widerspra- 
chen, entstanden.  Das  Högnilied  bildet  in  dieser  hinsieht  eine  über- 
gangsform  von  der  I^S  zur  Hveenschen  chronik.  Da  es  nun  undenk- 
bar ist,  dass  eine  minder  ursprüngliche  Überlieferung  die  quelle  einer 
ursprünglicheren  sein  solte,  so  können  in  einer  eventuel  gemeinschaft- 
lichen quelle  der  I^S  und  H  die  beiden  sagenformen  nicht  so  combiniert 

1)  Die  Hveensche  ohronik  und  das  Högnilied  haben  eine  gemeinschaftliche 
quelle  (Grundriss  der  germ.  phil.  n,  16),  welches  ich  hier  H  nenne. 

2)  Die  redaktion  0  dieses  liedes,  wo  sie  vorkomt,  ist  nach  Onindtvig  (I,  35) 
eine  kombination  Vedels  und  hat  also  keinen  wert 

30  ♦ 


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468 

gewesen  sein,  wie  das  im  Högnilied,  viel  weniger,  wie  es  in  der  Hveen- 
schen  chronik  der  fall  ist  Im  gegenteil  müste  eine  solche  quelle  alle 
alten  züge,  welche  die  ^8  aufweist,  enthalten  haben;  mit  andern  Wor- 
ten: auch  dort  müste  Grfmhüdr  allein  die  schuld  am  untergange  der 
Niflungar  tragen,  die  räche  aber  ausschliesslich  Attila  treffen.  Solch 
eine  quelle  ist  aber  als  mündliche  Überlieferung  undenkbar;  am  wenig- 
sten könte  man  sich  ein  Volkslied  vorstellen,  das  solche  widerspräche 
enthielte.  Die  annähme  einer  gemeinschaftlichen  quelle  für  die  pS  und 
H,  in  der  die  nord-  und  die  süddeutsche  sage  schon  kombiniert  waren, 
führt  also  zur  annähme  einer  schriftlichen  quelle,  welche  mit  der  f^ 
durchaus  übereinstimte,  an  der  also  wahrscheinlich  auch  zwei  Schrei- 
ber teil  hätten;  eine  Vermutung,  zu  der  gar  kein  grund  vorhanden  ist, 
und  welche  die  frage  zwar  verschiebt,  aber  zu  ihrer  lösung  keineswegs 
forderlich  ist  Die  lieder  von  OrlmhUds  räche  beweisen  ausserdem 
klar  genug,  dass  im  volksmunde  lebende  lieder  die  quelle  von  H  sind 
Andererseits  geht  es  auch  nicht  an,  die  Übereinstimmung  zwischen  der 
^S  und  H  für  zufällig  zu  erklären,  um  so  weniger,  da  die  entwick- 
lung  der  sage  von  der  PS  über  das  Högnilied  zur  chronik  deutlich  zu 
verfolgen  ist  Die  einzig  mögliche  erklärung  der  vorliegenden  tatsachen 
ist  daher  diese,  dass  der  bearbeiter  von  H  die  fS  kante.  Man  braucht 
deshalb  nicht  anzunehmen,  dass  die  fS  die  einzige  quelle  von  H  war. 
Es  ist  möglich,  ja  wahrscheinlich,  dass  der  bearbeiter  von  H  nur  für 
die  räche  die  t^S  als  quelle  benuzte;  man  könte  sogar  mit  gutem 
gründe  annehmen,  dass  er,  wenn  beide  sagen  ihm  bekant  waren,  ans 
der  ]^S  nur  den  gedanken,  sie  zu  verbinden,  entlehnte.  Das  fehlen 
der  räche  in  den  dänischen  liedem,  worauf  schon  hingewiesen  ist, 
spricht  auf  jeden  fall  dafür,  dass  diese  Verbindung  in  der  volksüber- 
lieferung  jung  ist 

Einen  söhn  Högnis  kennen  ausser  der  PS  und  H  nur  Atlamäl 
und  VqIs.  s.  Man  könte  sich  aus  diesem  gründe  zu  zweifeln  veran- 
lasst fühlen,  ob  in  Attilas  tod  in  der  tat  eine  norddeutsche  und  nicht 
vielmehr  eine  skandinavische  Überlieferung  zu  suchen  sei.  Aber  das 
schon  von  Edzardi  (a  a  o.  s.  93)  angeführte  märchen  vom  Simelibeig 
(Orimm  nr.  142)  beweist,  dass  dieser  zweifei  nicht  berechtigt  ist  Auf 
deutschen  Ursprung  weist  auch  der  name  Sigisfrod  (c.  393),  vgl.  dazu 
oben  s.  466  anm.  Aus  den  übrigen  namen  (Attila,  Grfmhildr  usw.)  las- 
sen sich  für  die  episode  keine  Schlüsse  ziehen;  dieselben  könten  sich 
nämlich  der  form  nach  an  die  namen  der  N8  angeschlossen  haben, 
wie  z.  b.  die  ganze  NS  hindurch  namen  wie  Ounnarr,  HQgni  sich  an 
die  nordische  Überlieferung  anschlössen. 


IlDBIKS  SAQA  UND  NIFLUNdA  8AQA  469 

In  bezog  auf  c.  152  —  168  (Sigurds  Jugend),  226—230  (Sigurds 
und  Gunnars  hocbzeit)  kann  man  zugeben,  dass  keine  dieser  beiden 
episoden  sich  mit  der  NS  in  so  volständigem  Widerspruch  befindet, 
dass  sie  schon  deswegen  unmöglich  von  demselben  Verfasser  sein  kön- 
ten  wie  diese.  Doch  lassen  sie  sich  in  mehreren  punkten  nicht  nüt 
ihr  in  Übereinstimmung  bringen.  Zunächst  muss  hier  widerholt  wer- 
den, was  schon  s.  466  bemerkt  wurde,  dass  die  Überschrift,  und,  wenn 
diese  auch  nicht  für  echt  gelten  darf,  doch  der  anfang  der  NS^  vor- 
auszusetzen scheint,  dass  die  auftretenden  personen  noch  nicht  genant 
sind,  was  sehr  auffallend  wäre,  wenn  ihn  der  Verfasser  von  c.  152  — 
168,  226—230  geschrieben  hätte «. 

Femer  gilt  auch  hier,  dass  die  beiden  episoden  vom  NL  ungleich 
weiter  abstehen  als  die  NS  (s.  464)^;  dass  sie  vielmehr  eine  nieder- 
deutsche sagenform  zu  repräsentieren  scheinen,  welche  sonst  in  der 
arbeit  des  ersten  interpolators  selten  oder  niemals  b^egnet  Schliess- 
lich fehlen  auch  hier  die  Verweisungen  auf  deutsche  quellen.  G.  152  — 
168,  226  —  230  scheinen  demnach  vom  Schreiber  der  episode  von  Atti- 
las  tod  zu  sein.  Scheinbar  spricht  der  umstand  dagegen,  dass  die  bei- 
den erzählungen  von  Sigurds  Jugend  und  Gunnars  hochzeit  einander 
an  einer  stelle  widersprechen.  C.  168  nämlich,  wo  Sigurdr  sich  bei 
Brynhildr  ein  pferd  holt,  ist  von  einem  vertraulicheren  Verhältnisse 
gar  nicht  die  rede;  doch  wirft  c.  227  Brynhildr  Sigurdr  vor,  dass  er 
sich  früher  mit  ihr  verlobt  hat  Diese  lezte  bemerkung  ist  augenschein- 
lich ein  zug  aus  der  nordischen  sage,  welche  auch  sonst  demselben 
Schreiber  vorgeschwebt  hat  Dieser  Schreiber  ist  es  nämlich,  der  c.  18 
die  ihm  aus  der  nordischen  sage  bekante  Verbindung  Brynhilds  mit 
Heimir  hergestelt  hat^ 

1)  Citiert  oben  s.  446  anm.  1. 

2)  Hierher  gehört  auch  das  mitteilen  von  einzelheiten,  welche  schon  in  einer 
der  genanten  episoden  erzählt  sind;  so  die  nachricht  über  Sigurdr  c.  342:  hans  horond 
vor  svd  hart  sem  sigg  vüligaltar  eda  hom^  oe  engtskonar  vdpn  mdtii  d  festa  nema 
miUi  herdanna;  par  vor  hans  horond  sem  annarra  manna,  vgl.  c.  166,  welches  die 
erwerbong  der  homhaat  im  einzelnen  berichtet  Dieselbe  bemerkung,  aber  ganz  kurz, 
findet  sich  in  der  ursprünglichen  sage  c.  190;  vgl  s.  446. 

3)  Die  abenteuerliche  erzählung  von  Sigurds  geburt  Seine  erziehung  bei  Mimir, 
wie  im  Siegfriedsliede.    Ganz  anders  im  NL. 

4)  Wahrscheinlich  war  es  auch  dieser  Schreiber,  der  c.  359  in  der  NS  eine 
anspielung  auf  den  schätz,  welchen  Sigurdr  in  dem  lager  des  getöteten  drachen  findet, 
hinzufugte:  ek  veü  fru,  cU  Sigurdr  sveinn  dtte  mikU  guUj  ßat  fyrst,  er  hann  tök 
undan  ßeim  mtkla  dreka  er  hann  hafde  drepit.  Das  von  ihm  geschriebene  c.  166, 
wo  Sigurdr  Reginn  tötet,  nent  den  schätz  nicht,  was  gewiss  darin  seinen  grund  hat, 


470 

Dass  Sigurds  Jugend  und  Ounnarrs  hochzeit  trotz  de^B  Wider- 
spruches zwischen  c.  168  und  227  von  demselben  Verfasser  sind,  beweist 
der  Zusammenhang  beider  episoden  mit  a  18  (vgl.  s.  461)  zur  genüge. 
Dieses  capitel  ist  neben  c.  226  das  einzige,  das  SsBgardr  als  Brynhilds 
Wohnsitz  nent;  andererseits  lässt  sich  c.  18  von  c.  168  nicht  scheiden, 
wo  Sigurdr  aus  Brynhilds  gestüte  ein  pferd  holt  Dass  c.  152 — 168 
und  226 — 230  zusammenhängen,  geht  weiter  daraus  hervor,  dass  Si- 
gurdr  c.  226  der  weg  nach  Brynhilds  Stadt  bekant  ist 

£ine  einwendung,  die  sich  gegen  die  Scheidung  von  Sigurds 
Jugendgeschichte  von  der  NS  erheben  liesse,  muss  noch  widerlegt  wer- 
den. Brynhildr,  von  Grfmhildr  beleidigt,  klagt  Ounnarr  und  HQgni 
ihre  not  und  sagt  a  344:  Oc  svd  kom  kann  iü  min  fyrsta  sinnig  at 
eigi  vissi  kann  sinn  fador  eda  sina  mödar  ok  enga  sfna  cett,  werte, 
die  auf  c.  168  anzuspielen  scheinen.  Abgesehen  von  der  freilich  gerin- 
gen möglichkeit,  dass  die  quellen  von  c.  168  und  344  in  diesem  punkte 
mit  einander  übereinstimten,  sodass  aus  der  gleichheit  der  berichte 
noch  nicht  auf  die  Identität  der  Verfasser  geschlossen  werden  könte, 
muss  bemerkt  werden,  dass  der  angeführte  satz  in  einem  Zusammen- 
hang vorkomt,  durch  den  die  Übereinstimmung  mit  c.  168  zu  volstän- 
digem  Widerspruch  wird.  Unmittelbar  vorher  sagt  nämlich  Brynhildr: 
Sigurär  sveinn  kom  Idngat  iü  ydar  sem  einn  vaUari,  en  nü  er  hanfi 
svd  stolz  ok  svd  rikr,  at  eigi  md  lafigt  hedan  Uda^  ddr  en  f6r  munod 
allir  honom  pjöna.  Diese  werte  setzen  eine  ganz  andere  sagenform 
als  c.  168  voraus.  Meines  erachtens  können  sie  nur  so  gedeutet  wer- 
den, dass  Sigurdr  wie  ein  umherirrender  ritter  (sem  einn  vaUari),  also 
auf  dem  wege,  Brynhildr  zu  suchen,  zufälligerweise  nach  Ounnars  hofe 
kam  und  dort  —  wie  sich  versteht,  Grfmhildr  zu  liebe  —  blieb,  eine 
Vorstellung,  der  man  in  mehreren  Eddaliedern  begegnet  (vgl.  Sijmons, 
Ztschr.  f.  d.  phil.  XXIY,  17.  21  fgg.),  und  die  auch  einmal  in  Deutsch- 
land verbreitet  gewesen  sein  muss.  Aber  auch  wenn  man  die  worte 
sem  einn  vaUari  nicht  in  dem  eben  angegebenen  sinne  verstehen  weite, 
so  liessen  sich  Brynhilds  worte  doch  auf  keinen  fall  mit  a  168  in 
Übereinstimmung  bringen,  wo  Sigurdr  von  Brynhildr  sofort  zu  könig 
Isungr  in  Bertanga  reitet,  ohne  Ounnarr  oder  Högni  zu  begegnen. 
Dass  die  von  Brynhildr  gesprochenen  worte  echt  sind,  geht  aus  Oun- 

dass  die  qnelle  des  capitels  den  schätz  nicht  kante;  die  NS  und  Attilas  tod  nennen 
beide  einen  schätz,  der  SigorAr  gehört  hat;  dieser  stamt  nicht  von  Beginn -Fafnir 
her,  wie  der  name  Niflungaskattr  aasweist  (c.  424  u.  a.).  Die  angeführten  worte 
scheinen  also  eine  reminiscenz  an  die  nordische  sage  von  der  tötong  Fafnirs  zu  sein, 
was  sich  beim  Schreiber  der  NS  sonst  nicht  findet 


I»IDBgJC8  SAGA  HMD  NI7LÜNQA  SAGA  471 

nars  antwort  hervor^;  merkwürdigerweise  lässt  er  die  anspielung  auf 
Sigurds  besuch  bei  Brynhildr,  welche  doch  zwischen  jenen  werten  und 
seiner  antwort  steht,  unbeachtet  Diese  stört  also  einigermassen  den 
Zusammenhang  und  dürfte  eine  zutat  des  Schreibers  von  c.  168  sein. 
Für  einen  näheren  Zusammenhang  zwischen  c.  168  und  c.  344  beweist 
sie  jedesfieds  nichts. 

Gegen  die  yermutung,  dass  die  erzahlungen  von  Sigurds  Jugend 
und  Gunnars  hochzeit  von  einem  andern  Schreiber  als  die  NS  herrüh- 
ren ,  lässt  sich  also  nichts  zwingendes  einwenden.  Das  entgegengesezte 
aber,  die  Identität  beider  yerfasser  liesse  sich  nur  verfechten,  wenn 
man  annehmen  wolte,  dass  der  interpolator  der  NS  viele  quellen  benuzt 
hat,  welche  der  süddeutschen  Überlieferung  sehr  fem  stehen  (was  gerade 
ein  charakteristisches  kenzeichen  des  zweiten  interpolators  ist),  dass  er 
nordische  züge  in  die  erzählung  aufnahm  (was  in  den  episoden,  die 
sicher  von  ihm  sind,  nirgends  der  fall  ist),  dass  er  sich  selbst  manch- 
mal plagiierte,  indem  er  in  der  NS  vieles  als  etwas  neues  mitteilte, 
was  er  schon  früher,  zum  teil  ganz  ausführlich  erzählt  hatte;  schliess- 
lich, dass  er  die  Verweisungen  auf  deutsche  quellen,  die  er  sonst  mit 
so  freigebiger  band  ausstreut,  in  einem  teile  seines  werkes,  der  doch 
auch  nach  deutschen  quellen  bearbeitet  ist,  ganz  beiseite  liess.  Da  es 
überdies  feststeht,  dass  die  fortsetzung  der  NS  von  einem  anderen  Ver- 
fasser als  die  NS  selbst  ist,  wird  man  lieber  annehmen,  dass  dasselbe 
mit  den  episoden  c.  152  — 168  und  226  —  230  der  fall  ist,  welche 
sich  mit  der  von  Attilas  tod  treflich  verbinden  lassen,  als  seine  Zu- 
flucht zu  solchen  gewagten  und  wenig  wahrscheinlichen  hypothesen  zu 
nehmen. 

Es  kann  nach  dem  vorhergehenden  nicht  länger  zweifelhaft  sein, 
wer  der  Verfasser  von  c.  169  (Hqgnis  geburt)  ist  Das  capitel  widerholt 
nachrichten,  welche  c.  342  richtiger  erzählt  werden  (Yemiza,  die  haupt- 
stadt  in  Niflungaland  wird  c.  169  nicht  genant);  sodann  enthält  es  eine 
aus  der  luft  gegriffene  anspielung  auf  c.  391  >  und  eine  ungeschickte 
anspielung  auf  c.  390.  Bei  der  erwähnung  Gislers  unter  Aldrians  söh- 
nen wird  nämlich  hinzugefügt:  hann  er  pd  eitt  bam,  er  pessi  Udendi 
gerax.    C.  390  berichtet,  dass  Gisler  ein  kind  war,  als  Sigurdr  getötet 

1)  Fruy  eigi  skaUu  grata,  oh  ßegi  pu  ßegar  i  stad,  Sigurdr  sveum  mun 
eigi  lengi  vera  vdrr  herra^  ok  min  systir  Qrimhüdr  man  eigi  vera  fin  dratning. 

2)  Oe  vid  var  stqdd  ein  bona  oc  keyräi,  oc  su  vor  Man  fridla  pidreks 
konungs  af  Bern  ok  sagäe  honum  af  trünadi  fenna  lut,  oe  ßar  af  kom  tipp  tdi 
ßetta  mdl  um  sidir* 


472 

wurde;  c.  169  aber  erzählt  nicht  Sigurds  tot,  sondern  HQgnis  gebort 
Die  anspielung  in  c.  169  ist  somit  an  ungeeigneter  stelle  angebracht 
Übrigens  gelten  für  die  beurteilung  dieses  capitels  zum  teil  dieselben 
argumente  wie  bei  c.  152  — 168,  vor  allem  was  s.  469  über  den  anfang 
des  NS  gesagt  ist 

G.  172  — 188  hängen  mit  keiner  andern  Interpolation  unmittel- 
bar zusammen;  mit  Sicherheit  ist  es  kaum  zu  entscheiden,  ob  diese 
partie  die  arbeit  des  ersten  oder  des  zweiten  interpolators  ist  Die 
vielen  Verweisungen  auf  deutsche  gewährsleute^  lassen  das  erste  ver- 
muten*. Aus  demselben  gründe  ist  es  wahrscheinlich,  dass  c.  429 — 
436  vom  Verfasser  des  NS  umgearbeitet  sind.  Abgesehen  davon,  dass 
c.  433  sich  auf  deutsche  quellen  beruft  (vgl.  s.  456),  fält  noch  der  s.  454 
besprochene  Zusammenhang  mit  der  heldenbeschreibung  (c.  180)  au^ 
der  zur  selben  aufiTassung  führt  Wer  der  umarbeiter  von  c.  13  ist, 
geht  aus  dem  zusammenhange  nicht  hervor;  vgl.  aber  unten  s.  474  anm. 

Als  ergebnis  dieser  Untersuchung  lässt  sich  die  geschichte  der  I*S 
auf  folgende  weise  in  kurzen  zügen  darstellen: 

Der  sagaschreiber  hat  nach  den  ihm  bekanten  quellen,  wie  schon 
der  titel  angibt,  das  leben  l^idreks  von  Bern  und  seiner  beiden  be- 
schrieben. Dabei  war  ihm  der  könig  bis  zu  dem  grade  die  hauptper- 
sou,  dass  mehrere  beiden  nur  eine  Zeitlang  in  seiner  Umgebung  auf- 
treten, ohne  dass  der  leser  erfahrt,  was  weiter  aus  ihnen  wird^  Der 
Verfasser  hat  seine  arbeit  breit  entworfen  und  verweilt  im  an&ng  oft 
bei  den  Schicksalen  von  nebenpersonen,  später  halt  er  sich  mehr  an 
seinen  stoff,  was  leicht  zu  verstehen  ist,  da  I^idreks  leben  stets  interes- 
santer wird^.  Seine  quellen  waren  teilweise  niederdeutsche  Volkslieder, 
vielleicht  auch  mündliche  mitteilungen  von  personen  aus  Nord-Deutsch- 
land; dass  er  ausschliesslich  deutsche  quellen  benuzt  habe,  ist  nicht  zu 

1)  C.  180:  d  hans  vdpnum  er  markad  Pai^  er  Pt^desJdr  menn  kaUa  cUpan- 
dyr  en  Vceringjar  fU.  —  C.  181:  VüdigqUr,  ßat  er  d  ß^desku  Vüdifer,  —  C.  184: 
P<U  er  nü  aftekit  i  sqgum  ßt^deskra  manna,  at  engt  skal  bera  d  kölm  siifrlagdan 
s^jqld  eäa  buklara,  —  C.  187:  oc  vid  pat  sama  er  hans  (Hildibrands)  gettt,  hvar 
Sern  hans  nafn  er  rüad  eäa  frd  honum  sagt  (Hier  nur  eine  ganz  algemeine  Ver- 
weisung auf  fremde  quellen). 

2)  Man  beachte  noch,  dass  der  von  Sigurdr  getötete  drache  hier  (c.  185)  Fadmir 
heisst,  beim  zweiten  interpolator  hingegen  (c.  163)  Reginn. 

3)  Z.  b.  Sintram,  Fasold,  fetleifr. 

4)  Die  arbeit  des  sagaschreibers  sind  o.  [1 — 21],  22 — 56  kurze  redaktion, 
57  —  151,  170,  171,  189—225,  240,  275,  [284—290,  293—339,  395,  397,  403— 
414,  429—436],  schliesslich  ein  oder  mehr  capitel,  deren  inhalt  in  S  als  c.  383  — 
385  (386?)  mitgeteilt  wird.  Die  zwischen  klammem  gestelten  capitel  sind  nur  in 
volständiger  oder  partieller  umarbeitxmg  erhalten. 


tlDBEKS  SAGA  UND  laFLUMOA  BAQA  473 

erweisen:  es  ist  sehr  wol  möglich,  dass  ein  teil  der  von  ihm  bearbei- 
teten sagen  ihm  nur  in  nordischer  Überlieferung  bekant  waren.  In 
den  fallen,  wo  die  mitgeteilten  sagen  sicher  deutsch  sind,  weisen  sie 
gewöhnlich  eine  von  anderen  quellen,  namentlich  von  den  süddeutschen 
epen  abweichende  sagengestalt  auf.  In  den  teilen  der  PS,  welche,  so 
weit  man  sehen  kann,  nicht  umgearbeitet  sind,  begegnen  keine  grossen 
Widersprüche,  was  neben  der  Sorgfalt  des  Schreibers  dem  umstände 
zuzuschreiben  sein  wird,  dass  auch  die  quellen  des  sagaschreibers  ein- 
ander selten  oder  nie  widersprechen. 

Ein  abschreiber,  der  viele  sagen  aus  dem  munde  deutscher  ge- 
währsleute  in  einer  den  süddeutschen  epen  ziemlich  nahe  stehenden 
form  vernommen  hatte,  wunderte  sich  über  den  in  mancher  hinsieht 
sehr  bedeutenden  unterschied  zwischen  dieser  Überlieferung  und  der 
der  PS.  In  der  Überzeugung,  dass  die  abweichenden  berichte  der  PS 
unrichtig  seien,  fieng  er  an  sie  umzuarbeiten  und  berief  sich  dabei 
fortwährend  auf  seine  deutschen  quellen.  Seine  tätigkeit  ist  von  zweier- 
lei art: 

1.  er  fügt  neue  stücke  hinzu,  welche  nach  seiner  meinung  in  der 
PS  nicht  entbehrt  werden  konten  (Sifkas  räche  c.  276  —  283, 
die  NS  mit  dem  was  dazu  gehört  c.  340  —  348,  356  —  394,  396, 
398 — 402;  wahrscheinlich  auch  die  heldenbeschreibung  c.  172 
-187); 

2.  er  bearbeitete  stücke,  welche  in  der  PS  bereits  vorhanden  waren 
auf  «eine  eigene  art  Diese  wurden  wider  auf  zwei  weisen  in 
die  saga  aufgenommen: 

a.  die  Umarbeitung  tritt  an  die  stelle  der  ursprünglichen  redak- 
tion  (Pidreks  flucht  c.  284 — 290,  die  kri^  mit  Valdemar 
c.  293—315,  die  schlacht  bei  Gronsport  c.  316  —  339,  Hei- 
mirs  lezte  heldentaten  c.  429 — 436); 

b.  die  ältere  redaktion  bleibt  stehen,  die  Umarbeitung  folgt 
später  (Yilkina  saga  c.  21  —  56  nach  240,  Osantrix  tod 
c.  132—144  als  c.  291  —  292). 

Eine  genügende  erklärung  der  tatsache,  dass  der  umarbeiter  ver- 
schiedene teile  der  saga,  die  er  doch  in  derselben  weise  beurteilte, 
auf  so  verschiedene  art  behandelte,  ist  noch  nicht  gefunden.  Als  die 
ansprechendste  erscheint  diese,  dass  er  sich  in  einer  ähnlichen  läge 
befand  wie  der  Schreiber  nr.  3  von  membr.,  dass  nämlich  ein  teil  der 
handschrift,  die  er  bearbeitete,  und  zwar  mindestens  bis  c.  144,  höch- 
stens bis  c.  171  schon  von  ihm  oder  einem  andern  geschrieben  war, 
ehe  er  sich  vornahm,  die  saga  umzuarbeiten.    Was  vor  cap.  144  schon 


-  "   ■»■»    — 


474  Bon,  tn>BiK8  baga  und  vamv^k  saoa 

erzählt  war,  muste  somit,  wenn  ee  dem  umarbeiter  unrichtig  ersdiien, 
wideriiolt  werden,  was  nach  a  171  (wo  die  erste  interpolation  von  sei- 
ner band  anfängt)  folgte,  wurde  in  solchem  fiill  nur  umgearbeitete 

Ein  zweiter  abschreiber,  der  gleichfiils  viel  kentnis  von  fremden, 
besonders  romantischen  sagen  hatte,  sah  die  ]^  als  ein  zur  compilation 
äusserst  geeignetes  buch  an,  und  fügte  eine  anzahl  erzählungen  hinzu, 
deren  inhalt  von  haus  aus  der  pS  völlig  fremd  war.  Der  umstand, 
dass  die  NS  einen  teil  der  I>S  bildete,  veranlasste  ihn,  an  den  dazu 
geeigneten  stellen  hinzuzufügen,  was  er  weiter  von  Sigurdr  und  Grlm- 
hildr,  von  Gunnarr,  Hqgni  und  Attila  zu  erzählen  wusste.  Um  seinoi 
berichten  den  schein  zu  geben,  als  seien  sie  integrierende  teile  der  pS, 
lässt  er  pidrekr  zuweilen  eine  Statistenrolle  spielen,  welche  niemals 
anders  als  in  seiner  Imagination  bestanden  hat-,  so  zieht  z.  b.  ]^idrekr 
in  Widerspruch  mit  allen  anderen  Überlieferungen  auf  der  brautfahrt 
nach  SsBgardr  mit  Gunnarr.  Mehrere  ganz  fremden  Sagenkreisen  ent- 
lehnte erzählungen  verknüpft  er  in  der  ungeschicktesten  weise  mit  der 
geschichte  pidreks.  Um  zwischen  der  pS  und  seinen  Zusätzen  den 
gewünschten  Zusammenhang  darzustellen,  ändert  er  mitunter  einiges  in 
der  arbeit  des  verfiassers  oder  des  ersten  umarbeiters  (c.  224,  pidreks 
kämpf  mit  pidr.  Yaldemarsson,  NS);  diese  änderungen  aber  scheinen 
nicht  von  tief  eingreifender  art  zu  sein.  Bei  kleineren  episoden,  die 
seiner  auffassung  widersprechen  (Hi^gnis  geburt,  pidreks  tod),  nimt  er 
seine  Zuflucht  zur  doppelten  redaktion;  ein  anderer  grund  dafür  ist 
nicht  anzugeben,  als  etwa  dieser,  dass  er  schon  in  der  pS,  wie  er  sie 
kante,  fälle  doppelter  redaktion  vorfend.  Beide  male  stelt  er  die  von 
ihm  geschriebene  redaktion  vor  die  ältere. 

Für  die  sagenforschung  besteht  die  bedeutung  der  hier  gewon- 
nenen resultate  darin,  dass  es  hinfort  leichter  sein  wird,  in  dem  bun- 
ten gemische  hochdeutscher,  niederdeutscher  und  nordischer  sagenzüge 
den  weg  zu  finden.  Allerdings  verliert  die  pS  durch  die  erkentnis, 
dass  drei  Schreiber  an  ihrer  gestaltung  ihren  selbständigen  anteil  haben, 
ihren  einheitlichen  Charakter.  Dieser  verlust  aber  ist  nur  sdieinbar. 
Denn  es  muss  anerkant  werden,  dass  viele  Widersprüche,  welche,  so 
lange  man  die  längere  redaktion  der  pS  als  die  arbeit  öines  verfiissers 
auffassen  wolte,  unlösbar  schienen,  aufgehoben  werden,  wenn  man  ein- 
mal zur  einsieht  gelangt  ist,  dass  in  ihr  sehr  verschiedene  sagenscäuch- 

1)  Wenn  diese  aufEusong  der  tätigkeit  des  ersten  inteipdlatois  das  riditige  tiift, 
80  geht  daraus  hervor,  dass  nicht  er  c.  13  (vgl.  s.  472)  omgearbeitet  hat  Denn  seine 
arbeit  fängt  erst  nach  c  144  an* 


BÖHRIGHT,  BEBIOBI  ÜBSB  UNS  JIBÜSALEMFAHBI.    U  475 

ten  über  einaader  gelagert  sind.  Hoffentlich  werden  die  yorhergehen- 
den  blätter  dazu  beitragen,  diese  schichten  wenigstens  in  hauptzügen 
zu  unterscheiden. 

LEEDWABDEN,   DECEMBER   1891.  B.   C.   BOBE. 


ZWEI  BEEICHTE  ÜBER  EINE  JEEUSALEMFAHET  (1521). 

(Fortsetzung  zu  s.  163 — 220  dieses  bandes.) 

Am  Freyttag  vmb  Vesper  Zeit  do  khamen  wir  in  die  Haylig  statt 
Jherusalem*  vnd  ritten  des  Ersten  auff  den  berg  Sion  für  das  kloster, 
do  stunden  mir  ab,  do  khamen  die  Barfusser  Münch  heraws  vnd 
empfingen  vns  mit  grossen  frewden.  Do  giengen  wir  gleich  inn  die 
kirchen  vnd  danckten  got  seiner  gnaden;  nach  dem  fürt  man  vnns  in 
ain  gartten,  da  gab  man  vnß  die  Brüder  ein  GoUation  zimlich  genung, 
des  wir  nottnrfftig  waren,  dann  wir  vonBama  auß  nichts  betten,  dann 
Wasser,  keß  vnd  brot  vnd  nit  den  zehenden  thayl  wein,  also  sazte  man 
vnns  hoch  thewtschen  als  an  ain  Taffei,  nach  demselben  alls  wir  gös- 
sen betten,  do  gab  man  vns  herberg  auch  in  ain  hawß,  da  wir  auch  wol 
versehen  waren,  do  schickten  die  Prüder  ainen  yetlichen  ain  teppich 
vnd  ain  lydere  küß  daniff  zw  ligen.  Also  plyben  wir  dieselb  nacht 
in  der  herbeig  vnnd  richten  vnns  eyn.  — 

Ynnd  am  Sambstag  Morgen^  stunden  wir  hoch  thewtschen  frw 
auff,  zwu  stund  vor  tags  vnd  gingen  hinauff  den  berg  Sion  zw  den 
uier  .  .^  bruder,  do  hortten  wir  ain  stund  vor  tags  meß  vnd  betten  die 
bruder  vnnd  annder  bilger,  so  mit  vnns  khomen  warn,  stets  Meß,  das 
allso  bis  in  drew  stund  weret  Damach  hub  man  ain  loblich  ampt 
an.  Nach  dem  thet  man  vns  ain  schone  predig  vnd  vnderweysung, 
wie  wir  imß  hallten  sollten.  Lateinisch,  Thewtsch  vnd  Welsch.  Nach 
sollicher  scheuer  ermanung  zw  andacht,  do  zaigt  man  vnns  des  ersten 
in  der  kirchen  auff  dem  berg  Sion  in  Chor  der  fron  Alltar,  das  ist  die 
Stat,  da  got  mit  seinen  lyben  Jüngern  das  letst  Abentmal  gössen  hat 
vnd  das  New  Testament  anfing  vimd  machet  laut  des  Euangeliums,  da 
ist  Vergebung  aller  sündt.  Oleich  daneben  ain  wenig  auf  die  Recht 
handt,  da  ist  auch  ain  Alltar,  da  ist  die  Stat,  do  vnnser  lieber  herr 
seinen  Jüngern  die  fuß  wusch,  da  ist  Vergebung  aller  sündt  Das 
ward   alles  mit  scheuer  proceß  vnd  lobgesang  gezaigt  vnnd   ersucht, 

1)  Itmerarimn  ins  h.  land.  II. 

2)  Vgl  oben  b.  178  (19.  juli).         3)  20.  juli,  vgl  oben  b.  178.        4)  LtLoke. 


.  *  r  -     -•  •.!.    ^ 


476  BÖHUCBT 

auch  mit  schenen  ermanungen  zw  Andacht  den  Bilgem  inn  Latein, 
Teutsch,  Welsch  gesagt  vnnd  fiiigehalten.  Also  gingen  mir  ans  bemel- 
ter  kirchen  mit  der  proceß  hinaus  auff  ain  scheue  Altar,  do  zaigt  man 
vnnB  oben  auf  diser  kirchen  ain  Cappel,  doch  yetz  zerstert  von  den 
Hayden  beschechen,  da  ist  die  Stat,  da  got  der  herr  den  hayligen 
gayst  am  Phingstag  zw  vunser  lieben  frawen  seiner  Rainen  Mutter 
Maria  vnd  den  hayligen  Zwelff  potten  sendet  laut  des  Euangely,  da 
ist  Vergebung  aller  sündt  Damach  giengen  wir  ain  stigen  ab  in  den 
krewtzgang  vnd  zw  ennd  des  krewt^^ngs,  auff  der  Rechten  handt  ain 
Gapell,  da  ist  die  khamer  gewest,  da  vnnser  lieber  herr  zu  seinen  Jün- 
gern zwaymal  durch  verschlosne  thür  einkham  nach  seiner  hayligen 
Yrstennde,  vnd  das  andermal  lies  er  im  Sant  Thoma  in  seine  haylige 
wunde  greyffen  Inhalt  des  heyligen  Euangeliums.  In  dem  Altar  dyser 
Capell  ist  auch  ain  stück  stain  einer  Ellenbogen  hoch  von  dem  seull, 
daran  vnnser  lyeber  herr  gegayslet  worden  ist  In  dyser  Eapell  ist 
auch  Vergebung  aller  sündt  — 

Wen  man  herauß  gat  auB  dem  kloster  auf  die  gerecht  hanndt, 
lygt  zwen  schritt  von  der  Brüder  kirchen,  do  zaigt  sich  an  ain  grott 
aller  gemain,  ain  scheue  kirch,  darin  sein  die  hernach  volgenden  stet 
als  in  begriffen  gewest  Erstlich  gleich  neben  der  Stiegen  aussen  an 
der  Kirchen  auf  die  gerecht  hanndt,  da  ist  die  Statt,  do  vnser  liebe 
Fraw  gewonet  hat,  vnd  ain  schlafiTkamer  gewest  ist,  vnnd  auch  von 
den  Engeln  offt  da  erhept  worden,  da  ist  ablas  Syben  Jar  7  Karen. 
Etwa  X  schritt  dar  von  auff  die  lingk  handt  für  sich  gegen  der  Stat 
zw  ist  die  stat,  do  sant  Matheus  zu  ainem  zwelffpotten  an  Judas  stat 
erweit  worden  ist,  da  ist  ablaß  7  Jar  7  Karen.  Von  dyser  stat  an 
Xn  schrit  da  ist  Sannt  Jacob  der  minder  zw  ainem  Bischoff  erweit 
worden,  ist  ablas  7  Jar  7  Karen.  Damach  gleich  ain  XY  schrit  weit 
wider  für  sich,  da  ist  die  Stat,  do  vnnser  liebe  fraw  nach  irm  todt 
gesalbet  vnd  balsamiert  worden  ist,  da  ist  ablas  7  Jar.  Noch  ain  wenig 
für  sich  da  ist  die  Stat,  ist  ain  Gapeil  gestannden,  do  vnnser  fraw 
XnU  Jar  nach  Cristi  vnsers  herrn  todt  gewonet  vnd  enthalten  hat  vnd 
auch  an  diser  Stat  verschyden,  da  ist  Vergebung  aller  sünd,  pein  vnnd 
schwld.  Ain  wenig  baß  hinumb  leicht  sechs  schrit,  dahe  ist  die  Stat, 
do  Sannt  Johanns  vnnser  lieben  Frawen  offt  meß  gehallten  hat,  da  ist 
Ablas  7  Jar  7  Karen.  Yiertzig  schrit  von  dyser  Stat  auff  die  lincken 
hannd  sein  zwen  stain,  bedewtten  die  Stett,  do  vnnser  lyber  herr  sei- 
nen lieben  Jüngern  gepredigt  vnd  dem  Yolck,  so  im  nachgeuolgt  hat, 
da  ist  vnnser  Fraw  gemaincklich  gegen  dem  herren,  als  da  ain  stain 
stat,  gesessen,  da  ist  Ablas  7  Jar  7  Karen.    Sechs  schritt  fürwartz  auf 


BIBICHT   ÜBER  nNS  JEBÜSALEHFAHRT.  H  477 

die  Becbten  haimd  an  der  kloster  Maur  ainwarts  da  ist  Dauids  grab, 
das  haben  die  Hayden  inn,  lassen  nymand  darein  von  Christen.  Syben 
schrytt  fimvarts  auch  an  dem  Gioster,  da  ist  die  Stat,  do  das  Oster- 
lamp  gepraten  worden  ist,  da  ist  ablas  7  Jar  7  Karen.  Drey  schrit 
dameben  ist  ain  Altar,  da  ist  der  erst  Marterer  sannt  Steffann  vnden 
begraben  worden,  ist  nit  mer  dann  auch  sonst  eüich  fronfasten,  da  ist 
ablas  Syben  Jar  7  Karen.  Drey  schrit  wider  hinder  sich  auf  die  ge- 
rechten handt  gegen  dem  Gioster  ist  ain  hocher  stain,  da  hat  vnnser 
lieber  herr  Jhesus  seinen  Jüngern  beuolhen,  sy  sollen  ausgan  in  alle 
Land  vnd  sein  vrstennd  vnd  das  Euangelium  predigen,  also  haben  sich 
daselbs  die  lieben  Jüngern  von  stund  an  nach  dem  gepott  des  herren 
zerthailt  in  alle  Lannd  vnd  von  ainander  vrlaub  genomen  laut  der 
hayligen  geschrifft,  da  ist  ablas  7  Jar  7  Karen.  Dyse  haylige  Stet 
sein  all  in  vorgemellten  kirchen  gwest  vnnd  in  eren  gehalten  worden 
mer  dann  yetz,  so  sy  zerstört  seind,  das  ist  durch  die  hayden  zerstert 
worden.  — 

Von  dem  borg  Sion  biß  in  das  hawß  Gaiphe  ist^  . .  schrit,  da 
ist  yetz  ain  kirchen  gepawt  — 

Yngefer^  ..  schritt,  da  ist  ain  stain,  bezaichnet  die  Stat,  do  die 
lieben  Jünger  den  todten  leyb  unser  lyben  frawen  in  das  Thal  Josaphat 
wollten  tragen,  da  haben  sie  gerwet,  da  sein  die  Juden  khomen  vnd 
haben  in  den  hayligen  leyb  wollen  nemen,  da  hat  ainer  die  bahr 
angriffen,  da  ist  er  von  stund  an  krumb  worden  vnd  seind  im  die 
hend  erdort,  do  das  die  anndem  ersachen,  das  hat  ir  gar  vil  zw  dem 
Christennlichen  glawben  kert,  da  ist  ablas  7  Jar  7  Karen.  — 

Damach  gingen  mir  fürpas  etwo'  . .  schrit,  do  khamen  mir  abwärts 
zw  ainem  Alten  gemaur  vnd  ainem  Yelsen,  da  ist  die  Stat,  da  Sant 
Fetter  sein  sünd  bewainet  vnd  büß  wircket  vmb  die  verleugung  Christi, 
laut  der  hayligen  geschrifft,  da  ist  ablas  7  Jar  7  Karen.  — 

Damach  ain  wenig  abwärts  do  sahen  wir  gar  sehen  staine  geng, 
do  das  Wasser  in  Salomons  Tempel  gelauffen  ist  Also  gingen  wir  ain 
wenig  fürbaß,  do  zaigt  man  vnns  auf  der  lingken  handt  hinauf  in  den 
Tempel  Salomonis  ain  gezew,  da  ist  die  Jungfraw  Maria  au%eopffert 
worden  in  den  Tempel  dreyunddreyssig  Staffel  hoch,  do  mag  man  nit 
hinkhomen,  dann  die  hayden  lassen  khain  Christen  in  im  Tempel,  wo 
aber  ainer  darinn  khem,  so  müst  er  sterben  oder  verleugnen  seins 
glawbens,  da  ist  Vergebung  aller  sünd  vnnd  missethat,  die  stat  anzu- 
sehen als  man  vnns  zaigt  hat  — 

1)  2)  3)  Lücke. 


478  BÖHBIGRT 

Von  dannen  gingen  wir  abwartz  bis  zw  ainer  stainen  brugk,  die 
vber  den  pach  Cedron  gat,  daselbst  ist  gelegen  vor  der  Marter  Christi 
dos  holtz  das  man  nitt  mochten  brawchen  zw  dem  Tempel  Salomonis, 
wo  man  das  hin  maß  so  was  eß  zw  kurtz  oder  zw  lanng,  da  weiten 
die  khunig(in)  von  Saba  ainßmals  spacieren  gan  an  den  berg  Oliueti, 
do  khamen  sy  an  den  stegg,  da  wolten  sy  nit  hinüber  gon  sunder  sy 
knieten  nider  vnd  betten  das  holtz  an  vnd  sagten:  0  du  Edels  holtz, 
an  dir  wirt  leyd^  vnd  sterben  der  sun  gottes,  der  himel  vnd  erdtrich 
beschaffen  hat!  Vnd  ist  durch  den  pach  Cedron  geganngen,  also  sich 
weytter  ausweyst  die  geschrifft  der  propheten  die  Eünigin  Sibilla  von 
Saba  genant,  in  dem  alten  Testament  Damach  ist  das  holtz  hinweg 
genomen  worden  vnd  in  ain  Weyr  gesenckt  für  den  Tempel  Salomonis, 
als  ich  weytter  melden  will,  vnd  ward  ain  ander  holtz  da  her  gelegt, 
da  yrtz  die  brugk  stat,  da  ist  vnser  lieber  herr  yfEt  durchganngen  in 
den  gartten  mit  seinen  lyben  Jüngern.  Ynd  als  er  gefangen  worden 
ist,  da  haben  die  Juden  den  lieben  herm  Jhesum  Cristum  an  der  stat 
mehr  vnbarmhertzlich  mit  schlagen  vnd  Ziehen  durch  den  Pach  ge- 
schlayfft  Da  ist  Vergebung  aller  sünd  für  pein  vnd  schwld.  Vnd  als 
mir  vber  die  pruck  khomen,  da  ist  ain  thum  von  ainem  gantzen  Yell- 
sen  gemacht,  den  hat  der  schön  Absolon  lassen  machen,  ain  sun  Salo- 
monis,  vermaint  sein  aigen  Yatter  dardurch  zw  bezwingen,  seins  wil- 
lens zw  leben.  Er  beschlieff  auch  dem  Yatter  seine  weyber,  als  sy 
dann  in  der  alten  Ehe  vil  weyber  gehapt  haben,  vnd  vmb  der  vnge- 
horsam  willen  des  Suns  dem  Yatter,  so  haben  die  hayden  ain  prawch, 
wen  ainer  furgat,  so  wirffi  er  mit  ainem  stain  in  den  Thum  vnd  ver- 
fluchen den  Sone  in  abgrund  der  hellen,  des  werfiFen  ist  so  vil  gewest, 
das  zw  diseer  Zeit  ain  großer  hawff  Stain  in  vnd  vor  dem  thmm  lygen 
vnd  haben  ain  groß  loch  durch  den  gantzen  Yelssen  geworffen.  Also 
gingen  wir  ain  wenig  auf  die  gerechten  hanndt  abwärts  vnd  darnach 
auf  der  lincken  hannd,  da  ist  ain  holer  berg,  da  hat  sich  Sanct  Jacob 
inn  verborgen  nach  der  gefenncknus  Christi,  bis  er  gekrewtziget  ist 
worden,  vnd  nit  weyt  dauon  ist  das  grab  Zacharie,  der  was  ain  Sun 
Bacharie  ^,  von  welcher  vnser  herr  vnd  heyland  sagt  im  euangelio.  Also 
gingen  mir  widerumb  hinder  sich  der  brugk  zw  vnd  für  auß  etwa  von 
der  brugk  bis  zw  der  Stat,  da  ist  gewesen  das  Dorff  Bethsemani^ 
. . .  schrit,  in  welchem  DerfKe  vnnser  lyber  her(r)  sein  acht  Apostl  ließ 
vnd  die  drey  mit  im  nam.    Da  ist  Ablas  7  Jar  7  karen.  — 

1)  Bemchja;  vgl  Matth.  XXin,  35. 

2)  Gethsemane;  lüoke. 


BBRIOHT  ÜBHt  CINX  JBRüSALUfFAHBT.    n  470 

Darnach  gingen  mir  noch  bey  ^  . .  sehnt  auffwarts  gegen  der  gerech- 
ten handt,  do  funden  mir  in  dem  garten  ain  groBen  Stain  Yellsen,  do 
lieft  vnnser  lyber  herr  die  andern  drey  Jüngern,  Petnim,  Johannem 
vnd  Jacobum,  da  sieht  man  auf  dyse  stund  in  dem  hertten  stain 
Yellsen,  wie  die  lieben  Jünger  gelegen  seind.  Da  ist  ablas  7  Jar 
7  karen.  — 

Also  gingen  wir  etwas  bey '  . .  schritt  hinder  sich  wider  abwartz, 
do  khamen  mir  zw  der  Stat,  do  vnnser  herr  dem  Yerretter  Juda  ent- 
gegen ging  vnd  sagt:  Frunt,  warzw  ist  es  khumen?  vnnd  zw  den  Juden 
redt  Er:  Wen  sucht  Ir?  Do  antworten  sy:  Jhesum  von  Nazareth.  Do 
sagt  der  Herr:  Ich  bins,  do  fielend  die  Juden  alle  nider  zw  Kuck,  nach 
laut  des  Euangeliums  vnd  Passions.  An  derselben  stat  ist  gleich  die 
stat,  do  der  herr  von  inn  auch  angefiedlen  vnd  ge&nngen  ward,  ain 
wenig  hinder  sich  auf  die  Rechten  hannd  abwärts  ist  das  ort,  do  Pe- 
trus Malchum  das  ohr  abhawt  In  dysen  stetten  ist  Vergebung  aller 
sünd.  — 

An  welcher  stat  man  gleich  gerad  gegen  der  gülden  Portten  sieht 
in  Tempel  Salomonis,  do  der  kayser^  frechlins  das  hayUg  krewtz  mit 
groftem  Triumpf  wolt  entfuer,  do  erschin  der  Enngel  auf  der  portten 
vnd  thet  sich  die  portten  zw  als  ain  Maur,  da  sagt  in  der  Engel :  Dein 
got(t)  vnd  dein  schöpffer  ist  in  groBer  diemutigkhait  auß  Jherusalem 
gangen,  du  solt  die  nit  mit  solchem  Triumpf  eingon!  Da  stund  der 
kayser  abzw  fiiß  mit  großem  schrecken  vnd  demutiget  sich,  do  thet 
sich  die  portten  wider  auff  vnd  do  trug  er  das  Grewtz  Cristi  in  dem 
Tempel  Salomonis,  als  die  haylig  geschrifEt  weyter  außweyst  Auch  ist 
durch  dyse  porten  der  Herr  Jhesus  von  dem  garten  hineingangen  vnd 
hat  die  khauffer  vnnd  verkhauiFer  außgetryeben.  — 

Zw  dyser  Portten  noch  in  den  Tempel  mag  man  nit  khomen  vor 
der  hayden  annderst  haimlich  doch  mit  großem  gefer,  daß  nit  wol  zw 
wogen  ist  Hie  dyse  portten  zw  sehen  mit  Andacht  vnnd  ein  pater 
noster  betten  und  ist  Vergebung  aUer  sündt  — 

Damach  gingen  wir  wider  auffwarts  ain  wennig  auff  die  Rechten 
handt  bey^  . .  schrit,  da  ist  der  Stain  Yells,  darauff  sannt  Thoma  geses- 
sen was,  do  die  aller  Bainest  Jungfraw  Maria  von  den  engein  erhebt 
ward  vnnd  zw  den  hymeln  gefiirt  Auff  dysem  Stain  Yelß  ließ  die 
hochwirdig  Mutter  aller  gnaden  sannt  Thoman  die  gürttel  vnd  Ir  hay- 
ligen  Uaider.    Da  ist  aplas  7  Jar  7  karen.  — 

1)  2)  Lücke. 

3)  Heraclios;  über  diese  sage  vgl.  G.  v.  Zezschwitz,  Yom  römischen  kaiser- 
tum  58.  174  fgg.  4)  Lücke. 


•   '*V.L     -. 


480  RÖHRICHT 

Demnach  gingen  wir  wider  abwärts  auff  die  lingen  bandt,  als  die 
Stat  auff  die  Becbten  bandt  ligt  Etwo^  ..  scbrit,  do  kbamen  mir  in  ain 
boU  des  Velssen,  do  der  berr  Jbesos  sein  gebet  verbracbt  vnnd  plat- 
tigen scbwayfi  scbwitzet  vnnd  gott  sein  bimliscben  Yater  patt,  Vatter 
(spracb  er),  ist  es  müglicb,  so  nim  den  kelcb  des  leyden  von  mir,  doch 
nit  mein,  sonnder  dein  will  gescbech!  Do  ist  der  Stain,  drauff  der 
Enngel  gestannden  ist  vnd  kham  zw  dem  berrn  vnnd  tröstet  die  men- 
schait,  das  ist  ain  ernstlich  andecbtige  statt  zw  sehen,  das  warlicb  kbain 
mensch  glawb  ich  daher  kompt,  er  ersewfftzet  von  bertzen  vnd  wird 
gotforchtig.    Da  ist  aplas  Vergebung  aller  sünd.  — 

Ain  wenig  abwartz  von  dem  gartten  auff  die  linck  bannd  in  das 
thal  Josaphat  Etwo  ^  . .  schrit,  da  kbomen  mir  zw  ainem  schonen  Alltar 
kirchen,  ist  gar  inn  die  Erd  gepawen,  Achtundviertzig  Staffel  ain  Ste- 
gen ab.  Damach  in  dem  vordem  pogen  des  Erewtz  auff  die  Rechten 
hanndt,  da  ist  der  Mutter  aller  gnaden  vnnser  lieben  frawen  der  Rai- 
nen Jungfraw  Maria  begrebnuß,  das  ist  ain  klains  Gapellen,  in  deren 
großen  vnd  klainen  Capelln  ist  das  wirdig  grab  wie  ain  alltar  gemacht, 
brennen  stets  der  gantz  bogen  voller  ampeln,  gar  andechüich  zw  sehen, 
gat  zw  ainem  klainen  thürlin  fürwarts  gegen  dem  grab  hinein  vnd  aoff 
die  lingk  hanndt  wider  heraws.  In  der  kirchen  ist  ain  brunnen  vnd 
vast  kalt  wasser  darinn,  vnd  so  man  die  stygen  wider  auf  gat,  so  ist 
auff  dem  halbthayl  der  Stegen  auff  der  Rechten  seytten  das  grab  in  die 
seytten  Mur  in  ainer  Eapell  des  hayligen  Sannt  Joachims,  vnnd  auf 
der  ander  seytten  in  ainer  Capell  das  grab  der  hayligen  Mutter  Sannt 
Anna.  Die  hayden  haben  die  kirchen  inn  vnd  verphngen  ir  beth,  da 
ist  gar  Vergebung  aller  sünd  für  pein  vnd  schwld.  AuSwarts  von  dyser 
kii*chen  auff  die  gerechten  bannd  etwo  15  schritt  da  ist  der  Stain,  do 
der  erst  Marter  sannt  Steffan  auffgelegen  ist  vnnd  mit  stainen  auff  der 
Stat  erworffen,  da  ist  er  also  pelyben,  bis  die  Christen  kbomen  sein 
vnd  in  vergraben,  do  sieht  man  noch  scheinbarlich  in  stain  Yellsen, 
wie  der  lieb  haylig  gelegen  ist     Da  ist  ablaß  7  Jar  7  karen.  — 

Noch  baß  hin  auffwarts  gegen  der  Stat  Jherasalem  ongefer  acht- 
undzwaintzig  schrit,  do  ist  ain  stain  Teils,  darauff  Sannt  Paulus  geses- 
sen vnd  hielten  den  Buben,  die  Saimt  Steffan  verstaingeten,  ir  klay- 
der,  damit  sy  deß  ringer  zu  werffen  betten,  dann  er  deßmals  nodi 
jung  vnd  nit  kristen  was.  Weytter  gingen  mir  fürhin  in  die  Stat  Jhe- 
rusalem,  nit  weyt,  do  kbamen  mir  auff  die  lingk  bannd  in  ain  gassen 
für  ain  portten  des  Tempels  Salomonis,  daselbs  auf  die  gerechten  handt 

1)  2)  Lücke. 


BERICHT  ÜBER  KÜVE  JERÜSALSMFAHRT.   II  481 

ist  der  weyer  gewest,  do  das  holtz  oder  stog,  der  vber  den  pach  Cedron 
gelegen  was  (alls  ich  vor  auch  gemelt  hab),  in  demselben  weyer,  wan 
ainer  kranck  was  vor  dem  leyden  Christi,  vnd  sobald  er  sich  darinn  ...^ 
so  ward  er  gesand.  Zw  der  Zeyt  des  leyden  Christi  kam  dasselb 
heraws  vnd  schwam  empor,  ward  eß  herauß  genomen  vnnd  das  haylig 
krewtz  von  gemacht    Da  ist  aplas  7  Jar  7  karen.  — 

Der  weyer  hayst  Depissyna^  Deßmal  gingen  mir  gestracks  die 
lanngen  gassen,  do  vnnser  lieber  herr  das  krewtz  getragen  hat,  zw 
Herberg.  — 

Am  Sonntag  zwu  stund  auff  den  tag,  do  ließ  man  vnns  wider 
auß  dem  hayligen  Tempel  des  hayligen  grabs  vnd  borg  Caluaria,  do 
gingen  mir  zw  herberg  vnd  aßen,  nach  mittag  do  rwentten  mir  biß 
zw  Yesper  Zeit,  do  kham  der  brüder  ainer  ab  dem  berg  Sion  vnd  fürtt 
vns  weitter,  haylig  Stett  zw  besuchen  vnnd  zw  sehen.  Erstlich  gingen 
wir  dem  Schloß  zw,  das  auf  der  Bechten  hanndt  des  wegs  gen  dem 
berg  Sion  ligt,  damor  ist  ain  platz  vnd  ain  stain  bey  ainem  Brunnen, 
do  mag  man  die  drey  hayligen  Tempel  sehen.  Erstlich  den  Tempel  des 
hayligen  grabs  Christi  vnnd  des  bergs  Caluarie,  der  annder  den  Tem- 
pel Salomonis,  den  dritten  Tempel  vnd  Berg  Oliueti.  Dyse  Stet  zu 
sehen  mit  andacht  vnd  ain  Pater  noster  zw  sprechen,  ist  ablas  7  Jar 
7  karen.  — 

Weytter  für  sich  gen  dem  berg  Sion,  do  khomen  mir  zw  ainer 
kapellen,  da  ist  die  Stat,  do  vnnser  lieber  herr  zw  den  drey  Maria 
kham  nach  der  vrstennde  vnnd  sprach:  Seyt  gegrüßt  Ir  Maria,  laut 
Euangelio.  Da  ist  ablas,  wie  ofitgemelt  Ein  wenig  bas  für  sich  auff 
der  lincken  handt  ist  ain  kirchen,  haben  die  Armenier  innen,  da  ist 
der  groß  Sannt  Jacob,  der  yetz  in  Oallicia'  ligt,  von  Herode  enthawpt 
worden,  die  statt  ist  ain  wenig  hiufür  auff  der  linck  hannd,  so  man 
hinein  gat,  ist  ein  kapellen,  da  ist  7  Jar  7  karen.  — 

Ton  dann  gingen  mir  in  das  haws  Cayphe,  da  ist  ain  kirchen 
in,  die  haben  die  Sürgani^  inn,  sein  auch  Christen,  da  ist  auff  dem 
vordem  Alltar  der  Stain,  der  vor  dem  hayligen  grab  Cristi  gelegen, 
daruff  der  Enngel  stundt,  nach  dem  Euangelio.  Auff  der  Bechten 
hanndt  ist  ain  klains  thorlin,  darinn  ain  gewelblin  vast  enng,  da  ist 
vnnser  herr  eingefencklich  gelegt  worden,  dieweyl  die  Juden  Bath  bet- 
ten wider  den  herm  zw  todten,  vnd  alß  man  auß  der  kirchen  gat 
hinauß,  da  ist  ain  Loch  auff  der  linck  hannd  in  der  Maur,  da  ist  der 

1)  Lücke.  2)  Probatica  piscina.  3)  Santiago  di  Ck)mpostella. 

