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ZEITSCHRIFT
FÜB
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
vow
HUGO GERING und OSKAR ERDMANN
FÜNFUNDZWANZIQSTER BAND
HALLE A. S.
VERLAS DER BUOUUAHDIttlKQ DES 'WAISEirHA'DBES.
1893.
Reprinted wich the permission of W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart
JOHNSON REPRINT CORPORATION JOHNSON REPRINT COMPANY UMITED
111 Fiftk Avenue, New York, N.Y. 10003 Berkeley Square House, London, W. 1
First repriating, 1966, Johnson Reprint Corporation
Printed in the United States of America
^f=3oo3
Z 35
V. 2 5
MAIN'
INHALT.
SeitA
Zum Eokenliede. Von F. Vogt 1
liederhandschriften des 16. und 17. Jahrhunderts 11. m. Von J. Bolte . . 29
XJngedruokte briefe Herders und seiner gattin an Gleim. Von J. Pawel . . 36
Zur Klage. Von J. Bieger 145
Zwei berichte über eine Jerusalemfahrt (1521). Von £. Röhricht . . 163. 475
Über Wielands Geron. Von L. Singer 220
Über Goethes bruchstüoke des gedichtes «der ewige Jude*. Von H. Düntzer 289
Das nhd. pronomen. Von A. Jeitteles 303
Deutsche Wandertruppen in Dfinemark. Von J. Paludan 313
Hans Sachs als mondist in den fastnachtspielen. Von G. Duflou 343
Die quellen von Elingers «Derwisch*^. Von K. 0. Mayer 356
I^dieks saga und Niflunga saga. Von B. C. Beer 433
Johann Sebastian Mittemacht Ein beitrag zur geschichte der schulkomödie im
17. Jahrhundert. Von G. Ellinger 501
Mitteilungen über handschriften der Zweibrückener gymnasialbibliothek. Von
A. Englert 537
lied, genant: das menschliche leben ein träum. Von A. Jeitteles . . 544
Nekrologe.
Friedrich Zarncke. Von F.Vogt 71
Matthias v. Lexer. Von K. Weinhold 253
Theodor Wisen. Von G. Cederschiöld 362
Miscellen.
Zur geschichte des begräbnisses more teutofiieo. Von K. Maurer 139
Zum drama vom verlornen söhn. Von Th. Odinga 140
Nochmals dribolde scheren. Von M. Pappenheim 140
Zu W. MüHers romanze «Est est*". Von R Sprenger 142
Gaidinenwiese. Von R Sprenger 286
Noch einmal täte im bedingungssatze. Von G. Bötticher und 0. Erdmann 431
Zu den neutralen engein. Von Ph. Strauch 566
Die zeichen > und <. Von H. Gering 566
Litteratur.
A. Schultz, das höfische leben, angez. von J. Meier 91
G. V. d. Gabelentz, die Sprachwissenschaft, angez. von H. Oldenberg . . 113
Hench, the Monsee fragments, angez. von H. Wunderlich 117
Herzfeld, die ritsel des Exeterbuches, angez. von E. Koeppel . . . ■ . 120
lY »HALT
Seite
Bielschowsky, geschichte der deutschen dorfpoesie I; Hartmann, Heselohers
lieder, angez. von F. Vogt ' 121
Seegers, textkritik von Hartmanns Gregorios, angez. von 0. Rosenhagen . 125
Weiland, die Angeln, angez. von 0. Bremer 128
Holte, de düdesche SchlÖmer, angez. von H. Brandes 130
Schaub, nd. Übertragungen des Lutherschen N. T.; angez. von demselben . 132
Bottiche r und Einzel, denkmäler der älteren deutschen litt. HI, 2 — 4, angez.
von 0. Eawerau 137
Schönbach, altdeutsche predigten III, angez. von F. Bech 256
Genelin, unsere höfischen epen, angez. von H. Suchier .* • - ^^
Zimmerli, die deutsch -französische Sprachgrenze in der Schweiz, angez. von
demselben ' 266
Schepss, Ck)nradi Hirsaugiensis dialogus, angez. von H. Althof 267
M. V. Waldberg, Venusgärtlein, angez. von G. EUinger 273
Braitmaier, Goethecult und Goethephilologie, angez. von 0. Erdmann . . 287
Bechtel, hauptprobleme derindogerm. lautlehre, angez. von H. Möller . . 366
Ranisch, Y^lsunga saga, angez. von B. Sijmons 3d4
E. H. Meyer, eddische kosmogonie, angez. von F. Kauffmann 3^
Weede, diu Wärheit, angez. von H. "Wunderlich . . . • 402
Garke, prothese und aphaerese des h im ahd., angez. von demselben . . . 403
Lichtenberger, poeme et legende des Nibelungen, angez. von F. Vogt . . 405
Hauffen, Caspar Scheidt, angez. von G. Ellinger ' 417
Heine, Schauspiel der deutschen Wanderbühne, angez. von demselben. . * 419
Kraus, böhm. Puppenspiel von dr. Faust, angez. von demselben .... 421
Holte, der bauer im deutschen liede, angez, von demselben 423
E. Voigt, Egberts von Lüttich Fecunda ratis, angez. von R. Peiper. . . . 423
Müllenhoff, deutsche altertumskunde III, angez. von 0. Bremer .... 546
Heusler, zur geschichte der altdeutschen verskunst, angez. von F. Kauff-
mann 552
Kraus, „Vom rechte** und „Diu Hochzeit*, angez. von H. Löhn er . . . . 560
Reuling, die komische figur in deutschen dramen, angez. von Holte . . . 563
J. Reicke, zu Gottscheds lehijahren in Königsberg, angez. von 0. Erdmann 565
Neue erscheinungen 143. 287. 431. 567
Nachrichten 144. 288. 432. 568
Berichtigungen 144. 568
Register von £. Matthias 568
ZUM ECKENLIEÜE.
Uns seit von Lutringen Helfrich
wie zwene rechen lobelich
Ze saemine bechomen
Erekke unde euch her Dieterich
Sie waren beide vraislich
da von sie schaden namen
Als vinster was der tan
da si an ander funden
Her Dietrich rait mit mannes chrafiPt
den walt also unchunden
Ereke der chom dar gegan
er lie daheime rosse vil
daz was niht wol getan.
Hiemali tempore
dum prata marcent frigore
et aquQ congelasciint
concurrunt in ^stnario
qui regnant cum Decio
et postquam convalescunt
socius a socio
lud US incitatur
qui vestitus venerat
nudus reparatur
ei trepidant diviti^
cui paupertas
semper servit libere.
5
10
Die metrische Übereinstimmung obiger Strophen der Carmina
Burana ist lange unbemerkt geblieben, obwol doch in der handschrift
auch hier die deutsche Strophe unmittelbar hinter dem entsprechenden
lateinischen liedchen steht (Bl 90 und 90*»; Schmeller nr. 180. CLXXX'),
von dessen drei Strophen ich hier probeweise die erate mitteilte. Mar-
tin führt vielmehr Ztschr. f. d. a. 20, 47 die strophe des Eckenliedes
ausdrücklich unter denjenigen deutschen auf, welche „keine lateinischen
gegenstücke haben*', und weder Burdach noch Meyer haben bei ihren
bemühungen, teilweise die priorität der deutschen Strophen der CB vor
den mit ihnen zusammengestelten lateinischen gegen Martin zu ver-
teidigen, jenes versehen berichtigt Und doch handelt es sich gerade
hier um einen fall, in welchem die deutsche Strophe gewiss die
ursprüngliche ist und dem lateinischen liede nur als Schema der bekan-
ten deutschen weise angehängt wurde, nach welcher jenes gesun-
gen ward. Denn abgesehen von algemeinen er wägungen, die es
unwahrscheinlich genug machen, dass eine der beliebtesten weisen
der deutschen volksepik aus einem kleinen lateinischen spielerlied-
chen herstammen solte, zeigen die lateinischen verse hier in dem
dreimaligen fehlen der Senkungen (v6st6s mittäntür 2, 10; hei h^c
ZKITSCUHIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXV.
2 f. VOOT
est r6gul& 3, 11) eine eigentümlichkeit, die Martin selbst a. a. o. s. 56 fg.
als kenzeichen für die nachbilduog eines deutschen musters auffasst.
Der schlussvers hat im Eckenliede die gewöhnliche form der epischen
langzeile: 3 hebungen mit klingendem oder 4 mit stumpfem ausgange
in der ersten, 3 hebungen mit stumpfem schluss in der zweiten hälfte.
Nach der ersteren, berschenden form könte auch in dem lateinischen
liede der schlussvers der 1. und 3. strophe gelesen werden cm pau-
pertas semper servit Ubere, per qiuim nobis cutis erit morbida; aber
der schluss der zweiten cui sors magis aut foriuna fav^eat nötigt
anzunehmen, dass die cäsur hinter die auf die zweite hebung folgende
Senkung verschoben wurde, so dass sich also der typus 3^ + 3 zu
2w + 4 wandeltet
Aber nicht allein für die frage nach dem Verhältnis der vagan-
tenlyrik zur deutschen dichtung, auch für die beurteilung des Ecken-
liedes selbst ist die in die CB aufgenommene strophe von grosser
bedeutung. Zupitza, der in der Lassbergischen handschrift (L) die
„älteste gestalt^ des Eckenliedes sieht, tut im Deutschen heldenbuch
V, XXXV den kritischen wert der Benedictbeurener str. (B) allerdings
mit der bemerkung ab: „ihre fassung weicht von L so bedeutend ab,
dass nicht zu zweifeln ist, dass sie aus dem gedächtnis aufgezeichnet
worden"; aber noch in seinen Prolegomena ad Alberti de Kemenaten
Eckium s. 16 scheint er nicht abgeneigt, B den vorrang vor L zu las-
sen. In der tat stelt meines erachtens die vergleichung beider Über-
lieferungen die ursprünglichkeit von B ausser zweifei. Vers 9 und 10
liest nämlich L: her Dietrich und der küene man wol an denselben
stunden. Das sind durchaus nichtssagende flickverse, während B hier
bestimte angaben bietet, die volständig am platze sind: Dietrich kent
den wald, durch den er in nächtlichem dunkel ziehen muss, tatsäch-
lich nicht; und vor allem, was hier im gegensatz zu vers 11 entschie-
den bemerkt werden muss, er reitet, während Ecke zu fusse geht.
Das Dresdener heldenbuch (d) stimt mit L überein; die dritte, durch
den Augsburger und den Strassburger druck vertretene version (as)
liest vers 7 — 10: Ja also finster tvas der than Da zu den selben stun-
den Herr Eck der wolt nie abelan Den iveg het er gefunden. Was
den anlass zu diesen ungeschickten änderungen gegeben hat, ist klar:
der cäsurreim solte eingeführt werden, während in der ursprünglichen
form der Eckenstrophe zeile 7 und 9 reimlos waren. Diese echte
gestalt der Ecken weise liegt allein in den CB vor; in der lateinischen
nachbildung bleiben die entsprechenden zeilen ebensowol konsequent
ohne reim wie in der deutschen strophe, während alle volständigen
ZUM EOKKNUBDE
füberlieferaogen des deutschen gedichtes diesen ohne ausnähme ein-
geführt haben; keine von ihnen kann also die ursprüngliche fessung
des Eckenliedes darstellen. Zu diesem ergebnisse war schon vor 20 jäh-
ren Wilmanns (Altdeutsche Studien s. 97 fgg.) auf ganz anderem wege
gelangt Er hatte, was insbesondere die form betrift, bemerkt, das L,
d und as auch bei sonstiger Übereinstimmung der reimwörter doch in
denen des siebenten und neunten verses in der regel von einander
abweichen; und er hatte den schluss daraus gezogen, dass diese drei texte
auf eine verlorene quelle zurückgehen müsten, in welcher jene zeilen
noch nicht mit einander gereimt waren. Die Strophen der GB hatte
auch er nicht berücksichtigt; sie geben seiner annähme eine glänzende
bestätigung, wenn anders es einer solchen noch bedurfte.
Wer die deutsche Strophe der CB unbefangen und ohne rück-
sicht auf die anderweitige Überlieferung des Eckenliedes liest, dem
wird sie sicherlich als der anfang desselben erscheinen; und dass gerade
sie als Vertreterin seiner weise dem lateinischen liede in der Benediktr
beui*ener samlung angehängt ist, würde sich natiirlich am einfachsten
erklären, wenn das deutsche gedieht wirklich mit ihr begann. Aber
in L gehen ihr 68, in d 77, in as 62 Strophen voran. Diese berich-
ten, wie Ecke von drei königinnen ausgesant und ausgerüstet wird,
um ihnen den Dietrich von Bern zu bringen; wie er diesen dann zu
Bern und anderswo vergeblich sucht, bis er einen von Dietrich töüich
verwundeten ritter findet, der ihn erst vor dem kämpfe mit dem gefahr-
lichen beiden warnt, dann aber auf die richtige fahrte weist Dieser
todwunde wird in L Helferich von Lime, in D Helferich von Lone,
in as Helferich von Lutring genant; er gilt allen Überlieferungen als
einunddieselbe persönlichkeit mit dem in der eingangs mitgeteilten
Strophe genanten gewährsmanne der erzähl ung vom kämpfe Dietrichs
mit Ecke. In as begint diese Strophe freilich ohne nennung des namens
Wir fvnden hye geschriben sta?i Wie das xwen irrmerxagte man In
einen wald dar kamen; aber hier wird vorher str. 62 und nachher
Str. 90, 6 Helfrich ausdrücklich zum heimlichen zeugen des kampfes
gemacht, und str. 130 fg. lässt ihn diese Version nach beendigung des
kampfes hervorkommen und von Dietrich mit der nachricht über das
vorgefallene nach Bern geschickt werden.
Von einer solchen Verbindung dieser person mit den späteren
ereignissen wissen nun L und d durchaus nichts. HelMch wird nach
der in rede stehenden Strophe (L 69 d 78) überhaupt gar nicht wider
genant; und selbst mit der vorangegangenen erzählung von Helfrichs
Verwundung steht jene strophe von Helfrich dem gewähi'smann in die-
1*
F. VOOT
seil beideu Versionen eigentlich in gar keinem zusammenhange. Wäh-
rend as Str. 62 zu erzählen weiss, dass Helfrich, der sich vorher wie
ein sterbender gebärdete, zu den kämpfenden schleicht, indem er sich
seine wunden mit einem rasenstücke zuhält, lässt d (74 — 77) ihn durch
ein Zwerglein geheilt werden, so dass er am fünften morgen von dan-
nen reiten kann — wohin wird nicht gesagt, und man gerät nicht
auf den gedanken, dass er noch zu Eckes und Dietrichs kämpf gekom-
men sein solte, da dieser doch nicht erst am fünften tage nachdem
Helfrich den Ecke zu Dietrich gewiesen hatte erfolgt sein wird. Nach
as 78, 11 — 13 begint der kämpf Dietrichs mit Ecke vielmehr in der
auf seinen kämpf mit Helfrich folgenden nacht, und die mit dieser
Strophe eng zusammenhängende as 79 findet sich auch in d (117).
d wird durch die erzählung von Helfrichs heilung wol die tatsache
haben erklären wollen, dass der todwunde überhaupt am leben blieb
und so der gewährsmann für die folgenden ereignisse werden konte;
darüber aber, auf welche weise er sie erfahren, hat der urheber die-
ser Version sich augenscheinlich keine gedanken gemacht An eine
gemeinsame quelle für die berichte in as und in d ist natürlich nicht
zu denken; und so enthält denn auch L, die in der ältesten hand-
schrift überlieferte und zugleich (so viel muss man meines erachtens
Zupitza entschieden zugeben) die verhältnismässig ursprünglichste die-
ser drei redaktionen, keinen von beiden. Auch jene Strophe as 79
d 117, welche den der begegnung mit Ecke vorangegangenen kämpf
Dietrichs mit Helfrich und dessen drei begleitern voraussezt, fehlt in L
ganz. Das einzige, was hier möglicherweise einer Vorbereitung der
Strophe, die den Helfrich als gewährsmann nent, ähnlich sehen könte,
ist die mit d übereinstimmende kurze bemerkung 68, 2, dass Ecke
den wunden Helferich verbunden habe, insofern nun doch wenigstens
dessen heilung noch möglich gemacht scheint; da aber as etwas der-
artiges nicht enthält, vielmehr bestimt voraussetzt, dass Helfrich ohne
verband bleibt, so ist es sehr zweifelhaft, ob in der quelle Ldas schon
eine entsprechende strophe stand.
Jedesfals haben wir, was d und vor allem was as gegen L über
Helfrich angeben, als selbständige zutaten anzusehen, die wenigstens
in as deutlich dem zwecke dienen, eine in der quelle vermisste Ver-
bindung zwischen der geschichte des verwundeten Helfrich und der
berufung auf Helfrichs erzählung vom kämpfe Dietrichs mit Ecke her-
zustellen. In der gemeinsamen grundlage von Ldas hat sich nichts
derartiges gefunden; in ihr bestand — mögen wir nun L 68 für älter
oder für jünger halten — ein erträglicher Zusammenhang zwischen der
ZX7M ECKENLIKDB
oben mitgeteilten strophe L 69 und dem vorangegangenen so wenig
wie in L Wie der zum tode verwundete, schon mit dem sterbesakra-
ment versehene Helfrich dazu komt, den kämpf der beiden beiden zu
erzählen, ist ganz unerfindlich; Dietrich und Ecke aber werden vol-
ständig neu eingeführt, als wären sie noch gar nicht genant, als wäre
von Eckes langem suchen nach Dietrich nirgend die rede gewesen , und
ebensowenig davon, dass er ein pferd verschmähte. Dass es nacht ist,
wird von dieser strophe an vorausgesezt, während von ihrem anbruch
vorher in Ld nicht die rede war; vielmehr war in L die lezte Zeit-
bestimmung der morgen (52, 1 vgl. auch d 55, 12. 56, 1); nur nach
der auch hier auf herstellung eines besseren Zusammenhanges bedach-
ten Version as ist es abend 43 — 44, nacht 58. Ich kenne keine ein-
zige stelle im inneren eines unserer volksepen, an der so deutlich und
unvermittelt der anfang eines augenscheinlich selbständigen gedichtes
mitten in die erzählung hineinfahrt Selbst in as fangt bei allen Ver-
änderungen die Strophe doch noch wie von vorne an. L zeigt nur
eine für die frage nach ihrer Selbständigkeit bemerkenswerte ab wei-
chung von B: es schreibt als erstes wort erst statt uns. Das kann
hier nichts anderes heissen, als „erst jezt**. Der Urheber dieser Ver-
sion sezt also voraus, dass man das durch erst eingeleitete eigentlich
schon früher erwarten konte. Aus der vorausgegangenen erzählung
aber ergibt sich nicht der mindeste grund, weshalb Helfrich schon frü-
her seinen bericht hätte bringen sollen; nicht durch sie, sondern nur
durch eine ältere tradition kann daher jene erwartung begründet sein,
durch die tradition, nach welcher das Eckenlied eben mit dieser strophe
begann. Der redaktor geht also hier von der jüngeren Vorgeschichte
zu dem älteren anfange über, indem er sagt: „erst jezt komt die
(bekante) erzählung des Helferich von Lune"; und er kenzeichnet
dadurch zum überfluss noch ausdrücklich die stelle, an der die alte
dichtung begann.
So weiss denn nun auch die Pidreks saga (c. 96 fg.) von der
ganzen scene zwischen Ecke und dem verwundeten ritter durchaus
nichts, und nirgend in der ganzen erzählung von Ekka wird Hjalp-
rikr auch nur genant
Fand sich also der narae Helferich von Lutringen oder von Lune
ursprünglich allein in der oben mitgeteilten strophe, der ersten der alten
dichtung, so fragt es sich, was er dort zu bedeuten hatte. Schon frühe
ist die ansieht geäussert, dass der name des dichters dahinter stecke;
ohne dass man aber deshalb die vorausgegangene erzählung vom ver-
wundeten Helfrich für jünger erklärt hätte. Und zwar haben bekant-
6 P. VOGT
lieh Lassberg und U bland angenommen, dass van Lüne Helferich ent-
stell sei aus von lAnouw Heinrich , so dass der Verfasser des Ecken-
liedes denmacb identisch wäre mit jenem Heinrieh von Ltnouwe, wel-
cher nach der litterarischen stelle in Rudolfe von Ems Alexander den
waücere verfasste, nach der im Wilhelm von Orlens Ekkenia manheit
hat geiihiei und geseit: dax ist der wcUUere, Bächtold hat in seiner
litteraturgeschichte der Schweiz s. 108 u. anm. diese Vermutung wider
aufgenommen. Da aber Ekkenia oder Ekkenes nicht der genetiv von
Ekke ist, andrerseits der vers an der stelle, wo jene namensform steht,
drei silben erfordert, so habe ich in Pauls Grundriss 11, 323 nach den
von Waekemagel LB I*, 607 mitgeteilten Varianten Eggen, Ereckes
frageweise em Ecken vermutet Die ganze hypothese wird jedoch wider-
legt durch eine stelle, durch die Bächtold sie gerade stützen zu können
meint Er beruft sieh a. a. o. auf die ihm aus einer abschrift bekan-
ten verse 7084 fg. des Wilhelm swer hat vemomen oder gelesen von
dem waUcere kern Ekkenes mcere, aus denen hervorgehe, dass unter
dem Waller Ecke gemeint sei. Ich weiss nicht, wie sich das aus die-
sen versen eher ergeben soll, als aus den längst bekanten litterarischen
stellen im Wilhelm und Alexander. Jedesfals beweisen die verse,
welche den von Bächtold mitgeteilten in den bandschriften unmittelbar
folgen, und deren abschrift ich der freundlichkeit des herm dr. Y. Zeid-
1er in Oraz verdanke, dass der waUcere unmöglich der Ecke des volks-
epos seih kann. Der dichter fährt nämlich im satze fort:
dem ist wol kunt, vrie iegeUch
ein tumei da hebet sich
in der mitten ougsten xtt,
und wie ein sperwer dur strtt
aldar üf gesetxet wirt.
Demnach gehörte der held dieses gedichtes, wie schon Docen, Mise. II,
292 in berichtigung seiner eigenen früheren ansieht (ebenda I, 75)
bemerkte, „in einen ganz anderen fabelkreis^. Freilich steht die namens-
form in den älteren bandschriften nicht fest; von 5 pergamenthand-
schriften bietet nach Zeidlers mitteilung nur eine Ekkenes^ die anderen
erkeynes, eikenes, klies, ereckes. Die erwähnung des dur strit aufge-
sezten Sperbers legt es ja nahe, Ereckes für das ursprüngliche und
tvallcere dann für eine Verderbnis von Ouwcere zu halten; aber in wal-
Icere stimmen die bandschriften überein; da wäre es denn doch merk-
würdig, wenn der name des albekanten Verfassers des Eree in ihrer
gemeinsamen quelle in dieser weise entstelt wäre, und wenn dann wei-
ter alle bandschriften diesen namen eines gar nicht existierenden dich-
ZUM BOKSNLIBDE
ters gläubig hingenommeD , für sein werk aber an stelle des bekanten
Erek der vorläge auf ganz verschiedene namensformen geraten hätten,
statt vielmehr Erek beizubehalten, für den entstelten namen seines Ver-
fassers aber die bekante richtige form einzusetzen. Die abweichungen
der handschriften würden sich viel eher erklären, wenn es sich um
den namen eines wenig bekanten gedichtes handelte. Und so finden
sich denn auch nach Wackernagel a. a. o. 605 in der litterarischen
stelle des Wilhelm zu Ouwere und Ereckes gar keine abweichungen,
während zu Ekkenis ganz ähnlich wie hier die teilweise schon auf-
geführten Varianten eggenis ekkmis eikins eygen, ja auch ereckes auf-
treten. Von Erec aber kann in dem dort vorliegenden zusammenhange
unmöglich die rede sein. Wir werden daher dieser lesart auch an der
anderen stelle keine entscheidende bedeutung beilegen dürfen. Dazu
komt nun noch, dass bei Hartmann nicht von der mitten ougsten xU^
und auch nicht eigentlich von einem turnier, sondern nur von einem
einzigen Zweikampf die rede ist Es handelt sich also augenscheinlich
um ein sonst unbekantes höfisches epos, und Heinrich von Linouwe
wird mit dem Eckenliede nichts zu tun haben. Der vomame der frag-
lichen persönlichkeit lautet auch nach dem Zeugnis aller handschriften
und drucke Helferich; als die form des zunamens ist durch die Über-
einstimmung der ältesten und ursprünglichsten aufzeichnung B mit der
von ihr ganz unabhängigen version as von Lutringen (Lutring) am
besten verbürgt
Dieser name komt sonst nur noch einmal in der litteratur vor:
nach Dietrichs flucht 5156 heisst einer der fremden fürsten an Etzels
hof Helphrich von Lutringe. Dass wir hier nichts über diese persön-
lichkeit erfahren, dass er anderswo überhaupt unbekant ist, beweist an
sich noch nicht, dass er nicht wirklich der sage angehört haben kann.
Zu den sagenmässigen überlieferuDgen haben sicher auch genealogien
und namenverzeichnisse gehört, ohne dass deshalb über leben und
taten jedes in ihnen vorkommenden beiden auch weitere traditionen
bestanden haben müsten. Ein solcher held könte Helfrich von Lutrin-
gen gewesen sein. Der Verfasser des Eckenliedes könte ihn als gewährs-
mann erdichtet haben, lediglich um durch die berufung auf einen
altüberlieferten, mit Dietrich von Bern in Zusammenhang stehenden
namen, mit dem man doch frei schalten konte, da man sonst nichts
rechtes von ihm wüste, seiner erzählung ein ehr- und glaubwürdiges
aussehen zu geben. Nach der lesart B uns seit scheint man ja
auch annehmen zu müssen, dass der redende, also doch wol der dich-
ter, nicht von sich selbst, sondern von seinem gewahrsmanne spricht
V. VOGT
und wenn dessen name wirklich der alten sage von Dietrich und Etzel
angehörte, so konte das dann späterhin dazu führen, ihm auch an dem
hier erzählten abenteuer Dietrichs durch zudichtung einen anteil als
handelnde person zu verschaffen.
Trotzdem und trotz ztschr. f. d. a. 6, 438 fg. kann ich bedenken
gegen die annähme nicht unterdrücken, dass dieser Helfrich von Lut-
ringe wirklich der alten heldensage angehörte. Ob dem Zeugnisse des
gedichtes von Dietrichs flucht eine selbständige bedeutung beigelegt
werden darf, ist sehr zweifelhaft, da Heinrich der Vogeler das Ecken-
lied gekant und benuzt haben wird. Die verse von Ortnits tod
dax hat man tu ouch geseit,
ivie in der wurm släfent vant
vor einer wilden steinwant
er truoc in hi?i in einen berc,
die loürme sugen in durch dax werc
(Dietrichs flucht 2238 fg.)
stimmen mit keiner der überlieferten Ortnit- und Wolfdietrichdichtun-
gen überein, auffallig dagegen mit dem Eckenliede. In jenen wird
ausnahmelos erzählt, dass Ortnit nicht an einer felswand, sondern
unter einer linde eingeschlafen ist, als ihn der drache findet; ein
rosen tragen der anger umgibt den bäum nach Ortnit DHB. III str. 565
— 567, eine breite beide, eine au, ein gefilde nach HB ed. Keller
293, 38. 294, 1. 23. Nun weicht Dietrichs flucht freilich auch sonst
in ihren mitteilungen aus Ortnits geschichte von den überlieferten Ver-
sionen ab; aber einerseits steht denselben nirgend so wie hier eine
ganz bestimte angäbe aller in betracht kommenden Ortnit- und Wolf-
dietrichtraditionen gegenüber, und andrerseits klingen die verse so wört-
lich an Eckenl. 21, 9 fg. an —
ein wurm släfende in xeiner xtt
vant vor eins sieines wende,
der truoc in in den holen berc
und leite in vür die jungen:
die sugen in durch dax werc — ,
dass doch entschieden die annähme am nächsten liegt, Heinrich der
Vogler habe diese verse des bekanten, auch von seinem stamm- und
Zeitgenossen Ottokar (Grimm HS 170) erwähnten gedichtes im köpfe
gehabt, als er die fragliche stelle schrieb. Da aber jene verse nicht
in der erzählung von Dietrichs und Eckes kämpf, sondern in der An-
leitung stehen, so hat er ebenso wie Ottokar schon die erweiterte
ZUM BOKENUEDE 9
fassuDg des liedes gekant, konte ihr also auch die Vorstellung ent-
nehmen, dass Helfrich von Lutringen ein held der sage sei. Als
solchen stelte er ihn dann am angeführten orte als blossen Statisten
neben den Helferich von Lunders, ähnlich wie er neb€?n den Witege
noch den Witegouwe und Witegis sezte. Iftir den genossen, den er
analog dem Eckewart beigibt, mag er den sonst nicht bezeugten namen
Eckenot widerum dem erweiterten Eckenliede entlehnt haben (Dietrichs
flucht 4151 fg. 9715 fg. vgl. 5860; Ecke 210 fgg.).
Ist es somit höchst zweifelhaft, ob die echte sage jemals einen
Helfrich von Lutringen gekant hat, so verdient die frage, ob der name
nicht einfach so, wie er überliefert ist, der des dichters sein könne,
umsomehr erwägung, als es denn doch immerhin ohne beispiel sein
würde, dass ein sagenheld unmittelbar als erzähler der sage, zu wel-
cher er selbst gehört, vom dichter eingeführt würde. Das y,uns seit"-
müste man sich, wenn Helfrich der Verfasser wäre, im sinne des vor-
tragenden spielmannes gesprochen denken, ebenso wie die Morolf
CXXXVn behandelten formein und wie vermutlich vers 1840 fg. von
Dietrichs flucht der uns dax tncere xesamne slöx der tiiot uns an dem
buoche kunt — wenn in diesem lezten falle nicht eine Interpolation
der handschrift P vorliegt Auch die nennung des Albrecht von Keme-
naten Goldemar str. 2 passt mehr in den mund eines reproduzierenden
als in den des dichters*. Lutringen (Lutringe DFL, Lutring as) würde
als zuname des dichters wol nicht auf das land, sondern auf einen ort
zu deuten sein. Noch heute gibt es ein dorf Lüttringen in Westfalen
(kreis Soest); als heimat des dichters könte etwa das heutige Liggerin-
gen (aus Liutgeringeo) bei Eonstanz in betracht kommen, welches in
der form Lutteringen in Gallus Oheims Chronik von Beichenau (Lit.
Ver. 84) 48, 21 vorkomi
Die ehre, von dem erweiterer zu einem holden der Dietrichsage
gemacht zu werden, würde dann dem dichter dadurch wider&hren sein,
dass, wenn auch nicht gerade ein Helfrich von Lutringen, so doch ein
Helfrich tatsächlich zu ihr gehörte. Er ist einer von Dietrichs getreuen
(nach DM. ursprünglich einer der unter Etzels schütz stehenden für-
sten), und er findet nach dem Nibelungenliede in den kämpfen mit den
Burgunden an Etzels hof, nach der I'idrekssaga in denen mit Erman-
rich seinen tod, während DFL und Rabenschlacht nur von seinem
tätigen anteil an den lezteren wissen. Nibelungen, Alphart, I^s. nen-
nen ihn schlechtweg Helpfrich (Hjalprikr), DFL und Babenschlacht teil-
weise ebenso, teilweise Helfrich von Lunders. Dass es dieser getreue
dienstmann oder bundesgenosse ist, der durch Eckenlied 59 in die
10 F. VOGT
Vorgeschichte zu Dietrichs und Eckes kämpf hineingezogen wird, kann
nicht zweifelhaft sein, da ihm dort genossen beigegeben werden, die
in den gedichten von Dietrichs kämpfen gegen Ermanrich mit ihm
gemeinsam im bundes- oder dienstverhältnis zu dem Bemer stehen,
nämlich Huc von Tenemark, der im Alphart, Ortwin von Metz, der
in DFL und Rabenschlacht, und liudegast, der wenigstens DFI. 5900^
in dieser Stellung auftritt Dazu passt es denn freilich schlecht genug,
dass eben diese recken im Eckenliede von Dietrich, man weiss nicht
aus welchem gründe, bekämpft werden, dass er den HelMch zum tode
verwundet, die drei anderen, die hier — widerum ganz gegen die
sonstige tradition — als feiglinge erscheinen, sogar totschlägt Ich
vermute, dass es sich hier um eine ganz wilkürliche Verwendung die-
ser namen handelt Der beiname von Lune, welchen Ld an stelle
des von Lutringen dem HelMch beilegen, macht die sache nicht bes-
ser. Ein held dieses namens tritt sonst nur noch in der Yirginal auf,
aber unter Verhältnissen, die widerum mit den im Eckenliede gegebe-
nen umständen ganz unvereinbar sind. Er herscht als herzog (Virg.
538, 12) von Septmer Hf die Tüne, nimt Dietrich und Hildebrand,
der seinen söhn Bentwin aus dem Schlund eines drachen befreit hat,
freundlich auf seiner bürg xe Aröne auf und freut sich noch den tag
erlebt zu haben, dass er den Bemer von angesicht zu angesicht sieht
(184, 8). Dann schliesst er sich ihm und Hildebrand als treuer beglei-
ter und mitkämpfer auf ihren weiteren fahrten an. Also für jenen
kämpf Helfrichs mit Dietrich, von dem die einleitung des Eckenliedes
zu erzählen weiss, ist auch hier nirgend räum.
Solte dies motiv demnach lediglich zu dem zwecke erfunden sein,
um dem in der anfangsstrophe des alten liedes (L 69) genanten Helf-
rich, dessen namen man als den eines beiden der sage kante, auch
einen anteil an der handlung zu geben, so müste man freilich erwar-
ten, dass die episode in einen bessern Zusammenhang mit jener Strophe
gebracht wäre, als er nach den obigen darlegungen besteht Nun wird
aber der durch Dietrich verwundete recke überhaupt nur in einer
Strophe Helfrich genant — auf Eckes befragen nent er seinen namen
und die seiner erschlagenen gefährten — und die Strophe hängt so lose
mit ihrer Umgebung zusammen, dass Ld einerseits und as anderseits
sie ohne nachteil an ganz verschiedenen stellen aufnehmen konten;
weder an der einen noch an der anderen wird sie durch das voran-
gegangene vorbereitet, durch das nachfolgende vorausgesezt, und der
name des verwundeten rittere kann ebenso wie die seiner gefallenen
genossen ungenant bleiben, ohne dass man etwas wesentliches vemüsst
um ECKSNLIBDK 11
Ich halte es für nicht unmöglich, dass sie ursprünglich auch wirklich
ungenant blieben. Der Verfasser der Yorgeschichte hatte dann weiter
keine absieht, als das alte lied von Dietrichs und Eckes Zweikampf durch
die ausführliche Vorbereitung ihrer begegnung zu erweitem. Ein sehr
brauchbares motiv dafür war das zusammentrefPen des den kämpf mit
dem Berner suchenden Ecke mit einem durch den gesuchten verwunde-
ten recken, der ihm die fahrte weist, zugleich aber durch den leben-
digen beweis, den seine wunden für Dietrichs fürchterliche heldenkraft
geben, durch die erzählung vom Schicksal seiner gefahrten und durch
die eindringliche wamung, die er an Ecke richtet, nur umsomehr die
erwartung auf den bevorstehenden kämpf der beiden spant Dies motiv
findet sich nicht hier allein. Ebenso wird schon Farz. 504, 7 fg. von
Oawan erzält, wie er einen todwunden ritter findet, dem er beistand
leistet, der ihm dann den siegreichen gegner nent und ihn eindringlich
vor dem kämpfe mit demselben warnt, währtod Gawan sich so wenig
wie Ecke einschüchtern lässt und auf der fahrte des verwundeten des-
sen überwinder verfolgt Den in der Vorgeschichte Äum Eckenliede
ursprünglich namenlosen verwundeten mag also erst ein interpolator
mit dem Helfrich identificiert haben, welcher in der auf diese scene
folgenden strophe genant wurde, da er diesen namen aus der Dietrich-
sage kante; den beinamen von Lutringen übertrug er dabei um so eher
auf den recken, als dieser nach str. 57 vom Rheine kam; und er legte
seinen gefahrten namen von genossen des Helfrich der sage bei, ohne
sich weiter darum zu kümmern, welche rolle diese 4 beiden sonst in
Dietrichs Umgebung spielen und ohne durch weitere zusätze oder gar
änderungen einen besseren Zusammenhang mit dem anfange des alten
liedes herzustellen. Erst die version as erstrebte dann die engere Ver-
bindung zwischen der erzählung von dem verwundeten Helfrich und
der nennung desselben als berichterstatter über Dietrichs und Eckes
Zweikampf, ohne doch das wunderliche der ganzen kombination besei-
tigen zu können. Ld bemühten sich nicht die kluft auszufüllen, änder-
ten aber das der sage nicht entsprechende von Lutringen in von Lune.
Was die Vorgeschichte sonst noch enthält — Eckes gespräch mit
Yasolt und Ebenrot, sein beschluss mit Dietrich zu kämpfen, sein
gelöbnis ihn vor die 3 königinnen nach Jochgrimm zu bringen, seine
ausrüstung durch diese, sein langes suchen nach dem Bemer (sein
kämpf mit dem meerwunder in Ld) — alles das ist gleichfals für den
kern der dichtung, Eckes und Dietrichs Zweikampf, entbehrlich, und
es fehlt ebenso wie die Helfrich -episode in der I^idreks saga. Die
kurze einleitung, welche diese der begegnung der beiden beiden
12 F. VOOT
vorausschickt, weicht von der unseres Eckenliedcs so volständig ab,
dass an eine gemeinsame quelle hier nicht zu denken ist Dass Ecke
durch die königinnen zum kämpf mit Dietrich ausgerüstet ist und ihn
als gefangenen vor sie bringen will, erfahren wir freilich auch in der
tidreks saga; aber wir erfahren es hier nicht in der einleitung, die
Eckes zusammentreffen mit Dietrich als ein zufalliges erscheinen lässt,
sondern es ergibt sich erst aus Eckes und Dietrichs Zwiegespräch; und
ebenso wird dies im alten liede der fall gewesen sein. Dieses noch
aus der Überlieferung völlig herauszuschälen ist allerdings nicht mög-
lich. Schon die gemeinsame grundlage von Ldas kann nicht mehr her-
gestelt werden, da ja jeder text durch das einführen der cäsurreime
den Wortlaut der quelle wesentlich geändert hat, zudem aber auch noch
augenscheinlich durch die ungenauigkeit einer zwischen den verschie-
denen stufen schriftlicher aufzeichnung liegenden mündlichen Überlie-
ferung bedeutende Umgestaltungen erfahren hat. und weiterhin deckte
sich jene nächste quelle von Ldas, wie auch Wilmanns schon annahm,
nicht mehr mit dem original; wie in ihr zu diesem die Vorgeschichte
hinzugekommen war, so kann sie natürlich auch andere Zusätze und
Veränderungen erfahren haben, eine möglichkeit, die überall zu erwägen
ist, wo innere gründe die durch Ldas beglaubigte version verdächtig
machen, oder wo die I^idreks saga abweicht. Denn diese stimt in der
erzählung von der herausforderung Dietrichs durch Ecke und dem
beginne ihres kampfes mit den deutschen gedichten stellenweise so
überein (ohne sich doch von ihnen oder ihrer nächsten grundlage irgend
abhängig zu zeigen), dass hier der erste teil des originalliedes als die
aUen gemeinsame quelle zu betrachten ist Nach massgabe dieser
umstände aber aus der vergleichung der erhaltenen texte den inhalt
jenes originalliedes zu erschliessen, muss versucht werden, wenn die
hypothese, dass dasselbe erst mit strophe 69 begonnen habe, sich
bewähren soll.
Ob auf diese eingangsstrophe von vornherein schon ein den Stro-
phen L70 — 73, d79 — 82, as58 — 61 entsprechender passus gefolgt
ist oder nicht, lässt sich schwer entscheiden. Es wird hier erzählt,
dass die beiden beiden durch den glänz ihrer das waldesdunkel hell
durchstrahlenden rüstungen zusammengeführt seien, dass Dietrich den
Ecke gefragt habe, warum er ihm nachlaufe, und dass er auf dessen ent-
gegnung, er sei von drei königinnen nach dem Bemer gesant, sich als
diesen zu erkennen gibt Für die ursprünglichkeit dieses Stückes spricht,
dass Dietrich sich sonst nirgend nent, während ihn doch Ecke im fol-
genden kent; femer dass in str. 74 vorausgesezt, str. 69 aber nicht ange-
ZUM BCEBNLIKDE 13
geben wird, dass Ecke hinter ihm herläuft Dagegen falt ins gewicht,
dass Str. 74 mit den werten als Ecke Dietertehen vant, dö rief er
über Schildes rant sich an die erste erwähnung der begegnung der
beiden, also an 69, doch zweifellos besser anschliesst, als an die erzäh-
lung von ihrem ersten Wortwechsel; und dass in as diese folge (69 L
= 63 as, 74 L =* 64 as) wirklich vorliegt, während die fraglichen
sti-ophen hier vor 69 L 63 as stehen (70 — 73L « 58— 61as), wo
sie entschieden noch weniger am platze sind. Betrachtet man sie daher
als einen zugleich mit der Vorgeschichte gemachten zusatz, der in der
einen version hier, in der anderen dort untergebracht wurde, so muss
man annehmen, dass der dichter, wenn er erzählte, dass sich die bei-
den fanden, nicht für nötig hielt anzugeben, wodurch sie sich erkan-
ten; wie denn auch Ecke tatsächlich seinen namen nicht nent, ohne
dass es klar würde, dass Dietrich mit einem unbekanten gegner
kämpfte, auch wenn man die Strophen in L, in welchen er ihn bei
namen anredet, mit Wilmanns für zusätze hält Dass Ecke den Die-
trich verfolgt, kann dann erst aus str. 74 entnommen werden. Die
pidreks saga weicht hier zu stark ab, als dass sie helfen könte die frage
zu entscheiden. Zwar nent sich auch in ihr Dietrich auf Eckes frage,
aber er gibt sich, um ihm zu entgehen, zunächst für Heime aus;
davon, dass die beiden durch den glänz der rüstungen zusammen-
geführt werden, findet sich nichts, und die scene ist, augenscheinlich
erst durch den sagaschreiber, mit dem vorangehenden kapitel von Die-
trichs kämpf mit Yidga in Verbindung gebracht Jedesfals war die
Strophe als Ecke Dietertehen vant ursprünglich nicht wie in L durch
die verse ä7i alliu ros ich her bin kamen durch die dri küneginnen,
also du selbe hast vernomen mit der lezten Strophe des fraglichen
passus verknüpft, denn die entscheidenden werte sind ei*st zugleich
mit dem cäsurreim hineingebracht, vgl. 07i ross so pin ich körnen her
durch drey her konigine, die santen mich noch dem Ferner d, on
rossx so bin ich kommen dann^ mich sandte:^ drey küniginne nach
dir du wunderküner man as — lesarten, welche es sehr wol möglich
erscheinen lassen, dass die erste erwähnung der drei königinnen
ursprünglich erst hier statfand.
Mit dieser sicherlich aus dem originalliede geflossenen Strophe
begint nun auch schon Eckes anpreisung seiner waffen, durch die er
Dietrich zum kämpfe zu locken sucht Ihre einzelnen abschnitte haben
in den verschiedenen texten eine sehr verschiedene reihenfolge. In L:
brünne 75 — 77, heim 78, schwort 79 — 86, biünne (und sahs) 91. 92,
ponit 93 — 95. In d: schwort 85 — 88, heim 89, brünne 91 — 92,
14 F. VOGT
Schwert 93 — 95. In as: brttnne 65, schwert 66 — 67, brünne 74. In
]^s.: heim, brünne, schild, schwert, geldgart Wilmanns hat wol mit
recht vermutet, dass ursprünglich wie in as die die brünne betreffende
ablehnende antwort Dietrichs (as 65, d 92, L 92) vorangestanden hat,
wenn sich auch bei den starken abweichungen der einzelnen texte ihr
Wortlaut Dicht mehr herstellen lässt Aber zwischen ihr und der alge-
meinen erwähnung der sarwät am Schlüsse von as 64, L 74 mag doch
eine Strophe gestanden haben, in der Ecke seine brünne insbesondere
angepriesen hat; wenigstens deutet darauf, dass eine solche Strophe
existiert habe, die Übereinstimmung der verse Er sprach genendä her
an 7nich, eine brünne trage ich Itll und Nun kere Held daher an
mich, von gold ein Brinn die trage ich as 74, während die übrigen
verse dieser Strophe ganz auseinander gehen und weder nach der Ver-
sion L, welche die brünne als weiss (nicht, der sonst herschenden
Vorstellung gemäss, als golden) bezeichnet, noch nach der version as,
welche hier schon zum beginne des kampfes übergeht, dem original
entsprechen können. Sehr bemerkenswert ist es, dass nach der über-
einstimmenden angäbe der drei Versionen in der Vorgeschichte Ecke
die berühmte brünne des Ortnit trägt, während in dem der alten dicfa-
tung entsprechenden teile nirgend darauf hingedeutet wird. Nur L
nimt im gespräche zwischen Dietrich und Ecke einmal auf diese Vor-
stellung bezug in einer Strophe (91), die ihr ganz allein eigen ist, die
an ungehöriger stelle noch einmal wider auf die schon abgetane brünne
zurückkomt und die in ihrem ersten teile nichts weiter ist als eine
Variation von L 87 as 72. Auch die ebenfals nur in L überlieferten
Strophen 75 und 76 scheinen schon darauf hinaus gewolt zu haben,
ohne doch zum ziele zu kommen; wie unpassend sie sind, hat schon
Wilmanns nachgewiesen. Die einfügung dieser Strophen in L zeigt
gerade, dass man hier den Zusammenhang mit der Vorgeschichte noch
vermisste. d suchte in einer gleichfals die brünne, zugleich aber auch
das schwert betreffenden Strophe in ganz anderer weise einen solchen
herzustellen (d 91. 93, 1 vgl. 24. 35); und ähnliche versuche finden
sich hier an anderen stellen, as fügt viel später zwei Strophen ein,
in denen Ortnit als früherer besitzer der brünne genant wird (124.
125); und wie eben diese version auf ganz eigenem wege durch die
auf Helfrich von Lutring bezüglichen zusätze eine bessere Verbindung
zwischen hauptteil und einleitung zu erzielen strebte, haben wir ge-
sehen.
In den lezten versen der die brünne betreffenden Strophe (L 92,
7—13, as 65, 10 — 13) hat Dietrich sich bereit erklärt zu kämpfen.
ZUM BCKSNUXDB 15
jedoch erst am nächsten morgen. Ecke fahrt fort ihn zu reizen durch
den hin weis auf sein begehrenswertes schwort. In der den Ursprung
desselben betrefienden ersten hälfte dieser Strophe stimmen die drei
texte überein (L 79, 1 — 6, d 85, 1—6, as 66, 1 — 6); in der zweiten
hälfte gehen as schon za der aufforderung zum kämpfe über, welcher
Dietrichs entgegnung folgt (as 67 =» L 84), während L und d hier
und in 4 (bezw. 3) weiteren Strophen zunächst noch in der geschichte
des Schwertes fortfahren. Dass dabei L und d in den schlussversen
von L 79 d 85 und in strophe L 82 d 87 auf eine gemeinsame vorläge
zurückgehen, ist nicht minder sicher, als dass der text in d gröblich
entstelt ist d 86 weicht von L zwar sehr erheblich ab, aber sie ist
doch augenscheinlich nichts weiter als die unsinnige Verarbeitung einer
ganz ungenauen Überlieferung von L 80. 81. Und auch in d 88 blickt
bei aller Verschiedenheit von L 83 doch in den versen do er den ris-
sen groß erschlug y er thet im laides gar gentig schliesslich noch die-
selbe quelle durch wie in h da mite er Hugebolden sltwc und worhte
Wunders gar genuoc . . . der . . . was ein rise unmäxen grdx. Der
ganze abschnitt in d wird also nur auf eine unzulängliche und ebenso
ungeschickt wie wilkürlich ergänzte Überlieferung derselben Strophen
zurückzuführen sein, welche in L im wesentlichen getreu widergegeben
sind. Dagegen hat d in 94 eine strophe vor L voraus, die, von den
entstelten anfangsversen abgesehen, aus dem original stammen wird.
Sie ist in d von den übrigen auf das schwort bezüglichen Strophen
durch die, welche von heim, brünne und ortband handeln, getreu t,
stimt aber in den schlussversen mit as 66 überein: nun streit 7nit mir,
du wej'der man ... gewinest dufi mit deyner hani, dich furchten alle
konige, vnd die doch ye getvunnen landt d; tüilt du darumb mein
warteji, et^streitst du das in deine hand, dich förchtend alle künig
t^id die ye gevmnnend land as. Yers 6 und 7 eben dieser strophe
lauten in d: kein heim wart so vesten (:pesten y, 3), man schrit in do
mit als ein swan (lies stvam). An ihrer stelle stehen in as verse, die
sich noch auf die bereitung des Schwertes beziehen, und deren erster
(as 66, 6) in einem holen berge mit L 79, 6 d 85, 6 buchstäblich
übereinstimt, also zweifellos noch ebenso wie die ihm vorangehenden
5 verse aus der quelle Ldas geflossen ist. Andrerseits aber müssen
auch die verse d 94, 6. 7 schon in der quelle von d und as an der
stelle gestanden haben, wo sie d überliefert; denn auf sie bezieht sich
übereinstimmend in der folgenden sti'ophe d 95, 7 as 67, 9 «o e^^ durch
alle heim einsctUecht. Danach ist as 66 jedesfals aus 2 Strophen zusam-
mengezogen, die den anfang und das ende von Eckes schweilanprei-
16 P. VOOT
8ung enthielten und von denen die eine L 79 d 85, die andere d 95
entsprach. Freilich ist damit, dass die zweite der grondlage von d
und as angehört hat, noch nicht schlechthin bewiesen, dass sie auch
schon in der quelle Ldas enthalten gewesen sein muss. Da sie aber
hier der rede Eckes entschieden einen besseren abschluss gibt als L 83,
so wird es doch im hohen grade wahrscheinlich. Dann haben natür-
lich in Ldas die verse 84, 1. 2 auch gelautet: sit dax dtfi swert ist
abd gtwt daxx allen kü^iegen schaden iuot und v. 9: dax man ex durch
die helme slefit.
Dass as mit der beschränkung der schwerti'ede Eckes auf nur
eine Strophe nicht das ursprüngliche bietet, hat sich eben gezeigt In
der gemeinsamen quelle kann die Strophe, deren erste hälfte as 66,
1 — 6 entspricht, noch nicht wie as in die erneute ausforderung aus-
gelaufen sein; Ld müssen hier das richtigere überliefern, indem sie in
der erzählung vom Schwerte fortfahren; die ausforderung machte dage-
gen so wie in d den zweiten teil einer späteren Strophe aus. Ist also
hier in as gekürzt, so ist es auch von vornherein viel wahrschein-
licher, dass as dasselbe verfahren auch sonst in diesem abschnitte
beobachtete, als dass die andere version hier interpolationen erfahren
habe; dass also die für die quelle Ld nachgewiesenen Strophen L80 —
83 nicht in Ld zugesezt, sondern in as fortgelassen wurden, vermut-
lich weil der einer alten, damals wenig bekanten sage entstammende
inhalt derselben wie auf d so auch auf as schon in unzulänglicher und
unverstandener gestalt gelangt war.
Die ursprünglichkeit dieser Strophen wird nun aber auch durch
die I^idreks saga bestätigt, die gerade hier bis ins detail hinein mit L
übereinstimt. Vergleiche: der worhte im knoph und helxen klär als
ein Spiegelglas L 79, 12, oc eftra hialtit er scygt sem gier I*s. 98; die
scheide woi'htens üxer golde, der vexxel tvas ein porte gtiot L 80, oc
oü vmgerd fra hioUmn oc til odx er 7neä raväo gvüi logä. oc fetlar
allir ero gvlli lagäir fs. Das schwort heisst Eckisax Ps., ein sahs
L 80, dieses gewiss statt eines ursprünglichen Eckesahs (vgl. her Ecken
Sachs d 205), wonach denn dem berühmten Schwerte dieser name schon
eigen war, ehe Ecke es bekam; auch l^s. leitet den namen nicht von
Ecca ab, sondern bringt ihre eigene kuriose etymologie. Weiter tra-
gen dann nach beiden Versionen die zwerge (oder der zwerg), von
denen es geschmiedet ist, das seh wert .durch neun königreiche, bis sie
an das wasser kommen, in welchem sie es härten; dies heisst die Dräl
diu da xe Troige rinnet in L, die l}reya in der Ps. Dann geht es in
teilweise wörtlicher Übereinstimmung fort:
ZUM SCKRKLIEDE
17
Dax swert daz was ml lange verholn,
iedoch sd wart ex stt verstoln
von einem argen diebe.
der kam gesUchen in den berc
reht cUsam ein tvilde getwerc.
dem klinge Ruotliebe
dem wart ex stt xe handen brdht:
der künde ex wol behauen,
. . . unx dax stn sun tvuohs xeinem
man
der wart da mite xe ritter,
des menger ?i6i gewan.
En pat sverä var stoUt
oc leynt lengi.
en pat geräi Alfricr dvergr
hinn micU stelari.
Hann com i pat berg . . . leyni-
lega,
oc gaf kann sidan
kononge Roxeldf.
par var pat vel varäveitt
par tu er hinn ungi
Roxeleif bar pat.
oc par med dräp hann marg-
an mann.
Eine L 83 entsprechende Strophe mag I^s. nicht bekant gewesen
sein, im übrigen aber wird man hier die Übereinstimmung zwischen L
und Ps. einfach aus der allen erhaltenen Versionen gemeinsamen quelle,
dem alten Eckenliede, ableiten. Ich kann also Wilmanns nicht in der
annähme beipflichten, dass das L und f^s. gemeinsame zwar alt, aber
doch nicht beiden aus dem originale zugeflossen sei, dass vielmehr die
nächste grundlage von Ldas die betreffenden Strophen nicht enthalten
habe und dass sie erst in L aus einer abweichenden version, die eine
ausführlichere beschreibung des Schwertes gab und die auch der H-
Srekssaga zu gründe lag, in den text eingefügt seien. Wir haben
gesehen, dass sich spuren der fraglichen stücke auch in d zweifel-
los zeigen, ja dass solche auch in as noch erkenbar sind. Dass der
inhalt dieses abschnittes aber auf uns den eindruck einer „überflüssigen
Weiterung macht^, was an sich gewiss richtig ist, kann meines erach-
tens nur wider einmal beweisen, wie wenig wir solchen eindrücken
bei der kritik unserer volksepen trauen dürfen. Wir müsten sonst
auch in der I'idrekssaga das stück für ein einschiebsei halten, denn in
ihr scheint die viel knappere darstellung in noch weit auffalligerer
weise durch diese ausführliche geschichte des Schwertes unterbrochen
und aufgehalten. Die alte sage vom Eckesahs galt dem dichter des
Eckenliedes gewiss nicht für überflüssig; und er brachte sie an, wo
sich ihm die erste gelegenheit dafür bot.
Auf die anpreisung des Schwertes erwidert Dietrich in L 84 d 96
as 67 übereinstimmend, dass er jezt, wo er wisse, eine wie gefahrliche
waffe er gegen sich habe, ein tor sein würde, wenn er sich noch auf
den kämpf einlassen wolte, zu dem er vorhin schon geneigt gewesen.
ZEIT8CHBIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XJLV.
2
18 F. VOOT
Seiner furcht vor dem Schwerte gibt er auch in der f^s. ausdruck: hvi
ma ee pitt sverd fltfia, viedän ec tna eigi malvan pic sia; aber diese
werte leiten hier nicht zur ablehnuDg des kampfes, sondern zu einer
drohenden widerhol ung der erklärung über, dass er den Ecke bei tages-
anbruch bestehen werde. Es ist unsicher, wie sich hier das weitere
gespräch ursprünglich abgewickelt haben mag. Nur in L 85 entgegnet
Ecke auf jene Weigerung Dietrichs, er habe die treflichkeit seines
Schwertes nur erlogen; aber der schluss dieser Strophe, der eine Ver-
wünschung des kampfscheuen gegners enthält, stimt wenigstens in den
versen du mäht wol heixefi Dieterich: dem vürsten da von Beme tuost
aber nicht geltch mit d 97, 12 fg. überein. Besser verbürgt scheint
schon die folgende Strophe (86); denn wenn auch ihr hauptteil, in wel-
chem der Bemer Ecken den Übermut seiner werte vorwirft, L allein
unter den deutschen texten eigen ist, so schilt doch in der Ps. Dietrich
ebenfals nach der schwertepisode Eckes prahlrede, und den schluss
(86, 11 fg.) doch beite unx momunt kome der tac: ich Itd von dtnen
handen, swax mir geschehen mac bietet ausser L nicht allein die Ver-
sion d (106), sondern auch as (69). Auf diese schlussverse folgt in
as (70) die L 99 entsprechende Strophe, welche begint (der Wortlaut
nach L): Her Ecke xomecltchen sprach, ich hcete ouch gerne gtiot
gemach, möhte ex sich gefiiegen . . . nach dir ich vil geUmfen hän.
Das ist gewiss die ursprüDgliche Verbindung, denn diese werte enthal-
ten die unmittelbare erwiderung auf die in 86, 11 fg. (as 69, 11 %.)
liegende aufforderung Dietrichs an Ecke, ihn bis zum morgen in ruhe
zu lassen. Völlig deutlich aber wird das erst durch den nur in L
vorausgehenden vers 86, 9, in welchem der Bemer Ecken vorwirft,
dass er ihn nicht mit gemache lasse. Es wird hier also in L der alte
text, in as die alte folge erhalten sein, sodass sich L 99 ursprünglich
an L 86 anschloss. Dazwischen müsten dann freilich schon in Ldas
die Strophen 97. 98 nachträglich eingeschoben sein; denn es kann nicht
wol auf Zufall beruhen, dass die folge L97. 981—3. 99 der reihe as 68.
69 1—5. 70 entspricht und dass auch d diese anordnung wenigstens noch
durchblicken lässt In str. 97 weist Ecke den Bemer darauf hin , dass
sein lob, wenn er den kämpf meide, bei den Jungfrauen zu schänden
werde und dass er auch seinen bruder Fasolt, der ihn als einen mann
gelobt habe, lügen strafe. Worauf denn Dietrich in str. 98 zunächst
mit einer Fasolts lob betreffenden wendung begint. In den übrigen
versen dieser Strophe gehen alle texte volständig auseinander: L 98,
4—13 stimt mit L 125, 4—13 (= as 106 d 159) fast ganz wörtlich
überein; d, welches ebenso wie L die eiogangswendung in der form
ZUM ECKENLIXDE 19
eines dankes gegen Eckes bruder überliefert, faselt in diesem tone auf
eigene faast noch die ganze Strophe hindurch; as geht schliesslich in
die vorhin angeführten, L 86, 11 — 13 entsprechenden verse über.
Wilmanns, der meint, dass Fasolts erwähnung schon in der einleitung
jüngeren Ursprunges sei, halt (a. a. o. 135 fg.) dem entsprechend auch
die Strophen 97 — 98, die einzigen in der erzählung von Dietrichs und
Eckes kämpf, welche den Fasolt nennen, für später eingefügt Zu der
gleichen annähme wird natürlich neigen, wer die ganze einleitung
überhaupt für einen zusatz hält; denn obgleich ohne diese die erwäh-
nung Fasolts hier an sich wol möglich wäre, so liegt es doch am
nächsten, sie dem zuzuschreiben, welcher die Strophen 8 fgg. gedich-
tet hatte; und dazu komt nun, dass sie zwischen zwei ursprünglich
zusammengehörigen Strophen stehen. Sie werden also in der tat schon
in Ldas interpoliert sein. Wie es aber nicht selten vorkomt, dass als
schluss einer interpolation zur erleichterung des Überganges zum fol-
genden die ihr zunächst vorangehenden echten verse mit oder ohne
Variation widerholt werden (vgl. das in dieser Zeitschrift XXU, 488 fg.
über Orendel 2207—32. 587 — 628. 1315—26 bemerkte), so mögen
auch in unserem falle, der lesart as 69, 11 fgg. entsprechend, die verse
doch beit unx momunt käme der tdc, welche schon die str. 86 abschlös-
sen, zugleich den schluss der interpolation 97 — 98 gebildet haben.
Von den übrigen Strophen, welche in L die Strophe 86 von 99
trennen, finden sich 87 und 88 mit teilweise erheblichen abweichun-
gen des Wortlautes in allen drei Versionen an ganz verschiedenen stel-
len, ohne eigentlich irgendwo zu passen. Ecke verwünscht hier die
wege, die ihn zu dem feigling Dietrich trugen, und dieser erwidert
darauf. Das folgt in as ganz ungehörig hinter str. L 100 as 71 d 104,
in welcher, nach der in dieser beziehung zweifellos ursprünglichen Ver-
sion Ld, Dietrich sich endlich bedingungslos bereit erklärt zu fechten.
In d zerreissen die beiden Strophen die nach dem eben ausgeführten
bereits in der nächsten quelle von jLdas aufeinander folgenden L 98.
99, as 69. 70, d 100. 103. In L schliessen sie sich wenigstens in der
hier vorliegenden, auch durch d bestätigten fassung er sprach: scheid
ich alstcs von dir, sd sott du wol gelouben mir, ich möhte sanfter
sterben schlecht genug an 86, 11 fg. an, wo Dietrich eben gesagt hat,
dass er morgen mit Ecke kämpfen wolle. Viel besser würde das auf
die völlige ablehnung des kampfes in 84 folgen; 87 allein würde hier
an stelle der mangelhaft verbürgten 85 sehr gut am platze sein, aber
88 würde nirgend mehr passen und sie etwa für später als 87 zu hal-
ten existiert sonst kein grund. Ich komme auf diese beiden stropheo,
2*
20 F. VOGT
für die Wilmanns s. 128 übrigens jüngeren Ursprung vermutet, noch
zurück. — Die ausschliesslich in L überlieferten, an sich durchaus
entbehrlichen Strophen 89. 90 sind zu schlecht verbürgt, als dass man
sie schon der quelle Ldas zuweisen könte. Dass für str. 91 nicht
allein dasselbe gilt, sondern dass auch ihr erster teil nur eine schlechte
Variation der grundlage von L 87 d 101, der zweite ein hier ganz
ungehöriger versuch ist, die zurückführung der brünne Eckes auf Ort-
nit aus der einleitung heranzuziehen, hat sich schon oben gezeigt;
ebenso, dass str. 92 zwar alt sein wird, aber nicht hierher, sondern
hinter 74 bezw. hinter eine 77 entsprechende strophe gehört.
Str. 93 — 96 sind dann wider L allein eigen. In ihnen preist
Ecke dem Dietrich noch ein von den königinnen köstlich geschmück-
tes ponit an, welches er vor der brüst trage, erwähnt dann noch ein-
mal die brünne, beschwört Dietrich um aller Irauen ehre willen zu
kämpfen und geht dann mit der bemerkung, dass man ihn mit unrecht
lobe, zu dem inhalte der schon besprochenen str. 97 über. So wie diese
Strophen vorliegen sind sie gewiss erst in L ausgeführt, aber der keim,
aus dem sie erwuchsen, wird schon im original vorhanden gewesen sein.
Was das ponit eigentlich ist, wird trotz seiner ausführlichen beschreibung
nicht klar, und in einer bedeutung, die hier aufschluss geben könte, ist
das wort sonst nicht nachgewiesen, vgl. Zupitzas anm. und Schultz, Höf.
leb. I, 39. Aber an entsprechender stelle, nämlich als lezter der gegen-
stände, die Ecke dem Dietrich rühmt, wird in ]^s. ein geldgurt genant,
und Ekka sagt, wie das gold in diesem, so brenne und glühe
sein herz, weil er ihn nicht erreichen und mit ihm fechten könne; aber
wenn Dietrich es um des goldes und der waffen willen nicht tun wolle,
so möge er doch um der courtoisie der 9 königinnen willen
kämpfen; und aus diesem gründe zeigt sich denn Dietrich auch end-
lich bereit In as wird nach den waffen kein weiteres stück mehr
genant; statt dessen komt Dietrich zum schluss ganz unvermittelt noch
einmal auf die brünne mit den versen as 7-t, 1. 2 zurück, die, wie wir
sahen, sicher nicht hierher gehören (vgl. L 77). Dann fahrt er, wider
ohne Übergang, vers 5 und 6 fort: mein hertx ist heisser dann
ein glut, vor xom so tüill es brinnen, worauf denn Dietrich v. 7 —
13 erklärt, nun wolle er mit ihm kämpfen doch allermeist durch
werde weib und auch durch gottes ehre so wag ich d^n meinen
leib, was abermals mit dem zunächst vorhergehenden in keinem
befriedigenden gedankenzusamraenhange steht. Diesen gewinnen wir
erst durch I*s. Sicher hat im originale Ecke zulezt noch einen mit
gold versehenen gegenständ genant, gesagt dass sein herz noch mehr als
ZXm ECKENLIEDE 21
dies gold (vor kampfgier oder vor zorn) glühe und dass Dietiich, wenn
nicht wegen dieser kostbarkeiten, so doch um der edlen frauen willen
mit ihm sich schlagen möge, worauf denn Dietrich einwilligt Daraus
erwuchs einerseits die breitere ausführ ung in L, andrerseits die aus
trümmerhaften reminiscenzen zusammengestückte Strophe as 74. und
auch in d schimmert wenigstens in Eckes werten 108, 4 fg. tote wee das
meinem hertxen thut: es print vor gir recht als ein glut und in
denen Dietrichs 104, 11 fg. vnd auch durch alle reine weib mid
hie durch got von himel so tvil ich wagen meinen leib eine schwache
erinnerung an die gemeinsame quelle durch. In as folgt nun jene
Strophe (74) unmitelbar auf die vorhin besprochenen, in den drei deut-
schen texten an verschiedener stelle überlieferten L 87. 88. Und in L
schliesst sich an eben diese beiden Strophen jener abschnitt über das
ponit (93 — 96), wenn wir von den erst in L dazwischen getretenen
Strophen 89 — 92 absehen. Strophe 87. 88 mögen also schon in Ldas
mit dem eben besprochenen passus, der as 74 und L 93 — 96 zu gründe
lag, zusammengehört haben, ihm unmittelbar vorausgegangen sein.
Auch dann würde sich 87 an 84 gut anschliessen; aber das ganze
würde sich gleichwol nicht in den Zusammenhang der überlieferten
dichtung einfügen, denn keine der vorliegenden Strophen würde geeig-
net sein es fortzusetzen. Die vergleichung der angezogenen stellen
von as, d und I^s. kann es kaum zweifelhaft erscheinen lassen, dass
Dietrich wie hier so auch ursprünglich auf die beschwörung um der
edlen frauen willen den kämpf aufnimt. Andrerseits aber verbürgt die
Übereinstimmung von L 99/100, d 103/104, as 70/71 für die nächste
vorläge von Ldas die version, nach welcher Dietrich daraufhin den
kämpf aufnimt, dass Ecke auf gottes hilfe verzichtet. Dass sich daran
wie in L so auch schon in jener vorläge die erzählung vom beginne
des kämpf es (LlOl as75 dll3) anschloss, scheint sicher, denn es
zeigte sich bereits, dass die in as dazwischen stehenden Strophen nicht
hierher gehören, und über die törichten einschiebsei d 105 — 112 lohnt
es nicht ein wort zu verlieren. Man wird demnach annehmen müssen,
dass in der quelle von Ldas zwei berichte über den schluss des Zwie-
gespräches zwischen Dietrich und Ecke neben einander bestanden:
einer, welcher in den wichtigsten punkten mit der I*s. übereinstimte
und den Strophen L 87. 88. 93 fg., as 72 — 74 zu gründe lag; ein
anderer, geistlich gefärbter, welcher wesentlich den Strophen L 85. 86.
99. 100 (d 97, 11 fg. 106, 11 fg. 103. 104; as 69, 11 fg. 70. 71) ent-
sprach; dieser leztere muss dann als der jüngere gelten; er wird im
folgenden mehifach vorausgesezt und wird bestimt gewesen sein, den
22 F. VOOT
anderen, älteren zu verdrängen, der dann aber doch neben ihm bei-
behalten wurde.
Die ursprüngliche reihenfolge der Strophen vona anfange des ori-
ginalliedes bis zum beginne des kampfes würde also in der nächsten
grundlage von Ldas diese gewesen sein (ich bezeichne zweifelhaftes
durch runde, schon in Ldas interpoliertes durch eckige klammem,
Strophen, die nur teilweise die quelle durchblicken lassen, durch den
exponenten x): 69. (70—73). 74. 77 '. 92. 79 — 83. d 94^ 84; darauf
a) 87. 88. 93'— 96* bezw. as 74" — b) 85'. 86. [97 — 98]. 99 fgg.
In derselben weise auch noch die erzählung von Dietrichs und
Eckes kämpf bis ins einzelne zu yerfolgen, halte ich, da es sich ja
doch nicht mehr um eine widerherstellung des echten handeln kann,
für unnötig. Die vergleichung der drei texte, die Wilmanns durch
eine tabelle s. 138 fg. erleichtert, zeigt, dass die strophenfolge in den
einzelnen Überlieferungen hier weniger gestört ist, dass aber jede von
ihnen selbständige interpolationen enthält, und dass der Wortlaut der
gemeinsam überlieferten Strophen widerum sehr starken Schwankungen
unterworfen ist. Für das Verhältnis zur einleitung komt eine stelle in
betracht, wo Wilmanns der version as vor der meines erachtens ursprüng-
licheren L den vorzug gibt, nämlich as 77 — 84, L 103 — 107. Nach-
dem Dietrich nach seiner langen Weigerung endlich eingewilligt hat^
nicht erst am nächsten morgen, sondern sofort, trotz der finstemis zu
kämpfen, schlagen nach as 77. 78 die beiden auf einander los, dass die
hellen funken stieben, die äste von Eckes streichen von den bäumen
fliegen und dem Berner zahlreiche hiebe heim und schild versehren.
Da fleht dieser Ecken inständig, dass er ihm, der den tag über gekämpft,
von hunger und müdigkeit erschöpft, von vieren gar sehr verwundet
sei, doch bis zum nächsten morgen ruhe gewähren möge (as 78 — 79).
Ecke erfült diese bitte sofort. Zunächst legt er sich nieder und Diet-
rich hält wache; nach mittemacht weckt ihn Dietrich. Dann schläft
dieser, während Ecke wacht; als der tag naht, schreckt Ecke den Ber-
ner durch einen fusstritt aus dem schlafe und der kämpf begint von
neuem (as 80 — 84). Da ist es denn doch sehr auffällig, dass Ecke,
der zuvor Dietrichs wünsch, ihm die nacht noch ruhe zu lassen, hart-
näckig und höhnisch abwies, nun plötzlich ohne jede Widerrede darauf
eingeht; nicht minder, dass Dietrich mit dem gründe, dass er durch den
vorangegangenen kämpf und die dabei erhaltenen wunden erschöpft
sei, erst jezt und nicht schon bei seinem früheren verlangen nach auf-
schub zum Vorschein komt, wozu er doch umsomehr veranlassung hatte,
als Ecke seinem verlangen nach nachtruhe gegenüber darauf hinwies,
ZUM BOKBNUKDE 23
dass er selbst durch das laufen nach ihm müde genug sei und dennoch
derselben nicht bedürfe, und vollends unpassend scheint es, dass
Dietrich jezt den Ecke wie ein kampfunfähiger um Schonung bittet,
nachdem er ihm eben erst (L 102 as 76) unter der bemerkung, dass
er nicht fingerzahm auch nirgend am leibe lahm sei, mit zornigem
drohen seine überhebung verwiesen hat Wenn nun der durchschnitlich
zweifellos ursprünglichere text L diese wunderlichen dinge nicht ent-
hält, sondern statt dessen eine gut zusammenhangende erzählung bietet,
so wird es gewiss richtiger sein, diese für die ursprüngliche, als sie
mit Wilmanns für die spätere zu halten, die erst der redactor L an
stelle des ihm zu auffalligen abschnittes der quelle eingesezt hätte.
Anschaulich treten nach L in der erzählung des kampfes die einzelnen
momente des Überganges von der nacht zum morgen hervor. Als die
beiden in der finstemis auf einander loshauen, sehnen sie sich
beide nach dem anbruch des tages (103) — nicht vor der zeit,
wie Wilmanns annimt, denn seine Voraussetzung, dass der kämpf schon
am abend begonnen hätte, ist durch den Zusammenhang nicht begrün-
det (s. oben s. 5); erst späte interpolationen in d (106. 110) trugen
diese Vorstellung gegen den Zusammenhang hinein — . Dann lassen
sich die ersten verboten des nahenden morgens, die vöglein
vernehmen, ohne dass die kämpfenden ihrer achten, bis die erschöpfung
sie zu kurzer rast zwingt (104). Darauf hauen sie mit erneuter kraft
auf einander ein; die streiche dröhnen wie donnerschläge, das feuer
aus ihren helmen entzündet die äste, dass rauch wie nebel empor-
steigt, das gras wird niedergetreten, dass es aussieht, als hätte nie
etwas dagestanden (105 — 107). Nun zeigt sich ihnen das licht
des tages. Dietrich erhält einen gewaltigen schlag durch den schild
(108). Die sonne steigt in das gebirge empor: da ist Dietrich
ganz ohne schild und muss weichen (110). — Die version as enthält nur
die beiden lezten momente, d alle vier, bringt aber zwischen dem
ersten und zweiten, d. i. zwischen L 103 und 104 auch noch die as
entsprechende erzählung von Dietrichs und Eckes nachtruhe (d 117 —
122 «= as 79 — 84) und überliefert trotzdem statt der als nötige Vor-
bereitung dazu gehörigen Strophen as 77. 78, welche die arge bedräng-
nis des Berners berichten, vielmehr die L 103 entsprechende Strophe
115, nach welcher die beiden den anbruch des tages herbei sehnen
und nach der gar keine veranlassung zu Dietrichs bitte um waffen-
stilstand erkenbar ist. Es ist klar, dass hier in d nicht etwa die
älteste und volständigste version zu gründe liegt, aus der das eine stück
in L, das andere in as aufgenommen wäre, sondern dass d in die
24 F. VOGT
Version L die version as hinein interpoliert hat; d kann also für die
ursprünglichkeit der episode, welche es in Übereinstimmung mit as
berichtet, nicht die mindeste gewähr bieten. Dagegen wird die Ver-
sion L auch hier widerum durch die f s. bestätigt. Der vergleich des
Schwerterklanges mit donnerschlägen findet sich nur einerseits in L 105
(«» d 125), einer der in as durch die erzählung von der nachtruhe
ersezten Strophen, andrerseits in der I^s. c. 100: ir keime sire erklwn-
gen von grdxen siegen durch den hoc . . . reht als der tvilde dmierslac
von himel kceme gerixxen, vgl. oc sva mikiü gnyr oc storir brestir
ero af hoggom peirra sem hinar mesio reidarprumur. Überliefert
also in diesem teUe des gedichtes L das ursprüngüchere, so ei^bt
sich damit auch die spätere entstehung der einzigen strophe aus dem
der alten dichtung entsprechenden teile der erzählung, in welcher d
und as übereinstimmend auf Helfrich und seine genossen bezug neh-
men: ich meine die von Dietrichs Verwundung durch die viere han-
delnde as 70 d 117. Sie ist nicht anders aufzufassen als die Strophen,
in denen as allein dem Helfrich eine rolle in der erzählung zuweist,
um eine bessere Verbindung mit der später hinzugekommenen Vor-
geschichte herzustellen.
Von den auf Eckes Überwindung folgenden teilen der dichtung
sind für die beurteilung der einleitung nur noch zwei in betracht zu
ziehen.
1. Dietrichs kämpf mit Fasolt. Er steht mit der einleitung in
gar keiner Verbindung und ist demnach gewiss älter als sie, umsomehr
als auch die l^s. ihn , nicht aber die einleitung enthält Die ausführung
ist in der nordischen und in der deutschen Überlieferung eine ganz ver-
schiedene; mir scheint die einfachere nordische ursprünglicher als die
mit anderweitig belegbaren sagenmotiven verbundene deutsche. Doch
ist hier keine Sicherheit zu gewinnen, so wenig wie über die älteste
gestalt der in beiden gleichfals schon ganz abweichenden erzählung
vom ausgange des kampfes zwischen Dietrich und Ecke. Das original-
lied wird übrigens wol schon mit dem lezteren ursprünglich abgeschlos-
sen haben (vgl. Wilmanns s. 135 fg.). Anspielungen auf die einleitung
bringt erst as in die Fasolt -episode hinein (as 167. 176); zur kenzeich-
nung ihres späten Ursprunges genügt schon ihre beziehung auf das
sogar in die einleitung erst nachträglich hinein gebrachte Köln.
2. Dietrichs besuch bei den königinnen. Hier gehen sämt-
liche traditionen derartig auseinander, dass es zweifelhaft wird, ob die
gemeinsame grundlage überhaupt schon ein entsprechendes stück ent-
halten hat. Die {'s. sezt diesen besuch schon vor den kämpf mit Fasolt,
Züli ECKKNUBDE 25
die deutschen Versionen bringen ihn als leztes abenteuer Dietrichs. In
der fs. komt Dietrich nur bis vor die bürg der königinnen; als er
bemerkt, dass sie ihre mannen gegen ihn rüsten, kehrt er um. In as
wird er aufs beste von ihnen empfangen und scheidet von ihnen, nach-
dem sie sich und ihr land in seinen schütz begeben haben. In d wirft
ihnen Dietrich unter den heftigsten vorwürfen Eckes haupt vor die
füsse und reitet ohne abschied davon (vgl. Wilmanns 97). L ist unvol-
ständig überliefert und enthält infolge dessen keine von den drei erzah-
lungen, bereitet aber durch str. 149 fg. die in d überlieferte vor.
Gemeinsam ist also hier nur die Überlieferung, dass Dietrich sich
aufmacht, um die königinnen zu sehen, die Ecken nach ihm ausgesant
hatten. Solte das wirklich schon in der quelle aller erhaltenen texte
berichtet sein, so würde es natürlich schon durch das, was Ecke dem
Dietrich über die königinnen sagte, volständig ausreichend begründet
und vorbereitet sein, und es läge nicht die geringste veranlassung vor,
deshalb etwa anzunehmen, dass in jener quelle die königinnen schon
vor Dietrichs und Eckes begegnung erwähnt worden seien, dass sich
also doch in ihr schon etwas der einleitung ähnliches befunden haben
müste. Aber Eckes bericht von den drei königinnen, vor die er den
Berner bringen will und die den kämpf überhaupt veranlasst haben,
konte auch schon allein den einzelnen Versionen hinreichenden grund
geben, die erzählung anzufügen, wie nun Dietrich wirklich zu ihnen
komt, aber ganz anders als sie es gedacht und gewolt hatten. Ich
halte es für das wahrscheinlichste, dass die angäbe der I'idrekssaga
diesen Ursprung hat Gerade sie, oder diejenige fassung der Ecken-
dichtung, aus der sie unmittelbar floss, hat ja auch sonst die geschichte
jener königinnen selbständig fortgebildet, indem sie aus den dreien
neun töchter mit ihrer mutter macht und über sie in einer kurzen ein-
leitung ihre ganz eigenen angaben vorbringt, denen in den deutschen
texten nicht das mindeste entspricht und die merkwürdiger weise nicht
einmal das nachher in der erzählung des kampfes doch aus dem origi-
nale beibehaltene motiv von Eckes entsendung durch die königinnen
berücksichtigen.
Für Ldas andrerseits bot die Vorgeschichte, die hier hinzugekom-
men war, ganz besonders veranlassung, die geschichte von den drei
auf Dietrich und Ecke wartenden königinnen zu ende zu führen. Dass
Ld und as dies ganz unabhängig von einander taten, ist trotz der völ-
ligen Verschiedenheit ihrer darstellung deshalb nicht wahrscheinlich,
weil in ihnen die scene übereinstimmend auf Dietrichs kämpf mit den
beweglichen bildwerken folgt Sie fügt sich übrigens in keiner von
26 F. voeT
beiden yersionen ganz glatt and widerspruchslos an das Yorangangene.
In as denkt Dietrich nach Eckes Überwindung gar nicht daran, die
königinnen aufzusuchen; er wird erst nachträglich, nachdem er allerlei
weitere abenteuer bestanden, durch FasoU dazu gebracht Als er zu
ihnen komt, ist zwischen ihnen eitel friede und freundschaft, während
er vorher seinen zom darüber, dass sie Ecken auf ihn gehezt haben,
kräftigsten ausdruck gegeben hatte (L 125 as 106). Stimt das nicht recht
zum kerne der dichtung, so steht nun auch mit der Vorgeschichte nicht
recht in einklang, dass die königinnen gottes gnade preisen, weil Diet-
rich sie aus Eckes und Fasolts gewalt erlöst habe, während man nach
der eingangsscene nicht ahnen konte, dass ein derartiges zwangsver-
hältnis bestand und dass sie so sehr den tod eben jenes Ecke wünsch-
ten, den sie dort mit unverletzbaren wafien zum kämpf gegen Dietrich
ausrüsteten. Yiel besser passt inhaltlich zu allem vorausgegangenen die
Version (L)d; sie ist ihm auch von vornherein weit fester dadurch
angefügt, dass Dietrich hier gleich nachdem er dem Ecke das haupt
abgeschlagen hat, erklärt, dass er nun zu den königinnen wolle (L 150.
159. 232. d 214); diese fahrt führt ihn dann zu den weiteren aben-
teuern. Und doch zeigt sich gerade hier noch deutUch die naht, die
das stück mit dem älteren teUe der dichtung verbindet Es ist die
merkwürdige scene, in der Dietrich, als er schon die rüstung des
gefallenen Ecke angelegt hat, von diesem, der nur betäubt war, gebe-
ten wird, er möge ihm das haupt abschlagen, da er doch verloren sei
Dass dieser passus erst später eingefugt sei, hat Wilmanns s. 97 fg.
einleuchtend genug gemacht; ebenso dass in d, wo es fehlt, die erwäh-
nung der enthauptung (d 214) noch ungeschickter ist Die erzählung
von Dietrichs unfreundlicher begegnung mit den königinnen aber hängt
unauflöslich mit ihm zusammen. So verrät die erzählung dieser bege-
benheit, weit enfemt davon, etwa für die ursprünglichkeit der Vor-
geschichte zu sprechen, sowol in der version Ld wie in der version as
ihren späteren Ursprung; hat sich etwa eine der beiden schon in der
nächsten grundlage von Ldas gefunden, so muss sie einer jüngeren
Schicht derselben angehört haben.
Yon denjenigen Zeugnissen über das Eckenlied, welche einen
schluss auf die jeweilige gestalt der dichtung gestatten, setzen nur die
jüngeren die Vorgeschichte voraus, nämlich Dietrichs flucht, Ottokar
und Wittenweilers ring (DHb. V, 289); die älteren sprechen gegen ihre
existenz, nämlich die I^idrekssaga, die Garmina Burana und auch Jans
Enikel. Denn wenn dieser im Fürstenbuch von Österreich sagt (Grimm,
HS 160):
ZUM BOKDIIJKDK 27
vrir habn dicke vemomen,
wie der Bemer (hs. prenner) vxer komen
da er hem Ekken vant,
so hat er doch wol die einleitung nicht gekant, die ja gerade umge-
kehrt erzählt, wie Ecke, gegen Dietrich ausgesant, diesen durch ver-
schiedene Länder hin sucht, bis er ihn endlich findet; vielmehr hat er
auf die an&ngsstrophe des alten liedes bezug genommen (vgl. oben s. 1
V. 1 — 4. 8), ohne sich die erst aus dem folgenden deutlicher hervor-
tretenden umstände der begegnung beider recken genau zu vergegen-
wärtigen.
Aamerkimgeiu
1) Als ich schon im begriff stand diesen aofisats abzusenden, gieng mir Mar-
tins recension meiner gesohichte der mhd. litterator (bd. XXTV s. 229 fg. dieser Zeit-
schrift) mit ihren einwendongen gegen die dort zuerst von mir behauptete abhängig-
keit der Strophen der OB Yon der weise des Eckenliedes zu. Aus folgenden gründen
glaube ich ausser den oben angegebenen, an meiner auffassung festhalten zu müssen.
1) Wenn Martin erwähnt, dass ich a. a. o. die Übereinstimmung selbst nur als eine
fast ganz genaue bezeichnet habe, so will er damit doch wol nicht sagen, dass die
deutsche strophe und die lateinischen in der handsohrift hier nicht ebensowol als
gegenstucke zusammengestelt seien, wie in anderen ffiUen, in denen er sie als solche
gelten Hess und verglich. Tatsächlich stimmen sie ja, von der unbedeutenden modi-
fikation der schlusszeile abgesehen, bis ins einzelste überein. 2) Dass die bildung der
Strophe weit mehr zu fremden als zu deutschen formen stimme, kann ich nicht
finden. Weit ähnlicher wenigstens als die von Martin herbeigezogenen beiden pastou-
reüen, deren abgesang volständig abweicht, ist z. b. Steinmars weise MSH U, 154*
und besonders auch die unter Dietmar von Eäst überlieferte, jedesüeds noch dem
12. Jahrhundert angehörige MF 40, 19, welche bis auf die mangelnde cäsur der lezten
zeile und das fehlen der beiden den anfang des abgesanges bildenden langzeilen genau
übereinstimi Die beiden klingend ausgehenden langzeilen in der zweiten strophen-
hälfte aber zeigen sich dafür z. b. im ersten und dritten Spervogelton sowie beim
jungen Speryogel, und sie bilden wie im Eckenliede zusammen mit einer Verbindung
von stumpf gereimter kurz- und langzeile, nur in umgekehrter folge und mit voller
form der langzeile, den abgesang in dem liede MF 36, 23, welches C zusammen mit
Strophen des jungen Spervogel unter Dietmar von Eist überliefert Der abgesang der
Eckenstrophe besteht also aus kombinationen national -epischer versgattungen, zu
denen sich analogieen schon früher in der deutschen lyrik finden. Dass nun in dem
lateinischen gegenstück die voriezte zeile eine „in der lateinisch -romanischen dich-
tung beliebte und ursprüngliche*^ form hat (Martin s. 231, wo reimzeile statt
reimsilbe zu lesen ist), könte für die bildung der deutschen strophe nach der latei-
nischen doch nur dann sprechen, wenn jene charakteristische form unverändert in
die deutsche fassung übergegangen wäre. Da sich aber statt dessen in dieser eine
auch in der deutschen dichtung beliebte und ursprüngliche form findet, nämlich die
erste hälfbe der epischen langzeile, so sehe ich nicht ein, weshalb diese nicht auf
dem oben angegebenen wege in die beliebte lateinische form verändert sein solte.
Bd Martins aufdesung fehlt auch die erklärung dafür, weshalb in der lezten zeilo
28 F. YOOT, ZÜU ECEBNLIEDE
den 4 hebungen der lateinischen atrophe nur 3 in der deutschen gegenüberstehen. —
Was endlich die reimstellung aab ccb des aufgesanges betiift, so war dieselbe ein-
mal zur zeit der abfassung des Eckenliedes der deutschen dichtung schon bekant
Sodann aber ist es mir zweifelhaft, ob sie überhaupt in diese lediglich »"st aus der
lateinischen oder romanischen übergieng. W. Meyer, Münchener SB 1882 11, 150 fg.
erklärt sie für die lateinische dichtung aus der widerholung der ei'st^n hälfte der
langzoile, zu der dann reimbindung trat. Derselbe Vorgang lässt sich selbständig in
allen einzelnen Stadien in deutsch nationalen strophenformen bestirnt nachweisen. Die
widerholung jener ersten hälfte, der weise, findet sich bekantlich im ersten Küren-
bergston, bei Meinloh und MF. 3, 22; den zutritt des reimes zeigt sodann MF. 4, 35.
Wenn in diesem lezten tone die laiigzeile mit gedoppelter und in sich gereimter
erster hälfte auf eine einfache langzeile gereimt wird (3vr + 4a : 3ob-|-3ub + 4a),
so lässt sich daraus schon durch die naheliegende angleichung der einfachen langzeile
an die erweiterte das in rede stehende Schema auf das natürlichste ableiten. — Die
ganze Eckenstrophe ist demnach gegründet auf die einfache und die reduplizierte
form der alten epischen langzeile, für deren erste hälfte die gestalt 3v oder 4, für
deren zweiten teil die form 3 oder 3u oder 4 zulässig ist; dieser leztgenanten ent-
spricht auch der einzige, vierhebige kurzvers z. 10; für eine zweihebige zeile ist in
diesem System kein platz; so zeigt sich auch von dieser seite, dass die deutsche
form die ui-sprünglichere ist. — Übrigens empfand man auch eine verwantschaft zwi-
schen den stollenversen der Eckenstrophe und einer andern sehr beliebten Volksweise,
jener alten, zuerst MF. 3, 7 belegten abart der Morolfstrophe mit regelmässigem
Wechsel stumpfen und klingenden reimes. Man ergänzte demnach die ersteren nach
massgabe der lezteren, indem man den schon übereinstimmenden drei versen noch
die mit dem dritten reimende langzeile anhängte. Zugleich wurde nun auch der schluss
der Eckenstrophe durch einführung klingenden ausganges und vorschiebung des zur
Morolfstrophe gehörigen ersten reimpaares nach dem gleichen Schema umgemodelt,
so dass sich, unter aufnähme des cäsurreimes aus der 7. und 9. zeile der Ecken-
strophe jüngerer form , folgende weise ergab (die Zusätze schliesse ich in eckige klam-
mem): 4a 4a 3vb [4 + 3ub], 4o 4c 3uC [4 + 3uc]; 4d + 3ve 4d + 3ve, [4f 4f]
3ug 4-{-3ug. Sie findet sich in den unechten Neidhartliedern MSHIII, 296 fgg.
2) Nach Erek 1900 fg. fand der kämpf um den sperber vielmehr vor pfing-
sten statt. Über dasselbe motiv in anderen Artusepon s. Foerster, Christian v. Troyes
m, XV.
3) Falsch ist hier im DHB der punkt hinter v. 5. Das rtuBre von Goldemar
soll doch nicht berichten, dass der Bemer niemals den frauen hold gewesen; es soll
vielmehr erzählen, wie er, der sonst weiberscheue, zum ersten male von liebe
bezwungen wurde. Y. 9. 10 hängen also von v. 5 ab und die drei dazwischen ste-
henden verse sind gemeinsam in parenthese zu setzen.
4) Im Widerspruch damit wird Liudegast DFl. 8629 und Babenschlacht 734
unter Ermaniichs recken genant.
BRESriAU. F. VOGT.
29
IJEDERHAOT)SCHEIFTEN DES 16. UND 17. JAHE-
HUNDEETS.^
n.
Das Uederbnch des prinzen Joachim Karl Ton Braanschwelg.
Die Wolfenbütteler bibliothek bewahrt als mscr. extravag. 264.
26. 4^ eine aus 35 quartblättem bestehende liedersamlung, auf deren
lederdeckel die initialen „IKHZBVLTZS | 1601« eingeprägt sind.
Die deutung der inschrift ergibt sich unschwer aus der Überschrift des
4. gedichtes als: „Joachim Karl, herzog zu Braunschweig und Lüne-
burg, thumpropst zu Strassburg". Der genante prinz war ein jüngerer
bruder des als dramatischer dichter bekanten herzogs Heinrich Julius,
geb. 1573 und gest. 1615. Das liederbuch hat nicht er selbst, son-
dern sein Sekretär niedergeschrieben, wie die bemerkungen zu zwei
dichtungen des prinzen (nr. 22 und 28) beweisen.
1. bl. la: Aus trewen hertzen mein
habe ich mich außerkoren (4 str.).
2. bl. Ib: Venus, ich gern wißen woltt (6 str.).
Auch in einem fl. blatt des 16. Jahrhunderts (Berliner bibl. Yd 7850, 18 nr. 2).
3. bl. 2a: Stetiglich nur an dich gedenckett mein hertze (6 str.).
Auch im Liederbüchlein, Nürnberg, Lantzenberger 1607 nr. 13 und auf einem
fl. blatte des 16. Jahrhunderts (Berlin Yd 7850, 24 nr. 3).
4. bl. 3a: Ach moder die zartt vnd schoen
der eheren eine krön (9 str.).
Überschrieben: Des hern Jochim Carln hertzog zu Braunschweig ynd Lüne-
burgk aufzügk auf dem ringrennen zu Stuckgart — Vgl. über die zu
Stuttgart gehaltenen tmniere E. Pfafif, Geschichte der statt Stuttgart 1,
218—221 (1845).
5. bl. 4b: Qedenck eß, drewes hertz in ehren,
waß ich für schmertz vnd pein (5 str.).
Überschrieben: Des hertzogen von Württenberges liedt. — Gemeint ist wol
herzog Friedrich I, geb. 1557, f 1608.
6. bl. 5a: Bey mir mein hertz gantz iemerUch
sehr quelett sich. (5 str.).
Namenlied: BEATA. — Auch in dem liederbuche des Bostocker Studenten
Petrus Fabricius (Bolte, Niederdeutsches Jahrbuch 13, 55) nr. 7. Lantzen-
bergers liederbüchlein 1607 nr. 8. Val. Haußmann, Newe melodien 1606
nr. 6. Niederdeutsche Volkslieder 1883 nr. 149. "Weller, Annalen 1 , 265
nr.375. Fliegende bU. in Berlin Yd 7850, 29 nr. 1. 32 nr. 4. Ye 1001, 4,
Melodie im lautenbuch des Job. Nauclerus v. j. 1615 (Berliner mscr. mus.
H. 250) bl. 76 a. Dresdener hs. M 297, s. 148. Fried. Tautts lautenbuch
(Danzig X. fol. 25) bl. 49 b.
1) Fortsetzung zu bd. XXII, 397 dieser Zeitschrift.
30 BOLTB
7. bl. 6a: Mus dan die trewe mein
80 ghar aus fiEdschem hertzen
von dir beihonet sein (6 Str.).
Akrostichisches 'namenlied: MABTHA. Ähnlich in Lantzenbergers liedeibüchlein,
Nürnberg 1607 nr. 3. Haußmann 1606 nr. 7. P. Fabricins nr. 8. Ditforth,
Volks- nnd geselschaftslieder 1872 nr.4. Fliegendes bL in Berlin rd7850,
37 nr. 3. J. Naaderos 1615 bl. 43 b.
8. bL 7 a: 0 holdseliges bildtt,
erzeige dich nicht so wildt (9 str.).
Eine Yierstrophige fassuDg bei Regnart, Tentsche lieder 1578 3, 21. Aeist,
De arte amandi 1602 bl. Cv^'a = Hoffinann von Fallersleben, Geselschafts-
lieder 1860 nr. 109. Niederdentsche Yolkslieder 1883 nr. 150. Lantzen-
berger 1607 nr. 27. Allerley knrtzw. tentsche liedlein. Nürnberg 1614
nr. 13. Weller, Annalen 1 , 265 nr. 375. Berliner mscr. genn. qnart 733.
9. bl. 9b: Mit liebes flammen ist gantz entzundt
mein junges hertz, auch engstiglich wundtt (16 str.)
10. bl. 12a: Ach lieb in leidt vnd gefehrligkeit (4 str.).
Namenlied: ANNA. — Anch bei P. Fabricins nr. 56.
11. bl. 13a: Es will, schönes lieb, das hertz in mir
für schmertzen ghar zuspringen (7 str.).
Vgl. Aelst, Blum vnd anflbundt 1602 nr. 82. P. Fabricins nr. 190. Fliegendes
blatt bei Weller, Annalen 1, 263 nr. 363.
12. bl. 14b: Frolich woltte ich singen,
ich kans, ich kans da nicht (7 str.).
P. Fabricins nr. 97. Niederdeutsche Volkslieder 1883 nr. 143. Fl. blatt von
1600 in Berlin (Yd 7850, 30 nr. 2). J. Nauclerus 1615 bL 94b.
13. bl. 10a: Betrübe dich doch nicht so ghar,
nimb selbst dein junges leben whar (9 str.).
Weller, Annalen 1, 264 nr. 366. Fliegende blätter in Berlin Ye 806 nnd 1656 nr. 3.
14. bl. 17b: In einer hirßen jaget
Acteon jung vnd zartt (5 str.).
P. Fabricins nr. 20.
15. bL 18 b: Betrübet ist mir mein hertz
vnd leidett große schmertz (7 str.).
Niederdeutsche yolkslieder 1883 nr. 136.
16. bl. 19b: Ach hertziges hertz, mit schmertz
erkennen thue, ich habe kein ruhe (3 str.).
Überschrift: Hertzog Friedrichen aus Churlandt liedi — Friedrich, der söhn
Gotthards von Eetteler, lebte von 1569—1642. Dasselbe lied bei Böhme,
Altdeutsches liederbuch 1877 nr. 132. Niederdeutsche yolkslieder nr. 142.
Ambraser liederbuch 1582 nr. 37. Celscher 1600 nr. 9. P. Fabricins nr. 23.
Berlin, mscr. germ. fol. 636 s. 28 und mscr. germ. quart 733. Fliegende
blätter in Beriin Td 7850, 8 nr. 3. 12 nr. 2. Ye 321, 1. £. Badeoke,
Vierte^abrschr. f. musikwiss. 7, 321.
LIKDKBHAKDBCHBIFTEN DI8 XYI. ü. XYII. JHB. 11. m 31
17. bl. 20 a: Die fische ihm wafier whonen,
das wildt auch in dem waldt (8 str.).
Böhme, Altdeutsches liederbuch nr. 316 (aus Hainhofers lautenbüchern). Lan-
tzenberger 1607 nr. 21. Bonenherg, Zeitschr. f. d. geschichte der jaden 2,
242 (1888). Weller, Annalen 1, 266^nr. 383.
18. bl. 21b: Megdlein jung mein Sonnenschein,
ach du mein hertziges zuckermündelein (6 str.).
Überschrift: Der Dresensche aufzogk.
19. bl. 22 b: Ach Amor, wie gantz wiederwertigh sein
deine werke dem schönen nhamen dein (8 str.).
Weller, Annalen 1, 265 ni*. 373: fl. blatt vom j. 1601 (Berlin Te 1005). P. Fa-
bricios nr. 80. Berliner mscr. germ. fol. 270 bl. IIb. Mel. bei J. Naucleros
1615 bl. 99a. Dresdener hs. M 297, s. 147. Danziger hs. X. fol. 25, bl. 48a.
20. bl. 24a: Einiges lieb, getrewes hertz,
dir ist verborgen nicht mein schmertz (7 str.).
Weller, Annalen 1, 265 nr. 373: fl. blatt vom j. 1601 (Berlin Ye 1005). P. Fa-
bricius nr. 181. Niederdeutsche Volkslieder 1883 nr. 137.
21. bl. 25a: Aus meinem gemüth ein newes liedtt
will ich singen von einem zartten jungkfrewlein (6 str.).
22. bl. 26b: Oedenckh, schönes lieb, wie schwer mir thutt ankhom-
men (7 str.).
Überschrift: Meines gnedigen fürsten vnd hem hertzogk J. C. liedt, von I. F. Q.
selber gemacht
23. bl. 27 b: Sage mir gut rath, zarth schönes jungkfrewlin (6 str.).
Nainenlied: SOPHIA. — Auch bei P. Fabricios nr. 38. Y. Haassmann 1594
nr. 17. J. Rudeniiis, Flores musicae 16(X).
24. bl. 28b: Betrubnuß vnd trawrigkeitt
mich plagett alle stundt (7 str.).
25. bl. 29b: Scheiden bringett mir schwere plag
von euch, schönes liebelein (7 str.).
26. bl. 31a: Erfreweu thutt mein junges bluett
hertz allerliebste mein (13 str.).
27. bl. 33 b: Mir liebet auf dieser erden
ein frewlein hupsch vnd fein (5 str.)
28. bl. 34b: So scheide ich nun mit schmertz
von dir, mein einiges hertz (6 str.).
Überschrift: Ein ander liedt von meinem g. fursten vnd hem I. C. selbst com-
ponirt. — Ebenso begint nr. 1 eines 1603 zu Augsburg gedruckten fl. blat-
tes (Berlin Yd 7850, 37) und ein lied in Hainhofers lautenbüchern.
Von den hier und dort verstreuten reimsprüchen führe ich an:
bL 9a: Lieben ohne lust, drincken ohne durst, essen ohne hunger:
lebestu lange, so nimbt mir es wunder,
bl. 27a: Gedonckh an mich, wie ich an dich; niht mher begher ich.
32 BOLTI
bL 26»: 80 nuuiDig küb auf bhömen stehet,
to mannig thier auf erden gehet,
80 maimig blam ist auf dem feldt,
so mannig mensch lebet in der weldt,
so mannig tropfe ist im Bein,
so mannig stem am himmel sein:
so viell glückh, heil vndt frewdt
wünsche ich meinem liebsten zu aller zeit
Zu solchen liebesgrüssen vgl. übland, Schriften 3, 261 fg. R M.
Meyer, Ztschr. f. deutsches altertum 29, 128 — 131. M. v. Waldbeiig,
Die deutsche renaissancelyrik (1888) s. 19 fg. 51. Weimarisches Jahr-
buch 2, 92. 113. 241, und auch einen im Wolfenbütteler mscr. nov.
637. 7 enthaltenen glückwunsch Joh. Phil. Ridels v. j. 1679:
80 Tiel die Sommerszeith den Bauern bringet Bokhen,
So viel als Winterszeith hingegen Schnegen flokhen,
So viel am Firmament die schönen Sterne stehn.
So viel im Meer vndt Flussz der Fische annoch gehn,
80 viel alß schwingen sich der Yogiein in den Lüfften,
So viel alß nehren sich der Thierlein in den ElüJSten:
80 viel geh Ihm, mein Printz, der Höchste Glükh vndt Seegen,
An welchen alles ist alleine nuhr gelegen!
Im liederbuche des freiherm Albrecht Ernst Friedrich von Crails-
heim (um 1748 zu Altdorf angelegt. Berliner mscr. germ. quart 722)
8. 386 Str. 3 und in einem £L blatt des 18. jahrh. (Berlin Yd 7909,
32, 1) heisst es:
Bis die wasser aufwärts rinnen
und aU berge neigen sich,
bis kein feuer mehr thut brinnen,
so lang wiU ich lieben dich;
bis die mühlstein tragen reben
und darauf wächst süsser wein,
bis der todt mir mmt das leben,
so lang will ich dein eigen sein,
bl. 35b: I^ms ein ende, des frewen sich meine hende.
m.
Das liederbuch der prlnzessln Lnlse Charlotte Ton Brandenburg.
Auf der bibliothek der Petersburger akademie der Wissenschaften
liegt unter der Signatur XX. L. 5 quart ein liederbuch einer deutschen
fürstin. Es führt den titel:
Tabulatur Büchlein. Der Durchlauchtigsten, Hochgebomen Fürstin TndFrew-
lein, Frewlein Loysae Charlotten, Marggiävin vnd Churfl. Frewlein zu Bran-
denburg, In Preußen, zu Gülich, Cleve, Berge Hertzogin, Mdner gnedigsten
Fürstin vnd Frewlein. Im Jahr 1632. (Pergamentband in hoch 4°).
LnDERHANDSCUKlFTKN DES XVT. TT. XYII. JHS. 11. HI 33
Luise Charlotte, die ältere Schwester des grossen kurfürsten, war
1617 als die tochter des kurfürsten Georg "Wilhelm von Brandenburg
geboren, vermählte sich 1645 zu Königsberg mit dem herzog Jakob
von Kurland (f 1681) und starb 1676 ^ Aus der zeit, welche sie am
hofe ihres bruders zu Königsberg verlebte, rühren die beziehungen her,
die den dichter Simon Dach mit ihr verbanden. In verschiedenen
gedichten* besingt er sie; er feiert vor 1638 eine lustfahrt auf dem
Pregel, an der sie teilnahm, er wünscht 1645 zur Verlobung und zur
Vermählung widerholt glück, ebenso 1648 zur geburt ihres ersten soh-
nes und richtet, als sie 1657 nach Königsberg gekommen war, widerum
ein gedieht an sie. Heinrich Albert widmete ihr und der prinzessin
Hedwig Sophie 1642 die zweite aufläge des 1. teiles seiner Arien. Wenn
dies alles auch noch nicht notwendig auf ein lebhaftes interesse der
fiirstin an der dichtkunst hinweist, so gewint es um so mehr bedeu-
tung in Verbindung mit dem inhalte des 1632 für sie angelegten und
in der folgezeit weiter fortgeführten liederbuches.
Dasselbe enthält zuerst einige stücke in deutscher lautentabulatur
ohne text (Bargomasco, Sarpande Qautiers, Psalm 39 und 134. „Wie
soll mir dan geschehen, wann ich dich meiden solP), dann aber 40
lieder mit ihren weisen in mensuralnoten und einer einstinunigen
begleitung (viola di gamba). Da es von wert ist zu erfahren, welche
lieder damals in der voniehmen geselschaft eingang gefunden hatten,
so wird man die mitteilung eines inhaltsverzeichnisses nicht für überflüs-
sig halten, zumal auf das Verhältnis der komponisten des 17. Jahrhun-
derts zu den werken der gleichzeitigen dichter, wie Opitz, Fleming,
Weise, bisher kaum geachtet worden ist. Von Dach rühren 2 num-
mem (7 und 14) her, beide von seinem freunde Heinrich Albert in
musik gesezt und vielleicht noch vor dem erscheinen seiner Arien
(1638) aufgenommen; aus Opitz' dichtungen entlehnt sind 4 texte (8.
26. 27. 32). Die melodien sind, wie es scheint, aus den werken von
Joh. Hermann Schein (Musica boscarescia 1. 1621), Caspar Kittel (Arien
und cantaten. Dresden 1638. 30 lieder, darunter 16 von Opitz), An-
dreas Hammerschmied (Weltliche öden oder liebesgesänge 1 — 3. 1642
— 1649) und andern, deren nachweisung weiterer forschung überlassen
bleibt, entnommen; viermal, bei nr. 9. 15. 22 und 30, ist der kompo-
nist durch die anfangsbuchstaben W: B: oder Wal: Bo: bezeichnet.
1) K. W. Crose, Curland anter den herzögen 1, 148. 183 (1833).
2) In der bibliographie, welche Oesterley aeiner grossen Dachaasgabe (1876)
angehSngt hat, sind es die nr. 16. 57. 75. 239. 417. 534. 1131. — Ihre hochzeit ver-
herlicht aach J. C. Finx, Preuscher ehrenpreis (Königsberg 1645) bl. Fla.
zicrrsoHiarT f. drutschk PHn.oLoone. bd. xxv. 3
34 BOLTB
unzweifelhaft haben wir darin den , berühmten mosicanten^ Walter
Rowe aas England widerzaerkennen, von dem H. Albert 1645 in der
Widmung zum 6. teil seiner Arien ^ spricht Nur ist es nicht ganz
klar, ob wir darunter den älteren musiker dieses namens, welcher am
24. juni 1614 zu CoUn a. Spree seine bestallung vom kurfürsten zu
Brandenburg erhielt und 1626 sich als violist am mecklenbuigischen
hofe zu Güstrow hören liess, zu verstehen haben oder seinen gleich-
namigen söhn, welcher 1638 mitglied der kurfürstlichen kapelle wurda
Die grossere Wahrscheinlichkeit spricht wol für den älteren Rowe, und
dieser wird auch der lehrer der prinzessin und der Schreiber ihrer lie-
dersamlung gewesen sein. Eigentliche Volkslieder enthält die leztere
gar nicht, wol aber drei französische (15 — 17) und zwei englische (3.
13) lieder. Das erscheinen der lezteren ist bei der englischen abstam-
mung Bowes und dem starken einfluss der englischen instrumentisten
und komödianten leicht begreiflich.
1. Was ich itzundt anfiing zu tichten (12 str.).
2. Wan ich thu ansehn meinen schmertzen (5 str.).
3. DelighÜes why sitzt thou soe, fii la la,
those foulded armes are signes of woe? Fa la la (4 str.).
Dahinter folgt ein deutscher text zu derselben melodie:
Eom, 0 schöne, komme baldt, fa la.
die vöglein singen in dem wald: fa la (12 str.).
4. Frau nachtigall mit süssem schal (3 str.).
Ans JH. Schein, Mnsica boscarescia 1, nr. 2 (1621).
5. Sich da, mein lieber Goridon (3 str.).
Schein a. a. o. 1, nr. 4.
6. Ihr deutschen gutt, wo ist der muth (4 str.).
7. Edler pregel, dessen fluss (5 str.).
Gedichtet von S. Dach s. 574 ed. Oesteriey. Komponiert von H. Albert,
Arien 1, 21.
8. Jetzund kömpt die nacht herbey (9 str.).
Opitz, Teutsche Poemata 1624 s. 92 (über spätere nachahmongen vgl das vor-
trefliche buch Yon M. v. Waldberg, Die deutsche renaissance-lyrik 1888
1) In Fischers neudruck (1883) s. 181. — Über die Bowes TgL L. Schneider,
Geschichte der oper in Berlin (1852) beilage: Geschichte der kurfürstlichen kapelle
8. 27 fg. 33. 40 fg. 44. Chrysander, Niederrheinische musikzeitong 1855 nr. 45 s. 355.
Danach G. v. Ledebur, Tonkünstlerlexicon Berlins (1861) s. 480. — Ein W. Bowe
starb im april 1671 zu Berlin. Kompositionen der Bowes ausser den in unsrer band-
sohii/t vorliegenden haben sich nicht erhalten. Ein der Berliner bibUothek gehörendes
ezemplar von G. Yoigtlfinders Oden und liedem (Lübeck 1650) trfigt auf einem vor-
satzblatte die Inschrift: ,E grege Waltheri B[owe]'^.
LDEDKBHANDSCHBIREN DXS ZYI. U. XVn. JH8. 11. m 36
8. 218 fg.)- Komponiert^ von C. Kittel, Arien (1638) nr. 11 ,8opra Taria
di fioggiero*^.
9. Ach gott, waromb muB ich so lamentiren (10 str.).
Melodey W. B[owe].
10. Ach liebste, laß uns eilen (3 str.)
Opitz 1624 8. 100 ,,im thon: Ma belle je voos prie^. — Komponiert von Kit-
tel (1638) nr.9 und A. Hammerschmied, Weltliche öden 1, 3 (1642).
11. 0 wie bist du, arge weit (16 str.).
12. Es ist warlich betrübte zeit (2 str.).
13. Though you are yongue and I am ould (3 str.).
14. Hie habt ir, jr Jungfrauen (4 str.).
Text von S. Dach s. 422 ed. Oesterley. Melodie von H. Albert, Arien 1, 7.
15. N'obtiendra je rien mon amour fidele (8 str.).
Melodie von W[alter] R[owe].
16. Sejour digne d'un roy, qu'adore Tuniv^ers (2 str.).
17. Jamals vne si belle flame n'entra dans le coeur, d'un amant
(4 Str.).
19. Melancholey ist mein beste plaisir (10 str.).
20. Vergangne freudt, wo bistu hin (8 str.).
21. Yor traurigkeit vnd schmertzen (12 str.).
22. Wie gantz erbärmlich ist doch diese zeit (6 str.).
Melodie von W. R[owe].
23. Nimpfhen, was gedenckt ihr das (12 str.).
24. Amor, du fidsche list (6 str.).
25. Lerne dich wohl kennen zuvor (8 str.).
26. Tugend ist der beste fireundt (4 str.).
Opitz 1625 s. 204. Komponiert TonJ.Weiohmann, Sorgen-lfigerin (Königs-
berg 1648) 1, nr. 0 nnd Hammerschmied 3, 23 (1649).
27. Was wir&tu, schnöder neid (6 str.).
Opitz 1624 s. 88.
28. Diana (Astrea) schon ihr Geladen
liebt sie mit grosser passion (6 str.).
29. Gleich wie das feur, wen mans nicht loscht (4 str.).
30. Adieu all trauren und klagen (6 str.).
Melodey Wal: Bo[we].
31. Oott ist mein heil, gluck, hulff vnd trost (4 str.).
Angeblich von der dänischen königin Sophia (1498 — 1568) gedichtet Waoker-
nagel, Kirchenlied 4 nr. 1018. TgL 5, nr. 261.
1) THe von Waldberg s. 46 erwähnten kompoaitionen von Joh. Erasmns Kin-
der mann zu 13 liedem von Opitz (Opitzianischer Orphens, das ist musikalische
eigetilichkeit, erster teil. Nürnberg 1642) habe ich nicht einsehen können.
3*
36 BOLTB, immiBAllDSGHBlTTKR DRB ZYI. ü. XYII. JB8. II. lü
32. 0 du gott der süssen schmertzen (7 str.).
Opitz 1624 8. fiß nach D. Heinsios. «Aoff die Courante: 8i c'est poor mon
pucelflge*^. — Komponiert Ton Kittel 1638 nr. 20 und von G. C. Dedekind,
Aelbianische mnsenlost (Dresden 1657) bl. Blb. — Eine parodie bei Hom-
bnrg, Schimpff- und emsthafite Clio 1642 bl. G8b. Die melodie ,Si c'est
poor mon pncelage'^, welche auch J. Plavios, Hochzeitsgedichte (1630) s. 17
anführt, findet man z. b. bei 0. L. Fährmann, Testado gaUo- germanica,
Noribergae 1615 s. 38.
33. Alles leidt wendt sich zu mir (4 str.).
34. Eurtz ist die zeit, kortz sind die jähr (6 str.).
35. Man sagt, das treuw sey vber mer geflogen (5 str.).
36. Die pein, so in meim hertzen (10 str.).
37. In lieb vnd leidt jch stehe jm streitt (5 str.).
38. Hier muß ich mich doch yerwondem (4 str.).
39. Wer da will frisch und gesundt
was lang auf erden leben (10 str.).
G. Yoigtländer, Oden und lieder (1642) nr. 57.
40. Das glücke braucht mich wie ein ball (15 str.).
A. Hammerschmied 2, 5 (1643) Dresdener hs. M297, s. 196. — Eine nach-
ahmnng bei J. Sieber, Poetisierende jngend (1658) s. 358: „Ich bin deß
glückes ball, es wirfft mich anff and nieder*^, eine andre bei Schoch, Poe-
tischer lost- und blomengarten (1660) s. 193 nr. 93: „Das glück braucht
mich doch nur zur lust und wirfft mich nach belieben '^.
BERIJN. JOHAm^ES BOLTE.
UNGEDEUCKTE BEIEFE HEEDEES UND SEINEE GATTIN
AN GLEIM.1
29. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 18. Mai 1795.
Wir wollten Ihnen, Herzensfreund, den Dank für die Fabeln*,
die wir sogleich zum Nachtisch gelesen und uns an Ihrem menschen-
freundlichen Oemüth erfreut haben, nicht so lange schuldig bleiben —
nun endlich bringt ihn mein Mann hiebei, und ich lege ihn auf den
Altar der treuen schönsten Freundschaft auf Erden ! * Nur seit 4 Tagen
haben wir die Exempl. und Sie erhalten es sogleich mit dem ersten
Postwagen. 0 mögen Sie unsrer liebend dabei gedenken. — Von den
Briefen der Humanität hat mein Mann noch keinen Probebogen gese-
hen! Ohnerachtet das Manuscript seit 4 Monath fort ist — Sobald
1) Fortsetzung zu bd. XXTV, 368 dieser Zeitschrift
2) Das erste bändchen sendete Gleim am 20. juli 1794. Vgl. die anmerkung zu
nr. 28. 3) Herders Terpsichore.
PAWJUi, BRIEFB HURDIBS AN GLDM 37
Sie kommen, sollen Sie zu Ihnen ^. Lesen Sie indess im 3. Stück der
Hören das eigne Schicksal, es ist von ihm'. — Wielands Freude
muss ich Ihnen doch melden. Seine 4^ Tochter Lottchen, ein artiges,
gar gutes liebes Mädchen heurathet den Buchhändler Gesner aus Zürch,
ein Sohn des Dichters ^ —
Vgl. hiezu Oleims antwortschreiben vom 24. mai, im besondem aber folgenden
noch angedrao]d»n brief Gleims.
Halberstadt d. 2*« Juny 1795.
Ich komme von den Spiegelbergen Herzensbruder! Unter Nach-
tigallgesängen sang Terpsichore. Vortreflicher Gesang! Herder, ihr
Liebling, spielte die Leyer! 0 Herder! Herder!
Wer mag nach Dir die Leyer spielen?
Ich nicht, ich hange sie für immer an die Wand!
Und schwömm' ich, überschwemmt, in lyrischen Gefühlen,
Ich nähme, nähme sie nicht wieder in die Hand!
Du spielst sie wie der alte Spieler,
Dem Felsen tanzten, der den Höllenhund bezwang!
Ich, einst Anakreons, und des Tyrtäus Schüler,
Ein Schüler lausch' ich dir! Vortreflicher Gesang!
Ich sass allein, wo wir einst beysammen sassen, und lass in
den neuesten Briefen zur Beförderung der Humanität: „Der königliche
Jüngling hätte einen Anti-Prencipe schreiben sollen!^ Der königL
JüngUng nicht, der königliche Mann schrieb einen in seinen Schriften,
hin und wieder, in seiner Epistel an seinen Geist, seinen Godicül usw.
Lassen Sie von Einem Ihrer Herder die Stellen zusammenschreiben,
80 haben wir einen Anti-Prencipe. Herrlich ist alles in diesen Brie-
fen! 0 wie werden, wie müssen sie würken. Ach! war' ich ein
Jüngling wie wollt' ich mich würken lassen! „Wenn ich das Schwerste
und Grosseste gethan hätte, habe ich nichts gethan! ich weiss nicht,
dass ichs gethan habe, dem Ziele aber fühl' ich mich näher, ein Bet-
ter, ein Erhöher der Menschheit in mir und andern zu werden, aus
innerer Lust und Neigung^. 0 Herder! Herder! Du bist ein Erhöher
der Menschheit! 0 dass die Götter dir Gesundheit gäben und langes
Leben. Gebt, o ihr Götter! ihm und mir
Das längste Leben! Ihm, dass er
1) Die Sendung erfolgte schon am 2. pfingsttag.
2) «Ich erkannte bey der dritten Zeile meinen Mann^ schreibt Oleim am 24. mai,
,wer ihn nicht sogleich erkennet, ist blind! An jeder Zeile hängt das Wappen sei-
nes Geistes und Herzens!^
3) 9 Sie wären herrliche Menschen^, antwortet Gleim im aogof. br.
38 PAWBL
Uns gebe, was ihr Oötter ihm
Yertrautet, mir, dass ich, was er
uns geben wird, noch alles les'.
Und alles lesen höre! Gebt
Ihm die Gesundheit, die der Mann,
Der für den Magen leben will.
Erfleht von euch, and nicht erhält!
Die gebt, ihr guten Oötter! ihm!
Und hättet ihr derselben nicht,
So bitt' ich, 0 ihr Oötter! nehmt
Dieselben mir, und gebt sie ihm!
Was mir an Leibnitz nicht geföllt? Er wollte deutsche Bath-
schläge schreiben, und schrieb sie nicht, weil etc. An dieses: weil
muss sich kein Leibnitz kehren. Worte werden nicht in den Wind
yerhaucht, sie kommen durch den, der sie eingiebt an Ort und Stelle!
Wer weiss, hätt' er sie geschrieben, ob wir die jetzige Oräuel erlebt
hätten. Hier sind Nesseln! Sie stechen oder brennen nicht scharf
genug, ich weiss es, aber ich Angeschmiedeter, wie kann ich's besser
machen? Ach dass Dir bey mir auf dem Spiegelberge gesessen hättet!
Es war eine Lust wie Himmelslust, ein Himmel, so dunkelblau schön,
wie die Engel nur ihn sehn, und die Nachtigallen sangen wie Herder.
Ich umarme euch herzlich
Oleim.
Lest doch ja die Gedichte der Fräulein von Schlieben. Ich kannte
sie längst aus einer Epistel in kleinen Yersen, die ich in der Samm-
lung noch nicht gefunden habe.