4)  Smianer,  syrische  Christen. 

ZBTBOmilFT  F.   DEÜTBOHI  PHILOLOa».      BD.   XXV.  31 


t'.  •  •         •  -■-  ■  l-^  -« 


482  B5HBinn 

han  gesessen,  (do  Petras  veriaDguet)  de  er  dreymal  'krehet  Vnd  ain 
wenig  für  sich  anff  die  Rechten  hannd,  da  ist  ain  pktz  vmbnEiaurt 
vnd  stat  yetz  ain  bäum  darinn,  do  ist  das  fewr  gewest,  do  Petras  bej- 
stund  vnd  ynsem  lyben  herm  dreymal  yerlangnet  In  dyser  kirchen 
vnd  stat  ist  dem  herm  aller  yerschmacht  bescheen  vnnd  auch  von 
Eayphe  beschworen.     Da  ist  Vergebung  aller  sünd,  pein  vnd  schwld.  — 

Yon  Eaiphee  hawB  in  das  hawft  Anne  309  schritte  Aber  der 
herr  ist  auft  dem  gartten  in  Anne  hawß  gefuert  worden,  ist  auch  ain 
kirch,  haben  die  Armenier,  auch  Christen,  inn.  Bey  dem  vordem  Al- 
tar auf  der  lingken  hannd,  da  ist  der  herr  von  Anne  gefragt  Da 
gab  im  der  knecht  Anne  ain  backen  straich  laut  des  hayligen  Euan- 
geliums,  da  ist  veigebung  aller  sündt  Vnnd  alB  man  wider  ausgat 
auf  die  Rechten  band,  da  statt  ein  Ölbaum  yetz  in  ainem  Eck,  do  ist 
zw  der  Zeyt  des  leyden  Christi  ain  Feygennbaum  gestannden,  da  ist 
vnnser  lieber  herr  angebunden  worden,  ehe  das  er  für  Anne  gepracht 
was  in  das  hawA.    Da  ist  ablas  7  Jar  7  karen.  — 

Von  dann  gingen  wir  für  sich  auff  die  lingk  hannd  fürt  hinab 
ain  lange  gassen,  darnach  auf  die  Rechten  hannd  ein  lange  gassen 
vnnder  ainem  gewelb  hinauf  zw  ainer  Portten  des  Tempels  Salomonis 
porta  spedosa  genant,  da  sahen  wir  hinein  mit  gepett  ains  Patter  noster, 
gingen  also  vber  der  hayden  gewonhait  oder  prawch  die  stigen  mehr 
den  halb  auff,  das  sollten  wir  nit  gethon  haben,  sonnder  die  schwch 
ausgezogen,  deshalb  die  hayden  ser  zornig  wurden  vnd  vnnser  Yatter, 
der  vnns  füret,  die  hennd  zerkretzt,  auch  mit  wasser  geschüdt  vnd 
etlich  Bilgern  vbl  geschlagen  vnnd  gestossen,  welche  vast  hindennacfa 
giengen.  — 

Also  gingen  wir  dieselb  lang  gassen  wider  hinder  sich  vnnd  auff 
die  gerechten  hanndt  ab,  vnnd  damach  wider  ain  gassen  ein  zw  ainer 
anndem  portten,  den  Tempel  Salomonis  zw  sehen,  do  vnns  kain  layd 
beschach,  da  ist  auch  aplas  usw.  — 

Yon  dann  gingen  wir  wider  auffwarts  in  die  lang  gassen,  do 
vnnser  lieber  herr  das  krewtz  in  getragen  hat,  do  khomen  mir  zu  dem 
hawß,  do  Maria  Magdalena  vnserm  erloser  die  tat  gewaschen  laut  vnd 
Inhalt  des  Euangely,  do  ist  gleicherweyß  aplas  7  Jar  7  karen.  Da  ist 
ir  sünd  vergeben  worden.  Ain  wenig  baB  auffwarts  do  khamen  mir 
zu  des  reichen  Manns  hawfi,  der  Lazarum  lieft  vor  der  thür  lygen  lauts 
Ewangely.    Noch  baft  hinauff  khomen  mir  zw  dem  hawB,   do  vnnser 

1 — 7)  Alle  diese  angaben  sind  neu  und  variieren  erbeblich  von  den  bei  Tob- 
1er,  Topogr.  I,  240  gegebenen  entfemnngen. 


BXKIGBT  ÜBEB  fINB  JS&tTSALKMFAHRT.  n  483 

liebe  Fraw  die  Mutter  aller  gnaden  iren  lieben  san  das  erstmal  sach 
das  krewtz  auf  seinem  hayligen  Rücken  tragen,  do  ir  ain  schweki: 
durch  ir  hertz  ging,  da  ist  gleicher  ablas  wie  gemelt  ist  Damach 
khamen  mir  zw  dem  hawß  Filati,  do  zaigt  man  vnnß  den  gang  vber 
die  gassen  herüber  vnd  die  zwen  stain  in  die  Mawr  gemaurt,  darauff 
vnnser  lieber  herr  vnd  Pilatus  gestannden,  als  er  den  herm  den  Juden 
zaigt  vnnd  sprach:  Ecce  Homo,  da  schrjen  sy  all:  Crucifige  eum, 
lauth  deshalb  Eüangeliums.    Da  ist  gemelter  Ablas  7  Jar  7  karen.  — 

Damach  gingen  mir  in  das  Hawfi  Pilati,  do  musten  mir  auch 
ainer  ain  Medin  geben,  da  waren  Mamelucken  in,  zaigt  man  ynnS  ain 
schon  hoch  gewelb,  ist  oben  noch  gemalet,  inmitten  desselben  gewelbs 
da  ist  die  stat,  do  vnnser  lieber  herr  gegaislet  worden,  auch  in  dem- 
selben gewelb  gekronet,  da  ist  es  aber  alls  in  vneer  gehallten,  stond 
yetz  Boß  darinn,  das  die  Christen  pülich  zw  hertzen  sollten  nemen 
Tnnd  helffen  die  vnglawbigen  von  sollichen  Stetten  vertreyben.  Da 
ist  auch  Vergebung  aller  sünd.  Es  wurden  auch  etlich  bilgem  daseibs 
vbel  geschlagen  vnd  von  den  Mamülugken  vnderstunden  zw  versper- 
ren, vmb  gelt  auff  zw  hallten,  das  aber  durch  den  herm,  so  mit  vnns 
ging,  abgestelt  ward.  Yon  Pilattus  hawß  khomen  mir  den  rechten  weg 
fürwiuiz  bis  auff  ain  krewtz  gassen,  do  kham  auff  der  rechten  hanndt 
der  arm  Simon  von  ainem  Dorff  her  ganngen;  der  da  must  das  krewtz 
nemen  vnd  dem  herm  tragen  helffen,  da  ist  aplas  7  Jar  7  karen.  Ain 
wenig  furpaß  an  einem  Eck,  alß  man  vff  die  rechten  hanndt  in  die 
gassen  wil  gon  gen  dem  Berg  Galuarie,  da  stat  ain  stain,  ist  die  stat, 
do  der  herr  sprach  zu  dem  Yolck:  Nit  wainet  vber  mich,  sunder  vber 
ewch  vnnd  ewre  khindter!  Das  ist  Ablas,  wie  obstet  Ain  wenig  baß 
auffwarts  gar  nach  bey  der  Alten  Statt  Thor  gen  borg  Galuarie,  da  ist 
das  hawß  der  hayligen  Frawen  Yeronica,  die  heraws  ging  vnd  dem 
Herm  ain  Tuch  gab,  sich  daran  zw  trocken,  auch  im  also  nachuolgt, 
da  ist  ablas  7  Jar  syben  karen.  — 

Yon  Pilatus  hawß  bis  zw  dem  hawß  vnnser  lyben  frawen,  do  sy 
in  sach  das  krewtz  tragen,  122  schrit,  vom  haws^  Pilati  bis  an  das 
Ennd,  da  Simon  das  krewtz  nam,  ist  210  schritt  —  Mer  vom  hawß 
Pilati  bis  an  den  berg  Galuarie  ist  950  schritt.  — 

Yom  Bach  Gedron  biß  zy  dem  hoel  Petre  vorgemelt  vnd  angezaigt 
ißt  226  schritt«.  — 

Yon  dem  hoel  biß  zw  der  Stat,  do  sy  vnnser  fraw  nidersatzten, 
als  sy  zw  grab  trugen,  schritt  303®.  — 

Yon  der  Stat  bis  an  die  Staffel  des  Bergs  Sion,  do  der  herr  das 
nachtmal  aß  mit  seinen  lyben  Jüngern,  ist  schrith  370^.  — 

31* 


jrr,  7  .         ÄH--.'.  <, 


484  BÖBUCBT 

Montag,  der  do  was  der  tag  Maria  Magdalena  frw  da  gingen  mir 
ain  stund  vor  tags  den  perg  Sion  zw  vnd  namen  die  prader  sanipt 
vnserm  Patron  ainstbayls  mit  vnnß,  des  Ersten  gein  der  lingken  hannd 
für  die  vorgmelten  stet,  so  da  lygen  bis  an  den  bach  Cedron  rber  die 
prugk,  do  der  herr  vnnser  Erloser  durch  das  wasser  geschlaifit  ward, 
da  ist,  als  ichs  vor  auch  gemeld  hab,  Vergebung  aller  sünd.  Do  gin- 
gen mir  auff  die  Rechten  hanndt  hin  vnnd  auff  die  linck  band  dem 
perg  auff  etwon  ain  halb  welsche  meyl,  da  khomen  mir  zw  dem  hawfi, 
ist  nit  mer  dann  noch  ain  alt  gemaur,  zw  des  verretters  Judas,  auch 
dapey  hat  er  sich  selbs  erhennckt,  das  ist  ain  böse  statt,  da  khain 
andacht  ist  zw  suchen.  Also  gingen  wir  den  weg  für  vnnß  hin  mer 
etwo  ain  halb  welsch  meyl,  da  zaigt  man  vnns  die  Stat,  do  der  feygen- 
paum  gestannden  ist,  den  vnnser  herr  verflucht,  da  sein  noch  mehr 
feygenbaum,  aber  sy  geben  noch  khain  guete  frucht  nit  Weytter  gin- 
gen mir  ftirbas  noch  ain  halbe  welsch  meyl,  do  khomen  mir  gen  Be- 
thania,  ist  gar  zerstört,  aber  ain  zimiiche  große  Stat  gewest,  alls  sich 
der  Zirckel  des  allten  gemewr  auBweyst,  vnd  ist  vast  stainig,  boß, 
rauch  gepirg,  hat  doch  gut  frucht,  das  zuuerwundem  ist  Da  gingen 
mir  des  Ersten  in  das  hawß  Simonis  leprosi,  da  hat  Maria  Magdalena 
dem  herm  die  fQB  gewaschen  vnnd  gesalbet,  da  ist  ablas  7  (Jar)  7  ka- 
ren.  Aber  ir  sünd  ist  in  da  nit  vergeben.  Baß  abwärts  ain  wenig 
auff  die  Recht  hannd  für  sich,  do  khomen  mir  zw  dem  Gasteil  Lazari, 
von  dann  noch  bas  für  sich  zw  dem  grab  Lazari,  ist  ain  Kirchen, 
haben  die  hayden  inn,  must  ainer  ain  Medin  geben.  Hinder  dem 
grab  binden  in  der  kirchen  da  ist  die  stat,  da  Jhesus  vnser  haylmacher 
gestannden  ist  vnnd  Lazarum  hieß  auffston.  Darnacii  gat  man  noch 
baß  hinder  sich  in  ain  gewelb«  do  muß  man  vnnder  der  Erd  in  ain 
loch  schlieffen,  kompt  man  wider  in  ain  klains  niders  gewelblin  gantz 
on  licht,  das  ist  newn  schwch  brayt  vnd  X  schweb  lanng,  das  ist  die 
stat,  do  Maria  Magdalena  in  büß  gewürckt  hat  7  Jar,  an  den  drey 
stetten  ist  Vergebung  bey  yedem  ort  alle  sündt  Darnach  gingen  mir 
zw  dem  hawß  Martha,  do  ist  gar  khain  Maur  mehr,  aber  man  sidit 
noch,  daß  ain  schoen  Zister  oder  ...^  da  gewest  ist,  da  ist  vnnser  herr 
vast  vil  gewest  Auch  khamen  mir  gleich  zw  dem  hauß  Maria  Mag- 
dalena, das  hat  noch  gemeur,  da  ist  der  herr  auch  ye  gewest,  In 
yetlichem  hawß  ist  Ablas  7  Jar  7  karen.  Also  gingen  wir  abwartz  zw 
dem  Stain,  do  vnnser  lieber  herr  aufirwhet,  als  er  vom  Jordan  khomen 
was.    Do  khamen  die  Maria  Martha  zw  dem  herm,  klageten:   0  herr, 

1)  Lüoke. 


BERICHT  ÜBER  EINB  JEBÜSALEMFAHBI.   U  485 

vnnser  brader  ist  gestorben,  werst  du  hie  gewest,  Er  lebt  noch,  also 
sagt  der  herr  weyter  (im  Euangelio):  Gut  hin,  Lazarus  wirt  wider  auff 
ston;  da  ist  ablas  7  Jar  7  karen.  Damach  zugen  wir  weytter  für  auf 
die  gerechten  hanndt  den  berg  binden  auf  Oliueti,  do  khamen  mir  an 
die  stat,  do  das  dorfflin  Betphage  gewest  ist,  da  vnnser  herr  die  zwen 
Jünger  von  im  in  die  stat  schickt  auf  den  palmtag,  ime  die  zwen  Esel 
zw  pringen.    Da  ist  ablas,  wie  nechstgmelt  ist  — 

Ain  wenig  fürpas,  do  khamen  mir  zw  ainem  großen  stain,  ist  ein 
Yelft,  do  der  herr  auf  den  Esel  saß  vnnd  noch  all  Jar  so  khomen  alle  . .  .^ 
von  Gristen  vnd  die  brüder  vom  berg  Sion  dahin,  vnd  setzen  den  Gar- 
dion auf  ain  Esell  auf  den  palmtag  vnnd  werffen  im  Zweyg  von  dem 
Ölbaum  vnnder,  gleich  wie  vnnser  Erloser  eingeritten  ist  biß  auf  den 
berg  Sion.    Da  ist  aplas  7  Jar  7  karen.  — 

Vnnd  alls  mir  auff  den  berg  Oliueti  khomen,  do  gingen  mir 
abwärts  vnnder  die  Erdt,  da  ist  ain  kirch  der  hayden,  ist  die  stat,  do 
sant  Pelagia  büß  gewürckt  hat,  mir  musten  auch  ain  Medin  geben.  Da 
ist  aplas  wie  vorgmelt  Demnach  gingen  mir  wider  auffwarts  in  den 
hayligen  Tempel  des  hayligen  berg  Oliueti,  da  ist  ain  schone  großQ 
kirchen  gewest,  darinn  ist  auch  ain  Mindere  Gapell,  die  ist  noch  ganntz, 
darinn  ist  der  Stain,  darauff  vnnser  lyber  herr  gestannden,  do  er  zw 
Himel  fuor,  do  sieht  man  noch  den  drith'  gerayt  von  ainem  fuß  des 
herrn,  wie  Er  gestanden  ist  Die  kirchen  haben  die  Hayden  inn  vnd 
in  Eeren,  verpringen  auch  ir  gepett,  da  ist  Vergebung  aller  sünd  für 
pein  vnd  schwld.  Damach,  als  wir  auß  der  kirchen  khomen,  do  gin- 
gen wir  ain  wenig  auff  die  Rechten  hanndt,  da  ist  die  Statt,  do  die 
zwelff  Jünger  bey  ainander  waren  vnd  den  glawben  machten,  vnd 
hynach  den  an  allen  orten  vnd  Lannden  predigt  Da  ist  auch  souil 
Ablas.  — 

Damach  gingen  wir  wider  auff  die  lingk  hanndt  hinumb,  nach 
ainer  stain  Maur,  da  sein  stain  YeUs  vnd  locher  darinn,  da  hat  vnnser 
lyber  herr  vnd  heyland  seine  Jünger  das  Patemoster  gelernt  Da  ist 
Ablas  wie  uorgmelt  7  Jar  7  karen.  — 

Demnach  gingen  mir  wider  ain  wenig  auff  die  Rechten  hanndt,  do 
ist  die  stat,  do  die  Jünger  zw  dem  herrn  khamen  vnnd  fragten  in:  Herr: 
wie  baldt  wird  das  Jüngstgericht?  Antwort  der  Herr:  Ir  solt  nit  vns- 
sen  die  haimlichait  meins  himlischen  Yatter  vnd  mein,  sonnder  Er  ver- 
sprach In  da  den  hayligen  gaist  zw  schicken ,  der  sy  solt  aller  warhait 
vnnderweysen  laut  Euangeliums.    Da  ablas,  wie  vorstet    Baß  abwärts 

1)  Lücke.  2)  Tritt 


,    fc»    r"  7  *"     "VS    ^     mm 


486  BÖHBIGBI 

auf  die  ling  hanndt,  da  ist  die  stat  bey  ainem  gartten  Thor,  da  ynnser 
liebe  Fraw  offt  geniet  hat  nachdem,  alis  sy  die  hayligen  Stett  nach 
dem  leyden  Christi  gesucht  hat.  Da  ist  auch  gemelter  aplas.  Damach 
gerad  für  sich  abwärts  khomen  mir  an  die  haylig  statt,  do  der  herr 
vber  die  Stat  weinet,  dauon  stond  noch  zwelf  Ölbaum,  die  zw  der  Zeit 
gestannden  seind,  do  die  Juden  die  Zweig  abprachen  vnd  dem  herrn 
vnderwurffen,  als  er  auf  den  palmtag  gen  Jherusalem  ryth.  Die  stat 
ist  auch  gerad  gegen  der  gülden  portten  vber,  aber  ligt  hocher  dan 
der  gartten,  do  der  herr  in  gepettet  hat  Do  gerad  darob  da  haben 
die  hayden  auch  ein  bethhawB,  aber  offen,  da  ist  auch  aplas  wie  berürt 
7  Jar  7  karen.  — 

Demnach  gingen  wir  wider  abwartz  in  das  gewelb,  do  der  herr 
bettet,  vnd  von  dan  in  vnnser  lieben  frawen  kirchen,  do  sy  ward  be* 
graben,  da  musten  mir  aber  ain  Medin  geben,  do  holten  mir  den  Aplas, 
do  ist  Vergebung  aller  sünd.  Nach  dem  gingen  wir  heim  vnd  rwheten 
in  der  herberg  bis  nach  dem  nachtmal.  — 

Am  Montag  zw  Abent  am  tag  Maria  Magdalena,  do  gingen  mir 
auB  mit  zwen  bnider  von  dem  Berg  Sion,  zaigt  vnns  etliche  mechti^ 
allte  bew,  die  Christen  gethan  haben,  auch  die  Bodisser,  dieweyl  sy 
Jherusalem  inngehapt  Do  khamen  mir  zw  der  ersten  Portten,  als 
Herodes  Petrum  gefanngen  hatt  vnd  wolt  in  todten  lassen  vnd  die  Chri- 
sten vertreyben,  aUs  das  die  Christen  vemomen,  do  gingen  sy  in  ain 
Tempel,  do  waren  man  auch  inn  vnd  haben  in  noch  die  ...^  seind  die 
eltsten  kristen,  wir  Bochen  seyd  des  leyden  Christi'  vnd  betten  ain 
versamlung,  wie  sy  sich  hallten  sollten,  waren  ganntz  verzweyfflt,  da 
ir  Herr  Bischoff  Petrus  gefanngen  was  vnd  also  solt  gedoet  werden, 
do  kham  Sannt  Petter  auß  der  gefenncknus  vnd  ging  die  eysse  portten 
gen  inne  auff',  vnd  ging  zw  den  Christen  in  das  hawß,  trost  sy  laut 
der  Episteln:  Misit  Herodes  Bex^.  — 

Da  ist  an  bayden  orten  aplas  7  Jar  7  karen.  — 

Demnach  gingen  mir  wider  hinder  sich  zw  dem  haufi,  do  Sannt 

Joannes  in  geporen  was,  ist  gar  ain  alten  kirchen,  haben  die  Orecy 

innen,  die  haben  nur  ain  got,  ain  glauben,  ain  bett,  ain  Alltar,  musten 

wir  auch  ain  Medin  geben.    Da  ist  Aplas  wie  gemelt  ist  7  Jar  7  karen. 

Am  Zinstag  morgen  frw  komen  mir  auff  den  peig  Sion,  do  hor- 
ten mir  Meß,  nach  demselben  gingen  wir  auf  die  Bechten,  den  berg 
hinfüer,   da  wardt  vns  gezaigt  der  borg,  der  ligt  am  tall  Ennon^,   do 

1)  Lücke.  2)  Unverständlich.  3)  Vgl  Tobler,  Topogr.  I,  413  fg. 

4)  Actor.  Xn,  19.  5)  Hinnom. 


BERICHT  ÜBBB  SINB  JBBUBALIMrAHBT.  n  487 

der  EoDgel  zw  Abraham  kam  vmid  zaigt  im  den  berg  Galuarie,  da  soll 
er  sein  sun  opfFem,  des  er ^  ... 

Weytter  abwärts  gingen  wir  hinab  in  dem  Thall  Sillo',  da  ist 
ain  brun  auff  der  gerechten  hanndt  tieff  in  Felssen,  da  hat  vnnser  liebe 
Fraw  dem  Herrn  Jesu,  irem  Sun,  die  windlen  oder  tüchlen  gewaschen 
in  seiner  Jugend,  da  ist  khain  aplas  nit  Wir  gingen  auffwarts  das 
tbal  auff  die  gerechten  hannd,  do  khamen  mir  zw  ainem  Wasserfluß 
stilL  Da  ist  ein  schon  allt  gepew,  der  fluB  eingefaßt,  auch  ain  weyer 
▼nnd  ain  schonen  gartten  gewest,  yetz  aber  alls  zerstört,  dan  der  fluB 
ist  noch  vnnd  das  aUt  gemeur  in  der  Erden  stat  noch.  Dis  hat  Salo- 
mon  gepaut  Es  haben  auch  die  Eünig  gemaingklich  an  diesen  enden 
triumphiert  vnnd  auch  die  Abtgotter  angebett  In  dysem  wasser  ist 
der  vssatzig  gesund  worden,  alls  in  der  herr  hieß  darinn  gon  sich 
waschen,  laut  im  euangelio.  Da  ist  alles  7  Jar  7  karen.  Auff  die 
ling  hannd  hinder  sich  da  zaigt  man  vns  die  stat  bey  ainem  bäum, 
da  ist  vor  Zeitten  ain  Hollderbaum  gestannden,  da  ist  Elesias^  der 
prophet  eingestossen  worden  vnd  mit  ainer  hilltzen  seggen  enntzway 
geschnitten.    Da  ist  ablaß,  wie  oben  gemelt  ist  — 

Darnach  bas  auffwarts  auff  die  gerechten  hanndt  an  berg  der 
lincken  hannd,  da  khomen  mir  zu  vill  Jüdischen  begreben  vnd  dar- 
nach zw  ainer  Hoell  im  berg,  do  sich  die  lieben  Jünger  den  merer- 
thayl  in  verporgen  vnd  verschlüffen  in  dem  leyden  Christi,  drey  tag 
vnd  drey  necht    Da  ist  gleicher  Aplas.  — 

Ain  wenig  bas  auffwartz  des  beigs  kamen  mir  auff  den  Acker 
Achel  domach,  der  vmb  die  dreyssig  pfenning  ward  kaufft,  darumb 
vnnser  erloser  verkhaufit  vnnd  verraten  was  worden,  den  hat  Sannt 
Helena  lassen  vmbmuoren  vnd  oben  gewelben,  hat  oben  newn  loecher, 
dreyssig  schritt  lanng,  XXV  braith^,  do  pflicht  man  die  Christen,  so 
es  b^gem,  die  zw  Jherusalem  sterbennd,  einzulegen,  da  wirfft  man  sy 
hoch  hinab  durch  die  loecher.    Da  ist  ablas  7  Jar  7  karen.  — 

Yen  dissem  gotsacker  gingen  wir  durch  ein  Weingarten  vnnd  in 
ain  thayl,  haist  Ennon,  do  sahen  mir  auf  die  lingk  hannd  oben  lygen 
für  sich  ain  wenig  das  hauß  malo  consilio  des  bössen  Bats,  do  Judas 
einkam  zw  den  phariseyen  vnd  vnsem  herm  verkhaufit  ^  — 

Demnach  ain  wenig  fiir  sich  in  dem  Thal,  da  ligt  gar  ein  schone 
Statt  aines  weyers  gewest,  auf  der  gerechten  hannd  ain  alter  thum, 
dapey  ein  schöner  lustgartt,  das  hat  Dauidt  im  zw  lust  gepawen^   Zw 

1)  Lücke.  2)  Sfloah.  3)  Jesaias;  vgl  Tobler,  Topogr.  II,  205—6. 

4)  Andere  masse  ebd.  262^263.  5)  Vgl.  ebd.  6—12.  6)  Ebd.  82. 


488  RÖHBIOBT 

sollichem  waeser  was  daS  weyb  Yrios  ain  Ritter,  den  Daoidt  in  kri^ 
schickt  mit  beuelch,  das  er  solt  erschlagen  werden,  Potsebea  genant, 
vnd  ließ  ir  ain  magt  ire  fußh  waschen,  deshalb  Dauidt  vor  der  thär 
durchgesiebt  der  weyssen  pain,  in  lieb  entzünt  wardt  vnd  sündet, 
darumb  er  darnach  büß  gewürckt  vnnd  die  puß  Psalmen  gemacht 
Damach  gingen  wir  das  thall  auff  an  dem  berg  Sion  aolF  die  gerecht 
hannd,  do  khainen  mir  zw  dem  starcken  schloß,  das  die  von  Pissa 
gepawet  haben,  aber  es  ist  auch  zerstört,  sonnder  eß  haben  ytz  die 
Türckischen  herrn  hawß  darinn.  Do  gingen  wir  in  vnser  herberg  vnd 
rweten  bis  zw  Vesper  Zeit  usw.  — 

Nach  vesper  ließ  man  vns  wider  in  den  Tempel  des  hayligen 
grabs  usw.  — 

Am  Sambstag  nach  mittag  vmb  vesper  Zeytt  wurden  wir  in  den 
wirdigen  hayligen  Tempel  des  hayligen  grabs  gelassen.  Ynnd  als  wir 
hinein  khomen,  da  samleten  wir  vnns  in  der  Brüder  Capell  von  dem 
berg  Sion,  vnd  darnach  hüben  die  brüder  ain  schone  proceß  an  ynnd 
gingen  des  ersten  in  die  Kapelle  der  vrstennd  Cristi,  geweicht  der  eer 
vnnser  lyeben  frawen,  mit  andechtigem  gesanng  vnnd  hetten  wir  Bil- 
ger  all  brünnend  kertzen  in  den  henden.  Also  des  ersten  so  zaigt  man 
vnns  den  ober  mitler  altar  der  Capell,  da  hat  vnnser  liebe  fraw  gerwet 
nach  dem  tod  Christi,  biß  sy  warlich  die  vrstennd  Christi  ires  lieben 
Sun  gewust  hat,  in  der  Capell  auff  der  Rechten  hannd  ist  ain  altar, 
darinn  von  ain  stuck  von  der  seul,  daran  Christus  vnnser  erloser  ge- 
gayslet  worden  ist  Auff  der  lingken  hannd  der  Capelln  vnnd  das  halb- 
thayl  von  dem  hayligen  krewtz  verborgen  in  die  maur,  da  ist  auch 
ain  altar,  das  ander  thayl  ist  gen  Constantinopel  gefürt  worden.  Doch 
so  soll  noch  ain  stuck  in  dyser  Mur  lygen  von  dem  krewtz,  ich  habs 
aber  nit  gesechen.  Mer  inmitten  dyser  Capell  ist  ain  Rund  verzaich- 
net  mit  mancherlay  stain  in  Zircken,  do  ist  die  Stat,  do  man  nitt  hat 
erkhent  nach  erfindung  des  krewtz  Christi  vnnd  der  zwayer  Jünger, 
welches  deß  herrn  Jhesu  gewest  wer,  das  ward  daselbs  auff  ain  todte 
frawen  gelegt,  die  man  da  begraben  sollt,  die  ward  von  dem  hayligen 
Crewtz  Christi  lebenndig  laut  außweysung  Inuentionis  crucis.  In  der 
Eapel  ist  von  der  4  heyligen  stetten  Vergebung  aller  sünd.  — 

Darnach  gingen  wir  in  loblicher  proceß  mit  schöner  Andacht  vnd 
Lobgesanng  des  Salue  Regina  fünff  sprossen  ab  auß  der  Capell,  gleich 
ain  schrit  daruon  da  ist  die  stat,  da  der  herr  Jhesus  Maria  Magdalena 
nach  der  Vrstennd  in  ains  Gärtners  weiß  erschynen  ist,  vnd  gleich  für- 
paß ain  4  schritt  da  ist  die  Stat,  da  Maria  Magdalena  gestanden  ist  vnd 
den  herrn  Jesum  fraget,  ob  er  nit  west,  wer  den  herrn  auß  dem  grab 


BBBIGSX  ÜBEB  lONK  JlBUSALEMFABBil.  U  489 

hett,  oder  ob  er  eB  thon  heti  Das  beschach  auß  hytzigem  inbrünsti- 
gem liebe,  so  sy  zw  dem  herrn  hett,  dann  sy  erkhannt  in  nit,  biß 
das  der  Herr  Jesus  sy  anredt  laut  Euangely,  ist  ablas  7  Jar  7  karen.  — 

Darnach  gingen  wir  mit  der  proceß  53  schritt,  gat  auff  die  ling 
hannd  die  abseytten  auf  vnd  drey  sprotzel  ab  in  ain  Capell,  da  ist  ain 
altar,  da  ist  die  spelunca  oder  gefenncknus  gewest,  do  vnnser  lyber 
herr  Jhesus  in  gelegen  ist  am  berg  Caluarie,  biß  das  krewtz  gemacht 
ist  vnd  die  Juden  ir  sach  zw  dem  Marter  des  vnschwldigen  lamp  auf 
das  best  zwgericht  betten.  Da  ist  aplas  Vergebung  aller  sünd,  haben 
die  Gersy  oder  Grecy  inn.  — 

Weytter  so  gingen  mir  darnach  wider  ain  wenig  hinder  sich, 
Tnnd  vmb  ain  bogen  hinumb,  noch  aufT  ain  abseytten  neben  dem  Chor 
oder  kriechischen  kirchen  hin  vngefer  bey  80  schritten,  da  ist  ain  offne 
Capell  vnd  ain  Altar,  da  ist  die  stat,  do  die  Juden  vmb  vnnsers  liben 
herrn  Bock  gespilt  haben,  den  im  vnnser  lybe  fraw  die  Mutter  gots 
in  seinen  Jüngern^  gemacht  hett  Da  ist  Vergebung  7  Jar  7  karen, 
haben  die  Armenier  inn.  — 

Von  der  Capellen  gingen  wir  drey  sprossen  ab  vnnd  drey  schritt 
für  sich  auff  die  lingk  handt,  do  gingen  mir  ain  stiegen  ab  acht  und 
'zwantzig  Staffel  in  ain  Eapei,  ist  in  der  Eer  sant  Helena  gepawen,  es 
ist  auch  ir  bett  vnnd  schlaffhawß  gewest,  da  haut  sy  sich  stets  geübt 
vnd  graben  lassen  das  haylig  Crewtz  zw  finden.  Es  ist  noch  ain  fen- 
ster  in  der  Eapell  auff  die  Recht  hannd  pey  dem  großen  Altar,  daraus 
sy  stets  gelügt  hat  im  leutten  zw,  die  in  ainVellsen  geprochen  haben 
nach  dem  hayligen  Crewtz,  da  ist  in  dem  graben  gelegen  der  alten 
Stat  Jherusalem  das  Yest,  sieht  noch  in  die  Capell,  vnnd  die  haylig 
Fraw  Sannt  Helena  die  ligt  zw  Venedig,  da  hab  ich  ir  hayligen  leyb 
gesehen.  In  diser  Capell  ist  aplas  vnd  Vergebung  aller  sünd,  haben 
die  Armenier  in.  In  diser  Capell  gingen  mir  von  dem  Alltar  vmb  ain 
pfeyller  zwainer  stygen  dreyzehen  schrit  vnnd  die  stigen  ab  12  Staffel 
vnnd  von  dann  in  ain  Capell,  12  schrit  lanng,  da  ist  die  stat,  do  das 
haylig  Crewtz  in  gefunden  ward,  vnnd  ift  auch  ain  alltar,  da  ist  ablas, 
Vergebung  aller  sünd.  Die  Capell  ist  oben  ain  halber  velß  vnd  das 
annder  thayl  geweiht  vnd  durch  die  stiegen  ab  ist  es  auch  ain  Vellß. 
Das  gemaurt  ding  ist  der  stat  graben  gewest,  als  ich  vor  auch  groel- 
det,  die  stat  do  das  in  gefunden,  haben  die  Orei  inn  vnd  den  Alltar 
die  Brüder  vom  berg  Sion.  Also  gingen  mir  wider  die  gmelten  stigen 
auff  vnd  gleich  sechs  schrit  hinumb  auff  die  lingk  Hannd  in  ain  Capel- 

1)  Mass  wol  heissen:  in  seinen  jüngeren  jähren. 


490  BöHBicin 

len,  do  ist  ain  stain,  drauff  oder  daran  viiser  her  Cristos  gesessen  ist, 
als  er  krönet  worden  ist,  ligt  in  ainem  Altar.  Da  ist  aplas  7  Jar 
7  karen.  — 

Diso  Capell  haben  die  Indier  innen,  von  dyser  Capell  auch  hin- 
umb  fiir  sich  auff  die  lingk  Hanndt  als  in  aineni  Bund  hinumb  zw 
gan  gen  dem  berg  Galuarie,  da  ist  XVIII  schritt,  vnd  von  dann  ist 
noch  gar  den  berg  hinauf  zw  gan  biA  an  die  stat  Golgatha,  da  das 
krewtz  gestanden  ist,  zu  dem  hayligesten  loch  zweintzig  Staffel  hoch, 
wiewoi  der  berg  vil  hocher  ist,  aber  der  gantz  Tempel  ligt  auf  dem 
peig,  das  macht,  das  die  minder  hoche  daher  nit  gerechnet  wirt,  bey 
dem  hayligen  loch  ist  kain  AUtar  vnnd  ist  weyt  mit  gar  ainem . .  A  vnnd 
Bund,  auch  oben  mit  ainem  Silbern  ploch  besetzt,  das  mir  nit  daruon . . .' 
vnd  ist  vmb  das  loch  zwen  schritt  brayt  vnd  3  lanng,  mit  merbel 
schoen  besetzt  vnnd  ist  das  loch  ain  elenbogen  tieff,  daruon  auff  die 
gerechten  Hanndt  ist  der  YellB  von  ainander  gespalten,  alls  das  ich 
wol  nach  der  seytten,  dannen  nähet  durch  den  yelft  ab  ynnd  ab  vnd 
gleich  hinumb  ain  schrit,  ain  wenig  herfuer  da  ist  ain  alltar,  die  statt, 
do  vnnser  lyeber  Herr  Jesus  Cristus  der  aller  Bainester  Jung&aw  sei- 
ner lyben  mutter  ward  tod  von  dem  krewtz  in  die  schoos  gel^,  gleicli 
dameben  ist  ain  Alltar  vnd  3  oder  vier  schrit  daruon  ist  die  stat,  do- 
der  herr  vnser  Erloser  erstlich  ann  das  krewtz  rnbarmhertzigklich 
geAreckt  vnd  genaglet  ward,  auff  der  lingen  seytten  dyser  Capell  ist 
ain  Alltar,  do  defi  gerechten  Schachers  krewtz  gestannden  ist,  so  man 
aber  in  der  Capell  ist,  so  sieht  man  den  . . .  ^  Schacher  auff  der  gerechten 
Hannd.  Dyse  kapeil  ist  ganntz  gefiert  vnd  mit  schoen  marbel  gemacht 
yersetzt  an  die  altar  vnd  Staffel  oder  bennck  gleich  XII  schrit  braytt 
vnd  12  lanng.  Da  ist  Vergebung  aller  sünd  vnd  haben  das  halbthaU 
dyser  Capell  auff  der  Bechten  Hannd  auch  die  prüder  vom  peig  Sion 
inn,  das  annderthayl  die  Grey  oder  Gersy.  — 

Zw  der  lincken  Hanndt  ausserhalb  des  Tempels  an  der  kapeil  do 
ist  die  stat  auch  in  ainer  kapell,  do  die  Jungfraw  Maria  das  letzstmal 
stund  vor  dem  herm  wol  10  schritt  weyt  neben  im,  do  er  sy  trost 
vnd  ir  Johannem  zw  ainem  beschinner  gab  vnnd  Sant  J.  ir  zw  ainem 
Sun  gab  laut  des  passions.    Da  ist  auch  usw.  — 

AuB  dyser  kapell  gingen  mir  wider  hinab  in  die  weytte  des  tem- 
pels  mit  der  proceß,  vnden  an  dem  berg  Sechszehen  schritt  von  der 
stiegen  vnnd  doch  glich  vnnder  der  Capell,  da  sahen  mir  noch  mer  der 
grawssamliche  BiB,  so  in  den  vellsen  gethon  ist  in  dem  pitter  leyden 

1)  2)  3)  Lüoke. 


BiBiOBx  üBiB  um  jibüsalhifabbi.  n  491 

▼nd  sterben  Jheeu  Christi,  des  San  gottes.  In  dem  ymgang  der  kapel- 
len  lygen  zwen  Gbristenlich  kunig  von  Jherusalem,  gnant  Gottfridas 
vnd  Contabundas^  Bex.  Da  ist  aplas  7  Jar  7  karen,  haben  dieOersy 
oder  Grey  inn.  — 

AaB  diser  Gapell  khomen  wir  wider  in  die  wit  des  tempels,  gleich 
neben  dem  eingang  des  Tempels  fünff  schrit  von  dyser  kapeil  da  ist 
die  haylig  stat,  do  vnnser  liebe  Fraw  Maria  Magdalena  vnd  ire  Schwe- 
ster vnd  Joseph  von  Arimathia  sampt  dem  fromen  Yatter  Nicodemo 
den  herm  salbeten  vnd  balsamierten,  des  der  süB  Herr  nit  bedorfft 
het  Da  ist  vil  vei^giessimgh  der  ausserwelten  matter  Maria  vnd  ir 
gesellschaflR;  der  traer'  geschechen,  es  ist  fiirwar  gar  ain  andechtig  Hay- 
lig Statt,  da  ist  vergebang  aller  sünd  für  pein  vnd  schwld.  Do  gin- 
gen wir  fiirpaß  noch  XTTT  scliritt,  da  ist  die  statt,  do  die  Jangfraw 
Maria  ir  lyeben  Sun  das  erstmal  am  staine  des  hayligen  Grewtz  ersach, 
das  ist  auch  gleich  gegen  dem  krewtz,  da  hat  der  herr  nichts  mit  der 
Rainen  matter  geredt,  des  sy  beschweret  besonnder,  dann  sy  was  im 
zw  weyt,  nach  dem  ist  sy  erst  an  die  vorgmelt  stat  khomen,  ain  wenig 
gegen  dem  krewtz  aaff  die  Recht  Hanndt,  aaftwarts  vor  der  stat 
halben  die  kriechen  vast  vil.  Yon  der  Stat,  do  der  herr  gesalbet 
ward,  da  ist  XL!  schritt  bis  in  das  haylig  grab,  da  mag  ain  yeder 
wol  denncken,  was  die  betrübt  Matter  Maria  sampt  ir  hayligen  gesell- 
schafit  für  groft  schmertzen  vnnd  Hertzlayd  gehapt  hat  mit  irem  lieben 
Sun  Jhesu  Christo,  der  ir  doch  gar  ser  verwannt  was  vnnd  allen  leip- 
lich  trost  verloren  hat.  0  we  des  grossen  schmertzen,  die  deftmals  die 
khunigin  aller  gnaden  hett  omb  vnnser  willen  vnd  sünd,  ir  lieber  sun 
da  also  vbel  gemartert  Das  sollen  wir  piUich  bedenncken  vnd  got 
seins  pittem  leyden,  sterben  vnd  marter,  samt  seiner  gebenedeyten 
mutter  Maria,  vmb  alle  gnad  vnnd  Barmhertzigkait  dannckpar  sein. 
Also  gingen  mir  in  das  Haylig  grab,  das  stet  binden  im  Tempel  vnnd 
ist  der  Tempel  oben  nyt  gedeckt  vber  das  grab,  also  das  eß  vnnderm 
Himel  statt  Das  grab  hat  drey  Capellen,  in  der  mitten  das  grab,  aber 
auBwendig  sieht  eB,  alls  sey  es  nur  ain  Capell,  da  ist  veijgebung  aller 
sünd,  das  haben  auch  die  prüder  vom  perg  Sion  in,  doch  haben  die 
annder  Secten  . .  .^  auch  darin  meB.  Do  gingen  wir  vnd  machten  kelch, 
gaben  vns  die  prüder  wein,  doch  betten  mir  selbs,  das  mir  des  nit 
bedorfften,  das  Haylig  grab  haben  auch  die  Brüder  vom  Berg  Sion 
innen.  — ^ 

1)  Baldmnns  L  2)  Trauer. 

3)  Lücke. 


.. ^.  iP.j«w»  ^^^        .      ■       -•-  "  ■ -Vi.-»-  .-« 


492  SÖHBICHI 

Zuuerstan,  das  ich  die  schrit,  so  ich  do  uor  schieyb,  also  maa^ 
wie  ainer  sonst  zimlich  gatt  — 

Die  Gapeil  hinden  am  Heyligen  grab  haben  inn  die  Jacobittar, 
sein  der  kirchen  vnderworffen.  — 

Hinder  demselben  an  der  Rechten  kirchmaur  ist  ain  Capell,  seind .. .' 
Mer  ain  Gapell  auff  die  lingk  hannd  des  Hayligen  grabs,  Priester  Johaa 
glauben  vnnderworffen,  doch  auch  Cristen  heyssen  die  ...*  Auf  dersel- 
ben Gapell  in  dem  hoch  mer  dan  30  Staffel  ain  stigen  auff,  do  ist  ain 
Gapell,  haben  die  Armenier  in,  sein  aber  vil  der  Nation,  die  vnnder 
dem  Türeken  vnd  Soldan  soindt  — 

Der  kor,  aber  die  groß  mitlest  Gapell  in  der  kirchen  haben  inn 
die  örey  vnd  haben  ain  guten  glawben,  seind  auch  frum  vnd  recht 
Ghristen,  dann  das  sy  der  kirchen  oder  Bepstlichem  stul  nit  vnder- 
worffen wollen  sein,  vnnd  das  Sacrament  ny  essen  sy  in  zwayerlay 
gestalt  vnder  wain  vnnd  prot,  glawben  sonst  alle  ding  Becht  vnd 
sing(en)  all  Horas,  die  Gersy  hangen  in  an,  seind  ine  in  allen  dingen 
gleich,  dann  das  sy  nit  ir  sprach  reden.  — 

In  dyser  grossen  kapeil  ist  inmitten  ain  stain,  darin  ain  Bund 
loch,  da  soll  es  mitten  in  der  weit  sein,  das  mag  sein,  aber  doch  lautt 
vns  Weyssagung  der  Bibel  oder  prophecey ,  so  hat  Gristus  vnnser  erlo- 
ser inmitten  der  Wellt  gemartert  sollen  werden,  das  ist  nun  alA  im 
Hayligen  templ  des  bergs  Galuarie,  welches  ja  dasselb  mittel  sey,  will 
ich  gutlich  glawben.  — 

Am  Zinstag  abent  khomen  mir  in  den  hayUgen  Tempel  vnd  ver- 
prachten  die  nacht  vnser  gepett,  vnd  am  Mitwoch  morgen,  am  Abent 
des  hayligen  zwolffpotten  Sant  Jacobs  abent,  khomen  mir  wider  her- 
aws.  — 

Nach  dem  gingen  wir  zw  der  Herberg  vnd  rwten  biß  vesper  Zeyt, 
do  sassen  wir  auff  die  essel  vnd  ritten  geen  Bethlehem.  — 

Am  mitwoch  zw  Abenndt  do  gingen  wir  zw  dem  kloster  auff  den 
borg  Sion,  funden  wir  die  Esel  vnnd  ritten  auß  gen  Bethlehaim.  — 

Zw  dgm  ersten  von  Jherusalem  auß  bey  zwü  wellisch  meyln  rait- 
ten  mir  durch  schon  weingartten,  daselbs  ist  ain  paum,  da  zaigt  man 
vnns  die  statt  bey  ainem  stain  in  ainer  Maur  aines  Weingartten,  do 
vnnser  Fraw  offt  gerwhet  hat,  als  sy  wider  vnd  für  ging  von  Jheru- 
salem vnd  Betlehaim.  — 

Nit  weytt  dauon  khamen  mir  zw  ainem  Zistem,  sollen  noch  zwen 
gewest  sein,  darob  soll  der  stem  den  hayligen  drey  khünigen  erschin- 

1)  YerBchriebeii  für:  nam.  2)  3)  Lücke. 


BBKIOHT  ÜBER  SINE  JIRUSALKM  FAHRT.   II  493 

nen  sein,  alls  sy  zw  Jherusalem  wider  außritten  Yon  dem  Eünig  Herode, 
als  sy  in  verloren  betten  gehapt,  baß  binfiir  auff  der  gereebten  Hannd, 
do  ist  die  stat,  da  Abacuck  ward  von  dem  Engel  bey  dem  scbopff 
gennmen,  vnd  zw  Daniel  in  die  Lewen  grub  gefürt  wart  laut  der  Bibell. 
Auff  der  lincken  banndt,  da  stat  ain  kircb  Sant  Elia  genant,  die  baben 
die  Eriecben  inn,  da  ist  Helias  gepom  worden.  — 

Damacb  kbomen  mir  fürpaß  zw  ainem  grab,  ist  vmbmurt  wie 
ain  kirch,  da  ist  Racbabelis,  Jacobs  des  patriarcben  hawsfraw  begra- 
ben. — 

Nacb  dem  für  sich  auff  der  lingken  banndt  ligt  ain  Acker,  do 
hat  zw  der  Zeit,  allß  vnnser  lybe  fraw  et  wo  von  Bethlaem  gen  Jheru- 
salem wandlet,  ain  pawr  geackert  vnd  gesebet  erbß,  da  ist  vnnser  liebe 
Fraw  die  mutter  alier  gnaden  für  ganngen  vnd  dem  pawm  zwgespro- 
chen  vnd  in  gegrüst,  darzw  in  gefragt,  was  er  doch  guts  see.  Da  bat 
der  pawr  gesagt:  stain,  vnnd  der  mutter  gots  Christi  gespott,  da  hat 
vnnser  lybe  Fraw  gesagt:  So  pleyben  eß  stain!  Also  sein  auf  dysem 
Acker  auß  den  erbisen,  so  der  pawr  geseet  hat,  also  stain  worden, 
denn  ich  auch  hab  sehent,  wie  die  arbais,  vnnd  fint  man  noch  hewt 
zw  tag  stets  derselben  stain.  — 

Yon  dann  ritten  mir  gen  Bethleheim,  daselbs  musten  mir  in  das 
kloster  eingon,  gaben  ein  Modin,  do  gab  man  vnns  alle  gut  g^  vnnd 
wein  vnnd  prott  zimlich  genung,  vnd  gleich  do  gingen  mir  wider  auß 
in  Sanct  Katharina  Gapeil,  do  machten  mir  ain  proceß.  Erstlich,  do 
gingen  wir  mit  schonen  proceß,  alls  mit  brünnenden  lichtem  auß  der 
Capell  sannt  Katharina  in  den  krewtzganng,  daraus  in  ain  kapell  Newn- 
zehen  Staffel  ab  in  ein  schon  Capell  vnnder  der  erd.  Da  hat  Sannt 
Jheronimus  büß  gewirckt,  vnnd  die  Bibel  von  Hebraysch  vnd  von  He- 
bräisch' zw  kriechisch  vnd  auß  kriechisch  zw  latein  gemacht  Da  ist 
aplas  7  Jar  7  karen.  — 

Auff  der  Rechten  handt,  hinein  baß  in  die  kapell  binden  ein  da 
ist  der  haylig  Jheronimus  des  ersten  begraben  bewest  vnd  sein  Sun 
Eusebius  auff  der  lingen  hannd  in  dyser  kapellen.  Do  ist  auch  Ablas 
7  Jar  7  karen. 

Damach  gingen  wir  auß  vnnd  kbomen  in  den  grossen  Tempel, 
ist  gar  ain  schone,  kostliche  kirch  gewest,  aber  zergat  vast,  do  khamen 
mir  femer  auff  dis  die  Rechten  hannd  neben  dem  Chor  zw  ainem  AU- 
tar,  da  Cristus  vnnser  erloser  das  erstmal  sein  hayliges  plutt  von  vnn- 
ser aller  sünd  wegen  vergossen,   daselbs  ist  der  Herr,  als  er  acht  tag 

1)  Nicht  ansgesohiiebeD.  2)  Sio. 


494  vßimacn 

allt  was,  beschnitten  worden,  das  ist  Vergebung  aller  sündt  Von  dan- 
nen  gingen  mir  durch  den  Chor  ein  durch  vnnd  auf  die  linck  hanndt 
des  Chorea  in  der  grossen  kirchen,  da  ist  ain  Altar,  do  der  stem,  der 
die  Haylig  drey  khünig  wyset,  still  stund  zw  ainem  Zaichen,  das  da 
der  grosmechtig  khünig  der  Juden  vnd  allen  gnaden  gebom  was,  do 
legten  sich  die  hayligen  drey  khünig  an,  vnd  riditet  ir  opffer  zw,  bey 
diser  stat  des  altars  ist  ablas  YII  Jar  YIl  karen.  -- 

Damach  gingen  wir  auff  die  Rechten  hannd  ain  sti^n  ab  Sech- 
tzehen  Staffel  gleich  an  der  dem  Chor  der  grossen  kirchen,  do  khamen 
mir  zw  dem  hayligisten,  frolichsten  stat,  so  ich  nie  gesehen  hab,  die 
hallt  ich  für  die  hayligsten  vnnd  frolichsten,  dann  da  der  an&ng  aller 
erlosnng  des  Christenpluts  gewest  is  für  war.  Es  waren  vnnser  bey 
130  auff  einmal  in  dyser  Capell,  do  hortte  ich  von  dem  Haister.  Es 
war  mir  auch  also,  es  bezaigt  es  auch  yil  mit  den  Wercken,  das  ainem 
das  hertz  im  leyb  vor  frewden  lacht  in  diser  Capell  zw  khomen  vnnd 
die  haylig  Stat  zw  sechen.  Ich  wiil  das  glawben,  an  allen  andern 
haylig  Stett  zu  veracht,  so  ist  es  ain  stat,  die  in  mir  grossen  firewden 
vnd  gar  innigklich  zw  Andacht  ermant  vnd  warlich  ainem  yeden  Chri- 
sten besonder  dao^kbar  macht,  vmb  alls  guts.  Die  stat  ist  vnder 
ainem  alltar,  von  marbell  gemacht,  gantz  Bund . .  .^  nit  gleich  auf  die 
lingk  hannd,  wen  man  hinabgatt  etwa  drey  schritTon  der  stieg^i  vnnd 
auf  der  anndem  seytten  gat  man  auch  ain  stygen  wider  auff,  do  der 
Altar  der  beschneydung.  Hie  ist  Vergebung  aller  sünd,  gleich  vor  den 
altar  vber  auf  die  gerecht  hannd.  Sechs  schritt  hinder  sich,  drey  Staf- 
fel ab,  ist  ain  Hoel  in  dem  Yellß,  da  ist  ain  altar,  darpey  hinder  dem 
altar  auff  der  Hechten  Hannd  das  kripple,  do  der  Herr  Jhesus  yngele- 
gen  was,  für  das  ochsle  vnd  Esele,  das  ist  aber  yetz  mit  Marbel  vber- 
zogen.  In  welchem  Marbel  ainer  das  angesicht  Sannt  Jheronimns 
gewichst  ist,  wie  er  büß  gewürckt  hat  Hie  ist  auch  Vergebung  aller 
sündt  — 

Weytter  gingen  wir  hinder  sich  die  long  der  Capell  vnd  binden 
pey  der  thür  da  ist  ain  loch,  do  der  stem  durch  das  haws  vnd  da  in 
die  erdt  verschwunden  ist,  durch  das  loch  vnnd  nit  mer  gesehen  wor- 
den, dan  den  hayligen  drey  khünigen  geleucht  hat  zu  dem  Oj^er.  — 

Auf  diser  Capell  auff  die  gerecht  Hannd  abwärts  khamen  mir  in 
un  Capell,  da  sein  vill  der  vnschwldig  kindle  durch  gewalt  Herodis 
getodt  worden  vnd  da  begraben.  Da  ist  Aplas  Syben  Jar  7  karen. 
Damach  auf  die  lingk  handt  auffwarts  wider  in  Sanct  Katharina  Capell, 

1)  Lücke. 


BiBiGHT  Obsr  bnb  jibüsalbmfahbt.  ii  405 

die  ist  in  der  Eer  der  hayligen  Jungkfraw  Sant  Katharina  gewicht 
worden,  vnnd  yetz  allen  aplas  da  den  man  haben  mag  auf  Sannt  Ka- 
tharina berg,  vnd  wen  ainer  ain  fart  zw  dem  hayligen  berg  verhayssen 
hat,  so  wirt  sy  im  abgenomen,  das  er  nit  dahin  darff,  das  ist  darumb 
beschehen.  das  man  so  hart  dahin  khomen  mag  durch  die  wüsty  vnd 
man  die  glait  nit  vberall  hellt  In  dyser  Gapell,  auch  in  allen  vorge- 
melten  heyligen  stetten,  so  in  dyser  Kirchen  Bethlaem  begriffen  sein, 
thet  ain  prüder  alweg  ain  schone  predig  vnd  ermanung  zw  Andacht, 
auch  mit  anzaygung  der  geschieht  der  hayligen  Stett  mit  schöner  Bedt 
Latein,  Thewtsch,  yo  wellisch  auch^  allso  was  die  loblich  proceB  dysen 
Abent  auB,  vnd  ging  yederman,  wo  er  wolt,  die  ganntz  nacht  die  hay- 
ligen Stett  zw  besuchen.    Hie  ist  yergebung  aUer  sündt  — 

Ymb  mit  Nacht  fing  man  an,  meft  lesen,  das  treyb  man  bis  auff 
ain  stund  im  tag.  — 

Zw  Morgen  am  Donersta^  zaigt  man  mir,  wie  ain  track  an  ainer 
glatten  wandt  gebrochen  was  neben  dem  hochen  Alltar  auf  der  gerecht 
Hanndt,  von  wegen  das  ain  Soldan  . . .  ^  wollt  denselben  stain  etlich  hin- 
weg haben  lassen  füren  vnd  seinen  pallast  mit  bawen,  dan  eß  vast 
schon  ...^  marbel  in  dyser  kirchen  seind,  also  die  ...'  ain  wenig  also 
durch  den  glatten  stain  gemacht,  das  doch  schier  vnglawbig  ist,  hot 
er  sein  fümemen  abgestellt  vnd  die  stain  da  gelassen.  — 

Also  am  Dunerstag  morgen,  als  wir  nun  vnnser  gepett  Terpracht 
hatten,  wiewol  wir  gern  lenger  an  der  hayligen  stat  belyben  waren, 
yedoch  musten  wir  auff  sein  der  hitz  halb  wollten  mir  annderst  die 
hernach  volgenden  stett  auch  besehen,  vnnd  sassen  auff  die  Esell, 
anderhalb  stund  auff  den  tag  ynnd  rytten  auß  von  Petlehem.  AUs 
wir  ain  wenig  außwarts  khomen,  do  sahen  mir  auff  die  lingk  hannd 
sannt  Jheronimus  kloster,  auff  die  gerecht  hanndt  die  stat,  do  Sannt 
Jörg  ge£Eaigen  ward.  — 

Damach  sahen  wir  ain  Dorff  gerad  vor  vnnß  ain  wenig  auff  die 
lingk'  hanndt,  hayst  ...^  da  sein  eytel  Christen  inn,  müssen  aber  dem 
Türeken  vast  groß  tribut  geben.  — 

Do  ritten  wir  ain  längs  thall  ein,  vast  boß  weg,  vier  Wellisch 
meyl  zw  ainem  Brunnen,  da  hat  sannt  Philippus  Enochum  getöfft  vnd 
vil  hayden.    Da  ist  Ablas  7  Jar  7  karen.  — 

Von  dem  prunnen  khamen  mir  ain  hochen  berg  auff  vnd  wider 
ab,  vast  boß  weg,  auch  wol  vier  Wellisch  meyl,  do  khamen  mir  zw 

1)— 3)  Lücke. 

4)  Der  name  Bezeih  ist  zn  ergänzen;  vgl.  Gonrady  147.  Zur  sage  von  des 
soltans  beabsichtigtem  nnd  vereiteltem  raube  vgl.  Tobler,  Bethlehem  87. 


;  V   -. 


496  BÖUKIOHT 

ainem  Allten  gemeur,  da  ist  das  hawß  Elizabeth,  do  die  mutter  gots 
zw  ir  kham  vnd  sy  haimsucht  vnd  Sant  Elizabeth  sy  grüst  laut  Euan- 
geliums.  Da  hat  vnnser  liebe  Fraw  das  Magnificat  gemadit,  das  ist 
ain  stat  vnnden  in  ainem  gewolb.    Da  ist  Vergebung  aller  sündt  — 

Demnach  oben  auff  demselben  gewolb  da  ist  die  Statt,  ist  auch 
ain  Capell  gewest,  do  sanntt  Johanns  Baptista  beschnitten  ist  worden. 
Da  ist  aplas  7  Jar  7  karen.  — 

Darnach  auf  die  gerechten  Hannd,  da  ist  ain  kirch,  aber  wirdt 
dyser  Zeyt  nit  in  eren  gehallten,  da  ist  das  hawB  Zachary  gewest,  gat 
man  auff  die  gelingk  hannd  neben  dem  Altar  hinab,  do  ist  die  stat, 
do  Sannt  Elizabeth  sant  Johann  Baptista  gepom  hat  Ynnd  als  sy 
empfanngen  hat,  do  waß  die  haylige  Fraw  ob  40  Jaren,  do  kham  der 
Enngel  vnnd  verkhündt,  Zacharias  sein  fraw  würde  ain  Sun  gepom, 
den  solt  er  Johannes  hayssen.  Das  wolt  er  nit  glawben  vnnd  ward  zu 
ainem  stummen,  vnnd  als  die  haylig  fraw  gepar,  do  weiten  die  frawen 
das  khindt  dem  Yatter  nach  gehaissen  hab(en),  do  stund  der  Yatter 
auff,  der  nichts  hot  mtigen  Beden,  von  der  Empfengnus  bift  daher  ynd 
schrieb:  Mein  Sun  soll  hayssen  Johannes,  alßbald  das  beschach,  do 
wart  Er  Beden  vnd  macht  das  Benedictus  dominus  deus  Israhel.  Da 
ist  Vergebung  aller  sünd.  — 

Demnach  khamen  mir  auf  die  lingk  hanndt  ain  berg  auff  vnd 
in  ain  weytte  . .  .^  ongefer  zwu  wellisch  meyl  von  der  Statt,  do  khamen 
mir  zw  ainem  kloster,  haben  die  Ebron  innen,  ain  zimlich  schone 
kirch,  davomen  vnnder  den  ...'  AUtar  ist  ain  loch,  da  ist  die  Stat,  do 
der  bäum  des  hayligen  krewtz  gewachssen  ist,  suchten  mir  auch  haim 
von  andacht  wegen.    Hie  ist  ablas  7  Jar  7  karen.  — 

Also  zochen  mir  fürtter  hinein  gen  Jlierusalem  vnnd  plyben  die- 
selb  nacht  Bowen.  — 

Am  freytag  Morgen  gingen  mir  zw  Meß  in  das  kloster  vnd  dar- 
nach den  tag  spaciem  vnd  Bwheten  ein  yeder,  wo  er  wolt  Wiewol 
man  vnns  gern  in  tempel  het  gelassen,  mir  weiten  aber  nit,  biß  mir 
von  dem  Jordan  khomen,  aus  vrsach,  wie  Ich  noch  hernach  melden 
will.  — 

Am  freytag  abent,  do  was  der  hayligen  Mutter  Sannt  Anna  tag, 
do  schickt  der  patron  zw  vnns  vnnd  ließ  vnns  sagen,  Er  het  mit  dem 
Türeken  gehanndlet,  sy  weiten  vnns  in  die  kirchen  lassen,  do  Sancta 
Anna  die  haylige  frtiw  vnd  mutter  aller  geben'  hat,  do  must  ainer  geben 
ain  Modin,  noch  must  der  Patron  zwen  Ducatten  darzw  geben.    Es  ist 

1)  2)  Lücke.  3)  Soll  wol  heissen:  geboren. 


BERICHT   ÜBBR  KINS  JRRUSALKMFAHRT  497 

ain  kirch,  aber  man  helts  für  ain  hawß,  vnd  vnnder  dem  fron  AUtar 
ist  ein  gewelb,  da  ist  die  statt,  do  die  Jungfraw  Maria  ynnd  mutter 
gots  geporn  ist  worden,  ist  ain  andechtige  statt,  ir  geschieht  aber  wenig 
Eer.     Hie  ist  Vergebung  aller  sündt  — 

Am  Ringan  wurden  etlich  Bilgern  ir  Bareth  genomen  vnd  sunst 
ain  tail  geschlagen  vnd  mit  stainen  geworfifen,  dann  cß  vast  spat  was 
worden.  Aber  ich  ging  den  nechsten  mit  vnnserm  Fürsten  vnnd  sei- 
ner gesellschafft  in  das  kloster  auff  dem  berg  Sion,  do  plyben  wir 
vbernacht  vnd  in  der  nacht  do  beychten  wir.  Vnd  am  Sampstag  mor- 
gen ging(en)  wir  Hochthewtschen  bey  zwaintzig  zw  dem  hochwirdig- 
sten  Sacrament  an  der  hayligen  stat,  do  der  herr  Jhesus  vnnser  erloser 
das  ausgesetzt  vnd  das  new  Testament  gemacht  hat,  do  hett(en)  mir 
vor  mitnacht  messen  bis  schier  mittag  vnd  ain  schon  ampt.  Do  dannck- 
ten  wir  got  dem  herrn,  das  wir  das  haylig  Sacrament  an  der  heyligen 
statt,  do  eß  der  güttig  Herr  auffgesetzt  hat,  empfangen  haben.  Hie 
ist  Vergebung  aller  sünd,  als  ich  vor  auch  gemeldt  — 

Nach  tisch  plyben  mir  zw  Herberg,  dann  eß  so  gar  haiß  was, 
das  wir  nindert  hinmochten.  Aber  zw  Abendt  waren  wir  des  willens, 
an  den  Jordann  zw  reytten,  do  khamen  mer  wie  wol  hundert  pferdt 
vnd  etlich  knecht  Arabier  an,  den  anndern  bilgern  gewest  weren  Ara- 
biem,  das  in  die  khainn^  entflohen  sein,  die  dasselb  mal  gen  Bethle- 
hem ritten,  die  auft'  der  andern  Naffen  gefaren  waren.  — 

Am  Sambstag  den  dritten  tag  Augusti  gingen  wir  hinauf  zw  den 
Brüder  auf  den  berg  Sion,  do  funden  mir  vnnser  Esell.  Also  namen 
mir  vrlawb  vnd  beualchen  sy  got  vnnd  sassen  et  wo  vmb  vesper  Zeit 
auf  vnnd  ritten  auß  der  hayligsten  Statt  Hierusalem  vnd  namen  gleich 
den  weg  für  vnns,  den  mir  vordar  geritten  betten,  vnnd  als  wir  nun 
bey'  wellisch  meyl  geritten  waren,  do  khamen  mir  zw  ainem  Allten 
gemeur,  ist  ain  schloß  gewest,  darpey  was  gut  wasser  vnd  vil  Oelbaum, 
also  legten  wir  vnns  Nider  vnd  Ruheten  bis  zwu  stund  auf  den  tag, 
do  waren  wir  wider  auf  vnnd  ritten  fiirtter  gegen  Rama  zw.  Vnnder- 
wegen,  als  mir  etwo  3  meyl  geritten  waren,  do  wolt(en)  die  glaytslewt 
von  Jherusalem  wider  hinder  sich,  wollten  nit  mer  gelaytten,  dann 
sy  sich  vast  hart  forchten  von  den  Arabiern,  hielten  den  Patron  für, 
die  HerrschafPt  Jherusalem  hett  yetz  ain  ennd  vnd  gehört  wider  dem 
Herrn  von  Rama  zw.  Also  hatten  sv  vnnsern  Patron  so  hoch  vnnd 
schannckten  im  XY  Ducaten,  das  sy  gar  plyben  bis  durch  das  Thall 
hinaus  oder  zw  dem  schloß  Aladron,   das  sy  thetten,   ging  aber  hart 

1)  keine.  2)  Lücke. 

ZEITBCHRm  F.   DEUTSCH!  PHILOLOOIR.      BD.   XXV.  32 


:  h 


498  RÖHmoHT 

zw,  dan  ir  waren  wenig,  zwar  eß  half  vnns  nit  vi],  dann  khaum  1  mey] 
daraor,  do  het  eß  gar  ain  engepaß,  musten  mir  durchziehen,  do  vber- 
fylen  vnns  bey  zwayhundert  pawren  auß  der  Lanndschafit  oder  Herr- 
schaßt Rama  vnnd  all  mit  bogen,  verhielten  vnns  den  weg  mit  gewalt 
vnd  weiten  von  jedem  Bilger  haben  XY  Modin.  Daraor  halff  vnns 
der  Türeken  geklagt  gar  nichts,  dan  sy  vii  lieber  dan  vor  geflohen 
weren.  Es  waren  vber  FünflEzehen  pferd  nit  vnnd  XX  zu  fuß  vnd 
schrien:  die  pawren  komen  oben  im  perg  Arabia.  Das  sind  der  Türeken 
iindt,  also  flohen  die  ainsthayls,  die  vnns  beschirmen  vnd  belayten 
sollten ,  ir  der  Bitter  zwen  oder  drey  herren  vnd  vnnser  patron  hinfüer 
vnd  die  Tollmetschen  vnd>  in  der  sach,  das  man  die  pawm  stillet,  doch 
must  er  in  etlich  Ducaten  schenncken,  das  sy  zwfryden,  aber  es  wor- 
den dannocht  vil  Bilgem  gestossen,  verspott  vnd  geschlagen,  welche 
etwo  zw  ferr  binden  plyben,  das  must  man  gedulden.  Dieselben  pau- 
ren  sein  all  halb  schwartz  wie  die  weyssen  Moren  vnd  sein  geschickt 
mit  ir  wehr  oder  bogen  zw  dem  schiessen.  — 

Als  mir  mer  dann  ain  stund  da  wurden  auf^halten,  do  zodien 
mir  wider  fürt  vnd  an  dem  zerprochen  Stettlin  AUadron  hin  auf  Rama, 
vnd  plyben  die  Türckischen  glaitslewt  hinder  biß  an  fünff,  die  ritten 
noch  mit  vnns  biß  gen  Rama.  Do  gingen  mir  wider  in  vnnser  alt  her- 
borg,  das  ist  das  hawß,  das  hertzog  Philips  von  Burgundi  den  bilgem 
gestifiR;  hat  Da  bracht  man  vnns  zw  khauffen  gnung  aller  ding  ain 
gut  notturfiL  — 

Also  plyben  mir  am  Sonntag  da  vnd  am  Montag  weiten  mir  gern 
hinweg  sein,  da  wolt  der  herr  von  Rama  vnnsem  Patron  nit  lassen 
faren.  Er  wolt  in  zwingen.  Er  sollt  im  wol  vmb  Yierthawsent  gülden 
aschen  abkhauffen,  das  wolt  er  kurtz  nit  thun,  sonnder  wolt  er  in  nit 
ziehen  lassen,  so  wolt  er  in  verclagen  vor  dem  grossen  Türeken.  Des 
verschmacht  in  hart  vnd  sucht  allerlay  boß  weg  vnd  vrsach  wider  vnn- 
sem Patron,  damit  er  im  schmach  bewyse,  auch  vnns  hindert  vnd  den 
Patron  noch  vmb  mer  gelts  prechte,  alls  auch  beschach.  — 

Am  Montag  den  Y.  tag  Augusti  zw  Abent  mainten  mir  hinweg 
zw  reytten,  dann  mir  funden  khain  wein  mer  zw  khauffen  im  ganntzen 
Rama,  dann  die  hayden  trincken  nit  wein,  offenbar  dergleich  der  art 
Türeken  nit,  es  ist  wider  ir  gesetz.  — 

Ynd  wie  mir  schier  auf  sollten  sein,  do  begab  sich,  das  ain  Pil- 
ger, ain  Frantzoß  auß  der  anndem  Naffen  ain  haiden  ins  maul  schlug, 

1)  Lücke. 


BERICHT  ÜBKR  EINR  JRRU8ALK1CFAHRT.    U  499 

deshalb  er  gestrafift  von  der  HerrschafEl  vmb  4  Ducaten,  vnd  wart  gar 
ein  seltzams  gericht  vber  das  gesetz,  deßgleich  ich  nie  gehört  hab,  der 
pracht  Zewgknus,  das  er  deß  gut  vrsach  het,  das  halff  alls  nit,  sonnder 
er  solt  ain  hannd  yerloren  hab(en)  vnd  khain  annders,  doch  hanndlet 
vnnser  Patron  so  vil,  das  sy  die  4  Ducatten  namen  für  den  firefell, 
liessen  im  die  handt,  dan  sein  Patron  nit  geschickt  was,  die  vnd  ann- 
der  Sachen  bey  dem  Türgken  zwhanndlen.  Also  plyben  mir  den  Mon- 
tag auch  gar  da.  — 

Am  Zinstag  Morgens  den  YL  tag  Augusti  firw  hieß  man  vnns 
aber  auf  die  Esel  sytzen  vnd  wir  sollten  reitten,  mitler  Zeit  wolt  der 
herr  von  Bama  kurtz  aber  mit  sampt  den  anndem,  das  die  zwen  Pa- 
tron die  Aschen  sollten  khauffen  vnd  khain  annderß  oder  hie  pleyben, 
des  sy  vnains  wurden  vnd  khamen  mit  wortten  an  ainander,  das  vnn- 
ser patron  sagt:  Wer  Ich  zw  Jaffen  bey  mein  schiffen,  Ich  wolt  von 
Euch  khomen,  es  wer  ewch  lieb  oder  layd.  Deshalb  der  herr  vnd  die 
anndern  erzürnet  vnnd  liessen  vnns  ab  den  Eseln  schlagen  vnd  wider 
in  vnnser  herberg  jagen,  wie  das  Viech,  vnd  namen  vnnsern  Patron 
gefanngen  vnd  fürtten  mit  in  in  ir  hawß.  — 

Das  weret  bey  zwu  stunden,  das  der  Patron  dannocht  so  vil 
hanndlet,  das  sy  doch  die  pilgern  wegliessen  reytten,  dann  sy  khein 
wehr  mer  hetten  vnd  man  sunst  auch  nit  vill  speys  mer  fand,  das 
beschach.  — 

Also  zochen  mir  on  vnnser  bayd  Patron  dahin  auff  Jaffa  zw,  do 
waren  die  Türeken  vnnd  hayden  im  abschyd  gantz  hitzig  auff  vnns, 
was  sy  vnns  khunden  layds  thon,  damit  sy  sich  letzsten,  das  beschach 
vast  vnd  wurden  vil  gezannck,  also  thet  man  vnns  wider  in  die  loecher, 
do  plyben  mir  also  bey  4  stunden,  wiewol  mir  die  nacht  sollten  da- 
plyben  sein,  aber  wir  waren  in  zw  geschickt  Do  mir  Sachen,  daß 
anfachen  wolt  also  der  Neyd  zwischen  den  Christen  vnnd  vnglawbigen, 
do  thet  der  Fürst  ains  vnd  macht  predick^,  ob  er  selbs  fünfit  mocht 
zw  schiff  faren  vmb  etlich  gelt  Doch  kant  man  in  nit,  sonnder  man 
maint,  es  weren  gesellen,  die  kranck  weren  oder  die  den  andern  ir 
khamer  wollten  zwrichten.  Das  ward  von  der  Herrschafit  zugelassen, 
also  füren  ir  fünff  vnd  ich  auch  vmb  etlich  gelt  Damach,  alls  das 
beschach,  do  die  warcken'  würden  zw  lannd  khomen,  do  fielen  die 
pilgern  mit  gewalt  zw  schif,  doch  ainsthails  vbel  dapey  geschlagen, 
also  nach  vnd  nach,  bis  das  dieselb  nacht  am  Zinstag  den  6.  tag  Au- 

1)  predioa  ital.  (8traf)predigt. 

2)  Barken. 

32* 


^    •  '  ■  i«  «■   — 


500  RÖHBIOHT 

gusti  die  Bilgern  all  in  die  naffen  kbomen,  doch  mit  grosser  mühe, 
dan  der  sack  mit  dem^  gar  zerprochen  was.  — 

Demnach  ritten  vnnser  glaitslewt  vnnd  Tolmetsch  wider  hinder 
sich  zw  dem  Patron  gen  Rama,  der  da  sampt  dem  anndem  Patron  mit 
gwalt  vnd  wol  verhütt  aufgehalten  ward,  bis  auf  den  Sampstag,  der 
do  was  der  tag  Sant  Lorentzen*,  aber  das  sy  in  mit  gwalt  weiten 
zwingen  mer  dann  vmb  Tawsent  Ducaten  Aschen  von  in  zw  kauffen. 
auch  schetzten  sy  in  vmb  mehr  gelt  dorumb,  das  die  Bilgern  ains- 
thayls  am*  zw  schiff  gefallen  waren.  — 

Mir  betten  vnns  vnsers  Patrons  ain  weyl  verwegen,  alls  ich  wol 
weyter  melden  will,  mir  schickten  ime  auch  püchssen,  damit  man  in 
her  vor  den  Arabiem  zu  vns  belaitten  mocht  Do  vnnser  Patron  zw 
schif  kham  am  Sampstag  morgen,  do  hub  man  von  stund  an  die  Anckei 
vnd  zogen  die  Segell  auff,  als  das  wir  ain  stund  nacher  von  Jaffa  hin- 
weg fuom  mit  zimlichen  guten  windt.  — 

Am  Suntag  morgen  waren  beyde  schif  zwsamen  gefaren  vnnd 
waß  vnnser  groß  schif  auf  das  klain  ganngen,  daß  eß  ain  stück  binden 
daraus  gestossen  hett  — 

Vnnser  patron  sagt  vnns,  wir  betten  Recht  thun,  das  wir  zw 
schiff  geeylt  betten,  dann  weren  mir  noch  dieselb  nacht  hie  auß  blyben 
am  lannd,  wer  vnns  nit  wol  erganngen,  Vrsach,  das  sy  den  Fürsten 
erst  erkhannt  betten  vnd  sy  inen*  worden.  Vnd  het  sein  Hoffraaister 
Rainhart  von  Neweneck  ain  Türeken  mit  ainem  stain  in  das  gesiebt 
geworffen,  doch  nit  gern.  Darfür  het  er  im  ain  Ducatten  geschennckt, 
das  er  schwig  vnd  der  Herrschaflft  nit  klagt.  Er  wer  sonnst  vmb  groß 
geschetzt  worden.  Vnnd  wie  wir  hinweg  warn  zw  schiff,  do  der  das 
geklagt,  vnd  sucht  man  den  vnnder  den  Andern  Bilgern.  — 

Auch  solt  der  Herr  von  Damaste^  gestorben  sein,  do  schrien  die 
Türeken,  als  ir  gewonhait  ist,  wan  das  hawpt  stürbt,  ist  kain  Recht 
im  lannd,  biß  man  ain  anders  setzt  Da  hielten  sy  den  patron  auch 
des  lanng  auf  vnnd  betten  sy  vnns  noch  zw  lanndt  gehebt,  wer  vnns 
nit  wol  erganngen.  — 

Am  Sonntag  nachmittag  sahen  mir  khain  lannd  mer  vnnd  füren 
also  Zipern  zw,  doch  mit  klainem  Windt,  der  hat  vast  nachgelassen.  — 

Also  füren  mir  hin  vnnd  her  vnd  lauierten,  dann  mir  nie  kain 
Rechten  fort  wint  betten  vnd  sahen  nie  khain  lannd,  betten  auch  kain 
frisch  prett,  sonnder  mir  musten^  essen  bis  in  Zypern.     Was  vast  hayß, 

1)  Lücke.  2)  10.  angusi  3)  4)  Lücke.  5)  Damascus. 

6)  Lücke. 


BERICHT   OBER   KINK   JKIiUSALKUKAIIRT.   n  501 

das  khain  wint  nit  mocht  Recht  gan,  das  weret  also  Sonntag,  Montag, 
Zinstag,  Mitwoch,  der  was  der  viertzehend  Augusti  vnd  vnnser  lyeben 
frawen  Abent  himelfart.  — 

Was  sich  mitler  Zeit  von  den  Bilgem  vnd  im  schiff  zwtragen  hat, 
ist  nit  vil  von  zw  schreyben,  mag  ain  yeder  selbs  gedenncken,  was 
solch  lanngweylig  wesen  erfordert  vnd  kurtzweyl  sucht  — 

Am  Donerstag  hetten  mir  auch  nit  ander  windt,  doch  auff  den 
Abendt,  der  ain  wenig  starck,  also  das  mir  verhofften,  noch  eüich  ann- 
der  Lanndt  zu  sehen,  aber  die  Sonn  was  zw  bald  nider,  das  wir  nit 
aigennüich  wüsten,  ob  mir  Landt  gesehen  hetten  oder  nit  — 

In  der  Nacht  was  der  Windt  vast  starck  worden,  doch  hetten  mir 
in  nur  halb,  füren  aber  wol  von  statt,  also  das  mir  am  Preyttag  mor- 
gens frw  die  Insel  Gypem  gar  nache  vor  vnnß  sahen.  Demnach  als 
wir  nur  neben  die  Inssel,  do  wardt  der  windt  ye  lenger  ye  stercker, 
das  er  vnns  nur  mit  gwalt  an  das  Landt  wolt  werffen,  mir  waren  auch 
noch  wol  X  meyl  von  der  Porta  Sallina,  also  wendten  mir  vnnser 
schiff  wider  zw  Rück  mer  dann  zwu  stundt  vnnd  füren  darnach  wider 
der  Port  zw,  do  kundten  mir  noch  mer  dann  vier  Meyl  nit  Recht  in 
die  portten  zw  anndern  schiffen  khomen.  Do  wurffen  mir  ein  Ancker 
vnnd  plyben  also  den  Freyttag  necht  da  am  angker  ligen.  Zw  Abendt 
do  ließ  der  wint  nach,  do  richtet  man  die  Segell  wider  auff  vnd  rüsten 
zw,  das  mir  in  der  Nacht  auf  den  Angker  füren,  vnnd  zw  Morgen  am 
Sampstag  gegen  tag  hub  man  den  Angker  wider,  was  gar  ein  feiner 
zimlicher  lufit,  mit  dem  füren  mir  in  die  portten.  Alßbald  darnach 
fingen  an  die  Pilgern  hinausfaren  zw  lanndt  Mir  funden  auch  in  der 
Portten  drey  Naffen  auß  andern  lannden,  sagten  vnns  newe  merr,  wie 
das  der  Hertzog  von  Venedig^  todt  was  vnnd  der  Khünig  von  Vngem 
ain  Schlacht  dem  Türeken  abgewonnen  haben  solt^ 

1)  2)  Vgl.  oben  s.  213  dieses  bandes. 

BERLIN.  R.   BömilGHT. 


JOHANN  SEBASTIAN  MITTEKNACHT. 

Ein  bcitrag  zur  geschiclite  der  sehnlkomOdie  im  17.  Jalirliiindert. 

Die  dramen  Johann  Sebastian  Mitternachts  (geb.  am  24.  juli  1613 
zu  Hardesleben  in  Thüringen,  seit  1646  rektor  am  gymnasium  zu  Gera, 
seit  1667  Superintendent  in  Zeitz,  wo   er  am  25.  febr.  1679  stirbt^) 

1)  Näheres  über  sein  leben  bis  za  seinem  weggange  ans  Gera  bei  dr.  R.  Bütt- 
ner,  rektor  Job.  Seb.  Mittemacht  und  seine   Wirksamkeit  am  Oeraer  gymnasium. 


_     *     ■•-•..^- 


502  ELUNOIB 

haben  eine  eingehende  Würdigung  bis  jezt  noch  nicht  erhalten.  Zwar 
hat  Wol%ang  Menzel  in  dem  betreffenden  abschnitt  der  ^Deutsdien 
dichtong*^  (ü,  412  fg),  der,  obgleich  grade  er  die  gröbsten  flüchtig- 
keiten  des  ganzen  buches  enthält,  dennoch  ein  zur  orientierang  noch 
immer  wichtiges  hil&mittel  bietet,  der  Politica  dramatica  mit  warmer 
anerkennung  gedacht;  auch  neuerdings  ist  gelegentlich  auf  dieses  und 
das  zweite  drama  Mitternachts  hingewiesen  worden.  Aber  eine  genauere 
betrachtung  der  dichterischen,  insbesondere  der  dramatischen  tatigkeit 
Mitternachts  ist  noch  nicht  versucht  worden.  Und  doch  verdienen 
seine  beiden  dramen  namentlich  eine  solche  Würdigung  durchaus;  durch 
die  lebendigkeit  ihrer  spräche,  die  kraft,  mit  der  die  darzustellenden 
Situationen  erfasst  und  zur  veranschaulichung  gebracht  worden  sind, 
vermögen  sie  viel  besser  als  die  meisten  Alexandrinertragödien  uns 
eine  Vorstellung  von  dem  dramatischen  können  Deutschlands  im  17. 
Jahrhundert  zu  geben. 

In  der  nachfolgenden  Untersuchung  soll  der  versuch  gemacht  wer- 
den. Mitternachts  dichterische  produktion  zu  charakterisieren  und  ihr 
innerhalb  der  deutschen  poesie  des  17.  Jahrhunderts  ihren  platz  anzu- 
weisen. Wir  beschränken  uns  hierbei  nur  auf  die  Würdigung  des  dich- 
ters;  die  wissenschaftliche  tatigkeit,  die  er  auf  dem  gebiete  der  philo- 
logie  und  theologie  entfaltete,  bleibt  ausserhalb  des  kreises  unserer 
betrachtung;  ebenso  seine  pädagogische  Wirksamkeit,  zumal  dieselbe 
bereits  in  B.  Büttner  einen  kundigen  darsteller  gefunden  hat  Das 
material  zu  der  vorliegenden  arbeit  boten  die  königliche  bibliothek  in 
Berlin,  die  Universitätsbibliothek  in  Oöttingen  und  die  gynmasialbiblio- 
thek  in  Gera^.  Namentlich  die  leztgenante  gewährte  reiche  au&chlüsse; 
denn  in  der  reichhaltigen  samlung  der  progranmie  Mitternachts,  welche 
die  Oeraer  gymnasialbibliothek  besizt,  fanden  sich  Inhaltsangaben  ein- 
zelner von  Mittemacht  in  der  schule  veranstalteten  auffuhrungen,  welche 
nicht  allein  um  ihrer  selbst  willen  beachtung  verdienten,  sondern  auch 
für  die  betrachtung  der  beiden  deutschen  dramen  wichtige  gesichts- 
punkte  boten'. 

Programm  des  gymnasiums  von  Gera.  1888.  Ygl.  daselbst  namentlich  die  sohüdenmg 
der  draDgsale,  welche  Mittemacht  auszustehen  hatte,  als,  während  er  pfarrer  in  Teut- 
leben  war  (seit  1638),  dieser  ort  von  den  Schweden  geplündert  wurde.    S.  6. 

1)  Herr  dr.  R.  Büttner  in  Gera  hat  mich  durch  seine  Unterstützung  bei  der 
bescbaffung  des  in  Gera  befindlichen  materials  zu  grossem  dank  verpflichtet. 

2)  Der  einer  predigt  Mitternachts:  Bechtschaffener  Christen  heim,  Schild 
und  wagen.  Zeitz  1670.  (Exemplar  auf  der  grossh.  bibliothek  von  Weimar)  ange- 
fügte „Catalogus  oder  Verzeichnis  derer  wenigen  opusculoiiim  oder  Schrififten,  welche 


J.   S.   MITTERNACHT  503 

Die  frühsten  dichtungen  Mitternachts,  die  sich  erhalten  haben, 
sind  lyrische  stücke,  eine  kleine  samlung  kirchenlieder,  die  im  jähre 
1652  erschienen  ist^.  Der  gröste  teil  der  lieder  stamt  indessen  nach 
Mitternachts  eigenen  Zeugnissen  aus  früherer  zeit,  und  zwar  sind  die 
meisten  stücke  (57)  im  jähre  1640  entstanden.  Am  Schlüsse  finden  wir 
auch  einige  (10)  später  gedichteten  stücke.  Das  buch  wird  durch  eine 
längere  vorrede  eingeleitet,  die  sich  in  heftiger  polemik  gegen  das 
papsttum  wendet'.  Die  gleiche  streitbare  gesinnung  tritt  übrigens  auch 
in  den  liedem  selbst  zu  tage  und  äussert  sich  in  einer  weise,  der  wir 
heute  unmöglich  noch  geschmack  abgewinnen  können.  So  malt  er  z.  b. 
in  der  „pindarischen  Danck-Ode  vor  die  Offenbahrung  des  reinen  Oot- 
tes-Dienstes^  (nr.  58)  gegenüber  der  widerherstellung  des  göttlichen 
Wortes  die  in  Rom  herschende  Verfinsterung  mit  den  schwärzesten  fär- 
ben aus: 

Zu  Rom  pflegt  iederman  zu  huren. 

Zu  Rom  ist  viel  Abgötterey; 

Die  Sund'  und  Schand  ist  mancherley. 

Da  feiert  man  nichts  als  Figuren 

Die  Ehre,  die  nur  Gott  gebühret, 

Gibt  man  zu  Rom  der  Bilder- Schaar: 

Da  ist  das  Yolck  ersoffen  gar: 
Die  Bilder  sind  mit  Gold  gezieret 

Das  Hertz  des  Menschen  bleibet  leer. 

Versündigt  sich  ie  mehr  und  mehr. 
Wenigstens  in  der  form  originell  ist  eine  klage  der  religion   (zu- 

Ich,   Job.  Sebast.  Mittemacbt,   Färstl.  Säcbs.  Hoffprediger nach  und  nach  aa£- 

gefertiget"  enthält  folgende  drei  wahrecheinlich  poetische  oder  sich  mit  der  poesie 
beschäftigende  Schriften,  die  ich  leider  nicht  habe  auftreiben  können: 

1.  Seufitz-  Sing  und  Betstunde  auf  die  blichst  gefährlichen  damahligen  Kriegs - 
Zeiten  gerichtet  anno  1639.    Erfurt 

3.  Betrachtung  der  vier 'Letzten  Dinge,  des  Todes,  des  jüngsten  Gerichtes,  der 
Höllen  und  des  ewigen  Lebens.    Jena.  1642. 

7.  Tractätlein  von  der  deutschen  Heimkunst.    Altenburg.  1648.   Leipzig.  1653. 

1)  M.  Johann  Seba-  |  stian  Mitter-  |  nachts  |  Feuer -heisse  |  Liebes -flammen.  | 
Einer  in  Jesu  verliebte  |  und  in  der  Welt  betrübten  |  Seelen.  |  Leipzig,  |  Auff  Chri- 
stian Kirchners  Verlag,  |  Drukkts  Qvirinus  Bauch.  |  1653.  67  lieder.  kl.  8*^.  Exem- 
plar in  Oöttingen. 

2)  Gelegentliche  polemik  gegen  das  papsttum  findet  sich  auch  in  dem  Vnglück- 
seligen  Soldaten  und  vorwitzigen  Barbierer,  (lU,  5)  in  welchem  die  werte  des  Muso- 
philus,  der  für  seinen  verschollenen  söhn  seeleimiessen  halten  will,  vom  Morio  mit 
folgeoder  bemerkxmg  begleitet  werden:  „Sind  denn  alte  Leute  auch  Narren?  Was 
werden  den  Sohn  die  Seelmessen  helfen?* 


'^. 


l-»-^^ 


504  KtLINOKR 

gäbe  nr.  3)  über  den  unglückseligen  zustand ,  in  dem  sie  sich  vor  Luthers 
auftreten  befunden;  wir  finden  in  diesem  gedieht  den  keim  zu  den 
klagen  der  Pietas  und  Hospitalitas  im  Unglückseligen  Soldaten  und  zu 
ähnlichen  scenen  in  der  Politica  dramatica.  Dieser  klage  steht  unmit- 
telbar gegenüber  ein  jubellied  der  religion  ^nach  des  antichristes  falle^, 
in  welchem  wider  das  papsttum  heftig  angegrijGTen  wird. 

Der  gesamteindruck,  den  man  von  den  gedichten  erhält,  ist  ein 
günstiger.  Natürlich  fehlt  es  in  ihnen  nicht  an  geschmacklosigkeiten, 
ohne  die  es  im  siebzehnten  Jahrhundert  nun  einmal  nicht  abgeht,  so 
wenn  der  dichter  singt  (nr.  4): 

Wenn  ich  dich,  o  Jesulein 
Nicht  empfind'  im  Hertzen- Schrein, 
Werd'  ich  schwach  und  sterbe -Kranck: 
Alles  ist  mir  lauter  Stanck. 

Oder  nr.  10:   Ein  kurtzes  Liebes-Füncklein. 

Jesu  Breutigam, 
Low'  aus  Judas  Stamm', 
Ein  Trost  Abraham, 
Hilff:  ich  lig  im  Schlamm! 

Geradezu  zu  einer  gewissen  komik  versteigt  sich  der  dichter  in 
seiner  „  pindarischen  Liebs-  und  Lobs -Ode**,  nr.  39: 

Keine  Wort  kan  ich  erfinden, 

Die  da  meine  Liebes- Glut 

Gegen  dich,  du  Höchstes  Gut 
In  die  Reime  möchten  binden. 

Ob  ich  gleich  die  Cantzelley 

Und  die  gantze  Liebrarey 
Von  dem  Anfang  biß  zum  Ende 
Durch  und  durch  herummer  wende, 

Knd'  ich  doch  mein  wünschen  nicht. 

Indessen  würde  man  sehr  ungerecht  sein,  wenn  man  aus  diesen 
stellen,  bei  denen  wir  den  abstand  der  zeiten  fühlen,  ein  gesamturteil 
über  die  lyrische  poesie  Mitternachts  ableiten  wolte.  Der  gröste  teil 
der  lieder  ist  frei  von  derartigen  geschmacklosigkeiten  und  zeigt  ein 
warmes  und  lebhaftes  empfinden.  Und  von  besonderer  Wichtigkeit  sind 
die  lieder  um  ihrer  litterarhistorischen  Stellung  willen,  eine  tatsache, 
auf  die,  so  viel  ich  weiss,  bis  jezt  noch  nirgends  hingewiesen  worden 
ist.  Mittemacht  vertritt  näralich  in  der  protestantischen  liederdicbtung 
ganz  dieselbe  richtung  wie  Spec  und  später  SchefTler  in  der  katholischen. 


J.   8.   MRTEBNACUT  505 

Von  Spee  beeinflusst  kann  Mitternacht  nicht  sein,  da  die  Trutznach- 
tigall erst  acht  jähre  nach  der  abfassung  dieser  lieder  erschien;  wir 
haben  es  also  mit  verschiedenen  äiisserungen  der  gleichen  Weichheit  des 
gefülils  zu  tun,  eine  Stimmung,  die  demgemäss  doch  damals  schon 
nicht  mehr  ganz  selten  gewesen  sein  kann  und  wie  eine  blume  unter 
Schutt  und  moder  aus  den  gräueln  und  der  rohheit  des  entsetzlichen 
krieges  auftaucht 

Zunächst  wird  ebenso  wie  bei  Spee  und  später  bei  Scheffler  auch 
bei  Mitternacht  das  geistliche  lied  förmlich  zum  liebeslied.  Die  Sehn- 
sucht, welche  die  seele  Jesu  entgegenbringt,  wird  mit  den  färben  der 
weltlichen  liebesglut  ausgemalt  Wenn  bei  Spee  die  seele  Jesum  sucht 
(Trutznachtigall,  nr.  9  und  10,  s.  29  fgg.  und  34  fgg.  der  ausgäbe  von 
Balke),  so  findet  sich  die  gleiche  Situation  mehrfach  bei  Mitternacht, 
vgl.  nr.  ni  Str.  2 : 

0  mein  Freund,  mein  Freund  und  Ehre, 

Meines  Lebens  höchste  Freud', 
Ach  komm  wieder  und  beschere 

Deine  schönste  Freundligkeit 
Jesu!  Jesu!  Süß  und  Hold, 
Lieber  will  ich  dich  als  Gold; 

Wirst  du  dich  bald  wiedergeben? 

Ohne  dich  kan  ich  nicht  leben. 

Man  vgl.  auch  nr.  5: 

Alle  Winckel  seyn  durchkrochen, 

Seyt  ich  suche  meinen  Freund. 
Mein  Hertz  ist  mir  fast  zerbrochen. 

Jesu  komm!    Ach  komme  heunt! 
Weiter  fliehen  kan  Ich  nicht, 
Weil  mir  Wind  und  See  gebricht 

Keine  Lieder  noch  Oesänge 

Stillen  mir  mein  Hertzeleyd. 
Denn  mein  Schmertz  ist  gar  zu  strenge, 

Tiefif  ist  meine  Traurigkeit 
Jesu  diese  scharffe  Pein 
Führ  ich  nur  von  wegen  dein.  usw. 

Wenn  nun  gelegentlich  wohl  andre  gegenstände  auftauchen,  bit- 
ten, klagen,  danksagungen,  so  bleibt  doch  der  grundzug  derselbe  wie 
bei  Spee:  die  liebe  der  seele  zu  ihrem  bräutigam  Jesus,  dieser  mysti- 
sche  grundton  wird   immer   aufs   neue   wider   angeschlagen,    und   der 


506  ILUKQIB 

dichter  sucht  in  die  behandlungen  des  gleichen  themas  möglichst  viel 
abwechslung  zu  bringen ,  wenn  ihm  dies  auch  nicht  immer  gelingt  \  — 
Aber  nicht  allein  im  inhalt,  sondern  auch  in  der  äusseren  form  ahnein 
Mitternachts  gedichte  denen  Spees  in  auffallender  weise.  Spee  begint, 
wie  bekant,  seine  gedichte  sehr  häufig  mit  einem  natureingang,  der  zu- 
weilen nur  kurz  angedeutet,  manchmal  aber  auch  breiter  ausgeführt  ist; 
die  betreffenden  stücke  gehören  durch  die  innige  naturempfindung,  die 
aus  ihnen  spricht,  und  den  zarten  duft  der  poetischen  spräche  mit  zu 
dem  besten,  was  nicht  nur  Spee,  sondern  was  die  ganze  deutsche  dich- 
tung  des  siebzehnten  Jahrhunderts  hervorgebracht  hat  Diese  eigentüm- 
lichkeit  finden  wir  nun  in  den  geistlichen  dichtungen  Mitternachts  oft 
wider,  man  vgl.  z.  b.  die  anfange  der  beiden  ersten  lieder: 

Nr.  1:  Der  Moigen  kömt  gegangen, 
Last  sehen  seinen  Glantz: 
Nechst  Purpur- Farben -Wangen, 
Schmückt  ihn  ein  güldner  Erantz. 

Die  Vöglein  tireliren 

Mit  ihrer  Stimmen  Klang, 
Die  Nachtigall  muß  führen 

Den  süssen  Lobgesang. 

Der  Tag  hat  abgeleget 

Das  schwartze  Trauerkleid: 
Was  hin  und  her  sich  reget. 

Das  ist  nunmehr  erfreut 

und  nr.  2:  Die  Sonn  hat  sich  verkrochen 

Ins  tieffe  Meer  hinein: 
£s  ist  schon  angebrochen 
Der  bleiche  Monden -Schein. 

1)  Zuweilen  werden  die  ausdracksmittel  der  weltlichen  liebespoesie  etwas  za 
unbefangen  verwendet;  man  vgl.  z.  b.  nr.  11  str.  2,  wo  es  von  Jesus  heisst: 

0  wie  mit  so  hellen  Schein, 
Wie  Rubin  im  Bingelein, 
Leuchtet  deiner  Augen  licht, 
Wenn  es  ist  auf  mich  gericht 

Ganz  im  geiste  Spees  und  Sohefflers  ist  folgende  stelle  nr.  39,  der  andere  satz: 

Berg*  und  Thäler  müssen  zeugen. 
Wie  ich  offt  so  jämmerlich 
Buffe  Jesu,  Jesu  dich. 
Keine  Stunde  kan  ich  schweigen. 


J.  8.  MIRIBNACHT  507 

Am  Himmel  läBt  sich  sehen 

Das  blancke  Stemen-Heer: 
Die  Fischer  lassen  stehen 

Das  au^eschwöllte  Meer. 

Das  Feld  beginnt  zu  schlaffen 

Mit  Winden  zugedeckt: 
Die  Hirten  bey  den  Schaffen, 

Die  liegen  ausgestreckt 
Ähnliche  natureingänge  konmien  auch  sonst  vor  (z.  b.  nr.  24,  wo 
nr.  2  ziemlich  genau  kopiert  worden  ist;  vgl.  auch  nr.  53).  Die  frage, 
wodurch  Mittemacht  zu  diesen  frischen  und  einfachen  naturschilderun- 
gen  angeregt  ist,  wird  bei  ihm  ähnlich  zu  beantworten  sein,  wie  bei 
Spee:  wir  haben  es  hier  offenbar  mit  einflässen  des  Tolksliedes  zu 
tnn^  Die  einwirkung  des  Volksliedes  auf  die  lyrische  dichtung  Mit- 
ternachts tritt  aber  noch  stärker  herror,  wenn  er,  ganz  wie  das  Volks- 
lied, in  einem  gedieht  zuerst  ein  naturbild  entwirft,  daneben  ein 
kontrastierendes  ereignis  aus  dem  Seelenleben  stelt  und  dieses  in  der 
volkspoesie  so  häufig  auftretende  schema  dann  durch  alle  Strophen 
durchfährt     So  in  dem  liede  nr.  XII,  Trochaische  nachtklage: 

1.  Aller  Bäume  Blätter  gläntzen 

Yon  dem  Grase -grünen  Safit: 
und  die  Blumen  in  den  Kräntzen 

Geben  des  Geruches  Erafit: 
Und  ich  muß  bekleidet  sein 
Mit  der  schwartzen  Angst  und  Pein. 

Yor  des  hellen  Glantzes  Zierde 

Schutt'  ich  aus  mein'  Hertz -Begierde. 

2.  Sanffte  blasen  letzt  die  Winde, 

Und  erqvicken  was  da  lebt, 
Wenn  der  Abend-Wind  gelinde 
Durch  die  blöden  Blätter  schwebt 

1)  Es  möge  wenigstens  mit  einem  werte  erwähnt  werden,  dass  der  an£uig  des 
liedes  nr.  50:  Wo  soll  ich  mich  hin  wenden, 

0  taosent- schöner  Held? 
an  ein  ftlteres  Volkslied  anklingt: 

Wo  soll  ich  mich  hinkehren, 
Ich  tommes  Brüderlein? 
Vgl.  anch  das  spätere  Volkslied  (Mittler,  s.  880): 

Wo  soll  ich  mich  hin  wenden 
Bei  der  betrübten  Zeit? 


"  ',  V 


506  KLLINOKB 

Auf  mich  stürmet  Ungestüm  m, 
Manches  kalten  Nordens  Grimm. 

Ach  daß  doch  die  Gnaden -Winde 

Bliesen  auff  mich  fein  gelinde! 

3.  Jetzo  fallt  aus  hohen  LüfFten 

Honigsüsser  Silber-Thau, 
Und  zerfleusset  in  den  Klüfften 

Aaf  das  Graß  in  feuchter  Au'; 
Aber  ich  bin  ausgedürrt 
Meine  matte  Seele  girrt 

Ach  ich  muß  vor  Durst  vergehen, 

Weil  mich  auch  die  Freunde  schmähen. 

In  der  gleichen  weise  verlaufen  dann  auch  die  drei  übrigen 
Strophen. 

Neben  diesen  einflüssen  des  Volksliedes  auf  die  lieder  Mitternachts 
fehlt  natürlich  auch  die  einwirkung  der  kunstpoesie  nicht.  Äusserlich 
zeigt  sie  sich  zunächst  in  der  sehr  häufigen  Verwendung  der  damals 
in  der  lyrik  so  beliebten  daktylischen  metren,  ohne  dass  es  Mittemacht 
gelungen  wäre,  dieses  metrum  wirklich  für  das  kirchenlied  fruchtbar 
zu  machen,  was  erst  Neander  vorbehalten  blieb.  Die  fast  bei  jedem 
der  damaligen  modepoeten  vorkommenden,  aus  der  neulateinischen  dich- 
tung  stammenden,  echospielereien  dienen  zur  grundlage  eines  gedich- 
tes  (nr.  26);  bekantlich  hat  auch  Spee  diese  Spielerei  für  die  geistliche 
dichtung  verwendet  Dass  Mittemacht  auch  von  Opitz  nicht  unbeeiu- 
flusst  geblieben  ist,  ergibt  sich  aus  der  tatsache,  dass  er  von  Opitzens 
berühmten  lied:  „Wol  dem,  der  weit  von  hohen  dingen"  eine  art 
geistlicher  umdichtung  gegeben  hat  (nr.  16);  an  die  stelle  der  werte 
Opitzens:  „Ein  jeder  lobe  seinen  sinn  —  Ich  liebe  meine  Schäferin*', 
tritt  bei  ihm:  „Dies  mag  die  weit  nach  lüsten  treiben:  —  Ich  will  bey 
meinem  Jesu  bleiben."  Von  der  art  der  bearbeitung  möge  str.  5  eine 
Vorstellung  geben: 

Viel  brennen  nach  den  hohen  Gnaden 
Der  Fürsten,  die  doch  Menschen  seyn: 

Und  wollen,  ob  sie  gleich  nur  Maden, 
Doch  prangen  in  dem  falschen  Schein. 

Diß  mag  die  weit  nach  lüsten  treiben. 

Ich  wil  bey  meinem  Jesu  bleiben  i. 

1)  Auch  hierin  zeigt  sich  eine  Übereinstimmung  mit  Schefflor,  der  ebenfals  das 
lied  geistlich  umgedichtet  liat;    vgL  v.  Waldberg,    Renaissancelyrik,  8.  121  fg.,    der 


.7.   S.   MITTRRNACHT  509 

Unter  dem  kriegselend  hätte  Mitternacht  selbst  schwer  zu  leiden; 
wir  werden  später  noch  davon  zu  reden  haben,  wie  die  schmerz- 
lichen erfahrungen  aus  dieser  trüben  zeit  für  den  dramatiker  fruchtbar 
geworden  sind.  Es  ist  daher  nicht  wunderbar,  dass  wir  auch  in  sei- 
nen gedichten  nachklängen  der  not,  schmerzlichen  klagen  und  bit- 
ten begegnen.  In  dem  sonnet  nr.  29  bittet  er  Jesus  um  abwendung 
der  durch  den  krieg  verursachten  hungersnot;  die  gleiche  bitte  spricht 
er  in  dem  folgenden  gedieht  aus.  In  dem  liede  nr.  43  fleht  er  Jesus 
um  schütz  in  der  schlacht  an  für  die,  die  ihm  anhängen,  und  in  zwei 
gedichten  aus  dem  jähre  1646  und  49  (zugäbe  nr.  6  und  8)  hat  er 
seiner  freude  über  die  almähliche  besserung  der  zustände  und  die  end- 
liche erlangung  des  friedens  ausdruck  gegeben. 

Von  der  günstigen  seite,  von  welcher  Mitternacht  sich  im  wesent- 
lichen doch  in  diesen  liedem  zeigt,  lernt  man  ihn  aus  einem  sechs 
jähre  später  entstandenen  gelegenheitsgedicht  eben  nicht  kennen.  Diese 
„lob-  und  wünsch-gedanken''^  die  zur  feier  des  fünfundzwanzigsten 
geburtstages  des  fürsten  Heinrichs  X.  von  Beuss  verfasst  sind,  stellen 
sich  als  ein  ziemlich  trockenes  machwerk  dar,  das  sich  durch  nichts 
von  dem  gewöhnlichen  banalen  stil  der  gelegenheitspoesie  des  siebzehn- 
ten Jahrhunderts  unterscheidet. 

Indessen  so  lohnend  es  auch  ist,  Mitternacht  als  lyrischen  dich- 
ter kennen  zu  lernen,  ein  weit  grösseres  Interesse  flöst  er  uns  doch 
durch  seine  dramatischen  Schöpfungen  ein.  Mittemacht  ist  erst  durch 
sein  amt  zur  dramatischen  dichtung  angeregt  worden.  In  der  Ordnung 
der  schule,  deren  leitung  er  übernahm,  war  vorgeschrieben,  dass  der 
rektor  in  jedem  jähre  mit  seinen  schülem  eine  theatralische  aufführung 
halten  solte.  und  wenn  auch  die  ausführung  dieser  Vorschrift  unter 
dem  elend  des  krieges  lange  zeit  unterblieben  war,  so  erkante  der 
trefliche  pädagoge  doch,  welchen  wert  ihre  befolgung  für  die  belebung 
des  Unterrichtes  gewinnen  könte.  Deshalb  begann  Mitternacht  bereits 
ein  jähr  nach  seinem  amtsantritt  wider  in  der  schule  dramatische  auf- 
führungen  zu  veranstalten.  Wenn  wir  von  der  darstellung  der  „mate- 
ria  von  dem  Päbstischen  Fasten**  —  wahrscheinlich  ein  stück  mit  star- 
ker antipäbstlicher  tendenz  — ,  dem  concilium  Deorum  ac  Dearum  de 
statu  Germaniae  deliberantium  —  offenbar  ein  rückblick  auf  den  krieg, 

eine  anzahl  von  umdichtongen  znsammenstelt     Zwei  weitere  geistliche  parodien  siehe 
Blätter  f.  hymnologie,  1889,  s.  23. 

1)  Den  nach  der  bekannten  anordnnng  der  gelegenheitsgedichte  des  17.  Jahr- 
hunderts sehr  ausgedehnten  titel  widerzugeben,  schien  mir  unnötig.  Exemplar  in 
Göttingen,  Poet.  Qerm.  1719. 


-.*'  •■■'.fc«* 


510  ILLIirQIB 

eine  betrachtung  über  die  wunden,  ^e  er  Deutschland  geschlagen, 
vielleicht  mit  einem  hofoungsvollen  ausblick  auf  die  Zukunft  — ,  der 
geschichte  der  Stiftung  des  gynmasiums  zu  Gera  und  dem  „philoso- 
phischen gedieht  Yon  den  tugenden  und  lästern '^^  wovon  wir  uns  keine 
deutliche  Vorstellung  zu  machen  im  stände  sind,  absehen,  so  begegnen 
wir  in  diesen  schulkomödien*^  durchweg  Stoffen,  die  im  drama  des  16. 
und  beginnenden  17.  Jahrhunderts  vielfieich  behandelt  worden  sind.  Die 
„reformation  der  kirchen  durch  Lutherum  geschehen^  erinnert  uns  an 
die  stücke  zur  hundertjährigen  Jubelfeier  der  reformation,  unter  denen 
Eielmanns  Tetzelocramia  so  bedeutsam  hervorragt  unter  den  bibli- 
schen stücken  finden  wir  ausser  den  noch  gleich  zu  besprechenden: 
Judith,  Isaacs  geburt  (Abraham)  und  Tobias;  novellistische  stoffe  behan- 
deln die  bereits  von  Frischlin  dramatisierte  geschichte  von  Hildegard, 
Karls  des  gr.  gemahlin,  und  Griseldis,  der  im  16.  Jahrhundert  u.  a. 
durch  Hans  Sachs,  Mauricius  und  Fondo  eine  dramatisierung  zu  teil 
geworden  war.  Die  reichhaltige  samlung  von  programmen  Mitternachts, 
seiner  kollegen  und  nachfolger,  welche  die  Geraer  gymnasialbibliothek 
besizt,  bietet  uns  einige  inhaltsangaben  der  von  Mittemacht  veranstal- 
teten aufführungen,  die  uns  eine  ungefähre  Vorstellung  von  diesen 
stücken  gewähren. 

Yon  den  biblischen  komödien  liegen  vier  inhaltsangaben  vor.  Die 
erste,  im  jähre  1650  aufgeführte,  behandelt  die  geburt  Jesu.  Das 
stück  muss  sich  nach  dem  lateinischen  berichte  recht  seltsam  ausgenom- 
men haben;  denn  in  seinem  bestreben,  die  auffahrung  so  viel  als 
möglich  für  seine  schulzwecke  auszunützen,  gieng  Mittemacht  so  weit, 
ein  wunderliches  sprachgemenge  eintreten  zu  lassen,  indem  er  die 
Juden  hebräisch,  die  griechen  griechisch  reden  liess  und  auch  die 
lateinische  und  deutsche  spräche  gelegentlich  verwendete.  So  weit  man 
aus  der  Inhaltsangabe  schliessen  kann,  war  in  diesem  stücke  die  dra- 
matische form  noch  nicht  streng  durchgeführt,  sondern  manches  wurde 
ohne  weiteres  erzählt  Zuerst  traten  die  patriarchen  und  propheten  auf 
und  beklagten  in  hebräischer  spräche  das  elend  des  menschlichen  ge- 
schlechtes, indem  sie  zugleich  ihre  hofiiung  auf  die  baldige  ankunft 
des  messias  aussprachen;  ihnen  gibt  gott  aus  dem  feuer  einen  gün- 
stigen,  ihren  wünschen  erfüllung  verheissenden  bescheid,   ebenÜEÜs  in 

1)  Die  titel  dor  von  ihm  in  der  schule  aufgeführten  stücke  verzeichnet  Mitter- 
nacht selbst  in  den  widmungsworten  des  Vnglückseligen  Soldaten  und  vorwitzigen 
Barbiorera,  ig  bf.,  wo  er  sich  auch  für  den  nutzen  theatralischer  Vorstellungen  auf 
Luthers  bekante  und  verbreitete  Susserung  beruft 


J.   8.   KITTKRNACHT  511 

hebräischer  spräche.  Damit  auch  die  deutsche  spräche  nicht  fehlet 
folgt  ein  Zwischenspiel,  in  welchem  Pamphilus,  Thraso  und  Philumena 
betrachtungen  über  die  menschen  anstellen,  die  an  den  hohen  festen 
in  prachtvoller  kleidung  erscheinen  und  einen  glaubenseifer  an  den  tag 
zu  legen  sich  bemühen,  den  sie  tatsächlich  doch  nicht  besitzen.  Hier- 
auf folgt  die  eigentliche  geburtsgeschichte  von  Gabriels  Verkündigung 
bis  zum  erscheinen  des  engeis  bei  den  hirten.  Dann  unterhält  sich  ein 
priester  von  Delphi  mit  einem  bauer  über  den  verfall  des  orakels, 
worauf  auch  noch  Apollo  selbst  erscheint  und  sich  hefdg  darüber 
beklagt,  dass  ihm  durch  einen  hebräischen  knaben  der  mund  verstopft 
werde.  Die  wunder  bei  der  geburt  Christi,  die  uns  von  vier  Jünglin- 
gen in  lateinischer  spräche  erzählt  werden,  sind  unterdessen  auch  nach 
Rom  gedrungen,  und  kaiser  Augustus  erbittet  sich  über  diese  wunder 
und  deren  bedeutung  aufklärung  bei  der  Sibylla,  die  ihm  den  rat  gibt, 
dem  erstgeborenen  Gottes  einen  altar  aufstellen  zu  lassen. 

Das  zweite,  1652  aufgeführte  stück:  Dlustratio  vaticinii  Jacobaei, 
quod  Genes.  XLIX.  v.  10.  habetur,  scheint  von  Harsdorffers  gesprächs- 
spielen  beeinflusst  worden  zu  sein,  deren  einfluss  auf  Mitternachts  dra- 
matische Produktion  wir  auch  sonst  verfolgen  können.  Das  stück  ist 
eigentlich  noch  weniger  ein  wirkliches  drama  als  das  vorhergehende. 
Ein  fürst  hört  mit  seinen  hofleuten  einem  gespräch  seiner  geistlichen 
zu,  in  welchem  über  die  Weissagung  Jakobs  gesprochen  und  die 
fjEiischen  auslegungen  der  Juden  und  einzelner  katholischer  Schrift- 
steller bekämpft  werden.  Der  fürst  verfolgt  das  gespräch  mit  sol- 
chem anteil,  dass  er  sich  auch  nicht  stören  lässt,  als  ihm  ein  Sekre- 
tär die  nachricht  überbringt,  ein  verwanter  von  ihm  sei  angekommen 
und  wünsche  sogleich  mit  ihm  zu  sprechen.  Erst  nachdem  das  gespräch 
beendet  ist,  verlässt  er  unter  danksagung  das  haus. 