Oöthens Gedicht: Kennst du das Land usw. im 2. Theile y. Mei-
sters Lehijahren möcht' ich singen hören von ihm selbst, es ist vor-
treflich!
30. Herder an Oleim i.
Hier, bester Oleim, sind die Briefe'. Diese 2 Theile enthalten
mehr, als die vorigen 4 enthielten. Gott gebe ihnen Glück und Ein-
gang; Er ist der Menschlichkeit und der Menschheit Yater. Herzlichen
Dank für Ihre Eriegslieder. Gewiss haben wir Sie nicht für einen
Eriegsrath, sondern für einen Friedensfreund gehalten. 0 könnten Sie
nur bald auch der Herold dieser schönen Göttinn Irene werden. Aber,
1) Gleim empfieng den Brief am 3. jnni 1795.
2) Vgl. nr. 29.
BBISn HKBDBB8 AN OLBIM 39
aber! — Der Himmel jage alle dunkeln Wolken vom Horizont unsres
armen Europa und Deutschlands. —
Yale. 2t Ffingstag [1795] in EUe
Herder.
31. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 3. Juny 1796.
ganz bei Ihnen!^ Ihr Wunsch, die Stücke in Bälde angezeigt zu
haben, soll erfüllt werden, sobald er sich findet Das Buch hat sich
seit einiger Zeit yerlohren. Yielleicht kann ich noch einiges diesem
Brief beifügen. Hier ist einstweilen ein vollständiges Exempl. der zer-
streuten Blätter. Die andern 2 erhalten Sie durch Ettinger aus Gotha.
Der hiesige Buchladen ist auch so schlecht, dass man nichts vorfindet
So werden Sie aus Leipzig 2 vollständige Exempl. der Briefe über die
Humanität erhalten, durch den Buchhändler Kummer. Dann folgt noch
hiebei die verlangte 3. und 4. Sammlung auf Yelin Papier. Sodann
ein Exempl. der Terpsichore für den wackem Karsten zum Andenken
von meinem Mann. In Ihrer Nähe werde der Jüngling an Geist und
Herz Ihnen ganz ähnlich. Die 5. u. 6. Samml. der Humanit Briefe
werden Sie nuu auch erhalten haben. —
32. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 7. Dec. 1795.
Uns so ganz und gar zu vergessen!' Ist das recht? ist das
christlich und freundschaftlich? Haben Sie uns kein Wörtchen mehr
zu sagen — keine Ihrer Morgengedanken uns mitzutheilen? Liebster
Freund! Ich habe diese Nacht so viel von Ihnen geträumt, dass ich
diesen Morgen sogleich au Sie schreiben muss. — Werden Sie nicht
auch gerne hören, dass mein Mann fleissig ist?' Senden Sie ihm Ihre
guten heitern Wünsche! Angefangen hat er nun, er muss aber sehr
fleissig seyn, wenn er fertig werden will. (Eine frohe Aussicht auf
künftiges Jahr haben wir: Sie wiederzusehen! Wann und wo, das
sollen Sie noch erfahren. Wenn die Bäume Knospen und Blüthen trei-
ben, 0 dann ist es so schön, die Freunde zu sehn! Oder wenn die
Kirschen sich röthen, sanfte Gottesluft uns umwehet! Frau von Berg
ist im Octob. einige Wochen hier gewesen, mit ihrer Tochter, einem
recht lieben verständigen Wesen. — Im 10. Stück der Hören ist Ho-
mer und Ossian von meinem Mann; im Uten das Fest der Gra-
zien, im 12ten Iduna oder der Apfel der Yerjüngung. —
1) D. 8. 193 zeile 10 von oben.
2) Gleim schrieb das leztenud am 4. September. YgL dazu Gleims antwort-
brief vom 13. december.
3) Herder arbeitete am 3. teü der Terpsiohore.
40 PAWBL
33. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 12. Merz 1796.
Liebster Herzensbruder und Freund, So eben kommt Ihr lieber
Briefe und ich soll mit der rückkehrenden Post bestimmen, wann uns
die glücklichen Tage zu Theil werden sollen bei und neben Ihnen zu
sitzen! Ach liebster Freund, der 2. april hätte Lockendes genug für
uns, ein Einzigesmal das Fest mit Ihnen zu feyem; aber die leidige
Unmöglichkeit hält uns ab nichts anderes in der Welt — Nach
allem Berechnen und Ausrechnen seiner Amtsgeschäfte kann mein Mann
vor Ende July nicht aus Weimar*. —
34. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 7. April 1796.
Verzeihen Sie, allerbester Freund, dass ich Gottfrieds lateinisches
Werk* und seinen Brief einige Tage aufbehalten habe es Ihnen zu sen-
den — es sollte die Terpsichore zugleich mitkommen, die wir nur eben
erhalten haben ^. Möge dieser TheU Ihnen doch auch so gefallen, wie
die ersten. Ich empfehle Ihnen und den zwei Lieben, die Maria,
die meine Schutzpatroninn geworden ist, und die gewiss auch die
Ihrige ist Ihr, wollen wir irgend eine Laube ein heiliges Plätzchen
weihen und im August miteinander dahin wallfahrten, die Herzens-
schwester und Luise werden schon für die Lilien und Rosen sorgen
die wir ihr streuen wollen. Leben werden Sie, und nicht sterben, Sie,
unser Treuester! Das junge, rothe, warme Blut, gegen unser kaltes,
frostiges verbürgt es nicht, dass sie eher auf unsre Gräber Rosen pflan-
zen werden als wir auf das Ihrige? Nein, Theuerster, Sie sterben
nicht und sterben nie! Ende Juli oder Anfang August wollen wir
uns bei Ihnen veijüngen^ wie bei einem Lebensquell. Aus Friedrich
Richter wollen wir das Gold heraussuchen und froh und glücklich
seyn^. Ganz recht hat die Schwester, sagte mein Mann, dass sie ihn
1) Yom 16. m&rz.
2) Siehe Gleims antwort vom 26. märz.
3) Seine dissertation, auf grond welcher er am 19. märz d. j. zu Jena pro-
movierte.
4) Der dritte teil. Vgl. Gleüns antwortschreiben vom 13. april.
5) Herder traf auch am 17. augost in Eisleben mit Gleim zusammen. Vgl.
hierzu die folgenden briefe vom 29. juli, 5. und 8. augnsi Über den besuch selbst
den brief von Herders Gattin an Gleim, Weimar, den 25. august
6) Als antwort auf Gleims äusserung vom 16. mfirz: „Mit allen seinen Sonnen
und Sonnenflecken ist er ein guter, herrlicher Genius, ein Regenbogen, ein Donner-
wetter, ein Veilchen, eine Rose? was ist er nicht alles? auch ein Domstrauch ist
er^. Vgl. auch das urteil von Gleims nichte Dorothea in Gleims brief an Herdera
gattin vom 26. märz. Gleim selbst äussert seine meinung über Jean Paul in seinem
BBIBKS HTODKRS AN GLKIM 41
den desperaten^ nennt Allerlei Namen hat er! an Gemüth ein
Kind, an Geist ein Mann; dies sanft zu verbinden, ist die grosse
Kunst — dies hoffe ich, soll ihm noch gelingen. —
(Nachschrift von Herders hand.)
Hier kommt Terpsichore zuerst^, liebster Gleim, statt meiner.
Nehmen Sie sie froh und freundlich in Ihre Hütte auf. Sie ist zwar
nur ein Echo der vorigen Theile; aber alles in ihr war nöthig. — Die
Br. über die Humanität (die ich mir so sauer werden lasse) werden
zu ihrer Zeit folgen ^. — Dann auch der 2 Th. der zstr. Bl. neue Ausg.
Und weil Sie doch die Theologie vor Allem haben, ein altchristliches,
ächtkatholisches, theologisches opus^. — Richter, den die Schwester
Gleims mit Recht einen desperaten Menschen nent, hats meiner Frau
an-e-than^ (man muss das Wort niedersächsisch aussprechen) und es
scheint Eurem Kreise auch ziemlich. Gestern ist mir im Fixl die Ma-
gie der Phantasie vorgetragen worden, wo dann einige Recepte des
An-e-thans merkbar sind. Es ist eine schöne und reiche Abhand-
lung, sonst kenne ich ihn noch wenig; weil mir die Zeit fehlt, mich
in diesen süssen Abgrund zu werfen. Lebt wohl , ihr Lieben ! — Meine
(einom noch uDgednickten briefe an die frau von Elenk, geborene Earschin bei-
gegebenen) gedichte vom 22. Januar 1800:
Unser Jean Paul ist ein grosser Geist,
Aber seine Witzeskraft reisst
Oft ihn ans den Schranken
Wahrer menschlicher Gedanken
In*8 Gebiet der falschen, und in dem
Zu verweilen ist ihm angenehm!
Waer' er immer ihrer maechtig,
Wenn sie Ueblich oder praechtig
Wie der Aar in hohen Lüften kreisst,
Dann waer' er der groesste Geist!
Und in dem noch ungedruckten brief an dieselbe vom 17. juli 1800 schreibt er über
ihn: j^loh lieb* ihn auch, halt ihn, wie meinen Friederich den zweyten fiir einen £2in-
zigen, wünsche mit ihm zu leben, vne Sie's nur immer wünschen mögen*^.
1) , Dieser Richter*^, schreibt Gleim an Herders gattin am 26. märz, ^ sagte
beim vorlesen seines Hesperus gestern die Nichte Dorothea Gleim , ist ein furchtbarer
Mensch. Heute sagte sie, dass er ein Desperater sey, und meinte sehr was Hohes*^.
2) Vgl. dazu Gleims urteil in seinem antwortbrief vom 13. april.
3) Schon am 16. mai sendet sie Herders gattin an Gleim: „Erst vorgestern
sind die Briefe der Humanität angekommen, und sogleich müssen Sie sie haben*^.
4) Herders Erlöser.
5) Gleim schreibt hierauf am 13. april: j^JtL wohl hats Jean Paul Friedrich
Bichter uns ane-dahn, nicht ane-tan. Wir leben und weben in ihm. Kein Haus,
in dem man ,He hätt et uns anedahn!*^ nicht sagt^.
42 FAWBL
Terps. reicht härteie Eosi Ich wünsche gaten Appetit und Prosit die
Mahlzeit Yale!
35. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 30. Mai 1796.
Veränderlich sind die Gedanken der Menschen und die Dinge die
sie bew^n! Da ich eben heute an Sie, Herzensfreund, schreiben und
unsre Ankunft in Mitte des Juny bei Dinen melden wollte, kommt der
Brief der uns sagt dass Vossens, die wir seit Pfingsten bei Ihnen dach-
ten, erst den 2. Juny zu Ihnen konunen werdend | Döifen wir Sie nun
bitten, Theuerster, uns zu melden, wie lange Vossens bei Ihnen blei-
ben werden? und ob Sie von der letzten Woche im Juny bis zum
20. July frei von Geschäften, frei vom Capitel und von Fremden seyn
werden? Ob sich in diesem Zeitraum 10 — 24 Tage in Ihrem Hütt-
chen für uns finden werden um der theuersten Freundschaft, dem
Wohlwollen und der Liebe ungestört zu leben. Aber ganz aufrich-
tig. — Im Fall einer Hindemiss richten wirs alsdann so ein, dass wir
den 25. July von hier abreisen, d. 26. bei Ihnen eintreffen, und bis
zum 7. August bei Ihnen bleiben, wenn Sie so lange uns behalten
mögen? —
(Nachschrift von Herders band.)
Weimar d. 18. July 1796.
Was meine Frau schreibt, lieber bester Gl. ist alles reine Wahr-
heit, die Sie selbst einsehen. Wir sind in üble Zeiten gefallen, und
mit unsern Kindern in theure Zeiten. Könnten wir uns in Eisleben auf
einige Zeit sehen, so wäre es ein Mittelweg; aber es muss Sie nicht
beschweren. Schreiben Sie frei, wie es Ihnen ums Gemüth ist — Wo
nicht, und Gott uns leben lässt, so kommen wir künftiges Jahr zu
Ihnen. Können wir uns aber in Eisleben ohne Ihre Beschwerde sehen,
wohlan. Job. Paul wird Sie sehr freuen. Von meinen Hum. Br. 7. 8.
haben Sie mir ja noch kein Wort gesagt*. — Leben Sie wohl, bester,
mit Besuchen ermüdeter. —
1) Über Yosseos besuch vgl. den brief an Gleün vom 27. joni 1716 (Briefe
von J. H. Voss heraosg. v. Abr. Voss. Leipzig, 1840. 2. bd. s. 319). Dazu Gleims
naohraf: «Each Götter ruf loh an, die er im Herzen trug,
Wenn er an Leier oder Pflug
Die Hand anlegte, schüzt auf seiner weiten Reise
Den Mann, den edlen Mann, den Mann, der eure Weise
Zu singen aus Jonia,
Aus Andes, aus Sicilia
Verpflanzte**.
2) In dem nicht abgesendeten noch ungedruckten antwortsohreiben yom 20. juü
äussert er: Also hätt' ich meinem Herder über seine beyden letzten Sammlungen s.
BBDR BIBMB8 AM OLBM 43
36. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 29. July 1796.
Wir erhalten so eben Ihren Brief vom 24. liebster Freund. Den
friedlichen Nachrichten des H. Ob. C. Y. Sack können wir nicht trauen,
ünsre neuesten Nachrichten von gestern und heute lauten ganz änderst
Nemlich die Franzosen wollen wirklich in Ghursachsen einfallen. —
Liebster Freund, reisen können wir in diesen Tagen auf keinen Fall;
das sehen Sie selbst Wir wollen nur ein 14 Tage noch abwarten —
da muss es sich doch zu etwas entschieden haben. Und wenn wir
uns erst Ende August in Eisleben sehn, so ists ja immer noch
schön. Mein Mann kann seines Amts wegen nicht weg — und
unser Hauss können wir nicht Preiss geben, wenn sie in unsrer Ab-
wesenheit kommen sollten. Melden Sie uns nur vorläufig, welche
Tage im August Capitultage seyn könnten; damit wir nicht dergleichen
wählen. —
37. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 1. August 1796.
Hier schicke ich Ihnen unsern Erlöser, liebster Freund ! Wenn
es nun schon ein theologisches Buch ist, so erlasse ich Ihnen das
Lesen nicht Wenn Sie Nachts nicht schlafen können so nehmen Sie
es io die Hand; es muss in einer stillen Stunde gelesen werden. —
Briefe zur Beförderang der Hmnanitftt noch nichts gesagt? Kann seyn, kann seyn!
£b wäre kein Wunder; beym ersten Lesen erstaunt* ich, beym zweyten lernt* ich,
beym dritten bemerkt* ich das Schönste, das Beste. Zwischen den dreyen Lesungen
waren der Zerstreuungen namentlich viele; schrieb ich meinem Herder, so win eine
flüchtige Schrerberey. Sollt ich etwas nur, wehrt von ihm gelesen su werden, ihm
sagen, so musst ich Zeit haben aofEuschreiben, und auszustreichen; wie Er ins Beine
gleidi, kann ich nicht schreiben — Herder ist unser grdester Mann, er hat Leasingen
und Windtelmann uns ersetzt, sag* ich den Freunden, die, dass man seine Meinun-
gen ihnen sage. Freunde genug sind; sagt ichs meinem Herder, so wilr es etwas
Überflttssigee! Er ist ein erstannüdier Mann! — Mit allem, was ich lasa, war ich
in hödistem Grade zufrieden, nur nicht mit seinem Schimpfen und Schelten auf die
Deutschen und ihre Fürsten. Bittrer Spott ist's eigentiidli, und bittrer S|X>tt erbittert,
bessert nicht — darüber aber möchf ich meinem Herder nichts sagen, weil ich, die
Stellen anazusdireibeo , ins Knzelne zu gehen die Zeit nicht habe; der schlimmsten
Eine war, wo er des Stnnges erwihnt, was in zweyen Stellen geschiebt, dieee Stellen
hat die MuaeOnoUna zuTetÜssig nicht gelesen, sie wireo gewiss sonst ausgestrichen;
wo sonst alles durdians ToUkommen ist, da wird man durch einen Sommersprossen,
durch einen einzigeD beleidigt! — Heut, Theurer! boÜ^ ich Briefe von Euch zu eriiai-
ten! und den bestimmten Tag zum Abreisen zu erfthren! Sehn müssen wir uns, und
wizen aadi, wies gf tini hieas, die Franzoeen, anf dem Wege nach Leipzig bei
Eudi, 80 müBBflD wir doob in diesem Jalire nodi uns sehn, ich kann sonat nicht
ruhig staibea. Ihr Oleim.
44 PAWEL
38. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 5. Aug. 1796.
Wir erhalten so eben Ihren Brief vom 31. July liebster Freund ^
Die Franzosen . . finden'. Künftigen Montag kann ich Ihnen über
die Gewissheit der Neutralität schreiben und wenn alles gut steht, so
könnten wir den 14 oder ISten in Eisleben seyn; richten Sie sich
vorläufig ein wenig darauf ein^ Eben ... herbei schaffen^. Rich-
ters Portrait sollen Sie mit der Zeit schon bekommen^, ich will mich
darum bemühen. —
39. Herders gattin an Qleim. Weimar d. 8. Aug. 96.
Liebster Freund, man sagt sich für gewiss ins ohr dass Sachsen
einen Separatfrieden geschlossen habe. Wir haben nun nichts mehr zu
furchten und wünschen dass Ihnen der 17. August (der fallt auf
einen Mittwoch) zum Bendez vous in Eisleben angenehm seyn möge.
An diesem Tage reisen wir von hier früh aus und gedenken Abends
8 Uhr in Eisleben zu seyn^. —
40. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 2. Sept 96.
Unendlich haben Sie uns erfreut durch die Nachricht Ihrer glück-
lichen Heimkunft^. — Mein Mann wollte Ihnen heute über Hederich«
sogleich schreiben, aber an diesem mit Arbeit von 7 Uhr an besetzten
Tage, werden Sie ihm verzeihen wenn ich schreibe. Hederich ist ein
1) Zu diesem brief vgl Gleims leben von Körte s. 86.
2) D. s. 211 zeile 12 von oben.
3) Herder und Herders gattin waren am abend des 17. im gasthof zum gol-
denen löwen in Eialeben mit Gleim zusammengetroffen.
4) D. Zeile 1 von unten.
5) Gleim verlangte es für seinen Freundschafts -tempel. Herders gattin schreibt
deswegen an Jean Paul selbst, Weimar, juni, 1797: „Unser Gleim liebt und liest sie
mit allem Feuer der Jugend und Theilnehmung. Ich soll ihm ein Bild, ein GemShlde
nähmlich, von Ihnen verschaffen*^.
6) YgL die anmerkung im vorhergehenden briefe.
7) „Wie war's im goldenen Löwen mir so wohl ^ schreibt Gleim am 17. Sep-
tember an Herder. „So wie wir im goldenen Löwen waren, wären wir auf £rden im
Himmel, so müssen wir immer nicht beysammen seyn! 0 wie waren wii* die zwey
Tage so glücklich!*^ In vollem geföhle seiner Einsamkeit schreibt er:
In dieser Lumpenwelt soll ich noch lange weilen?
In dieser Lumpenwelt, in welcher Wölfe heulen,
Und Schlangen zischen, soll
Ich, zwischen Fröschen, Raben, Eulen
Noch singen? Gnädiger Apoll,
Triff mich mit deinen schärfsten Pfeilen,
In dieser Lumpenwelt ist — ist mir nicht mehr wohl!
8) YgL die folgenden briefe.
BRIEFE HERDERS AN GLEIM 45
ausgezeichneter genievoller Mensch; er hat möglich viel gelernt, ist zu
seinem Schaden die Eantische Philosophie durchgegangen und nahm
hernach zur Medecin seine Zuflucht um wieder menschlich zu werden.
Er verdient Ihre liebe und Empfehlung. —
41. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 18. Nov 1796.
Es scheint mir ein Jahrhundert dass ich Ihnen nicht geschrieben
habe^ — Damit ich nicht leer vor Ihnen erscheine, sende ich Ihnen
als einen Beitrag, die 3 ersten Bogen des 6. Th. der Zerstreut Blät-
ter*. Zwar ist darinnen nur von dem ehelichen Glück die Rede —
ist es aber nicht schön, nicht aufmunternd, dass die Muse diesem
Glück auch einmal ihre Töne weihet! Ein ganz glückliches Ehepaar
wird nicht leicht Krieg mit seinem Nachbar anfangen. — Kurz, lieb-
ster Freund, ich finde die Dichterin Faustina so schön, und glaube
sogar dass sie etwas deutsches Blut in den Adern hatte. Wenn Sie
jetzt nicht Zeit haben hineinzublicken, so muss die liebe Luise daraus
vorlesen beim Caff6e und den stillen Abendstunden. Ich schicke Ihnen
diese Gedichte gegen den Willen meines Mannes, er sagte, einem Dich-
ter solle man keine Gedichte schicken, sie steckten alle in ihm selbst —
er bedörfe keiner fremden. Wenn das so ist, so bitte ich Sie, sie als
Prosa zu lesen. Ich habe diesmal meinem Wülen gefolgt — (Wie
gewöhnlich. Das was mir gefallt, ist das Symbol der Frauen. (Zusatz
von Herders band) ich dachte, was mir gefallt, gefallt Ihnen gewiss auch
— und diesmal behielt mein Mann unrecht —
(Nachschrift von Herders band.)
GeMle Ihnen die Faustina'. Und sei das Capitel glücklich abge-
laufen. Schreiben Sie ja bald^. Ich bin zerknickt und ausgemergelt
Lebt alle wohl, ihr lieben. Euer treuer H.
42. Herders gattin an Gleim. Weimar am 2. Feiertag
d. 26. Dec. 1796.
Ich will den Feiertag mit Ihnen feiern, ewigtheurer Freund! —
Zuerst .. durchwehte Die nächstfolgenden Stücke^ sollen Sie nach
und nach haben. Mir dünkt es sei angenehmer die Stücke einzeln zu
1) Der lezte brief war vom 7. Oktober.
2) Herder begann mit der samlong erst am 24. angost
3) Das erste buch der gedichte und reime des 6. teiles der zerstreuten blätter.
4) Gleim antwortet am 10. dec. (D. I s. 218).
5) D. s. 220 zeile 14 von oben.
6) Der zerstreuten bltttter.
46 PAWEL
lesen. Die liebe Luise ist so gut und nimmt diese einzelnen Bogen
in Yerwahrung bis das ganze beisammen ist und wird alsdann die
Besitzerin davon. Sie erhalten Ihr eigenthümliches auf anderm Papier
wie Yon Rechtswegen. Das erste Buch soll Ihr dedicirt seyn. —
(Nachschrift von Herders hand.)
— reichlich ^ Die Bec. über Yoss Homer hat nicht Böttiger, sondern
OotÜieb Schlegel gemacht*, d. L der ältere Schlegel, der auch den
Shakesp. nun übersetzt, Stücke aus Dante geliefert hat u. s. £ Es
kann kein Krieg werden. Yalete optimi.
43. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 27. Jan. 1797.
Sie Ewigtheurer Freund, haben uns eine Freude mit dem 6e-
burtstagslied gemacht'. Wahrhaftig Schmidt verdient es, dass Sie die
Saiten so, so für in rührten. Jedes Wort ist Wahrheit Nun müssen
die reichen Stolbergs ihm noch eine Klamersruh verschaffen! sie müs-
sen für die Musen es thun, die durch ihn so manche Freuden ihnen
verschafften. Hören Sie, Freund Gottes, das Domcapitel muss die Kla-
mersruh auch bauen helfen — sinnen Sie darüber nach, wenn die
Moigenröthe Sie weckt, Edler Lieber! der Dichter muss nicht erbärm-
lich sorgen, nicht wie die Baupe Blätter nagen — Nectar muss er
trinken mit den Göttern — amen! Helfe Ihnen Deutschlands Genius
dazu. Nun bitte ich um eine Erläuterung der Stelle Ihres Gedichts:
Ein Gottgeschöpf für einen Thron,
macht er aus eines Müllers Sohn!
Darüber hat der Vater, die Mutter und Gottfried jedes eine besondere
Lesart; und ich wette es ist keine die rechte, denn es bleibt in jeder
etwas dunkles. Geben Sie uns Licht, Herzensfreund. Nun müssen Sie
auch dem wiedererstandnen Yoss ein lied singen. Er muss nicht ster-
ben, der treue Yater und Mann. Ich denke mir das Ehepaar wie Phi-
lemon und Baucis — nur mit dem Unterschied dass Sie frt)mme gute
Kinder haben. Wieland hat im Januar 97. den Anfang gemacht die
Musen Almanache zu recensieren. Er musste diesmal einen strengem
Weg einschlagen — der Dichter der Grazien. Künftigen Monath kommt
1) D. 8. 221 zeile 21 von oben.
2) Gleim schrieb am 16. oki an Herder: , Bottiger nimmt an den Katzbalge-
reien gewiss noch keinen Antheil. Die Recension, das ürtheü über Vossens Homer
ist, glaub' ich, von ihm, kann von keinem andern sein.
3) Qleims CÜamersrohe.
BKIEFE HSBDSSS AN GLEDC 47
der Schillersche. Bester Freund, was die |Beyolation nicht vollendet
hat, das vollenden^ die Xenien beim deutschen Pamass. — Aber es
gibt einen Aether über dem Pamass.
Wohlauf dann,
Auf in die Lüfte des heitern Himmels
Urania wird unsre Führerin! —
1) ,I>ie Xenien vollenden '^ mft Gleim in einem briefe an Herder den 1. febr.
1797, ,Ich leg* es aus, die Xenien sind reissende Wölfe, noch ärger als die Jaco-
biner. Die gegen sie ausgegangenen Jäger sind gar schlechte Schützen. Wieland,
hoff* ich, wird sie treffen, nnd so Gott will, der alte Peleiis, Euer Qleim^. Aber
noch am 10. december 1796 schreibt er an Herder: „Wieland war unwillig auf die
Angriffe, die sich Goethe und Schiller gegen mich erlaubt hatten. Wo find' ich diese
Angriffe? In den Xenien hab' ich sie nicht gefunden, und Elamer Schmidt, auf
dessen Commentar Ihr mich verwiesen habt, hat sie nicht nachweisen können, alBo
müssens wohl heimtückische Angriffe seyn, in Schrifteleyen, die ich jetzt nicht mehr
leee. Die Zeit ist mir zu edel geworden! Sie mögen übrigens angreifen, so viel
und so aig sie wollen, mich künunerts nicht, es wäre mir unlieb nur, weil ich mit
ein paar Worten gegen die Xenien mich erklären wollte. Hätt ichs angegriffen, so
schien ich nicht unparteiisch. Sagt mir Einzige, Eure Meinung!^ Bekanntlich erschie-
nen am 2. april 1797 fünfzig stück Xenien Gleim, ,»dem Stifts- und Musenjubüar an
seinem Geburtstag gewidmet*^ als gegenschrift zu den bekanten Schiller -Goetheschen
Xenien. Ygl. hierzu das 36. Pelous überschriebene stück. Darüber Fielitz, Aus der
Xenienzeit in Schnorre Archiv, VI. s. 258 fgg. Bezeichnend ist Gleims urteil in einem
noch ungedruckten brief an frau von Elenke vom 12. oki 1796: „Bald wird auf dem
deutschen Pamasse für ehrliche rechtschaffene Leute nichts mehr zu thun seyn!
Schiller und Goethe sind die reissenden Wölfe geworden, \md morden auf ihm! Sagen
8ie*8 keinem Menschen, Tigern mögen Sie*s sagen; ich habe mit ihnen nichts zu
thun, will mit ihnen nichts zu thun haben. Halten Sie auch die beyden guten Kin-
der bey sich zu Hanse; giengen sie aus, sie würden von den Wölfen zerrissen! Es
ist noch nicht böse genug in der Welt, Goethe dünkt mich ein Tirann, wie Bobes-
pierre auf dem Pamasse '^. Interessant ist Gleims äusserung in einem noch ungedruck-
ten briefe an frau von Elenke vom 14. april 1797: „Yen vor Kurtzem auf dem deut-
schen Pamass erschienenen Weimarischen Faunen der alte Peleus genannt, hat aus
Liebe zu seiner Muse, dem guten getreuen alten Mädchen , eine Göttin ist diese Muse
nicht, sich verfuhren lassen, ein gewisses Etwas drukken zu lassen! Ich leg* es
nicht bey, weils schlecht gedrukkt ist! Wirds noch einmahl, wie ich vermuthe, les-
barer abgedrukkt, dann send* ichs, und sage meiner Freundin, dass die Zeit mit die-
sem Etwas getödtet zu haben, mich gereut, ins Ohr ganz leise i*^ Schiller selbst
äussert bei der angelegenheit über Herders duldsamkeit, mit der er sich des ange-
griffenen Peleus angenommen hatte, an Goethe: „An Herders Confession über die
deutsche Literatur verdriesst mich noch ausser der Kälte für das Gute auch die son-
derbare Toleranz gegen das Elende*^. Vgl. Hoffineister, Bemerkungen zu den Xenien,
im besondem aber Voss, brief an Gleim vom 9. april 1797, und Abr. Voss, Über Toe-
seoB yeifaältms zu SchiUer und Goethe.
48 PAWKL
44. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 19. Merz 1797.
Froh und glücklich hat uns Ihr lieber Brief und Ihte holden
Blätter^ gemacht ewig theurer Freund. Sie haben uns lange warten
lassen, um uns destomehr zu erfreuen. Eben lese ich wieder Amor
und Psyche. Unschuld und Weisheit hat es Ihnen dictirt Auf Rosen-
blättem bringen Sie uns die goldenen Lehren. Wie schön ist Nro 5.
24. 26. 26. 33. 37. 88. 39. 42. 49. 61. 62.! wie schön und treflich
ist alles! Man sollte, man könnte jedes Stückchen mahlen. Das
wären Rosen, unvergängliche Rosen. — Auch für die zwey einzelnen
Gedichte tausend Dank. An mein Vaterland kannten wir schon,
und fanden Ihre Patriotische Seele schon im Titel, so wie im ganzen
Gedicht. Wem schlägt doch noch irgend so das Herz für das Gute.
Auch an Europas grosse Frauen ist vortreflich, wöchten sie doch
beherzigen die Heldinnen und auch verstehen! Die Anecdote mit
der vornehmen Frau ist recht hochadelich! Es ist beinah so schön,
wie wenn die fränkischen (Bamberg- und würzburgischen) vornehmen
Frauen im Eissinger Bad sagen: es ist heute das Modejoumal ange-
kommen, wir lösen aber nich beim Brunnen. Nun auch ein Wort von
uns. — Wo? und wie hat Polens geantwortet? Das hätten Sie hübsch
sagen sollen. Wir lesen fast keine Journale. Wir wollen das Berl.
Archiv jetzt halten. Es sind so hübsche Sachen darinnen, auch um
Ihrentwegen. Es sollen Parodien der Xenien herausseyn worunter Hal-
berstadt steht Von w^em sind sie? ich habe sie nicht gesehen; nach
allem was ich von ihnen gehört habe, können sie nicht von Ihnen
noch von Schmidt seyn; und so trage ich daher kein Verlangen dar-
nach. Hier ist nun das vollständige Exemplar der zerstreut Blätter,
Allerbester; Ihre Theilnehmung und Beifall ist süsser Lohn. Die Ge-
dichte und Legenden sind auch meine Lieblinge 2. Die einzelnen Rosen
gehören der holden Luisa. — Noch etwas sehr gutes muss ich Ihnen
sagen. Wieland hat in vergangener Woche ein nahegelegenes Gut mit
einem schönen grossen Haus für 22000 Bth. gekauft und zieht mit der
ganzen Familie im Frühjahr hin. Lesen Sie sein Briefchen hierüber
und freuen Sie sich, dass sein guter Genius ihm manches Herbe jetzt
durch seinen ländlichen Aufenthalt versüssen will. Er ist ein vortref-
licher Vater, und verdiente ein grösser Geschenk von der deutschen
Nation, als diese 20000 Rth. die er nur durch das Wunder seiner
1) Oleim sendete am 1. März sechs Exemplare von Amor und Psyche.
2) So schreibt er auch schon am 30. dec. 1796 an Qleim: „In den zerstreu-
ten Blättern kommen Legenden, für die Ihr mich als einen Kirchenvater yerahren
sollt».
BBISFB HERDERS AN eLEIM 49
neaen Ausgabe erhalten hat Nun, freuen v^ir uns mit ihm über sein
Sabinum, und wünschen ihm die schönste Abendröthe des Lebens.
Mündlich habe ich ihn noch nicht gesprochen; er wollte heute kom-
men, ward aber zur Herzogin Mutter gebeten. —
45. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 14. July 1797.
Theurer Einziger Freund. Sie werden es mir verziehen haben,
dass ich meinen versprochenen Brief bisher nicht geschickt habe^ —
Herr Merkel^, den Sie so freundlich aufgenommen und einen so 1.
Brief auch ihm geschickt haben, ist so ganz zufrieden und entzückt
von Ihnen gekommen, und hat uns durch die Nachricht erfreut dass
Sie sehr sehr wohl und munter sind, und unser liebevoll gedenken.
O das ist alles was wir wünschen. Nun rückt allmalich der August
heran, wo wir Sie sehen sollen geliebter Freund^. Wie stehts aber
um Ihre Harzreise, die Sie diesen Sommer zu den gräfl. Stolbergischen
thun werden?* und wann erwarten Sie Voss? Fast vermuthe ich, dass
Sie im August noch nicht vom Harz zurückseyn werden, und dass wir
mit unserm Besuch jetzt ganz zur Unzeit kommen. Mein Mann und
ich haben schon darüber deliberlrt wie, welche Zeit wir wählen um
Ihnen nicht lästig zu kommen. —
Denken Sie, der trefliche Hederich ist vor 6 Wochen an einem
Nervenfieber ohnweit Wien gestorben: Eine so glückliche Organisation
80 frühe aufgelöst Zu der Zeit da alle Fremde Wien räumen mussten
und er (aus Mangel vielleicht) nicht wohl zurück kommen konnte, so
ging er als Feldarzt mit ins Feld und musste nun in einem Feldlaza-
reth seinen Tod finden. Es ist nur Eine Stimme, Eine Klage um ihn.
Nun er ruhe sanft! und wohl denen die ruhen.
46. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 24. Sept 1797.
Einziger Freund. Tausendmal Verzeihung wegen meines Still-
1) Mit bezug auf ein in dem briefe vom 9. juni gegebenes versprechen, „näch-
stens durch die Post ein Hehreres zu schreiben''.
2) Der bekante gegner Goethes und der romantiker. Vgl. den eingang dieses
briefes und Gleims brief vom 17. juni d. j.
3) „Voss und Herder besuchen mich im Hüttchen'', schreibt Gleim an frau von
denke am 28. nov. d. j. Über Herders mitte august erfolgten besuch siehe den brief
von Herders gattin an Gleim vom 25. aug. d. j.
4) Gleim unternahm zwei reisen, die eine nach Dessau, Leipzig, Halle, Gie-
bichenstein, Aschersleben, Magdeburg, die andere nach Braunschweig, wohin auch
Voss gereist war. 8iehe Gleims brief an frau y. Klenke vom 2. aug. d. j.
nOTSCHRIFT F. DEÜTSCHIC FBTLOLOGIE. BD. XXV. 4
so PAWBL
Schweigens. — Auch möchten wir gern von Ihrer grossen Heise etwas
hören. Böttiger sagte uns, dass Sie nach Leipzig gegangen sindK —
(Nachschrift von Herders Hand.)
Willkommen zu Hause, Ihr Lieben, von Eurer schwärmerischen
Reise nach schönen Gärten und Lustörtem. Wir sind frommer wie Ihr;
wir reisen nach Menschen und zu Menschen. Nun sitzen wir zu Hause
und ich stehe den Tag über vorm Pult Gearbeitet ist in der 2^it
nichts oder wenig; die Tage vergehen wie im Schlaf. — Die Musen
sind fem und der 1. Geist, nach dem Begrifi der Schwester Gleminde,
hölzern. Die Bücher kann ich also auch nicht zurückschicken: denn
ich habe sie noch nicht gebraucht Danke für den Luther; ich wollte,
dass Sie mir auch etwas von seinem Muth geschickt hätten, der mir
ganz fehlet Wenn ich Eine Seite seiner Schriften lese, entfällt mir
der Meinige ganz und gar. — Sie, liebster Gleim, wird Wörlitz ohne
Zweifel zu etwas Neuem begeistert haben; sie sind noch aus Luthers
Jahrhundert und Geschlecht; wir sind die peior progenies. — Was sagen
Sie zu den neuen Auftritten? Ach, in welche Zeiten sind wir gefal-
len! und was werden wir noch erleben? Der Himmel stehe uns und
den IJnsrigen bei. In Amerika die schreckL Erdbeben; in Europa ein
Auflösen aller Bande der Treue und liebe. — Wir, ihr Lieben wollen
einander treu seyn und bleiben; auch der Tod soll uns nicht scheiden.
Lebt alle herzlich wohl.
47. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 16. März 98.
— nun wieder*. Es wird nun ernstlich auf eine Badreise gedacht
Wenn es bestimmt ist, so will ich Ihnen schreiben. Schade, dass
Lauchstädt, wohin Sie diesen Sommer gehen werden, nicht das Bad
ist das ihm Hülfe bietet Schwefeldampfbäder sind die einzigen die
ihm helfen. Und so werden wir Sie mit der Herzensschwester und 1.
Luisen hier in loco bei uns sehen, nach der Badezeit — Dass Sie
sich des Catechismus^ so annehmen freut meinen Mann gar sehr. Die
1) Vgl. die anmerkung zum briefe vom 14. juli. Über die reisen selbst ygL
noch Gleims briefe vom 19. sept und 8. okt d. j.
2) D. 8. 238 zeile 6 von unten.
3) Gleim hatte ein ezemplar an einen seiner Berliner verwanten, den gehei-
men tribunalrat imd oberconsistorialrat Lamprecht mit der bitte gesendet, es dem
oberconsistorium zum zwecke amtlicher einfahrung vorzulegen. ,Mein Eatechismus*^
schreibt darüber Herder an Gleim als nachschrift zu dem obigen briefe, i,mid in
Fteussen nicht eingeführt werden; dazu sind Eure Pröbste zu aufgeklärt '^. Yg^.
Gleims antworbschreiben vom 31. mfirz.
BBUEFB HKRDKB8 AN aUOM 51
erste Auflage war in den ersten 4 Wochen vergriflFen; die 2te musste
sogleich fertig gemacht werden. Er wird auf der Messe zu haben seyn.
Wollen Sie indessen noch Exemplare von hieraus haben, so befehlen
Sie wie viel? Bald schicke ich Ihnen einen neuen Theil christl. Schrif-
ten*. Nun leben Sie tausendmal wohl. —
48. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 11. Nov. 99.
Ich habe Ihnen auf Ihren lieben Brief auf der Stelle antworten
wollen, einziger treuer Freund, wenn ich gekonnt hätte. — Hier ist
der Scfaülersche Musenalmanach. Sie müssen ihn aus unsrer Hand
haben, da die Buchstaben v. E. f. von meinem Mann sind. SchiUer
hatte ihn angelegentlich um Beiträge gebeten in dem Augenblick als
gedruckt wurde und das Gedicht der Fräul. v. Imhof nicht den Kalen-
der ausfülltet In wenig Wochen schicke ich Ihnen etwas besseres,
einen Naturhymnus von Schaftesburi, den auch Sie gesungen haben so
vielfach*. Das rechte Gefühl hat nur eine Stimme. — Dank, Dank^
49. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 14. Febr. 1800.
— ahnden*. Die Stelle von Amor und Psyche Gott weiss wo sie steht!
mein Mann hat sich selbst rein vergessen^. Wir haben in den zer-
1) „Wenn die geistlichen Schriften ankommen, denn ist mein Festtag!^ schreibt
Gleim ao Herder am 2. mai. Bald daraof kamen sie an. Vgl. den folgenden brief
und Gleims dankschreiben an Herders gattin vom 9. mai d. j.
2) Vom 27. Oktober d. j.
3) Vgl. Gleims antwortschreiben yom 27. november.
4) Die Sendung erfolgt nebst beilage von Herders neuerdings ausgegebenem
yGott*' am 27. december.
5) D. s. 262 zeile 1 von oben.
6) D. s. 267 zeile 13 von oben.
7) In dem noch ungedruckten brief vom 6. Januar 1800 schreibt Gleim: ,In
einem Ihrer Werke, lieber Freund, lass ich: die schöne Mythe von Amor und Psyche
wäre nicht genug genutzt, imd wurde begeistert zu meinem Amor und Psyche. Nun
such ich dieses gelesene und kann's nicht finden, und muss es wieder lesen, eh ich
meinen mit schönen Zeichnungen versehenen Amor aus der engen in die weite Welt
versende. Haben Sie L Fr. doch die Güte, die Stelle dieser Auferweckung der schö-
nen Fabel mir anzuzeigen. Sie sparen mir den Ärger über mich selbst, dass ich
nicht besser im Gedächtnis sie behalten habe*^. In demselben briefe äussert er über
Herder: ^Sie thaten so viel, als menschliche Kräfte thun konnten; standen im Dienste
der Menschheit auf einer der höchsten Stufen. Von den kritischen Wäldern bis zur
Ausgabe dee Kleinsten ihrer Geistesmuse solche Bäume! welche Früchte! Im Tem-
pel der Humanität waren Sie bis zu seiner Einreissung als erster Priester, sahen ihn
einreissen, und waren, soll iohs heraussagen? nur mir vielleicht zu geduldig; sehn
die Träumer gerathen in ein heiliges Feuer, schlagen uns die bösen Geister, die so
stolz vor ihren Augen auf den Trümmern sitzen , nicht mit ihres Geistes Schwert und
4*
52 PAWXL
streuten Blättern nachgesucht, aber vergebens. Man wird Ihnen ja die
angeführte Stelle glauben. NB. Briefe der Humanität 6. Sammlung,
p. 11. da steht es. Unendlich freuen wir uns auf Ihren mit Zeichnungen
versehenen Amor und Psyche. Ja wohl ist in dieser Mythe alles was
schön und erhaben in der menschlichen Seele ist — wo Psyche das
Wasser des Lebens holt — gibt es was erhabeners? —
50. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 3. Mai 98.
Theuerster liebster Freund. Anstatt Einem Theil christl. Schrif-
ten, schicke ich Ihnen zwei. Scheuen Sie sich nur nicht vor den
dicken Büchern; das Papier ist Ursache daran; auf gewöhnüchem Pa-
pier sinds nur 2 dünne Bändchen. Diese wünschen denn nun, in
Ihren stillen Morgenstunden von Ihnen gelesen zu werden. Ich wünschte
dass der Inhalt der 5ten Sammlung Sie reizen möchte. — Ihr Urtheil,
Ihre Empfindung, Ihr Beiüedl gilt meinem Mann für 1000 Leser. Aus
Ihrem Herzen hat er gewiss geschrieben; lassen Sie uns das Echo
bald hören K — Vorigen Sonntag hat Wieland eine Tochter von 14 Jah-
ren, Wilhelmine, an der Auszehrung verlohren. Es war ein vorzüg-
liches Mädchen voll Gutmüthigkeit und Orazie, auch hatte er sie sehr
lieb; und leider ist sie gestorben da Yater und Mutter hier in der
Gomödie waren. Leben Sie wohl einziger Freund. —
51. Herder an Oleim.
An Ihrem Geburtstage, liebster Gl. muss an kein Weggehen der
Freunde gedacht werden; vivamus, dum vivimus et nos amemus'. Dies
sei unser Motto, wie bisher, so fortan.
Der Frühling kommt; er wird mit allen seinen Blumen kommen
und den Minnesinger, den vielfachgeliebten und bekränzten kränzen.
Ist auch Einer, sind auch zwei, die ihn mit bekränzten nicht mehr
sichtbar, sie feiern sein Fest droben.
Wir in unserm Kreise. Der Geist waltet hinüber. Richter ist
noch mit uns und feiert es mit; der Sommer wird ihn wahrscheinlich
Feaer, thatens aber so schonend, so human, dass die Einreisser ihre Schlage nicht
fühlten! Sie schlagen mit Simsons Schwert drein und Schande fioss von der Ver-
brecher Wanden! Böse Buben bewarfen den hohen Priester mit ihres Geistes
Schneebällen, und wohl vielleicht, ich weiss es nicht, ich komme nicht aus dem
Hüttchen, mit etwas Ärgerm. Diese moss mein Herder werfen lassen, nur wie ein
Fels im Meere stehen, die Schaumwellen stossen sich an ihm zurück '.
1) Vgl. die anmerkung zum vorhergehenden briefe.
2) Gleim hatte am 22. mfirz geschrieben: „Laset uns, so lange wir hier noch
sind, hier sein for einander!^
BBUR HMfl>lB8 AB 6LIIM 53
aach von uns rafen^, aber vor der Hand nicht in eine andere Welt,
als die Hymenäas' ihm anweiset Yale, dam Tivirnas, et nos amemus.
Yale, yale, valete. Unser Herzog ist bei Elopstock in Hamburg gewe-
sen, der wohl auf ist; mich freut herzlich der bejahrte Jüngling. Oleim
und Elopstock sind meine Götter der alten Ordnung; das übrige ist
meist alles junges Gemüete.
Mein ist der alte Wein!
Der alte Wein ist mein;
Den jungen mag ich nicht
Wie Jesus Sirach spricht
und er sprach recht Ist Dmen das Magimum oder Archimetrium latei-
nisch, und ein paar Bogen desselben Yerf.(assers) die Grelehrtenwelt
deutsch zu Händen gekommen? Wo nicht, schicke ich Ihnen die
letzte: denn des lat Buches überhebe ich Sie gem. Hinten ist auch
eine namentliche Anrede an Richter.
Nochmals herzlichen Wunsch, mehr als Glückwunsch, Geliebter,
unsem besten Gruss unserer Schwester, Himli's, Dohms, und wer Ihren
lieben Tag feiert H.
52. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 21. April 1800.
Einziger! Die Beschreibung Ihres Festes hat uns unendlich
gefreut, und vor allen der Yogel der Sie früh morgens begrüssta 0
wir sangen aus diesem Yogel! Ihre entfernte bezauberten Freunde
waren in ihm. Das hat die Herzensschwester gewusst Aber, Bester,
wir müssen alles haben was geschrieben und gedruckt worden ist, auf
diesen Tag — halten Sie es uns nicht vor Theuerster!' Unser Mit-
1) Er war schon mitte kommenden monats nach Leipzig imd von da mit sei-
nem Verleger Matzdorf nach Berlin gereist
2) YgL den brief von Herders gattin an Gleim vom 23. mai d. j. Dem biief
fehlt die Zeitangabe. Dem inhalte nach dürfte er gegen mitte des monats april
abgetest worden sein. Herder fügte zu seinen briefen selten ein datom hinzu, so
dass steh seine freonde fortwährend beklagten, er schreibe seine briefe sine die et
oonsole.
3) Bald darauf sendet Oleim das für den 2. april bestirnte gedioht mit einer
widmang für Caroline Herder:
Den 2ten April 1799.
Lasst mich meine Muse lieben!
Wenn ioh ihr getreu nicht war,
Ist sie nyr getreu geblieben,
Heut sinds yoUe sechzig Jahrl
54 FA
geftthl bekräftigt und bestätigt das Gate noch mehr. — Ich würde
Ihnen heate, mit meinem kranken Körper nicht schreiben, wenn es
nicht die Freundschaft geböte, fOr die guten Widands. — Suchen Sie,
so finden Sie einen guten passenden Ort für den armen jungen Men-
schen! und dass er je eher je lieber kommen dar£ Sie thun dn
Werk der Menschenfreundlichkeit« das Ihnen Gott belohnen wird. Wie-
lands wissen kein Wort davon, dass ich Urnen schreibe. Wie werden
Sie über Ihre Freundschaft überrascht werden. Mein Mann bittet auch
darum, was Sie irgend zu thun im Stande sind^ —
53. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 27. Juny 1800.
Glückliche Stimmungen treffen zusammen, Herzensfreund und
Bruder! Ihr Brief vom lOten hat uns electrisirt! Wir kommen,
Heut ist Festtag! frohe Oiste
Sind im Hüttdien heut bey mir!
Heut an diesem hohoi Feste,
Sing ich ihre Lieder ihr!
Ihre lieder sind die besten,
Singen meinen Henenadank
Ihr, und meinen lieben Gasten,
Kann kein eigener Gesang!
£inen alten lasst uns singen.
Anfgeschoben! Scherz und Spott!
Singen hast nns, lasst uns singen:
Nun! nnd danket alle Gott!
Kim itzt Herr Tacitos in unsre dentsche Hütton,
Schrieb er ein Buch Yonnnsem Sitten
So gat, wie schon einmahl, der Wahrheit all so rein.
Wie damals, er! Wie ganz ein andres wird es seyn!
1) Gleim antwortet hierauf am 5. mai 1800: ,|Ich komme zurück von einer
klonen Beise zum Amtsrath Zimmermann, einem unsrer besten Landwirthe, hab'
aber für unsem W. nichts ausgerichtet! Alle jungen Preussen werden Soldaten, alle
Hauswirthe geben beträchtliches Lehrgeld. Z. meinte, dass eine YerwaltersteUe mit
Jahrgehalt schwer zu erhaltrai seyn werde, auch will er sich noch alle Mühe geben.
Der Nähme des Vaters spricht für den jungen Mann. — Wie so gerne trüge ich
zum Vergnügen unsres Wielands etwas bey! Haben Sie, Theuerste, doch die Güte,
das einliegende zweyzeiligte Schreiben baldmöglichst an ihn zu befördern. £s betrift
ein ihn angehendas GesprSch mit dem itzt bey uns sich aufhaltenden Herzog von
Bnumschweig! Kam die Tage her ein Wagen vor meine Thür, i^eich sprang ich zu
sehen, ob er die heiligen Engel Herder und Jean Pftul zu mir ins Hüttchen brftchte.
Bey der herrlichen Witterung wire den beyden guten Geistern eine Gesundheitsreise
wohl sehr nützlich gewesen. In vier Wochen sagte der eine vor sechsen send ich
Urnen meinen Titan — Titan! rufts nun, und Kalligone rufts nun im Hüttchen
und in allen seinen Winkelnd
BBIIR HIBDBB8 AN 6LIIM 55
treuer Freund, wir kommen! Wo könnte mein Mann fiir seinen
Geist und fiir sein Herz, das, wie Wekerlin sagt:
durch und durch wund ist,
gesunderen Balsam holen als bei Ihnen, Mann Oottes und der Wahr-
heit Ihre Stimme ruft ihn unwiederstehlich zu Ihnen — und wir
heben unsere Augen schon auf zu jenen Bergen, wir athmen schon
die balsamische Luft Yon Halberstadt! — Ach wenn wir Ihnen aber
nicht zu firüh kommen. Allerbester? Im August kann mein Mann nicht;
die Ursache sollen Sie mündlich hören. Ende Jvlj ist Schulexamen;
also bleibt uns nur der Anfang July übrig und so gedenken wir, uns
den 2. July in den Wagen zu setzen und den 3. Abends bei Ihnen zu
seyn*. —
Ach Sie können nicht glauben, wie seit dem Montag, da Ihr 1.
Brief kam und mein Mann den Entschluss fasste, wir alle belebt sind —
Und so geleite uns dann ein guter Engel zu Ihnen! Wir werden den
3. Abends etwas spät kommen. — Unsere Arme sind schon nach Ihnen
ausgebreitet, unser Herz ist bei Ihnen.
(Zusatz von Herders band.)
Wir kommen, wir kommen mit starker Kraft,
Yater Gleim ists, der uns Gesundheit schafift
Und Freuden schafiFL Wir kommen!
Bis dahin Oott empfohlen.
54. Herders zusatz zu dem briefe seiner gattin an Gleim^.
Weimar d. 25. July 1800.
Nach dem Christ - freundlichen , ökonomisch - politischen , auch
cameralistischen Sendschreiben meiner werthen Hälfte will ich etwas
genealogisch -poetisches beifügen, und zwar eine Frage. In einer An-
merkung zu Ws. Gedichten älterer Ausgabe steht folgendes: „Yon dem
Yater dieses Dichters, (Gleims Anakreons) habe ich noch 3 Stücke in
Händen, woraus ich sehe, dass er in der deutschen Elegie, wenn er
gewollt, dem Tibullus hätte gleichen können, dem kein Bömer beige-
kommen und noch kein Teutscher nachgegangen ist^. Besitzen Sie
1) Herdor traf auch am abend des 3. mit seiner gattin, einem söhne, der
tochter und einer freundin bei Gleim ein; der besuch beschränkte sich nur auf einige
tage. Siehe Gleims brief vom 14. juli. Ebenso den brief von Herders gattin yom
15. juli und die folgenden briefe.
2) D. a. a o. s. 275.
3) „Mein seeliger Yater '^, antwortet Gleim am 30. juli, „mag ein Tibull, ein
Froperz gewesen seyn, ich weiss nichts davon '^.
56 FAWSL
diese Stücke ihres treflichen Vaters, dessen Angesicht sich meiner
Frauen und mir so auszeichnete? warum haben Sie mir nie etwas
davon gesagt? Und darf man sie lesen?
Mein effigies wird nun glückl. angekommen seyn^ und wird,
hoffe ich, sein Plätzchen besser einnehmen, als der schläfrige matther-
zige Herr, der ehemals dahing, ja wohl recht hing. Dieser steht
wenigstens, wenn auch der, den er vorstelte, der Stelle nicht sonder-
lich werth seyn sollte. Allenfalls gelte er für einen italienischen Abbatt
oder Prälaten, der auch zu singen hat: sicut erat in principio et nunc
et semper. Ich hoffe noch einmal zu sehen, wie sich der H. da aus-
nimmt Dass ich in Ihre und der Schwester Leinwand gekleidet werde
und zwar bei lebendigem Leibe, freuet mich sehr; da trage ich Ihr
Andenken recht an mir. Lebt wohl, ihr Lieben. Nach einer beschwer-
lichen Woche, da ich alle Schulen examinirt und visitirt habe, waren
wir heute auf dem Ettersberge; ein herrlicher Tag und eine schöne Oe-
gend. Ich legte mich in den Wald und schlief ein herzlich ermattet
von den vorigen Tagen und umweht von lieblichen Lüften. An Euch
dachten wir oft. Ja wenn wir Vöglein wären, oder Ihr Vöglein wärt,
nach dem alten liede! Nun lasse, zu folge eines noch älteren Liedes
Anakreon nur seine Tauben fliegen, das sind Briefe; Er selbst wage
sich nicht auf die Beise, bis er sich gesund wie ein Fisch imd frisch
wie ein Vogel fühlt. Dem Bohlenbaumeister unsem Gruss gleichfalls
allen Lieben des Hauses.
55. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 7. Nov. 1800.
Geschwind liebster Herzensfreund, lesen Sie die Kecensionen —
indessen wird sich Ihr heiliger Eifer gegen uns ein wenig gelegt haben.
Könnten wir nur diesen Augenblick den Gaff6e morgends mit Ihnen
trinken, und die beiden ehrwürdigen Männer zusammen rauchen, so
könnte alles von beiden Seiten ins Reine gesprochen werden. Aber es
war alles meine Schuld! denn nun ist es der zweite Brief den ich
an Sie geschrieben und wieder verbrannt habe. Ich hatte darinnen
mein Herz zu laut über die Purst Gallizin ausgeschüttet Da fand
ich nun dass sich das für eine Prau nicht schickt gegen eine Prau von
so viel überwiegendem Verstand wie die Pürstin besitzt, sich dies
1) Herders Gattin wollte es bereits am 17. juli an Oleim senden, doch geschieht
es erst den nächsten tag. YgL den biief vom 15. juli: „Ich wollte Ihnen gestern,
wie ich versprochen hatte, meines Mannes Bild schicken, es war. aber nicht möglich.
Störungen aller Art belästigten uns vom morgen bis Abend, ich konnte zu nichts
kommen. Hier ist es nun*'.
BBimc minnroa AN GLEDC 57
herauszunehmen. Kurz und gut, ich schämte mich, und verbrannte
den Brief. Aus diesem Brand, oder vielmehr aus diesem heiligen Feuer,
stieg der Engel der Menschlichkeit heraus und erzehlte uns folgende
Geschichte: An die Himmelsthür kam einmal ein Mann und wollte ein-
gelassen werden. Petrus sprach: wer bist du? er antwortete: ich bin
ein Komisch -Eatolischer, von der alleinseligmachenden Religion. Petrus
sprach: Setze dich, und warte. Darauf kam ein zweiter, klopfte an
die Thür um eingelassen zu werden; Petrus sprach: wer bist du? ich
bin ein Lutheraner, von der allein seligmachenden Religion der Pro-
testanten. Petrus sprach: Setze dich und warte. Dann kam ein drit-
ter und klopfte an. Petrus: wer bist du? ich bin ein Calvinist, von
der allein seligmachenden Religion der Reformirten. Petrus sprach:
Setze dich und warte. Dann sahen die drei Wartenden sich einander
gewaltig an — es stürmte und war übles Wetter; sie froren; die Zeit
wurde ihnen lang, sie gähnten (oder wie mein Mann sagt: sie hojahn-
ten) — da sangen sie das lied miteinander: „Wir glauben all' an
einen Gott". Hierauf schloss Petrus die Thüre auf und sprach: „Ge-
het ein, zu des Himmels Freuden!"
Ach bester Herzensfreund , lassen Sie uns über kranke und irrende
Menschen, ein mitleidiges und menschliches üiiheil fallen! Stolb.^ war
schon lange ein Katholik — ihm wars unter den Protestanten unwohl —
er wollte seine Meinung ihnen despotisch aufdrücken, es gelang nicht
und so ging er zu seiner Partei über, wo er sich frei und glücklich
fühlen mag. — Im Vertrauen aber muss ich Ihnen sagen, dass wir
nicht ganz zufrieden sind über das Betragen von dem H. Geheimen
Bath Jacobi und Voss. Betragen sich Freunde gegen einen kranken
Freund also? Schreiben Sie uns doch bald liebster Freund, und freund-
lich und gut wie der Sohn Gottes im Rothen Buch — und behalten
uns lieb. —
Zusatz von Herders band:
Die Geschichte meiner Frauen ist zwar erbaulich aber lang; die
meine ist kürzer. Schwester Gleim mag sie erzählen: Er is afe-
stahn! Und damit gut Lebt wohl, Liebe. Wir singen, lieber Yater
Gleim, wie wir sangen und uns in dem Gartensaal verschrieben: Sicut
erat in principio — lebt bestens wohL
1) Gleim hatte schon in mehreren vorhergehenden biiefen auf das schärfete
und leidenschaftlich übertriebenste über Stolbergs übertritt geurteili So in dem
briefe vom 3. September, 10. September and 12. Oktober. Herder zieht in scharfer
polemik dagegen. ,Was geht Sie der veriiTte, oder kranke Stolberg anl Hat jeder
58 FAWKL
66. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 19. Jan. 1801.
Was werden Sie denken, Einziger, dass ich so spät auf Hur
freundliches Andenken, und auf das holde Geschenk, wenn schon kei-
nen Dank, doch ein Echo der liebe zurücksende! Was soll ich sagen?
Haben Sie uns nicht im alten Jahrhundert mit so manchen Beweisen
Ihrer treuen, seltenen Freundschaft überhäuft? und soll das neue
Jahrhundert auch so anfangen — Oottgeliebter Freund — es ist süss
zu geben — aber es ist eben so süss von Ihnen zu empfangen! Man
ho£Ft, man wünscht den Werth zu besitzen, den Ihr Herz uns giebt —
Ja man ist in dem Augenblick, wenn wir Ihre Briefe erhalten, bes-
ser — wir sind im Himmel! — Es ist eine ungesunde Witterung.
Auch Goethe lag tödtlich krank an einem Rothlauf am Eopf. Durch
unsem vortreflichen und glücklichen Arzt Hofrath Starke in Jena
(unsers Gottfrieds Lehrer) wurde er gerettet!^ —
(Nachschrift von Herder.)
Glück auf! im neuen Jahrhundert'. Wie Ulysses- nach Ithaka
sind wir schlafend hineingesclüfit, wenigstens ich, da ich mich eben
zu Bett legte; und wusste am grossen Neujahr, wo man viel Glänzen-
des erwartete, über nichts Angelegentlicheres als das alte „Yater unser,
der du bist im Himmel^ zu predigen; es ist mir die Summe aUer
Wünsche. Wir Alten gehen mit ihm in die Schlafkammer einer
nicht sein Gewissen, seine Religion firei?*^ „Über den Abtrünnigen*^, antwortet
darauf Gleim am 13. november, , wollen wir nicht mehr streiten. Der Wahrheit
aber kann ich nichts vergeben, also muss ich sagen, was ich für wahr halte, dass
man erkannte Wahrheit ihren Feinden nicht Preiss geben müsse, dass in gegenwär-
tigem Falle von Toleranz nicht die Bede sey. Von der Abfallgeschichte ¥nsst ihr,
meine Deben in dem Herrn, bey weitem nicht genug, das z. B. nicht dass der
Yater seine Kinder zwingen wollte, dass er rasste wie ein Toller, Voss und Jacobi
thaten meines Erachtens, was sie thun mussten, das gegebene Argemiss war Ihnen
zu gross. Was sie thaten, hätten an ihrer Stelle wir auch gethan! Bruder Her-
der, sagt' ich, ist ein guter Protestant, zum Beweise braucht's seiner Predigt nicht,
die metaphysische Wahrheit aber liegt ihm mehr, als die protestantische am Herzen,
sonst könnt' er bey der ernsthaften Sache nicht lachen! Der Präsident lacht, und
der grosse Consul arbeitet an Herstellung des alten feyrspeyenden Pabstthums, das
sind Zeichen kommender böser Zeiten !*[
1) Gleim antwortet hierauf am 8. februar: „Dass Euer Goethe, der dann und
wann nur meiner nicht auch gewesen, die fatale Krankheit überstanden hat, freut
mich sehr. Gott erhalte den Bessern der besten Weltl*^
2) Herder dichtete aus diesem Anlasse „die Vermählung des achtzehnten und
neunzehnten Jahrhunderts '',
BBim HMBDIBH AN aiSIM 59
jungen Braut, da es uns dann so so ums Herz ist; wir gehen
indess und
die Oötter sejn mit uns.
Zum Seckend. Taschenbuch, Quart 1. habe ich nichts gegeben.
Die Elegieen sind von Seckend. und Knebel; A. weiss ich nicht, von
wem? Die Spanische Bomanze, Blanka, ist allein von mir; vor vie-
len Jahren ins Tiefiirter Journal gegeben, das damals als Zeitvertreib
geschrieben, nicht gedruckt ward. Daher hat Seckend. den verges-
senen Schmetterling erbeutet Im 2ten St kommen einige Stücke von
mir vor, worunter Ihnen ein paar gefallen werden. Ich habe mich
genannt: denn die Namlosigkeit wird mir immer mehr zuwider. Lei-
der habe ich am Namen nichts mehr zu verlieren und Oottlob nichts
mehr zu erbeuten. So gehe ich ins Neue Jahrhundert
Gegen Ostern wird Sie eine Göttin besuchen^, die Sie einst
wünschten. Mochte sie auch seyn, wie Sie sie wünschten. Vielleicht
geschieht mit ihr auch ein Wunder, dass sich ihr buntes Gewand in
ein Schnee- oder vielmehr Silberweisses verwandelt
Wohlan dann. Lieber, Glück auf! mit allen den Ihrigen im Hütt-
chen. Wie viele unsrer Freunde haben das Jahrhundert 8 nicht erlebt;
Gottlob wir leben. Yivamus igitur, nosque amemus.
^ Herder.
57. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 6. März 1801.
Unser Stillschweigen wird Ihnen gesagt haben, Theuerster Unver-
gesslicher, dass es mit uns auch nicht zum besten stand ^. Mein Mann
war den ganzen Februar unwohl und gedrückt Er verlohr durch den
Tod zwei sehr wackre CoUegen, worunter der Eine der Instructor
unsres Erbprinzen und seiner Geschwister gewesen war — ein treflicher
Lehrer — der andere war die rechte Hand des Consistoriums für die
Waisen und Armen. Beide Verluste haben meinen Mann sehr ange-
griffen.
Nun Gottlob dass Sie leben und dass Sie noch Freude und
Wohlseyn um sich verbreiten. Dass nur das Gute des Charakters
nur das menschenfreundliche, liebende, thätige im Andenken
zurückbleibt, das haben wir bei diesen zwei Männern lebhaft gefühlt —
Man hat bisher soviel von Tod und Sterben gehört — aber das Hören
aus der Feme ist nicht das, als wenn uns bekannte verdiente Männer
1) Adrastea. Siehe den folgenden brief yom 30. märz.
2) J>9B lezte schreiben war das vorhergehende vom 19. Januar.
eO PAWCL
in der Nähe, von der Seite verschwinden. Solche ErfiEÜirungen spre-
chen dann sehr ernsthaft zu einem. Ach ich habe Ihnen so lange
schon schreiben wollen — aber ich habe nebst meinem eignen Leiden
mit meinem Mann gelitten. Der schlaffe Winter hat ihm gar nicht
wohl gethan. Der beständige Wechseleindruck vom Körper auf die
Seele und von der Seele auf den Körper hat unsers Doctors Kunst
recht in Athem gehalten. Nun Sie verzeihen unser Schweigen, nach-
sichtsvoller Freund! Bleiben Sie nur jetzt gesund und senden uns
freundliche Worte; denn der Mensch lebt nicht allein vom Brodt usw.
Ihr schönes Gedieht fängt den Monath März anK Der erstaun-
lich gelehrte Böttiger war recht entzückt über Ihr Lob^. Ich soU
das schönste von ihm Ihnen wieder zurücksagen. Es ist sonderbar wie
diese ernste Zeiten, uns auch ernst und streng selbst machen. — Wir
sehen den erstaunlich gelehrten Mann seltner. — Mein Mann hat aller-
dings dem braven Körte eine Vorrede zum rothen Buch^ versprochen;
er will auch sein Wort halten, sobald Körte die Stücke in Ordnung
hat Denn, theurer verständiger Freund, Sie schmähen doch nicht
über unsem Wunsch wenn wir 1) die schweren Namen, die der Jugend
nicht leicht genug im Oedächtmss bleiben, etwas verändert, oder be-
kannter gemacht wünschten? 2) Sollten nicht die Perioden hie und
da auch leichter, einschmeichelnder für die Jugend gemacht werden
können? Würden sie nicht dadurch selbst orientalischer, d. i. noch
einfEu^her, schöner, und für die Jugend (der Sie es doch einmal bestimmt
haben) passender werden?^ Ich lege Ihnen dies ans Herz. Spricht Ihr
Geist und Genius Ja dazu — so werden Sie mit oder ohne Körte
Hand anlegen und das Werk alsdann meinem Mann senden. Sie selbst
aber müssen ja nicht der Verleger werden, sonst bleibt das liebe Gut
wieder oben auf dem Boden liegen, und Sie haben ja immer ungeheu-
ren Schaden davon. Ich sollte nur die Herzensschwester seyn, ich
wollte ihnen hübsch vorrechnen wie unrecht Sie thun, auf eigne Kosten
drucken zu lassen. Das muss kein gescheuter Mann thun. — Mein
Mann — kann heute nicht schreiben — ich soU Ihnen aber sagen,
1) An den ersten Jänner 1801. N. T. Merbir 1801 s. 163.
2) Oleim äusserte sich in einem briefe an Herder (8. febr.) sehr lobend über
Böttigers Beoension von Herders Terpsichore und bat Herder, ihm für das gemachte
vergnügen „seinen Geistdank*^ zu sagen.
3) Die von Körte veranstaltete zweite ausgäbe. Das buoh erschien ohne die
vorrede. Siehe die folgenden briefe.
4) Ygl. Gleims widerlegende entgegnung in seinem antwortschreiben vom
11. märz.
BKIKFB HXBDBB8 AN OUOM 61
das8 sich im Orient, im Persischen, ungemein schöne wohlklingende
Namen, bedeutend auf die Stelle sich auffinden^ worüber Sie selbst
die grösste Freude haben werden. Er grüsst Sie 1000 mal — und
will bald gedruckt bei Ihnen erscheinen^.
58. Herders gattin an Gleim. Weimar d 30. März 1801.
Ich möchte das köstlichste Raucherwerk auf den Altar des 2. Aprils
streuen, um die Nebel zu yertreiben, die um Sie waren, da Sie den
letzten Brief schrieben', Einziger. Die Abendröthe Ihres Lebens muss
der Moigenröthe und dem Tag gleichen.
An jenem Tage wehten die Winde sanft,
Und kündigten der Erde den Lusttag an;
Die Blumen blühten, und am Abend
Träufelte leiser der Abendr^en.
Als dich o Sohn der schöneren Grazie,
Die Mutter sanft im Arme zuerst umfieng.
Aus einer Himmelsmutter Armen
Dich, ein Geschenk, an das Herz sich drückte.
Feiern wir doch diesen goldenen Augenblick und yergessen die
ganze Welt
Mein Mann wird Ihnen sagen, dass Sie wegen dem rothen Buch
recht haben. — Ich habe in der Dumpfheit meines Sinnes Ihnen erzehlt,
was hie und da ein Leser über das rothe Buch gewünscht hatte. Das
hatte ich nicht sollen. Das rothe Buch ist kein gemeines, hin und
herzudrehendes Machwerk, es ist Eingebung, und muss es bleiben.
Der Leser lese es dem ungewohnten Ohre einmal vor, und es wirds
vernehmen. Also darinnen völlig Eins — und also freundlich umher-
geschaut Bester. Sie haben des Edeln Samen viel gestreut — er ist auf-
g^;angen und wird femer au%ehen, denn es ist ein ewiger und
unvergänglicher. Auch mich schauen Sie wieder freundlich an. Aus
liebe zu Ihnen hatte ich etwas albernes geschrieben — übergeben Sie
jenen Brief den Flammen, wenn es nicht schon geschehen ist Sie
haben indessen die Adrastea erhalten, Theuerster — lesen Sie sie mit
Ihrer alt^ treuen Liebe, mit Ihren Grundsätzen, die ja ganz die mei-
nes Mannes auch sind. Nur Bande des Herzens und Charakters kön-
nen eine Freundschaft knüpfen, wie dieunsiige, übers Grab hin.
1) Adrastea. Siehe den folgODdeo briet
2) In dem schraiben vom 90. dec D. & 905.
62 PAWBi
Dass mein Mann Ihren Beifall hofit, und wünscht — das sagen
Sie sich ja selbst schon. — Diese Adrastea macht uns die Herzen kund
und offenbar — Ach fallen Sie nicht auch ab, sonst könnte der Spruch
erf&llt werden: ^und sie verliessen ihn alle*^. Doch wie könnten Sie
das — da Sie selbst den Oeist und die Anwendung der Oescbichte,
den Gebrauch und die rechte Anwendimg der Wissenschaften zur Cul-
tur der Menschen nur zu betrachten und diese Orundsätze ins lieben
zu verbreiten gewohnt sind. Auf diesem Standpunct lösen sich, auch
die schmerzhaftesten Misklänge, doch endlich in Harmonie auf.
Seyn und bleiben Sie uns hold und gut Einziger — unsre liebe
und Verehrung ist unyergänglicL Wir grüssen die Herzensschwester
und was Sie lieben herzlich. Ihre
C. H.
Zusatz Herders an Oleim.
An die Adrastea, Bester, haben Sie mich so oft erinnert, dass
ich sie gewissermassen für Ihr Werk halte. Für Wahrheit und Becht
stehn Sie gewiss, gesetzt, dass Sie auch hie und da dies und jenes
anders ansehn und beurtheilen sollten. Das schadet der Göttinn nicht
Also
Herder an Gleim.
Gleimio
Adrasteam Nemesin
d. d. d.
Herder.
Dass Sie mich von der Vorrednerei zu einer Schrift, die keiner
Vorrede bedarf, erlöset und absolvirt haben; dafür Dank!!! Ich wüste
nicht, was ich sagen sollte, wüste eigentlich auch vom ganzen Ver-
sprechen nichts: wie, wenn, bei welcher Gelegenheit es gesagt worden.
(Siehe hinten die Anmerkung). Das weiss ich, dass Sie zu Olims Zeit
eine Vorrede zu den Fabeln von mir verlangten; wie lange ist das
eben ? Seitdem sind die Fabeln ohne Vorrede erschienen und befinden
sich wohl; was soll ich zum rothen Buch vorreden? Mahomed sagte:
„ich bin vom Himmel gesandt. Euer Prophet; wer will mein Wezir
seyn? (ohne Vorrede.) Ali stand auf und sagte, Ich! Du bist der
Prophet des Herren! Der ganze Stamm folgte^. Du bist der Prophet
des Herrn! und ich dein Ali, sage ich gehorsamst sans phrase et sans
preface. — Veränderung der Namen ist auch nicht nöthig. Man ist
an diese und an ähnliche gewohnt; sie sind wohlklingend, und im
Himmel, wo bekanntlich nur orientalisch gesprochen wird und wir
BRDEFS HSBDKR8 AJ7 GLEDf 63
uns alle verstehen, spricht man in dieser Mundart Dank Ihnen für
die Worte über Erdmannsdorft Yidebimus ubi reponendus sit dominus.
Wenn Sie an Bälde gedenken, sprechen Sie wie aus dem Todten-
reich. Wer denkt jetzt an Bälde?
Chor: Ja Bälde!
Leben Sie wohl. Wenn ich einmal Zeit habe, will ich sehen,
ob er nicht einen Bruder findet, und Terpsichore sich zur Adrastea
gesellen kann. Bis dahin bin ich mit Wünschen zum häuslichen Fest-
altar, wie mit Oruss und Treue Ihr
alter H.
Zusatz von Herders gattin.
Ei, ei, mein lieber Gemahl, Sie haben ein schwaches Gedäcbt-
niss — es war vor 2 Jahren da der Wilhelm Körte seinem Oncle eine
heimliche Freude mit einer neuen Ausgabe des rothen Buchs machen
wollte und meinen Mann um eine Vorrede bat — nemlich um ein
hübsches Wort — es sollte ja keine Deduction seyn — und da ver-
sprachs mein Mann dem guten Neffen der dem guten Oncle Freude
machen wollte — Wenn Körte unsre Briefe aufgehoben hat, so kön-
nen Sie als Belege gegen den H. Yicepraesident dienen. Adio, adio.
Ich wünsche Ihnen allen ein besseres Gedächtniss und einen recht
freundlichen Tag.
59. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 10. Aug. 1801.
Theuerster, Geliebtester.
Ihre dictierten Zeilen vom 20. Jul.^ haben wir erhalten; ich kann
aber heute nicht darauf antworten, sonst müsste ich bitter klagen um
Ihre Augen. Nur einige Nachricht muss ich Ihnen von unsrer Heise
geben, die wir nach Baiem zu Adelbert thun. Übermorgen gehts
durchs Yoigtland, über Baireuth, Amberg und Waldmünchen, nach
Arnschwang, wo wir unter dem Dach unsres Sohnes einige Wochen
zu leben gedenken. Mein Mann hat eine Entlastung seiner Geschäfte
höchst nöthig. In ein Bad wollte er nicht Adelbert wünscht unsre
Gegenwart; und so macht sich die Reise. Wir werden etwa 5 — 6 Wo-
chen ausbleiben. Bei unsrer Heimkunft sollen Sie sogleich von uns
hören ^, und ich will Ihnen von den Bergen und Wäldern Baiems
eizehien. Merkwürdige Städte dieses Landes werden wir nicht auf-
1) D. 8. 292.
2) Herders gattin schrieb erst am 1. november.
64 PAWKL
suchen; dazu gehört Zeit und Oeld. Nur Einsamkeit und Stille suchen
wir, und die hoffen wir bei Adelbert zu finden. 0 könnte ich ein
Mittel für Ihre Augen finden! Auch Ihre dictierten Briefe sind uns
theuer und werth. Senden Sie uns dergleichen unter der gewöhn-
lichen Adresse hierher — unser Doctor sendet sie uns zu. Mein Mann
ist unter Rechnungsabnahmen und athmet kaum. Verzeihen Sie dass
er Ihnen nicht selbst Adieu schreibt Sein Geist und Herz ist bei
Ihnen! Sie sind ihm doch noch gut und glauben doch nicht, dass er
aus der Onade Gottes gefallen ist? Bonstetten, der Begnadigte, ist
nicht bei uns gewesen. Ach Theuerster, wir sind alle arme Sünder
vor Gott — nur die liebe hält die Freunde und die Welt zusammen.
Entziehen Sie uns Ihre liebe nicht. Auch entfernt sind wir Ihnen
und den Theuren im Hüttchen nahe.
Ihre
ewige C. H.
60. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 18. Dec. 1801.
— die Hülle*. Es wird ja auch wohl wieder anders werden. Das 3. St
der Adrastea wird in 3 — 4 Wochen fertig*. — An dieser späten Er-
scheinung ist nun mehr der Drucker als der Autor schuld. Die Welt
hat gar zu viel Geist und muss ihn bekannt machen — die Geschäf-
tigen laufen ihm alle den Bang ab.
— Lessing steht*. Nun lassen Sie uns bald ein freundliches Wort
hören und dictiem einen langen grossen Brief, geliebter Freund, und
sagen uns wie es Ihnen geht und der Herzensschwester, die Ihre Lei-
den gewiss doppelt mit trägt Yemehmen Sie die innere Sonne seines
Lebens, treue Gefährtin, Pflegerin und Herzensschwester! Was macht
Körte? wo ist er?* Sagen Sie uns auch etwas von seinem Leben und
Thun. Das ganze Hüttchen und was Ihnen angehört, die gute Madll
Keller^ mit eingeschlossen, ist von uns allen herzlich gegrüsst und
bei Ihnen^ —
1) D. s. 294 zeile 4 von unten.
2) Den 1. Januar 1802 schreibt sie noch: „Bald wird dieser Raphael Ihnen das
dritte Stück der Adrastea vorlesen*^. Die sendung erfolgte erst am 18. febmar. Siehe
den folgenden brief gleichen datoms.
3) D. z. 17 von unten.
4) Körte begab sich in folge eines bruchs zwischen ihm und dem seines augen-
leidens wegen launischen Gleim anfangs november nach Berlin.
5) Tochter eines benachbarten pfarrers, Gleims „gehülfin*^.
6) D. zeile 18 von unten.
BBUFE HERDERS AN OLKDi 65
61. Herders gattin an Oleim. Weimar d. 15. Jan. 1802.
Theuerster, an den wir täglich denken! — Ach Gott könnten wir
nur Abends ein Stündchen zu Ihnen fliegen! Wäre die Jahreszeit nicht
so strenge und der Patienten weniger, Gottfried würde zu Ihnen flie-
gen und wenigstens seine Kunst versuchen, Ihnen den Schlaf wieder
zu verschaffen.
Über Bothes Unglück sind wir recht erschrocken ^ Mein Mann
hat seiner Übersetzung des Euripides in der Adrastea mit überzeu-
gendem Lob gedacht Er achtet das poetische melodische Gefühl die-
ses Mannes recht hoch. Welch eine harte Prüfung ist ein solches
Unglück. — Ich habe gestern nach Leipzig um das Buch geschrieben
„Auf der Erde giebts ärgere Teufel^. Sobald es kommt, sollen Sies
gleich erhalten. Hier in Weimar ists nicht Wir umarmen Sie und
die Herzensschwester mit ewiger Liebe.
62. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 18. Febr. 1802.
Theuerster Einziger. Das 3te Stück der Adrastea kommt endlich
hiebei. Verzeihen Sie die Verspätung. Wir waren aber in Disput mit
Hartknoch — wir wollten dass er einen Titel wie zu den vorigen
Stücken liefern sollte — er that es aber niclit und meinte das 3te und
4te Stück soll nah aufeinander folgen, die Leute würden gleich in Einem
Band zusammenfinden und brauchten daher nur Einen Titel. Dies ist
die Ursache dieses Misstandes der mir sehr misfallt Möge Ihnen der
Inhalt dieses 3ten Stückes gefallen bester Freund. Ihr Urtheil über
die Fabel, ob es mein Mann so getroffen hat, ist ihm vom grössten
Werth. Sagen Sie ihm bald ein freundliches Wort, Meister des Schö-
nen, Guten und Wahren. Sie selbst und Ihre grossen Verdienste kom-
men in die Stücke wenn Friedrich kommt Sie, Pati'iot der Deut-
schen von Herz und Geist! darauf freue ich mich! — Leben Sie für
heute wohl, Ewigtheuerster Freund, und liebste Herzensschwester.
Gott schenke Ihnen und uns Gedult bis der erfreuende Frühling kommt
und Sie die Nachtigallen im Garten wieder hören. 0 die Natur ist
die einzige Trösterin für alle Leiden! dass wir doch das Bild von ihr,
einer liebenden Mutter nie vergessen. Ewig sind wir und bleiben
wir die Ihrigen.
63. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 5. April 1802.
Ewig theuerster. Ich habe an Ihrem lieben Fest, dem 2. april,
von morgens 2 Uhr an — nur in Schmerzen denken können an die-
1) Vgl. Qleims brief vom 20. Januar und das antwortschreiben yon Herders
gattin Yom 5. febiTiar.
ZBITSGHRin F. DEUTSCHE PBILOLOOIB. BD. ZXV. 5
66 PAWIL
sem frohen Tag. Auch mein Mann war zwischen Arbeit und fremden
Besuch getheilt dass er auch nicht zum Athem kommen konnte, sonst
hätte er Ihnen wenigstens Euss und Gruss diesen Tag zugeschickt —
Wir hoffen, dass Sie uns in Ihrem Herzen nicht vermisst haben, wenn
der Ereis der Freunde an diesem Tag um Sie war. Wir waren bei
Ihnen mit Herz und Seele. — die bessere Zeit bringend Im IV.
Stück der Adrastea p. 287 steht über Bothes Übersetzung die Anmer-
kung *) „Wer die Oriechen in ihrer Sprache nicht lesen kann, lese
sich Bothes Übersetzung des Euripides ktut vor. Ein erster kühner
Versuch dem andere folgen mögen. In ihm wird ein Geist laut und
lebendig, an den uns eine schleichende Prosa- Übersetzung kaum erin-
nert*^'. Die Stimmen .. folgen mögen'. Wieland hat den Ion
des Euripides übersetzt; er kommt in das nächste Stück des attischen
Museums. Er kam darauf, da eben auf dem hies. üieater ein Ion
von Schlegel aufgeführt worden ist; ein freies freches Stück, eine Ver-
sündigung an den Griechen, und an dem Schönen und Edeln. Statt
der Pallas, wie sie beim Euripides erscheint, erschien Apollo und
bedankte sich für die schöne Lust die er in der Hole mit der Dame
gehabt hatte!!! Man traute nicht mehr aufzusehen. Solche schamlose
Frechheit will man hier für griechischen Geschmack ausgeben. Dass
Sie dergleichen Versündigungen weder sehen noch hören — darüber
freuen Sie sich. Nun genug für heute.
64. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 13. Mai 1802.
Wieder eine so lange Pause, theurer Herzensfreund! Verzeihen
Sie der armen Geplagten, und noch mehr verzeihen Sie meinem Mann,
dem armen Geplagten! Sehen Sie die hier kommende 5te Adrastea
als den Inhalt seiner Briefe an, die er Ihnen bisher hätte schreiben
können und sollen^. Die Preussische Krone ist Ihnen gewidmet,
ächter Patriot! Wir verlangen Ihre Gedanken hierüber zu hören.
Mann Gottes und Prophet Schreiben Sie nur bald, Ihre Stimme ist
ein Ton aus der Welt der Wahrheit! Sie sind mir doch nicht böse,
dass ich einige Gedichte aus den Zeitgedichten, denen, die Sie für den
Merkur sandten, beigestellt habe. Es war gegen Ihren WiUen.
1) D. 8. 302 zeUe 11 von unten.
2) und am 5. febr. schreibt &ie an Oieim: ^Meines Mannes Note in der Adra-
stea 4 1. St heisst also: Wer die Griechen in ihrer Sprache usw.
3) ZeUe 8 von unten.
4) YgL QleimB antwortschreiben vom 26. mai.
BBBFl mCBDlRa AN OUDC 67
uns allen dünkte aber, es wäre nicht unrecht, dass sie bekannt wür-
den. — Ich bin aber nicht ruhig bis ich Ihre Absolution hierüber habe.
Mit dem Besuch unsres guten Doctors heissts denn: der Mensch
denkt und Gott lenkt —
Ich beneide die treffliche Voss dass sie für den Bothe diess
zusammengebracht hat Die Emigranten haben mir hier alle Brunnen
und Quellen erschöpft Auch habe ich 3 Wittwen mit 6 unversorgten
Kindern auf meine Schultern und mein Herz genommen. Sie können
sich nicht denken, wie sehr dieser Theil hier verlassen ist, und wie
es mir schwer hielt einige Beiträge für diese sichtbar Leidenden zu
erhalten. Bei solchen Gelegenheiten muss man wie König Karl XII,
selbst vorangehen.
Indessen will ich es noch nicht aui^eben für Bothe etwas zu hof-
fen, wenn Sie mir nur einen kleinen Aufsatz hierüber, den ich pro-
ducieren könnte, gefällig schicken wollten. Ich mag unsere paar Louis-
d'or nicht so allein schickend Mein Mann und ich umarmen Sie und
die Herzensschwester mit ewiger liebe. Gottes Engel seien bei Ihnen
— sie machen Ihnen das liebe Hüttchen zu einem SonnentempeL Wir
alle gross und klein senden Ihnen unsre Wünsche, die das Wort nicht
ausspricht Ihre
C. tt
65. Herders gattin an Gleim. Weimar den 16 July 1802.
Theuerster Einziger. Es steht nicht gut bei mir, darum habe
ich bisher geschwiegen. Warum sollte ich durdi unsre Leiden die
Ihrigen vermehren. Der BhenmatisnL der sich hartnäckig bei meinem
Mann auf die Augen geworfen bat, und andere Übel, Vordem ohne
Au&chub eine emstlidie Cur. Er geht daher in wenig Tagen nach
Adien und hofft bei dieser Quelle, die ihm einmal so grotme Dienste
geleistet bat, auch jetzt wieder Hülfe zu finden. —
Der gute Botfae hat meinem Mann einen Theil des Euripides
zugeeignet, und ihm eine wahre Freude damit gemacht, Oem würde
er ihm selbst dafür danken, seine Augen aber erlauburn tm nicht
Bester, er bittet Sie, ihm in seinen Namen dafür zu danken ~ tsr
sinnt darauf wie er ihm seinen Dank tfaiUig zeigen kann. }ffm iumUs
nicht geschieht kann morgen gesdi^iikeiL
1) ddm tng s^^ iziit der tdae« für B^^Abib tmut i6»iiAf.ri^m mu'AubAUtti^ fgät
ae aber sptter aal ,!>«■ Fbo*, mhrwd er 4w 'Jfß. um Mn lUff4^(im fffiiXia, „f^r
den gntaa Botfae, deo Hat ia der Hsad« «w AlsmA^fU tu mmumiUf huh' kU, w»iü
idi ihn selbst akht wmRbrm kam, mSi^hpsk^m^,
68 PAWEL
und Sie Einziger verzeihen, dass auch Ihnen mein Mann nicht
schreibt Er sitzt noch unter Acten und Einrichtung zur Abreise /die
seine Augen über Gebühr angreifen. — Das 6te Stück der Adrastea
werden Sie durch unsem Buchhändler spedirt erhaltend Nun leben
Sie wohl geliebter Einziger und Mann der alten 2ieit Gedenken Sie
unsrer auch mit alter liebe — mein Herz brannte mir oft Ihnen zu
schreiben, aber meine Exäfte reichen nicht hin.
Mein Mann schickt Ihnen hier einen Orpheus von Thorild, da
er Ihnen von sich selbst nichts schicken kann. 0 leben Sie wohl —
alles Gute, was Sie so reichlich thaten, versammle sich jetzt um Sie
wie eine Gesellschaft guter Engel und mache Ihnen das Hüttchen zum
Himmel.
66. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 28. Oct 1802.
Wir haben Sie nicht vergessen, einziger, unvergesslicher Freund! —
Seit dem Uten dieses sind wir erst wieder hier'. Ich war aber in
den ersten 14 Tagen recht krank, und unfähig zu allen Geschäften.
Mein Inneres rufte mich schon lange, Ihnen zu schreiben — und jetzt
kommt Ihr lieber Brief und beschämt mich. Die Cur in Achen ist
meinem Mann ziemlich wohl bekommen — er spürte abwechselnd dass
es mit seinen Augen besser geht — auch seine andern Beschwerden
des Körpers fühlte er erleichtert — Wir waren vom 27. July bis zum
3. Sept in dem theuren theuren Achen ! Das warme heisse Wetter war
für des Yaters Cur vortreflich, aber für mich höchst angreifend war
der Schwefeldunst der heissen Quelle, die in dem Hause war, worin-
nen wir logirten. Indessen zogen wir mit Dank gegen Gott von die-
ser Gesundheit bringenden Quelle. Mein Mann fühlte nach und nach
eine bessere Gesundheit bei sich einkehren. Die Bewegung der Beise,
die gesunde Luft in Stachesried trugen das ihrige bei. Wir fanden
Adelbert in voller Thätigkeit —
Auf dies alles drückte das Siegel, die Ankunft der Frau von
Berg in Stachesried. Sie hatte in Eger den Brunnen gebraucht und
da sie sich in der Nähe von Stachesried glaubte, so brachte sie selbst
einen jungen Menschen, der ihr anvertraut ward, ins Oconomische
Institut Ihr Erscheinen war uns überraschend und wohlthätig. —
Wir reisten vergnügt von Stachesried ab. Jetzt ist mein Mann
in die volle Amtsarbeit wieder versunken. Ach könnte er seine Augen
nur diesen Winter schonen!
1) Gleim antwortet hierauf am 14. nov.: „Noch hab* ich so viel Leben, dass
ich ein Stuck von der herrlichen Adrastea noch erwarten kann*.
2) Von Aachen.
BBIEFB HSBDBB8 AN OLEIM 69
Tausendmal umarmt er Sie seineu ewigen Freund, und sendet
statt seines Briefs seine Ariadne in Yiewegs Taschenbuch^. Geden-
ken Sie seiner in den schlaflosen Nächten. Täglich und stündlich
schicken wir Wünsche zum Himmel für Sie, und die gute Schwester,
die wir eben so herzlich und treu umarmen.
Ihr Lied hat uns sehr sehr gefallen. Böttger hat es zwar schon
in den Septemb. einrücken lassen und die ihm nachgeschickte Strophe
hinten andrucken lassen — es ist aber gemeinschaftl. beschlossen, dass
es in den November ordentlich und ganz eingerückt werde, damit es
seine volle Wirkung thue. In diesem lied sind Sie ein Priester
der heiligen Natur. Nun vor heute genug Freund Gottes! Ich bin
nach der langen Abwesenheit noch nicht so recht bei mir zu Hause —
oder vielmehr fühle ich mich abgespannt, und möchte nur Buhe, Buhe
gemessen.
Mit unsterblicher Liebe auf Erden und im Himmel sind wir die
Ihrigen, Einziger. Carol. Herder.
67. Herders gattin an Qleim. Weimar d. 30. Dec. 1802.
. . Lebensgefährtin umgesehen^. Die Vorsehung hat ihn eine
finden lassen — die zweite Tochter des Herrn von Münchhausen, wohn-
haft auf seinem Gut Herrn -Gosserstädt (5 Stunden von hier) ist seine
Braut. H. v. Münchhausen ist der Sohn des ehemaligen Ministers bei
Friedrich dem Einzigen, bekannt durch seine vesten Grundsätze. Der
Sohn gleicht ihm auch hierin; er ist dabei ein vortreflicher Landwirth,
und erzieht seine Kinder häuslich und für die Landwirthschaft. — Seine
zweite Tochter ist ein verständiges gutmüthiges sanftes Wesen, die
einmal eine liebende Gattin werden wird — ihre Jugend allein machte
mich sorglich, denn sie ist erst 15 Jahre alt Adelbert will aber noch
1 — IV2 Jahr auf sie und sein Glück warten. Und so wird denn die
Vorsehung alles zum Besten lenken. H. v. Münchhausen ist so honett
und übernimmt den an Ostern zu zahlenden Termin von 7600 Bth.
wodurch Adelbert sehr erleichtert wird.
Geben Sie nun auch Ihres Herzens Segen dazu, Geliebter. Gott
lasse uns Freude und Glück an diesem Bündniss erleben! Adelbert
ist in der Woche vor Weihn. wieder nach Stachesried abgereist. Es
gab bei seiner Anwesenheit so viele und mannigfaltige Geschäfte, dies
1) ^Unseres Herdeis Melodrama ist ein yorttefiOiches Gedicht*' äussert darüber
Gleim an Herders gattin am 14. november.
2) D. s. 305 zefle 8 von oben.
70 PAWEL, BBnn hxbdibs an eumi
Anliegen mit eingeschlossen, dass Ihre Liebe und Güte mein Schwei-
gen yeizeihen wird.
Über Ihre gesandten lieben Poesien^ nächstens von dem was uns
vorzüglich gefallen hat — lichte Blättchen von ihm* Von Will-
manns sollen wir noch Calenders erhalten, worinnen meines Mannes
Kalligenia steht Sie müssen sie sich vorlesen lassen.
68. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 4. Febr. 1803.
Sie sind krank gewesen, schreibt mir der gute Schmidt — Ach
warum können wir Sie nicht die Abendstunden besuchen! Statt unser
schickt Ihnen mein Mann den entfesselten Prometheus, wovon ich Ihnen
letzthin geschrieben habe. Er fängt das 7te Stück der Adrastea an.
Sobald das 7. Stück fertig ist, sollen Sie es haben. Ach vergessen Sie
uns doch nicht, und dictiren nur einige Worte an uns — oder die
Herzensschwester dictirt Lassen Sie uns nicht ganz ohne Ihre Worte
der Liebe.
Dem lieben Schmidt danke ich vorläufig für seinen freundschaft-
lichen Brief — ich bin seit drei Wochen nicht wohl — die Kälte ist
mir sehr empfindlich und macht mich leiden — der Freund wird mich
entschuldigen. Ich bin der Hauss- und Familien -Secretaire — Da
giebts dies und jenes zu rathen, zu ordnen, zu sorgen — Niemand
kennt der Eltern Liebe, der Eltern Sorge, als der sie selbst im Her-
zen trägt Aber noch Einer ist, der sorgen hilft über alles Hoffen
und wünschen. Sein Auge reicht weiter als das unsrige — Er macht
das Schwerste leicht, durch Liebe und Oedult
Die Augen meines Mannes machen mir noch viele Soigen. Ver-
zeihen Sie ihm dass er schweigend ist — er muss sich schonen. Im
Geist ist er bei Ihnen — wie oft! wie oft sind wir beide bei Ihnen
beiden Herzensfreunden!
Auf immer und immer
die treue
0. H.
Finde Sie doch dies Briefchen heiter und liebend an uns denkend !
1) „Ihnen, Herzensschwester, ein Zeichen meines Lebens zu geben, send' ich
Ihnen hierbey ein Möpschen, das einst der Schoosshund der Gräfin Christine Stolberg
gewesen ist, und ihr gestohlen wurde, worüber sie untröstbar war. Eingemischte
ernsthafte Gedanken mögen den kleinen Trostgedichten einigen Werth geben**.
2) D. s. 305 zeile 25 von oben.
WAHBING-WIEN. J. PAWEL.
71
FRIEDRICH ZARNCKE.1
In der oacht vom 14. zum 15. Oktober 1891 starb Friedrich Zarncke nach
mehrwöchigem schwerem leiden. Sein name ist in der germanistischen weit und
über sie hinaus ein so bekanter und vielgenanter, sein einfluss auf die im lezten
vierte^ahrhundert ausgebildete Germanistengeneration ein so weitreichender, dass auch
der leserkreis dieser Zeitschrift, zu deren mitarbeiten! er nicht gehörte, gern einen
blick auf dies nunmehr vollendete, arbeitsvolle leben werfen wird.
Friedrich Zarncke wurde am 7. juli 1825 in dem dorfe Zahrenstorf bei Brüel
in Mecklenburg -Schwerin geboren. Sein vater war ein würdiger geistlicher, der, frei
von dogmatischer befangenheit, mit echter frömmigkeit eine edele geistesbildung zu
vereinigen wüste, ein hochgeachteter prediger, Seelsorger und berater seiner gemeinde,
ein vortreflicher lehrer und erzieher seiner kinder. Seine gediegenen kentnisse sezten
ihn in den stand, seinem Friedrich, den er mit einigen Zöglingen zusammen unter-
riohteto, eine gute Vorbildung für obersekunda zu geben; und seine lehrart war eine
80 ausgezeichnete, dass der söhn noch in seinem lezten leben^ahre bekent, ihn habe
nie der gedanke verlassen, dass er alles, was er etwa wissenschaftlich zu leisten
vermocht, doch nur dem wunderbar klaren unterrichte verdanke, durch den der vater
ihm die grundlage seines denkens geschaffen hatte. Lehre und Vorbild dieses man-
nes, zugleich der einfluss einer rastlos tätigen mutter, treuer familiensinn und alle
die woltätigen eindrücke, die gerade das ländliche pfarhaus einem jungen gemüte zu
geben vermag — das waren die gaben, die ihn begleiteten, als er ins leben hinaus-
trat In drei jähren absolvierte er die obersten klassen des Hostocker gymnasiums,
und ostem 1844 konte er, mit einem glänzenden abgangszeugnis versehen, die dor-
tige Universität beziehen, um theologie und philologie zu studieren.
Die freudigen erwartungen, mit denen er an die theologischen Vorlesungen
herantrat, scheinen nicht befriedigt zu sein. Schon im verlaufe des ersten seme-
stere gab er dies fach auf, während ein colleg über deutsche litteraturgeschichte
beim prefessor Christian Wilbrandt den wissbegierigen jungen Studenten, der
schon damals schrieb, die litberatur sei von jeher sein Steckenpferd, auf das lebhaf-
teste zu germanistischen und ästhetischen Studien anregte. Nachdem er diese noch
das folgende Semester hindurch unter Wilbrandt fortgesezt hatte, wante er sich
(ostem 1845) nach Leipzig. Und hier gab nun vor allem Moriz Haupt seiner wis-
senschaftlichen bildung die festere grundlage. Haupt, der ihn im zweiten Semester
zu seinem famulus machte, muss ihm von vornherein ein wohlwollendes Interesse
entgegengebracht haben. Gleich anfangs ermahnte er den sanguinischen jungen bur-
schenschafter, sich nicht in politische händel zu verwickeln; denn so sehr er selbst
auch der aufkeimenden politischen bewegung zustimme, so sei doch noch soviel
Unklarheit in ihr, dass eine tätige beteiligung an ihr nur ein hemnis für die ent-
wickelung eines Jünglings sein würde. Als er Zamckes «verliebe für das altdeutsche'^
erfuhr, billigte er sie durchaus, warnte ihn aber, ja nicht etwa die klassische philo-
logie über ihr zu vergessen. Zarncke hat den rat getreulich befolgt, und während
der drei Semester seines Leipziger aufenthaltes hat er beiden fächern ein eifriges Stu-
dium gewidmet Bei Gottfried Hermann hörte er Aeschylus, Thucydides und
Aiistophanes; bei Haupt Babrius, Horaz, Dias, Tadtus Germania, geschichte der
1) Ffir ftwuidliciie «ttkmft aaf ma&dMrifll «ifingvo vnd Ar bareitwfllige wutbaünng biognpbi-
aehfln BateriaJs ng« kh aacä aa diator stelle hann pt^ÜMaoc Ed. Zarncke vnd fMUilaia Ottilie
Zarncke in haifag, aowie bann praf. Zenker in Erlangr^n hw^icjuwi dank.
72 yoGi
altdeatsohen poesie, Parzival, deutsche grammatik; bei Danzel geschichte der neue-
ren deutschen poesie und geschichte der bildenden künste. So sehr ihm Hermanns
philologische kritik und sein fliessendes bitein in den interpretationskollegien impo-
nierte, so unklar schien ihm seine griechische und lateinische poetik und so kauder-
welsch sein deutsch. Durchweg des lobes voll ist er dagegen in briefen an seine
eitern über Haupts Vorlesungen, an denen er sich gar nicht satt hören konte. So
schreibt er am 12. mal 1845: „Haupt gefalt mir von tag zu tag mehr. Du glaubst
nicht, mit welcher klarheit und ruhigen besonnenheit er spricht Was er im
colleg gibt, ist in der tat ausgezeichnet; nicht sowol, weil es etwas neues ist, son-
dern weil er es so deutlich, in so correcter form und fassung demonstriert Er spricht
ganz frei und zeigt überall gründlichen fleiss und hellen verstand, zugleich gemut
und hingebung genug, sich in ein produkt der litteratur hineinzuleben und den ein-
druck schön zu reproduzieren^. Besonders wurde er, gleich im ersten semester,
durch die Germania -Vorlesung zu Tacitus hingezogen, in dessen Schriften er sich mit
einer wahrhaft schwärmerischen andacht und ehrfurcht vertiefte. Auch an Haupts
lateinischer geselschaffc nahm er tätigen anteil, und seine erste arbeit, über die prae-
fatio des livius, erhielt das für Zarnckes art sehr charakteristische prädikat einer
dissertcUto accurattastme conscripta, ne dicam nimis accurate, — Daneben boten
ihm das Leipziger theater und die Dresdener kunstsammlungen reiche gelegenheit,
auch seine ästhetische bildung zu vervolkomneu ; den genossen von der burschen-
schaft, mit denen er im vrissenschaftlichen kränzchen fleissig die dramen unserar klas-
siker behandelte, galt er auf litterarisch -ästhetischem gebiet als zuverlässigster führer.
Mit empfehlungen von Haupt an Lach manu versehen, siedelte er für das
Wintersemester 1846/47 nach Berlin über. Ob er seine absieht, in Lachmanns
Seminar und in seine deutsche geselschafb einzutreten, wirklich ausgefühii hat, scheint
sich nicht mehr ermitteln zu lassen. Auf seinem Berliner abgangszeugnisse ist nichts
davon bemerkt, so wenig wie von den Vorlesungen, die er bei Boeckh, Enke, Ranke,
Ritter, Trendelenburg wenigstens anfängli(;h gehört hat; nur je ein colleg bei Joh.
Franz und E. Curtius ist dort verzeichnet ^ Jedesfals hat er Weihnachten 1850 bei einer
kürzeren anwcsenheit in Berlin Lachmann und die biiider Grimm besucht und freund-
lichen empfang bei ihnen gefimden. Auch suchte ihn Lachmann ebenso wie Haupt
in Leipzig auf. Yen briefen der beiden, die er gelegentlich erwähnt, hat sich nichts
erhalten.
Gegen ende der Berliner Studienzeit beschäftigten ihn vorai'boiten zu einer
doctordissertation. Eine im jahro 1845 von der Rostocker univei^ität gestehe preis-
aufgäbe: „Ist das tragische prinzip des Shakespeare und des Sophokles dasselbe 9*^
solte ihi'en gegenständ bilden. Doch ist die arbeit augenscheinlich nicht zur Vollen-
dung gekommen. Nachdem er mit dem sommersemester 1847 in Rostock seine Stu-
dien abgeschlossen und ohne einreichung einer schriftlichen arbeit das examen rigo-
rosum im deutschen, englischen und griechischen summa cum Imtde bestanden hatte,
wurde er am 20. Oktober zum doctor der philsosophie promoviert'.
Nach einiger zeit bot sich ihm eine beschäftigung, die seinen wissenschaft-
lichen neigungen und bestrebungen vortreflich entsprach: die katalogisierung der wert-
volsten und reichhaltigsten samlung älterer deutscher litteraturwerke, der Meuse-
1) Doch mag Lachmann ihm gestattet haben, an den Übungen, die er damals im anschluss an
die vorlesong über deutsche grammatik abhielt, teihninehmen , ohne diese za belegen.
2) Reinhold Bechstein hatte die gute, diese notizen ans den akten der Rostocker philoso>
phischen fiikoltät für mich za ermitteln.
frudbich zarnckb 73
bachschen bibliothek. Diese im hinblick auf ihren etwaigen ankauf darch die
prenssische regierang zu yerzeiohnen, war seit anfang des jabres 1848 Zacher beru-
fen; im juni desselben Jahres wurde Zaincke beauftragt, zunächst neben Zacher, dann
allein die arbeit fortzusetzen. Ostern 1850 konte er den katalog abschliessen, und im
herbste desselben Jahres wurde der ankauf für die königliche bibliothek in Berlin vol-
zogen. Zacher hat in einem (in dieser Zeitschrift XX, 393 fg. mitgeteilten) briefe an
'Weinhold ein anschauliches bild von seinem loben inmitten der bücherei auf Meuse-
bachs gut Alt-Geltow bei Potsdam entworfen. Unter diesen schätzen weilte auch
Zamcke, und die lange beschäftigung mit ihnen ist gewiss nicht nur für die ent-
Wickelung einer gewissen samlerliebhaberei bei ihm, sondern auch für die ausbil-
düng der hauptrichtung seiner Studien, der richtung auf litterarhistorische quel-
len forschung, von nicht geringer bedeutung geworden. Insbesondere forderte der
reichtum an deutschen inkunabeln zu eingehender beschäftigung mit dor litteratur des
ausgehenden mittelalters heraus; Brants narrenschiff lockte in 13 ausgaben, darunter
ein trefiiches exemplar der editio princeps; und dass die ihm zugewante arbeit dem
fetten boden der Meusebachschen bibliothek entspross, hat Zamcke späterhin dadurch,
dass er die ausgäbe des Narrenschife dem andenken des verdienten samlers widmete,
pietätvoll anerkant.
Zunächst aber galt es nun, nach beendigung der bibliothekarischen arbeit sich
nach einer festen tätigkeit umzusehen, die zugleich die weitere Verfolgung seines
eigentlichen lebensziels, des lernens und lehrens der deutschen phüologie ermöglichte.
Wider lenkten sich seine blicke nach Leipzig, welches als Universität wie als mittel-
punkt des deutschen buchhandels die gewünschte gelegenheit am besten gewähren
konte. Mit dem buchhändler Georg Wigand verabredete er ein unternehmen, zu
dessen leitung Zarncke bei der Vielseitigkeit seiner wissenschaftlichen interessen, wie
er sie später in seinen Schriften bewährte, vorzüglich geeignet war. Es galt die griin-
dung einer Wochenschrift, die eine volständige und schnelle Übersicht der gesamten
litterarischen tätigkeit Deutschlands vermitteln würde. Sie solte daher alle in den
deutschon buchhandel fallenden werke bibliographisch möglichst genau anzeigen, von
allen bedeutenderen wissenschaftlichen Zeitschriften eine gedrängte Übersicht des
inhaltes bringen und zu allen wichtigeren büchem, sowie zu solchen, deren inhalt
und zweck aus dem titel allein nicht erkant werden könten, erklärende notizen und
kurze berichte liefern, um den leser mit dem werke seinem inhalt und seiner form
nach im algemeinen bekant zu machen und die Stellung desselben zu der übrigen
litteratur kurz anzudeutend So erachien denn am 1. Oktober 1850 die erate nummer
des „Litterarischon contralblattes für Deutschland*^, dem Zamcke als
redakteur von da an eine hingebende tätigkeit bis an sein lebensende gewidmet hat.
Anfanglich macht sich, dem urspmnglichen plane gemäss, in den artikeln des blattes
das rein bibliographische noch mehr bemerklich; blosse titelangaben sind nicht selten;
die referate sind meist kurz, wenn auch in der regel schon mit einer beurteilung
verbunden; die gesamte deutsche litteratur wird berücksichtigt. Almählich tritt das
wissenschaftlich -kritische element stärker hervor, die rubrik „poesie*^ fält fort, rein
bibliographisch werden nur noch die Zeitschriften, dissertationen und programme ver-
zeichnet, die blossen inhaltsangaben werden seltener, auf die Charakteristik der ein-
zelnen werke und auf das ui-teil über sie falt mehr und mehr der eigentliche Schwer-
punkt. Es gelang Zamcke sehr bald die hervorragendsten gelehrten als mitarbeiter
1) Vgl. das Programm in der erston nammer.
74 vooT
zu gewinnen, so Jacob und Wilhelm Orimm, Haupt, MüUenhoff, Mommsen, 0. Jahn.
Der anfänglich besohiftnktere kreis muste bei der grosse des zu beräcksichtigeadmi
gebietes nach und nach sehr beträchtlich erweitert werden, und doch erhielt der
Charakter des blattes alm&hlich gerade eine bestirntere färbung. Seit die Spaltung
zwischen Zamcke und der Laohmannschen partei eingetreten war, sanunelten sich
im centralblatt überhaupt mehr die stimmen der ausserhalb der Berliner kreise ste-
henden; und so wenig sein redakteur beabsichtigte, es zu einem Parteiorgan zu
machen, so sehr hat er es doch für seine aufgäbe erachtet, besonderen ansohauungen
und ansprüchen der genanten kreise in ihm das gegengewioht zu halten. Die-
ser gegensatz komt nicht am wenigsten in den germanistischen artikeln, gen^e auch
in den überaus zahlreichen recensionen, die seiner behenden feder entstammen, zum
ausdrnck; besonders durch diese hat das litterarische centralblatt einen nicht unbe-
deutenden anteil an der an kriegerischen ereignissen nicht armen geschichte der deut-
schen Philologie während der lezten 40 jähre.
So zeitraubend die neue tatigkeit zunächst sein mochte — bei Zamckes
eminenter arbeitskraft merkt man gar nicht, dass sie ihii in der Verfolgung seiner
fachwissenschaftlichen arbeitspläne behindert hätte. Sein hauptziel blieb zunächst die
ausgäbe des Narrenschifs. Aber schon jezt zeigt sich, wie ihn die erforschung eines
gegenständes nicht befriedigt, wenn er nicht dessen ezistenzbedingungen nach allen Sei-
ten hin eingehend verfolgt; wobei denn hie und da detailuntersuohungen überverwante
dinge abfallen. So führt ihn denn Brants werk weit in die mittelhochdeutsche lehr-
dichtung hinein; nicht allein die forsohungen über die deutschen Cato- Übersetzungen,
unter denen ja auch eine Sebastian Brants sich befindet, sondern auch eine femer
liegende xmtersuchung wie die über Yintlers Blumen der tagend entstamt diesem
zusammenhange. Andrerseits aber wurzeln auch in den Brantstndien die forsohungen
über das mittelalterliche bildungswesen, insbesondere über die Universitäten, aus
denen schon jezt der kleine aufsatz über die quaeaiumea qttodlibeticae ans licht trat
Im Cato sehen wir zuerst, wie den Verfasser die aufgäbe reizt, eine reiche, weit
verzweigte und verwickelte litterarische Überlieferung zu entwirren imd in ihren ein-
zelnen entwicklungsstufen klar vor äugen zu stellen; zugleich, wie er eine solche
aufgäbe mit unermüdlichem spüreifer und schar&inn zu lösen vermag. Die abhand-
lung über „Yintlers Blume der tugend*^ ist ein interessantes zeagnis für Zamckes
befähigung zur höheren kritik. Ehe Yintlers quellen bekant waren, hat er die teile
seines gedichtes so von einander geschieden, wie es der Verschiedenheit der quellen
entspricht; er hat richtig herausgefühlt, wie der dichter im 1. hauptteile strenger, im
2. weit freier seiner vorläge folgt, und hat vor allem für den ersten hauptteil eine
arbeit erster und zweiter band in der weiso von einander geschieden, dass er der
zweiten nur verse zuschrieb, von denen, wie sich jezt zeigt, tatsächlich kein einziger
auf die quelle zurückgeht. Diese jüngere schiebt schlechtweg, wie es das richtige
gewesen wäre, für Yintlers von der quelle unabhängiges eigentum zu erklären, hin-
derte ihn ein beachtenswerter grund. Ein etwas rücksichtsloseres vorgehen aber
hätte ihn vielleicht geradeswegs zu dem richtigen und einfacheren resultate geführt
Hier wie auch sonst hielt Zamcke ein vorsichtiges abwägen aller möglichkoiten für
eine pflicht, der zu liebe man auch auf ein glattes ergebnis der Untersuchung ver-
zichten müsse.
Sein bestes können aber betätigte Zamcke in eben jener arbeit, welche zugleich
ziel und ausgangspunkt dieser anderen forsohungen bildete, in der ausgäbe von Se-
bastian Brants narrenschiff. Ausser Jakob Grimms Reinhart Fuchs gab es bei
FBIEDfilCH ZABNGKB 75
ihrem exscheinen im jähre 1854 keine ausgäbe einer deutschen diohtong, in der diese
einer so Yielseitigen ontersnchnng und einer so weitblickenden erörterong unterzogen
gewesen wäre, wie das hier geschah. Bot auch die art der Überlieferung des Nar-
renschüGs für leistungen in der textkritik keinen Spielraum, so war sie doch so aus*
gebreitet und so vielgestaltig, dass ihre yolständige samlung, gruppierung und ken-
zeichnung schon Sorgfalt und umsieht genug erforderte. Sprache und metrik eines
gedichtes dieser periode aber konte der herausgeber als ein noch kaum bebautes feld
bearbeiten. Die ausdrucksweise des dichters mit ihren vielen, nur aus den Verhält-
nissen seiner zeit und Umgebung verständlichen anspielungen, bildem und redensarten
erheischte eine fülle von wort- und Sacherklärungen, die nur aus einem ausgebrei-
teten und eindringenden Studium der mannigfaltigen verwanten litteratur fliessen
konten. Die besondere anläge und einkleidung des gedichtes, sowie verwante erschei-
nungen in der folgezeit nötigten litterarischen zusammenhängen nach vorwärts und
rückwärts nachzuspüren. Selbstverständlich haben nicht alle diese fragen ihre end-
gültige lösung durch den herausgeber gefunden; aber nach allen Seiten greifen seine
überaus reichhaltigen anmerkungen und excurse fordernd ein. Und bei der gewal-
tigen masse des einzelnen hat er doch den überblick über das ganze von einem
grossen gesichtspunkte aus festgehalten. Er gibt in der einleitung von Brants aka-
demisch-wissenschaftlicher und litterarischer gesamttätigkeit, von seinem Charakter
und seiner geistigen entwickelung ein klares, einheitliches bild auf dem sorgfältig
ausgeführton hintergrunde der grossen wissenschaftlichen, religiösen und politischen
bewegung seiner zeit Nirgend ist es Zamcke besser als in diesem werke gelungen,
zugleich den grossen und den kleinen aufgaben des philologen und litterarlüstorikers
gerecht zu werden.
Seine Cato- Übersetzung hatte Zamcke als habilitationsschrift verwertet; nach
einer Probevorlesung ^über die beziehungen der provenzalischen und französischen
poesie zur deutschen'^ erhielt er am 30. juli 1852 die venia legendi. Da die Univer-
sität eines Vertreters der deutschen philologie entbehrte, seit Haupt im april 1851 aus
politischen gründen seines amtes entsezt war, so wurde Zamcke bereitB nach zwei
Jahren zum ausserordentlichen professor dieses hohes emant
Und nicht nur durch die Verleihung des akadenusohen lehramtes, nicht nur
durch das erscheinen des Werkes, welches ein für allemal seinen wissenschaftlichen
ruf begründete, wurde das jähr 1854 für ihn ein höchst bedeutungsvolles. Die rede,
mit der er am 28. juli seine professur antrat, verkündete seinen anschluss an eine
wissenschaftliche bewegung, die zwischen ihm und den anhängem Lachmanns, ja
durch die germanistische weit überhaupt, einen tiefen riss ziehen solte.
Im an£EUig des Jahres waren Holtzmanns Untersuchungen über das
Nibelungenlied erschienen. Als Zamcke das buch in die band bekam, stand er
so eben im begriff eine arbeit abzusohliessen, welche einen beweis zu führen bezweckte,
dem auch ein wesentlicher teil der Holtzmannschen schiift galt: dass nämlich die
grundiage von Laohmanns textkritik unhaltbar, dass A keineswegs die ursprünglichste,
sondern eine sehr verderbte handschrift sei, auf die weder eine ausgäbe noch eine
hypothese über die Zusammensetzung der dichtung gegründet werden dürfe. Im
übrigen wichen seine anschauimgen von denen Holtzmanns sehr wesentlich ab; ins-
besondere hielt er C keineswegs für die ursprünghchste redaktion, sondern, im ein-
Uange mit Lachmann, für eine bearbeitung von B; in A erkante er manche evident
gute lesarten an, er war sogar der ansieht, dass die vorläge dieser handschrift B an
wert übeitroffen habe; nur hielt er A selbst für eine «gewissenlose, stümperhafte
76 vooT
und naseweise abschrift^ dieser vorläge (litt centralbl. 1854, sp. 116. Zur Nibehm-
genfrage s. 20). Es ist sehr zu bedauern, dass Zamcke in der alzu bescheidenen
meinung, die Wissenschaft habe nur gewonnen, wenn ihm ein mann zuvorgekommen
sei, n dessen längst anerkante Verdienste dazu beitragen würden, der Wahrheit die
gebühronde geltung zu verschaffen*^, die eigene arbeit um der Holtzmannsohen willen
zurückhielt. Denn darüber herscht jezt gewiss kein zweifei mehr unter den germa-
nisten, dass die anschauungen, welche er in seiner schrift niedergelegt hatte, der
Wahrheit erheblich näher kamen als die Holtzmanns. Aber er gab sich geüangen.
Schon in der ersten anzeige der Untersuchungen (litt cbL a. a. o.) erklärt er die
meisten einwendungen gegen C aufgegeben zu haben, ja er wünscht geradezu, sich
schon volständig überzeugt erklären zu können: „denn welch gewinn wäre es, wenn
man sich mit voller gewissensruhe dem genusse des textes jener praohthandschhit
hingeben könte, deren edler, aus einem gusse geflossener, massvoller stil auch in
dem blossen handschriften-abdnick zur bewunderung hinreLsst^. Und in seiner
antritsvorlesung hat er dann, sichtlich unter dem eindruck solcher empfindungen, den
Übergang volzogen.
Die freundlich bescheidenen, ehrenden werte, mit denen Zamcke am Schlüsse
dieser Vorlesung Moriz Haupts als seines lehrers und Vorgängers gedachte, werden
bei diesem wenig Widerhall gefunden haben. Denn gross war die entrüstung über
den angriff auf Lachmanns kritik. Im deoemberhefte der Kieler monatsschiift ergieng
sich Müllenhoff über „die herren Holtzmann und Zamcke und das ABC der Nibe-
lungen^ — leider in einem tone, der nur dazu angetan war, die gegner auch seinen
stichhaltigen aigumenteu unzugänglich und die sachliche fortführung der discussion
unmöglich zu machen. Es war „ein gift gefallen*^, A dem die germanistischen Stu-
dien lange krankten. Gegensätze wissenschafÜicher methode, wissenschaftlicher nei-
gungen und fahigkeiten hatten sich schliesslich so persönlich zugespizt, dass mistrauen
und geringschätzung zwischen anhängem und gegnem der Lachmannsohen Nibelun-
genkritik geradezu traditionell wurde. Auch Zamcke hat darunter gelitten; nicht
allein insofem, als man auf jener seite seinen Verdiensten die gebührende anerken-
nung versagte. Wer ihn wahrhaft schäzt, wird noch mehr bedauern, dass auch
ihm in der einzelkritik wie im gesamtnrteil über seine gegner der blick mehrfach
getrübt ward.
In der Nibelungenfrage verteidigte er — von den recensionen im Centralblatt
abgesehen — vor allem zwei jähre später in seiner ausgäbe und in den Beiträgen
zur erklärung und zur geschichte des Nibelungenliedes (Berichte der
Sachs, akad. VIII, 153 — 266) seinen Standpunkt Auch wer diesen nicht teilt, muss
ihm für die saubere, handliche ausgäbe der redaktion 0 mit den zweckmässigen bei-
gaben, vor allem der musterhaft knappen> und klaren einleitung, dank wissen; nicht
minder aber für die aus einem reichen schätze litterarischer, historischer und kultur-
geschichtlicher kentnisse geschöpften Sacherklärungen, die sich in jenen „Beiträgen'^
finden. Ein teil des aufsatzes im Jahrgang 1859 der Germania und die abhandlung
über die jagd im Nibelungenliede in Paul und Braunes Beiträgen vom jähre 1885 kön-
nen als fortsetzung dieser erläuterungen betrachtet werden, die leider nicht zu einem
ursprünglich beabsichtigten realkommentar vervolständigt und abgerundet wurden.