Während  das  1652  aufgeführte  drama:  Magorum  historia,  soweit 
sich  aus  der  Inhaltsangabe  ersehen  lässt,  nur  eine  trockene  schulübung 
in  der  hebräischen  und  griechischen  spräche  war  und  keine  ausätze 
zur  selbständigen  ausgestaltung  des  Stoffes  zeigt,  ist  das  1657  gespielte 
stück:  de  cruento  Herodis  infanticidio  wider  selbständiger  gearbeitet 
Hier  erscheinen  zuerst  die  vier  magier  —  Mittemacht  hatte  bereits  in 
dem  soeben  erwähnten  stück  die  vier  weisen  aus  dem  morgenlande  auf- 
treten und  mitten  im  stück  durch  einen  schüler  die  katholische  ansieht 
von  der  dreizahl  der  weisen  oder  könige  bekämpfen  lassen  —  und 

1)  Mitternacht  sagt  hierüber  in  dem  programm,  welches  die  inhaltsangabe  ent- 
hält: Nam  et  hnic  linguae  sans  non  deest  decor,  et  adsueüaciendi  sunt  etiam  pau- 
latim  inferiores,  et  primis  coloribus  imbuendi. 


512  KLUNOBR 

rüsten  sich  zu  der  heimfahrt.  Hierauf  tritt  ein  kaufmann  aus  Betle- 
hem  auf,  der  einen  lobspnich  auf  fietlehem  vorträgt,  und  zwar  latei- 
nisch, da  er  häufig  in  Rom  gewesen  ist;  während  die  weisen  grie- 
chisch sprechen.  Es  folgt  ein  gespräch  zwischen  Herodes  und  sei- 
nem rat;  jener  klagt  über  die  nichtigkeit  der  menschlichen  anschlage 
und  über  die  treulosigkeit  iler  weisen  und  fragt,  wie  sich  wol  der 
neugeborene  Judenkönig  werde  beseitigen  lassen.  Der  rat  sucht  ihn 
zu  beruhigen  und  ihm  die  furcht  vor  dem  leeren  gerücht  auszureden. 
Ein  gespräch  Josephs  mit  Maria  und  das  geheiss  des  engeis  an  beide, 
mit  dem  kinde  nach  Ägypten  zu  ziehen,  schliessen  den  akt,  nachdem 
vorher  noch  ein  studiosus  der  theologie  mit  einem  theologen  einige  fra- 
gen über  die  engel  erörtert  hat  Der  zweite  akt  führt  uns  zunächst 
Simeon  und  Hanna  in  freudigem  gespräche  über  die  endliche  geburt 
des  erlösers  vor.  Sie  werden  von  einem  edlen  aus  der  Umgebung  des 
Herodes  belauscht;  dieser  berichtet  den  Inhalt  ihrer  Unterredung  dem 
Herodes  und  entflamt  diesen  dadurch  zur  wut  Sodann  werden  uns 
Joseph  und  Maria,  einander  gegenseitig  tröstend,  auf  der  flucht  gezeigt, 
und  nachdem  das  stück  wider  durch  ein  zwischen  vier  personen  geführ- 
tes theologisches  gespräch  über  die  flucht  nach  Ägypten  unterbrochen 
ist,  wird  der  akt  mit  einer  auseinandersetzung  zwischen  Herodes  und 
seinem  rat  geschlossen,  der,  da  er  die  Unmöglichkeit  einsieht,  den 
Herodes  zu  beruhigen,  sich  ihm  endlich  fügt  Im  dritten  akt  erscheint 
zuerst  die  Gonscientia,  die  dem  Herodes  seine  vielen  morde  vorhält 
Die  Tyrannis  dagegen  bestärkt  den  Herodes  in  seinem  vorhaben.  Ein 
Sekretär  Thrasybulus  überbringt  dem  Herodes  das  dekret,  welches  den 
kindermord  befiehlt,  zur  Unterschrift,  worauf  Herodes  durch  einen  die- 
ner  zwei  centurionen  herbeirufen  lässt,  um  diesen  die  ausführung  zu 
übertragen.  Mit  einer  klage  der  Gonscientia  über  ihr  loos  schliesst  der 
akt  Die  beiden  hauptleute  erscheinen  am  anfang  des  vierten  aktes; 
der  eine  erklärt  sich  zu  dem  kindermorde  bereit,  der  andre  verweigert 
seine  mithilfe.  Hierauf  wird  uns  nun  in  einer  reihe  von  scenen  der 
kindermord  vorgeführt:  drei  frauen,  die  die  Soldaten  flehentlich  um  das 
leben  ihrer  kinder  bitten,  aber  von  ihnen  verhöhnt  und  ihrer  kinder 
beraubt  werden;  eine  frau,  die  ihrem  manne  jammernd  die  ermordung 
ihres  kindes  erzählt,  worauf  dieser  in  der  Verzweiflung  dem  Soldaten 
mit  gezücktem  schwort  entgegen tiitt  und  von  diesem  getötet  wird.  Auch 
die  klagen  des  älteren  sohnes  über  den  tod  des  vaters  bleiben  uns 
ebenso  wenig  erspart  wie  die  freude,  die  der  entmenschte  soldat  bei 
der  erinnerung  an  den  kindermord  äussert  —  Im  fünften  akt  hören 
wir  zunächst  wider  klagen   über  das  elend;   dann  wird  Herodes   vor- 


J.   8.   BUTTSBNACHT  513 

geführt,  gequält  von  den  geistern  derer,  die  er  gemordet,  und  unter 
denen  Mariamne  zuerst  erscheint  Auch  Conscientia  und  die  schatten 
der  gemordeten  kinder  beängstigen  ihn;  hierauf  erscheinen  auch  noch 
die  drei  furien,  und  vergeblich  bittet  Herodes  seine  höflinge  und 
Soldaten,  diese  zu  verscheuchen.  Nachdem  dann  noch  Maria  und  Joseph 
die  gute  Gottes  gepriesen  haben,  der  sie  so  wunderbar  behütet,  berich- 
tet Fama  das  traurige  ende  des  tyrannen. 

Um  seines  Stoffes  willen  noch  interessanter  ist  das  Geleberrimi 
pictoris  Apellis  fatum  (aufgeführt  1655),  die  dramatisierung  der  bekan- 
ten  erzählung  von  der  Verleumdung  des  Apelles  durch  einen  neben- 
buhler  —  eine  fabel,  welche  schon  der  vortref liehe  Micyllus  während 
seines  Frankfurter  rektorats  (1531)  dramatisch  behandelt  hat,  um,  da 
er  wie  der  griechische  maier  von  einem  nebenbuhler  verdächtigt  wor- 
den war,  in  dem  Schicksal  des  Apelles  sein  eignes  abzuspiegeln.  In 
Mitternachts  stück  tritt  zuerst  der  maier  Antiphilus  auf  und  beklagt 
sich  über  die  Verachtung,  der  er  anheim  gefallen;  Invidia  erfült  dann 
sein  herz  noch  mit  immer  heftigerem  hass  gegen  Apelles;  Galumnia 
gibt  ihm  rat;  trug  und  hinterlist  treten  ebenfals  auf  und  gewähren  ihm 
Waffen,  Audacia  endlich  reizt  ihn  zur  tat  und  erweckt  die  nötige  Unver- 
schämtheit in  ihm.  Im  zweiten  akt  wird  dem  könig  Ptolemäus  nach- 
richt  von  einem  aufstand  gegeben,  der  in  Syrien  durch  Theodota  ent- 
standen ist  und  viele  anhänger  gefunden  hat.  Nachdem  der  könig  die 
üblichen  klagen  über  das  schwere  loos  der  könige  und  die  vielen 
gefahren,  denen  sie  ausgesezt  seien,  vorgetragen  und  sich  mit  seinen 
raten  beraten  hat,  lässt  er  durch  einen  herold  dem  einen  hohen  preis 
bieten,  der  ihm  mitschuldige  des  empörers  angebe.  Im  dritten  akt 
erscheint  nun  Antiphilus  und  nent  den  Apelles  als  mitverschwörer;  in 
der  Umgebung  des  königs  stimt  man  für  einen  schnellen  tod  des  Apel- 
les. Dieser,  durch  Fama  von  dem,  was  ihm  droht,  benachrichtigt, 
bejammert  das  schwere  Schicksal,  das  ihn  trotz  seiner  Unschuld  getrof- 
fen, und  wird  deshalb  von  Calumnia  verspottet.  Am  anfange  des  drit- 
ten aktes  treten  wider  drei  allegorische  personen:  Innocentia,  Justitia 
und  Conscientia  auf,  diese  tröstend,  jene  sich  über  das  unrecht  beklagend, 
das  dem  Apelles  angetan.  Dann  erscheint  des  Apelles  söhnchen  vor 
Ptolemäus,  fält  vor  ihm  nieder  und  fleht  um  gnade  für  seinen  vater; 
da  es  beim  könige  nichts  erreicht,  wendet  es  sich  mit  seiner  bitte 
an  den  kanzler.  Dieser  bestimt,  dass  die  sache  von  einem  gerech- 
ten richter  untersucht  werden  soll.  Jedoch  dieser  wird  von  den  ran- 
ken des  durch  trug  und  list  unterstüzten  Antiphilus  so  bestrickt,  dass 
er  den  Apelles  für  schuldig  erklärt  und  ihn  zum  tode  verurteilt    Im 

ZEITSOHHIFT  F.   DltTTSGHB  FHDiOLOOIK.     BD.  ZXV.  33 


514  BIUIIGIB 

fünften  akt  endlich  erfolgt  die  befreiung:  der  kanzler  befragt  die  gefan- 
genen, ob  Apelles  zu  ihnen  gehört  habe;  sie  sagen  für  ihn  aus,  nnd 
so  spricht  der  könig  den  Apelles  los  und  übergibt  ihm  den  Antiphilus 
als  Sklaven. 

So  weit  man  aus  den  Inhaltsangaben  einen  schluss  ziehen  kann, 
wird  das  drama  vom  betlehemitischen  kindermord  die  stärkste  Wir- 
kung ausgeübt  haben.  Namentlich  die  scene,  in  der  Herodes  von  den 
schatten  der  von  ihm  gemordeten  geängstigt  wird  und  vergeblich  den 
furien  zu  entrinnen  sucht,  scheint,  wenn  wir  uns  ähnliche  Situationen 
aus  den  beiden  deutschen  stücken  vergegenwärtigen,  gross  angel^ 
gewesen  zu  sein.  Freilich  ein  künstlerischer  eindruck  konte  mit  die- 
sen stücken,  so  stark  auch  das  eingesezte  dramatische  talent  des  Ver- 
fassers war,  kaum  erzielt  werden:  eine  wirkliche  entbltung  der  hand- 
lung,  eine  anpassung  des  ausdrucks  an  die  darzustellende  Situation  war 
durch  das  seltsame  sprachgemenge  sehr  erschwert,  welches  selbstver- 
ständlich in  der  spräche  viel  Schablonen-  und  phrasenhaftes  herbeifüh- 
ren muste. 

Daher  lernen  wir  die  eigentliche  kraft  des  dramatikers  erst  aus 
den  beiden  deutschen  dramen  kennen.  Jedesfals  aber  sind  für  die  ent- 
wicklung  des  dichters  diese  schulkomödien  nicht  zu  unterschätzen:  sie 
haben  ihm  zweifellos  eine  gewisse  theatralische  gewantheit,  eine  bedeu- 
tendere Sicherheit  in  der  handhabung  der  form  gegeben.  Im  aufbau 
ähneln  denn  nun  auch  diese  vielsprachigen  schulkomödien  den  deut- 
schen dramen  volständig,  wie  wir  noch  sehen  werden,  wenn  wir  uns 
von  der  art  der  bühneneinrichtung,  die  seine  stücke  voraussetzen,  eine 
Vorstellung  zu  machen  suchen.  Auch  andre  züge,  wie  das  auftreten 
der  gleichen  allegorischen  figuren,  die  neigung  zimi  ausmalen  leiden- 
schaftlich bewegter  und  rührender  scenen  finden  wir  in  den  deutschen 
stücken  wider;  ja  einzelne  scenen  der  deutschen  dramen  scheinen  in 
diesen  stücken  gewissermassen  schon  im  keim  enthalten  zu  sein,  so 
z.  b.  die  scene,  in  der  die  kinder  des  barbiers  den  lichter  um  gnade 
für  ihren  vater  anflehen  (s.  u.  s.  525  %.),  i^i  dem  gleichen  oben  s.  513 
angeführten  Vorgang  aus  dem  Apelles.  Ebenso  muten  uns  andre  sce- 
nen wie  Vorstudien  zu  ähnlichen  auftritten  in  den  deutschen  stücken 
an.  Dass  der  gleiche  reichtum  an  personen  hier  wie  dort  vorhanden, 
ist  selbstverständlich  und  erklärt  sich  ebenso  wie  spätar  bei  Christian 
Weise  aus  dem  wünsche ,  möglichst  viele  schüler  an  der  aufifuhrung  teil- 
nehmen zu  lassen. 

Bevor  wir  uns  indessen  den  deutschen  dramen  Mittemadits  selbst 
zuwenden,   sei  ein  kurzer  ausblick  auf  die  nachwirkung  gestattet,   die 


J.   S.   MITTERNACHT  515 

sein  eifer  für  schulauffühningen  in  Gera  ausübte.  So  führte  rektor 
Köber,  Mitternachts  naclifolger,  mehrfach  eine  komödie  zum  lobe  des  alten 
Griechenlands  auf,  mit  benutzung  des  Cornelius  Nepos.  In  dieser  wird 
im  ersten  akt  Jupiter  vorgeführt,  den  die  Providentia  divina  auffor- 
dert, Griechenland  aus  seinem  jetzigen  zustande  zu  befreien,  worauf 
dann  Griechenland,  gefesselt  von  der  Barbaries  (in  der  inhaltsangabe 
der  späteren  auflführung  ist  es  der  Türke  selbst:  vinculis  Turci  con- 
stricta)  erscheint  und  ihr  trauriges  Schicksal  beklagt  Im  zweiten  akt 
erscheint  dann  Jupiter  auf  der  erde  mit  Graecia  und  Attica,  und  er 
lässt  durch  Mercurius  götter,  beiden,  totenrichter,  geschichtsschreiber 
und  viele  allegorische  figuren  herbeirufen,  welche  entweder  das  los 
Griechenlands  verkünden  oder  dieses  durch  ihr  zeugnis  bekräftigen 
müssen.  Man  sieht:  es  ist  eigentlich  mehr  ein  redeakt  als  ein  wirkliches 
drama;  nur  im  fünften  akt  komt  durch  die  klagen  der  aus  der  unter- 
weit heraufbeschworenen  Athener  Themistokles,  Aristides  und  Cimon  über 
die  Ungerechtigkeit  ihrer  ehemaligen  Verbannung  aus  dem  vaterlande 
ein  neues  motiv  in  die  handlung.  Überhaupt  nehmen  sich  diese  stücke, 
ebenso  wie  die,  welche  Mitternachts  koUegen  noch  während  seiner 
amtszeit  aufFührten  (wie  die  vom  conrektor  Berger  1657  zur  darstellung 
gebrachte  vergilische  tragödie :  Aeneas  und  Lavinia)  Mitternachts  stücken 
gegenüber  recht  kahl  und  dürftig  aus,  so  dass  man  aus  dieser  verglei- 
chung  erst  erkent,  mit  wie  grossem  theatralischen  geschick  Mittemacht 
seine  aufgäbe  angriff. 

Grösseres  Interesse  bringen  wir  von  diesen  späteren  schulkomö- 
dien  in  Gera  nur  einer  entgegen,  nämlich  der  vom  rektor  Köber  1669 
veranstalteten  aufführung,  die  ähnlich  wie  Mitternachts  deutsche 
stücke  auf  dem  rathause  zur  feier  des  landtagsschlusses  statfand.  Das 
stück  verdient  um  deswillen  beachtung,  weil  es  eine  neue  bearbeitung 
von  Gomeilles  Polyeuct  ist,  und  deshalb  möge  hier  die  inhaltsangabe, 
die  sich  erhalten  hat,  mit  auslassung  der  namen  der  darsteller  wider- 
gegeben werden.  Gomeilles  name  selbst  ist  freilich  in  dem  dmcke 
nicht  erwähnt,  wie  denn  auch  in  demselben  nirgends  vermerkt  wird, 
dass  das  stück  nach  einem  fremden  vorbilde  gedichtet  ist  (Es  sind 
4  blätter  in  4^;  auf  die  beschreibung  des  ausführlichen  titelblattes  kann 
wol  verzichtet  werden).  Das  offenbar  in  deutscher  spräche  geschriebene 
stück  führte  den  titel:  „Der  Christen  Marter -Krohn  und  Ehren -Thron." 
Nach  den  üblichen  werten  des  Prologus,  des  Argumentator  generalis 
und  des  Admonitor  folgt  zunächst  in  der  ersten  abhandlung  der  „Ar- 
gumentator specialis",  den  Inhalt  der  gantzen  ersten  handlung  mit  kur- 
zen werten   erzehlend:    Im  I.  auftritte   dancket  Antonius,   ein  einsie- 

33* 


516  ELLINOER 

del  Gott  vor  friede  und  ruhe,  so  er  bisher  seiner  kirchen  verliehen. 
Im  U.  auftritt  praesentirt  sich  Szaramuza  als  ein  unwissender  und  in 
christlicher  religion  unerfahrener  bauem -junge,  welchen  der  einsiedel 
mit  sich  nimt,  und  in  der  erkäntnus  Gottes  unterrichtet  Im  III.  tritt 
ein  der  kaiserliche  herold  und  eröfnet  aus  des  kaysers  Decii  ernst- 
liches edict,  die  Verfolgung  der  Christen  betreffend.  Im  IV.  tut  Sza- 
ramuza dem  einsiedel  sein  erlerntes  glaubens-bekäntnüs.  Im  V.  dis- 
curriren  Folyeuctus  das  haupt  des  adels  in  Armenien  und  Majoranus 
ein  rat  des  fiii'sten  in  Armenien  von  dem  kayserUchen  befehl,  und 
improbiren  denselben,  als  heimliche  Christen.  Im  TL  erkläret  sich 
Felix,  ein  Fürst  in  Armenien  dem  kay serlichen  befehl  treulichst  nach- 
zukommen, welches  ihm,  wie  wol  vergeblich,  Polyeuct  widerratet. 
Im  VII.  erzählt  Scaramuza,  was  er  in  der  stadt  von  der  Christen  Ver- 
folgung gehört,  und  gehet  hin,  solches  seinem  alten  einsiedel  zu  erzäh- 
len. Im  Vin.  kömt  Polieuct  und  Nearcus,  ein  afrikanischer  landes- 
fiirst,  vor  diesmal  ein  mitglied  des  hohen  rats  in  Armenien,  und 
erinnern  einander  ihres  Christentums  und  der  beständigkeit,  bey  dem- 
selben zu  verharren.  ])n  IX.  stellt  sich  ein  Felix  mit  seinen  raten, 
so  da  sind  Polyeuct,  Majoran,  Seleucus,  Nicander,  Brutus  und  Aure- 
lius,  teils  Römer,  teils  Persianer;  vor  sie  werden  gebracht,  und  zum 
tode  verurteilet  zween  persianische  Christen,  sonst  vornehme  reichs- 
vasallen.  Im  X.  klagt  Scaramuza  über  den  todes-fall  seines  frommen 
einsiedlers.  Im  XL  begegnen  Polyeuct  und  Nearc  der  Paulinae  und 
Stratonicae,  und  eilen  von  diesen  hinweg.  Daher  Paulina,  des  füi'stcn 
tochter  uild  vertraute  des  Polyeucti,  im  XII.  eintritt  über  Polyeuct  klagt, 
Scaramuza  aber  um  die  Gamillam  freyet,  und  repuls  bekömt  Im  XIII. 
bittet  Paulina  bey  ihrem  vater,  dem  fürsten  Felici,  umb  gnade  vor  die 
gefangenen  Christen,  bekömt  aber  abschlägliche  antwort,  weil  er  sich 
vor  des  Severi,  eines  römischen  ritters  und  des  kaysers  geheim desten 
freundes  ankunfit,  so  ihm  Albin,  ein  römischer  kriegsbedienter  in  Arme- 
nien, ankündiget,  gar  hefftig  fürchtet,  in  sorgen  stehende,  Sever  möchte 
vom  römischen  kayser  abgeordnet  seyn,  uff  Felicis  beginnen  wider  die 
Christen  achtung  zu  geben.  Im  XIV.  agirt  Scaramuza  und  Pantalon 
und  gibt  jener  bey  dieser  seyner  tochter  Freyens  vor.  Im  XV.  fallen 
Severus  und  Fabian  nider  uff  die  knie,  und  dancken  den  Göttern  vor 
verliehenes  glück  zur  reise.  Im  XVI.  kömt  Albin  und  mit  ihm  Seleu- 
cus, Brutus,  Nicander,  Aurel,  Majoran  und  Scaramuza,  Se^erum  zu 
beneventiren.  Im  XVII.  reden  Severus  und  Fabian,  bey  de  römische 
ritter  und  vertraute  freunde,  von  der  Paulinen  Vermählung  an  den  Po- 
lyeuct    Denn  die  Paulinam  hatte  hiebevor  Severus  zu  Rom  geliebet, 


J.   S.   MITTIBNACHT  517 

kam  auch  nuiimehro,  sie  ihmo  zur  gemahlin  zu  begehren,  und,  damit 
solches  desto  heimlicher  möchte  zugehen,  gab  er  vor,  er  hätte  den 
göttem  in  Armenien  ein  grosses  opfer  zu  tun,  und  das  sei  die  Ursache 
seiner  ankunfft  von  Rom.  Im  XVIIL  kommen  zu  diesen  beyden  rit- 
tem  Paulina  und  Straten ice,  so  denn  Severus  die  unglückseligkeit  sei- 
ner liebe  beklagt.  Scaramuza  menget  sich  hiermit  ein  und  agiert.  Im 
XIX.  tröstet  Polyeuctus  die  Paulinam,  dass  sie  sich  vor  Sever  nicht 
zu  fürchten,  noch  etwas  böses  zu  befahren  habe.  Im  XX.  berufift  Cleon, 
hauptmann  über  die  leib -wache,  den  Polyeuct  im  tempel  zum  opfFer, 
ufif  des  fürsten  befehl.  Im  XXL  Polyeuct  sich  stellend,  als  wolte  er 
dahin  gehen,  wird  von  Nearc  seines  Christen thumbs  scharff  erinnert: 
Daher  sie  beyde  beschliessen  zu  öffentlicher  bekäntnus  ihres  glaubens, 

den   öffentlichen   angestelten  götzen- dienst  zu   zerstören Zu   der 

andern  abhandlung  wird  einen  anfang  machen  Argumentator  11.  Im 
I.  eintritt  aber  agiert  Pantalon  und  Scaramuza,  da  jener  diesen  als  einen 
Christen  höhnisch  hält,  dieser  aber  jenes  heidnische  götzen  verlacht. 
Im  n.  auguriert  ein  heidnischer  wahrsag-priester,  wie  treulich  die 
götter  in  zukunfft  ihre  religion  beschützen  würden.  Im  III.  agiert 
Scaramuza.  Im  IV.  steht  der  hohepriester  vor  Jupiters  altar  mit  dem 
räucher-fass,  der  opffer-priester  beym  opffer  und  verrichten  nebenst 
dem  wahrsag-priester  ihren  götzendienst.  In  welchem  sich  auch  befin- 
det fürst  Felix  mit  fünff  raten,  wie  auch  Stratonice.  Zu  ihnen  kom- 
men im  V.  eintritt  Polyeuct,  und  Nearc,  ihnen  den  schändlichen  götzen- 
dienst verweisende,  die  anwesenden  verjagende,  die  bilder  stürmende. 
Im  VI.  kömt  Albin  mit  der  wache  und  nehmen  Polyeuct  und  Nearc 
gefangen.  Im  VII.  lässt  fürst  Felix  seinen  zorn  und  imwillen  wider 
die  missetäter  hören.  Im  VIII.  erzählt  Stratonice  der  Paulinen,  was 
im  tempel  vorgegangen,  worüber  diese  gar  sehr  bestürzt  wird.  Im 
IX.  praesentiert  sich  das  gefängnis  mit  den  gefangenen  Polyeuct,  Nearc, 
obgedachten  2  Persianern  und  Scaramuza.  Im  X.  kömt  Albin  vors 
gefängnis  mit  der  wache,  und  holt  Nearcum  vors  hohe  gerichte  ab.  Im 
XI.  bringt  Albin  den  gefangenen,  Felix  und  seine  rate  verdammen 
Nearc  zum  tote,  und  befehlen,  dass  ihm  das  hertz  solle  aus  dem  leibe 
gerissen  werden.  Im  XU.  tröstet  Majoran  die  Paulinam,  berichtend, 
dass  Polyeuct  noch  lebe,  und  dass  er  sich  wolle  angelegen  seyn  lassen, 
ihn  vom  tode  zu  erretten.  Im  XIII.  wehklagt  Paulina  über  den  elen- 
den zustand  ihres  liebsten  Polyeucts,  wird  aber  von  Stratonice  getrö- 
stet. Im  XIV.  werden  die  beyden  Persianischen  Christen  im  feuer 
geschmäuchet.  Im  XV.  wird  Nearcus  nach  gefältem  urteil  justificiert, 
und  siehet  diesem  handel  Polyeuct  mit  hert^hafftigkeit  zu.    Im  XVI. 


*     • -•.  »■  •- 


518  ILLmOEB 

wehklagt  die  Christen -Unschuld,  ein  engei  aber  tröstet  sie.  Im  XYU. 
berichtet  Gleon  den  Felicem,  wie  die  hinrichtung  des  Nearci  abgelaof- 
fen.  Im  XVIII.  falt  Paulina  ihrem  herm  vatter  zu  fasse,  vor  ihren 
breutigam,  Polyeuct,  umb  gnade  bittende,  aber  Felix  will  sich  darza 
nicht  beqvemen.  Im  XIX.  erzehlt  gleicher  massen  Albin,  was  bey 
justificierung  des  Nearci  vorgelauffen,  und  bittet  zugleich  um  des  Po- 
lyeucts  erledigung,  erlanget  aber  nichts Und  hierauf  wird  geschrit- 
ten zur  dritten  und  lezten  abhandlung.  Den  Inhalt  derselben  erzählet 
Argumentator  III.  Und  darauff  in  dem  I.  eintritt  erscheint  des  ertö- 
teten Nearci  geist  mit  einer  krohnen  und  palmenzweige  dem  Polyeuct, 
so  ufF  einem  stule  sitzet  und  schläfit  Im  11.  eintritt  erscheinet  ihm 
die  ewigkeit  im  schlaffe,  ihn  mit  betrachtung  der  ewigkeit  auffiichtenda 
Im  in.  praesentiert  sich  CSeon  mit  der  wache  vor  dem  gefangnis,  Po- 
lyeuct begehrt  mit  seiner  Paulina  noch  nicht  zu  reden«  Im  lY.  erklärt 
sich  Polyeuct  zur  beständigkeit  in  seiner  christlichen  religion.  Inzwi- 
schen kömt  im  Y.  eintritt  Paulina  zu  ihrem  Polyeuct,  weil  sie  ihn 
aber  durchaus  uff  keinerley  weise  von  dem  christenthumb  abwendig 
machen  kann,  gehet  sie  endlich  in  unmuth  darvon.  Im  YI.  implorieit 
Paulina  den  Sever,  er  wolle  ihr  doch  zu  liebe  und  gefallen  ihren  Po- 
lyeuct vom  tode  erretten,  worzu  er  sich  auch  erklärt,  iedoch  dass  ihm 
solches  Fabian,  nach  der  princessin  hinwegscheiden,  eiferichst  wider- 
räthet,  wiewohl  Sever  uff  seiner  gefassten  meinung  bleibt,  und  die 
gethane  verheissung  in  der  that  zu  leisten  gedenket  In  dem  YII. 
kömt  fürst  Felix  mit  einem  mehr,  sezt  sich  an  einen  tisch,  und  nach- 
dem er  den  mehr  von  sich  gelassen,  und  schreiben  will,  schlummert 
er  darüber  ein.  Darauff  erscheinet  das  Fatum  und  erinnert  den  fur- 
sten  im  träume,  wie  vergeblich  sein  beginnen  sey  wieder  den  rath- 
schluss  gottes.  Und  so  Felix  hier  auff  erwachet,  und  von  neuem  das 
blut-urtheil  wieder  seinen  eydam  den  Polyeuct  unterschreiben  wUl, 
kömt  Nearci  geist,  löschet  ihme  das  liecht  aus,  rüttelt  an  dem  tisch 
und  nimt  ihm  das  pappier  aus  der  band,  und  fleucht  darvon^;  worüber 
Felix  zwar  bestürtzt  wird,  doch  aber  bey  seiner  meinung  wieder  den 
Polyeuct  zu  verharren  gedenkt.  Im  YIII.  tritt  Severus  ein,  den  for- 
sten zu  bereden,  dass  er  Polyeuct  möchte  das  leben  schencken,  aber 
Felix,  als  der  ihm  nicht  trauete,  will  sich  nicht  bereden  lassen.  Im 
IX.  hält  Felix  rath  wieder  Polyeuct,  welcher  sich  auch  als  einen 
gefangenen  im  X.  vor  dem   hohen   rath   darstellig  macht:   wird   zum 

1)  Denuiige  Situationen  kommen  im  drama  des  siebzehnten  Jahrhunderts  sehr 
häuflg  vor,  man  vgl.  z.  b.  den  ganz  ähnlichen  Vorgang  in  Beckhs:  Folinte  oder  die 
kUlgliohe  Ijoolizoit;  vgl.  Viertoyahrsschrift  f.  litteratargeschichte  V,  372. 


J.   8.   MITTJEBNACHT  519 

todte  verurtheilt  Im  XL  wird  Polyeuct  zur  richtstätte  hinaus  geführt, 
Pauline  eilt  ihm  nach,  bekennet  sich  öffentlich  zum  christenthumb, 
und  kniet  nieder,  mit  bitte,  man  wolle  ihr  doch  noch  eher,  als  ihrem 
Polyeuct  den  kopff  nehmen.  Über  dieser  wunderlichen  geschieht  wird 
alles  perplex,  und  werden  die  gefangenen  uff  des  fürsten  befehl,  bis 
uff  fernere  anordnung  zurücke  geführt.  Fürst  Felix  wird  durch  so 
wunderseltzame  begebenheiten  heftig  constemirt,  und  zugleich  in  seinem 
hertzen  kräStiglich  gerührt,  dass  er  sich  zum  christlichen  glauben  zu 
bekennen  nicht  wenig  geneigt  ist,  und  solches  wird  er  bekennen  im 
XII.  eintritt.  Im  XIII.  wird  er  rath  halten  und  deliberiren,  ob  es 
nicht  rathsam,  dass  man  sich  zur  chnsten-religion  wende.  Und  nach 
dem  allerley  discurrirt  worden,  erklärt  er  sich  mit  den  räthen  dahin, 
dass  sie  mit  dem  gantzen  lande  Christen  wollen  werden.  Im  XIV.  wer- 
den die  heydnischen  priester  aus  dem  lande  gejagt  Im  XY.  und  letz- 
ten wird  Gott  vor  die  bekehrung  zur  göttlichen  warheit  von  Feiice, 
Polyeuct  und  Paulina  gedancket,  sie  auch  werden  von  einem  engel 
zur  beständigkeit  im  glauben  angemahnet  Und  also  wird  frölich,  was 
sich  so  traurig  und  jämmerlich  anliess,  beschlossen  — 

Diese  bearbeitung  darf  gewiss  Interesse  für  sieh  in  anspruch  neh- 
men. Wir  erhalten  keine  sich  genau  an  das  original  anschliessende 
Übersetzung,  wie  sie  vom  Polyeukt  drei  jähre  vor  Köbers  stück  Tobias 
Fleischer  in  seinen  „Erstlingen  von  Tragoedien,  Helden -Reimen  vnd 
anderen  Tichtereyen  (1666.  Exemplar  in  Berlin;  vgl.  Goedeke,  III*, 
222  und  die  freilich  nicht  zureichenden  mitteilungen  in  Schnorrs  archiv 
f.  1.  III,  249  fgg.)  gegeben  hatte,  sondern  eine  auseinandergezogene 
und  mit  vielen  zutaten  verbrämte  Überarbeitung.  Tatsachen,  die  Cor- 
neille erzählt,  werden  auf  der  bühne  selbst  dargestelt,  namentlich 
dann,  wenn  sie  gelegenheit  zu  pomphaften  scenen  geben.  Die  scene 
im  tempel,  die  bei  Corneille  nur  berichtet  wird,  führt  der  Verfasser 
unmittelbar  vor,  ebenso  die  hinrichtung  des  Nearch;  wodurch  aller- 
dings der  übelstand  entsteht,  dass  das,  was  wir  eben  auf  der  bühne 
haben  vorgehen  sehen,  nachher  noch  zweimal  erzählt  wird. 

Ein  teil  dieser  änderungen,  wie  die  einfügung  der  komischen 
personen  und  des  einsiedlers  rührt  offenbar  von  Köber  selbst  her;  die 
wesentlichsten  zusätze  dagegen  berühren  sich  so  mit  einer  in  dem 
gleichen  jähre  erschienenen  bearbeitung  des  Polyeukt,  dass  ein  Zusam- 
menhang nicht  in  abrede  gesteh  werden  kann.  Es  ist  der  „Polyeuctus 
oder  Christlicher  Märtyrer"  von  Christophorus  Kormart  (1669;  exem- 
plar  in  Berlin  Xv  3590;  Analyse  in  Gottscheds  Beyträgen  zur  criti- 
schen  historie  der  deutschen  spräche  und  beredsamkeit,  YI,  385  fgg.), 


V».    « 


520 


ELUNOIB 


bokant  namentlich  durch  die,  freilich  so  wie  sie  überliefert  wird, 
unglaubwürdige  nachricht,  dass  in  diesem  von  Studenten  dargestelten 
stück  Veitheim  zuerst  aufgetreten  und  infolge  dieser  aufiFührung  nei- 
gung  zum  theater  gewonnen  haben  soll.  Die  Umarbeitung  Eormarts 
zeigt  in  ihren  steifen  gedrechselten  prosaischen  reden,  den  unerträg- 
lichen reimereien,  die  hie  und  da  neben  der  prosa  auftauchen,  nament- 
lich aber  in  den  von  Eöber  zum  teil  entlehnten  „eigenen  erfindungen*^ 
einen  sehr  schlechten  geschmack.  Dieses  stück  muss  bald  nach  seiner 
drucklegung  Eöber  zugekommen  sein,  denn  die  wesentlichsten  yeran- 
derungen  sind  aus  ihm  entnommen,  sowol  die  kleineren  wie  der  dialog 
zwischen  Severus  und  Fabian  nach  ihrer  seereise  (Eöber  I,  17.  Eor- 
mart  II,  1),  die  einfügung  der  um  ihres  Christentums  angeklagten  Per- 
ser (Eöber  I.  9.  11,  14.  Eorraart  I,  2.  III,  9),  als  die  Vorführung 
der  scene  im  tempel  und  die  geistererscheinungen  des  Nearch  (die 
scene  HI,  7  bei  Eöber  ist  genau  Eormart  IV,  11  nachgebildet).  Die 
von  Eormart  verwendeten  mythologischen  und  allegorischen  figuren 
sind  von  Eöber  fortgelassen ;  doch  werden  bei  Eöber  gelegentlich  andere 
allegorische  gestalten  verwendet.  Dagegen  ist  die  rettung  Polyeukts 
am  schluss  Eöbers  eigentum;  der  schluss  Eormarts  schliesst  sich  im 
wesentiichen  an  Corneille  an.  — 

Die  beiden  deutschen  dramen  Mitternachts,  denen  wir  uns  jezt 
zuwenden,  können  eigentlich  nicht  durchweg  als  schulkomödien  betrach- 
tet werden.  Sie  wurden  zwar  von  schülern,  aber  nicht  in  der  schule, 
sondern  öffentlich  auf  dem  rathaus  dargestelt,  und  zwar  das  eine  zur 
feier  des  landtagsschlusses,  das  andre,  um  die  tätigkeit  Mitternachts 
als  rektor  bei  seinem  weggange  nach  Greiz  würdig  abzuschliessen. 
Wenn  nun  aber  auch  diese  Art  der  entstehung  dem  autor  mehr  frei- 
heit  sowol  in  der  wähl  des  Stoffes  als  in  der  ausführung  des  einzelnen 
gab,  so  lässt  sich  doch,  wie  bereits  oben  hervorgehoben  ist,  nirgends 
der  Zusammenhang  mit  den  eigentlichen  schulkomödien  verkennen.  — 
Mittemacht  hat  auf  die  ausarbeitung  der  dramen  grosse  Sorgfalt  gewant 
Er  wendet  sich  daher  aufs  schärfete  gegen  die  stücke  der  fahrenden 
englischen  und  deutschen  komödianten  und  die  nach  seiner  ansieht  in 
diesen  dramen  herschenden  regellosigkeiten  und  Unsitten.  „Zwar  die 
Engelländer",  lässt  er  den  Prologus  zu  seinem  Vnglückseligen  Soldaten 
und  Vorwitzigen  barbierer  sagen  ^,  „und  andere  im  lande  herumbstrei- 
chende  comoedianten,    als  welche  entweder  gar  nichts,   oder  nicht  viel 

1)  Ein  teil  der  stelle  ist  schon  angefühH  worden  von  C.  Renling,  die  komi- 
sche figur  in  den  wichtigsten  deutschen  dramen  bis  zum  endo  des  XYII.  Jahrhunderts. 
1890.    S.  131. 


J.   8.   MITTEBNACHT  521 

besonders  studiret  haben,  sind  hierumb  wenig  bekümmert,  wie  aus 
denen  Engelländischen  comoedien,  so  in  zweyen  voluminibus  zusam- 
mengedrückt, satsam  zu  ersehen  stehet,  als  in  welchen  fast  nicht  eine 
einige  zu  befinden,  die  nach  den  vorgeschriebenen  legibus  und  prae- 
ceptis  durchgängig  eingerichtet  wäre;  und  pflegen  doch  nichts  desto 
weniger  solche  comoedianten  hin  und  wieder  beliebet  und  gelobet  zu 
werden,  alldieweil  sie,  was  ihren  comoedien  ermangelt,  theils  durch 
kleider-pracht,  theils  durch  einen  geübten  und  kurtzweiligen  Jean  puta- 
gen  ersetzen,  und  sich  getrösten,  dass  unter  viel  hundert  Spectatoribus 
oder  Zuschauern  offt  kaum  einer  sey,  der  da,  was  zu  einem  solchen 
wercke  gehöret,  gründlich  verstehe,  und  consequenter  davon  judiciren 
könne,  sondern  die  meisten  Spectatores  mit  hindansetzung  des  haupt- 
werkes  sich  an  den  possen,  und  gemeiniglich  groben  zot^n  belustigen*'. 
(A  2  a.)  —  Namentlich  darauf  hat  Mitternacht  grosse  mühe  verwendet, 
jeden  die  spräche  sprechen  zu  lassen,  die  seinem  bildungsgrade  ent- 
spricht, „sintemahl  am  hellen  tage  lieget,  dass  anders  ein  vornehmer 
potentat,  anders  ein  gelehrter  mann,  anders  ein  bescheidener  bürger, 
anders  ein  knecht  oder  magd,  anders  eine  manns-  und  anders  eine 
weibs-person,  anders  ein  erwachsener  mensch,  und  anders  ein  kind  zu 
reden  pflege",  (a.  a.  6.  liij  b.)  Für  die  berech tigung  dieses  strebens 
nach  natürlichkeit  des  ausdrucks  und  abstufung  der  spräche  nach 
herkunft  und  bildung  der  einzelnen  personen  beruft  er  sich  auf  Plau- 
tus,  während  Terenz  alle  figuren  in  der  gleichen  eleganten  spräche 
reden  lasse. 

In  seinem  trauerspiel:  Der  unglückselige  soldat  vnd  vorwitzige 
barbireri  ergriff  Mittemacht  ein  ereignis  zur  dramatischen  behandlung, 
welches  unmittelbar  vorher  geschehen  war.  Die  schauererzählung,  die 
durch  fliegende  blätter  in  Deutschland  verbreitet  wurde,  kam  dem 
erfahrenen  pädagogen  offenbar  recht  gelegen,  denn  sie  eignete  sich  vor- 
züglich zur  einschärfung  einzelner  cardinalsätze,  die  der  Jugend  einzu- 
piägen  waren.  Zunächst  predigte  die  geschichte  laut  und  vernehmlich 
den  gehorsam  gegen  eitern  und  lehrer,  und  Mitternacht  unterliess  es 
nicht,  das  bereits  im  Stoffe  liegende  motiv  noch  deutlicher  herauszu- 
arbeiten. Das  drama  zeigte  an  einem  erschütternden  beispiele,  wie  es 
einem  jüngling  ergieng,  der  sich  durch  ungehorsam,  trotz  und  Undank- 
barkeit an  seinen  eitern  vergangen  hatte.     Aber  noch  nach  einer  andern 

1)  1662.  Goedeke  EI*,  221.  Gottsched,  Nöthiger  vorrath  I,  225  hat  das 
stück  irtümlicher  weise  unter  das  jähr  1670  gestelt.  Daraus  ist  denn  die  voratellung 
entstanden,  als  ob  das  stück  noch  einmal  in  späterer  aufläge  erschienen  wäre;  tat- 
sächlich existiei't  aber  keine  ausgäbe  von  1670. 


-ia.«__  «-    ..  


522  UiLmoBR 

rieht ung  hin  ivar  die  gescbichte  für  den  erzieher  auszubeuten.  Nach 
dem  entsetzlichen  kriege  waren  noch  nicht  anderthalb  Jahrzehnte  ver- 
flossen; der  schwedisch -polnische  krieg  war  soeben  yerübergegangen, 
und  die  neigungen  der  Jünglinge,  an  dem  wilden  kriegstreiben  teilzu- 
nehmen, das  ihnen  befireiung  von  jeder  fessel  verhiess  und  rühm,  ehre 
und  reiche  beute  vorspiegelte,  werden  zwar  nicht  mehr  ebenso  stark 
gewesen  sein  wie  im  dreissigjährigen  kriege,  waren  aber  noch  immer 
keineswegs  verschwunden.  Da  galt  es,  warnende  beispiele  vorzufuhren, 
welche  davon  Zeugnis  ablegten,  wie  trügerisch  die  von  der  phan- 
tasie  vorgespiegelten  träume  seien  und  wie  anstatt  rühm  und  reich- 
tum  nur  mühsal,  beschwerden  imd  ein  siecher  oder  verstümmelter 
körper  dort  zu  holen  wären;  es  galt,  die  abneigung  vor  den  Studien 
und  die  abenteuerlust  zu  bekämpfen.  Diese  pädagogischen  tendenzcn 
beherschten  Mittemacht,  als  er  an  die  dramatisierung  der  geschichte 
gieng,  deren  Inhalt  kurz  folgender  ist: 

Musophilus,  ein  kaufmann  von  Trient,  hat  einen  söhn  Ariophilus, 
den  er  sorgfaltig  hat  unterrichten  lassen,  da  er  ihn  später  in  einem 
hohen  amte  zu  sehen  wünscht  Des  sohnes  gedanken  aber  sind  nur  auf 
den  krieg  gerichtet;  und  als  sein  vater  ihn  auf  eine  Universität  senden 
will,  komt  der  Zwiespalt  in  beider  anschauungen  zum  ausdruck.  Ario- 
philus lässt  sich  anwerben;  er  verlangt  von  seinem  vater  ungestüm  das 
mütterliche  erbteil  und  zieht,  nachdem  er  es  erhalten,  von  dannen  in 
der  stolzen  hofnung,  bald  zu  den  höchsten  militärischen  ehren  empor- 
zusteigen. Aber  um  sein  geld  betrügen  ihn  die  andern  Soldaten;  an- 
statt der  erwarteten  ehren  lernt  er  nur  die  mühseligkeiten  und  placke- 
reien  seines  neuen  Standes  kennen,  auch  schlage  werden  ihm  nicht 
erspart  Da  desertiert  er,  wird  verfolgt  und  sucht  bei  einem  berühmten 
arzt  (barbier)  in  Padua  Zuflucht.  Der  arzt  nimt  ihn  scheinbar  freund- 
lich auf,  gedenkt  ihn  aber  zur  ausfühnmg  eines  entsetzlichen  planes 
zu  gebrauchen.  Schon  längst  hatte  er  nämlich  den  wünsch  gehabt, 
einem  lebendigen  menschen  die  brüst  aufzuschneiden,  um  die  bewe- 
gung  des  herzens  zu  beobachten.  Er  hatte  schon  vordem  versucht, 
diesem  wünsch  auf  gesetzliche  weise  zu  genügen,  indem  er  den  padua- 
nischen  gerichtshof  ersucht  hatte,  ihm  zu  diesem  zwecke  einen  zum 
tode  verurteilten  Verbrecher  zu  überliefern.  Damals  war  er  abgewiesen 
worden.  Darum  komt  ihm  jezt  der  landflüchtige  soldat  sehr  gelten. 
Er  nimt  seinen  gehülfen  einen  eid  ab,  dass  sie  über  alles  schwei- 
gen wollen;  hierauf  wird  das  grausige  werk  vor  den  äugen  der 
Zuschauer  volzogen,  und  Ariophilus  stirbt  einen  entsetzlichen  tod. 
Aber  trotz  der  furchtbaren  eide  bleibt  die   tat   doch  nicht  verborgen. 


j.  B.  hzthrnaght  523 

Der  arzt  wird  eiogezogen,  muss  seine  tat  gestehen  und  wird  hinge- 
richtet 

Oleich  der  erste  akt  führt  uns  alle  für  den  weiteren  fortgang  des 
Stückes  wichtigen  faktoren  vor.  Der  akt  begint  mit  einem  gespräch 
zwischen  Musophilus  und  Ariophilus:  jener  wünscht  seinen  söhn  auf 
die  Universität  zu  schicken,  um  ihn  dereinst  in  amt  und  würden  zu 
sehen;  dieser  bekent  seine  abneigung  gegen  die  Studien  und  reizt  durch 
die  einwürfe,  die  er  den  ermahnungen  seines  vaters  entgegensezt, 
diesen  so,  dass  er  zornig  abgeht  Ein  werber,  der  allen  denen,  die 
sich  zum  kriege  Spaniens  gegen  Portugal  anwerben  lassen  wollen,  gol- 
dene berge  verheisst,  wird  von  Ariophilus  begierig  angehört;  bei  Muso- 
philus, der  das  gespräch  von  fem  vernommen,  überwindet  die  väter- 
liche liebe  die  Verstimmung,  er  komt  und  warnt  seinen  söhn,  dem  er 
den  allerdings  für  die  gemütsart  des  Jünglings  möglichst  unpassen 
den  rat  gibt,  sich  aus  der  weit  zurückzuziehen  und  ein  mönch  zu  wer- 
den. Aber  die  antwort  des  Ariophilus  überzeugt  ihn  bald,  dass  alle 
seine  Vorstellungen  nutzlos  sind.  Deshalb  geht  er,  und  nun  erscheint, 
umgeben  von  gewafheten,  Mars.  Nachdem  er  erzahlt  hat,  wie  trotz 
der  verschiedenen  versuche,  seiner  herschaft  ein  ende  zu  machen,  sein 
reich  doch  nicht  aufhöre,  fordert  Martis  lieutenant  die  „junge  Pursche 
und  generöse,  lebhaSte  Oemühter'^  auf,  herbeizukommen  und  dem  Mars 
in  dem  bevorstehenden  feldzuge  zu  dienen.  „Zwar  ich  kan  wohl 
geschehen  lassen,  dass  ihr  zu  hause  hinter  dem  Ofen  oder  Kamin  sitzet, 
und  die  Aepffel  bratet:  aber  dadurch  werdet  ihr  wenig  Ehre,  und 
noch  viel  weniger  Geld  und  Gut  erlangen.  Im  Gegentheil,  wer  sich 
in  meines  Generals,  den  ihr  da  in  seiner  Majestät  stehen  sehet, 
Dienste  einlassen  wird,  der  darfif  weder  vor  dignität  und  Ehre,  noch 
vor  Güter  und  Keichthum,  am  wenigsten  aber  vor  Lust  und  Ergetz- 
lichkeit  sorgen*^.  Ariophilus,  ohnehin  schon  geneigt  soldat  zu  werden, 
erklärt  sich  bereit  sich  anwerben  zu  lassen  und  erscheint  gleich  darauf 
voller  freude,  um  sich  von  dem  handgelde  eine  schöne  ausrüstung 
anzuschaffen  und  so  verändert  vor  seinen  vater  zu  treten.  Aber  wie 
trügerisch  die  hofhungen  sind,  mit  denen  er  in  den  krieg  zieht,  wird 
uns  schon  jezt  gezeigt,  zunächst  durch  einen  monolog  des  Secretarius 
Martis,  der  die  Verblendung  der  Jugend  beklagt,  die  in  dem  kriege 
nur  angenelimes  zu  finden  hoffe,  tatsächlich  aber  die  bittersten  erfah- 
rungen  mache  und  auf  sein  eignes  Schicksal  hinweist,  da  er  sich  eben- 
fals  als  junger  mann  durch  den  scheinbaren  glänz  des  krieges  habe 
betören  und  von  den  büchern  weglocken  lassen.  Dann  tritt  ein  alter 
verstümmelter   soldat   an   knicken   auf  und  bejammert  sein  Schicksal: 


-*  ■     v*-   — 


524  BLUROEB 

trotz  der  Warnungen  seiner  eitern  hat  er  sich  in  den  krieg  begeben 
und  dort  nichts  als  elend,  Jammer  und  not  kennen  gelernt;  als  betler 
und  krüppel  muss  er  jezt  in  der  weit  umherziehen;  er  beklagt  die  jun- 
gen leute,  die  es  ebenso  machen  wie  er  es  einst  gemacht  und  so  auch 
demselben  Schicksal  entgegengehen.  Ein  neuangeworbener,  junger  Sol- 
dat, gewissermassen  das  ebenbild  des  Ariophilus,  komt  dazu,  fahrt  ihn 
heftig  an  und  meint,  der  alte  werde  wol  seinen  elenden  zustand,  durch 
feigheit  verschuldet  haben ;  er  selbst  lässt  sich  in  seiner  Zuversicht  durch 
den  alten  nicht  irre  machen.  Nach  einem  improvisierten  Zwischenspiel 
von  narren  wird  die  scene  gewechselt  (wovon  der  dichter  freilich  nichts 
sagt);  wir  befinden  uns  in  Fadua.  Der  barbierer  tritt  auf  und  erzählt 
von  dem  rühm,  den  ihm  seine  chirurgischen  bücher  erworben  hätten, 
und  wie  er  nun  nur  noch  über  die  bewegung  des  menschlichen  her- 
zens  unsicher  sei  und  diese  an  einem  lebendigen  menschen  kennen  zu 
lernen  wünsche.  Sodann  erscheint  der  präsident  und  die  beisitzer  des 
gerichtes,  bei  deren  auftreten  sich  der  barbier  zurückzieht  Der  Präsi- 
dent eröfnet  den  beisitzern  die  schriftlich  an  ihn  gelangte  bitte  des 
barbierers,  ihm  den  zum  tode  verurteilten  Verbrecher  auszuliefern, 
„damit  er  seinem  cuiieusen  Gemüht  ein  Genügen  thun,  und  nach  dem 
er  denselben  lebendig  aufipgeschnitten,  besehen  möge,  vne  das  Mensch- 
liche Hertz  im  Leibe  beweget  werde**,  und  fordert  sie  auf,  sich  über 
diese  angelegenheit  zu  äussern.  Der  erste  beisitzer  spricht  sich  dage- 
gen aus,  worauf  der  präsident  den  barbierer  hereinrufen  lässt  und  ihm 
den  abschläglichen  bescheid  des  gerichtshofes  mitteilt  Der  barbierer 
aber  beschliesst,  von  seinem  plane  doch  nicht  abzulassen,  und  nach- 
dem die  gerichtspersonen  sich  entfernt,  sagt  er  „ trutzig ":  „So  muss 
ich  doch  noch  zu  meinem  Zwekke  gelangen,  es  geschehe  recht-  oder 
unrechtmässiger  weise.  Aber  hiervon  ist  ietzo  nicht  viel  zu  sagen. 
Die  Sache  wird  sich  wol  geben.  Ich  weiss  schon,  was  ich  thun  will". 
Man  wird  aus  der  analyse  dieses  aktes  schon  eine  ungefähre  Vor- 
stellung von  der  art  des  Stückes  erhalten  haben ;  es  ist  natürlich  unmög- 
lich, die  anderen  akte  in  der  gleichen  ausführlichkeit  durchzugeben. 
Trotz  aller  Ungeschicklichkeit  und  eckigkeit  sind  doch  überall  hübsche 
ausätze  zu  einer  wirklichen  Charakteristik  der  auftretenden  personen 
vorhanden.  So  finden  wir  auch  in  dem  zweiten  akte,  in  welchem 
Ariophilus  die  eigentliche  natur  des  Soldatenlebens  kennen  lernt,  die 
gestalten  des  lagers  ganz  hübsch  herausgearbeitet:  die  Soldaten,  die 
sich  an  den  neugeworbenen  herandrängen  und  ihm  schmeicheln,  um 
ihm  sein  geld  abzulocken,  ihn  aber  hinter  seinem  rücken  auslachen 
nud  verspotten;    die  geldgierige,   aber  wenigstens  bis  zu  einem  gewis- 


J.   S.    MITTBRNACHT  525 

sen  grade  gutherzige  soldatendirne;  den  armen,  von  den  Soldaten  ge- 
plagten, aber  von  dem  officier  in  schütz  genommenen  bauer.  Auch 
zur  Charakteristik  der  mutter  des  Ariophilus  werden  am  ende  des  aktes 
einige  gute  züge  beigebracht.  Im  vierten  akt  sind  die  gesellen  des 
barbierers  in  ihrer  rohen  umbarmherzigkeit  nicht  ohne  glück  gezeich- 
net, und  die  kinderscenen  im  fünften  akt,  wo  der  barbierer  nach  län- 
gerem läugnen  seine  tat  eingesteht  und  zum  tode  verurteilt  wird,  zeu- 
gen obenfals  von  guter  beobachtung  und  zeigen  uns,  wie  die  neigung, 
kinderscenen  rührend  auszumalen,  welche  im  Zeitalter  der  reformation 
so  stark  war,  auch  im  siebzehnten  Jahrhundert  sich  noch  erhalten  hatte. 
Die  frau  und  die  kinder  des  barbierers  treten  im  fünften  akt  dreimal 
auf,  zuerst  vor  dem  gericht,  wo  sie  die  gnade  der  richter  anflehen, 
dann  im  kerker,  um  von  dem  vater  abschied  zu  nehmen,  schliesslich 
widerum  vor  dem  gerichtshof,  dessen  barmherzigkeit  sie  nochmals  ver- 
geblich anrufen.  Der  dichter  hat  sich  bemüht,  das  verschiedene  alter 
der  kinder  durch  eine  gewisse  abstufung  in  den  empfindungen  und 
Worten,  die  er  sie  äussern  lässt,  zu  charakterisieren,  und  es  ist  ihm 
das  bis  zu  einem  gewissen  grade  gelungen.  Man  vgl.  z.  b.  folgende 
stelle,  in  welcher  die  kinder  unmittelbar  vor  der  angesezten  hinrich- 
tung  noch  einmal  um  gnade  für  ihren  vater  bitten  (V,  7.  Ib.  f.): 

Der  andere  Sohn.  Ach  ihr  hertzliebsten  Herren,  können  eure 
sonst  so  sanfftmüthigen  Hertzen  durch  kein  bitten  und  flehen  erweichet, 
und  zur  Barmhertzigkeit  beweget  werden?  Ach  sehet  doch  mich  armes 
Kind  in  Gnaden  an,  und  gebet  mir  meinen  liebsten  Vater  wieder.  Denn 
wer  wolte  mir  zu  essen  geben,  wenn  ich  keinen  vater  hätte?  Ach! 
unsre  liebste  Mutter  will  auch  sterben.  Ach!  wo  wollen  wir  denn 
hin?  Ach!  wer  will  uns  aufnehmen?  Ach!  wer  will  uns  essen  und 
trinken  geben?  Ach!  wer  will  uns  neue  Schuhe  und  Kleider  kaufen? 
Darum  ach  hertzliebste  Herren,  erbarmet  euch  doch  über  uns  und 
schenket  uns  unsren  Vat^r.  Wenn  ich  nur  ein  wenig  grösser  werde, 
so  will  ich  euch  gerne  die  Schuhe  putzen,  und  hin  gehen,  wohin  ihr 
mich  schicken  werdet.  Ihr  sollt  mir  so  lieb  seyn,  als  mein  Vater 
selbst 

Praeses.  Wir  erbarmen  uns  recht  hertzlich  über  euch,  ihr  lie- 
ben kinder.  Aber  euren  Vater  können  wir  euch  nicht  wieder  geben. 
Denn  demselben  muss  nach  ürtheil  und  Recht  der  Kopf  abgeschlagen 
werden. 