Schon seine Vorlesungen und die neuen auflagen seiner ausgäbe boten ihm die ver-
anlassung zur fortdauernden beschäfdgung mit der Nibelungenfrage. In weitere kreise
drang noch einmal das kampfgetöse, als ihn im jähre 1877 eine gar zu souveräne
äusserung Scherers über Lachmanns gegner zu einem heftigen angriff auf des meisteis
FBDEDBIGH ZABNCKE 77
heptadengläubige jünger veranlasste. Drei jähre später spürte er, wie er mir damals
schrieb, grosse lust, „wider einmal mit frischen kräften in die Nibelungenfrage hin-
einzntreten*'. Nach den weiteren werten dieses briefes hatte er sich schon damals
seinem nrsprün^chen Standpunkt und demjenigen Bartschs insofern genähert, als er
einen grossen teil der plosstrophen in C aufgab, während er doch meinte, dass C in
viel mehr punkten als B die originale lesart biete; eine ansieht, die er dann 1887
auch in der ausgäbe formulierte \ An der verwei'fiing der handschrift A hat er bis zulezt
festgehalten; und damit erachtete er auch die liedertheorie von vornherein füi* abgetan.
Mitten unter den stürmen des ersten Nibelungenstreites legte der junge pro-
fessor den grund zur eigenen häuslichkeii Am 9. april 1855 wurde er in der hei-
mat vom vater mit Anna Pauline Geitner aus Leipzig getraut. Neun jähre war
eir mit ihr vereint; dann wurde sie ihm durch den tod entrissen; sie blieb ihm fürs
leben unersetzlich. Aber eine verwitwete Schwester, sein söhn und drei töchter, die
in seiner näheren und nächsten Umgebung blieben, haben ihm bis zulezt die Segnun-
gen des familienlebens erhalten.
Die junge ehe schien zunächst durch eine andere gefahr bedroht In rastloser
tätigkeit hatte Zamcke neben den Nibelungenarbeiten auch die ausführung eines teiles
des von Benecke vorbereiteten, von W. Müller weiter beai'beiteten mittelhoch-
deutschen Wörterbuches übernommen und zugleich die von den Brant-studien
ausgegangenen forschungen zur älteren speciellen und algemeinen imiversitätsgeschichte
eifirigst fortgesezt Die reihe seiner ausgaben von urkundlichen quellen zur geschichte
der Universität Leipzig war im 3. bände der abhandlungen der königlich sächsischen
geselschaft der Wissenschaften eröfnei Zur Verwirklichung des planes einer zusam-
menfassenden Charakteristik des deutschen Universitätslebens im mittelalter war mit
der vorrede zu dieser publikation und mit dem ersten bände der unter dem titel
,Die deutschen Universitäten im mittelalter^ vereinigten quellenschriften
von algemeiner bedeutung der erste schritt getan. Eine anzahl ähnlicher bändchen
solte schnell folgen. Der ansehnliche quartband der Acta rectorum universitatis Lip-
siensis war dem erscheinen nahe. Eine Untersuchung über das Muspilli war begon-
nen. Schon war auch seinen bestrebungen und leistungen durch die im Oktober 1858
erfolgte beförderung zum Ordinarius die wolverdiente anerkennung zu teil geworden.
Da schien es, als solte seinem mannigfaltigen schaffen vorschnell ein ende gesezt
werden.
Ein blutsturz warf ihn im juli 1859 auf das krankenlager, und die ersten zei-
chen einer tuberkulösen lungenerkrankung wurden bemerkt. Im Oktober war er so
weit erholt, dass es ihm möglich schien, sich zum Winteraufenthalte nach Nizza auf-
zumachen. Aber auf der reise, in Wien, befiel ihn eine neue, schwerere lungenblu-
tung, der bald noch andere folgten. Erst ende november konte die reise fortgesezt
werden; doch wurde jezt Venedig als näher liegendes ziel gewählt. Am 2. december
schrieb der kaum vom tode errettete in Venedig die vorrede zu den Acta rectorum,
und bis zum april 1860 verbrachte er dort eine zeit fortschreitender genesung. Durch
längeres verweilen in Meran, in Bemeck im Fichtelgebirge und in der mecklenbur-
gischen heimat wurde seine gesundheit weiter gefestigt, so dass er im Wintersemester
1860/61 seine lehrtätigkeit wider aufnehmen konte. Aber erst nachdem er im früh-
ling oder Sommer 1862 eine schwere brustfelentzündung durchgemacht hatte, war das
leiden endgültig überwunden; und es folgten nun 29 jähre festester gesundheit und
xmgeschwächter arbeitskraft.
1) Vgl. aaoh Lit. cU. 1876 sp. 467 tg.
78 voOT
Von dem am mittelhochdeutschen Wörterbuch übernommenen anteil
konte Zamcke infolge der krankheit nur die hälfte zur ausführung bringen; ihrer
Vollendung widmete er während des winters 1862 — 63 seine ganze kraft; so konte
im friLhjahr 1863 der die buchstaben M — R umfiassende band erscheinen. Das mit-
telhochdeutsche Wörterbuch wurde eine wahre fundgrube nicht allein für die deutsche
wortkunde, sondern auch für die realien, für die grammatik, kritik und Interpretation
der mittelhochdeutschen denkmäler, das wichtigste hilfemittel für den wichtigsten teil
der altdeutschen Studien. Der dank dafür ist noch heute eine ehrenpflicht jedes ger-
manisten gegen Benecke, Müller und Zamcke. Wenn gegner der beiden lezten es
vorzogen, ihnen in recht gehässiger weise einzelheiten aufzumutzen, ohne ein wort
der anerkennung für die gesamtleistung zu finden, so ist das nur ein trauriges Zeug-
nis für jene partei Verhältnisse, welche aller gesunden kritik den boden entzogen.
Hatten Zamckes Veröffentlichungen bisher ausschliesslich der litteratur und
dem bildungswesen der blute und der spätzeit des mittelalters gegolten, so lieferte
er demnächst auch den beweis, dass seine Studien weit genug über diesen Zeitraum
hinweg nach vorwärts und rückwärts ausgegriffon hatten. Das lebhafte intei'esse für
die neuere deutsche litteratur hat ihn von der unlversitätszeit weiter durch das leben
begleitet, zeitweilig auch die richtung seiner philologischen forschung bestirnt. Als
am 19. Oktober 1865 die Universität Leipzig den Jahrestag begieng, an dem vor
100 jähren Goethe unter ihre studierenden aufgenommen war, erschien als festschrift
Zamckes abhandlung „Über den fünffüssigen Jambus mit besonderer rücksicht
auf seine behandlung durch Lessing, Schiller und Goethe". Von ihrem ersten auf-
treten in der altfiranzösischen und in der mittelhochdeutschen litteratur an wird hier
diese versart durch ihre nach zelten, nationaütäten und dichtungsgattungen verschie-
denen entwickelungsformen hindurch bis in das vorige Jahrhundert verfolgt, wo sich
nun für die deutsche nachbildung zunächst die französische, dann die englische
gestalt des fünffüsslers als massgebend erweist, bis Lessing aus dieser einen für seine
Achterische Individualität sehr charakteristischen dramatischen vers frei herausbildet.
An diesen knüpft dann Schüler umittelbar an, während Goethe vom italienischen
elfsilbler ausgeht (der ihm, wie Zamcke später zeigte, durch Heinse vermittelt wurde).
Die verschiedenen kunststufen, die der fünffüssler in Schillers und Goethes diohtung
durchläuft, die besondere art seiner rhythmik und deren Zusammenhang mit dem
Charakter ihrer poesie werden nun auch hier feinfühlig aufgespürt und klar gelegt
In demselben jähre aber, welches diese trefliche studio zur geschiohte unserer
modemen metrik und litteratur eintrag, hat Zamcke einen forderlichen kleinen bei-
trag zur geschiohte einer unserer ältesten dichtungen geliefert, indem er das Verhält-
nis der auf den Ursprung des Heiland bezüglichen Praefatio zu den Versus de
poeta feststelte, die Interpolationen jener bestirnte und so widerum zeigte, wie wol
er auch höhere kritik zu üben verstand, wenn die Überlieferung ihm nur genügende
anhaltspunkte für dieselbe zu bieten schien. Gleich das nächste jähr brachte zwei
weitere imtersuohungen zur littoraturgeschichte der zeit des fränkischen reichs, deren
eine die Sage von der trojanischen abkunft der Franken auf ein gelehrtes
misverständnis zurückführte, während die andere, schon vor der krankheit begonnen,
jezt zum ersten male den christlichen Ursprung der im Muspilli zu tage tretenden
Vorstellungen quellenmässig feststelte. In späteren jähren reihten sich diesen beson-
ders auf die quellen gerichteten Untersuchungen zur vormittelhochdeutschen periode
die über das Geoigslied und über das Annolied an.
FBBDBIGH ZASNGKB 79
Aber die gegenwart war dazu angetan, der Vergangenheit das interesee aaoh
dee eifrigsten forsohers streitig zu machen. Mit nicht geringer Spannung wird er,
der schon als borschensohafter für Deutschlands einheit geschwärmt hatte, die ereig-
msse des Jahres 1866 verfolgt haben, und ohne einen inneren konflikt zwischen
preussischem und sächsischem Patriotismus mag es wol nicht abgegangen sein. Jifit
um so rückhaltloserer begeisterung konte er im jähre 1870 die verheissungsvolle Ver-
einigung aller deutschen stamme zum kämpfe gegen Frankreich begrüssen, und, schon
seit Oktober 1869 rector der Universität, fand er reiche gelegenheit seinen feuereifer
für die grosse sache in wort und tat zu bewähren. Wie es ihm gelang dadurch die
herzen der oollegen und der commüitonen zu gewinnen, zeigten jene, indem sie ihm
auch für das jähr 1870—71 wider das rectorat übertrugen, während alle aus dem
feldzuge heimgekehrten Studenten ihm durch Überreichung eines mit ihren bildem
geschmückten albums ihren dank bekundeten. Mit einem kurzen, aber schönen und
gedankenvollen rückblick auf die schwere, herliche zeit des grossen krieges legte er
im Oktober 1871 sein ehrenamt nieder.
Auch ich kam damals nach beendigtem kriogsdienste nach Leipzig und wurde
mit freuden zeuge der Verehrung, die ihm Studenten aller iakultäten entg$gentrugen.
An einem oktobertage stand ich ihm zum ersten male in dem behaglichen arbeitszim-
mer an der Goethestrasse gegenüber. Noch sehe ich den statliohen mann vor mir,
wie er die dunkelen, lebhaften äugen unter hoch zusammengezogenen brauen for-
schend auf mich richtete, als wolte er aus mir herauslesen, was wol nach einem
Edda-coUeg bei Adelbert von Keller und einem kriegsjahre an altnordischem wissen
in mir vorhanden sein könne; denn mein anliegen galt der aufoahme in seine nor-
dische geselschaft Ich erreichte, was ich wolte; und einen abend jeder woche konte
ich mich nun in seinem gelehrtenheim mit einer anzahl gleichstrebender genossen unter
seiner leitung in der Übersetzung der Oylfaginning, später der Eyrbyggja saga üben.
Seine anforderungen waren nicht gering. Es ging von vornherein flott vorwärts, und
jeder muste mit schiitt halten, mochte er sehen, wie er es fertig brachte. Aber
immer war sein urteil human, niemals spöttisch oder souverän abweisend, immer
fordernd, niemals entmutigend. So war es auch in den deutschen Übungen, die er
seit dem sommer 1872 abhielt und aus denen sich dann das eifirigst durch ihn gefor-
derte germanistische sominar entwickelte; so auch in den persönlichen besprechungen,
für die der vielbeschäftigte rat suchenden schülem bereitwillig seine zeit opferte.
Sein freundliches, herzlich wolwoUendes wesen, die lebhaftigkeit, mit der er, selbst
rastloe tätig, zur energischen förderung einer einmal ergriffenen arbeit trieb, der
eifer, mit dem er ernsthaftem und ehrlichem streben die wege zu ebnen bemüht
war — das war es, wodurch er persönlich am meisten wirkte. Dem einzelnen das
ziel seiner arbeit stecken, ihm den weg dahin weisen oder ihn auf seinen eigenen
pfaden hinter sich herziehen war nicht seine art Er hat es nie darauf angelegt
schule zu bilden, sondern nur der freien entwiokelung des einzelnen die grundlage
zu geben.
In seinen Vorlesungen gieng er mehr ins detail, als es manchem, dem nur
an den hauptpunkten, nicht an speoialfragen lag, nötig erscheinen mochte; die jezt
immer wachsende, von der öffentlichen meinung und den prüfungsreglements eifrigst
unterstüzte zahl deijenigen studierenden, welche nichts mehr fürchten, als dass sie
auf der Universität etwas lernen könten, was für ihr examen oder für das amt nicht
unmittelbar notwendig ist, mag sich vollends durch das gebotene „überbürdet^ gefühlt
haben. Aber wer nur ein fünkchen forsohenstrieb besass, der muste gefesselt und mit-
80 VOOT
gezogen werden durch den lebendigen eifer, mit dem er jede wissenschaftliche frage
anfasste and klar legte, durch seine offenkundige freude am spüren und finden auch
im kleinen, durch seine anregenden hinweise auf gebiete, die der wissenschaftlichen
forschung noch offen standen. Immer war er sorgsam beflissen seine Vorlesungen
auf dem Standpunkte der neuesten forechung zu haiton, mochte es die gramma-
tik sein, deren gebiet er als lebhaft interessierter beobachter fi*emder Untersuchungen
betrat, oder die deutsche litteraturgeschichte des mittelalters, bei der er recht aus
der fülle eigener Studien schöpfen konte. Auch in seinen übrigen Vorlesungen, über
Walther von derVogelweide, das Nibelungenlied, den Parzival, den Faust, hat er die
ergebnisse eindringender selbständiger forschungen verwertet, von denen dies und
jenes auch veröffentlicht wurde. Eine herausgäbe seiner collegienhefte hat er aus-
drücklich untersagt; er hat sie auch nicht durchweg wörtlich ausgearbeitet, vieles
nur durch stichworte angedeutet. So blieb auch seinem voitrage der reiz des unmit-
telbaren. Die äugen auf das heft gerichtet, sprach er doch mit grosser lebhaftigkeit.
Die Zuhörer strömten ihm damals in menge zu; neben G. Curtius hatte er unter den
philologisch -historischen docenten das grösste auditorium.
unter den arbeiten der siebziger jähre ti-eten die eng zusammenhängenden
über den priester Johannes und über den jüngeren Titurel als die weitaus
umfassendsten in den Vordergrund. In dem einen falle galt es, eine überaus weit
verbreitete litterarische sage auf ihren Ursprung zurückzuführen und aus der über-
reichen tradition die einzelnen Stadien ihrer entwickelung klarzustellen ; in dem ande-
ren falle selten einige stücke eines inhaltlich an einem punkte mit der Johannessage
verknüpften gedichtes kritisch hergestelt und erklärt, zugleich dessen sehr verwickelte
und ausgebreitete handschriftliche Überlieferung gesichtet und in ein bestirntes Schema
gebracht werden. Ein gewaltiges material war für beide arbeiten zu bewältigen.
Allein für eine der verschiedenen quellen der Johannestradition, welche Zamcke im
zusammenhange mit seinen Untersuchungen kritisch herausgab, gelang es ihm 96 hand-
schriften nachzuweisen und etwa 80 teils im original, teils nach mitgeteilten proben
zu verwerten. Die Untersuchungen aber führten ihn weit über den kreis seiner
fachstudien hinaus in die orientalische geschichte des mittelalters. Die ausdauer,
Vielseitigkeit imd klarheit, mit der er solche aufgaben zu lösen vei'stand, zeigte er
auch hier. Leider ist er nicht zum abschluss des Werkes gekommen. Die erste
abteilang der in den Abhandlungen der sächsischen geselschaft erschienenen endgül-
tigen, zusammenfassenden gestalt desselben, eine neubearbeitung von 4 in den jähren
1874/75 erschienenen univemtätsprogrammen, folgte im jähre 1879 der schon 3 jähre
früher erschienenen zweiten abteilung; die verheissenen beiden schlusskapitel blieben
aus. In der Titurelstudie, welche die auf den graltempel bezüglichen stücke umfasst,
zeigt er wider, wie ausgiebig er die realien mittelhochdeutscher dichtung zu behan-
deln wüste. Die handschriftenfrage ist wol durch die vorsichtig abwägende erörterung
der schwierigen Verhältnisse nicht endgültig erledigt Jedesfals hat er, wie er es
beabsichtigte, durch sie eine sehr wichtige Vorarbeit für die dringend zu wünschende
kritische ausgäbe des gedichtes geliefert
Für das nächste Jahrzehnt wurde seine forschung mehr als je durch die neuere
litteratur angezogen, um sowol ihre niederungen wie ihren gipfel zu streifen: Chri-
stian Reuter und Ooethe bildeten den mittelpunkt seiner Studien. Auf jenen bis
dahin so gut wie unbekanten poeten eines unerfreulichen Zeitalters wurde Zamckes
aufmerksamkeit gelenkt, als ihm der buchhändler dr. A. Kirchhoff mitteilungen über
Leipziger städtische akten machte, durch die Reuter als Verfasser des Schelmufisky
FBIXDBICH ZABNCKE 81
erwiesen and über sein leben. und Schriftstellern überhaupt ein ungeahntes licht ver-
breitet wurde. Durch weiteres nachforschen in archiven, kirchenbüchem « standes-
amtslisten, durch briefliche anfragen bei bibliotheken und bei personen, von denen
nur irgend auskunft zu erwarten war, brachte er dann das material zusammen, aus
dem er ein lebhaft anschauliches bild des dichters und seiner Umgebung entwerfen
konte, eine litterarisch -kulturgeschichtliche Charakteristik, wie er sie seit seinem
Sebastian Brant nicht geliefert hatte. Und wer dann das erscheinen seiner weiteren
einzelpublikationen über Reuter und die litterarhistorische Stellung seiner dichtung
verfolgte, wird mit lebhaftem Interesse gesehen haben, wie sich jenes bild mehr und
mehr veiTolständigte und abrundete. Des Verfassers spürfreude, die vielseitige betrieb-
samkeit, die er bei dergleichen aufgaben entwickelte, sein unverdrossenes streben,
den gegenständ bis in alle Verästelungen hinein zu verfolgen — kurz Zarockes ganze
arbeitsweise tritt hier besonders charakteristisch und anteilheischend hervor.
An der spitze der Goethe -aufs ätze steht eine gratulationsschrifk an Karl
Hase, der durch die Verheiratung seines sohnes mit Zamckes ältester tochter diesem
verwantschaftlich verbunden war und den Zamcke schon Mher (1873) durch eine
kleine litterarische gäbe geehrt hatte. Diesmal war es eine scharfsinnige studio über
den Elpenor, welche im zusammenhange mit dem anlass und der quelle des dra-
mas den geplanten verlauf desselben über das erhaltene 'bruchstück hinaus zu recon-
struieren suchte. Ein anderes antikisierendes fragment, nach Zamcke zur Befreiung
des Prometheus gehörig, gab ihm später (1888), so klein es ist, doch gelegenheit
sein gesohick im entziffern schwer lesbarer niederschrieen wie in ihi'er umsichtigen
und scharfsinnigen erläuterung zu bewähren, eine kunst, die er in reichem masse
schon in der festgabe gezeigt hatte, mit welcher er im jähre 1884 die Dessauer phi-
lologenyersamlung beschenkte, nämlich in der ausgäbe und erklärung des im übelsten
zustande überlieferten notizbuches Goethes von der schlesischen reise des Jahres
1790. Seine eingehende beschäftigung mit der Faustsage hatte schon im jähre 1874
die bibliographie des Faustbuches in Braunes neudruck eingetragen; ihr folgten im
jähre 1884 ein aufsatz über Joh. Spiess, im jähre 1888 wichtige ergänzungen. Zarn-
ckee umfönglichste und verdienstvolste Goethe -publication aber war das erzeugnis einer
langjährigen, aus inniger Goetheverehi'ung fliessenden liebhaberei. Eine mit der rich-
tuug seiner Studien auf litterarhistorische quellenkunde eng zusammenhängende und
ihr dienstbar gemachte sammellust mag, wie schon oben angedeutet wurde, bereits
durch die tätigkeit in Meusebachs bibliothek angeregt sein. So legte er es denn
darauf an, einzelne teile seiner eigenen schönen büchersamlung nach und nach ganz
besonders zu vervolständigen; abgesehen von Christian Beuter wurden Lessing und
Goethe, vor allem die Faustlitteratur, reichlich und sorgfältig bedacht; so manche
dahin gehörige Seltenheit wurde erworben, manche bibliogi'aphische entdeckung
gemacht Den glanzpunkt aber bildete eine auf die vemnigung der reproduktionen
sämtlicher Goethe-bildnisse gerichtete samlung. Hier sezte er wider seine unver-
gleichliche ausdauer, rührigkeit und Sorgfalt ein, um nach und nach tausende von
nachbildungen zusammenzubringen, unter denen viele nur für ihn hergestelt wurden
und sonst nicht vorkommen. Wie überaU, so verband sich aber auch hier für ihn
selbstverständlich mit der mühsamen samlung auch die eingehendste wissenschaftliche
Untersuchung und Sichtung. Ihr entstamt ausser einer i-eihe von einzelaufsätzen das
mit gewohnter hingäbe und akribie ausgeführte, grundlegende Verzeichnis der
originalaufnahmen von Goethes bildnis, mit seinen weitvollen illusti*ativcn
t)eigaben; ein wichtiger und verdienstlicher beitrag zur Goethebiographie.
ZJEETSOJUUIFT F. DSUT8GHB PHnX)L0GU. BD. XZV. 6
82 VOGT
In den beiden lezten jähren seines lebens nahm heimatliches interesse seine
feder Yonviegend in anspruch. Ein kapitel aus der Universitätsgeschichte seiner zwei-
ten heimat, Leipzig, der um die mitte des 15. Jahrhunderts geführte merkwürdige
process des Studiosus Nikolaus Winter, hatte schon vor langen jähren bei der
amtlichen beschäftigung mit den Universitätsakten seine aufmerksamkeit auf sich gezo-
gen. Wie es ihm stets widerstrebte, in den dingen, mit denen er sich zu beschäf-
tigen hatte, irgend etwas unklares und verworrenes bei seite zu lassen, so hatte er
auch in diesem falle keine mühe gescheut, in die schwierige und verwickelte ange-
legenheit licht zu bringen. Jezt mochte die beschäftigung mit Christian Beuters pro-
zessen die Sache des Nikolaus Winter wider in erinnerung bringen, der mit Beuter
das Schicksal der relegation von der Universität Leipzig teilte. Dem gegenständ fehlte
diesmal das litterarhistorische interesse, ja er war an sich so unbedeutend wie mög-
lich. Aber er eröfnete unter Zamckes behandlung einen ausblick auf bedeutende
rechtsgeschichtliche Verhältnisse, und so lieferte der Verfasser widerum den beweis,
wie er auch an sich geringwertige dinge durch eindringende, nach allen selten aus-
gi-eifende erörterung wissenschaftlich fruchtbar zu machen verstand. — In die mecklen-
burgische Jugendheimat führte ihn sein leztes werk zurück, die nur für die familie
geschriebenen und gedruckten Erinnerungen an den vater und grossvater.
Giaiakteristisoh genug hat 6r selbst hier seine darstellung auf die gewissenhaftesten
und umständlichsten urkundlichen forschungen gegründet, hat ihr selbst hier den
grösseren kulturgeschichtlichen hintergrund gegeben. Aber nur in diesem falle konte
sich mit der wissenschaftlichen gründlichkeit die der persönlichen anschauung ent-
stamte lebenswarme Schilderung geliebter peisonen und Umgebungen verbinden. Ein
woltuender hauch kindlicher pietät ruht über dem buche; und trotz der alzu beschei-
denen Zurückhaltung, die der Verfasser über die eigene person beobachtet, hat er in
ihm seinem edlen herzen das schönste denkmal gesezi
Es ist, als hätte er eine ahnung davon gehabt, dass seinem leben ein ziel
gesezt sei, da er jezt den blick zu dessen anfangen zurückwante. Und doch blieb
ihm körperliche rüstigkeit und arbeits&ische bis zulezt gewahrt. Plötzlich übeifiel
ihn am 17. September ein unterleibsleiden, welches, bald von heftigen fieberanfäUen
begleitet, trotz der liebevollen pflege seiner kinder den bedrohlichsten Charakter
annahm. Ein innerer entzündlicher durohbruch von gallensteinen hatte, wie sich
später herausstelte, eine eitervergiftung des blutes zur folge gehabt Und doch
schien seine kräftige natur dem übel noch widerstand leisten zu wollen. Es war
eine zeit banger Spannung für die ganze Universität. Denn keines ihrer mitglieder
war wol enger mit ihr verwaclisen als Zamcke. Fast 40 jähre hinduixih hatte er ihi*
seine beste kraft gewidmet: dreimal war er — ein in neuerer zeit unerhörter fall —
durch das vertrauen seiner koUegen als rector an ihre spitze gestelt gewesen', hier
und in andern ehrenämtem hatte er eine seltene umsieht und gewantheit bewährt;
die philologisch -historische klasse der sächsischen geselsohaft der Wissenschaften, der
er lange als eines ihrer eifrigsten mitglieder angehörte, leitete er seit 1888 als ver-
sitzender; als director actorum der philosophischen fakultät hatte er sich wie kein
anderer in die geschichte der Universität eingelebt; er war ein lebendiger träger ihrer
traditionen und er sparte nicht sein wissen für eigennützige zwecke; er war ein
allezeit hülfbereiter berater, und gerade die jüngeren koUegen fimden in dem von
amts- und altersstolz zeitlebens unberührten manne stets das freundlichste entgegen-
kommen. So hörte man denn wol die äusserung, dass man sich die Universität
1) 1869/70. 1870/71. 1881/82.
fbhobioh zabnoke 83
ohne Zamcke gar nicht vorstellen könne; und als dann endlich doch das schmerz-
liche ereignis eintrat, da wnrde algemein anfHchtige trauer und herzliche teilnähme
laut Am schönsten haben Georg Rietschel und Wilhelm Wundt an seinem sarge
mit einer lebendigen Charakteristik des verstorbenen öffentlich Zeugnis abgelegt für
die seltene liebe und Verehrung, deren er sich, wie in der familie, so auch unter
den freunden und unter den amtsgenoesen erfreut hattet
Und einen nicht minder herben verlust als seine kollegen betrauerten in sei-
nem hingang seine sohüler, die ehemaligen sowol wie die gegenwärtigen. Hatten
doch auch jene noch lange nach ihrer Studienzeit wenigstens im brieflichen gedan-
kenaustausch seinen rat, seine hülfe, sein liebevoUes interesse, kurz die ti*eue fort-
fühmng jenes freundschaftlich teilnehmenden und fördernden Verhältnisses erfahren,
in welches er einst auf der Universität zu ihnen getreten war. Jener oben geschil-
derten art seines akademischen wirkens entsprechend fühlten sie sich mehr persönlich
als durch die besondere richtung ihrer Studien an ihn gebunden. Nicht wenigen
unter ihnen blieb Zamckes eigentliches arbeitsgebiet, das litterarhistorische, am fern-
sten, während sie ihre kraft gerade auf das von ihm kaum bebaute sprachwissen-
schaftliche concentrierten. Und doch würde man Zarnckes bedeutung in der geschichte
der germanistischen Wissenschaft unterschätzen, wolte man nicht zugestehen, dass
die wissenschaftliche denkweise seiner schüler durch ihn wesentlich mitbeeinflusst ist.
Ich wüste die seinige nicht besser zu charakterisieren als durch das urteil,
welches er mir einmal über einen von mir sehr geschäzten germanisten schrieb: „er
ist ja ein feiner köpf, aber er gehört ganz der schule, die den Scharfsinn höher stelt
als das gefuhl für Wahrscheinlichkeit und glaublichkeit '^. Er hielt es für durchaus
notwendig, dass wissenschaftliche aufstellungen niemals den engen Zusammenhang
mit den objektiven, jedermann wahrnehmbaren tatsaohen verlieren. Diese zu ver-
mehren und .zu sichten galt ihm für forderlicher, als der noch so kunstvolle und
scharfsinnige aufbau von hypothesen, die seines eraohtens nicht auf ausreichender
sachlicher grundlage, sondern auf einem aufbauschen an sich dürftiger, auf ein-
seitiger auslegung an sich vieldeutiger tatsachen ruhten, oder die auch mehr von
geschmacksurteilen als von beweisen abhiengen. Wurde nun vollends solchen auf-
stellungen durch die zuversichtlichkeit der behauptungen und durch das vorwQg-
vordammen alles Widerspruches der schein einer Sicherheit gegeben, von der sie
tatsächlich weit entfernt waren, und wurden sie in einem bestimten kreise als fest-
stehende dogmen behandelt, deren Wahrheit nur von unteigeordneten geistern nicht
recht erfasst zu werden vermöge, so sah er hier ein verderbliches und hassens-
würdiges treiben, dem er mit dem ganzen zom, dessen sein erregbares herz fähig
war, entgegentrat Jener seiner grundanschauung entsprechend betätigte sich sein
eigener scharfisinn nicht zum kleinsten teile in dem aufspüren und fruchtbarmachen
bisher ungenüzten wissenschaftlichen materials; und es liegt in der natur der sache,
dass ihn dieser sein entdeckungstrieb besonders auf entlegenere gebiete führte. Aber
niemals fand er im blossen stofsammeln genüge. Gerade das sichten und klären
besonders verworrener und weitläufiger Verhältnisse war sein eigentliches dement
Hier entwickelte er seine ganze bewunderungswürdige ausdauer, mochte es den hei-
ligen gral oder den rock des Nikolaus Winter gelten. Die anschauung, die sein
lehrer Haupt einmal aussprach, dass der philologe so gut wie der botaniker auch
1) Zur erinnernng an den heimgang von dr. Friedrich Zamcke (Leipzig, Breitkopf
mid HIrtol, 1891) i. 7 tg, 14 tjg. Kurze, trefliche werte im namen der schüler sprach Sieyers (ebenda
s. 18 %.).
6*
84 VOGT
das Unkraut zu berücksichtigen habe, machte sich auch bei ihm geltend. Dass er
seine ausserordentliche arbeitskraft nicht mehr auf höhere und grössere aufgaben con-
oentriert hat, ist bei alledem gewiss zu bedauern. Schliesslich rächte sich doch auch
die an sich heilsame abneigung gegen den wissenschaftlichen subjectivismus, indem
sie ihn zu einer übergrossen Zurückhaltung gegen eine im grosseren stile konstruktive
wissenschaftliche tätigkeit überhaupt und in weiterem zusammenhange damit auch zu
einer unterechätzung der besonders auf diesem gebiete liegenden Verdienste Müllen-
hoffs und Scherers führte.
Auch in anderer beziehung wirkte auf ihn sein wissenschaftliches prinzip zu-
gleich fördernd und beschrankend. Den festen boden, welchen er immer unter den
füssen haben weite, fand er nur in den schriftlichen quellen. Oegen alles, was
ganz oder zum guten teile aus mündlicher Überlieferung fioss, war er von einem
gewissen mistrauen nicht frei. So blieb das eigentlich volkstümliche, mythus und
mündliche sage, sitte, brauch und mundart seinem Studienkreise fem. Auch darin
berührte er sich mit Haupt Aber anläge und neigung führten ihn nicht wie diesen
auf die textkritik. Ihn zog vor allem das verfolgen weitreichender litterarhistorischer
zusammenhänge an, wie er sie in den mittelalterlichen sagenstoffen fand; nur muss-
ten diese beziehungen sich quellenmfissig nachweisen lassen. So reizte es ihn beson-
ders, wo man volksmässige traditionen mythischer oder sagenhafter art annahm, an
deren stelle schriftliche oder gelehrte Überlieferung nachzuweisen. Das gelang ihm
zweifellos bei der Trojasage; ebenso beim Muspilli und bei der tiersage, über die er
in seiner litterarhistorischen Vorlesung, längst ehe MüUenhofiGs aufsatz erschien, diesem
im wesentlichen entsprechende anschauungen detailliert vortrug. Auch die Nibelun-
gensage, die Oralsage und die Faustsage wurden in den bezüglichen collegien aus-
führlich erörtert, und immer suchte er so viel wie möglich der schriftlichen tradition
zu ihrem rechte zu verhelfen. Auf die Überlieferungen vom priester Johannes wurde
er natürlich widerum durch das besondere interesse an den litterarischen sagen
geführt.
Der einfluss der grundanschauungen Zamckes auf seine schüler ist wol nicht
zu verkennen, wenn diese sich zum guten teile möglichst an das zweifellos wahr-
nehmbare, greifbare zu halten suchen. Dieser umstand mag wenigstens mitwirken,
wenn nicht wenige von ihnen exacte sprachliche Untersuchungen vor allem bevor-
zugen, und wenn andere bei der kritischen behandlung der texte sich weit enger,
als es bisher geschehen war, an die handschriftliche Überlieferung anschliessen,
gegen conjekturalkritik aber und gegen das auflösen eines überlieferten textes in angeb-
lich einst verschiedene demente sich mistrauisch verhalten. Es scheint, dass diese
konservativere richtung und die Überzeugung, dass man die Sicherheit der bisher
geübten kritischen methode überschäzt habe, sich in weiteren kreisen bahn bricht,
was voraussichtlich manche weitere Umgestaltung in unserer Wissenschaft zur folge
haben wird. Freilich machen sich auch schon ausschreitungen genug bemerklich,
und die tatsache, dass ein jeder zunächst von den altmeistem der kritik ausserordent-
lich viel lernen muss, ehe er es versuchen darf sie zu berichtigen, wird noch nicht
überall genügend gewürdigt. — Auf denjenigen gebieten, welche Zamcke femer lagen,
zeigt sich auch bei seinen schülem der einfluss MüllenhofiiB und Scherers.
Dem persönlichen Verhältnis zwischen ihm und seinen schülem tat eine Ver-
schiedenheit dieser oder jener wissenschaftlichen meinung keinen einti'ag. Wer sei-
nen beistand brauchte, fand ihn allezeit auf dem platze; wo er nichts zu helfen hatte,
zog er sich leicht zurück.
FBIBDBICH ZABNCEE 85
Der einband des lezten buches, welches er geschrieben hat, ist mit einem
omblem geziert: ein mächtiger eichbaum überschattet einen bienenkorb, um den der
schwärm sich tummelt; darunter steht der wahrspruoh ,, tätig und treu^. Er hat
ihn gehalten bis zum tode.
CHRONOLOOISCHES VERZEICHNIS VON ZARNCKBS SCHBIFTEN.
1850—91.
Reoensionen im litterarisohen centralblatt.
1850.
Die Meusebachsche bibliothek.
Deutsche zeitung 1850 nr. 40 2. beilage und Naumanns Serapeum jahrg. XI
s. 89— 96. 109—112.
1851.
Ein Spruch und ein rätsei von Hans Folz. Zs. f. d. alt. 8, 537 — 42.
1852.
Der deutsche Gato. Geschichte der deutschen Übersetzungen der im mittelalter unter
dem namen Gate bekanten distichen bis zur Verdrängung derselben durch die
Übersetzungen Seb. Brants am ende des 15. jahrh. von dr. Fr. Zarncke. Leip-
zig (Gecrg Wigand) 1852. VI, 198 s. 8.
1853.
Hans Vindlers Blume der tugend. Zs. f. d. a. IX, 68 — 119.
Über die Quaestiones quodlibetioae. Ebenda s. 119 — 126.
Zur frage nach dem Verfasser des Reineke. Ebenda s. 374 — 88.
Zum pfaffen Amis. Ebenda s. 399—400.
1854.
Sebastian Brants narrenschiff herausgegeben von Friedrich Zarncke. Mit 4 holz-
schnitten. Leipzig (Georg Wigand) 1854. CXLII, 495 s. 4.
Zur Nibelungenfrage. Ein Vortrag gehalten in der aula der Universität Leipzig am
28. juli von Friedrich Zarncke. Nebst zwei anhängen und einer tabelle. Leip-
zig (S. Hirzel) 1854. 42 s. 8.
1856.
Beitrage zur erklärung und geschichte des Nibelungenliedes.
Berichte über die Verhandlungen der königi. sächs. geselschaft der Wissenschaf-
ten zu Leipzig. Philol. histor. Uasse. Band 8 s. 153 — 266.
Das Nibelungenlied herausgegeben von Friedrich Zarncke. Leipzig (G. Wigand)
1856. LXXX, 444 s. 16. — 2. auf. 1865. — 3. aufl. 1868. — 4. aufl. 1871. —
5. aufl. 1875. — 6. aufl. (12. abdruck des textes) 1887.
Kaspar von der Roen. Germania 1, 53 — 63.
Zum Nibelungenlied. Ebenda s. 202—7.
1857.
Die urkundlichen quellen zur geschichte der Universität Leipzig in den ersten 150 jäh-
ren ihres bestehens.
Abhandlungen der philol. histor. klasse der königi. sächs. geselschaft der wis-
sensohaftan. Bd. 2, 509—922 und 2 tafeln.
Die dei^tschen Universitäten im mittelalter. Beiträge zur geschichte und Charakteri-
stik derselben, mitgeteilt von Friedrich Zarncke. Erster beitrag. Leipzig
(T. 0. Weigel) 1857. X, 266 s. 8.
86 VOGT
18&9.
Acta rectoram universitatis studii lipsieDsis inde ab anno MDXXIIU usque ad annuiu
MDLVnn auotoritate et auspioiis Joannis Pauli de Falkenstein a potentifisimo
Saxoniae rege rebus ecolesiasticis et institutioni publicae administrandis praefecti
edidit Fridericus Zarncke. Anno post conditum Lipsiae Studium generale
CCCCL post Christum natum MDCCCLVIIII typis et impoDsis Bemhardi Tauch-
nitz. Xn, 526 s. und 2 tafehi. fol.
Zum Nibelungenliede. Germania 4, 421 — 39.
1861.
Die Statutenbücher der univei-sitfit Leipzig aus den ersten 150 jähren ihres bestehens
im namen der philoL-histor. klasse der k. sächs. geseischaft der Wissenschaften
herausgegeben von Friedrich Zarncke. Leipzig (Hirzel) 1861. XII, 625 s. gr.8.
1863.
Mittelhochdeutsches wöi-terbuch. Mit benutzung des nachlasses von G. F. Benecke
ausgearbeitet von W. Müller und F. Zarncke. 2. band l.abteilung M — R. Bear-
beitet von Friedrich Zarncke. Leipzig (S. Hirzel) 1863. VI, 825 s. 8.
Beiträge zur mittellateinischen Spruchpoesie: 2 gereimte Übertragungen der sog. Disticlia
Catonis, über den Facetus, ein Supplementum Catonis.
Berichte über die verhandl. der k. sächs. geselsch. usw. bd. 15, 23 — 78.
Über die neuaufgefundenen ältesten Statutenbücher der juristischen fakultät der Uni-
versität Leipzig. Ebenda s. 79 — 92.
Bede zum gedächtnis von Jacob Grimm und zur eröfnung der germanistischen section.
Verhandlungen der 22. versamlung deutscher philologen und Schulmänner in
Meissen. Leipzig 1864. 4. S. 62—66.
Jacob Grimm. l^^^-
Die Wissenschaften im 19. Jahrhundert £ine rundschau für das gebildete
Publikum. Band 9 heft 1. Sondershausen 1864.
1865.
Der hundertjährigen widerkehr des tages, an welchem Wolfg. Goetlie am 19. Oktober
1765 in die zahl ihrer studii'enden aufgenommen ward, widmet die univeraität
Leipzig die nachfolgende abhandlung ihres mitgliedes dr. Friedrich Zarncke.
Über den fünffüssigen Jambus mit besonderer rücksicht auf seine behandlung durch
Lessing, Schiller und Goethe. Leipzig, druck von A. Edelmann. [1. abteilung.]
VI, 93 8. 4.
Weitere beitrage zur mittellateinischen spruchpoesie. I. Eine dritte gereimte bear-
beitung der s. g. Disticha Catonis s. Cato interpolatus.
Berichte über die Verhandlungen der königl. sächs. geselsch. usw. 17, 54—103.
Über die praefatio ad librum antiquum lingua Saxonica oonscriptum und die versus
de poeta etc. Ebenda s. 104—112.
1866.
Über das althochdeutsche gedieht vom Muspilli.
Berichte über die Verhandlungen usw. 18, 191 — 228.
Über die sogenante Trojanersage der Franken. Ebenda 18, 257—85.
1868.
Zur voi^eschichte des narrenschifs. Naumanns serapeum 29, s. 29 — 54.
Zum Nibelungenliede. Germania 13, 445—67.
FBIBDBICH ZARNOKE 87
1870.
Eino vierte umarbeitoDg der sogenanten Disiicha Catonis.
Berichte über die Verhandlungen usw. bd. 22, 181 — 192.
Miscellaneen germanistischen inhaltes: 1. Zum zweiten Helgiüede. 2. Zorn Hilde-
brandsliede. 3. Metram alemanninm. 4. Zu Wolframs Parzival. 5. Zu Wolframs
leben. 6. Friedrich der grosse und das Nibelungenlied. 7. Easpai* von der Bhön.
8. Zur geschichte des fünffüssigen Jambus. 9. Des Paulus Aemilius Bomanus
Übersetzung der bücher Samuelis. Ebenda s. 193—226.
1871.
Zwei mittelalterliche abhandlungen über den bau rhythmischer verse.
Berichte über die Verhandlungen usw. 23, 34 — 96.
Rede bei der Übergabe des rektorates.
Beden gehalten in der aula der Universität Leipzig beim rectoratswech»el am
31. Oktober 1871. Leipzig, druck von Edelmann. 4. S. 1 — 23.
Zur Vorgeschichte des narrenschifs. 2. mitteilung. Leipzig (T. 0. Weigel) 1871. 8 s.
gr. 8.
1873.
Fides. Constantia. Robur. Die drei freunde von der rasenbank und das denunciations-
protokoU. Ein beitrag zu den idealen und iitümem. Henn geheimen kirchem*at
dr. Th. Carl Hase am 4. juni 1873 mit freudigen glüokwünschen überreicht von
einem Freundschaftlich Zugethanen. [Druck von Drugulin in Leipzig. In 25 ezem-
plaren abgezogen.] 30 s. 8.
1874.
Über den althochdeutschen gesang vom heiligen Georg.
Berichte der k. sachs. gesehchaft usw. bd. 26, 1—40.
Ex ordinis philosophorum mandato renuntiantur philosophiae doctores. . . . MDCCCLXXIIl»
— MDCCOLXXIV creati. Praemissa est Friderici Zarncke h. t. decani com-
mentatio ,de epistola quae sub nomine presbyteri Johannis fertur*^ patrio sermone
oonscripta. lipsiae, typis A. Edelmanni. 66 s. 4.
1875.
Memoriam Frid. Aug. Guil. Spohnii die XX. mens. jan. anni MDCCCLXXY . . . oele-
brandam indicit Frid. Zarncke h. t. decanus. Praemissa est Friderici Zarncke
commentatio „de patriarcha Johanne quasi praecursore presbyteri Johannis*^ patrio
sermone scripta. Lipsiae, typis A. Edelmanni. 18 s. 4.
Memoriam Joh. Aug. Emestii die XX. mens. Jan. anni MDCCCLXXY . . . celebran-
dam indicit Frid. Zarncke . . . Praemissa est Friederici Zarncke commentatio „ de
epistola Alexandri papae IQ ad presbyterum Johannem^ patrio sermone scripta.
Lipsiae, typis A. Edelmanni. 21 s. 4.
Memoriam Car. Frid. Eregelü de Stembach die XVII. mens. Julii anni MDCCCLXXY
... celebrandam indicit Frid. Zarncke ... Praemissa est Friderici Zarncke
commentatio „de rege David filio Israel filü Johannis presbyteri*^ patrio sermone
scripta. Lipsiae, typis A. Edelmanni. 23 s. 4.
Ex ordinis philosophorum mandato renuntiantur philosophiao doctores . . . aMDCCCLXXIY
— MDCCCLXXY creati. Praemissa est Friderici Zarncke commentatio patrio
sermone conscripta, in qua, quis fuerit qui primus presbyter Johannes vocatus
ait, quaeritur. Lipsiae, typis A. Edelmanni. 35 s. 4.
Über Olivers historia Damiatina und das sog. 3. buch der historia Orientalis des Jacob
von Yitry. Berichte der k. Sachs, geselsch. usw. bd. 27, 138—148.
88 VOGT
Eine zweite redaktion der Georgslegende ans dem 9. Jahrhundert.
Berichte der k. sächs. geselsch. usw. bd. 27, s. 256—277.
Das Nibelungenlied. Ausgabe für sohulen mit einleitung und glossar. 5. (6.) abdruok
des textes. Leipzig (G. Wigand) 1875. — 2. aufl. 1876. — 3. aufl. 1879. —
4. aufl. 1881. — 5. aufl. (10. abdr. des textes) 1884. — 6. aufl. (11. abdr. des
textes) 1887.
1876.
Kleinigkeiten: 1) Zu Walthers elegie. 2) Zu den gedichten vom herzog Ernst
Beiträge zur gesch. der deutsch, spr. u. litt. 2, 574 — 585.
Zur geschichte der gralsage. Ebenda 3, 304 — 334.
Der Graltempel. Vorstudie zu einer ausgäbe des jüngeren Titui^l von Friedrich
Zarncke.
Abhandlungen d. phil.-hist. kl. d. k. sächs. geselsch. bd. YU nr. 5 s. 373 — 554.
Der priester Johannes, zweite abhandlung, enthaltend kapitel IV, V und VI, von
Friedrich Zarncke.
Abhandlungen der phil.-hist. klasse der k. sächs. geselsch. bd. VIII nr. 1 s. 1
—186. (Vgl. jähr 1879).
Wolfenbüttler bruchstück des jungem Titui'el. Germania 21, 431—434.
1877.
Über das fragment eines lateinischen Alexanderliedes in Verona.
Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 29, s. 57 — 69.
Über eine neue lateinische redaktion des briefes des priesters Johannes.
Ebenda s. 111 — 156.
Die Heptaden und die Heptadisten. Pi'eussische Jahrbücher 40, 475 — 486.
Die Berleburger handschrift des Titurel und der schluss dieses gedichtes.
Germania 22, 1 — 16.
Die Tübinger Titurelbruchstücke. Ebenda 16 — 19.
Zur kritik der Goethebildnisse.
Augsburger alg. zeitung beil. 1877 nr. 173. 178. 188. Hauptblatt 225.
1878.
Zur kritik der Goethebildnisse. Augsb. alg. zeitung beil. 1878. Nr. 278. 288.
Zu den Heptaden. Pi-eussische Jahrbücher bd. 41 s. 108 — 109.
Zur Waltherfi-age. Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 30, 32—40.
Zur collation der handschrift A der klage. Ztschr. f. deutsch, altert. 22, 316 — 319.
Nachtrag zu seinem vortrage über zwei neue lateinische redaktionen des presbyter-
briefes (vgl. 1877, s. 111 fg.). Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 30, 41—46.
[Bibliographie der Faustbücher, unterzeichnet F. Z.
Braunes neudrucke nr. 7 und 8. 8. III— XIX.]
1879.
Der priester Johannes, erste abhandlung, enthaltend kapitel I, 11 und HI, von Frie-
drich Zarncke.
Abhandlungen der phil.-hisi kl. der k. sächs. geselsch. bd. VII nr. VIU s. 827
- 1030. (Vgl. jähr 1876.)
Zwei Goethebüsten. Augsb. allg. zeitung beil. 1879 nr. 1(X).
1880.
Zu Germania 24, 392 fg. (Gegen Nageies versuch, die Bomfahrt des bischofs Wolf-
ger in das jähr 1199 zu setzen). Germania 25, 71 — 72.
PRIEDBICU ZARKCSE 89
Zu Walther und Wolfiuiu. Beiträge z. gesch. d. dentscheu spr. u. litt 7, 582—609.
Zar 50jährigen widerkehr des tages, welcher einst K. A. Hase der Universität Jena
zuführte zmn 15. 7. 80 widmet innige glück- and Segenswünsche der Freund-
schaMich Zagethane. Leipzig, drack von W. Brugulin. 44 s. kl. fol. Abgezo-
gen in 50 bezifferten ezemplaren (über Elpenor).
Eine verschollene und wider gefundene Goethe -Statuette von Rauch.
Augsb. alg. Zeitung beil. 1880 nr. 215.
1881.
Zu den Eügelgen'sohen Goethebildnissen. Augsb. alg. zeitung 1881 nr. 101.
Karl August und Goethe von Juel. Ebenda beilage nr. 231.
Über geschiohte und einheit der philosophischen facultät. (Bede gehalten beim antritt
des rectorats). Leipzig 1881.
1882.
Theodor Kömers relegation aus Leipzig. Nach den akten L II.
Augsb. allg. zeitung 1882. Beil. nr. 249. 250.
Zu der rhythmischen version der legende von Plaoidas-Eustathius (Zs. 23, 273 fgg.)
Ztschr. f. deutsches altert 26, 96 — 98.
Reotoratswechsel an der Universität Leipzig am 31. Oktober 1882. I (s. 1 — 16). Bede
des abtretenden rectors dr. Friedrich Zarncke. Bericht über das Studienjahr
1881—82. Leipzig, druck von Edelmann. 4.
1883.
Zwei neue, von herm dr. Milchsack in Wolfenbüttel au^efundene bruchstücke einer
handschrift der gedichte Walthers von der Yogelweide.
Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 35, 145 — 158.
Goethes Jugendporträts. Goethe -Jahrbuch 4, 141 — 154.
Ein.st und jezt Aus dem verfassungsieben der Universität Leipzig. Festrede zur feier
des geburtstages sr. msg. des königs Albert am 23. april 1883 in der aula der
Universität Leipzig gehalten von dr. Fr. Zarncke, d. z. prorector. (S. A. aus
der wissenschaftlichen beilage der Leipziger zeitung 1883, nr. 36).
1884.
Christian Beuter, der Verfasser des Schelmuffeky. Sein leben und seine werke. Von
Friedrich Zarncke.
AbhandL der phiL-hist. klasse d. k. sächs. geselsch. bd. IX nr. Y s. 455 — 661.
Zu Goethes doctoi-dissertation. Goethe -Jahrbuch 5, 345.
Johann Spiess, der herausgeber des Faustbuches, und sein vorlag.
Augsb. alg. zeitung beil. 1884 nr. 246.
Goethes notizbuch von der schlesischen reise im jähre 1790. Zur begrüssung der
deutsch -romanischen section der 37. versamlung deutscher philologen und Schul-
männer in Dessau am 1. Oktober 1884 herausgegeben von Friedrich Zarncke.
Leipzig, druck von Breitkopf und Härtel. In 100 ezemplaren gedruckt. 32 s.
und 1 tafeL gr. 4.
1885.
Die jagd im Nibelungenliede. Beiträge z. gesch. d. d. spr. u. litt. 10, 384 — 402.
Althochdeutsche paradigmata von F. Z. Sommersemester 1885. Als manuscript
gedruckt (von Breitkopf und Härtel in Leipzig). 8 s. gr. 8.
Zu den Goethebildnissen. I. Zu den Eügelgenschen.
Augsb. alg. zeitung beil. 1885 nr. 263.
90 VOGT, FRISDRICU ZAHNCKE
Zu den Goethebildnisson. IL Das Fraserporträt. Ebenda nr. 266. 267.
Zu den Goethebildniasen. m. Die portrats des Jahres 1779. Ebenda nr. 268.
1886.
Zum niederdeutschen hoohzeitsgedichte ans dem jähre 1694.
Korrespondenzbl. d. verems f. niederd. Sprachforschung 11, 83.
Zwei neue Ooethebildnisse und einiges andere. Augsb. alg. zeitg. beil. 1886 m*. 13.
1887.
Christian Reuter redivivus. Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 39, 44—104.
E. Schnippel, Über das runenschwert dos kgL historischen mueeums zu Dresden
mit einleitenden bemerkungen von Zarncke. Ebenda 125 — 170 mit 3 tafeln.
Weitere mitteilungen zu Christian Beuters Schriften. Ebenda 253 — 277.
Christian Reuter als passionsdichter. Ebenda 306 — 368.
Zum Annoliede. Ebenda 283—305.
Das englische Volksbuch vom dr. Faust AngUa band 9, 610—612.
1888.
Kwzgefasstes Verzeichnis der originalaufhahmen von Goethes bildnis. Zusammengo-
stelt von Friedrich Zarncke. Mit 15 tafeln.
Abhandl. der phil.-hist. kl. der k. sächs. geselsch. bd. XI nr. 1 s. 1 — 132.
Neue mitteilungen zu den werken Christian Reuters.
Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 40, 71 — 136.
Zur bibliographie des Faustbuches. Ebenda s. 181 — 202.
Bruchstücke aus Goethes befreiung des Prametheus. Goethe -jahrb. 9, 3u. 4. 77 — 82.
Aus dem notizbuche von der schlesischen reise.
Goethes werke heraiisg. im auftrage der grossherzogin Sophie von Sachsen.
Abt. m bd. 2 s. 20—24. 331—333.
Nochmals allerlei über Goethebildnisse. Augsb. alg. zeitung beil. 1888 nr. 94. 97. 100.
1889.
Berichtigung fremder und eigener angaben zu Christian Reutor.
Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 41, 28—35.
1890.
Zur Ecbasis captivi. Berichte der k. sächs. geselsch. bd. 42, 109 — 120.
Zu Goethes schlesischer reise. Goethe -Jahrbuch 11, 64.
Causa Nicolai Winter. Ein bagatelprocess bei der Universität Leipzig um die mitte
des 15. jahrhundei-ts. Von Friedrich Zarncke.
Abhandl. der phil.-hist kl. der k. sächs. geselsch. bd. 12 nr. 1 s. 1 — 114.
Zu den i'edupliciei'ten präteriten.
Beitr. z. gesch. d. deutsch, spr. u. litt 15, 350 — 359.
1891.
Aus dem leben des grossvaters und dem jugendleben des vaters. Den gesch wistoi-n
erzählt von bruder Friedrich. Als manuscript gedruckt Leipzig, druck von Breit-
kopf und Härtel. XII, 224 s. und 1 tafel. 8.
BRESLAU. FBDSDBICH VOQT.
MSUBB, ÜBIB bCHTJLTZ, HÖFISCHES LEBEN 91
UlTBEATUR
Alwin Sehvlts, Das höfische leben zur zeit der minnesinger. Zweite ver-
mehrte und verbesserte aufläge. Leipzig, S. Hirzel. 1889. 1. band XVI, 688 s.
mit 176 holzsohmtten. 16 m. 2. band 504 s. mit 196 holzsohnitten. 14 m.
(Schluss.)
8.538] Zabelwarte bedeutet an den angeführten stellen nicht das von Schultz
angegebene. Ursprünglich hatte es zwar wol diesen sinn; aber später heisson alge-
mein alle werte, die während des spiels gesprochen werden, xabelicorte, xabelrede,
und es scheint dann eine scherzhafte, witzig pointieiie conversation zu bedeuten. Es
komt uns wunderbar vor, dass man bei dem Schachspiel viel gesprochen haben soll,
während unsere vorfahren daran keinen anstoss nahmen.
S. 540] Zu anm. 2 vgl. noch Renner 21813.
S. 542] Anm. 1 füge hinzu Teichner Eang. anm. 221.
S. 544] Das ringspiel (anm. 2) wird auch Parz. 368, 12 und Wülehalm 327, 8
{vingerlin snellen) erwähnt. — Das oben genante fragen scheint öfter angewant zu
sein: So spielt ein liebhaber mit seiner geliebten um ein „Frag an*^ läeders. 1, 140,
496). Erst wüifeln sie, wer die frage tun darf, dann entscheiden sie durch das zie-
hen eines halmes: wer den längsten erhält, darf fragen (145, 675 fgg.). Bedingung
ist auch hier wol, dass auf die frage wahrheitsgemäss geantwortet werden muss.
Ebenso wird um die frage gespielt in der anm. 3 aus dem kloster der minne (Lie-
ders. 2, vers 200) angeführten stelle. (Solte übrigens statt vinger xelln vielleicht vin-
ger sneün zu lesen sein?)
S. 545] Bei dem tanze nimt der herr die schleppe der dame mit in die band:
Der kiinee leite dd den ta/nx: Er na/m die vrouwen mit ir swanx. St sungen umn-
neeUehe Virg. 1007, 1 ; Der herre üf alahen liex einen tanx, Er nam die künegtn
mit ir swanx Virg. 1032, 1; vgl. ebd. 1091, 4 fgg. — Auch die männer tragen
kiänze beim tanzen, so Karl (Karlm. 292, 50 fgg.) und Godyn (Earlm. 210, 58). Über
die art des zusammentanzens von zweien oder dreien vgl. lol. 4831 und 5303. Fer-
ner tanzen zwei herren und eine dame noch Gärel 4875 fgg. 4893 fg. Gesang und
musik verschiedener instrumente begleiten den tanz Virg. 1033, 2 fgg.: Die herren
tanxten im gexelt Und auch die edelen vrouwen, Si sungen tourmeelieh gesane,
Dar under aiie^en Karpfen khme: Man mac at gerne echouwen. Buaünen wurden
auch ersehaU Und seitenspil dd mite: Man hortes verre durch den walt.
Auch der tanz ist in seinen formen der mode unterworfen. Mit dem ausgang
des mittelalters wird er immer wilder und toller, und es scheinen zum teil welsche
tanze die neuen zu sein. Im Ring (39 b, 3; 30 b, 7) wird alte e und niuwer sit
unterschieden, und der Teichnor ergeht sich schon früher in dem raisonnement: Der
mit xükten tanxen pflöge, Das^ w(ßr hundertatunt aö wage, Dan da^ treten üf und
nider. Er ist gote vaate wider Umb den aelben ridewanx, Dan umb xühtieliehen
tanx (Karsy. anm. 213). Genauer geht derselbe dann noch an folgender stelle auf
den imterschied ein: £ dd aaeh man tanxen Ita, Damdeh huop aich reigen aider,
Nu iat e^ nit da/n üf und nider. Ich wei^ nit, wie ieh$ nennen aoU, Ob ieh^ über-
nemen (Übernamen geben) wolt. Er vergleicht den tänzer dann mit den auf und
nieder hüpfenden weinpressem, mit einer kuh die mit ihrem schwänz die fliegen
veijagt oder mit einem hirsch, der sein geweih abreibt. Und dann erzählt er das von
Neidhart (HMS. 3, 205; XYm, 7) als niuwer hoveain erwähnte dahinschleichen
92 MEIER
mit einem mit wein gefölten becher auf dem haupt, das auch auf bildern dargestelt
wird : Ich denek noch wol da^ e^ nit toas Und da^ einer ein lüter glof üf dem
houpt im reigen fiiert Volley tcin da^ nie verrüert: Da^ tccer nu eim ta/nxar Vil'
WU des vil swcer. Halt umb^ glas wil ich gedctgen: Er mökt Verliesen ab sim
kragen Mantel roe und gugelhuot Mit dem schütten sd er tuot. Ich gedenk noch
tool den tac Da^ man senfter reien pflae Dan fnan ietxunt tanxen siht Lie-
ders. 3, 295, 20.
S. 546] Es wurde sowol nach instramentalmusik, wie nach tanzliedem der
reihe getanzt; vgl. Ring 38 c, 32 fgg. Weniger künstliche tanzlieder, als gewöhnlich,
die aber wol mehr den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, finden wir im King
38 0, 41. 39, 18. 39, 40. 39 c, 25.
S. 549] Über im virekti vgl. zu lol. 3103; der von Schultz mit Böhme davon
getrente Fierlefei ist wol der gleiche tanz, und nur der name ist entsteli — Der
bdxolt ist an der angeführten stelle und sonst immer nur ein ausdruck für minnespü
(vgl. DWb. 2, 271), wie der gimpelgampel.
S. 551] Über die namen von musikinstrumenten war noch zu vergleichen Bo-
quefort, Mat de la Litterature fran^ise s. 98 fgg. und Hofibnann von Fallersieben
Hor<B Belgiea 6, 190 fgg. Im einzelnen werde ich die citate an den fraglichen stel-
len geben. Vgl. auch das verbot des rates zu Speyer (HHgard nr. 503 s. 445, 38 fg.
a. 1347): (man soll nicht bei nacht gehen) mit deheinre phiffen, drumen, orgeln,
quintemen, rotden, videln oder ander Seiten spü, wie dax heisset,
S. 554] Über die rotte siehe auch Horse Belg. 6, 198.
S. 555] ghiteme Horse Belg. 6, 197; vgl. noch Yerdam en Verwes, MndL wb.
2, 1984. — citole Richars li biaus 4125, sitole Hör» Belg. 6, 199; Mndl. wb. 1,
1508. — rubebe Qeom. 17275, rebebte Hör» Belg. 6, 198. — Zu anm. 7 vgl. Hoff-
mann, Hör» Belg. 6, 197.
S. 557] Über Symphonie vgl. Hör» Belg. 6, 199. — Anm. 11: Frauend. 211, 9
ist wol holer, floyten zu schreiben, vgl. noch Ottok. v. St cap. 639: Herphen, Bot-
ten und Fidein Dex wax da der Paumgart voller, Pusawn, Pfeiffer und Holler
Dex wart so vil da gehört usw.
8.558] Anm. 3 fuge hinzu sehcUmeinn Ottok. von St. cap. 687; Burmars 7726.
— Anm. 4 war wol auf s. 559 anm. 10 zu verweisen. — Anders als Coussemaker
fasst Hoffmann den chorus auf, vgl. Hör» Belg. 6, 196. — In dieser anmerkung (5)
war auch wol die später (s. 573 anm. 4) angeführte stelle: Roman de Brut 18832 zu
oitjeren.
S. 561] Anm. 2 war auf s. 559 anm. 10 zu verweisen. — Zu anm. 4 vgl. Hör»
Belg. 6, 197, zu anm. 5 ebd. 6, 197, zu anm. 7 ebd. 6, 196. — Gar nicht erwähnt
Schultz das lioion, mlat. lidnia, liehina, ein blasinstrument, eine art trompete,
vgl. Du Gange 5, 100, Hör» Belg. 6, 197 und De Trojaensche oorlog 699 (von
Schultz 8. 558 anm. 5 citiert).
S. 562J Zu anm. 2 vgl. noch Mhd. wb. 3, 45 a, Grieshaber, Fred. 2, 20 fg. —
Über die armonie siehe noch Du Gange 1, 396, Hör» Belg. 6, 196, Troyen 5566
(Mndl. wb. 3, 160). — Anm. 7 ist ein merkwürdiges misverständnis in folge des
ausfallens eines citates zu verzeichnen: Tundalus und Roths dichtungen sind zweierlei,
und das angeführte citat ist aus Roth entnommen. Aber es gehört hier eben so wenig
her als Tund. 51, 47 (dd was xitem unde glien): beide male ist der substantivierte
Infinitiv gHen gemeint Und das verbum glien bedeutet , kreischen, einen hellen,
ÜSKR SCHULTZ, HÖHSCHES LKBBN 93
pfeifenden ton von sich geben''. — Mit der herleitnng von Schvrmelle hat Schnitz
sicher recht, vgl. noch Mam. 598.
8. 563] Vgl. zu den im zweiten absatz gegebenen aasfiihrangen noch das von
Hofiinann (fiorse Belg. 6, 190 — 200) gesagte.
S. 564] Man hört gerne vorlesen: so sizt die tochter des königs von Persien
in ihrem zeit und lässt sich aus einem buche die Eneide vorlesen, toie Trqje xefüe'
ret wmre Und wie jamerltche ÜnSas der riehe Sieh dannen stcU mit sinem her . . .
Äl8 e^ tu ofte ist geseit (Wig. 73, 6). — An den hofen unterhielt man sich gern
und oft mit der erzählung von abenteuern: Qewonheit hänt se (Helftichs aamenunge)
al vtretage, Die alten tmd die jungen, Si enpflegen sane noch Seiten spil, Die
herren van äventiure stigen: Des hdnt st getriben vil Virg. 295, 9. — Der Teich-
ner beklagt sich, wie der geschmack seiner zeit verschieden ist: Sd spricht jener :
^lAtsent her! Sagt uns von hem Ecken klingen'^ ^. S6 spricht der ander: ^Er
sol singen! Wir hän an lihter predige genuoc usw. (Kan^. anm. 215).
8. 565] Der beruf des Sängers und des Schreibers emiihrte seinen mann: Sin-
gen wnd sagen vnd halbes heute (pergament) Nerent noch vil tumber vnd wiser leute
Renner 4309. — Schon damals gab es hoflieferanten, hofbarbiere, hofsohauspieler.
Wolfger gibt in Bom Minutori antiqui dueis lAupoldi ij, toi, bon. (s. 28. 45). Ein
ander mal wird apud Niwemburch loculatori episcopi die summe von XXX. den.
überreicht (s. 21). Die discantores domini pape erhalten eio talent (s. 27). Zwei
Spielleute des königs von Navarra erwähnt die Yie domestique (s. 55). Ein Rupertus
ioeulator regis unterzeichnet eine Urkunde Heinrichs IV. (Toeche, Heinrich YI.
s. 504). — Über die Stellung der spielleute und das verhalten der kirche ihnen gegen-
über vgl. noch Wilmanns, Walther von der Yogelweide s. 296 zu II, 5. Über spiel-
leute in Tirol vgl. Schönbach, Ztschr. f. d. a. 31, 171 fgg. — Anm. 3: Das thema,
was es bedeute, guot umb ere nemen, und ob es beschämend sei, erörtert der Teioh-
ner (Earaj. anm. 217) sehr ausführlich in einem gedichte. Um misverständnisse in
der interpretation des ausdruckes zu vermeiden, hätte Schultz vielleicht kurz in klam-
mem zufügen können, dass guot umb $re nemen heisst: „gut nehmen für die ehre,
die man einem andern mit seinen liedem erweist''. — Der zom der geistlichkeit war
im einzelfalle nicht so schwer; er richtete sich immer nach der Individualität des
betreffenden. In Wolfgers, des Patriarchen von Aquileja, reiserechnungen finden wir
z. b. cuidam Lodderpfaffo XU den., euidam waMero girovotgo XXX den. (s. 21),
ctiidam lodderpfaffo V. sol. bon. (ebenso viel wie Walther von der Yogelweide erhält;
s. 45).
8. 566] Hier war wol noch der bericht Otlohs von St. Emmeram zu erwähnen,
vgl. Wilmanns, Walther von der Yogelweide s. 40. — Wie Büdeger im Rosengarten
(1001 fg.) dem spielweib seinen mantel schenkt, so geben auch die gesellen Dietwarts
ihre kleider hin (Dietr. M. 730 fgg.). Meister Otte weiss im Eradius noch von der
freigebigkeit der herren seiner zeit zu erzählen: ma/n gab in phärt und gewant. E^
leite eteltcher an, Da^ ein vater und sin an Sd guotes nie niht gewan. Sus ge-
schiht noch manegem man (ed. Graef 2400).
8. 568] Für das marionettentheater der spielleute vgl. noch die stelle im Mala-
gis, die Ton der Hagen in seiner Geimania 8, 280 fgg. heraushebt.
8. 569J Zu den verschiedenen arten der beschäftigung eines joculators Ter-
^eiche: tambüren ind Seiten spil. Dar was sagen ind singen, Dar ^S van mestem
1) DieM Stella zeigt, daas Kangan im irtmn ist (a. a. o. s. 106), wenn er meint, der Teicfaner
erwäbne die dentsche heldensage oixgends aiudrttoklich.
94
springen Saeh men kunstlieken vü Grane 4639. Un menestrel qui jouet tPotsetna
und einen menestrel de eomei erwähnt die Yie domestique (s. 55). Wolfger gibt
einem ioetUatar cum eultellis tcU, veron. (Beiserechntingen s. 29 und 48). Zu dem
meBserspiel vgl. noch Herb. Troj. 9307 fgg. und unsere obigen bemerkungen zu
8. 168.
S. 570] Über die spruchsprecher vgl HorsB Belg. 6, 200 fgg. — Die mora-
listen nahmen wohl nicht bloss an den spässen der leute, sondern an ihrem ganzen,
unsitlichen lebenswandel anstoss.
8. 573] Die Stellung der kirchenfiirsten zu den spielleuten war bei den einzel-
nen, je nach ihrer individualität ganz verschieden. Freigebig gegen sie ist Wolfger
von Aquileja, der auf seinen reisen förmlich von ihnen überlaufen wurde. Merkwür-
dig ist der unterschied zwischen Deutschland und Italien: sobald Wolfger über die
grenze, im Süden, ist, verdoppelt sich der ström der gehrenden. Ich habe mir
notiert: Inter diyerscts istriones distribttebatUur aput Paduam XXXTI. soL venet.f
Äptä Ferrariam in palmis euidaim vetulo ioeukUori in rufa ttmiea V. sol, mexa-
narunt, Ouidam <üii voeiferatori F. soL mexanorum, Äput Bononiam: Fhrda-
mor ioeulatori ial. bon. (s. 25); Aptä Fhrentiam cuidam Mberardinorum ^-
seopo et cuidam alii mimo dim, tal. wron.\ damino episeopo XII. den, frisae, .
Ouidam vetulo diseantori et fHiis eius tat, (s. 26); lUi francigene cum giga et
socio suo dim. tat., Ouidam alii derico in viridi tuniea U, sol., Oilioto mimo
F. sol. sen. aptU Äquam Pendentem^ Ouidam alii mimo IL sol sen. (s. 27); Qua-
tuor iocukUoribus IL tal. bon. (s. 28); Äput Mutinam cuidam Lombardo istrioni
dim, tat. mexanorum, Äput Verona/m hculatori cum eultellis tal. veron, Älii mimo
V, sol. veron. (s. 29). Über die in Deutschland genanten vgl. ebd. s. 31 und 57.
Nicht erwfihnt sind in dieser aufzählung die spilwip, die ich jezt besonder
nachtragen werde. Schultz hat manches, was über sie künde gibt, übersehen. Zu-
erst seien die genant, welche sich in Wolfgers reiserechnungen finden: Äput Ferra-
riam Ouidam cantatriei V, sol. mexanorum (s. 25); Äput Senas cuidam eanta-
trici et duobus ioculatoribus VII, sol. et VI. den, sen,, Äpui Sutrium puellis ean-
tanlibus 11, sol, veron, (s. 26); Äput Veronam puellis cantantibtis V, sol, veron.,
Äput Boxam cuidam iocukUrid dim, tal, veron, (s. 30); Äput Äugustam Ibcula-
trieibus Uli sol, (s. 31) — Vor Eriemhilde musiziert ein spielweib: Mn magst spilte
mit einer rotten vor der hünegin rieh, Alle die e^ hörten die tourden freuden rieh.
Hinder sich trat der margräve (Rüdeger) unt xoeh abe dax gewant Und gap e$
der spümennen mit einer mitten hont (Grimm, Roseng. 999). Auch Agnes, die
geliebte und mörderin könig Wenzels von Böhmen, war wol eine ioculatrix. Es
heisst von ihr: Die ehund videln vnd singen Und was xu seihen Dingen Bubseh
und chlug (Ottok. v. St. cap. 754). Ein edles und reiches spielweib schildert Berthold
von Holle im Demantin (6170 fgg.): Dar qua/m ein vrouwe gemeit Oereten di gut
umm Sre nam. Swär vorsten vil xesampne quam, Dar reit si nä dorch manig
lant. Di was so witen bekant. Or phert was mit richeit Qexiret unde or sel-
bir cleit.
S. 576] Anm. 1 waren wol in dem citat die folgenden verse mit anzuführen
oder aber ein usw. zu setzen. — Zu anm. 2 füge hinzu: Der schall der fahrenden
erklang allenthalben, Die sungen manig Lid Zm Lob und xu Preis Von (Ester-
reich dem Fürsten weis Vmb die Er, die er da begie Ottok. v. St. cap. 653; Mani-
ger hannde Liet Sy von dem Hof sungen, Wem da was gelungen, Der lobt da ser
ÜBEB SCHULTZ, HÖFISCHES LIBBN 95
Den Chunig tmd Hofes Er; Wer sein aber engalt Der flueeJU und schalt Vnd
warn vngmainer Phliekt, als noch hewt geschieht Ottok. v. St. cap. 689.
S. 578] Schnitz führt hier (anm. 2) aus Salimbeue 1287 (s. 377) eine stelle
an, die als interessante parallele zu ÜMchs von Liechtenstein Yenusfahrt noch nicht
gewürdigt ist. Es zeigt, wie dergleichen Sachen in der luft lagen, und dass Ulrichs
tun durchaus nicht so aussergewöhnlich war, wie es uns jezt scheint. Da die
stelle kurz ist, führe ich sie hier an: (In der fastenzeit) acceperunt (Regini, die
von Reggio) enim a daminabus mutuo vestes miUiebres plures eorwn quibus ifuluti
eoeperunt ludere et per civitatem cum hOrStiludio discurrebant et, ut mulieres
melius apparerent, cum cerusa alba dealbabant larvas, quas suis tnUtibus appo-
nebant.
S. 579] Zu Sant Gertruden minne ist noch nachzutragen Ruodlieb od. Seiler
IV, 162, Nie. de Bibera 1980—85 und zu vergleichen BÖckel, Yolkslieder aus Ober-
hessen XXXY fgg. und Orimm , D. myth.'* 49 fg. Bor ursprungliche grund für St. lo-
hannis sogen war wol die z. b. Rabenschi. 286, 6 fg. erwänte tatsache: Ich bevühe dir
diu kint Als got sin muoter BevcUeh Sant löhan Do er nam den tdt. Ygl. noch
Orimm, D. myth.** 49. Nachtr. 31, Zingerle, Wiener Sitzungsberichte 40, 'Weimai'.
Jahrb. C, 28 fg., Bockel, Yolkslieder aus Oberhessen XXX YII fgg. und füge hinzu
Ottok. V. Steyer cap. 827: Der herzog Albrecht ist reisefertig. Dar trug man jm san
Sand loJianns Mynn, Ring 223, 37 und St Martin Stricker 5, 165 (Mhd. wb. 1,
177 b).
S. 582] Zu anm. 3 war noch Wilmanns, Beitr. 1, 21 — 31 zu vergleichen. In-
teressant ist auch ein erlass des erzbischofs Wemher von Mainz an die geistlichen
seiner diöcese, in dem er ihnen verbietet, das haar gelockt zu tragen (vulgariter
erulle)^ waffen zu führen, sowie panzer und weltliche tracht anzulegen , auf öffent-
lichen platzen zu tanzen, beginen in ihren häusem zu halten usw. (Baui*, Hess,
urkd. 2, 278 fgg. nr. 303 a. 1277).
S. 583] Der pfaffe war den frauen lieber als der ritter: Der ritter macht mich
fWäJ xe schänden (hs. standen) Oder der kneht in den Iwiden, Wann sie sint gar
uftverschtaigen (var. sie sint g. tmderschwigen) : Dar unib ist der pfaffe gesigen
(== ist gesigende; var.: verschtoigen): Gen ich nü bi den pf äffen ligen, S6 muox
er den munt xuo tuon und svngen Keller, Altd. ged. 1, 106, 25 fgg.
S. 584] Yen dem bischof sagt Nie. de Bibera (1170): Ängarians clerum iacet
in sinibus mtdierum und (1179) Devorat et potat, natam cum coniuge dotat, Chri-
ste, tua dote, reputans quasi pro nihüo te, — Die auch von Schultz näher ausge-
führte lebensweise des höheren clerus lässt mich auch bei dem in Wolfgers reise-
rechnungen (s. 7 und 17) erwähnten Odackarus filius episcopi an einen natürlichen
söhn und nicht, wie Zingerle im glossar will, an einen geistlichen söhn, einen de-
riker denken. — Anm. 6: auch Alex. Neckam, De nominibus utensiUum s. 66 (Schultz
1, 207 anm. 1) erwähnt nutehinamenta in modum virilis membri: (Die stubenmagd
hat aeus) grossiores ad laqueos inducendos, grossissimas , cum amaris Hleeebris
indulgeat. Doch lässt sich die kunst oder natur dieser aeus grossissimas nicht ganz
sicher entscheiden. — Über den zuchtlosen lebenswandel der mönche und nennen
siehe lieders. 1, 422, 40 fgg. Über die nennen führe ich hieraus folgendes an: Nu
vint man selten ain nunnen Si hob in dem hertxen ain. Wenn si soU den saUer
main So ist anders nicht ir acht, Denn da^ si jenem kleinot macht Vnd jm min-
nen (hs. minen) brieff erxüget (Lieders. 1, 422, 65). Ygl. Johannes dictus der Nun-
nen son de Stegnfurt Baur, Hess. uik. 1, 677 nr. 1021 a. 1368.
96
S. 585] Auch die begineo leben unsitlioh; ihren lebenswandel schildert uns
Nie. de Bibera 1629 fgg., vgl. noch zu lol. 3133.
Bas bibelinum sacht WilmanS; Beitr. 1 , 10 anm. 1 zu erklären. Ich gestehe,
dass ich nicht so ganz überzeugt bin, obgleich ich die deutung nicht für unmöglicli
halte. Vgl. übrigens auch pipinna (parva mentula) Kart. 11, 72, 1. Ich möchte
eher an einen Zusammenhang irgendwelcher art denken mit btbilionare, bünonare,
sanguine inquinari. BibitMrium autem est sanguis menstruus mulierum, Bibinum
menstmum, id est fluor sanguinis (Du Oange 1, 649 c).
S. 586] Ob die erzähluog im Lanz. 5964—69 (vgl. 5944—53) sich auf den
von der kirche später heftig und oft bekämpften coitus a posteriore bezieht, weiss
ich nicht mit bestimtheit zu sagen, halte es aber für wahrscheinlich.
8. 587] Yon Karl dem Grossen wird berichtet, dass er sich der verborgen
sunde schuldig gemacht habe (Karlm. 317, 8 fgg., 321, 26). Vgl. femer Der Boite,
(GA. 1, 174, 737^.): Her Heinrich (frau als man verkleidet) sprach: ^Mtn gerhie
Ist einer hande dinc: Ich minne gerne die man, Nie dehein wtp ich gewan. Tuot
ir da^ und swa^ ich leil, Winde unde vederspil Gib ich iu mit willen. Dix muof
geschehen stille^.
Unter den sicheren Zeugnissen für die Verbreitung der Sodomie in Deutschland
während des 13. Jahrhunderts war noch anzuführen Frauend. 266, 4 fgg.: Man sprach:
diu küneginne hat verseit Hern Hademär (von Eüenringen) ir tyoste hie; Da^ tet
si für war ritter nie. Ich wcen, si^ dar umbe hat getan y Da^ man des gihi, er
minne die man. Die verirrung war um so weiigreifender, als die höchsten sich
nicht von ihr freihielten: Den selben werren (die paederastie) Brüefent sumeUch
herren Die in wenden soUen Obs ere haben wollen: Nu sint si in sd heimeltcli,
Das; si da von sint schänden rieh Und man des offenlichen gibt, Si haben der
schände mit in phliht Ulr. von Liechtenstein, Frauenb. 616, 31.
S. 588] Ganz so schlimm wie in Paris war das treiben der dirnen in Deutsch-
land nicht, kaum mehr in die Öffentlichkeit dringend als heutzutage in grösseren
Städten. Der oft genante Nie. de Bibera (2025) schildert uns die Erfurter zustände:
Forsan adhuc dices: age die, ubi sunt meretrices,
Äut in quo vico? Veraciler hoc tibi dico
Pectore quo gesto: pauce sunt in manifeste,
Quot sint occuUe, si scire cupis^ homo stuite,
Indagare satis potes hoc sine dogmate vatis,
Quippe nefas tale tempus quadrctgesimale
Ne loquare exposcit. Veneris quicunque iocos seit
Äut delectatur in talibus, ille loquaiur
Äut persorutetur, quia per me non prohibetur.
Aus dem Eraclius (2220 ^.) erfahren wir den preis ihrer hingäbe: Ir mugt
hie manege vinden Diu iuch iuwers willen wert Und wan drier phenninge gert.
Später scheint der preis heruntergegangen zu sein. Im anfange des 16. Jahrhunderts
sagt Jörg Graff in seinem liede von dem heller: Vier häller man vor xeiten gab
Einer bülerin: iex ist es ah, Ist auf drei häller kumen Das machen die faulen
hausmeid, Die in der stai geen umbe (Böhme, Altd. Idb. nr. 488 v. 7). Zwei hel-
ler machten etwa einen pfennig aus, vgl. Schmeller' 1, 1076.
S. 592] Anm. 2 füge hinzu: Sin dienest was g$n wiben kranc Und da^ er
maneger über ir danc An gewan ir ire Tand. 10744, Dort kumt ein man und
ÜBER SCHULTZ, HÖTISCHES LBBBN 97
ein toipf Dem manne toü ich nennen den Hp, Bi dem toibe stdlen wir alle („vier-
zig oder mehr"^) ligen Tand. 10774; vgl. Tand. 10975 fgg.
S. 593] Hier wären vielleicht noch die ideale des ritterlichen lebens im 13. Jahr-
hundert darzustellen gewesen, wie sie Ulrich von Liechtenstein im Frauenbuch fixiert:
einmal schöne frauen, dann gutes essen und trinken, endlich edele rosse und
prächtige gewänder und zimiere. Zu diesen idealen treten dann noch vier dinge
hinzu, die man vergeblich miteinander zu vereinen sich bemüht: gottes huld, welt-
liche ehre, bequemlichkeit und reichtum (Frauenb. 587, 1 fgg.). So ist der gesichts-
kreis der ritter auch im algemeinen kein weiter. Die passionen für jagd und spiel
gehen über ihre berechtigung sehr oft hinaus (Frauenb. 607, 3 fgg.; 635, 15 fgg.).
Sonst sind es nur schöne weiber, rosse und männliche taten, die den ritter zu
interessieren vermögen, vgl. Eaiserchr. 1, 135, 25 fgg. und weiter Crane 4062 fgg.
(Demantin 4005 fgg.)' ^^^ ^^ ^^^ '''ote, sd atunt ein dort: Sie sungen liet, sie
sprächen wort, Ir rede was van der jaget ein deil, Sie sprächen umb der minnen
heil Ir ttlieh xo den stunden. Dar wart geret ü^ manegen munden Umb der even-
türe foer.
Der wichtigste punkt in dem Verhältnis der beiden geschlechter, das Verhält-
nis zwischen ehe und dienst, ist noch nicht genügend aufgeklärt und erfordert eine
nochmalige umfassende durcharbeitung des gesamten materials. Ulrich von Liechten-
stein muss wegen seiner schon gekenzeichneten neigung zu reminiszenzen im frauen-
dienst mit grosser vorsieht benuzt werden. Anders dagegen steht es mit dem lange
nicht genug beachteten Frauenbuch. — Über das ideal eines frauenritters äusseii;
sich Ulrich im Frauenbuch (649, 17—650, 15): „Er soU stät sein und soll nur eine
liebe haben; sonst ist es keine herzensliebe, und er ist kein guter minnen diep.
Wer viele frauen auf einmal liebt, vor dem sollen die firauen ekel empfinden, wie
ein litter vor einer gemeinen dime. Es gibt ritter, die lieber zehn jähr ohne freun-
din wären, als dass sie eine dime umaimten, und die nacht und tag den frauen in
der hofiiung auf süssen lohn dienen^. Aber man scheint doch nicht nach diesem
rezept gehandelt zu haben: m4in saget uns an dem mc&re Da^ do minnete nieman
unp Er enhcste dan ir lip Ze einer rehten e genomen. Nu ist e^ ü^ den xdihten
komen: Ob einer möhte dri^ic Mn, Er wolt sich niht gemiegen län, Er het ir
dannoeh gerne me Bit. 490.
Der dienst des ritters soU sich aber nicht seiner frau oder seiner heiiin allein
widmen, sondern in ihrer person soll er allen damen dienen: ,mlnn dinest solt ir
(seine frau) eine hän*". ^Ich aleine? ^ sprach dai wif, y^Ir solt ummer durch
mtnen Hf Allen vrouwen d$nen gar Ind nemen ir mit grdi^ war. Sd wert uwe
lof geprisety Da ir üeh mit dinste toiset Andern vrowen swe st ^n: Der selve
dinst ich 6ch bin*^ Grane 4619. Ob aus solchen und ähnlichen ansichten die auffas-
sung der ehelichen treue geflossen ist, wie sie Wolfdieterich (DIX, 33, 1) äussert?
Wa$ schadet iu, scko&ne frouwe, minnete ich Joch dH? (d.h. Griechinnen)
Wil ich an$ reht gedenken , so muo$ ieh iu wesen bi.
Auch von ihren frauen scheinen die mSnner mitunter nicht feste treue zu ver-
langen, ja sie verkauften sie wol selbst: Also man vint mangen swachen Der umb
pfenninc leien, pfaffen Lät bi Hnrne wtbe släfen, Der selbe nimt für ere guot
Teichner, Eany. anm. 217. Aber auch ohne diese einwilligung des ehemannes sind
die frauen aus der guten geselschafk käuflich. Ulrich von Liechtenstein tadelt sie,
dass sie feü sind für geld (Frauenb. 611, 21 fgg.)i oder aber doch durch geschenke sich
mit bestimmen lassen (ebd. 612, 15 fgg.)) endlich dass sie einem unter ihrom stände,
ZDTSGHRZTT F. DRUTSCHB PHILOLOOIR. BD. XXV. 7
98
einem menschen geringer berkunft sich hingeben, bloss deshalb, weil er in ihrer
Umgebung ist und sich ihnen zu allen zeiten bequem nahen kann (ebd. 612, 25 fgg.)-
8. 594] Anm. 1: Auch Marpaly sagt: Mtn magetuom kan ich behalten tex
wol fimfxee jär Einem werden füreten, da^ sage ich iu für war, Der hei^ Wolf-
dietertchy ü$ Krieehenlande gebom Wolfd. D. 89, 1.
S. 595] Ebenfals ein eiserner keuschheitsgürtel wird in der folterkammer der
bürg zu Nürnberg aufbewahrt
S. 598] In anm. 3 ist die zweite stelle aus dem Tandareis (15176) zu streichen:
es ist eine einfache höflichkeitsformel, die nur besagt: „ich wäre froh gewesen, hätte
ich ihm mehr helfen können*^. — Anm. 7: Aussetzen von kindem und kindsmord
erwähnt auch Nie. de Bibera 1641 und 1650. — Anm. 8 fuge hinzu Bing 15, 1 fgg.:
Dort gibt der arzt der Motze genaue anweisung, wie sie eine künstliche Jungfern-
schaft herstellen soll.
S. 599] Hier wäre wol der ort gewesen, wo Schnitz die einteilung der frauen,
wie sie tatsächlich bestand, hätte besprechen können: si habe man oder ein wittpe
et Oder ein maget, die namen drt Hab wir: da^ vierd eint ledigiu unp, Der auch
hat manegiu Schemen lip. Die fünften friuntUn eint genant. Nimm$r namen ist
mir bekant, Die man utu müge van rehte geben Frauenb. 618, 11. Über die amie
(friund^n) handelt Ulrich dann noch 628, 31. 631, 2; über die ledigiu wip 620,
7 fgg. 626, 27 fgg. Ehe ich auf die erklärung eingehe, will ich noch zwei stellen
anführen, die auch hierher gehören: Ich gesach nie mit ougen frowen noch mage-
dtn Die dir hie xe lande mugen genös^am sin Wolfd. B. 11, 3. Ledic wip auch
bei Walther 47, 24; vgl. Wilmanns zu dieser stelle. Aus der doppelten technischen
bedeutung von meit ist möglicherweise Gudr. 801 , 3 zu erklären. — Welches sind
nun die von Ulrich angegebenen fünf kategorien? Doch wol 1) frau. 2) witwe.
3) haustochter, noch iu der gewalt der eitern oder des Vormundes oder am hofe als
dame der herrin. 4) eine jungfirau mit dem rechte der Selbstbestimmung, wie Wil-
manns (a. a. o.) gut und knapp sagt Man kann vielleicht in mancher beziehung die
peeress in her oum right damit vergleichen. 5) concubine.
S. 605] Die kleinode, welche die Schüler von ihren geliebten bekommen haben,
sind folgende: D6 wiste der $rst ein gttldtn vingerlin, Der ander Moei kleider
sidin, Der dritte ein badelachen Oenat von höhen Sachen, Der vierde ein gürtet
wol beslagen, Da^ soli er durch Hn vromoen trafen, Dirre einen biutel würxen
vol Von golde geworht wol, Jener ein houben sidtn, Det* eine ein vürspan gttldtn
GA. 3, 583, 233.
8. 609] Zu dieser frage sind wol Henrici's ausfnhrungen in seiner dissertation
Zur geschichte der mhd. lyrik (s. 42 fgg.) zu vergleichen. Sie gehen zwar weit über
das ziel hinaus, enthalten aber in einigen punkten unbestreitbar richtiges.
8. 615] Anm. 6 füge hinzu: Burgaren und auch andern letxen. Den muo^ ich
dan von armuot Mtn tohter geben xuo dem guot Da§ hie vor mtn eigen was.
Wander da^ guot an sieh gelas. Da nimt er dan mtn tohter mite, Diu ufol eins
biderben mannes bite Teichner, Karig. 286.
Yor der Öfifentliohen Schliessung der ehe galt die faktische volziehung dersel-
ben als unschicklich: Solher xuht der degen pflac. Das; er bt ir niht enlac, Unx
er die maget wol getan Vor künegen und vor fürsten nam Ze einer iUchen honen
Mel. 11525.
8. 618] Den frühen Zeitpunkt des heiratens tadelt auch der dichter von Diet-
richs ahnen und flucht (179): Stt der site ist hin getan, Da^ man die vrofttcen
ÜBCR SCHULTZ, HÖFISCHES LKBKN 99
und ir man £ ir tage xe einander gtt Des ist diu werlt hü dirre xit An manegen
sacken gar xe hranc: Dcu; er haben muo^ undane Der uns den site bräkte Und
»in van Srste geddhte, — Über das heiratsalter vgl. 'Waclcemagel z. A. Heinr. 225,
zu lol. 1253 und ferner: Hugdietrich ist zwölf jähr alt (Wolfd. B. 9, 1), da sagt er:
nach einer Schemen fratsucen so stät mir der muot ebd. 10, 1. Demantin passiert
es, dc^ he eine maget saeh Ein kint van xwelf jären (98). Er will sie zur frau,
aber ihr yater sagt: ^nein^, sprach di wert, „desn mag nicht sin Mtn tochter is
noch ein kini^ (160). Vgl. noch: Wax man von min ye gelasx Dex tcist si nit
umb ein har. Wol vff funfxehen jar Was du jung wirtin lieders. 1, 599, 8. Wei-
ter siehe noch die zu 1, 152 angeführte stelle aus Ottokars Reimchronik (cap. 174).
8. 625] Ein gemisoh von volkstümlichem und kirchlichem brauch bei der hoch-
zeit bietet Heinrichs von Freiberg Tristan: Der bischof traut zwar das paar, aber die
trauung hat statt während des festtanzes, wo das junge paar in den kreis geführt
wird (633 fgg.). Nach dem ringwechsel setzen sie sich: vil kerxen wurden üfgexunt,
Man brächte in trinken sä xustunt, Do sie getrunken, dö hie^ man Tristane sä
XU bette gän (657). Sind das kerzenanzünden und das weintrinken alte rechtsge-
brauche? Sonst komt die adustatio zur besitzergi'eifung vor (RA. 194 fg.), und über
weintrinken beim verloben siehe Bockel, Volkslieder aus Oberhessen s. XXV und LV
fjg-i ^gl- Auc^^ ^^^ leitkauf (die heirat ursprünglich ein kau^i^esohäffc). Solte so auch
das weintrinken in der brautnacht zu erklären sein?
8. 634] Das bringen von suppe in der brautnacht erwähnt Ring 43, 30 fgg.
S. 636] Dass ursprünglich jungfrauschaft die bedingung sine qua non für die
Verleihung einer morgengabe war, scheint auch Ring 43 c, 21 fgg. zu bezeugen:
Wiest dax sey ein junehfraw u?(u/ Dar umb so gib ich ir vil drat Ein par
sekuoeh xe morgen gab.
8. 641] Bei dem einzug ihres herm kommen die einwohner des landes ihm festlich
geschmückt mit den reliquien unter dem geläut der glocken entgegen. So ist es
bei dem einzug Otto's von Bayern und seiner gemahlin in sein land: Doa Volch all^
gemein Orosx und klein Wo er cha/m in ain stat Do eylt gegen jm drat Mit dem
Ckrewx und Heyltum, Qott xu Lob und xu Frum Muest man dy Qlocken letcten.
Damit sy pedewten Dax sy alle do Seiner Chunft uam fro Ottok. v. St. cap. 771.
(Ebenso eine Schilderung vom jähre 1436 Ztschr. f. d. ph. 23, 28 v. 13 fgg).
8. 647] Füge hinzu: Dieterich ein^ (ein land) Wolf harten lieh Mit siben
vanen riehen Bit 11602; dö man dd ga^, Vür den degen valsches la^ Die vürsten
mit vanen giengen Ir lehen sie enphiengen, Diu sie von im solden hän Tand.
18112. — Zu der cäremonie der belehnung gehört manchmal wol noch der kuss, den
der lehnstrSger dem herm gibt, vgl. Grimm, RA. 143, Tand. 15229 fgg.: Der werde
kOnee lieh ir sän Ein herxoctuom riebe. Er sprach xer meide minnecHche:
^Vrawe, ir suU küssen mich Nach lehens rehf^. j^Da^ tuen ich*^., Spraeh diu min-
neeHehe maget und Sauer, Cod. dipl. Nass. 1, 3, 196 nr. 2173 a. 1339, wo Gode-
frid V., herr zu Eppenstein, seinen enkeln alle seine lehen überträgt: bit gevalden
kenden, bit gekusten munde, alx man lehen xu rechte lihen scU.
8. 652] Die dreimalige frage war überhaupt rechtsvorschrift; vgl. noch das von
Schultz (1 , 624 anm. 7) angeführte verbot der bürgerlichen eheschliessung mit der
dreimaligen frage ^Plaeet vobis?*"
8. 653] Auch im Ring (33, 7) findet die eheschliessung ohne piiester statt.
Erst später gehen sie in die kirche, wo der pfaiTer gegen die heimliche ehe Iieftig
7* ^
102
2, 82 anm. 1 zu verweisen. Füge hinzu Krone 2830. 2835, Crane 3892 fgg.. Demant
7527 : Ein tepet wart ddr nedir gebreit Ddr Üf sa^ der getwerg gemeit, DÖ echuUe he
an di holten^ ein. Femer: Dö hiej^ er im gewinnen Allen einen hamas Der im
echiere homen was. Ein tepeeh wart nider geepreit Und ein küsse darüf geleit,
Da der herre üf sa^ .... Man sehitohte im an siniu bein Zwo liosen iserin (EracL
4938). Dann zieht er seinen halsbeig und damuf den waffenrock an, nimt das
Schwert und lässt sich die sporen umgüiien (4951 — 4969).
S. 34] Ourthosen werden von Ottok. v. Steyer kap. 536 erwähnt: Ourthosen,
halsperig und swert ChursU und Planten Must er sieh da satten. — In der erkllL-
rung der anm. 1 angefühlten TVillehalmstelle wird Schultz Wolfram nicht ganz gerecht:
Es ist zugleich ein Wortspiel zwischen senflenier als stück der bewafhung und senf-
tenier als einem dinge „(2a^ sanfte tuot*^ beabsichtigt. Dadurch gewint dieses spiel
erst wider die echt Wolframische färbung.
S. 35] Amn. 4: Nun wei^ ich doch niht rehte, wa^ Witege an im raeh, Da^
er im mu) dem slitxe ein swert durch einen lip stach Alph. 304, 3 ; der tierde gert
Da^ er ain gespiex Swert Durch jn stach durch den Sliex Ottok. v. St kap. 738.
8. 38] Bei Joppe hätte auf 1 , 264 und bei Auqueton auf 1 , 302 verwiesen
werden sollen. Ein wambe^ von buggeran wird Mor. v. Craon 828 erwähnt. — Über-
gangen ist von Schultz der gleichbedeutende purpunt (franz. pourpoint): Eyn pur^
punt daden sy eme omme Van (hs. Va) wgssen pellen als eyn swane Karlm. 55, 7 ;
vgl. 62, 32 fg.
S. 39] Ich halte das spaldenier trotz seiner Zusammengehörigkeit mit lat
spaila, frz. espaule nicht mit Schultz für ein nur die Schulter deckendes klei-
dungsstüok, sondern meine, dass es den Oberkörper bedeckte. Ich glaube in
der gleich zu citierenden, auch sonst wichtigen, stelle würde der zweck des
spaldeniers anders umschrieben sein: Sin schiniere (v. d. Hagen: schiviere; zu
Schultz 2, 37 anm. 6) wären guot Mit golde übergo^n, Üf der huf gedo^^en Lac
ein sfidin huffenier. Von blankeit ein spaldenier Zieret im den lip wol; Sin plate
was gesteines vol. Sin arme heten spoi;9enier Bedecket unde mu^^enier GA. 1, 472,
644. Femer: Da^ spedier guot von siden da^ muo^ ich v<m im hdn Wolfd. D. 12, 3.
Dd entwdpent man in sä xe hont; Man lie dem degen wert erkant Niht dan sin
spaldenier an Und vuorte in üf den tum dan Tand. 11162. — Anm. 3: Da$ guote
eolliere muoi ich von im trctgen Da^ der degen xiere hat umbe einen kragen
Wolfd. D. 13, 3. Die deutsche Übersetzung von coüiere ist halsbant. Auf das pur-
punt unter halsberg und waffenrock legt E!arl an: einen halsbant der was goet
Karlm. 55, 9, vgl 62, 34.
S. 42] Die wichtigen stellen aus der Virginal scheint Schultz übersehen zu
haben; ich führe sie hier an: Die ringe saeh man risen: Von ir swerten da^ ge-
sehach. Wie vil der starken nieten brach Von stahel und ouch von isen 62, 3; Sin
swert was der heiden hagel. E^ wolt üx spaUen manegen nagely Die wol vernie-
tet wären 96,. 1; Vil borten klär von siden Die enthaften sich von siegen groi;
Und lie^ien manigen nagelniet. Der sich von starken blecken slo$ J09, 10.
S. 44] Zu anm. 1 vgl. noch Du Gange 1, 659. 8, 183. Auch über denJaxe-
rant bringt Du Oange beachtenswertes bei (4, 282).
8. 45] Die rüstung wurde bald nach dem gebrauch gereinigt: Sin hamaseh
sehouwet man gar, Man macht e^ lieht unde glanx Mel. 7962; Min hamaseh er von
1) Fals die form hoUm richtig gelesen ist, so liegt eiao ähnliche fSalsche analogio vor, wie bei
niederd. Imt fOr iwn» (<r lat oentua) , da AoIm aus lat. oata&M, ital. ooIm entstanden ist.
ÜBER 60IIULTZ, HÖnSCUES LBBBN J03
mir cfipfie: Dar an sd hie^ er legen vli^, Da^ er gemachet icürde loi^ Fi-aueud.
238, 30; Sie kielen ir halsperge Ü4 sehütten unde vegen, Die durch iou und
durch regen Na^ unde rostie wären Eraol. ed. Graef 4726; (Es wurde) in den gren-
den Diu sarwdt gereinet Und die helme beleinet Mit rilichen ximieren Krone 22118.
Ebenso Krone 665, wo nach Niedner (Tomier s. 75) vegete zu lesen ist. Vgl. noch
San Marte, Waffenkunde s. 18.
Schultz hätte die formen für frz. haubergeon nioht so unvermittelt neben ein-
ander setzen sollen, da so leicht misverständnisse entstehen können: haubergeon geht
auf mlai halbergium (Du Gange 4, 160), häberjcRl aber auf mlat. ßuUbergeolum,
afrz. haubregetd zurück. Anm. 8 war noch auf Lucae*s nachtrag zu seiner bemer-
kung über häberjal Ztschr. f. d. a. 33, 256 zu verweisen.
S.46] Anm. 4 fuge hinzu Ferguut495 (Schultz 2, 30 anm. 13). Femer: Wolfd.
D. 33, 3 heisst es: ein brilnje veet von home het er geleit an sieh.] ac lesen: xico
brunigen; Grimm, Roseng. 1654: Sune da^ Sifrit hiimtn wcore^ dH halsberge leit
er an. Dass es ganz gut möglich war, mehrere halsberge über einander anzuziehen,
zeigt die erzählung Ottokars von Steyer (cap. 314), wie jeder krieger aus der bela-
gerten Stadt, da ihnen freier abzug mit dem was sie auf dem leibe tragen bewilligt
ist, sich den besten hämisch heraussucht, den er finden kann: Mit gut Halsperigen
drein Stich man manigen da gen, Da het Ettleicher xioen Doch sach man da
chainen Er het xe mynnist ainen. — Drei brünnen sind OrendelXIII, 31 erwähnt.
S. 47] Anm. 2 füge hinzu: mu^^/enier GA. 1, 472, 652. — Die spo^^enier als
armbedeckung (GA. 1, 472, 651 fg.) kent Schultz gar nioht — Die platte scheint einen
notwendigen bestandteil der rüstung ausgemacht zu haben: Dowax er (der von Schar-
fenberg) verricht Wartfi dax er der Platten hiet nicht. Den Qräven da^ hart Vnd
die andern pestcart. Man suecht alain in der Stat Ob yeman dhaine hat. Es
wird abei' keine gefunden (Ottok. v. St. cap. 569).
S. 48] Zu der erörtemng über bontt sind unsere obigen bemerkungen zu 1, 345
zu vergleichen. Goldene bonit werden Eother 1851 eiwähnt: Sie trogen bontt gul-
din Da inne göt gesteine.
S. 49] Über kuret ist Lexer 1, 1794 und Du Gange sub curetum zu verglei-
chen. — Zu anm. 3 füge hinzu: Die maget die iserifien hant Enphie und hiex in
üfe stdn Gärel 1810.
S. 50] Es ist wol zu erwähnen, dass hersenier eine ableitung aus ndl. hersen
ist, welches widerum mit kirn eng zusammengehört, das aus *ßiirsni, *hir^ni ent-
standen ist (Kluge, Etym. wb.^144).
S. 51] Mit unrecht ändert Schultz anm. 6 in dem citat aus Türheims Willehalm
das kaufen des draokes in lcoifen\ das erstere ist nicht zu beanstanden, vgl. goufe
Wolfram, Willeh. 92, 12.
S. 52] Vgl. Sin härsenier er al xe hant Wider üf sin houbet xdch Tand. 6800;
Mweder sin heim abe bafit. Ouch lösten üf die härsenier Durch den lufl die
helde fier Erkuolten unde ruoten da Mol. 6090; vgl. 6121 fgg.
S. 55] Zu anm. 7 füge hinzu: Helme und ouch die kUeteUn Diu wurden
schiere ah genomen Lanz. 6838.
S. 56] Anm. 3: vgl. Jänicke zu Bit. 639. — Anm. 4: vgl. Conradus dietus
Beckenhube (Mainz) Baur, Hess. urk. 2, 523 nr. 538 a. 1297.
S. 58] Das anm. 5 angeführte beispiel aus dem Frauendienst ist zu streichen,
da Ulrich hier als frau Venus kämpft, und also Schlüsse daraus auf die tracht der
ritter unzulässig sind. Ebenso kann die erzählung von Ilsän, der als mönch mit sei-
104 MEHR
nen brüdein sohwai'ze kutten über der rüstung führt, uichts beweisen. Endlich sind
die aidin mouwen, die Lanz. 4431 erwähnt werden, als wappenzeichen oder sonstige
zierraten zu betrachten: der könig fahrt sie an aUen stme gereite. — Ein vierÜEur-
biger waffenrock wird im Meleranz (10053 fgg.) geschildert: Sin icäpenroc, Hn eur^
Sit Was von rtehetn pfeüel wit, Der von vier varwen was^ Rot und grüen alsatn
ein gras Wi^ und blä die vierde. Der waffenrock ist mit dem wappen verziert: Der
helt wart sä vü schiere bereit, Ein wdfenroe dar üf gdeit, Der tcas von bahnät-
siden, Dar in xuf$n am von golde rdt, Als ime diu wäre schulde gebot Vii*g.755, 1.
Besonders betont wird immer die weite des rockes: Sin wäpenroe was stdin Von
gesteine ga/p er lichten schin, Von mangerhande saehen Mit XAcein und sibenxee
vachen Lanrin 205.
S. 65] Anm. 1 : kmiere Chast. de Oouci 1699. Vgl. noch Ffaff, Germ. 33, 33.
S. 72] An dem ximier wnrde vor allem der ritter erkant. Es wird an dem
heim mit einer binde festgebunden: Dalkors der degen cüenthaß Üf dem velde sd
xuhant Sin ximier von dem keime bant Da^ er mit ritters handen Dester e
bestanden Würde in der äventiure tan: Wan in getorste nicht bestän Kein ritter
dem er was bekant Hoinr. v. Freib. Trist. 2046. Das ximier konte leicht abge-
stochen werden. So geschieht es dem Tristan mit seiner sträle. Später findet er
sie wider und bindet sie auf seinen heim (ebd. 2137). Ein anderes beispiel bietet
Garel (3647 fgg.): Der ar wart ouch gerüeret Der üf des wirtes keime stuont; Denh
wart ein slac mit eilen kunt Da^ er iHmen muost den heim: Er viel verhouwen
in den melm. — Besonders genau und instruktiv wird das ximier des Tandareis
(Tand. 12516 fgg.) geschildert; ein anderes beschreibt der Fleier im Meleranz (5943 fgg.)
S. 73] Schellen am ximier erwähnt Ulrich von Liechtenstein Frauend. 206, 14
fg. Andere belege siehe Lexer, 2, 692 sub schelle.
S. 75] Anm. 3 ist an der aus dem Frauendienst angeführten stelle (452, 3)
Diu wad statt Diu wol zu lesen, wie ich PBrBeitr. 15, 332 wahrscheinlich zu
machen gesucht habe. — Eine der wichtigsten stellen für die kentnis des helmschmuckes
hat Schultz nicht beachtet; sie findet sich in Joh. von Michelsberg Ritterfahrt in
Frankreich (von der Hagen, Germ. 2, 93 fgg.). Es heisst dort v. 57: sin heim von
brunem stakel klar Gab lichten spiegelvarben schin, Ein krantx prislichen gul-
din Ölest vf des kelmes kröne, Dar in gestecket schone Vergulter gyres vedem vil,
Dar an gehangen ane xil Von golde tüunenklick talier. Der minnen xeicken, ein
slogier, Vhvk ob des gyres vedem, Den man da sack vledem. Gel siden vnde
wol geworckt.
S. 77] Crinale als helmdecke aufzufassen, wie Schultz will, scheint mir nicht
gut angängig. Crinale ist mlat. in keiner zu den angeführten stellen passenden be-
deutung belegt Aber für crinarium und crinile ist die bedeutung sertum mehrfach
nachweisbar (Du Gange 2, 620), und das mag auch an unserer stelle die meinung sein.
S. 78] Auf der reise trug man, wenn nicht gefahr in unmittelbarer nähe war,
keine waffen, ausser das schwort, das den ritter nie verliess: Tandareis hat nur
sein schwort umgegürtet (Tand. 4222 fg.); er trägt einen pfeilerrock, ein kappe
und einen pfauenhut (ebd. 4216 fgg.). Wie er angefallen wird, ergreift er noch
einen Schild, den ihm — wie auch wol die andern stücke der i-üstung — ein knabe
führt (4230 fg.). Die rüstung wird oft, wie hier, von den knappen getragen (die
königin kie^ disem werden man Zfwen knaben mit im vüeren dan Helm schilt unde
sper Tand. 9022) oder aber man lud sie auf saumtiere: Want sy meist vngewapent
ÜBBB SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 105
reden. Sy hadd&n do na ytefi aeden Op ir somer gdaden Ir wapen des sy groes-
sen eehaden Namen in der sduer nacht Karlm. 122, 9; der ungetreue Willis wird
auf ein ross gebunden : Hynder yn sy (seine Wächter) hden Er alre halsherge Earlm.
494, 44; Ir stät xe disen ^en Niht in hamaseh rUe/fi Ir suU da^ hamaseh
steuere Üf mtnen saumcBre Durch iuwer Itbes ruoiae legen Tand. 12720; Sin wäpen
üf den somen lach Der he mafwhen vor om sach Demant 7421 ; Mit golde harte
xiere Vil schüte sach man gH^en, Manegen heim wt^en Gebunden üf die soume
Wig. 271 , 26.
Ebenso galt es scheinbar für unschicklich mit dem heim auf dem haupt und
dem Speer in der band einer dame gegenüber zu treten: StM reit er xuo der müre
Dd er diu küneginne vant. Sinen heim er abe bant Und saxt in üf den saiet-
bogen. Er was höveseh und wol gezogen: Sin houbet da^ entwdfent er, An die
miüre leint er sin sper "Wig. 15, 27.
S. 79] Anm. 3 füge nach Virg. 821, 5 hinzu: 866, 5.
S.80] Anm. 7 füge hinzu: Ich enmae min hamaseh niht getragen Ze viie^i,
dist mir xe stocsre Tand. 10233.
8.83] Zu anm. 2 vgl. noch Lieders. 3, 305, 30: E^ lit nit an den gelwen
sporn, Da mit man frowen verdienen soL
8.84] Der Schild war von holz: Zehant enxunde sieh da^ bret Und verhran
im vor der hant Wig. 179, 33; Ein güldenen lewen er truoe Der wae üf da^ bret
erhaben Lanz. 4422. — Um den schild herum gieng ein rand, der kantet: Als vmb
des Schildes rande Oenck eyn kantet van golde geslagen Earlm. 56, 13. kantet, das
wol von griech. xav^og (radreif) abgeleitet ist, lässt sich auch in dieser seiner bedeu-
toDg n schildreif, -rand^ leicht mit jenem vermitteb. Eine andere bedeutung ist
durchaus die gewöhnlichere: vgl. Fr. PfafF, Germ. 33, 33.
8.86] Zuweilen wird die buckel künstlerisch gestaltet, so in den formen einer
blume: Da§ diu buckel solde sin Da^ wae ein bluome gtddin Oeworht mit grd^n
fli^ Wig. 169, 16.
8.88] Zu anm. 8 ist noch zu vergleichen Alph. 192^., Crane 3111 fgg..
Freuend. 72, 12 und PBrBeitr. 15, 327 fg.
8. 89] Nicht bloss zur konservierung der malerei, wie 8chultz (2, 97) meint,
diente das tegimen in clypeis, der hulft, sondern auch um die wappenbilder zu
verhüllen, wenn man unerkant bleiben weite: {roter samtC) Der ouch den Schilden
decke bot, Da^ si da bi iht weeren bekant Swä si riten durch diu lant Wig. 245,
11; Karües schilt was ouertreckt, Eey en wouide en neu voren endeckt Durch xei-
ehen, dat da ynne stunt. Hey en woulde neit, dat eman worde kunt, Dat hey were
de konynk Earlm. 379, 22; Den schilt von golde spannen wU Den bedahten si so
gar Da^ des da nieman wart gewar Bit 2298.
8. 93] Unter den wappenzeichen ist auch das türbant zu erwähnen, vgl. A. f.
d. a. 15, 218 fg. — Zu halbieren vgl. noch A. f. d. a. 15, 220 und PBrBeitr. 15, 331.
8. 95] Bei den bestimmungen über die wappenfrage scheint zu erwägen zu
sein, dass der fürst, wie er so viel fahnen hatte, als ihm länder gehörten, auch so
viel Schilde besass: Do sprach Ospinel der vrie: Her, ich bin van Orbie. Myn
vader hadde vunff schUde Ind was hoeseh ind mylde Earlm. 413, 5.
8. 96] Das wappen auf den Schilden war gemalt: Mae ich dir (dem löwen)
niht gehelfen, ich wil dir widersagen, Deich dich nie mere gemälet an minem
sehnte welle tragen Wolfd. A., 601, 3; Hoerstu e^, geselle lewe, den ich an dem
106 MKTER
sehüte habe: Hüfstu nikt dinetn gesellen, ich kei^ dich schaben abe Wolfd. D. YIII,
97, 3; vgl. noch Wolfd. D. Vm, 82, 3, Dd xuo tmorte er einen schilt, Dar an
ron rotem golde was Gestrichen manee edel will Yirg. 4, 11. — Za anm. 7
füge hinzu: (Sie) frumten ir gereite Mit spceher rtehheite Von golde kostbare Als
e^ diu schiltcere Wol gemachen künden Die man xe den stunden Ze Ackers vant
in der habe Lanz. 8839. — Anm. 9: Üf einem Schilde der was gel Einen eher xobe-
lin Undr einem buckel gtddin Mel. 8159; ^Diu buckel diu gap lieJUen schin Vwi
arabischem golde Als er selbe wolde; Dar under ein pantel xobelin. Die spangen
wären guldin Die üf dem sehilte warn geslagen Oärel 3104.
8.97] Anm. 3 ist zu bemerken, dass an der Ereostelle (5540) hulft eine oon-
jektor Haupts ist
S. 100] Vgl. zu anm. 11 noch: Si dahten diu vil guoten mare: Von stak
manie decke starc Leiten si üf ir kastelän Dietr. Fl. 8701. Eine covertiure silberin
wird Klage B. 2909 erwähnt.
8. 101] Über die eisenpanzerung wurden seidene decken gebreitet: T^cr PheUe
lagen Auf deti Raveiten, Die man xe paiden seyten Vber dax Eisen het gestrekeht.
Wo sieh dax Eisen phekeht Vnd die tewm Sameit Die gaben Olast widerstreit
Wo die Sunn daran schain Ottok. v. St. cap. 148; Er reit ein ors swarx gevar
Mit einer kovertiure gar Bedecket von samite. An der xeswen sUe Was si grüene
alsam ein gras : Dd xe der linken hani si was Jknkel röt als ein bluot Wig. 169,
8; Ein decke Urne und wit Was der iserinen decke dach, Der man rieher koste
jach: Ein phelle rÖt, dar in gesniten Mit vil kostlichen siten lAebart wi$ hermin,
Ir klä wären gtddin, Ir ougen wären gränät Tand. 2108, edeliu ros Mit sidin
wäfen wol bedaht Yirg. 952, 4. Femer werden wappen auf der kovertiure noch
G&rel 3082 fgg. und 3100 fgg. erwähnt
8. 102] Es wird weiter als teil der kovertiure das kmkenier erwähnt: rot
was ouch sin lankenier GA. 1, 471, 607. 472, 667. 473, 669; korertevr uttdc
lankenier neben einander Joh. v. Michelsberg v. 51 (v. d. Hagen, Germ. 2, 95). —
Aus der ersten aufläge ist das versehen stehen geblieben, dass die croupiere den
„bug*^ des rosses beschützen soll: im gegenteil, sie liegt vielmehr über der kntppe
des pferdes.
S. 103] Anm. 2 füge hinzu: Covertiure und tehtier, Diu wären schoBne unde
guot Eracl. ed. Graef 4988. Die angeführte stelle aus Wolfdietrich (D Y, 202, 3) ist
wol hier zu sti'eichen und eher anm. 1 anzuführen, vgl. unsere obige bemerkang zu
1, 499.
8. 106] Diesen abschnitt kann ich in manchen punkten nicht gutheissen: mir
scheint Niedner (a. a. o.) bei abweichenden, ansichten meistens, obwol nicht immer,
im recht zu sein. Leider beeinträchtigt die übertriebene schematisierung die klarheit
der darstellung bei ihm nicht wenig. Ich kann hier auf eine alseitige Würdigung von
Schultzens ansichten nicht eingehen, sondern beschränke mich darauf, einzelne punkte
hier zu berühren und im algemeinen auf Niedners arbeit zu verweisen.
8. 110] Anm. 2 war wol auch an Alphait 402, Rosengarten ed. Grimm s. 78,
9, 1 und Frauend. 199, 13 fgg. zu erinnern.
S. 114] Die Waffen waren stumpf: 6^ (ein scharfes speer) Wolter bi defi xiten
hän üf den keiser verstochen, swie man tumierte doch Part. B. 15107. — Die im
turnier gefallenen von fürstlicher abkunft verzeichnet Du Gange Diss. Yl, 26, Baumer,
Hohenstaufen YI, 557. Auch Ulrich weiss im Fraueudienst (86, 14 fgg. 87, 24)
ÜBSB SCHULTZ, HÖFISCHES LEBRN 107
von im tornier gefallenen zu berichten, die vom treten der rosse übel mitgenommen
werden. Es wird jemand von den pferden zertreten GA. 3, 458, 116 fgg.
8. 117] Bei der „tafelronde^ war auch Reinfr. 190 und 284 zu erwähnen,
stellen, die schon Niedner (a. a. o. 41) bei der erörterung der tavelrunde citiert.
8.118] Anm. 2: vgl. Diez, Leben der troubadours ed. Bartsch s. 236.
S. 120] Ulrich von Liechtenstein gibt vor (Frauend. 116, 9 fgg.), es seien ein
hündchen, ein gürtel, ling und heftel von einer dame als tumiergewinn gesant
worden.
8. 122] Besonders habgierig beim turnier sind die Österherren nach Wig. 216,
22 fgg. Ebenso urteilt die Krone 2938: niht nach den österherren disiu tfostiure
8tuoni\ vgl. Niedner a. a. o. s. 17. Auch die vom Rheine kämpfen um gewinn (Bit.
8202): Die rechen von dem Rine Allextt phlegen rittersptl Und une si tumieren
Vü bidiu üf vlust und auch gewin.
S. 124] Die krojierer beschreiben die wappen und wissen sie zu erklären: da$
sehiit hrüvieren Tumei von Nautei; B. 954. So erhelt sich auch der dem heraus-
geber unverständliche ausdruck in der Yirginal (1047, 1 fgg.): Der wdfen knappen
kriren so Und otieh die vürsten priviertent (= prüviertent) d6 Und ouch die rit-
ter gemeine.
8. 127] Anm. 7 ist der beleg Parz. 465, 24 als nicht hergehörend zu strei-
chen, hingegen Parz. 738, 28 hinzuzufügen. Die gleiche bedeutung hat valen, ver-
v€elen\ ich verweise nur auf die zahlreichen belege, die das mhd. wb. (3, 214 fg.)
gibt und hebe die aus dem Frauendienst als besonders instruktiv heraus. — Anm. 9
füge ab beleg hinzu: Crane 3071 fgg. 4364 fgg., Demant. 1187 fgg.
8. 128] Die anm. 3 von Schultz angeführte stelle aus dem Wolfdieterich (D VII,
198, 2) gehört nicht hierher: es ist dort davon die rede, dass Wolfdietrich den gra-
fen vom ross nimt und mit ihm, den er mit den armen hält, eine strecke fortreitet
und ihn dann zur erde wirft. Ähnliche mterstückohen werden Bit. 8870 fgg. und
Parz. 73 , 18 fgg. erwähnt
8. 129] Die knappen sorgten im turnier, dass ihr herr frische Speere erhielt:
Sin geeeUen hat der ritter Jddr Da^ sie im etlich knaben liefen, Die solden des
uol genießen, Die sin pfUegen in dem tumei Tand, 12829. Und als Tandareis später
im kämpf einen ritter heransprengen sieht, sagt er zu seinen knappen: sit mir mit
den spem H (Tand. 13812). — Zu anm. 11 vgl. noch Demant 3900. 4100.
8. 130] Wenn Schultz sagt: „man nante solch einen mann (einen tüchtigen
ritter) einen waldzerstorer {tcaltstoende)'^^ so ist das nicht ganz richtig: nicht „man''
tut es, sondern die dichter, welche Wolfram nachahmen und ihn bewundem, gebrau-
chen diesen wol von ihm geprägten, jedesfals aber von ihm in curs gesezten aus-
druck.
8. 131] Über die bedeutung des fride beim einzelkampf imd beim tuinier
äussert sich Schultz nicht, und doch ist diese frage sehr wichtig, vgl. Niedner a. a. o.
^ ^ISS- "" Unverständlich ist mir der Vorgang, dass bei einer ritterlichen ^ost der,
welcher den andern zu boden geworfen hat, über ihn mit absieht weg reitet. So
verstehe ich wenigstens die beiden mir bekanten stellen: Meleranx den truhsa^en stach
Binder da^ ors üf den pldn: Da^ was im selten e getan. Er reit üf in und trat
in nider. Des erholt er sich wider Mel. 5108; Tandai'eis falt den Kanda^'on vom
ross: mit xomes siten reit er Uf in und trat in nider, Do hülfen im die Hnen
wider, Da^ er niht den lip verlos Tand. 10681.
^tmt . I . r«
108 MEIER
S. 133] Mit recht bemerkt schon Niedner (a. a. o. 68 fg.), dass an den in den
anm. 4 und 5 angeführten stellen das schlagen mit den Schwertern auf die ritter,
das mit den prügeln auf die kipper geht
S. 134] Auch Ottokar von Steyer weiss in zwei berichten über tomiere zu Graz
und zu Wien davon zu erzählen, dass das spiel im tumiere bald zu blutigem ernst
geworden wäre, fals die färsten nicht das tnmier aufgehoben hätten (Ottok. v. St
oap. 738, fol. 706 a. 708 a).
S. 135] Zu Ulrichs erzählung von dem vereitelten Friesacher tumier vgl. auch
PBrBeitr. 15, 321. — Schultz meint, dass die kipper gewöhnlich vom tumier aus-
geschlossen gewesen seien. Indessen hätte er das richtige aus der, auch von ihm
unten in der anmerkung oitierten, stelle aus Niedners tumier (s. 68) entnehmen kön-
nen, wo es heisst: «sie (die kipper) werden wol bei den meisten tumieren damaliger
zeit nicht gefehlt haben''.
S. 137] Berthold von Holle schildert im Demanian (613 %g.) die tribüno der
damen: Beämtmde gemachet was Ein sÖ hdeh paku Van kolxe hdch unde Hch.
Manig frouwe tpunniglteh W<u lH der juncfrouwen dar Und mcmig ritter, da^ is
war, Di or di wäfen sagete. — Eine gute Schilderung eines tumierplatzes gibt der
Ring (8, 26): Dar xuo ward geschaffen Da^ man auch schoUe machen Einen xaun
all umb den plan Dasf wa^ jo also schier getan Und dar auf scholl man priigi
legen Durch der schönen frawen wegen Die den tumer schölten sehen, — Anm. 5:
Weitere und zum teil charakteristischere belege hätte Schultz aus Niedner a. a. o.
s. 73 entnehmen können. — Dass bei mancher tjost auch lieder von den littem
gesungen werden, berichtet Ulrich von Liechtenstein (Trauend. 458 , 8 fgg.): Diu liet
gesungen wurden vil: Für war ich iu da^ sagen wü, Bt den lieden wart geriten
Manie tjost nach ritters siten. Diu liet man vü gerne sane Dd ßwer üx tyost
von helme spranc: Si dühten manegen ritter guot, Si rieten ritterlichen muot.
8. 139] Mit unrecht hat Schultz die Lachmaun' sehe textoonstitutionvonFarz.812,
9 fgg. aufgenommen. Die Paul'sche darlegung (PBrBeitr. 2, 97), die weiterhin Niedner
(a. a. 0. s. 32 fg.) vervolständigt hat, hebt klar ihre unzulässigkeit hervor und zeigt, dass
zu schreiben ist: der dritte ist xen muoten: Ze rehter ijost den guoten Ich hurtecltchen
hän geriten-, vgl. auch noch die von Paul angeführten stellen Willeh. 29, 15 und
361, 21 fgg. — Was die weitere Interpretation der fünf stiche anbetrift, so kann ich
mich mit Köhler und Schultz nicht einverstanden erklären, die mit ungenügenden
gründen das tumier nur als massenkampf in geschlossenen formationen aufhssen.
Ich möchte vielmehr Niedner beistimmen, der eine Zusammensetzung aus massen-
und einzelkampf annimt, ohne jedoch seine ausführungen in allen einzelheiten unter-
schreiben zu können. Wie wollen z. b. Schultz und Köhler bei ihrer auffassung das
justieren zwischen den schäm erklären, das als etwas besonders mutvolles gerühmt
wird (vgl. Niedner s. 53 und Tand. 12833: ich stcech gern elHch sper enx4cei Noch
hiute xwischen den schäm; vgl. auch weiter Sachsenspiegel 1, 38, 2)?
8. 140] Schultz hat den Zusammenhang übersehen: nicht Demantin, sondern
Andiför ruft den namen der schönen Delasie. An den in der anm. 3 aus Demant
angeführten stellen wird 6730 Alophie von dem vogt und 6734 Beämunt von Firga-
nant angerufen.
S. 141] Das zäumen erwähnt Schultz gar nicht bei seiner Schilderung des tur-
niers, und doch ist es von grosser Wichtigkeit, vgl. Niedner a. a. o. s. 67 fg. und
auch Ring 7b, 37 fgg.; 7c, 20 fgg.; 8b, 38 fgg. Es scheint beim schwertkampf auch
darauf angekommen zu sein mit den, allerdings stumpfen waffen den zäum der
ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHBS LEBEN 109
rosse zu durchschlagen und so das führungslose ross mit fortzuziehen: der reiter
konte kaum so schnell die zügel widergewinnen, da er in der rechten band das
Schwert und in der linken den schild hatte. Anders als eben angedeutet kann ich
die bekante stelle im Biterolf (8450 fg.) nicht verstehen : Ja aiht man von ir handen
(von den nicht tumiererfahmen leuten des Witzlan) Durch xoume selten ge-
slagen,
8. 142] Dass bei lichte Ijostiert wurde, erzählt üliich von Liechtenstein: Diu
naht den tae het gar verswant. Nach grölen liehten ich dd sant: Der kom mir
üf da^ velt gar viL Für war ich iu da$ sagen toil, Wir stächen bt des lichtes
schtn: Sd gern dient ich der vrowen min (Frauend. 271, 25).
S. 152] Auch Rfipot von Yalkenberc (Frauend. 474, 25 fgg.) gehört wol zu den
schnaphähnen , die sich durch plündern und rauben ernähren.
S. 157J Der besiegte gibt knieend mit handsohlag seine Sicherheit: Als er die
sehoBnen maget sach Er kniete mir sie unde sprach: Vrowe, ich bringe iu siclier-
heit Tand. 9650; Diu maget die tserinen hant Enphie und hiez in üfe stäti
Gärel 1810.
S. 174] Bei den ordalen war vielleicht noch ein algemeiner verweis auf Grimm,
RA. 912 fgg. hinzuzufügen. Eine interessante erzählung eines Arabers über die got-
tesgerichte und zwar über den Zweikampf, die feuer- und wasserprobe und über die
stel Vertretung bei weibem und krüppeln steht in dem werkchen von G. Jacob, Ein
arabischer berichterstatter aus dem 10. oder 11. Jahrhundert (Berlin 1890) s. 14
fgg. — Über die bedingungen bei einem Zweikampfe mit einem hunde handelt
QA. 1, 179, 371 fgg.: Man sol dem man ein knütel geben, Da mit er vristen
kan sin leben, Armes grd^ und elen lanc, Da^ ist mtn rät und min gedanc:
Oueh gebe man dem hunde Die xend in einem munde, Da mit er sieh weren sol,
Des mac er sich vrien wol.
S. 199] Anm. 9: tüsent schützen wol geriten Gärel 4300. Vgl. auch die abbil-
dungen in Boeheims Waffenkunde 8.390—392.
S. 202] Anm. 4 ist Schultzens angäbe wol dahin zu berichtigen , dass nach der
gewöhnlichen annähme armbrust wol kaum aus der form aroubalista, sondern viel-
mehr aus mlai arbalista entstanden ist. Eine andere etymologie, die schon Gott-
sched (vgl. Adelung, "Wb. sub armbrust) aufgestelt hatte, versucht W. Boeheim
(Waffenkunde 402) wider aufzunehmen. Seine aufstellungen sind ihm zwar sehr
sicher, aber doch nicht richtig. Er sagt: „Der deutsche name sezt sich aus den wer-
ten ,arm^ und ,rüstung^ zusammen und bedeutete somit ursprünglich eine ,arm-
rüstung^ Mit dieser bezeichnung ,armrust^ erscheint sie schon im 12. Jahrhundert
Am ende des 15. Jahrhunderts unterlag das wort armrust einer neuen Schreibart, die
dem m ein b anfügte, wie u. a. bei räumblich, saumb, Beheimb, ziemblich '^. Jedes
einzelne, was Boeheim hier anfuhrt, ist nun unrichtig: Im 12. Jahrhundert, wie auch
sonst, komt meines Wissens die schreibtmg armrust nie vor, sondern schon seit dem
11. jahriiundert wird stets armbrust geschrieben (Schmeller* 1, 145). Diese form
tritt hoch- und niederdeutsch auf und wird von hier aus durch die nordischen spra-
chen entlehnt. Ende des 13. Jahrhunderts taucht eine form ärmst auf. Vom ein*
fach lautlichen Standpunkt wäre trotz alle dem angeführten eine entstehung des
Wortes aus arm und rust (Instrument, Werkzeug Schmeller* 2, 163) nicht ganz
unmöglich, und die form ärmst könte direkt darauf zurückgehen. Der einschub des
b als übergangslaut wäre vne bei kumher <; cumulus zu erklären. Allein die Schwie-
rigkeiten scheinen mir zu überwiegen, so dass man diese etymologie keineswegs als
110
hinlfinglich begründet hinstellen kann. Indessen ist mir die deatung aas arbalista
ebenso unwahrsoheinlich.
8. 203] £ine besondere art der armbnist war die kraparmbrtui Ottok. v. St
cap. 714; vgl. noch Schmeller' 1, 145.
8. 212] Bei der beeprechung der Streithämmer wai' wohl auf fig. 111 (s. 205)
zu verweisen, wo die abbildong eines solchen sich findet.
8. 213] Das Verhältnis von kiule und koU>e (anm. 3) ist so, dass kitde ursprüng-
lich die am ende des kolbens befindliche kngel, mit welchem weite es auch lautlich
zusammenhängt, bezeichnet Erst spfiter wird der name kiule auf die ganze waffe
übertragen.
8. 216] Anm. 1: Ein Zusammenhang von flatsche, fletsche mit poln. paiasx
wird kaum anzunehmen sein. Die nebenform plaeehe ist zu erklären wie flecken :
placken, fleUen : pletxen (vgl. noch Lexer 2, 388).
8. 219] Die kolmerhüete, welche die bauem tragen, haben wir schon oben zu
s. 9 erwähnt 8ie waren auch hier anzuführen. — Dass die fusssoldaten nuinchmal
auch eisenrüstungen tragen, zeigen stellen, wie die folgenden: Ich füer oueh »wei
iüsent achiUxen dar Und x'iser xwei tüsent aarjant Gftrel 2394; Zu dem kunig
Cham dar Zu fueaxen ain gros Her, Wot beraü vu Wer Vnd in gancxem Har-
nasch Ottok. v. 8t cap. 678.
8. 225] «Unter der fahne jemandes sein^, heisst „sich einem unterstellen, auf
seiner seite unter ihm kämpfen**. Dies zeigt auch schon, dass eine hauptfahne, die
des fahrenden fürsten, den mittelpunkt des ganzen bildete. Vgl. Bestät er (Tristan)
in dem lande, Wir sin iemer mi genesen Und muo^ Ridl der grdve wesen Mit
varhie under d$nem vanen Türh. Trist 140.
8. 228] Ungelenk im ausdruck sind die folgenden sätze: ,Im deutschen und
englischen wird der carroccio gewöhnlich standart genanf* (s. 228), „In den deutschen
gedichten wird das wort stanthart selten erwähnt** (s. 229) und „Deutsch wird das
carroccio heerwagen genant** (s. 234).
8. 229] Anm. 5 : Die carrosche von Mainz erwähnt Ottok. v. St cap. 678.
8. 230] Eine genaue Schilderung des carroccio, hier heeiwagen genant, und
seiner einrichtung gibt Des teufeis netz 7241 fgg.
8. 237] Anm. 2: Zu den citaten aus Demanün ist auch noch Demant. 10681
fgg. zu vergleichen.
8. 238] Anm. 2 füge hinzu: Virg. 663 fgg., Gudrun 195, 2.
8. 241] Über die grosse von Wegstrecken, die einzelne am tage zurücklegten,
teilt auch Gasner (a. a. o. s. 120) einiges mit Vgl. femer noch die Vie domestique
(s. 60 fg.): Jean de Blois legt an einem tage bis zum disner 35 kilometer, an einem
andern tage in der zeit vom mittagessen bis zum abend 13 kilometer zurück.
8. 245] Schultz hätte noch anführen sollen, was es heisst den woldan rUen:
woldan ist ein rascher Verstoss gegen den feind, eine gewaltsame rekognosderung,
vgl. J. Grimm, Ztschr. f. d. a. 5, 494 fgg. (wo aber die mythologische deutung
unrichtig ist), Bartsch zu Demant 7381, Ottokar von Steyer cap. 319. 343. 740. Vgl.
weiter geweidiger ryi Böhmer, Cod. dipl. Mcenofrancfurt. 587 a. 1344.
8. 251] Ein anderes zeit wird geschildert Altsw. 91, 28 fgg.: Das gexsU was
ein rot balkin. Die seil wären grüen sidin^ Von silber waren die pfel. Von rotem
gold sunder hei Warn die knöpf uf dem gexelt. — Das zeit des Godomas, welches
Meleranz erkämpft, weiss der Fleier in den glänzendsten färben zu malen (Mel. 10379
— 10398). — Die oben im text gegebene dai'stellung entspricht nicht der in der
ÜBER SCHULTZ, HÖJI8CHB8 LEBEN 111
anmerkung (3) angeführten stelle des Franendienstes : Ulrich hat vier hanner und
ISsst diese je einen rosslauf von einander entfernt aufstollen. So wird ein carree
begrenzt: eingehegt wird es durch schnüre, die um diese vier banner geschlungen
werden. Längs derselben lässt er in Zwischenräumen seine mit fahnen geziei*ten
Speere in die erde stecken.
S. 255] Vor dem beginne des krieges werden die heergesetze beschworen: er
(der kaiser) gebot da^ man stcuor (E^ wcere riter oder kneht) Den herfride: da^
was reht Eracl. ed. Oraef 2718.
S. 266] In der nähe des feindes soll jeder die nacht hinduroh im hämisch
bleiben und sein ross an der band halten (Alph. 330 und 332).
8. 267] Die wache dauert einen tag lang, so war es bestimt: In den selben
xUen toären diu reht, Swer die wart teoU suoehen, rittet oder kneht, Der phlac
ir tpol mit iren bi^ der tae ein ende nam. Älsd tete ouch Älphart, als einetn
ritter tcol gexam Alph. 205.
8. 277] Die anm. 6 aus dem Tandareis (13638 fgg.) angeführte stelle ist zu
streichen, da hier vom tumier die rede ist Dagegen ist zu dtieren Dietr. Fl. 8744
fgg. 8759 fgg.
8.281] Ottokar von Steyer schildert die reichsfahne: Des Reiches Warxayehen
Das; ist ain Vane smal Der get lang her x/u tal (cap. 810).
S. 282] Das singen von liedem vor und während des kampfes wai* algemein:
Ze^amen st dö drangen, die schefte brdchens gar. Ir unse s% do sungen in bei-
denthalp der schar Wolfd. A. 336, 3. Das Kyrieleis wird gesungen: Ein sendleich
Gesankch Hubens mit dem Kyrieleis, Sain wax ir Raisx, Do si xu einander staph-
ten Ottok. v. 8t cap. 571; Ee si den Rueff vol sungen, Do chomen si gedrungefi
Zu einander mit ainem Stoxx Ottok. v. Si cap. 572. Das gewöhnliche schlachtlied
war aber der leich ^Sant Marei, muoter unde meit, AI unser ndt si dir gekleit^
(vgl. Schultz 2, 279): Do hueb der Ootes Kaplan Äinn Ruff mit lauter Stimm an:
Sand Marey Muter. Diser Ruef guter Wirt selten geschwigen von den Heren,
Denn so sy xesamen cheren Mit Helm verpunden Ottok. v. St. foL 626 b. — Aber
nicht immer waren die lieder der ausdruck kampfesfreudiger Stimmung: der feige
suchte sich am abend vor der Schlacht durch sie mut einzusingen und weite freudig
erscheinen: Der xage trüwet niht genesen Als er den vient ane siet. Er beginnet
singen siniu liet Sam er stolx und frö si Und ist doch niender da In (Eracl. ed.
Graef 4734).
S. 292] Durch das „besitzen'' des Schlachtfeldes machte man sich zum eigen-
tümer desselben ; vgl. noch Der künec besas; die naht da$ ical Herz. Ernst B. 4751 ;
die naht besäßen sie da$ wdl ebd. 4870.
S. 296] Über wei^l vgl. Lexer 3, 748 und mei^el ebd. 1, 2090. Die gewöhnlichen
heilmittol bei Verwundungen erwähnt noch Eracl. ed. Graef 4804: Sie bedürften de-
heiner salben, Weder wei^ noch phlaster. Eine grüne übelriechende salbe, die
Bechstein für unguenium populeum hält, erwähnt Ulrich im Frauendienst (28, 2 fgg.).
Für die eignen vei'wundeten wird nach besten kräften gesorgt: J^Nü volge mir^ Ijam-
parte*^, sprach aber Alberich, j,Und suoehefi tvir die toten, da^ ist gewi^^enlich.
Die wol genesen kunnen under diseme her. Die sende wir in barken Zuo den kie-
len Üf da^ mer'^ Ortnit IV, 342, 1.
8. 297] Die Chirurgen müssen damals nicht sehr vertrauenerweckend operiei-t
liaben. Und danini war es (un groftsos waguis, wonii Uh'ich von Liechtenstein zu
112
dem entschluss kam: Der lefSf der ich drie hän, Der wil ich eine sntden län
(Frauend. 25, 3). Auch bei kleinen Operationen wurde der patient festgebunden
(Frauend. 25, 27). Wie bei dem aderlassen und baden, so gab es auch günstige tind
ungünstige zeiten für Operationen. Für besonders vorteilhaft scheint der mai gegol-
ten zu haben: E$ ist nü gar enwihi: Ich sntd iueh vor dem maien niht. Kumt
ir mir in dem maien her, Bi min triuwen ich iueh wer: Ich mach tu iwem
munt also, Da^ ir sin sU von schulden vrd (Frauend. 24, 5 fgg.).
S. 298] Des Teufels Netz (7282 fgg.) erwähnt, dass man die armen, die ver-
wundet waren, ruhig auf dem schlaohtfelde habe liegen lassen.
S. 303] Anm. 1 : Vgl. noch Des teufeis netz 7279 fgg.
8. 305] Über die ausplünderung von leichen vgl. die ausführung der hand-
schriften BC in Des Teufels Netz nach 7289.
8. 306] Zu dem gebrauch, im notfalle erde oder gras statt der hostie in den
mund zu nehmen, war wol auf Wackemagels erörterungen Ztschr. f. d. a. 6, 288 fg.
und auf Böckel, Volkslieder aus Oberhessen s. XUVill anm. 1 zu verweisen.
S. 307] Die gefallenen mannen des Ermrich werden den vögeln überlassen
(Dieü*. Fl. 9891 fg.). Später (10050 fgg.) aber wird erzählt, dass Dietrich die edel-
sten habe aufheben und bestatten lassen, ja sie beklagt habe, obwol sie seine feinde
gewesen seien. Der dichter fasst sein urteil über dieses tun so zusammen: er begie ein
tugent an der stat Da^ vil selten dehein künec ie Solhe tugende hegte Hie bevor
bi einen tagen (Dietr. Fl. 1(X)46). Ähnliches wird Alph. 462 fgg. berichtet: D6 spracti
der vogt von Beme: E^ sol erlottbet toesen, Da^ man vüere %e lande, Die mugent
noch genesen. Die toten al geliehe sol man hie begraben: Viende und vriunde
stUen des urloup haben,
S. 323] Anm. 7 füge hinzu: CCCXLin, (XICL.
S. 333] Anm. 8: Nu pegund vaste schreien Der oben in der keiben (Pez:
Scheiben) sa^ Ottok. v. Si cap. 40.
8. 337] Weisse und schwarze segel erwähnt Heinr v. Fi-eibeigs Trist. 6345 fgg.
S. 367] Anm. 6: Rüdeger der gap duo Eines lorboumes xuü Einem garxün,
der stuont da bi Und horte gar diu nuere Wa^ in enboten w<xre Bit 9932. —
Anm. 10: ^Neinä, werder grdve, du soU min böte sin"". Einen vcUken saaUe im
Üf die hant die edel kaiseHn Wolfd. D. YDI, 203, 1. Er tcolte in mit gewalte
i«$ dem satel geworfen ßiän, Dd er im kam so nähe, des vogels wart er gewar:
Den sper warf er urtnhe, der edele fürste klär ebd. 205, 2. — Auf andere weise
deutet Wälwein dem Lanzelet an, dass er nicht mit ihm kämpfen will (Lanz. 2381 fgg.).
S. 368] Anm. 4: (Karl) nam xo eme eynen rittere Ind machden sieh xtoene
myssagere Ind heyngen eynen schilt umb gekert Vp eren ruck vnuerueirt Ind geyn-
gen ane landen do Der stat xo Agune xo. Also plagen de boden xo der xyt Ere
botschafft xo done ane nyt Karlm. 348, 40.
S. 409] Bei der von Schultz anm. 5 angeführten stelle aus der Krone (11735
fgg.) ist wol das y,don enmohten'^ am anfange nicht zu entbehren, um das oitat ver-
ständlich zu machen. Übrigens ist hier von der bezwingung der Ginover die rede,
und die gleichsetzung des igel mit dem priapus stüzt Schultzens auffassung, dass
der igel dieselbe maschine sei, wie der widder; vgl. priapus als bezeichnung des
Widders bei Schultz oben anm. 4.
S. 437] Kam ein feindlicher krieger zu nahe an die mauer der belagerten stadt
heran, so suchte man um mit krapen (krapfen) zu fassen und herauf zu ziehen. So
wird Grendel gefangen (Orend. 2353 fgg.).
ÜBEA S0HI7LTZ, HÖTISOHBS LEBKN 113
8. 450] Über die plünderung seitens der Soldaten vgl. noch Des Teufels Netz
7290 fgg.
8. 454] Nach einer stelle im jüngeren Titurel (5873) gibt Schultz schlechtweg
an: ,Der könig schwur bei seinem harte, und dieser eid galt als unverletzlich*^. Das
ist in dieser algemeinheit sicher unrichtig, vgl. Von Britanien Fanisdr, Der üf
sitne hoibte swdr Zu dtnste dem von Engelant Demant. 9921; So is he di werde
Äehilant, Di üf sine krönen swdr Sinre amienj do he vor ü^ slme riche in
Engelant, He wolde or dinest tun hekant ebd. 9880; Ich stcür und lotete onie do,
Do he mir clagete sine ndt, Des werdin Demantines ddt: Den stcür ich üf die
erönen min. Di eit mö^ gehalden sin, Da^ si mir Hb adir leit ebd. 6064.
Den schwur bei dem harte tut noch der kaiser Cosdroas (er stvuor bi einem barte
Eracl. 5178) und Otto mit dem barte (swa^ er bi dem barte geswuor, Da^ liei; er
alle^ taär Otte 6). — Das richtige in Schultzens anschauung scheint mir in folgen-
dem zu bestehen: Man schwöit im algemeinen bei einem höheren; gott schwört bei
sich selbst Und so mag es auch kommen, dass — ein abglanz göttlicher würde —
die könige bei sich selbst, bei einem teil ihrer person und einem attribut ihrer her-
schaft schwören.
8. 470] Aus anm. 7 geht nicht hervor, dass die kirchenglocken beim begräbnis,
sondern nur dass sie beim todesfall, wie noch heute vielfach, geläutet wurden.
HALLE ▲. S., AUGUST 1890. JOHN MEIBB.
Die Sprachwissenschaft, ihre aufgaben, methoden und bisherigen
ergebnisse von G. ?• d. Gabelentz. Leipzig, T. 0. Weigel. 1891. XX und
502 s. gr. 8. 14 m.
Dem werke, über das wir hier berichten, wird es versagt bleiben, beui*teiler
zu finden, welche mit der über die erde reichenden sprachkentnis des Verfassers
wetteifern könten. Aber doch darf und muss auch von dem an solchem massstabe
bemessen engen Standpunkte der indogermanischen linguistik aus der versuch gemacht
werden, den vielseitigen inhalt des buches zu würdigen; oder sagen wir für unser
teil lieber: einige bruchstücke dieses inhalts, wie sie eben den interessen des bespre-
chenden nahe liegen. Mögen andere von andern selten her das ihrige beitragen!
Der Verfasser erzählt einmal, wie sein vater ihn gewöhnt habe, kein unnützes
buch zu lesen: in derselben zeit könne man eine neue spräche hinzulemen, und davon
habe man mehr!^ In dem bilde der Sprachwissenschaft, welches v. d. Gabelentz hier
entwiift, nimt denn auch die technik des lemens und übens tiefer stehender spra-
chen, von denen nur etwa ein stück bibelübersetzung oder dgl. vorliegt, breiten
räum ein. Wie man seine collectaneen anlegen soll, papier nicht sparen, deutlich
aber klein schreiben: über diese und ähnliche dinge wird — gelegentlich nicht ohne
eine gewisse breite, die man überhaupt in dem buche wahmimt — praktischer rat
erteilt Dann wie elementargrammatiken und wie kurze grammatische Vorschulen
1) An dies wort klingt eine stelle des bachs an (s. 184) , die mir zu charakteristisch scheint, um
sie zu fibeigehen. Der Verfasser wirft die frage auf: gesezt es gelänge, die Ursprache der Indogermanen
in aller Tolkominenheit herzostellen, was wäre damit gewonnen? Die erste antwort lantet recht beschei-
den: „Man hätte zn tausend bekanten sprachen noch eine tausend und erste". Dann folgt fireilich noch
eine zweite und dritte antwort. Aber ich bezweifle, dass unter den erforschem indogermanischer spra-
dien ein einziger auf jene erste verfallen sein würde.
ZniSCHBIFT F. DBUTSCHK FHILOLOOIE. BD. XXV. 8
114 OLDSNBIBa
aussehen sollen, wie man es mit paradigmen und Übungsstücken zu halten hat:
viel recht zutreffendes und gesundes, dazwischen freilich gelegentlich eine über-
raschende Wunderlichkeit*.
Die erforschung der fernen und weiten Sprachgebiete, auf denen die tätigkeit
des Verfassers sich überwiegend bewegt, steht nun ofifenbar unter bedingungen, welche
die entwickiung der exakten methoden sprachgeschichtlicher unterauchung, wie die
indogermanistik sie auszubilden bemüht ist, wenigstens in der gegen wart wenig
begünstigen. Hier liegt, wie mir scheint, die hauptsächlichste schwäche des buchs.
Es ist überaus reich an geist- und phantasie vollen , aus sinniger anschauungskraft
erzeugten beobachtungen über die verschiedensten gebiete des Sprachlebens; aber oft
genug vermisst man — wenigstens in bezug auf die bchandlung der mehr körper-
lichen Seite der Sprache, der laut- und formenlehre glaube ich dies behaupten zu
müssen — die energie zielbewusster methode.
Das ganze gliedert sich, wenn wii* die einleitenden erörterungen des ersten
buchs (s. 1 — 53) bei seite lassen, in drei hauptteile. Zunächst handelt es sich
(buch 11) um die „einzelsprachliche forschung*^. Es folgt die , genealo-
gisch-historische Sprachforschung'^ (buch 111), endlich die „algemeine
Sprachwissenschaft*^ (buch lY).
Die einzelsprachliche forachung hat (s. 60) „die spräche nur so, aber auch
ganz so zu erklären, wie sie sich jeweilig im volksgeiste darstelt*^. „Dies volk hand-
habt seine Sprache ohne rückwärts, auf ihre Vorgeschichte, oder seitwärts, auf ihre
dialekte imd auswärtigen verwanten zu schauen; alle faktoren, welche die richtige
handhabung der spräche bestimmen, liegen lediglich in dieser Sprache selbst, wollen
also aus ihr heraus begriffen sein*^ (s. 61). Begriffen? Wie wiU es beispielsweise
eine grammatik der homerischen spräche anfangen, nur aus dieser heraus es zu
begreifen, wenn neben dem präsens i^^/Vcti eine reihe anderer formen stehen, welche
nicht ^ sondern <p haben: fjieifvov, tfovog usw.? Man kann, so lange man sich
streng nur innerhalb dieses Sprachgebiets hält, wol das betreffende faktum consta-
tieren und vielleicht noch mehr oder minder wahrscheinlich machen, dass der home-
rische dichter die Zusammengehörigkeit der ^-formen und der ^-formen noch irgend-
wie gefühlt hat: aber von begi'eifen der erscheinung kann doch nur die rede sein,
sobald man über die homerische Und über die griechische spräche hinausgehend die
Schicksale der indogermanischen velarlaute überblickt' — wobei sich auch, beiläufig
bemerkt, noch fragen Hesse, ob selbst das nackte faktum, dass jene beiden „defeo-
tiven verba*^ einander so merkwürdig ergänzen (Joh. Schmidt, Kuhns ztschr. XXV,
168), je bemerkt worden wäre, wenn nicht eben betrachtungen der vergleichenden
lautlehre auf dasselbe hingeführt hätten.
Wenn wir übrigens unter v. d. Gabelentzs beispielen von grammatischen dar-
stellungen einer einzelBprache neben dem von ihm (s. 22 fg. 116) stark überachäzten
Pänini — welchen man mit den heutigen doch nicht in reih imd glied stellen solte ! —
1) So 8. 94: da es zur Wissenschaft gehöre, seine lehren auch za beweisen, so sei es za tadeln,
wenn selbst in ausfOhrlichen grammatücen der nachweis vermisst werde, „dass die and die formen yer-
schiedenen klanges , z. b. dieaJt nnd amd , gleichwertig , jene , obschon von gleichem klänge , wie dioal,
amai; cMei, anutf veisohiedenwertig sind". Solchen anlbrderongen mflsse genüge geschaft werden,
mOge es noch so viel kopficerbrechens kosten. „In der tat scheint die phUologische grammatik schon
anfii krttmelsuohen angewiesen. Non wird sie nicht mnrren, wenn ihr eine neue aulje^abe gestelt wird,
eine philosophische im grossen stile."
2) Der anerkennong dieeer sachlsge verschliesst sich übrigens auch der verftisser an manchen
stellen seines buchs (z. b. s. 149) keineswegs.
ÜBIB ▼. D. OABBLUm, SPRA.CHWI88BN8GHAFT 115
auch der griechischen grammatik Bragmanns begegnen (s. 119), so hätte der Verfas-
ser, der dieselbe dem leser im gegensatz zu didaktischen grammatiken als beispiel
einer kritischen grammatik vorführt, durch etwas eingehendere betrachtung dieses
Werks wol auf die bemerkung geleitet werden müssen, wie gar nicht „einzelsprach-
lich *^ doch im gründe eine solche einzelsprachliche grammatik, sobald sie ihre auf-
gäbe bis in die tiefe verfolgt, ist und sein kann.
Aus der beschränkung auf den zustand der einzelnen spräche zu einer gege-
benen zeit führt uns das dritte buch in die weiten der „genealogisch -historischen
Sprachforschung*^. Wird nicht hier, wo die sprachen als im fluss geschichtlicher
entwicklung sich wandelnde Wesenheiten erscheinen, vor allem von den grossen mäch-
ten die rede sein, welche das anderswerden der sprachen beherschen, von lautwan-
del und analogie? Zuvörderst nicht, sagt uns der Verfasser. „Es handelt sich hier
zuvörderst nicht um „prinzipien der Sprachgeschichte*^, wie sie Paul in seinem so
betitelten buche und früher Whitney (Life and Growth of Language) dargestelt
haben '^ (s. 145). Also, wenn nicht zuvörderst, so später? Nicht doch, sondern in
der darstellung der genealogisch -historischen Sprachforschung überhaupt nicht „Die
entdeckung solcher algemeiner grundsätze'^, fährt v. d. Qabelentz fort, „gehört weder
der einzelsprachlichen noch der historisch - genealogischen forschung*^. Also wir sol-
len damit auf buchlY, die „algemeine Sprachwissenschaft^ wai'ten? Was sollen wir
nun in buch ÜI? „Der zweig der Sprachforschung, der uns hier beschäftigt, hat es
zunächst mit den trockensten einzeltatsachen zu tun: sind die sprachen A und B
mit einander verwant, und in welchem grade? gibt es dieses woii oder jene fonu
in der und der spräche oder in der und der zeit der Sprachgeschichte? wie lautet es
da? welche gesetzmässigkeit herscht in den lautlichen abweichuugen?'^ Wie denn,
wir sollen doch schon hier darüber bescheid wissen oder lernen, wie man fragen zu
beurteilen hat, welche die gesetzmässigkeit des lautwandels betreffen? Eben war
doch gesagt worden , dass die betreffenden grundsätze anderswohin gehören. So geht
dem leser das gefühl, in klar und scharf bezeichneter bahn sich vorwäits zu bewe-
gen, verloren — ich muss hinzufügen, hier wie au vielen stellen des buchs.
In der tat ist nun schliesslich von den „sprachhchen mächten* bereits in der
abteilung von der genealogisch -historischeu Sprachforschung die rede (s. 191 fgg.).
Ich hebe die besprechung des lautwandels hervor. Man sieht sehr deutlich, wie an
den discussionen über die hier einschlagenden fragen, welche in den lezten 15 jäh-
ren die indogermanische linguistik so leidenschaftlich bewegt haben, die belesenheit
des Verfassers keineswegs vorübergegangen ist, wie dieselben aber sein eigenes den-
ken doch kaum in der tiefe berührt haben, v. d. Oabelentz erkent das ausnahmelose
wirken der lautgesetze in gewisser weise an: d. h. er will dasselbe gelten lassen
„nicht als dogma, geschweige denn als bewiesenen lehrsatz, sondern nur als ein
methodologisches princip, das besagt: denke, es wäre so; richte deine forschungen
darnach ein; beruhige dich nicht, ehe du das lautgesetz oder den grund, warum es
im einzelnen falle durchbrochen scheint, entdeckt hast: dann gehst du so sicher, wie
es nach läge der sache möglich ist* (s. 200). Aber wenige Zeilen später lesen wir:
„Lautverschiebungen greifen nur almählich um sich, nicht nur in örtlicher, sondern
auch in sachlicher hinsieht* — beispiel: et, dat, toai der niederrhein. mundart, die
sonst das s angenonmien hat. Also doch eine lautliche bewegung, die einen laut
in einem teile der Wörter ergreift, vor einem andern teile halt macht? Ist das
nicht, ruhig und ohne alles widerstreben oder weiterstreben, die anerkennung gerade
dessen, wovon eben vorher gesagt war, dass wir uns dabei nicht beruhigen sollen?
8*
116 OLDKNBIB&
Paul hat sich bei dem dat, wat weniger leicht beruhigt; er hat bemerkt, dass diese
ausnahmen ein beweis gegen die oousequente Wirkung der lautgesetze sein würdoi,
wenn sich nicht eine formel dafür finden liesse, wodurch sie auf eine rein lautliche
Ursache zurückgeführt werden. Diese formel hat er dann gesucht und vielleidit
gefunden (PBr., Beiträge VI, 554). Dass dies v. d. Oabelentz bekant sei, würde man
an sich nicht verlangen. Aber wenn er zum beweise für ein die fundamente unsrer
Wissenschaft berührendes princip, welches die indogermanistik in schweren kämpfen
übei'wunden zu haben glaubt, sich nun einmal auf germanistische details berufen
will — hatte er da nicht die pflicht, sich das tenain genauer anzusehen? Zu der
deutschen Spracherscheinung fügt er dann noch eine japanische: im japanischen lasse
sich beobachten, wie seit einem jahi'tausend die neigung, unbetonte mit t» oder n
anlautende silben in u zu verwandeln, immer neue opfer fordere. Ich kann natür-
lich über diese erscheinung nicht miti'eden. Aber ich meine, dass wir aus ihr für
die wissenschaftliche methode vorläufig nichts lernen. Die erforschung des japani-
schen hat offenbar noch ein weites stück weges vor sich, bis ihr zeugnis in prin-
cipienfragen der lautgeschichte etwas entscheiden, ihre etwaigen miserfolge unser ver-
trauen auf die consequenz der lautlichen entwicklung irgend erschüttern könten^.
„Und so ist*, fährt v. d. Gabelentz weiter fort, „wol nirgends die möglichkeit
schlechthin zu verneinen, dass lautverschiebungen an gewissen stellen ins stocken
gei-aten, anderwärts weiter gedrungen seien, dass sie wol auch nach langen pausen
wie atavistische anlagen von neuem zum durchbruch kommen*^. Die lezton worte,
dem anschein nach im tenor des vorhergehenden sich weiterbewegend, berühren in
der tat einen völlig neuen punkt. Mag man es glauben oder bestreiten, dass der
lautwandel vor gewissen werten oder Wortklassen halt macht: niemand kann leugnen,
dass die wii'kung eines lautgesetzes in zeitlichen grenzen eingeschlossen sein', und
dass ein abgelaufenes lautgesetz in einem späteren Zeitalter von neuem zur geltung
kommen kann. Als beispiel wählt v. d. Gabelentz eine von ihm selbst aufgestelte
hypothese (s. 201). Der italienische Übergang von auslautendem s in * (in Wien wie
noi, poi usw.) könne das aufleben einer erscheinung aus indogermanischer urzeit
sein, wo sich dann die nominative plur. mit dem i-suffix, skr. te, lat. equi, gr.
YtittoI' neben den auf s ausgehenden wie skr. asväs erklären würden , vielleicht auch
— mit hilfe des reflexivpronomens — die auf i ausgehenden medialendungen des
skr. und griechischen. Ich weiss nicht, ob die Sprachgebiete, in welchen v. d. Gabe-
lentz vorzugsweise zu hause ist, materialien für die in rede stehende erscheinung des
„atavismus" darbieten, über welche orientiert zu werden dann auch dem Indoger-
manisten lehrreich sein könte. Aber ich glaube, dass, wenn er einmal sein beispiel
1) 'Wenn v. d. Gabelentz 8. 200 sagt, des onerklarliöhen werde immer genug bleiben, immer
werde es vorkommen, dass uns die lautgesetze einmal im stich lassen, ohne dass wir erklAren könten,
was sie durchbrochen habe, so wird dem wol aach der hofimmgareichste Optimist kaom widei^rechen.
Aber ich halte es für bedenklich, wie v. d. Gabelentz tat, hier ezemplificierongen zu versuchen: woran kön-
nen wir es denn irgend einer noch so dunklen lantlichen erscheinung ansehen, dass ihre erklämng nicht
gelingen wird, vielleicht morgen, vielleicht in femer zukunft? Und schon heute ist man weiter als
V. d. Gabelentz meint ; das gesetz z. b. , nach welchem das englische bald das harte , bald das weiche th
hat (s. 200) , gehört keineswegs mehr zu den ungelösten Problemen ; siehe Morsbach , Über den Ursprung
der neuenglischen Schriftsprache, s. 90 (ich verdanke den hinweis hierauf der gute G. Sarrazins).
2) Der gesichtspunkt der zeitlichen begrenzung der lautgesetze komt übrigens bei v. d. Gabelentz
so gut w;ie gar nicht zur geltung. In der s. 196 fg. gegebenen Übersicht über die f&lle , in welchen laut-
gesetze scheinbare, aber eben nur scheinbare ausnahmen zulassen, vermisse idi den so unendlich hAu-
%en, dass der laut, welcher durch ein lautgesetz gewandelt sein müste, in der tat aber nidit gewan-
delt worden ist, sich an der betreffenden stelle erst nach ablauf dieses lautgesetzes entwickelt hat.
ÜBEB V. D. GABELSNTZ, SPRACH WISSENSOHAITT 117
dem indogermanischen gebiet entnehmen weite, er in bezug auf die methode lautge-
setzlicher foTschung strengere massstäbe hätte anlegen müssen.
Sehr deutlich treten ähnliche mängel auch in dem kapitel über den sandhi
hervor (s. 203 fgg.)i welchen begriff v. d. Oabelentz als Jeder art gegenseitige beein-
flussung von lauten oder betonungen*^ fasst. Auch hier arbeitet er überwiegend mit
indogermanischen materialien, und es kann wol vermutet werden — ich selbst habe
hierüber kein urteil — , dass die indogermanischen sprachen eben die einzigen sind,
in welchen der -gegenwärtige stand der Wissenschaft tieferes methodisches eindringen
in das wesen der sandhiersoheinungen , ein einigermassen sicheres sondern der man-
nigfaltigen Strömungen, die hier zusammengeflossen sind, ermöglicht Wie weit aber
bleibt hier v. d. Gabelentzs darstellung an schärfe und feinheit in der behandlung
der principiellen fragen sowie an volständigkeit in der aufführung auch nur der haupt-
sächlichsten erscheinungstypen hinter dem von andern en*eichten zurück I Dass das
wenige, was er hier von tatsachen der entlegeneren Sprachgebiete aufführt, den
indogermanisten etwas bietet, scheint mir kaum; handelte es sich aber darum, den
erforscber jener gegenden der linguistik dui'ch die darlegung indogermanistischer
methode und resultate anzuregen, so hätte diese aufgäbe meines eraohtens eine
wesentlich volkommenere lösung zugelassen.
Ich habe etwas länger bei einigen abschnitten des kapitels von der „genea-
logisch-historischen Sprachforschung^ verweilt, in welchen grundfragen der Sprach-
geschichte so zu sagen nach deren körperlicher seite zur behandlung kommen. Ich
begnüge mich mit einem kurzen hinweis auf die abschnitte von der analogie (s. 210
fgg.), über den bedeutungswandel mit den ihn bewegenden mächten (s. 225 fgg.) und
über die einflüsse des Verkehrs und der Sprachmischung (s. 254 fgg.).
Das vierte buch, „die algemeine Sprachwissenschaft^ (s. 292 — 466), hat es
überwiegend mit fragen der Sprachpsychologie zu tun — erörterungen , deren einge-
hende Würdigung ich berufeneren überlassen muss. Ich hebe nur den vom Verfasser
etwas eigentümlich benanten abschnitt „ sprachwürderung '^ hervor (s. 371 fgg.), den
versuch einer Wertbestimmung der sprachen und der gewinnung von rückschlüssen
aus ihnen auf die geistesart der nationen. Man findet hier einen reichtum feiner
bemerkungen imd treffender Charakteristiken. Wenn die kühnheit, mit welcher der
Verfasser vorgeht, von zügen der wilkür nicht frei ist, wie könte das bei fragen die-
ser art anders sein, wo für jezt nur ahnungen in kühnem fluge zu zielen hinstreben
können, denen in dem bedächtigen gange exakten foi*schens sich anzunähern viel-
leicht der Wissenschaft ferner zukunft vorbehalten sein mag?
XliEL. H. OLOENBBRe.
The Monsee Fragments, newly collated text with introductions, notes,
grammatical treatise and exhaustive glossary .. by Geor^iro A. Hench*
Strassburg, Trübner. 1891. XXV und 212 s. 5 m.
Das bedürfnis, Massmanns ausgäbe der fragmente durch eine neue abzulösen,
haben schon hinlänglich die neuen collationen erwiesen, die seitdem einzelnen bruch-
stücken zu gute gekommen sind. Hench hat zum ersten male wider den ganzen
bestand zusammengefasst und, wie zu erwarten war, sich auch da, wo ihm Scherer,
J. Haupt und Weinhold vorgearbeitet hatten, die gewähr eigener prüfung nicht ent-
gehen lassen.
118 WÜHDBBUGH
Seine ausgäbe bietet naturgemäss eiae bereicherang des textes , da er ja die
erst nach Massmann veröffentlichten blätter mit einbeziehen konte; aber auch gegen
Weinhold bringt er für Isidor neues material bei (blatt XXXVI).
Wichtiger scheint mir die entzifferung einzelner neuer werte an anderen stel-
len und vor allem die feststellung einzelner wortfragmente, wodurch verschiedene
coDJekturen teils gestüzt^ teils beseitigt werden*, namentlich da in dem zeilengetreuen
abdruck auch die lücken räumlich präcisiert sind*.
Derartige ergebnisse greifen oft über die oonjekuralkritik hinaus in andere
gebiete über. So ist es z. b. für die syntax von Interesse, dass in XXXTT, 11 die
lesart ist gcUeaan für legitur gegen Weinholds coi^'ektur uuirdit galesan graphisdi
gesichert ist; vgl. auch Daer in VI, 10 für qui gegen «o er in MüllenhofEs Sprach-
proben u. a. Ebenso kann es für syntax und formenlehre wert gewinnen, dass in
XV, 28 die lesait habest der Sprachproben nicht gestüzt ist, dass vielmehr das manu-
script habe8 zeigt.
Die Selbständigkeit des herausgebers zeigt sich aber auch in änderungen, zu
denen er ohne handschriftliche grundlage gelangt. So hat z. b. in XXYin, 22
seine lesung dodh gegenüber doch bei Massmann und joh in den Denkmälern alle
Wahrscheinlichkeit für sich, namentlich, wenn man XXXIX, 12 zum vergleich her-
anzieht, wo auch die Denkmäler (172, 2) dodh lesen. Auch infeme XXVm, 23
und Alle XXIX, 2 dürfen als Verbesserung gelten, während der oocg'unctiv sii in
XYII, 8 gegenüber dem indicativ bei Braune (Ahd. lesebuch s. 22 nr. 5 z. 6) minde-
stens hätte begründet werden müssen.
Auf Massmann ist Hench gegenüber neueren emendationen, wenn ich richtig
beobachtet habe, nur einmal zurückgegangen: XXVm z. 13 Loboen truhtin cUle InUi
de o tun enti so selb inan loboen alle liuti (Laudate dominum omnes gentes et com-
mendate eum omnes populi). Die handschrift zeigt hinter so selb ein verblasstes so,
auf welches gestüzt die Denkmäler so selb relativisch aufgefasst hatten und somit an
enti nicht festhalten konten. Hench bemerkt, dass die tinte dieses blattes sich in
so unveiminderter frische erhalten hat, dass die verblasste färbe von so der rasur
oder ähnlichem zuzuschreiben, die partikel also jedesfids zu eliminieren sei. Dann
steht auch der Massmannsohen lesung nichts mehr im wege.
Verdienste hat sich der herausgeber vor allem auch um den lateinischen
text erworben, in ei-ster linie beim Matthäusevangelium (vgl. einl. XIV — XX), des-
sen lateinische vorläge dem codex Amiatinus zunächst komt, jedoch mit so bedeu-
tenden abweichungen, dass dem syntaktiker grosse vorsieht geboten ist in allen den
fällen, in denen uns die fragmente nur den deutschen text erhalten haben.
Was nun den abdruck des deutschen textes betrift, so bezeichnet ihn der
herausgeber selbst als einen diplomatisch -kritischen (einl. XXV). Diplomatisch
ist er insofern, als die zeilen und die Zwischenräume zwischen einzelnen Worten und
wortteilen festgehalten wurden, ebenso wie die inierpunktion, die abkürzungen und das
schwanken zwischen grossen xmd kleinen buchstaben; kritisch insofern, als Schreib-
fehler verbessert, offenbare lücken ergänzt und conjekturen eingefügt wurden , wo sie
auf Wahrscheinlichkeit ansprach machen konten und syntaktisch erforderlich waren.
Compromisse werden niemals alseitig befriedigen, namentlich die von Henoh wider
1) Vgl. XXV, 10 gegen Braune, Ahd. lesebuch 8. 28 nr. 8 x. 2. Vgl. vor allem X mit Braune s. 20.
2) Vg^. y, 1 gegen Biaone 1. 18 z. 21; XXVDI, 16 (haret) gegen MSD.* 166 (4, 4).
8) YgL s. b. XXVI, 17 gegen MSD.» 166, 4.
ÜBKR HBNGH, MONSKE-FRAQinNTS 119
eingeführte zen-eissimg der Wörter dürfte neben so einschneidenden eingriffen, wie sie
der kritiker sieh erlaubt, befremden. Nach dieser seite hätte wol eine probe genügt
(wie sie das facsimile in der tat bietet), um ein bild der schreibergewohnheiten zu
geben. Der Vorwurf der inconsequeoz wird hier schwer zu umgehen sein; wir
begreifen nicht, warum der herausgeber, der Schreibfehler zu verbessern verspricht
und in YII, 24 das eine xa imo ausstreicht, daneben das halb angefangene h nach
quad wider einfuhii; wir wundem uns auch über die rückkehr zu kebem statt kebom
in XVn, 8. Auch gautieridofU in XXIX, 5, die auslassung von so in XXXV, 23,
von axaniuuurtin in XXXIX, 28 und die lücke in XXXIII, 5. 6 muss befremden.
Bei uuamissu in XXIX, 16 hätten wir wenigstens auseinandersetzuog mit MSD.,
die uuaamissu lesen (s. 167, z. 11), erwartet.
Einfache druckfehler sind wol meisiar in XXIX, 1 und die zahl „9^ in den
aumerkungen (s. 84) zu gauueridon XXIX, 5.
Wie schon im titel angedeutet, gibt unser herausgeber auch aumerkungen,
grammatik und glossar, sowie eine einleitung.
Am wenigsten gelungen ist die einleitung. Wie es dem herausgeber schon
nicht glückte, in dem ersten abschnitte „History of the manuscript and editions*'
seine eigene leistung gegen rückwärts abzugrenzen, so hat er es auch nicht verstan-
den, durch die „description of the manuscript'' ein anschauliches bild von dem codex
zu geben. Vor allem führt uns die schwankende terminologie irre. Auf seite IX
werden die blätter des codex bald „pages'^ bald „leaves*' bald „folios'^ genant, was
um so mehr verwirt, als am einzelnen blatte die vorder- und die rückseite textlich
eine getrente rolle spielen und als die gleichen zahlen bald auf das einzelne blatt,
bald auf quatemionen bezug nehmen. Ausserdem wird bald nach dem jetzigen
bestand, bald nach dem früheren gerechnet; das ist um so störender, weil wir
nicht etwa auf seite IX, sondern erst spater aus dem texte ersehen können, dass
beide bestände sich nicht decken. Vielmehr lag blatt I (bei Hench) früher etwa in der
mitte des vierten quatemio; blatt lY und X konten deshalb die äusseren blätter eines
quatemio bilden, weil zwischen IX und X (bei Hench) ein blatt (x) fehlt.
Die aumerkungen enthalten nur textkritischen apparat; da der abschnitt
^Grammatical treatise'' nur laut- und formenlehre behandelt, so wäre die syntax
bei solch einer fundgrube für syntaktische boobachtungen, wie es die fragmente
sind, ganz leer ausgegangen \ wenn sie nicht im glossar wenigstens gestreift würde.
Blieb so die syntax unberücksichtigt, sind ebenso für die „notes'^ die anregungen,
die in den aumerkungen zu MüUenhoffs und Scherers Denkmälern so reichlich aus-
gestreut sind, unwirksam geblieben, so ist andererseits die laut- und formenlehre
zu breit geraten. Sie greift über den kreis der Monseer fragmente hinaus durch
mitteilungen, die weder neu sind noch dazu sich eignen, die eigenart der fragmente
zu beleuchten. Was sollen phonetische mitteilungen, wie die auf s. 102 und s. 113,
wenn sie ausser allem bezug stehen zur graphischen widergabe?
Dankenswert dagegen ist die breite nach ihrer statistischen seite hin. Das
ganze material, das hier zusammengetragen ist, in erster Knie auch die doppelvokale
als längebezeichnungen und die graphischen Schwankungen der lateinischen werte
bieten solide Stützpunkte für andere forscher. Die „conclusion*^, die Hench seinem
grammatikalischen abriss anhängt, wird teilweise durch seinen späteren fünd (vgl.
1) Die eüixige ayptaktiflohft bemerkung in s. 110 „Ahm does not oocur . . in its Emotion as pre-
poaitioB".
120 KOSPPEL, ÜBBR BEBZFKLD, BAT8IL DBS XZXTERBÜCH8
8. XXIV und XXY) erschüttert, wonach der eine schreiher, der die gesamten frag-
mente geschrieben hat, verschiedene vorlagen hatte, bei deren einer er die reihen-
folge änderte, um das Matthäusevangelium an die spitze zu stellen. Nicht nnr die
bald grössere bald geringere Sorgfalt des abschreibers, sondern auch die Verschieden-
heit der originale hat also die graphischen Schwankungen bedingt, die zwischen Baiem
und Rheinfranken lavieren.
Die beziehungen unserer fragmente zum Isidorübersetzer eingehender zu
untersuchen, hat sich Hench vorbehalten, und wir dürfen erwarten, dass sich die
gründlichkeit und der hingebende eifer , mit denen der herausgeber bis jezt die for-
melle grammatik und die textkritik behandelt hat, nun auch der syntax und der Sti-
listik zu gute kommen mögen.
HKTOELBEBO, JANUAB 1893. H. WTTNDIRUCH.
Die rätsei des Exeterbuches und ihr Verfasser von Oeorg Herzfeld. Ber-
lin, Mayer & Müller. 1890. 72 ss. 2 m.
Mit gewissenhafter berücksichtigung der einschlagigen litteratur nimt Herzfeld
nochmals die frage auf, ob die rfitsel des Exeterbuches von Gynewulf verfasst seien.
Nach bekantem Schema vergleicht er in gründlicher weise die rätsei mit den anderen
werken Cynewulfs und es ergibt sich ihm als das A und 0 seiner Untersuchungen
die Überzeugung, dass die rätsei mit grosser Wahrscheinlichkeit Cynewulf zuzuschrei-
ben sind. Mit einer ausnähme: das vielumstrittene erste rätsel trent er von der
rätsei -samlnng, indem er es nicht als rätsel, sondern mit Bradley als einen drama-
tischen monolog aufTasst, den er Gynewulf abzusprechen geneigt ist (s. 64 fgg.). In
einem nachtrag (s. 71 fg.) nimt er noch Stellung zu der von Sievers neuerdings (Anglia
Xni, 1 fgg.) geäusserten ansieht, dass die rätsel vor Cynewulfs zeit entstanden seien.
Er ist von der Stichhaltigkeit der gründe, welche Sievers entwickelt hat, nicht
übei*zeugt
Herzfelds Untersuchung ist mit grossem fleisse durchgeführt Gieichwol habe
ich nach dem Studium derselben das gefühl, dass wir durch sie der erkentnis der
Wahrheit nicht näher gekommen sind. Ich halte diese ganze, hauptsächlich auf
Übereinstimmungen im wertschätze und in stilistischen und metrischen gepflogenhei-
ten begründete forschungsmethode für verfehlt, in erwägung des formelhaften wesens
der altenglischen poesie. Um auf diesem gebiete zu einigermassen sicheren, die
Chronologie der dichtungen aufhellenden ergebnissen zu gelangen, müssen wir gewiss
auf dem von Sievers betretenen wege rein sprachlicher kritik weitergehen. Ich
gestehe, dass Sievers* argumente gegen die annähme, dass Cynewulf die rätsel
gedichtet habe, für mich mehr überzeugendes haben, als alle die fein ausgearbeiteten
Zusammenstellungen Herzfelds, die zu gunsten der autorschaft sprechen sollen.
Dass Herzfelds ausfühiimgen im einzelnen viel gutes bringen, möchte ich zum
sohluss nochmals betonen. Besondere beachtung scheint mir die von ihm neu gebo-
tene lösung des 51. rätseis (s. 69) zu verdienen.
MÜNCHXN, HÄBZ 1891. B. KOBPFXL.
F. YOQT, ÜBBB BIEL8CH0 W8KY , D0BFP0B8IB 121
Geschichte der deutschen dorfpoesie im 13. Jahrhundert. I. Leben und
dichten Neidharts von Reuenthal. Untersuchungen von Albert Biel-
sehowsky. (Sonderabdruck aus Acta Germanica II, 2). Berlin, Mayer und Mül-
ler. 1891. YUI und 294 s. 9,50 m.
Hans Heselohers lieder. Von dr. August Hartmanii, Erlangen, Fr. Junge.
1890. (Separatabdruck aus der festschrift für Eourad Hofinann. Romanische for-
schungen V, 2). 70 s. gr. 8.
Zwei verdienstliche beitrage zur frühesten und spätesten geschichte der „höfi-
schen dorfpoesie '^. Diese bekantlich durch LachmaDn eingeführte benennung der durch
Neidhart begiündeten dichtungsgattung möchte Bielschowsky allerdings am liebsten
aus unserer litteraturgeschichte verbannen, weil nach seiner meinung nur der klei-
nere teil von Neidharts liedem für die hofgeselschaft, der grössere für das dorfpubli-
kum bestimt war (s. 250 fg.); Lachmann habe jenen namen mit besonderer rück-
sicht auf eine Strophe gewählt, welche Haupt mit recht für unecht erklärte. Aber
erstens bedarf die litteraturgeschichte einer bestimten bezeichnung für die ganze
gattung, für die „ unechten '^f von nachahmern Neidharts herrührenden Strophen und
lieder so gut wie für die von ihm selbst verfassten; zweitens tragen doch auch
die nach Bielschowskys ansieht für die bauem bestimten gedichte Neidharts keines-
wegs einen rein dörflichen Charakter, sondern sie verraten deutlich genug den litter-
lichen stand des Verfassers, auch seine Vertrautheit mit der technik höfischer kunsi
Die mischung dieser verschiedenen demente, die in der einen oder anderen weise
schliesslich überall in diesen gedichten hervortritt, lässt entschieden die beibehaltung
der einmal eingebürgerten Lachmannschen benennung zweckmässig erscheinen.
Des Verfassers Stellung in dieser frage hängt nun schon mit einer sehr wich-
tigen Seite seiner schrift zusammen. Es ist ihm ganz besonders darum zu tun, den
volkstümlichen Ursprung und die volkstümlichen bestandteile der Neidhartschen dich-
tung aufzuweisen. So werden denn im 1. abschnitt (Ursprung der dorfpoesie)
Neidharts reien aus der frühlingsfeier, insbesondere aus den dabei gesimgenen, mit
tanz verbundenen liedem der mädchen abgeleitet, im dritten (inhalt der som-
merlieder) die charakteristischen eigenheiten ihres inhaltes damit in Zusammenhang
gebracht Im vierten kapitel tritt uns aus der behandlung der form der sommer-
lieder insbesondere die volksmässige einfachheit ihrer syntax, die Schlichtheit und
Sparsamkeit ihrer poetischen mittel im gegensatz zu den höfischen lyrikem vor äugen.
Im 6. werden als das publikum der sommerlieder die bauem bezeichnet, zu
deren frühlingstänzen die reien gedichtet und gesungen wurden; nur ganz ausnahme-
weise fasste Neidhart bei ihnen eine höfische Zuhörerschaft ins äuge. Für die
bostimmung der reil\enfolge der sommerlieder (kap. 7) gilt der grundsatz: je
volkstümlicher um so älter, je höfischer um so jünger; und ihre metrik (kap. 13)
zeigt in der imteilbarkeit oder zweiteiligkeit der Strophen, in der grösseren einfach-
heit der reime und in dem einflusse des vierhebungstypus, dass sie auf volkstüm-
licher tradition ruht; die „ Otfridstrophe '^ ist schliesslich die gemeinsame gmndlage
ihrer verschiedenen formen.
Dem gegenüber verraten nun die winterlieder viel nähere berühmng mit
der höfischen poesie, aber daneben ist doch auch in ihnen der Zusammenhang mit
dem volksieben und der Volksdichtung nicht zu verkennen. Bei Zusammenkünften
der minner im winter soll es sitte gewesen sein, einerseits eine poetische besohwö-
nmg oder Verwünschung des winters, andrerseits aber auch spotlieder zu singen;
j»^. .vM-r. -L.
122 F. YoeT
8p8ter kamen beide geschlechter za gemeinsamer unterhaltmig zusammen, auch zum
tanze, der aber hier nicht die rolle spielte wie beim frählingsfest und, eben weil er
späteren Ursprunges war, sich in höfischen fonnen bewegte. AUe diese umstände
haben ihre sparen in Neidharts winterliedem hinterlassen, die, in der höfischen drei-
teiligen Strophe gebaat, teilweise, aber keineswegs durchweg, für den tanz bestirnt
sind, die winterklage und die Verspottung von mSnnem enthalten, die frauen dage-
gen ganz in den hintergrund treten lassen (s. 23 fgg.). Dies Verhältnis höfischer and
volkstümlicher bestandteile und beziehungen wird nun, unter besonderer betonong
des Unterschiedes von den reien, nach allen Seiten hin an den winterUedem in einer
der erörterung über die sommerlieder genau entsprechenden kapitelreihe dargestelt,
und in einem besonderen abschnitte wird noch der nach weis hinzugefugt, dass nicht
der mindeste anlass zu der mehrfach vorgebrachten annähme vorliegt, Neidharts
dichtungen, insbesondere die winterlieder, seien durch die altfranzösische pastourel-
lenpoesie beeinflusst.
Der inhalt der reichhaltigen schrÜt ist damit noch nicht erschöpft. In den
angedeuteten kapiteln komt natürlich ausser dem punkte, den ich als besonders cha-
rakteristisch hervorhob, noch mancherlei anderes zur spräche; zwei parallelkapitel
über den bau der reien und der winteiüeder (V und X) behandeln die einzelnen
teile der dichtungen und ihre innere Verknüpfung, sowie die frage nach ihrer vol-
ständigkeit und nach der Zusammengehörigkeit der einzelnen Strophen eines tones;
ein anderes kapitel (II) ist dem leben Neidharts gewidmet Alles das ist woldurch-
dacht, und es wird auf grund eingehender prüfung des dem Verfasser zu geböte ste-
henden materials und der arbeiten anderer in ansprechender form, ohne die beliebte
tuerei und effekthascherei dargestelt Manches hätte sich freilich bei etwas weniger
schematischer anläge des ganzen knapper zusammenfassen lassen; noch häufiger hätte
eine grössere kürze erzielt werden können, wenn der Verfasser zu gunsten beweisen-
der und beweisbarer dinge nichts beweisende und nicht beweisbare überall bei seite
gelassen hätte.
Eine strengere sichtung wära meines erachtens schon bei den im 1. abschnitte
beigebrachten alten Zeugnissen zur frühlingsfeier zu wünschen gewesen; auf tanze
und gesänge zur Frühlingszeit geht schliesslich nur das capitulare bei Benedictus
Levita und die nachricht der chronik von St. Trond (s. 4. 5); imd auch sie beziehen
sich nicht auf den mai, in den nach s. 15 «das hauptfrühlingsfest falt* und „an den
der deutsche natureingang überall anknüpft ''.
Ganz ohne grundlage scheint mir die annähme, dass bei den alten frühlings-
gesängen zwischen dem morgenhymnus und dem nachmittags -tanzliede zu scheiden
sei, und der versuch, gar noch den alten hymnentypus aus Neidharts natnreingSngen
herzustellen (s. 14 fg.). Das gleiche gilt für das „alte winterbeschwörungslied * s. 24,
als dessen anfang übrigens nicht ein nirgend belegtes owe dir 8umencu$me bitte
reconstruiert werden sollen; Neidhart gebraucht in diesen eingfingen niemals das dir,
und MF 37, 18 ist bekantlich nicht, wie Lachmann liest, 8o tce, sondern so wol dir
stitnertcuttne überliefert, was hier der scheidenden sommerwonne als ein freundlicher
abschiedsgruss nachgerufen wird , den Reinmar MF 182, 4 der entschwundenen freude
nachsendet.
Hat der vei*fasser vorhin schon mancherlei Zeugnisse ohne genügenden grund
auf das rituelle frühUngslied bezogen, so stelt er dasselbe weiterhin entschieden zu
einseitig als das Volkslied xar' i^oxn^ hin, wenn er lediglich von ihm die anwendung
des natureinganges bei den minnesfingem herleitet, im fortbleiben oder in der umge-
ÜBEB BIIL80H0W8KT, DORTPOBSIB 123
staltong des natareinganges aber überall eine geflissentliche abkehr vom volkstüm-
lichen sieht Dass beim Kümberger eine solche nicht vorliegt, zeigt doch wol sein
poetischer stil iind sein metnun zur genüge; «welch eine kluft liegt nicht zwischen
seinen liedem und denen eines Hausen, Moruagen, Beinmar! Und doch soll sich bei
ihm die ,,tiefe Verachtung, mit der die gute geselschaft des 12. Jahrhunderts auf das
Volkslied herabsah*^, ebensowol zeigen wie bei diesen, nur weil in seinen 15 Strophen
kein beispiel für den natnreingang vorkomt. Die Verwendung desselben im minne-
liede hängt aufs engste zusammen mit der von jedem imverknöcherten menschenher-
zen empfundenen beziehung zwischen der eigenen Stimmung und dem leben der
nator: freudiges hoffen bei seinem erwachen, wehmut bei seinem absterben. Beim
liebenden betiift das natürlich das eine, alles beherschende gefühl; und so ergibt sich
von selbst im minnesang die parallele zwischen dem jahrzeitbilde und dem liebes-
ieben. Die Voranstellung des ersteren entspricht dem auch sonst in der lyrik
vrie in der spruchdichtong bemerklichen streben, vom objektiven zum subjektiven,
vom algemeingültigen zum besonderen falle zu schreiten; sie ist demgemäss häufig,
aber sie ist nicht notwendig. Dabei wird nun die parallele zwischen dem herbstbilde
und dem liebeskummer mindestens ebenso früh und ebenso oft angewendet wie die
zwischen dem frühlingsbilde und der liebeshofhung und liebeslust; die eine gattung
zeigt keinen volkstümlicheren Charakter als die andere; und doch würde nur die
zweite parallele sich nach den ausführungen des Verfassers erklären lassen und mit
seiner ansieht, dass die liebeslyrik ^allein im friihlingsliede die Schwingungen des
herzens ertönen liess*^, im einklang stehen. — Entsprechen die herzenserfahrungen
nicht den Stimmungen, die mit der Jahreszeit im einklange stehen würden, so wird
das als eine abnormität empfunden, und es tritt in dem kontrast zwischen naturbild
und liebesieben in die dichterische erscheinung: trotz dem frühling liebesleid, trotz
dem Winter liebeslust. Und ganz von selbst sohliesst sich an diese vorsteliungsreihe
weiteriiin der gedanke: keine frühlingswonne ohne liebesglück, bei liebesglück kein
winterleid. Ich halte das nur för ganz naturgemässe Variationen jener parallele zwi-
schen natur- und Seelenleben, nicht für eine tendenziöse höfische Umänderung der
allein volkstümlichen einen form. Gibt es wol ein minnolied, von dem man behaup-
ten könte, dass es dem volksliede näher verwant sei als das rührend schlichte mich
dunket niht sd gitotes MF 3, 17? und doch müsten wir es nach Bielschowskys
ansieht zu denjenigen gedichten rechnen, deren Verfasser, um sich nicht „in den
äugen der höfischen geselschaft zu kompromittieren, an der form und tendenz des
natureinganges so lange herumänderten, bis es kaum noch als kind des volkliedes zu
erkennen war^. Natürlich haben die höfischen lyriker, die ia den verschiedensten
richtungen nach einer bereicherung der poetischen mittel strebten, die längst übliche
naturparallele nicht inimer wider vorbringen können; und wenn dieser und jener
unter ihnen, von dem genug überliefert ist, um ein volständiges bild von seiner
kunst zu geben, bei auch sonst erken barem streben nach gewählter darstellung den
natoreingang ganz vermeidet, so darf man da gewiss eine absieht vermuten, die bei
der beurteilung seiner Stellung zu den volkstümlichen traditionen mit ins gewicht
falt Allein für sich beweist aber die Verwendung oder nichtverwondung des natar-
einganges, seine vei*wertung als parallele oder als kontrast noch nichts, und in dem
umfange xmd in den formen, in welchen Neidhart ihn gebraucht, gehört er eben zur
tanzpoesie, die bei den älteren lyrikem nicht vertreten ist
Aus dem abschnitte über Neidharts leben hebe ich besonders den wolgelun-
genen wahrscheinlichkeitsbeweis dafür hervor, dass das lied 101, 20 im herbst 1241
124 F. yOGT, VbEB BIELSOHOWSKT, DORFPOSSn
verfasst ist, während mich der versuch, noch spätere bestirnte daten für eiDzebie
lieder festzustellen, insbesondere die beziehung des liedes 33, 15 auf die Ver-
leihung des königsringes an den herzog im mai 1245, nicht überzeugt hat — Engel-
mars vielumstrittenen spicgelraub mit Bielschowsky als eine art pfandnahme aufzu-
fassen, die ihm ein gewisses anrocht an die besitzerin verschafte, hat manches für
sich; nur wird man die annähme durch des Verfassers erklärung von 48, 20 fg. nicht
stützen können. Denn wenn hier das mädchen , welchem Neidhart einen griffel geraubt
hat, erzürnt sagt, sie wolle nimmer seinen treirös singen noch nach ihm den reien
springen, so kann doch das dem Sänger und tanzführer gegenüber nur im eigent-
lichen sinne gefasst werden, nicht mit Bielschowskys auslegung wie unser „nach
jemandes pfeife tanzen''.
Bei der erörterung des inhaltes der sommerlieder falt es auf, dass der Verfas-
ser die typische hindeutung auf den unwiderstehlichen dichter nicht zur geltxmg bringt
Durch sie wurde schon ein stark subjektives element in die reien hineingetragen, wel-
ches bei deren Charakteristik entschieden berücksichtigung heischt; und der umstand,
dass es inmier wider gerade der ritter oder knappe ist, der als der auserwählte der
bauemmädchen erscheint, scheidet diese lieder denn doch bei allen sonstigen- bezie-
hungen genugsam von der poesie der bauem. Denn dass diese selbst in ihren lie-
dem schon vor Neidhart den ritter als den begünstigten liebhaber besungen haben
selten, ist eine Vermutung des Verfassers (s. 112), die wol keine Zustimmung finden
wird. In den gesang der ditmarsischen bauem ist das motiv sicher erst aus der
höfischen dorfpoesie gekommen. Der umstand, dass der volksgesang sich früher so
gut wie heute aus der kunstdichtung bereichert hat, ist noch lange nicht genug
gewürdigt. Sehr bemerkenswert ist doch auch, dass der miserfolg in der liebe, die
Verdrängung des dichters durch bäurische nebenbuhler, im winterliede ebenso typisch
ist wie seine unwiderstehlichkeit in den sommerliedem; ja wenn ihm im sommer ein
liebesleid widerfahren ist, so beklagt er das doch nicht im sommerUede, sondern im
winterliede. Die alte naturparallele in ihrer einfachsten form übt hier eine wahre
zwingherschaft aus; gewiss war sie so schon zu einem unveränderlichen motiv in der
gattung von bauemliedem erstart, an die Neidharts poesie anknüpfte.
Bei der behandlung des inhaltes der winterlieder sind bairische sitten der
gegenwart s. 189. 191 in glücklicher weise zur erklärung herbeigezogen. Unter den
berührungen dieser gattung mit der höfischen dichtung werden beziehungen zu Mo-
mngens liedem hier zuerst nachgewiesen; die belegstellen hätten freilich widerum
einer sti-engeren kritik unterzogen werden sollen; es finden sich genug verse unter
ihnen, bei denen die entlehnung aus Morungen oder auch die entlehnung überhaupt
mehr als zweifelhaft ist; zwei stellen sind unrichtig aufgofasst: MF 128, 7 fg. spricht
Morungen nicht von der geliebten, sondern von der höfischen geselsohaft; MF 122, 22
ist zu wol ir vü siiexer nicht lip zu ergänzen, sondern süexer ist dat. sing. fem.
Bei der frage nach der Zusammengehörigkeit der Strophen jedes einzelnen
tones verhält der Verfasser sich mit i'echt ablehnend gegen die modernen auflösungs-
bestrebungen; aber ausnahmelos lässt sich die regel, dass Neidhart in einem tone
nie mehr als ein lied gedichtet habe, nicht durchführen, besonders nicht bei dem
tone 69, 25 fg. Der versuch, der s. 246 fg. gemacht wird, auch hier die regel zu
retten, scheint mir nicht glücklich.
In dem abschnitt über die metrik wird Meyers versuch, aus der häufigeren
oder seltneren vei*wendung bestimter reimworte die reien auf bestimto perioden zu
verteilen, einer vernichtenden kritik unterzogen. Des Verfassers methode, aus der
ÜBER HABTMANN, HBSBLLOHEB 125
gesamtzahl der hebungen einer stropho Schlüsse auf deren grundtypus zu ziehen, ist
freilich auch nichts weniger als einwandsfrei. Das streben, zu möglichst festen
regeln, zu möglichst abgerundeten, leicht formulierbaren ergebnissen zu gelangen,
lässt ihn überhaupt nicht selten zu gekünstelten mittein greifen oder das gewicht der
zu geböte stehenden tatsachen überschätzen. Das weitere fortschreiten seiner for-
schungen wird ihm wol von selbst etwas entsagung in dieser hinsieht eintragen. So
sehen wir dem zweiten teil seiner arbeit mit guter erwartung entgegen.
Ein kleiner, aber recht dankenswerter beitrag zur lösung seiner weiteren auf-
gäbe ist durch Hartmanns ausgäbe der vier lieder des Hans Heselloher gelie-
fert, von denen bisher nur eines veröffentlicht war. Die erklfirung dieser ungelenken,
aber stellenweise von gesundem humor belebten Spätlinge höfischer dorfpoesie ist
durch Hartmanns anmerkungen, die freilich noch nicht alle Schwierigkeiten heben,
dagegen manches entbehrliche enthalten, doch entschieden gefördert. Urkundliche
nachweise werden hinzugefügt, welche den Hans Heselloher für die zeit von 1450 —
1483, seinen bruder Andi-e (der nach einer hier mit nicht eben zwingenden grün-
den angezweifelten angäbe Füetrers gleichfals ein dichter war) für 1443 — 1483
bezeugen, während Hans im jähre 1486, Andre 1493 als verstorben erwähnt wird.
Mit dem nachweis einer nachahmung Hesellohers in Fichards handschrift und einer
solchen im Neidhart Fuchs verbindet dann der Verfasser einige weitere interessante
beitrage zur erkentnis der quellen des lezteren. — Möchte das bisher arg vernachläs-
sigte Studium der spätmittelhochdeutschen lyrik bald durch die monographische behand-
lung auch anderer Sänger dieses Zeitraums weiter gefördert werden!
BRESLAU. F. VOGT.
Neue beitrage zur textkritik von Hartmanns Gregorius. Von Hermann
Seegers* Kieler diss. 1890. 47 s. In comm. bei G. Fock, Leipzig. 1,50 m.
Die lateinische Übertragung von Hartmanns Gregorius durch den Lübecker
kleriker Arnold ist eine litterarhistorisch beachtenswerte erscheinung. Ausser ihrer
kultur- und sprachgeschichtlichen bedeutung komt ihr sogar das recht zu, in fragen
der textkritik des deutschen gedichtes gehört zu werden, da sie nur um einige jähre
jünger als das original und, obwol später, doch ungleich besser überliefert ist
In diesem sinne dies denkmal zu verwerten ist die aufgäbe der vorliegenden abhand-
lung. Der Verfasser hat sich aber nicht darauf beschränkt einzelne stellen nach
gewissen gesichtspunkten zu gruppieren, danach den kritischen wert der lateinischen
Schrift zu bestimmen und demgemäss einzelne lesarten des deutschen textes zu^bestä-
tigen oder zu berichtigen — vielmehr weiss er aus dieser Untersuchung ein sowol
sachlich, wie rein technisch höchst interessantes problem zu entwickeln.
Er begint im ersten teile seiner arbeit damit, durch einen vergleich mit dem
original zu zeigen, dass die Übertragung im ganzen eine recht freie zu nennen ist,
was besonders daher i-ühi-t, dass Arnold sich bemüht, geistlichen ton und geistliche
anschauung in die erzählung hineinzutragen. Daraus ergibt sich, dass sein werk nur
in solchen fällen für die textkritik des Gregorius verwertet werden kann, wo es sich
um bedeutsamere, den sinn ändernde Varianten handelt (s. 11). Jedoch kann uns der
Verfasser an einer reihe von stellen zeigen , dass die in zweifelhaften fällen bisher von
der kritik befolgte Wertschätzung der einzelnen handschriften richtig war; das resul-
tat ist also im ganzen ein bestätigendes. Berichtigung finden wir nun für v. 993
126 BoeaxBAam
(821) \ wo nach Arnolds text die von PaoI in der volBtändigen textaosgabe dordi
rede ersezte lesart viseke wider herzustellen ist Einen besonderen fall bilden die
verse 1043. 44 (871. 72), welche in der vorläge Arnolds augenscheinlich gestanden
haben, unter den handschriften des deutschen gedichts aber einzig in A sich finden.
Seegers hält mit Martin diese verse für interpoliert und gewint so das bemerkens-
werte resultat, dass die vorläge Arnolds in naher beziehung zur handschrift A gestan-
den haben muss. Wenn mir nun auch die annähme Martins begründet und somit
die folgerung des Verfassers berechtigt erscheint, so halte ich es doch für bedenk-
lich, wenn er noch weiter geht und ohne weiteres die von Seelisch (in dieser Zeit-
schrift XYI, 284) aufgestelte einteilang der Gregoriushandschrift in zwei gruppen m
und n sich zu eigen macht, demgemäss er die vorläge Arnolds der gruppe m zuweist.
Hier komt Seegers zu weit auf das gebiet der blossen Vermutung, als dass er die
folgerungen sicher aufbauen köute, welche wir nachher kennen lernen werden. Viel-
leicht wird ims in der angelegenheit der Gregoriushandschriften das eigebnis der hand-
schrift K weiterbringen.
Im zweiten teile der arbeit macht sich der Verfasser den weg zu seinea
weiteren ausführungen dadurch frei, dass er zeigt, dass die von Schmeller heraus-
gegebene lateinische Gregorsdichtung (Ztschr. f. d. a. II, 488—500) für die textkri-
tik in Haitmanns Gregor nicht in betracht komt. So kaou er dann im dritten teile
aus dem im ei*sten teile gewonnenen die nutzanwendung ziehen auf die einleitung
zu Hartmanns erzählung, welche von dem entsprechenden abschnitt bei Arnold
beträchtlich abweicht. Der Verfasser geht aus von der zwar beiden gemeinsamen,
aber doch sehr verschiedenartigen Verwendung des gleichnisses vom barmherzigen
Samariter. £r findet einerseits, dass bei Hartmann die darstellung nur lose an das
biblische vorbild anknüpft, dass sie wenig mit der sonst erkenbaien im mittelalter
üblichen behandlung des stoftes übereinstimt, und dass schliesslich dieses biblische
motiv auch mit dem inhalt des gedichtes nur sehr locker zusammenhängt; anderseits,
dass die einleitung des Arnold im wesentlichen nur die in den predigten und erklä-
renden geistlichen Schriften übliche symbolische behandlung des evangeliums bietet
und so zwar teilweise mit dem mhd. texte übereinstimt, aber nirgends eine der ein-
zelheiten widergibt, welche diesem eigentümlich sind. Deshalb schlägt der Verfasser
vor, das Verhältnis Arnolds zum mhd. texte für diese einleitung umzukehren und zu
erwägen, ob das ältere hier nicht bei Arnold zu finden sei und die nachahmung
in der vor Hartmanns Gregorius in einigen handschriften (nicht in der ältesten AI)
überlieferten einleitung. Da nun dem Verfasser die Urheberschaft Hartmanns für
die einleitung aus manchen Übereinstimmungen mit dem Stile und der Weltanschauung
anderer Schriften Hartmanns wahrscheinlich ist, so nimt er an, dass Arnold zuerst
die beziehung auf die biblische erzählung dem Gregor als einleitung vorausgeschickt,
und dass sodann Hartmann, dadurch angeregt, im späteren alter ebenfals eine dich-
tung verfasst habe, welche jene ei'zählung enthielt, und diese einer zweiten recen-
sion des Gregor als einleitung vorausgestelt habe (s. 45). £r sieht sich hierin bestäi'kt
durch seine annähme über die vorläge Arnolds. Er meint, diese habe, ebenso wie
die handschrift A, überhaupt die einleitung nicht enthalten; die einleitung komme
vielmehr nur der gruppe n (CD EG) zu, welche die zweite, nach einsieht von Arnolds
buch entstandene recension repräsentiere. Auf diese weise werde dann auch der
1) Ich citiere nach der zShlufig de« textAbdnicIts von Paol (1882) unter beifO^ong der Tüfthmenn-
■ohen dhlnng in klanuner.
ÜBEB SEBGERS, TEXTKRITIK DBS aBBQOBIUS 127
widerspruoh zwischen dem tone der einleitung, welcher im algemeinen ein höheres
alter des dichters vermuten lasse und besonders in z. 5 fgg. ausdrücklich einen gegen-
satz zu den iumben jären ausdrücke, und der algemein angenommenen frühereü
datienmg des Gregorius befriedigend ausgeglichen.
Ein hin weis auf die weitgehenden folgerungen, welche sich aus einer solchen
annähme ergeben, genügt um es zu rechtfertigen, dass wir etwas naher darauf ein-
gehen, als in der aufgäbe dieser besprechung zu liegen scheint. Mir scheint die fitige
am ehesten deutlich zu werden an einer undeutlichkeit, in welcher der Verfasser
sich bewegt. Seine auseinandersetzung geht aus von der biblischen erzählung vom
barmherzigen Samariter; die folgerungen werden aber ohne weiteres auf die ganze
einleitung bei Hartmann bezogen. Ganz können wir sie aber nicht der ursprüng-
lichen fsssung des gedichtes absprechen, weil am Schlüsse derselben unverkenbai-,
teilweise mit wörtlicher anspielung auf sie zurückgegriffen wird, v. 3959 — 3988
(3787 — 3816). Nun zerfält aber die mhd. einleitung in zwei deutlich getrente teile,
y. 1 — 86 und v. 87 — 170, von denen nur der zweite das biblische thema behandelt,
der erste aber keine spur davon enthält. Demgemüss wäi'e nur der zweite teil
als späterer zusatz anzusehen. Dies scheint mir aus folgenden gründen mindestens
möglich.
Die beiden teile finden sich auch bei Arnold wider. Sie unterscheiden sich
dadurch sehr kentlich von einander, dass der erste nur einen knappen auszug der
Hartmannischen werte gibt, der zweite dagegen, vom inhalt abgesehen, fast noch
weitläufiger ist als der abschnitt bei Hartmann. Es lässt sich nun durch nichts
erweisen, dass dem Arnold der erste teil nicht vorgelegen habe, vielmehr scheint
die individuelle ausdrucksweise Hartmanns noch erkenbar zu sein. Man vergleiche
z. b. s. 2 j^nune ergo qui aliquando fabulis scetii/iis intentus fuisti"" und ^Min
herxe hat bexunmgen vil dicke mtne xwige^i, dax> si des vil gesprochen hat, dax
fläch der tcerlde Idae stät/'^ v. 1 — 4; sowie den schluss y^pereunt ad tartara ducti^
und ,, leitet üf den ^egen töf^ v. 86. Dagegen ist es kaum denkbar, dass Hart-
nianns zweiter teil (v. 87 — 170) dem Arnold bekant gewesen sei. Dies scheint mir
durch die darlegung von Seegers hini'eichend klargestelt zu sein, indem dieser zeigt,
dass Arnold hier gar nichts von der eigentümlichen darstellung Hartmanns widergibt,
sondern nur, was ihm die geistliche ti'adition bot Die einfachste erklänmg hierfür
liegt darin, dass er dies stück aus eigener initiative in die einleitung neu einfügte.
Was ihn dazu veranlasste, war wol der gedanke, den er gleich zu beginn schon
geäusscii hatte, dass die gnade gottos allein selig mache, welcher nach der symbo-
lischen erklärung auch dem gleichnisse zu giTinde liegt.
ümgekehi't lässt sich manches dafür anführen, dass v. 87 — 170 bei Hartmann
durch das vorbild Arnolds hervorgerufen seien. Das gleichnis mit seiner üblichen
Interpretation lag der aufTassung Hartmanns, dass die erlösung auf einem inneren
Vorgang, der riutce beruhe, so fem, dass er kaum andei-s als durch eine äussere
anregung dazu veranlasst werden konto, es in die einleitung zu seinem Gregor zu
vei-flechten. Infolge dessen verrät die darstellung das bemühen, einen fremden bestand-
teil in seinen gedaoken Zusammenhang hiucinzuarbeiten. Dazu kommen aber noch
äussere anhaltspunkte, welche darauf schliessen lassen, dass die verse 87 — 170 tat-
sächlich in einer älteren fassung des Gregor nicht vorhanden gewesen sind. Dies
ist einmal die künstliche form des Überganges vom ersten zum zweiten teil, wo der
weg, den der Samariter wandelt v. 97, gewaltsamer weise mit der engen Strasse, die
zur Seligkeit fühi-t v. 87, identificieri wird; und dann der auffällige umstand, dass
128 RBX!
der sweLte teä mit demselbea gedmiken endet, wie der erste, dem gedanken, dass
der xwUfd, d. L das gcgeoteÜ der riuwe, zur ewigen verdamnis führe. Der dich-
ter acbeint abnchtUch dem neuen abechinsse der einleitnng ein ihnlicfaes aussehen
gegeben zu haben wie dem älteren, um die einfugnng zu verbergen. Und diese
annähme wird endlich noch bedeutsam gestüzt durch den tatbestand der Überliefe-
rung: die älteste handschrift, A, hat die ganze einleitung nicht; die jüngeren, I
und K, haben sie ganz; aber die fragmente, welche von der einleitung in G enthal-
ten sind, gehören nur zum ersten teile, sie schliessen mit v. 86 und leü in
üf den Iwegen tot und gehen dann gleich ohne lücke zum an£Euige der erzählung
über: E^ was ein icälhisefie^ lani.
Alles dies zusammen macht es mir wahrscheinlich, dass die Verwendung der
geschichte vom barmherzigen Samariter zuerst von Arnold herrührt und dann von
Hartmann nach einsieht der Übersetzung übernommen ist, wol in dem bedürfnis,
seinen wichtigsten gedanken in möglichst eindringlicher, gottwolgefälliger form zu
widerholen. An Hartmanns Urheberschaft für die verse87 — 170 zu zweifeln, liegt auch
meiner meinung nach kein grund vor. Es ist auch leichter zu erklären, dass Hart-
mann selbst, als dass irgend ein späterer Schreiber das budi Arnolds in die bände
bekommen hat Auf demselben wego, auf dem Wilhelm von Lüneburg noch bei
Hartmanns lebzeiten Hartmanns werk erhielt, konte er ihm auch eine abschrift der
arbeit Arnolds zugehen lassen. Seegers scheint es als möglich hinzusteUen (s. 45),
dass Hartmann das gleichnis erst selbständig behandelt habe; wahrscheinlicher ist es
mir, dass es gleich mit bezug auf den Oregorius ausgearbeitet wurde.
Die von Seelisch vorgeschlagene gruppiemng der Gregoriushandschrifken bedarf
mit rücksicht auf unsere darlegungen noch erneuter prüfung. Auch kann ich mich
nicht einverstanden erklären mit der meinung, dass nur wenn die ganze einleitung
späterer zusatz wäre, der Widerspruch zwischen der üblichen datierung des gedichtes
und dem tone der einleitung aufgehoben würde. Dieser widersprach ist gar nicht so
gross. Der ausdrack mtniu tumben jär v. 5 besagt nicht mehr, als dass der dichter
nimmehr aus einer anderen Stimmung heraus schreiben will, als früher; er passt
zum tone der ganzen erzählung und hindert gar nicht, dass derselbe nach diesen
Worten noch den Iwein schreiben konte. Man braucht noch kein greis zu sein, um
von seinen yfumben jdren^ reden zu können.
Mit den angeführten einschrSnkungen halte ich die hypothese des Verfassers
für ebenso bemerkenswert, wie sie origineU ist; sie darf auch meines erachtens in
allen fällen, wo sie in frage kommen kann, nicht unberücksichtigt bleiben.
FLSNSBUBO, IM OETOBES 1891. Q. BOSENHAQXN.
Die Angeln. Ein kapitel aus- der deutschen altertumskunde. Von Lud-
wig Weiland. Tübingen, Laupp'sohe buchhaudlung. 1889. 40 s. Im.
Yorliegende schrift, die der Verfasser in anspruchsloser weise als ein „kritisch-
wissenschaftliches referat'' bezeichnet, gibt eine zusammenfEissende darstellung dessen,
was die bisherige forschung (besonders MüUenhoff, Möller und Seelmann) über die
herkunft der Angelsachsen ermittelt hat*. Eine solche zusammenfassende und kri-
tische darstellung kann man nur wilkommen heissen, und es ist erfreulich, dass die
1) Nicht bennzt ist Langhans , Über den urspnmg der Nordfrieeen; ten Brink, Beownlf s. 194 —
207; Ref., Kdd. Jahrbuch Xm, s. 6— 12; Siebs, Zur gesoh. der engU-finee. spräche, s. 5— 26.
ÜBEB WSILANI), DIB ANGELN 129
TOiiagshandluBg einen sonderabdmck von dieser sohrift herausgegeben hat, welche
einen teil der „Festgabe für Georg Hansen zum 31. mal 1889, Tübingen 1889*^ bil-
det Das verdienst der arbeit besteht in der kritischen Sichtung der bekanten Zeug-
nisse der geschichtet und der ags. sage. Das hauptergebnis ist ein völlig gesichertes:
Jütland und Schleswig- Holstein ist die Urheimat der Angelsachsen, und zwar kamen
die kentischen Juten aus Jütland, die Angeln aus Schleswig, die Sachsen aus Hol-
stein und von der Eider- und Eibmündung. In allen einzelnen, weitergehenden fragen
gestattet die dürftigkeit unserer Überlieferung keine so sichere antwort. Man wird
hier nie über einen gewissen grad algem einer Wahrscheinlichkeit hinauskommen. Fra-
gen, wie die über die beteiligung der Chauken und Friesen an der besiedelung Eng-
lands, werden daher von den forschem sehr verschieden beantwortet. Ein sicherer
fortschritt ist allein von den ergebnissen der sprachforechung zu erwarten, welche
freilich so komplicierter natur sind, dass vor voreiligen Schlüssen nicht genug
gewarnt werden kann. Leider ist die zahl der methodisch geschulten Sprachforscher
auf dem gebiete des friesischen und des sogenanten nordfriesischen winzig klein, und
femer stehende sind nicht leicht in der läge sich ein urteil über die von einzelnen
aufgestelten behauptungen zu bilden. Hat doch Siebs in seinem buche Zur geschichte
der englisch - friesischen spräche und in Pauls Grundriss den lesom eine gemeinsame
Ursprache des ostfriesischen und des sogenanten nordfriesischen zugemutet I Es kann
nicht meine aufgäbe sein, an dieser stelle zu zeigen, wie weit die sogenanten nord-
friesischen mundarten eine nähere beziehung zu den ags. mundarten ergeben. Nor
so viel steht fest: 1) dass beide sprachen einander von hause aus näher standen als
dem ost- und westfriesischen; 2) dass eine unmittelbare zurückfühmng einer nordfrie-
sischen mundart auf eine ags. daran scheitert, dass die mehrzahl der mundartlichen
unterschiede des ags. ei'st auf britischem boden die uns bekante geographische aus-
dehnung gewonnen hat; 3) dass von den beiden sprachen, welche man wohl unter dem
namen nordfriesisch zusammenzufassen pflegt, die dei: inseln Sild, Föhr, Ammm und
Helgoland der westsäcbsischen mundaii Englands verhältnismässig am nächsten steht.
An dieser stelle sei nur einer einzelheit erwähnung getan, zu deren besprechung
Weilands schrift herausfordert. Dass Chauken an der besiedlung Englands beteiligt
gewesen, ist sehr wohl glaublich, aber durch nichts beweisbar; auch die quelle der
Sprachforschung versagt in diesem falle. Um so unfruchtbarer ist es darüber hypo-
thesen aufzustellen, ob die Nordhumbrer (so Weiland mit Möller) oder die Eenter
(so Weiland, Gott. gel. anz. 1889, 8.942) Chauken sein. Einen auf englischem boden
noch erkenbaren, besonderen stamm werden die Chauken schwerlich gebildet haben;
ihr name gieng in Deutschland unter dem der Sachsen auf; weshalb nicht auch in
England? Möller glaubt, dass die bewohner von Sild, FÖhr, Ammm und Helgoland
alte Chauken seien; Weiland s. 38 (s. 156) und Gott. gel. anz. 1889, 8. 942 möchte hier
eher an die Avionen denken. Die Wohnsitze der Avionen lassen sich ziemlich sicher
bestimmen. Es ist bisher unbeachtet geblieben, dass die sildringische sage ihren namen
bewahrt hat; sie kent ein geschlecht der TJtcen, welche von osten her, also aus dem
nuunschlande gekommen sein sollen'; Vwen ist spi'achgeschichtlich == ags. £awan =»
uigerm. *Auwanix; Avionea bedeutet „bewohner des marschlandes '^ ; das volk hat
1) Bei Weiland fehlt die bekante stelle aus .Slfreds Qroeins von der la^ Schleswigi hetuh WiM-
dmn and Setueum and Angle.
2) Hansen, üald' S51d'ring tialen, s. 22; Hansen, Beitiflge za den sagen naw. der Noidfrie-
, 8.80.
ZEITSCinUFT F. OKUTSCHK PHILOLOGIE. BD. XXIV. 9
130 BRANDES
also in dem schleswigschen marschlande gesessen und ist identisch mit unseren heu-
tigen n Nordfriesen*.
Neu ist die s. 36 (s. 154) ausgesprochene sehr ansprechende Vermutung, dass
Theudebert in dem briefe an Justinian im jähre 535 mit den ,,8axonibus Euciis, qui
se nobis voluntate propria tradiderunt '^^ die kentischen Juten Beda*s gemeint habe.
Ich möchte das gleiche auch von dem Euthio bei Yenantios Fortunatus glauben,
welcher neben dem Saxo und Britannus als feind der Franken genant wird.
HALLE, U. MABZ 1S91. OTTO BRmnCR.
De Düdesche Schlömer. Ein niederdeutsches drama von Johannes
Stricker. (1584). Herausgegeben von Jolumnes Bolte. 76 und 236 s. 8. Nor-
den und Leipzig, Soltau. 1889. (Drucke des Vereins für niederdeutsche Sprach-
forschung, m.).
Die von Bolte gelieferte ausgäbe des Strickerschen Schlömer macht ein wert-
voUes niederdeutsches litteraturdenkmal algemein zugänglich. Der originaldruck (A)
des dramas, der sich in einigen wenigen exemplaren erhalten hat, die zum teil
deutschen, zum teil ausländischen bibliotheken gehören, ist 1584 in der Balhomschen
ofGcin zu Lübeck hergestelt Der neudruck widorholt A buohstabon- und seiten-
getreu; auch die alte Interpunktion findet sich in ihm im wesentlichen wider. Aus
den nachdrucken von 1593 (B und C) hat der herausgeber eine anzahl von randglos-
sen aufgenommen, die wie die mehrzahl der in A stehenden auf biblische stellen
hinweisen; im übrigen hat er sich auf die korrektur der in dem alten druckfehler-
verzeichnis angegebenen versehen und auf die berichtigung einiger weiterer offenbarer
irtümer des Originaltextes beschränkt. Allen anforderungen, die wir an einen neu-
druck zu stellen gewohnt sind, ist somit entsprochen: Boltes text ersezt das original
voU und ganz.
Der umstand jedoch, dass der Balhomsche druck nicht als eine gute überiie-
ferung des werkes Strickers gelten kann, da er an mehr als einer stelle Schwierig-
keiten bietet, die nur durch mehr oder minder starke eingriffe gehoben werden
können, lässt es mir zweifelhaft erscheinen, ob Bolte gut daran getan hat, ein so
conservatives verfahren einzuschlagen. Manche Verderbnisse hätten sich nach anlei-
tung von B C mit leichtigkeit beseitigen lassen. B und C lesen v. 185 Stervet; der
herausgeber hat den wink nicht beachtet und das an der stelle unmögliche praet des
schwachen verbums, das A sezt, beibehalten. Auf die widerherstellung des verses
hat B in zweckentsprechender weise bedacht genommen; die achte sübe wird durch
einschaltung des flickwortes gar vor aalichliek gewonnen. Den küyup v. 733 hat
Bolte festgehalten, obwol schon Lübben (Wb. 2, 328) mit dem ausdrucke nichts
anzufangen wüste. Wir haben es mit der imperativischen bildung küpup zu tun,
durch die der haushälterische sparsame sinn der frau, der auch v. 577 fgg. angedeu-
tet ist, dem Standpunkte des mannes entsprechend charakterisiert wird. An v. 2242:
Sunder ydt affgeraden sehlieht haben BundC anstoss genommen. B ändert :,i?a(fen
mi tho dem, C: Sunder hebbent affgeraden. Keiner dieser versuche, dem verse
aufzuhelfen, befriedigt jedoch. C lässt den folgenden infinitivsatz: Mit en tho holdn
dat frouwdenepü unberücksichtigt, und B entfernt sich viel zu weit von dem in A
überlieferten. Ordnung lässt sich nur schaffen, wenn man liest: Sundr hebten my
geraden sehliekL Weren v. 2229 ist in Were zu bessern.
ÜBER DEN DÜD. SGHLÖBOCR ED. BOLTB 131
Über einige zweifelhafte stellen hat sich Bolte in den anmerlningen ausgespro-
chen, de putx, in der redensart de putx gheit my an ist in der anmerknng zu ▼. 844
richtig erklärt Eine euphemistische bezeichnung des teufels, wie Lübben meinte,
kann de putx schon deshalb nicht sein, weil die wendnng sowol im SchlÖmer wie
im Fall Adams und Even mehrmals dem teofel selbst in den mnnd gelegt ist Da
sie ausser an den von dem herausgeber citierten stellen im Schlömer v. 347 and
T. 3921, in Strickers erstem drama bl. B% Ciiij^ Fviy* nnd je zweimal auf bl. G*
nndOy* erscheint, so müssen wir schliessen, dass sie bei dem dichter in besonderer
gnnst stand. Einmal (Fall Adams bl. D^'*) hat er de ptUx durch Das Spielehen
ersezt — Die verse 3599 ^g. :
Eeffetu dy denn wol supen eehn,
Lastern, sehenden, honen, sehmehen,
Düh dreff he so steds Dach und Nacht.
werden verstfindlich, wenn man my for dy schreibt. Stricker will sagen, dass der
Schlömer beim gennss von wein und hier einen unglaublichen eifer an den tag legte.
Die redensart ist unlängst in dieser ztschr. XXI, 256 von Gering mit bezug auf Lau-
remberg I, 352, im Nd. korrespondenzbl. 12, 37 von Schlüter und ebd. 13, 3 von
Sand VOSS behandelt worden. — In dem v. 5009: De HERR wert kamen harnende
liegt weder ein hebraismus vor noch ist ramende zu lesen. Stricker, der nicht die
von Bolte . citierte zweite sondern die erste hälfte von Hab. 2, 3: De Wyssegginge
wert yo noch eruMlet werden tho syner tydt, vnnd werth entliken fryg an den dach
kamen (Wittenberg, H. Lufft 1541) im sinne hatte, schrieb: De HERR wert kamen
am ende. Der reim ende : weh, der sich damit ergibt, hat bei unserem dichter nichts
aofliaUendes. Dem, was der herausgeber s. 56 fgg. der einleitung über seine reim-
knnst bemerkt, ist hinzuzufügen, dass er auch in seinem ersten drama ohne beden-
ken mehr : Seh^pffer (bl. Bv», Bvij**, Cig**), mehr : tausenthänstner (bl. Bv»), lehr:
Sehepffer (bL Gvi*) bindet am end „endlich** braucht er im Fall Adams (bl. Mii^^):
Doch bleibt Jammer, not tmd elend
Der Sünden seid, der Tod am end.
Zu tho gloven v. 1145 habe ich einen hinweis auf ztschr. XXI, 256 vemiisst
Das auf nd. gebiete seltene wort Orindt v. 1511 tritt im Fall Adams bl. Evj^ auf:
Meinestu, das ich sey ein Kind?
Nim hin den puff an deinen grind.
Die redensart „sich die kühe nehmen lassen** belegt Bolte zu v. 2222 erst aus Schrif-
ten, die dem ende des 16. Jahrhunderts entstammen. Indess erläutert sie schon
Agricola in der ersten sprichwörtersamlung unter nr. 154: Er leßt yhm die kwe nemen
=» Er leßt sieh bald erzürnen. Die v. 3429 — 3430 lehnen sich an einen bekanten
sprach an, der volständig im Nd. reimb. v. 2107 — 2112 steht und der von Johannes
Junior in die form des leberreims gebracht ist (vgl. Nd. jahrb. 10, 82 nr. 99).
Das Verzeichnis der abweichungen der drucke B und C von der Originalausgabe
enthält einige überflüssige angaben. Die unzweifelhaften druokfehler der jüngeren
dracke und einiges andere hätten ohne schaden fortbleiben können. Die Variante zu
V. 1480 muss geragen heissen, die zu v. 2433 aller Wahrscheinlichkeit nach gdin.
Auf welchen vers sich die zu v. 3230 angegebene var. my fehlt C bezieht, habe ich
nicht ermitteln können.
Yortrefliche abhandlungen über Johannes Stricker, das spiel von Adam und
Eva, die quellen und den inhalt des Schlömer leiten die ausgäbe ein. Besonders in
9*
132 B&1KDB8
<kir schildeniDg des lebensganges des dichtere nnd in der qaellenantersachnDg zeigt
Mßh Boltes umfangreiche kentnis aller einschll&gigen fragen im helsten lichte. Die
dantellimg der zahlreichen bearbeitongen des Everymanstoffes oder, wie man jest
auf gnrnd der darlegungen Elalffs wol besser sagt, des Elckerlijcstoffes verdankt der
etgenen forschung des herausgebers ausserordentlich viel.
Die druckkorrektur ist mit Sorgfalt behandelt Drei versehen im texte, die
ich mir notiert habe: disser statt dith v. 61, schon statt schal v. 1335 and larutmodt
statt lanekmadt v. 5463 führe ich nur deshalb besonders auf, weil eins von ihnen
bereits die Ursache einer bemerkung über die mundart Strickers geworden ist
BKBLIN. flXBICAN BBAHDIS.
Über die niederdeutschen Übertragungen der Lutherschen Übersetzung
des N. T., welche im 16. Jahrhundert im druck erschienen. Von Karl
Eduard Schanb. Greifswalder diss. 1889. 75 s.
In Schaubs abhandlung über die im 16. Jahrhundert gedruckten nd. Übertra-
gungen der Lutherischen Übersetzung des N. T. haben wir einen beitrag zu der
noch ausstehenden umfassenden geschichte der nd. bibelübersetzung erhalten. Wer-
den in der kleinen schrift auch manche fragen, die sich an die nachlutherische nd.
bibelübertragung knüpfen, nicht einmal gestreift, so sind einzelne ihrer ergebnisse
doch wertvoll genug, um in uns den wünsch rege zu machen, eine ähnlich angelegte
arbeit über das Verhältnis der vorlutherischen nd. bibelausgaben zu einander und zu
den hd. drucken zu besitzen. Hinsichtlich der sich an Luther anschliessenden nd.
bibelübersetzung dürfen wir manches von der von Reifferscheid vorbereiteten textaus-
gabe erhoffen.
Schaub, der von der absieht ausgegangen ist, ßugenhagens anteü an der nd.
bibelübersetzung des 16. Jahrhunderts zu bestimmen, bespricht an erster stelle die
texte, die vor der einwirkung dieses gehülfen Luthers auf das nd. Übersetzungswerk
liegen, den Hamburger (Hg) und den Wittenberger (W 1), die beide in das jähr 1523
fallen. Der Verfasser betritt gleich hier den boden, auf dem er sich in der folge
fast ausschliesslich bewegt, den der textvergleichung. Wie ängstlich von ihm jeder
schritt vom wege vermieden ist, liesse sich an zahlreichen beispielen zeigen. Eins
möge genügen. Der von Schaub benuzte, der Wemigeroder bibliothek gehörige
druck von Wl schliesst: gedrücket tho Wittemberg dorch Melchior vnde Michael
LoUher bröder M. D. XXIII, während Dath Nyge Testammt tho dude. VuiUem^
berg., welches mir aus der bibelsamlung der hiesigen königlichen bibliothek zur Ver-
fügung steht und das mit dem von Goeze beschriebenen identisch zu sein scheint,
auf bl. eeyj' den vermerk trägt: Gedruckt tho Vuittemberg dorch Melchior Lotter
den Mngem 1, 6. 23, (Wx). Schaub geht über diesen unterschied, auf den ihn
Goezes Historie der gedruckten niedersächsischen bibeln hätte hinführen müssen, mit
stilschweigen hinweg. So lange wir aber nicht über das Verhältnis orientiert sind,
in dem die beiden Wittenberger drucke von 1523 zu einander stehen, haben auf
textvergleichung gegründete ausfühnmgen über die beziehungen von Wl zu Hg nur
einen sehr geringen wert Auch die frage, ob dem ELamburger drucke oder einem
der Wittenberger die priorität gebührt, wird möglicherweise durch dieses Verhältnis
berührt Nur scheinbar wird die über die ersten nachlutherischen nd. bibeln her-
schende Unsicherheit noch dadurch vermehrt, dass Goezes auszüge aus dem in seinem
besitz befindlich gewesenen exemplar sich in oiibographischer beziehung von den
ÜBBB 8CHAÜB, MUDSRD. ÜBEBTRAQÜNQBN VON LÜTHEBS NT. 133
entsprechenden abschnitten des Berliner exemplars unterscheiden, denn in der wider-
gabe der Orthographie der von ihm verzeichneten drucke ist Goeze leider durchaus
unzuverlässig. Eher kann man sich auf seine bemerkungen über druckeinrichtung,
fehler in der Seitenzählung und ähnliche merkmale verlassen. Da seine diesbezüg-
lichen angaben s. 156 fgg. auf den von Melchior Lotter d. j. hergestelten druck pas-
sen, so hege ich, obwol seinem exemplar das schlussblatt abgieng, keinen zweifei,
dass er diesen in bänden gehabt hat. Einige eigentümlichkeiten, an denen der druck
leicht zu erkennen ist, hat Goeze übersehen. Im ersten teil ist das XXX. bl. als
XXXI. und das LXXI. als LXXII. bezeichnet, so dass die blatzahlen XXXT und
LXXn zweimal auftreten; im zweiten teil sind die zahlen der bll. XVin — XXV
in Unordnung geraten. Der druck zeigt diese folge: XVIII, XVIII, XIX, XYIII,
XXI, XXU, XXm, XXV. Die Signatur des vierten blattes fehlt in den lagen B,
E — L, Q, S, T, a, b, d — f, 1 — o. Die von Schaub Wl entnommenen citate habe
ich zum teil in dem NT Melch. Lotters d. j. nachgeschlagen, und es hat sich heraus-
gestelt, dass beide drucke in orthographischer hinsieht nicht unbedeutend von einan-
der abweichen. Ich lasse einige belege folgen: Mt. 13, 46 kostlike Wl, köstliche
Wx. — Lc. 5, 1 tho kören dat toort gadeaWl^ tho hoeren dat toorth OadesWn, —
Lc. 22, 67 gelöue Wl, gkd'ite Wx. — Mt. 2, (vgl. kap. IV des anhanges) 1 van
Wl, von Wx; 3 den konnig Wl, de k, Wx; 5 ist geschreuen Wl, ia g. Wx;
6 von Wl, van Wx; 7 von Wl, van Wx; 8 vorforseheth Wl, vorfroscheth Wx;
12 in or Wl, yn or Wx; 13 Heren Wl, heren Wx; vnde sede Wl, vnd 8. Wx;
15 Beren Wl, heren Wx; 16 sendete Wl, sendede Wx; mit Wl, mith Wx;
18 ere Wl, ore Wx; 19 süWl.su Wx; eren Wl, heren Wx; 22 de Galliley-
sehen Wl, des 6^. Wx; 23 vp dat Wl, vp dath Wx. Im übrigen scheint mir
schon nach dieser probe, auf deren Unzulänglichkeit ich nicht hinzuweisen brauche,
die annähme einer engen Zusammengehörigkeit der beiden Wittenberger drucke
zulassig.
Interessant ist der von Schaub gelieferte nachweis, dass Hg undWl die Hal-
berstadter bibel nicht unberücksichtigt lassen. Der Zusammenhang zwischen der vor-
lutherischen und nachlutherischen nd. bibelübersetzung ist somit dargelegt. Freilich
scheint sich der Verfasser unserer Schrift der Wichtigkeit der von ihm gefundenen
taisache nicht voll bewust geworden zu sein. Denn anstatt den spuren dieses Zusam-
menhanges in den von Bugenhagen beeinflussten texten nachzugehen, begnügt er sich
bei der besprechung von W2, dem ersten, bisher unbekanten druck, dem Bugen-
hagens tätigkeit zu gute gekommen ist (ex. in Schaubs besitz), mit der kurzen bemer-
kung, dass sich der Urheber dieser Übersetzung um die vorlutherische Halberstädter
bibel nicht mehr gekümmert habe. Selbst wenn diese Behauptung richtig wäre, so
wäre noch immer die möglichkeit, dass die vorlutherische fassung durch vermittelung
von Hg und Wl ihre einwirkung geäussert hätte, zu erwägen gewesen. Daran hat
Schaub nicht gedacht. Schaubs abschliessende äusserung lässt sich zudem in der
form, in der er sie voi-trägt, schon deshalb gar nicht aufrecht erhalten, weil die
anzeichen einer fortdauer des einflusses der vorlutherischen bibel, die in der Witten-
berger ausgäbe von 1524 unzweifelhaft vorhanden sind, eine direkte benutzung der
Halberstädter bibel durch den unter Bugenhagens äugen arbeitenden Übersetzer kei-
neswegs aasschliessen. Die beiden stellen, die Schaub anführt, um die abhängigkeit
des von ihm mitW2 bezeichneten druckes vonWl zu erweisen: Matth. 20, 4 (und 7)
L ynn den toeynberg, Wl W2 ynn mynen tvynberg (der zusatz W2 toyngarden
soll sich wol auf Wl beziehen? Wx hat wyngarden) und Matth. 22, 4 L meyn
134 HHANDES
mcUxeyt hob ich bereyt, Wl W2 myn maüydt ys beredet können mit gleichem
rechte als zengnisse für beziehongen von W2 zu H angesehen werden, da sie in
der dassong H von Wl aufgenommen sind. Entscheidet man sich aber auch auf
grund weiterer beobachtungen einmal dafür, Wl als die quelle der genanten lesarten
in W 2 zu betrachten, so bleibt die indirekte beeinflussung der von Bugenhagen
inspirierten bibelübersetzung durch die vorlutherische nd. bibel bestehen. Die lesart
myn maUydt ys beredet hat übrigens schon WS zu gunsten des engeren ansohlusses
an Luther aufgegeben.
Bugenhagens anteil an der nachlutherischen nd. bibelübersetzung bestirnt
Schaub auf grund der eigenen auslassungen des theologen über diesen punkt, die in
die vorreden und nachreden verwebt sind, die er zu den 1524—1541 erschienenen
ausgaben geschrieben hat Dass die werte Bugenhagens als eine zuverlässige quelle
anzusehen sind, wird niemand bestreiten wollen; ebenso sicher ist aber, dass Schaub
ihnen einen sinn unterschiebt, den sie nicht haben können. Bugenhagen spricht sich
über sein Verhältnis zu ^2 folgendermassen aus: Dyth nye Testament ys vlytiek
pordüdesehet, also dat me vnstrafflick de rechte menynge, alse de Euangelisten
vnde Äpostele gescreuen hebben, hyr ynne lesen maehy vnde ya nicht, alse de erste
vordüdeschynge was, sünder reyn vnde fyn, vth vnses werdtgen vadere Doetorts
Martini vordüdesekynge. Wo wol ikterst dat desse arbeyt ys vullenbraeht doreh
eynen andern, doch hebbe ick gehandelt vnde radt gegeuen in allen örden vnde
sieden, dar ydt stoer was in vnse düdesch tho bringende, 8chaubs interpretati(m
knüpft an den von Bugenhagen gebrauchten ansdruck su>er an. Er soll dem unge-
nanten und nach des Verfassers meinung auch wol ungelehrten, des griechischen
unkundigen Übersetzer an allen schwierigen stellen mit seinem rate geholfen haben,
unter den schwierigen stellen sollen aber in erster linie solche zu verstehen sein, an
denen Luthers fassung aufgegeben werden muste, weil sie nicht genau dem grund-
texte entsprach. Diese auslegung gewint einen schein der berechtigung dadurch,
dass W 2 tatsächlich das streben erkennen läset, den Lutherschen text nach dem grie-
chischen original zu berichtigen. Trotzdem ist sie unhaltbar. Sohaubs fehler ist,
dass er das wort swer wilkürlich aus dem zusammenhange herausgenommen hat
Bugenhagen sagt gar nicht, dass er an allen schwierigen stellen mit seinem rate und
seiner hülfe eingetreten sei, sondern er bescheidet sich mit dem Verdienste, für eine
singemfisse Übersetzung in den fällen gesorgt zu haben, dar ydt swer was in vnse
düdesch tho bringende. Er war auf nichts anderes als auf ein tadelloses nd. gewand
für Doctoris Martini vordüdesehynge bedacht Auch die möglichkeit, dass Bugen-
hagen zuweilen bei der suche nach einem treffenden nd. ausdruck für eine Wendung
Luthers den grundtext zu rate gezogen habe, kann ich nicht zugeben. Durchmustert
man die von Schaub bezeichneten textänderungen in 'W2, die im anschluss an den
grundtext erfolgt sind, so stösst man kaum auf einen einzigen fall, wo der engere
anschloss an das griechische original dem nd. Übersetzer bei seiner arbeit eine
erleiohterung gewährt haben könte. Ging man etwa Schwierigkeiten aus dem wege,
wenn man Joh. 19, 13 yaßßa&ä mit Qabbaiha widergab, anstatt bei Luthers Bab<k-
tha zu bleiben, oder wenn man vorzog, Mt 7, 4 ix roO dip&alfioo aov (vth dynem
oge)^ Lc. 1, 6 &fiff6TeQo& (beyde)^ Lo. 9, 45 ttc^^ toO ^ijfiaTos tovtov {umme dat*
sulue wort)^ Lo. 24, 3B iv taig xaqdCaig {>(AShf {in iuwe herte), Joh. 8, 12 iv rj
a»oT{(f {in der düstemisse)^ Born. 4, 24 ^ItfioOv tbv xuqmv {Seren Jesum) zu über-
tragen anstatt Luthers aus dem äuge, alle beyde, vmb dasselbe, ynn ewer hertz,
yn finstemisy hem Jhesum Ohrist? Förderte es das bemühen, Luthers text in
DbkR SCHATJB, NIBDKRD. ÜBKRTRAOüNQEN von LÜTHKR8 NT. 135
jeinem niederdeutsch vorzulegen, wenn man Joh. 4, 45 tcente se teeren dar ock vp
dat fest gekamen, Joh. 17, 14 (oder 16) gelyek cUse ick ok nickt van der werlt byn
nach dem grundtexte zusezte? Hat das zurückgreifen auf den griech. text aber nicht
dazu beigetragen, Schwierigkeiten zu beseitigen, die bei der Übertragung des Luther-
schen textes ins niederdeutsche auftauchten, so ist es auch nicht auf Bugenhagens
rechnung zu setzen, sondern dem Übersetzer beizumessen, der demnach wol über
ein umfangreicheres wissen verfügte, als Schaub anzunehmen scheint.
Das Verständnis des Zusatzes, den die nachrede Bugenhagens in W3, einer
nicht unwesentlich verbesserten zweiten ausgäbe von W2, erhalten hat: Dar bauen
ys in dessem testen drucke vlytigen thogedan, dat ym vl>rigen vorsümet vnde vth-
gelaten wasj Dartko ock etlike stede klarliker vardüdeschet , wird durch die deutung
der ursprünglichen fassung der begleitworte bedingt. Wenn Bugenhagen auf text-
eigänzungen aufmerksam macht, so kann er nur Wörter und sfltze der Lutherschen
Übersetzung meinen , die in der ersten aufläge der nd. Übertragung übergangen waren.
Solche versehen des Übersetzers oder druckers lagen Mt. 17, 20 und Joh. 20, 5 — 7
vor. Grössere Schwierigkeiten macht die erklärung des zweiten teiles des Zusatzes,
in dem Bugenhagen erwähnt, dass ock etlike stede klarliker vordüdeschet seien. Bei
der bestimtheit, mit der sich unser gewährsmann stets äussert, kann man in dieser
bemerkung nur einen hinweis auf die durch Schaub hinlänglich bezeugte erneute
benutzung des grundtextes erblicken. Hätte Bugenhagen das Verhältnis des nd. tex-
tes zum Lutherschen im sinne gehabt, so hätte er sich zweifellos klarer ausgedrückt,
zumal er sonst Saßesch düdeseh und hochdüdesehj vnse diideseh und Doctoris Mar»
tini pordiidesckynge, de Saßiseke Biblia und de hochdüdeßche Biblia sorglfältig aus-
einanderhält Die berichtigung der druckversehen der ersten ausgäbe wie einzelne
Verbesserungen nach dem grundtext in W3 bin ich geneigt, Bugenhagens tätigkeit
zuzuschreiben, wenngleich man in dem zusatze die ausdrückliche bezugnahme auf
die person des Schreibers vermisst. Ich stütze mich bei meiner Vermutung auf die
anfongsworte des zweiten Zusatzes, der den begleitworten in der Wittenberger aus-
gäbe von 1533 zu teil geworden ist: Thom testen . . . hebhe ick ock gemaket Sum-
marien. Bugenhagen konte so nur fortfahren, wenn er vorher mindestens zwei Vor-
züge des nd. textes genant hatte, die aus seiner beteiligung an der herstellung des-
selben resultierten. Da er in der ersten fassung des nach- resp. Vorworts nur das
eine verdienst für sich in anspruch nimt, für eine singemässe nd. Übersetzung schwer
widerzugebender Wendungen Luthers sorge getragen zu haben, so müssen wir ihn als
den Urheber der nachbesserungen anerkennen, deren der zusatz in W3 gedenkt
Bugenhagens anteil an den unter den wichtigen nachlutherischen nd. texten
in erster reihe stehenden Wittenberger drucken von 1524 und 1525 beschränkt sich
somit darauf, dass er bei dem ersten drucke rat erteilte, wo der Übersetzer um einen
passenden nd. für einen Lutherschen ausdruck verlegen war, und dass er, als die
neue aufläge vorbereitet wurde, einerseits die bestandteile der hauptvorlage bezeich-
nete, die in der ersten ausgäbe nicht zu ihrem rechte gekommen waren, andrerseits
für einige stellen auf grund des griech. textes eine durchsichtigere fassung angab.
Will man sich überzeugen, dass auch in W3 nicht alle Veränderungen nach dem
griech. grundtexte von Bugenhagen herrühren, so braucht man nur einen blick in
Schaubs liste s. 38 fg. zu werfen. Bugenhagen war es allein um das bessere Ver-
ständnis des textes zu tun, die meisten der durch Schaub verzeichneten neuen les-
arten erklären sich aber nur aus der absieht, eine möglichst genaue Übereinstimmung
mit dem grundtext auch in nebensächlichen punkten herzustellen.