Der  andere  Sohn.  Wenn  mein  liebster  Vater  todt  ist,  so  be- 
gehre ich  nicht  mehr  zu  leben.  Bitte  derowegen,  dass  ihr  mir  auch 
den  Kopf  wollet  abhakken  lassen. 


«k    MM^tJTm''  ■"".*    •      >  .  "^^    *'.  j^iL     4^ 


526  ILUNOBB 

Der  dritte  Sohn.  Wenn  meines  lieben  Vaters  und  meiner  lie- 
ben Brüder  Kopf  abgehakket  ist,  so  will  ich  meinen  Kopf  auch  abhak- 
ken  lassen.  Denn  wenn  mein  lieber  Yater  kein  Wammes  hat  angehabt, 
so  hab  ich  meins  flugs  auch  ausgezogen.  Wenn  nun  er  keinen  Kopf 
hat,  so  begehre  ich  auch  keinen. 

Das  kleine  Töchterlein.  Schweigt  stille,  ihr  lieben  Brüder, 
und  lasst  euch  den  Kopf  immer  abhakken.  Ich  will  eure  Köpfe  und 
des  lieben  Vaters  Kopf  wohl  wieder  aufsetzen.  Neulich  setzte  ich  auch 
meiner  Dokken  ihren  Kopf  wieder  an. 

Der  erste  Sohn.  Ach  liebes  Schwesterlein,  mit  ansetzen  ist  es 
nicht  aussgerichtet  Der  liebe  Vater  bliebe  doch  todt,  wenn  du  ihm 
gleich  den  Kopf  wieder  ansetztest  Darum  bitte  die  lieben  Herren,  dass 
sie  dem  Vater  den  Kopf  nicht  abhakken  lassen. 

Das  Töchterlein.  Wenn  der  liebe  Vater  gleich  todt  und  gestor- 
ben ist,  so  will  ich  bet^n,  dass  ihn  der  liebe  Gott  wieder  lebendig 
mache. 

Der  erste  Sohn.  Ach!  sehet  doch,  hertzliebste  Herren,  was  das 
vor  ein  Jammer  ist,  wenn  ein  solch  armes  Kind  keinen  Vater  haben 
soll.    Darum  bitt  ich  nochmals  um  Gottes  willen,  erbarmet  euch  unser. 

Der  dichter  bemüht  sich  auch  im  verlauf  des  Stückes  noch,  die 
verirrung  des  Ariophilus  zu  erklären.  So  erfahren  wir  z.  b.  im  drit- 
ten akt,  dass  der  präceptor  des  Ariophilus  sich  über  diesen  bei  der 
mutter  oft  hatte  beklagen  lassen ,  dass  aber  die  mutter  dann  immer  die 
Sache  vertuscht,  ja  gradezu  die  schuld  auf  den  lehrer  geschoben  und 
dadurch  mit  zu  dem  unglück  ihres  sohnes  beigetragen  habe.  Natürlich 
unterlasst  der  Verfasser  es  nicht,  auch  hieraus  seine  pädagogische  nutz- 
an Wendung  zu  ziehen  und  den  eitern  zu  empfehlen,  sich  bei  klagen 
der  kinder  gegen  die  lehrer  nicht  immer  auf  die  seite  der  kinder  zu 
stellen:  ,,Wenn  nun  die  Eltern  den  Verleumdungen  der  Kinder  glau- 
ben, und  den  treuen  praeceptoribus  des  wegen  feind  werden,  was  ists 
wunder,  dass  sie  hernach  an  den  kindern  alles  Hertzeleyd  erleben? 
Gott,  dessen  stelle  treue  praeceptores  vertreten  müssen,  hat  ein  lang 
Gedächtnüs,  schreibet  hinter  ein  Ohr,  was  den  praeceptoribus  vor 
Lohn  wiedei-fähret,  und  pflegets  zu  rechter  Zeit  zu  vindiciren  und  zu 
strafifen''. 

Von  den  im  drama  des  siebzehnten  Jahrhunderts  so  beliebten 
allegorischen  figuven  hat  Mitternacht  einen  reichlichen  gebrauch  gemacht 
Wenn  wir  von  der  prologisch  eingeführten  Veritas  absehen,  sind  nidit 
weniger  als  acht  begriffe  allegorisiert  und  dargestelt  worden;  den  mei- 
sten sind  wir  schon  in  den  schulkomödien  begegnet     Sobald  Ariophi- 


J.   S.   MITTKRNACHT  527 

lu8  der  bösen  folgen  seiner  veriming  inne  wird,  erscheint  sein  gewis- 
sen, die  Conscientia  Ariophili  „in  einem  zwar  weissen,  aber  mit  viel 
blut  besudelten  hemde**  und  hält  ihm  in  eindringlicher  rede  seine  Sün- 
den vor;  ebenso  wird  das  gewissen  des  barbierers  und  das  eines  seiner 
gehülfen  personificiert,  der  sich  vergeblich  bemüht,  den  anklagen  der 
Conscientia  zu  entgehen.  Bevor  der  barbierer  seine  blutige  tat  aus- 
führt, treten  Ambitio  und  Conscientia  zu  ;ihm  (IV,  1),  jene  reizt  ihn 
an,  diese  mahnt  ab;  jene  spiegelt  ihm  vor,  dass  er  die  tat  ja  nur  zum 
besten  der  menschheit  unternehme  und  gewint  ihn  dadurch,  während 
die  Conscientia  ihn  zornig  verlässt.  Ebenso  klagen  nach  dem  volbrach- 
ten  mord  Hospitalitas  und  Pietas,  dass  sie  nicht  mehr  geachtet  werden 
und  in  der  Verbannung  herumziehen  müssen,  und  vor  dem  gericht, 
das  über  die  tat  des  barbierers  zu  urteilen  hat,  erscheint  Justitia  und 
ermahnt  die  richter,  gerechtigkeit  zu  üben  (V,  2,  vgl.  auch  IV,  5).  — 
Eine  halb  allegorische  figur  ist  der  treue  Eckhard,  der  einmal  auftritt 
(III,  5),  um  den  vater  daran  zu  erinnern,  wie  alle  seine  firüheren  War- 
nungen vergeblich  gewesen  sind. 

"Will  Mittemacht  durch  derartige  allegorische  figuren,  wie  sie 
ganz  ähnlich  in  derselben  zeit  z.  b.  in  den  dramen  Joh.  Jos.  Beckhs 
verwant  wurden,  zuweilen  offenbar  die  Schwierigkeiten  eines  monologs 
umgehen,  so  fehlen  die  monologe  doch  sonst  nicht.  —  uns  von  der 
art  der  bühneneinrichtung,  die  das  stück  voraussezt,  eine  Vorstellung 
zu  machen,  hält  nicht  leicht  Die  wahrscheinlichste  annähme,  die  sich 
ergibt,  wird  die  sein,  dass  dekorationen  überhaupt  nicht  zur  anwen- 
dung  kamen  oder  eine  dekoration  von  anfang  an  durch  das  ganze  stück 
beibehalten  wurde,  und  dass  die  Zuschauer  aus  den  autftretenden  per- 
sonen  und  ihren  werten  schliessen  musten,  an  welchem  ort  die  hand- 
lung  vor  sich  gienge.  Anders  lässt  sich  der  schnelle  scenenwechsel 
nicht  erklären.  So  spielt  z.  b.  im  vierten  akt  die  erste  scene  in  Padua 
(es  ist  die  Unterredung  des  chinirgus  mit  Conscientia  und  Ambitio), 
in  scene  II  befinden  wir  uns  aber  in  Trient:  die  mutter  des  Ariophilus 
äussert  in  einem  ganz  kurzen  monolog  ihre  trüben  ahnungen  über  das 
Schicksal  ihres  sohnes  und  klagt  sich  der  mitschuld  an.  Die  übrigen 
scenen  spielen  dann  wider  in  Padua.  Ähnliche  ortsveränderungen 
begegnen  uns  auch  sonst  in  dem  stücke. 

Ti'otz  des  scharfen  tadeis,  den  Mittemacht  über  die  dramen  der 
englischen  komödianten  ausspricht,  ist  der  dichter  doch  von  dieser 
dramatik  nicht  unbeeinflusst  geblieben  und  hat  sich  manches  daraus 
angeeignet  Die  beiden  spassmacher,  moriones,  von  denen  der  eine 
den  Ariophilus  bogleitet,   dann   aber  plötzlich  vei'sch windet,   wälirend 


»•*-  ji    ^  jk«k»r.-.  ■         -.■         ■  —  ■  — .^su  ^ 


528  ELUNGIB 

der  andere  zu  hause  bleibt,  weisen  zwar  schon  durch  ihren  namen  auf 
das  lateinische  drama  des  16.  Jahrhunderts  hin,  zeugen  aber  in  der  art 
ihres  auftretens  und  ihrer  witze  ebenfals  von  dem  einfluss  der  komi- 
schen person  der  fahrenden  komödiantcn.  Auch  andre  moriones  treten 
auf,  und  zwar  bringen  sie  ihre  extemporierten  spösse  meist  am  ende 
eines  aktes  oder  vor  einem  scenenwechsel  vor.  —  Auch  die  neigung 
greuelscenen  auf  die  bühne  zu  bringen  und  der  realismus,  mit  dem 
dieselben  ausgemalt  sind,  erinnert  an  die  art  der  englischen  komödian- 
tcn. Man  vergleiche  in  dieser  beziehung  nur  die  scene,  in  welcher 
Ariophilus  getötet  wird,  und  man  wird  den  einfluss  des  englischen 
komödiantcn  nicht  verkennen.  (IV,  4.) 

Ariophilus.  Ach!  um  Gottes  willen,  schonet  meiner!  schonet 
meiner!     Ich  hab  euch  ja  niemals  etwas  gethan. 

Barbirgeseil.  Hier  ist  kein  schonen  zu  hofTen,  fort,  fort,  mein 
Kerlat,  fort 

Ariophilus.  Was  wollt  ihr  denn  mit  mir  armen  Soldaten  machen? 

Der  dritte  Gehülfe.  Hast  du  nicht  wohl  ehe  neben  andern 
Soldaten  gesungen:  Ein  Soldat  und  ein  Mast- Schwein 

Sollen  immer  lustig  seyn, 
Denn  sie  wissen  beyde  nicht, 
Wenn  man  ihnen  den  Hals  absticht? 

Ariophilus.     Das  hab  ich  freylich  wohl  ehe  gesungen. 

Der  vierdte  Gehülfe.  Drum  soll  letzt  erfüllet  werden,  was  du 
gesungen  hast.  Sperre  dich  nur  nicht  gross.  Du  kriegst  sonst  14  maul- 
schellen  nach  einander,  und  eine  zur  Zugabe,  dass  die  mandel  voll 
werde. 

Ariophilus.  Ach!  erbarmet  euch  doch!  erbarmet  euch  doch  um 
Gottes  willen!  erbarmet  euch  doch  über  mich  iunges  Blut. 

Barbirsgesell.  Ich  habe  nie  gew^ust,  was  erbarmen  sey.  Barm- 
hertzig  seyn,  und  einen   Barbirer  agiren,  fallen  nicht  zusammen. 

Ariophilus.     Ihr  werdet  ja  nicht  Christenblut  vergiessen. 

Der  andere  Gehülfe.  Nicht  Christenblut,  sondern  Soldatenblut 
wollen  wir  vergiessen. 

Ariophilus.     Die  Soldaten  werden  ja  auch  Christen  seyn. 

Der  dritte  Gehülfe.  Hier  ist  nicht  disputirens,  sondern  schlach- 
tens  Zeit 

Ariophilus.     Ach  schonet  doch  meiner  Eltern. 

Der  vierdte.     Was  gehen  uns  deine  Eltern  an? 

Ariophilus.  Liisset  mich  lebendig,  und  bringet  mich  nachTrient 
Icli  will  euch  600  Kronen  vor  mein  Leben  geben. 


.T.   S.   MIRKBNACHT  529 

Chirurgus.  Was  wechselt  ihr  viel  Wort  mit  dem  Soldaten? 
werftet  ihn  stracks  zu  Boden.  Haltet  ihn  fest  an  Händen  und  Füssen. 
Eniehet  auf  seine  Schenkel  und  Arme,  und  halte  ihm  einer  das  Maul  zu. 

Ariophilus.  Ach  mein  Herr,  ist  dies  das  gute,  das  ihr  mir  zu 
thun  versprochen  habt?  Ach  vergeh  euchs  Gott,  dass  ihr  mich  junges 
Blut  so  grausamlich  aufopfern  wollet  Was  hab  ich  euch  denn  zuwie- 
der  gethan?  worum  dürstet  euch  denn  so  sehr  nach  meinem  Blute? 

Chirurgus.    Es  antworte  ihm  mir  niemand  nicht 

Ariophilus.  Ach  hertzliebster  Yater!  Ach  hertzliebste  Mutter! 
Ach  hertzliebster  Praeceptor!  Ach  was  hab  ich  gethan?  letzo  denk 
ich  erst  an  eure  Worte,  die  ich  zu  unterschiedenen  mahlen  von  euch 
gehöret  habe.  Ach  dass  ich  doch  nur  so  glückselig  seyn  solte,  dass 
ich  euch  eine  Abbitte  thun  könnte!  Ach  hertzliebster  Vater!  Ach 
hertzliebste  Mutter!    Ach  hertzliebster  Praeceptor! 

Chirurgus.    Haltet  dem  Hunde  das  Maul  zu. 

Ariophilus.  Ach!  ich  bitte  ums  jüngsten  Gerichtes  willen,  wenn 
ihr  mich  ja  ums  Leben  bringen  wollen,  gönnet  mir  doch  einen  Prie- 
ster, dem  ich  meine  grossen  Sünden  beichten,  und  absolution  von  ihm 
erlangen  könne. 

Chirurgus.  Bei  dieser  Sachen,  die  ich  vorhabe,  sind  die  Pfaf- 
fen nichts  nütze.  Sie  verstehen  sich  auch  nicht  darauf  Wissen  viel 
weniger  davon,  als  der  blinde  von  der  färbe. 

Ariophilus.  Ach  die  Angst  meines  Herzens  ist  gross!  Ach 
schonet  doch! 

Chirurgus.  Die  Hertzens- angst  soll  dir  bald  benommen  wer- 
den. Jetzo  will  ich  gleich  den  ersten  Schnitt  in  deine  Brust  thun, 
und  dir  Raum  zu  deinem  Hertzen  machen. 

Ariophilus.  0  ihr  Steine  erbarmet  euch  meiner,  weil  sich  die 
Menschen  nicht  erbarmen  wollen!  Gute  Nacht  hertzliebster  Yater!  gute 
Nacht,  hertzliebste  Mutter!  Ach  dass  nur  mein  Bruder  wissen  solte, 
wie  mirs  ergangen:  dass  er  auch  desto  fleissiger  gehorchte. 

Chirurgus.    Seht  doch,  seht  doch,  wie  sich  das  Hertz  beweget 

Barbirgesell.  Zappele  nur  nicht,  du  guter  Kerl,  wenn  wir  dein 
Hertz  genug  besehen  haben,  werden  wir  dich  wieder  gehen  lassen, 
wo  du  hin  willst 

Ariophilus  röchelt 

Der  andere  Gehülfe.     Soll  ich  ihm  das  Maul  zuhalten? 

Chirurgus.     Es  ist  unvonnöthen.    Er  wird  nicht  mehr  schreyen. 

Trotz  des  grauenhaften  realismus,  mit  welchem  diese  scene  aus- 
geführt ist,   schlägt  doch  auch  in  ihr  die  pädagogisch -moralische  ten- 

ZUTSCmOFT  F.    DEUTSCHS  PHILOLOGIE.      BD.   XXV.  34 


*..-   .    •.    •-  N^  X  \  '         '  :  ■^■-  ■  _i  1. 


530  KLUNOKR 

denz  hervor,  wie  sich  aus  dem  beständigen  hinweis  des  Ariophilas  auf 
die  folgen  seiner  nichtachtung  der  befehle  von  eitern  und  praeceptor 
ei^ibt;  wir  haben  gewissennassen  einen  abkömling  der  dramen  Tom 
verlornen  söhn  vor  uns.  Diese  moralische  tendenz  überall  durch  das 
stück  selbst  hervortreten  zu  lassen,  genügte  indessen  dem  veifasser 
nicht,  sondern  er  liess  am  Schlüsse  jedes  aktes,  zuweilen  auch  inner- 
halb eines  aktes  bei  einem  grösseren  einschnitte,  die  sich  aus  den 
einzelnen  vergangen  ergebenden  lehren  ausdrücklich  formulieren.  Die- 
ses fabula  docet  wurde  einem  Philosophus  in  den  mund  gelegt,  deren 
sich  mehrere  im  laufe  des  Stückes  ablösten,  und  von  denen  jeder  nach 
dem  akt  oder  innerhalb  des  aktes  hervortrat  und  sich  in  längerer  rede 
über  das,  was  geschehen  war,  aussprach.  Natürlich  sind  diese  mora- 
lischen auseinandersetzungen,  die  also  gewisseimassen  den  chor  der 
alten  vertreten  selten,  zuweilen  nicht  frei  von  der  pedanterie  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts;  aber  einzelne  dieser  betrachtungen  sind,  wenn 
man  den  verschiedenen  geschmack  der  Zeitalter  in  erwägung  zieht,  als 
wolgelungen  zu  bezeichnen. 

Das  fünf  jähre  später  verfasste  drama:  Politica  Dramatica^  über- 
trift  das  erste  Schauspiel  in  den  drei  ersten  akten  und  in  der  fassung 
einzelner  scenen,  bleibt  aber  als  ganzes  hinter  ihm  zurück.  Die  schuld 
dafür  ist  weniger  dem  dichter  selbst  als  dem  stoff  zuzusdireiben,  den 
er  sich  ausgewählt.  Mittemacht  wolte  zeigen,  wie  eine  bedrückung 
der  unteren  stände,  Verletzungen  der  Interessen  der  oberen  stände  und 
Verweigerung  der  gerechtigkeit  zu  algemeinem  aufruhr  gegen  die  Obrig- 
keit führen  müsten,  wie  dann  nach  der  gewaltsamen  beseitigung  der 
regierenden  ein  zustand  algemeüier  rechtsunsicherheit  eintrete,  jeder- 
manns band  gegen  die  andre  sei,  so  dass  die  meisten  einer  derartigen 
beschafienheit  des  Staatswesens  gegenüber  den  früheren  druck  von  sel- 
ten der  Obrigkeit  noch  immer  für  das  bessere  halten  werden.  Er  wolte 
dann  ferner  zeigen,  wie  die  königliche  macht  vertreten,  beschränkt, 
unterstüzt  und  beraten  werden  muss,  wenn  sie  wirklich  zur  wolfahrt 
des  landes  gereichen  soll.  Auch  die  Schilderung  des  gesetzlosen  zustan- 
des  solte  natürlich  mit  dazu  dienen,  die  Vorzüge  eines  wolgeordneten, 
den  billigen  ansprüchen  der  einzelnen  stände  nach  kräften  gerecht  wer- 
denden, Staatswesens  um  so  deutlicher  hervortreten  zu  lassen.  Natür- 
lich liess  sich  der  aufruhr  der  einzelnen  stände  gegen  die  obrigkeit, 
ebenso  wie  die  algemeine  Verwirrung,  die  nachher  entsteht,  im  drama 

1)  M.  Joh.  Sebast.  Mitternachts  Politica  Dramatica.  Das  ist  Die  Edle  Regi- 
ments-Kunst  In  der  Form  oder  Oesalt  einer  Ck)moedien,  in  Hoher  Standes-  und 
anderer  vornehmer  Personen  Gegenwart  vorgestellet 


j.  s.  innsRNACRT  531 

leichter  darstellen  als  die  darauf  folgende  widerherstellung  des  könig- 
tams.  Gab  jene  die  möglichkeit,  leidenschaftlich  bewegte  volksscenen 
auf  die  bühne  zu  bringen  und  gat  beobachtetes  in  kräftiger  darstellung 
lebendig  werden  zu  lassen,  so  muste  diese  bei  den  absiebten  Mitter- 
nachts za  einer  blossen  lehrhaften  abhandlnng  werden,  die  auf  die 
dauer  unmöglich  zu  fesseln  im  stände  war.  So  komt  es,  dass  in  die- 
sem drama  zwar  die  ersten  drei  akte  starke  and  wirkungsvolle  scenen 
aufweisen,  die  beiden  lezten  aber  keinen  bedeutenden  eindruck  hin- 
terlassen. 

Der  erste  akt  führt  zunächst  zwei  parallele  Vorgänge  aus  dem 
bäuerlichen  und  bürgerlichen  leben  vor.  Zunächst  treten  zwei  bauem 
Gorydon  und  Menalkas  auf  und  beklagen  sich  über  die  mühseligkeiten 
ihres  Standes  und  die  schlechte  nahrung,  die  ihnen  zu  teil  wird,  beson- 
ders aber  darüber,  dass  sie  den  geringen  erwerb,  den  sie  gern  für  ihre 
familien  verwendeten,  als  steuern  zu  geben  gezwungen  werden.  In 
ihren  Zwiegesprächen  werden  sie  durch  das  weib  eines  anderen  bauem 
unterbrochen,  welches  sie  unter  jammern  und  schreien  anfleht,  ihr  zu 
hilfe  zu  kommen;  die  bauem  versehen  sich  mit  stocken  und  folgen  ihr. 
Wir  erfahren  nachher,  dass  der  mann  des  weibes  durch  den  büttel  aus- 
gepfändet werden  solte  und  dass  dieser  dem  einen  bauem,  der  dem 
ausgepfändeten  zu  hilfe  kommen  wolte,  mit  dem  schwort  über  den 
arm  gehauen  und  ihm  eine  wunde  beigebracht  hat  Zwei  bürger,  Eras- 
mus  und  ürbanus,  beklagen  sich  im  gespräch  über  die  Steuerlasten, 
welche  ihnen  der  rat  auferlegt;  ein  dritter  bürger,  namens  Ernst  komt 
jammernd  hinzugelaufen  und  erzählt,  dass  der  stadtknecht  in  seiner 
abwesenheit  in  sein  haus  eingedrungen  sei  und  ihm  das  bett  weggenom- 
men habe.  Sie  sind  noch  im  gespräch,  als  drei  musketiere  hinzukom- 
men und  den  Ernst  unter  mishandlungen  gefangen  nehmen,  weil  er 
Schmähungen  gegen  den  stadtknecht  und  gegen  den  rat  ausgestossen 
habe.  Nachdem  uns  auf  diese  weise  die  härte  veranschaulicht  ist, 
mit  der  die  regierenden  bürgern  und  bauem  gegenüber  ihre  rechte 
ausüben,  erscheint  es  erklärlich,  dass  es  der  aufti*etenden  Anarchia  leicht 
gelingt,  zuerst  die  bauem  und. dann  die  büi^er  zum  aufstand  zu  rei- 
zen. Schliesslich  tritt  dann  noch  ein  ratsherr  auf,  der  sein  bedenken 
über  die  harte  behandlung  der  unteren  stände  ausspricht,  einen  auf- 
stand voraussieht  und  sich  deshalb  entfemt,  um  seines  lebens  sicher 
zu  sein.  —  Im  zweiten  akt  bricht  nun  die  empörung  wirklich  los,  und 
zwar  sind  es  jezt  nicht  allein  die  büiger  imd  bauem,  die  sich  an  ihr 
beteiligen,  sondem  auch  der  adel  erhebt  sich  gegen  den  könig.  Am 
anfiang  des  zweiten   aktes   erscheint  vor  dem  könig  ein   adliger,   der 

34* 


532  ELUNGIR 

sich  darüber  beklagt,  dass  ein  anderer  beim  könige  in  grosser  gunst 
stehender  adliger  ueine  tochter  mit  gewalt  geschändet,  so  dass  die 
Jungfrau  sich  aus  Verzweiflung  selbst  den  tod  gegeben  hat  Er  verlangt 
die  bestrafung  des  schuldigen;  der  könig  aber,  der  seinen  liebling  nicht 
preisgeben  will,  weist  ihn  mit  harten  werten  ab.  Als  er  dringender 
wird,  will  ihn  der  könig  fesseln  und  in  das  tieüste  gefangnis  werfen 
lassen;  da  zieht  der  adlige  eine  pistole  hervor  und  erschiesst  sich  vor 
den  äugen  des  königs.  Die  dabeistehenden  äussern  ihre  bedenken; 
Fama  verbreitet  die  tat,  unter  den  adligen  entsteht  eine  gährung. 
Sie  beschliessen,  einen  abgesanten  zum  könig  zu  schicken  und  um 
bestrafung  des  Schänders  zu  bitten.  Unterdessen  hat  die  empörung  von 
bauem  und  bürgern  schon  zu  blutigen  taten  geführt;  in  höchst  leben- 
digen scenen  wird  uns  gezeigt,  wie  der  amtmann  und  schöffe  von 
den  bauem,  der  bürgermeister  und  die  büttel  von  den  bürgern  mis- 
handelt  und  getötet  werden.  Aber  schon  bricht  unter  den  empörem 
Zwietracht  aus;  die  beiden  bauem,  die  uns  im  ersten  akt  b^egnet 
sind,  geraten  mit  einander  in  streit;  der  eine  schlägt  den  andern,  und 
als  dieser  erklärt,  er  werde  ihn  verklagen,  mft  jener  ihm  höhnisch  zu: 
„Bey  dem  toten  Hunde?  Da  hast  du  noch  eine  auf  diesen  Bakken. 
Gehe  hin  und  verklage  mich!*',  worauf  der  andere  erwidert:  „Lebte  nur 
der  Amtmann  noch.  Es  selten  dich  die  2  Maulschellen  theuer  genug 
ankommen!^  Am  anfange  des  dritten  aktes  komt  nun  auch  die  empö- 
rung der  ritterschaft  zum  ausdruck.  Wir  erfahren  im  ersten  auf- 
tritt durch  einen  königlichen  lakaien,  wie  der  könig  das  unheil,  das 
ihn  betritt,  selbst  heraufbeschworen  hat,  indem  er  den  an  ihn  abge- 
santen adligen,  welcher  die  bestrafung  des  schuldigen  verlangte,  anstatt 
ihn  anzuhören,  in  das  gefangnis  hatte  werfen  lassen.  Wie  die  auf- 
tretende Fama  mitteilt,  hat  er  ihn  sodann  auf  der  bastei  erschiessen 
lassen  und  die  ärgsten  drohungen  gegen  den  adel  dabei  ausgestossen. 
Der  adel,  darüber  aufe  höchste  empört,  rottet  sich  zusammen,  belagert 
und  stürmt  die  residenz,  haut  den  ehrenschänder  zusammen,  tötet  die 
gemahiin  des  königs  samt  ihren  kindern  und  nimt  den  könig  selbst 
gefangen,  um  ihn  vor  ein  gericht  zu  stellen.  Unmittelbar  darauf  wird 
dann  auch  der  könig  von  einem  bürger  vor  das  gericht  des  adels 
geführt  und  von  dem  bürger  angeklagt  Von  dem  versitzenden  des 
gerichtes  und  den  einzelnen  adligen  beisitzern  aufgefordert,  sich  zu 
rechtfertigen,  bestreitet  der  könig  die  kompetenz  des  gerichtshofes  und 
verweigert  jede  antwort  auf  die  ihm  vorgelegten  fragen,  indem  er 
erklärt,  dass  dem  Untertanen  nicht  die  macht  zustehe,  den  könig  zu 
richten.     Diese  hartnäckigkeit  erbittert  die  ritter;   der  könig  muss  sich 


J.   8.   MITTKRNAOHT  533 

entfernen,  das  gericht  beschliesst  seinen  tod;  hierauf  wird  der  könig 
wider  herbeigerufen  und  ihm  das  urteil  angekündigt,  gegen  welches  er 
vergebens  protestiert.  Durch  einen  alten  bürger  erfahren  wir  darauf, 
dass  das  urteil  volstreckt  worden  ist.  Er  schildert  uns  die  traurige 
scene  und  knüpft  seine  betrachtungen  daran  ^.  Nach  dem  tode  des 
königs  bricht  nun  im  lande  algemeine  rechtsunsicherheit  aus.  Schon 
nach  seiner  gefangennähme  treten  die  uns  aus  dem  ersten  akte  bekan- 
ten  bürger  Erasmus  und  ürbanus  auf;  zuerst  geben  sie  gemeinsam 
ihrer  freude  über  die  ermordung  von  bürgermeister  und  büttein  ans- 
druck,  bald  aber  geraten  sie  um  der  Verteilung  des  geraubten  gutes 
willen  in  streit,  und  da  der  dichter  uns  schon  im  ersten  akte 
gezeigt  hat,  wie  schnell  Streitigkeiten  zwischen  den  beiden  zu  täüich- 
keiten  führen  (I,  2),  so  ist  es  leicht  zu  begreifen,  dass  der  zank  end- 
lich in  gewaltsamkeiten  ausartet  Urbanus  ersticht  den  Erasmus  mit 
den  werten:  „So  muss  man  den  Schnarchern  begegnen.  Und  ist  mein 
Glükk,  dass  wir  keine  Obrigkeit  haben^.  Weiter  ersehen  wir  dann  aus 
einem  gespräch  zwischen  einem  gastwirt,  einem  kaufinann  und  einem 
kaufinannsdiener,  wie  schlecht  dem  volke  die  empörung  gegen  die 
Obrigkeit  bekommen  ist:  jeder  klagt  über  Ungerechtigkeiten  und  placko- 

1)  m,  6.  Civis  senex:  Ach  war  das  nicht  ein  jämmerlich  Spectacul!  Ach 
dz  Ichs  doch  nicht  aogesehen  hätte!  Ich  kan  den  König  nimmermehr  vergessen. 
Wer  hätte  meinen  sollen,  daß  einen  so  hohen  und  gewaltigen  Potentaten  ein  so 
schmählicher,  ein  so  erbärmlicher  Tod  begegnen  könte?  Wie  Elend  war  er  an  zu- 
sehen, da  er  auß  dem  Bahthause  herauß  auff  die  Bühne  gebracht  wurde?  Wie  rung 
er  die  Hände?  Wie  blikkte  er  nach  dem  Himmel,  die  Qötter  vieUeicht  um  HülfPe 
oder  Bache  anruffende?  Aber  da  war  keine  Gnade  weder  bey  den  Göttern  noch  bey 
den  Menschen.  Wie  sähe  er  sich  auff  allen  Seiten  um,  da  er  itzt  niederkniehen  und 
den  Kopf  auff  den  Stock  legen  solte?  Aber  es  wolte  nichts  helffen.  Der  Scharfrich- 
ter hieb  zu,  daß  der  Kopf  in  die  Höhe  Sprung,  und  er  mit  dem  Königlichen  Blut 
überall  besprenget  wurde.  Dieser  Fall  soll  uns  sterbliche  Menschen  lehren,  daß  den 
Göttern  keiner  so  hochgesessen,  oder  so  mächtig  sey,  den  sie  nicht  stürtzen  könten, 
wenn  er  Tugend  xmd  Gerechtigkeit  aus  den  Augen  setzet  Zwar  der  liebe  König  war 
vor  sich  gut  genug,  aber  die  Hofschrantzen  verführten  ihn,  weil  er  ihnen  allzu  viel 
gehör  gab,  und  sich  durch  sie  regieren  ließ.  Man  schwatzte  ihm  vor,  wenn  die 
Unterthanen  nur  so  viel  hätten,  daß  sie  das  leben  erhalten  könten,  so  hätten  sie 
genug.  Das  übrige  wäre  des  Königes.  Darauft  denn  die  Unter -thanen  so  außgemer- 
gelt  wurden,  daß  sie  endlich  in  desperation  gerahten.  Zu  erbannen  ists,  daß  der 
König  so  gar  wenig  darvon  genossen,  was  den  ünterthaoen  unrechtmässiger  weise 
abgepresset  worden.  Denn  theils  die  Hofschrantzen,  theils  die  Beamten  auf  dem 
Lande,  theils  die  Bathsverwandten  in  den  Städten  wurden  dadurch  bereichert.  Aber 
Sie  haben  nun  alle  ihren  Lohn  bekommen,  den  sie  verdienet  Und  wie  wird  es  uns 
armen  Leuten  gehen,  weil  niemand  vorhanden,  der  Gericht  und  Gerechtigkeit  admi- 
nistriret? 


A^.  «    -^  ji-A^  r  -  _     1^      .     •     ■  3-i.'  »■-  •• 


534  XLUNGIB 

reien,  die  er  erdulden  muss,  und  gegen  die  ihn  niemand  in  schntz 
nimt  Das  gleiche  ergibt  sich  aus  den  klagen  eines  entehrten  banem- 
mädchens,  deren  eitern  bei  dem  yersuch,  sie  vor  der  schände  bewah- 
ren, ums  leben  gekommen  sind,  und  die  nun  hingeht,  um  sich  selbst 
den  tod  zu  geben.  Daher  bricht  denn  die  auftretende  Salus  publica 
in  bittere  klagen  über  die  herschende  rechüosigkeit  aus;  ihre  bitte  an 
Jupiter  um  hilfe  wird  erhört,  dieser  verspricht  ihr,  die  Politica  zu 
schicken,  die  das  reich  wider  aufrichten  solle.  Die  Politica  erscheint 
dann  auch,  mit  kröne  und  scepter  versehen,  und  verspricht  der  Salus 
publica,  die  Ordnung  im  lande  wider  herzustellen. 

Die  beiden  lezten  akte  schildern  nun  diese  neuordnung  des  regi- 
mentes;  eine  ausnähme  bildet  nur  die  episode,  die  uns  die  Verzweif- 
lung der  einzigen  hinterbliebenen  tochter  des  hingerichteten  königs  vor- 
führt, die  vor  kummer  über  den  verlust  ihrer  freiheit  sterbenskrank  wird, 
während  ihre  mit  ihr  gefangene  hofmeisterin  aus  gram  sich  durch  gift 
tötet;  einen  eigentlichen  zweck  dieser  scene  im  drama  vermag  man 
freilich  nicht  einzusehen.  (II,  6.)  Abgeordnete  des  adels,  der  bürger 
und  der  bauem  treten  zusammen  und  beraten,  wie  man  dem  elende 
des  landes  am  besten  abhelfen  könte:  Politica  steht  ihnen  in  ihr^ 
beratungen  bei,  wägt  die  verschiedenen  Verfassungen  ihrem  werte 
nach  gegen  einander  ab  und  komt  schliesslich  zu  dem  ergebnis,  dass 
eine  durch  gute  gesetze  imd  die  mitwirkung  er&hrener  rate  weise 
beschränkte  monarchie  für  das  land  die  angemessenste  r^ierungsform 
sei.  In  einem  gespräch  zwischen  einem  priester  des  Jupiter  und  Mer- 
cur  er&hren  wir  dann,  dass  ein  neuer,  in  jeder  beziehung  zu  dem 
amte  geeigneter  könig  dem  lande  gegeben  werden  soll.  Dann  sezt 
Politica  mit  den  abgeordneten  ihre  Verhandlungen  fort;  der  könig  tritt 
selbst  auf  und  verspricht  sich  die  beschränkungen,  die  eine  ausartung 
der  königlichen  macht  verhüten  sollen,  gefallen  zu  lassen.  Endlich 
ermahnt  dann  noch  Politica  die  Pietas,  Justitia  und  Bldes,  sich 
des  königs  anzunehmen.  Im  fünften  akt  finden  sich  dann  die  tugen- 
den  bei  dem  könige  ein,  dieser  sezt  tüchtige  rate  und  lässt  sich  von 
ihnen  in  den  wichtigsten  regierungsgrundsätzen  unterweisen.  Die  freude 
des  Volkes  über  die  widererlangte  Ordnung  komt  in  einem  gespräch 
zwischen  edelmann,  bürger  und  bauer  zum  ausdruck. 

Im  algemeinen  muss  man  sagen,  dass  im  vergleich  zu  den  drei 
ersten  akten  die  schlussakte  dürftig  und  trocken  sind.  Es  ist  Mitter- 
nacht nicht  gelungen,  die  wideraufrichtung  des  reiches  lebensvoll 
darzustellen;  von  dem  neuerwählten  könig  erhält  man  kein  richtiges 
bild,  während  der  angeklagte  und  hingerichtete  könig  eine  gut  cha- 


j.  8.  larncBNACHT  535 

rakterisierte  gestalt  ist,  bei  der  dem  dichter  vielleicht  Karl  I.  vorge- 
schwebt hat  An  einzelnen  hübschen  zügen  fehlt  es  zwar  auch  den 
beiden  lezten  akten  nicht,  man  vgl.  z.  b.  die  treuherzige  naivetät,  die 
aas  den  werten  des  bauem  am  anfange  des  vierten  aktes  zu  uns 
spricht;  das  ganze  indessen  zeigt  nicht  aus  dem  leben  gegriffenes  und 
gut  beobachtetes,  sondern  bewegt  sich  in  abstraktionen.  Die  gründe 
dafür  sind  leicht  zu  finden.  Wo  es  darauf  ankam ,  rohe  Vergewaltigun- 
gen, empörungen  des  bedrückten  volkes  zu  schildern,  da  konte  Mitter- 
nacht aus  lebendiger  anschauung  schöpfen.  Man  vergegenwärtige  sich 
nur  immer,  wie  schwer  er  selbst  unter  dem  grauenhaften  elend  des 
dreissigjährigen  krieges  hatte  leiden  müssen.  Wie  oft  mag  er  scenen 
selbst  mit  erlebt  haben  wie  die,  welche  er  in  den  ersten  drei  akten 
der  Politica  dramatica  und  auch  im  unglückseligen  Soldaten  geschildert 
hat  Wie  Grimmeishausen,  so  gab  auch  ihm  das  unmittelbare  erleb- 
nis  die  kraft  zu  so  anschaulicher  Schilderung.  Während  er  hier  also 
aus  dem  vollen  schöpfen  konte,  fehlte  ihm  bei  den  vergangen,  die  er 
im  vierten  akt  schilderte,  die  rechte  anschauung,  und  er  kam  daher 
über  ein  unsicheres  tasten  und  suchen  nicht  heraus. 

Indessen  so  sehr  die  drei  ersten  akte  auch  litterargeschichtlich 
zu  beachten  sind  und  eine  so  hohe  bedeutung  ihnen  in  der  entwick- 
lung  der  dramatischen  litteratur  des  siebzehnten  Jahrhunderts  auch  zu- 
komt,  weit  bedeutungsvoller  ist  das  ganze  stück,  wenn  man  es  vom 
kulturgeschichtlichen  Standpunkt  aus  betrachtet  Man  hat  sich  gewöhnt, 
die  zeit  nach  dem  dreissigjährigen  kriege  bis  zum  anfange  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  hin  als  die  blütezeit  des  servilismus  za  bezeich- 
nen; aber  man  hat  bei  dieser  abschätzung,  wie  mir  scheint,  zu  viel 
wert  auf  einzelne,  allerdings  ungeheuerliche,  äusserungen  dieser  art 
gelegt  Die  sitliche  und  geistige  Verwilderung,  welche  der  entsetzliche 
krieg  mit  sich  bringen  muste,  legt  ja  allerdings  die  meinung  nahe, 
dass  das  übrig  gebliebene  gebrochene  geschlecht  nan  zu  nichts  weiter 
als  zu  hündischer  Unterwürfigkeit  fähig  gewesen  wäre.  Allein  man 
übersieht  dabei,  welche  summe  von  unverwüstlicher  kraft  doch  damals 
im  deutschen  volke  gelebt  haben  und  im  wesentlichen  unversehrt  aus 
dem  kriege  hervorgegangen  sein  muss.  Nur  so  lässt  sich  die  Wirksam- 
keit etwa  des  grossen  kurfürsten  erklären;  nur  so  die  gewaltige  kraft, 
mit  der  die  bösen  folgen  des  dreissigjährigen  krieges  in  verhältnis- 
mässig kurzer  zeit  überwunden  wurden,  und  hier  haben  wir  auch 
den  erklärungsgrund  für  die  verhältnismässig  freie  politische  gesinnung 
zu  suchen,  die  das  ganze  stück  atmet  Zwar  die  frage,  ob  die  bürger 
einen   offenbaren  tyrannen   umzubringen   das  recht   haben,    wird  von 


,i:v       .-  L^      -^  —  ■*A%-*  ^ 


536  SLLI2V0IR,   J.   8.   miRRNACHT 

Mitternacht  vorsichtig  zurückgeschoben.  Aber  aus  den  vorgetragenen 
erwägungen  spricht,  wenn  wir  den  aus  der  zeit  sich  ergebenden  mass- 
Stab  anlegen,  so  viel  gesunder  politischer  sinn,  so  viel  ruhe  und  mäs- 
sigung  in  der  ab  wehr  der  übergriffe  von  oben  und  unten,  dass  man 
sich  der  besonnenen  und  freidenkenden  persönlichkeit  freuen  moas  und 
durch  sie  ein  ganz  andres  bild  von  den  schulmeistern  unmittelbar 
nach  dem  dreissigjährigen  kriege  erhält,  als  es  sich  aus  den  landläu- 
figen Vorstellungen  ergibt 

Die  politischen  nutzanwendungen  sind  widerum  mehreren  philo- 
sophen  in  den  mund  gelegt;  in  diesem  stück  aber  hält  der  betreffende 
Philosoph  nicht  wie  in  dem  Unglückseligen  Soldaten  einen  monolog, 
sondern  er  wird  im  gespräch  mit  einem  jungen  prinzen  vorgeführt, 
dem  er  auf  seine  fragen  antwortet  und  der  aus  den  vorgeführten  ereig- 
nissen  wie  aus  den  erläuterungen  der  nacheinander  auftretenden  Philo- 
sophen heilsame  lehren  schöpft  und  diese  in  seiner  zukünftigen  regen- 
tentätigkeit  zu  befolgen  verheisst  Durch  diese  anläge  erhält  das  ganze 
stück  noch  mehr  den  Charakter  eines  fürstenspiegels,  und  die  Widmung 
an  seinen  landesherm  zeigt,  dass  Mittemacht  wol  auch  in  dieser  bezie- 
hung  eine  praktische  absieht  verfolgte.  —  Einen  praktischen  zweck 
hatte  Mittemacht  mit  seiner  komödie  auch  insofern  im  äuge,  als  es 
ihm  darauf  ankam,  mit  ihr  den  untenicht  zu  unterstützen  und  gewisse 
hauptsätze  der  politik  besser  einzuprägen,  ähnlich  wie  etwa  Isaak  Gil- 
husius  im  16.  Jahrhundert  mit  seiner  Orammatica  den  grammatischen 
Unterricht  zu  fördern  gedachte.  Ja  Mittemacht  beklagt  es  in  der  vor- 
rede, dass  es  ihm  nicht  möglich  gewesen  wäre,  alle  lehrsätze  des  Prä- 
torius  in  das  stück  hineinzupacken  und  es  dergestalt  zu  einem  vol- 
ständigen  compendium  der  politik  zu  machen.  Das  werk,  auf  das  er 
sich  bezieht,  ist  doch  wol  das  buch  von  Martin  Praetorius,  opusculum 
de  administrando  principatu,  cum  praeceptis  politicls.  Strassburg.  1594; 
es  ist  mir  leider  nicht  zugänglich  gewesen.  Beziehungen  Mitternachts 
zu  den  gleichzeitigen  politischen  theorieen  (etwa  zu  Hobbes,  an  den 
manches  in  der  konstruktion  des  Verhältnisses  von  fürst  und  volk  erin- 
nert) sind  wol  nicht  anzunehmen ;  die  vorhandenen  Übereinstimmungen 
scheinen  zufalliger  natur  zu  sein. 

Eine  nachwirkung  auf  die  dramatische  litteratur  war  den  beiden 
dramen,  wenn  wir  von  den  späteren  schulkomödien  in  Gera  absehen, 
nicht  beschieden.  Dennoch  hätten  sie  eine  solche  viel  eher  verdient 
als  manches  elende  stück,  das  auf  der  bühne  der  fahrenden  fortlebte. 
Denn  die  verhältnismässig  einfache  und  schlichte  spräche,  die  sich  im 
wesentlichen   frei  von   hochtrabenden   werten  und  schwulst  halt,   die 


BNQLBRT,   HANDSCHBIFTEN  IN  ZWOBRÜCKEN  537 

unverkenbare  kraft,  mit  der  Situationen  herausgearbeitet  und  persön- 
lichkeiten gezeichnet  worden  sind,  sichern  den  beiden  stücken  inner- 
halb der  dramatischen  poesie  des  siebzehnten  Jahrhunderts  einen  her- 
vorragenden platz  zu. 

BERLIN.  e.    ELLINOER. 


MITTEILUNGEN  ÜBEK  HANDSCHEIFTEN  DER  ZWEI- 
BRÜCKENBR  GYMNASIALBIBLIOTHEK. 

Die  älteren  werke  der  Zweibrückener  gymnasialbibliothek  stammen 
zum  grösten  teil  aus  der  von  herzog  Wolfgangs  jüngstem  söhne  Karl 
(gest  1600)  gegründeten  Birkenfelder  bibliothek,  die  um  die  mitte  des 
lezten  Jahrhunderts  nach  Zweibrücken  verbracht  wurde;  zum  teil  auch 
aus  Überresten  der  alten  herzoglichen  bibliothek  zu  Zweibrücken,  deren 
gründer  Wolfgangs  Zweitältester  söhn  Johann  I.  gewesen  war,  sowie 
aus  der  bibliothek  des  ehemaligen  herzoglichen  gymnasiums.  Leider 
ist  die  alte  herzogliche  bibliothek  zu  Zweibrücken,  die  den  vorhan- 
denen berichten  zufolge  neben  einer  sehr  grossen  anzahl  gedruckter 
werke  auch  eine  menge  von  handschriftlichen  schätzen  barg,  durch 
zweimaligen  kriegsraub  fast  gänzlich  abhanden  gekommen.  Während 
des  dreisdgjährigen  krieges,  in  dem  für  Zweibrücken  schreckensToUen 
jähre  1635,  wurde  die  bibliothek  von  den  kaiserlichen  geplündert  Es 
blieben  damals  nur  c.  5000  bände  übrig.  Der  Zweibrückener  gelehrte 
Q.  Chr.  Crollius,  der  in  seiner  schrift  „De  illustri  olim  bibliotheca 
ducali  Bipontina^,  Bip.  1758,  die  Schicksale  dieser  bibliothek  beschreibt, 
hat  (nach  s.  29)  noch  selbst  ein  Verzeichnis  eines  grossen  teiles  der 
damals  übrig  gebliebenen  werke  vor  äugen  gehabt  und  teilt  daraus  die 
titel  von  33  handschriften,  fast  ausschliesslich  geschichtlichen  Inhalts, 
mit*.  Dieses  Verzeichnis  scheint  leider  verloren  gegangen  zu  sein. 
Mit  den  französischen  eroberungskriegon  brach  ein  neues  geschick  über 
die  bibliothek  herein.  Im  jähre  1677  wurde  dieselbe  bis  auf  einige 
Überreste  nach  Frankreich  fortgeführt*. 

1)  Darunter  (s.  30  a.  a.  o.):  ^Pfaltzgraf  Friedrich  des  sieghaftigeo 
leben,  roimenweis  geschrieben*^.  Crollius  widerholt  hiebe!  die  von  G.  Chr. 
Joannis  in  seiner  vorrede  zu  ,,Dan.  Parei  Historia  ßav.-Palat.^,  Frf.  1717,  s.  35, 
ausgesprochene  Vermutung,  dass  diese  handschrift  ein  exemplar  des  von  Michael 
Bebe  im  verfassten  gedichtes  gewesen  sei,  worin  dieser  das  leben  des  genanten  pfalz- 
grafen  beschrieben  hat. 

2)  Einer  nachricht  zufolge  wui*de  sie  nach  Metz  verbracht.  Nach  einer  ande- 
ren mitteilung  wäre  sie  dem  orzbischof  von  Reims  Charles  Maurice  Le  Tellier,   dem 


••  •  ^    !■  *     *> 


538  BiroLiBT 

Oegenwärtig  besizt  die  Zweibrückener  gymnasialbibliothek  an  5000 
werke,  von  denen  weitaas  die  meisten  älteren  datoms  sind^.  Daronter 
befindet  sich  eine  grosse  anzahl  von  Seltenheiten  aus  den  verschieden- 
sten gebieten  der  litteratur.  So  z.  b.  besizt  die  bibliothek  wertvolle 
originalaosgaben  von  werken  französischer  schriftsteiler  des  16.  und 
17.  Jahrhunderts,  eine  grosse  anzahl  älterer  theologischer  Schriften, 
wertvolle  ausgaben  deutscher  gesangbücher  des  16.  Jahrhunderts  und 
andere  seltene  werke  aus  der  deutschen  litteratur  des  reformationszeit- 
alters  2.  Auch  befinden  sich  in  der  bibliothek  noch  c.  50  handschrift- 
liche werke,  von  denen  ich  nachstehend  einige  in  das  gebiet  der  deut- 
schen dichtung  einschlägige  in  kürze  beschreiben  will'. 

1)  Eat  nr.  33.  Lederband  in  4^.  „Pfisdzgrav  Friedrichs  des  U, 
Kurfiirstens  Yermählung  mit  Dorothea,  gebohmen  Prinzessin  von  Dä- 
nemark, König  Christierns  des  11  und  Isabella,  einer  Schwester  Kaiser 
Karls  Y,  Tochter,  vollzogen  d.  27.  Sept  1535  zu  Heidelbeig,  poetisch 
beschrieben''.  Dieser  titel,  auf  dem  ersten  blatte,  ist  von  späterer 
band  geschrieben.  Ebenso  der  titel  auf  dem  folgenden  blatte:  „Tent- 
sche  Beime  von  Pfaltzgrav  Eridrichs  Hochzeit  1535''.  Das  gedieht 
selbst  um&sst  246  blätter.  Auf  einer  seite  stehen  durchschniüich 
16 — 18  verszeilen.    Reimpaare. 

Anfang:        König  Salamon  von  Gott  begabt 

Das  er  die  höchste  Weissheit  gehabt, 

bruder  des  marqnis  de  Louvois,  geschenkt  worden.  Vgl.  Molitor,  Zweibracken,  borg 
und  Stadt,  Zweibnicken  1879,  s.  63  und  CroUius,  a.  a.  o.  s.  33,  anm.  Grollius 
bemerkt  hier  noch:  Si  iilins  Catalogi  ab  Ant.  Fabro  [Faurej  et  Nie.  Gementio  [Cle- 
ment] . . .  doctissime  conscripti  ...  et  Parisiis  a.  1603  fol.  editi  copia  mihi  foisset, 
melius  cognosoere  licuisset  fatom  bibliothecae  Bipontinae.  Telleriana  illostrissimi  sai 
possessoris  Uberalitate  legata  est  Abbatiae  S.  Genovefae,  ea  lege,  ne  nnquam  disa- 
pata  ex  huios  carceribus  emitteretar.  —  Ich  habe  ein  in  der  k.  hofbibliothek  zu 
Aschafifenborg  befindliches  exemplar  des  genanten  kataloges  genau  durchgesehen  nnd 
dabei  nichts  gefunden,  was  auf  die  einyerleibung  der  Zweibrückener  bibliothek  in  die 
Bibhotheca  Telleriana  hindeuten  könte. 

1)  £ai  der  bibl.  der  kl.  b.  Studienansi  zu  Zweibnicken,  herausg.  von  Butters, 
Zweibrücken  1871. 

2)  So  die  2.  und  die  3.  ausgäbe  des  „  Teuerdank  *^,  Fischarts  nLa^tenstück* 
(1572),  „JesuitenhüÜein''  1580,  „Feldbau*"  1580,  „Binenkorb''  1581  (ausg.  b  nach 
Goedekes  bezeichnung),  Scheits  „Grobianus'^  1551. 

3)  Über  ein  handschriftliches  betgesangbuch  von  einem  unbekanten  liederdich- 
ter  des  16.  Jahrhunderts  und  eine  ältere  geschriebene  samlung  geistlicher  lieder  habe 
ich  in  dem  voij&hrigen  programm  der  kreisrealschule  München  „Beitrüge  zur  litte- 
ratur des  geistlichen  liedes^  berichtet 


HANDSCHBIRIN  IN  ZWHBEÖCKXN  639 

Für  andere  Menschen  hie  auf  Erdt 
Hat  in  Sprüchbuchlin  wolgemehrt,  usw. 

2)  Eat  nr.  3547.  Lederband  in  folio.  ^Dialogus  oder  Oesprech 
zwayer  Personen  Nemlicb  aines  Büchsenmaisters  mit  ainem  Fewrwerckher 
von  der  waren  kunst  vnd  rechtem  gebrauch  des  Büchsen  geschoss  vnd 
Fewrwerckhs.  Inn  zwen  Theil  getheilt  . . .  Durch  Samuelen  Zimmer- 
mann vonn  Augspurg  ...  1574^.  166  gezählte  blätter,  16  blätter  regi- 
8ter.  Der  eigentliche  dialog  ist  in  prosa  verfasst  und  durch  ein  ge- 
sprach  in  yersen  eingeleitet,  welches  4  blätter  einnimt  Das  exemplar 
gehörte  ursprünglich  dem  bereits  oben  erwähnten  pfalzgrafen  Karl,  wie 
aus  der  eigenhändigen  einzeichnung  desselben  auf  dem  titelblatt  ^Carll 
Pfaltzgrawe  1584*'  hervorgeht    Vgl.  Goedeke,  Grundr.  11,  276  (91.  1). 

3)  Eat  nr.  47.  Fergbd.  in  8^  „Christliche  Beütter  Lieder  gestelt 
durch  Herrn  Philipsen  den  Jungem  Freiherrn  zw  Winnenberg  vnd 
Beihelstein.  Nicht  spot  mit  Gott  mein  Sprichwort  ist  Wolt  Gott  solchs 
thet  ein  jder  Christ  Der  reVter  YVels  VnD  gVt  gesang  FVr  Gott 
haben  ein  anDem  kLang^.  Auf  das  titelblatt  folgt  ein  leeres  blatt, 
dann  3  blätter  vorrede,  dann  ein  leeres  blatt,  hierauf  46  ungezählte 
blätter  (einige  darunter  unbeschrieben)  mit  den  reuterliedem.  Damach 
1  leeres  blatt,  12  blätter  „Zeugnus,  usw.**,  4  blätter  mit  einem  liede: 
„Der  vollen  bruderschafft  zw  Ehrenn**.  Den  liedem  sind  melodieen 
voigesezt  Auf  dem  vorderen  deckel  des  einbandes  ist  in  gold  ein- 
gepresst:  PDJFHZWVB  [-  PhiHp  d.  J.  freih.  z.  Winnenb.  u.  Beih.]. 
1581.  Auf  dem  hinteren  deckel  stehen  in  den  ecken  die  4  buchstaben: 
NS  I  MG  [«  „Nicht  spot  mit  Gott"  —  wahlspmch  des  verfiissers]. 

Auf  der  inneren  seite  des  vorderen  deckeis  ist  ein  holzschnitt 
aufgeklebt,  das  Winnenbergsche  wappen  darstellend ^ 

Vielleicht  rührt  das  manuscript  von  der  band  des  dichters  selbst 
her.  Leider  ist  das  vorsetzblatt,  das  eine  diesbezügliche  notiz  enthal- 
ten mochte,  herausgerissen. 

1)  Dasselbe  befiodet  sich  auch  auf  der  fahne  des  geharnischten  xitters,  welcher 
das  titelblatt  der  1582  zu.  Strassborg  erschienenen  gedrackten  ausgäbe  (s.  unten)  ziert. 
Der  dichter  war  pfUz.  rat  und  burggraf  zu  Alzey.  Nach  L.  A.  Qebhardi  Geneal. 
gesch.  der  erbl.  reichsstfinde  in  TeutschL,  I  (Halle  1776),  684  war  sein  vater  im  jähre 
1571  reichshofratspräsident.  Seine  mutter,  Ursula,  war  eine  geb.  grifin  yon  Ritbeig. 
Eine  tochter  unseres  dichters  heiratete  1586  den  grafen  Henrich  von  Ortenburg. 
Wenn  das  geschlecht  im  jähre  1636  ausstarb,  wie  Gebhard  angibt,  so  ist  dessen 
Vermutung,  dass  der  dichter  der  lezte  des  Stammes  war,  unrichtig,  da  derselbe  1619 
schon  verstorben  war.  Im  jahie  1613  lebte  er  noch;  in  diesem  jähre  unterschrieb 
er  den  reichstagsabschied.  8.  anm.  a.  a.  o.  Vgl.  Goedeke,  Elf  bücher  deutscher  dich- 
tung  I,  225  und  Grundriss  II,  518  fg. 