130 BSAVDXS, ÜBXB SCHAX7B, NUDKBD. ÜBKRTRA.OUVOKN TON LÜTHIBS Z?T.
Die eigeDtümlichkeiten der einzelnen drucke belegt Schaub durch statllche rei-
hen von beispielen. Bei genauerer nachprüfung ergibt aich allerdings, dass es um
die beweiskraft der belegstellen nicht immer zum besten bestelt ist Für die abhängig-
keit des von Schaub Wl genanten textes von Hg beweisen weder die föUe etwas,
in denen zu Hg und Wl die Yulgata stimt, noch die, in denen entweder die mög-
lichkeit einer einwirkung der Yulgata oder mischung des Lutherschen textes und der
Halberstädter bibel angenommen werden kann. Lc. 5, 39 L der alte ist milder , Hg
de olde is heder ^ Wl de olde is better steht vetus melius est zur seite, zuLc. 19, 10
L das verloren ist, Hg dat vorlaren was, W 1 dath vorlaren was stelt sich H
dtUh dar was vorgan, quod perierat, mit Mt. 7, 2 L wirt eueh gerichtet wer-
den, Hg Wl werde gy gerichtet werd&n ist zu vergleichen H werde gy vorordeU,
iudicabimini. Auch die falle hätten in diesem Zusammenhang unberücksichtigt blei-
ben müssen, in denen solche nd. ausdrücke gewählt sind, die jedem niederdeut-
schen bearbeiter durchaus nahe lagen. Wenn Mc. 14, 56 L stympt nicht vbireyn
von Hg Wl mit droech nicht ouer eyn, Mc. 15, 24 L wileher was vbirkeme mit
we dar wat van kreege widergegeben werden, so steht die Selbständigkeit der bei-
den Übersetzer noch keineswegs in frage. Der ihnen von Schaub untergelegten
bedeutung entbehren femer alle die stellen, die sich durch stark hervortretende
eigenheiten im Sprachgebrauch des Urhebers von Wl erklären lassen. Obwol der
Verfasser unserer schrift durch beispiele die in W 1 sich geltend machende neigung,
das verbum mit den hilfsverben willen, kunnen, schalen usw. zu verbinden, wie die
abneigung des bearbeiters gegen die anwendung der inklination belegt, hat er keine
bedenken, Lc. 6, 44 L man lieset nicht »=» Hg Wl men kan nicht leßen und Mc.
14, 19 L ichs == Hg Wl ick dath unter die beweise für die verwantschaft von
Wl mit Hg aufzunehmen.
Mit der spräche der von ihm behandelten texte ist der Verfasser nicht hin-
länglich vertraut 8. 35 berührt er die bekante nd. erscheinung, dass subst die Vor-
silbe ge abstossen. Unter den beispielen, die er anführt, findet sich Joh. 6 water
W2 gegenüber gewesser L, obgleich ein entsprechendes nd. subst mit der vorsilbe
ge, das der Übersetzer hätte verwenden können, nicht vorhanden ist Ebensowenig
ist gerichtestol neben richtestol belegt, wenngleich hier die möglichkeit der existenz
zugegeben werden kann, da gerichte neben richte erscheint Das erste beispiel des
abschnittes Mt. 9, 16 L twch := W2 wände gehört überhaupt nicht hierher, da von
dem nd. bearbeiter ein ganz anderes wort gebraucht ist als von Luther. In dem Ver-
zeichnis der in den für die abhandlung benuzten Übersetzungen erscheinenden Wör-
ter, welche bisher gar nicht oder in anderer bedeutung belegt sind, üift man auf
mehr als einen gut bekanten bestandteil des nd. Wortschatzes. Genau mit der von
Schaub geforderten bedeutung findet man in den von ihm genanten lexikalischen
hilfsmitteln, dem Mnd. wb. und dem Mnd. hdwb., aufgeführt: averlop, averflödich,
averwynynge, bedroch, dacht, dorhaftich als overlop, overvlodich, overwinninge,
bedrech, dacht, doraftich, ferner borde, seeltagen, spletter, wolteren neben bordene,
seletogen, splittere, weiteren. In anderen fällen unterscheiden sich Luthers aus-
drücke von den in den mnd. Wörterbüchern angesezten bedeutungen ganz imerheblich.
BEBLIN. BXBBIAN BBANDBS.
KAWIBJLÜ, ÜBER DENKMÄUSB DER ALT. DEUTSCHXR LITT. 137
Denkmäler der älteren deutschen litteratur für den litteratorgeschichtlichen
Unterricht an höheren lehranstalten im sinne der amtlichen bestimmungen vom
31. märz 1882 herausgegeben von dr. G. BIfttieher, Oberlehrer am Lessing -
gymnasium, und dr. Karl Klnzel, Oberlehrer am Grauen kloster zu Berlin.
Halle a. S., buchhandlung des Waisenhauses, m 2 u. 3: Martin Luther, aus-
gewählt, bearbeitet und erläutert von dr. Rieh. Nenbaner, professor am Grauen
kloster zu Berlin. 1890 und 1891. IX, 187 s.; VII, 252 8.; preis je 1,80 ra.
ni 4: Kunst- und Volkslied in der reformationszeit, ausgewählt und
erläutert von dr. Karl Kinzel. 1892. Vm, 140 s. 1 m.
Neubauer hat sich seiner aufgäbe, aus Luther eine auswahl für die zwecke
höherer lehranstalten zu treffen, mit grosser umsieht unterzogen. Das erste heft
bringt überwiegend den kirchlichen reformator, das zweite den deutschen mann zur
anschauung. Heft 1 wird daher ausser dem lehrer des deutschen auch dem gescbichts-
lehrer und besonders dem religionslehrer wilkommen sein. Für die stofauswahl ist
hier der gang der reformationsgeschichte bestimmend gewesen. Luthers leben bis
1517 in der treuherzigen erzählung seines Schülers Mathesius macht den anfang;
dann beleuchten den ablassstreit Luthei-s eigener späterer bericht in der schrift «^i-
der Hans Worsf sowie auszüge ans den 95 thesen nach der deutschen Übersetzung,
die von J. Jonas stammen soll. Von den drei reformatorischen hauptschriften ist
„An den christlichen adel*^ in umfänglichen wörtlichen auszügen, Captivitas babyl. in
kurzem referat, „Freiheit eines Christenmenschen '^ wider im auszug mitgeteilt. Die
Wartburgszeit vergegenwärtigt der brief Luthers an seinen vater, in welchem er über
seinen eintritt ms kloster gegen des vaters willen bekentnis ablegt und seine schrift
de votis monasticis einleitet. Die rückkehr nach Wittenberg ist durch den berühm-
ten brief an den kurfürsten und eine der predigten gegen die bilderstürmer charak-
terisiert. Dann wird Luthers lehre von der obrigkeit durch stücke aus der schrift
„Von weltlicher obrigkeit** gekenzeichnet. Die lezten stücke gelten dem bibelaus-
leger (vorrede auf den psalter) und bibelübersetzer; dazwischen ist die schrift
über das martyrium Heinrichs von Zütphen eingeschaltet. Seinen bahnbrechenden
principiellen erklärungen über die Übersetzungskunst ist mit recht ein grösserer räum
zugewiesen; den wert seiner eignen Übersetzungsleistung illustrieren in parallel -colum-
nen mitgeteilte proben aus der mittelalterlichen deutschen bibel und aus seiner ver-
deutschimg, wobei anch seine eigene fortarbeit an seiner Übersetzung berücksich-
tigt ist.
Bunter ist der Inhalt des zweiten heftes. Luthers bahnbrechende Schriften
Über das Schulwesen eröfnen hier den reigen, einige andere stücke weltlichen inhalts
folgen; dann fabeln, gleichnisse, Sprüche und reime, mit grosser belesenheit aus den
verschiedensten teilen seiner Schriften zusammengetragen; sodann eine auswahl von
dichtungen, wobei dass kirchonlied nur durch „Ein feste Burg*^ vertreten ist, offen-
bar um heft m 4 nicht weiter vorzugreifen; und auch der briefschreiber Luther
komt in 9 gut gewählten nummem in humor und zom zu seinem rechte. Eine präch-
tige beigäbe ist das kapitel „Aus der lebensweisheit Luthers**, kürzere sinvoUe aus-
sprüche und betrachtungen aus verschiedenen Schriften, besonders auch aus den
tischreden zusammengesteli Kurz, die auswahl verrät einen kundigen und seiner
aufgäbe gewachsenen mann. Die textrecension geht auf die originale oder wenigstens
auf die ältesten gesamtausgaben zurück. Die orthographischen wilkürlichkeiten der
alten drucke sind beseitigt; Luthers spräche ist xmversehrt, aber in einer das Ver-
ständnis des Schülers erleichternden Schreibung widergegeben. Alle hülfe, deren der
138 KAWXBAU
schtQer sachlich oder sprachlich bedarf, ist ihm in knappen anroerkungen unter dem
text geboten; knrze einleitaogen orientieren ihn über die entstehung und die geschieht-
liehe Situation der einzelnen Schriften. So ist genügend dafür gesorgt, dass der
Schüler auch in privater lektüre zum rerständnis und genuss des lesestoffes gelangen
kann. Aber auch weitere kreise werden den im 2. hefte s. 215 — 252 gegebenen
„grammatischen anhangt freudig begrüssen, der knapp und übersichtlich über
lautstand, wortlehre, flexion und über syntaktisches bei Luther belehrung bietet —
für jeden theologischen leser Luthers eine sehr wilkommene gäbe. Es sei hervor-
gehoben, dass der Verfasser für den in diesen blättern in lezter zeit mehrfach nach-
gewiesenen und behandelten gebrauch des ytthäte*^ im conditionalsatz in der bedeu-
tung „nicht vorhanden wäre^ eine beispieisamlung bietet, welche, ganz unab-
hängig von den in diesen blättern bisher mitgeteilten stellen, den erweis liefert, wie
verbreitet diese so lange übersehene redeweise in Luthers Schriften ist. Ob seine
herleitung aus vorausgeseztem tvanne [wofern nicht] t<ieU, haltbar ist, vennag ich
nicht zu beurteilend Ich mache nur darauf au&nerksam, dass die jüngst erschienenen
Analecta Lutherana et Melanthoniana von G. Lösche, Gotha 1892 wider drei neue
beispiele aus Luthersohen tischreden bieten: s. 214: loen des [das] thet [seil, caro
nostra], so tcolt wir im [dem satan] ifol ein xam erUsitxen: wenn unser fleisch
uns nicht zu schaffen machte, weiten wir dem teufel wol trotz bieten; s. 294: ^cen
Ärius kette getan, wenn A. nicht aufgetreten wäre; s. 380; hett Cherintus [Cerinthus]
gethan, Joannes nunqtiam haee scripsisset »» wäre Cerinth nicht aufgetreten. Ich
notiere femer G. Witzel, Drey Gesprechbüchlin von der Religion Sachen. Leipzig
1539. Bl. M: „ Vnd thet das geld, es gienge tceder Pfaff noch Senger noch Güster
einen trit ins Chor^^ würde nicht geld dafür bezahlt — Zu den sachlichen
erläuterungen sei zu bd. m, 2 s. 84 bemerkt: die walfahrt nach Regensburg in der
refonnationszeit galt nicht „den leibem gewisser heiligen^, sondern der kapelle der
„schönen Maria*^; zu III, 3 s. 20: die „Waldenser^, von denen Luther redet, sind
die böhmischen brüder, vgl. Erl. ausgäbe 28 s. 389. IE, 2 s. 143 lies Claus Harms
(si Harm).
In heft in, 4 gibt Einzel zunächst eine auswahl aus dem kirchenliede des
16. Jahrhunderts, wobei er die auswahl auf solche lieder einschränkt, welche sich
bis in die gegenwart in kirchlichem gebrauch erhalten haben. Neben Luther sind
Speratus, N. Decius, N. Herman, P. Eber, B. Waldis u. a. bis auf Phil.
Nikolai vertreten. Freilich handelt es sich hierbei zum teil um sehr unsichere
Verfasserschaft. Bei Albrecht v. Brandenburg-Culmbach („Was mein gott
will*^) erhebt Einzel selber zweifei; aber auch Joh. Hess als Verfasser von „0 weit
ich muss dich lassen*^ gehört wol nur jener späten gesaogbuchslegende an, wie ihm
das lied „0 mensch bedenk zu dieser frist*^ sicher abgesprochen werden muss. Die
notiz bei Nikolai, dass er „wegen seiner gelehrten streitschrifren dr. theoL von Wit-
tenberg wurde '^^ vorleitet zu dem irrigen glauben, als hätte man damals ehrendok-
toren emant Gut ist es, dass der herausgeber diesen geistlichen liedem anhangsweise
die alten lateinischen texte solcher stücke anfügt, die von Luther deutsch umgedich-
tet wurden; ebenso die mittelalterliche form von leisen, welche die reformation sich
angeeignet hat; auch die andern proben aus der lateinischen geistlichen poesie sind
am platze. Doch ist es nicht ausreichend, wenn der schüler erfährt, dass Luthers
lieder, neben selbständig erfundenen, aus beai'beitungen lateinischer vorlagen oder
1) Ich giknbe es nicht; vgl. die notis bd. XXiV, 432 diecer seitechrift. 0. E.
ÜBKB DKinaf. DKB ALT. DEUT8CHXN LITT. 139
aus psalmennmdichtoDgen bestehen. Wo bleibt die bearbeitung und erweitenmg yon
deutschen liedem, die er vorÜEuid (z. b. nr. 3 ^Gelobet seist du, Jesu Christ^)? wo
die bearbeitung andrer biblischer texte (z. b. nr. 5) und wo seine katechismuslieder?
Aber die auswahl selbst ist geschmackvoll und instruktiv, und die beigefügten erlfiu-
temngen werden lehrem und schülem wilkommen sein.
Als reprSsentanten der weltlichen kunstdichtung sind Fischart und
Hütten (warum in dieser reihenfolge?) gewählt; dann folgen die berichte über den
meistergesang von A. Puschmann 1574 und Wagenseil 1697. Schliesslich sind
34 Volkslieder, darunter in nr. 27 — 34 historische, aus den samlungen von ühland,
V. Liliencron und Goedeke gut ausgewählt. Auch dieses heft darf, neben seinem
nächsten zweck für den litteraturgeschichtlichen Unterricht, als hülfsmittel auch für
den geschichts- und religionsunterricht an höheren lehranstalten empfohlen werden.
KIEL. e. KAWERAU.
MISCELLEN.
Zur beschichte des begrUbnisscs „more Teutonico^^«
Auf s. 505 des XXIV. bandes dieser Zeitschrift hat B. Röhricht unter obigem
titel mehrfache beispiele für die sitte angeführt, leichname durch kochen in fleisch-
teile und knochen zu zerlegen. Ein weiterer belag mag aus einer isländischen quelle,
dem Einars [>&ttr Sokkasonar, hier beigebracht werden.
Die queUe erzählt, wie die Grönländer beschlossen, in ihrem lande einen eige-
nen bischo&stuhl zu errichten, und den Einarr Sokkason nach Norwegen schickten,
um diesen plan auszuführen. Mit hülfe des königs Sigurdr Jorsalafari gelang es
diesem, den priester Anuddr zur Übernahme der würde zu bestimmen, welcher denn
auch vom erzbischof Ozurr von Lund für Grönland geweiht wurde; die isländischen
annalen setzen seine weihe in das jähr 1124. Ober Norwegen fahren Amaldr und
Einarr nach Grönland ab, werden aber durch schlimmes wetter genötigt auf Island zu
zu überwintern, wo demzufolge nach isländischen annalen im sommer 1126 drei
bischöfe am Allthinge anwesend waren. In demselben jähre erreichten die beiden
genossen Grönland, wo sofort das bistnm organisiert wurde. Gleichzeitig mit ihnen
war von Norwegen aus ein zweites schiff abgegangen, von einem manne namens
Ambjöm geführt; aber dieses kam nicht an und galt als verschollen, bis endlich
nach längerer zeit von einem Grönländer namens Sigurdr das leere schiff, und teils
In einem landzelte, teils nahe bei diesem die leichen der manschaft gefunden wurden.
Da liess nun Sigurdr in den kesseln, die man bei den toten fand, die leichen sieden,
um das fleisch von den gebeinen zu lösen, und brachte diese iann mit allem gute,
das er bei den verstorbenen fand, nach dem bischofssitze zuGardar; es geschah jenes
aber, weil es so leichter schien, die gebeine zur kirche zu bringen. Die einschlä-
gigen Worte stehen in Grönlands historiske mindesrmserker II, s. 690 und in der
ilateyjarbök UI, s. 447; der verfall gehört aber nach dem Schlüsse der saga jedes-
fals noch der zeit vor dem tode des königs Haraldr gilli an (tll36), und mag etwa
in das jähr 1130 gesezt werden.
MÜNCHKN. K. MAUBER.
140 MISCELLIN
Zum drama Tom Terloreneii söhn«
Die ministerialbibliothek von Schaffhanson besizt als nr. 23 ihrer baudschriften
ein bändchen „Lateinisches Schauspiel. Travestie der parabel vom verlorenen söhn.
1588*^. Im handschriftenvei'zeichnis ist auf grund einer bemerkung auf dem lezten
blatte des mscr. als Verfasser Samuel Bovillus (= Oechsli)' angegeben, aber mit
unrecht. Jene notiz lautet: Acta est haee comoedia a clarissimo viro D. SamueU
Bovillo, hoc tempore sekolae Scapkusianae rectore. Anno 1588 tdtimi temporis
4 die septembris. Der Schaffhauser schulrector hat also nur die aufföhning veran-
lasst; das stück selbst aber ist eine wörtliche abschrift des Acolastus von Gna-
phaeus, die offenbar für schulzwecke — denn schüler führten das stück auf — her-
gestelt war. Weder Holstein noch Spengler (Der verlorene söhn. Innsbruck 1888*)
erwähnen diese handschrift. Von 8. Oechsli stamt nur der prolog und der epilog,
beide deutsch abgefasst; sie stehn am Schlüsse des dramas nach der lateinischen pero-
ratio. Der prolog besteht aus 100, der epilog aus 170vei-sen, alle parweise gereimt-,
nur im epilog sind 27 — 29 (abschnitt) sowie am schlösse 168 — 170 je drei verse
durch denselben reim gebunden.
Der prolog enthält eine rechtfertigung solcher , nutzlichen ergetzlichkeit ^
(v. 22) auch in trauiigen zeitläuften, da sie zur beförderung der gottesfurcbt diene (29
— 40), die Jugend zum fleiss und eifer im studieren reize (41 — 60), von weisen
leuten auch an anderen orten hochgeschäzt werde (61 — 68). Speciell der inhalt
dieses Stückes sei nützlich:
Und lernt darauss ein ieder Christ
Sund, schand zu meiden, in der not
Sich kehren zu dem lieben GoU (69—80).
Bemerkenswert ist, dass v. 85fgg. deutsche vorbereitende inhaltsangaben,
sowie deutsche ge sänge erwähnt werden:
Jedoch, das ir auch köndt verston,
Wie eins werd auff das ander gon.
So würt man euch in teütscher sprach
Vorhin erzellen alle sach,
Euch zgüt braucht man euch teutsche gsang.
Von beiden ist aber in der handschiift nichts erhalten.
Im epilog werden die aus dem inhalte des Stückes sich ergebenden lehi-en
den Zuhörern nachdrücklich an das herz gelegt.
Beide stücke, zu deren volständigem abdruck hier kein räum ist, können zur
ergänzung der vorhandenen ausgaben des , Acolastus '^ dienen.
ZÜBICH. THEOOOB OOINOA.
Nochmals dribolde seheren.
Zu den dankenswerten ausführungen des heim coUegen Siebs über ^dribolde
scheren^ (bd. XXIV s. 567 dieser Zeitschrift) erlaube ich mir einige bemerkungen hin-
zuzufügen.
1) Vgl. Baechtold, Schveiz. lit. gesch. 8. 64, anmerlmiig.
2) Zu Spenglers veReidmis der Acolastos - aoff&hrangen sind atuiBKchtold, Schweiz, litt -gesch.
8. 68 fjsg. nachzutragen : 1586 Zflrieh ; 1670/71 Zürich ; 1696 Solothnm ; 1627 Steckbom ; sowie unsere
SchafEhaoser aafrühnmg vom 4. September 1688.
141
Da Babucke's ausgäbe des Josef, Von den sieben todsänden (Norden 1875)
mir hier leider nicht zugänglich ist, vermag ich nicht zn nnteisnchen, ob in der
von Siebs nach Schiller -Lübben IV, 612 angefahrten stelle die bedeutong von tri-
boU = platte, tonsnr in der tat anzonehmen ist Aus den citierten werten scheint
sich dies mir nicht ohne weiteres zu ergeben, und das von Schiller und Lübben zn
jener erklarung gesezte fragezeichoi ist jedesfals nicht unberechtigt Ohne zweifei
stelt sich der triboU hier wie bei Johann von Buch als eine art der haarschnr
dar; aber nur der nähere Zusammenhang könte erkennen lassen, ob diese wirklich
im dienste einer ernstlich gemeinten mönchsweihe statfand und somit als tonsnr
im technischen sinne verstanden werden muss. Indessen ist dies eine für uns nicht
erhebliche frage. Denn auch wenn für die in rede stehende stelle die bedeutung von
triboU = tonsnr feststünde, so müste dieselbe gleich wol für den prolog zum Richt-
steig abgelehnt werden. Johann von Buch will durch das j,dribolde scheren'^ die
bösen menschen für jedermann kentlich machen — es liegt auf der band, dass dies
nicht durch eine tonsur geschehen konte. Nicolaus Wurm bemerkt, dass man auf
diese art die geisteskranken zu bezeichnen pflege — es ist nicht minder deutlich,
dass auch hierfür nicht eine tonsur dienen konte. Wenn also in der angeführten
stelle, was dahingestelt bleiben muss, eine solche ein tribolt genant wurde, so wäre
dies nur ans einer änderung der bedeutung dieses wertes im laufe der zeit zu
erklären.
Die ursprüngliche bedeutung von dribold betreffand habe ich nun folgendes zn
dem bd. XXIV s. 284 fg. bemerkten nachzutragen.
Herr oberbibliothekar dr. Steffenhagen hierselbst hatte die freundlichkeit
mich darauf aufmerksam zu machen, dass Nieolaus Wurm (Handschriftenklasse E
des Richtsteigs s. Homeyer s. 85 note 79) bei seiner motivierung des driholde sche-
ren unzweifelhaft an diejenige der bestrafung zu haut und haar durch die
Buchsche Sachsenspiegelglosse gedacht hat Wurm nämlich hat Johann von Buchs
Worte im Richtsteigprolog y,uppe dat me de guden bekande^ verändert in die werte:
dax sy mochtin frome luie ir kennen und sich vor in hutin. Und die ^osse
zu Ssp. II, 13 §1 gibt als zweck der strafe zu haar an, j^dat me 'n bekente unde
sik vor etne hodde (so in der mir von herm dr. Steffenhagen freundlichst mit-
geteilten form der Amsterdamer handschrift; s. übrigens Homeyer Ssp.* I, 243).
„Man wird also*^, meint herr dr. Steffenhagen, bei y,dribolde scheren zunächst an die
entehrende strafe des haarabscherens zu denken haben, wofür auch die Zusam-
menstellung mit dem , durch die zähne brennen' im Richtsteigprolog spricht Vg^
die belegstellen bei Grimm, RA. s. 709, 11*. Ohne die möglichkeit dieser annähme in
abrede stellen zu wollen trage ich doch bedenken sie zu teilen. Die anlehnung
Wurms an die glossenstelle erklärt sich zur genüge aus der gleichheit des zwecks
bei den verschiedenen auwendungsfallen der haarschnr. Wurms werte „mocht ich
sy bescheren gleich den toren als man pflit cxu tun den rechten toren'^^ durch
welche er Johann von Buchs j^dribolde scheren'^ ersezt, lassen doch erkennen, dass
er in diesem die besondere art der haarschnr erblickt, die geisteskranken zu teil wird.
Und dies wird gerade dann noch wahrscheinlicher, wenn Wurm sich im übrigen hier
an die glosse zu Ssp. H, 13 § 1 anschloss und somit viel mehr Veranlassung hatte
an die haarschnr der diebe als an die der geisteskranken zu denken. Dass bei
diesen eine eigentümliche art der haarschnr statfand, um sie anderen leuten kentlich
zu machen (s. auch die von Siebs angezogene stelle bei Schiller -Lübben IV, 77),
durfte für die zeit Nicolaus Wurms durch dessen werte selbst für den unwahifchein-
142 wacaujBf
liehen fall erwiesen sein, dass dieselben lediglich eine irrige omsohreibang des
Buohsohen j,dribolde ackeren'*' sein selten.
Was nun schliesslich die etymologie des wertes dribold anbelangt, so muas
ich natürlich hier das wort an die herren faohmjümer abtreten. Sachlich scheint mir
gegen die ansieht von Siebs namentlich zn sprechen, dass der dribold seinen namen
dem yagabunden entlehnt haben soll, dass aber einerseits es eine blosse (ich fuge
hinzu: eine meines erachtens nicht wahrscheinliche) vermatong ist, dass jeder yaga-
band geschoren wurde, und dass anderseits, auch wenn dies richtig wftre, doch
die haarschur weder ihren Ursprung noch jemals ihre alleinige oder nur vorzü^chd
anwendung bei den Yagabunden gehabt hat.
unter diesen umständen scheint mir eine viel einfachere deutung von dribold
den Vorzug zu verdienen, die mir herr bibliothekar dr. Wetzel in £iel f^undlichst
mitgeteilt hat, und deren sprachliche zulässigkeit nach dem urteile des herm colle-
gen Gering bedenken nicht unterliegt. Daniach wäre driboU einfach eine Zusam-
mensetzung von dri und btät «= häufe, bündel (Schiller-Lübben s. v. bulte
I, 449 fg. Berghaus, Sprachschatz der Sassen s. v. bült I, 270) und bezeichnete
somit ein bei der schür übrig gelassenes dreibündel oder dreibüschel von haaren auf
dem köpfe. Sachlich würde dies augenscheinlich sehr gut passen.
EIEL, 29. IXBBUAB 1892. KAX PAPPENHXIM.
Zn Wilhelm Mllllers roBuuuM ,,Est est^^
In der romanze £st est (Gedichte von Wilhelm Müller, herausgegeben von
Max Müller. Leipzig, 1868. 2, 64) schildert der dichter mit köstlichem humor, wie
ein deutscher ritter, dem auf seinen zügen in Italien die welschen weine nicht mun-
den, seinen knappen vorausschickt, damit er an das tor einer jeden schenke, wo er
den Stoff gut finde, ein «esf^ schreibe. In Montefiascone mundet nun dem der edle
muskateller so gut, dass er mit „feuerrotem stift** ein doppeltes est an die tür der
taveme schreibt
„XTnd der litter kam, sah, trank
Bis er tot zu boden sank*^.
Der knappe aber sezt ihm einen leichenstein mit der inschrift:
Propter nimium est est
Dominus mens mortuus est
Aus der anmerkung Max Müllers zu diesem gedichte seines vaters (a. a. o.
s. 190) können wir nur im algemeinen entnehmen, dass dieser die sage poetisch frei
behandelt hat Genaueren aufschluss darüber gibt uns eine bemerkung Longfellows,
der im december 1827, kurz nach dem tode des auch von ihm geschäzten dichters,
in Montefiascone sich aufhielt Er war offenbar durch die romanze Müllers, von des-
sen liedem er einige der schönsten ins englische übertragen hat, veranlasst worden,
den ort zu besuchen, worauf auch ein citat aus derselben schliessen lässt Er berich-
tet in Outre-MeTf Italy (Prose Works, Authors edition. London G. Houdledge and
Sons 0. j. s. 469) folgendes: ^I pasaed a night at Montefic^eone, renoamed for a
ddieate Muacat feine, tohieh beara the name of Eai, and made a midnight pil-
grimage to the tomb of the Biahop John Defoucria, who died a martyr to hia love
of thia tdne of Montefiaaeone.
NEÜI KSSCHKnniNOSK 143
y^Propter nimium Est, Est, Est,
Dominus meus mortuus esf^,
A marble slab in the patement, uom by the footsteps of piigrims like myself,
Covers the daminie's askes. T/iere is a rüde fiffure earved upon ü^ at tchose feet
I traeed out the eabalistie words, ^Est, Est, Est^. The remainder of the inscrip-
tion was iUegible by the fliekering light of the sexton* s lantem "',
NOKIUEIM. R. SPBINQIB.
NEUE ERSCHEmXJNGEN.
Altmann, W., Stadien zu Eberhart Windecke. Beriin, E. OSrtner. 1891.
VIII und 109 8. 2,80 m.
Der verÜBSser bringt aus der bisher so gut wie unbeachtet gebliebenen hand-
schiift der Wiener hofbibliothek nr. 2913 neue abschnitte und ergänzungen zu
Windeckes weltchronik bei, die besonders auch für historiker Yon Interesse sind.
Ausserdem wird die ganze handschriftenfrage vom historischen gesichtspunkte aus
behandelt
Bendiardt, £., Die fürwörter der anrede im deutschen (du, ihr, er, sie).
Abdruck aus den Jahrbüchern der kgl. akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu
Erfurt, neue folge, heft 17. 21 s.
Auf grund der von J. Grimm (Gramm. IV, 297 fgg. El. Schriften m, 236
fgg.) gegebenen anregungen hat der Verfasser den Sprachgebrauch in mehreren
älteren und neueren deutschen dichtwerken genauer beobachtet — Eine recht
interessante Studie über dasselbe thema ist früher veröffentlicht von Werner
Hahn im Deutschen montagsblatt (Berlin) vom 26. 11., 3. 12., 10. 12. 1888 und
5. 1. 1889; eine ältere schon von Friedrich Oedike (vorgelesen in der Berliner
akademie der Wissenschaften am 30. Januar 1794, ei'schienen bei F. ünger).
Kneiper, Philipp, Französische familiennamen in der Pfalz, und franzö-
sisches im Pf&lzer volksmund. Zweite verm. aufläge. Eaiserslautem, Aug.
Gotthold. 1891. 84 s.
Lanson, Ludviir? ordforradet i de älsta islänska handskiiftema . . . leksikaUskt ock
grammatiskt ordnat Lund 1891. Phil. lindstedts universitets-bokhandel. (VI),
VI, 438 88. 4. Nur in 200 exemplaren gedruckt. 20 kr.
Meyen klasslkeraiisgabeii« Kritisch durchgesehen und erläutert Leipzig lud Wien,
bibliographisches institut
In dieser empfehlenswerten samlung sind neu erschienen Gellerts dich-
tungen (auswahl in einem bände), bearbeitet von A. Schullerus; Eichendorf fs
werke (auswahl in zwei bänden), bearbeitet von R Dietze; femer Hauffs werke,
herausgegeben von Max Mendheim (3 bände). Die texte sind korrekt, die einlei-
tungen knapp aber gründlich durchgearbeitet Der preis von 2 mark für jeden
teil in gutem ganzleinenband ist bei der vorzüglichen ausstattung sehr massig
zu nennen.
MlUler-FraneBsteiii, G., Von H. v. Eleist bis zur gräfin M. Ebner-Esohen-
bach. Zehn vortr&ge über die neueste deutsche litteratur. Mit 10 bildnissen in
holzschnitt Hannover, L. Ost 1891. VIll und 382 s. 4,50 m.
Zur orientierenden Übersicht, sowie zum anhält für den lehrvorti'ag recht
brauchbar.
144 RACRRICHTE5
Nordes Indskrifter med de aeldre runer. üdgivne for det norske historiske kilde-
skriftfond ved Sophiu Bngge. Iste hefte. Christiania 1891. A. W. Braggers
bogtrykkeri. 48 8. 4.
Das erste heft dieser hochbedeutenden publikation, auf die wir in einer aus-
fiihrlichen besprechung zurückkommen werden, behandelt die runeninschriften auf
dem steine von Tune, dem brakteaten von Fredrikstad und der bronzeflgur von
Freihus.
Olbrlch, Karl, Goethes spräche und die antike. Leipzig, F. W. v. Bieder-
mann. 1891. 116 s. 2 m.
Der Verfasser bespricht für die Wortstellung namentlich das attributive
a^jectivum, für den wortgebrauch die fortlassung des artikels, die prädicative
anfügung ohne als, den comparativ und Superlativ der a^jectiva, verschiedene
Verwendungen der casus, den gebrauch der participia und die neubildung zusam-
mengesezter ac^ectiva. Bei einigen gebrauchsweisen kann man zweifeln, ob sie
wirklich durch antikes Vorbild veranlasst worden sind; manchmal hätte mit schär-
ferer kritik dasjenige ausgesondert werden können, was selbst durch den Vorgang
Goethes im deutschen nicht üblich geworden ist. Sonst aber ist die arbeit soig-
faltig ausgeführt und sehr dankenswert.
Sehulze, Berthold, Zwei ausgewählte kapitel der lehre von der mhd.
Wortstellung. Mit besonderer rücksicht auf Wolframs Parzival. Berlin, diss.
1892. (Heinrich und Eemke). 58 s.
Inhalt: 1. Die steUung verbum — subject im aussagesatze ohne satzeröf-
nende bestimmung. 2. Die negativ -excipierenden Sätze. — Der Verfasser macht
sich die sache nicht leicht; er hat nicht nur fleissig gesammelt und gezählt, son-
dern auch seine resultate mit rücksicht auf die früheren eröiterungen der hierher
gehörenden fragen gründlich erwogen. Lehrreich ist namentlich die besprechung
der nachsätze mit voranstehendem verbum (s. 40 fg.), sowie der inversion nach
und (s. 44fgg.), die neulich von herm Job. Pöschol (Grimma, G. Gensei. 1891.
13 s. 4) zum gegenständ einer besonderen abhandlung gemacht worden ist o. k.
NACHRICHTEN.
Der ausserordentl. professor dr. Konrad Burdach in Halle ist zum Ordinarius
ernant, prof. dr. Oskar Brenner in München als nachfolger Lexers nach Würzbuig
versezt.
Es habilitierten sich für germanische philologie: in Heidelberg dr. Bernhard
Kahle, in Halle dr. Siegmar Schnitze, in Wien dr. Ferdinand Detter.
Gestorben: am 29. Januar 1892 in Strassburg professor dr. Bernhard ten
Brink (geb. 12. jan. 1841); am 15. februar zu Lund der ordentl. professor der nor-
dischen Philologie dr. Theodor Wisen, mitglied der schwedischen akademie (geb.
1835).
Berlehtigiuigr.
Bd. XXIY s. 467b vers9 kandais] lies kanda'ü, s. 482a vers6 v.u. Pvhurt]
lies PVhurt.
Halle a. S. , Buchdrockerei dee WaiBonhaasea.
ZUE KLAGE.
Unter Lachmanns kriterien für die „unechten" teile der Nibelun-
genlieder nent K. MüllenhofF („Zur geschichte der Nibelunge not**
s. 3) vornehmlich zwei innere kenzeichen. Das eine sind „wolfeile
beschreibungen von kleidem und ritterfesten ** — sicher der beste
beweis für jüngeren Ursprung der betreffenden partie. Das Nibelungen-
lied in den auf uns gekommenen fassungen gehört eben bereits der
„höfischen" periode an; der geschmacksrichtung dieser epoche also
entrichten schon die redaktoren der fassung A, in noch höherem grade
aber die von B und C ihren tribut Ein zweites kriterium innerer art
ist das „müssige anbringen der burgundischen beiden (Dancwart, Ger-
not u. a.) bloss in der absieht, damit sie nicht vergessen werden".
Mit recht bemerkt Müllenhoff: „Solte aus den liedem ein gedieht wer-
den, so durften nicht einzelne personen lange strecken hindurch dem
blick entschwinden; so brachte man sie an, auch wo sie eigent-
lich nichts zu sagen noch zu tun haben". Auch diese manier der
Überarbeiter und erweiterer steht im zusammenhange mit höfischem
geschmack, mit den gewohnheiten des ritterepos. Die alte heldensage,
einfach in ihren mittein und beschränkt in der anzahl der auftretenden
personen, liess ihre nebenfiguren abtreten, sobald sie nicht mehr
unmittelbar in den gang der ereignisse eingriffen. Das ritterepos dage-
gen schwelgt in Staffage. Ganze heerlager von beiden, mehr oder
weniger individualisiert, in grösserem oder geringerem zusammenhange
mit der eigentlichen handlung, bringt es auf den Schauplatz; und wo
sich gelegenheit bietet, sorgt es dafür, dass die herren nicht der Ver-
gessenheit anheimfallen, und selten sie weiter nichts tun als beim
nächsten tumiere mit postieren und buhurdieren. Im Verhältnis dazu
steht natürlich das Interesse an der person des haupthelden: daher die
fortsetzungen und abschlüsse der unvollendet gebliebenen grossen epen,
des Willehalm, Titurel, Tristan; ein interesse, das sich über wiege und
sarg des beiden hinaus erstreckt: daher die Zusammenfassung der lie-
der von Hagens jugend, von Hilde und von Eudrun zu einem^ganzen ;
daher die geschichte der eitern des holden im Tristan und im Parzival,
a^fnSCHTOFT F. DEUTSCHE PBILOLOOIE. BD. XXV. 10
146 BIIB&IR
an dessen schluss der dichter noch einen ausblick auf die geschichte
Lohengrins, des sohnes des Farzival, gibt
Eine zeit, die einer solchen geschmacksrichtung huldigte, und in
der man anfieng auch die alten heldenlieder zum ritterroman umzu-
giessen, muste in den Nibelungenliedern noch etwas mehr vermissen
als etwa das widerauftreten Dancwarts oder Rumolts. Wo blieb denn
vor allem nach dem untergange der Burgunden Brünhilt, die doch
Hagen zum morde angestiftet hatte und damit der lezte urgrund von
der Nibelunge not geworden war? Was wurde aus dem reiche der
Burgunden nach dem falle der drei könige? Was aus der witwe des
markgrafen Rüedeger und aus seiner tochter, deren verlebter Giselher
gefallen war? Was endlich aus Dietrich und HUdebrant, den eilenden^
die nun alle ihre leute verloren haben — was schliesslich auch aus
Etzel? Mag uns heute das Nibelungendrama vollendet und in sich
abgeschlossen erscheinen ~ das publikum an der wende des 12. und
13. Jahrhunderts konte darüber ganz anderer ansieht sein.
Nun finden in der tat alle jene fragen eine — wenn auch nicht
überall befriedigende — beantwortung in jenem gedichte, das uns in
den handschriften als anhang zum Nibelungenliede erhalten ist, mit
der benennung (v. 2160): diu klage. Oder vielmehr (genauer aus-
gedrückt) in einem teile dieses gedichts. Denn dasselbe zerfalt sei-
nem Inhalte nach in zwei an umfang ziemlich gleiche abschnitte. Der
vordere gibt einleitungsweise (bis 293) in kurzen zügen eine darstel-
lung vom untergange der Nibelungen; alsdann werden (294 — 1269)
die einzelnen hervorragenden beiden der Burgunden, Hunnen und
Amelungen aus ihrem blute weggeschaft und bestattet Bei jedem
erhebt sich neue klage der überlebenden. Da wir etwas diesen klagen
entsprechendes in unserer älteren litteratur nicht besitzen, so lassen
wir es auf sich beruhen, ob dieser teil des gedichts, der beinahe jeder
handlung entbehrt, seinem inhalte nach im geschmacke der alten sage
oder des neueren ritterromans ist, und ob er überhaupt für einen fort-
setzer der Nibelungenlieder notwendig war. Der zweite teil, von 1270
an, gibt dafür das gewünschte. Die überlebenden, Etzel, Dietrich, HU-
debrant, senden boten nach Bechelaren und Worms, an ihrer spitze den
spilman Swemmelin, der schon das botenamt versah, als er die Bur-
gunden zu dem verhängnisvollen feste lud. Man kent ihn daher in
Worms bereits (1792). Die rüstungen und streitrosse von Rüedeger
und Ounther führen sie mit sicL So geht es zunächst über Wien
nach Bechelaren. Gotelint und DieÜint, die bereits infolge von träu-
men und der art und weise, wie sie die boten dann herannahen sehen,
ZUR KLA.OK 147
von bösen ahnnngen erfült sind, will man zuerst, dem geböte Dietrichs
gemäss, mit der lüge abspeisen, Rüedeger sei mit Etzel auf der her-
fiihrt begriffen. Allein als Dietlint weiter in die boten dringt, wie
denn Eriemhilt den Hagen, wie sie Günther empfangen, ob sie beiden
verziehen, vor allem wo denn ihr bräutigam Oiselher bleibe, und man
sie auch jezt noch mit falscher hofnung trösten will — da kann einer
der boten sein schluchzen nicht mehr zurückhalten und nötigt zum
geständnis der Wahrheit Jedoch lässt Etzel versprechen, dass er für
beide frauen wie ein vater sorgen wolle; auch Dietrich entbietet ihnen
seinen dienst und stelt seine baldige ankunft in aussieht Von hier
machen sich die boten nach Worms auf den weg. Ootelint kann sie
vor trauer bei ihrem abschiede nicht empfangen (1635), nach wenig
tagen stirbt sie vor gram (2115). Dietlint behält noch so viel besin-
nung, um den verwanten in Worms melden zu lassen, dass sie mit
Oiselher verlobt gewesen sei (1640). Beim weiterzuge der boten nach
Worms tauchen nun alle alten bekanten aus dem entsprechenden teile
des Nibelungenliedes, dem zuge der Burgunden von Worms nach Beche-
laren, wider auf: zunächst Filgerim von Passau, bei dem das gedieht
lange verweilt 1647 fgg.; er ist ja nächster verwanter, frtmn Uoien
swesterkint Der bösen Baiem wird gedacht 1745 fg., die jedoch dies-
mal ganz zahm sind, aus respekt vor Etzel (vgl. ihr verhalten gegen
Werbel und Swemmel Nib. 1369 aus dem gleichen gründe), ja die
boten mit gäbe unterstützen. Else hört, wie es den Burgunden ergan-
gen und freut sich, nunmehr an Hagen und Dancwart für seines bru-
ders (Oelphrat, der name wird nicht genant) tod gerächt zu sein (1753
— 1763). In Worms sodann finden sich (1765 fg.) alle jene personen
vor, die das lied dort zurückgelassen: Brünhilt, der junge könig, Bu-
molt, dem Nib. 1459 Günther weib, kind und reich übergeben hatte —
und der Verfasser verfehlt nicht, auf RümoUes rät mit nachdruck hin-
zuweisen El. 2010, 2029 fgg.: wie es scheint in den damaligen ritter-
lichen kreisen ein beliebtes motiv, das auch Wolfram im Parziv. 420,
26 — 30 verwendet Auch Sindolt der schenke tritt auf (1872). Nur
Hunolt fehlt, der im liede anfangs immer mit Sindolt zusammen
erscheint und in A mit ihm zusammen (719) zum lezten male genant
wird, während ihn C an dieser stelle nicht erwähnt Uote erscheint
von ihrem sedelhof bei der von ihr gestifteten abtei ze L&rse (1842),
vgl. Nib. 1082, 5 %. (nur in G). Dort wird sie auch bestattet, als sie
vor gram gestorben ist (1992). Brünhilt hat als anstifterin von Sieg-
frieds ennordung die lezte schuld am ganzen unheil, darf also nicht
straflos ausgehn, wo die andern dem furchtbarsten geschick verfallen
10*
148 BIBOIR
sind. Sie einfach infolge Schmerzes mn die gefallenen sterben zu las-
sen, wie Ootelint und üote, schien dem dichter mit der Brünhilt des
lY. liedes und der brautnacht doch nicht vereinbar, auch war das
motiv verbraucht; daher deutet er ihren ungeheuren seelenschmerz an,
in der selbstanklage, El. 1987 — 1991.
Bis hierher reicht, um mich so auszudrücken, der destruktive
teil des gedichts: nunmehr begint der Verfasser wider aufzubauen. Sche-
rer (L. G.^ s. 124) charakterisiert den eindruck, den der schluss von
der Nibelunge not auf den heutigen leser macht, mit den worten:
„Bliebe uns die hofaung, dass Dietrichs loos sich mildem werde, dass
noch unter seinem kraftvollen regimente iigendwo das heil erblühen
könte, so hätten wir die empfindung wie am schluss einer Shakespeare-
schen tragödie, wo, nachdem eine generation voll sünde und schuld
dahingeraft ist, nun unter führung eines jungen, reinen beiden ein
neues leben zu beginnen scheint Aber es ist nicht so. Der dichter
eröfnet uns keinen solchen beruhigenden ausblick. Er sagt ausdrück-
lich, dass er nichts mehr zu berichten wisse, als dass man die ge&l-
lenen beweinte. Dieser Etzel, dieser Dietrich, dieser Hildebrant, die
an dem grabe des liebsten stehen, was sie besassen, haben keine zukunft^.
Wie disharmonisch muste dieser ausgang des ganzen das publikum
berühren, das keinen rechten sinn mehr für. die alten heldenlieder in
ihrer grossartigen tragik hatte, das publikum der höfischen ritterromane!
Schon aus diesem gründe verlangt das Nibelungengedicht in jener
weicheren zeit einen anhang, der das gewaltige drama wenigstens durch
frohe ausblicke in die zukunft mildert Nun ist ja für den haupthel-
den des Nibelungengedichtes, Siegfiried, gleichsam schon gesorgt in
jenem gedichte selbst: Nib. 659 fg. wird ihm ein söhnlein geboren,
Günther nach seinem seh wager genant; dieses söhnleins gedenkt der
sterbende sorgend 936; Eriemhilt (1030) befiehlt es der obhut ihres
heimziehenden vaters, den sich der teilnehmende leser auch nach der
katastrophe an Etzels hofe gleichfals noch am leben denken kann.
Für das buigundische haus sorgt unser Verfasser: die koesten und die
besten (El. 1998) versammeln sich auf die nachricht Swenmiels hin bei
hofe, und das um seinen rat befragte volk schlägt vor, den jungen
könig (Stvrit 11, Nib. 662) zum ritter zu schlagen und ihn under kröne
ffin zu lassen; so werde man nicht mehr ohne voget sein und der
königin ein teil erleschen ir ungefilegen Möge. Schon Filgerim (El.
1725 fgg.) hatte den boten aufgetragen, die Ountheres man an ihre
treue gegen diesen und den jungen könig zu mahnen, den sie xe
einem man xtehen sollen. Dann tröstet Sindolt (Kl. 1878) Brünhilt
ZUR KIAGfi 149
damit, dass er ihr die aussieht auf krönung ihres sohnes eröfnet End-
lich dringt Rumolt (KL 2039) auf ausführung des beschlusses. So wird
denn zu Worms das fest der krönung gefeiert (2046). Der leser kann
befriedigt abschied nehmen.
Nun zu den Amelungen. Dietrich tritt mit Hildebrant die rück-
kehr in sein reich an, nimt aber seine verlobte Herrat, Hdchen swe-
ster iohter, mit (zweimal im lied erwähnt, Nib. 1321 und 1329, ohne
dass sie dort irgendwie selbständig hervortritt). So braucht der leser
auch an seinem Schicksale nicht zu verzweifeln: dieser Dietrich und
damit auch sein getreuer Hildebrant haben eine zukunft! — Aber auch
über Dietlints geschick werden wir einigermassen beruhigt Dietrich
berührt, wie er versprochen, Bechelaren, wo er freilich Gotelint tot
findet Herrat küsst die verwaiste Dietlint, drückt sie an ihre brüst
und verheisst ihr, so lange Dietrich lebe, solle sie nicht verlassen sein
(El. 2120 fgg.) — eine anmutige, echt höfische rührscene! Dietrich
selbst aber schwört ihr 2136: sol ich deheine tvUe leben, ich ttnl dich
einepn manne geben, der mit dir boive diniu lant Er befiehlt sie ir
vater mannen, Sie erschrickt (2141), dax diu vü grdxe ere (über das
land ihres vaters zu herschen), an si eine was komen. Der dichter
versichert dann noch, dass man ihr alle ihr zukommende ehren habe
zu teil werden lassen, dass niemand ihr etwas zu leide getan, und
dass sie vil gerne des ihr von Dietrich versprochenen gatten gehart
habe. Dass der versprochene gemahl nicht noch wirklich eintrift, und
dass das ganze nicht mit einer hochzeit abschliesst, ist nicht schuld
unseres Verfassers: er hatte eben beim besten willen keinen der bei-
den aus diesem kreise mehr zu vergeben, und für den alten Hildebrant,
der Eriemhilden in zmsinne erschlagen, war sie ihm doch zu gut
Wie viel besser war da der dichter des Schlusses der Eudrun daran:
dem gestattete die zahl der glücklich geretteten, zulezt eine drei&che
hochzeit zu veranstalten! — Am schlechtesten komt der arme Etzel
weg, der überhaupt durchweg mit grosser Ungunst behandelt ist und
wenig mänlich und königlich erscheint (El. 415 fg., 425, 510 fg., 1155,
2091 fg.). Allein der ist ja ein beide! Er war zwar fünf jähre lang
Christ, hat sich aber durch seine abgot wider zum abfalle verleiten las-
sen (El. 494 fgg.). Über ihn und sein Schicksal sezt sich der höfische
leser noch am ehesten hinweg. Er muss denn auch daran verzweifeln,
dass ihn gott von neuem annehmen will; er hat keinen trost als den
tod (496 — 504). Er ist zulezt von allen verlassen, niemand kümmert
sich um ihn (2100), er ist nicht tot und nicht lebend, swebi in einem
twalm (2098). Der dichter weiss nichts von seinem Schicksale, nach
IM) BIE6ER
abzug der Amelonge (2101 %.)) ^^ ^^ J^ &uch in der sage hiemach
YöUig spurlos verschwindet
Verdankt aber die Klage oder doch der von uns betrachtete teil
derselben seine entstehung dem höfischen geschmack, den der abschluss
der Nibelungentragödie nicht befriedigte, so muss sich zeigen, wie auch
im einzelnen die ganze behandlung der aus der Nibelungensage über-
nommenen personen demselben rechnung trägt Bei weitem im Vor-
dergründe des Interesses steht f&r den höveschen man natürlich das
weih Kriemhilt Mit ihr beschäftigt sich unser dichter ganz beson-
ders angelegentlich und oft. Man denke sich die Eriemhilt, die den
eigenen söhn mit Überlegung und absieht ihrer räche opfert (wenigstens
in der fassung von AB str. 1849), die ihre am morde des gatten
unschuldigen brüder Oemot und Giselher mit. ins verderben stürzt, mit
dem blutigen haupte ihres bruders Ounther vor Hagen tritt, diesen
selbst schliesslich enthauptet, vor dem forum jener ritter und damen!
Ihre handlungsweise also bedarf in jeder hinsieht der erklärung, recht-
fertigung und, wo es angeht, milderung. Was das lezte betrift, so
lässt unser gedieht 1968 Eriemhilt Hagen nicht eigenhändig das haupt
abschlagen, nur den befehl zu seiner und Günthers abschlachtung
geben, während allerdings 367 und 374 mit der fassung des Nibelun-
genliedes stimmen. Freilich hält es an der lezten stelle der Verfasser
für nötig, gegenüber seinem publikum, das die tötung des grimmen
Hagen durch weibeshand für lüge halte, sehr energisch die Wahrheit
des geschehenen zu betonen! Davon, dass sie Ortlieb opfert, erwähnt
unser dichter nichts, wie ja auch die fassung C des liedes diesen
besonders grauenhaften zug der älteren dichtung beseitigt hat Sehr
warm ist seine Verteidigung Eriemhilts. Yor allem ist es ihm natür-
lich um ihr Seelenheil zu tun. 279 %g. wendet er sich deshalb gegen
die, welche meinen:
— dax si deir helle swaere
habe von solhen schulden,
daz si gein gotes htUden
geworben hab sd verre,
dax got unser herre
ir s6le niht enwoÜe —
eine stelle, die ja ausdrücklich den eindruck bezeugt, welchen die
Eriemhilt des Nibelungenliedes auf das damalige publikum machen
muste. Der dichter weist jene ansieht scharf zurück: man solle nicht
lieblos über andere urteilen, niemand sich so von sünde frei dünken,
ZÜB KLAGE 151
dÜBS er der gnade gottes nicht bedürfe; die sei aber Eriemhilt sicher
KU teil geworden, da sie ja mit dem tode gebösst und alles, was sie
getan, nur aus iriuwe getan habe. Denn ihr verrat an den Burgun-
den ist eben nur scheinbar tmtriuwe: sie ist kein mann, der sofortige
appell ans schwort ist ihr versagt, 64 fgg.:
sine haete mit ir henden
ob si möhte sin ein man,
ir sehaderij als ich mich verstän,
errochen maiiege stunde,
geschehen ex niene künde:
wan si haete vrowen lip.
Jene triuwe als einziges motiv behandeln auch 69 — 79:
tvan ex ir rechen gexam,
des ensol si nieman schelten und
stver dax maere merken kan,
der sagt unschiddic gar ir lip,
wan dax dax vil edel toip
taste nach ir triuwe
ir räche in groxer riuwe.
Wer solte, fügt der dichter hinzu (70 fgg.)? künftighin noch den mut
haben, eine tat der treue zu volbringen, wenn man es den entgelten
lasse, der rehter triwen künde phlegen? Ja unser dichter lässt sogar
Etzeln selbst eben diese „treue", durch die er alles verloren hat, noch
preisen 415 fgg.:
het ich die ganxen triuwe
an ir werden Übe erkant,
ich het mit ir elliu lant
gerümet e ich si het verlorn.
getriuwer tatp wart nie gebor^i
von deheiner muoter mere.
Man beachte, wie diese gattentreue in den lezten liedem der Nibelun-
gen in den hintergrund tritt, und Kriemhilt immer nur als die välen-
tinne erscheint Daher denn ihr tod durch Hildebrant, den wir am
Schlüsse des XX. liedes fast wie eine woltat, eine notwendige sühne
empfinden, hier scharf verurteilt wird, 366:
di mit unsinne het erslagen Hiltebrant; 375 fgg.: dar umbe vlds
och si den lip von Hildebrant äne ndt man klagt der kilni-
ginne tdt deiswär von allem rehte, rtter unde knehte die tätenx
piUiche.
152 SIEGER
399 klagt Hildebrant selbst um sie. Dem Zugeständnis 652 %. het
diu künigin dax eine län, dax si Bloedelinen usw. — so entaaere ez
allex niht getan folgen 657 die werte ex was also gebrouwen vofi des
tievels schulden , um Kriemhilt zu entlasten! 954 fg. muss ganz
algemein (ähnlich wie 65 fg. die physische schwäche des weibes) weib-
liche kurzsichtigkeit, Unzulänglichkeit weiblichen Verstandes, infolge
dessen es ihr nicht gelungen sei, ihre räche so einzurichten, dass
ihre brüder, vor allem Gernot und Giselher verschont blieben, als eine
art von entschuldigung herhalten. Ganz ähnlich 130 fgg.:
diu enhet sin alsd niht gedäht.
si het ex gerne da xuo bräht,
dö six brüefen began,
dax niwan der eine inan
den Up haete verlorn.
Also sie hätte, als sie ihren racheplan auszuführen begann, nicht
gedacht, dass es soweit kommen würde, und ganz fatalistisch heisst
es kurz vorher, aber in demselben sinne, 119 — 123:
swie gern in (Hagen) het gescheiden dan
KrimhiÜ diu künigfn,
des enkunde niht gesin:
dd lie six als ex mähte,
wan ex niht anders tohte.
Kriemhilts guter wille, das wird immer betont, war vorhanden, aber
es muste eben so kommen! Sehr bezeichnend ist auch 144: da wird
hervorgehoben, dass das ganze unheil hätte leicht verhütet werden
können, wenn jemand Etzeln davon mitteilung gemacht hätte, dass in
so vient waere Krtmhilt ir swester (vgl. 473):
die von Burgonde lant
Uexenx durh ir übermuot:
dö het och KriemMU tool behuot
mit Ustecltchem sinne,
dax ers niht wart inne.
Also, wenn die Burgunden, die bedrohten, Etzeln keine mitteilung
von den ihnen bekanten absiebten der Schwester machten, so war dies
von ihr erst recht nicht zu verlangen. Einzig ihr Übermut brachte
jene ins unglück. Der dichter, wie man sieht, quält sich formlich ab,
entlastende momente für Kriemhilt zu finden! Bedenklich viel wird
freilich dem urteile des lesers zugemutet, wenn Ejdembilt 405 gerühmt
wird, dass sie ie unvalschiu wort hete M ir Übe.
ZÜB KLAGE 153
Alles Unheils Ursache wird dagegen zusammengehäuft auf das
haupt Hagens, der es fertig gebracht hat, Kriemhilt zu allen zeiten
Schmach und schände ohne zwingenden grund zu bereiten (El. 2019
fg.) — derselben Kriemhilt, die noch im tode Dietrich durch ihre Schön-
heit zur bewunderung fortreisst (Kl. 386 fg. : wir sehen wie der dichter
bestrebt ist, auch hierdurch ihr die Sympathie seiner höfischen leser zu
gewinnen!) Auch Bumolt meint 2022: dar umbe ichz ir niht totxen
tüü. Wenn 625 fg. der alte Hildebrant beim anblicke von Hagens
leiche in die worte ausbricht:
nu seht wä der välant
ligty der ex aUex riet
dax manx mit gttote niht enschiet,
dax ist von Hcujen schulden,
xe miner frowefii hulden
möhten si wol sin kom^n,
so klingt das fast wie bewuste replik auf die worte Hagens zu Kriem-
hüt, Nib. 2307, 3 fgg.:
du hast ex nach dinem toillen xe einem ende bräht,
und ist och rehte ergangen als ich mir hite gedäht usw.
den schatx weix nu nieman wan got unde min:
der sol dich vcUentinne immer gar verholn sin!
Kl. 648 fg. wird dem Hagen gefltuxhet sere von den leuten, die seine
leiche gewahren. Ebenso flucht ihm bischof Filgerim 1710:
dax in sin muoter ie getruoc,
dax milexe got sfn gekleit,
dax sus lange wemdex leit
und also grim/miu maere
und och sd vil der swa/ere
von im ist erstanden
sd totten in den Ui/nden.
Wenn aber über den tod Hagens sogar die als roh und gewalt-
tätig verschrieenen Baiem sich freuen, 1761, weil er künde strtts
nie werden sat, so fahrt uns dies zu einem dem bisher besprochenen
verwanten, durch den höfischen geschiüack hervorgerufenen momente,
der degeneration der alten recken als solcher. Wir finden —
worauf W. Scherer hingewiesen hat — diese erscheinung schon inner-
halb der Nibelungenlieder. Der kecke, tolkühne, mit der türe ins haus
fallende Siegfried des ersten liedes (Nib. 56. 59, 106 — 109, 121, 124)
wird im dritten glatt, höflich, ein sentimentaler schäfer (Nib. 284 %.,
*- jr*"
154 BiiexB
290 fgg., 319)) der sich nicht einmal mehr zutraut, die liebe eines
mädchens zu erringen; Günther, an dem im ersten liede „jeder zoll
ein könig^ war, verfalt im zweiten liede infolge der kxiegserkläning
der Sachsen und Dänen förmlich in melancholie (Nib. 146, 152, 154,
157, 4). In unsrem gedichte ist es £tzel, der, wie schon angedeutet,
zu einer ganz würdelosen rolle degradiert wird, während er im liede
zwar gutmütig, aber doch würdig und königlich erscheint (vgl z. b.
Nib. 1833 — aber er ist dann unversöhnlich 2026, 3 fgg.; 2032;
2074, 4). Hier ist sein gebahren weibisch; das sagt ihm Dietrich ins
gesiebt Kl. 509 fgg.
ach &ive dirre maere,
gefreischt man diu in dax lant,
dax ir mit tointender kant
stit als ein bloede wip,
diu ir xukt und ir Itp
fläch friunden sire hat gesent
In Ohnmacht fält er dreimal: 425, wo ihn Dietrich ebenfals darum
tadelt, 1154 und 2092. 317 fgg. wird die art seines tvüefens als laster
für ihn bezeichnet, wofür er aber kein gefühl mehr habe, weil er den
sin verwandelt. Wenn er 415 fgg. die ihm so verhängnisvoll gewor-
dene treue Kriemhilts gegen den ersten gatten preist, wird ihm schon
einiges zugemutet Die werte dort: ieh het mit ir eUiu kmt gerümt
e ich si het verlorn in seinem munde heben Kriemhilt auf seine Unko-
sten; des herschers eines so grossen reiches, als der Etzel zu denken
ist, sind sie wenig würdig. Noch sei bei dieser gelegenheit den sehr
interessanten versen, Kl. 479 — 504, enthaltend Etzels selbstanklage,
eine betrachtung gegönt Er gesteht, dass seine heidengötter ihm nichts
geholfen, dagegen ihn der christengott gestraft habe, weil er, der
fünf jähre Christ gewesen, wider abgefallen sei. Jezt werde ihn gott,
wenn er sich abermals bekehren wolle, gar nicht wider annehmen.
Dieses motiv der vemoijierung Etzels findet sich nun auch in der £as-
sung G des liedes: Büedeger, als werber für Etzel bei Kriemhilt, weist
deren bedenken, einem beiden sich zu vermählen, vornehmlich damit
zurück, dass er bereits Christ gewesen sei, jedoch wider abgefiallen;
würde Kriemhilt sein weib, so m>öhte stn noch werden rät (Z. 192, 3).
Wir sehen, die aus diesem motiv gezogenen folgerungen sind dort ganz
verschieden, ebenso seine Verwendung. Wir bemerkten oben, dass
diese epoche mit ihren gemilderten sitten, ihren weicheren empfindun-
gen, kein rechtes Verständnis mehr haben konte für die grossartige
tragik der alten heldensage. Das über ganze geschlechter herein-
ZUR KLLQiE 155
brechende unheil erschien ihr zu ungeheuer, der Untergang dieser hel-
den zu furchtbar; sie fragte sich: wo sind die diesem Verhängnis ent^
sprechenden Verschuldungen?! Etzel, der, in der deutschen sage kei-
neswegs als „geissei der Völker^ erscheinend, bruder, weih, Mnd und
die besten seiner mannen verliert, stelt also dem höfischen verfiisser
nicht das leichteste problem — selbstredend nur dem duldsamen. Dass
aber der unsere nicht zu den religiös unduldsamsten gehört, das zeigt
neben der naiven bemerkung 437 igg,: svne si wären beiden, och
toas xerbannen umbe sie, der umstand, dass man 1170 %. auch Bloe-
delin christlich begräbt, für seine seele betet und Dietrich cds es triii'
wen iöhte pfaffen herbeiholt den beiden, der och die gexmn. Dazu
1089 fg. Wer so denkt, der kann sich nicht damit zufrieden geben,
dass gottes Strafgericht einfach deshalb über Etzel hereinbricht, weil er
eben beide ist. Etwas anderes freilich ist es, wenn dieser, der sd vü
der recken in kristenltcher i bei sich hat, selbst fünf ganze jähre Christ
war, dann aber got betrouc — gleichviel, ob unser dichter dies motiv
erfunden hat oder ob er es aus C, wo es ganz anders verwendet ist,
herübemahm.
Für die Burgunden dagegen ist die alte Verschuldung, Siegfrieds
ermordung, schon durch die sage gegeben; sie braucht nur inmier ins
gehörige licht gerückt zu werden. Und das unterlässt unser dichter
bei keiner gelegenheit So heisst es El. 98/99 ich waen si dUer sünde
enguÜen, und nicht mere — lezterer zusatz, wenn er nicht blos den
vers hat füllen sollen, sieht gerade aus wie eine abwehr derer, die
das geschick der Burgunden etwa zu hart finden könten; 113/14 dd
nrnose in misseUngen von einen (Uten schulden; 635 fg. Hildebrant in
den mund gelegt:
ich enkan mihs anders niht verstin,
wan dax die helde üxerkam
den freisUchen gotes xom
nu lange her verdienet hdn.
Auch meister Hildebrant wird schwach und ohnmächtig: El.
1044 %g. soll er Büedegers leiche aus dem blute heben; doch sie ist
ihm zu schwer, die ihm von Hagen geschlagene wunde bricht wider
auf, und er sinkt über der leiche zusammen. Etzel selbst begiesst ihn
mit Wasser — ganz wie es sonst den weibem geschieht, die ja fast alle
ihre ohnmacht durchmachen. Out, dass sich der alte beld wenigstens
später seiner schwäche schämt, 1059!
Recht charakteristisch sind die verse El. 695 fgg. über Volker.
Unser dichter besorgt, die leser könten bei dem küenen spilman etwa
156 BIEGEB
an einen „fahrenden^ ihrer zeit denken. Daher die ausdrückliche Ver-
sicherung, Volker sei aus freiem geschlechte und habe schönen frauen
ritterlich gedient.
Wir wiesen schon darauf hin, wie EL 144 fg. die Burgunden
gleichsam selbst filr ihr geschick verantwortlich gemacht werden, weil
sie durch ir übermuot Etzeln nichts vom zorne Eriemhilts gegen sie
verrieten. Derselbe gedanke begegnet uns auch Nib. 1803. Der unter-
schied zwischen dieser und jener stelle liegt in der art und weise,
wie im liede dies motiv so ganz beiläufig eingeflochten vrird, nur um
zu zeigen, wie bei einem haar der grimme unde starke hass Eriem-
hilts doch nicht zum ziele gekommen wäre, gegenüber der rolle, die
es in der klage spielt Der dichter wird nicht müde es immer wider
aufisu tischen:
El. 456 dax si daz verdagten mich,
dax kom von ir übermuot
472 dwe dax nieman mir verjehen
toolde der rehten nuiere,
dax in sö vtent waere
KrimhiÜ ir swester!
558 ja waerex anders mir geseit
ir tot und min arbeit
het ich wol understän.
628 (Worte Hüdebrants):
ja het wir vemomen
harte wol diu maere,
tair heten iwer swaere
vü wol understanden.
607 waer ex mir ^ kunt getan,
si müesen alle stn genesen.
Dass dieses schweigen als falscher stolz gleichsam den Burgunden zum
Vorwurf gemacht vnrd, kenzeichnet die auffassung unseres gedichtes:
die recken hätten also von vornherein bei Etzel gewissermassen um
schütz gegen die Schwester bitten sollen?!
Bezeichnend für höfische auifassung ist die stelle El. 796 %g.
Dass schoene meide unde ivtp die toten, die doch den Uuten rehte
ungenaeme sind (1137), ihrer blutigen rüstung entkleiden müssen, weil
es an männem fehlt, steigert noch das jammervolle der läge. 800 hält
der Verfasser es für angezeigt, sich ausdrücklich auf seine quelle zu
berufen, damit man ihm glaube. 803 fg. weint Etzel am allermeisten
zun KLAGE 157
gerade darüber, und als er dann gesunder manne vil (806) herbei-
kommen sieht, raft er, der sonst nichts kann als jammern, sich um
der taip willen zu einem anMl von zom auf, 808:
weit ir des haben ire,
dax totp mit töten umbe gänt usw.
Noch sei der etwas sentimentalen scene EL 1428 fgg. gedacht.
Küedegers ross, sonst gewohnt sich mit dem zäume loszureissen und
zurückzulaufen sobald es seinen herrn vermisst, lässt sich jezt gedul-
dig von den knappen führen, nur von zeit zu zeit sich umsehend: es
weiss eben, dass sein herr tot ist! Das erinnert fast an Iweins gefühl-
vollen löwen.
Unsere auffassimg von der entstehung der Klage oder vielmehr
ihres zweiten, eine wirkliche handlung darstellenden teiles steht nun
allerdings im Widerspruch mit deijenigen des auch um unser gedieht
verdientesten forschers, E. Lachmanns. Sein urteil lautet (Zur Klage
s. 287): „Das gedieht von den Nibelungen hat augenscheinlich in der
Klage nicht fortgesezt werden sollen, obgleich sie die handschriften
derselben beifügen. Ja, der dichter hat es nicht einmal gekaut: wann
und wie Etzeln gaste in Heunenland gekommen (sagt er 85), wisse
er nicht, sondern nur dass herren und mann gar freudig von über
Rhein gefahren seien. Kleine Widersprüche und auslassungen würden
so viel nicht beweisen: aber hier sagt er ausdrücklich, von einem
bedeutenden teile der sage sei ihm nichts bekant^. Allein wir sahen
oben, dass der Verfasser der Klage seine boten nach Worms ganz den-
selben weg nehmen lässt, den die Burgunden im liede in umgekehrter
richtung einschlagen, um den aufenthalt bei Pilgerim beiseite zu las-
sen, da Lachmann diesen erst bei Vereinigung von E[lage und Nibe-
lungen in diese lezteren hineingetragen sein lässt: wenn die boten
durch Baiem und Schwaben ziehen (Klage 1745 fgg. — Nib. 1433 usw.);
wenn es heisst, wer in in Beiem vnderreit, von den wart in nikt
getan, also nach dem ganzen zusammenhange der stelle mit beziehung
darauf, dass die Burgunden damals von den Baiem angegriffen wor-
den sind; wenn Elses und seines von Hagen und Dancwart erschlage-
nen bruders erwähnung geschieht — so wird damit doch Kl. 85 wert-
los gemacht Wir werden auf diesen Widerspruch noch zurückkommen.
Ob der Verfasser gerade eine der uns erhaltenen fassungen des liedes
gekant und benuzt hat, und welche von ihnen dies gewesen ist; ob
und wieweit in eine derselben widerum motive der Klage verarbeitet
worden sind — das alles bleibe dahingestelt Nur auf eines sei es
WV# ■«!.- . '«»..■
158
erlaubt aufinerksam za machen. Es gibt mehrere wörtliche Überein-
stimmungen zwischen stellen der Nib. und der Klage; man Tergleidie:
Nib. 1010, 1 ein jaemerltchex scheiden wart dd da getan
mit EL 1213 ex tvaa ein grimmez scheiden von kneten und von
heiden;
ebenso Nib. 1369, 2 ir silber unt gewant dax ennam in nieman:
man vorkte ir hSrren xom
mit El. 1745 eioer in in Beiren tviderreit, von den wart in niht
getan (dax muost man durch ir herren län);
Nib. 1417, 4 durch dax er videlen honde, was er den' spilman genant
mit El. 695 durch dax er videlen künde, dax vctk m xe aller stunde
hiex einen spilman;
Nib. 1772, 2 küener videlaere toart noch nie dehein
mit El. 672 kiiener heU xen handen videlns nie mSr began;
Nib. 1803 mit El. 456 und 472 (s. oben);
Nib. 2015, 2 %. dax bhwt allenthalben durch diu Weher vldx und
da xe den rigelsteinen von den töten man
mit El. 819 dax bluot allenthalben vldg durch diu rigeUoch hemider;
Nib. 2139, 4 vater aUer tagende lac an Räedegere tÖt
mit El. 1066 dß truog man RüedegSre, vater aller fügende;
Nib. 2260, 4 owi dax vor leide nieman wol sterben mac
mit El. 1033 dwi dax nieman sterben mac unx im kumt s^ lester tae
(beidemal worte im munde des verzweifelnden Dietrich!) — Nun ist
die frage, ob in diesen stellen, die meist dem lezten drittel der Nibelun-
gen angehören, da es ja eben die Elage mit dem untergange der Bur-
gunden zu tun hat, jeder mit Müllenhoff (ZONN. s. 79) nur formein
und ausdrücke sieht, wie sie in aller epischen poeeie feststehn und
sich selbst in liedem aus ganz verschiedenen gegenden widerholen.
Wir haben, als wir die entstehung unseres gedichtes nachzuweisen
suchten, nur die handlung im zweiten teile desselben in betracht gezo-
gen; für den ersten Hessen wir die sache unentschieden. Wir woll^i
jezt soweit gehen, zu sagen: wer dem Nibelungenliede in dem von uns
gekenzeichneten sinne fortsetzung und abschluss geben wolte, der
konte zwar passend die aufhebung der toten und die klage der hinter-
bliebenen mit berichten; aber er hätte dieses aller handlung bare
moment schwerlich zu solcher länge ausgesponnen. Dazu stiessen wir
bereits auf Widersprüche im einzelnen zwischen beiden teilen des ge-
dichts. Im vordem wird ausdrücklich die ermordung Hagens durch
Eriemhilts eigene band hervorgehoben, El. 367 — 374, aber 1968 tg.
heisst es den recken loblichen hiex si beiden nemen den %>. Auf den
ZUR KLAGK 159
widersprach zwischen v. 85 und der darstellung der botenreise 1745 —
1763, durch die der Verfasser beweist, dass er vom zuge der Burgun-
den nach Etzels hofe recht wol weiss, machten wir eben aufmerksam.
Lachmann („Zur Klage ^ s. 288) nent noch 246 und 961, wo Gemot
schuldig, 1705 wo er unschuldig sei; auf den saalbrand, der 294 und
854 erwähnt, sei später keine rücksicht genommen; Irincs tod (209,
540, 1186) fehlt in des spielmanns erzählung 1925. Dass der vordere
teil des gedichts als steril und langweilig bezeichnet werden muss,
während der hintere entschieden anmutige scenen bietet (Lachm. a. a. o.
8. 289), könte man der Verschiedenheit des inhalts zuschreiben, beweist
an sich nichts, gewint aber an bedeutung im verein mit andern beweis-
momenten.
Wie steht es nun mit der Verknüpfung der beiden teile? liest
man von 1247 an, wie Dietrich und Hildebrant beschliessen, mit Her-
rat Etzel zu verlassen, wie dann die waffen und rüstungen aufgesam-
melt und aufgehoben werden, so hat man mit 1273, 1 den eindruck,
dass doch hier eigentlich die sache zu ende sei, und ist, wenn man
den inhalt des ganzen nicht schon vorher kent, höchst neugierig, was
denn nun noch kommen solle ! Nun geben Dietrich und Hildebrant im
folgenden (1273, 2 %g.) Etzeln den rat, jene waffen den waisen der
gefiEdlenen zuzusenden. Woher diese plötzliche Sinnesänderung, nach-
dem soeben beide geraten haben, die waffen zu behalten und aufzu-
bewahren, und nachdem Dietrich beim anblick der herrenlos daliegen-
den Waffen 1263 geäussert hat, die entoixxen tuir wem nu geben?
Warum komt ihm jener gute gedanke nicht gleich hier? Dazu tritt
doch die Zusendung der waffen, durch die Etzel die jungen (1279)
sich geneigt machen soll, im folgenden überall recht sehr in den hin-
tergrund. Von einer eigentlichen Übergabe der waffen ist nirgends die
rede, nirgends findet sich eine hervorhebung oder erwähnung dessen,
dass Etzel es sei, der ross und wehr als geschenk sende, vgl. 1468 i^.,
1613—1769 ^., 1776, 1792: hauptsache ist überall die botschaft
Denken wir uns, der vordere teil, die eigen tliche „ Klage ^, habe, ein
selbständiges poem, mit dem entschlusse der Amelunge abzuziehen und
mit der aufsamlung der waffen geendet, so gehörte für den fortsetzer
nicht alzugrosse erfindungsgabe dazu, an diese waffen seine botschaften
so anzuknüpfen, dass die Zusendung derselben an die hinterbliebenen
als veranlassung für die botschaft hingestelt wird. So liess er den
schluss seines Originals unangetastet — wie er den an£Etng unangetastet
gelassen hat Denn wenn es v. 10 fgg. heisst:
160
des en kundez mhi beMben,
e% enst och da von bekant,
tme die von Burgonde lant
bt ir xttn und bt ir tagen
mit iren heten sieh betragen,
so können diese lezten drei zeilen doch unmöglich auf den inhalt des
ganzen gedichtes oder auch nur des ganzen vorderen teiles gehen, son-
dern nur auf 13 — 293. Der sinn der stelle kann dann wol nur der
sein, dass unser zweiter Verfasser sich gleichsam entschuldigt, dass er
noch einmal den inhalt der Nibelunge ndt, den er sonst mehrmals als
bekant voraussezt (24, 800, 2011), gebe; allein sein original, das buoch
des iihtaere verlange es so. — Ein zweites moment komt bei jener
stelle hinzu: der 1250 gefosste plan der Amelunge, heimzuziehen, mit
Herrat, komt erst 2076 fgg., ganz am Schlüsse des ganzen, zur aus-
führung. Ist unser gedieht ein einheitliches werk, so versteht man
nicht, was dieser verschlag dort soll, vor absendung der boten, deren
rückkehr abgewartet werden muss. Anders, wenn 2056 fgg. dem fort-
setzer von 1250 fgg. angehört
Wenn nun am Schlüsse erzählt wird, der bischof Pilgerim von
Passau (der zweifelsohne schon 22/23 gemeint ist), habe üx Hebe der
nefen sin das maere lateinisch ab&ssen lassen (vgl. auch 1730 — 1741
und 2050 fg.), so liegt doch an sich kein grund vor, diese angäbe völ-
lig in den wind zu schlagen. Warum soll nicht in dieser notiz Wahr-
heit und dichtung sich mischen, und soviel wahr sein, dass das latei-
nische original am hofe Pilgerims, ende des 10. Jahrhunderts, entstanden
ist? War es eine prosaniederschrift, wie man nach 2148 und 2156
denken könte — oder hat vielleicht ein geistlicher am bischöflichen
hofe, ein gewanter versificator, eine lateinische elegie „de caede Nibe-
lungorum" verfasst, deren hauptinhalt die querellae bildeten? Daneben
erscheint als quelle das buoch eines ühtaere (9 fg.; desgl. 285, 1 des
buoches meister und 800 der meister)^ jedesfals die direkte vorläge
unseres verfasseis, wie man vermutet hat eine der vielen Kl. 2157/58
bezeugten deutschen um- und nachdichtungen. Das 'lateinische werk
aber sowol wie das buoch wird von unserer klage ganz algemein als
quelle für disiu maere genant; 2151 gibt sie den inhalt ihrer quelle
an mit den werten: wie ez sich huob usw. unde vne si alle gelägen
tot, ähnlich 1732 %g. Nicht an einer einzigen stelle bezieht sich der
dichter für den inhalt des zweiten teiles auf eine quelle, was er doch
sonst so liebt (vgl. 9, 22, 148, 285, 800, 1099) — weder auf den
tihUiere noch auf Pilgerim. 2072 ak man uns gesagt hat und 2043
ZÜB KLiLGl 161
als toir diu liute hoeren sagen sind doch zu algemein formelhaft, um
ernstlich in betracht zu kommen; in lezterer stelle könte man, will
man ihr gewicht beilegen, eher die bezeugung einer dritten, münd-
lichen quelle sehen.
Allein, wenn wir nicht ganz im irtum sind, verrät sich unser
Verfasser im anfange des gedichtes selbst als zudichter. Y. 5 sagt er:
het ich nu die sinne,
dax six gar xe minne
haeten die ex erfunden!
nun, die jammervolle geschichte seinem publikum so gut es geht zu
lieben, bemüht er sich eben durch den zweiten teil, seine zudichtung,
den befriedigenden abschluss! Daher auch v. 7 die bitte, sich zu gedul-
den und die rede fürebax zu hören.
Was nun den schon erwähnten widersprach zwischen 85 und
1745 fgg. betrift, so weiss freilich der ältere teil der Klage nichts von
jenem teile der Nibelungen, wol aber der fortsetzer. Er hätte vielleicht
ohne Schwierigkeit die werte seines Originals 86, jäne weix ich niht
der maere abändern können etwa in iu sint wol kunt diu maere —
jedoch er übersah diesen widersprach, wie so manchen andern.
Nun konstatiert allerdings Lachmann (Zur Klage 287 fg.) auch
innerhalb unseres zweiten teiles Widersprüche, die auf verschiedene in
demselben verarbeitete recensionen hinweisen sollen. Dagegen sei fol-
gendes angeführt. Wäre mit frowe 1633 wirklich Gotelint gemeint,
so ist doch dann der widersprach in direkt aufeinander folgenden
versen so schreiend, dass ihn selbst ein ganz mechanisch arbeitender
redaktor nicht übersehen konte. Beispiele für derartige „versehen^
dürfte man anderwärts vergebens suchen! Nein, die werte 1634 der
marcgrävinne riehen sind gerade des gegensatzes wegen hinzugesezt:
sie sollen motivieren, warum die tochter für die boten sorgt, nicht,
wie es sich gehörte, die gattin des fürsten selbst (man setze also hin-
ter giietUchen :). Als frowe ist DietUnt auch 1523 bezeichnet
Ähnlich steht es mit 1398 fgg. Die boten bringen es bei Isalde
in Wien trotz Dietrichs befehl nicht fertig, die maere xu hdn, wie
sie sich ja schliesslich auch vor Gotelint und den Baiem verraten:
an den boten six ervant 1381, das ganze gebahren derselben muste ihr
bald das geschehene verraten. Was die Wiener wissen, das kann man
auch dem landvolk dieser gegend nicht geheim halten; so komt man
bis Treisenmüre: von hier bis Bechelären zwingt man sich wider zu
strengstem schweigen, damit nicht etwa Rüedegers angehörige, betreff
deren die boten ganz besonderen aufixag haben, sie über den sach-
ZKITBCHBIFT F. DEUT80HB PHRiOLOGIS. BD. XXV. 11
162 BnOIB, ZUR KLAGE
verhalt zu täuschen, schon vor ihrer ankunft künde erhalten. Was
der verfiASser will, drückt er vielleicht hier wie dort nicht besonders
geschickt aus; aber er ist eben kein künstler, das zeigt jede seite.
Freilich auch nicht der stümper, für den man ihn wol bei weniger
eingehender betrachtung seines opus halten möchte. Denn gerade
dadurch, dass Dietrich befiehlt, die Wahrheit zu heln und dass dies
nachher bei der grosse des Jammers für die boten nicht durchführbar
ist, hat der Verfasser gewisse dramatische effekte zu erzielen versucht
und zweifellos ist ihm das gelungen in der scene E^. 1473 — 1555:
über Rüedeger selbst gelingt es den boten zunächst die frauen zu
beruhigen, indem sie zugleich, dem kern der sache geschickt auswei-
chend, dieselben schon hier der freundschaft Etzels und Dietrichs ver-
sichern — da fragt DieÜint nach einzelheiten, nach dem empfang der
Burgunden durch Eriemhilt, zulezt nach ihrem bräutigam: einer der
boten kann nicht mehr an sich halten und weint — jezt ahnt DietUnt die
ganze grosse des unheils: si und mtn vater sint waetUch tdt — bei
diesen werten bricht nunmehr einem der boten daz schrien mit dem
bbiote aus dem munde — hierauf die lezte dringende frage der Gote-
lint, tvie schiedet ir von minem man? und der böte muss die volle Wahr-
heit enthüllen I Niemand wird dieser scene eine gewisse dramatische
Spannung und dramatische Steigerung absprechen. Dass in dem dop-
pelten auftrage, ross und rüstung zu überbringen und gleichzeitig den
tod der besitzer zu verheimlichen, eigentlich ein Widerspruch liegt, das
entgieng dem dichter. Die ganze waffensendung ist ihm eben, wie
wir sahen, völlig nebensache, sie ist nur äusserlich die brücke, die
vom vorderen, älteren teile herüberleitet.
Fassen wir zum schluss nochmals zusammen, was sich zur gesamt-
beurteilung der klage ergeben hat, so dürfte dies das folgende sein,
unsere „Klage^ geht in ihrem vorderen teile, als dem grundstock des
ganzen, zurück auf ein lateinisches werk vom ende des 10. Jahrhun-
derts. Dieses, oder eine deutsche umdichtung desselben, wird gegen
ende des 12. Jahrhunderts, zur zeit der aufblühenden ritterlichen dich-
tung, im höfischen geschmacke fortgesezt, in der absieht, dass das
ganze nunmehr eine fortsetzung und einer einigermassen befriedigenden
abschluss des Nibelungenliedes bilden soll. Der höfische dichter, der
jenes alte gedieht „ Klage ^ findet, wird vielleicht gerade erst durch
dasselbe zur fortsetzung der „ Nibelungensage ^ angeregt Jedenfals
kamen ihm diese totenbestattungen und -klagen gerade recht: sein
höfischer leser muss doch, bevor er die weiteren Schicksale der über-
RÖHSICHT, BIBICHT ÜBER DMl JIBÜSALWITAHRT 163
lebenden erföhrt, genau wissen, wie man die toten begrab! Bei der
fortsetzung wurde natürlich auch jener vordere teil einer Überarbeitung
in demselben sinne unterzogen (die vielleicht zum teil schon der deut-
sche umdichter, des buoches meister, besorgt hatte), jedoch nicht sorg-
^tig genug, als dass nicht einzelne Widersprüche zwischen dem vor-
deren und dem hinteren teile unbeseitigt geblieben wären.
CHEKNITZ, IM JANÜAB 1892. J. BIBQBR.
ZWEI BEEICHTE ÜBEß EINE JEErSALEMFAHET (1521).
Nachdem wir bereits in dieser Zeitschrift XXTTT, 26 auf einen
eigentümlichen zweig der deutschen litteratur „die pilgerschnften^ kurz
hingewiesen und die gereimte darstellung einer Jerusalemfahrt veröffent-
licht haben, legen wir jezt zwei ebenfals bisher unbekante ausführliche
berichte dieser art unsren lesem vor, wobei wir noch besonders her-
voriieben, dass die zahl dieser deutschen texte, welche teils Über-
setzungen älterer pilgerschriften, teils Zusammenstellungen der ablass-
stätten „jenseit des meeres^, teils endlich gereimte oder prosaische
reiseschilderungen enthalten, ausserordentlich gross ist; eine Übersicht
ist in des herausgebers Bibliotheca geographica Palaestinae (Berlin 1890,
744 s., 8®) geboten worden.
Es wird zur genüge bekant sein, mit welcher pietät man bereits
in der ältesten zeit des Christentums alle diejenigen statten Palästinas,
mit denen sich die erinnerung an die geschichte Christi, seiner apo-
stel und der Jungfrau Maria auf grund der sicheren zeugmsse der
evangelien oder der wenig zuverlässigen angaben apokryphischer Schrif-
ten oder endlich gewagter exegetischer combinationen verknüpften, zu
fixieren suchte, wie man die durch die tradition einmal festgelegten
punkte schliesslich zu einem geschlossenen ganzen verband, diese aber
im vierzehnten, fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert zum teil
wider verschob, zum teil noch erheblich vermehrte. Wir begegnen
daher in den ausführlichen reiseschilderungen, von denen hier haupt-
sächlich zu reden ist, fast immer einem gewissen regelmässig widerkeh-
renden stocke von angaben, nämlich einer Zusammenstellung aller
andachtstätten des heiligen landes (meist nur Jerusalems und seiner
nächsten Umgebungen), zum teil, da hier einfach ein sogenantes pilgeiv
buch eingelegt ist, mit genau denselben werten, zum teil mit einzelnen
Veränderungen und zutaten, welche für die geschichte der tradition
11*
164 BOBRKCHt
und der durch bauten oder besitzwechsel eingetretenen tatsächlichen
Veränderungen von bedeutung sind. Aber neben diesem traditionellen
kern tritt doch wider eine solche fülle interessanter nachrichten über
eigene erlebnisse, historische ereignisse und personen in den vorder-
grund, dass wir eine hauptquelle für die kentnis und das yerständnis
des specifisch kirchlichen wie des algemeinen kulturlebens darin erken-
nen müssen. Jedenfals liegt der erste antrieb zu einer niederschrift
der eigenen erlebnisse in dem streben, sich und seinen nachkommen
das andenken an eine so grosse und mühevolle, aber auch gott wol-
gefallige buss- und bet-fahrt zu sichern oder, wenn der Verfasser ein
kleriker war, andere zur nachahmung anzuspornen und über die ein-
richtung einer solchen langen reise genauer zu unterrichten. Die
abfassung machen sich aber manche pilgerschriftsteller recht leicht; sie
schreiben das eben erwähnte pilgerbuch einfach in ihren text hinein,
ergänzen es durch einige persönliche bemerkungenoder kopieren ältere
umfangreiche reisebeschreibungen und ändern sie bloss in der au£zäh-
lung der daten, namen und anderer nebensachen. Sehr häufig wird
genau dieselbe reise von Venedig nach Jerusalem und zurück von
zwei oder mehr berichterstattem geschildert; in diesem falle ist ein
doppeltes verfahren zu beobachten. Entweder nämlich führen sie zu-
sammen ein gemeinsames tagebuch, und jeder stelt daraus für sich
einen eigenen text mit kleinen abweichungen von der vorläge zusam-
men, oder aber jeder gibt einen vom andern volständig unabhängigen
bericht (ja erwähnt manchmal kaum seine reisegefahrten), der je nach
dem ritterlichen oder bürgerlichen, geistlichen oder laien- Standpunkte
verschieden gefärbt ist Dieser zweite fall liegt hier vor.
Der pfalzgraf Ottheinrich bei Khein unternahm 1521 eine reise
nach Jerusalem und hat uns in seinem tagebuche (1521 — 1534) eine
beschreibung derselben hinterlassen; sie ward in den „Deutschen pil-
gerreisen nach dem heiligen lande" veröffentlichte Ihr wert besteht
weniger in genauen angaben über die heiligen statten, welche in einem
nicht mehr erhaltenen anhange besonders aufgezählt und beschrieben
waren, als vielmehr in sehr sorgfaltigen Schilderungen des lebens auf
Cypern und Bhodus und in einer ausführlichen aufzahlung der wich-
tigsten reisegefahrten. Diesem berichte treten zur seite unsere zwei
texte, deren Verfasser sich aber leider nicht genant haben und auch
nicht erraten lassen. Der erste bericht stamt aus der feder eines
1) Von Böhricht tmd Meisner, Berlin 1880, 351 — 401; vgl. die unter dem-
selben titel von Röhricht allein besorgte neue bearbeitung, Gotha 1888. Beide schiif-
ten sind im folgenden kurz mit RM. und R. bezeichnet.
BKiaCHT ÜBER KINE JIRTJBALBMFAHBT 165
Schweizers, da er sagt, er freue sich „gebom sein ain Schweytzerlein''
und schildert die reise von Venedig nach Jerusalem und zurück im
wesentlichen genau mit denselben details wie Otiheinrich, der auf der
heimfahrt in Parenzo seine reisegefährten verliess. Dagegen ist sein
beiicht doch in mancher beziehung wider ausführlicher, so besonders
durch die genaue aufzählung der heiligen statten, durch die erwähnung
kleiner erlebnisse, besonders aber durch die reflexionen, welche Jeru-
salem und die not des volkes in Palästina und auf Cypern in ihm
erweckt; dieses lezte moment scheint die annähme zu begünstigen,
dass der Verfasser bäuerlicher abkunft war. Trotzdem zeigt er einen
gewissen stolz; über die Unmöglichkeit, wie die hohen herren aus der
begleitung des pfaJzgrafen die ritterwürde des heiligen grabes zu empfan-
gen und über die kalte aufnähme, die er mit seinen schweizerischen
reisegefährten seitens der Johanniter auf Rhodus erfuhr, weiss er sich
sehr einfach zu trösten und angesichts der recht splendiden tafelgenüsse
seiner reichen mitpilger lobt er sich das habermus seiner bergigen heimat
Kürzer als sein bericht ist der zweite; er begint mit der ankunft
in Jerusalem und schliesst mit der landung auf Cypern während der
rückfahrt. Ob er ursprünglich überhaupt diesen umfang gehabt hat
oder nur verstümmelt vorliegt, können wir nicht ausmachen, doch
scheint uns das erstere als wahrscheinlicher, da sehr viele pilgerberichte
die beschreibung der hin- und rückfahrt einfach als nebensächlich
übergehen. Trotz dieser kürze und trotz mancher unvermeidlichen
widerholung hat unser bericht manches neue, so vor allem viele höchst
sorgfaltige angaben über masse und zahlen, welche sich auf die hei-
ligen statten beziehen, woraus ein schluss auf den geistlichen stand
des Verfassers sich eigentlich von selbst ergibt, femer eine genauere
erzählung über den raubanfall bei Bamlah und das Schicksal des patrons
der pilger. Die spräche lässt ebenfals auf schweizerische abkunft
schliessen.
Der herausgeber ist nicht germanist, um den sprachlichen wert
dieser texte in das rechte licht zu stellen und ist daher seinem col-
legen herm dr. Arwed Fischer, welcher dieser mühe bereitwillig und
sachkundig sich unterzogen hat, vielen dank schuldig. Sonst hat er
sich in der erklärung des eigentlich traditionellen auf das notwendigste
beschränkt, hauptsächlich mit rücksicht auf den Charakter dieser Zeit-
schrift und in erwägung, dass wir in den unübertroffenen specialstu-
dien von Titus Tobler eine fast erschöpfende behandlung der ganzen
traditionsfragen besitzen, so dass es nur angezeigt erschien, besondere
bestätigungen oder abweichungen kurz anzumerken.
a:j*>
166 BOHBIOHT
Zum schluss spricht derselbe herm oberstadienrat prof. dr. W. von
Heyd in Stuttgardt, welcher auf diese texte aufinerksam machte, und
herm pro£ dr. Staudenmeyer, direkter des königl. würtembergischen
filial-archivs zu Ludwigsburg, welcher aus diesem archiv (abteilung
Weingarten) die höchst sorgfältigen copien selbst besorgte, seinen herz-
lichen dank aus.
Itinerarium ins H. Land. L
Item des ersten hindan gesetzt, was sich von Heymad aus auf
dem Weg darzu was zu Yenedig verluffen. Zu Venedig sind wir aufi-
gefaren auf das schiff am fünften tag Juni, der do was des heyligen
Bischöfe Bonifacius, ynnd also lagen wir still bis an Ereytag, der do
was der sybendt im Juni; ain stund vor tag zoch man all segel auf
vnd fuoren mit genedigem wynnd vnnd gnosnen wetter denselben tag
zimlich weyt Angeend der nacht stuond der wynd ab vnnd ward
styll wynnd, den man nennet Bonatzo', der do wert bis am Mitwuchen,
do schlugen wir die ersten schala', kamen in ain stat genennet Bug-
wina^, da ligt ain haylige Junckh&aw EufEemia, der leychnam Ich
vnnwirdiger mitsamt anndem gesehen hab. Ditz gedacht stat ligt in
Hystria vnnd ist zu Zeiten von Grauen Gristoffel franckha Ban, auf
Beuelch dess Bömischen kaysers^, gewunnen worden, vnnd ain gros
Baub daruon gefuert Dis land nach meinem Bedünckhen ist vast
rauh vnnd steynmechtig, doch zimlich gewechs weyns vnnd koms,
aber des flayschs welicher hannd man wyll überflüssig. In dieser
stat belyben wir den tag, der do was der zwölft im Juni. Auf die
nacht besamelten sich die Bylger wider zu schyfiF, belyben zu erwar-
ten des wintz die nacht vnnd morgentz den dreuzehenden tag Juni. —
Item in diser Zeit, alls wir außgefaren waren von Yenedig mit
gedachtem styllem wynnd, der vnns dann hie har dann dort hin try-
ben was, sahen wir nahen ligen hüpsch land, alls Frey Jul. Grauatis ^
Histria, auch manich Stät häryn in disen landen gelegen, alls Piran,
Ymago, Cita noua, Farentza, FoUa^. Dis stet ligen an den Stand
des meers vnnd ettlich auf Höhinen, das maus bescheydenlich sehen
mag. —
1) Dieses hiess nach Ottheiorichs angäbe (üoresti, Coressi, ob zu corazza, har-
nisolL? 2) bonaocia ital. meeresstiUe.
3) scala itaL treppe, hafeo. 4) Bovigno.
5) MaTimilian I; die eroberoDg Boyignos erfolgte 1509 durch Christoph Fran-
gipan.
6) Croatien; was soll Frey (frei?) JoL bedeuten?
7) Firano, Umago, Gittanova, Parenzo, Pola.
BUaOBT ÜB8B EINK JBRÜSALIMFAHBT 167
Item auf den vierzehenden tag Juni in der nacht kam vnns ain
wynd an, wol etwas widerwertig, der vnns treyb das Romanisch Bürg
hinuf, nahend gein Anckhona vnnd gein Loreta zw, das wir es auch
bey zwaintzig meyllen sehen mochten. Da dann ettlich Bylger ir
andacht ordneten, nach ains yetlichen geschickhlichayt. Also warden
wir getryben das gepürg hinuf den funfzehenden vnnd den sechzehen-
den tag Juni, das wir darzwischen auch manich Schloss vnnd Eloster
sehen mochten. —
Item am sybenzehenden tag Juni zu nacht, alls wir lanng ge-
schruwen heten nach ainem wjmd, kam vuns schnelligklich ain Sturm-
wynd an, wiewol er mit vnns was, must man doch durch vngestümig-
keit wyllen des winds die segel abnemen, die man gar schwerlich
vnnd kaum gewynnen möcht, also das gefär was vnnd sorglicheit
Erwartz mit grosser geferte, wo man die segel nit het mögen bezwin-
gen. In disem waren die Bylger etlich betrüebt, doch ainer meer
dann der annder, aber mir was nit sonnders daruon angelegen, ver-
meynt, sollt also sein, wiewol Ich sach ettlich mit ernstlicher Bitt sich
dem Almechtigen beuelhen, die der Sachen etwas bas ain erfaren heten.
Auf solichem ward Ich mich auch durch mein offen Beychtsprechen
dem Schöpfer aller dingen aufopferen, mit mir zw hanndlen, was sein
Mayestat meinthalben auf gesetzt hat, könnt auch darnach nit sunders
beten, dann Ich, mein andacht leyder wenig ist, des tags verbracht
vnnd gesprochen hat, mir was lustig, das das Schyf also gumpet vnnd
ainer hiehin vff, der ander dorthin zu fallen gezwungen ward, Etlich
auch gar herlich speyen warden. Aber nachdem der Segel behafitet
ward, was nit gros sorg meer, wiewol der wind dieselb nacht vnnd
morgens bis zw Yesper grymlichen noch lag, beschach doch nyemandts
nüchtzig leyd noch schaden, dann das ain Schyf, den man nennet den
Barckhen, verloren ward, das man für ain Fortuna^ seyt gehallten
werden. Dann ain Sprüchwort ist: Ain Naf^ on ain Barckhen ist
gleichwie, wie ain Barckh on ain Naf. —
Item har zwischen tryb vnns der wynd das Bulgist' gepürg hinuf,
da man auch etlich hüpsch gelegenheit vnnd schloss vnnd Stät ligen,
die von vnns gesehen wurden, vnnd insonders ain grosse Stat haysst
vnd würt genennet Prendis^, soll fast gros sein, vmbgeben mit dem
meer, in gleichnus wie Venedig, auch in grosse, wiewol nit souil Leut
darynn wonen. Ditz stat ist ain vnnd des Reichs Pulgezen^ Dar-
1) fortana itaL sturm. 2) nave ital. das grosse schiff.
3) apulisoh. 4) Brindisi.
6) Apulien, Paglia.
. .k ■
lij8 RÖHBICHT
nach stets daran Calabrien, das wir von weiten auß gesiebt ver-
loren. —
Item am Achtzehenden vnnd am Newnzehenden tag Juni kamen
wir des ersten gar nachet auf ain Innsel genennet Corffo^, beschleust
sechtzig meyl in vmbkrays, gehört den von Venedig in schirm. Dar-
gegen an ettlichen orten dreyssig meyl, an etlichen viertzig danion
ligt ain gepürg, heyst Zimera*, begreyfift wol hundert vnd sechtzig
meyl, steet an die Türckhen, in welichen wonen eüich völcker, sind
weder Cristen noch Türckhen, reden aber alboneschis^, sind noch nye
bezwungen worden, weder von glaubigen, noch vngelaubigen, wiewol
maus vor Zeiten vnnderstanden hat, doch vngeschafft abgestanden.
Schaft^ das sy nit aus irem Lannd komen, sodann yemands von ann-
dem Yölckem zw in anlent, mögend sie in bestreyten, so thuend sie
es. Ists dann nit, so fliehends dem gebürg zu. Alßdann seind sie
vnbegreyffenlich, ir schnell lauffen schafl^s, das man will ainen zim-
lichen Boßlaufen fürsetzen. So sie ain Cristen fahend, so verkauffend
sie im den Türckhen, so sie aber ain Türckhen fahend, so tödten sie
im von stund an. In disem gebürg würt geseyt, das auf ain Zeit ett-
lich Fürsten, von Venedigem geschickht, ankamen, die ...^ von den
weybem verjagt warden. Daraus kombt, das die weyber auch streyt-
ten. In disem gepürg wechst gnug, was man bedarf, kom, wein vnnd
gut keß, sagt man auch das, das Hüpschest Zimerholtz vil, das im
ganntzen land sey, das sie doch nit auf dem lannd [lannd], dann mit
grossen listen. Diß sind so böß Leut, das ain Sprüchwort daraus
komen, so man yemandts schellten will, das man spricht: Bist böser
dann ain Zimeriet. —
Item darnach kamen wir zw ainer Innsel zimlich weyt, mit allem
versehen, was zw notturfft der menschen bedarf, hayst Cefolonia^.
Beherrschen die von Venedig, gar nahendt dabey leyt auch ain Inn-
selein, heyst Santa maura^, haben den von Venedig durch vnnd in
vertragsweis den Türckhen vbergeben. —
Item am Donerstag der do was der zwaintzigst im Juni schlugen
wir die andern schala, oder anfaren in der Innsel Alzantty®, wölche
in Beschlus hallt bey achtzig meylen, darynn sind bey sechtzig Dörfiin,
vermögen bey viertzig tausent mannen, darunter zweyhundert wol zw
Boß gerüst gefunden werden zw ainem Bedürffen, wiewol die gedach-
ten leut nit gros widerstand thund den vngleubigen, vmb des verstannds
1) Corfa. 2) Chimara. 3) Albanesisch. 4) das maoht
5) Lücke. 6) Eephabnia. 7) Santa Maura (Leukadia).
8) Zante.
BKRIOHT ÜBER UNI JlRÜSALIIfFAHRT 169
wyllen, dann sie mit ynnd zu ainander haben, werden sie doch mit . . .^
zw Zeitten vberfaren, derohalben sie nechtlich gros wacht zu roß vnnd
fuos hallten müssen, vnnd so der feind vnnd vberfidl zw gros würd,
eyllt weyb vnd man dem schloss zw, das eben starckh ist von mau-
ren, sunst von Ingepew« gar nützig, denn etlich klaine HeußUn, dar-
ynn behelfiPen sie sich. Ynnd so sie es ain Monat enntheben mögen,
kumbt in von Venedig Hilf, die wol Newnhundert meyl zw in haben.
Ob sie dann schon Heuser verbrennen, sind sie doch nützig werdt,
dann kains ist das, das über ain gaden oder gemach ellenklich auf-
gepawen sey, darzw in klainem Begryff, also das mich bedünckt, man
find wol in vnnsem lannden ains Bauren haus, das derselben zway-
hundert in kostlicheit übertreff. In der Innsel, sprechen sie, döriSen
nit hoch bawen, ains tayls der Räubern halb, des andemn dess Erd-
bydens halben, die daselben gar manichmal erheben, das man wol
sieht an dem Schloss, das ligt auf ainer zimlichen Höhe, wie etlich
thüm zerspallten sind. In disem Schloss sind zwo kirchen, aine der
Cristen, die ander in greckischer Zungen. In diser Innsel wächst alles,
was man bedarf, auch ettlich spetzerey, Gypett', süflholts, das man
vast wolfeyl haben mag, an etüichen vunden herein sind auch gar
lüstig ebene, da gesund zu wonen. Ditz Insel würt annderwert genen-
net Romani*, wann do in der gut Romanier wechst, den wir auch ver-
suchten, das etlicher nit auf den füessen möcht geston, ettlicher vor
sterckhe nit trinckhen möchten. In der gedachten Innsel waren wir
bis auf den Ainwndzwaintzigisten tag Juni zu nacht, mit zimlicher
narung versehen vnnd in leydenlichem gellt, wiewol die Herberg dürr
angeschlagen ward, dann vnnser Acht musten über nacht ain Ducaten
zalen, wie wol wir auch HüB darnach eyllten. In diser redt man
greckhisch, doch vil welischs das selb gesind. —
Item dargegen über nit sonders weyt stost das Türckhenland an,
welichen zw dem fordersten anstöst, ain starckh schlos ligt, haist Gastel
Dumes^, von welichem man noch kumen möcht zum Heyligen lannd,
doch durch gros gefer vnnd wagnus der Reuber. —
Item am Ainvnndzwaintzigisten tag zu nacht bescheid man menigk-
lich wider zw schiff, da wir dann die nacht sunder wind verhüben
1) Lücke. 2) gebftude.
3) zibetto ital. zibet, drüsenabsonderong der zibethkatze, vielfach als parfiim
oder arzenei angewani
4) HomaDia, als name für Zante sonst nicht bekant.
5) Bei Ottheinrich 366 Tarnes (Torneste) genant, Zante gegenüber an der küste
von Morea.
170 BÖHBICBT
bis anf den zwayrnndzwaintzigisten tag, an wolichem vir nit weyter
fuoren, dann das wir genannt Schloss vnnd Innsel sehen möchteiL —
Item am drewnndzwaintzigisten tag Juni des morgens kamen wir
an ain gebürg, geheyssen Morea, das vor Zeiten der Yenediger war,
an disem gepürg füren wir hinuf denselben tag vnnd auch den vier-
vnndzwaintzigisten im Juni, der do was sannt Johanns tag des Hay-
ligen teuffers, an disem gepürg ligen ferren von einander zwo Stet,
gehayssen Modun^ ynnd Tordan*, die wir scheinparlichen sehen waren,
von welchen man sagen was, wie sie vor kürtzen so reich Stet waren
in gewallt der Venediger, aber ...^ durch den Türckhen abgewunnen,
darzw wie souil Bluts derselben beeder partheyen vergossen sey, got
gedenckh der armen seel in Barmhertzigkeit! Ich ward fragen vnnder
annderm ain frumen man, was die vrsach wer, der mir nit änderst
anntwort, allain sprechen: wir Gristen möchten so frümbklich erberk-
lieh hanndlen, got der Himlisch vater geb vnns mer glückh zu strey-
ten wider sein feind, alls Er vor Zeiten mer gethon, wollt Ich nit
weyter ei^ründen, dann mögt wol gedennckhen, was auf Im zw ruch
trug. Quia propter peccata eueniunt aduersa. —
Item am Zinnstag, der do was der Fünfvndzwaintzigist Juni, am
morgen kamen wir nahend an ain Innsel, geheyssen Zerrigo^, ist Gri-
sten der von Venedig. In diser Innsel, wart geseyt, gewonnt haben
die schön Helena, alls sie durch Fariden Bwigklich hingefuert ward,
dardurch Troia zerstört. Ditz Innsel ist bey Achtzig oder mer meylen
weit, darüber ligt ain Innsel, mag von der Rauben niemand inwonen,
heyst Zerrigo minor. Bey derselben muß man nahend hinfaren, steet
nit weyt von dem anstoß der Insel Gandia. —
Item am sechsvnndzwaintzigisten tag Juni, der do was der lieben
Hey ligen tag, die man nennet die syben schläfer, das sich wol beschein,
dann ettlich gut Herren vnd gesellen schliefien, bis das man essen
zutrug, an demselben kamen wir gegen dem anstoB der Innsel Gandia,
da zuuor ligt ain fieckh, geheyssen Gyssano'^, das wir sehen möchten.
Doch füren wir noch bis morgen zu nacht, der do was der syben-
vnndzwainzigist tag Juni, mit sambt der ganntzen nacht, das wir weder
zw lannd noch vnnsers wegs faren konnten, die Innsel verlib vnns all
stund vnnder äugen, so widersins erzaigt sich der winnd. Vnd wie-
wol der Patron des Schife des willens was, die Bylger abzusetzen, das
lannd lassen zu beschawen vnnd sich mit ettlichen wein zuuersehen,
1) Modon. 2) Goron. 3) Lücke. 4) Gerigo.
5) Wol die insel Qrabusa am nord-west-eiDgange der bai von Kisamo.
BXBIORT ÜBKB EIMB JKBTOALBMFAHRT 171
must er doch daruon ston vnnd schickht sich wider den gesixackhsten
weg zufaren auf Rodis. Also musten wir die gedacht Innsel fürfaren,
ynerkhannt alles, das mengem schwer angelegen, doch ward mir geseyt
Tf mein erforschen von der gedachten Innsel, das vor Zeiten ain
mechtig künigreich ain gewalltigen Bracht füren gewesen sey, vnnd
vor Zeiten dorch kriegs not von Venedigem bezwungen worden, vnd
die künig vertryben, doch dem volckh die gnad erzaigt, das sie frej
sitzen, sunder steur, sunst möchten die genannten Yenediger nit behall-
ten, dann das lannd mit versehen ist mit starckhen fleckhen, das tür
kain gewallt sein möchten. Aber der wyllen der leuten vnnd Inwoner
machens starckh, die so günstig sein sant Marx, auß vor gedachter
nachgelassner freyhait willen, das sie maynen würden, sich wider all
weUt vor gewalt beschirmen. Diso Innsel beschleust syben hundert
meyl im vmbkreys, darynn wonhaffüg funden werden ob zway mal
hundert tausent menschen vnnd meer, das zw glauben steet, dann ob
sechzehen tausent Ho&ayten vnnd wonungen herein funden werden,
ettlich klein, etlich zimlich grösser nach gewonhait vnnd Brauch dess
lannds. Dis lannd ist überflüssig koms vnnd weins, darzw allerhannd
flaisch, was man begeret, man spricht vnnd seyt auch, wiewol ain gros
summ weins järlich gesamelt werd, herynn der Innsel sey doch vber-
flüssigkait der milch mer dann des weins, die sie zw notturfiR; brau-
chen, das überig in keß vnnd annders verwanndeln, nach Brauch irs
lannds, des sie darnach ain gros Zal den frembden zuuerkhauffen zw-
schickhen. —
Item am sybenvnndzwaintzigisten tag Juni auf die nacht kam
vnns ain zimlich genediger wind, vnd der do wert dieselben nacht,
in der wir deswegs zimlich gefürdert wurden, der do wert bis auf
den Achtvnndzwaintzigisten tag, warden wir getröstet, so Er also ver-
üb, möchten wir alls auf den Newnvndzwaintzigisten tag, der do was
sannt Peter vnnd Pauls, der lieben Zwelfpoten tag, zw Bodis^ anko-
men, das doch etlich Bylger widerstryten vnnd vermeynten vnmüglich
zu sein, dann der gedacht winnd was etwas still vnnd zimlich warm. —
Item am Achtvnndzwaintzigisten tag Juni auf den Anbys^ stund
der wind ab, vnnd ward aber Bonato, der do wert den tag vnnd die
nacht, mit sampt dem Newnvndzwaintzigisten tag, das wir gar wenig
des wegs gefürdert wurden. —
Item am Dreyssigisten tag Juni kamen wir nahend am morgen
zw ainer Innsel genannt Nyssary", in welcher vier Castell funden wer-
1) Bhodns. 2) Zur frühstüokszeii 3) Nisyro.
172 BÖHRIOHT
den. Dise Innsel ist etwas Yon Hohem gepürg, doch volkomen, was
man bedarf, zw leybs notturfft Dis gehört den Herren von Rodys zw
vnnd ist dreyssig meyl weyt von derselben Herren . . .^ Diß Innsel macht
vil Schwefel vnnd grosse menig der Feygen, also das ain Herr allain
von den Zehennden aufhymbt derselben Feygen vierhundert Ducaten,
nit weyt von dannen ligt das Schlos samt Peters', mit sambt annde-
ren Innseln, die mit Schlössern wol bewart stand. —
Item am ersten tag July, der do was der Montag vnnd vnnser
lieben Frawen Haymsuchung oben, schickhet sich das glückh, das wir
beging lanng gestannden waren, Bodys die Stat zu sehen. Also auf
die Non Zeit stunden wir ab dem Schyff, vnnd warden verliehen em-
pfanngen, zimlich versehen mit Herberg, auch alles was zw Speis not
ist, allain das den Bylgem fast wider was der starckh wein, den man
bringt gemainklich auß Candia, für mich zu reden. Er hat mich nahend
getödt, ye mer Ich tranckh, ye hitziger Ich ward, also das Ich mich
hueten must außzugon, allain auf der nacht, da Ich lanng nichs sehen
mocht, dann das gebew, das do eben wunderbarlich mächtig ist, zu-
uor an in verren ston drew starckh thüm wie die Schlösser, der vnderst
hayst sant Niclausthum. Do wir inn seyen gesein, da gesehen haben
mächtig wol geordnet geschütz, auch ain fast gewaltig gebew, vnnd am
Herausgon not man vnns zu trinckhen. Also bot man vnns gnugsamen
guten wein, den wir getrunckhen betten, wann wir haimlich bey einan-
der gesessen weren. Der oberst haist sannt Eaterina thum, der Mit-
tel der Frantzhosen Thum. Diß bewaren gewaltigklichen den . . .» vnnd
ain grosse weyte des mers, das nyemand beleyben mag. Damach ist
die stat, die nit sunders gros ist, mit ainer viertzigschuchingen mau-
ren vmbgeben, die mit zwen vast tiefen graben bewart, in wunderbar-
lichem gepew, mit mancher haimücher gewer. Doch bricht man vil
ab, die in ander sterckhin gehauen solln werden. Darüber ist ain ...^,
haist der ...^, ist teutscher Zungen, der sich in trew emnstlich in solichem
bezeigt, als wol bevryst das werckh, wölhes, so es auß gemacht würt,
wol mag der mechtigist sterckhsten gebawen sein, alls auf erdtrich fun-
den werde. In disem sarch vnnd vmbkreyß der Stat sind manich vnnd
vil annder gepauwen Heusslin, die all in gewelb bedeckht sind, vnnd
kains vber zway gemach hoch, allain das Schloss. Dise stat ist mit
zimlichn kirchen nider gebawen, weder lay latinist vnnd greckhisch
versehen, wölbe mit gezierden gnugsam begäbet, doch aber tryfEt die
oberst nit vnbiUich sannt Johanns tempel, wölher in myten des Schloss
1) Lücke. 2) Vgl. EM. 22; R. 59 fg.; Conrady, Vier rheinisohe Palfistina-
pilgerschriften 105. 3) Lücke. 4) Lücke. 5) Lücke.
BIBIOHT ÜBKR RINE JKBÜSALBMFAHRT 173
ligt, vnnd vmbgeben ist, nit sunder gros, aber mit Zierden reychlichen
begabt, darunter der merertayl auß klarem gold gearbayt sind. Alda
ist ain osterlam vnnd zwen enngel darneben vnnd annders mer. Dar-
zw sind all Ampeln vnnd vil licht stöckh, mit sambt den Zwelpoten
an beeden wennden erhebt, silber übergüUdt, so schon, das mans ach-
tet, werdt sein Zwayhundert tausent Ducaten vnnd mer. Das Hayltum
daselbst ist überflüssig. Alda ist ain Messin creutz gemacht auß dem
Beckhin, daraus got der almechtig seinen Jüngern die füß wuosch.
Item zwen dorn, die blüen all karfreytag. Item ettlich der pfennig,
da got vmb verkauffl ward. Item ain Arm von sant Katarina vnnd
meer. Der vmbkrais dess Schloss ist zimlich weyt, aber gegen der
Stat ganntz nichtig, werhaffkig, wann sie wennd die Stat mit sampt
dem schlos behallten. Ditz ist außgetailt den Bitern nach Zal vnnd
menge der leuten. Doch haben die teutschen die mynsten. Diser Her-
ren leben vnnd Regiment ist mir mit sunders mißfällig, mich bedünckht,
haben ain zimlich lieb vnnd au&ehen zusamen, des gemaynen volckhs
Zucht vnnd insonders der weyber ist nit gantz durch mich bewert,
dann mich dünckht, seyen etwas zuuil vnschamhaffiig, das Ich nit zw
Rytten hab. Die Zerung vnnd Herberg ist teur vnnd kostlich, auch
ist fast bös gellt luoffig härein. Vor diser stat sinnd zw Zeiten bey
fünfEtzig Jaren^ gelegen die Türckhen Hundert tausent starckh, haben
sie beschossen gewaltigklichen, dann man funden hat bey vier tausent
grosser Stainen kugeln in rynngweys der Stat, die noch bey Zeit zw
ainer gedechtnus vmb die weg ligen, zu letzst gestürmt vnnd weyt
erüberiget, also das man maynt, wer schon gethon. Do kam der obrist
Meister, der do was ain Cardinal, schlug sein feind hertigklich zurückh,
mit gnad, das die Cristen sighafftig warden, da zw ainer gedechtnus
gepawen ist ain schön kloster, gehayssen zw sant Victoria. Dis Innsel
ist bey Hundert vnnd viertzig meylen in vmbkreis, vnnd vermag dreys-
sig tausent man, sind, on die Stat Kodis, sunst Schlösser vast starckh
auch daryn, heissen Lindouw, Ferraclo, Polochia^ Do ist kains, man
mag sechs Hundert man lannge Zeit behalten vnd versehen mit speis.
Die gedacht Stat ist auch nit so vest versehen mit mauren, alls mit
Munition versorgt, das man sehen mag dann durch die gantzen Stat
sinnd gewelb vnnder der erden, die vol körn geschüttet stond, vnnd
annders was man bedarf, auf syben Jar lang. In diser Stat beliben
wir bis auf den vierdten tag Juli, des Barchen zu erwarten. Darzwi-
1) 1480; vgl. EM. 183, 371.
2) Lindo, Castello di Ferraclo, Polaka.
174 BÖHUGHT
sehen sach Ich nichs sonnders, dann hüpsch gepew vnnd geechütz,
wie obstat, darnach drew Straussen, die grufilich zw schawen sind von
wunderbarlicher gestallt, auch ir seltzam Ayer brueten. Die laoffen
in ainem hüpschen garten mit anndem Rossen. In disem garten was
auch ain man, der brüetet Ajer auB drewhundert auf ain mal, es weren
Hüner oder Ennten, Gännß, Pfawen Ayer. Dis bedaucht mich auch
insonders wunderbarUch zu sagen. Ich fragt, wie yU Er wol auBbrue-
ten möcht ains Jars. Anntwort Er, als vil Er Ayer het, vnnd so sie
geschlossen sind, so gibt Ers ainem koppaunen zu fuoren. —
Item an dem fünften tag Juli schyfften wir aber von dannen
ynnd kamen mit genedigem wind, den tag vnnd nacht, mit sambt dem
sechsten ynnd sybenden tag, ain gros Zall meylen vnnsers wegs über
das Hoch meer, in welchem wir kain Innsel noch lannd sehen moch-
ten, wiewol vnns zuuerston geben ward, weren gerichtig der Innsel
Cyprien enntgegen, die wir zw der linckhen Hannd verluren. —
Item den Achtenden tag Juli stunden wir begirig nach Vertrö-
stung des Tatron ^ vnnd seiner schifmaystem ynnder äugen zu erlangen
das Haylig lannd Suriam^, des wir doch betrüebt warden. Harrung
manchem beschwert bracht, doch getröstet morgens, seitens nit so frw
mögen ersten, würden Irs verlanngen gewert vnnd ersettiget —
Item AlBdann morgens, der do was der Neundt tag Juli am
aufgon der sonnen, vnnd Ich noch schlaffen lag, ward gemeldet durch
den paren» darüber gesetzt, der auch harvon^ von den Bylgerin ver-
irrt^ wurtt, geschrien: terra, terra! Daruon ain erheben ward der Bil-
geren, lauffen zu schawen, dannckhten got der gnad nach ains
yeüichen andacht. Ich hört aber in gemayn nit vil singens noch Jubi-
lieren. Erlangten also des morgens bey viertzig meylen vnnd kamend
angeends ainem alten Schlos vber, halst Castrum peregnnorum^, da
vor Zeiten etwan die Bilger ausstunden. Aber vmb wyllen das den-
selben manichs vnbillichs beschach, hat geenderet, lennden nun zumal
auff Jassa^, ist vor Zeiten der Bodiser Hern vnndertönig gestanden,
weihe mit gewallt vnnd kriegs not heruon vertryben sind worden. —
Item denselben Neundten tag Juli fuoren wir vmgeends dem stad
nach hinauf, do dann auch eüich allt tum vnnd wonungen gesehen
wurden, mit ganntz styllem wind, den man nennet Galmas l Diser
wert auch die nacht durgentz vnnd den morgen, den zehenden tag,
1) Verschrieben für patron. 2) Soria, Syrien.
3) Wol der sogenante „geschworene patron". 4) Lies verehrt?
5) Capellum peregrinorom d. heutige Athlith. 6) Jaffa. i
7) cahna ital. windstiUe.
.T^
BIBICHT ÜBIH UNS JEBÜSAT.ltMf AHRT 175
das wir wenig dess wegs gefürdert wurden. Doch wurden wir durch
gnad gots geleytet, das wir auf den Mittag nahet gein Jaffa ankamen,
Ynnd alls wirs nahend sehen mochten, ward durch den Wirdigen Her-
ren Bischof Vicentz Octuensis^ prediger ordens Meß gehallten, vnnd
da andechtigklichen das Te Deum laudamus gesangen, vnnd darnach
ainer den andern zuuerzeihen ermanet. —
Item alls von stund an nach Mittag fuor der Patron zw lannd,
do Er dann den Guardian von Jerusalem begryff, der durch ander
Bylger willen gein Jaffet kernen ward, vnns verkhünt, seitens für ain
glückh achten, kemen dester bälder ab dem Schyff, dann sonnst weren
die Bilger gemainlich Acht, Newn oder Zehen tag behallten worden,
wir würden aber in zway tagen dess Schyffs erlöst. Also wyst Ich
nit, wes die schuld, allain das wir die yrten^ vberschlugen vor dem
wirt, musten bis an den sybennden tag in vngedullt gefanngen ston,
doch allweg beredt, morgens morgens, farend Ir zu lannd. —
Item an dem Fünfzehenden tag Juli sahen wir ettlich zu roß
komen, schlugen zwu Zollten auf, do all die Bylger erfreuet, dan wir
in sorgen stunden, würden vnns nit zw lannd lassen, alls vor meer
beschehen ist, Vnnser fürnemen zw verbringen, vmb kriegs leuf wil-
len, die sich her inn dem lannd erheben, dann sich gar newlich die
HerschafiFt vnnd gewalt zw Jerusalem geendert vnnd verwandeUt het,
nach mittag kamen ettlich vil derselben Türckhen, die man nennet
Jeniterey^, zw vnns in das schif, besahen ettlich kaufmanschatz, dar-
gegen sie verteuschen wollten zway futer Marder oder Tebelin*. Doch
warden sie nit ains, vnnder disem wurden gar man schwer betruebt
von dem mer, also das sie dort hinfielen wie das vich, doch trunckhen
ettlich gar seuberlich wein, den sie von stund an wider speyten, dar-
nach wider antrunckhen. Aber ettlich wollten kain wein versuchen,
vnnder disem bedünckht mich manicher geschickht, vnnd etlich zw
nichtigem tügig^ —
Item auf den sechzeh enden tag Juli, der do was des Hayligen
sannt Alexius vnnd Zertaylung der Apostel, des morgens frw warden
wir gefuert zw lannd, ward ains yeüichen namen vnnd seins vaters
auf verschreiben, darnach geteylt in zway gewelb geleit, auf ain wenig
stro, den tag vertryben wir bis zu nacht. Also was man aufhallten
die Bylger, mit Essel® in gnügsamkait must man wir hindner sich
mer zu beschickhen, beleyb man bis morgens. —
1) Ottheinrich 360 nent den bischof za Dalmanen, der für Leo X. w^üfahrtete.
2) zehrung, wii-tshausrechnuDg. 3) janitscharen.
4) zibellino itaL zobel. 5) tauglioli. 6) esel.
376 BÖHSIOBT
Item Ton Jaffet das annder . . .^ nennen darum' Jaffet, das dasselb
Jaffet zwu meyl daraon ligt, bedaucht mich nit sonnders zu merckhen,
daxin das ain ge wonlich anfaren der Bilgerin daselben beschicht, spricht
man, sej ain hüpsche allte Stat gewesen, vor Zeiten Ton Noe sün
gepawen worden. Yff dise Zeit sieht man noch zwen allt tum. Daruf
die wach des anfarens gehallten, vnnd darunter ettlich gewelb, darein
die Bilger gelegert, ettlich zwen tag, etlich drew tag, werden. Dar-
bey in weytem vmbkreys vil alts starckhs gemeuer ligt, darunter hüp-
iscbe gewelb funden sehen werden. Von dem lannd aber bedaucht
mich vnfruchtbar dann zu wonen, als wol erzaigt das arm innwonet
volckh Yon beeden Cristen', alls sie sagen, vnnd moren, auch die au£
beleyten sollte ain Herr von Bama^ vnnd ain geschickhter von dem
Herren von Jerusalem, bedauchten mich mit zu achten gegen vnnsem
Herren. —
Item auf den Achtzehenden tag Juli des morgens ward gnugsam-
lieh versehen den Bilgerin vmb Essel, doch ettlich schwach, also das
mancher zu Häuf fiel, Manicher zu fuß zugon gezwungen, vmb das
die Essel nit volgen. Also waren wir geleyten in guter Hut, bis gein
Rama, darz wischen ligt ain zerstört StäÜin, hayst Jaco^, auch annder
mer, die wir in gesiebt haben möchten, das land aber gnugsamlich
lustig, dann das vor türry auf dieselb Zeit, wenig wachsen möcht
Das volckh, vnnd insonders die frawen arbaytselig, also das mich Irs
lebens verwundert, die Erawen verbinden sich, das maus kaum mag
vnnder äugen schawen, vnnd sind doch zumal vngestallt Also nit
nach langem wegen kamen wir gein Rama, dauon mich nichtig bedaucht
zu bedenckhen, dann das vor Zeiten sollt ain schön Stat gewesen, alls
Er zaigt hin vnd her, ain allt gepew mit ettlichen tümen sich erzai-
gen weyt in vmbkrais, vnnd alls wir nechst darzw kamen, stund zuuor
ain gemaurt haus, ain schein habend, darein wir durch ain ennge
thür gelassen, vnnd in ettlich gewelb daselbst außgetailt. Dis Haus
wtirt geseyt den Bilgem zw gutem von ainem Herren von Burgund*
gepawen worden sein, doch bedaucht mich, sollt en gekauflft gewesen,
dann das gebew erzaiget kainen Spital der Bilger, laß Ich beleyben.
Herein komen von vil geschlecht Jung volck, sich sprechend Cristen
zu sein, brachten Ayer, Brot, trauben, Feygen, Hüner, aber kain
1) Lüoke. 2) Text: harom.
3) Wol aus Anabitae (versohrieben für Arabitae, <L i. wol Nestorianer) ent-
•tanden; vgl. Conrady 45.
4) Der emir von Ramla. 5) Jazur.
6) Philipp; das jähr der erbauong dieser pilgerherberge ist nicht sicher.
BKRICHT Obsr kink jkbüsalemfahbt 177
wein. Das volchk in diser Stat wonnt in den zerbrochnen gewelben,
da in vnnsem lannden nit die vnuemünffügen thier weren.
Item in derselben nacht, wiewol Ichs nit dann von ferrem gese-
hen, was darkomen ain Türckhischer gesannten, das land zu beordern
mit grossem Heer vnnd kostlichem gevralt, aUs ettlich sagen, die in
seiner Zelt gewesen durch verwilligung vnnser patron. Alda was der
PfiEdtzgraf, Hertzog Ott vnnd annder, gehaben han wol vierhundert
kamelthier^ vnnd annder Pferd vnd rüstung, doch vnnder annderen
loben sie mer, dass sie vnnder souil volcks ain semlich stillen vema-
men vnnd hörten, das nit müglich wer vnnder kristen zu gepieten,
alls auf mytternacht füren sie für auf Gazara^ zw. —
Item auf den Achtzehenden tag Juli des aubends nach vil müe
vnnd ansuchen, den Owardian, den Patron, vnnd auch die Beleyiier,
warden wir wider zw Essel beryten, vnnd zogen durch Rama hin ain
lannge weyl, durch vil zerstört gebew, unnd alls wir ettlich ebnen
vnnd Berglin gefuoren, ain stund oder zwu in die nacht, ward das
leger gehallten bey ainem brinner, vnnder ainem zerstörten schloßlin,
hayst Castel latron^. Da lagen wir mit ettlicher sorg der Arabier. —
Item auf den Newnzehenden, zwu stund vor tag, bestimbt man
aber auf zu sein. Also fieng bald an ain zimlich ruch staynet gebürg,
vomen an nyder, vnnd angeends ye hoher vnd höher komen, also auf
die zehenden stund vnser Zeit kamen wir zw ainem paß. Do waren
wir gelassen in ainen garten, ward lachen zwischen mir vnnd ettlichen
tür, dann wir für den wein hinaus waren, wann auch ainer ain Bröt-
lin hat, aß ers auß dem Ermel, auß disem warden wir aber geschriben,
ains yeckhlichen namen, vnnd fiengen dauon von stund an aufzureiten
am Berg werdt bis gein Jerusalem, dahin wir kamen von den gnaden
gots zw Vesper Zeit lieblichen empfangen von den Brüdern, auch an-
geends tisch gesetzt vnnd gespeyst, mit zimlichem vast gutem wein
getrenckht —
Item auf dem weg von Rama bis gein Jerusalem ward nit gese-
hen, dann manch zerstört gepew, dardurch man ryt noch bey Zeit,
ettlich arm leut warn, vnnd vnder annderm zehen meyl von Jerusalem
ligent, ward vnns gezaigt ain zerstört Behausung auf die linckh Hannd,
das vor Zeiten genennt ward Aranathia^, dauon sannt Joseph, ain
haymlicher Jünger des Herren bürtig was. Daselbst auf die Recht
1) Otthemrich 376. 2) Oaza.
3) Heat el-lätrün.
4) Arimathia, sonst identificiert mit Nebi Samwil.
ZETTSOHBIFT F. DEUTSCHS FHILOLOQIB. BD. XXV. 12
178 BÖHKECHT
Hand ward vnns weyter gezaigt ain SchlöBlin genannt Silo^, daselbst
soll gewesen sein die arch gots, soll auch daselbst künig saol gesalbet
sein worden vnnd erweiter künig genennt —
Item alls wir nun das mal genomen vnd dess Essens vnnd
trinckhens ersettiget, ward aim Bylger innsonders überanntwort ain
tabett, darauf zu ligen, vnnd ain lyderin küsß vnnder sein Haupt
Ward darnach gefiiert in ain Haus den Bylgem zw Herberg bestjrmbt,
daran sich ettlich vergnügten, etUch versahen sich annderßwo. Dis
Haus ist nahet dem tempel in wunderbarlichem gepew eingebawen,
also das man spricht, sey vor Zeiten des Patriarches wonung gewesen,
ist wol zu glauben etwas wirdigs gestanden sein, nach gestallt der
zerstörten mauren, auf disen mag man sehen vber die ganntzen stat
Jerusalem, die in ganntzer Zerstörung ligt Aber in wesen mags wol
das schönst vfF erden geheyssen werden. —
Item den Zwaintzigisten tag Juli, des morgens warden die Brue-
der wider versamelt in dem Gloster des Bergs Sion , vnnd da ain schon
Ambt gehallten vnnd volenndet, darnach ain sermon oder ermanuug
den Bylgem in drew sprachn, lateinisch, welisch vnnd teutsch, zw
gutem vnnd vnnderweysung gehallten, insonders sich auf vier Articul
bewaren-
Den ersten, so yemands sunder vrlob des babst dahin komen auB
veisaiunnus oder vnwissnhait, harumb in den strickh dess Bandts gefal-
len, ward menigklichs da absoluirt vnnd ennÜedigt —
Des Andern, not zu sein, ainem y etlichen ain gewissen glauben
der Dingen daselbst geweyst werden, sunder welhem nützig zu erlan-
gen ist —
Des Dryten, ain Brüderliche liebe vnd sundere Diemut einander
zu beweysen, auch kainer für den andern sich erhöhen. —
Zum Yierdten, gedult, also so yemands belaydigt würd von den
moren oder anndem, mit got, simders murmlen emphahen, auB wöl-
hem wir dann war Bilger genennt werden möchten. —
Zum FünfEten, theten sie die armen Yetter die Ersamen Bilger
biten, so in nit beschehe nach ains yeÜichen ge&llen, das die vetter
betreffen werd, sey in speyssen, oder in annderen, sollt man in Vor-
zeichen, dann mer des mangels schuld, dann des bösen willen, nit
wollen erzaigen, des sie sich mit got bezeugten. Damach ward ain
schön proceß angefangen vnnd den Bylgem klärlichen erzaigt die
Misteria des Bergs Sion, daraus alles vnnser Hayl geflossen. —
1) Nach der altchristlichen meinung lag das alttestamentliche Silo bei dem
heutigen Nebi Samwü (Tobler, Topogr. II , 883).
BIBICBT ÜBIR UNS J1BV8ALEBIFAHRT 179
Item zum ersten ward viins gezaigt Nachdem das kloster aof
dem Berg zw Höchst gepawen, sind die vnndersten wonungen die
weytesten, also das zimlich zu wonen ist, vnnd seind vil Heuser vnnd
wonungen, darin sich vnnser Hayl verlauflfen hat, in gepewen. Aber
zw dem Höchsten dess Bergs ^ gat man ettiich Staffel auf, in ain qua-
drierten wolgezierten chor, nit sunders weyt, der zuuoran in Mittel
ain schönen altar ston hat, ward vnns erzelt, die aygenntlich Stat
gewesen sein, da got der Herr das letzst nachtmal nam mit seinen
Jüngern, do Er dann aufgesetzt hat das New testament vnnd geendet
das allt, auch verhanndelt, wie dann anzaigt der Passion, nit weyt
bey drew sehnten daruon, auf die Becht Hand, ist ain Altar, do der
Diemütigist sich begürtet mit ainem tuch, den Jüngern ir fueß vnd
von ersten Judas geweschen hat, zu bedeuten vnns in Diemut zu
leben. Zw der linckhen Hannd sinnd auch ettiich altär, sind die stet,
do das Haylig Osterlamb geproten. In disem ist ablas aller sünd. Von
dann ward gegangen in proceß auft dem chor ebens fiios an ain Stie-
gen, die bey Ainvnndzwaintzig Staffel hat, gleich alls wer es den von
gedachten stetten ain gemach höcher, ward vnns zuuerston geben, alls
Ich glaub die stat gewesen sein, das der Haylig gaist an dem Pfingstag
der muter gots vnnd Hayligen Jüngern bey zwaintzig gewesen, frawen
vnnd man erschinen sey, da sich dan verlauffen, aus an dem Hayligen
pfingstag in der Mrchen gehallten würt Dis ist verlegt mit staynen,
dann die moren nit wollen vnns darein gon, umb willen, das man
sagt, soll sein auf der Begrebung Dauid vnnd Salomonis. In diser
stat ist ablas für pein vnnd schulden. —
Item daruon ward abgegangen mit der proceß, do nun der kreutz-
gang ist, in ain klain gewelb Cappellin, ward zu glauben geben, die
stat gewesen sein, da got der Herr erleucht, alls die Jüngern versa-
melt Sassen mit yerschlossner thür vmb forcht willen der Juden, Zum
anndem mal durch Beschlossne thür erschein, vnnd zum lotsten sannt
Thomas sein finger in die aller Hayligsten seyten legen lies, do sich
dann yerluff nach Innhallt des euangeliums. Ist auch aplas aller
Sünden. —
Item nach disem ward ynns erlich ausserthalb des Closters gewys-
sen zerstört aber mit etlichn Staynen bezaichnet, das Ich hernach mit
anndem bedennckhen will. Biß ist was in der gotzhaus begryffen.
1) Zion, wo allen pilgem die kapelle des lezten abendmahls, der fasswaschnng,
die küche für das osterlamm, die kapeile der ausgiesstiiig des heiligen geistes, die
gräber der jüdischen könige und die St Thomaskapelle gezeigt werden (Tobler, To-
pogr. n, 101 — 125).
12*
löO BÖHBIGIII
Damach warden wir zw essen gesannt, da nit vast wol gekocht was.
Doch gaben vnns die Brueder gnugsamlich wein vnnd Brot, fannd man
auch ayer, trauben, Feygen zw kauffen. —
Item desselben Ains vnnd zwaintzigisten tag Juli zw aubend war-
den wir'beschriben in den tempel des hayligen grabs, welher, alls mich
bedaucht, in seinem vmbkreis von vnns ains wunderbarlichen grösten
gepew, dem gantzen Berg Caluarie beschütz, von innen noch vil Tund
manich zerstörtem gewelb, das gantz Misterium der heyligen steten,
das leyden Gristi anzaigen, etlich höh, eüich nider, in Girckhelweis
begryffen, doch etwas meer lang dann brayt, als durch die lieben väter
vnns Biigem guetlich gezaigt ward. Des ersten warden wir gefuert
zw der rechten ELannd des Hayligen grabs in vnnser frawen Gapel,
die dann denselben vätem zuuersehen zusteet H^üynn allweg zwen
Brueder wonen, zu bewaren das grab, doch werden von drew Monat
abgewechsellt, alßdann annder^ auch thund. In derselben Gapeilen'
ordnet man ain procession, ain y etlicher Bilger in seiner Hanndt haben
ain brynnede kertz, ward vnns von ersten erscheint in derselben Gapell
zu merckhen vier stückh. Item, das auf dem mitein Altar die Stat
sey, do der almechtig seiner geliebten Muter erstmals, mit erklertem
leyb, nach der aufersteeung erschinen sey, alls guetlich zw glauben
ist. Item zw der Rechten selten in ainem geter ain tayl der seul, do
das vnschiddig lamb gegayslet, do man noch bey tag die straich inn
ston sichte Item den ersten Altar über vf vier schryt, in Girckhels
weis, mit getaylten Staynen verzaichnet, soU das heilig Greutz erkhannt
worden sein^, dann der Schacher Greutz waren auß disem glückh dem
Greutz der erlösung, ward aber erkhannt auB auflegung ainer gestorb-
nen firawen, die zu leben erkhückht^ ward. Haryn ist ablas aller
sünd. —
Item heraus gerichtig, der tür über, auf fünf schrit, zwen gezaich-
net stein, auf dem der almechtig got, vnnd auf dem anndem sannt
Maria Magdalena^ nach der aufersteeung, alls Er sprach: Noli me tan-
gere, da ist Vergebung siben Jar syben karen^. Item darnach gestrackhs
hinab zw ainer höbin, do das haylig lamb behallten ward^, nit on
1) Lücke. 2) St Marienerscheinungs- kapeile.
3) Die geisselongssäule. 4) Ejreazerkexmongsort
5) erquickt, d. h. neu belebt 6) Maria -Magdalenen- stein.
7) Earenen, aus quadragena entstanden; ,ein abläse von 7 karenen ist der
erlass zo vieler zeitUcher strafen als vordem durch ein vierzigtägiges &sten und büs-
sen abgetragen werden musten*^ (Gonrady 72).
8) Kerker Christi.
BERICHT ÜBSB UNK JERÜSALSMFAHRT 181
sunder gros pein vnnd schmach, vntz das Greutz vnnd was zw der
marter zwzurüsten was, auf ain lange Zeit verzogen. Da ist verzeich-
nus syben Jar syben karen. —
Item da dannen dem Girckhel nach zw ainer Gapell, da die
Juden vmb den kostbarlichen vngeneeten Rockh gespilt haben ^. Ist
ablas syben Jar syben karen. —
Item daruon auf vier schrit warden wir abgefuert* Staffel in die
Gapell, zw er der heyligen frawen Helene gepawen^. Harinn sie auch
Ir Bethaus het zw dem heiligen Greutz, alls sie dann sehen mocht
durch ain Yennster hinab, do dasselb funden was. Herynn ist ablas
aller sünd. —
Item von diser steigt man ab Acht Staffel in ain rauhen felsen
gehawen, do dann das lobwirdig Holtz vnnser erlösung fanden*, in
ainem Herten felsen, ab ainem tayl gehawen, spricht man sey gewe-
sen ain allt Brunn oder Gistem dasselb HayP geworffen vnnd darnach
mit stainen vnnd wüstem verschüt daselbst verborgen zwayhundert
Jar. Da ist ablas aller schuld. Dauon der gruob kamen wir zw
ainer Gapellen, da in ainem Altar sichtig stat ain saul, daran der
almechtig gekrönnt vnnd verspot ist worden®. Da ist ablas syben
Jar. —
Item dauon warden wir ermannt zw andacht mit der muter gots
sprechen, vememen all die für gonnd, ob sye ain schmertz gleich dem
meinen, das menigclichs zu betrachten het, warden also gefaert, Staf-
fel VI. In groß betrachtung kamen zw der Stat Golgata oder Galuarie,
da auch ain gesyert gewelb gepawen in zimlichen weyty, mit ainem
Bogen vnnderbawen, auf wölchem zw der aiiien selten der almechtig
got auf das kreutz genagelt^, do ist ain altar den Brüdern von Sion
empholhen, auf der andern seyten drew schrit von ainander ain ge-
zierd ainem altar gleich, do die gruben des heyligen kreutz ains eUen-
pogen tief gewesen ist Dis ist mit ainem Marmel bedeckht, doch ain
Bundloch gelassen ains gemuntz weit, das mit ainem vbergülten Blech
beschlagen. Daruon auf drey schrit erzaigt sich augenscheinlich der
wunderlich Bergbruch ainer halben eleu weyt, nahendt bei disem ain
altar, da die stat erkhennt soU sein, alls der sun der betruebten Muter
in die schos geleyt ward. Hie ward vnns aber geprediget ain schön
sermon, also der andacht hat, ward in waynen geraytzt Hie ist auch
1) Eleiderverteünngskapelle. 2) Lücke.
3) St Helenakapelle. 4) Ereuzeifindungskapelle.
5) Lücke. 6) Säule der Verspottung.
7) Ereuzerhöhnngskapelle.
182 BÖHBICHT
ablas aller sünd. Harby zw der seyten dess let2»tB sinnd zwo seul,
do der gat Schacher zw der Rechten ynnd der Bös zw der linckhen
Seiten gehanngen ist^. —
Item von dannen warden wir wider abkomen auf die ebne des
tempels zw der Salbung, welche auf Aylf schrit von dem eingang des
Tempels enntgegen stat, mit ainem grabstein gemerckht werden mag^
Do ist Vergebung aller sünd. —
Item zw letzst kamen wir zw der einfüerung des allerhayligisten
grabs, das mit ainer vor Capel vnnd sunst mit ainer andern Jacobi-
tischen kirchen vmbgeben vnnd beschlossen ist In wölher vor Gapell
die marien den enngel gots ston ÜEmden", sprechen, wer will vnns den
stein dess grabs verrückhen, musten also sittigklich nach einander
eingan, dasselb vnzelich gnadenreich grab, dann der einganng dessel-
ben nyder, ains halben maus hoch erhebt, inwendig in zimlicher wytte
vnnd lennge, also das sich ain gros man oder drew wol mögen gerü-
ren (meiner aber wol fünf). Ditz ist ganntz mit Marmel besetzt, also
das mich bedünckht, wunderbarlich wirdig gesehen werden, mit ett-
lichen Ampeln gezierdt, sunst nichtig ist harinn dann gros Hitz, vnnd
darnach den Innern menschen ain empsigkliche Betrachtung der wür-
digen Höchsten aufilegung. Heraus ist enntstanden all vnnser Hayl
Ich^ gnugsam vemomen die mayestät derselben stat, allain das ablas
aller sünd verlihen. Ditz haylig grab steet aUen offen, den Bilgem drew
nacht zw allen Zeiten. Damach enndet sich die procession vnnd ttiet
ain yeüicher Bylger weyter sein andacht nach seins Hertzen anligen
Item in disem tempel wonen die geschlecht von Cristen, Yon Ersten
Jacoby^ hinder dem grab vnd mit im die Ooffory*, Item daselben
über in ainer Gapellen Furiani ^, Item Indiany ^ auf die linnckhen Sey-
ten, Item Armeny^ in ainer Gapellen auf den Indumie^^, Item Greci
in coro. Item Oorsy^^ in Galuarie locus ^*, Item Latini aut Eranckhi
in der vorgedachten Gapellen vnnser Frawen. Item Nestoriani komen
mit medan Emer^'. Item die weyssen Bussen komen auch minime^^
Die geschlecht sinnd stätigs beschlossen, bis maus ab vrlaubt singen,
1) SäTden der SohXcherkrexizlöoher.. 2) Salbungs- oder Adainfthq[»lle.
3) Eogelslcapelle. 4) Lücke. 5) Jaoobiten oder Kopten.
6) Unbekanter sektemiame, wol arg yenchriebeiL
7) Snriani, syrische Christen. 8) Abyssinier. 9) Armenier.
10) Der stark entstelte name ist niöht zu erkliroL 11) Georgier.
12) YgL Tobler, Golgatha 292. 13) Ist nicht zu erUiren.
14) TJnTerständlich. Diese erwihnnng der Weiss -Russen ist die ilteste in der
ooddentalisöhen pQgerlittenitor.
BBaCBI tJBIB IINI JKBTmALlMFAHRT 183
vnnd lobt ain yeüicher nach seiner andacht Also das es ain sunders
wyldhoren ist —
Item Hereyn waren wir beschlossen die nacht bis auf^ tag des
Monats Joli, vnnd alls auf denselben, zwu stund in tag, warden wir
aussgelassen. —
Item In disem tempel vnnder dem Berg Oliueti ist ain Gapeil)
dess do ligen die gebrueder Qottofridus vnnd Baldowinus^. In der-
selben mag man auch scheinparlichen sehen den Felsen Bruch, darin
das haupt Ade funden^ Ablas syben Jar syben karen. —
Item Medium terre in dem chor der grecen^. Item vor disem
tempel sinnd vier Capelln, die ain vnnser frawen vnnd sannt Johanns
Ewangelist, aine allerhayligen Enngeln, aine sannt Johanns teuffers,
aine sannt Marien Magdalenen^ Ablas bey Ayde syben Jar syben
karen. —
Item nach dem Anbyß auf den® tag Juli warden wir vnnser
ettlich gefuert zw ersuchen die wirdigen stet in Jerusalem, von ersten
die kirchen vnnser frawen, da sie zw schul ist ganngen^, ablas syben
Jar. Item die Porten, die man nennet speciosam^, do der Arm mensch
sannt Peter vnnt Johans bat vmb ain gaub^, vnnd sie anntworten,
gellt noch gauben haben wir nit, begerst aber gesund zu werden, soll
dir verlihen sein, alls von stund an ward er gelöst der krannckheit,
ablas syben Jar syben karen. Item das Haus Simons leprosi, da got
sant Marien Magdalenen ir sünd vergab, ablas syben Jar syben karen.
Item das Haus was auch des wegs des Reichen maus, der Lasaro das
almusen verseyi Item ain Bogen zw memoria, do der almechtig got
sprach zw den weybem, weinend über euch vnnd eure kinder. Item
darnach da vnnser frawen geschwannd, alls sy sach ir liebes kinnd
vnnder die schanntlichen Schacher verurtaylt sein. Da was ain schöne
kirchen ^^, nun ain Boßstal. Da ist ablas syben Jar syben karen. Item
1) Lüoke.
2) Ihie gräber sind heute nooh erhalten (Tobler, Golgatha 147 fgg.).
3) Der name Qolgatha (schädel) stamt nicht von der form des hügels, sondern
ans der legende, dass dort Adams hanpt begraben lag (Tobier 254—55).
4) Der gUmbe, dass Jemsalem der weltmittelpunkt sei, der auch in mittel-
alterlichen ,,rad]carten'^ darstellung gefanden hat, mht auf einer falschen übersetzang
der psalmstelle 74, 12; die fixierong desselben in der heil, grabeskirche ist zu ver-
schiedenen zelten ganz verschieden gewesen (Tobier, Golgatha 277, 326 — 330).
5) Heute noch unter denselben namen erhalten. 6) Lücke.
7) Mariae schule. 8) Sehr verschieden fbdert 9) gäbe.
10) Die kirche Maria de Spasmo (Tobier, Topogr. I, 450—51).
184 RÖRBICHT
weyter auf aim tryweg^ do die Juden Simonem Giriseum bezwangen,
das kreutz zu tragen gotes Herren, syben Jar syben karen. Item ain
Bogen', do vennaurt ston die zwen Stayn, alle Pilatus das vrtail &llt,
vnnd auf ainem Gristus vnnser Herr, vnnd auf dem anndem Pilatus stand,
gedacht würt ablas syben Jar. Item das Haus Pilati, ist nun ain Ross-
stall, do got gegayslet worden ist, ablas syben Jar. Aber das Haus in im
selbs würt noch bey Zeit in gi*östem Beichlistem gebaw gewesen sein,
alß dann erzaigt der Vmbkrais. Herynn wont noch bey Zeit der Begennt
der Stat^ vnnd zeucht sich von ainem tayl auf den Beschluss dess tem-
pels, den Ich heraus bey Basten beschawet hab. Item bey disem das
Haus Herodis, etwas höher gelegen dem Berg nach, auch zerstört*,
ablas syben Jar syben karen. Item ain kirchen, do die wirdigst muter
gepom ward^, ain Hauß Joachim vnd Anne, herynn würt gesehen ain
gewelb vnder der erd mit enngem einganng vennaurt vnd finnster.
Da soll die geburt verlauffen, auf ditz mal last man nit vil Bilger mer
hinnein, muß gellt zalen, ablas aller sünd. —
Item ain gros tieffe ergrabne grub , ainem gemaurten weyer gleich,
do das Wasser was, genannt Pisina^, das im Jar ain mal von dem
enngel gots bewegt, vnnd welcher dann der krannckhen des ersten
darein kam, ward erlediget, do got auch den Betrysen' gesund machet,
ablas syben Jar. Item die port, durch wölhe sannt Steffan gefuort
ward®, zuuerstaynigen, syben Jar ablas. Item die guldin port^, do
der künig aller könnigen an dem palmtag durch gerytten, ablas aller
sünd. Item das Haus Veronice, gar zerrissen vnnd zerstört Ab-
las syben Jar. Item der tempel Salomonis, das mich bey schönestem
bedaucht zu schauwen sey alls zw Jerusalem gesehen mag werden.
Wiewol man vnns nit darynn gelassen, hab Ich doch von dem Berg
Oliueti vnnd auß dem Haus Pilati, wie obsteet, souil vermerckht, das
ain schön gebew, vnnd in gros wird vnd acht gehallten, eingemauerte,
do ain weite ist, allain ettlich Bäum halben vnd etlich Stegen, ist er
vast gros vnnd weyt, in quader gestellt, also das Ich nit wol verglei-
chen kan. Aber meins Bedünckhens, das manche Stat etwas geacht,
die nit so weyt in Begryf hab. Diser vmbkrais ist mit zwölf eingäng,
schöner porten, bewart, zw allen orten, vnnder wöUichen manich Am-
1) Das sogenante Triviom. 2) Der Dcoe- Homo -bogen.
3) seit 1508 (Tobler, Topogr. I, 231).
4) Eine auffallende angäbe, da dies haos nach anderen qnellen bei beginn des
sechszehnten Jahrhunderts als besonders prächtig sich zeigte (Tobler, Topogr. 1, 650—51).
5) Si Annaldrche. 6) Probatica piscina, der schafteich. 7) ahd. bet-
tiriso = beüägeriger. Matth. 9, 2. 8) St Stephanstor. 9) Porta aurea.
BERICHT ÜBER UNB JKBT7SALKBIFAHRT 185
pel hanngen, durch welche man weit zw dem tempel sehen mag, der
do steet in mytten, in rundy gepawen, mit vil vnnd manich fennster
geziert, darzw mit lustigem gemeel, das man nennet Musagica^ geord-
net, von ynnen wais Ich nichtzig, dann Ichs nit besehen, sonnst sinnd
auch ander kirchen den Havden gepawen, die zw vnnd stand nach
In Begrif des gemaurten Beschlus. Ist ablas aller sünd. Item das
Haus Bartolomey^ do kain mor inn wonen mag. Item die Stat, do
Abraham seinen sun Jacob geopfert wolt haben. Item die Eysinn
port^. Item die gefennckhnus sannt Peters, da Ich an seinem tag inn
gewesen bin. Ablas syben Jar. —
Item auf den drewvnndzwaintzigisten Juli warden wir morgens
firw gefuert zw fuos gein Bethania , do vf dem weg ligt das Haus Judas,
da Er sich auch erhennckht. Daruon auf zwu meyl zw dem Haus
Simonis Leprosi, do das mal gebauten was, alls Lazarus erstannden,
vnnd daselbst sancta Madalena den Herren begoß mit der kostbarlichen
salb, daruon Judas geergert, den Herren verryet Weyter zw dem
Hans vnnd grab Lazari, da ist ablas aller sünd. Nahet darbey ain
Hülltz \ da sancta Maria Magdalena etlich Jar gebüest , auch der Stannd,
alls Jesus sprach, Lasarus kum herftir, ablas syben Jar. Item ain
guten weg, ain schlangen schuss daruon zw dem Haus Marie Magda-
lene, alls Martha zu Ir kam sprechen, der Herr ist hye, ablaß aller
sünd. Item auf ain Büchsenschuss das Haus Marthe, in dem der
Herr oSt zw Herberg was, ablas syben Jar. Item nahend darbey der
stain, auf wölchem der almechtig got rwet, alls Im begegnet Martha,
Sprechen, Herr werst hie gewesen, wer mein Bruder nit gestorben,
ablas syben Jar syben karen. Item auf demselben weg, am Haimer-
keren, besuchten wir die haylige stat des Bergs Oliueti, vnnd zum
ersten an die stat, do der Herr sannt die zwen Jünger nach dem
essel, genannt Betphage, den Berg hinauf in die kirchen, do der
almechtig zw Himel gefaren, alls mann dann in dem Stayn die fuoß
tryt sieht, ablas aller sünd. Darbey das grab sancte Pelagie, vnnd
do sie gebüest hat, ablas syben Jar. Item auf die Recht Hannd das
Haus Oalilea^, die stat, do der enngel dess Herren der muter gots
verkhünt Ir Hinscheiden, ablas syben Jar. Item alls wir abgestigene
waren zw der kirchen sannt Marco, do die Apostel den glauben auf-
gesezt, ablas syben Jar. —
1) Musivisch. 2) wird nur in einer einzigen pilgersohrift ohne Orts-
angabe erwähnt (Conrady 260). 3) Porta ferrea.
4) Algemein wird eine höhle als bnssplatz angegeben (Tobler, Topogr. II, 459).
5) Vgl. Tobler, Siloahquelle 246.
186 BÖauoBT
Item darnach zw der Stat, do der almechtig got yon dem Jüng-
sten tag warzaichen geseyt, Sprechen, so Ir werden sehen krieg, den
Brader wider den anndem anjfiston ablas syben Jar. Item darnach,
do Er das Pater noster auj^s^esetzt, ablas syben Jar. Item darnach
zw der stat, da er geweynt haben soll vber die Stat Jemsalem, Spre-
chen, so du auch bekanntest, würdest auch waynen, ablas. Item
auch zw der Stat, alls vnser firaw zu Himel gefaren, sant Thomas Ir
gürtel empfieng, ablas syben Jar. Item darbey die Stat, do die him-
lisch königin rwet, alls sie zw den hayligen Steren gon wollt, ablas
syben Jar syben karen. Item darnach zw der Stat, da der erlöser
drew mal gebettet, in ainer wunderbarlichen Hüly, ablas aller sünd.
Item darnach zw der Stat, die man noch bezaichnet sieht mit drew
sitzen, alls der Herr die drew Jünger sitzen liefi zu beten, vnnd sie
darnach in Schlaf fielend, ablas syben Jar. Item nahet darbey zw der
Stat, alls Er ge&nngen gepunden wurd, ablas aller sünd. Item die
stat darnach do Petrus Malcho das or abhaw, ablas syben Jar. Item
die stat, do sant Jacob der mynder sich yerpaig, do darnach ain kir-
chen gq^wen ward. Da ligt auch das grab Zacharie prophete, ablas
syben Jar. Item nach dem zwletzst, vnnder dem Berg, zw dem Dörf-
lin Oetiisemany, do der Herr die Acht Jünger lies, ablas syben Jar. —
Item an demselben tag vnnd ganng warden wir gefuert zu
wissen die hayligen steet des tals Josaphat Item die stat do sannt
St^Bin verstayniget worden, sieht man noch scheinbarlich in ainem
yelsen, alls er gefiülen für find vnnd gebeten, ablas syben Jar syben
karren. —
Item den Mus dess Bachs torrens Cedron, der, alls Ich sah,
ganntz ersihen , vnnd nach meinem Bedünckhen gar seilten wasser haben
sollt, über wölben das haylig holtz, der Stammen des hayligen kreutz
lang Zeit ain steg, darüber zu gan, gewesen ist, Nun aber ain geweiht
Staynine Bruckh^ ablas aller sünd. Item die kirchen Timser frawen,
do Ir haylige gribnus ist, ablas aller sünd. Dise kirch ist nit hoch
auf dem ertrich, Aber hinnab, ob Tiertzig staffidln*, zimlich weyt, da
im Hinnabgon auf die rech(t) seit begraben sannt Joachim, vnnd zw der
linckhen der halben stegen sannt Anna, zw vnnderst ain vinster geweiht
tabemacül mit zwayen tümen stet das haylig grab, in grossen eeren
vnnd wirden von Moren gdiallten', nit vil mynder dem hayligen grab
1) Es ist die ontore bröoke gemeint
2) Andere angaben bei ToUer, SiloahqaeUe 150.
3) Also die Abyssinier, wibrend sonst die Fnmnslraner als besitzer erwihnt
werden (ebd. 152 %.).
BKBIOHT ÜBBB UNS JBBÜSALBHFAHBT 187
Giisti, mit Ampeln vmid liechtem bezündt, das auch den moren gros
Zaicben beweist Dise kirch stet nachend zw dem Olberg. Item auch
das grab Joseph, ain gemahel Marie, ein in ain velsen, ablas syben
Jar. Item zw der rechten Hannd ain thum, in wölichem der konnig
Josaphe begraben ligt^, ablas syben Jar syben karen. —
Item auf den vier und zwaintzigisten tag Juli des morgens wur-
den wir gefuert, die andachtigen stet zu suchen des tals Siloe, in des
ersten zw dem Ackher dess bluts, kauSt vmb die dreyssig pfennyng,
wölcher mit nun grossen löchern bezeünet, die do gonnd in tieffe ains
gewelbs, darein man die leichnam werffen was^, ablas syben Jar. Item
zw ainer Hülyn, do die Jünger verborgen lagen, zw der Zeit der des^
Gristi bis zw der auferstenntnus, ablas syben Jar syben karen. —
Item die stat, do Ysaias zerseget vnnd gemartert, da auch sein
begrebnus was, ablas syben Jar. Item darnach zw ainem grossen
gepew mit vil vnd wunderbarlichem gewelb, die do weit in borg sich
streckhen, würt geseyt gewesen sein das Haus der müntzung Salomo-
nis^. Durch ditz luef in tyeffe der Aus Syloe, da sich der Blind ge-
weschen ynd darnach sehen ward, ablas syben Jar. Item darnach
zw dem Brunnen Syloe, da die wirdig muter gots dem zarten kind-
lein sein Bewickhlung wuosch. Diser Brunn ist wunderbarlich gehawen,
in ainen Berg, der hat ain außganng, durch denselben^ durch graben,
daruon kumbt Natatoria Syloe, ablas syben Jar. —
Item auf denselben tag zw aubend spat warden wir aber gelas-
sen in tempel des grabs Gristi, da dann nach ains yetlichen Inbrün-
stigkait andechtigkUch gebeten ward, vnnd vmb mittennacht angefan-
gen vil heyliger messen gehallten, alls morgen zwu stund in tag wider
außgelassen, ablas aller sünd. —
Item auf disen tag warden mir gezaigt ordenlichen nach ainander
die hayligen stet dess Bergs Syon ausserhalb des pflasters. Item die
stat, do sant Mathias in die Zal der Apostel erweit, ablas syben Jar
syben karen. Item die stat, do sant Jacob der mynder in ain Bischof
zw Jerusalem erweit worden ist, ablas syben Jar. Item die stat, do
die muter gots gesalbet ward nach Irem seligen sterben, ablas syben
Jar. Item die stat, do die erst kirchen gestannden der weit, do der
würdigen Junckhfraw Marie vierzehen Jar wonung erkhennt würt nach
1) Vgl. Tobler, Siloahqnelle 309.
2) Hakeldama; die beschieibung der dortigen grablöoher siehe bei Tobler,
T6pogr. n, 264. 3) Lücke.
4) Diese angäbe findet sich nur noch in der jüdischen legende (Tobler, Siloah 26).
5) Lücke.
188 BÖHBIORT
dem todt ynnd sterben Irs lieben sons, da sie auch auß diser Zeit
verscheiden, ablas aller sünd. Item die Stat, do sannt Johanns euan-
gelist yU mal meß gehallten der vnbefleckhten Muter, ablas syben Jar
syben karen. Item die stat, als do stand die betniebt muter vnnd
Junckhfraw vor dem Haus Cayphe, zu merckhn die straych vnnd
Schmach Irem aller liebsten Sone on vnndterlaß angethon warde, ablas
syben Jar. Item das Haus Cayphe, do got der vnschuldig so gros
vnnd hart Marter geliten, von seinen Jüngern verlögnet, die stat man
augenscheinlich sieht, do auch der Han gestanden. Dis Haus ist nun
ain kirchen genannt sant Saluator^, da auf dem fron altar der gros
stein ligt des grabs Gristi. Auf die recht Hannd ain Hülyn, darynn
das haylig lamb gefanngen lag bis zw tag, ablas aller synd. Item die
stat, alls der Herr sandt vnnd zertailt die Apostel in die gantzen weit,
ablas syben Jar. Item do sant Steffan zum anndem mal begraben mit
sant Gamahele, Nicodemo et Abibon ^, ablas syben Jar. Item die stat,
do das Osterlamb gebrotten, ablas syben Jar. Item die stat, do got
den Jüngern prediget, nahend darbey die stat, alls die Himlisch künig
zuhört den haylsamen werten Irs lieben sons, aßlas syben Jar. Item
nahend darbey das grab Dauid, Salomonis vnd der anndem konnigen.
Item die stat an dem kloster nehest, do die himlisch königin Ir Bet-
haus hielt, ablas syben Jar. Item die stat, alls die Juden den leich-
nam der muter der Barmhertzigkait berauben weiten^, alls sy in zw
grab trugen, vermainen, ablas aller sünd. Item die kirchen aller enn-
geln, die ist gesein ain Haus Anne principis^, in wölhem der Herr
vnnder annderm pein vnnd schmach, den horten straich empfanngen
hat vnnder das wunsam anntlütz. Da ist ain alter Ölbaum, an weihen
Er gebunden worden ist, bis man den forsten der priester aus dem
schlaf erwackht, ablas syben Jar. —
Item die stat, aUs sannt Peter dess Herren verlaugnet, in sich
selber schlug, rwet vnnd wainet innenklich, do auch ain stoltz schön
kirchen gestannden, ablas syben Jar syben karen. Item ain kirchen,
in welcher sannt Jacob der morer ennthauptet, ablas syben Jar syben
karen. Item die stat, alls der Herr den drey Marien erschin, spra-
chen: Auete, seind gegrüest, ablas Syben Jar syben karen. —
1) Vgl. Tobler, Topogr. ü, 156.
2) Tobler, Golgatha 356.
3) Tobler, Topogr. ü, 128 fgg.
4) Das haus Hannas oder zu den engein, bei den Arabern olbaomklosier
genant; vgl. ebenda 11, 364.
BESICHT ÜBKB EINX JSRXJ8ALK1IFAHBT 189
Item den f&nfvndzwaiiitzigisten Juli vf die nacht sind wir gefa-
ren gein Betlahem, daselben die heyligen stet gesucht vnnd gesehen^.
Item zum ersten auf dem weg das Haus Simonis, der den Herren
beschniten ynnd vnder seinen Armen gehallten, ablas syben Jar. Item
an dem weg ain Baum, darunder die Haylig Junckhfraw ruet, kumen
von Betleem, ablas syben Jar. Item darnach auch auf dem weg drew
Zisternen, do bey der stem wider den drew könnigen erschin, ablas
syben Jar. Item die stat auch an dem weg, do der enngel Abagug
nemen was bey dem schöpf, füren In gein Babylonia in die löwen
gruben zw Daniel, ablas syben Jar. Item ain kirchen, do geporen ist
der prophet Elias, ablas syben Jar. Item das Haus Jacob des Patriar-
chen, ablas syben Jar. Item das grab Rachaelis, ain hausfiraw Jacob,
ablas syben Jar. Item in Betlehem außwendig dess Dorfe ain aller
schönst kirchen gewesen vnnd noch ist, doch nit in paw gehalten.
Herynn sind die heiige stet, zw denen wir gefuert wurden mit ainer
andechtigen proceß^, der kirchen erben zw der stat, do der almechtig
beschniten, ablas aller sünd. Damach zw der stat, alls sich bereyten
die Hayligen könnig zw dem opfer, ablas syben Jar. Item darnach
in ain krunfft, etlich Staffel ab, in ain Hypsch Gapeil, do vnnder ainem
altar die stat ist, do vnns das haU vnnd abwaschung ynnser sünd
geporen ward, ablas aller sünd, nahend darbey die stat, alls Er zwi-
schen die vnnuemünffügen thier in die krippen geleyt ward, gar orden-
lich mit ainem Marmel geziert, darin funden yermerckht würt ain
schön Bedeutnus ainer Figur sannt Jheronimus, ist auch ablas aller
sünd. In derselben Capellen zw hinderst ain loch, bezaichnet mit
ainem Marmel, do der stern sich versanckht wunderbarlich, ablas syben
Jar. Item von dannen durch ain gehawen Berg zw dem grab der
vnschuldigen kindlin, das seltzam zu sehen ist, ablas syben Jar syben
karen. Item vnnd alls solichs gescheen, fürt maus in die Gapell sannt
katerinen, verkhünden, das do selben die gnad zu erlanngen wer, mit
aller Yerzeichupg, alls ob man zw dem Berg Sinay, do die haylig
Junckhfraw leibhaffk ligt, zu erlangenn wer. Hierumb wer etwar ein-
fart het, wolt maus im abnemen, sach aber niemands, der sich lies
desselben absoluieren. Also was eben spät, ward den Bylgem von den
Vätern, daselbst wonen, gegeben ettlich wein. Also macht man Cola-
tion'. Darnach vmb mitennacht ward haylig Meß vnnd Ämbter ge-
hallten. —
1) Die hier genanten heiligen orte sind in allen pilgersohnften ohne abwei-
chongen aufgezählt.
2) Lücke. 3) oollation, firühstiick.
190 BÖHBIOHT
Item die Heyligeu stet werden gesehen , ligen rmb Betleem nahend
Item die Hüly, daiinn die wirdig Muter Ir lieb kinnd ain lanng Zeit
gesügen hat, vor dem könnig Herodi, auß welchem etüich steyn, die
man nennet die Milch vnnser frawen, sinnd gut zu brauchen, so ain
fraw Ir milch verleurt, gegeben in ainem wein oder brüe^ Item die
stat, alls der enngel gots den Hirten die gepurt verkhünt, da auch
gesungen wart Gloria in excelsis deo, an derselben stat hat darnach
gewonnt die lieb Junckhfraw Eustachia mit Ir geselschafft. Item dar-
gegen an ainem Berg ain annder Gloster, do Ir Muter Paula gewonnt
Item die gegen dess grabs, da ligen die zwölf propheten. Item der
Berg, do Dauid Oolyam erschlug. Item ain tal, da vor Zeiten der
SLaylig Abbt Sabbe, mit sambt vierzehen tausent Brüdern, gewonnt
soll haben, Nim nit ainer. Darbej das kloster Agathonis dess Abbts. —
Item am sechsvnndzwaintzigisten tag, der do was sannt Jacob
des Apostels sind wir durch Betlaem durch Rauh ynnd Birgig weg
gefaren in das gebürg Montana Judea geheyssen. Alls yf die Newndt
stund kamen wir zw ainem Brunnen, do wir ain weyl Bweten vnnd
erlabten des kallten wassers. Bey disem sagt man geteuft haben sannt
Fhiüppus AposÜ Eunichum^, Ton dannen aber ain Bauhen weg, Berg
auf vnnd ab vnnd durch ain vngepawen staynet lannd, kamen wir
zw dem Haus Zacharias, in wölhem Elisabeth besuecht ward von der
himlischn könnigin, da sich wunderbarlich Ding verluof, alls man list
in der geschrifft, vnd auch do das Magnificat^ erdacht worden. Die
stat ist etwas in ainem Nydem gemach gewesen, ablas aller sünd.
Item auf diser die stat, alls Zacharias begert den schreybzeug vnnd
schreiben was, Johannes ist sein Nam, vnd von derselben stund an
ward auf thon sein mund vnnd gestelt das Benedictus dominus Israel ^
ablas aller sünd. —
Item ain guten weg daruon die kirchen, die vor Zeiten schön
gewesen, Nun aber ain kwstal, darynn der heylig Johannes der teufer
gebor n, in ainer finstem hylen, ablas aller sünd. —
Item am Haymfaren, nachend bey Jerusalem, ain schön kloster,
darynn etlich Gristen wonen, genannt Oophty, vnnder dem fron Altar
ward vnns bewisen ain loch, do das Haylig kreutz Cedrus gewachsen
sein soll^ —
1) Die sogenante milchgrotte; znr sage vgl. Tobler, Bethlehem 234 fg.
2) Den Eunachen, IcämmeFer aus dem mohrenland. Apostelgesch. 8, 27.
3) Luc. I, 46 fgg. 4) Lac. I, 68 fgg.
5) Das kreuzkloster (Tobler, Topogr. n, 733), in dessen besitz 1519 die Grie-
chen waren, während unsere queUe die Kopten als besitzer nent (ebd. 738).
BESICHT ÜBKH EINK JBBÜ8ALEMPAHBT 191
Item auf den syben ynd zwaintzigisteii tag Juli zu nacht sind wir
aber eingelassen worden, die gnad der Heyligen steten zw erlanngen.
In derselben nacht man bey vier und zwaintzig zw Kiter schluog \ der
man hernach mir zw Memoria gestelt wurd. Ich was auch in der
Capell, alls man Ritterlich beziert, mit güldin kettin, sporen ynnd
Schwert, weder das Ich das glückh nit haben könnt, auß ainem paum
ain herren zu erweit werden. —
Item auf den Acht vnnd zwaintzigisten tag Juli vmb Yesper Zeit,
ward yederman bestimpt zu faren vnnd besuchen den Hayligen Aus
Jordan, also beliben etlich doch wenig, Byten dieselb nacht durch bis
gein Jericho, daselbst man etwas wenigs aß vnnd tranckh. Damach
eylends wider auf, vnnd kamen, alls die sunn auf gieng, zw dem Hay-
ligen Aus, do sich dann ettlich Araber sehen Hessen, hierumb wir
ynns nit lanng saumpten, auch stund vnns ain Bylger ab, der do
ertranckh von den anndern schyf, warden daruon auch die Bilger
erschreckht, vnnd nit vnbillich, wann es schnelligklichen zugieng. Ich
het den armen Menschen erwüscht bei dem Har, mocht Im aber nit
zw lannd helfen, dann Ich besorgt, würd mich auch ergreyffen, könt
ich dann nit mer von Im komen, got helf der sei*. —
Item alßbald legt sich menigklichs wider an, zogen hinder sich
zw der stat, die man nennt karanthana', zu ainem Brunnen, do Eli-
seus das ysin einwarf vnnd schwimmen macht, vnnd alls wir dar kamen
auf den Mittag, heten wir erliten ain grosse hitz, waßen sich etlich
Bilger erfiristen in dem Bach, das darnach zw übel erschos, dann gar
manicher kranckh ward, auch etlich stürben darnach. —
Item als wir etwas geessen vnnd trunckhen, waren vnnser etlich
der Bilger, die nit achten die gros Hitz, steigen auf den hohen sorgk-
lichen Berg, do der almechtig viertzig tag vimd nacht in ainer wun-
dersamen Hülyn gefastet hat, bey der sonst auch vil annder Hülyn
seind, darinn noch vil Haylig männer vnns hören sterben, gelebt haben
hertigklich, ablas aller sünd. Zw oberst dess Bergs ain Gapeil, do der
teufel den almechtigen versuchen, was sprechen, so du mich anbetest,
gib Ich dir vnnderwürflich alle dise Reich ^ Da sieht man die gegnen
aller wellt, ist ablas aller sünd. —
1) Merkwürdigerweise erwähnt Ottheinrich 377 diesen ritterscblag nicht
2) Vgl. Ottheinrich 378.
3) Der berg der versachong Quarentana, ai'ab. Kmiintal. 4) Erfrischten.
5) Nach den übrigen berichten (Tobler, Denkblätter ans Jerosalem 715 fg.)
war im sechszehnten Jahrhundert dort keine kirche noch kapelle mehr, sondern nur
ein trümmeriiaofen.
192 RÖBBIGBT
Item auf dem weg würt diB gesehen von Hayligen steten. Zum
ersten das Closter Joachim, alls Er wonen was vnnder den hirten,
nach der außtreybung dess tempels. Item die stat, alls ain Man komen
Yon Jericho, ward angryffen^yon den Räubern. Item die stat, alls ain
Blynnd sitzen bey dem weg gein Jericho, schreyen was zw dem ber-
ren, 0 ain sun David, erbarm dich mein. Item zw Jericho das Haus
Zachee, darynn der herr empfangen ward. Bey disem ablas syben
Jar syben karen. —
Item das Closter sancti Johannis Baptiste, das yf ditz mal etwas
weyt von dem Aus dess Jordans stat, da ist auch die stat gewesen der
teufEüng Cristi, ablas aller sünd. Nahend bey disem sieht man das
tod mer, alls die fünf stet versunckhen. Item an dem anndem teü des
fluss faht an die gros wüsten in Egipten. —
Item auff den Newnunndzwaintzigsten tag Juli vor tag kamen
wir vast vnnd hertigklich beschwert von hunger, durst und schlaff
dann in drew nachten mit den tagen nichtzig geschlafen, auch etlich
Tbel geessen vnnd trunckhen, wider gein Jerusalem. Rweten den tag
vnnd die nacht also. —
Item auf den dreyssigisten tag Juli luden die väter des Bergs
Syon die Bylger zu gast, vnnd alls im aufheben beschah ain ermanung
an die Bylger, das sie Ir Almusn mit Raychten nach ains götlichen
Yermügn, do durch die Haylig stat bewart vnnd die Brueder narung
haben möchten. Also ward angehebt ain erber Summ, doch sollten
die Brueder leben, auß dem das Ich sach die welschen geben, würden
nit alls fayst packhen tragend —
Item auf den Ainvnnddreyssigisten tag Juli vermainten wir hin
von Jerusalem zu scheiden. Also ward vnnser patron mit ainer kranck-
hait beschwert, die do werdt in driten tag. Also ward vnnser hinfart
verzogen bis auf den driten tag Augusti. Darzwischen kam Ich Zwir-
net in den Tempel dess Hayligen grabs mit bezalung vier Marckhet',
schieden also auf den genanten driten tag Augusti auf den aubend von
der Hayligen stat. Aber von Bösen leuten kamen derselben nacht zw
herberg bey ainem prunnen zehen meyl von der Stat, haist Föns Jere-
mies Item auf den vierden tag Augusti zw mittag kamen wir gein
Bama, do wir behallten wurden zwu nacht in gros sorglich vnrw, dann
wir besorgten Hunger vnnd Durst müsten leyden, unnd alls auf den
1) Dass viele pilger sich undankbar gegen die gastlichen mönche zeigten, ist
anch sonst bezeugt (RM. 29).
2) Ein marchetto ist Vt weisspfennig ; vgl. RM. 16.
3) Heut Koriet el-Aneb (Tobler, Topogr. II, 748).
■r.« .» . .. .»^M
BERICHT ÜBER EIinE JBSÜBALBMFAHBT 193
•
sechsten tag dess Morgen warden wir zu reyten bestimpt, auf solichs
was yederman auf, mnd alls wir ain wenig für die Herberg hinaus,
warden wir wider zurückh getryben, der do der Hinderst was, empfannd
wol der straichen, mußten wider in die beschlossn Behalltung auf
zwu stund. Also darnach was man wider auf, vnnd kamen auf Mit-
tag gein Ja&t, musten daselben beleyben bis nahend zu nacht, war-
den etlich vbel geschlagen, doch mir beschach nichs von den gnaden
gots. Etlich fuoren von stund an zw schif , schannckhten aber zwen
Marcel^ für den Man, das der merertayl der Bilger nit thun wollt, wir
ließen vnnsem patron von etlichs spanswegen zu Bama, der behalten
ward auf etlich tag. —
Item als sechs tag Augusti, auf die nacht wie obstet, kamen wir
wider zu schif vnnd warden also verhallten bis auf den zehenden tag,
das wir nichs vememen kunten von Ynnserm patron, der zw Bama
verhallten was'. Deßhalb ain vnrw zwischen den Bylgem ennstund.
Etlich vermainten, verschaSt werden, mit gewalt, die segel au£suzie-
hen vnnd daruon ze faren, was vnns zw ...^ er helfen seit, den patron
solatieren^, oder syn kaufinanschatz vertreiben oder verenndem. Etlich
vermainten, das lannd hinauf zu faren vnnd In mit gewalt erobern,
alls vor auch beschehen ist, mit ertödten, was man findt, etlich böser
zu sein, ain gewiß erfarung vnnderston zw haben, ob schon etwas
kosten würd, vnnd so man dann gewiß vemomen, den gedachten patron
auf Damasco geryten sein, solt vnnd möcht man dan darzw thun,
vnnser weg zu faren. In diser red, die zwen tag gewert, vnnd als
auch etlich dess schifs Begirer nit ains werden konnten, welcher patron
sein sollt, dann ain y etlicher dess Begennts begeret, das zuletzst mit
Harraufen gericht ward. Ainer dess schifs schreyber, ain gestannder^
Man, zoch oder ryß ain Zan auß dem Mund, zu bedeuten, vngerochen
nit lassen hingen gogen ainem Jungen, des Patrons knecht, der mit
Im gereufft hat Inn solichem auf den Mittag des obgenannten zehen-
den tags Augusti ward vnns aygenntlich gewysen, den vilgedachten
patron am Lannd zu sein, der auch von stund an hernach komen
wurd, alls beschach auf zwu stund hernach. Da wurden ettlich Inn
begrüessen, etlich nit, wann sy maynten, wo Er het wölln, wer man
zw derselben Zeit in Gipem, dann es sich darzwischen vil guts winds
l\ Ein marcello ist c. 5 reichspfennige (RM. 16).
2) Über den wahren grund siehe die genauen nachrichten unten im zweiten
texte. 3) Lücke.
4) Ob sooUare, losmachen?
5) eifkhrener, entschlossener; vgl. Mhd. wb. U, 2, 576.
ZDT8CHRZFT f. DKUT8CH1 PHOOLOOU. BD. XXV. 13
194 BÖHBIOHT
verlauffen hat, satz sich also alle ding nyder, ynnd auf gutem weg
belyben, das nit weyter red enntstund. Darnach gar bald ward man
die segel aufziehen, zu rüsten vnnd sich keren, wo wynnd kam, hin-
zufaren. Item alls auf denselben zehennden tag nach Mitnacht, bekhain
ain wind, lies man die segel fallen, ain yetlichn nach einander mit
seinem zugehörenden geschrey vnnd gesegen, die dann die Harinary^
nach gewonhait her zw haben, so sy von ainer port zu schiffen ver-
mainen. AUs gegen tag warden wir getryben so weit, das man das
Haylig lannd nit dann von ferren sehen möcht, schifften also fürt,
vnnd yf die nacht stund aber Bonatza an, der do wert die nacht, mit
sambt dem zwölften tag Augusti, das wir gar wenig des wegs gestreckht
wurden. Herzwischen verluren wir Vnnser milgespanen*, die Bartzot-
ten ^, das wir In Ton ferren nit mer sehen konnten. —
Item dieweyl mir nichs von der heyligen stat bißher innsunders
zu bedencken gesetzt, das Ich doch leychtlich vergessen würd, schafft
krenckhe meiner gedechtnus, will Ich mir ditz kürtzlich zw ainer Me-
moria. Die Haylig Stat, alls nun sichtbar steet, hindan gesetzt was
zerstört, von dem Ich nichs acht, dann alls vil es gillt, ertrich vnd
steyn, ist gepawen von oben des Bergs Syon, streckhen sich hynnab
zu tal, das man nennet Josaphat, doch nit gantz dann noch ain zim-
liehe Höhin ist, bis zw vnnderst dess Bergs, do dann der Bach Gedron
sein Aus hat, an welchem stet der Oliueti. An wölhem ort auch gar
kain wonung sind dann der Tempel dess hayligen grabs, vnnser frawen
vnnd die anndem hayligen stet, die oben bedeut stond, mitsambt
etlichen allten gräbem, vnnd harumb ligt die gedacht heylig stat, wol
zwischen zwayen Bergen. Auf ditz mal aber ist kain wonung, allain
den Berg Syon hinnab, welher stat vmbkreis vnnd weyte mich bedaucht,
vergleicht mögen werden ainer zimlichen stat in vnsem lannden, alls
Zürich oder Bern, Irs gebawes, aber gar nichs in eren, mag wol vor
Zeiten ain herlich Ding gesehen sein worden, dünckht es mich doch
der Gristen munier vnnd wonungen nit vergleichen mögen, das Ich
herauß nym von den vnndersten gewelben, die nit wol haben zerbro-
chen mögen werden, darynn noch die leut wonhafft sind, die gar
schlecht zugerüst Darzw so man gat auf den Marckht, den man nen-
net Magar^, der gar in gewelb stat, in ainer grossen weyte, dardurch
manich stras geordnet, an etlichen sitzen die kaufleut, an etlichen die,
die Baumwollen verkaufen vnnd sie ar halten, an etlichen, di^ kraut
1) marinaro ital. matrose. 2) reisegenossen.
3) Parzotto ist der name des zweiten pilgerschifs (Ottheinrich 378).
4) bazar.
BESICHT ÜBIB BINB JEBUSAIJDfPAHBT 195
Yimd Obs fayl haben, an etlichen die handtwerckhsleut, synd doch die
lädlin oder^ derselben Innwoner so enng vnnd klain, das wol ain
schein hat, nit sonder gewesen sein solle, dann die ledlin. Haben nit
thtLren, noch ander außgenng, dann allain ain Bogen, darynn der Inn-
woner sein Armut beschleust, mit etlichen Brytem verstellt Daseiben
mus Er auch auß ynnd einsteigen, diser arbaytseligen Hülin seind
mer dann die halben nit wonhafft, sollt Ich dann sagen von den . . .* der
Juden, die nit bösers verdient, möcht es menigklich erparmen, so
grossem vnlust vnnderligen, darzw von dem vrtail gots besorgt schon
verdambt werden, wolhe von ainer Hülyn in die annder fliehend, so
sie sehen in der anndem vnüats halber, oder das niderfollen wollt,
nymen wonen mtigen. Der anndem Innwoner, alls türckhen oder
Moren, wie sie leben oder wanndeln in grossem ellennd, will Ich für-
gon. Allain mich erbarmt Lrs lebens, gleich der Armen vnnd der
Reichen. Des will Ich sie gelobt haben, das mer trew einander bewey-
sen vnnd thund, dann manch cristen gemuet gegen seinem nebenmen-
schen thun möcht, was soll Ich sagen, die synd Übel behaust, ärm-
klichen bedaidt vnnd noch aller schlechtigist gespitzt^, darzw in her-
terer obrigkait gehallten. Also das Ich sagen möcht, weren in alln
vnselig, Allain das sy gnugsamlich mit Betheusem, die sie nennen
Muschoga^ versehen sind, deren sie vil hin vnnd her aufgericht haben,
gantz weis bekleidt oder gemalt, darbey sie dann Ir abgestorbnen ver-
graben. Dis stet seind vnns cristen verpoten zu berüren, vnnd das
Ich mer Ir weis bedeut, sind dis nit so wanndelbar zu uerwanndeln
von Zeit in Zeit Ir klaidung, alls etlich wir Cristen, sonders bekleidt
sich der man in ain lanngen Bockh, zw den knoden Im stossend^,
darunter ain lang Hembd habend vom wullen oder tuch, sein köpf
nach Vermögen mit aim Bainen vast weyssen subtylen langen schlayer
oder vast groben Duch vmbunden, so seind h\ auch zway bar schuech
mit eyssen beschlagen, ain Jar lanng werend. Der Frawen wat, deren
Ich etwan Zwaintzig oder Yierundzwaintzig min einander zw Iren Bet-
heussem gon gesehen hab, seind gemainlich all mit ainem vast weys-
sen raynen tuch vmbzogen, das man In nichs sehen ist, allain die
fües, das angesicht mit ainem schwartzen seydin tüchUn verdeckht
Ynnd dis in der stat, in den Dörffem, oder auf dem Lannd, vast
ellendigklich mit klaidung versehen. Dis arm volckh ist ain wenig
gellt hanndlen, wolhe sie nennen serafi^, sind Ducaten, Medini^ Ir
1) 2) Lücke. 3) gespeist 4) mosoheen.
5) mit knoten ihn befestigend? 6) seraphi goldstücke; vgl. BM. 16; R. 54.
7) Meidine; vgl. RM. 16; R 53
13*
196 BÖBBIOHT
Schilling, fluß^ Ir niynnst, also das vier auf pfenning komen. Die
Strassen der stat seind enng vnnd vor Zeiten vast all gewelbt, das
darauf niemants nas werden möcht, die durch etlich subtyl taglöcher
schein haben wasen auf dismal, die nit gewelbt ston, sein zw beeden
Seiten erhebt, das menigklichs zw Begen Zeiten wandeln mag. Die
stat ist yast ein in altem gepew, also das wol vil leuten vor Zeiten
herynn gewonet vnnd noch villeicht wonen mügen, wann Ich Ir nit
abgezelt Doch ist der tempel Salomonis mer dann der vierdt tayl in
seinem vmbkreis bekümern, do kain leut beleiben. Dise stat ist zu
beschliessen, als man es auch nechtlich beschleust, aber mit aller
schlechtigisten porten. In diser stat sind etlich tu hoch tum, auf
wölhe zu nacht vnnd morgens etlich dar zw bestellt steygen seind, das
volckh mit Irem geschrey zu beten ermanen, Alßdann wir Cristen
bedeuten wollen nüt den gloggen, auf disem thum, auch durch das
gantz lannd sind die volkher auizünden brynnend feurer, zw der Zeit
Irer vasten^, die sich erhebt vnnd anfaht des ersten tags Augusti, vnnd
werdt denselben außhallten dise gewonheit Irer fasten, das sie nichs
essen sind, von ainem stem zw dem andern, vnnd so sie zu nacht
den ersten stem ersehen, heben sie an ermklichen sich zu fursehen
mit speis, des Ich nit geleben möcht, bezeug Ich mich mit got, Ich
müeste dann thon. Diser Leut tisch oder stul sind anders nichs, dann
die Haylig erd, so haben sie auch nit souil trinckhen noch essen,
gerüst noch Aparatz ^, dann wir gewont haben. —
Item von dem Zwölfften tag Augusti sind wir gefaren, ains mals
haben Bonatzo, annders widerwertigen winnd bis auf den sybenzehen-
den tag, das wir die Innsel Cüpern nit erlanngen. Herzwischen war-
den wir nahend getriben zw dem lannd, das man nennt Bamt^, etwas
auf die recht Hannd weyters dann die Innsel Oipem ligen, doch wol
von vnns mögen gesehen werden, vnnd alls wir nach lanngem Begem
zuletzst auf den gedachten sybenzehenden tag ankamen, bey ainer port
genennt Salline^, warden wir darnach gefuert 2;w etlichen Heusern^
von dem mer ligen hayssen Lamica^. Do beliben wir den tag, auf die
nacht versah sich menigklich, der mit Boß, der mit Esel, zu reyten,
der gein Famagust, der gein Niclosia^. Ich was nemen den weg,
mit sampt ainem gesellen, auf Niclosia, vnnd alls auf den Achtzehen-
den zu stundin tag, kamen wir zw Herberg diser gedachten stat
1) fids (vom lat foliis, schuppe), Scheidemünze.
2) im Kamadhan. 3) wol für apparat; vieUeichi ist dar genetiv gemeint,
4) Beirat 5) Salinis. 6) ergänxe: die fem ... 7) Lamaka.
8) Famagusta, Nicosia.
BERECHT ÜBER MINE JEBÜSALBMFAHRT 197
Niclosia, die von dem meer ligt zwu meyl, seind newn Ciperisch meyl.
Das lannd darz wischen vast bürgig vüiid vol Domen, doch eüich hüpsch
gärtenbaw wellen bringen, warden von weyten gesehen. Die gedacht
stat ist die gewaltigist vnnd vemamptest der Innsel Gipern, wöliche mit
eiltesten besten meuren vmbgeben in weytem Tmbkreis, doch innwenn-
dig in gebew in kainen eeren, auch vil leer Fletz haben, darzu vil
vnnd manich kirchen vnnd Gapellen, da etlich zerstört, eÜich in myii-
sten eeren stond. In diser stat hanndelt man manicherlay Müntz, doch
sind die fordersten Garcy^, sind pfenning, Bysanti gonnd zehen auf
ain Ducaten. Da belib Ich den tag, mit sambt dem Newnzehenden
vnnd zwaintzigisten tag Augusti. —
Item auf den Ainvnndzwaintzigisten tag zw aubend Beyt Ich mit
etlichen herren vnnd gesellen zw sant . . .*, der do ligt vierundzwaintzig
meyl von der gedachten stat, ain schön eben lannd, aber auf die Zeit
ganntz erdürret, vnnd alls des morgens kamen wir dahin, do wir fann-
den den hayligen ligen, in ainer klainen Gapellen, mit ainem staynin
grossen sarch bewart Do am Mitten dess Deckhels des grabs sind
zway Löchlin, daraus scheinbarlich fleust ain liquor, den man den Byl-
gem fürsetzt vnnd mit tayl in etlichen klainen gläßlin. Ditz soll zw
allen kranckhen leuten haylsam sein, als wol zu glauben ist. Dann
Ich daselbst sach wonen ob fünf Armer, die sich dess Liquors emer-
ten, vnnd zuletzst in kurtzem vertrauten gesund werden. Den tag
beliben wir da, vf die nacht zugen wir wider zw Niclosia, da belib
Ich den drewundzwaintzigisten vnd den vierundzwaintzigisten tag, zu
erwarten ains teutschen, der den weg wüst —
Item des vierundzwaintzigisten tags zu nacht was ich allain Bet-
ten, nach dem das thor beschlossen ward, das man mir auch aufthet,
des wegs ain tayl auf Famagust, bey sechs meylen, vnnd alls Ich den
weg verlur, von vinstere der nacht, fannd Ich darnach ain greckbischen
man bey ainem Haus, dem Ich alls vil erzaigt, das Er mich fuort in
ain Haus, da man wein verkaufiR;, satzt Ich mich vnnder vier pauren
vnnd ain frawen, tranckhen bey ainer stund, bis sie frölich wurden.
Zw jüngst zallt Ich die yrten, vnnd leyt mich darnach nider ain stund,
zu schlaffen, bis der Mon scheinen begund, alls darnach was mich
ainer derselben weysen den Bechten weg, saß auf vnnd kam diselben
nacht mit den halben tag durch ain zünlich gut Lannd, dann das es
1) Garcy (ob ans grossns verderbt?), Scheidemünze; Bysanti, sübermünze:
vgl. Desmioni, Oiomale lignst XI, 1882, 13 fgg. (Separatabzng).
2) Ergänze Montfort; seine grabstätte wird in allen pilgersohriften seit anfang
des fünfzehnten Jahrhunderts erwähnt nnd beschrieben (vgl. £M. 23; R 60).
Id8 ROHBICHT
mich fast dürr bedaucht Doch sind manich wonungen nahend bey-
einander, darzwischen in ainer gantzen ebne, kam also auf die vesper
gein Famagust, die sechsvnnddreyssig meyl von der gedachten stat
ligt, welche in allem sterckhesten gebew ainer Rinckhmaum vnnd
wunderbarlichen stat grabens, auch allermechtigist BoUwerckh vnnd
thure haben, rmbgeben ist. Innwendig, so sie mit Munition vnnd
speis aus wol fürsehen würt, alls Ich verston, versehen sein mit mau-
ren, Büchssen vnnd kriegsleuten, mags wol der sterckhsten stet sein,
so auf erden erfunden werden. Yon Innen hat sie allt zerstört heusser,
der gar wenig wider in eeren gebracht werden, gibt mans die schuld
den kriegsleuten, der bey Achthundert da wonen. Ynnd von stund
kamen etlich vnnser Zungen, mich emphaen, vnd ain herren schelten,
des Ich mich zum merermal versprach, nicht destermynder must Ich
beleiben, klao begaben sie sich mit mir wöUen zu nacht essen, vimd
weiters, wo sie mir gedienen könnten, das Ich sie vngespart nit liefi,
vnnd erkhannten doch vnder anderm Ir gros Armut, vnnd das sy nit
mer begerten, auß der Innsel entrunnen mögen. Yersach Ich mich
wol, wo mein herschaft auB wolt, die mir beleih bis morgen, alls Ich
die yrten zalen sollt, mußt Ich ain Ducaten verzert haben, nach aller
Rechnung. Also bin Ich auch ain mal zw ainem Herren worden, darf
aber dess kain gülden sporn fueren. Doch acht Ichs klain, dann mein
tag, wo Ich ye hin kam in frembd land, hab Ich niemand erfunden
meiner landsleuten, oder teutscher Zungen, der mich ansprech, wer
dann ärmer als Ich, das Ich dann nach Natürlicher Billigkait Inn mein
Armut mitzutailen nit versagen möcht Ynnd ob schon eüich . . .^ warend
in vermügen, mir zu helfTen, wassen sie sich vor mir verbei^gen.
Ditz must Ich auch bewert nemen zw Bodis, aUs ab Büger von der
hohen teutschen Zungen geladen worden, sunders Ich außgeschlossen,
man gabs aber auch dem zw, das Ich ain schweytzer mich hies, des
Ich mich hernach an vil orten schrib, mich frewet gebom sein ain
Schweytzerlin. —
Item auf den sechs vnnd zwaintzigisten tag Augusti gieng Ich zu
fiios zw sant Katerina, die auf ain teutsch meyl von der gedachten
stat Eamagust ligt, in ainem aller größten wunderbarlichsten ältesten
gebaw, das man nennet alt Famagust, daselbst gesehen ain Capellen
auf aller größten gewelben, wol sich erzaigen aius künigs wouung
gewesen. Daseiben auch nahend darbey die gefennckhnus, allain steend.
In dem felld hypsch zu sehen, nahend darbey zwu staynin seul, daran
1) Lüoke.
BimOHT ÜBKR KINE JERUSALKMFAHBT 199
die haylig JiiDckh&aw gemartert, die auch noch blutfarb scheinen.
Auf die nacht rayt Ich allain, mit zwen kriegsknechten, gein Salline,
sind vieryndzwaintzig meilen, da belib Ich den sybenvnndzwaintzigisten,
mit sambt dem Achtmndzwaintzigisten tag Augusti. Item auf den
Achtvnndzwaintzigisten tag zu nacht fuoren wir zu schif, was vnns
der wind alls wider, das wir beleiben muSten den Neunvnndzwain-
tzigisten tag, den dreyssigisten, mit sambt dem ainvnddreyssigisten tag.
Ynnd auf den dreyssigisten tag starb ains Enngellenders knecht, got
hab der seel gedult, vnnd behuet die anndern, dann gar mancher sich
beclagt, im namen gotz der erst, wie der Münich sagt^ auf den
Barzotten waren fünf daruon. —
Item in der gedachten Innsel Cipern, die vor Zeiten den Breis
behielt, sein die fruchtbarst. Zu diser Zeit der mer ynd grösser tail
venrnnutz, verwüst von den hewschreflfen, die zw etlichen Zeiten in
so gros menng sich auf lond, das von embsiger dickhe die Sunn hells-
tags nit gesehen mag werden, die sich nach narung Irer Natur dann
nyder lonnd, vnnd so sie auf grüne volkomne fellder, seien was ge-
schlecht der fruchten, sich nider lond, werden dieselben von den
genannten hewschryckel verfretzt vnnd gar gefressen, alls wer es ain
dürryn Egert', vnnd nye gebawen gewessen. Heruon leidt der Arm
gar schwer vnnd gros nachtail, die . . .^ aber wennd dennocht geessen han,
vnnd auf hohen Rossen reyten, got sey es klagt, nach gemainem
Sprüchwort, der arm leidt an allen orten. Doch nit destermynder ist
noch zw Zeit erberlich wesen, herynn zimlich Zuckher, den man fär
den besten hallten will, von drey kochen, die auch gar mit grosser
arbait, costen vnnd wunderbarlichen geschyrren, darzw gehörennd, zw
ennd erhoUt vnnd gemacht würdt. Darbey grosse menge der besten
Baumwollen, alls auf erden gefunden. Ditz würt vnnd kumt aber vast
der Nutz den vorderigen ...^ Man spricht auch, das in diser Innsel vor
Zeiten das best vnnd schönest goUd gegraben sey worden, das man
noch dickh nennet Ciperest gpld. Doch nymer von der Türckhen wegen
dörSen darnach graben, die Ir sunsts gar aufsetzig sind. Es müssn
auch die Yenediger Jerlich sechtzehen tausent Ducaten daruon tribut
den Türeken bezallen vnnd zw Haus schicken, wann an ainem ort Er
gar leichtlich in die vil gedacht Innsel komen möcht, wann sie Im
nahend an sein land stost Darzw das das grösser ist dem Armen
vnnd dem Reichen gemayn, Aber den Yenedigem am höchsten Nütz-
1) Wol eine Bpriohwörtliche redensart. 2) brachfeld.
3) und 4) Lüoke.
».'
200 RÖHBICHT
lieh hat die meer genannt Innsel ain saltzgruob, inner kurtzen Jaren
worden vnnd angestannden , dann vor Weingarten daselbst gepflanntzt
worden. Ist in grosse ains zimlichen weihers. Dis sagt man von
süessem wasser Zusamenlauffen sich daselbst versamblen, würckht dar-
nach die sonn in Irer krafit darein, das der schäum zw oberst ains
gemüntz hoch schneeweis saltz würt, Ringsweis, so weyt das wasser
sich außbray t anzusehen , alls im wynnter in vnnsem lannden die wey er
gefrürend, vnnd darnach ain schnee darauffallen ist, den man etwan
mit eckhsten gewynnen ynnd aufhawen mus. Also thund sie nit mer
noch minders, dises saltz zu haben, dann etwan zwayhundert vnnd
meer, der mit Eckhsten aufzuhawen, der mit Esel hinweggzufueren,
der zw hauffen worffen, bei den gestat, do sy dann gros hauffen sam-
len, bis die Yenediger schiff komen vnnd hinfueren, sunst darf nie-
mants daselbst sich versehen, zu laden, werd dann durch gros bit
nachgelassen, den Yenedigem thut aber niemands weren. Es seind
wol ettlich, die sprechen, diso Saltzgruob sey vnnd enntstannd von
dess meers überlauffen, zw Winters Zeit, vnnd wann dann des Sumers
die Sunn in dasselb wasser würckhen sey, enntstannd dann dasselbig
saltz, das auch wol zu glauben, dann die gedacht stat ligt nahend bey
dem meere, sey aber welhes zum Besten ze glauben für war gehall-
ten, so will Ich dannocht lieber in vnnsem lannden mein leben fderen,
zw Jüngst, nach au&atz got des almechtigen ennden vnnd beschliessen,
solt Ich das salz noch so tewr sein, macht man doch gut suppen vnnd
häberinn Muos. —
Item also vorlagen wir den Newnvndzwanzigsten, den Dreys-
sigisten mitsambt dem Ainvnddreyssigisten tag Augusti auf dem schiff
das wir Hindemus dess winds, auch das der Naf nit zugeröst vnnd
in Ordnung was, nyrgends hin fürstreckhten, des etlich Bilger schmäl-
ten, vermainten, bas vnnd lieber auf dem lannd verliben sein, zum
mynsten die speis erspart habenn, die In darnach gepresten^ möcht,
so waren aber etlich triben gefürdert werden, zu schif zu fetren, vmb
das sy ain klain gellt ersparten, das sie sonnst verzeren muefiten.
Dieer waren meer, dann der anndem. Hierumb der Patron vnwülig
In zw willen ward vnnd zu schif kert Mußten aber hernach dieselben
wol von Im hören, alls es sy beschwert, so lanng verharren, an lannd
zu sein. —
Item auf den ersten tag Septembris in der nacht, die darnach
was dess Ainvnddreyssigisten tag Augusti, auf ain Sambstag, zwu stund,
1) gebrechen.
BESICnr ÜBEB EXIQE JERÜSALEUFAHBT 201
kam ain zimlicher Wind von dem lannd, lies man all segel fallen,
abermals mit gewontem geschray vnnd segen, herzw gehörenndt vnnd
gewoni Auf den Mittag ward Galmas, auf die nacht stond der allt
Wind an genannt Prouintza^, der vns mer hindert, Also das wir zw . . .*
hinnauf mueßten, der werdt bis an den andern tag, an welchem ain
eerlicher herr vnnd Vicari auß dem Nyderlannd abstarb, die schuler ^
der Natur bezalt, got der erlöser gedennckh der seel vnd des Namens,
der do heyßt Theodorios de Hagen ^. Alls man In besanng, ward Er
darnach balld in das meer geworffen. Derselben nacht betten wir ain
starckhen widerwind, der vnns den segel. Contra metzan genannt ^
zum tayl in das meer warf, doch kaine sorglichait geboren, dann das
etlich Bilger seer vast erschrackhen, hierumb got, seine hayligen
anruefiten. Diser Wind wert den vierdten , den fiinfften , den sechsten,
den sybennden tag, das wir all weg des Aubendts nahend bey der
Innsel hjnfaoren, do vnns vil hüpsch gelegenhait, Zuckher vnnd Baum-
wollen bringen gezaigt wurden. Auf die nacht aber must man dem
wind enntgegen weyhen, die segel vmbkeren, do wir dann darnach so
weit zw Bosit^ getriben, das wir der nachgeenden Nacht nit vü beuor
gewunnen, an dem ort wider befunden werden, aus wir daruon ge-
scheiden. Das werdt die genannt Zeit. Doch zuletzst, nach willn dess
herren, lanngten wir gegen Baffet*^, da vor Zeiten ain grosse stat
gestannden, erbawt gewesen, auf ditz mal mit klainistem gepew sich
erzaigt. Da waren etlich, vermainten zu lannd gelassen werden, das
doch nit stat het, segelten also Besitz hynnaus, das wir des mor-
gens die Innsel gar nahend auß gesiebt verluren, vermainten etlich zu
sein auf dem Golfo, schifften darnach auf die weyte des mers, vnnd
alls vnns an dem Achtenden tag aber wider wind ankam, der do wert
bis zw morgens des Neundten tag Septembris, was man die Innsel
Cipems, die wol sybenhundert meyl in vmbkreis beschleust, wider
sehen. Daruon die Bilger betruebt, vnnd ward annder annderm ange-
zeigt, das man von ainem hayligen Görpel zu Niclosie genomen sollt
haben ain tail^ desselben hayligen maus, der vnns nit faren lies, wer
dann widerkert Ditz ward auf ain Bischof gelegt vnnd geredt, deß-
halben Er gar gros Scheltwort von ainem Frantzosen hörn must, etlich
1) proyinza 2) Lücke. 3) schuld.
4) Wild sonst nicht erwähnt
5) contramezzana, gegensegel am hintermasi 6) beiseit
7) Bapha, früher Paphos.
8) Ein schiff, welches reliquien an bord hatte, war nach dem abei^laaben der
Schiffer dem nntergange verfallen (RM. 18; B. 17.)
202 BÖHBICHT
sonst Tmb vnnser sünd willen, ymbtiiben worden vennainten. Füren
also vngewis den Neundten, den Zebennden tag, an weihen auch ler-
schaid ain gesel der Riterschafft, so zw Jerusalem sich het lassen
schlagen, hies der von der Aw, gebom von ...^ der verlies, alls man
saget, ain hüpsch jung weib vnnd jungen kind, darzw vil guts. —
Item des Aylfiten tags septembris starb aber ain Briester aus
Pomem. Die beed, alls maus besanng, versanckht maus in das meer,
der ain wolt aber nit zw grund gon, got der erbarm sich der See-
len. —
Item den Zwölften tag zw Aubendt ward man Türckhisch lannd
sehen, daruon wir erkhückht enstunden, vnnd alls auf den dreyzehen-
den tag dess moigens kamen wir Nehand zw dem gebürg, genannt
die y eisen Zinidonia', ligen in türckheien, an disem warden wir
getriben, dann Neben hin auB, dann wider zw lannd keren, den vier-
zehenden vnnd fünfzehenden tag Septembris, das wir noch kain annder
Hoflfhung betten, dann der hilf gots zu erwarten, der wir auch bedurff-
ten, dann vnns abgieng an wein, an gutem flaisch vnd allermaist an
geschmachten wasser. —
Item an disem gebürg sagt man gelegen sein ain alt stat gehays-
sen Cacuba', alls sich dann des noch etlich thüm erzaigen, wölbe von
schickimg gots versenckht, zw mores grund. Item weiter an disem
gebürg ward vnns gewisen ain gelegne, do soll ain schlos hayßt Castel
Kos, ston*, vnndertönig den herren von Rodis. Bey derselben gegne
Hessen sich auch sehen etlich segel, die vnns ain schreckhen versa*
melten. —
Item des fünfzehenden tags beten wir vmb den Mittag ain zim-
lichen genedigen wind, der do wert bis auf die nacht Damach stund
aber Bonata zw, die do wert denselben sechzehenden tag, kamen also
zwischen das gebürg, auf den Golfo, do wir verhalten in werender
Bonata, das wir des wegs gar nit fürstreckhsten. Doch kam etwan
ain Blosts^, von dem wir erfreut, keret man die segel eylennds, den-
selben zu emphahen, werten aber in kainer sterckhy. Hierumb wir
also vorlagen auch den sybenzehenden tag, das wir das Rodischer
gebürg wol schawen mochten, vnnd betten wirs wollen abmalen. Da-
rauff ersehen worden drew Heusser, hayssen das ain Lindaw, das
1) Lücke; nach Ottheinrich 386 war der verstorbene Johannes von Aue ,etwan
ein rentmeiBter zu Meohel*^.
2) Chelidonia. 3) Kekoba w. vom vorigen.
4) Castelloryzo (meis), w. von Kekoba. 5) wind.
BKBICBT ÜBBB UNB JXBUSALKMFAHBT 203
annder üaraklo, das drit sant Angelo^, vimd auf den Achtzehenden tag,
alls wir die nacht die stat Bodis fürfaren gezwungen von widerigem
wind, kamen wir zw lannd, des gedachten Achtzehenden tags auf den
Anbis. Da aber etlich, aUs sich bezamt, schon vnnd erlich empfann-
gen, mit vil weins vnnd schenckh geert, Aber vnns schweytzem, der
vier waren, sties derselb wein nit das hertz ab, wann man v^nns nit
schickhen was, der eeren auch, so man vnns embot, ist leichtlich zu
dannckhen, ligt aber nit daran. Allain, wo Ichs alls gut het, wurds
mir zu bedennckhen ston. —
Item yerliben also zw Bodis den Neunzehenden, den Zwaint-
zigisten, den Ainyndzwaintzigsten, den Zwayynnzwaintzigisten, den
Drewvnndzwaintzigisten tag Septembris. Dazwischen ward gesagt von
etlichen vil segln der vncristen, die sich kürtzlich erzaigt haben, die
auch auf den groBmaister von Rodis, der Newlich in Acht tagen dar
komen was', mit vil newer Beden, die ain yeüicher verston weit nach
seinem aeligen, schüEFiien. Auf dis warden wir gewarnet, fürzesehen.
Es war bas zu thun gewis ain Zeit lanng gebaytet, on vngewis in
schaden komen, hierumb ward Bat gesucht bey dem groß Maister, der
Anntwort weren allweg &ey vnnd sicher, möchten hin&m vnsem
w^. —
Item auf den Drewundzwaintzigisten tag zu nacht warden wir
aber bestimbt zw schiff, das zu letzst beschach, vnd alls wir etwas
lenngers ennthalten wurden, den der Bartzot, was man sprechen, vnn-
ser schifleut weren nit wol erfaren, das vnns doch zw grossem vnd
heylsamen Nutz erschoss, mit dem das wir Widerwind überkamen, der
vnns zu Buckh trayb, dann wo wir für gefiEuren weren alls zw Buckh,
betten wir ain hertny Nuß beyssen müessen, daruon vnns niemand
erlösen het mögen, dann allain der Almechtig got, vnnd vnnser Be-
schirm, die zu sorgen was, nit mögen widerston, dann der widertaU
zu strackh erscheint, als hernach steet —
Item auf den Yierundzwaintzigisten tag des Morgens zwu stund
dess tags, alls wir wie obstat, zw Buckh von widerwind getriben wa-
ren, stuend an ain lanng werender Bonatza, Also das man Bodis von
weyte sehen, darzw das gebürg, der vngleubigen gehaysse zw der
anndem selten. Ynnd alls man daruon Beden was auch das gebirg
hinab zw sehen, von ferren warden geschawt in scheinbarm Augen-
schein Manich vnd vil segel, die man für Galleen vnnd füsten gar
1) lindo, oapelle Feorraolo, 8t. Angdo.
2) Philippe Villiers de Tlsle Adam, der am 11. sept. 1521 gelandet war (Wo-
chenblatt d. Johanniter -Balley Brandenburg 1881, 8. 17).
204 RÖHRICHT
wol erkhannt bey ftinfzehen Stückhen, nit was gewis, das nit freund,
hierumb man bas aufeehen was. Da ward erkhannt, dise Segel oder
Galeen strytten zwo Candiottischs grypen*, die dess anndern Morgen
von vnns gefaren, ward man gar scheinbarlich den Bauch dess geschütz
aufgeen sach. Daruon enntstund vnnder vnserm Schyff ain lermen
mit gemüster forcht, dann sy gegen vnns schyfften, so hetten wir auch
ain werende Bonatza, das wir kain Hilf noch vorteil suochen möch-
ten, noch zu fliehen, noch zw Beschirmung, alls dann ainer Naf not
ist wind zw haben, Ist sy halb bas zu bewaren, dann in ainer Bonatza
mögen die füsten* vnd Galleen zw vnnd von faren, die NafFen sche-
digen, so sie dann sehen ain vortail, stürmen sy, das in ainem guten
wind nütten ist, doch sind sie glückh wol in sorgen, wo der widertail
zu starckh, als do was zu erwogen. Daruon ward ain Ordnung zuge-
rüst. Erstmals das geschütz, das zw mal nit ganntz berayt mit zuge-
hörender Bewaning, das man nahend als gros aufsehen haben must
vnnsers geschütz, alls der feind, wan man vngewarsamlich mit dem
Bulfer hanndlet Damach vnder dem volckh doch nichts ordenlich alls
mich bedaucht, dann wan es darzw kem, solt ain yetUcher thon alls ain
Redlich Man. Das von dem von Neumeckh® widerredt, vnnd an patron
Beden lies, das man ain yeclich Nation auBteylen solt an ain ort, die-
selb zu bewaren, vnnd die teutsche an das vnsicherst, dann wir all-
wegen denselben Blatz innhielten, beschah aber nit In solichem, alls
sich ain yetlicher berayten was nach dem Besten in Im erkhannt, was
man sehen außgonn zw Bodis ordenlichen nach einannder ain galeen
mit ettlichen predegtinen, darzw das gros schif (ain Haus darinn ze
sehen, sein Beschlus vnnd Zugerüst). Dennoch volgten bey Newn
segel, auch gros schif,* vnnd alls sy heraus auf die weyte kamen, war-
den sy gesehen vnnd geacht, als sy auch waren, ain zimlich omaten,
vnnd alls dis gesehen, Empfiengen wir gros freud, dann sy ain pre-
degtin* zw vnns schickhten, von dem wir alle Bescheid verstunden,
was dise segel, so wider vnns weren, für leut, vnnd was sy gehandelt
hetten. Diser ward geschickht zw dem Durchleichtigsten Pursten,
Hertzog Ottheinrichn in Bayrn, pfalntzgraf am Beyn, ob sein fürstlich
gnad vermaint wider zw keren gein Bodis, das sy In selten emphaen
vnnd dahin Anntworten. Das da sein fürstlich gnad nit thun wolt,
sonders säur vnnd sues mit den Bilgem empfahen, vnnd was der
Almechtig got seinthalben geordnet hei Also was vnns das gedacht
1) grippo, eine sohifiBart. 2) fosta, ital. kaperschiff.
3) OtÜieinrich 390: Reinhard v. N. 4) brigantino, schiüsart
BBBICHI ÜBEB EINS JBBÜSALKMFAHBT 205
Predegtin etwan ferr dess wegs durch die Bonatza ziehen, darum der
patron In ain Baryllen . . .^ schencken was, die gar bald gelert ward. Die
feind aber erschrackhen von disem, deßhalben sy eylennds zw ßuckh
zügend in Ir gewarsam, betten aber vor vnnd ehe die vorgedachten
Grippen vnnd Galeen gewonnen, vnnd alls darauf ertödet, vnd gefan-
gen, was sy funden, bey dreyssig personen, allain ain Patron, der
abel wund war, alls er auch zuletzst abscheid, der seelen got barm-
hertzig sey. Drey Jung beten sich in den sand vergraben, sind auch
daruon komen, vnnd alls die feind sahen die enntschüttung so nahend,
haben sy verlassen die genannten Grippen vnd Galleen, die darnach
gein Bodis wider gefuert wurden, etlichen vnnd der grossen segeln
manngeln. Auf die vesper Zeit kerten die gedachten schif von Bodis
widerumb, zw denen wir dann in miten, dann zuletzst, dann zw for-
derst, so widerig was der wind, komen waren. Vnnd alls sy wider
zw Haus kerten, ward der von Neuneckh mitsambt dem Patron ge-
schickht in das gros schif, zu berayten, ob wir vnnsers wegs faren
möchten, vnnd alls sy wider kamen, brachten sy in anntwort. Wo nit
ain grosser Wind kem, der mit vnns gieng, sotten wir es nit vnnder-
ston. Darnach ward an sie begert, ob sy vnns nit beleyten könndten,
Anntworten sie, weren nit versorgt mit speis. Daenntzwischen stiend
vnns an gar ain schwer hert weter mit schleg. Bogen vnd seltzamen
winden, die sich von augenblickh vnnd stund verwanndleten, daraus
sich nyemandt verston könnt Es waren bey Fünfzehen segel bey ein-
ander, den auch ain vnfal begegnet von starckhem wind, alls die fni-
men Byter vom schif stigen, ertrannckhen zwen* vnnd sonnst ainer,
got tröst der seel. Da betten etlich Bonatza, etlich wider wind, etlich
fort wind. Darumb fuoren die von dem grossen schif in das port, die
anndem mußten aber furfaren, das kains zw anparckh komen möcht
Ditz weter werdt bis auf die nacht. Also lies man die segel nyder,
vnnd schwebten die nacht vor Bodis über. Dess morgens het vnns
der wind aber weyt getriben von der stat, also das wir bis zw Anbiss
nit wider dar ze komen möchten. Dess fünfvnndzwaintzigisten tags
vnnd alls es sich so lanng verzog, man meniclich den Anbis in dem
schif. Damach kam aber gar ain grosser Bogen, der vnns verhinndert,
bis auf die vesper abzusteigen, vnnd alls etlich wider zw Herberg
empfangen , ward sich ain freud mit genügster Dannckhsagung , got dem
almechtigen, erhebt, ains tails der Bilger aus so ainer grossen sorg-
1) Lücke; ein barille hält jezt c. 20 flaschen.
2) Ottheinrich 390.
206 BÖHBICBT
liehen gefer erlöst sind, annderstails deren 87 emphahen waren, die
auch sagten, gar trewlich für yns gebeten haben, dann sy vermein-
ten, weren durch fort wind den Hennden ynnser feind zu tail wor-
den. —
Item auf den sechsvnnzwaintzigisten tag ward aber zw Rodis ein
grippen eingefürt, daraus all beraitschafft vnnd leut genomen vnnd
ertödt waren, ain schwer hert sach zu uememen. Also die Gristen
von den vDgleubigen Hunden durchächtet ^ werden, aber vmb der sünd
willen synd wir vnnderwürfiflich, vil leut an disem was Ich gewe-
sen bey ynnser lieben frawen zw fiUerma', da gesehen fürwar ain
schön andacht Ditz ligt auf ainem Hohen Berg, ain teutschen meyl
yon Bodis. Die zart Junckhfraw ward für ynns Ir liebs kind bit-
ten mit* ... —
Item den sybenynndzwaintzigisten, den Achtvndzwaintzigisten,
mit sampt dem Neunynndzwaintzigisten tag lagen wir styll zu Rodis
in grossem ynn willen etlicher, die do maynnten, weren wol durch die
feind koman, was aber der merertayl darwider, weiten mer yerligen
ynnd gelt yerzeren, dan sich in gefär ynnd sorglichait leibs ynd guts
geben, dieweil ynns der Almechtig ain mal so genedig yersehen ynnd
erlöst het, das sich darnach nit gut zu wagen, auch sein guetigkait
zuuersuchen. Herzwischen enstunden manicherlay Bed ynnd Hannd-
lung vnnser Hin&rt, dann wolt man auf Gonserua^ warten vnnd sollt
es sich ain Monat zwen verziehen, dann wolt man den gros Maister
biten lassen, vnns im Beschirm zu belayten. Daruon auch annstund
ain taylt Bed, etlich vermainten, nayn, ob sy vims schon geleyten, wer
In dann herwider hülf, dann die wind gar zu starckh weren, die sich
erzaigten mit zwen ynndzwaintzig Segeln, etlich sagten. Ja, man würd
vnns sterckhung geben mit drey galleen, ynnd dem grossen schif , wan
maus zurüsten lies, es möcht aber noch niemand wissen furwar, auch
wann vnnser Hinfart sich schicken solt Herzwischen kamen manicher-
lay schif zw Bodis an, auß Ponent, vnd Leuant^, die mancher hannd
newer meer sagten, dauon wir auch dester begiriger wurden hinzw-
&ren. Deßhalben mer betruebt, die Zeit also zuuerligen, vnnd aber
in vnnsem lannden so wunderbarlich Sachen verhanndelt wurden.
Item in disem, alls wir also still lagen, kam ain Bübschif aus Leuant
auf den Achtvnndzwaintzigisten tag Septembris, das do bracht ain
Grippen, so sie gewunnen hetten, darzw einander...^ darauf gewonnen
1) yerfolgt 2) St Maria de Philermo. 3) Lücke.
4) coDsenra, hülfe. 5) Ponente, Levante — westen, osten.
6) Lücke.
BSBXOHT ÜBER EIHK JEBUSALBMFAHBT 207
Neunynndneuntzig Moren vimd Hayden, darzw aniider kaufmanschatz,
aus Leder ynnd Keys, weihe ditz weiten gefiiert haben in Alexandria,
ynnd aber sy zw Bodis ausstunden , warden sy gemainklich gefuert für
den gros Maister, der all wegen von zehen ain haben ist, die anndem
warden verkaufit Wiewol sy mich liederlich leut dünckhten sein,
werden sie doch teur hingegeben. —
Item den dreyssigisten Septembris, mit dem ersten tag Octobris
ward nichts gehanndelt, dann das furthin weg gesucht ward vnnser
Hinfart, auch wie man vnns gelayten wolt, dan was man das sagen,
dann ain anders, nit wißt Ich der yrsach, dann allain, das vmb des
Pfaintzgrauon willen die Recht warhait nit geoffembart wart, damit
sein gnad dester minder yerspeht Darzw kamen furthin vil newer
Reden von ynnsem Lannden, die den Bilgem angelegen. Darumb
begerten gefordert —
Item alls auf den anndem tag Octobris warden wir bestimbt zu
schif, auf die nacht, do nun menigklichs gerüst stund, solichs zuuol-
bringen, was angestannden ain fast grosser wind Wiewol Er mit vnns
gewesen, möcht man doch gar kümerlich zw dem nauf kernen, der Naf
weniger auß dem Haffen musten, also aber gehindert stond. Ich was
aber im besten mir vermerckhen, das got der Almechtig vnns zw
gutem also geschickht, verlyben also den driten tag, den vierdten, das
man on vnderlas hanndelt, wie zu schiffen wer, vnns hin mögen faren,
vnnd alls man aber nichts gewiß, noch enntlichs sagen was, wie wir
gelaytet sollten werden, oder mit galleen, oder mit naffen, wurden wir
doch zuletzst beschayden zu schiff, dess vierten tag Octobris gegen der
nacht also kamen etlich, die anndem verlyben bis morgens, darunder
gar manicher kümerlich hernach kam. Da entzwischen was ain gryp-
lin ankomen von Venedig, das vnnder den feynnden gewesen, dem
sy kain laid gethon, sonnders die sie auch vor gefanngenn heten, wie
obstet Bey syben wider schickhten sy herwider, die vrsach erkhannt
man nit, dann das sy sagten, der Hauptman Dürckhen wer nit dess
willens, niemands kain layd zu thun. Das etlich in bösem verston
weiten, villeicht er vnns Bilger darmit raytzen, allain fürzufaren. Vnnd
also gegen tag dess fünften Octobris was man all Anker aufheben,
dann sich der wind ganntz gestyllet Darnach kamen drew galleen,
die vnns auß dem Haffen zogen, ain guten weg in das mör. Do stund
Bonatza an, das wir also schwebten, in dem zogen hernach die schiff
vnnser Gonserua, alns der partzo^, auch ain Bilgerschif, darnach die
1) Vgl. oben s. Id4 anm. 3.
208
Maryetten genant, gar ain gering kriegsschif, das auch manich erlich
»tackh erlanngt, mit ainer andern nafTen, darzw drew galieen, ain
Predegtin, darzw etlich Oripen, also das vnns bey zehen segel wurde,
auf die nacht thet sich die galleen zw vnnsenn schif , danunb das ditz
den fürsten füren was, machten es zw Hauptman, darumb Er die lat-
temen außstreckht, das dem anndem schif dem Barzotten beschmahen
was, dann es vnnder den Meerleuten vnnd schiffen gar ain gros £er
zwgibt, die ainer dem anndem gar kaum nachlast Also namen die
galleen das Warzaichen vnnd allen beschayd, gesegneten vnns vnnd
füren etwas auf die linckh Hannd weyt Yon vnns hindan, wann wir
dem wind nach nahend zw der Türckhen lannd &ren musten, den
wolte zu nemen, so vnns aber etwas ankem, solt maus In bedeuten,
mit ainem schuss ward yerlassen. —
Item in der nacht stund der wind ab, do wir dess morgens auf
erstunden, waren wir dess Wegs nit weyt gefiuren, vnnd alls man sich
vmbsach, was vnnser Ck)nsertta nah^id bey einander, das lustig zu sehen.
In dem bliesen die galleen Ir trumeten auf, vnd schanckhten dem fnr-
Hten ynnd den Bilgem ain guten tag, ymbfueren das schif, darnach
oyllten sy dann dem Turcklüschen lannd zw, Inen wasser zu fEissn. —
Item disen sechsten tag weret die Bonatza bis zw Anbis, in dem
gesehen ward ain weis Ding, sich regen vnnd bewegen, also wie es
wais Ich nit, ob von forcht oder sonnst au£ vnerfarenhait man wölt
sagen furwar, es wer ain fusten von den feynden, vnd do maus wol
ergründt, was ain vogel, der zuletzst hinflog, alls nach mittag kam
ain wind, der etwas wider vnns was, hierumb man lauieren must
Diser wert bis zw der nacht, das wir wenig furstreckhtn, gegen
aubend kamen aber die Oalleen vnnd schannckhten dem durchleuchtigen
fürsten vnnd den Bilgem abermals ain gut nacht, namen warzaichen,
alls darzw gehört, vnnd beliben auf der seytten hallten. —
Item in der nacht kam ain galleen zw warnen, das meniclich
sich versach vnd munder wer, dann sy besorgten, die feind nit weit
von dann zuhalten, die sich mit ainer Galleen vnnd fusten sehen bet-
ten lassen. Doch b^ab sich anders nichts die nacht, dann guts, weder
das wir ganntz schwachen wind überkamen gegen tag, des Achtenden
Octobris, alls wir auch am selben aus dem Canal von Bodis schifften.
Darnach begunden aber die galleen vmbfarren den Naf, mit erscheiten
trumeten, gaben dem fürsten aber ain guten tag, damach zogen sy die
schif ain lannge weil, auf den Anbis fuoren sy . . .^ hinaus, das ¥nrs bis
1) Lücke.
BERICHT ÜBER EINS JEBUSALEMFAHRT 209
in die nacht nit sahen, alls darnach begunden sy wider zw komen,
vnnd brachten, das sy erkhannt hetten, die Aromata^ der türckhen
hin zu sein von dem alten ort, aber wo aus, wissen sy nit, yermain-
ten also vnns zu lösen. Also was mans biten, das sy mit vnns fuoren
bis morgens, das sie guetlich verwiligten. —
Item dess morgens dess Achtenden tag Octobris waren wir der
Innsel genannt Caua Carpanton* über, der Venediger, ligt Achtzig
meyl von Rodis, ain klainen schwachn wind haben, alls darnach waren
vns die galleen gesegnen mit werten, trumeten vnnd geschütz, fuoren
wider in Iren Canal zw, da sy verhallten weiten, bis morgens, darumb,
wann vnns etwas ankem, darin wir Ir notturfft hetten, selten wir es
mit ainem schuss bedeuten, weiten sy vnns zw Hilf faren. Also schie-
den wir von einander, belyben bey ein das annder bUgor schif, furwar
nit in klainer gefar vnd sorglichait, daraus vnns der allmechtig got
erlösen wölL —
Item bis zw nacht desselben Achtenden tags Octobris het vnns
der winnd so weyt getriben in das meer, das vnns der Beschirm, wie
vorstat, nit het mögen hören, vnnd hetten wir joch alls vnnser geschütz
enntschossen. Hierumb wir ailain in dem schirm der Driualtigkait,
der wirdigen Muter vnnd aller lieben Hayligen stunden, die vnns vor
allem übel behüten wasen, alls wir teglich beten sind. —
Item des Neundten tag Octobris zwo stund vor tag kam vnns gar
ain starckh weender wind, der mer vnns zu hindern anlag, beschütz
oder mer enntgegen komen, vnnd darumb auf dem Arcy Pelago^ schif-
fen wasen, darin gar vil Innsel vnnd felsen sich erzaigen wasen, wir
etwas in vnsicherhait, deren ain anzufaren. Dieweil es sich aber dem
tag nahend, möchten wir dester bas hindurch komen, vnnd alls der-
selb vnns den tag bis nahend der nacht anlag innweren der sterckhin
mit etwas Regens vnnd bösem luflft vermischt, was das schif gröblich
geappen* vnnd den wellen nach auf vnnd nyder gon. Hierumb etlich
bilger gar hart beschwert warden vnnd Ich insonnderhait, wann Ich
mich in ainer klainen weil wol zehen mal vervnnwillet vnnd gespewt,
das Ich doch nit vermaint, dann in anndem dergleichen mit nichts zu
schaffen gab. —
Item auf die nacht stiend an ain Bonatza, sonnst het man nit
vil dem patron weins getrunckhen. Die weret bis gegen tag des zehen-
den Octobris, vnnd alls darnach was aber sich begeben ein bleyin^
1) Annada. 2) Kai'patho. 3) Arcipelago.
4) schwanken. 5) schweres.
ZETTSCHBIFT F. DEUTSCHE PRILOLOaiE. BD. XXV. 14
210 BÖHRICBT
weter mit gemüstem wind, das auf den Mittag zu besorgen was vnge-
stümigkait, hierumb trewlich aufsehen hies, darunder sich gros geschrey
verluffen, liessen die segel nyder, kam ain starckher wind mit ainem
Regen, der bald erlag. Der Wind aber ward auf die nacht schwer
vnnd gros, also das derselb gar vnstümigklich ween vnnd blasen was,
hierumb das schif sich in stettem krachen grewlich beweget dieeelb
gannz nacht Ynnd dieweil Er vnns gantz wider erzaigt, het man all
segel eingefaßt, allain den trinckhget nit, mit demselben, gegen tag
dess Aylften, wasen wir weit auB dem Bediten weg getriben zw
etlichen Inseln, die wir sunst fürgefaren waren, ynerkhant. Also da
ist Fanapia, Parys, Anteparys, SyfTanno, Millo, Niyo, Sannt Tuirynno,
Anaffi^ Dise ligen all nahend bey einander im vmbkreis, mit vil
anndem, da kaine leut inenwonen. In disem was man vns sagen, vil
schöner weyber wonen, darzw etlich mit guten starckhen schlossern
bewart sein, das sy von den türckhen kain sorg haben. Disen In wo-
nenden wachst auch zw notturSt, was sy bedörffen. —
Item alls dess Aylften Octobris der starckh wider wind, in dem
wir manchen' vnsicherlich vnnderworffen, stettigs anlag, bereyt sich
der Patron in der Innsel Nyo anzufaren, dahin wir zw Buckh guten
wind betten, vnnd alls man auff Mittag nahend dahin komen, das der
Haff mit ainem schlos auf ainer Höchyn ligen gesehen ward, kert man
widerumb dess wegs, alls wir darkomen, der vrsach wais Ich nit,
dann das man sagt, der wind, der sich ain klain geendet, weit ynns
nit zu lannd keren lassen, vnd alls wir darnach hin vnnd her getri-
ben warden, von ennderung der lüfften, ward gegen aubendt gesehen
daher komen, von ferren aus lauent, ain grosser segel ains mechtigen
schife oder Naf, das in allen segeln wind haben, gegen vnns schiffen
pfiag, vnnd als man fragen was, sagt man vnns, wer ain Yenediger
oder ain' Damach nam yederman das nachtmal, in dem das gedacht
schif nahend auf vnns komen. Hierumb enntstunden vil getail Beden,
ain yetlicher vermaints beym besten zw erkhennen, ainer schribs dem
zw, der ander disem, der drit vnnserm patron, so vnns füren was'
glückh, als thetten sy es on all Mittel erkhennen, deßhalben nit sorg
was. Dieweil aber das komen schif sein Banner außgestreckht, thett
man das vnnser auch lassen fliegen on ainige Arckhgewon, vnnd alls
ditz nahend zw vnns komen, sanckht es sein trinckhet de geba^, auß
dem ennstund, das maus für ain Cürser vnnd Baubschif achten thet
1) Kunnpia (?), Faros, Antiparos, Sipheno, Müo, Nio, Santorin, Anaphi.
2) und 3) Lücke.
4) trinchetta da geba (gabbia), besansegel am mastkorbe.
BSBIQHT ÜBKB KNB JSRÜSALEMFAHRT 211
Ward in forcht geschryen, meniclichs gerüst sein, vnnd insonnders die
Büchsse, die do gar klain zw wer stunden, alls Ich mich verston.
Darzw bedaacht mich auch, wo es so bös gewesen, das in feindschaßt
wider vnns hett wöUn fümemen, weren wir wol zw grund geschossen,
getrenckht gewesen, oder vnns ergeben müssen, ob wir die zw wer
beten mögen erlanngen, so nah beten wirs lassen iaren. Dieweil aber
der herr der best vnnd höchst hüter ist, der die seinen versieht, in die
hennd der feind nit zw kommen, ward bald erkhennt, dise Cristen zu
sein, vnnd nit Rauber. Hierumb wir der sorg halb bald erlöst war-
den, wo es aber not het thon, wer es glückh gewesen. Hierumb der
Spruch Dauids war bleybt, Es sey den das der herr behüt die stat,
so wachen vergebens die Wächter, die sie behüten wölln*. Damach
ward mit geschrey bedeut zw einander, das wir ain bilger schif zu
erst vnnd sy ain karan', oder ain gros Naf von Genua, in süryenn
faren begert, vnnd alls wirs erfragten, was newes wer, anntwurten sy
nichs sonnders. Darauf wir Inen anzaigten die Armata der Türckhen,
so wir in dem Canal zw Rodis funden beten, das sy sich darnach
wissten dester gewarsamlich zu halten, gesegneten darnach aller ainan-
der mit geschrey vnnd geschütz, da vnnsers gar kaum hemachckam,
man kont nit lanng verharren vnnd zuhalten, sie beten starcken fort
wind oder In pupa", beten wir wider wind, der vnns die ganntze
nacht hindert, das wir die gedachten Innseln stets nahend zw band
heten, vmb die wir gar nahend drew necht gefaren waren. —
Item dess zweifiten tags Octobris des morgens bekam ain finster
weter mit ainem kurtz werenden Regen, das braht vnnd gab vnns Hal-
ben wind, wol etwas zu starckh, doch wasen wir mit demselben für
gut haben, allain Besorgen stiend bald ab, der do wert bis auf die
nacht mit aller sterckhy, in welher wir darnach wind in pupa haben
wasen, herumb wir dess wegs fast gefürdert, man sagt vnns, das wir
ainer stund bey zwelf vnnd mer meylen fiirschlugen mit schiffen, das
war tag vnnd nacht zway Hundert vnnd Achtvnndachtzig meyl. In
derselben Zeit, bis auf mitnacht, was man fürgezogen das türckhen
lannd vnnd Eckh (genennt Gana lyon)^ ain gros gebürg, da zw gegen
wir auch auß dem Arcy Felago schifften, wölhes bey^ Innseln be-
schleust in ymbkreis, darzw die Innsel Gyrigo Gyzerigo, alls bey drew
1) Psalm 127, 1.
2) caiaca, arab. oharaka, transportschiff (Ottheinrich 387; vgl. Wochenblatt
der Johanniterballey Brandenburg 1869, nr. 7; Ck)nrady 195).
3) poppa ital. schifshinterteil.
4) Höchst wahrschemlioh Cap Malla (Caput Angeli.). 5) Lücke.
212 BÖHBICHT
stunden gegen tag, ward der wind so starckh, das man den segel
uydem must, vnd in ain vach oder paner abnemen, nicht destermin-
der warden wir großlich fürgetriben, darynn wir gegen tag des drew-
zehenden Octobris dem lannd Morea vberlanngten, da zuuor ain gegen
vnns gezaigt ward ain^ vnnd port haben, do nichts dann Cristen grecy
wonen sind. Daselbst sollen vnnd diser Zeit im mitten des Octobris
so gros vnd vil mennge der Wachteln komen vnd niderlond, das wun-
dersam daruon zu sagen, auch von derselben feyste, alls weren die
mit speckh vberzogen, sind die Innwoner mit schlechter kunst fahen,
tödten, vnnd zusamen bringen ain yeüicher die jhenen, so Er auf sei-
nem ertrich ergreyffl; vnnd haben mag, die sie darnach einsaltzen,
hinwegg schicken zuuerkauffen. Ditz gegne vnnd lanndtschafiPt würt
genennt Mania^. Item, alls sich mit der Zeit vil vnnd mancherlai
begibt, das in etlichen zw gutem bedacht, in annderm auf all bös
Argkhwon, weg vnnd Nachtail außgelegt vnnd gezogen wirt, Also
waren auch etlich in vnnser Yersamblung, den nit recht lag, hieng
noch gieng, wie maus doch anfahen was, es war mit faren, still ligen,
wind haben, oder Bonatza, auch so etwan ain sayl oder annders, wie
sich dann begibt in ainem solichen Bruch, brechen begundt, vennain-
ten, ditz sollt versehen sein, wo Ordnung stiend, den doch (alls Ich
glaub) nit nach willen kombt, alles was sy zw walten haben, daheym
in Iren Heusem, das sy auch nit enndem wissen, wie wee es Inen
thut. Doch laß maus sein, ain Argkhwenig Red gibt anzaigung ains
bekümerten gemüts, ains neydigen hertzen, wem ist es aber schedlicher
dann Im selbs. —
Item aUs wir disen wind, nach Bescherung dess Almechtigen,
furthin den drewzehenden tag haben wasen, theten wir vnns dess gar
gros erheben, machten aber vnnser Rechnung an den Wirt, der wolt
in sechs tagen, der annder in Acht tagen gein Venedig komen. Darzw
meinten Wür, vnnserer mitgesellen, den Barzottenn nymer zu beyten.
In disem stund an ain Bonatza auf den Mittag, der wert bis zu nacht,
das wir also zwischen Koron^ vnd dem felsen, Sapientia^ genannt,
darauf man über das weyt mer sieht, haben wasen. —
Item auf die nacht dess drewzehenden Octobris stiend an ain
klainer schwacher lufift, der vnns treyben was nit sterckher, dann das
wir dess morgens am vierzehenden Octobris gerichtig der stat Modun^
über raichten, da wir aber nit in klainer gewagnus wonnten, dann wir
1) Lücke. 2) Maioa. 3) Eoron im gleichnamigen golfe.
4) Sapienza westlich davon. 5) Modon nördlich von Sapienza.
BBBIGHT ÜBKR BINB JERUBALKM FAHRT 213
den feinden ganntz in gesiebt vnd äugen halten musten, vmb willen
das der wind so schwach ween thet Der wert nach Imbis mitsampt
der nacht, vnd den fünfzehenden tag Octobris bis zw non Zeit, darinn
wir auch vnnder weylen lanng Bonatza haben wasen, möchten also
ynnserm Begem nit Ersettigang erlanngen, ab dem weg zw komen.
Schwebten in solichem dem gepürg Morea genannt, über, das wir
etlicher nacht vnd tag nit zwelf meyl fürstrackhten. —
Item dess sechzehenden Octobris angeend dem tag kamen vnns
nahend ain klain Naff, genant Carauela^, die durch ain scbuss zw
Tnns ze komen beruefft ward, demselben sie von stund gehorsameten,
Iren außgelassen Barckhen zw vnns schicken wasen. Yon dem wir,
wann es kam, anntwurt, auß Neapoly de Bomania^, vnnd wohin es
wolt, gein Venedig, erfragten. Darbey was vnns^ wie der Türckh von
den Vngem emyder gelegen vnnd erschlagen wer, vnnd der gros
türckh in aigner persona. Dis kam zwen tag nach vnns von Alzant^,
darab Wir in sonder (nit vnbillich) freud emphahen wasen. Oegen
der nacht stiend vnns an ain solich still Bonatza (alls wir der Rays
nie gehebt) —
Item dess morgens am sybenzehenden Octobris, alls wir der Inn-
sel Alzannts nit weyt von lanngten, stiend an ain Wind, etwas widerig
weend, der vnns zw Besitz treyben was auf ainer klainen Innseln
genannt Stribali^, da etlich frum Ainsidel wonen sind, in sondern gna-
den gots bewart vnd beschirmt Als das wir nahend sehen wasen,
schifiten also den tag vnd die nacht vmb die gedacht Insel Alzant,
das wir lufHs halben nit zw port komen möchten. In disem ward die
Caruela, wie vorsteet, so komen was von Neapolis de Romania, von
widrigem wind so weyt zw Bückh geworffen, das dieselb darnach zwen
tag auf vnns zw Alzanti ankamen, Yrsach, das die leichten schiff dem
wind nit wider ze stond, geladen sind. —
Item des Achtzehenden zwu stund vor tag kamen wir bey der
gedachten Insel Alzanti zw anker. Alßbald ain grypen zw vnns komen
was, von dem wir erfragten, was newes gesagt wurd, also enntstunden
wir ganntz das widerspil dess türckhen halben, dauon (alls zu glau-
ben ist) ain yetlich hertz sich betrübt, ward gesagt, wiewol der Türckh
große menge seins volckhs verloren, vnnd Im erschlagen weren bey
fiinfzigtausend man, het er doch den Yngem abennthalten vnnd abge-
wonnen ain schön stat, geheyssen Belgrad, vnd andere Schlösser, darynn
1) caravelle, kleiner schnelsegler. 2) Napoli di Romania oder Nauplia.
3) Lücke. 4) Belgrad ward am 29. aog. 1521 durch Soliman ü. erobert
5) Zante. 6) Strivali-inseln südlich von Zante.