540  BYGUEBT 

Der  umstand,  dass  sich  auf  dem  deckel  die  Jahreszahl  1581  befin- 
det, während  das  eteostichon  in  das  jähr  1582  verweist,  erklärt  sich  viel- 
leicht in  der  weise,  dass  die  handschrift  1581  fertig  gestelt  wurde, 
das  eteostichon  aber  auf  das  jähr  berechnet  war,  in  welchem  der  druck 
erscheinen  solte.  Für  diesen  mag  die  handschrift  als  vorläge  gedient 
haben. 

Die  erste  gedruckte  ausgäbe  ist  die  im  jähre  1582  bei  Jobin  in 
Strassburg  erschienene,  welche  Wackemagel  in  seinem  „Deutschen  kir- 
chenlied''  I,  522  nach  einem  in  Wolfenbüttel  befindlichen  exemplar 
genau  beschrieben  hat^  Die  reihenfolge  der  stücke  ist  hier  dieselbe 
wie  in  der  handschrift,  nur  mit  der  ausnähme,  dass  das  in  dieser 
am  ende  stehende  lied  „Der  vollen  bruderschaSt  zw  Ehrenn^  in  der 
gedruckten  ausgäbe  sich  an  die  „Reuter  Lieder^  anreiht  In  dieser 
ausgäbe  ist  auch  ein  register  hinzugekommen.  Der  text  des  druckes 
weicht,  von  der  Orthographie  abgesehen,  nur  wenig  von  dem  der  hand- 
schrift ab.  Die  Verschiedenheiten  beschränken  sich  auf  kleinere  Vari- 
anten. 

Die  Zweibrückener  bibliothek  besizt  auch  ein  exemplar  dieses 
druckes,  welches  nach  dem  auf  dem  titelblatte  befindlichen  handschrift- 
lichen monogramm  PWB  [«=  Philip  Winnenberg  Beihelsteyn]  ursprüng- 
lich dem  dichter  selbst  gehörte*. 

4)  Eat.  nr.  36.  Pergbd.  in  breitem  quartformat  Titelblatt: 
„Historische  Reimen  vonn  dem  Yngereimbtem  Reichstage  Anno  1613. 
Durch  einen  kurtzweiligen  liebhaber  der  Warheit  ans  licht  gebradit 
desselben  Jars,  inn  der  Weinlese,  nach  der  Stroemdte". 

Das  gedieht  umfasst  108  gezählte  blätter;  meist  stehen  12  vers- 
zeilen  auf  einer  seite.  Es  schildert  in  satirischer  weise  den  verlauf 
des  reichstages,  welchen  kaiser  Matthias  auf  kardinal  Elesls  treiben  im 
jähre  1613  nach  Regensburg  berief,  um  einen  ausgleich  zwischen  den 

1)  Die  angäbe  in  Goedekes  Grondr.  II,  519,  nr.  2,  ist  ungenau.  —  Die  Jah- 
reszahl 1580  der  daselbst  an  zweiter  stelle  angeführten  ausgäbe  ist  wol  unrichtig. 

2)  In  der  Zweibrückener  bibliothek  befindet  sich  auch  ein  exemplar  der  von 
Philip  d.  J.  1588  veröffentlichten  psabnen.  (Vgl.  Wackemagel,  a.  a.  o.  547  undGoe- 
deke,  Grundr.  11,  519.)  Auf  der  inneren  seite  des  vorderen  deckeis  ist  eine  holz- 
schnittabbildung  des  Winnenbergschen  Wappens,  auf  der  des  hinteren  deckeis  eine 
abbildung  des  Beihebteinschen  Wappens  eingeklebt  Auf  dem  ersten  holzschnitt  steht: 
„Nicht  spot  mit  Gott*^,  auf  dem  zweiton:  „Gott  allein  die  Ehre*^.  Vgl.  das  namenlied 
auf  den  dichter,  Wackemagel  a.  a.  o.  Y,  38  (nr.  46),  wo  sich  diese  beiden  symbola 
aus  den  anfangsworten  der  lezten  strophe  ergeben.  —  Das  Zweibrückener  exemplar 
gehörte  dem  oben  erwähnten  pfalzgrafen  Karl.  Derselbe  hat  eigenhändig  seinen 
namen,  seine  symbola  und  die  Jahreszahl  1589  in  das  buch  eingetragen. 


HANDSGHHIFTSN  IN   ZWBIBRÜCKEN  541 

katholiken  und  Protestanten  zu  erzielen,  der  jedoch  an  der  unversöhn- 
lichkeit  der  religionsparteien  scheiterte.  Der  unbekante  Verfasser  der 
Satire,  welcher  nach  einer  darin  enthaltenen  andeutung  der  katholischen 
konfession  angehörte,  steht  auf  dem  Standpunkte  absoluter  Unparteilich- 
keit Sein  spott  und  sein  unwille  richtet  sich  in  gleichem  masse  gegen 
die  unnachgiebigkeit  seiner  glaubensgenossen  wie  gegen  die  der  ande- 
ren Parteien.  Was  den  dichter  zur  satire  herausfordert,  ist  die  tiefste 
entrüstung  über  die  starköpfigkeit  der  geistlichen  und  weltlichen  grossen 
und  das  aufrichtige  bedauern  mit  dem  loose  des  volkes,  das  in  ahnungs- 
vollem bangen  dem  grenzenlosen  elende  entgegensieht,  welches  der 
hader  der  parteien  über  Deutschland  heraufbeschwören  wird. 

Die  spräche  des  dichters  ist  nicht  frei  von  härte  und  unbehol- 
fenheiten. Immerhin  ist  ein  entschiedenes  satirisches  talent  in  dem 
gedichte  zu  erkennen,  das  für  den  litterarhistoriker  sowol  wie  für  den 
kulturhistoriker  sehr  beachtenswert  ist 

Nachfolgend  teile  ich  eine  sehr  gelungene  stelle  als  probe  der 
darstellungsweise  des  dichters  mit 

Der  Eeiser^  solte  reissen  vnnd  hat  kein  heller  gelt, 

Welches  ein  grosses  Greutz  in  dieser  argen  weit 

Man  hilt  geheimen  rhat,  wie  man  solt  gelt  bekommen, 

Ynnderschiedtliche  weg  wurden  da  vorgenommen. 

Einer  schlug  vor,  man  solt  die  gemähldt  all  verkauffen*. 

Weil  sie  da  ohne  das  legen  vber  einem  hauffen, 

Es  könne  diese  wahr  keinem  menschen  nicht  nutzen, 

Oder  man  solt  damit  die  Gottes  heusser  putzen; 

Ynnd  wass  sie  kosten  möchten,  solt  man  dargegen  nehmen 

Auss  den  kirchen  gefellen,  dass  wer  nit  vnbequemen. 

Fändt  man  aber  drunder  etlich  weltlich  Sachen, 

So  solts  diess  nötig  werck  drumb  nit  stutzig  machen; 

Dann  man  hett  in  Gott  lob  des  weihewassers  gnug. 

Mit  dem  könnt  man  abwaschen  allen  diesen  vnfug. 

Hernach  muss  man  mit  vleiss  vf  die  weltliche  Sachen 

Ein  Gatholisch  aussieg  darüber  zierlich  machen. 

Nemlich  wann  man  solt  finden  die  geschieht  von-  der  Biblis^, 

1)  Matthias. 

2)  Es  handelt  sich  am  gemälde  aas  der  von  kaiser  Radolf  n.  im  Hradschin 
za  Pi-ag  angelegten  kanstsamlang.    Yoraas  geht: 

Zu  Prag  inns  Kaisers  schätz,  fannde  mann  inn  der  erdt 
Sehr  konstereioh  gemähldt,  die  seindt  viel  tausent  werdt,  asw. 

3)  Biblis  (Byblis),  tochter  des  Miietos  and  der  Eidothea,  war  von  heftiger 


h^  ••     mAmf\         -       "-  '•'•LL-3     •« 


542 

So  schreibe  man  drander,  es  sei  Cathrin  von  Senis. 

Findt  man  auch  Jouis  Schwanschneblein  mit  seiner  Leda, 

Macht  man  dranss  die  andacht  Ton  St  Eliesabetha. 

Findt  man  den  Blumentopff,  so  Geyn^  hat  gemacht, 

So  kann  kein  besser  schein  darüber  werden  erdacht, 

Alss  das  er  komme  her  auss  Dorothee  garten. 

Des  Halligen  St  Frantzen  sein  höllische  wallfarth, 

Wie  er  vmb  ein  seel  sich  mit  3  teufein  geschmissen, 

Die  hat  der  Goltzius'  sehr  künstlich  abgerissen, 

Da  er  ein  Satyram  mit  der  feder  abgemahlet 

Die  schieff,  darf&r  Yroom'  viel  tausent  hat  gezalet, 

Drunder  schreib  mann,  es  sei  die  gross  blutige  sddacht. 

Welche  St  Michael  mit  dem  Teufel  yolbracht 

Des  Brogels^  Fassnacht  grillen,  dess  Yulcani  gedieht^, 

Kann  auff  die  Hochzeit  zu  Gana  werden  gericht 

Da  der  vmb  Ganimedes,  der  Joyem  hett  entzündt, 

(Wie  .mann  von  Bäbsten  auch,  solch  ding  geschrieben  findt) ^, 

Drumb  ihn  sein  vogel  muss  aufheben  von  der  Erden, 

Loiolae  himmelfarth  kann  drauf  gedeutet  werden. 

Findt  man  wie  Juppiter  inn  seinem  gülden  regen 

Yon  oben  kombt  vnnd  sich  zu  Danae  thut  legen, 

Mann  schreib  drunder,  es  sei,  wie  an  dem  beig  Syna 

Auff  die  Söhne  Jacobs  Gott  regnen  liess  Manna. 

Wenn  Venus  vnnd  Atonis  Tff  heimlich  discurriren. 

So  kann  man  diess  gespräch  gar  geistlich  figuriren 

Auff  vnsem  St  Albanum,  von  dem  geschrieben  steth, 

Dass  er  an  vnser  frauwen  brüsten  gesogen  hett, 

Vndt  dass  er  mit  derselben  nicht  anders  sei  vmbgangen 

liebe  zu  ihrem  bruder  Eaunos  entbianot  und  starb,  da  sie  dieser  verBchmähte.    Ana 
ihren  tränen  entstand  ein  qnelL    Ovid,  Met  9,  446  fgg. 

1)  Gheyn.  Es  gibt  mehrere  niederländische  künstler  dieses  namena.  Der 
hier  genante  ist  wahrscheinlich  Jakob  Jansz  de  G.  (gest  1582)  oder  sein  söhn,  Jakob 
de  G.    Vgl  Nagler,  ktlnstlerlexikon. 

2)  Wol  Hendrik  Goltz  ins,  der  berühmteste  von  den  künstlern  dieses  namens 
(gest.  1616). 

3)  Yroom  Hendrik  Comelissen,  geb.  zu  Haarlem  1566,  gest  daselbst  1640, 
malte  viele  marinebilder.    Auch  zwei  söhne  von  ihm  waren  maier. 

4)  Brneghel,  Pieter  —  der  ältere?  oder  der  jüngere? 

5)  Apposition?  Oder  solte  ein  bild  des  von  Nagler  erwähnten  zeichnen  und 
knpferstechers  H.  Ynlcanns  gemeint  sein,  dessen  lebensverhältnisse  Nagler  nicht 
bekant  sind?    (N.  vermutet,  dass  er  dem  17.  Jahrhundert  angehörte.) 

6)  Am  rande  steht:  Panlna  3.    Julius  3. 


HANDSCHRimN  IN  ZWDBRÜCKKN  543 

Alss  wie  ein  Breutgam  sein  braut  pflegt  zu  vmbfaugen. 
Da  Pyramis  vnnd  Thysbe  sich  selber  thun  erworgen, 
Das  kann  man  füglich  deuten  yf  den  Ritter  St  Oörgen; 
Pyramis  sei  St  Görg,  Thysbe  sei  königs  kindt, 
Der  drach  sei  die  löwin,  welche  den  Schleyer  findt, 
Ynnd  auss  St  Oörgen  lantz  mach  man  Pyramis  schwerdt, 
Der  bäum,  darbeys  gescbach,  das  sey  St  Oörgen  Pferdt 
Findet  man  aber  gar  vnzüchtige  geberdten, 
Darauf  kein  geistlich  geschieht  könnt  abgebildet  werden, 
Die  muss  ein  reicher  Abt  oder  BischofT  bezalen, 
Ynnd  schlag  sie  bei  sein  bett,  so  darf  ers  nit  mahlen; 
Wann  er  etwa  Yor  lieb  nit  schlaffen  kann  die  nacht, 
So  kann  er  drauss  schöpffen  manch  geistliche  andacht 
Noch  sei  der  epilog  des  gedichtes  hier  mitgeteilt,   der   in  einer 
von  herbem  Unwillen  beseelten  apostrophe  an  die  geistlichen  und  welt- 
lichen herm  und  in  einem  yerzweiflungsvollen   hülferuf  zu  Gott  den 
bangen  gefühlen  des  Yolkes  in  jener  gewitterschwülen  zeit  ergreifenden 
ausdruck  gibt 

Ihr  Herren  alzumal,  wie  ihr  euch  möget  nennen, 

Gatholisch,  Evangelisch,  ihr  müst  es  wol  bekennen. 

Ihr  habet  harte  köpf,  keiner  will  gerne  weichen; 

Wie  könt  ihr  dann  zu  häuf  kommen  vnd  euch  vergleichen? 

Ein  theil  soll  von  dem  andern  nichts  vnbillichs  begeren. 

So  soll  ein  theil  dem  andern  wass  recht  ist  auch  nit  wehren. 

Befleisst  euch  ja  dess  Medens,  fanget  kein  krig  nit  ahn, 

Sonnsten  muss  es  entgelten  der  arme  Pauwers  Mann, 

Welcher  vnschuldig  ist,  weiss  nichts  von  euerm  Zanck, 

Den  wolt  ihr  so  mutwillig  legen  vf  die  schlachtbanck. 

Woher  nembt  ihr  das  gelt  zufüllen  euere  Taschen, 

Wann  Dörfer,  Stett  vnd  Schlösser  da  liegen  in  der  aschen? 

Ihr  Herm  weltliche,  wie  man  euch  also  nennet. 

Bleibt  doch  bei  euerer  Jagt,  weil  ihr  die  weit  selbst  kennet 

Wolt  ihr  ja  führen  krieg,  so  lasts  beim  alten  pMben, 

Last  eure  Secretarios  vnnütze  Briefe  schreiben, 

Zanckt  euch  ein  weil  mit  werten,  dörfl;  ihr  euch  doch  nit  schlagen, 

Es  muss  einer  den  andern  inn  etwas  vbertragen. 

Greift  ia  nit  zum  schwerdt,  dan  das  ist  auss  dem  schertz, 

Dass  verderbt  nur  landt  vnd  bringt  euch  auch  in  schmertz. 

Ihr  Herren  geistliche,  wolt  ihr  es  recht  besehen, 

So  würdt  nur  vber  euch  der  krieg  allein  aussgehen; 


544 


Ihr  wist  wol,  das  ihr  nur  ad  yitam  Fürsten  seit, 
Das  auch  viel  euers  todts  warten  mit  schwerem  leidt, 
Weil  ihr  zu  lange  lebt:  drumb  dan  eure  Bastarten 

Von  eurigem  erbgut  nichts  haben  zugewarten. 

Herr  Oott,  behüt  für  krieg,  wendt  vns  ab  vnser  schmertzen, 

Tröste  doch  mit  gnaden  alle  betrübte  hertzen, 

Stercke  mit  deiner  krafft,  welche  für  angst  verschmachten, 

Lass  die  zuschanden  werden,  die  nach  ihrem  vnglück  trachte), 

Erhalte  deine  kirch  ynd  zerstreuw  ihre  feinde, 

Vermehre  vns  den  glauben  vnd  sterck  deine  gemeinde, 

So  werden  dan  die  frommen  hoch  loben  deinen  nahmen, 

Diess  wünsch  ich  von  hertzen,  drumb  Sprech  ich  iröhlich  Amen. 

Dominus  misereatur  nostrj 

Et 

Sustentet  Egenos. 

MÜNCHEN.  ANTON  ENGLEST. 


LIED,   GENANT:   DAS  MENSCHLICHE   LEBEN  EIN 

TRiUM. 

unter  diesem  titel  befindet  sich  in  meinen  reichhaltigen  hand- 
schriftlichen liedersamlungen,  wie  mich  eine  kürzlich  vorgenommene 
durchsieht  lehrte,  u.  a.  ein  aus  einem  gedruckten  fliegenden  blatte 
stammendes  gedieht,  das  die  zehn  altersstufen  des  menschen  in 
engem  anschluss  an  den  spruch,  über  welchen  in  dieser  Zeitschrift 
widerholte  erörterungen  gepflogen  wurden  (XXTTT,  385.  XXIY,  161 
fg.),  behandelt  Da  es  in  weiteren  kreisen  schwerlich  bekant  und  zu- 
dem nicht  ohne  eine  gewisse  poetische  gewantheit  verfasst  ist,  so  dürfte 
es  sich  für  einen  Widerabdruck  wol  empfehlen. 

unterhalb  des  titeis  steht  die  angäbe:  „Iglau,  1864.  Johann 
Kipp".  Der  Verfasser  ist  ungenant  In  HoSmanns  v.  Fallersleben 
„Unsere  volkstümlichen  lieder^  (3.  aufl.  1869)  ist  das  lied  nicht  ver- 
zeichnet Erwägt  man  einerseits,  dass  die  ausfährung  der  dem  spruche 
von  den  altersstufen  zu  gründe  liegenden  gedanken  nicht  nur  lebens- 
voll, sondern  im  ganzen  auch  formell  ziemlich  gelungen  ist,  dass  aber 
andrerseits  die  Strophenbildung  und  beschaffenheit  der  reime  —  man 
vergleiche  die  assonanzen  Jüngling  —  Dümmling,  Mitte  —  Blicke, 
Greis  —  Lebenszeit  —  einen  berufismässig  geschulten  dichter  nicht 
erkennen  lässt,  so  wird  man  kaum  irre  gehen,  wenn  man  annimt,  dass 


UED  VOM  MXN8CBLICH1EN  I.BBSN  545 

der  Verfasser  den  halbgebildeten  volkskreisen  angehöre.  Ob  die  auf 
dem  titelblatte  stehende  jahrszahl  1864  das  jähr  der  entstehung,  bezie- 
hungsweise ersten  Veröffentlichung,  oder  aber,  was  wahrscheinlicher, 
des  blossen  neudruckes  einer  älteren  dichtung  bezeichnet,  muss  dahin - 
gestelt  bleiben.  Die  in  Strophe  4,  vers  4 — 5,  vieUeicht  auch  nur 
scheinbar,  enthaltene  corruptel  habe  ich  dadurch  einigermassen  zu  ord- 
nen gesucht,  dass  ich  vor  „sich  nützlich**  und  nach  „Geschäften"  ein 
komma  sezte.  Strophe  10,  vers  5  dürfte  als  optativischer  ausraf  zu 
fassen  sein. 

Wird  euch  das.  Lied  denn  auch  gefallen. 

Von  zehn!  bis  hundert  angeführt? 

Es  wird  hier  in  den  zehen  Zahlen 

Das  Menschenalter  explizirt. 

Was  ist  der  Mensch?  — 
Ein  Meisterstück  aus  Schöpfers  Händen, 
An  Körper  schwach,  an  Weisheit  blind. 
Trotz  seiner  Gaben  und  Talenten 
Ist  er  noch  bis  zehn  Jahr  ein  Eind. 

Und  dann  mit  zwanzig  - 
Ist  er  ein  lebensfroher  Jüngling, 
Der  alles  wißen,  können  will; 
Da  kommt  die  Lieb,  macht  ihn  zum  Dümmling, 
Verdirbt  sein  ganzes  Lebens -Ziel. 

Und  dann  mit  dreissig  — 
Ist  er  ein  Mann  in  vollen  Kräften 
Und  die  Vernunft  tritt  wahrhaft  ein, 
WeU  er,  sich  nützlich  in  Geschäften, 
Kann  einstens  sich  des  Lebens  freun. 

Und  dann  mit  vierzig  — 
Das  ist  die  schönste  Lebensstufe, 
Sie  schaukelt  Sprossen  in  der  Schooß, 
Und  ist  er  glücklich  im  Berufe, 
So  ist  beneidenswerth  sein  Loos. 

Und  dann  mit  fünfeig  — 
Umrungen  im  Familien -Kreise, 
Wo  er  als  Vater  sich  entzückt, 

1)  Sämtliche  in  dem  gedieht  vorkommende  zahlen  sind  in  dem  originale  dorch 
Ziffern  bezeichnet  Sonst  habe  ich  an  der  Schreibweise  nichts  geändert,  nur  di^  inter- 
punktion  geordnet 

ZEITSCHRIFT  F.    DKÜTSCHI  PHILOLOGIE.     BD.  XXV.  35 


*^m  ••  —  j»»«.rr.  •..•-■        ■    -*   '„v    ^ 


646 


Steht  er  Dun  still  an  seiner  Reise 
Und  lebt  zufrieden  und  beglückt 

Und  dann  mit  sechzig  — 
Da  sieht  man  schon  am  Angesichte, 
DaB  sich  nun  fängt  das  Alter  an, 
Erwartet  er  die  süßen  Früchte, 
Wenn  er  einst  Outee  hat  gethan. 

Und  dann  mit  siebzig  — 
Sitzt  er  in  seiner  Lieben  Mitte 
Und  freut  sich  immer  noch  als  Greis 

Und  wirft  empfindungsvolle  Blicke 
Zurück  auf  seine  Lebenszeit 

Und  dann  mit  achtzig  — 
Da  geht  die  Weisheit  schon  zu  Grunde, 
Er  bittet  täglich  Gott  den  Herrn 
Um  eine  süße  Abschiedsstunde, 
Und  lebt  doch  inmier  herzlich  gem. 

Und  dann  mit  neunzig  — 
Da  wird  er,  was  er  einst  gewesen, 
Ein  Kind,  doch  andern  nur  zum  Spott; 
Drum  sind  die  Worte  auserlesen: 
Lebt'  er  noch  hundert  Jahr,  bei  Gott! 

Und  dann  mit  hundert  — 
Dieß  Loos  ist  wenigen  beschieden. 
Drum,  Menschen,  strebt  nach  Tugend,  Ruhm 
Und  wandelt  froh  im  süßen  Frieden 
Hinüber  ins  Elisium. 

WIEN.  A.  JEITTKLES. 


LITTEEATUR 

Deutsche  altertamskunde.    Von  Kari  MlUleiihoff.    Dritter  band.    Berlin,  Weid- 
mannsche  buchhandlang.  1892.    XVI,  352  b.    10  m. 

^Der  in  den  vorarbeiten  so  gut  wie  ganz,  in  der  ausarbeitnng  nur  zum  teil 
YoUendete  dritte  band  soll  aus  der  Stellung  und  dem  sprachlichen  veiMltnis  der 
ältesten,  historisch  bekanten  Völker  des  mitleren  Europas  in  dem  striche  von  den 
Pyrenaeen  bis  zum  Kaukasus  den  beweis  fuhren,  dass  die  väter  der  Germanen  nicht 
später*^  ihren  wohnsitz  um  Oder  und  Elbe  „eingenommen  haben  können,  als  die  urver- 
Wanten  stamme  der  Italiker  und  der  Griechen  ihre  sitze  in  Italien  und  Griechenland, 
und  auf  grund  der  nachrichten  der  Römer  und  Griechen  darauf  die  ausbreitung  und 
Verzweigung  der  Germanen  um  den  anfang  unserer  Zeitrechnung  darlegen^    So  schrieb 


thnm  MÜLLBNHOFF,   DEUTSCHS  ALTKRTÜMSKÜNDI.  HI  547 

Müllenhoff  am  2.  decbr.  1881.  Tatsächlich  enthfilt  der  vorliegende  dritte  band  folgen- 
des: 1)  Über  die  Skythen,  Sarmaten,  Geten  nnd  Daken  (s.  1 — 163);  2)  einwandemng 
der  Arier  und  orbevölkernng  Europas  (s.  164—170);  3)  eine  unvollendete  abbandlung 
über  dieUgurer  (s.  171—193);  4)  einige  sprachliche  bemerkungen  (s.  104—204);  dazu 
5)  anhänge  (s.  205—332).  Und  dieser  band,  das  fünfte  buch,  nent  sich  „der  Ursprung 
der  Germanen^!  In  der  tat,  die  enttlluschung  konte  nicht  grosser  sein!  Zwar  hatte 
schon  1887  Roediger  gesagt,  dass  Müllenhoff  den  dritten  band  „nur  zu  einem  gerin- 
gen teil*  ausgearbeitet  habe;  doch  vertröstete  er  uns  auf  „beträchtliche  ungedruckte 
samlungen  und  entwürfe*  und  die  Vorlesungen  über  Tacitus  Germania  und  meinte, 
dass  „wir  selbst  hier  nicht  ungünstig  gestelt''  seien,  „wo  es  sich  um  den  schwierig- 
sten der  noch  fehlenden  bände  handelt*.  Im  vorwort  zum  dritten  bände  berichtet 
nun  Roediger,  dass  der  kommentar  der  Germania  ungeteilt  im  vierten  bände  vor- 
gelegt werden  soUe.  Und  das  ist  allerdings  nur  zu  billigen,  da  Müllenhoff  über  das 
besonders  wichtige  kapitel  der  ausbreitung  und  Verzweigung  ddr  Germanen  gar  nichts 
hinterlassen  hat  Die  aufgäbe  der  herausgeber,  Roediger  und  Puiower,  war  unter 
diesen  umständen  nicht  eben  eine  dankbare.  Die  130  Seiten,  welche  dieser  band  an 
ungedrucktem  bringt  (s.  1 — 90,  164 — 204),  stammen  in  dieser  fassung  gröstentelLs 
aus  den  jahi-en  1872  und  1873.  200  Seiten  dieses  bandes  (s.  91  — 163  und  205  — 
332)  sind  nur  verbesserte  abdrucke  früherer  abhandlungen  aus  den  jähren  1851, 
1856,  1857,  1862,  1866,  1869,  1870  und  1875.  Ich  kann  mein  befremden  nicht 
unterdrücken,  dass  diese  sanüung  einzelner  abhandlungen  uns  unter  dem  titel  einer 
Deutschen  altertumskunde  geboten  wird.  Da  es  sich  herausgestelt  hat,  dass  lei- 
der Müllenhoff  sein  grosses  werk  mehr  im  köpfe  als  auf  dem  papiere  fertig  gehabt 
hat,  so  hätten,  wenn  sich  keiner  fand,  der  in  seinem  sinne  den  bau  volständig 
auszubauen  gewagt  hätte,  die  herausgeber  vielleicht  besser  getan,  solche  fragmente 
wie  diese  nicht  unter  dem  titel  von  Müllenhofib  Altertumskunde  herauszugeben.  Mül- 
lenhoff selbst  würde  schwerlich  einen  derartigen  schritt  gebilligt  haben.  Alles,  was 
dieser  band  bringt,  gehört  ausnahmelos  allein  in  eine  samlung  von  MüUenhoffs 
schriftei^zur  deutschen  altertumskunde.  Es  ist  gewiss  dankenswert,  dass  die  älteren 
abhandlungen,  in  verbesserter  gestalt,  zusammenhängend  wider  abgedruckt  werden; 
aber  nicht  an  dieser  stelle!  Und  sollen  wir  auf  die  in  der  „Altertumskunde*^  nicht 
zum  abdruck  kommenden,  anderen  au&ätze  verzichten?  Oder  sollen  in  einer  ausgäbe 
der  kleineren  Schriften  die  arbeiten  fehlen,  welche  in  der  „Altertumskunde^  stehen, 
oder  sollen  diese  dann  zum  dritten  mal  gedruckt  werden? 

Eine  besprechung  des  Inhaltes  des  vorliegenden  buches  kann  sich  naturgemäss  nur 
auf  die  130  Seiten  erstrecken,  welche  dasselbe  an  bisher  ungedruckten  abhandlungen 
enthält.  Es  sind  dies  1)  mehrero  aufsätze  über  die  Skythen  (s.  1—90);  2)  ein  auf- 
satz  über  die  einwandemng  der  Arier  (s.  164 — 169);  3)  ein  solcher  über  die  Urbevöl- 
kerung Europas  (Finnen  s.  169—170,  Iberer  s.  171,  Sikanen,  Sarden,  Corsen  s.  172 
— 173,  ligurer  s.  173 — 193);  4)  unter  der  verlockenden  Überschrift  „der  Ursprung 
der  Germanen*  bemerkungen  über  die  ältesten  und  wesentlichsten  sprachlichen  neae- 
rungen,  durch  welche  sich  die  germanische  spräche  von  der  indogermanischen  abhebt 
(s.  194 — 204).  Wie  diese  Inhaltsangabe  zeigt,  betreten  wir  eigentlich  nur  mit  dem 
leztgenanten  aufsätze  den  boden  der  germanischen  philologie.  Die  anderen  aufsätze 
betreffen  die  germanische  altertumskunde  nur  insofern,  als  sie  mittelbar  „den  beweis 
führen*,  dass  die  Germanen  sich  im  nordöstlichen  Deutschland  nicht  später  angesie- 
delt haben  als  die  ItaUker  und  Griechen  in  ihrer  heimat  Wir  fragen:  ist  dieser  beweis 
gefuhrt? 

35* 


W  ~_i  _      _  ^^^  _ 


548 

Ich  möchte  zuvor  die  frage  aufwerfen:  ist  es  überhaupt  möglich,  einen  sol- 
chen  beweis   zu   führen?     Oewiss   dürfen  Müllenhoffs   werte    nicht  gar  so   genau 
genommen  werden,   als  ob  die  Germanen  völlig  gleichzeitig  mit  den  Griechen  und 
ItaUkem  ihre  späteren  sitze  eingenommen  hätten.    £&  liegt  ja  anf  der  band,  dass  es 
sich  nur  um  eine  ganz  ungefähre  gleichzeitigkeit  handeln  kann,   bei  der  es  auf  ein 
paar  Jahrhunderte  nicht  ankomt    Ist  es  aber  möglich  nachweisen  zu  können,   ob  die 
Germanen  auch  nur  vor  dem  jähre  1000  v.  Chr.  bereits  die  gebiete  an  der  Oder  and 
Elbe  eingenommen  haben?    Ich  mnss  diese  frage  verneinen.    Keinerlei  geschichtliche 
Zeugnisse  lassen  eine  beantwortung  auch  nur  insofern  zu,  als  sich  etwa  dartun  liesse, 
dass  seit  1000  v.  Chr.  andere  Völker  diejenigen  gebiete  bewohnt  hätten,  welche  die  Ger- 
manen notwendigerweise  durchzogen  haben  müsten,  um  nach  Deutschland  zu  gelangen 
Als  einen  versuch  nach  dieser  richtung  hin  müssen  wir   im  rahmen  seiner  „Alter- 
tumskunde*^ offenbar  Müllenhoffs  auseinandorsetzungen  über  die  Skythen  betrachten. 
Dass  dieser  versuch  resultatlos  sein  muste,   zeigen  Müllenhoffs  eigene  werte  (s.  9): 
„Das  innere  des  heutigen  Russland,  das  ganze  gebiet  des  obem  Dnjeprs,  die  quellen 
des  Dons  wie  der  Wolga  waren  den  gewährsmännem  Heixxlots  unbekant*^.    Und  He- 
rodot  danken  wir  unsere  ältesten  nachrichten  über  die  länder  nördlich  des  Pontos. 
Es  steht  uns  also  kein  mittel  zu  geböte,  um  die  frage  zu  beantworten,  ob  zu  Hero- 
dots  zeit  Gennanen  etwa  in  Polen  oder  am  Waldai-gebirge  gesessen  haben.    Doch 
vielleicht  hat  Müllenhoff  es  für  ausgeschlossen  gehalten,   dass  die  Germanen  durch 
das  mitlere  Bussland  gezogen  seien.    Vielleicht  hat  er  allein   den  weg  durch  das 
Skythenland  für  möglich  gehalten.    Selbst  dann  würden  wir  nicht  mehr  sagen  kön- 
nen, als  dass  die  Germanen  um  500  v.  Chr.  schon  an  der  Weichsel  gewohnt  haben. 
Für  die  erste  hälfte  des  ersten  jahitausends  v.  Chr.  aber  wäre  damit  gar  nichts  aus- 
gesagt   Müllenhoff  fragt  (s.  29),  „ob  unser  weitteil  bereits  vor  der  einwanderung  der 
Skythen  über  den  Don  seine  spätere  geschichtliche  bevölkerung  hatte,   oder  ob  sie 
durch  die  Skythen  oder  vielleicht  noch  spätere  zuzüge  erst  ihren  abschluss  erhalten 
hat*^.    Er  durchmustert  daher  einmal  „auf  der  von  Herodot  gegebenen  grundlage  die 
übrigen  alten  diathesen  des  östlichen  Europas*^,   um  „die  tatsaohe  festzustellen,   dass 
nach  der  skythischen  in  alter  zeit  nur  noch  eine  grosse  Invasion  über  den  Don  stat- 
gefunden  hat''.    Sodann  —  dieser  teil  ist  aus  den  Monatsberichten  der  Berliner  aka- 
demie  von  1866  abgediniokt  —  sucht  er  „aus  den  übeiTOsten  ihrer  spräche  die  ethno- 
logische Stellung  der  Skythen  und  Sarmaten  zu  bestimmen'^  und  komt  zu  dem  ergebnis, 
dass   diese   keine   Slawen,   vielmehr  Asiaten  gewesen  seien,   und   sieht  hierin   den 
beweis  dafür,   „dass  schon  vor  der  oin Wanderung  jener  die  bevölkerung  des  Weltteils 
abgeschlossen  war*^.    „Der  wert  dieses  ergebnisses'*,  sagt  Müllenhoff  (s.  31),  „für  die 
gesohichte  der  bevölkerung  unseres  Weltteils,  insbesondere  auch  für  die  entscheidung 
der  frage  wegen  der  herkunft  der  Germanen  wird  sich  dann  schon  später  herausstel- 
len'*.    Leider  bringt  er  hierüber  nichts.     Ich  wüste  auch   nicht,   was  aus  diesem 
ergebnis,  welches  bereits  lange  gemeingut  der  Wissenschaft  ist,  weiter  gefolgert  wer- 
den könte,   als  dass  um  500  v.  Chr.  die  Germanen  bereits  an  der  Weichsel  gesessen 
haben.    Ein  früheres  datum  würde  nur  dann  zu  gewinnen  sein,   wenn  sich  die  zeit 
der  skythischen   einwanderung  bestimmen   liesse.     Herodot  und  Ephoi'us   glaubten, 
dass  die  Skythen  um  634  die  Kimmerier  aus  dem  lande  nördlich  des  Pontus  ver- 
trieben hätten.    Diese  nachricht  verwirft  Müllenhoff  mit  recht  und  zeigt  (s.  22  fg.), 
dass  die  Skythen  wenigstens  schon  im  8.  Jahrhundert   am  Pontus  gewohnt  haben. 
Weiter  können  wir  nicht  kommen.    Wir  können   also   auf  grund   der   darlegungen 
Müllenhoffs  höchstens  sagen,   dass,    gesezt  die  Germanen  sind  einmal  nördlich  des 


ÜBKR  MÜLLENHOFF,   DBUT8CHR    ALTERTUMSKUNDE.   IH  549 

Schwarzen  meeres  westwärts  gezogen ,  sie  diese  sitze  scbon  spätestens  im  8.  jahrhan- 
dort  mit  westlicheren  vertaascht  haben  müssen.  Der  beweis  aber,  dass  sie  die  Oder 
and  Elbe  schon  im  zweiten  jahrtansend  v.  Chr.  erreicht  haben,  ist  weder  von  Mtil- 
lenhoff  erbracht  worden,  noch  lässt  er  sich  überhaupt  erbringen  —  es  sei  denn,  dass 
diese  gebiete  als  ein  teil  der  Urheimat  der  Indogermanen  nachgewiesen  würden. 

Die  frage  nach  der  Urheimat  der  Indogermanen  behandelt  oder  richtiger  streift 
Müllenhoff  auf  zwei  und  einer  halben  seite  (s.  164 — 166).  Ohne  auf  die  auch  von  den 
herausgebem  nicht  citierte  neuere  litteratur  über  diese  frage  näher  einzugehen,  nimt 
er  das  „nordöstliche  Iran,  auf  der  Westseite  von  Hoohasien*^  als  den  sitz  des  urvolks 
an  und  fragt,  auf  welchem  wege  die  Indogermanen  in  Europa  eindrangen.  Er 
entscheidet  sich  für  die  Strasse,  „die  südlich  um  das  kaspische  meer  an  dem  niedern 
östlichen  Kaukasus  vorbei  führte'^.  „Auf  ihr  sind  sämtliche  Arier  in  die  neue  hoimat 
gezogen*^.  MüllenhofiF  fährt  fort,  über  die  „marschordnung'^  der  Europäer  berichtend: 
„An  der  spitze  des  keilförmigen  zuges  beenden  sich  die  ahnen  der  Kelten,  hinter 
ihnen  folgten  Schulter  an  Schulter  die  häufen  der  Urgermanen  und  Uritaliker,  den 
Italikem  die  ürhellenen,  den  Gormanen,  die  Eisten  und  Slawen*^.  „Geteilt  haben 
müssen  sie  sich  an  den  Karpaten*^.  „Auf  deren  ostseite'^  „trenten  sich''  „die  Urger- 
manen von  den  künftigen  Italikem**,  um  „nordwärts  um  das  gebirge  herum^  zu  zie- 
hen und  in  dem  „lande  zwischen  Oder  und  Elbe  sich  zu  einem  volk*^  auszubilden. 
Wiewol  man  hiemach  auf  manches  vorbereitet  sein  solte,  wirkt  die  Schlussfolgerung 
doch  überraschend  (s.  169):  „Bestand  aber  vor  der  trennung  der  Westarier  an  den 
Karpaten  ^  die  „periode  der  einheit  dos  volkes  *  und  erfolgte  die  besiedelung  Europas 
in  der  geschilderten  weise**,  „so  muss,  wenn  auch  die  urväter  der  Germanen,  wie 
nicht  zu  bezweifeln  ist,  an  dieser  periode  teil  haben,  wenigstens  irgend  ein  punkt 
des  grossen  gebietes,  den  wir  im  anfang  unserer  künde  von  Germanen  bewohnt  sehen, 
ebenso  früh  oder  doch  nicht  wesentlich  später  eine  arische  bevölkerang  erhalten 
haben  als  etwa  Griechenland  und  Italien*'.  —  Allerdings,  wunderbar  einfach!  Der 
beweis  ist  geliefert  I    Es  hätte  der  Skythen  gar  nicht  bedurft 

Als  einen  exkurs  darf  man  die  folgende  Untersuchung  über  die  vorindogerma- 
nische urbevölkemng  Europas  ansehen.  Die  Finnen  durften  nach  der  darstellung,  die 
sie  im  zweiten  bände  gefunden,  auf  einer  seite  abgetan  werden.  „Ihre  ausbreitung 
von  dem  Ural  und  der  Wolga  um  die  Waldaihöhe  herum  bis  an  die  Ostsee  nach 
Scadinavien  muss  entweder  gleichzeitig  mit  oder  nach  der  einwanderang  der  Arier 
in  die  südlicheren  teile  Europas  erfolgt  sein**  (s.  170).  Über  die  Sikanen  und  Bar- 
den wird  (s.  171  — 173)  gesagt,  dass  sie  keine  Iberer,  über  die  Corsen  (s.  373),  dass 
sie  Ligurer  seien.  Die  ethnographische  Stellung  der  ligurer  solte  dann  eine  grössere 
abhandlung  dartun.  Leider  hat  sich  im  nachlass  nur  der  anfang  derselben  vorgefun- 
den (s.  173  — 193).  Müllenhoff  zeigt  zunächst  das  geographische  Verbreitungsgebiet 
der  Ligurer  und  sucht  dann  aus  der  spräche  ihre  ethnographische  Stellung  zu  bestim- 
men. Tiol  zu  km*z  ist  die  frage  abgetan ,  ob  sie  zu  den  Iberem  in  näherer  beziehung 
stehen.    Es  hätte  wol  einer  „weiteren  ausführung**  bedurft,  ehe  man  den  satz  unter- 

1)  Dieses  wird  begrfindet  durch  1)  das  bewahren  der  idg.  or^okale  0,  E,  A  gegenüber  mtari- 
schem  A,  2)  „eine  strengere  nnterscheidong  des  L  and  R,  ja  überwiegend  sogar  eine  neue  bildong  des  L 
ans  dem  B'*,  S)  „genauere  begrifsbestimmimg  alter  wOrter  wie  z.  b.  die  bedeatong  der  prüposition  oAM 
im  skr.  noch  sehr  onbestimt  od  ist,  gr.  afiqt^y  lat-kelt.  ambi,  ahd.  vmbi  dagegen  fest  eingeschränkt 
erscheint",  4)  „die  bildong  neuer  oder  die  bewahnmg  alter,  im  osten  nidit  mehr  bekanter  woneln  und 
stftnune",  „modificationen  an  wurzeln,  wortstftmmen  und  soffixen",  6)  „die  schöpfang  einer  grossen 
anzahl  neaer  Wörter,  von  denen  einige  zogleich  auf  deren  coItarfortBchritt ,  wie  den  Übergang  vom  hirten- 
leben  som  ackei^an  deuten". 


",.  «    — 


550 

schreiben  kann:  „an  einen  näheren  zosammeDhang  der  ligoier  mit  den  Iberern  ist 
auf  keinen  £a11  zu  denken^.  Müllenhoff  fragt  weiter,  ,ob  sie  den  Ariern  verwant 
waren '^,  und  findet  neben  wesentlichen  abweichongen  eine  reihe  von  sprachlichen 
übereinstimmangen  mit  dem  italischen  und  keltischen.  Der  hauptteil,  in  welchem 
bewiesen  werden  solte,  dass  die  ligurer,  wie  die  Baeter,  zu  der  vorindogermanischen 
bevölkerung  Europas  gehörten,  fehlt 

«Den  eigentlichen  inhalt  der  Urgeschichte  emes  Volkes  bildet  —  das  lehrt  die 
gesohichte  der  Griechen  so  gut  wie  die  der  Germanen  —  die  ausbildung  und  Schei- 
dung seiner  stamme.  Nirgend  können  wir  diese  phase  in  der  entwicklung  einer  nation 
beeser  erkennen  als  bei  unsem  yorfahren**.  ,|Yor  der  ausbildung  und  Scheidung  der 
Stämme  gibt  es  im  leben  einer  nation  nur  noch  eine  epoche:  das  ist  die  genesis  der  nation 
selbst,  ihre  entstehtmg  und  bildung  zu  einem  von  ihrer  Umgebung  und  ihren  stam- 
verwanten  unterschiedenen,  eigentümlichen,  in  sich  gleichen  ganzen.  Zu  bestimmen, 
wann  die  genesis  des  ganzen  germanischen  volksstammes  zum  abschluss  gekommen 
ist,  dafür  besitzen  wir  zwar  nicht  das  einzige,  aber  doch  sicherste,  untrü^chste  und 
volkommen  ausreichende  mittel  in  der  spnK)he.  Die  spräche  macht  die  nation.  Sie 
ist  dasein  und  leben  eines  volkes,  und  ohne  sie  ist  es  tot.  Die  grossen  perioden  und 
Wandlungen,  die  es  bald  rascher  und  gewaltsamer,  bald  langsamer  und  almfthlicher 
durchmacht,  prägen  sich  daher  auch  ihr  ein,  und  so  unvertilgbar,  dass  es  die  merk- 
zeichen  einer  jeden  und  damit  die  seiner  ganzen  Vergangenheit  in  ihr  allezeit  gegen- 
wärtig mit  sich  herumträgt  Je  grosser  aber  die  Wandlungen,  desto  tiefer  greifen  sie 
auch  in  die  spräche  ein,  und  die  Wirkung  seiner  grösten  epoche,  des  anfangs  seines 
eigentümlichen  und  selbständigen  lebens,  muss  in  ihr  am  deutlichsten  sichtbar  sem*. 
Ich  habe  diese  herlichen  werte  (s.  Id4)  unverkürzt  widergeben  wollen.  Sie  entrollen 
ein  yerluüssungsvoUeo  prognunm.  Der  leser  erwartet  hienuch  ein  «wie&ches:  ein- 
mal  auf  grund  sprachlicher  Untersuchungen  eine  ungefähre  Zeitbestimmung  der  ,gene- 
sis  der  nation  **;  zum  andern  vor  allem  eine  psychologische  analyse  der  urgerma- 
mschen  Sprachgeschichte.  Es  bedarf  wol  nicht  des  hinweises,  dass  diese  analyse, 
welche  Müllenhoff  allein  gibt,  nicht  auf  10  Seiten  erschöpfk  werden  kann.  Und  doch 
hätte  MüUenhoflf,  wäre  es  ihm  beschieden  gewesen  sein  werk  zu  vollenden,  wol 
kaum  erheblich  mehr  und  erheblich  andres  gegeben,  als  uns  vorliegt.  Nach  dem 
Ursprung  unseres  volksstammes  fragend,  bestimt  Müllenhoff  als  den  anfangspunkt 
germanischen  sonderlebens,  „sprachlich  ausgedrückf^,  „die  Verschiebung  der  stummen 
konsonanten,  die  sogenante  lautverschiebung*^.  „Sie  ist  das  erste  und  älteste  merk- 
mal  der  volzogenen  abtiennung  und  das  erste  anzeichen  einer  besonderen  entwicklung 
der  Germanen '^  (s.  196).  „Trägheit  oder  erschlaffung  der  organe  offenbart  sich*^  in 
der  Verschiebung  der  idg.  aspiraten  und  tenues.  „Dagegen  zeigt  sich  in  dem  Über- 
gang der  alten  medien  zu  tenues  augenscheinlich  ein  aufraffen  zu  neuer  kraftan* 
strengung*^.  „Die  regelmässigkeit,  mit  der*^  sich  die  ganze  lautverschiebung  volzieht, 
offenbart  eine  „stätigkeit  und  ruhig  ausdauernde  kraft '^  (s.  197).  „Dieselbe  ansdauer 
und  energie  muss  die  nation  oder  der  stamm  bewiesen  haben,  als  er  sich  in  die 
rauhe  natur  seiner  heimat  einlebte^.  „Das  aufraffen  zu  neuer  kraft  lässt  uns  die 
Sprachgeschichte  auch  weiterhin  noch  erkennen*^  (s.  198).  Ebenso  unzulänglich  ist, 
was  Müllenhoff  über  das  „euphonische*^  konsonantische  auslaulgesetz  beibringt,  über 
das  vokalische,  „wonach  alle  kurzen  A  und  I  im  wortende  oder  in  der  lezten  wort- 
Silbe  abfallen  musten*',  über  das  Yemersche  gesetz  und  über  den  germ.  acoent  In 
dem  „  betonungsgesetz '^  und  dem  durch  dieses  bewirkten  vokalischen  auslautsgesetz 
sieht  Müllenhoff  „das   eigentlich  unterscheidende   moment  zwischen  dem  alt-  und 


ÜBKB  MÜLLKNHOFF,    D1ÜT80BB  ALTCRTUM8KUNDB.   DI  551 

wigermaDischen  und  dem  neugermanischen.  Hierdurch  erst  wird  eioe  neue  epoche 
der  entwioklung  herbeigeführt,  der  eintritt  des  rechten  Germanentums,  der  abschluss 
und  die  Vollendung  des  eigentümlichen  wesens  und  Charakters  unserer  nation**  (s.  200 
fg.).  Es  ,,  entspricht  die  durchgängige  betonung  der  haupt-  und  stamsilbe  ganz  und 
gar  der  wnoht  und  einseitigkeit  des  kriegerischen  Charakters,  mit  dem  die  Germanen 
in  die  geschichte  eintreten*^  (s.  201).  „Die  verlüste  namentlich  in  der  coigugation  . . . 
zeugen,  wenn  nicht  von  einem  mangel  und  einer  abnähme  an  feinem  sinlichen  unter- 
Scheidungsvermögen,  so  doch  von  einer  trägheit,  unlust  und  Iftssigkeit,  feinere  unter- 
schiede festzuhalten,  auf  der  andern  seite  die  neue  accentregel  von  einer  gewissen 
rohheit  Aber  durch  die  schliessliche  gestaltung  unserer  flexion  geht  wie  schon  durch 
die  Lautverschiebung  derselbe  mächtige  zug  nach  einfacher,  klarer  Ordnung,  der  zum 
siege  verhalf  und  wodurch  der  spräche  neben  dem  starken  auch  nicht  das  zarte, 
neben  dem  rauhen  nicht  das  milde  versagt  blieb.  Das  zeigt  sich  auch  in  der  her- 
schaft, die  die  melodie  des  ablauts  in  ihr  gewann,  in  dem  gegenge wicht,  das  der 
nebenaccent  dem  hochton  gegenüber  behauptete.  Zugleich  aber  verrät  sich  hierin  ein 
tiefer  musicalischer  und  rhythmischer  sinn,  der  unserer  nation  von  anfang  an  eigen 
war''  (s.  203  fg.).  Dies  ist  im  wesentlichen  Müllenhofb  psychologisohe  analyse. 
Nichts  von  den  einer  solchen  doch  in  erster  reihe  zugänglichen  nicht -lautlichen  neu- 
bildungen,  nichts  über  syntax,  nichts  über  Stilistik!  Was  würde  die  kritik  wol 
sagen,  wenn  ein  anderer  forscher  uns  heute  derartiges  brächte?  Es  ist  kein  zweifei: 
dieser  aufgäbe  ist  MüUenhofif  nicht  gewachsen  gewesen.  Seine  sache  war  es,  das 
deutsche  altertum  lebendig  nachzuempfinden  und  vor  unseren  äugen  wider  erstehen 
zu  lassen,  soweit  es  galt  geschichtliche  zusammenhänge  äusserer  wie  geistiger  art 
aufzudecken.  Tiefere  blicke  in  das  leben  der  spräche  zu  tun  ist  ihm  versagt  geblie- 
ben. Und  die  aufgäbe,  um  welche  es  sich  hier  handelt,  ist  wol  die  allersohwierigste, 
welche  der  historisch -vergleichenden  Sprachwissenschaft  harrt:  sie  ist  (oder  sie  solte 
seini)  das  endziel  aller  Sprachforschung. 

Ich  habe  das,  was  das  buch  neues  bietet,  geglaubt  an  dieser  stelle  nur  in- 
soweit besprechen  zu  sollen,  als  es  das  gebiet  der  germanischen  philologie  betnft.  Es 
braucht  bei  einem  werke  Müllenhoffis  nicht  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  dass 
im  übrigen  die  grosse  gelehrsamkeit  und  die  scharfsinnige  kritik  des  Verfassers  überall 
eine  fruchtbare  ist  Den  hauptgewinn  aus  dem  buche  zieht,  wie  es  bei  dem  ersten 
bände  der  fall  gewesen  ist,  die  antike  geographie,  welcher  dieser  band  eine  kritik  der 
nachrichten  über  das  östliche  Europa  von  Hekataeus  von  Milet  und  Herodot  an  bis  auf 
Ptolemaeus  und  Ammianus  Marcellinus  bringt.  Boediger  hat  diesem  abschnitt  (s.  1  — 
90)  die  abhandlung  MüllenhoffiB  über  Ptolemaeus  und  Marinus  aus  den  Berliner  monats- 
berichten  1866  (s.  91  — 100)  angefügt,  dann  diejenige  über  die  spräche  der  pontischen 
Skythen  und  Sannaten  ebd.  (s.  101  —  125),  dann  den  artikel  Geten  aus  Ersch  und 
Gruber  (s.  125 — 163).  Die  anhänge  bringen  1)  „Griechische  inschiiften  aus  Südruss- 
land'^  aus  Heimes  bd.  3  und  4  (s.  205—211),  2)  „Über  die  weitkarte  und  chorogra- 
phie  des  kaisers  Augustus*^  Kieler  Universitätsprogramm  1856  (s.  212 — 295),  3)  „Die 
Völkertafel  der  Genesis*^  aus  den  Gott  gel  anz.  1851  (s.  295  —  298),  4)  „Über  die 
römische  Weltkarte*^  aus  Hermes  bd.  9  (s.  298 — 311),  5)  „Über  den  anhang  zu  dem 
provinzialverzeichnis  von  297 '^,  abhandlungen  der  Berliner  akademie  1862  (s.  311  — 
325),  6)  „Die  fränkische  völkertafel '',  ebd.  (s.  325  —  332).  Das  meiste  ist  mit  Ver- 
besserungen Müllenhoffis  abgedruckt  Sehr  dankenswert  ist  das  von  B.  Wenzel  ange- 
fertigte register  (s.  333—352). 


*  ■  ■*■  f«li    «. 


552  KAUFfMANR 

Es  liegt  jezt  voq  Müllenhoffo  lebonswork  der  erste,  zweite,  dritte  und  fonfte 
band  vor.  Schon  jezt  können  wir  ntch  einer  richtung  hin  ein  abschlieesendes  urteil 
über  das  ganze  werk  fällen,  das  schwerlich  anders  ausgefallen  sein  würde,  wenn  es 
dem  Verfasser  vergönt  gewesen  wäre,  dasselbe  selbst  za  vollenden.  Es  galt  eine 
zwiefache  arbeit  zu  tun:  eine  kritik  unserer  quellen  war  die  erste  und  notwendigste 
aufgäbe;  die  zweite  war  eine  zusammenfassende  darstellnng.  MüUenhoff  hat  wesent- 
lich nur  die  erste  aufgäbe  angegriffen,  wie  sehr  es  seinem  herzen  auch  um  die  zweite 
zu  tun  war,  und  wie  sehr  er  auch  geglaubt  haben  mag,  in  diesem  sinne  zu  schrei- 
ben und  zu  wirken.  Er  ist  über  jene  elementarere  tätigkeit,  in  der  seine  gelehisam- 
keit  und  sein  kritischer  Scharfblick  glänzend  zu  ihrem  rechte  konunen,  im  gründe 
nicht  hinausgekommen.  Auch  in  der  anläge  des  ganzen  Werkes  zeigt  sich,  wie  wenig 
MüUenhoff  den  einen  gesichtspunkt  dem  andern  unterzuordnen  veimocht  hat  Der 
erste  band  gibt  ausschliesslich  eine  quellenkritik;  er  endigt  mit  Fytheas.  Der  zweite 
band  fängt  von  neuem  an  und  gibt,  wenn  auch  gröstenteils  eine  solche  kritik  im  rah- 
men grösserer,  algemeiner  gesichtspunkte,  so  doch  zum  teil  auch  wirklich  zusam- 
menfassendes (besonders  über  Aestier,  Finnen  und  Slawen).  Der  dritte  band  sezt 
wider  ein,  wo  der  erste  aufgehört  hat:  auf  Pytheas  folgt  Herodot  Dann  abermals 
ein  ganz  neuer  anfang  in  jenem  andern  sinne:  die  Indogennanen.  Der  vierte  band 
scheint  wesentlich  ein  kommentar  zu  der  Germania  des  Tacitus  werden  zu  sollen. 
Der  fünfte  band  war  als  eine  germanische  mythologie  gedacht  —  und  ist  doch  nur 
eine  kritik  der  Edda  und  ihrer  mythen. 

MüUenhoff^  werk  ist  —  und  das  tut  seinem  Verdienste  keinen  eintrag  —  eine 
Vorarbeit  Eine  zusammenfassende  germanische  altertumskunde  soll  noch  geschrie- 
ben werden. 

HALLS  A.  8.,  DEN  3.  JXTLI  1892.  OTTO  BBEMER. 


Zur  geschichte  der  altdeutschen  verskunst  Von  Andreas  Heiuder.  [Ger- 
manistische abhandlungen,  herausgegeben  von  Karl  Weinhold.  8.  heft]  Bres- 
lau, Wilhelm  Koebner.    1891.    YIU  und  161  s.    5,40  m. 

Das  buch  ist  flott  und  frisch  geschrieben:  besizt  der  autor  doch  in  seltenem 
masso  die  gäbe,  sich  von  der  gebundenheit  unseres  Wissens  frei  zu  machen.  Die 
schwungvollen  prolegomena  zu  einer  neubegründung  der  metrischen  principienlehre 
(s.  38  fgg.)  habe  ich  mit  besonderem  genusse  gelesen.  In  der  diction  liegt  hier  ein 
packender  rhythmus,  der  den  zweifelnden  mitreisst  Nur  steht  nach  meinem  geschmack 
der  abschnitt  nicht  an  der  richtigen  stelle.  Er  stört  an  seinem  orte  den  Zusammen- 
hang des  3.  und  4.  kapitels  imd  wirft  eine  anzahl  von  begriffen  in  die  diskussion, 
die  nicht  gründlich  genug  für  ihre  Verwendung  gerüstet  erscheinen.  Die  stilistischen 
Vorzüge  und  der  Standpunkt  des  Verfassers  (s.  58),  dass  in  der  Verslehre  nur  selten 
beweise  und  Widerlegungen  möglich  seien,  binden  zuweilen  dem  recensenten  die  band. 

Heusler  spricht  von  kinder-  imd  ammenversen,  kindersprüchen,  kinder He- 
de rn.  Er  veiigleicht  s.  10  einen  abzählspruch,  dessen  strophe  er  im  anord. /bm^- 
daUig  widerfindet,  mit  gliedern  des  Ijöpahdttr.  Nun  ist  es  unter  allen  umständen 
unzulässig,  wie  s.  9  geschieht,  einzelne  halbverse  des  Hildebrandsliedes  und  Mn- 
spilli  nicht  bloss  an  dem  masstab'  einzelner  strophenteile  moderner  reimveise,  son- 
dern gar  an  dem  Ijöpahdttr  zu  messen,  ohne  bewiesen  zu  haben,  dass  auch  jene 
halbverse  nicht  stichisch,  sondern  strophisch  zu  verstehen  sind.  Möller  hat  ganz 
richtig  die  konsequenz  seines  Systems  gezogen,  wenn  er  die  ahd.  bruchstücke  in  Stro- 
phen auflöst    Heusler  hat  in  seiner  anzeige  des  MöUersohen  buches  und  jezt  wider 


ÜBER  BEÜ8LER,  ALTDEUTSCHE  YERSKUNST  553 

iD  dem  vorliegenden  werke  sich  gegen  strophische  einteilong  ausgesprochen,  muss 
sich  nun  aber  selbst  zu  strophischen  gebilden  flüchten,  um  seine  theorie  zu  illustrie- 
ren. Das  ist  ein  cardinalfehler,  dass  Heusler  die  taktmessung  strophischer  icten- 
reihen  auf  die  unstrophischen  gedichte  des  alliterierenden  Zeitalters  übertragen 
hat  Es  nüzt  nichts  s.  5  zu  dekretieren:  ,|der  vers  unserer  hauspoesie  ist  die  unmit- 
telbare fortsetzung  des  altgermanischen  verses'^  (vgl.  bei  Möller  s.  171),  wenn  s.  2 
gesagt  ist,  der  einzelvers  führe  keine  Sonderexistenz.  Den  kindervers  kennen  wir 
nur  als  festgefügtes  glied  der  strophe.  Wenn  er  die  fortsetzung  des  altgermanischen 
Verses  wäre,  müste  auch  dieser  als  glied  einer  strophe  überliefert  sein.  Da  dies  nach 
Heuslers  entscheidung  nicht  der  üeJI  ist,  so  kann  die  Identität  des  altgermanischen  und 
des  kinderliedverses  nicht  aufrecht  erhalten  werden,  und  sie  hätte  [nicht  behauptet 
werden  sollen.  Wie  wäre  es  auch  möglich!  fieusler  logt  so  viel  gewicht  darauf, 
dass  die  metrische  forschung  sich  von  der  last  der  buchstaben  frei  mache.  Aber 
ihm  selbst  hängt  dlQse  last  noch  am  ränzel.  Denn  was  soll  es  heissen,  den  kinder- 
vers mit  dem  alliterationsvers  zu  identificieren,  ohne  dabei  zu  beachten,  dass  wir  das 
kinderlied  nur  kennen  als  „gesungen  oder  gesprochen  zu  den  ringeltänzen,  zum  gänso- 
marsch,  während  man  die  kinder  auf  armen  oder  knien  schaukelt*^  (s.  38),  also  nur 
als  getanztes  oder  algemein  ausgedrückt  von  taktmässiger,  rhythmischer  körperbewe- 
gung  begleitetes.  Wo  wäre  von  alle  dem  bei  unserer  alliterationsdichtung  auch  nur 
entfernt  die  rede?  Es  hat  noch  niemand  den  versuch  gewagt,  das  versmass  des 
Hildebrandsliedes  als  getanztes  auszugeben.  Denn  es  ist  etwas  ganz  anderes,  wenn 
Scherer  behauptet  hat,  an  die  tanzbewegungon  seien  ursprünglich  auch  die  werte 
gebunden  gewesen.  Scherer  hat  auch  betont,  dass  darnach  eine  zeit  gekommen  ist, 
in  der  das  lied  sich  vom  tanze  losgelöst  hat,  und  er  ist  es  auch  gewesen,  der  behaup- 
tet hat,  schon  in  grauer  vorzeit  habe  es  eine  poesie  —  die  epische  —  gegeben,  die 
weder  getanzt  noch  gesungen  worden  sei,  für  deren  rhythmik  folglich  auch  ganz 
andere  Voraussetzungen  zu  gelten  haben.  Weder  Möller  noch  Heusler  haben  die  durch 
die  Verschiedenheit  der  poetischen  gattung  bedingte  Verschiedenheit  der 
rhythmischen  struktur  bedacht  So  ist  also  von  vornherein  die  unmittelbare  Zusammen- 
gehörigkeit des  heutigen  kinderverses  mit  dem  alliterationsvers  unserer  epen  hinfällig  K 
Dann  verliert  aber  Heusler  jegliche  stütze  für  seine  einschi-änknng  der  dipodie 
auf  die  ictenfolge  z'  x  x'  x\  Sievers  hat  gerade  im  volkstümlichen  vers  wechselnde 
gruppiemng  von  haupt-  und  nebenictus  belegt  Heusler  gibt  das  Volkslied  ganz  preis 
und  lässt  nur  in  den  kindersprüchen  die  uralte  sitte  nachklingen.  Er  hat  auch 
nichts  dazu  getan,  was  den  methodologischen  fehler  ausgliche,  die  Strophen  des  min- 
nesangs  mit  der  stichischen  alliterationsdichtung  zu  verknüpfen  (s.  91  fgg.)*  ^s  "^äre 
die  aufgäbe  gewesen,  sich  ernsthaft  mit  Müllenhoff  Z.  f.  d.  a.  23,  151  auseinanderzu- 
setzen, der  in  der  bündigsten  weise  die  annähme  strophischer  gliederung  für  die 
westgermanische  epik  ad  absurdum  geführt  hat.  So  fält  auf  Heusler  selbst  zurück, 
was  er  von  dem  zur  vorsieht  mahnenden  Wilmanns  sagt:  sein  experiment  erinnei't 
an  das  messer  ohne  klinge,  dem  der  griff  fehlt  Die  frage:  warum  muss  denn  mit 
dem  stabreimvers  selbst  auch  alles  andere  der  stabreimdichtung  vei'schollen  sein?  — 
diese  frage  hätte  Heusler  nicht  stellen  sollen.  Wird  doch  s.  11  fg.  eine  roiho  von 
faktoren,  die  den  eigentlichen  Charakter  der  stabreimverse  bestimmen,  wie  die  lang- 
reihigen  auftakte,   die  alliteration  selbst,  ja  sogar  die  sti-affe  regel  von  der  hebungs- 

1)  Was  diesen  selbst  betrift ,  so  ist ,  nebenbei  bemerkt ,  die  scansion ,  die  MOller  nnd  Heusler 
▼ertreten,  mit  den  neuen  onschanongen  über  die  germanischen  betonnngsformen  nicht  vereinbar  (Beitr. 
U,  66.    15,  262  XL  a). 


554  KAUFnUNN 

fähigkeit  der  verschiedenen  Wortklassen  preisgegeben  —  was  bleibt  aber  dann  noch 
vom  alten  Stabreim verse  übrig? 

Die  bedentnng  der  aUiteration  ist  von  Möller  und  Hensler  nicht  genügend 
gewürdigt  worden.  Zwar  hält  auch  Heusler  den  gmndsatz  aufteoht,  dass  die  gewich- 
tigen Satzglieder  im  guten  taktteil  stehen  und  dnrch  den  reim  nodi  energischeren 
nachdrock  bekommen  haben  werden.  Auch  Möller  hat  s.  165  anm.  hervorgehoben, 
der  takt  des  alliterationsverses  Verstösse  niemals  gegen  die  nachdnicksaccente.  Ich 
sehe  mich  aosser  stände,  auf  dem  boden  dieses  grundsatzes  verse  wie  her  was  (Ha- 
ehre,  enti  mit  fastun,  sunufatarungo  u.  a.  zu  verteidigen.  Wenn  nftmlioh  sMU 
ddnt^,  sunufatarungo  nicht  znlfissig,  so  bleibt  nur  sunu  —  fitarungo  übrig,  d.  h.  dann 
müssen  die  compositionsglieder  um  takt  und  dipodie  zu  retten  durch  eine  y^'ptnae 
getrent  werden.  Heinzel  hat  sich  bereits  (Anz.  XVII,  3)  hiei^pegen  ausgesprochen. 
Heusler  sucht  diese  Schwierigkeit  mö^chst  zu  umgehen.     Otfrids  fuaxfallonti  soll 

die  form  j    |  i    |  |    |  |    haben.    Warum  denn  nicht    M  "  1  f  f  I  T  1   ^  ^®^  Otfrids 

ubar  sunnun  lioht  als    T  f  I  T  I  T  I  T  ^uid  nicht  als     p  p  I  T'  P  I  T  I  *  ?   Wenn 

Otfrids  vers  nicht  unter  4  silben  sinken  kann,  so  wird  zunfichst  jeder  unbefengene 
darin  eine  bedeutsame  Übereinstimmung  mit  dem  stabreimvers  erkennen;  wenn  aber 
Heusler  sich  auf  den  Ijößahättr  bezieht,  so  folgt  doch  aus  der  zweigliedrigkeit  des 
Schemas,  das  mindestens  durch  2  silben  vertreten  sein  muss,  nicht  die  vieigliedrig- 
keit  der  taktierung,  die  Heusler  als  gegeben  betrachtet 

Nun  ist  aber  nach  Heusler,  was  man  im  gewöhnlichen  sinne  Volkslieder  nent, 
nicht  dipodisch  (s.  5),  vielmehr  wie  Otfrids  vers  monopodisoh;  d.  h.  nicht,  dass  im 
verse  die  4  hebungen  mit  gleicher  stärke  scandiert  würden,  die  icten  sind  nur  prin- 
dpiell  gleichwertig;  es  besteht  fr^ie  abwechslung,  es  dominieren  nicht  immer  diesel- 
ben hebungen  (hebung  1.  3  wie  im  kinderlied),  sondern  auch  2.  4  usw.  Der  vier- 
gliedrige  vers  könne  von  seinen  4  guten  taktteilen  nach  belieben  bald  diese  bald  jene 
stärker  hervortreten  lassen.  Heusler  gibt  zu,  dass  gegen  die  von  Sievers  gegebene 
formulierung  des  begrifs  dipodie  an  sich  nichts  einzuwenden,  dass  wenigstens  ein  teil 
germanischer  reimdichtung  auch  in  seinem  sinne  dipodisch  gemessen  sei.  Die  beschrftn- 
kung  des  Schemas  x'  x  x'  x  auf  den  kindervers  erklärt  sich  ganz  einfach  aus  dessen 
schon  erwähnter  besonderheit,  dass  er  mit  gleichmässig  wechselnder  körperbewegung 
vorgetragen  wird.  Wo  diese  fehlt,  haben  wir  auch  jene  strenge  abfolge  des  nach- 
druckswechsel  nicht  zu  erwarten.  Die  freiheit  Otfridischer  versmessung  mit  ihren 
principiell  gleich-  und  ungleiohwertigen  icten  eignet  der  gesamten  reimdichtung.  Die 
aussondemng  der  kinderlieder  aus  dem  gesamtschatze  der  volkspoesie  kann  ich  nicht 
gutheissen.  Hier  gilt  es  nach  einer  höheren  einheit  für  den  volkstümlichen  vers  zu 
suchen  imd  diese  ist  von  Sievers  gefunden  worden. 

S.  13  fgg.  gibt  Heusler  eine  neue  beurteilung  von  Otfrids  iotenzeichen 
Hier  finden  sich  ganz  ausgezeichnete  beobachtungen,  denen  ich  freudig  beistimme. 
Sehr  richtig  wird  s.  15  als  kern  des  ganzen  probloms  die  frage  gestelt,  ob  für  Otfrids 
spräche  überhaupt  noch  jene  satztongesetze  gegolten  haben,  von  welchen  wir  die 
spräche  der  stabreimenden  dichtungen  gebunden  wissen.  Heusler  meint  nun,  ohne 
leider  auf  eine  diesbezügliche  Untersuchung  sich  einzulassen ,  eine  accentuation  wie  in 
himilgualliehi  mit  ictns  auf  zweiter  hebung  solte  verhindern,  dass  dieselbe  unter 
die  dritte  herabsinke,  solte  mit  andern  werten  verhüten,  dass  der  vertrag  in  die 
dipodie  ''  '*  verfalle.    Dies  zugegeben,  wird  man  die  von  Heusler  gezogenen  folge- 


ÜBKB  HKU8LKR,  ALTDEUTSCHB  VEE8KÜN8T  555 

mngen  nicht  in  den  kauf  nehmen.  Otfrid  selbst  und  seine  hörer  nnd  leser  seien  an 
dipodisohe  dichtong  gewohnt  gewesen.  Eons  voiher  hatte  Hensler  es  abgelehnt, 
Otfrids  veTsmessong  als  einen  ommodelangsprooess  aufzufassen  —  und  hier  lässt  er 
Otfrid  abwägend  vorbeugen,  dass  ein  vers  wie  wortati  frenkUgen  ja  nicht  als  w6r^ 
Um  frMdsgbn  gelesen  werde!  Hält  es  Heusler  überhaupt  für  denkbar,  dass  bei  der 
auch  von  ihm  grundsätzlich  anerkanten  einheit  von  wort-  und  versbetonung  über- 
haupt jemand  zu  Otfrids  Zeiten  auf  die  ganz  unmögliche  sprechform  frenhUgen  hätte 
yerÜEÜlen  können?  Und  wenn  man  gerne  zugeben  wird,  der  ictus  sei  in  solchen  Al- 
len mahnzeichen  podischen  Vortrags,  was  folgt  daraus  anders,  als  dass  gerade  diese 
yerse  des  Evangelienbuches  nicht  wie  die  andern  gelesen  werden  selten;  dass  tatsäch- 
lich auch  Otfrid  die  mehrzahl  seiner  verse  dipodisch,  die  minderheit  podisch  gelesen 
haben  wolte  (auf  die  saeculares  voees  hätte  sich  Heusler  nicht  berufen  sollen,  denn 
sie  sind  formelhaft  und  stammen  vermutUch  ans  dem  Sedulius,  vgl.  Hnemers  ausg. 
8.  361  fg.)^  Heusler  geht  doch  selbst  so  weit,  dass  er  sagt,  der  erste  takt  habe 
acoentlos  bleiben  können,  da  er  auch  im  dipodischen  vertrag  den  starkton  getragen 
habe.  Das  hat  aber  doch  nur  dann  sinn,  wenn  wie  gesagt  die  mi^orität  unserer 
Otfridverse  dipodisch  (sowol  als  1.  3  wie  2.  4  vgl.  s.  19  fg.)  gelesen  worden  ist  — 
quod  erat  demonstrandum.  Heusler  selbst  erhebt  s.  20  gegen  seine  theorie  noch  den 
durchschlagenden  einwand,  dass,  wenn  es  dem  urheber  der  accentzeichen  darum  zu 
tun  gewesen,  monopodische  lesnng  zu  markieren,  er  nicht  bei  den  versen  1.  3  und 
2.  4  die  stärksten  Silben,  gerade  die  gipfel  als  dipodien  bezeichnet  hätte,  während 
umgekehrt  bei  versen  1.  3  die  Senkungen  2.  4  (vgl.  s.  22),  bei  versen  2.  4  die  Sen- 
kungen 1.  3  hätten  ausgezeichnet  werden  müssen,  wenn  die  absieht  bestand,  dipo- 
dische  lesung  zu  verhüten.  Ich  erkläre  mich  aber  mit  Heusler  einverstanden,  dass 
ein  Zusammenhang  der  ictenzeichen  mit  der  structur  des  aliiterationsveises«  wie  ihn 
Sievers  durchzuführen  versnobte,  tatsächlich  nicht  besteht  (s.  25  fgg.).  Es  kann  von 
einem  widerstreit  zwischen  rhythmischem  Schema  und  Satzbetonung  schlechterdings 
nicht  die  rede  sein.  Ich  gehe  jezt  noch  weiter  als  Heusler.  Diejenigen  verse,  deren 
aocentuierung  sich  nicht  mit  der  prosabetonung  deckt,  sind  nicht  bloss  nicht  aus  den 
alten  typen,  sie  sind  überhaupt  nicht  aus  der  Vortragsweise  alliterierender  dichtung 
zu  erklären;  es  handelt  sich  auch  nicht  um  einen  konflikt  zwischen  dem  neuen 
monopodischen  versraass  und  der  alten  gewöhnung  an  die  dipodie,  sondern  es  handelt 
sich  um  die  erst  mit  der  reimposie  volzogene  einfuhrung  dipodischer  versmessung. 
Die  stebreimdichtung  hat  nichto  vergleichbares.  Otfrid  hat  zum  ersten  mal  ein  um- 
fängliches deutsches  buch  in  dem  versmass  lateinischer  rhythmen  geschrieben, 
nachdem  schon  geraume  zeit  vor  ihm  mit  der  alten  technik  gebrochen  worden  war. 
Die  kurz  verse  des  lateinischen  rhythmus  —  man  solte  nicht  immer  auf  den  hym- 
nenvers  sich  berufen*  —  zeigen  ganz  denselben  bau  wie  die  kurzverse  Otfrids,  wovon 
man  sich  leicht  überzeugen  kann,  wenn  man  einen  beliebigen  lateinischen  rhythmus 
nach  den  regeln  deutscher  Satzbetonung  liest.  Das  von  W.  Meyer  aufgestelte  prin- 
cip  des  taktwechsels  ist  nichts  anderes  als  die  freiheit  der  ictenstellung.  Es  ist  auch 
für  die  lateinischen  rhythmen  nicht  zulässig,  das  dipodische  mass  auf  "  ''  einzu- 
schränken, sondern  hier  wie  dort  bilden  das  gerüste  zwei  volle  ioten,  neben  denen 
2  schwächere  nebenicten  das  taktmass  fallen.     Dazu  komt,   wie  R.  M.  Meyer  schon 

1)  Vgl.  jezt  die  graten  darlog^aDgen  bei  J.  Kelle,  Geschidite  der  deataohen  litteratar  s.  47  tg. 
69  n.  ö. 

1)  Beda,  de  arte  meirioa  s.  b.  oitiert  hymnen,  die  nach  Uaasiachen  metren  gebaut  sind.  Vgl. 
WalahfridoB  Strabo,  de  ezordüs  et  incrementis  usw.  c.  26  (ed.  Knoepfler). 


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556  KAumuNN 

gezeigt  hat,  dass  die  existenz  einer  halbierenden  cäsar  bei  Otfrid  wie  in  den  latei- 
nischen rhythmen  das  gewichtigste  argximent  für  dipodiscbe  versznessang  liefert  (QF. 
58,  38  fgg.).  Nicht  bloss  die  Spielerei  mit  dem  akrostichon  in  den  widraungsgedidi- 
ten  weist  ans  in  die  lateinische  schale,  in  der  Otfrid  seine  reimerei  gelernt  hat.  Es 
lassen  schon  Commodian  und  Sedulias  genaa  wie  Otfrid  die  namensformen  durch 
anfangs-  and  endbachstaben  der  versreihen  gebildet  werden;  ich  verweise  noch  anf 
Poetae  Latini  aevi  Carolini  I,  4.  35.  423.  620  (der  heransgeber  hat  hier  das  doppelte 
akrostichon  nicht  bemerkt);  U,  4.  n,  421  (wie  bei  Otfrid  and  Walahfridos  Strabo, 
so  aach  bei  ihrem  gemeinsamen  lehrer  II,  167).  Der  ganze  apparat.  mit  dem  das 
Evangelienbach  in  die  öffentlichkeit  gegeben  worden  ist,  zeigt  die  mode  der  zeit  and 
die  liebhabemen  lateinischer  schulpoesie.  Wandalbert  von  Prüm  schickt  seinem  Mar- 
tyrologiam  (c.  a.  848.  Poetae  latini  n,  567.  Neues  archiv  lY,  305)  nicht  bloss 
eine  epistola  voran:  ad  iUuatrem  virum  Otrieum  eierieum  super  eis  quae  sequenii 
opere  eontinentur  metrorum  generibus  —  dem  grammatisch -metrischen  Sendschreiben 
an  Liutbert  vergleichbar  — ,  sondern  er  fügt  auch  widmangsgedichte  <td  Caesarem  sowie 
an  seinen  freand  Fhrus  bei  und  versftumt  so  wenig  als  Otfrid  die  vorbildliche  bedea- 
tung  der  Juvencus  Arator  Prudentius  hervorzuheben ;  vgl.  auch  Neues  archiv  IV,  523. 
Es  ist  bekant,  dass  auch  Otfrid  in  seinen  lehrreichen  selbstbekentnissen  die 
eigene  verskunst  als  nicht-metrische  bezeichnet  hat  (noü  quo  series  scripiioms 
hujus  metriea  sii  subtüitate  constricta)  und  widerholt  davon  spricht,  dass  der 
reim  das  einzige  gesetz  für  seine  verse  abgegeben  habe.  Zamcke  hat  mit  prficiser 
deutlichkeit  dargestelt  (Bor.  d.  sfichs.  geselsch.  1871,  38  fgg.)?  vio  almählich  unter 
rhytkmus  eo  ipso  ein  gereimtes  gedieht  verstanden  worden  ist  Es  sei  auf  die  bedeu- 
tende Stellung,  welche  die  Afrikaner  mit  ihrer  verliebe  für  den  endreim  einnehmen, 
verwiesen;  vgl.  die  samiungen  im  Arohiv  für  lai  lezicographie  und  grammatik  I,  350. 
576'.  Der  erste,  der  systematisch  den  [vorerst  stets  einsilbigen]  endreim  durch- 
geführt hat,  scheint  C!ommodian  gewesen  zu  sein;  sodann  hat  Augustin  seinen  psalm 
gegen  die  Donatisten  durchgereimt  (jede  verszeile  endet  auf  — e).  In  dem  zweiten 
hymnus  des  Sedulius  erscheint  der  endreim  gleichflEds  eingebürgert,  aber  noch  der 
hymnus  rex  aeteme  domine  (Daniel  I,  85  fg.)  zeigt  unvolkommene  reime;  etwas 
genauer  ist  der  hymnus:  apparebü  repentina  (Du  Meril  s.  135  fgg.)*  Im  gegensatz 
zu  ^dem  hymnus  des  Sedulius  können  die  reimunvolkommenheiten  merkwürdig  erschei- 
nen. Es  unterliegt  keinem  zweifei  mehr,  dass  die  im  mittelalter  ganz  algemein  vei^ 
breitete  ansieht,  der  reim  stamme  aus  der  rhetorischen  figur  des  homoeoteleuton,  das 
richtige  getroffen  hat  (Zarnoke,  Ber.  d.  sächs.  geselsch.  1874,  56).  Diese  rhetorische 
figur  ist  von  einer  unbekanten  autorität  zum  zwecke  volkstümlicher  Wirkung  in 
die  poesie  eingeführt  worden  (Augustin  sagt:  ad  ipsius  humillimi  vulgi  ei 
omnino  imperitorum  atque  idiotarum  notitiam).  In  älterer  zeit  ist  der  gewohnheit 
der  rhetoren  folgend  nur  hie  und  da  der  endreim  am  Schlüsse  rhythmischer  koU  nutzbar 
gemacht  worden,  während  andere  teile  der  gedichte  ungereimt  blieben  (vgl.  z.  b.  die 
von  Beda  citierten  hymnen).  Otfrid  verlangt  consequenz  in  der  Verwendung  des 
homoeoteleuton  (assidue).  Trotzdem  sind  auch  ihm  bekantlich  einzelne  reimlose  versa 
entgangen,  die  sich  nicht  alle  als  stabreimende  reste  auffassen,  dagegen  als  auslaufer 
eines  älteren  stils  lateinischer  dichtung  sich  vortreflich  deuten  lassen.  Otfrid  ist 
indessen  nicht  der  erste  gewesen,  der  den  endreim  als  gesetzmässige  vei'siBgel  anem- 
pfohlen hat    Lange  vor  ihm  bewundem  wir  den  wolklang  stetig  reimender  gesänge 

1)  Kotrektiimote:   Inzwischen  ist  flisdiienen  0.  Dingeldein,  Dor  mm  l)ei   den  Oiiedieii  und 
BOmem.    Leipzig  1892. 


ÜBER  RKU8LER,   ALTDRUTSGHE  VKRSKXTNST  557 

in  dem  kunstgeübten  kreise  irischer  klosterdiohter.  In  dem  ebemiiass  irischer  reim- 
technik  komt  uns  zum  ersten  mal  die  schöne  errungenschaft  der  harmonie  des  laut- 
Spiels  zum  bewustseiu.  Es  wäre  ein  falscher  anachi-onismus  mit  Zeoss  gram.  celt.  U, 
910  fgg.  die  in  den  irischen  klöstern  überraschende  reimfülle  aus  der  einheimischen 
verskunst  herzuleiten  (vorsichtiger  ist  Edzardi,  Beitr.  V,  581).  Die  lateinischen  Vor- 
bilder sind  für  die  poesie  der  muttersprache  massgebend  gewesen.  Unmittelbare 
Schüler  irischer  gelehrter  waren  die  strebsamen  Angelsachsen,  die  wie  vieles  andere, 
so  auch  die  reimkunst  von  Iren  gelernt  haben.  Aldhelm,  Aethelwald,  Bonifatius, 
ohne  weitere  namen  zu  nennen,  stehen  in  der  pflege  des  reims  auf  demselben  Stand- 
punkt wie  fiibemicus  exul-Dicuil.  Die  ganze  scala  der  dazumal  üblichen  reim- 
formen ISsst  sich  dui'ch  die  gedieh te  der  genanten  Angelsachsen  verfolgen  (Jaffe,  Mo- 
numenta  Moguntina  s.  38  fgg.).  Gibt  nicht  das  akiDstichon  in  den  versen  des  Boni- 
fatius  an  Nithardns  die  beste  antwort  auf  die  frage,  wo  Kynewulf  es  gelernt  hat,  in 
der  Elene  endi'eime  anzuwenden  und  seinen  namen  akrostichisch  einzulegen  (vgl.  auch 
Kluge,  Beitr.  9,  443)?  Gewiss  sind  es  die  Angelsachsen  gewesen,  die  in  die  Pflanz- 
stätten deutscher  klöster  die  reimtechnik  gebracht  haben.  Auf  dem  hintergrunde  der 
angelsächsischen  mission  in  Deutschland  hebt  sich  wie  eine  unscheinbare  coulisse  — 
aber  die  scenerie  des  geistigen  lebens  im  8.  —  9.  Jahrhundert  vervolständigend  —  die 
durch  die  einführung  des  lateinischen  rhythmus  reformierte  verskunst  ab. 

W.  Grimm  hat  in  seiner  geschichte  des  reims  viel  mühe  aufgewendet,  die  ent- 
stehung  des  endreims  im  hexameter  zu  verfolgen,  ohne  andere  resultate  zu  erzielen, 
als  dass  Jahrhunderte  hindurch  assonanzen  oder  reime  in  dem  heroischen  versmass 
anklingen.  Weltliche  und  geistliche  gedichte  sind  lange  durchgereimt  worden,  ehe 
der  leoninische  hexameter  für  deutsche  dichtung  anregung  bringen  konte.  Es  ver* 
dient  nur  die  ansieht  gründliche  erwägung,  ob  tatsächlich  regelmässig  zweisil- 
biger reim  zuerst  im  hexameter  herschend  geworden  und  von  da  in  rhythmische 
dichtung  übergegangen  ist  (Sitzungsber.  d.  Münch.  akad.  1882,  143  fg.). 

Wenn  wir  für  Otfrid  nach  dem  meister  fragen,  in  dessen  schule  er  zur  pflege 
des  endreims  erzogen  worden  sein  mag,  so  bietet  sich  der  name  Hitibanus  Maurus 
ganz  von  selbst.  Das  grosse  gedieht  de  fide  caiholiea  ist  von  Hrabanus  selbst  als 
rhythmo  Carmen  compositum  bezeichnet  worden  (Poetae  lat.  II,  197).  Es  finden 
sich  in  der  lateinischen  dichtung  alle  Schattierungen  des  ein-  und  mohrailbigen  reims 
bis  zum  rührenden  reim.  Wir  haben  hier  die  kategorien  der  deutschen  reime  Otfrids 
(vgL  auch  Bartsch,  Sequenzen  s.  129  fgg.)-  Ich  möchte  nicht  versäumen,  auf  die 
versus  de  eversione  monasterii  Glonnensis  aufmerksam  zu  machen  (o.  a.850.  Poetae 
lat  n,  146.  8itzung8ber.  der  Münch.  akad.  1882,  96.  Neues  archiv  lY,  296. 
W.  Grimm  a.  a.  o.  s.  164).  Denn  das  lied  besteht  aus  einer  zweizeiligen  Strophe, 
die  mit  der  strophe  Otfrids  identisch  ist  Da  jede  möglichkeit  ausgeschlossen 
ist,  dass  die  strophe  der  versus  aus  deutscher  kunstübung  übernommen  sei,  so  dürfte 
die  abhängigkeit  Otfrids  evident  erscheinen.  Seine  strophe  stamt  aus  dem  repertoire 
der  lateiner. 

Es  ist  zu  bedauern,  dass  Heusler  die  volkstümlich  lateinische  rhythmik  nicht 
in  den  bereich  seiner  arbeit  gezogen  und  die  ältere  deutsche  verskunst,  statt  sie  an 
ihr  geschichtliches  vorbUd  anzulehnen,  durch  seine  Überschätzung  der  kinderiieder  in 
eine  falsche  Perspektive  gebracht  hat  Auf  die  weiigreifende  bedeutung  der  lateiner 
gerade  auch  für  die  modernen  volkstümlichen  gesangsformen  ist  neuerdings  von 
Tobler  in  höchst  lehrreicher  weise  aufmerksam  gemacht  worden,  wie  ich  der  Viertel- 
jahrsschrift für  musikwissenschaft  1891,  444  fgg.  entnehme  (Eühreihen  oder  kühi*ei- 


b«.     *«      ■  -»<k«    —  ta    MMm-tr. 


558  KAUmCANN 

gen,  jodel  und  jodeUied  in  Appenzell).  Man  wird  der  wahriieit  um  ein  beirftchtiidies 
nfiher  kommen,  wenn  man  den  kindervera,  den  yolkstümlich  dentsohen  yers,'  nicht 
an  die  alliterationsdichtung,  sondern  an  die  yolgären  lateinischen  ihythmea  murnttel- 
bar  anschliesst 

liegt  non  aber  in  der  deatschen  reimdichtung  ein  radikaler  brach  mit  der 
einheimischen  älteren  tradition  —  wer  wolte  es  für  zuUssig  halten ,  wenn  fiensler  sich 
ein  hinterpförtchen  offen  hält  und  am  schluss  eines  durch  schärfe  der  kritik  ausge- 
zeichneten kapitels  behauptet:  mehr  als  Otfrid  haben  andere,  spätere  dichter  von  dem 
germanischen  verse  herubei^nommen !  Jüngere  sollen  in  engerem  Zusammenhang 
mit  dem  alten  stehen  als  ältere.  Das  erscheint  geechiohtswidrig.^  Auch  Notker  baut 
im  Boethius  eine  doppel- Strophe  wie 

Ufuie  4n  der  umoft  tctmta,        der  luxxel  gemakta, 

Unde  in  des  tMes  mitma  lerta       diu  imo  den  teuoft  rakia. 
Dax  sang  er  unde  rox       unx  is  heüa  erdrttx. 

Und  sus  suoxo  bat  er  gnadon  die  Herren  dero  sehn. 
Heusler  ist  der  meinung,  eine  unterstromung  der  metrischen  Überlieferung  habe 
Otfrids  reform  nicht  mitgemacht  (s.  56).  Er  oonstatiert  selbst,  wie  nahe  die  kleine- 
ren deutschen  reimdiohtungen  in  ihrem  versbau  an  Otfrid  sich  anlehnen  und  findet 
sodann  um  wenig  mehr  als  ein  Jahrhundert  später  eine  grosse  reihe  geistlicher  und 
weltlicher  dichtuugen,  die  sich  in  wesentlich  anderen  bahnen  bewegen.  Es  fallen  die 
sehr  kurzen  und  sehr  langen  reimzeilen  ins  äuge.  Heusler  glaubt,  dass  für  die  dich- 
tungen  des  11.  12.  Jahrhunderts  dreihebige  verse  ausreichen,  und  die  verse,  bei 
denen  man  meist  mehr  als  4  hebungen  angenommen  hat,  doch  viertaktig  zu  lesen 
sind.  Auf  einen  beweis  hat  Heusler  freiwillig  verzichtet  (s.  58).  Bei  dreihelHgen 
Versen  ist  die  lezte  hebung  durch  eine  pause  ersezi  Während  nun  aber  Heusler 
mit  eifer  dagegen  kämpft,  die  sUbenfolge  ^  x  von  ~.  x  metrisch  zu  unterschttden 
(z.  b.  8.  46)  —  ich  stimme  ihm  darin,  soweit  die  gesamte  deutsche  reimdiditung  in 
betracht  komt,  volkommen  und  mit  freuden  zu  — ,  während  er  selbst  behauptet,  dass 
bei  Heinrich  von  Veldeke  die  dreihebigen  verse  sowol  bei  dem  ausgang  ^  x  als  bei 
—  X  vorkommen,  hält  er  es  aufrecht,  dass  in  diesem  falle  ^  x  nicht  als  vS»  x'  ge- 
nonunen  sein  könne!  Es  streitet  von  Seiten  des  satzrhythmus  durchaus  nichts  gegen 
die  annähme  (s.  65  anm.),  dass  auch  vorsilben  wie  ne  ge  ir  fir  xe  (Germ.  11,  445) 
den  schwachen  taktteil  fallen  kdnten.  Es  ist  folglich  eine  grosse  zahl  von  belegen 
zu  streichen.  Es  bleiben  nur  11  fölle  übrig,  die  nach  dem  worüant  der  Überlieferung 
als  dreihebig  in  ansprach  genommen  werden  könnra.  Bei  den  sog.  überlangen  ver- 
sen  lässt  Heusler  nun  auch  das  lebende  Volkslied  als  verwante  formen  bergend  mit- 
reden (s.  67),  und  er  unterscheidet  sehr  treffend  zwischen  leichter  und  schwerer 
taktfüllung,  die  in  der  metrik  der  klassischen  werke  einem  saubera,  geftlligen  gleich- 
gewicht  der  taktglieder  gewichen  ist  Ich  hätte  in  diesem  abschnitt  nur  gewnnsdit, 
dass  das  vorkommen  von  doppelversen  in.  grösserem  umfang  anerkant  worden  wäre. 

Noch  schroffer  gegen  Otfrid  stehen  die  sogenanten  verse  mit  4  hebungen  bei 
klingendem  ausgang.  Wenn  Heinrich  von  Veldeke  stonde  :  gonde  wie  dags  :  klage 
reime,  so  stehe  er  damit  auf  dem  boden  der  altheimisohen  alliterationsdiohtung,  wäh- 
rend Otfrid  dem  lateinischen  usus  folge.  Andere  werden  an  der  romanischen  her- 
kunft  dieser  klingenden  reime  noch  länger  festhalten.  Es  kann  doch  nicht  zufall  sdn, 
dass  klingender  reim  nach  fester  regel  angewendet  sich  zuerst  bei  höfischoi  diditera 
findet  (Pilatus.  Veldeke);  wie  solte  höfische  dichtung  gerade  in  diesem  stück  etwas 
einheimisch  volkstümliches  conserviert  haben,  während  sie  sonst  so  willig  das  mu- 


ÜBIB  HKÜSLER,   ALTDBT7TSCHB  VSKSKÜNST  559 

heimische  vornehm  bei  seite  geschoben  hat?  Wenn  es  nun  Heusler  gar  untemimt, 
den  rhythmus  der  ältesten  minnelieder  unmittelbar  an  den  stabreimvers  anzuknüpfen, 
wenn  er  z.  b.  MF.  39,  18  den  dipodischen  bau  des  vierhebungsyerses  in  einer  Ein- 
heit findet,  wie  er  seit  der  stabreimenden  zeit  kaum  in  einem  denkmal  altdeutscher 
dichtung  zu  tage  trete,  so  wollen  wir  über  die  durchführbarkeit  dieser  sogenanten 
rein  dipodischen  voiiragsweise  mit  Heusler  nicht  rechten,  wol  aber  die  stabreimdich- 
tung  dagegen  verwahren,  als  ob  in  ihr  Verstösse  gegen  den  satzrhythmus  vorkämen, 
gegen  die  Heusler  bei  Otfrid  so  tapfer  ins  treffen  gegangen  ist  Mir  ist  es  unerfind- 
lich, wie  man  Musp.  37  als  etwas  anderes  denn  als  reimvers  aufCassen  konte. 

Sehr  schön  hat  Heusler  den  dipodischen  bau  der  ältesten  minnelieder  nach- 
gewiesen, womit  nicht  gesagt  sein  soll,  dass  ich  seine  ictensetzung  in  allen  Wien 
korrekt  finde.  Trotz  der  begeisterung  für  den  rhythmus  jo  emcds  ich  niht  ein  ^ber 
teiidi,  ziehe  ich  . .  iväa  . . .  iber  icüd^  vor  und  kann  nicht  mit  moderner  empfind- 
samkeit  eher  unter  den  tisch  fallen  lassen.  Ich  sehe  nicht  ein,  warum  nte  frö  wer- 
den eU  ein  sohlechter  vierhebiger  vers  sein  soll;  man  mäste  sich  denn  der  besseren 
einsieht  verschliessen,  dass  nie  frtl  tchrden  stt  eine  ebenso  gute  dipodie  ist  wie 
d^  engdn  ich  dir  niet,  vnex  ünder  ans  xwiin  ist  getan,  ietner  därbhule  stn, 
ex  ist  den  liuUn  gelich.  Es  rächt  sich,  dass  Heusler  nicht  die  dipodien  '  "  '  und 
'^' '  (z.  b.  göt  d^  dinen  Itp)  zulassen  will.  Sievers  formulieruog  bewährt  sich  bei 
der  reimdichtung  ebenso  wie  die  mannigfaltigkeit  seiner  typen  für  die  alliterations- 
dichtung. 

Für  die  bedeutimg  der  Nibelungenstrophe  (s.  104  fgg.)  hebt  Heusler  zu- 
nächst hervor,  dass  reichere  taktfüUuDg  (mehrsilbige  Senkung)  eine  altertümliche 
erscheinung  ist,  wie  unreiner  reim  und  mehrsilbiger  auftakt,  imd  dass  die  verschie- 
denen redaktionen  von  dem  bestreben  geleitet  waren,  die  reichere  taktfüUung  zu 
beschränken.  Auch  in  den  versschlüssen  ist  eine  glättende  band  zu  verspüren.  So 
wenig  ab  die  Kürefiberges  wUe  ein  krystallisches  Strophengebilde  gewesen,  so  wenig 
wird  in  dem  original  des  Nibelungenliedes  gleichmässigkeit  des  versausganges  gegol- 
ten habend  Der  normalschluss  der  ungeraden  halbverse  ist  klingend.  Es  ist  zu  ver- 
muten, dass  das  original  zahlreiche  halbverse  mit  stumpfem  ausgang  enthalten  hat, 
desgleichen  eine  nicht  unbeträchtliche  zahl  von  versen  mit  klingendem  schluss  in 
der  zweiten  Strophenhälfte.  Beim  Etirenberger  sind  diese  lezteren  entschieden  4 -hebig 
zu  lesen,  für  das  Nibelungenlied  soll  das  nicht  gelten,  weil  verse  wie  dise  degeney 
eich  vx  kuoben  vorkommen:  als  ob  diese  nicht  4 -hebig  gelesen  werden  könten.  Den 
Nibelungen  fehlt,  was  beim  Kürenberger  bestimmend  war,  der  dipodische  bau.  Mag 
auch  da  und  dort  eine  Strophe  in  leidlich  dipodischem  tonfall  erklingen  (s.  112),  im 
Nibelungenlied  ist  dies  zufällig.  Wo  bleibt  hier  der  eifer,  der  in  der  imgleichmässig- 
keit  der  Eürenbergstrophen  so  viel  sinn  zu  ahnen  wüste  und  zu  finden  glaubte?  Auch 
das  Nibelungenlied  geht  in  vortreflichen  dipodien,  nur  lassen  sie  sich  in  das  enge 
Schema  Heuslers  nicht  einzwängen,  so  wenig  als  die  lyrischen  Strophen.  Dass  die 
bearbeiter  vielfach  unter  anschluss  an  formen  der  höfisch -romanischen  kunst  in 
3 -hebige  messung  übergegangen  sind,  ist  gerne  zuzugeben.  Heusler  meint  nun 
aber,  auch  die  8.  halbzeile  sei  ursprünglich  3 -hebig  gewesen  und  (um  vierhebigkeit 
zu  gewinnen)  von  den  redaktoren  geändert  worden;  es  habe  sich  der  hang  nach  zwei- 
silbiger taktfoUung  mehr  oder  weniger  stark  geltend  gemacht    In  diesem  sinn  recon- 

1)  Bb  wir»  mit  fipeodfln  m  begrfln«n,  weim  künftig  nicht  mehr  von  einer  (Uoes  theoretiachen) 
Nibelongen-,  Qndran-,  Morolt-itrophe  naw.  abTon  abaolnt  einheitUehen  Systemen  (wie  die  gxieohisehen) 
die  rede  wir». 


hh     »r,  ■/ ■       »mm   •■  M    MA«pTrä       *.."?.  ■^    "!••*■    n*   .    . 


560  LÖBincft 

stniiert  Heuslor  dreihebige  schlusszeilen  und  ist  der  ansieht,  dass  durchschnittlich 
▼on  6  Strophen  eine  dreihebig  in  der  schlosszeile  gewesen  sei.  Was  mochte  die 
bearbeiter,  die  nach  Heusler  ausserhalb  der  Tolkstumlichen  tradition  stehen  und  in 
andern  fällen  dem  glcichmass  höfischer  kunst  so  willig  nachgeben,  Teranlassen,  die 
sohlusszeile  um  eine  hebung  zu  erweitem?  Eine  solche  cadenz  will  mir  gänzlich 
unwahrscheinlich  vorkommen.  Der  volle  schlussvers  hat  sich  nach  Heuslers  eigenem 
urteil  nicht  ab  lebenskräftig  erwiesen,  die  jüngeren  Strophenformen  gehen  bekantlich 
immer  nachhaltiger  gerade  auf  dreihebigkeit  des  Schlusses  aus..  Von  den  zahlreichen 
dreihebigen  schlusszeilen  der  handschrift  A  stimmen  nach  Heuslers  Zählung  nur  16 
mit  erschliessbaren  original versen.  Ich  glaube  auch,  dass  unter  den  formalen  rück- 
sichten  das  streben  nach  goregelter  strophenform  eine  der  wichtigsten  gewesen  ist; 
aber  nach  Heusler  müste  den  bearbeitem  ein  ideales  strophenschema  vorgeschwebt 
haben,  wenn  sie  einheitliche  gleichmässigkeit  überhaupt  hatten  erreichen  woUen.  Bas 
Strophenschema  war  vielmehr  für  sie  gegeben  durch  die  modernere  form  der  1.  —  3. 
langzeile.  Mir  scheint  bei  Heusler  der  Sachverhalt  geradezu  auf  den  köpf  gestdt  zu 
sein;  die  ästhetischen  anlorderungen,  die  er  s.  158  geltend  macht,  wird  wol  die  mehr- 
zahl  der  leser  mit  einem  fragezeichen  versehen. 

BALL!  ▲.   S.  FBIKDBICH  KATTmANN. 


„Vom  Rechte*^  und  „Die  Hochzeit*^.  Eine  litterar -historische  Untersuchung  von 
Carl  Kraus.  Wien  1891.  In  kommission  bei  F.  Tempsky.  (Sitzungsberichte  der 
kaiserl.  akademie  der  Wissenschaften  in  Wien,  philosophisch -historische  klasse. 
Band  CXXHI.  IV.    Ausgegeben  am  22.  mal  1891.)    126  s.     2,50  m. 

In  meiner  dissertation  über  die  hochzeit  1887  hatte  ich  eine  kritische  und 
kommentierte  ausgäbe  des  gedichtes  in  aussieht  gestolt.  Äussere  vorhsltnisse  nötig- 
ten mich,  meine  arbeiten  hierzu  abzubrechen.  Inzwischen  erschien  die  ausgäbe  von 
Waag,  später  das  vorliegende  vortrefliche  buch  von  Kraus,  das  sich  zum  teil  mit 
meinen  materialien  deckt,  zum  teil  aber  (in  der  suche  nach  der  theologischen  quelle 
des  mutmasslich  echten  gedichts  und  in  den  übrigen  nachweisungen  aus  der  theolo- 
gischen litteratur)  mir,  wie  ich  gern  bekenne,  weitaus  den  rang  abgelaufen  hat 

Indem  ich,  was  die  erörterungen  über  horkunfk,  spräche,  reimkunst,  text  und 
Verhältnis  zu  anderen  geistlichen  godichten  betrift,  mich  au  die  auch  durch  glücklidie 
emendationen  bereicherte  besprechung  Edw.  Schröders  im  Anz.  f.  d.  a.  XYII,  287  fg. 
anschliesse,  möchte  ich  mich  hier  mehr  an  verfahren  und  ergebnis  der  höheren  kritik 
und  an  die  Untersuchung  der  theologischen  grundlage  halten. 

Ich  hatte  Diss.  36  gesagt:  über  dem  gedieht  vom  Recht  und  über  gewissen 
interpolationen  der  Hochzeit  ist  dieselbe  band  beschäftigt  gewesen,  und  38:  nur  die 
(von  mir  angenommenen)  interpolationen  weisen  die  verwantschaft  mit  dem  Recht 
auf.  Später  —  hiervon  konte  Schröder  leider  nichts  wissen  (vgl.  a.  a.  o.  289)  — 
erkante  ich  eine  direkte  Umarbeitung  der  parabel  durch  den  dichter  des  Rechts,  deren 
Wirkungen  sich  sowol  auf  die  erzählung  als  auf  die  deutungen  erstreckten;  bis  zu 
einer  reinlichen  und  befriedigenden  Scheidung  der  demente  war  ich  noch  nicht  gekom- 
men. Eine  weitere  arbeit  ist  für  mich  durch  das  vorliegende  buch  überflüssig  gewor- 
den; ich  habe  aber  wenigstens  den  trost,  dass  ich  auf  dem  richtigen  wege  war. 

Kraus  ist  durch  veränderte  Stellungnahme  weiter  gekommen  als  ich,  schliesst 
jedoch  au  manchen  punkten  noch  immer  mit  einem  non  liquet:  die  höhere  kritik  ist 
zurückhaltender  geworden.    Dies  ist  natürlich  kein  Vorwurf;  der  fehler  hatte  auf  mei- 


DbBB  KRA178,  VOM  VECSOM  TSVh  DU   HOOHZIIT  561 

ner  seite  gelegen.  Kraus  geht  vom  Recht  aus.  Stil,  ideenkreise  und  anschauungen 
dee  gedichtes  ergeben  das  bild  einer  dichterischen  Persönlichkeit,  die  sich  auch  in 
fremder  Umgebung  widererkennen  liesse.  Sie  ist  zu  finden  in  der  Hochzeit,  imd 
zwar  vorwiegend  in  den  stücken,  die  bereits  Scherer  —  der  uns  alle  in  dieser  sache 
den  richtigen  weg  gewiesen  hat  —  als  interpolationen  erkante.  Die  beweisfiih- 
rung  von  Kraus  ist  für  die  partien  7 — 144  (der  eingang  ist  vielleicht  —  vers  6  doch 
noch  echt?),  484—580,  607—695,  707—779  (rund  400  verse)  überzeugend  und 
ahschliessend.  Die  grosse  sohlussinterpolation  821 — 1054  weist  in  stil  und  ideen- 
kreis  dasselbe  bild  auf,  wenn  auch  mit  echten  teilen  durchsezt  Die  partie  von  der 
himlischen  Jerusalem  und  den  arbeitem  im  Weinberge  405 — 481  hat  in  der  Überlie- 
ferung gelitten ,  enthfilt  aber  vielleicht  auch  noch  einiges  echte.  Von  diesen  6  stücken 
unterscheidet  sich  nach  erfindung  und  stil  die  ei'zählung  von  der  Hochzeit:  sie  weist 
nur  eine  —  schon  von  Scherer  erkante  —  einschaltung  auf.  Einige  echte  deutungen' 
sind  erhalten,  die  meisten  kleineren  partien  lassen  keine  sichere  beurteilung  zu,  die 
verlorenen  deutungen  können  nicht  umfangreich  gewesen  sein.  —  So  weit  Kraus. 
Ungefähr  so  stellte  sich  auch  mir  das  verhältms  der  teile  dar,  nur  dass  ich  an 
einigen  punkten  wegen  Unterbrechung  des  Zusammenhanges  einschaltungen  innerhalb 
einer  interpolation  annehmen  zu  müssen  glaubte.  Ich  beruhige  mich  jezt  bei  der 
ansieht  von  Kraus;  das  für  den  dichter  aufgestelte  stilprincip  der  ideenassociation  (die 
manchmal  am  blossen  wort  klebt)  und  logischen  inkonsequenz  reicht  volkommen  aus, 
die  auch  für  diese  partien  von  ihm  behauptete  einheit  der  herkunft  zu  erhärten. 
Eins  nur  vermisse  ich  in  seinen  ausfuhrungen:  er  erkent  einflüsse  der  Überlieferung 
auf  das  vom  Verfasser  des  Rechts  interpolierte  gedieht  von  der  Hochzeit  an,  lässt 
aber  nicht  deutlich  genug  werden,  wie  weit  er  sich  etwa  noch  eine  dritte  hand,  und 
sei  es  die  des  lezten  abschreibers,  über  dem  uns  vorliegenden  texte  beschäftigt  denkt 
Die  alternative:  ursprüngliche  parabel  oder  zutat,  bez.  Umarbeitung  des  dichters  vom 
Recht,  ist  nicht  immer  gestelt;  es  ist  aber  in  solchen  fiUlen  das  urteil  über  die  etwaige 
herkunft  des  betreffenden  Stückes  überhaupt  ausgesezt 

Ich  hatte  eine  direkte  lateinische  vorläge  für  das  echte  gedieht  angenommen, 
aber  nicht  nachweisen  können.  Der  grundstock  schien  mir,  nach  Scherers  vorgadge 
(den  Ejraus  an  der  entscheidenden  stelle:  dax  der  broutegom  dar  oham  unde  die 
brotU  Mio  im  nam,  da%  bexeiehent  aUer  meist  den  heiligen  geiet,  der  in  dax  men- 
niseh  chumet,  da  e»  mit  [minjnen  (toeinen)?  ende  genimit  339  fg.  bekämpft)  der 
mystischen  ausdeutung  des  motivs  von  der  geistlichen  hochzeit  zu  entsprechen, 
wonach  der  bräutigam  der  heilige  geist,  die  braut  die  seele,  die  hochzeit  das  zu 
bezeichnen  habe,  was  die  deutsche  mystik  später  „vergottung*^  nante;  die  deutungen, 
die  auf  das  geistliche  motiy  Christus  sponsus  ecclesiae  hinauslaufen,  schienen 
mir  hineingearbeitet,  die  auf  Maria  fremder  anhang.  Ich  habe  später  eingesehen, 
dass  die  konsequente  durchfuhrung  der  einen  mystischen  deutung,  ohne  abschwen- 
kung  nach  der  viel  gelaufigeren  heilsgeschichtlichen,  von  einem  geistlichen  dichter 
des  Xn.  jahrhimderts  zu  viel  verlangt  wäre.  Kraus  geht  auch  hier  von  einem  ande- 
ren punkte  aus.  Er  sielt  zwei  lateinische  parabeln  zusammen,  eine  aus  Honorius 
Spec.  Ecol.  Dominica  29  Migne  172,  1065  fg.  (dazu  1.  c.  1093  D),  und  eine  pseudo- 
bemhardinische  parabel  ebd.  183,  767  ^.  de  Christo  et  ecclesia,  welche  im  stil 
unseres  gedichtes  erzählen,  wie  Christus  die  Ecclesia  als  braut  sich  erwählt,  boten 
zur  Werbung  schickt,  sie  heimholt,  sich  ihr  vermählt,  sie  der  hut  starker  männer 
übergibt,  fortzieht,  um  sein  reich  einzunehmen,  und  wie  dann  Ludfer,  der  schon 
früher  aus  neid  gegen  gott  sich  erhoben,  ihm  die  braut  verunehrt:  das  ist  der  jetzige 

ZanSOHBIFT  F.   DIUTSCHB  PHILOLOGIE.      BD.  XXV.  36 


JBÜ 


^rfii 


562  LÖBNIB,  ÜBIR  KRAUS,  TOM  RICHTI  UND  Dil  HOOBZIDT 

stand  der  kirche,  wir  ho£fen  aber  und  harren  der  erlöenng  (d.  i.  der  hochzeit  am 
jüngsten  tage).  Eine  derartige  bereits  kontaminierte  parabel  sei,  meint  Kraus,  die 
vorläge  unseres  gedichtes.  Ich  hatte  in  meinen  späteren  nntersachnngen  von  diesen 
parabeln,  die  ich  in  ähnlicher  fassung  auch  anderwärts  fand,  abstand  genommen, 
weil  dabei  eine  sache,  an  der  auch  Kraus  anstoss  nimt,  nicht  zum  austrag  komt 
nämlich  die  geschiohte  mit  Luzifer.  In  den  Ecclesiaparabeln  ist  sie  integrierender 
bestandteil,  in  der  erzählung  des  gedichtes  findet  sich  ein  kurzer  hinweis,  in  den 
deutungen  fehlt  sie,  an  ihre  stelle  tritt  die  ausführliche  interpolation  vom  &11  der 
engel,  Schöpfung,  sündenfall  und  erlösung.  Mit  der  mystischen  deutung  hat  sie 
nicht  viel  zu  tun,  wenn  auch  bei  der  weit  ausholenden  manier  der  geistlichen  dich- 
tung  ihre  erwähnung  am  anfang  nicht  besonders  auflMlt  Für  die  Ecclesiaparabel  ist 
die  bewachung  der  braut  wichtig,  das  gedieht  dagegen  sagt:  si  mohten  si  vil  lihU 
bewaren,  sine  tcolde  doch  nicht  mtssesaren.  Eine  bereits  in  die  erzählung  einge- 
schobene und  deswegen  verdächtige  deutung  bezieht  die  hut  auf  die  anfechtungen, 
die  die  seele  vom  teufel  zu  erleiden  hat.  Dem  widerspiicht:  dö  vl^xxeie  sieh  diu 
magei  hax  ir  wcßte,  danne  si  i  irnUy  was  aber  sehr  gut  zur  Ecclesiaparabel  f^mt, 
nach  der  die  braut  sich  in  Ägypten  in  luto  et  latere  befand.  Dem  schluss  der 
Ecclesiaparabel,  welcher  die  Verunglimpfung  durch  Luzifer  enthält,  entspricht  der 
schluss  des  gedichtes,  die  fröhliche  hochzeit,  in  keiner  weise.  Kraus  hat  zu  allen 
motiven  der  parabel  theologische  ginindlagen  nachgewiesen;  das  bild,  das  er  von  der 
direkten  vorläge  gibt,  ist  auch  deutlich  genug,  aber  eine  herzhafte  Stellung  zu  den 
dennoch  bleibenden  Widersprüchen  nimt  er  nicht  Nur  so  viel  entnehme  ich,  dass 
er  sich  eine  Ecclesiaparabel  als  vorläge  denkt,  deren  deutungen  zum  teil  erhalten, 
zum  teil  verändert  und  ausgangspunkte  für  die  erweiternden  zusätze  des  dichters  vom 
Recht  geworden  sind.  Seine  nach  Weisungen  für  die  deutungen  ergeben,  dass  der 
bearbeiter  sich  nicht  an  eine  besümte  der  vier  bekanten  anslegungen  des  motivs  von 
der  Hochzeit  hat  binden  wollen.  Die  mystische  auslegung  der  parabel  hat  Kraus  wol 
absichtlich  weniger  berücksichtigt  Ob  mit  recht,  ist  allerdings  schwer  zu  entsdiei- 
den.  zumal  da  er  mit  seiner  auffassung  weit  genug  gekommen  ist.  —  Da  Kraus  die 
metrik  als  kriterium  aufgegeben  hat,  konte  er  in  der  aufhellung  der  bedeutenden 
Schwierigkeiten  des  interessanten  gedichtes  auch  nicht  weiter  kommen.  Die  Unter- 
suchung des  Rechts  hat  nicht  mit  solchen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen ,  da  das  gedieht 
keine  intei*polationen  erfahren  hat  Die  noch  vorhandenen  dunkelheiten  hat  Kraus 
meiner  Überzeugung  nach  durch  seine  von  umfassender  belesenheit  zeugenden  nach- 
weisungen  aus  der  theologischen  litteratur  gehoben. 

Man  gestatte  mir  einige  kleine  nachtrage. 