214 BÖHBIOHT
ynglaublich wüterey gebraudit, das got dem herren geklagt, vnns Gri-
sten also leben, das sein Bannhertzigkait bewennt, die Buten aus-
streckht, sein feind mit seinen freunden straffen ist Disen tag yerliben
wir daselben mit dem Neunzehenden vnnd zwaintzigisten tag. Also
ward eylends geboten, das man speis zufQrt, ward von stund an so
ain große wölflin der Hüner, vnd was man bedorfft, das, wo man zw
Bodis etwas vmb ain gellt kauffen must, möcht man herynn drewmal
alls vil haben. Hierumb wir gar mit Bingem kosten daselbst wenn-
ten. Es kaufften auch die bilger vnnd schifleut gar vil guts von
essender speis, als Hüner, Ajer, Brot, Gittruiien, Öpfel, ynnd guten
Wein, die auch eüich versuchten, gleich wie im Hinnein ÜEiren, das
sy nit auf den füeBen gston könnten. Auß disem man mercken
mag, die vügedacht Innsel gar Beichlich, mit aller narung begäbet
sein. —
Item des Neunzehenden tag Octobris, hat der Durchleuchtig fürst,
mein genediger herr, ainen türcken zw Gristen helfen beuestigen, der
geheyssen ward Otto^, nach seinen fürstlichen gnaden, dem sein gnad
schanckh zehen krönen. Item desselben tags kamen eüich frantzosen
zw mir, sagten warlich verstannden haben, dess künigs von franckh-
reichs Zug solt dem Bapst sein beer belaydigt haben vnd geschlagen,
das sy doch nit wyssen möchten, darumb wol &eud umbsunst, die
bald ain ennd het Item, als wir die Zeit verzogen, wie vorsteet,
kamen aus allen lannden stetigs Nafen, Garauely, galion vnnd grypen,
darzw zwu Yenediger galleen, die gar schön zugerüst stunden, mit
allem Bedürffenden, die von Gonstantinopel schifften, darumb vil segel
bey einander ankerten, das lustig zu sehen was. Es ist auch dersel-
ben Zeit gewonlich, das alle schif zu haus komen, vnd sich rüsten
fhimd. —
Item des zwaintzigisten Octobris nach Inbis füren wir zu schiS^
darnach ylends daruon, von dem wir guten wind in pupa haben waren,
es versumten sich etlich Bilger, den Essen lieber was, da sy darnach
lanng hernach faren musten, etUch gar da hynden verlyben. Was aber
nit des patrons schuld, dann ers zeitlich gnug die Hinfart bedeut het,
mit dissem guten luflt kamen wir bis zw ennd der Innsel. Ynnd als
gegen der nacht sich nahet vnd was, stund an ain wynd widerwertigs
komend, also das wir der nacht nichts fürfuren.
Item gegen tag dess Ainvndzwaintzigisten Octobris verwand sich
derselb, vnd ward mit vnns ain guter wind, der vnns trayb bis nach
1) Ottheinrich schweigt davozL
BIBICHT VBMU CHE JgBUBAT.KMf AHKT 215
mittag, für die Insel Ceffolonia, soll gar in schön vnnd feyst ertrich
vnnd Innwonung erfanden werden, von allem was man bedarf, darzw
mit starekhen Bletzen vnnd schlossern bewart, deßhalben die Spanyer
vnnd Frantzosen zw Zeiten, als der türckh Modun gewan, erobert Er
dise Innsel auch wider abgewonnen, den die Yenediger zu schwach
vnnd zw forchtsam waren. —
Item zw Vesper kamen wir dem gebirg der türcken über, das
man nennet Caua de Gaty^, ligt Hundert vnnd zwaintzig meyl von
Alzanti, vnnd als wir die nacht vnd den zwenvndzwaintzigisten tag
styllen wind haben wassen, warden wir gegen der nacht getryben bis
auf die Insel CorflFö', von der man sagt, gar mit ringstem kosten vnnd
wol gelebt mög werden , von allem was man begem ist. Die auch mit
zwayen schlossern im meer ligen, mit starekhen meuren vmbgeben,
bewart, darvmb manich hüpsch Haus vnnd wonung stond. Bey diser
hinab warden wir getryben den tag auf die nacht, stuend an ain Wind,
der vnns des wegs nichts für tryb, sonder, als zw besitz hinaus faren
wasen, begab sich das wir dess Diorgens am drewvndzwaiutzigisten
tag wider an dem ort vnns befanden, als wir dess morgens daruor
gestanden wasen. Vnd dieweil derselb den tag weren begund, darzw
auf die nacht sich sterckht, waren wir größlich gehynndert Diser
weret die nacht, vnnd den vierundzwaintzigsten tag, das wir mer hinn-
der sich zugen, dann fürlanngten, stetigs bey der Insel Gorffo, über
nahend. Der weret aber die nacht bis auf den fünfvndzwaintzigsten
tag, das man sich aber befannd, nahend bey der gedachten Innsel
CorfFo, vmbschifFend, so gantz verdrtisslich dess widerwertigens Winds,
das man von allem geschray vnnd gesanng gestannden was, so gewart
stund den weg anzuzaigen, vnd als man vmb Sext Zeit, nach gewon-
halt, ain vnconsecrierte meß hyelt, lies der patron durch den Nauteyr*
außschreyen, das man ainen Bilger erwelen wölt, mit ainem opfer, so
dann die frumen Bilger herzwsteuren würden, denselben schicken, mit
disem zw dem lieben Hayligen sant Niclaus in Parens^ vnns vmb die
Barmhertzigkait gots erwerben, ain genedigen wind vnns vnnsers wegs
treybende, dann wir nun in vier tagenn vmb disen felsen Corffo getry-
ben wurden, vmbzufaren, vnd als auf ditz ward aufgesamelt ain opfer,
darzw der pot gestellt Dieweil aber der Herr die stimen der sünder
nit erhören ist, warden wir wieuor den tag ennthalten, vf die nacht
stund an ain Bonatza, die wert bis morgens am sechsvnndzwaintzigi-
1) Gap Dacato auf der südspitze von Santa Maora.
2) nooohiere itaL steuennaim. 3) Parenzo.
216 BÖHBIGBT
sten tag Octobris, das wir desselben neher bey den forderigen enden
standen. Wie wir nun fünf tag geschwebt, an dem erfuren vnns
nahend drey schiff, die zum mynsten zwen tag zw Alzanti, nach vnns
vom lannd gescheyden, etlich gros vnleidlichait entstunden, vnd ain
segel tryspitzig^, den man nennet fela Deteja', damnder ains ynser
mit gesel, was der anndem Bilger, das ander auch ain Venediger schiff
beyst der patron liccadegoba', der in Cipem kürtzlich bey zwayen
tagen daruor hingefaren was. Als wir von JafEat wider in Cipem
lanngten, diser darzwischen in Barut lanng gelegen, sein sachen gestelt
▼nd berwider komen, daraus man wol nemen thut, in disem Jar vnns
Bilgor zw Bezeit von Venedig gescheiden sein. Als dann ward man
ingedenckh der Bed, so zw Alzanti verluffen, von etlichen galyonen
vnd fusten dess Bapsts, die auf die Venediger angryffen vnnd raubten,
Vrsach dess angehebten kriegs zwischen einander. Hierumb, als man
ditz schif zw vnns schiffen sach, ward ain Bed mit etlicher forcht,
diso sind die obgenanten vom Bapst gesandt Ruber, das auch ain weil
lanng also in Zweiuel belag, doch bald entschossen. Es betten aber
die Venediger vnd etlich Franzosen nit ain klain forcht im Buossen^,
vnd als dis auf vesper nahend zw vnns komen theten, schickht man
vnnser gundelin^ zw in, zu erfragen die newen mer, die in antwort
brachten, sy weren von dem türcken angewendt worden, doch nichts
layds von im empfanngen, darzw es wer auch vnns von dem anndern
Bilger schiff nit not gewessen, Belaytung mit zu fueren, dann sy nit
da weren, den Venedigem ainigen schaden zu thun, noch zugefuegen,
allain das sy weiten den weg vnd mer von den Meer Räubern frey
halten, beten doch annder schiff disen in äugen nider geleyt, darumb
wol zu besorgen, wo wir In zu hannden komen, beten müssen bezaln.
Item auf die nacht, alls wir noch stetigs bey dem gebürg Zimem
genannt, vmblanngten zw ainer selten, die felsen vnnd gebüig zw
Napels zw der anndern haben wasen, deßhalben nahend durch den golf
komen, wo wir etwas Winds mit vnns gehebt betten, als darnach
bekart sich ain klain der lufft, fieng man wider an zu bedeuten den
weg, der wert die nacht schwächlichen ween, bey drew stunden, be-
fandt sich wider ain Stillung ains Galmas bis gegen tag des sybenvnd-
zwaintzigisten Octobris, das wir nahend beystunden. Als wir nun
bey sechs tagen gefaren wasen, in disem enstund ain zimlicher wind,
den wir in pupa bezwanngen, als Er vnns nit mynders trost vnnd
1) dreispitzig. 2) Yela di tre.
3) Wird sonst nirgends in pilgerschriften genant.
4) busen. 5) gondel.
BERICHT ÜBER ONE JEBÜ8ALB1IFAHBT 217
hofiteung erneweret, als Er vnns dess wegs fiirtreyb, allain forchtende,
denselben nit lanng verlyben , theten wir y nns desselben hoch erfrewen,
der do wert den tag bis zw aubend, vnnd alls Er sich stercken ward,
kamen wir den felsen genannt* sichtbarlichen zw ainer vnd dem Na-
pulischen Büig, do dann zuuor ligt die stat 0 tränt', zw der andern
seyten, auch in gesicht gerichtigs über. Alßdan wir auch durch den
golf geschiflPt heten, der sich bey disem verleurt, vnnd dieweil ain
finster weter ain Begen bedeuten, ain stund darzw starcken wind, das
man nit wol die gelegenhaiten darumb sehen was, fuoren wir etwas
in grosser ynsicherhait, das doch nit yeder vermercken was, die nacht
mit starckhem Wind in pupa, der vnns getryben het bey vierzehen
meyllen, ainer stund. Item des morgens am Achtundzwaintzigisten
Octobris, alls es etwas geregnet vnnd finster was, mocht man nit
erkhennen, vmb was gelegenhait wir vmb schifften, darumb wir stetigs
in gleicher vnsicherhait segleten mit vollem wind, vmb die Innseln,
die do ligen in dem meer hin vnd her, Meliga, Langusta, Pegulosa',
vmb diö die Venediger gar manich nachtail vnnd schifbruch erlidten,
allennaist in nybligem Weter, alls wir heten. Bey disen hinab ligen
annder Insel alls Caza, Cazoly, Lissa^, do man die serdintin^ fahen
ist, sant Andrea, MeliseUa, Cursula, Turtura, Lesena^, gantz reichlich,
was man bedarf vnd insonders der vischen, die wir all zw beeden
seyten verliessen, vnnd aUs es ward gegen Aubend, erschein zum tail
ain Heysterey^, ward man die Innseln bescheidenlich sehen, darumb
wir gewarsamlicher faren theten. In disem wasen wir auch den ste-
ten Banagusy oder Aragusy vnnd Catary® vber gerichtigs®. Dis Ara-
gusy ligt auf dess türcken lannd in etlichen mechtigen gebürg, hat
macht vnnd erweit ain ainigen Hertzogen, leben auf der Venediger art,
geben aber dem türcken tribut, sind weyt in alle lannd, hanndeln mit
kaufinanschatz, soll daruon den Namen haben Ranagusa*^, das vor Zei-
ten ain grosse menge der frösche daselbst wonnten, die Raini in welsch
genennet werden, Gatary aber, ein stat, ist den Venedigem vnnder-
tanig. —
Item in der Nax^ht bewand sich der wind etwas wider vnns mit
etlichen schweren Wetem, der keltin vnnd plitzgens. Also das wir nit
mit klainer sorg vmbgeben die Zeit der nacht verzarten. Vnd alls
1) Lücke. 2) Otnnto. 3) Meleda, Lagosta, Pelagosa.
4) Cazza, C^jola, lissa. 5) sardmen.
6) S. Andrea, Mellisello, Curzola, Torcida, Lesina. 7) heiteres wetter.
8) Bagusa, Gattaro. 9) grade gegenüber.
10) Eir. onglüoklioher erklärungsversaoh.
218 BÖHBIUUT
dess moigens am Newnimdzwaintzigisten Octobiis ward derselb sterckher
wider ynns weea, darumb man sich behelffen must, hia ynd her zw
keren. Alßdann kamen wir zw den gedachten Innseln, wie oben yer-
zaichnet stat Lyssa, da man groß menge der sardinilin fahen ist, zw
Aiibend nahend zw der schönen vnnd firuchtbam Inseln, Lessena, in
der vnnder annderer vberflüssigkait gar wunderlich groB vyle der
fischen teglich gefanngen werden, darzw mit zimlicher weytin ymb-
geben, mit vil Arbaytsamer Innwoner, dis zuuor ain starckh scbloss,
mit manichen Heusem darumb ston hat, auf welchs wir gar nahend
komen wassen, die weil ligt in schlaffonia^ derselben sprach sy auch
reden. Item derselben nacht bekart sich der winnd, darynn wir gröA-
lieh filrfiioren, Also das wir dess morgens am dreyssigisten tag Octo-
bris nahend auf die Innsel Clar', die auch mit gewaltigen pletzen vnnd
Lustparkait beziert Darumb auch an disem erzaigt sich gar ain schwer
gros Wetter, mit starckhem wind, in dickher finsterhait, dadurch das
mer gröblich erhebt vnnd wüten ward, vnd darumb man besorgen was,
dasselb zuzunemen in stercky, daraus dann ain fortun oder gewagnus
enntston möcht, ließ man die segelmaister genannt fallen, den man
bezwungen hielt, auf ain halbe stund. Vnnd alls aber dasselb sich
zerteilt in Stillung, Rieht man gar bald den segel wider auf den wind
zu empfalien, den wir in pupa haben wasen. Hierumb wir zw Aubendt
nahend auf die Innseln geheyssen Ossera^ komen warden, darinn gar
lieblich flaisch allerlay hannd erzogen wirt, des sich die Yenediger zum
maisten beneren in Ir metzg^. In disem ward vnns der wind gar
genedigclichn fürtreyben. Also das wir die andern schif, der sonst
drew bey vnns vmbschifiEten, fiirfuoren, auB dem wol zu nemen, ain
schifiT das annder überfert, darnach es in segeln gerüst stet, wie dann
vnnsers, der Naf Goressy, auch was geordnet, darumb es wol zu
beriefen. —
Item ain stund in die nacht, als wir etlichen Schlünden über
waren, nahend bey dem gepürg in EUstria zw ainer, vnd dem Pul-
gischen gebürg zw der andern selten, enntstund gar ain schwerer
starcker wind, zw beed seit komend, vnd alls es nacht gar vinster
was, waren wir nit in klainsten sorgen, darumb man die segel nieder
liess, die man mit grosser Arbait bezwang, vnd aUs derselb die durch-
geend nacht mit grewlichem wüten anlag, dorft man ditz nit wider in
höhe aufrichten. Deßhalben des morgens am tag Nouembris wir nichtzig
1) Slavonien. 2) dar. 3) Orseia, nördlich von Bovigno.
4) metzgerei, fleisohbank.
BKBIGST ÜfiSB SINK JKRUSALEMFAHBT 219
des wegs furgeschlagen wasen, allaia wir befanndea vnns nahend bey
dem gebürg in Histria, da sich etlich stetlin sehen liessen, als Mede-
lin^ vnnd ander, auf den mittag gerichtigs dem flecken Pola^ in gesicht,
enntgegen zw Vesper nahend vnder äugen dess stetlins Bubina ^, darby
sonst ander auch vnder äugen lagen, auf lustigen bürgen, bis gein
Parentz^, da wir hinkomen auf die nacht, fast in Ynnserm weter, das
wir der gelegenhait nichtzig sehen möchten. Alßdann eüich zw lannd
fiioien in schiffen, die von weytem zw vnns kamen, in diser nacht
aber gar ain hert schwer wetter mit grossem Regen vnd hertem
starckhem wind, als wir kaum gehebt hetten der Beiß, also das nahend
niemants was, der an trucken steten verlyben möcht Ynd als derselb
so yngestümigklich wüten was, deBhalben ain Ancker lieft, hierumb
wir aber nit in minsten sorgen stunden, dann man maynen was, die
andern würden auch nit^ das doch in gutem vnnd gnossnen ausschlug.
Dess morgens am ersten Nouembris vnd aller Haylgen tag kam Ich
zu lannd in die genannten stat Farentz, die zumal in lustigen zim-
iichen höchyn ainer landtschaft ligen thut, mit vil nutzbam Ölbäumen
ymbgeben, vnnd sonst von allem gewechs, was man not ist, in son-
ders ain Glösterlin, darynn zwen münnich wonen, haist sant Niclaus,
gar in ainer lustigen Zierdt der grünen gärten vnd mancherlay firucht-
bam Bömen, darzw nahend ain Insel. Dis stat ist nit fast suber
wanndeln, doch mus bedüncken, faist darynn zu wonen, vnnd lustig
gesetzt auf ainem ebnen felsen. In disem Farentz was ain großer teuf-
stain, darynn Ich wol geschwumen wolt haben. Hie wurden sich die
Bilger zertailen, auf die nacht, der auf Ankonien, der auf Tryest^,
der vf Venedig, nachdem es ainem yeÜichen wolkem, vnnd als den
niemands mer noch auf den patron, noch auf mitbiiger warten waren,
dann gesellen, enstund der nacht ain wylde Zertaylung, in der wir
so weyt fürschlugen dess wegs, das wir auf mittag zw Humago^ aus-
stunden. Darzwischen ligt ain stetlin, haist Gittanona^. In disem
Humago verlyben wir, dem weter zu erwarten, das sich in Begen vnnd
wyderigem wind den gantzen driten tag Nouembris erzaigt. In der
nacht bewannt sich das vngewiter in ain schöne. In demselben ma-
niclichs zw schiff zoch, dahin schied, kamen gegen tag dem stetlin
Tyran^ über, da wir dann aber über ain klainen golfen faren musten.
Vnd dieweil vnnser schiff lin so klain, waren wir etwes in sorgen, der
wir guetigklichen erlöst wurden, vnnd alls wir zimlich wind haben
1) Medolin. 2) Pola. 3) Bovigno. 4) Parenzo.
5) Lücke. 6) Anoona, Triest 7) ümago. 9) Cittanova.
9) Pirano.
220 HINOEB
waseD, füren wir die steten Orauw, Aquilea^, da ain patiiarchat, Mar-
ran, Montfalchon ^, ligen an dem gebürg Dadmatya, oder Fingol^ Zw
Imbis kamen wir auf ain Insel Caneriy^ genannt, da vor Zeiten ain
schön stat gelegen, nun aber mer dann halb von meeres ynstümigkait
versunckhen, wir aßen daselbst zw Imbis, alles gnugsam was man
begeret, in leichter Zerung, das mich verwundert, dann diese Innwo-
ner sich nichtzig begonnd dann Vischens vnd waydwerckhs der wyl-
den ennten, vnnd anders geflügel, eßen nicht desterminder gar gut
weis prot. Ton disser mag man faren durch ain graben zw bösen
Zeiten oder in gutem weter, auf dem meer gein Venedig, da wir hin-
kamen von den genaden gots, mich der fart in huot nun verlassen,
auf den fiinfften Nouembris, damit meinem färgenomen gemuet vnd
lanng verhartem Begern gnug gethon, vnd erstattet, in hoffen, in
künfftigem mir zu vil gutem, fürderung, vnd hernach abbruch, ze myn-
dern mein sündigs leben, das mich der schopfer aller Ding in seinem
willen vnnd gefallen vnderziehe, ze volennden.
BERLIN. BEOmOLD RÖHRICUT.
ÜBER WIELANDS GEEON.
Eine Utterargesehichtliche untersuehung.
Bald nachdem mit Goethes und Herders ankunft ein neuer auf-
Schwung des litterarischen lebens in Weimar begonnen hatte, erschien
im Deutschen Mercur (1777, 1, 3 fg.) Wielands romantische erzählung:
Oeron der Adelich (umgearbeitet in der gesamtausgabe von 1794 —
1796 bd. 8). Obwol von geringem umfange und von der neueren
litteraturforschung bisher unbilliger weise vernachlässigt, verdient die-
ses gedieht dennoch schon wegen dieses Zeitpunktes seines erscheinens
besondere beachtung, zumal da es in Inhalt und spräche mehr als
irgend ein anderes beweist, wie auch Wieland damals von der ein-
Wirkung Goethes und Herders nicht unberührt bliebt
Die vorliegende studio^ berücksichtigt in erster linie diejenigen
eigentümlichkeiten des Geron, welche mit den gesicbtspunkten in zusam-
1) Aquileja. 2) Marone, Monfalcone. 3) Earsi 4) Gaorle.
5) Vgl Soherer, Litgsch. s. 515: Geron ist Wielands ernstestes tmd durch
selbetverläugnung, ruhigen ton, abwesenheit der manier, eigentümliclie oomposition,
ästhetische und sitliche baltung vielleicht sein volkommenstes gedieht
6) Schon februar 1889 der redaction dieser ztschr. übersendet; daher konte
auch der im III. bd. der Yiertelljabrsschrift f. d. 1. (okt 1890) enthaltene aufsatz von
G. Rousshoff nicht berücksichtigt werden.
ÜBER WIELANDS GBBON 221
hang stehen, die für Wieland bei der ausarbeitung des gedichtes mass-
gebend waren ^.
Ich habe demnach zunächst die composition des gedichtes
untersucht und dessen Verhältnis zur quelle im einzelnen dargelegt
Sodann habe ich die diction, welche sich Wieland selbst hoch anrech-
net, auf folgende fragen untersucht: 1. Wieweit ist Wieland in der
nachahmung älterer redeweise, namentlich der spräche des 16. Jahr-
hunderts gegangen, und in welcher art hat er die von ihm selbst
genanten Vorbilder benuzt? 2. Welche mittel hat er angewendet, um
dem gedichte den Charakter wlirdevoUer einfachheit und Schlichtheit zu
geben? 3. Lässt sich im einzelnen ein einfluss des französischen Ori-
ginals oder anderen fremden Sprachgebrauches auf die stilistische form
nachweisen?
Eine eingehende besprechung des versbaues habe ich unterlassen;
doch sei schon hier bemerkt, dass der Oeron reimlose filnffiissige Jam-
ben zeigt, und dass Wieland die wähl dieses versmasses besonders
rechtfertigen zu müssen glaubt Auf einzelnes ist gelegentlich hin-
gewiesen.
Der Untersuchung liegt die recension des gedichtes zu gründe,
welche Wieland selbst als die endgiltige angesehen wissen wolte, die
der gesamtausgabe von 1794 — 96 (Leipzig, Göschen, kl. 8), nach wel-
cher ausgäbe auch citiert wird (W); damit wurde die erste ausgäbe
(Teutscher Merkur 1777 Jänner u. i^g. (T. M.) verglichen.
Der königlichen bibliothek zu München danke ich für die gütige
übermitlung der Bibliothdque universelle des Bomans 1776, des alten
druckes des Qyron le Courtois von Jean Petit und Michel le noir, sowie
der Bodmerschen „Proben der alten schwäbischen poesie*'.
I.
Starkes hervortreten der persönlichkeit des dichters ist eine der
hervorstechendsten eigentümlichkeiten der romantischen erzählungen
Wielands. Durch den überwuchernden Subjektivismus wird der leser
fortwährend daran erinnert, dass er sich eigentlich nur für gebilde der
freischaffenden phantasie erwärme, deren wilkür, wie die Charaktere, so
1) Brief Wielands an Merck vom 16. apiil 1777 (Briefe an Merok 106): «Das
Original (des Geron) will ich Ihnen mit dem April- Merkur schicken. Sie werden
sehen . . ., dass ich mir von Geron gar nichts zuzueignen habe, als das Bischen Com-
position und die Jamben und, wenn Sie wollen eine Diction, die dem Golorit, womit
sich die Geschichte meinem (reiste darstellte, etwas nahe kommt*^.
222 8IN&BB
auch die taten und geschicke der beiden schaft; eine wilkür, die
soweit geht, dass sie mit vielem aufwände Verwicklungen herbeifahrt
und die handlung bis zu einem der vollenduDg nahen punkte stei-
gert, um dann das ganze in ein nichts verpuffen zu lassen.
So tief begründet sind die damit zusammenhängenden eigentüm-
lichkeiten des Stils in des dichteis innerster natur, dass sie sich, mehr
oder minder stark hervortretend, in fast allen seinen epischen dichtun-
gen erkennen lassen. In behaglicher breite fliesst die erzahlung dahin,
zumeist in launigem tone gehalten, als ob der erzähler, der in den
meisten fällen der dichter gelbst ist, zeigen wolte, dass er durchaus
über seinem stoffe stehe, und dass das, was seine beiden aufregt, ihm
nicht die heitere ruhe rauben könne, mit der er, der schöpfer, die ent-
wicklung der dinge übersieht. Mitten in erregter und erhöhter dar-
stellung mahnt eine altägliche wendung, ein dem kreise des gewöhnlichen
entlehntes wort den leser, sich nicht alzutief ergreifen zu lassen. Nicht
selten wendet sich der dichter persönlich an den leser mit fragen und
ausrufen; ausführliches moralisieren unterbricht öfters den gang der
erzahlung; zahlreiche eingeschobene sätze geben bald einen vergleich,
bald eine Zwischenbemerkung, die einen zweifei, einen wünsch, einen
ausdruck der befriedigung, eine einschränkung enthält Zahlreich sind
auch in den späteren romantischen erzählungen anspielungen, welche
durch den Widerspruch mit ton und Charakter der eigentlichen eizäh-
lung die Stimmung fast gewaltsam unterbrechen. Auch an anachronis-
men fehlt es nicht Dahin gehört es, wenn Oberen in, 16 Scherasmin
von ,,Schweizem'* spricht; oder wenn Gandalin stock und hut ergreift,
um ins freie zu laufen (G. 8), recht wie eine figur eines Chodowiecki-
schen kupfers. Die anrede „euch^ wechselt mit dem seit der mitte des
Jahrhunderts immer mehr zur geltung gelangenden „sie^, so in den
gesprächen Gandalins mit der zofe. Nicht minder fremdartig berührt
es, wenn Scherasmin, indem er das märchen von Gangolf und Rosette
erzählt (Oberen YI, 70), Diogenes und Salomon als autoritäten für die
unzuverlässigkeit des weiblichen herzens anführt Ganz unvermerkt ist
hier Siegewins knappe zu Wieland geworden.
In bezug auf die behandlung der liebe lassen sich die roman-
tischen erzählungen der späteren zeit — Glelia und Sinibald hiebei
nicht in betracht gezogen — in zwei gruppen scheiden: Pervante und
Sommermärchen einerseits; Gandalin, Oberen und Gteron anderseits.
Durchaus zeigen diese leztgenanten eine höhere auffassung des gegen-
ständes. Die casuistik der liebe behandelt der Gandalin. Aber der
ton des gedieh tes ist bei aller Zartheit und feinheit vielfach derart, als
ÜBKR WULANDS OBBON 223
ob sich der dichter über die unnützen und thörichten selbstquälereien
seines ^Schützlings*^ lustig machen wolte. Menschlicher Schwachheit,
wie sie der dichter so oft besungen, erliegen die beiden im Oberen,
aber in standhafter treue erproben sie ihren inneren wert Und die-
sem gehalte entspricht auch die darstellung.
Einen siegreichen kämpf der pilicht mit der leidenschaft schildert
der „Greron". Ungewöhnlich bei Wieland ist dieses thema, ungewöhn-
lich auch die art der darstellung. Der dichter ist gleichsam aus sich
selbst herausgetreten. Wie er selbst durch die einfachheit und würde
des gegenständes tief ergriffen wurde, so wolte er diesen eindruck auch
im leser hervorbringen. Darum übte er die äusserste selbstbeschrän-
kung und Selbstverleugnung. Nur die sache selbst solte wirken. Im
„Oeron^ ist der gegenständ gleichsam zum herm geworden über den
dichter, und so lässt dieser seine individualität möglichst zurücktreten:
Gteron ist die objektivste unter den romantischen erzahlungen Wielands,
diejenige, in der sich, vom mittelalterlichen stoSe abgesehen, die wenig-
sten berührungspunkte mit den eigentümlichkeiten der romantischen
schule finden. Wie hoch hier das verdienst Wielands zu schätzen sei,
ergibt der vergleich der beiden recensionen des gedichtes unter einan-
der und mit der quelle. Denn er zeigt, wie strenge Selbstkritik der
dichter geübt hat
Kunstvoller und einheitlicher als bei irgend einer anderen roman-
tischen erzahlung ist die composition unseres gedichtes. Im Sommer-
märchen, in Pervonte, Musarion, Hann und Gülpenheh, im Yogelsang
wird ohne weiters mit der erzahlung begonnen; die ereignisse sind
nach der Zeitfolge geordnet Andere bieten eine vorrede, in der das
thema angekündigt, die wähl desselben gerechtfertigt wird, sei es vom
dichter allein, sei es in form eines supponierten geepräches, wie im
Gandalin, in Sixt und Clärchen, Glelia und Sinibald oder selbst im
Oberen. Freilich bietet gerade bei diesem die kunstvolle ankündigung
des themas ihre eigenen reize, umsomehr als sie in dem spannendsten
momente abbricht und die achte Strophe in heiterer, leicht ironisieren-
der weise zur ruhigen epischen erzahlung hinüberleitet Nicht von
anfang an „wie alles sich begab ^ (Ob. I, 8) wird uns die handlung
erzählt, sondern nach gut epischer art werden wir mitten in dieselbe
versezt Erst nach der erkennungsscene im Libanon erfahren wir aus
Hüons munde, was um gezwungen habe, die fahrt zu unternehmen.
Erzähler und dichter sind im Wintermärchen und im Oeron von
einander geschieden. Im ersten sind die in der einkleidung der mär-
chen von „Tausend und eine nacht ^ auftretenden personen genant
224 SIN0ER
vgl. Spiegel der köDige von Scheschiao. Aber die wenigen verse
erscheinen als eine rein äusserliche zutat, vielleicht nur herübergenom-
men, um an das original zu erinnern. Im Geron jedoch sind die
erzählende und die hörenden personen nicht blosse figuranten, sondern
sie interessieren uns an sich. Die erzählung von Gerons treue und
edelsinn erscheint als die zielbewuste handlung des alten Branor. Wir
erkennen die inneren gründe, welche den alten Branor bewegen, in
dieser geselschaft gerade diese geschichte aus dem reichen schätze sei-
ner erinnerungen zu erzählen.
Die äussere anregung zur wähl dieser form gab der text des aus-
zuges aus dem alten ritterromane Gyron le Courtois, den das oktober-
heft 1776 der Bibliothdque universelle des Romans enthält Dort heisst
es (s. 48), „Der genaue titel dieser geschichte, die zu Paris bei Verard
gedruckt ist (ohne Jahreszahl), besagt, dass sie von Branor dem Brau-
nen überliefert ist, dem alten ritter, der mehr als hundert jähre zählte
und an den hof des königs Artus kam, begleitet von einem firäulein,
um den jungen rittern gegenüber zu erproben, welche die reisigeren
wären, ob die jungen oder die alten; und wie er den könig Artus aus
dem Sattel hob und vierzehn könige, die in seiner geselschaft waren,
und alle ritter der tafeirunde; und es behandelt das genante buch die
grösten abenteuer, die irgend einmal irrenden rittern zustiessen. Bra-
nor der Braune also erzählt, dass er eines tages in einer höhle oder
einem unterirdischen grabe zwei alte ritter fand usw.** — Diese daten,
die einen innem Zusammenhang nicht erkennen lassen, hat Wieland
zu einer schönen, in sich geschlossenen handlung vertieft.
Die scenerie, in der die handlung des Geron begint, ist die so
vielen Artusromanen eigentümliche. Wie im „ Sommermärchen " im
saale, so sind Artus und sein hof hier im freien vor der bürg versam-
melt Da komt ein schwarzer ritter vom walde her, „er ganz allein^.
Die Worte deuten darauf hin, dass Wieland hier mit voller absieht
von seiner quelle abgewichen ist Die nebengedanken, die sich daran
knüpfen könten, dass der ritter in geselschaft einer jungen dame
erscheint, stünden im Widerspruch mit dem eindrucke der höchsten
ehrwürdigkeit, den er auf Artus und seinen hof und mittelbar auf den
leser machen soll.
Der held — eines hauptes länger als die andern alle — bittet
den könig Artus mit höflichen werten, er und seine ritter möchent zu
ehren aller minniglichen frauen und zu erprobung, ob den alten oder
den jungen rittern der preis der ritterschaft gebühre, einer nach dem
andern mit ihm eine lanze brechen. Alle kämpfen mit ihm doch kei-
ÜBER WUELANDS OBßON 225
ner yermag den fremden zu überwinden. Als der lezte wird Lanzelot
besiegt Durch eine reihe kleiner züge ist die persönlichkeit Branors
fein charakterisiert, die kämpfe sind mit frischer lebendigkeit geschil-
dert^. Als auch Lanzelot aus dem sattel gehoben ist, steigt der sieger
vom rosse und geht nach dem zelte des königs. Scheu weichen ihm
die ritter aus; mit edlem anstände empfängt ihn Artus und fordert
ihn auf, sein antlitz zu zeigen, seinen namen zu nennen. Als der
fremde den heim vom haupte nimt, erblicken die ritter der tafeirunde
ein schönes, edles greisenantlitz. Die kraftvolle herliche erscheinung
gewint aller herzen. Er heisse Branor der Braune und sei ein vasall
und waffengefahrte von Artus vater, könig Uther Pandragon, gewesen,
erzählt der alte; er gibt seiner freude darüber ausdruck, junge männer
zu sehen, die „noch nicht völlig aus der väter art geschlagen^. Bei
tische wird „höflichen gespräches viel gepflogen bis um mitternachts.
Ein bewunderndes wort des königs Artus erweckt in Branor die weh-
mütige erinerung an die gefahrten seiner Jugend; er nent einige sei-
ner genossen, zulezt den Oeron. Hier benüzt nun Wieland das ihm
aus anderen romanen, vornehmlich dem Lanc^lot du Lac bekante lie-
besverhältnis zwischen Lanzelot und Genievra, um Oerons geschichte
in einen inneren Zusammenhang mit ihrer umkleidung zu bringen.
Schon in den eingangsversen des gedichtes ist leicht auf das Ver-
hältnis zwischen Lancelot und der königin gedeutet worden (W. 13):
„Und zwischen ihm und ihrem Lancelot sass Genievra" ... T. M.
8. 3 hat hier: „Und neben ihm (Artus) in sommersschönheit sass*^ ...
Die änderung erklärt sich daraus, dass der dichter schon im anfange,
wenn auch nur flüchtig auf einen für die composition seines gedichtes
so wichtigen gegenständ hinweisen wolte. Ausführlicher wird die sache
erörtert, da geschildert wird, wie Lancelot sich zum kämpfe mit dem
schwarzen ritter anschickt. (W. 19 z. 2 v. u.)
Lancelot fordert auf den wink seiner dame Branor auf, von den
tat^n seiner Zeitgenossen zu erzählen. Dieser willigt ein und ver-
spricht, „von Geron, von dem edelsten der männer", die er gesehen,
zu erzählen.
Das folgende entspricht nun im ganzen dem auszuge der Biblio-
thöque universelle. Doch beschränkt sich Wieland darauf, die geschichte
von Hektors des Braunen schwert zu erzählen. Nur in wenigen wor-
1) Die darstellung dieser kämpfe weist merkwürdige übereinstimmuDgen mit
den betreffenden stellen des oiiginalromanes «Gyron lo Coui'tois'^, die sich in der B.
nicht finden, auf. Vielleicht bin ich im stände hiei'über und über etwaige beziehungen
zu Luigi Alamannis „Groneil Goitose'^ in einem der nächsten hefte kurz zu berichten.
ZKIT8GHBIFT F. DKUT80HS PHILOLOGIE. BD. XXV. 15
226 smosR
ten deutet er darauf hio, dass dem edlen Oeron nach seinem siege
über seine leidenschaft ein neues, reines liebesglück erblühte. Die
Bibliothöque gibt nämlich hier dem alten romane gemäss folgendes:
Q&ron wird von Danayn (dies auch bei Wieland) auf das schloss des
alten ritters gebracht. — Beim abschiede treffen die freunde das über-
einkommen, es solle der kranke von allen vorkomnissen unterrichtet
werden. So erfahrt Geron, dass die dame von Maloanc krank gewor-
den sei, dass sie im fieber nur von ihm gesprochen, dass sie mit sei-
nem namen auf den lippen gestorben sei. Mit mühe nur wird er
selbst geheilt Die liebe, die in seiner pfiegerin schon lange glüht,
wird von Qeron erwidert; er beschwört die Jungfrau, sie möge ihn zu
ihrem ritter annehmen, und gerne gewährt es die dame Blaye. Da
er Danayn sein geheimnis anvertraut, wird dieser darüber ungehalten,
und nur zu bald erkent Geron, aus welchem gründe. Am nächsten
morgen ist die damoyselle Blaye gewaltsam entführt; ein zurückgela^
sener brief offenbart dem bestürzten Geron, dass Danayn, unfähig,
seine leidenschaft zum schönen fräulein zu bezwingen, der täter sei,
Geron sucht die beiden auf. Nach unzähligen abenteuern, auf deren
widergabe die Biblioth^ue mit recht verzichtet, findet er die beiden
und entreisst dem treulosen freunde die geliebte. Wol schenkt er dem
besiegten das leben, verzeiht aber erst, als er von Danayn aus einer
schweren gefangenschaft befreit wird. Dann werden noch die taten
von Gerons söhn geschildert. Dieser zweite teil soll Gerons tugend
durch die treulosigkeit seines freundes in ein noch helleres licht stel-
len. Man vgl. Gerons werte gegenüber dem besiegten Danayn: et
certes tu pouvois te rappeler certaine courtoisie qui te fiil faite par
ton ami Gyron. (B. u. 90.)
Wieland hat, wie erwähnt, darauf verzichtet, seinen Branor diese
abenteuer erzählen zu lassen. Rasch ist Geron geheilt. In aller kürze,
mit kräftigen, ergreifenden werten, die sich enge an die quelle an-
schliessen, wird das ende der frau von Maloanc geschildert Dann
schweigt der alte ritter. Wenige aber kräftige züge zeichnen die Wir-
kung der erzählung auf die hörer und insbesondere auf Genievra und
Lanzelot „Und wie giengs nun eurem Geron weiter?*' fragt Lanze-
lot Branor aber „hat nichts mehr zu erzählen''. Das vom könige
angebotene obdach weist er zurück; geheimnisvoll, wie er gekommen,
kehrt er in seinen wald.
In den anmerkungen zum T. M. gibt Wieland eine ziemlich
ausführliche darstellung des liebesverhältnisses zwischen Genievra und
Lanzelot An einer anderen stelle dieser anmerkungen meint er, es
ÜBBK WÜELAm» OEBON 227
würde zu nichts helfen, den lesem darüber rechenschaft zu geben,
warum er ,,es so und nicht anders gemacht^ und besonders warum
er ^den weg, diese geschichte durch den alten Branor an könig Artus
tafel erzählen zu lassen, gewählt^.
Indessen lässt die art, wie die quelle bentizt wurde — und
natürlich sind hier erweiterungen und abweichungen besonders unter-
richtend — des dichters absieht klar erkennen.
Liebenswürdig ist die gestalt Gerons, imposant und ehrwürdig die-
jenige des yertreters seiner anschauungen unter dem jungen gechlechte.
Auch in den äusserlichen dingen, auf die das rittertum wert legt, ist
Branor Artus und seiner tafeirunde überlegen. Die überwiegende phy-
sische tüchtigkeit lässt seine moralische persönlichkeit den hörem und
damit auch den lesem um so bedeutsamer erscheinen. Erst aus eines
solchen mannes munde ist die erzählung ihrer vollen Wirkung sicher.
Die composition lässt das streben nach strenger geschlossen-
heit, nach motivierter Verbindung aller einzelheiten erkennen. AufiTal-
lend sind zunächst zwei abweichungen von der quelle. Bei Wieland
(W. 32) unterbricht sich Branor, nachdem er von Hektor des Braunen
tode und von dem erbe berichtet, das dieser Geron hinterlassen mit
den werten: „Wie ers verwaltet, des will ich euch ein beispiel geben,
wenn ihr zuzuhören nicht müde seid^.
Lanzelot und seine dame verneinen dies im namen aller anwe-
senden. Mit einem scharfen blicke misst Branor die beiden, diese
senken ihre äugen, eine kurze stille folgt imd Branor fährt fort zu
erzählen. Diese episode ist von Wieland frei erfunden. Hingegen hat
der dichter ein abenteuer übergangen, das die Bibliothöque im zusam-
menhange dieser geschichte erzählt Als Geron nach Maloanc zurück-
kehrt, weil er es fem von se^em freunde nicht dulden kann, begeg-
net er im walde dem fräulein Blaye. Die dame erbittet sich des ritters
geleit und schirm und Geron findet bald gelegenheit, sie durch einen
tapfem kämpf vor einer beleidigung seitens des Chevalier- sans-peur
zu schützen. Die dame gelangt glücklich in ihr nahegelegenes schloss.
Geron lässt sich in einem benachbarten kastell von seinen wunden
heilen und sezt dann seinen weg fort, ohne vorläufig einen tieferen
eindruck von der Schönheit seines Schützlings empfangen zu haben.
Eben diese damoyselle Blaye pflegt ihn, als er nach seinem Selbstmord-
versuche auf das schloss des alten ritters gebracht wird. Dem Verfas-
ser des romanes mochte dieses erste zusammentreffen Gerons mit sei-
ner späteren geliebten zur besseren, wiewol nach unserem gefühle
unnötigen, motivierung der liebe der Jungfrau dienlich erscheinen.
15*
228 8INOER
Wieland, der Oerons neues lieboslebeii nur flüchtig andeutet, hat im
interesse des rascheren fortschrittes der haudlung auf diese episode
verzichtet
Aus dem gleichen gründe mag er auch in der kurzen darstellung
der heilung Gerons einen vielleicht dem Amadis entlehnten zug ver-
wendet liaben. Bei ihm ist des ritters tochter — T. M. hat wie die
Bibliothöque noch die nichte — gleich einer der heldinnen des Ama-
dis viel verborgner mittel kundig, die schwersten wunden „leicht und
wol zu heilen", während die Bibliothöque davon erzält, dass die Jung-
frau berühmte ärzte habe kommen lassen, und eine art krankenge-
schichte gibt.
Das abenteuer, wie Branor die beiden alten in der unterirdischen
hölile findet, schliesst sich im algemeinen an die quelle an. An unter-
schieden sei folgendes erwähnt: die woi-te qu'un jour il trouva dans
une caveme ou tombeau souterrain (49) werden dahin ausgeführt, .dass
Branor bei einem unwetter in einer höhle schütz sucht. Ein enger
gang^ der sich in den felsen windet, lockt ihn an, weiterzugehen, und
nun trift er auf die greise. Auch die folgende stelle hat Wieland
geändert. Es heisst in der quelle: Pour se desennuyer dans ce som-
bre s6jour les deux anciens guerriers se racontoient leurs vieilles guer-
res. C'est ä moi disoit Giron le Vieux Wieland lässt beim ein-
tritte Branors die beiden alten gleichsam aus einem sanften Schlummer
erwachen. „und wohl
Zu tlmn schiens ihnen, wieder einen Menschen
Zu sehn, Sie hiessen mich mit dumpfer Stimme
Willkommen, sagton mir ..."
Nun folgen aus dem munde der beiden die nachrichten über ihr leben.
Sie wären ruhesehnend in diese gruft gestiegen. In der weit würden
sie längst für tot gehalten. Erdgeister pflegten sie und brächten ihnen
künde von den lebenden. Geron hiess der eine, Brehus der andere.
Geron (der ältere) habe sein reich Gallien seinem ältesten söhne über-
lassen, um sich ganz der ritterschaft zu widmen. Dieser habe das bei-
spiel seines vatera nachgeahmt und das reich seinem jüngeren bruder
überlassen. Nach vielen abenteuern sei er zu seinem vater in die
gruft hinabgestiegen und dort gestorben. Dem zweiten söhne habe Pha-
ramund der Franke tron und leben geraubt. Nur Geron der Adoliche
sei von seinem stamme noch übrig. Was die erdgeister von diesem
melden ist die nahrung, die den alten nicht sterben lässt. — Nun ent-
schliesst sich Branor, Geron den Adelichen aufzusuchen. Er findet
ihn, gewint ihn lieb, begleitet ihn und ist zeuge seiner taten. Daran
ÜBEB W1BLANDS QKRON 229
schliesst sich, wie eine nachricht, die Branor aus Gerons munde erfah-
ren, in aller kürze, dass Geron einst durch Hektor den Braunen geret-
tet worden, dass dieser sein lehrer und väterlicher freund gewesen und
ihm , als er in einer schlacht schwer verwundet sein ende nahen gefühlt,
sein Schwert zum erbe hinterlassen habe.
Vergleichen wir damit die quelle. Wer die beiden alten waren,
und dass man sie in der weit für tot gehalten, erzählt Branor vor den
eben citierten werten: „Pour se usw.** Geron der alte erzählt, sein
enkel Geron der Adeliche sei der rechtmässige herr Galliens. „Mein
geschlecht geht bis auf die ersten christlichen könige dieses landes
zurück. Ich erhielt die kröne nach dem erbrecht, ich habe sie dann
im Stiche gelassen, um als irrender ritter die weit zu durchziehen,
bis ich schliesslich, nachdem ich mich bis zur ermüdung durch hohe
Waffentaten ausgezeichnet, es für gut fand, mich zu vergraben. Mein
ältester söhn folgte in allem meinem beispiele^. (Dies wird weiter aus-
geführt.) „Meine konstitution, zweifelsohne stärker als die seine, ist
Ursache, dass ich ihn überlebe. Ich bin hier von der übrigen weit
abgetrent; doch tragen die erdgeister dafür sorge, mich von zeit zu
zeit von den grossen und bewunderungswürdigen taten meines enkels,
Gerons des Adelichen, zu benachrichtigen. Dieser war noch in der
wiege, als sein vater den tron Galliens seinem jüngeren bruder über-
liess. Der aber hat ihn unseliger weise durch Fharamund usurpieren
lassen. Dieser Usurpator ist der söhn eines mannes, der mein sklave
war. Er überschritt zu gelegener zeit den Rhein, stelte sich an die
spitze eines haufens von barbarischen beiden, die man Franken nent,
und kam mit ihnen, um mein reich zu rauben und sich desselben zu
bemächtigen. Er tötete meinen jüngeren söhn. Der junge Geron, der
lezte meines Stammes, war gerettet worden, zu jung, um seine abkunft
zu wissen, und war an den hof des königs Uter Fandragon gebracht
worden, wo er erzogen ward. Dieser monarch ist bis jezt der einzige,
der das geheimnis seiner abstammung kent; er weiss auch, dass mein
enkel durch seine mutter von H61ain-le-Gros abstamt, der seinerseits
der linie Josephs von Arimathäa angehörte, jener Unie, die so hoch
geehrt ist als hüterin des heiligen Grals ^. Was nun folgt findet sich
wortgetreu bei Wieland wider, bis auf den umstand, dass Hektor der
Braune nur als der lehrer des knaben, nicht als sein retter erscheint
Die unterschiede beider fassungen bedeuten eben so viele Vorzüge
der bearbeitung. Der stoff ist einfacher, klarer und psychologisch wah-
rer geordnet, wodurch die widerholungen der quelle vermieden wer-
den. Das genealogische beiwerk entsprach gewiss dem geschmacke der
230 snfQiR
leser des ursprünglichen romans; wir aber würden es nur als störend
empfinden. Die erzählung Oerons des alten vom untergange seines
sohnes klingt bei Wieland weit würdevoller als im romane; ebenso
sind die ruhmredigen werte: jusqu'ä ce qu'6tant las de me distinguer
par tant de hauts faits d'armes, je pris le parti (s. 50). . . durch die
verse Nachdem sie auf dem Lebensmeere lang
Herumgetrieben, alt und ruhesehnend usw.
in einer unserem gefühle weit entsprechenderen form widergegeben.
Verzicht auf alle für die entwicklung des ganzen unbedeutenden
nebendinge zeigt auch die weitere erzählung. Wo der auszug der Bi-
blioth^ue dem alten romane das wort lässt, sucht Wieland möglidist
engen anschluss auch im Wortlaute; doch wird auch ausser der episode
mit fräulein Blaye (s. o.) noch manches ausgelassen , was etwa zu wider-
holungen anlass geben könte. Die bemerkungen und reflexionen Tres-
Sans meidet der dichter widerzugeben, so sehr sie seiner eigenen
manier entsprechen, oder formt sie doch so um, dass sie dem Charak-
ter Branors gemäss werden.
Geron gewint die freundschaft Danayns des Rothen. Dessen
gemahlin macht durch ihre ausserordentliche Schönheit einen tiefen ein-
druck auf den beiden. Der aber weiss sich zu beherschen; nicht so
die frau, die von liebe zum ritter ergriffen merkt, was in ihm vor-
geht und dadurch den mut findet, ihm ihre gefühle zu offenbaren.
Er aber ruft die &au zu ihrer pfiicht zurück:
n la rappela ä son devoir, il la conjura de ne point user de tout
Tempire de ses charmes et de permettre qu'il restftt fiddle ä l'amitiö.
QueUe Situation pour Tamoureux Gyron! Quel excds de vertu dans
ce loyal Chevalier! Qu'il fiit digne de Tepöe du brave Hector-le-Brun!
O'est peu de condamner son propre amour ä se taire; il pousse rh6-
roi'sme jusqu'ä fermer la bouche ä sa Dame au moment ou eile lui
fit l'aveu de sa passion!
T. M. 107 gibt diese stelle in ähnlichem Charakter wider:
Nun denkt Euch eine Frau in aller Glorie
Der Schönheit und der Jugend und der Liebe
Dem Manne, der für sie brennt,
Sich in die Arme werfend —
Und denket, was es ist, ihr widerstehen!
Wie wenige selbst von den Besten des
Sich mögen rühmen können usw.
In W« erscheint die stelle ganz verändert Die Wieland so gewöhn-
liche einleitung der Schilderung durch: „Nun denkt euch (z. b. Gand.
ÜB£B WULANDS OKBON 231
m, 170. YIII, 229) ist ausgefallen; die figur der apostrophe ist ganz
gemieden; an die stelle der reflectierenden lobpreisenden darstellung,
die Branors zwecken widerspricht, ist eine sehr lebendige Schilderung
der grosse und gefahr der Versuchung getreten, doch ist die sünde von
vom herein als solche hingestelt Das dem weiteren verlaufe wider-
sprechende
und sie zu sehen öffnet er auch ihr die Augen
ist getilgt; Oerons werte sind einfacher, naturgemässer, würdevoller.
Stellen die quelle und die erste fassung den verlauf so dar, als ob es
sich um einen kaum begreiflichen heroismus handle, so erscheint in
W. Oerons verhalten einfach als eine handlung, wenn auch schwerer
Pflichterfüllung.
Die firau liebt Geron um seiner treue willen nur noch mehr und
zeigt ihm dies in ihren blicken, um der versucherin auszuweichen
verlässt der ritter das schloss seines freundes. Doch hält er es unter
den fremden leuten nicht lange aus: er kehrt zu Danayn zurück.
Wie viel die Frau von Maloanc an seinem Überdruss
Theil haben könnte, mocht er so genau
Sich selbst nicht fragen (S. 38).
Die Bibliothdque hat hier: il se dissimula du mieux qu'il put
toute la part qu'y avoit sa Dame. Quoi qu'il en soit, il prit ses armes
usw. (S. 55/56.) Ähnliche psychologisierende bemerkungen liegen zu
sehr in der manier Wielands, als dass er diese werte, die ja sehr am
platze sind, nicht hätte aufnehmen sollen. Doch ist seine wendung
milder als die seiner vorläge. Über das in dieser erzählte abenteuer
Oerons s. o. s. 227.
Danayn ist hocherfreut über Oerons rückkehr. Wörtlich fast aus
der vorläge herübergenommen ist die bemerkung, dass niemand ausser
Danayn imd dessen gemahlin Oerons namen wüste, sondern alle leute
in der bürg ihn nur den guten ritter nanten.
Ein Schildknappe komt, um Danayn zu einem tumier vor der
beiden Schwestern bürg zu laden und dieser verspricht zu kommen.
In der vorläge fragt Danayn den knappen, wer das tumier veranstalte,
dieser gibt darüber auskunfk, und nun erklärt Danayn, dass das tumier
nicht ohne ihn vor sich gehen werde. Rede und gegenrede hat Wie-
land wol als für den fortschritt der handlung bedeutungslos übergangen.
Danayn sucht seinen freund auf, und die beiden entschliessen
sich, unerkant am tumier teilzunehmen. Die frau von Maloanc hört
davon. Um Oeron bewundern zu können, bittet sie ihren gemahl, sie
zum tumier zu führen. Dieser erklärt, er könne es nicht tun, wolle
232 8INGKR
sie aber hingeleiten lassen. Die Schilderung des seelenzustandes der
&au von Maloanc ist mit geringen änderungen in der disposition aus
der quelle herübergenommen. Dass die dame ihre hofhung, Danayn
werde sie zum tumiere mitnehmen, auf die bestehende sitte gründet,
erwähnt Wieland nach der Bibliothdque, doch nur ganz kurz. Die
geschichte der entstehung dieser sitte übergeht er ganz.
Indes die &au von Maloanc in grossem Staate (en grand cort^e!)
den geraden heerweg zieht, nähern sich die freunde auf neben wegen
der bürg. Nahe bei derselben begegnet ihnen herr Flaunz, der sie
zum kämpfe zu reizen sucht und, als sie seiner nicht achten, trotz der
mahnungen des Irmns höhnt, ohne jedoch einen erfolg zu erzielen.
Auf diese stelle, die bis auf die namen mit der vorläge stimt, komnie
ich in einem anderen zusammenhange zurück.
Geron und Danayn sind sieger im turnier, und die frau von
Maloanc ist hocherfreut über Geron. Ihre Schönheit entzündet in Lac,
dem freunde des königs Melias, eine heftige leidenschaft Der könig
fangt, um Lac auszuforschen, von der dame zu reden an. Lac erklärt,
er getraue sich die frau ihren sechsundzwanzig rittern abzugewinnen,
fals er dem zuge in einem walde begegnete. Der roman hat hier noch
eine zweifelnde gegenrede Meliads, auf die hin Lac seine Versicherung
widerholt Beides fehlt bei Wieland.
Darauf wird, jedoch kürzer als in der vorläge, erzählt, Geron
habe Lacs werte gehört und ihm dies zu verstehen gegeben. Lac bleibt
bei seiner behauptung und wird in folge dessen von Geron aufgefordert,
den beiden freunden den dank des tumiers streitig zu machen. Lac
erklärt sich dazu bereit. Danayn, der hinzugekommen, und Meliad
nehmen an der wette teil. Die beiden freunde behalten den sieg. In-
dessen bricht die nacht herein. Da Danayn einen rachezug gegen die
mörder seines neffen zu unternehmen hat, lässt er Geron und der frau
von Maloanc entbieten, nach hause zu kehren und dort seiner zu
harren.
Dass Danayn sich allein auf den rachezug begibt, wird B. u. 68
besonders, jedoch nicht glücklich, motiviert. Wieland unterlässt dies
mit recht, da er wol voraussezt, dass die frage, warum Geron sich
nicht am rachezuge beteiligt, überhaupt nicht aufgeworfen werden
würde, und dass die fassung der stelle dem leser genügend raura zu
Vermutungen biete.
Geron hat der werte Lacs nicht vergessen und folgt der frau von
Maloanc von ferne, als sie nach hause zurückkehrt. Lac hat indessen
deren zug im walde aufgelauert, jagt die begleiter in die flucht und
ÜBEB WIELANDS OERON 233
reitet mit der frau davon. So trift ihn Geron, der durch einen ziifall
die spur der frau von Maloanc verloren hatte. Rasch wird die dame
befreit. Von Lac ist weder in der vorläge noch bei Wieland weiter
die rede.
In der folgenden stelle hat Wieland sowol die form der exclama-
tio als den gedankengang aus Tressans auszug aufgenommen. Doch
sprechen seine werte das gefühl weit mehr an als die kühle rhetorik
des franzosen.
Wortlos stehen die dame und Geron einander gegenüber; er aber
findet bald seine fassung wider: die dame sei frei, sie könne nach
ihrem willen nach Maloanc zurückkehren. Schon diese werte sind
nahezu unverändert dem auszuge Tressans entnommen, der hier den
alten roman getreu widergibt
Dasselbe gilt für das ganze folgende gespräch und für die dar-
stellung des seelenzustandes Gerons und seiner dame, da sie schwei-
gend nebeneinander reiten. Der kunstvolle parallelismus mit untergeord-
neten antithesen, in dem die Vorgänge im Innern der beiden geschildert
werden, ist mit wenigen, bloss auf den Wortlaut bezüglichen änderungen
der quelle nachgebildet. Ebenso ist das gespräch, welches zur liebes-
erklärung führt, eine fast wörtliche Übersetzung des französischen tex-
tes. Doch finden sich einige kürzungen. Sowol in T. M. (120) als
auch in W. (156) schliesst Gerons zweite rede mit den werten
wo nicht
Die Minne, die er zu Euch trug, ihm Kraft
Zu solcher That gegeben hätte
(mais la trös grand' Amour qu'il avoit ä vous luy fit faire et entre-
prendre ung si grant fait que vous vites B. u. 74); während B. u. dann
nochmals auf die besiegung Laos zurückkomt.
W. hat in der dritten rede Gerons folgende werte, die sich T. M.
120 nach B. u. 75 finden, ausgelassen:
Und zwar mit solcher Minne, wie ich glaube, dass
Kein andrer Ritter bass als ich gewinnen möge.
(Et voyrement aimöje en teile maniöre, qu'il m*est avis que nul autre
Chevalier ne put plus aimer que j'aime.) Die auslassung ist darin
begründet, dass sowol T. M. 121 als W. 57 eine ganz ähnliche stelle
an einem passenden orte, übrigens auch in wörtlichem anschlusse an
die quelle geben:
Ja liebe Frau —
Ihr seid es, die ich minne, so wie bass
Kein andrer ritter seine Dame minnen mag.
234 8IN0KB
(B. u. 76. Oai chdre Dame vous etee celle! meme quo j'aime de tout
moQ coeur ainsi fort comme Gheyalier puisse aimer Dame.) Als die
&au von Maloanc dies hört, ist sie so glücklich, dass sie für ihre freude
keine worte findet
Hier ist die schlichte Stilisierung des Originals von Wieland viel-
leicht nicht zu ihrem vorteile verändert worden.
Indem Oeron und die frau schweigend nebeneinander reiten,
erblickt der ritter einen pfad, der zu einem waldbrunnen führt Er
schlägt der dame vor, dort ein wenig zu riihn, denn er fühle sich
sehr müde. Die frau ist damit einverstanden. So reiten sie dem brun-
nen zu. Dort bindet Geron sein pferd an einen bäum und hilft der
dame herab. Die Schilderung des plätzchens findet sich an dieser stelle
der vorläge nicht, eine in manchen punkten ähnliche jedoch im zwei-
ten teile des romans.
Oeron entwa&iet sich und ist nahe daran, die treue auch durch
die tat zu verletzen, da fält sein schwort vom brunnenrande ins was-
ser. Er zieht es heraus, wischt es ab, und indem er es betrachtet, ob
es nicht beschädigt sei, falt sein äuge auf die Inschrift T. M. 124
schliesst sich hier enger an die vorläge an als W.
„Er liest und liest die Inschrift^: und nun folgt die widergabe
der ganzen Inschrift
Und Geron liest und liest es wieder und
Zum drittenmale
(vgl. ses yeux involontairement se fixörent sur la divise vertueuse:
Loyaut6 passe tout, trahison temit tout etc. TL la relit ä plusieurs
r6prises, comme s'il la remarquoit pour la premidre fois.)
Bloss die ersten worte der Inschrift zu geben und daran ein
„usw." zu setzen, war für Wieland ganz untunlich; daher hat W. 62,
um die widerholung zu meiden:
Er bebt und liest und liest es wieder und
Zum drittenmal.
Dies ruft ihn zu seiner pflicht zurück. Er sinkt in tiefes sinnen, und
da er lange nichts spricht, redet ihn die frau von Maloanc endlich an.
In der vorläge antwortet er sofort Wieland lässt seinen Geron die
frage zuerst völlig überhören. Lange harrt die frau der antwort; end-
lich widerholt sie in zärtlicherer form die frage: Nun erwidert ihr Ge-
ron, indem er sich anklagt. Ehe die frau es hindern kann, durchbohrt
er sich mit dem Schwerte. Nur mit mühe hindert ihn die frau von
Maloanc, sich noch einen zweiten stoss zu geben. Indes hat Danayn
seinen rachezug vollendet Auf dem wege nach seiner bürg hört er
ÜBBB WIILA1ID6 GIBON 235
die klagerofe und reitet zum bronnen. Geron gesteht dem freunde
Beine schuld, die der frau verbirgt er. Danayn erkent jezt erst die
herlichkeit der tugend seines freundes und bittet ihn zu leben. Garon
willigt ein und wird auf einer bahre nach dem nächsten schloss
gebracht Der schluss wurde bereits besprochen.
Anachronismen sind in dem auszuge der Biblioth^ue vorhanden,
und Wieland hat dieselben wol bemerkt und zu beseitigen gesucht
Der seneschall des königs Artus, Gries, wird in der einleitung unseres
gedichtes als ein mann hingestelt, der höflichkeit mit rittersitten paarte.
Ein gewanter, wackerer krieger, tritt er nur gelegentlich des kampfes
Branors mit den rittem der tafeirunde auf. Die rolle, welche der
roman dem seneschall Breux zuschreibt, Geron und Danayn zu höh-
nen, hat bei Wieland herr „Flaunz^ erhalten. Bemerkt sei übrigens,
dass Giies im Sommermärchen so charakterisiert wird, wie Breux (Eeie)
im Gyron und anderen romanen. — Herr Flaunz wird von Irwin,
„einem der adeligsten ritter der tafeirunde ^ zurechtgewiesen. Herr
Irwin (messire Yvain wird auch im alten romane an dieser stelle genant)
ist der wolbekante Iwein. Wieland mag gedacht haben, dass Irwin
seinen lesem nicht bekant genug sei, um von ihnen nicht für ein mit-
glied der ersten taf eirunde, deijenigen Uter Pandragons gehalten zu
werden, von welcher er in den anmerkungen im Deutschen Merkur
spricht Vielleicht haben wir es auch mit einer flüchtigen herüber-
nahme einer einzelheit zu tun , die genau genommen der Voraussetzung
des gedichtes widerspricht — An einer anderen stelle hat Wieland
einen kaum fahlbaren anachromsmus beseitigt Bei Tressan heisst es
8. 78: Icelle 6p6e — comme le lecteur peut s'en souvenir — avoit
appartenue jadis au bon et vaillant Chevalier Hector-le-Brun. Et pour
amour de lui et aussi pour ce que r6p6e etoit parfaitement bonne
Gyron le-Ck>urtois la prisoit plus chörement que ne faisoit le Roi
Artus le meilleur chftteau qu'il eüt
W. 61 ist dem Geron das schwort so lieb,
Dass er nicht das beste Schloss
Des Königs üther drum genommen hätte.
Hier hätte es Wieland sehr nahe gelegen die werte que ne faisoit le
roi Artus durch ein „wie euch, o könig, euer bestes schloss^ oder ähn-
lich widerzugeben. Dass er dies nicht getan, legt zeugnis ab für seine
soigfalt bei der arbeit — An einer stelle jedoch scheint der dichter
durch die erinnerung an seine quelle tatsächlich zu einer inconsequenz
verleitet worden zu sein. W. 53 nämlich werden die gedanken der
frau von Maloanc gegeben:
4^36 SINOER
Der wäre nicht des Ritternamens wert,
Der eine fraii wie ihr zum drittenmal
Abweisen könnte.
Von einer wirklichen abweisung ist aber im gedichte nur einmal die
rede. Dass man nicht annehmen dürfe, die frau von Maloanc betrachte
Gerons entfernung oder etwa seine werte nach der besiegung Lacs als
eine zweite abweisung, lehrt der vergleich mit W s. 58:
Denn es ist so lange nicht usw.,
welche stelle sich nur auf das erste gesprach Gerons mit der dame
bezieht. Die ganze sache erklärt sich leicht, wenn man annimt, Wie-
land habe bei dem „zum drittenmale*' an Bibl. un. s. 55 gedacht:
Soutenue par Tespoir, la Dame de Maloauc fit a Gyron une seconde
Ouvertüre. Diesen werten erst folgt die auch von Wieland beibehal-
tene darstellung des benehmens der dame, welches Greron veranlasst
Maloanc zu verlassen. Psychologisch interessant ist es, dass die werte
der vorläge (B. u. 71), denen unsere stelle nachgebildet ist, eine zwei-
malige abweisung zwar als möglich, nicht aber als notwendig voraus-
setzen. Sie lauten: qu'il ne Teconduie tout ainsi comme il i'a autre-
fois fait.
n.
Die Verwertung des vorgefundenen stofies hat die absieht des
dichters erkennen lassen, möglichste geschlossenheit und einheit
der handlung zu erzielen und dabei den Charakter würdevoller
einfachheit zu wahren: „Die geschichte war zu heilig in meinen
aogen, um sie verschönem zu wollen, und das einzige, was ich be-
daure, ist^ dass ich sie nicht noch einfaltiger, noch gotischer und holz-
sehnitmässiger habe vortragen können, als es geschehen ist. Es mag
wol sein, dass sie in einer minder altfränkischen gestalt vielen moder-
nen lesem und leserinnen besser gefallen würde. Auch steht nun
jedem frei, damit zu machen, was er kann und will; ich meines orts
muste meinem gefüble folgen. Eine spräche, die der täuschung, als
ob man den alten Branor selbst reden hörte, so wenig als möglich
hinderlich wäre, ist zu meinem zwecke ebenso notwendig, als eine
apologie deswegen in unseren tagen überflüssig sein würde'^. (T. M.
131.) Ähnliehe gedanken spricht die vorrede zu W. 1796 ans, und
sie weist noch deutlicher auf die mittel hin, deren sich der dichter
bediente: ,,hiugegen suchte ich mir, indem ich mir nach unserer spräche
im sechzehnten Jahrhundert eine art von deutschem Gaulois bildete.
ÜBER WIELANDS GERON 237
eine diction herauszubringen, welche ohne unverständlich und abge-
schmackt zu sein, der täuschung, als ob^ ... usw.
Diese äusserungen zeigen, von welchem Standpunkte aus der
dichter sein werk beurteilt wissen will. Indessen lässt sich das volle
Verständnis für die sprachlichen eigentümlichkeiten des Geron denn
doch nur aus einem grösseren zusammenbange gewinnen.
Die bestrebungen der Schweizer, die dichterische Sprache des
18. Jahrhunderts aus dem frischen born der Volkssprache und aus der
mittelhochdeutschen und älteren neuhochdeutschen spräche zu bereichern
und zu verjüngen, hatten vielfachen Widerspruch, aber auch mannig-
fache förderung erfahren. Im Nordischen aufeeher wies Klopstock darauf
hin, dass man ältere sprachformen und Wörter mit vernünftiger aus-
wahl widerbeleben solle; dass Luther, Opitz und Haller die nachzu-
ahmenden muster seien. In ähnlichem sinne erneuert Lessing das an-
denken Logaus. Von gröster Wichtigkeit jedoch ist hier das auftreten
Herders. In den „Fragmenten über die neuere deutsche litteratur**
fordert er (H. 19, 31), dass man die Idiotismen aus den zeiten der
meistersänger, des Opitz und Logau, des Luthers usw. samle und inson-
derheit mehr von Klopstock lerne. Auch die kühnheit der Idiotismen
bei einem einzelnen autor gebe gelegenheit, auf sein genie zu achten.
Er nimt sich der Schweizer an, die zwar manches übertrieben hätten,
deren gutes aber noch zu wenig geprüft sei. Er rühmt das verdienst,
das sich der „patriarchische Bodmer'' durch die herausgäbe der Minne-
sänger erworben, ein verdienst, das seiner meinung nach grösser ist,
als das Lessings durch seinen Logau. Noch schärfer spricht sich hier-
über die zweite, rechtmässig nie zur ausgäbe gekommene aufläge der
fragmente aus (H. 19, 351): „Können wir uns also auch nicht für
aÖTÖx^oveg ausgeben, so wollen wir uns doch derselben (der Idiotismen)
als eines eigentums rühmen und mit patriotischem stolze idioten sein
nach der griechischen bedeutung dieses wertes ''. Und s. 360: „Ich
komme von ihm (Klopstock) zu Luthern zurück, um über ihn einen
commentar und aus ihm eine anthologie zu wünschen. Auch mit
Opitzens spräche selten wir vertrauter werden . . . Erst solte man doch,
ehe man über deutsche Schreibart sprechen will, lernen, was wahres
deutsch gewesen ist und bleiben wird^. 8. 362. „Nimt man diesen
(den Schriftstellern) das idiotische ihrer spräche als einer lebendigen,
als einer angebornen, als einer nationalsprache, so nimt man ihnen
geist und kraft ^.
Damit berührt es sich, wenn er gegen Sulzer die uneigentlichen
Wörter, synonymen, Idiotismen als notwendige bestandteile einer jeden
238 SIMGBB
sinlichen spräche in schütz nimt Freilich verkent er die Schwierig-
keiten nicht, die unsere spräche zu überwinden hat, um etwa die
machtwörter und inversionen Homers nachzuahmen (Fr. 40).
Im 12. und 13. abschnitte der fragmente legt er die bedeutung
der Inversion für den sprachlichen ausdruck dar. Diese inversion ist,
um aufmerksamkeit zu erregen, jene, um sie zu erhalten; diese über-
rascht, jene bewegt die ganze seele usw. So hatte ja auch Bodmer
(Pr. LII) die metathesis oder Verwerfung der gewöhnlichen Wortver-
bindung für eine Ursache vieler und verschiedener Schönheiten der alt-
deutschen spräche erklärt
In der gleichen tendenz nun veröffentlichte im jähre 1776 der
deutsche Mercur eine reihe von auMtzen, in denen das leben deut-
scher schriftsteiler und gelehrter aus dem Zeitalter des humanismus und
der reformation dargestelt wird.
Diese nachrichten, die sich in der hauptsache auf Heinrich Pan-
taleons „Teutscher Nation Heldenbuch^ stützen, haben für uns keinen
wert mehr. Die anregung aber, die hier gegeben wurde, muss als
eine höchst verdienstliche angesehen werden. Im februarheft wird
Sebastian Brants Schreibart charakterisiert Seine spräche schwebe zwi-
schen deijenigen der minnesänger und dem neuen hochdeutschen in
der mitte und habe viele Wörter, die noch jezt in Schwaben üblich
und mit einer menge anderer brauchbarer alter Wörter von spä-
teren Sprachverbesserem unverständiger weise aus der Schriftsprache
ausgemerzt worden seien. „Es wäre zu wünschen, dass ein guter teil
dieser ausser cours gekommenen Wörter wider zurückgeholt und wenig-
stens in die komische, launigte. satirische und burleske Schreibart —
versteht sich mit auswahl und geschmack — eingeführt werde.
In diesem sinne ist Wieland bei der abfassung des Oandalin vor-
gegangen, der im selben jähre im Deutschen Mercur erschien. So ist
es eine ganz unverkenbare nachahmung der spräche des heldenbuches,
wenn das 6. buch mit den werten begint:
Sie nahte nun, die furchtbare Stunde,
Da Gandalin weit grössre Fahr
Als alle ritter der tafeirunde
Je untergangen, bestehen war.
Die gefahr, von der gesprochen wird, ist die belauschung der „Jelän-
gergelieber^ im bade.
Als quellen werden das alte heldenbuch (wahrscheinlich hatte
Wieland die auch von Lessing besprochene Frankfurter ausgäbe von
1560 vor sich), die vier ersten bücher des deutschen Amadis aus Gallia,
ÜBER WIILANDB BZBOV 239
der Teaerdank, der Froschroäuseler, die werke Hans Sachsens und das
NarrenschifF nebst vielen anderen angegeben; wie ja der Froschmäu-
seler auch in einer anmerkung zum Geron ein in bezug auf die spräche
UassiBches buch genant wird. Dass man der Sprachbereicherung sehr
bedürfe, steht nach Wielands meinung ganz ausser frage.
Die folgenden hefte des T. M. 1776 bringen die biographien Gei-
lers Yon Eaisersberg, Ulrichs von Hütten, Johannes Fischarts — der
übrigens in erster linie als rechtsgelehrter gefeiert wird u. a. m.
Die nachrichten über Hans Sachs werden im märzhefte gegeben.
Das aprilheft bringt den kräftigsten protest gegen die anmassenden
kritiker, die über die männer des 16. Jahrhunderts abgesprochen: Goe-
thes „Erklärung eines alten holzschnittes, darstellend Hans Sachsens
poetische sendung^. In unmittelbarem anschlusse daran wurden zwei
gedichte des Nürnberger meistersängers abgedruckt, der prächtige schwank
„St Peter mit der Geis'' und der wunderliche „Der liebe Zanck**.
Bezeichnend genug ist, dass Bertuch damals den Plan einer
ausgäbe der werke Hans Sachsens fasste.
Von des dichters manier und spräche heisst es s. 95: „Seine alte,
rauhe aber kräftige spräche, die ungefeiltheit seiner verse, die holz-
schnitmässige Dürersche manier soll uns nicht länger hindern, den
geist, das herz, die in allen seinen werken leben, zu fühlen^ zu erken-
nen und zu lieben.''
Vergleicht man diese werte mit den oben citierten und mit der
art, wie veraltete wortfoimen, Wörter und constructionen im Gandalin
gebraucht werden, so sieht man, dass Wieland in verhältnismässig
kurzer zeit seine anschauungen über den wert der alten spräche wei-
teigebildet hat. Im Gandalin wird HI, 170 ein grosses gemach „alt-
fränkisch verziert" geschildert; in diesem ist Jelängeijelieber. „So steif,
so voller Dürerscher falten" ist ihr anzug. Im Geron aber ahmt er
die alte spräche nach, um den eindruck ehrwürdiger einfachheit her-
vorzubringen.
An diesen einmal gewonnenen theoretischen anschauungen hält
Wieland auch fest
In der abhandlung „Über die frage: Was ist hochdeutsch?"
(W. H. 38, 17) erklärt er in naher Übereinstimmung mit Herder, dass
sich diese fi^ge nur aus den werken der besten schriftsteiler beant-
worten lasse, und dass hieven auch die schriftsteiler des 16. und 17.
Jahrhunderts nicht ausgeschlossen werden dürften. Die älteren dialekte
seien noch inmier als gemeingut und eigentum der echten deutschen
spräche anzusehen; sie bildeten eine art fundgrube, aus welcher man
240 SINOBB
der Schriftsprache in fallen, wo es vounötcn sei, zu liilfe kommen
könne.
Entscheidenden einfluss auf die diction des Geron übte auch der
sprachliche Charakter der vorläge. Der auszug der Bibliothöque gibt
uämlich an den bedeutendsten stellen den alten ronian ziemlich getreu
wider. Da finden sich denn veraltete formen, Wörter, deren bedeutung-
einer erklärung beduiite, die dann in klammern beigefügt ist Ebenso
finden sich einzelne constructiouen , die dem französischen des 18. Jahr-
hunderts nicht mehr geläufig sind. Zu diesen stellen kommen andere,
die zwar auch durch anführungszeichen als wörtlich aus dem originale
herübergenommen bezeichnet werden , an denen sich jedoch der excerp-
tor änderungen erlaubt hat. Zeichnen sich diese stellen im ganzen
durch einen naiv-volksmässigen, herzens warmen ton aus, so ist dage-
gen der ganz von Tressan herrührende rest von kühlem rhetorisieren-
den Charakter, reich an ausrufen, reflexionen u. dgl.
Was Wieland in sprachlicher beziehung zur nachahmung reizte,
waren die älteren, echten teile. Er will ein „deutsches Gaulois**
schaffen.
Für die richtige beurteilung des grades der kühnheit, die Wie-
land sich als Sprachbildner zuschreibt, ist der vergleich seiner spräche
mit dem, was in Adelungs Wörterbuch ^ als hochdeutsch bezeichnet
wird , sehr lehrreich. Man muss liiobei jedoch darauf achten , dass Wie-
land bei der abfassung des Qeron nur die beiden ersten, bis inclusive
R reichenden bände des Wörterbuches benützen konte — die vorrede
des dritten bandes ist von der ostermesse 1777 datiert — ; dass ihm aber
bei der zweiten bearbeitung das volständige werk zur Verfügung stand.
Demgemäss kann in T. M. nur dasjenige als trotz Adelung
geschaffen angesehen werden, was in die vorbezeichneten grenzen fält
Für alles übrige lehrt der vergleich zunächst nur, worin Wielands
Qeron von dem abweicht, was Adelung als sprachrichtig gilt
Manche änderungen von W. gegenüber T. M. dürften auf den
einfluss des Wörterbuches zurückzuführen sein; im ganzen und grossen
jedoch hat Wieland an den grundsätzen festgehalten, die für ihn bei
der ersten abfassung massgebend waren. Für dasjenige, was in W.
beibehalten ist, kann also der ganze Adelung in derselben weise zum
vergleiche herangezogen werden, wie für den ersten teil des wortvor-
rates von T. M.
Der grundsätzliche gegensatz zwischen Wieland und Adelung
könte leicht überschäzt werden, wenn man es unterliesse auf einige
1) Das Wieland bekantlicli sehi* gewissenhaft und fleissig benüzt hat.
ÜBER WIKLAND8 (»EBOK 241
wichtige bemerkungen in der vorrede zum ersten bände des Wörter-
buches näher einzugehen. „Die sogenante höhere Schreibart", sagt
Adelung, „arbeitet unaufhörlich an dem untergange der mundart des
täglichen Umganges. Da sie nicht immer neue bilder, neue Wahrhei-
ten sagen kann, so will sie die alten Sachen doch immer wenigstens
mit neuen Wörtern nennen. Sie nimt alsdann ihre Zuflucht gemeinig-
lich zu der oberdeutschen mundart .... Ein glück wäre es noch,
wenn es auf diesem wege behutsam fortgienge; die oberdeutsche mund-
art hat einen solchen reichtum an unerkanten erhabenen ausdrücken
und Wortfügungen, dass sie die hochdeutschen dichter und redner noch
Jahrhunderte hindurch damit versehen kann, ohne erschöpfet zu werden.
Sie (die hd. mundart) figieren und auf alle folgende Zeitalter einschrän-
ken zu wollen, heisst den lauf aller menschlichen dinge verkennen.
Man müste zugleich auch den künsten und Wissenschaften, den moden,
ja der ganzen art zu denken und handeln auf ewig grenzen setzen".
Man sieht, auch der conservative Adelung kann sich den einflüs-
sen der neuerer auf sprachlichem gebiete nicht völlig entziehen, so
wenig freundlich er ihnen auch gegenübersteht. Gegenüber den oben
(s. 239) erwähnten äusserungen Wielands, dass sich die frage, was
hochdeutsch sei, nur aus den werken der besten schriftsteiler beant-
worten lasse, und dass hiervon auch die schriftseller des 16. und 17.
Jahrhunderts nicht ausgeschlossen werden dürften, weist es doch auf
eine bedeutsame Verschiedenheit der anschauungen, wenn Adelung in
ansehung der reinigkeit der spräche keinem Schriftsteller das prädikat
„klassisch" zugestehen wül, die aufnähme veralteter und provinzieller
bedeutungen und Wortfügungen aus Luther, Opitz, Logau, Flemming
des weiteren rechtfertigt und diese rechtfertigung mit den werten
schliesst: „solte es auch nur geschehen sein, um den unkundigen oder
ausländischen ieser zu warnen".
Ich führe nun aus dem wortvorrat des Geron die irgend auffal-
ligeren Wörter in alphabetischer Ordnung an, ähnlich, wie es Wieland
selbst in seinen anmerkungen zum Geron (Teutscher Merkur 1777,
8. 132 u. fgg.) gehalten hat.
Adelieh. Hiezu bemerkt Wieland (T. M. 132): „Ich. gebrauche dieses wort als ein
äquivalent für das französische eaurtois. In unsern Zeiten wii-d edel mehr gebraucht,
den adel des gemüts und der sitten, adelich hiagegen mehr den adcl der geburt
zu bezeichnen. Bei unseiii alten war es just umgekehrt. Sie sagten odel von
geburt, adelioh von sitten*. Wieland vei*weist auf den Sprachgebrauch der alten
Übersetzung des Amadis de Gaule, in welcher eourtois häufig durch adclich wider-
gegeben wird. Dass er es nicht mit höflich übei-setze, i-echtfei-tigt or mit der abge-
schliffenen bedeutung dieses wortes. Courtois — adelich ist ihm gleichbedeutend
ZEITSGHBIFC F. DEITTSCHB PHniOLOOUE. BD. XXV. 16
242
mit xaXös xal uya&og. Er verwahrt sich jedoch hier ebenso wie in der etwas kür-
zeren auf dieses wort bezüglichen stelle der vorrede dagegen, dass er damit dem
adel ein kompliment machen wolle.
In demselben sinne gebraucht das wort auch Luther: ,,die aller adiligiste
und theuerste tugend*^ (Briefe 2, 254). — Und hetten ir mir bestanden — mit
ellenhaften haudon — das were adelich getan (Hdb. 707, 31). — schön, wolerzo-
gen, adelich (H. S. der ermört Lorenz z. 5) von einer kaufmannstochter. — 8owol
T. M. als W haben adelieh. Diese Schreibung schlägt auch Adelung für die figür-
liche an Wendung des wertes vor und bemerkt weiter: In dieser figürlichen bedeu-
tung fängt das wort an zu veralten, vermutlich, weil die Sache selbst bei unserem
heutigen adel aus der gewohnheit gekommen ist.
Anmathen, sieh = sieh anmaasen. Adelung weist das einüache „anmuten jmd.
etwas '^ dem gemeinen leben zu. Die Verbindung mit dem reflexivpronomen fehlt
ganz.
Ansprengen auf: „Spi'engt im stuim auf seinen gegner an*^. DWb. I, 470 gibt zahl-
reiche beispiele für a. mit blossem aocusativ = conoitato equo aggredi, aber keines
für a. auf — schnell auf jetnand losreiten. Das gleiche gilt von Adelung, der
das wort als tätiges Zeitwert von anspringen erklärt
Arbeit: „Und könig Artus kaum mit arbeit . . . sich festhielt^ W. 16. n. a. s= mit
mühe; DWb.I, 540. Bed. 6: „Hieran grenzt unmittelbar die von schwerer knedits-
arbeit zuerst abgeleitete abstraktion grosser mühe und anstrengung. „Der wird
uns trösten in unserer mühe und erbeit auf erden L. 1. Mos. 5, 29. Ich habe sie
(die heil, schrift) über zwelf jähre gelehrt mit grosser schwerer erbeit L. 6, 24 a*^.
Die hier citierten beispiele lassen das wort minder entfernt von seiner ursprüng-
lichen bedeutung erscheinen, als es bei Wieland gebraucht wird. Ygl. aber Ade-
lung: „Im hochdeutschen ist diese bedeutung (sorge, verdmss) nicht mehr üblich,
ausser dass arbeit zuweilen noch für mühe gebraucht wird^.
AuÜBehmUeken: ein aufgeschmüoktes ross W. Das wort klingt gegenwärtig veraltet
DWb. 727, wo es mit exomare, denuo omare erklärt wird, gibt beispiele aus Goe-
the, Musäus, Tieck und Jean Paul. Auch bei Adelung erscheint das wort als
durchaus gebräuchlich.
Anslaufen, sich: und so bald sein ross Sich ausgelaufen W 16. S. a« := genug lau-
fen, vom pferde, das in der caniere schwer lenkbar ist und erst almfthlich in eine
mindere gangart überg$ht, „sich auslaufen*^ muss. Diese bedeutung fehlt DWb. I,
904. a. 7. nur „sich auslaufen: nach langem sitzen sich bewegen, gleichsam die
beine wider auslaufen. Auch: sich ermüden*^. Auch bei Adelung nur die erkli-
rung: Sich durch laufen gehörige bewegung machen.
Answägen: Er hatte aus einem grossen häufen Speere ... den schwersten ausgewo-
gen W. 19. In Verbindung der wörtlichen und der übertragenen bedeutung =
nach dem gewichte prüfend wählen; fehlt DWb. I, 1008. Angegeben bei Adelung
A« 1. Herauswägen, nach dem gewichte aussuchen.
Bar: aller ehren bar W. 51. Wieland selbst erklärt T. M. 133: soviel als nackt,
entblösst, ausgezogen wird durch unser beraubt nicht völlig ersezt Auch
Bodmer findet es nötig, das wort im glossar zu den Proben zu erläutern. Damit
stimt es, dass die DWb. I, 1057 angeführten beispiele aus dem 18. und 19. Jahr-
hundert für diese bedeutung durchweg jünger sind als die Proben. Adelung erklärt
das wort in der bedeutung unserer stelle für gänzlich veraltet.
ÜBIR WIKLANDS OERON 243
Bergen: ... bis zu heiss die wunde brent, sie dem — zu bergen W. 36. b. =
yerbergen, verhehlen, vor DWb. I, 1508, 4. Adelung bezeichnet das wort als nur
noch im oberdeutschen üblich, citiert jedoch beispiele auch aus Schlegel.
Bewtthmni^: zu bewährung, wem in ritterschaft — der preis gebühi*e "W. 15. Das
wort ist hier in der bedeutung exploratio gebraucht, ähnlich wie T. M. 5 entspre-
chend hat: und zu bewähren, wenn usw., wo b. = explorare, dartun, prüfen.
Vgl. Und welcherlei eines jeglichen werk sei, wird dies feuer bewähren. L. 1. Cor.
3, 13. — Die hier entsprechende bedeutung fehlt DWb. I, 1765. Adelung hat
bewährung überhaupt nicht; unter bewähren erkläit er die bedeutung „prüfen*^ für
Teraltet
Barne: wird sowol für gemahlin als für geliebte gebraucht Vgl. DWb. II, 702 und
Adelang: Dame „ein vornehmes frauenzimmer, besonders, wenn es verheurathet ist**.
Dank: Den dank davonzutragen W. 45. Den dank des tumeys zu gewinnen W. 48.
tragen . . . des tumeys dank davon W. 48. Wieland erläutei-t: „Dank ist das
eigentliche wort für den preis, der dem sieger im tumey zuerkant wurde. Man
sagte nie preis des turniers, sondern dank. — Er hat den dank gewonnen '^ T. M.
133. Wieland verwendet das wort auch im Oberon zweimal in der gleichen bedeu-
tung: trug durch hinterlist . . . den dank davon I, 35, Und ratet, welchen dank der
Sieger heut erhält Xu, 81. Seitdem ist der gebrauch dank = siegespreis wider
in aufoahme gekommen; vgl. Schillers Handschuh: den dank, dame, begehr ich
nicht! Dazu DWb. II, 731. 9. Wielands vorlagen: Gott geh im glück in dem
tumier, dass im der höchst dank heimgfall H. S. h. S. 289. Adelung: besonders
bedeutete dieses wort ehedem die belohnung, die der überwinder bekam, den preis;
dazu ein beispiel aus Opitz citiert.
Befeii: der edle degen üther Pandragon T. M. 10; im W. 23 ersezt durch der edle
ritter usw. — Degen = held, ritter. — Aber der teurdank der degen rein —
beschüzte sich mit rechter mass W. 83, 58; wer ist der reine degen, der uns die
lere git Hdb. 63, 22. Zur geschichte des wertes DWb. U, 895: „Vom 14. Jahr-
hundert kam es (das wort) in abnähme. In neuerer zeit erscheint es wider häu-
figer, aber man betrachtete es als einen bildlichen ausdruck von ensis^. Vielleicht,
dass Wieland die änderung von degen in ritter eben mit rücksicht darauf —
man denke an die wenig heldenmässigen galanteriedegen des 18. Jahrhunderts —
vornahm. Im Gandalin ist das wort H, 169 und III, 172, beidemale in scherz-
haft spöttelnder anrede verwendet Adelung bezeichnet das woit degen in der
bedeatong „kriegsmann, rechtschaffener, redlicher mann^ als völlig veraltet; er
citiert Teuerdank und Logau.
]>e88elbeBirIeiehe]i W. 51 = desgleichen, ibidem, similiter; die DWb. II, 1030 ange-
führten beispiele gehören durchwegs "der älteren spräche an. Adelung: „Die ver-
längerte form desselbengleichen, welche in der deutschen bibel mehrmals vorkömt,
ist im hochdeutschen völlig veraltet
DieiieB: and zwanzig dienten bei der tafel T. M. 11; verändert in: zwanzig andre
pflegten des diensts dabei — TJnd zwanzig bei der tafel W. 25. Ygl. DWb. E,
1105 d. 5, ab. — Adelung: Zu tische dienen, bei tische aufwarten, im gemeinen
leben sowol Nieder- als Oberdeutschlands.
PueUaneht: durchlaachter herr W. 14; d« = durchlauchtig; vgl. DWb, H, 1638;
Adelung kent vor Substantiven nur den gebrauch der form durchlauchtig, die er
auch anter durchlauoht (a^jeotiv) bespricht
16*
244 8IN0KH
Elaüek: Je ehrlicher sie sprachen, desto grober ward herr Flaonz W. 42. Dazu
Wieland T. M. 133: „In der alten bedeutung, in der es hier genommen wird, mit
dem französischen worte honnete gleichbedeutend and also mit höflich beinahe
einerlei. Gleichwol ist zwischen diesen beiden synonymen noch ein feiner unter-
schied. Höflich sprechen kann auch ein schalk; ohrlich sprechen ist höflichkeit des
biedermannes. In diesem sinne ist das wort ehrlich im alten Amadia and in andern
werken dieser art vom 15. und 16. jahriiundert inmier gebraucht*^. — Das wort
verbindet also hier die DWb. m, 70 e gegebenen bedeutungen 3 ehrlich = red-
lich, ohne faUch von leuten, und 5 = xiemend, anständig von Sachen. Bei
Adelimg passt hierher am nächsten I (3) dem äusseren wolanstande der reinigkeit
der Sitten gemäss, im gemeinen leben.
Enthalten sieh: während Geron sich zu Maloauc enthielt W. 38; wo ein guter, alter
ritter sich enthielt W. 67. = sich aufhalten. DWb. II, 551. 0. 1 führt dazu zahl-
reiche beispiele namentlich aus Luther an; u. a.: Da zog Abraham hinab in Ägyp-
ten, dass er sich daselbst enthielte I. Mos. 12, 10, auch sonst ist es sehr häufig,
wird aber gegen das 18. Jahrhundert zu immer seltener. Aus der zeit der klas-
siker weist DWb. nur die beiden falle im Geron nach. Adelung erklart diese ganze
bedeutung für veraltet.
Entstehet: Entstehet eurem treuen ritter nicht TM. 8 = verlasst ihn nicht Yerlasset
euren usw. W.
Erbe: Das Hektor Braun . . . sterbend ihm zum erbe liess W. 61 = erbschaft, erb-
stück; DWb. 3, 710. 6: „Neben verba setzen wir statt des einlachen erbe heutzu-
tage das schlagendere erbschaft Es heisst nicht erbe laxen, sondern erbschalt
hinterlassen. Noch bei Schweinichen : „Was for erbe s. f. G. gelassen*. — Erben
= „zum erbe^ geben im glossar zu den Proben 277. Adelung (5) bezeichnet
das wort als im gemeinen leben noch häufig für erbschaft angewendet; dazu citiert
er Geliert: das dritte gebetbuch hat sie aus dem väterlichen erbe bekommen.
Erbidmen: Dass die erde unter ihrem stampfen — erbidmete W. 15 = erbeben,
erzittern. DWb. ni, 722 tremere = dem einfachen bidmen: Rauten also neidigk-
lich auf einander, dass man bedaucht das feld erbidmet unter ihnen Aimon s. 1*.
Und fiel so ungestümig^ch emider, dass das erdrich . . erbidmet Buch der liebe
274, 1. — Auch die übrigen zahlreichen beispiele gehören durchwegs der älteren
spräche an. Das wort fehlt bei Adelung; ebenso bidem, bidmen.
Erfirenen sieh: erfreut sich ohne mass W. 57 = sich freuen. DWb. m, 807, 2 nur
mit gen. der sache oder prSposition. — Bei Adelung e« 2 im gleichen gobraudie wie
bei Wieland: ich erfreue mich, dass es dir wolgeht
Freeh: nichts mocht ihm seine vorsieht frommen, nichts — sein frecher mut W. 19
= kühn, yerwegen; sonst überwiegt nhd. die üble bedeutung. (DWb. IV, 1, 92.)
vgl. ich yerwunder mich, wie du deines tods so frech warten darfst Am. 125. Die
gute bedeutung wird von Adelung als veraltet bezeichnet; doch im sächsischen
churkreise ,fder rocken wuchs in wenig tagen so firech, dass man sich darüber ver-
wunderte* d. i. stark, mutig.
FroBunen, s. o. = nützen. Wieland hält es für nötig, diesen gebrauch durch die
berufung auf Hdb. zu rechtfertigen (T. M. 133). „Der stein ist aber stark — er
frumt dich in ein jare — wol achczig tausent mark. Hdb. 32, 28. Ich habe es
zwai' alles macht, aber es frombet nicht L. 1. Cor. 1, 12. Doch bietet DWb. auch
mehrfache beispiele füi* diesen gebrauch aus der zeit kurz vor und nach dem Ge-
t^BEB WIKLAKD8 QERON 245
roD. Adelung: = nutzen, vorteil bringen, ein wort, welches im hochdeutschen
ungewöhnlich geworden. Darum die erklärung im T. M.?
Fracht: Des hatt' (hätf T. M.) er wenig frucht W. 44. Dazu T. M. 133: ^die gewöhn-
liche alte redensart für: er hatte wenig nutzen, vorteil davon. Ohne Wielands
erläuterung Ifige es näher frucht hier in der DWb. lY, 1, 263, 5 c erörterten bedeu-
tung folge, erfolg aufzufassen. So auch Adelung: (5) folgen, erfolg, (a) die guten
folgen, der nutzen. Die Verbindung «wenig frucht*^ fehlt bei Adelung.
Gaekeln: mögen sie — Was ihnen lüstet, gackeln W. 44; = schwätzen. DWb. IV,
1, 1128. 1. Vom geschrei der hühner. 2. Danach von menschen, besondere frauen;
rheinisch = hell lachen, sonst = plaudern, schwätzen. Wieland gibt damit B.
u. 63 laissons les exercer leur jactance wider. Die form gackeln bei Adelung nicht
angegeben; von gackern nur die wörtliche bedeutung.
Creeken: der ... die unbekanten ritter geckte W. 44 = xum narren hohen, höhnen,
vgl. DWb. lY, 1, 1921/2. Adelung: im gemeinen leben einiger gegenden vexieren;
jemanden gecken oder ausgecken = seiner Schwachheit spotten.
Helmlin: nimt das helmlin ab T. M. 123; verändert in: nimt die haube ab W. 61 =
si die jßon haubert B. u. 78. H. = heim. DWb. lY, 2 . . . H. 1 = kleiner
heim. Das wort wird aber vielfach geradezu für heim verwendet; an der DWb.
citierten stelle: mit einem schwerdt, helbmlein und schildt H. S. 3, 2, 238' ist die
bedeutung kleiner heim ganz ausgeschlossen, wie der volständige Wortlaut dersel-
ben lehrt: „der ris komt usw.^ Wieland mochte das wort W. 61 durch haube
ersezt haben, weil er annahm, dass es zu nahe läge, an die deminutive bedeutung
des n-lein*' zu denken.
Henrasgeifem: alles kurz und klein herauszugeifem W. 44. Hier wie das einfache
geifern im 16. Jahrhundert als verächtlicher ausdruck von nichtigen reden, aus-
führungen usw. gebraucht; jezt denkt man gewöhnlich an giftig lästerndes, schmä-
hendes reden. Ygl. DWb. lY, 1, 2566 und lY, 2, 1034, wo Wigandus Ob die
newen Wittenberger 22' citiert wird: das ir wider die öffentliche Schriften ein
blawen dunst herausgeifert. Es fehlt bei Adelung, der auch das einfiEU)he geifern nui
in der bedeutung geifer fliessen Uusen kent.
Hinan: ritt zum könig hinan W. 16. = hin, hinzu, dem älteren Sprachgebrauch
gemäss, während es in jüngeren quellen sonst auf einen höher gelegenen ort zeigt
(DWb. lY, 2, 1383) und die damit gebildeten verba der bewegung im algemeinen
ein steigen oder klimmen anzeigen. Nach Adelung Wielands gebrauch ganz regel-
mässig: h« ein nebenwort, ein nahekonmien an einen ort oder eine sache zu be-
zeichnen.
Hoelimnten: der .... hochmutete und neckte männiglioh W. 42. Die vermeinen
ungestraft — uns hochzumuten W. 43 = hochmütig behandeln. T. M. 134: „Einen
hochmuten, ein trefliches wort, das wider cours zu bekommen verdient, wie es
ehemals sehr gewöhnlich war. Sein sinn bedarf keiner erklärung. Jedermann sieht,
dass die redensarten, deren wir uns bisher als mit dieser gleichbedeutend bedient
haben, z. e. einem hochmütig trotzen, einem trutzen u. dgl. das wort hochmuten
keineswegs ersetzen**. Das wort ist namentlich in der Amadisübersetzung sehr
häufig, z. b.: ritter, was bewegt euch diese fraw also schendlich zu hochmuten.
Am. 4^ Grossen verdriess name der Juncker ab dem, dass er jrer so viel den könig
Perion hochmuten und trotzen sähe Am. 8. Ygl. auch DWb. lY, 2, 1627. Bei
Adelung fehlt das wori Doch findet sich in der anmerkung zu hochmut: Im
Oberdeutschen hat man auch das Zeitwert hochmütigen, aus hochmut verhöhnen.
246 SDfOiR
Hohn: höhn dem mann X. 32 = Et tont homme est honni B. xl 52. = schmach,
schände. DWb. lY, 2, 1722 gibt: I. erniedrigong, schmach, schände, die einem
widerfährt: da kompt verachtang mit schmach und höhne. L. Spr. Sal. 18, 3: Die
götzen machen, müssen allesampt mit schmach und höhn bestehen Jes. 45, 16.
Vereinzelt auch noch bei Bürger, während die neuere spräche sonst mit höhn den
begriff (4) übermütig spottender Verachtung verbindet. Adelung bezeichnet das wort
als nur der edleren Schreibart angehörig und (1) die bedeutung schände als grösten-
teils veraltet.
Höhnen: Und höhnen sie uns heute — Leicht mags sein, es reut sie morgen
W. 43 (a). — Denn gehöhnt auf ewig — Und aller ehren bar war ich geblieben
W. 51 (b). a = verhöhnen DWb. IV, 2, 1726. h. 46. — b = „gering, niedrig,
verächtlich machen [car j'etois deshonoree k toujours] eine bedeutung, die nhd.
noch bis ins 18. Jahrhundert vorkomi Wen hast du gehöhnt und gelästert X.
2. Könige 19, 22. Etliche aber griffen seine knechte, höhnten und töteten sie
Math. 22, 6. Der Basler nachdruck des neuen testamentes zählt höhnen unter die
der erklärung bedürftigen Wörter und erläutert es durch spotten, schmähen, schän-
den Sagt, wer ist schimpflicher gehöhnt — der heid, von dem ein Sch(Ön-
aich) dichtet — der dichter, den ein 0(ott8ched) krönt Lessing 1, 34. Auch bei
Wieland (eben W. 51), doch nach dessen eigener erklärung in nachahmung der
spräche des 16. jahrtiunderts*' DWb. IV, 2, 1725 h« 1. Adelung gibt zunächst nur
die bedeutung: mit Verachtung verspotten. In der anmerkung: Bei den schwä-
bischen dichtem, die es aber auch für tadeln gebrauchen, gehoenen.
Jan|rfr*ii: Zwölf Jungfrauen standen W. 13 und mehrfach. Nach Wieland T. M. 134
in der alten bedeutung mit fräulein gleichbedeutend gebraucht „Was wir jezt
Jungfrau nennen, hiess vor alters bekantlich magd, maget — daher magetlich jung-
fräulich — oder maid. Im rosengarten zu Worms — oder im dritten teile des
sogenanten heldenbuches heisst die königin Eriemhild, könig Gibichs tochter, weil
sie noch unvermählt ist, die königliche magd*^. Vgl. auch Oot, dir sei es im himel
klagt — das ich ein königliche magt H. S. h. S. 327. Königliche magt gehabt euch
wol; ebend. 651. — Der deutsche Amadis wendet /un^/rat« auf mädchen an, von
denen unmittelbar vorher erzählt worden , dass sie eine liebesnacht verbracht haben.
Adelung: J« 1. „In der weitesten bedeutung eine junge person weiblichen geschlech-
tes, sie sei verheuratet oder nicht; eine im hochdeutschen veraltete bedeutung*.
unter 3, (2) (c) findet sich auch der alte gebrauch von „magd*' für das neuere
„Jungfrau'' berührt. Solte dies Wieland veranlasst haben, ein gleiches zu tun?
Klaffen: Lass sie klaffen W. 44 = laissez les coqueter B. u. 62 = schwatzen DWb.
V, 894, 26. „Im 16. und 17. Jahrhundert schwatzen, lästig viel, vorlaut, anmas-
send oder selbstgefällig reden. Zwar noch: Klaffe nicht zu laut oder von der seele
empfindung Voss 5, 203*. Wieland dürfte das wort der lektüre des heldenbuches
verdanken: sag an was kanstu klaffen 70, 21. Du gibst mir schwere büsse, du
achtest nit was ich claff 660, 18. Das klaft sie senleich reich und armen. Fm« I,
3, I, 91. Adelung erörtert auch die verschiedenen fig. bedeutnngen des Wortes
und bemerkt: Im hochdeutschen ist es in allen diesen bedeutungen ungewöhnlich.
Knappe: Dreissig knaben hielten — Im schatten W. 13; und die knappen bei den
hohen rossen standen W. 15 — T. M. 4 knaben — und mehrfach. Wieland halt
es T. M. 135 für nöthig, die bedeutung des Wortes zu erklären (ebenso das glos-
sar zu den Proben 283): „knappen, knaben, schüdknappen, knechte ist in der
spräche unserer alten ritterzeiten gleichbedeutend mit dem altfranzösischen valet
ÜBEB WIBLANDS GKRON 247
damoyseaa und eouyer'^. Darauf wird in kürze die geselschafÜiche stellang usw.
der knappen besprochen. «Flaiinz der schalk nante die beiden unbekanten riiter
schimpflicherweise knechte, weil er sie ihres schlechten aufznges wegen nicht für
voll ansah. Adelung erklärt das wort für ,,im gemeinen Sprachgebrauch der hoch-
deutschen gröstenteils veraltet*^. 2. (1) «^oi^ einem von jungem adel, welcher
noch nicht ritter war, sondern die rittersohaft erst noch erlemete ein Schild-
träger, knecht, edelknecht, im engl, ehedem knave^.
KBeeht: spottet er . . . der beiden schwarzen knechte W. 43 s. o. = knappe. Pr.
Gl. 283 knecht = Waffenträger, reuter; vgl. noch Adelung: 2, (1.) (a) Adelige
männliche personen, welche zur erlangung der ritterwüixie andern rittem dienten,
hiessen sowol knappen und edelknappen als knechte und edelknechte.
Magetlieh: s. Jungfrau T. M. 12, mageÜich ist W. 27 durch jungferlich ersezi Das
wort ist von Adelung nicht aufgenommen. Zu magd = Jungfrau bemerkt er: eine
im hochdeutschen veraltete bedeutung, in welcher das wort ehedem sehr üblich
war, fehlt DWb., wo VI, 1434 nur magdlich.
lüumlielt: Kein anderer genoss der tafeirunde tats ihm zuvor an mannheit und an
schöne W. 20. Von solcher mannheit W. 26. T. M. 135: „Mannheit besagte bei
unsern alten soviel als männliche tugend und kraft mit ihrem äusseren glänz und
anstand, sowie weibheit (wibheit) weibliche Sinnesart und sitte mit ihrem ausser-
liehen sanften reiz. Beides Wörter voller bedeutung, ehe Üppigkeit und neufran-
zösische lebensart beide geschlechter so untereinander gemengt und eine so wun-
dersame wechselseitige mitteilung der eigenschaften unter ihnen bewirkt haben,
dass daraus eine zwitterart von menschen entstand, die, mit erlaubnis zu sagen,
weder als mann noch als weih recht zu brauchen sind''. Vgl. das sie gern fech-
ten sehe die ritter umb ir manheii Hdb. 623, 22. Dir ist noch verboi^n die
grosse manheit mein 652, 5. DWb. VI, 1587, 2. Adelung: 2. „Ehedem wurde
es auch sehr häufig für tapferkeit gebraucht, in welchem verstände es aber ver-
altet ist*'. — So verwendet es Schlegel im Lear: dass du so meine mannheit kanst
erschrecken.
Mlmdflieli: neckte männiglich W. 42 = jedermann. DWb. VI, 1591 m. 1. „Der
gewöhnlichen rede gehörte männiglich nur im 16. und 17. Jahrhundert noch an;
spater steht es bei dichtem und im kanzleistU, heute ist es völlig veraltet^. Vgl.
damit Adelung: im hochdeutschen veraltetes unabänderliches fürwort für jedermann,
welches noch im oberdeutschen üblich ist. Mennigklich auch desshalb lob gieht
Tdk. kap. 95. Menigklich nam gross freud ab der erlichen tat Tdk. kap. 82.
Milde: zwang ihn von der milde — der frau von Maloanc sein leben anzunehmen
W. = gnade, freigebigkeit mhd. tniUe; vgl. DWb. YI, 2208 m. 1. Adelung
verweist unter milde auf das adjeotiv, wo (3) (4) die an unserer stelle passenden
bedeutungen erörtert werden.
mime: vieüjach = liebe T. M. 135/6: „Minne für liebe, minnen für lieben ist durch
unsere alten minnesänger aus dem 13. Jahrhundert und durch unseren Oleim, der
uns einige ihrer lieder in einer vernehmlicheren spräche vorgesungen, bekant genug;
oder solte es wenigstens sein, wenn gleichgiltigkeit gegen alles, was unsere nation
war oder tat, nicht so tief eingewurzeltes nationallaster unter ims wäre. Rechte
minne ist so viel als parfait amour in den altfiranzösischen gedichten und romanen
und wurde ehemals so gebraucht „Von rechter minne minnen ist als im ganzen
ernst lieben otmer de parfait amour oder aimer par amoure, wie sich die dame
de Maloanc im Oyron-le-Courtois ausdrückt*'. Wieland selbst gebraucht das wort
248 «moEBL
miDne widerholt im Oberen, Gandalia usw. Fr. Ol. erklärt miime durch liebe,
Venus. Zur geschichte der widerbelebung des wertes DWb. VI, 2241/2 M« 8.
Adelung erklärt das wort für veraltet, bespricht jedoch ziemUch ausführlich bedeu-
tung und geschichte desselben.
Itinnekraft: Wärs nicht in dieser übergrossen minnekraft — Ich hätt in diesem
tumey nicht getan — Was ihr gesehen habt W. 56. Mit rücksicht auf die vorläge
= kraft, welche die minne verleiht DWb. VI, 2243 gibt nur unsere stelle. Bei
Adelung fehlt das wort
Minniglieh: Zu ehren aller rainniglichen frauen W. 15. Fr. Gl. erklärt das wort
durch „allerliebst". Das was ein minnikliche tochter schone H. S. 0. u. 0. 15. DWb.
VI, 2245: Um 1773 wider aufgefrischt und seither öfter, immer mit altertümlichem
klänge. Fehlt bei Adelung.
MSir<^ii = können, vielfach. DWb. VI, 2452: mögen für vermögen „entweder im
falle mundartlichen anklanges, (da im fränkischen, bairischen xmd alemannischen
Sprachgebiet mögen noch immer = vermögen, können ist) oder bei gehobener und
altert ümelnder redc*^. Adelung weist diese bedeutung den oberdeutschen dialekten
zu, „aus welchen mundarten es noch einige hochdeutsche kanzelleyen behalten
haben".
Muten: Uns zu höhnen mutets ihnen heut T. M. 112; in W geändert in: Und höhnen
sie uns heute. T. M. 138: sie sind in der laune. Wieland bezeichnet die redens-
art als eine von ihm selbstgewagte, für die er keine autorität anführen könne. Das
wort muten selbst sei altdeutsch. DWb. VI, 2796. m. 3: „hessisch einfaches
muten = anmuten in der neueren bedeutung. Das mut mich nicht = das zieht
mich nicht an, habe keine lust dazu. T. M. 112 ist DWb. nicht angeführt. Ade>
lung hat das wort und gibt 2: „als ein activum verlangen, begehren, besonders
formell um etwas ansuchung tun, in welchem verstände es noch im gemeinen leben
üblich ist". Die Wendung: es mutet mich kent er nicht.
Not: Der ritter . . . müste wol von not der besten einer sein W. 47. Welch ein
gewaltig Wesen müste dann von not — die minne sein W. 55. — Not ist ilir zu
reden W. 52. Der not war, ihrem herzen luft zu schaffen W. 55. (6); von not
= necessarto DWb. VII, 916 n. B. 11, welchs als ketzerisch muss sein von not
Fastnachtssp. 9, 24. Der musz von not dreckig beliben Mumer narrenbeschwörung
57 Überschrift; selten bei neueren". Von not fehlt bei Adelung. Not sein =
necesse, opus esse mit dativ der person: Doch des erschlagnen tod zu rächen —
War dem feilen tross nicht not W. Oberen 1 , 37. Die anderen von DWb. ange-
führten beispiele zeigen , dass auch diese construktion der älteren spräche geläufiger
ist als der jüngeren. Adelung: Im hochdeutschen ist dieses nebenwort veraltet,
ausser dass man in der höflichen sprechart des gemeinen lebens zuweilen „mir ist
not sagt" (für das körperliche bedürfnis).
Na: Und von diesem nu vermied er streng, ins äuge ihr zu sehn W. 33. = augen-
blick DWb. VIE, 995 n. 2 c, d. Adelung: Nu und nun werden zuweilen auch als
hauptwörter gebraucht, doch selten in der anständigen sprechart
Btthren: Bührt ihn des schwarzen schaft mit solcher macht W. 17. =: berühren
treffefu Wan das birg wird von regen nass, — so lösten sich die stein darvon —
wen sie dan rürten, der was tot Tdnk. 49, 16. Ein grosser stein rürt — dem
held beed sparadem sein, ebd. 30. Einer ist mir zwischen beed bein — gefallen
und hat mich gerürt ebd. z. 50. Adelung: 2 (1.) von einer tätigen bewegung in
gerader richtung sofeme sie sich an ein gewisses ziel erstrecket . . . Seine band
ÜBIR WZELANDS 6EB0N 249
hat uns nicht gerühret 1. Sam. 6, 9. Die hand gottes hat mich gerühret Hiob 19,
21, wofür man doch jezt anrühren, berühren braucht.
Sache = urstiehe: der also ohne sache — die unbekanten ritter geckte W. 44. Pr.
Gl. 288. Sache = rechtssache Sne sache ohne recht; Pr. s. 7: daz äne sache ir
iht geschehe. Adelung: 8. eine Ursache, eine veraltete bedeutung. Er ist ohne
sache aufgeblasen in seinem fleischlichen sinn L. Col. n , 18.
Scluift = lanxe; sie brachen manigen schaft Hdb. 183, 5. Adelung: 2 (1) Die lange
gerade stange an einem spiesse heisst noch hin und wider ein schaft. Daher die-
ses wort ehedem auch wol für den spiess selbst gebraucht wurde.
Sehalk: Herr flaunz — Ein junger schalk und prahler W. 42 (a). Hohn dem mann,
der seinen schalk — Yerbergen will im löwenbalg W. 32 (b). a = spötter vgl.
raüleur inciril et plus que fanfaron B. u. 62. b = spitzbube, schlechter mensch;
tritt jezt almählich zurück. Mein gewant, das ist ein igels balk — damit deck
ich meinen groben schalk H. S. Heinz Widerporst 55. als ob ich sei der ergest
schalk H. S. Wolfsklage 47, und so vielfach. Bei Adelung beide bedeutungen.
Sehier == nahe, beinahe: Und wie er schier herangekommen, stieg er ab W. 14.
Adelung: Ein noch in der gemeinen sprechart Ober- und Niederdeutschlands sehr
gangbares wort, welches aber in der anständigen schreib- und sprechart der hoch-
deutschen veraltet ist. (2) bald, mit nächstem.
Schimpf: . . . Halb im schimpf imd halb — Im ernst gesprochen W. 18 = T. M . 7.
Halb im schimpf gesprochen — Und halb im unmut; = scherz . . . Und begiengen
vil manheit durch frawen willen zu schimpf und zu ernst Hdb. vorrede s. 2. von
emsthafiften und schimpfflichen Sachen Am. vorrede s. 3. Eanstu denn keinen
schimpf verstau H. S. Rockenstube 183. Schimpf und ernst von Pauli. Adelung:
Schimpf (1.) der scherz ^ eine im hochdeutschen veraltete bedeutung, welche aber
in den Schriften der vorigen zeit häufig vorkomt.
Schlecht: Doch unbekant und nur in schlechten waffen W. 39. Ihr ganzer aufzug
schlecht und scheinlos W. 42 Denn wiewol er nur — in schlechten waffen auf-
zog W. 45. — schlecht = schlicht, einfach, dem älteren sprachgebrauche gemäss,
wie bei Adelung 1. (3.) (b) einen geringen, oder geringeren wert habend.
Sold: Die der minne süssen sold . . . wol zu geben — vermochten W 13 . . . ., dem
ein edles weih den sold der minne nicht versagen könte W 35. = Lohn vgl. minne.
Gandalin hat noch: Und Sonnemon — verspricht mir dafür der minne lohn. —
Der minne sold später noch häufiger verwendet. Adelung: In der hohen Schreibart
wird sold noch zuweilen für besoldung und lohn überhaupt gebraucht
Sparen: Die auf morgen sich sparen weiten W. 43. T. M. 136 erklärt das wort durch
schonen und gibt als muster: Wer seine feinde spart — Und auch erzürnt sein
freunde — Der ist nicht wol bewahrt (Hdb. 36, 38). — ich muss mein haut sel-
ber spam Fm. I, 3, v. 137. Adelung 1 (2) fig. (a) erhalten, die unverlezte fort-
dauer eines dinges bewahren; eine im hochdeutschen veraltete bedeutung.
SpüssUng: strenge spässlinge W 44. T. M. 138: Auch das wort spässling für spass-
vogel un Plaisant nach der analogie von witzling u. a. ist meines Wissens unge-
stempelt*. — Fehlt bei Adelung.
SplessgeseUe: Geron ward sein spiessgesell W 33. Und wiewol sie schon — So
lange spiessgesellen waren W 38. (Et neanmoins qu'il y avoit dejä longtemps,
qu'ils etoient compagnons d'armes ensemble B. u. 58.) Und liegt wo seine spies-
geeellen lagen W 21. = waffengenosse. Weigand H, 765. Zum andern, liber
spisgeseU — ist dis an dir ein grosser fäl Fischart Flohhatz 555. — Adelung: :=
250 Buieut
kamerad, eommüUo; J67«t gebraucht man es noch zuweilen Yon einem jeden mit-
gesellen oder kamerad, doch am häufigsten nur im bösen oder verächtlichen ver-
stände.
Stange = lanxe: Bass sie die stange vor der faust zersprengten W 21. Das er im
solte bringen her — ein siangen dick und darzu schwer Tdk. 103, 22. Adelung:
2. Die Stange an einem spiesse, welche doch lieber schaft genant wird.
Strenge: Und von diesem nu — Yermied er streng, ins äuge ihr zu sehn. W 34 (a).
— strenge spässlinge W. 44. Doch unter ihnen allen keiner hielt — den strengen
stoss des unbekanten aus W. = stark, getccUttg: (Weigandll, 836) fiengen solch
sti'engen vnd harten streit an Am. 4. Gen dem wurt der junkfrawen herz —
enzünt in strenger lieb H. S. Die lasabet m. i. Lorenzen 28. Der ein in streng
anlief ebend. 100. Adelung: stark . . tapfer, eine ehedem sehr gangbare bedeu-
tung, in welcher es . . . veraltet ist
Stunde : von stund an mögen sie — Was ihnen lüstet gackeln W. 44. = von jext
an. Von stund an sähe der abenteur Fm. I, 3, XIY, 106. Das wirs von stund
an könten wissen Fm. I, 3, XV, 194. Im 18. Jahrhundert noch üblicher als jezt;
vgl. Adelung: I. Eine kleine weile, ein augenblick, eine ehedem sehr übliche bedeu-
tung, welche auch jezt noch gangbar ist Von stund an, von demselben augen-
blick an, sogleich.
Trügen: Auch trügt das menschenherz — Sich selbst zu gern T. IL 108. Der satz
in W. ausge&llen. = betrügen, wiltst um den beutel triegen mich H. S. T. m.
d. W, 1060. Adelung: 2 als ein activum mit der 4. endung der person ... In
dieser bedeutung ist es im hochdeutschen veraltet, wo betriegen dafür üblicher ist
Tagend: Gross und selten war des Schwertes tugend W. 32. = vorxug, tauglichkeäj
trefiichkeit, gute, Adelung: 3. fig. ist die tugend (1) der zustand, da ein ding die
zu seiner bestimmung nötigen eigenschalten besizt (a.) als ein abstractum tugend
eines hauses, eines pferdes. Auch diese bedeutung gehört in der edleren Schreib-
art zu den veralteten.
Überwägen: Ihn überwiegt — des schwarzen ritters stürzendes gewicht W. 21. =
Mit gewicht bedrücken, überwältigen, hier mit starker betonung der concreten
bedeutung. (Vgl. Weig. n, 988.) Und ward vom schlaf überwogen und fiel hinun-
ter vom dritten söUer L. Ap. 20, 19; als denn der schlaf in überwiegt, das er da
wie ein toter liegt E. S. d. Baur i. d. f. 143. Adelung: 2 fig. (1) überwältigen,
übermannen ... in dieser bedeutung fangt es an zu veralten.
Ungeschicbt: Herr Geron hatte durch ein abenteuer — Von ungeschicht (= von
ungefähr W. 49) den weg verloren: T. M. 116. (Diverses aventures lui en firent
perdre les traces, et le memo hasard qui les lui avoit faire perdre les lui fit
retrouver) B. u. T. M. 137: V. u. soviel als durch einen unglücklichen zufaU. Ich
erinnere mich diese redensart im Froschmäuseier gefunden zu haben .... welches
werk in absieht der spräche billig ein klassisches buch sein solte. Er fand am
weg aus ungeschicht — Ein leuenhaut wol zugericht Fm. I, 3, X, 34. Fehlt bei
Adelung.
Ungewahrsam: Und ungewahrsam lässt sie auf und ab — die äugen schweifen . . .
W. 35 = „ohne dass es jemand wahrnahm^ oder ohne sich in acht zu nehmen?*^
fehlt bei Adelung.
Yerdriess: . . . hörte mit verdriess W. 44 = verdniss. Es wäre mir leydt, etwas
zu begeren, das jhm verdriess brächte Am. 2. grossen verdriess name der Juncker
ab dem Am. 8. Da den sass ein büd zu verdriess dem hausherm L. Hes. s. 3.
ÜBBB WnLASfDB GIBON 261
one yerdriess Fm. n, 1, IV, 95. Adelung: ein im hoohdentschen veraltetes wort
für yerdmss, welches noch einigemale in der deutschen bibel vorkomi
TergMoneii; Hätt euer mut die sohmach mir nicht vergaumet W. 51. = prohibere
D^b. IV, 1, 1580, 2d. Obersohwäbisch und schweizerisch, gaumen Zeitwert zu
gaum = die hui Fehlt bei Adelung; das simplex wird als oberdeutsch beobach-
ten, hüten erklärt
Yeijülieii: Veijäht herr Lanzelot T. M. 8 = 80 spricht W. 20 (a) veijähte tao T. M.