Vom  Recht  363  fg.  got  mage  vil  tool  sin  undir  ir  (der  eheleute)  deehin 
der  dritte  geselle:  Tertullian  sagt:  Wo  solche  zwei  (nämlich  christliche  eheleute),  da 
ist  er  (Christus)  der  dritte.  Hase,  Kirchengeschichte  1,  375.  Genaueres  anzugeben 
ist  mir  nicht  möglich. 

Hochzeit  854:  die  engel  sollen  den  ersten  menschen  anbeten,  geht  zurück  auf 
Hebr.  1,6:  Und  widerum  da  er  den  erstgeborenen  auf  den  erdkreis  eingeführt,  da 
heisst  es:  Und  alle  engel  gottes  sollen  vor  ihm  niederfallen  (=  Ps.  97,  7).  —  V^ 
Dreyer,  Der  teufel  in  der  d.  dichtung  des  m.-a.  Diss.  Rostock  1884,  13.  Er  ver- 
weist auf  Hagen,  Ges.  Ab.  I,  Adam  und  Eva.  Der  hinweis  auf  die  biblische  gnmd- 
lage  findet  sich  bei  Dreyer  nicht 

Zur  mystischen  hochzeit:  Hugo  v.  St  Victor.  Migne  175,  798  De  amore  Sponai 
ad  Sponsam:   Sponsus  est  Dens,   sponsa  est  anima.    Tunc  autem  sponsus  domi  est, 


BOLTE,    tBER  RBÜLINO,    DIE  EOIOSCHE  FIOUB  IM  DEOT8CHBZT  DRAMA.  563 

quando  per  internum  gandium  mentom  replet;  tuDc  i'eoedit,  quando  dnlcedinem  con- 
templationis  subtrabit.  Sed  qaa  similitudine  anima  sponsa  Dei  dicitur?  Idoo  sponsa, 
quia  donis  gratianim  subarrhata.  Ideo  sponsa,  quia  casto  amore  Uli  sociata.  Ideo 
spoDsa,  qnia  per  aspirationem  Spiritus  sancti  prole  virtutum  fecundanda  .  .  .  qnod 
qnisque  habet,  hoc  cuique  arrha  est 

LANDSBESQ  A.  W.  H.  LÖBNKB. 


Die  komische  figur  in  den  wichtigsten  deutschen  dramen  bis  zum  ende 
des  17.  Jahrhunderts.  Von  C.  Benlinir*  Stuttgart,  G.  J.  Göschensche  ver- 
lagshandlung.  1890.    181  s.    gr.  8.    4  m. 

Eine  geschieh to  der  lustigen  person  und  der  wichtigen  rolle,  die  sie  in  ver- 
schiedenen Perioden  auf  der  deutschen  bühne  von  den  mittelalterlichen  mysterien  bis 
zur  feierlichen  Verbrennung  des  Hanswurst  durch  Gottsched  gespielt  hat,  wäre  ein 
dankbares,  freilich  auch  umfassende  Studien  erforderndes  unternehmen.  Die  vorlie- 
gende arbeit  zeigt  schon  durch  den  titel,  dass  sie  diese  aufgäbe  nicht  in  vollem 
umfange  losen  will,  sondern  sich  auf  eine  auswahl  von  dramen  beschränkt.  Reuling, 
ein  Schüler  Baechtolds,  behandelt  in  zehn  kapiteln  (leider  fehlt  sowol  eine  inhalts- 
Übersicht  wie  ein  register):  1.  das  erste  erscheinen  der  komischen  figur  in  den 
geistlichen  spielen,  2.  die  fastnachtspiele,  3.  das  schweizerische  drama,  4.  Hans 
Sachs,  5.  die  englischen  komödianten,  6.  Jacob  Ayrer,  7.  herzog  Julius  [soll  heissen: 
Heinrich  Julius]  von  Braunschweig,  8.  die  zeit  des  drcissigjährigen  krieges,  9.  Chri- 
stian Weise,  10.  die  extemporierte  komödie  Stranitzkys.  Fleissig  und  genau,  aber 
etwas  trocken  excerpiert  der  autor  die  einzelnen  stücke  auf  ihre  handlung  und  die 
mehr  oder  minder  gelungene  Verbindung  der  lustigen  person  mit  derselben  und  stelt 
am  Schlüsse  jedes  kapitds  die  erhaltenen  charakterzüge  in  einer  tabellarischen  Über- 
sicht zusammen.  Seit  der  ältesten  zeit  erscheint  der  lustigmacher,  sei  er  nun  teufel 
oder  bauer  oder  ein  knecht  niederer  abkunft,  als  ein  fressgieriger,  trunkliebender,  gei- 
ler und  zugleich  feiger  geselle,  spottlustig,  boshaft  und  unflätig  wie  Eulenspiegel  und 
dann  wider  gutinütig  oder  bitter  moralisierend;  auch  die  einzelnen  komischen  motive, 
Wortwitz,  wörtliche  auslegung  von  befehlen,  misverständnis  fremden  dialekts,  pantof- 
felhorschaft,  hanreitum  u.  a.,  werden  aufgezählt  und  durch  vergleich  mit  früheren 
kapiteln  die  neuheit  einzelner  züge  hervorgehoben.  Die  Verwendung  des  narren  als 
einschreiers  und  prologsprechers  in  schweizerischen  stücken  des  16.  Jahrhunderts 
ist  nicht  vergessen,  die  verschiedenen  namen  des  Hanswurst  vom  knecht  Bubin  bis 
zum  Fuohsmundi  werden  angegeben  (s.  86.  79.  107.  125.  150.  166),  auch  über  seine 
kleidung  wird  berichtet  (s.  69.  84).  Damit  bietet  Reuling  uns  ein  verlässliches  und 
gut  geordnetes  material,  das  als  Vorarbeit  für  eine  umfassendere  und  eingehendere 
Untersuchung  sich  jedesfals  nützlich  erweisen  wird. 

Denn  wenn  auch  die  auswahl  der  dramen  verständig  getroffen  ist,  so  zeigen 
sich  doch  in  der  betrachtung  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  manche  lücken.  Dass 
s.  50  der  name  des  Valentin  Apelles  (Goedeke,  Grundriss*  2,  368)  fehlt,  ist  ein 
geringes  versehen;  aber  wir  hören  gar  nichts  von  der  niederdeutschen,  von  der  neu- 
lateinischen  komödie,  von  Macropedius,  Erischlin,  Gramer,  Boeefeld;  das  drama  der 
fahrenden  komödianten  wird  nur  eben  gestreift,  während  doch  eine  Untersuchung  des 
Juden  von  Venedig,  der  stücke  Eormarts,  auch  Christian  Reuters  hier  zu  fruchtbaren 
betrachtnngen  hätte  führen  müssen.  Eine  tiefergehende  quellenuntersuchung  der 
komischen  stoüe  und  motive  wird  allerdings  auf  manche  seitenpfade  leiten,  an  denen 

36* 


564  BOLT£,   ÜBSB  BIUUNO,   DU  XOUIBCHX  nOOB  UI  DBUTSOHClf  DBAMA 

der  Verfasser  als  an  irwegen  rasch  vorübergeschriiten  ist,  aber  auch  yielen  gewinn 
bringen.  Die  einflösse  des  französischen,  des  italienischen,  des  englischen  theaters 
dürfen  nicht  übergangen  werden.  8.  2  heisst  es:  ^Der  knecht  Rubin  ist  die  erste 
frei  erfondene  fignr  in  der  dramatischen  deutschen  litterator*.  Nun  hat  aber  Martin 
im  Anzeiger  für  deutsches  altertum  8,  311  gerade  hierin  eine  nachahmong  des  altfran- 
zösischen Bobin  nachgewiesen.  Der  name  Calliopius  für  den  als  regisseur  auftre- 
tenden narren  (s.  37)  mahnt  uns  an  den  fortwirkenden  einfluss  des  Terenz;  v^Bolte, 
Märkische  forschungen  18,  213  zu  Wolfg.  Herman;  femer  Gnapheus,  Hypocrisis  1544. 
Ziegler,  Abel  iustus  1559.  A.  Meyenbrunn,  Johannes  der  tfiuffer  1573.  Bollenhagen, 
Terentius  1592  vorrede.  Pape,  Christiani  hominis  sors  1612  vorrede.  Für  Hans  Sachs 
wäre  die  neuerdings  wider  von  Stiefel  vorgenommene  betrachtung  seiner  unmittelbaren 
quellen,  ebenso  bei  Ayrer  die  rücksicht  auf  die  von  ihm  benuzten  schwanke  Eirdi- 
hofifis  (Wendunmut  1,  139.  363.  371.  425),  Valentin  Schumanns  u.  a.  forderlich  gewe- 
sen. Überhaupt  wird  man  den  engen  Zusammenhang  von  bühnendichtung  und  anek- 
dotensamlungen  nicht  aus  den  augcn  verlieren  düi*fen  und  auch  die  Stellung  der 
lustigen  person  im  wirklichen  leben  als  hofoarr,  pritschmeister  und  spruchsprecher 
beachten  müssen.  Die  zunehmende  bedeutung  des  Hanswursts  während  des  17.  Jahr- 
hunderts erkent  man  daraus,  dass  viele  beliebte  darsteUer  dieser  rolle  sich  zu  prin- 
cipalen  von  schauspielergeselschaften  emporgeschwungen  haben,  wie  sie  ja  auch 
bestimte  charaktermasken  bildeten  und  schufen.  So  trat  Bobert  Beynolds  als  Pickel- 
haring,  SackeviUe  als  John  Bouset,  Andreini  als  capitano  Spavento  auf,  Spencer  als 
Junker  Stockfisch,  Tiberio  Fiorilli  als  Soaramuzza\  Job.  Valentin  Petzold  als  Eüian 
Brustfleck',  Stranitzky  als  Fuchsmundi,  Kurz  als  Bemardon.  In  den  hauptaktionen 
wüsten  diese  komiker  in  ihren  dienerrollen  durch  unflätige  karikatur  der  hauptper- 
sonen  das  wolgefallen  des  grossen  publikums  auf  sich  zu  lenken  und  trugen  gerade 
dadurch  zur  herabziehung  des  ernsten  Schauspieles  am  meisten  bei.  Der  schon 
genante  Kormart  gibt  durch  seine  bearbeitung  des  Timocrate  von  Thomas  Corneille 
hierfür  ein  lehrreiches  beispiel  (vgl.  Herrigs  archiv  82,  120  (g,).  Die  wachsende 
berühmtheit  der  clowndarsteller  lässt  sich  kaum  besser  illustrieren  als  durch  die 
häufige  tatsache,  dass  schwanksamlungen  unter  ihrem  namen  veröffentlicht  wurden. 
Ich  stelle,  da  hierauf  bisher  kaum  geachtet  worden  ist,  kurz  zusammen,  was  mir  zur 
band  ist: 

1)  Außbündige  gute  bossen,  oder  außgeklaubte  schnadriaken,  durch  herm  Hen- 
sel  "Wurst,  o.  o.  1610.  8^  —  auch  1618.  8«.    (Hayn,  Bibl.  Germ.  erot.  1885  8.354). 

2)  De  geest  van  Jan  Tamboer  of  uyt-gelese  stoffe  voor  de  kluchtlievende 
jonckheydt  Amsterdam  1656  (Qrässo,  Tresor  3,  450).  —  Amsterdam  1664.  3  bl.  + 
268  s.  12«.  (Berlin  Zh  10176).  —  Amsterdam  o.  j.  (Leiden).  —  Deutsch:  Der 
geist  von  Jan  Tambaur.  gedruckt  in  diesem  itzigen  jähre  [vor  1692].  290  s.  12^. 
(Berlin  Yt  9901,  3.    Hayn  citiert  deutsche  ausgaben  von  1669  und  1673).  —  Jan 

1)  La  vie  de  Scanunonohe  por  Meaetin  (A.  Constantini)  1695.  röünpr.  par  L.  Moland  1876.  — 
GrebnrUi,  Leben  und  Todt  des  bwühmten  Scaramozza.  1728  zagleioh  mit  dem  italieniBchen  texte  (Beriin 
Zz  7096).  —  Ck)n8taDtini ,  Het  leren  ran  Sobanunouche  door  L.  L.  2.  druck.  Amsterdam  1716  (Leiden). 
Vgl.  Hayn,  Bibliotheca  Geimanoram  erotica  1885  a.  274,  der  deateobe  ausgaben  Leipsig  1695  und  o.  j. 
anfHbTt. 

2)  Vgl.  Scberer,  Ans  üoetbea  frfibzeit  1879  s.  122—126.  R.  M.  Werner,  Ztscbr.  f.  d.  altert 
26,  289.  —  Bnlenspiegelatreicbe  dee  Eilian  Brostlleck  werden  erzüblt  bei  G*.  G.  Backard,  Die  laoheiide 
Bchnl.  Hall  1725  nr.  2.  61.  93.  127.  166  tg.  162  (Berlin  Yt  10681)  nnd  in  den  Scbenbafftan  ei&AIlaa  und 
lästigen  bistorien  1768  nr.  60.  71.  72.  76.  172  (Beriin  Tt  104S1,  2). 


EBDSLLNN,   ÜBER  REIOKE,   GOTTSCHEDS   LKBBJAfiBB  565 

Tamboer  war  ein  Amsterdamer  Schauspieler;  vgl.  Worp,*T\jdschrift  voor  nederL  taal- 
en  letterkunde  3,  64. 

3)  Filamon  ans  Miseinen,  Der  geist  von  monsienr  Pickel -hering  oder  histori- 
scher blnmenthal.  gedruckt  im  jähr  1666.  8»/,  bogen  12«.  (Berlin  Yt  9266,  1.)  — 
1670-    8  bogen  12«.    (Berlin  Yt  9380a,  2). 

4)  Philamon  ans  Miseinen,  Der  geist  von  monsienr  Corteean,  oder  historischer 
lust-wald.  gedmckt  im  jähr  1666.  200  s.  12^  (Berün  Yt  9266,  2).  —  Hayn  citiert 
noch  einen  druck  von  1670. 

5)  Filamon  aus  Miseinen,  Der  geist  des  pussierlichen  Pussenellen.  o.  o.  1668. 
(Hayn  a.  a.  o.)  —  Auszüge  aus  nr.  2,  4  und  5  in  „Des  uhralten  jungen  Leyer-Matzs 
lustiger  correspondentz- geist".  1668  und  1670.  (Berlin  Yt  9376  und  9380.  Goe- 
deke,  Grundriss'  3,  266). 

6)  Der  kurtzweilige  und  noch  niemals  auff  der  schau -bühne  dieser  weit  auff- 
getretene  Arlequin  . . .  durch  J.  M.  M.  Leipzig  1691.  2  +  549  s.  12^  (Berlin  Yt 
9901,  1). 

7)  Der  schnaack  und  geckhafifte,  dabey  ei'getzende  Scaramutza,  worin  allerhand 
lustige  unp  lächerliche  begebenheiten  enthalten.  Leipzig,  verlegts  Hieron.  Frieder. 
HofiEmann.    (Leipziger  messkatalog  ostern  1694,  bl.  Hla). 

8)  Der  kurtzweilige  Hanß -Wurst  von  Fi'ölichshausen  . . .  von  N.  L.  1718.  334  s. 
12°.    (Berlin  Yt  10431,  1). 

9)  Halecius  Eyer- platz  [=  Joh.  Paul  Waitmann],  Der  in  allen  wissenchaften 
erfahrne  und  wohlstudirte  Piokelhering.  1720.  2  +  334  s.  12^  (Berlin  Yt  10511).  — 
Röthenbach  1733.    308  s.    12^    (BerUn  Yt  10516). 

Man  sieht  also,  dass  der  forschung  auf  diesem  gebiete  noch  viel  zu  tun 
übrig  bleibt 

BBRUN.  JOHANNES  HOLTE. 

Zu  Joh.  Christ  Gottsched's  lehrjahren  auf  der  Königsberger  Univer- 
sität Von  Jo]ianne8  Beieke.  [Abdruck  aus  der  Altpreussischen  monatsschrift 
XXIX,  1.  2.]    Königsberg  i.  Pr.,  Ferd.  Beyer.   1892.    81  s.    2  m. 

Die  abhandlung,  deren  kleinerer  teil  (s.  1  — 16  und  anmerkungen  s.  40 — 60) 
als  Königsberger  doctordissertation  1892  erschienen  ist,  gibt  alles,  was  aus  neuer 
durchforschung  der  quellen  —  schrifken  Gottscheds  und  seiner  Zeitgenossen,  Idrchen- 
bücher,  universitätsacten  und  seltene  diiicke  von  gelegenheitsschrifken  —  für  die 
kentnis  von  Gottscheds  äusserem  und  innerem  leben  bis  zu  seinem  unfreiwilligen 
fortgange  aus  dem  geliebten  vaterlande  (1724)  zu  gewinnen  war.  Auf  Gottscheds 
eigene  Persönlichkeit  wie  auf  die  seiner  freunde,  lehrer  und  gönner  (namentlich 
Pietsch's,  dessen  1718  verteidigte,  sehr  oharakteristische  thesen  über  dichtkunst  und 
Stil  im  anhange  s.  72—81  abgedruckt  sind),  wirft  dr.  J.  Eeiokes  schrifk  neues  licht 
Der  p&rrerssohn  aus  Juditten  hat  fast  ein  jahrzehent  an  den  brüsten  der  Albertina 
gelegen  und  galt  —  wie  z.  b.  aus  der  ihm  bei  seiner  promotion  gewidmeten  fest- 
Schrift  hervorgeht,  vgl.  s.  38.  68  fg.  —  als  ein  besonders  hervorragender  und  viel- 
versprechender Zögling  der  universitftt  Zu  fast  allen  bestrebungen,  die  er  in  seiniam 
späteren  leben  mit  eifer  und  Zähigkeit  verfolgte,  hat  er  den  grund  schon  in  Königs- 
berg gelegt  Eigene  anschauung  des  theaters  freilich  hat  er  nach  seiner  ausdrück- 
lichen angäbe  in  der  vorrede  zum  „Cato*^  (dr.  Beicke  machte  mich  brieflich  auf  die 
stelle  aufmerksam)  dort  nicht  gewinnen  können-,  aber  seine  auf  buchgelehrsamkeit 
gegründeten  ansichten  von  der  „theatralischen  poesie*^  sind,   wie  man  aus  derselben 


h«     t^■.-  »Ib.    rt«   •MJki«>f.-',     ",.     ■.-*■.-.-.    ■H^"'»V«f^     ^    .-:_ 


6«6 

Torrede  sohliessen  kann,  ebenfals  sohon  in  Königsberg  im  wesentlichen  aosgelyüdet 
worden.  Die  fleissige  und  von  Inbliothekarisoher  sorgfidt  zeugende  sohrift  J.  Reicke's 
ist  lehrreich  für  jeden,  der  eine  richtige  Würdigung  des  oft  obeillfidilioh  beurteiltea 
und  verurteilten  mannes  gewinnen  will;  viele  der  gesammelten  seugnisse  haben  aber 
auch,  typisch  gefasst,  ihren  wert  für  die  erkentnis  des  gesohmackes  und  der  geistes- 
richtung,  die  zu  anfang  des  18.  Jahrhunderts  in  den  gelehrten  kreisen  Fieusseos  und 
Deutschlands  vorhersehend  waren. 

KXKL.  0.   KBD1IA1I9. 

MISCELLEN. 

Za  den  nentralen  eagelB. 

Mit  bezug  auf  die  von  prof.  Seeber  in  unserer  Zeitschrift  XXIV,  32—37 
gegebene  darstellung  macht  prof.  dr.  Ph.  Strauch  darauf  aulmeiiDBam,  dass  die  dort 
8.  35  angezogene  handschrift  Sentlingors  zu  den  sogenanten  Schwellhandschriften  der 
Weltchronik  gehört  Die  von  den  „neutralen  engein*  handelnden  verse,  die  s.  35  fg. 
unter  2)  und  3)  citiert  sind,  finden  sich  schon  in  der  Weltohronik  von  Jansen  Eni- 
kel,  siehe  Strauch,  ausgäbe  derselben  (Monumenta  Germanica,  deutsche  chitmiken 
m,  1.    Hannover,  Hahn.  1891)  v.  229—236.  259—270.  320—326. 


Die  aeiehen  >  und  <• 

Da  Hugo  Schuchardt  seinen  zuei'st  im  litteraturblatt  für  germanische  und 
romanische  philologie  (1892,  sp.  40)  veröffentlichten  verschlag  (es  handelt  sich  darum, 
eine  ^eichmässige  Verwendung  der  zeichen  >•  und  <C  in  sprachwissenschafUiehen 
publikatiooen  herbeizuführen)  auch  in  der  Zeitschrift  für  vergleichende  sprachfof- 
schung  (bd.  32,  s.  595  fg.)i  in  den  Beitrügen  zur  geschichte  der  deutschen  spräche 
und  litteratur  (bd.  16,  s.  566)  und  vielleicht  noch  anderwärts  hat  abdrucken  lassen, 
mithin  seine  meinung  nach  kräften  zu  verbreiten  sucht,  scheint  es  mir  nötig,  hier- 
durch ausdrücklich  darauf  hinzuweisen,  dass  ich  in  dem  zuerst  genanten  blatte  (1892, 
sp.  182— 184)  den  beweis  geführt  habe: 

1)  dass  die  zeichen  >  und  <  ungefähr  gleichzeitig  von  Francis  A.  March 
und  Karl  Yerner  zuerst  angewendet  worden  sind  und  dass  beide  gelehrte  sie  in  der- 
selben geltung  gebrauchen  (x  ">  y  heisst:  x  wird  zu  y;  x  <  y  heisst:  x  ist  aus 
y  entstanden); 

2)  dass  die  Verwendung  der  zeichen  in  dem  umgekehrten,  von  Schuchardt  ver- 
teidigten sinne  nur  ganz  ausnahmsweise  statgefunden  hat,  vielmehr  die  weit  über- 
wiegende mehrzahl  deijenigen,  die  sich  später  dieser  zeichen  bedient  haben,  dem  bei- 
spiele  von  March  und  Yerner  gefolgt  sind. 

Meine  ausfnhrungen  scheinen  algemein  als  zutreffend  anerkant  worden  zu  sein; 
wenigstens  habe  ich  nicht  erMren,  dass  auch  nur  eine  stimme  für  Schuchardt  sich 
erhoben  hat,  während  mir  zahlreiche  briefliche  Zustimmungen  zugegangen  sind  und 
öffentlich  Behaghel  (Germania  37,  375),  Sievers  (Beiträge  16,  566)  und  Gaston 
Paris  (Romania  21,  469  fg.)  für  mich  sich  erklärt  haben.  Gaston  Paris  sieht  sogar 
die  ganze  finge  als  abgetan  an  und  ist  der  Überzeugung,  dass  nun  einmütig  sämt- 
liche Sprachforscher  den  beiden  zeichen  den  von  March  und  Yerner  ihnen  beigelegten 
wert  belassen  werden.  Diese  erwartung  des  berühmten  französisdien  romanisten  ist 
leider  (wie  z.  b.  nr.  9  des  litteraturblattes  beweist)  alzu  optimistisch  gewesen;  doch 


NBUB  sRSCHxnnnvQiR  567 

darf  Ich  meinerseits  wol  die  hofnung  aussprecben ,  dass  die  herausgeber  linguistischer 
Zeitschriften  in  ihren  spalten  fortan  nur  die  Verwendung  der  beiden  zeichen  dulden 
werden,  die  von  mir  als  die  historisch  allein  berechtigte  und  fast  algemein  im  in- 
und  auslände  gebräuchliche  erwiesen  ist 

KIEL.  HUGO  OKBINO. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

EDgrelien,  Angfost,  Grammatik  der  nhd.  spräche.  4.  aufläge.  Vlll  und  608  s. 
7,50  m.  —  Leitfaden  für  den  deutschen  Sprachunterricht  11:  für  die 
mittelklassen.  Neue  stereotypierte  aufläge.  160  s.  Im.  —  Die  deutsche 
Wortbildung  für  den  schulgebrauch  methodisch  dargestelt  45  b.  0,30  m.  Ber- 
lin C,  W.  Schnitze.  1892. 

Die  weite  Verbreitung,  welche  die  beiden  ersten  bücher  bereits  gefunden 
haben,  ist  nicht  unverdient;  sie  sind  aus  gründlicher  arbeit  und  von  nachdenken 
begleiteter  pädagogischer  erfahrung  erwachsen  und  bewältigen  in  klarer  darstellung 
eine  grosse  menge  lehrreichen  Stoffes.  Über  manche  theoretische  frage  kann  man 
abweichender  meinung  sein;  unter  den  grammatischen  benennungen  beklage  ich 
die  beständig  gebrauchte  „imperfectum*^  für  das  germanische  praeteritum.  Die 
tatsächlichen  mitteilungen  sind  aus  fleissigem  Studium  grundlegender  wissenschaft- 
licher werke,  sowio  aus  eigener  lektüre  der  nhd.  litteraiur  geschöpft  und  fiiist 
durchweg  zuverlässig;  eine  ausnähme  macht  die  unrichtige  notiz  über  ahd.  heixan 
und  giheixan  (s.  176  der  grammatik).  Wenig  eindringend  ist,  was  s.  100.  375 
über  den  artikel,  s.  514  (nur  ganz  nebenbei  I)  über  die  Wortstellung  gesagt  ist  — 
In  dem  dritten,  jezt  zum  ersten  male  erschienenen  büchlein  über  die  Wortbildung 
wären  die  ableitungen  von  getrost  s.  20,  glück  s.  21  besser  fortgeblieben,    o.  s. 

Heyne,  Moriz,  Deutsches  Wörterbuch.  Vierter  halbband:  licht  —  quittung. 
XXIY  (erstes  quellenverzeichnis!)  und  sp.  641  —  1238.  Leipzig,  S.  Hirzel.  1892. 
5  m. 

Lesmed,  Marion  I^exter,  the  sage  of  Walther  of  Aquitaine.  Baltimore  1892. 
VI,  208  s. 

Marold,  K.,  Die  schriftcitate  der  Skeireins  und  ihre  bedeutung  für  die  tert- 
geschichte  der  gotischen  bibel.  10  s.  4.  [Festschrift  des  königl.  Friedrichskolle- 
giums zu  Königsberg  i.  Pr.  1892.    s.  65—74.] 

Wunderlich,  Hermann,  Der  deutsche  satzbau.  Stuttgart,  J.  G.  Cotta  nachfol- 
ger.  1892.    XIV  und  252  s.    4  m. 

Inhalt:  L  Verbum  (1.  abgrenzung  von  anderen  Wortklassen;  2.  formen; 
3.  Stellung),  ü.  Substantivum  (1.  algemeine  abgrenzung;  2.  gebrauchaformen). 
m.  Ac^ectivum.  IV.  Fronomen.  V.  Partikeln  (1.  algemeines;  2)  praepositionen; 
3.  bindepartikeln.)  —  Der  herr  Verfasser  teilt  uns  mit:  „Im  Verzeichnis  der  druck- 
fehler  und  nachtrage  (s.  252)  sind  einige  berichtigungen  leider  in  folge  eines  mis- 
verständnisses  ausgeMen.  Wenn  auch  der  sinn  in  den  meisten  fällen  unschwer 
zu  erraten  ist  (so  auch  wo!  212,  17  Verstrennung  für  Vertrenntmg;  182,  21 
bedrängt  statt  bedingt)^  so  muss  doch  zu  59,  11  bemerkt  werden,  dass  der  satz 
wie  überhaupt  —  Präsens  zu  streichen  ist,  und  dass  236,  17  die  ursprüngliche 
fassung  in  einem  Falle  sich  bei  der  korrektur  urtümlich  in  einmal  umgewan- 
delt hat". 


.«AI 


568 


VACHRICRTBN 


NACHRICHTEN. 

Es  habilitierten  sich  für  deutsche  philologie:  in  Wien  dr.  Max  Hermann 
Joilinek,  in  Münster  dr.  Karl  Drescher,  in  Bern  dr.  0.  v.  Qreyerz.  Der  pri- 
vatdocent  dr.  Oswald  von  Zingerle  wurde  als  extraordinarius  nach  Czemowitz 
berufen. 

Am  15.  angnst  1893  verschied  zu  Weimar  dr.  Reinhold  Köhler,  grossher- 
zogl.  sächsischer  oberbibliothekar  (geb.  in  Weimar  24.  juni  1830).  Er  war  ein  her- 
vorragender forscher  auf  dem  gebiete  der  vergleichenden  litteraturgeschiohte,  beeondere 
auch  ein  feinsinniger  kenner  der  mittelalterlichen  noveUistüc  und  der  märofaenlitte- 
ratur.  Unserer  Zeitschrift  hat  er  bis  zum  XYI.  bände  eine  reihe  wertvoller  beitiage 
gesani 

Am  17.  September  1892  verstarb  dr.  Ignaz  Vinzenz  Zingerle,  edler  von 
Summersberg,  k.  k.  regieiirngsrat,  von  1859  bis  1890  professor  der  deutschen  philo- 
logie an  der  Universität  Innsbruck  (geb.  6.  mai  1825  in  Meran).  Eine  Schilderung 
seines  lebensganges  von  der  band  K.  Weinholds  enthält  die  beilage  zur  Allg.  zeitung 
vom  1.  Oktober;  eine  Übersicht  seiner  Schriften  (vgl.  auch  C.  v.  Wurzbach,  östeir. 
biograph.  lexicon  XL)  ist  in  demselben  blatte  am  22.  September  gegeben.  Eine  reihe 
kleinerer  arbeiten  Zingerles  enthält  Pfeiffers  Germania,  sowie  unsere  Zeitschrift  (in 
band  H.  IV.  VI.  IX.  XI.  XHI.  XVH.  XVHI.  XXI.  XXIV.  XXVI). 

Am  .%.  Oktober  1892  starb  zuAarau  der  sagenforscher  Ernst  Ludwig  Roch- 
holz  (geb.  3.  märz  1809  zu  Ansbach). 


In  der  anzeige  des  buches  von  Bechtel  ist  zu  lesen:  s.  368,  zeile  12:  „mit 
Brugmann;  r.  372,  z.  11:  ');  &•  374,  z.  12:  9';  s.  375,  anm.  1,  z.  2:  ä\  s.  376,  z.  8 
V.  u.:  skr.  de'va,  ht  devh\  s.  377,  z.  3  v.  u.:  pddm-,  s.  378,  z.  17:  lit.  nakte';  s.  379. 
z.  7  V.  u.:  ghveWes;  s.  385,  z.  27:  erklärt**.*) 


L   SACHREGISTER 


Acrosticha  in  lateinischen  gedichten  und 
bei  Otfrid  556. 

Adelungs  Wörterbuch:  Wielands  Wortschatz 
im  Geron  verglichen  damit  240 — 252. 

alamodische  hobelbank  418  fg.  vgl  gro- 
bianische Schriften. 

alliteration  siehe  metrik. 

altnordisch:  eddische  kosmogonie  siehe 
Edda. 

Arnolds  lateinische  Übertragung  des  Hart- 
mannsohen  Gregorius  126  fgg.  vgl.  Hart- 
mann. 

begräbnis  more  Teutonico  139. 

bibelübersetzung,  niederdeutsche,  Bugen- 
hagens  anteil  daran  134  fg. 

Boccaccio:  Hans  Sachs  als  nachahmer  des 
B.,  siehe  H.  Sachs. 

Bngenhagens  anteil  an  der  nd.  bibelüber- 
setzung 134  f^. 

Capions  schauspielertruppe  siehe  dieses. 

Carmina  Burana  27. 

Chauken,  Wohnsitze  129. 


Cicogninis  stück  Statua  in  Dänemark  ge- 
spielt 321;  vgl  schauspielertmppen. 

Comeilles  Polyeuct:  deutsche  bearbeitun- 
gen  519. 

Dänemark:  deutsche  schauspiolertruppen 
in  D.  313  fgg. 

Donners  schauspielertruppe  324. 

drama  vom  verlornen  söhn  140.  deut- 
sche schauspielertruppen  in  Dänemark 
314  fg.  kindersoenen  525.  allegorische 
figuren  527.  komische  figuren  563  fg.  — 
Vgl.  Faust,  A.  Gr^hius,  Klinger,  Mit- 
temacht, Puppenspiele,  Gottsched. 

Eckenbergs  schauspielertruppe  338. 

Eckenlied:  metrische  abhängigkeit  der 
Carmina  Burana  von  der  weise  des 
Eckenliedes  1  fg.,  27  fg.  die  in  Car- 
mina Burana  überlieferte  strophe  stelt 
den  ursprünglichen  anfang  des  Ecken- 
liedes dar  2  fg.  —  Helfrich  von  Lutrin- 
gen  oder  Lune  ursprün^^ch  allein  in 
der  ersten  strophe  der  alten  dichtung 


I.   8ACHBEGI8TER 


569 


Tertreten  3  fgg.  bedeutnn^  des  namens 
5  — 11.  —  nrsprüngliohe  reihenfolge  der 
Strophen  vom  anfang  des  originales  bis 
zum  beginn  des  kampfes  in  der  näch- 
sten grün  dlage  von  L  d  a  s  1 1  —  22.  Ver- 
hältnis der  texte  bei  der  Überlieferung 
des  kampfes  22 — 24.  Dietrichs  kämpf 
mit  Fasoit  und  Dietrichs  besuch  bei  den 
königinnen  24 — 27. 

Edda:  eddische  kosmogonie  399 — 402. 

Egbert  v.  Lüttich,  fecunda  ratis  423—430. 

englische  komödianton,  ihr  einfluss  auf 
Mitternacht  527  fg. 

Enikel,  Weltchronik  566. 

Paust:  Verhältnis  des  böhmischen  Puppen- 
spieles zu  den  Volksliedern  von  Faust 
421  fg. 

Geraer  gymnasium:  aufführungen  von  dra- 
men  im  17.  jahrh.  510  fg. 

Germanen:  zeit  ihrer  ansiedlung  im  nord- 
östlichen Deutechland  547  fgg.  —  Urhei- 
mat der  Indogermanen  549.  vorindo- 
germanische bevölkerung  Europas  549. 

—  bestimmung  des  anfanges  der  ger- 
manischen Sondersprache  550  fg. 

geselschaftslied  des  17.  Jahrhunderts,  siehe 
liederbücher. 

Gloim:  briefe  Herders  und  seiner  gattin 
an  ihn  36 — 70.  briefe  Gleims  an  Her- 
der 37  fg.  51  anm.  7;  an  Herders  gat- 
tin 42  anm.  2.  54  anm.  1.  —  sein  urteil 
über  Jean  Faul  40  anm.  6.  über  Stol- 
bergs übertritt  zum  katholicismus  58 
anm.  1.    über  die  Xenien  47  anm.  1. 

Gnaphaeus  Acolastus ,  Schaffhauser  manu- 
script  140. 

Goethe:  urteil  Gleims  über  die  Xenien  47 
anm.  1.  —  gedieht:  Der  ewige  Jude, 
zeit  der  entetehung  289  fg.  das  gedieht 
als  angebliches  zeugnis  für  Goethes 
damaligen  religiösen  Standpunkt  289 — 
300.  einfluss  der  Verlobung  auf  seine 
Stimmung  294  fg.  wideraufnahme  des 
planes  auf  dem  wege  nach  Rom  296  fgg. 
tendenz  des  gedichtes  299  fg.  verhfit- 
nis  zu  gleichzeitigen  dichtungen  300  fg. 
Goethes  späteres  urteil  301  fgg. 

Gottsched  in  Königsberg  565. 

grammatik.  neuhochdeuteche :  gebrauch 
des  pronomens:  persönliches,  unge- 
schleontiges  pronomen  305  fgg.  per- 
sönliches, geschlechtiges  pronomen  307 

—  311.    pronomen  possessivum  311  fgg. 

—  hauptprobleme  der  indogermani- 
schen lautlehre:  Verhältnis  von  ablau- 
tendem e  und  0  368.  Schwächung  des 
mit  muten  xmd  Spiranten  verbundenen 
vokals  369.  des  mit  nasalen  oder  liqui- 
den verbundenen  vokals  vor  folgendem 
vokal  370  fg.    vor  folgendem  konsonan- 


ten  371  —  374.  Schwächung  der  Ver- 
bindung ei,  eu  374  fg.  dehnung  375  — 
382.  fingen  und  diphthonge  mit  lan- 
gem eföten  komponenten  382  —  390. 
die  gutturale  390  —  393.  /  der  Ur- 
sprache 393  fg. 

grobianische  Schriften:  alamodische  hobel- 
bank  418  fg. 

Gryphius,  Andreas:  sein  Papinian  nach 
Haskerls  bearbeitung  gespielt  von  der 
Spiegelbergschen  schauspielertruppe  331. 

Hanswurst  564. 

Hartmann  von  Aue:  Gregorius,  Verhältnis 
der  einleitung  zur  lateinischen  Übertra- 
gung Arnolds  126  fg. 

Haskerls  bearbeitung  des  Papinian  von 
A.  Gryphius  331  fg. 

Helfrich  von  Lutringen  oder  Lune  in  der 
ersten  Strophe  des  alten  Eckenliedes, 
bedeutung  des  namens  3  fgg.  vgl.  Ecken- 
lied. 

Herder:  briefe  von  ihm  und  seiner  gat- 
tin an  Gleim  36 — 70.  brief  Gleims  an 
Herder  37  fg.  51  anm.  7.  an  Herders 
gattin  42  anm.  2,  54  anm.  1. 

höfisches  leben  zur  zeit  der  min- 
nesinger:  fragespiel  91.  tanz  91  fg. 
musikinstrumente  92  fg.  vorlesen  93. 
Spielleute,  das  sptlwip  93  fg.  Stellung 
der  kirchenfürsten  zu  den  spielleuten 
93.  s.  Gertruden ,  s.  Johannis  minne  95. 
lebenswandel  der  geistlichkeit  95  fg.  sit- 
lichkeit  96.  ideale  des  ritters,  minne- 
dienst 97  fg.  einteilung  der  frauen  98. 
eheschliessung  98  fgg.  sperlOOfg.  ban- 
ner  101.  rüstung,  kleidung  102  fg. 
waffenröcke  103  fg.  zimier  104.  reise- 
gewand  104  fg.  schild  105  fg.  kover- 
tiure  106.  tumier  106.  109.  ordale 
109.  zeit  110  fg.  kampflieder  111. 
heilmittel  für  wunde,  Operation  111  fg. 
die  gefallenen  112.    schwur  113. 

Jean  Paul :  Gleims  urteil  über  ihn  40  anm.  6. 

Jerusalemfahrt  des  pfalzgrafen  Otthein- 
rich 166  —  220.  475—501.  Vgl.  pü- 
gerfahrten. 

indogermanische  lautlehre,  haupt- 
probleme derselben  siehe  grammatik.  — 
Urheimat  der  Indogermanen  549.  vor- 
indogermanische bevölkerung  Europas 
549.  bestimmung  des  anfanges  einer 
germanischen  Sondersprache  550  fg. 

Joachims  Karl  von  Braunschweig  lieder- 
buch  29 — 32.    vgl.  liederbücher. 

klage,  diu:  Unterscheidung  von  zwei  tei- 
len 146.  inhalt  des  zweiten  teiles  146 — 
150.  rechtfertigung  Eriemhilts  150  fgg. 
Hagens  verurteüimg  153.  degeneration 
der  alten  recken  153—157.  wörtliche 
Übereinstimmungen  mit  dem  Nibelun* 


p-^^tt,*  ^ 


570 


L     8ACSKI6I8TEB 


geoliede  156.  Widersprüche  zwischen 
oeidea  teilen  des  gedieh  tes  158  fg.  ver- 
knüpftmg  beider  teile  159  fg.  lateinische 
und  deutsche  quelle  160  fg. 

Klinger,  Maximilian  y. :  Henri  Pig'ons  UHi- 
stoire  des  trois  fils  quelle  seines  lust- 
spiels:  Der  derwisch  357  ^g.  bearbei- 
tung  Elingers  359—362. 

Köbers  auffuhrungen  am  Oeraer  gymna- 
sium  514. 

Köhler,  Reinhold  568. 

Konrads  Yon  Hirschau  dialogus  super  aucto- 
res  sive  didascalon:  inhalt  268—272. 
spräche,  quellen,  pädagogischer  Stand- 
punkt 272.    methode  272  f^. 

Kormarts  Polyeuctus  siehe  Mitternacht 

Kümberger,  der:  als  Verfasser  der  ihm 
zugeschriebenen  Strophen  408  fgg.  als 
angeblicher  dichter  des  Nibelungenliedes 
408  fgg. 

Lassenius,  Johann,  seine  angebliche  lauf- 
bahn  als  Schauspieler  314  anm.  7. 

lautlehre,  hauptprobleme  der  indogerma- 
nischen, siehe  grammatik. 

Lexer,  Matthias  von,  nekrolog  253—256. 

liederbüchor  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts: liederbuch  des  prinzen  Jo- 
achim Karl  von  Braunschweig  29  —  32. 
der  Prinzessin  Luise  Charlotte  v.  Braun- 
sohweig  32 — 36.  — Vonusgärtlein :  nach- 
weise zu  nr.  50  s.  65.  273  fg.  zu  nr. 
53,  s.  68.  274—280.  zu  nr.  63— 65 
s.  280.  zu  nr.  69  s.  280—283.  zu  nr. 
81,  s.  122.  283.  zu  nr.  107  s.  283.  zu 
nr.  114  s.  283.  Charakter  des  gesel- 
schaftsliedes  283  fg.  Verhältnis  zum  mo- 
dernen volksliede  284.  s.  138:  Ein 
hirschlein  usw.  anfang  der  modernen 
Jägerromantik  284.  nachgeahmt  von 
Sdieffler  284  fg.  —  Des  Neu  weltlichen 
liederbüchleins  und  ähnlicher  Verhältnis 
zum  modernen  volksliede  285  fg.  — 
vgl.  Zweibrückener  handschriften. 

Luise  Charlotte  von  Brandenburg,  lieder- 
buch derselben  32—36. 

metrik:  zur  gesohichte  der  altdeutschen 
verskunst  552  fgg.  alliteration  554.  Ot- 
frieds  iktenzoichen  554  fg^.  endreim 
556  fg.  der  reim  bei  den  irischen  klo- 
sterdichtern  557.  in  der  lateinischen 
dichtung  557.  drei-,  vier-  und  mehr- 
hebige  verse  naxh.  Otfried  558  fg.  Ni- 
belungenstrophe 559.  —  metrische  ab- 
hängigkeit  der  Strophen  der  Carmina 
Burana  von  der  weise  des  Eckenliedes 
1  fg.  27  fg.  —  vgl.  Eckonlied. 

minnegesang:  natureingänge  der  minneUe- 
der  122  ^.  124.  —  hönsches  leben  zur 
zeit  der  minnesinger  91  — 113. 


Mitternacht:  lieder  503— 509.  diamea 
509  fg.  seine  lateinischen  dramen  auf- 
geführt von  Schülern  des  Geraer  gym- 
na8iums510 — 514.  auffuhrungon  durch 
rektor  Köber,  den  nachfolger  Mitter- 
nachts 514;  darunter  eine  bearbeitung 
von  Comeilles  Polyeuct  514 — 519;  Zu- 
sammenhang mit  Kormarts  Pdyeuctus 
519  fg.  —  die  beiden  deutschen  dramen 
Mitternachts  520  fg. :  1)  der  un^ück- 
selige  Soldat  vnd  vorwitzige  barbierer 
521  —  526.  auftreten  allegorischer  figu- 
ren  526  fg.  einfluss  der  englischen  ko- 
mödianten  527  fgg.  pädagogisch -mora- 
lische tendenz  des  Stuckes  529  fg.  2) 
Politica  dramatica  530—537. 

Müllers,  Wilhelm,  romanze:  Est,  est  142  fg. 

nekrologe:  Friedr.  Zamcke  71 — 90.  Mat- 
thias V.  Lexer  253 — 256.  Theodor  Wi- 
sen  362—366. 

Neuberin,  die,  mitglied  der  Spiegelberg- 
schen  schauspielertruppe  siehe  das  lezte. 

Nibelungenlied:  Verhältnis  der  klage 
zum  N.,  siehe  klage.  —  Verhältnis  d^ 
YU.  und  yni.  Lachmannschen  liedcs 
407  fg.  der  Kümbeiger  als  angeblicher 
Verfasser  des  N.  408  fgg.  bedeutung 
des  namens Nibelung,  Nibelungen  410  fg. 
burgundische  könige  411.  goldhaltigkeit 
des  Rheinsandes  hat  zur  sage  von  dem 
Nibelungenschatze  beigetragen  411  fg. 
Verhältnis  der  geschichte  von  der  er- 
weckung Sigrdrifas  zur  gewinnung  Bmo- 
hilds  413  fg.  Wechsel  der  rollen  des 
Etzel  und  der  Kriemhilt  im  nordischen 
und  deutschen  NibelungenUede  415  f^. 
Verhältnis  des  epos  zur  spielmannspoesie 
416.  —  Nibelungenstrophe  559. 

Otfrieds  iktcnzeichen  554. 

Ottheinrichs,  pfalzgrafen  bei  Rhein,  pil- 
gorfahrt  164. 

P<gons,  Henri,  L'Histoire  des  trois  fils 
usw.  quelle  von  Klingers  derwisch,  siehe 
Klinger. 

Pandszensche  schauspielertruppe  315  fg. 

Paulsensche  schauspielertruppe  315  fg. 

Pilgerfahrten:  entstehuns  soeenanter 
pilgorbrüder  163  fg.  piTgerfaort  des 
pfalzgrafen  Ottheinrich  164.  bericht 
eines  bäuerlichen  Schweizers  darüber 
164.  166-220.  475—501.  bericht 
eines  geistlichen  darüber  164. 

Puppenspiele:  Zugehörigkeit  zum  repertoiro 
der  Wanderbühnen  des  17.  Jahrhunderts 
420  fg.  —  böhmisches  Puppenspiel  von 
dr.  Faust  421  fg. 

von  Quotens  schauspielertruppe  340  fg. 

reim:  siehe  metrik. 

reuterlieder,  siehe  Zweibrückener  hand- 
schriften. 


n.    yXB2XICHlfI8  SKR  BBBFBOGHKNEN  STELLEN 


571 


Sachs,  Hans:  behandlang  des  Boooacdo 
344  fg.  erklfirung  des  von  ihm  beibe- 
haltenen anstöesigen  845  fg.  Verhältnis 
der  menschen  zu  Gott  in  den  fastnacht- 
spielen 346  fgg.  Verhältnis  der  men- 
schen untereinander:  Warnung  mächtiger 
348  fg.  achtbarkeit  aller  stände  349  fg. 
tadel  unzüchtigen  lebens  351  fg.  lob 
der  ehe  352  fgg.  Jnndererziehung  354 
fgg.     quellen  564. 

Schauspielertruppen,  deutsche,  in 
Dänemark:  des  Wulff  und  Treu  314. 
des  Pandszen  315.  des  Paulsen  3 1 5  fgg. 
des  üblich  316  fe.  der  witwe  Veiten 
317.  theaterzettel  ihrer  trappe,  betr. 
das  stück  Statua  und  inhalt  desselben 
318  —  321.  vergleich  mit  dem  italieni- 
schen original  des  Cicognini  321.  — 
anschlagzettel,  vermutlich  dos  Denner, 
betr.  das  stück:  Der  verirte  liebes -stand 
322  fgg.  die  Denner -Spiegelberssche 
trappe  324  fgg.  Neuber  und  frau  Neu- 
berin  mitglieder  derselben  325.  plan 
des  von  der  Spiegelbergschen  trappe  in 
Kopenhagen  gespielten  Stückes:  derver- 
wirte  Soldat  326—331.  des  von  Has- 
kerl bearbeiteten  Papinian  des  A.  Gry- 
phins  331  —  334.  änderangen  des  ori- 
ginales 334  fgg.  nachweis  eines  zweiten 
im  norden  spielenden  Spiegelberg  337  fg. 
Oarl  V.  Eckenbergs  auftreten  338  fg. 
Etienne  Gapions  bühne  338  fg.  v.  Quo- 
ten und  die  von  seiner  trappe  gespiel- 
ten stücke  340 — 342.  —  Puppenspiele 
im  repertoire  der  Wandertruppen  des 
17.  Jahrhunderts  420  fg. 

Schomer  ahmt  lieder  des  Venusgärtleins 
nach  284. 

Scherer,  Wilhelm ,  urteile  über  ihn  287  fg. 

Schiller:  Gleims  urteil  über  die  Xenien 
47  anm.  1. 

Spiegdbergsohe  sohauspielertrappen    326 

spielmannspoesie,  Verhältnis  zum  Nibe- 
lungenliede 416. 

Sprachvergleichung,  siehe  grammatik. 

Stolbergs  übertritt  zum  kauolicismus,  ur- 
teil Gleims  58  anm.  1. 

Thidreksaga;  urspriingliche  und  inter- 
polierte tmle:  o.  197—283.  433—441. 


0. 21  — 196  435.  vgl.  455  fg.  c.  197  — 
240  435—438.  c.  241—274  438  fg. 
c.  276  —  290  439  —  442.  Verhältnis  Ro- 
Aingeirrs  zur  sage  442 — 445.  Stellung 
derNiflungasaga(342— 348.  356—394) 
zur  sage  445—450.  c.  303—307  4r)l 
fg.  c.  295.  308  452  fg.  c.  316—339 
444  fgg.  c.  340—341  450.  c.  349  — 
355  453.  c.  395—422  447  fgg.  453  fg. 
c.  423 — 428  450.  4.54  fg.  c.  429 — 436 
454—458.  c.  437  458  fg.  Sc.  383  — 
386  459  ^.  c.  1—20  460  fgg.  Schei- 
dung der  interpolationen  nach  den  ver- 
fassen 462—475. 

Treusche  schauspielertrappe  314. 

ühlichsohe  schauspielertrappe  316. 

Veltensche  schauspielertrappo  317. 

Venusgärtlein,  Hederbuch  des  17.  Jahr- 
hunderts 273  fg. 

Volkslieder  des  16.  Jahrhunderts:  einfluss 
auf  das  moderae  Volkslied  285.  —  Ver- 
hältnis des  böhmischen  Puppenspieles 
von  dr.  Faust  zu  volksliedera  von  Faust 
421. 

Wanderbühnen,  siehe  schauspielertrappen. 

Wielands  dichterische  manier  221  fgg. 
Geron:  composition  des  gedichtes  und 
Verhältnis  zur  quelle,  Gyron  le  Cour- 
tois  221  —  236.  Wielands  aoffassung 
vom  hochdeutschen  236—240.  Verhält- 
nis zu  Adelungs  Wörterbuch  240  (^. 
Wortvorrat  im  Geron  verglichen  mit 
Adelung  241  —  252. 

Winnenbergs,  freihenm  von,  reuterliedor 
in  einer  Zweibrückener  handschrift  539. 

Wisen,  Theodor,  nekrolog  362—366. 

Wulfiische  schauspielerti'uppe  314. 

Xenien:    urteil   Gleims  47  anm.  1. 

Zaracke,  Friedrich,  nekrolog  71—90. 

zehn  altsrsstufen  des  menschen,  gedieht 
544  fg. 

zeichen  >  und  <  566. 

Zingerle,  I.  v.,  568. 

Zweibrückener  handschriften:  ge- 
dieht auf  die  vermtiilung  pfalzgraf  Frie- 
drichs IL  538  fg.  dtalogus  539.  reu- 
terliedor des  freiherra  v.  Winnenberg 
539  fg.  historische  Reimen  vonn  dem 
Yngereimbden  Reichstage  Anno  1613 
540—544. 


n.    VERZEICHNIS  DER  BESPROCHENEN  STELLEN. 


ntleUttteliüseb. 

Egberts  von  Lüttich  Fecunda 
ratis  23  s.  429. 
46  8. 427. 
52  8.  429. 


73  s.  429. 
174.  178  s.  427. 
319.  327.  415  s.  427. 
428.  434  8. 427. 
440.  448  8.  429. 
459  8. 427  ^. 


464.  523  s.  428. 
526—538  8.429. 
571  fg.  605  8. 428. 
628.  659  8. 428. 
701—722  8.428. 
871  fgg.  R.  428. 


672 


OL 


Egberts  von  Lüttich  FecoDda 
ratis. 

931.  967  8. 430. 
999  8. 428. 
1005.  1015  8. 430. 
1023  8. 428. 
1060  8. 430. 
1129.  1180  8. 428. 
1205  8. 429.  430. 
1218  8. 429. 
1237  8.430. 
124ä.  1322  8.  429. 
1341  8. 429.  430. 
1347  8.429. 
1469.  1582  8.  430. 
n.    33.  66  8. 430. 
185  8. 429. 
373.  433.  444.  463 
8.430. 

AltDordlseli. 

V^lBongasaga  ed.  Banisch. 
c.  29,  z.  113  8. 395. 
Str.  22*  8.396. 


AltDordlseh« 

Walis  (eigenname)  8.  398  fg. 

AltfHeriseh. 

l/wen  (eigenname)  s.  129. 

Hlttolhochdeiitseh. 

armbiuBt  8. 109  fg. 
bannherzunge  8.  262. 
baat  rf.  pabat)  8.  257. 
bezecnenen  (f.  bezeichnen) 

8.  258. 
brutgon  s.  258. 
büwewerch  8.  262. 
ohonsohe  (f.  kinsche)  s.  258. 
dietland  8.  262. 
dornalehe  8.  263. 
ebengenozsam  8.  263. 
ebenm&zonge  8.  263. 
eigenaun  8.  263. 
ergrauten  a.  263. 
eraoemen  8.263. 
verteilaere  s.  263. 
viak-aohiflin  s.  263. 
viwer-eiter  s.  263. 
flataohe,  fletache  s.  110. 
vol-eren  8.263. 


Thidrekaaga  stehe  daa  aach- 
r^istar. 

HltteUiodidevtei^ 

Altdentache  predigten,  her- 
aoagegeben  y.  Schöobaoh 
29,  8  8. 261. 
29,  22.  40,  7  8. 259. 
42,  24  8.  261. 
49,  2.  52,  24  a.  259. 
59,  2  8.  261. 
64,  7.  25  8. 259  fg. 
80,  8  8.  261, 
101,  21.  105,  28.  107,  5 
8.260. 

132,  33.  38  8. 260  fg. 

133,  31  8.  260. 
139,  6  fg.  8.261. 
142,  3  8.  260. 
147,31.  149,38.  154,28 

8.261. 
159,  21.  161,  32  8.  260. 
162,  3.  167,  9  8.  260. 
173,  38  8.  261. 


m.    WORTREGISTER. 

Yol- Ionen  a.  263. 
vurfrit  8.  257. 
gemande  8.263. 
gemüezegen  s.  263. 
genozsamen  s.  263. 
gie^n  (giengin)  s.  258. 
gigirach.  gigirschheit  s.  263. 
gota-geiichnnase  8.263. 

gotson  8. 257  fg. 
ersal  a.  264. 
hersedel  s.  264. 
hersenier  s.  110. 
heimladunge  s.  264. 
hinnebedes  s.  264. 
horweiin  8.264. 
ir  (pron.)  s.  258  fg. 
Miüe,  kolbe  s.  110. 
kolze  8. 102,  anm.  1. 
kooffc  (f.  gek.)  8. 258. 
lantsite  s.  264. 
lecken  8.259. 
leigelich  s.  264. 
mirrensmac  s.  264. 
nedehein  s.  264. 
paere  s.  262. 
pfaffensamenunge  s.  264. 
reismantel  s.  2&. 
riusaerinne  s.  264. 
s&mbalde  8.264. 


184,  6  8.2601^ 
186,  9.  192,  22  a.  261. 
206,  29.  212,  9  a.  261. 
355,  1  8.  262. 
Nibelungenlied. 

1528  8. 407. 
Klage. 

1396  fgg  8. 161  ^. 
1473—1555  a.  162. 
1633  8. 161. 
Minneaangsfrfihling 
.  8,  Innd  9,  29  s.  406  fgg. 
NeidharL 

48,  20  ^.  8.  124. 
Vom  rechte. 

363  fg.  8.  562. 
Hochzeit 
854  8.  562. 

NlederdentBeli. 

Stricker,    De  Dadesche 
Schlömer. 

185.  733.  2242  s.  130. 
3599.  5009  s.  131. 


scefistioraere  s.  264. 
sines  willen  s.  258. 
spaldenier  s.  102. 
toufbotege  8.264. 
unanesihtik  s.  264. 
ungewislichen  s.264. 
wenigi  8.  264. 
woldan  s.  110. 
ZUG  weten  s.264. 

lOttelfranzMaeli. 

haubergeon  s.  130. 

Nenboehdeutaeh. 

Füglisthal  (ortsn.)  s.  267. 
Gardinenwiese  s.  286  fg. 
th&te  (im  bedingungssatze) 

8. 138.  431. 
Wölflingen  (ortsn.)  a.  267. 

Niederdeutaeh« 

dribolde  scheren  s.  140  %. 
grindt  s.  131. 
patz  s.  131. 

NenlhoiaSaiaeh. 

TanffBÜn  (ortsn.)  s.  267. 


Halle  a.  S. ,  Boohdnickorei  des  WaiBeobaiises. 


599 


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