114 = verfehlte W. 46. Veijäht herr Geron T. M. 112 = versezt herr Geron
W, 43. (b.) a = sprechen; b = ertoidem, antworten, Wielands muster gebrau-
chen das wort häufig: wir leben ane sorgen, — das wil ich dir veijehen Hdb.
114, 31. Dasselbig bitt ich sie zu sehen, — damit sie müge veijehen — wer unter
uns erlangt den sieg. Tdnk. 103, 61. Die ich dir nit kan veijehen d. w. t 158.
Doch deckt sich Wielands gebrauch nicht völlig mit dem der angeführten beispiele,
da er das wort mit dem einfachen jehen gleichbedeutend verwendet Adelung hat
nur: verjehen,Yenltet&8 wort für bekennen y beichten.
Terlassen: Sterbend ihm zum erb verlassen T. M. 123 = erbe liess W, 61. = las-
sen, hinterlassen, welcher seinen bruder als erben des königreichs verliess Am.
vgL das subst Verlassenschaft. Adelung: 1. (1.) (a). Man verlässt etwas, wenn
man es bei seinem tode auf der weit zurücklässt, wofür jedoch hinterlassen edler
und üblicher ist
Termllilte: Des Danayns vermählte W. 23 = . . . Gemahel T. M. 106 = gentahlin.
Zu gemahel: und wo ich denn komme in die e — da mach ich meinem gemahel
we. H. S. Heinz Widerporst 79. wart mir zu einer gemahel geben H. S. der
wunderl. träum 5. Vermählte fehlt bei Adelung.
Yermessen, sieh: Vermess sich keiner W. 32. Pr. Gl. 293: vermessen = sich in
die gedanken nehmen, wagen. Der muss sich grosser ding vermessen H. S. d. SchL
Adelung: 2 (1) . . 3. im weiteren verstände ist sich vermessen zuviel unternehmen,
was über jemandes kräfte ist Es wird in dieser bedeutung wenig mehr gebraucht
Torsagen: Und wie das herz es ihnen vorgesagt W. 45 = vorhersagen; vgl. ahd.
forasctgo. Die von Wieland angewendete bedeutung fehlt bei Adelung.
Wa^Ueh: ... sie könte wol — Aus einem feigen menschen einen waglichen — Be-
herzten ritter madien W. 55. = leicht wagend; waglich kühn G^d. I, 161. Ade-
lung kent das wort nur in der bedeutung mit gefahr verbunden, eine wagliche
Sache, wobei man viel wagt Vgl. „im 16. Jahrhundert mit wagnis verbunden^
Weigand ü, 1038.
Wehren: Dessen wehrten sie — Gar höflich sich W. 42. (a) Doch kont er sich nicht
wehren, dann und wann — Sie anzusehn W. 54. (b). a = sich weigern Adelung 2:
widerstand leisten, als ein reciprocum, sich wehren, es geschehe nun auf welche
art es wolle, b = sich enthalten, sich versagen. Diese bedeutung fehlt bei
Adelung.
Werten: Dessen seele solcher tat — Sich werten dürfte W. 47 = sich wert hal-
ten, sich zutrauen. Wieland bezeichnet auch diese Wendung als von ihm selbst
gewagt T. M. 138. Das wort fehlt bei Adelung.
WIeht: Der in rittersohalt — Kein kleiner wicht zu sein sich dünken liess W. 42.
T. M. 137: „Wicht (engl, tcight) für person, mensch oder was die Engländer jezt
a fellow, ein bursche, ein kerl nennen, ist uralt und komt im heldenbuqhe häufig,
252 BZNOSB, ÜBKB WIJBLAIVDB QUZOH
aber immer in einer verftchtlichen bedeutong und meist mit den beiwörtem ^armer,
falscher wicht'' vor Noch jezt sagt man in Niedersachsen , dat arme wicht-
ken'^. Den Oberdeutschen ist davon nur bösewicht geblieben ''. Die histonsche
ableitung des Wortes und sein bedeutungswandel war Wieland unbekani ^Wir
haben den wicht — Nur einmal in unsem schütz genommen*^ Gand. prolog 154,
vgl. wiltu dich nit verkeren, — du arger, böser wicht Hdb. 70, 15. so was er
nit ein wicht Hdb. 658, 8. Du bist ein untreuer wicht Tdnk. 24, 5. Adelung:
Ein für sich allein im hochdeutschen veraltetes wort, welches aber ehedem in ver-
schiedenen bedeutungen üblich war.
Winnen: . . und wo in ritterspielen ehre — Zu winnen war T. M. 106 (= ruhnt xu
holen) W. 33; = gewinnen Adelung: das für sich allein im hochdeutschen veral-
tete stamwort für gewinnen, so noch im niederdeutschen üblich ist
Wolgetan: Ihr seid so wolgetan von leib und angesicht W. 53. T. M. 138. In Wie-
lands mustern sehr häufig. Fehlt bei Adelung.
Wunder: Voll wunders über seine statliche gestalt W. 14. = Yerwunderong; vor
wunder mecht mein bauch aufbrechen H. S. Gl. Narr 62. Adelung (1.) die ver-
wxmderung ... In dieser gröstenteils veralteten bedeutong wird es nur noch ohne
artikel und in einigen wenigen Verbindungen gebraucht, welche noch dazu im
gemeinen lehen und in der vertraulichen sprechart üblicher sind, als in der
edleren.
Wundem: Der könig sah den fremden wundernd an W. 14 (a). Sie drängen wun-
dernd sich hinzu W. 23 (b). a = sich wundernd, verwundert. Adelung 3. Ver-
wunderung oder die empfindung des ungewohnten durch werte und geberden aus-
drücken; ein provinzieller, nur in wenigen gegenden noch übHcher gebrauch, b =
bewundem; fehlt bei Adelung.
ZIemlleh : wie für eine frau — ... ziemlich ist W. 40 = geziemend. Adelung: (1)
Was sich ziemt . . . geziemend, eine im hochdeutschen veraltete bedeutung.
Zucht: Den schönen mund versiegelte die zucht W. 21. = sitsamkeit, äusserer an-
stand. Pr. Gl. 295: „Zucht = sitsamkeit, wolgezogenheit; mit züchten = sitsam,
wolgezogen '^ ; vgl. des danct im da mit ziehten — der bemer unverczeit Hdb.
in eren und in grosser zucht H. S. G. u. G. — Im Gandalin: entblöst (mit züch-
ten) lU, 170. Adelung: 3 (2) die Wirkung dieser zucht, wo es besonders noch
für sitsamkeit, schamhafügkeit, ehrbarkeit gebraucht wird. In dieser bedeutung . . .
ist es wenig mehr gebräuchlich.
Zücken: Und mit dem werte zückt — £r seinen arm W. 65. = mit kurzer geschwin-
der bewegung ziehen; Weig. H, 1191. Wir sind gewohnt dabei waffen, Werkzeuge
usw. als Objekt zu denken. Doch: der held zuckt seine faust im zom Tdnk. 24, 26.
Damit zuckt er die hend und schwort Fm. I, 3, 11, 79. Adelung 2. erklärt die
vorliegende bedeutung für ehedem üblicher als jezt
Zurttekkehren transitiv = MMrückwenden (fehlt bei Adelung) : Kehrt dann . . . seinen
. . . schritt zum goldnen zeit zurück W. 22. Vgl. DWb. V, 410.
WIEN. LUDWIG 6IKGEB.
WSIKHOLD, MiLIIEUS V. LBXEB 253
MATTHIAS V. LEXEB.
Am 16. april 1892, dem ostersonnabend, starb auf der rückreise von Berlin
nach München zu Nürnberg dr. Matthias v. Lezer, ordentlicher professor der
deutschen spräche und litteratur an der Universität zu München, ordentliches mitglied
der k. bayerischen akademie der Wissenschaften und des obersten schulrates des
königreichs Bayern.
Ich habe meinem teuren freunde schon in der beilage zur Algemeinen zeitung
vom 28. apiil (nr. 99) einen nachruf gewidmet, spreche aber auf wünsch der leiter
der zeitschiift für deutsche philologie hier noch einmal kurz über ihn, zum teil mit
benutzung jenes nachrufes.
M. Lexer ward am 18. Oktober 1830 zu liesing im Lesachthal, der west-
lichen fortsetzung des Qailthals, in Kärnten geboren. Sein vater besass im Klebas-
graben hinter dem dorfe eine mühle mit zugehörigem grundstück; die wilden muren,
welche in den kämtischen und Tiroler alpentälem bei jedem gewitterguss fürchter-
liche Verheerungen anrichten, haben auch sein geburtshaus längst (1872) hinweg-
gerissen. Die guten anlagen des knaben brachten die eitern auf den gedanken, ihn
für das Studium zu bestimmen; ein älterer bruder von Matthias war nach München
gegangen, unter Eaulbachs anleitung zu malen. Und so führte ihn die mutter in
drei langen tagereisen nach Elagenfurt, erbat mittagstische bei woltätdgen bürgers-
leuten, und Matthias begann auf dem gymnasium seine Studien. Im herbst 1851
legte er die reifeprüfnng ab und gieng nach Graz, hier jus zu treiben. Aber bald
gab er den plan auf und schloss sich mir als eifriger schüler an. Er war mit sei-
nen freunden Alois Egger und Franz Ilwof bei der samlung des Stoffes für mein
buch: „Weihnachtspiele und lieder aus Süddeutschland und Schlesien*^ ein treuer
helfer, und begann auf meine anregung für den Wortschatz und die volksüberliefe-
rungen Eämtens eifrig zu sammeln. In Frommanns Mundarten und in der Zeitschrift
für deutsche mythologie gab er seit 1855 proben davon.
Da in Graz noch keine prüfungs-kommission für das höhere lehramt bestund,
gieng Lexer nach Wien, um sein examen dort zu machen. Er ward dann als hilfs-
lehrer nachKrakau geschickt, und lehrte auf dem damals deutschen ober -gymnasium
deutsch, geschichte und geographie von 1855 — 57. In dem programm für 1856
erschien seine arbeit „^^^ ablaut in der deutschen spräche*^, worin er die theoiie
Th. Jacobis klar auseinandersezte.
Mit einem ministerialstipendium gieng Lexer zum herbst 1857 zur weiteren
wissensohaftlichen ausbildung nach Berlin, wo er Haupt, Bopp, A. Weber, Kiepert,
Gosche hörte und in einen angeregten jungen kreis trat, aus dem er namentlich mit
W. Mannhardt, seinem hausgenossen, viel verkehrte.
Nach seiner rückkehr nach Wien erhielt er zunächst für den abschluss seiner
kämtischen samlungen eine ministerialunterstützung, aber eine anstellung fand sich
für ihn nicht. Er übernahm daher eine hoimeisterstelle in dem gräflich Hunyady-
schen hause, die er indessen 1861 wider aufgab, als ihn die historische konmiission
der k. bayerischen akademie der Wissenschaften zum philologischen mitarbeiter bei
herausgäbe der deutschen Städtechroniken nach Nürnberg berief. Seine tätigkeit hier
sowol, als sein 1862 erschienenes Kämtisches Wörterbuch empfahlen ihn dann für die
neue ausserordentliche professur des deutschen in Freiburg i. Br., die er 1863 antrat;
1866 ward er zum ordinaiius befördert. Aber die besoldung war klein, und in der
jungen ehe muste der gülden zweimal umgedi-eht werden, ehe er zur ausgäbe kam,
zumal krankheiten nicht ausblieben. Daher war die berufung nach Würzburg wil-
264 WSEMHOLD
kommen, der Lexer im herbst 1868 folgte, wemi aaöh die yerbeaseroDg zimächfit
nicht sehr bedeatend war.
In "Würzburg hat nun Lexer dreiondzwanzig jähre gewirkt, beliebt und hoch-
angesehen an der Julius -Maximilian -Universität wie in weiteren kreisen. Zweimal
war er roctor, sehr oft Senator. Hier hat er seine beste kraft entwickeln können,
hier hat er das dreibändige Mittelhochdeutsche Wörterbuch (1869 — 78) nebst dem Mit-
telhochdeutschen taschenwörterbuch (1878. 1881. 1885. 1891) gearbeitet, hier den
VII. band des Grimmschen deutschen Wörterbuchs (N. 0. P. Q) und die drei hefte
vom XI. bände (T bis Todestag!) fertig gestelt £r war für diese aufopfernde
unablässige lexikographische tätigkeit der geeignete treue mann, wie Salomon Hirzel
früh erkant hatte; willig verzichtete er darauf, durch andre bücher seinem namen
einen glänzenderen Schimmer zu geben.
Als in Strassburg die besetzung der deutschen professur 1872 in beratnng kam,
ist auch an Lexer recht ernstlich gedacht worden. Nach Schereis berufung ward
Lexer in Wien auf die Vorschlagsliste gesezt und der unterrichtsminister entschied
sich für ihn. Aber er lehnte den ruf in sein Vaterland ab, da ihn Bayern festhielt
und die Würzburger Verhältnisse ihm sehr lieb geworden waren.
1885 ward ihm das ritterkreuz des Verdienstordens der bayerischen kröne xmd
damit der persönliche adel verliehen; 1890 erfolgte seine emennung zum ordentlichen
mitgliede des obersten sohulrates. Und als Eonrad Hofmann, der Münchener germa-
nist und romanist, anfangs Oktober 1890 gestorben war, ward unserm Lexer die
ordentliohe deutsche professur angetragen. Aber er konte sich zur annähme nicht
entschliessen ; erst im mai 1891, nachdem der antrag zum zweiten male an ihn kam,
entschloss er sich den dringenden, ihn hoch ehrenden wünschen des herm miniatexs
nachzugeben.
Am 1. august übernahm er das neue amt, doch war es ihm nicht vergont es
lange zu führen. Nachdem er das gefühl gewonnen, er werde sich in Münch^i gut
einleben, getragen durch das algemeine vertrauen, das er genoss, führte ihn ein
rascher tod unerwartet nach schluss des Wintersemesters hinweg. Bereits erkältet,
wagte er ende märz 1892 eine reise nach Berlin. Er blieb nur zwei tage hier, da
er sich unwol fühlte. Erfrischt durch die fahrt nach Würzburg, blieb er zwei tage
dort in geselligem verkehr mit den freunden; in Nürnberg aber, wo er seine tochter
besuchte, kam eine rippenfeil- und lungenentzündung zum ausbruch, die nach vor-
übergehender bessemng sein ende herbeiführte. Matthias v. Lexer starb in den
ersten nachmittagsstunden des 16. aprils, von seiner ganzen familie umgeben. Am
19. april ist er auf dem Johanniskirohhof . in Nürnberg beerdigt worden.
Wer ihn kante, hat ihn tief betrauert. Er war ein ganzer mann, ein wolwd-
lender, parteiloser, reiner mensch, eine goldene treue seele. Ein schwerer verlust
ist sein tod für das bayrische Schulwesen; in der deutschen Wissenschaft erhalten
seine gründlichen arbeiten sein andenken, länger, als [die harzen schlagen werden,
die in liebe und freundschaft an ihm hängen, denn sie halten auch dem toten die treue.
ÜBERSICHT VON M. LEXERS GEDRÜCKTEN ARBEOTEN.
1855. Mundartliches aus dem Lesachthaie im herzogthum Kärnten: Frommann, Die
deutschen mundarten n, 241 fgg. 339 fgg. 513 fgg.
1856. Der ablaut in der deutschen spräche. (Programmabhandlung des Krakauer
gymnasiums.) Krakau 1856. 25 s. gr. 8. — Mundartliches ans dem Lesachthaie:
Erommann, Die deutschen mundarten lU, 114 fg. 305 fg. 464 fg.
MAIXHUS ▼. LEXn 256
1857. MundarÜiches aus dem Lesachthaie: Frommann, Die deutsohen mandarten IV,
36 fg. 155 fg. 481 fg.
1858. Spraohproben aus dem MöllthaLe im herzogtum E&mteD. 1. Qasslreime.
2. Die Sendrin in Wildentux: Erommano, Die deutschen mundarten Y, 99 — 103.
1859. Mundartliches aus dem Lesachthaie: Frommann VI. 191 fgg. — Volksüberlie-
ferungen aus dem Lesachthaie: Zeitschrift für deutsche mythologielQ, 29 — 36. —
VollESüberlieferungen aus Kärnten prauthal). Ebd. IV, 407—414.
1862. Kärntisches Wörterbuch. Mit einem anhange: Weihnachts- spiele und lieder
aus Kärnten. Leipzig. S. XVin sp. 340. Lex. 8. — £ndres Tuohers Baumei-
sterbuoh der Stadt Nürnberg. Mit einer einleitung und sachlichen anmerkungen
Yon Friedlich yon Weech, herausg. durch M. Lexer. Stuttgart S. XIV. 387. 8.
1862 — 66. Chroniken der deutsohen städte vom 14 — 16. Jahrhundert, herausgegeben
im auftrage der königl. bayr. akademie. Bd. I — V. (Diese bände enthalten die
Chroniken von Nürnberg und Augsburg; Lexer war mit Frensdorff kritischer bear-
beiter der texte und hat auch die glossare ausgearbeitet Auch die texte des 1892
ausgegebenen 3. bandes der Augsburger Chroniken sind vor 1866 von Lexer her-
gestelt und mit seiner handschriftenbeschreibung unverändert abgedruckt)
1864. 1866. 1867. Bücheranzeigen im Anzeiger für künde deutscher vorzeit Nürn-
berg (nicht unterzeichnet).
1869. Bruchstücke der kaiserchronik: Zeitschr. f. deutsches altert XIV, 503 — 25.
1869 — 78. Mittelhochdeutsches handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alpha-
betischer index zum Mittelhochdeutschen wörterbuohe von Benecke- Müller -Zamcke.
L A— M. Leipzig 1872. S. XXIX sp. 2262 und 2.s. — n. N— U. Leipzig 1876.
S. Vn sp. 2050 und 1. s. — HL V— Z. Leipzig 1878. 8. IV sp. 1226 und 1. s.
Nachträge sp. 406. gr. 8.
1873. Über ViTalther von der Vogelweide. Ein vertrag. Würzburg. 33 s. 8.
1877. Bede zur feier des 295. stiftungstages der Universität zu Würzburg: Über
deutsche philologie. Würzburg. 26 s. 4.
1878. Mittelhochdeutsches taschenwörterbuch. Leipzig. — 1881. Zweite aufläge mit
nachtragen. Ebd. S. 320. — 1885. Dritte umgearbeitete und vermehrte aufl.
Ebd. S. vn. 413. — 1891. Vieile aufl. Ebd.
1881 — 89. Deutsches Wörterbuch von Jacob Qnmm und Wilhelm Grimm. Siebenter
band. N. 0. P. Q. bearbeitet von Matthias v. Lexer. Leipzig. Sp. VIU. 2386. 4.
1882 — 86. Johannes Turmair's genant Aventinus Bayerische chronik. München. L 1. 2.
1882. 83. S. 1184. H. 1. 2. 1884. 1886. S. 808. 8. (Glossar von H. Stümper,
umgearbeitet von Lexer).
1888. Miscelle: sttexen, in der Zeitschrift für deutsche philologie XXI. S. 255 fg.
1890. Festrede zur feier des 306. stiftungstages der Universität zu Würzburg: Zur
geschichte der neuhochdeutschen lexikographie. Würzbuig. 4.
1890. 91. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Elfter band.
(T. U). Bearbeitet von M. Lexer. lief. 1. 2. Leipzig 1890. lief. 3. Ebd. 1891. 4.
Zur geschichte des deutschen Wörterbuches. Mitteilungen aus dem briefweohsel
zwischen den brüdem Grimm und Salomon Hirzel: Anzeiger für deutsches alter-
tum \md deutsche litteratur. Berlin 1890. XVI, 220—264. Nachlese aus dem brief-
weohsel zwischen den brüdem Grimm und Sal. Hirzel. Ebd. 1891. XVn, 237—54.
BIBUN. KABL WUIIHOLD.
266
UTTEEATÜE.
AltdeutBche predigten. Herausgegeben von Anton EL SehSnlMieli« IIL bd.:
Texte. Graz, yeriagsbachhandlong Styria. 1891. YIII u. 451 s. 9 m.
Von den predigtsamlungen, die noch yor Berthold fallen, ist die voriiegende,
welche Schönbach zuerst in ihrer volständigkeit herausgegeben hat, ihrem inhalte
wie ihrer spräche nach unstreitig die wichtigste. Sie ist enthalten in der pergament-
handschiift der Wiener hofbibliothek nr. 2684* und umfasst die predigten des Con-
radus prespiter — so nent sich der Verfasser in seiner lateinischen voirede.
Ihren wert hatte man bereits kennen gelernt durch prof. Joh. Schmidt, welcher in
dem Jahresbericht des kk. staatsgynmasiums im 3. bezirke in Wien 1878 unter dem
titel „Priester Eonrads deutsches predigtbuch '^ einen geregelten text von sieben pre-
digten nebst der vorrede daraus veröffentlichte. Auf grund dieser proben sowie der
vielen bis dahin unbelegten ausdrücke, welche das mhd. handwörterbuch Lexers in
seinen nachtragen nach mitteilung Schmidts aus Konrad brachte (vgl. Lexer m, Vor-
wort 8. Y), haben gewiss nicht wenige philologen gewünscht, recht bald die ganze
samlung gedruckt zu sehen. Diesen wünsch hat nun Schönbach durch die in rede
stehende ausgäbe erfült und damit sich den dank aller faohgenossen verdient
Wie in dem vorhergehenden predigtbande geschehen, so sind auch diesmal
die von Karl Roth herausgegebenen Regensburger bruchstücke, wo sie zu Konrads
texte stimmen, zur vergleichung mit abgedruckt worden. Aber auch in bezug auf
die widergabe der handschrift selbst ist der herausgeber seinem bisher befolgten ver-
fahren treu geblieben, wonach die berechtigten eigenheiten des Schreibers möglichst
geschont und nur die offenbaren nachlfissigkeiten und versehen desselben, insofern sie
den Zusammenhang und das Verständnis beeinträchtigen, berichtigt worden sind. Wie
Schönbach in der vorrede bekent s. VI, hat er hierbei nicht nur die abschrift des
prof. Schmidt mit dem original verglichen, sondern auch manche ergänzungen und
Verbesserungen, die Schmidt in seinem texte angebracht hatte, benutzen können.
Die behandlung des textes, um auf diese zunächst einzugehen, hat wie ander-
wärts so auch hier ihre besondem Schwierigkeiten, namentlich wo es gilt bei einzel-
nen auffallenden wortformen zu entscheiden, ob sie als dialektische eigenheit dem
Schreiber zu belassen oder als Schreibfehler in die Varianten zu verweisen sind. So
finde ich ein auffälliges schwanken bei folgenden formen:
prälichen ist 102, 40, vriUieh 113, 29 im text verblieben; dagegen 23, 13
und 41, 18 sowie 46, 26 unter die Varianten gerückt und durch vrolieh im texte
ersezt; vgl. Germ. 9, 360.
giraeheü für das überlieferte gigirseheit steht 23, 29; dagegen 71, 25 und
155, 17 — 22 ist die lezte form im texte gelassen, ebenso wie das 54, 31 und
155, 25 stehende a^jektiv gtgirseh.
27, 28 und 30, 33 ist die form vnSmden falienis) in die Varianten verwiesen
und statt dessen vrSmden gesezt, dagen 106, 28 und 112, 31 im texte verblieben;
vgl. Trudbei-ter H. lied 146, 28 frimidiu dinch,
31, 4 in almaetigen in die var. gesezt, dagegen 28, 5 im texte belassen;
ausserdem steht xtitiget («= xiihtiget) 70, 25 unter den varr. und ebenso erektUte
(» erehuhte) 136, 30 und 31; im text aber 220, 23 braetest {== braektesty, l60, 11
und 35 vergittiget (« vergihtiget); 160, 38 vergit (^ vergiht)', 161, 4 vergüte;
229, 15 flutic (=» flt4htie)\ 34, 36 dumaetecliehen; 183, 27 vorsam (= varhtsam);
vgl. darüber Woinhold, Alem. gramm. § 234 und Germania 9, 361.
t^BKR SOHÖNBACH, ALTD. PREDIGTEN IH 257
57, 3 hat die handschrift an vü maengen (Regensb. bmchst. mcmigen) sun-
dotßre, im text steht maengem für maengen; ebenso 71, 15 mit sinem (var. einen)
groxen geicalt; dagegen ist unverändert geblieben die Überlieferung 31, 14 xe mensch-
liehen bilde; 141, 6 einen andern genaedio stn.
13, 34 ist das überlieferte ann im (im text an im), 68, 41 ann iu (im text
an iu) in die varr. gesezt, während 150, 6 annin, 186, 35 annim (hs. an min),
245, 6 annim, 249, 6 ammns unberührt gelassen sind; übrigens steht auch in den
Regensb. bruchstücken s. 80 ann in und ann im.
Die form toaere (lat. verus) ist 131, 9 und 15, ebenso 144, 5 und 149, 26
aus dem texte entfernt um tcäre platz zu machen, dawider 221, 18 stehen geblieben.
50, 12 in dirre heiligen xit (y&r.xiten), ebenso 163, 7 xtto einen (var. siner)
hoeheiten und 164, 15 «e minen (var. miner) hoehciten; unverändert heisst es dage-
gen 104, 23 in siner küniclichen hochgxiten,
194, 31 ist überliefert der heix Nero, wo hiex für heix in den text gesezt
ist, während 57, 12 diu heiz Sara ungeändert blieb; über das in alemannischen
Schriften häufig erscheinende ei = ie vgl. Germania 9, 359 und Beitr. von Paul u.
Braune UI, 516.
Nach so wol sezt die handschrift, entsprechend den im Mhd. Wöiierb. UI,
799^, 20 fg. aufgeführten beispielen, den accusativ 216, 37 so wol uns vil armen
sundaere des wart, da^ usw., ebenso 220, 30; 206, 8 und 233, 32; aber nur
an den beiden lezten stellen ist die Überlieferung gewahrt, an den zwei ersten hat
der herausgeber den accusativ in den dativ verwandelt.
229, 20 heisst es nach der hdschr. dax siu der bescermete von dem vil vheln
tivel, ebenso 230, 27 da^ er sol bescermen von der aneveJUunge des v. ü. tivels;
aber in dem zweiten beispiele ist von unter die varr., vor dafür in den text gestelt
worden; vgl. dagegen bisdrman einen fon bei Graff, Sprachsch. VI, 547 und die
beispiele im Mhd. wörterb. ^^ 162 **, 45 ^.; Trudperter Hoheslied 50, 5 si schirmet
den menniskin von den schoben des tieuels.
In der redensart von stnen genäden, wie sie richtig überliefert ist z. b. 162,
35 und 256, 38, scheint der Schreiber öfter vor für von gelesen zu haben; 213, 27
ist dieses vor von dem herausgeber den Varianten überwiesen, dagegen dem text
belassen 207, 37; 239, 23; 241, 31; 248, 14; 254, 20; 257, 8; 260, 37; 261, 6.
Auch 67, 29 ist vor der liebe wol versehen des Schreibers für von d. l.
253, 35 so ne mähte si von dem warn gots urchunde niemen betwin-
gen, sunder sine wollen i ersterben; anders, und nach meinem dafürhalten richtiger
interpungiert ist dieselbe redeweise 235, 25 von siner minne, dd mohte siu
nieman von betwingen sunder, sine liexen sieh e slahen.
Geschont konte ausserdem die Überlieferung noch werden an folgenden stellen:
92, 5 der heilige bast (so die hdschr. für babst) und 154, 21 ein paste
(hdschr. für pabste); dieselbe form lässt sich noch nachweisen in dem stiftungenbuch
des klosters Zwetl ed. J. v. Fräst s. 1: ein haüigen bäst der hiex Paschal den vie
er; in J. Haupts Beitr. zur litt. d. deutschen mystik n, 72 und 75 der heilig
päst Leo.
200, 9 sine boten unde sine vurfrit; vom herausgeber vurfrit in die varr.
verwiesen, vurstrit dafür in den text gesezt; aber viearius, vurfrit verzeichnet En-
gelhard aus der Herrad v. Landsperg s. 193 ^
135, 6 pi dem got sun sin und 173, 28 des helfe iu der wäre got sun;
beide male ist hier für got sun gedmckt gots sun; aber auch diese überlief eiiing
ZEXTSOHSm F. DEUTSCHE FHILOLOaZB. BD. ZXV. 17
258
lässt sich belogen dox'ch Diemer, D. gedd. 230, 23 und gote aun ebenda in der anm.
zu 249, 26.
13, 3 in der hdschr. brätgo, 35, 16 bruiegä, wofür in den text gesezt ist
brutgoum und brtUegüm; wahrscheinlich ist aber hier kein Schreibfehler anzuneh-
men, denn im stadtbucho von Augsburg ed. Meyer findet sich s. 242, 243 und 244
widerholt braeutgaewe, braeutgaew.
129, 27 und 29, ebenso 135, 38 ist bexeeheni überliefert, statt ddssen bexei-
eheni in den text gesezt worden; doch man vgl. die beispiele von ^ »= ei in der
Germania 9, 359; im Trudberter H. liede ist bexeckenon sehr häufig zu finden.
21 , 14 unde giegen (d. h. gieng in) der (stem) alleic vor; 21 , 96 unde gie^-
gen (d. h. giengen) st in da^ seihe hüs; 140, 11 die gnade die begieger (d. h. be-
gieng er); im texte Schönbachs dafür giengen und beginger; auch reifte 134, 37
scheint hierher zu gehören, wenn es nicht druckfehler für renfte (254, 26) ist; wei-
tere belege für die überlieferte alemannische form bringt Weinhold, Alem. gr. § 200.
82, 21 und 23 sowie 86, 33 — 36 enthalten nach der Überlieferung die formen
ekünsche, ehünschdiehcn, unckünsehen; es sind bis jezt die ältesten belege aleman-
nischer nasaliei-uug des wertes kiusehe; Weinhold L 1. § 201 und Lexer s. v. Hu-
sche, kiusehecheit , kiuseßdicke bringen erst beispiele aus dem 14. Jahrhundert; nach
meinem dafürhalten war hier kein zwingender grund, die gemeindeutsche Schreibung
geltend zu machen.
77, 21 nach der hdschr. aUe die erkaufet unde erlöst hat; Seh. ergänzt er
vor erkouffet, und so findet sich erkauft und erlöst 93, 24; 101, 13; 217, 24.
Gleichwol fragt sichs, ob man nicht einfacher die er chouffet hat zu schreiben habe.
Dass das partic. praeteriti von kaufen oft des augments entbehre, erwähnen Wein-
hold, Mhd. gr. § 405 und Hildebrand im DWb. V, 324; es ist das aber nicht nur in
md. quellen der fall, wo es sich aus nd. nachbarschaft erklärt, sondern nicht min-
der häufig in oberdeutschen. So heisst es bei Berthold v. Begensburg 285, 14 so
hast du den luft für brat kauft; 287, 16 in hat der almehtige got kauft mit siner
martel; 149, 13 unkouft; Habsburg -österr. urbarbuch 113, 3; 179, 3; 244, 28;
254, 12; Alemannia 6, 232, 37; 244, 23; 259, 43; 269, 40. Lassberg L. 8. I,
549, 92; Urkundenb. von Augsbui'g I, nr.62 (a. 1280), 84 (a. 1284), 142 und 146
(a. 1295), 166 (a. 1298), 196 (a. 1304) usw.; vielleicht auch bei Reinmar v. Zweier
n, 7, 5 her nidere, herre, in dtne tiure kauften cristenheit. Dagegen ist das par-
tic. dient in diesen predigten 232, 9 wahrscheinlich Schreibfehler für gedient; in
oberdeutschen Schriften ist es sonst nicht nachweisbar.
164, 31 den hei^t er xesamne pinden paidiu hende unde fuxe, da si im
ni?ä sines tpillen, sunder da si dem tievel mit habent gedient; in der hdschr. steht
nu für im; nach tpillen hat Schönbach mit habent getan eingeschoben, was mir
entbehrlich scheint, wenn man stnes willen als archaistischen ausdruck versteht wie
in den in der Germ. 30, 273 beigebrachten beispielen und dem Zeitwert dienen eine
zeugmatische funktion zuweist
174, 18 nu hat er da^ selbe lax siner gnaden hin xiu also geeheri,
die ir von der heidensehefte gebom unde chomen sit, da^ ir usw. Das relativum
die hat der herausgeber zugesezt, wie mir scheint ohne not, da im archaistischen
stQ des 12. Jahrhunderts das pronomen ir ausreichend war für relative sätze, vgl.
Grimm, Gr. 3, 17; Pfeiffer zu den Myst. I, 342, 26; Behaghel in der Qerman. 17,
277 fg.; St. Trudberter Hoheshedll, 5—20; 31, 1; 44, 15 usw. Derselbe fall liegt
vor in den vorliegenden predd. 76, 39: in dem selben alter da erstit auch ir alle
DbKB 80HÖNBi.0H, ALT. FBBDIQTKN HI 259
wme, ir junge oder aU von disem libe gesehatdet; hier hat der herausgeber noch
ob vor ir junge dem texte zugefügt. Femer 166, 24 fg.: herre, keiliger gots eun,
du da her in dise weit ehome unde gebom unde gemarteret umrde durch die armen
sundaeref ich geloube an dich, herre; hier ist nüttels der interpunktion das archai-
stische gepräge der rede verwischt; statt des ausrofungszeichens nach sundaere solte
ein komma stehen. Ausserdem 182^ 37 wan stoie er iu dax niht gehai^en hete,
spricht sant Paulus, ir da von der heidenschefte chomen sit usw.; hier glaubt
Schönbach durch ein vor den werten ir da von eingeschobenes wany Schmidt s. 5,
34 durch sit an derselben stelle nachhelfen zu müssen. Endlich 42, 5 lautet nach
dem unter dem texte abgedruckten Begensburger bruchstücke: chomet her xuo mir,
spriehet er, ir da mit arbeiten lebt und die swaeren bürde trait; statt dessen findet
man in Schönbachs texte die moderne fassung: ir die da mit arbeiten lebt unde
ir die da hie swaere burdin traget. Findet sich die wirklich schon in der Wiener
handschrift?
259, 15 fg.: stoie selten si ir vil seonen lip gnadet oder gedwüge unde swie
übel ir gewasken wäre ode gelest unde swie mager oder swie plaicher ir vil sconex
antlutxe von der heiligen vasten wäre unde svne undare si ir här gepunden oder
gestralt hete usw. Zuerst fragt sich, was soll hier gelest bedeuten? jedenfals steckt
darin ein synonymer ausdruck zu baden, dwahen und wasken; ich vermute daher
geleet für gelest. Lecken = benetzen, in dem schwitzbade bearbeiten, mit dem
badewedel streichen, ist hier mit dem dativ construiert nach der analogie des dane-
ben stehenden wcLsken; von lezterem finden sich in den mhd. Wörterbüchern noch
keine beispiele vermerkt, doch vgl. Lassberg L. S. HI, 157, 384 im wart geweschen
und gesMoagen Von räm und von schimel (= Ö. Abent I, 222, 404 er wart gewe-
sehen und getwagen von räme und oueh von sehimele)', dazu die beispiele von twa-
hen einem bei Schmeller-Fronmiann 11, 1175. Denselben sinn hat der dativ bei den
folgenden Zeitwörtern binden xmd straelen, eines Zusatzes wie här bedurfte es hier
nicht; vgl. über binden Mhd. wörterb. I, 129»»; über straelen Martina 181, 60 fg.
äne twahen er im strälte Ze berge üf der unguoter, Alsam ein stiefmuoter Straelt
ir Stiefkinde, Des (hs. der) siu xe ingesinde ZaÜer xit verdriuxet; Alemannia 10, 76
sy stritt oder xwdhet im und die beispiele aus H. Sachs bei Schmeller- Frommann
n, 813. Entsteh ist endlich noch plaicher, wofür plaich gelesen werden muss.
Von offenbaren fehlem, die der Schreiber verschuldet, habe ich noch folgende
in dem texte wahrgenommen:
29, 22 idoch so ne wü er durch sine guet sine Hute troesten; hier war ne
zu tilgen.
40, 7 er gesenfl iu aller iuwer arbeit; lies alle für cUler, vgl. 42, 6 ja wil
ich iu iuwer arbeit unde iuwer bürde gesenflen,
49, 2 nain diu, sprach er, da^ soltu mir glauben; man erwartet nain du
für n. diu; oder hat sich die z. b. in dem St Tmdberter Hohenliede so häufig auf-
tretende form diu = du hier erhalten? vgl. Germania 9, 360.
52, 24 da^ sage ich iu da^ urchünde, gemeint ist da xur chunde; misver-
standen hat wol auch das in der vorläge stehende dc^ der Schreiber von 199, 13:
so warf si die scame da ruche, wo wol ui'sprünglich dax ruche stand für
da xeruche; vgl. Walther 141, 14 scliame hin xe rügge legen und Frauenlob spr.
216, 8 dd sich din schände xe rucke leget.
64, 7 der stap der da dürre ierUmbt unde gruonte ist unverständlich; viel-
leicht der da durrer loubte; stark flektiert in der apposition ist das adyektiv z. b.
17*
260
90, 9 der von der strä^ muoder chomen tat; 20, 17 gienger lebentiger in da^
grap; 106, 10 ob er nu müter unde diumuettger von tu gescheiden st; 234, 17.
54, 25 mit der gttoten wercheny L den für der.
101, 21 uf die er den heiligen tauf und den heiligen glauben geleri hol;
1. geleit für gelert wie 117, 1.
117, 5 sin eJiüneglich hantgemalen an den menschen legen; I. Jiantgemale
wie 116, 22 und 117, 1.
132, 38 da^ si des gots riches umbe verstoßen werdent; L (2a für da^
133, 31 wan x/uo der werlt dienst da ne treibt iueh non entstarct iuch nie-
men Mio; in der hdschr. traib und steret; darnach hätte man entweder das pnte-
ritom traib und staret oder das präsens traibt und steret zu setzen. Ein sw. ▼.
treiben läset sich aus dem J. Titurel 3633, 4 (der sieh mit eilen dar nihl treibet:
weibet) und aus der Krone 5930 nachweisen. Tgl. auch Graft V, 488 und Lexer s. v.
durchtreiben. Indessen zwei Zeilen weiter heisst es in den vorliegenden predigten
da^ trib iuch unde sterch iuch mw dem gotes dienst. Daher wol auch vorher tribt
statt traib zu lesen. In der vorläge des Schreibens stand wol trib iueh noch ensieret
iueh, das t gespart wie 41, 25 erxaig unde eroffent hat und in den zu 159, 21
angezogenen stellen.
142, 3 dax ir wolle, 1. wollet — 146, 33 die sich ir sunden da niene hei-
lent, 1. heleni, — 148, 32 des stät ir im alles gehorsam, 1. gehorsamen, — 151, 20
do spräche si da, e^ wäre von ir schulden niht da^ si poslichen taeten, 1. spra-
chen statt sprach.
159, 21 der selbe sin der ist nu leider vil harte eralten unde ervemt in den
alten sunden; gemeint ist hier eralterU, wie in den Predd. IE, 4, 25; 9, 23 und 27;
Windberger Ps. 17, 51 sune die fromiden eraltent sint (so nach Wallbui^) und
Ps. 31, 3 sint eraltenet {inveteraverunt). Auch 181, 22 gevesten unde gesterehet,
vom herausgeber in gevestent gebessert; 185, 39 lob unde ert in, ebenials vom her-
ausgeber lobt für lob geändert; aber auch 239, 10 bedürfte der besserung: swenne
swer diu werlt ahte durch da^ gotes rehte unde iuch schiUet, 1. ähtet, und ebenso
248, 26 von der wilden haidinschefte erroute unde bechert, 1. errautet Der Schrei-
ber hat in diesen fallen ein t am ende des ersten verbums gespart wie in den zu
133, 31 vermerkten beispielen.
161, 32 ir stdt iu dar xuo gemuxegen; der dativ iu statt iuch (vgl. dagegen
255, 3 und 32) ist hier ebenso unhaltbar wie bei manen 54, 16; 52, 9 und 110, 30,
obwol bei lezterem dieser casus einmal nachgewiesen ist von Einzel zu Lamprecht
3846. Vgl Weinhold, Mhd. gr. § 474.
162, 3 nu ist aver ir übel so gro^, da§ ir ofte daif gotes dienste von ir
äsalofte versumen muxet: was heisst hier äsalofte? ist es eine Zusammensetzung
wie brutto ft, hintloft? Die auffallende wortform ist wol, wie Bartsch bemerkte,
dadurch entstanden, dass ofte vom Schreiber zweimal gesezt ist; dsal könte ans
ägexxel = oblivio entstanden sein; vgl. darüber noch Windb. Ps. s. 28, 117, 627
und J. Haupt, Über das md. arzneibuch des Meister Bartholomaeus s. 11 (459) von
der achxxel (1. ägexxel): Schmeller- Fromm. I, 947. Aber auch an das ahd. a^ili,
edacitas bei GrafTI, 529 könte man denken.
167, 9 an der selbe wile, 1. selben für selbe. — 181, 22 da xuo so hat itn
allex gevestent unde gesterehet diu wirme unde da^ fiuer; 1. in für im.
184, 6 der selben xaichen unde der selben vraisen der ist iu nu wol so vU
chomen; im vorhergehenden ist von vorboten und vorraisen die rede; für vraisen
ÜBBB 80HÖNBACH, ALTD. FBEDIGTBN m 261
bietet die handschiift raisen; daher liegt es wol näher vorraisen dafür zu yermuten.
Anch auf s. 209, 33 steht ain vorbot unde ain raise in der hdschr. statt vorraise.
192, 22 vor dem heilige Christo, 1. vor dem heiligen Ohr, — 212, 23 dte
troet alle der heiligen gots man, 1. heilige für heiligen, wie bei Schmidt s. 9.
208, 29 deste groxer tagende unde deste groxer erlist, 1. deste grdxerer list;
auch 152, 28 ist zu schreiben groxerer $m statt groxer im.
42, 24 wan ei negewinnent wnbe da$ gewette alle niht, 1. umbe da^ da^
geicette; vgl. damit das Begensbburger bruchstuck.
59, 2 diu iuwer eigen unde ir aun: hier steht diu (dienerin) nach eigen,
\nQ das Regensb. fragment lehrt, oder es ist iuwer eigen diu fax diu iuwer eigen
zu lesen; auch 31, 28 war diu vom Schreiber ausgelassen.
80, 8 der sin erweit junger an im gexwivelt, da^ ir von sim unglouben
bestaeteget unde gevestent werdent an dem h. glouhen; diesen werten lässt sich nur
ein sinn abgewinnen , wenn man mit dem Regensb. bruchstück liest da^ er lourde
für do^ ir werdent,
29, 8 da^ du niummer deheinen XAcivel dar an habest, unser herre der
welle einen Hüten xe helfe chomen; in der hdschr. aber steht unser herren; diese
verschreibung 'führt darauf, dass in der vorläge des Schreibers stand unser herre
dem wette wie es die regel erheischt nach Paul, Mhd. gr. § 339. Der Schreiber
fügte das enklitishe en aus versehen an herre statt an der,
105, 28 na^ih groxer aerbeit unde nach groxem dienst da gehört och groxiu
riuwe unde groxex Ion wol billieh nach. Dem zusammenhange nach muss es hier
ruou^ heissen für riuwe,
132, 33 die des waent da^ si da mit behalten sin, ob et si die groxen gebot
ünde die groxen sculde vermiden; nach gebot ist wol behalten (oder gehalten) aus-
gefallen; der Schreiber konte durch das in der nähe stehende behalten dazu verlei-
tet sein.
139, 6 fg. getuoni oueh si wider unsere herren kulden iht, die iwerm lerere,
er chan oueh si sin vil wol gexuhtigen; für iwerm 1. iwem; si vor stn ist zutat
des herausgebers, wobei aber sin unverständlich bleibt; ich vermute dass litäe nach
siin ausgefallen ist, vgl. 138, 34 — 35.
147, 31 unxe er sieh mit aime umbehange gehangen muost, 1. behangen für
gehangen.
149, 38 sin vinger da er den mennisken mit beruhte, 1. beruorte für beruhte
virie z. 6.
154, 28 diu sde diu samnet diu Hut elliu also xe samne, da$ si werdent
ain lip, wan si gibt dem ougen da$ gesehene unde dem oren da$ gebärde; 1. lit
für Uta, vgl. z. 30.
173, 38 da$ er er iwer herxe erfülle: ein er ist zu streichen; ebenso ein ir
in 174, 15—16.
186, 9 do west da$ der gots trut (= Johannes) wol, da^ im diu vanenusse
hinxe dem Itbe und hinxe dem tode erleit was; für erleit, das hier keinen passen-
den sinn gibt, lässt sich erteilt vermuten.
212, 9 wan do tmserm herren sin heiligex opher amphanclieh
was, da$ erxait unde eroffent er da mit: 1. das; für do wie bei Schmidt
S. O, uJf,
238, 11 da^ nie der ist beliben deheiner slahte stouhe: 1. niender statt nie
der, — 244, 32 Thoma, nu du also du da gesprochen hast: 1. nu tu für nu du. —
262 BSCH
246, 29 da von st so ere habent, da^ si usw.: nach so ist ein wort wie getan oder.
ffrdx ansgeÜBÜlen.
251, 41 an iuwem letzten: hier ist TiUen vom Schreiber ausgelassen, wie
man aus 38, 31 ersieht
In der predigt nr. 110, welche von den hUUaem überschrieben ist, zieht der
prediger die stelle von der Speisung der 5000 heran und spricht dann von der speise
der auf die weit gerichteten und von der speise der auf den himmel gerichteten See-
len. Dann fährt er 355, 1 fort: da^ sint Moare die groxen ehorbe unde die mani-
gen deinen undertraeht der geistliehen spise, da diu gots Hute mit gefuort wer-
dent an der seUy^ie sieh xuo dem gots dienisie unde xuo dem gots vire da geimu-
xeget habent. In den Zusammenhang will sich %uo dem gots vire nicht schicken,
es muss wol heissen xuo der gots vuore. Auch das folgende ist falsch überliefert:
nostra autem eonversatio in celis est. Diu geistliehe unde diu gots vire ist dax^,
dax ir gemuote unde ir herxe xaJlen citen ist mit dem ahn. got unde da xe »iner
ewigen hoehdten usw.; denn auch hier mus« es wol heissen gots vuore für gots
vire; derselbe fehler noch z. 29 diu gotliche vire und z. 32 der heren gots viere.
In der vorläge des Schreibers stand vielleicht die form vre wie im 8pec. eccles. 48.
Von der speise der seelo (dem sptsen und fuoren) ist in diesen predigten noch die
rede 60, 21 und 73, 6; von geistlicher Wmar 135, 13, von geistlicher wirtsehaft
(== sptse) 135, 34; von der fuore der sele Fundgr. I, 30, 18; von der fuor des hei-
ligen öhristes Si Pauler predd. 34, 19; von der ewigen fuore Kangans sprachd.
101, 18. Vor allem vgl. Wackem., Predd. 56, 267 fg. diu spise da^ ist da^, da^
si (= sHe) an deheime dinge üf ertrieh inheinen trdst noch inheine vroide hat,
niht wan an himelschen dingen; dar an suoehet si trost und wirt ouch da von
gespisit und gevuoret.
Eine bequeme Übersicht über den diesen predigten eigentümlichen wertschätz
und ihren Sprachgebrauch zu geben hat auch diesmal Schönbach unterlassen, es aber
nicht in abrede gestelt, dass er noch gelegenheit haben werde naher darauf einzu-
gehen. Ein glossar schien ihm ausser der billigen rücksioht auf die Verlagsbuch-
handlung schon darum nicht unbedingt notwendig, weil er die Wahrnehmung machte,
dass „der dem denkmal eigentümliche wortvorrat beinahe in seinem ganzen umfange
dem nachtragshefte des mhd. handwörterbuches von Lexer einverleibt*^ worden war.
Indessen sind mir von seltenen Wörtern, die bei Lexer nicht gebucht smd, doch noch
folgende aufgefallen:
paere, f. 106, 8 (und 11 und 16) der (stoe) veredelt aver sich unde misse-
riet also harte, da^ unser herre von im an sim heren hütoe ain vil großen scha-
den nam unde da^ im ain vil gro^iu paere wart an sim himelschen wingarten.
die paere die newolt 'idoch unser herre mit der selben slaJUe stocke nikt wider
hmoen noch wider avem usw.; paere == bare, bere, bar, nuditas, die kahle, unbe-
pflanzte stelle im Weinberge; bei Lexer nur bar, f. aus Roland 241, 17; vgL ahd.
bari in houbitbari, ealvitium; DWb. I, 1057 s. v. baare.
barmherxunge, f. 238, 3: nur noch in den Trierer psalmen ed. Graff s. 313
und 569 barmherxunge, miseratio.
büwewereh, n. 140, 3, landbau; nur noch im ersten bände dieser predigten
385, 30 im sinne von ars architectoria (nach Steinm. ztschr. 19, 206 anm.); das
bei Lexer I, 404 angesezte büwewere ist druckfehler für büwewec.
dietlant, n. 194, 20; 230, 14 u. 18; 245, 12 u. 21; noch in einer Münchener
psalmenübersetzung des 14. jahrh. bei Khull, Beitr. 26: patria gentium, dietlant.
ÜBKB 8GHÖNBA0H, ALTD. FBIDIQTEN m 263
domaUhe. f. 137, 23; DWb. E, 1300.
ebengendxsam, a^j. 171, 28.
ebenmd^Mngef f. 97, 28 und 35; 163, 4.
eigensun, m. anciüae filius, 57, 21; vgl. e^entrlp, aneilla, 57, 14 und 23;
58, 3 (im gegensatz zum vrigen fdbe).
ergranten? 157, 32 da^ si — den wären gotea eun ergranten unde
erstechen (^^euffoeare) meehten; vgl. 158, 18 do erstaht unde uberchom er si harte.
Man könte an ergrannen denken, das nur einmal überliefert ist bei Diemer, D. gedd.
15, 17 und wofür dieser ergremen veimutete; denn das von Lexer I, 132 ange-
zogene beispiel aus der Martina 203, 96 ist zu streichen, es muss dort heissen er
grante. Allein der Zusammenhang erfordert hier statt des iroperf. ergranten einen
Infinitiv; überdies würde ergrannen oder ergremen neben erstceken auch seiner
bedeutung nach sich nicht recht schicken. Mit mehr Wahrscheinlichkeit glaube ich
daher in ergranten einen Schreibfehler zu sehen. Ich nehme au, dass der flüchtige
Schreiber g und t yersezt hat, dass es ursprünglich ertrangen (erdrangen) hiess =
euffoeare, was zu dem dabeistehenden synonymen erstechen (erstechen) vortreflich
passen würde. Das ursprüngliche erdrangen, erdrengen scheint aber sehr früh
schon an das lautlich nahe hegende ertrenken seine bedeutung abgegeben zu haben,
welches an mehreren stellen die bedeutung von suffocare angenommen hat, wie man
aus folgenden stellen ersieht: Fundgr. I, 93, 38 d6 die dorne üf komen, dö iriran-
eheten (aninvi^av, suffoca^erunt nach Lucas 8, 7) sie den guoten sämen; ebenso
in den vorliegenden predigten 47, 40 den ertränkten och die dorne; bei Grieshaber
Plredd. II, 52 die dorne ertrancten den sämen; Schönbach, Predd. II, 51, 8
die dorn machent den sämen boes find ertrenchent in; Schmelier- Fromm. I, 667;
Graff, Sprachsch. 5, 542 irtrancta, irtraneti, suffpeati. Daneben finde ich erdren-
gen nur niederdeutsch belegt bei Schiller -Lübben I, 716.
erseemen, swv. reflex. sich e. 191, 17; vgl. I, 104, 20; Frauenlob, Spr. 125,
10; Trebnitz. ps. 24, 20 = erubescere; H. v. Hesler, Apokal. 4916; Deut chron.
13, 114, 14 einen erschemen,
verteHaere, m. 103, 18.
vish'Schifltn, n. 129, 1; vgl. Diefenbach 400^ s. y. oria,
vol'Sren, swv. 5, 40; so noch in der Germ. 31, 304 (289); in Lassbergs L. S.
I, 570, 413.
vol'ldnent swv. 258, 15.
viwer-eiter, n. Hndschr. vitoe aiter, 138, 39 = viurin aiter 218, 16 — 31.
gemande, n. admonitio, 144, 31 elliu mtn wamunge unde dUe^ mtn ge-
mande; 156, 27 von stme gemande u. euch von stner lere; vgl. Windb. ps. s. 557
vermanede, eoniemhu »= ahd. farmanida, farmanidi Gi-aff 11 , 771.
gemuexegenf swv., sich dar kmo g. da^ usw. 161, 32; 255, 32; vgl. Wacker-
nagel, D. predd. s. 281, 19; sich gern, von allen unmuoxen im St Trudb. Hohenlied
106, 25.
genoxsamen, swv. refl. sich g, 4, 25; 12, 14; 76, 36; 102, 4 u. 16: 116, 42;
206, 16; 246, 22; bei Lexer unbelegt
gigirseh, a^j. 54, 31 alle gigirschiu (Kegensb. hdBohx. girskiu) Hute; 155, 25
den gigir sehen man; vgl. gegim bei Lexer I, 782; gigirdo, gigiridi bei Graff lY,
229; gegerunge bei Schönbach, Predd. I, 3, 11.
gigirseheü, f. 23, 29 var. 71, 25; 155, 17 — 22.
gots-gelichnusse, f. diu here g. 161, 12.
204 SICH, ÜBBR SCBÖNBAGH, ALTD. FBEDIOTIN m
hersal, m. 100, 2 (vgl. 100, 37).
hersedel, m. = heratuol, 103, 5 u. 7 u. 25; 155, 82.
heimladunge, 213, 22 u. 25.
kinnebedes? adv. 129, 20 Petre, du soU n4 kttmebedea ain viskBr Hn der
Hute. Die seltene form köote man zuräckführen auf hin-abe-des = von jezt ab,
hinfort, vgl. after-des, innen -des; in diesem sinne steht hin abe im Moiitz v. Craan
695; Manritias u. Beamunt in v. d. H. Germania 9, 111 (459); wahrscheinlicher
aber hat man an hinne-bü-des zu denken, vgl. ht da^ (und hÜ diu) belGraffUI, 12;
Foodgr. IT, 34, 12; 41, 26; dafür pedes bei Diemer, D. gedd. 341, 26; und hinnan
bi des = a modo, aus Notkers psalmen 67, 25 von Graft 1. 1. angeführt
horufelin, n. „limus terrae*^, „erdenkloss*, 216, 29; 217, 6.
lantstte, f. 98, 37.
leigeltch, adj. laicus, 61, 20; 255, 30; noch in Aristotilis Heimlichkeit ed.
Toischer 1824 leiliche wort; ahd. leielik, GrafP 11, 152.
mirrensmae, m. 93, 12; noch bei J. Haupt, Bruder Philipps Marienleben
8. 57, 177 mirresmac.
nedehein = niedehein, nehein 100, 16 und 27.
pfaffensamenunge, f. 208, 33.
reismantel, m. sagum, 239, 37.
riusaerinne, f. »= rtuwescterinne, 198, 35; noch in der busse Adams und
Evas ed. Fischer in der Germ. 22, 249 nach einer Variante rewserin statt riuwerin;
Ztschr. f. d. a. 20, 160 retisarin,
sämbalde, adv. = sän holde, 50, 38; 75, 29; 93, 11; 99, 11 u. 15; 111, 39;
112, 33; 155, 16; 159, 40; 179, 27; 191, 16.
scefstiuraere , m. 252, 30 u. 24.
toußotege, swf. lavatorium, mare fusile, das „eherne meer*', 98, 38; 99, 1;
ein eriniu toufb, 100, 35; 101, 16 u. 18.
unanesihtic, a^j. 223, 31; 224, 13 u. 19—24.
ungeufislichen, adv. 43, 14 u. 19 vü u, loufen = in ineertum currere.
wenigt, f. parva statura, 95, 22; 96, 6; noch bei GrafP I, 891.
xuoweten, swv. aceedere, 123, 22; 124, 22 ih hän xehen ohsen gehMift, da
nrnox ich xuo weten unde muox die bewam = Lucas 14, 19 juga boum emi quin^
que et eo probare illa; vgl. Mhd. wörterb. HI, 535*, 41.
Einen ganz aussergewöhnlichen fleiss hat der herausgeber wider verwant auf
die dem texte angefügten bemerkungen, in welchen auf s. 271 — 421 nicht nur die
laufenden biblischen citate nachgewiesen, sondern auch die verborgensten quellen aus
den kirchenschriftstellem zu tage gefördert werden. Das Verzeichnis der 19 kirchen-
väter, bei denen er nach s. 446 auf der suche gewesen ist, gibt allein schon ein
beredtes zeugnis von den unsäglichen Schwierigkeiten und mühsalen, die der uner-
müdliche forscher auf weitestem und entlegenstem gebiete hier zu überwinden hatte.
Und wenn auch für die sprachliche seite der altd. predigten zunächst nur wenig
damit gewonnen worden ist, für die entstehung derselben und ihre geschichte, beson-
dere auch für die dogmengeschichte bleiben diese Untersuchungen Schönbachs ein
unsch&tzbarer gewinn.
ZCITZ, DECKBIBER 1891. FBDOB BECH.
8T70HIIB, ÜBEB QINELIN, HÖFISCHE EPIN 265
Unsere höfischen epen nnd ihre quellen. Von dr. Plaeld Genelln, InDS-
bruck, H. Schwiok. 1891. I, 115 s. 1,50 m.
Von der vorliegenden abhandlung muss leider ausgesagt werden, dass sie die
Wissenschaft nicht fordert, wol aber in manchen stücken hinter der zeit zurückbleibt,
und mit einer Sorglosigkeit geschrieben ist, der man glücklicher weise auch in anfän-
gerarbeiten nicht alzuhäufig begegnet. Vielleicht, wenn der Verfasser sich darauf
beschränkt hätte, einen unser höfischen romane mit seiner quelle zu vergleichen,
wäre es ihm an der band eines kundigen führers gelungen ein bescheidenes ziel zu
erreichen. Nun er aber die gesamtheit unserer höfischen romane mit den zu
gründe liegenden darstellungen behandeln will, hat er nur eine illustration zu dem
französischen Sprichwort geliefert: Qui trop embrasae, mal Sir eint.
Von den bekantem romanen scheint in der darstellung keiner zu felden. Eini-
ges was nur in bruchstücken erhalten (die niederrheinische schlacht von Aleschanz,
Elies, Girart de Boussillon) odor nur durch anspielungen bekant ist (Segramors), ist
unerwähnt geblieben. Was besprochen wird, findet sehr ungleiche beachtung: dem
Parzival sind 35 Seiten gewidmet (s. 46-— 81); Wigalois wird mit 2 zeilen abgetan
(s. 45). Das meiste ist aus litteraturgeschichten oder bekanten Specialuntersuchungen
compiliert. Einiges beruht auf eignem lesen, doch ohne nutzen für die Sache. Oft
ist minderwertige litteratur herangezogen und wichtiges bei seite gelassen. Zum
Willehalm wird das buch von San Marte- (Quedlinburg 1871) nicht benuzt. Yen
Gaston Paris sind weder die aufsätze in der Histoire litteraire bd. XXX noch die
litterature fran9aise au moyen Ige (2. aufi. 1890) verwertet Der Ursprung der Ar-
thursage wird dargelegt, aber ohne kentnis von Zimmers und W. Försters einschnei-
denden arbeiten.
Minder verzeihlich als diese unkentnis einschlägiger litteratur scheint mir die
nachlässigkeit, in der ausdi*uck und inhalt dem leser vorgefahrt werden. Gleich auf
der ersten seite ist von Schert Wace die rede. Das misverständnis, dem dieser
vomame entstamt, scheint unausrotbar zu sein; er muss wie die seeschlange immer
von neuem auftauchen. — Auf s. 9 heisst es: „man war [in Nordfrankreich] begierig
nach dem gai savoir, worunter man namentlich jene romantischen erzählungen, epen
und lieder verstand, welche der wirklichen ritterlichen weit eine phantastische . . .
entgegensezten'^. Der ausdruck gai saber wurde im 14. Jahrhundert von den proven-
zalischen meistersängem aufgebracht. Fragen wir lieber nicht was er zu einer zeit
und in einem land bedeutete, wo man ihn nicht kante. Auf s. 10 wird „der berühmte
bischof Wiston* genant; in der tat hiess er Wulf stau oder Wulst an. Naoh
8. 11 berief Heinrichs I. gemahlin AUx von Brabant im jähre 1122 nordfranzösische
dichter nach England. Man wüsste gern, woher der Verfasser dieses weiss; doch
wird es wol aus der luft gegriffen oder aus einer trüben quelle geschöpft sein. Nach
s. 12 dichtete Christian von Troyes für Marie de Champagne, die gemahlin Balduins,
des spätem kaisers von Constantinopel. Indessen weiss man längst, dass er der
mutter, nicht der tochter nahe stand.
Vorstehendes ist den ersten fünf Seiten entnommen (die abhandlung begint auf
8. 7). Aus dem folgenden erwähne ich liasse für laisae s. 19; Willehalm stirbt 862
(s. 30); die mutter Percevals heisst Cammuelles, obgleich der Verfasser die ände-
mng Bartschens kent (s. 59 fg.); Feirefiz komt „zweifellos aus fier und fila*^ (s. 65);
die Tristansage scheint zuerst von den französischen spielleuten ausgebildet worden
zu sein s. 88; der pfaffe Lamprecht schrieb sein gedieht im lezten drittel des 12. Jahr-
hunderts s. 105.
266 BÜCBIBB
Das falschsohreibeQ too eigennamen gehört zu den liebhabereieii des Verfas-
sers. Hier nur einiges: Potevin s. 1. 11. 12, Thiodor [sicj de la Viüemarque s. 50,
Lachman s. 19, kuiy Quest s. 44, Stmrok s. 63, Behaghel ebd., Ävenar le Rot
s. 100; drei entstelte namen stehen in einer zeile s. 98 anm. 2.
Von citaten nur eine probe: am ende von s. 103 wird vom Verfasser aof seine
eigene sohrift s. 58 anm. 2 verwiesen; das oitat ist falsch, es scheint s. 98 anm. 4
gemeint zu sein.
Schliesslich nehme ich Wolfram gegen die anschuldigong in schütz, er habe
aus ä termes irtümlich einen eigennamen gebildet (die ausgäbe der Bataille d* Aliscans
von Gxiessard schreibt richtig d Termea s. 25), und protestiere gegen die behauptong
(auf s. 38), ich hätte für Ulrich von demTürlin eine französische quelle angenommen.
HALLE. mEBHAKN SÜCHIKR.
Die deutsch-französische Sprachgrenze in der Schweiz. Von dr. J«
merii« I. teil: Die Sprachgrenze im Jura. Nebst einer karte. Basel, Georg. 1891.
IX, 80 s. 8. 16 tafeln, 1 karte. 3 m.
Nachdem Konstant This auf grund persönlicher forschungen die deutsch.- fran-
zösische Sprachgrenze erst in Lothringen (1886), dann im Msass (1888) bis an die
Schweizer grenze verfolgt hat, nimt nuuQiehr Zimmerli den faden auf und spint ihn
von da weiter durch den Schweizer Jura bis zum Neuenburger see. Zimmerli hat
sich auch in der einrichtung seiner arbeit an seinen Vorgänger angeschlossen, was
nur zu billigen ist
Er hat zunächst die ergebmsse der schweizerischen volksz&hlungen verwertet
BekanÜich zeichnen sich leztere, wie auch die belgischen, vor den Volkszählungen
der grossem länder dadurch aus, dass in ihnen auch die spräche der bewohner der
statistischen au&ahme gewürdigt wird. Daher konte eine feststellung der Sprach-
grenze schon auf grund der schweizerischen Statistik vorgenommen werden. Zim-
merli hat diese angaben auf widerholten fusswanderungen nachgeprüft und erginzt
und überall an ort und stelle erkundigungen eingezogen, so dass seine darsteUung von
dem sprachlichen leben in den grenzorten ein detailliertes und zuweilen anschauliches
bild gibt.
Nachdem er die einzelnen Ortschaften durchgenommen hat, stelt er in einem
besondem abschnitt das hin- und herwogen der bevölkerung in folge von fabrikanla-
gen, auswanderungen u. dgL dar. Auf romanischem gebiet hat ein starker zuzug
deutscher bevölkerung statgefunden , welche in manchen bezirken Va — V4 der geaamt-
bevölkerung ausmacht Doch darf hieraus nicht auf eine Verschiebung der Sprach-
grenze geschlossen werden. Denn ,|fragen wir nach den sprachlichen geschioken der
in neuerer zeit durch einwanderung in den welschen Jura geführten deutschen bevöl-
kerung, so lautet die auf eine grosse anzahl einzelbeobachtungen gestüzte antwort
dahin: sie geht in der regel in der zweiten genoration im romanentum unter, d. h.
die auf welschem boden gebomen kinder deutscher eitern verstehen das deutsche
noch, sprechen aber mit verliebe französisch und werden die begninder französisch
sprechender familien^ (ZimmerU s. 56).
Es folgt dann ein kapitel vom häuserbau mit 9 grundrissen keltoromanischer
und alemannischer (dreisässiger) hfiuser. Dann werden die deutschen grenzmund-
arten auf drei selten kurz charakterisiert, und schliesslich die französischen patois
eingehender behandelt, deren lautverhältnisse erst im algemeinen dargelegt und dann
ÜBEB ZnOOBLI, DBTItSOH-FBZ. SPRAGHeBBNZI 267
auf 16 tafeln durch beispiele yeranschanlicht weiden. Eine landkarte, welche die
Sprachgrenze als Unie — und nicht, wie man erwarten solte, als gürtel — darstelt,
beschliesst das buch.
Die einzelnen tatsachen, die der yerüasser anführt, wird nur der nachprüfen
können, der selbst gelegenheit hat, die Sprachgrenze zu besuchen. Ich möchte hier
nur gegen die etymologie eines Ortsnamens bedenken aussprechen, da das überlieferte
material mir nicht die ansieht des Verfassers zu stützen scheint. Das fast ganz fran-
zosische protestantische pfardorf Vauffelin hat gegenwärtig zwei deutsche namen:
Füglüthal und Wölflingm. Urkundlich haben wir Walfelin 1228, Vallü VoluGrum
um 1311, Fugli8t(d 1349. Hieraus schliesst der Verfasser (s. 33): j,Wölflingen ist
jedenfals die älteste form des namens, aus welcher dann durch romanisierung Vauf-
felin hervorgieng, während Füglisthal lediglich die deutsche Übersetzung der später
von klerikem aufgebrachten bezeichnung VaUis Volucrum zu sein scheint^. Indes-
sen entsprechen sich Wölflingen und Vauffelin doch keineswegs volkommen; und
höchst auftjEÜlend bleibt, dass die angeblich älteste form des namens erst in unserer
zeit auftaucht. Mir ist daher viel wahrscheinlicher, dass der' ort ursprünglich Füg-
listhal hiess, dass dies in Val-fdin (Vallis volucrum) romanisiert wurde, und dass
W'ölflingen auf einer wilkürlichen Verdeutschung des namens Vauffelin durch irgend
einen lokalforscher beruht
In den lautlichen angaben ist nicht alles ganz correct ausgedrückt Intervo-
kales p gibt in safere vu sagt der Verfasser s. 78; doch ist in savt^.i^ nur v^=p imd
t^,^ = fz. oi = lat g. — Ovum hat niemals kurzes o, weder im lateinischen noch im
filteren romanisch (s. 74). — Auch in den tabellen sind einige etymologien zu berich-
tigen. So ist violetam nicht möglich als lateinische form für das romanische viol&
violäi (t XI), sondern nur violittam. Auch kann tißv (t XV) neben kä/v nicht aus
eaveam, sondern nur aus eavam entstanden sein.
Hoffentlich lässt uns der Verfasser auf die versprochene fortsetzung nicht gar
zu lange warten.
HALLB. HBBHA.NN SUCHIKB.
Conradi Hirsaugiensis dialogus super auctores sive didascalon. Eine
litteraturgeschichte aus dem XII. Jahrhundert, erstmals herausgegeben von dr.
Q. Sehepss. Würzburg, A. Stuber. 1889. 84 s. 1,60 m.
Der Verfasser dieser schrift ist, wie von Stölzle nachgewiesen wurde, der aus
der gegend von Speier stammende Benediktinermönch Eonrad von Hirschau,
langjähriger leiter der klosterschule daselbst, welcher unter kaiser Eonrad III. blühte
und um 1150 im alter von 80 jähren gestorben ist Der bekante abt Job. Trithe-
mius, dem wir die unsem autor betreffenden notizen verdanken, nent diesen einen
in welÜichen und geistlichen Schriften wolbewanderten philosophen, rhetor, musik-
verständigen und dichter, der 'unter dem pseudonym „ Feregrinus '^ viele berühmte,
durch klassische form ausgezeichnete lateinische werke geschrieben habe, von denen
er 7 namhaft macht, darunter neben dem Didascalon auch ein lobgedicht auf den hl.
Benedictus und ein musikalisches werk. Ausser diesen weiss der im jähre 1588
verstorbene abt Job. Parsimonius von Hirschau noch einige theologische Schriften
Eonrads zu nennen.
Das Didascalon unseres autors ist nur in einer Würzburger handschrift des
12. jahriiunderts erhalten und von Sehepss in der vorliegenden schrift zum ersten-
268 ALiHor
mal herausgegeben worden. Nach einer einleitung über Eonrads leben und werke
(s. 3 — 18) folgt Ton 8. 19—84 der abriss der litteraturgeschichte in form eines
gesprächs zwischen lehrer und schüler. Der wesentliche Inhalt des dialogs ist fol-
gender:
Der lehrer, vom schüler gebeten, ihn in das Studium der alten autoren ein-
zuführen, sträubt sich anfangs unter hinweis auf den neid des Bavius und Maevius
und die gefahren , welche die beschäfdgung mit weltlicher Wissenschaft mit sich bringt,
erklärt sich jedoch auf widerholtes bitten des wissbegierigen bereit, ihm das wich-
tigste über die alten Schriftsteller, wie er es selbst von anderen erfahren habe, mit-
zuteilen. Zunächst spricht er jedoch (meist im anschluss an Isidors origines, bezw.
den auf diesen zurückgehenden, gröstenteils noch ungedruckten Theodulkonmientar
des Bemhardus Trajeotensis aus dem ende des 11. Jahrhunderts), dem wünsche des
Schülers entsprechend, über einige wichtige rhetorische begriffe, über die verschie-
dene bedeutung von liber, über den unterschied zwischen ungebundener und rhyth-
misch oder metrisch gebundener rede, über titel und einleitung, über die verschie-
denartigen bezeichnungen für schriftsteiler. Es folgen sodann belehrungen über die
dichtungsarten, wobei der lehrer, wie bei den meisten übrigen erläuterungen,
auch auf die worterklärung rücksicht nimt, femer über die verschiedenen arten
der argumenta, über den ordo naturalis und artiücalis bei den schiiftstellem und
die 4 arten der explanatio, über tropologia und anagoge, sowie über die 3 stil-
arten. Hierauf nent er einige Schriftsteller, welche in die fussstapfen älterer autor^
getreten sind, spricht von den 7 punkten, welche die alten bei der erklärung von litte-
raturwerken berücksichtigten, während die neueren deren 4 annehmen: operis materia,
sciibentis intentio, finalis causa et cui parti philosophiae subponatur, quod scribitur.
Nachdem er sich hierüber im einzelnen ausgelassen hat, begint er mit seiner littera-
turgeschichte, indem er mit den leichtesten autoren, „der milch für die Säuglinge*^,
den anfang macht, um darauf die schwierigeren, „die feste speise der entwöhnten',
von den eben genanten 4 gesichtspunkten aus zu betrachten.
Donatus ist zwar für die unterste stufe geeignet, doch wegen seiner lehre
von den 8 redeteilen von der grösten bedeutung und als das fundament für das Stu-
dium der übrigen autoron zu betrachten. Er ist nicht zu verwechseln mit dem ketzer
Donatus, hat lange vor Priscianus gelebt und war der lehrer des Hieronymus. Die
kürzere bearbeitung seiner grammatik ist für anfänger, die ausführlichere für fort-
geschrittenere geeignet; sie sind zum Studium der grammatik unentbehrlich. — Wie
das syllabarium auf das abeoedarium so folgt auf Donatus Cato. Es lebten in Born
zu verschiedenen zeiten viele dieses namens. Da er von der person des schulschrift-
stellers nichts sicheres weiss, spricht er von dem Inhalte seiner lehrhaften Sprüche,
die der schüler nicht nur lesen, sondern auch befolgen soU, denn die conectio mo-
rum ist der fructus finalis bei allen autoren. Die Sprüche des Cato (von catus =
ingeniosus) , der seine lehren lieber in kurzen doppelversen als in langatmigen, pedan-
tischen ermahnungen vortragen wolte, sind zu den moralphilosophischen Schriften zu
rechnen. — „Hesopus*^ gibt Eonrad gelegenheit, von den fabeln überhaupt und
dem unterschiede zwischen den äsopischen und den dichtungen des Terentius und
Plautus zu sprechen. Als beispiel der ersteren wird die fabel vom wolf und lamm
angeführt und erläutert, zum vergleiche werden stellen aus der hl. schrift herange-
zogen. — Der vierte Schriftsteller für die untere stufe ist der fabeldichter Avianus,
nach seinem prologe ein Zeitgenosse des Theodosius (den Eonrad augenscheinlich mit
dem im folgenden genanten kaiser für identisch hält), ein nachahmer des Äsop, wie
ÜBER C0NRADÜ8 HIRS. ED. SCHIPSS 269
dieser des Altiinon (Alcmon) Crotonlensis. Doch überragt er beide, da er ein katholischer
Christ und in ungebundener (vgl. Teuffei, Gesch. d. röm. litt. § 450, 5) und gebun-
dener rede wolerfahren ist. Von den fabeln erwähnt er die erste von der femina per-
fida, die dem mönchischen magister die wurzel alles Übels ist, und die zweite von
der testudo, welche er zu einer wegschnecke macht. Dann folgen nutzanwendun-
gen. — Bevor sich nun der autor zu der lektüre für die fortgeschritteneren wendet,
nimt er veranlassung, von den Vorzügen der heUigen Schriften vor den werken der
heidnischen Schriftsteller zu sprechen, und komt dann zu Sedulius (sedulus in lit-
tens ewangelicis) , der nach ihm in Achaia zur zeit des Yalentinianus und Theodosius
lebte. Anfangs weltlicher Weisheit ergeben, hat er, um die Jugend von der beschäf-
tigung mit den heidnischen dichtem zum Studium der hl. schnft zu führen, die
göttlichen wunder des alten imd neuen testamentes in seiner dichtung behandelt.
Auch sein alphabetischer hymnus auf Christus und sein in reoiproken distichen abge-
fasstes Carmen werden genant. — Ihm schliesst sich der spanische presbyter Juven-
cus, ein Zeitgenosse Constantins I., an. Dieser optimus versificator hat sein haupt-
werk in engem anschluss (pene verbum ad verbum transferens) an die evangelien,
besonders an Lukas, geschrieben, denn er weite verbis simplicibus ecclesiae lactare
infantulos. Daher muste er auf mystische auslegungen verzichten, was ihm auch
der grosse umfang des Stoffes gebot. — Dem rechtgläubigen und in den Schriften der
hL Väter wolbewanderten Pros per (sermone scolasticus, assertionibus subtilissimus)
verdanken die tiruncuH scolares eine samlung der Sentenzen Augustins, die der
abwechselung wegen teils in prosa, teils in elegischen versen abgefasst sind. Aus dem
genanten kirchenvater sind auch seine epigrammata geschöpft, doch hat er selbst
auch manche exhortationes hinzugefügt. Er will den leser ermahnen, die weit zu
verachten, die laster zu verabscheuen, die tugenden zu pflegen und die Seligkeit zu
erstreben. Auch seine chronik von der erschaffung des ersten menschen bis zui* ein-
nähme Borns durch Geserich wird nebenbei erwähnt (composuisse dicitur). Er war
ein Aquitanier und lebte zur zeit des papstes Leo, entsagte zulezt seiner schriftstel-
lerischen tätigkeit, seiner gattin (vgl. Teuffei, § 460, 5) und der weit, um sich die
lezte zeit seines lebens den werken der frömmigkeit zu widmen. — Theo dolus, ein
söhn christlicher eitern, wurde in Italien geboren und studierte in Athen. Er will
von den heidnischen lügen abraten und die Wahrheit der hl. schrift empfehlen; daher
heisst er mit recht Theodolus = dei servus oder Theodorus = dei inspector. Seine
ekloge, in der er heidnisches und christliches zusammengefügt und die lüge und die
Wahrheit mit einander streitend dargestelt hat, aufs genaueste zu feilen, ist er durch
den tod verhindert worden. Dass er in dem werte secretum (in v. 320 der ekloge)
die erste silbe kurz braucht, darf jedoch nicht, wie einige wollen, als ein zeichen
von flüchtigkeit angesehen werden, vielmehr ist nach Eonrads koi\jektur an der
betreffenden stelle „et Troianum lauderis scire sacratum^ (sacratum PaUadis simula-
cmm) zu lesen. „Beatus, qui non offendit in verbo**. Auf die frage des Schülers,
was eine ekloge sei, wird ihm geantwortet, das wort bedeute caprinus sermo, entweder
weil die ekloge von hirten handele, wie Virgils bucolica, oder weil sie die hässlichen
laster geissele, durchweiche der bock sich auszeichnet. Nachdem der lehrer auseinan-
dergesezt hat, was man bei der lektüre der gedachten ekloge zu berücksichtigen habe,
wendet er sich zu Arator. Dieser lebte zur zeit des Cassiodorus und Priscianus,
befand sich in dem von den Goten belagerten Rom, wurde vom papst Yirgilius
befreit und zum subdiaconus geweiht Seiner metrischen darstelluug der actus apo-
stolorum schickte er zwei voi'worte an Yirgilius und Florianus voraus. Die dichtung
270 AXAHOP
begint mit der himmelfahrt des herrn und reicht bis zum märtyrertode des Petras
imd Panlus. Im widerspräche mit Eusebius Ittsst er ebenso wie Pmdentias -zwischen
der kreozigiing des ersteren nnd der enthauptong des lezteren ein jähr veistreicheo,
während doch beide apostel an einem und demselben tage unter Nero das martyiium
erlitten haben. Ein solcher irtum ist aber verzeihlich und nicht schwer wiegend bei
einem schriftsteiler, der die rechte gesinnung gegen seinen schöpfer und den wahren
£^ben hat — Den vorher besprochenen autoren ist Prudentius anzuschliessen,
welcher seinen ausgezeichneten, klaren Stil seiner beschäftigung mit weltlicher und
geistlicher litteratur verdankt Er soll aus der landschaft „Traconia^ stammen,
welche nun wegen der schlangen unbewohnbar ist, war dreimal consul und liess sidi
schliesslich taufen. Seine werke werden kurz aufgezählt, worauf der lehrer ausfuhrlicher
auf iohalt und tendenz seiner psychomachia einübt, die sich in seinen händen befindet
Die lebenszeit des autors hat der ver&sser zwar angeben wollen; da ihm jedoch
augenscheinlich darüber nichts bekant war, so hat er eine lücke gelassen (wie spä-
ter auch bei Homer). — Dem Tullius als Prosaschriftsteller ist kaum einer seiner
Vorgänger und nachfolger zu vergleichen. Seine werke de amicitia und de senectute
sind dem Atticus gewidmet, nach welchem sich der schüler erkundigt Nachdem der
lehrer von dem freunde Cioeros und von der veranlassung zur abfassung der beiden
werke gesprochen, geht er auf anordnung und inhalt der erstgenanten schrift ein.
Dabei benuzt er die gelegenheit, von den prologen überhaupt und den 4 arten der
exhortatio (ab utili, ab honesto, a possibili, a neoessario) zu sprechen. Der schü-
ler fragt dann nach den büchem de senectute, „de rhetorica'^ und dem „liber invec-
tivarum'' (aus s. 55, 2 fgg. kann man schliessen, dass die Gatilinarischen reden
gemeint sind), doch wird nur die zuerst genante schrift im folgenden besprochen, wäh-
rend Konrad von den übrigen, sowie von den lebensumständen Cioeros ganz schweigt
Mit recht scheint uns daher E. Voigt in der fieutschen litt.-ztg. 1889, nr. 41 hier
wie an einigen anderen orten eine lücke anzunehmen. — Sallustius, der nach Kon-
rad zur zeit des kaisers Augustus blühte und, abgestossen von den ausschweifungen
seiner jugendgenossen, sich der schriftstellerei widmete, schildert in Catilina und
Jugurtha zwei bösewiohte, von denen der eine innere, der andere äussere kriege
erregte; sie sollen dem leser als abschreckende beispiele dienen. Der gesohichte der
CatiHnarisohen Verschwörung ist ein prologus ezcusatorius praeter rem vorausgeschickt,
dessen unterschied von einem prologus ante rem dem schüler erörtert wird. — Auf
die frage des lezteren, warum denn Boetius, von den römischen sohriflsteUem
ingenio üusundiaque ülustrissimus , der nun ausführlicher behandelt wird, seinem
werke de consolatione philosophiae nicht auch einen prolog vorausgeschickt habe,
wird ihm erwidert, dass der titel des buches mit wenigen werten den zweck eines
solohen erfülle. Doch stehe es nicht fest, ob der titel von Boetius selbst oder von
anderen herrühre. Hierauf werden die namen und titel des Schriftstellers erklärt und
gedeutet, der begriff philosoph definiert und der inhalt der gedachten schrift besprochen.
Dass sie der belege aus der hl. schrift entbehrt, ist darauf zurückzuführen, dass der
Verfasser die bosheit der ungläubigen (Aiianer), unter denen er lebte, berücksichtigte,
teils aber auch darauf, dass er lediglich mit vemunftgründen die weltverachtung
predigen wolte. Sein grab hat Boetius zu Pavia an der seite des hl. Augustinus
gefunden, den er sich in seiner (ihm fälschlich beigelegten) schrift de sancta trinitate
zum vorbilde genommen hat. — Dem Boetius reiht sich würdig Lucanus an, über
dessen Charakter und fähigkeiten Konrad sich sehr anerkennend ausspricht Er blühte
zur zeit Neros, des ramusculus antiohristi, \md hat dessen leben und sitten palliata
ÜBEB OONRIDXTS HIBS. KD. S0HKF8S 271
ütera gegeisseli Er will durch seine geschichte des büi'gerkrieges, der mehr als ein
bdrgerkrieg war, und dessen Ursachen und verlauf kui'z angegeben werden, zum
frieden und zur eintracht ermahnen. — Gelegentlich der besprechung des „Oracius*^,
der nach Eonrad (quelle: Hieronymus) im 57. lebensjahre zu Rom starb, komt der
lehrer auf den wert der weltlichen Schriften für die studirenden überhaupt zu reden.
Ihre Weisheit ist keineswegs ganz zu verwerfen, doch muss man es mit ihnen hal-
ten wie mit dem dill, den man fortwirft, wenn er seine Schuldigkeit als gewürz
getan hat; die beschfiftigung mit weltlicher Wissenschaft darf nicht von den geist-
lichen Studien abziehen. Der dichter hat sich besonderes verdienst erworben diurch
seine ars poetica (die ausführlicher besprochen wird), während die sermones und
odae für die tirunculi eine zwar nicht unnütze, aber doch zum teil verderbliche lek-
türe bilden. Doch dürfen wir aus der vitiosa oratio nicht auf die sitton des autors
schliessen. — Da es so viele gute bücher gibt, braucht man das gold nicht aus den
unflätigen Schriften Ovids herauszusuchen und sich dabei zu beschmutzen. Seine
fasti, de Pento, die (ihm falschlich zugeschriebene) elegie de nuce und einiges andere
sind erträglich, die Schriften, in denen er „de amore croccitat*^, und einige briefe
dagegen unleidlich. Besonders aber werden die metamorphosen als heidnische lügen
verdamt unter hinweis auf Römer 1, 18 — 23. Und doch hat nach met I, 23 der
dichter eine ahnung von dem einigen Schöpfer aller dinge 'gehabt, ohne ihm jedoch
dankbarkeit zu zollen. Trotz seiner entschiedenen abweisung des heidentums hält
aber Eonrad für erlaubt, werte imd gedanken aus heidnischen autoren in kirchlichen
Schriften anzuführen, denn das finden wir auch bei Moses und den propheten, fer-
ner bei Paulus, Augustinus und Hieronymus, und die Wahrheit, bei wem sie sich
auch findet, stamt schliessUch von gott — Yen den übrigen 6 heidnischen Schrift-
stellern, über welche der schüler belehii zu werden wünscht, wird im folgenden
Terentius nicht weiter berücksichtigt, so dass wir hier wohl' mit Voigt a. a. o. eine
lücke anzunehmen haben. — Nach wenigen werten über Juvenalis, den satyricus
optimus Eomanorum, spricht er kurz von Homers liber de excidio Trojae, dann
von dem minor Homerus und Pindaiiis, der den Homer ins lateinische übersezte
(vgl. TeuiTel, § 306, 2), ferner von Persius, der fronte inverecunda die laster der
Römer geisselte, und erläutert bei dieser gelegenheit wort und begriff satire. Es
folgen dann einige bemerkungen über die Thebais und die AchiUeis des Statins,
die von einem und demselben dichter dieses namens veifasst sind, worauf er aus-
führlicher und mit wärme über den lezten der von ihm behandelten autoren, Vir-
gilius, spricht Er ist nach dem Zeugnisse Augustins ein dichter von ausserordent-
licher anziehungskraft und hat, dem humilis, mediocris und grandiloquus stilus ent-
sprechend, drei werke, die bucolica, die georgica und die Aenei's gedichtet, welche
eine integra libei-alium disciplinarum notitia des Verfassers verraten, der als vers-
künstler von niemandem übertroffen wird und sich durch die eigenart seiner darstel-
lung auszeichnet. Darauf wird der Inhalt der bucolica angegeben und bemerkt, dass
sie nicht in allegorischer weise auszulegen sind. Als beispiel ist eoL in, 90 ange-
fühlt, wo der dichter den Bavius und Maevius vei-spottet Dann wird der georgica
gedacht, die magna mediocris stili subtilitete geschrieben sind, und schliesslich bei
der Aeneis versbau und spräche gerühmt, auch hervorgehoben, dass kein dichter,
wenn er von der Wahrheit abzuweichen gezwungen gewesen, offioialius et curialius
gefabelt habe. Nachdem Konrad den geburte- imd sterbeort Yirgils, sowie seine
grabschrift angegeben hat, gedenkt er schliesslich noch der herausgäbe der Aeneis
nach dem tode des Verfassers duixih Varius und Tucca.
272 ALTHOF, ÜBBB 00NBADÜ8 HIB8. KD. 8CHEFS8
Hiermit ist der kreis der s. 67, 33 genanten autoren geschlossen and offenbar
der Imrsas der litteratorgeschichte zu ende geführt Der Übergang zu dem folgenden,
einer belehrung über die artes liberales und die drei teile der philosophie, welche
widerum besonders aus Isidor geschöpft ist, ist allerdings sehr gewaltsam und ent-
spricht nicht der bisherigsn darstellungs weise; daher haben wir wol auch hier eine
lücke anzunehmen. Die schrift zerfalt somit in zwei teile, einen algemeinen, anfang
und schluss, und einen besonderen, welcher die einzelnen Schriftsteller behandelt, und
darauf könte vielleicht die angäbe des Parsimonius (s. 6) sich beziehen, dass das
Didascalon zwei bücher umfasse.
Der spräche Eonrads rühmt Trithemius eine omata sententiarum dispositio et
venusti sermonis cultura nach, ja er spricht lobrednerisch von einer TuUiana elo-
quentia derselben. Allerdings ,, steht sie in woltuendem gegensatze zu so manchem
öden machwerke jener zeit und entbehrt nicht einer gewissen frische und freund-
lichen wärme ^, doch finden sich Verstösse gegen die grammatik, wie sie das mittel-
alterliche latein aufzuweisen pflegt, und die ausdrucksweise ist mitunter etwas weit-
schweifig. Auch fallen öfters widerholungen auf; allein wir haben an die schrift als
an ein lehrbuch nicht lediglich den ästhetischen massstab zu legen, und wenn wir
uns den alten magister im kreise seiner schüler denken, wie er nach dem grund-
satze „repetitio est mater studiorum*^ seinen lehrstoff behandelt, so werden wir diese
umschreibenden erklär ungen wol am platze finden.
Die quellen, aus denen Eonrad schöpfte, sind besonders sogenante accessos-
handschriften, Isidor, Bemhardus Trsg'ectensis, Augustinus, Hieronymus, Boetius,
Servius, Alkuin, Bhabanus Maurus, Abälard und des verfasseiis lehrer Wilhelm,
deren benutzung unter dem in sorgfältiger und schonender weise verbesserten texte
ausführlich nachgewiesen zu haben, ein besonderes verdienst des herausgebers ist
Trotz der benutzung dieser zahlreichen quellen ist die arbeit jedoch keineswegs eine
blosse kompilation, sondern zeugt von umfassenden Studien und selbständigem urteile
des Verfassers. Dabei ist vor allem hervorzuheben, wie er, im gegensatz zu dem
grossen Alkuin, der im alter das Studium des einst so geliebten Yirgil als gefahr-
bringend veixlamte, trotz seines bestimt ausgesprochenen kirchlichen Standpunktes
sich der heidnischen litteratur gegenüber nicht ablehnend verhält, neben entschie-
dener Verwerfung Ovidianischer Schriften anderen Schriftstellern, besonders Yirgil
seine anerkennung nicht versagt und der Wahrheit, wo sie sich auch findet, göttlichen
Ursprung zuerkent
Was seinen pädagogischen Standpunkt betrift, so ist dem mittelalterlichen
Schulmeister die bedeutung der lateinischen klassiker für die formale bildung noch
verschleiert. Auch sollen sie seiner meinung nach nicht um ihrer selbst willen stu-
diert werden, vielmehr sind sie ihm nur mittel zum zwecke. Sie sollen zum Stu-
dium der geistlichen Schriften geschickter machen und deren zweck, absehen vor den
lästern und lust zu den tugenden zu erwecken, erfüllen helfen.
Die art und weise, wie Eonrad seinen lehrstoff behandelt hat, veitüent alles
lob. Um nicht zu ermüden, hat er die theoretischen erörterungen teils vor, teils
hinter die eigentliche litteraturgeschichte gestelt und bei der besprechung der einzel-
nen dichter und deren werke an passender stelle weitere belehrungen über rhetorische,
philosophische und religiöse fragen eingestreut. Die zu behandelnden autoren hat er,
dem Standpunkte der schüler entsprechend vom leichteren zum schwereren fortschrei-
tend, in drei gruppen geteilt und die einzelnen nach den genanten 4 gesichtspunkten,
doch in abwechselnder reihenfolge und mit verschiedener ausführlichkeit behandelt,
ÜBBB YBNÜSelB'rLBIN ED. Y. WALDBBRG 273
auch die Verbindung zwischen den einzelnen abteiluDgen durch immer wechselnde,
meist durch fragen des schülers gebildete Übergänge in geschickter weise herzustellen
verstanden.
So bildet denn dieser vom Verleger sehr hübsch ausgestattete katechismus der
litteraturgeschichte einen wertvollen beitrag zur geschichte des gelehrten Unterrichtes
in den klosterschulen des mittelalters, und wir sind dem sachkundigen herausgeber
für seine fleissige arbeit zu grossem danke verpflichtet.
WmCAB, IM DECEMBER 1890. HEBMANN ALTHOF.
Venus -gärtleio. Ein liederbuch des XVII. Jahrhunderts. Nach dem
drucke von 1656 herausgegeben von Max freihen-n von Waldberg. (Braunes
neudrucke nr. 86—89). Halle, Max Niemeyer. 1890. XLVI u. 220 s. 2,40 m.
Trotz des erfolgreichen eifers, mit dem in Deutschland das sammeln und ^sich-
ten der spuren volkstümlicher lyrik betrieben worden ist und betrieben wii'd, fehlt
es doch bis jezt volständig an einer klaren einsieht über die entwicklung des deut-
schen Volksliedes seit den dreissiger jabren des siebzehnten Jahrhunderts. Diese tat-
sache erklärt sich einmal daraus, dass, wenn auch von den heute noch im volke
gesungenen und in zahlreichen samlungen vorliegenden liedern viele, ja die meisten
dem ausgang dos 17. oder dem beginn des 18. Jahrhunderts ihre entstehung ver-
danken, doch naturgemäss nur wenige leser oder hörer die zeit ihres urspiiinges sofort
richtig zu bestimmen wissen. Andereraeits sind die gedruckten und handschriftlichen
liodersamlungen und einzoldrucke von der zweiton hälfte des 17. Jahrhunderts an
schwer zugänglich und nur wonigen bekant, und von neueren samlungen der Volks-
lieder des 17. und 18. Jahrhunderts ist, genau genommen, nur eine zu verzeichnen.
Man kann es daher nur als wünschenswert bezeichnen, wenn zunächst die lieder-
samlimgen dieser periode wider leicht zugänglich gemacht worden, und muss mit dank
die emeuerung eines für die geschichte des deutschen volksgesanges wichtigen lieder-
buches entgegennehmen, welche M. von Waldberg in dem vorliegenden neudruck
unternommen hat.
Das Yenusgärtlein , von welchem noch drei ausgaben aus den jähren 1656,
1659 und 1661 vorhanden sind, gibt uns eine ungefähre Vorstellung von dem, was
um die mitte des 17. Jahrhunderts in den breiten schichten des Volkes gesungen wor-
den ist, und zeigt uns, welche lieder algemeiner beliebtheit sich erfreuten. Es ent-
hält einige ältere Volkslieder, sehr viele geselschaftslieder und ebenfals sehr viele
erzeugnisse der kunstlyrik des 17. Jahrhunderts. Die leztgenanten hat der herausgeber
alle nachgewiesen, für die anderen lieder mögen hier noch einige nachweise die ein-
leitenden bemerkungen des herausgebers ergänzen.
Nr. 50. S. 65. Wir zweene sind hie alleino in einem fl. bl. von 1616:
Drey Schöne Newe Lieder. Das Erste. Wir Zwey sind hie allein, niemand kan vns
sehen, etc. In seiner eigen Melodie. Das Ander. Mütterlein, was soll ich thun?
Michelein vnsers Nachbarn Sohn, schmatzt mich, etc. Das Dritte. Der Liebste mein
hat mich verlassen, die (sie!) mich hat zum fall gebracht Gedruckt Im Jahr 1616.
(Eönigl. bibl. zu Berlin, Ye 1241.)
In der strophenzahl übereinstimmend. Ich verzeichne die wichtigsten Varian-
ten: I. 1. Wir zwey sind hie allein, n. 2. mit euch zu machen ein red. IE. 3.
wenn mein Mutter kem, vnd den (denn). IV. 1. Nun solt jhr drinnen wachen.
ZBRSOHBm F. DEUTSCHE PHILOLOOIE. BD. XXV. 18
274 ELUIVOIB
lY. 4. hey hey seyd zufrineiL IV. 7. dz bitt ich euoh mein allerliebst liebelein.
y. 1. Warumb dürfft jr diß. V. 6 und 7. bleib stan, bleib stan, bleib stan, schöns
Lieb ich hab zur stund mit euch gethan. YL 1. Ach was sol das gesein. 2. jr thut
mir so grosse pein. 3 u. fg. mir. YII. 1 u. 2. Anders nichts Venus Kind, als was
ewer Mutter benimpt. 6. u. 7. aber acht, gute nacht, ade sohöns Ueb halt mich in
ewer gedacht
Nr. 53, 8. 68. Kehr vmb mein Seel, vnd trawre nicht Ich yermag
Yon diesem liede nur einen späteren druck aus dem jähre 1684 nachzuweisen, der
aber wahrscheinlich ein älteres fliegendes blatt nachdruckt: Vier schöne neue lieder.
(Hierauf folgen die anfange.) Qetruckt im Jahr, 1684. (Königl. bibl. zu Berlin, Ye
5706.) Der druck ist deshalb von so hohem interesse, weil wir aus ihm erfahren,
auf welches ereignis sich unser lied bezieht Das erate: Ein gar trauriges lied. Von
einem Studenten, welcher im Jahre 1606. zu Frankfort an der Oder sich mit einer
Jungfrau verehelichet, und vor der Hochzeit in seine Heimaht gezogen, sein Heu-
rahtgut zu hoUen, und also ein wenig über die zeit aufigebliben, also hat die Braut
(aufi zwang ihrer Eltern) einen, welcher reicher gewesen ist, nemmen müssen, als
aber der erste wider kommen und erfahren, daß die Braut einen anderen yerheurahtet
Als hat er dises lied gemacht, und Abends vor ihrer Thür gesungen und letstlich
sich erstochen. Allen Venus Rinderen zur wahmung füi^gestelt, und in der Melodey:
Nun laßt uns den Leib begraben, usw.
Dieser druck des liedes stimt mit dem Venusgartlein nur im algemeinen über-
ein, im einzelnen finden sich in jeder zeile Tarianten. Da das lied indessen im Vg56,
im fl. bl. 53 Strophen umfasst, so müssen wir es uns versagen, die sämtlichen
abweichungen aufzuzählen. Die Strophen sind in dem einzeldruck an mehreren stel-
len anders angeordnet als im Venusgartlein. Str. 11, 28, 31, 51 und 54 finden sidi
nicht in dem fliegenden blatt, dagegen haben wir in dem einzeldruck zwei Strophen,
welche in dem Venusgartlein nicht enthalten sind. Und zwar nach str. 17 im Vg.
folgendes: Sag nun herzallerliebste mein,
Heißt das nicht recht geliebet seyn?
Weil durch die lieb mein Leib und Leben
Wird schändtlich in den Tod gegeben.
Femer nach str. 47 des Vg:
Und wenn dich dünkt für über seyn,
Die trübe Wölk, all Qual und Pein,
Was du zuvor im Spiegel gsehn,
Wird erst mit rechtem Ernst angehen.
Als zweites lied gibt der einzeldruck eine antwort des mädchens, um dessen
willen sich der Verfasser unsres gedichtes den tod gegeben haben soll. (Das Ander:
Ist die Antwort der Personen, um welcher willen sich der Student erstochen: Im
Thon, Ach, daß ich könt von herzen singen, usw.) Das lied erscheint mir merk-
würdig genug, um es hier mitzuteilen.
Ach höret zu mit klagen,
Ihr Jüngling und Jungfräulein,
Was ich euch jez wil sagen,
In disem Liedelein,
Werd ohn zweiffei gehört han.
Das Lied von einem Studenten,
Der ihm selbs Leid anthan.
ÜBEB YINÜSGÄBILKIN ED. V. WALDBKRa 275
2. Wegen das sich vermählet,
Sein allerliebstes lieb,
Und ein ander erwehlet,
Weil er so lang außblib,
Das bracht ihn in so grosse noht,
Daß er sich selbs erstochen,
Ja ganz yerwundt in Tod.
3. Bin ich doch nicht gewesen.
Die ürsaoh nur allein.
Hat drnm noch nicht vergessen,
Der Treu und liebe sein,
Die ürsach war, weil mir zokam.
Ein falscher Brief, drauf ^ stunde,
Sein Pittschaft und sein Nam'.
4. Darinnen war zu lesen,
loh seit hinfort nunmehr,
Seiner gänzlich vergessen.
Er kam doch nimmer her,
Er het sein lieb gesezet* nun
Auf eine die ihm lieber.
Als aller Welt Reichthum.
5. Als ich den Brief gelesen.
Mit schrecken und grossem Leid,
Wurd mir mein Herz besessen
Mit eitel Traurigkeit,
Mein Herz stets seufzt und klaget sehr,
Ach du Liebster auf Erden,
Seh ich dich nimmermehr.
6. Der Brief hat mich betrogen,
Und ihn gebracht in Tod,
War falsch und alles erlogen,
0 weh des Jammers tmd Noht,
Den Brief doch nur geschrieben hat.
Ein falsches Herz und Hände,
Und mich abwendig gemacht
7. Drauf hab ich mich vermählet.
Ein ganzes Jahr hernach,
Und mir zum Trost erwehlet,
Dem ich vertraut mein klag.
Mein nicht änderst dann alles wahr.
Was mir ward zugeschriben.
War seine Meynung gar.
8. Da er doch oft geschriben.
Ich solt beständig seyn,
1) Text: cUuranf. 2) Text: Namon. 8) Text: gesezt
18*
276 ILUNOKB
Aber wo sind geblieben,
Dieselbig Briefelein,
Keinen ich nie empfimgen hab,
Bezeug ich mit Mond and Herzen,
Bis in mein tranrigs Grab.
9. Wie wahr du nun gesungen,
0 du mein treuster Hort,
Freilich werd ich verdrungen,
Von eim zum andern Ohrt,
Dein Geist der thut mich quelen sehr.
Daß ich kein Bast noch Ruhe,
Ejm haben nimmermehr.
10. Ich schlaffe oder wache,
So komst mir zu Gesicht,
Dein jähmerliche Klage,
Hat kein aufhören nicht,
Dein bleicher Mund, dein töttlich Wund,
Zeigst mir zu allen Zeiten,
Wann dann erst komt die Stund.
11. Daß ich von hin sol scheiden,
Hast du gesungen mir,
Da muß ich erst dann leiden.
Was nicht geschehen hier,
Sol ich dann haben gar kein ruh.
Das muß ja Gott erbarmen.
Das klag ich immer zu.
12. Mein ist doch nicht alleine.
Die Schuld, wie vor gehört,
Dannoch so leid ich Peine,
Weil er sich hat ermördt,
Von meinetwegen mir allein.
Ach Gott, tröst du sein Seele,
und b^hüt mir auch die mein.
13. Diß liedlein hab ich dichtet,
Auß traurigem Gemüht,
Da mit ich mir berichtet,
Daß mich allein verfuhrt,
Das falsche Schreiben, welches mir.
Zukommen und berichtet.
Er komme nimmermehr.
14. Ihr Jüngling und Jungfrauen,
Nemt difi Liedlein in acht,
Und thut nicht allzeit trauen,
So euch wird zugebracht.
Schreiben von eurem lieblein,
Daß ihr nicht werd betrogen,
Und komt in gleiche Pein.
ÜBIB YXNüSGXbILIIN ID. Y. WALDBERG 277
Wenn in dem lied: Kehr umb mein 8eel eine grosse reihe von mfinnem
aus der biblischen geschichte, namentlich aber ans dem klassischen altertom ange-
führt wird, welche die liebe los nnglück gestürzt hat, so ist das ein zng, der dem
geselschaftsliede des endenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts eigentümlich
war\ Yenusgärtlein, s. 71 des Ndr. str. 26 — 31.
Troja das edle Königreich
Geschleiffet war der Erden gleich,
Mancher Fürst vmb die Helenam,
Erbärmlich vmb sein Leben kam.
Julius Cesar, Hannibal,
Tarquinius und Atribai,
Ja Adam, Loth und Salomon,
David, Samson und Absalon.
Dydo die edle Königin,
Ihrs Lebens war ein Mörderin,
Aus Liebes Brunst, die sie gewann,
Zu Enea dem kühnen Mann.
Leonhard (Leander) in dem Meer umbkam.
Da er zu seiner liebsten schwam,
Die Billis sich zu tode weint,
Da sie verlohr jhm liebsten Fi*eund.
Hipos erhencket worden ist,
Bonis erschossen wie man list,
Narcissus durch sein eigen Lieb,
Seins Lebens worden ist ein Dieb.
Acteon ein Jüngling zart,
Von Hunden sein zerrissen ward,
Ynd andere ynzehlich mehr,
Welches lang zu erzehlen wer.
Dazu vgl. man nun ein lied, das in der vorliegenden gestalt zwar nur für das
ausgehende siebzehnte Jahrhundert bezeugt ist, aber in einzelnen teilen sicher bis zu
der wende des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts sich zurückführen lässt:
Vormals hab ich jederzeit das LiebeD ganz veracht (Gantz neuer Hans
guck in die Welt, nr. 77; Zwey neue weltliche Lieder nr. 2. Berliner königl. bibl.;
Jungfern- und Junggesellen -Noth, [Liedersamlung aus d. anf. d. 18. jahrh.] s. 17
fgg.) Str. 5 — 12.
Adam war mit Hohn und Spott,
Durchs erste Weib verführt,
1) Oelegentlich Usst sioh tthnliohes aaoh schon in nnseier älteren littentnr nachweisen; vgl.
Bonen Edelstein, nr. 67, s. 99 der ausgäbe von PfeilFer:
hdr Adam wart ertcBret,
Troje wart zeetosret,
h6r Sampson wart erUendet,
hdr Salomon geschendet,
der tdt man wart erhenket.
Die lexte seile spielt anf die matrone ron Ephesos an.
278 BxnreiB
Und die beiden Töchter Loih,
Unwissent er berührt,
Da sie giengn zum Freuden -tantz,
Yerlohren sie den Jungfer -Krantz,
Das bringt die Leffeley,
Yanitatnm Yanitas, ist lauter Fantasey.
Mopsus war ein grober TropfF,
Er nahm sich doch ein Weib,
Debore schor Simsons-Kopff,
Und bracht ihn um sein Leib,
Jacob diente Yiertzehn Jahr,
Um eine Jungfer, das ist war,
Warn das nicht Jecken drey,
Yanitatum Yan. usw.
David war ein frommer Mann,
Ein Mann nach Gottes Hertz,
Dennoch gieng er tapfer dran,
Und liebte Frauen- schertz,
Häts gekost sein Königreich,
Oalt es ihm doch alles gleich,
Noch bleibet er dabey,
Yanitatum Yan. usw.
Salomon ein weiser Mann,
Wie die SchrifR; von ihm zeugt.
Er grieff vielen Weibern dran
Und beugte seinen Leib,
Tausend Weiber eins so viel,
War das nicht ein Yenus- Spiel,
Doch bleibet er dabey,
Yanitatum, Yan. usw.
Ti-oja wer zerstörte dich?
Nur eine schöne Frau,
nion brennt jämmerlich.
Der Welt -berühmte Bau,
Doch damit ist nichts gethan,
Mancher Held mufi auch daran,
Das macht die Jauckeley,
Yanitatum Yan. usw.
Der Römer ihre Tapfferkeit,
Gehöret auch hieher.
Da Leander sehwinmien wolt
Zur Liebsten übers Meer,
Er versang und gieng zu Grund,
Ward auch sehr in Lieb verwund,
Yersohiede mit Gesohrey,
Yanitatum Yan. usw.
ÜBKR YBNÜSGABXLEIN KD. V. WALDBESa 279
IngibuB erhenket sieh,
Und starb gleich wie ein Dieb,
Tronius starb jämmerlich
Wol umb sein feines Lieb,
Priovis und Disputein,
Sind nicht kommen an den Beihn,
Das macht die Leffeley,
Yanitatatom Yan. usw.
Als Narcissus in den Wald,
Zu einem Brunnen kam.
Da vergaß der Narr sein bald,
Sah wie er war gestallt,
Daß er sich auch vor Unlust,
Sich selbst lieb gewinnen must,
0 lieb ihm das verzeih,
Vanitatum Yan. usw.
Diese art von berufung auf Vorgänge aus dem altertum oder der biblischen
geschichte ist dann auch in das neuere Volkslied übergegangen; doch werden hier
meist nur die tatsachen aus der bibel beibehalten, und reminiscenzen aus dem klas-
sischen altertum tauchen nur vereinzelt auf. Man vgl. Nicolai, feyn. kleyn. Alma-
nach n, 24, eine ausführlichere fassung bei Ditfurth, Yolks- und geselschaftslieder
des 17. und 18. iahrhunderts, s. 55 fg. und mehrfach in fliegenden blättern, so z. b.
Sieben schöne neue weltliche lieder nr. 3 (K. bibl. Berl. Yd 7909) in 14 Strophen,
auch meine ausgäbe des El. f. a., bd. II s. 76. Femer das gedieht Kl. f. a. 11, 15,
eine bessere fassung in meiner ausgäbe, bd. II s. 73 ^., wo nach der berufung auf
das Unglück, in das die liebe Adam, Salomo, Simsen und Holofemes gestürzt hat,
auch der Helena gedacht wird, die den brand Trojas veranlasst hat (Str. 7.) Ygl.
femer das aus dem anfange des 18. Jahrhunderts stammende lied: Leiden, Freuden
ist ein ungleiches Paar (Acht neue arien, nr. 8. Königl. bibl. zu Berlin, Yd 7901,
bd. 1), str. 4 und 5.
Holofemes, David und Salomon,
Diese drey die Wissens ja schon;
Als Holofemes ans Lieben gedacht.
Hat ihn die Judith ums Leben gebracht
Wie auch Simsen, der groß und starke Held,
Wurde durch Lieben ins Elend gestellt.
Als er der Delila alles vertraut,
Hat sie ihm alle seine Stärke beraubt
Die biblischen beispiele tauchen auch in liedem auf, die die liebe preisen; so
in dem lied: Lieben ist meine Lust, Lieben ergötzt die Brust (Sechs schöne Nagel-
neue Weltliche Lieder, nr. 2. Kgl. bibl. Berlin, Yd 7909), str. 2:
Adam hat so gethan, Isaac fieng gleichfaUs an,
Jacob und andre mehr waren verliebt,
David hat so geherzt, Salomon so gescherzt,
Und sich in brennenden Flammen geübt
Man sieht, wie das neuere Volkslied elemento aus dem geselschaftelied des
17. Jahrhunderts aufhimt, aber dieselben volständig umbildet, so dass der gelehrte
280 SLZJNGIB
aufputz des geselschaftsliedes ganz in dem volkstümlichen geiste aufgeht. Wenn
man die entstehungsgeschichte des neueren Volksliedes betrachtet, so muss num auf
diesen Zusammenhang zwischen dem älteren geselschaftslied und dem neueren Volks-
lied besonders achten, da sich aus ihm manche lehrreiche resultate ergeben.
Die verwantschaft des liedes: Kehr vmb mein Seel vnnd trawre nicht
mit dem unter nr. 105 im Yg. mitgeteilten gedieht: Phöbus dein instrument
8. 145 fgg. scheint dem herm herausgeber nicht aufgefallen zu sein. Und doch kann
wol bium ein zweifei darüber obwalten, dass eines der beiden lieder durch das
andere beeinflusst worden ist Das ergibt sich nicht allein daraus, dass auch in dem
zulezt genanten liede beruf ungen auf klassische gestalten widerkehren, denen die
liebe den tod gebracht hat, (vgl. str. 26. Pyramus aus liebes -Trieb, vmb Thisbe
ließ den Leib, vnnd Troilus, ersterben muß, vmb sein verlohmen Leib.) sondern audi
aus dem umstände, dass ähnliche gedanken in beiden liedem zum teil mit den glei-
chen Worten ausgedrückt sind, man vgl. nr. 53, str. 42 mit nr. 105, str. 30; ferner
53, 54 mit 105, 31. Welches von den beiden liedem später entstanden ist, wird
sich schwer entscheiden lassen.
Nr. 63. Das Yoigtländer'sche lied: Ich habe offt vor vielen Jahren ist
auch in beträchtlich geküraten einzeldrucken verbreitet worden: Drey Weltliche Newe
Lieder. Im Jahr 1646. (Berlin kgl. bibl. Ye 1650), nr. 3 enthalt von den 30 Stro-
phen des gediohtes nur sieben, nämlich str. 1 — 3, worauf sich in folgender reihen-
folge anschliessen str. 27, 6, 30, 25.
Nr. 64. Ach ich armes Mägdlein klage. Über die nachwirkung dieses
VoigÜänder'schen liedes ist jezt auf meine ausgäbe der Komödien und harlekinsspiele
Christian Beuters, Braunes neudrucke, nr. 90 und 91, s. XIU zu verweisen.
Nr. 65. Zu YoigÜänders lied: Eine reiche Magd hat Matz sei darauf hin-
gewiesen, dass der Aminta der englischen komödianten unmöglich durch YoigÜänder
beeinflusst sein kann, denn die von dem herausgeber in seinem buch: Benaissance-
lyrik, s. 192 fg. angezogenen werte aus dem Aminta finden sich genau schon ebenso
in der samlung der englischen komödianten von 1630. Will man eine gegenseitige
beeinflussung aimehmen, so würde Yoigtländer von dem volksdrama abhängig sein.
Das wahrscheinlichste aber wird dies sein, dass das witzwort schon früher vorhan-
den war.
Nr. 69. Frölich ist man im Früeling im Garten. Ein sehr abweichen-
der druck von 1618 in der königl. bibliothek zu Berlin: Ein schön newes und kuitz-
weyliges Lied, zuvor nie in Track außgangen, au£F die zwölff Monat gericht d Frö-
lich ist man im Früling, im usw. In seiner eignen Melodey zusingen. (Darunter
ein titelbild.) d Gedruckt zuAugspurg, durch Johann Ylrich Schönig. 1618. Yel301.
Str. 1 im Yg. stimt mit kleinen abweichungen mit der ersten strophe des flie-
genden blattes überein. Hierauf folgen in dem einzeldruck folgende drei gesetze, die
im Yg. fehlen:
Mertz.
Dann der Mertzen dem Erdtrioh das leben,
Wirdt safiFt und krafft wider geben,
Thüt vns nach Fruchtbarkeit streben.
Die Gärten werden schön zugerichtet,
Die der traurig Winter vernichtet,
Ynd der Pflfig zum Acker gerichtet
tBlB VBirUSGÄBILBIN ED. Y. WALDBEBG 281
Aprill.
Im Aprill sich eröfibet die Erden,
Die Dämpff daiauß gelassen werden,
Die Efilden bringts nimmer ins Gefrörte,
Die Bäben und Bäum werden gestatzet,
Die Yelder gar schön gebatzet,
Das es dem Menschen sehr nutzet.
May.
In dem Mayen gar gesund ist das baden,
Wol leben die Gelehrten und Bäthen,
Seine Gesellen seit einer auch laden,
Ertzenay, Purgieren, Aderlassen,
All langkweil und traurigkeit hassen,
Ynd fein lustig sein aller massen.
Hierauf folgt str. 2 des Yg. mit manchen abweichenden lesarten, worauf sich
widerum drei im Yg. fehlende gesetze anschliessen:
Junij.
Der Jun^ läßt sich vememmen,
Wirdt Hew ynd Korn schneyden bald lemen,
Darauff rieht man die Pöden und Thennen,
Die Hewwägen werden herför gesetzt.
Die Sichel zum Schnitt gewetzt,
Die Baum zu der Arbeit angehetzt.
Julij.
In dem Julg mit Bechen und Gabeln,
Legt man das Hew auff den wagen.
Das sie Hitz ynd durst nit plagen,
Darumben sie sich auff den Morgen,
Mit Flttrioh yol Wasser yersorgen.
Man saufft das kein Würth mehr will borgen.
AugustL
Im Augusto wann geschnitten ist das Eom,
Ynd alle Wysen beschom.
So sieht man kein Arbeyt yerlom,
Die Bäum yoll Frucht werden gefunden.
Die Fässer zum Wein gebunden,
Das soll yns er&'ewen all stunden.
Die str. 3 dos Yg., welche dann folgt, gebe ich ebenfals in der fassung des
einzeldruckes, da diese beträchtliche abweichungen im ausdruck aufweist; die Stro-
phen über die drei herbstmonate fehlen widerum im Yg.
Herbst.
Frölich ist man im Herbst bey dem Beben,
Die Wein ynd Tranck yon sich geben.
Zu erquioknng das (sie!) Menschlich leben,
In dem wald sich die Hörnlein erhöUen,
282 ELLXNaSB
Wann der Jäger sampt seinoD Gesellen,
Thüt ein Instigs feins Jagen anstellea.
September.
Im September das Obst wird abbrocket,
Krammetvögel vnd Lorohen gelocket,
Yil ander Vögel werden geropffet,
Man th6t schon ablesen die Böben,
Die den lieblichen Most von sich geben,
Der mit lost wird getnmcken dameben.
Ootober.
Der October gibt Wein vber die massen,
Daromb pflegt man zn zechen vnd prassen.
In Würtshänssem anff gassen ynd Strassen,
Die Wärme vnd Sommer will weichen.
Die Kälten wlrdt hereiner streichen,
Danunb thüt euch mit holtz wolbereichen.
November.
Im Noaember der Baum Kirchtag verschwinden,
Vnd lassen sich d'Gänß noch finden.
Das wir noch ein frewdt haben könden,
Die Kältin th&t zimblich herstreichen,
Vnd kommen die kalten Beiffen,
Der Winter wii'dt vns angreiffen.
Str. 4 des Yg. stimt dann mit der nächsten Strophe des einzeldmcks überein,
doch widerom mit starken abweichungen, so lauten in dem fl. bL z. 4 — 6: Die Bäume
am Walde sich entferben -— Die Bletter daran thun verderben — Alle Blümlein im
Garten damit sterben. Dann zwei im Yg. nicht vorhandene Strophen:
Deoember.
Ln December der trawrig Wintter,
Der wird uns dem nach desto ringer.
Wann wir schlagen faist Schwein und Rinder,
Mit Brotwurst und Schweinen Braten,
Da erfüllen wir vnsere Zährgaden,
Die Keller mit Wein wol beladen.
Januar.
Im Januar man kein Holtz soll sparen.
Die Stuben vor Kälten bewaren,
Ist auch lustig im Schlitten vmbfahren.
Ein warme Stuben thüt weyt das beste,
Darinn holt man vil Malzeyt vnd Feste,
Sein fein lustig und frölich die Gäste.
Leider fehlt die lezte seite des einzeldrucks, welche, wie aus dem umwende-
vermerk hervorgeht, noch eine den februar behandelnde Strophe und dann wahr-
scheinlich die zwei Schlussstrophen, mit Yg. str. 5 und 6 übereinstimmend, enthielt
Fragt man nach dem Verhältnis der beiden fassungen zu einander, so scheint die hier
ÜBBB YBNITBGAKILIIN BD. Y. WALDBXBG 283
indergegebene die ältere za sein, aus der dann die im Vg. vorliegende version erst
durch zusammenziehung entstanden wäre. An poetischem wert hat das lied durch
die ausstossung der gesetze über die einzelnen monate entschieden gewonnen.
Nr. 81. S. 122. Warumb thustu mich kränoken in einem 11. bl. der
königL bibl. zu Berlin: Drey Weltliche Newe Lieder. Das Erste, Warumb thustu
mich krencken, Amor du (titelbild). Das Ander, Der Liebste mein hat mich verlas-
sen, der mich | Das Dritte, Betrübe dich doch nicht so gar, nimb selber | Im Jahr
1646. Yel656. Einen andern einzeldruck citiert Ditfurth, Volks- und geselschafts-
lieder, des 17. und 18. Jahrhunderts s. 3. Der Berliner druck stimt mit ganz gerin-
gen abweiohungen mit dem Yg. überein.
Nr. 107. Viel Trawren in meinem Hertzen in einem fl. bl. der königl.
bibL zu Berlin: Drey Weltliche Newe Lieder. Im Jahr 1645. Ye 1611, nr. 1 im
wesentlichen mit dem Yg. übereinstimmend, die abweiohungen sind ganz unbedeu-
tend, die wichtigste str. 2, z. 1 Yg.: a£fectioniret, ü. bl.: inamoriret.
Nr. 109. S. 150. Joseph liebster Joseph mein. Einzeldruck der königl.
bibL zu Berlin: Drey Schöne newe Weltliche Lieder. Gedruckt im Jahr, 1615. Ye
1221. Nr. 3. Das lied umfasst in dem fl. bl. nur neun Strophen, während es im Yg.
deren zwölf zählt, und zwar fehlen str. 6, 8 und 10. Die abweiohungen sind nicht
erwähnenswert
Nr. 114. S. 158. Mein Hertz ist mir in der Lieb entzündt in einem
fl. bl. der königl. bibL zu Berlin: Yier Schöne Newe Lieder. Gedruckt zu Magde-
burgk. Ye 816,.nr. 3 im wesentlichen mit dem Yg. gleichlautend.
Das Yonusgärtlein kann in der geschichte des doutschen Volksliedes sorgfältige
berücksichtigung deshalb beanspruchen, weil es uns zeigt, wie es mit dem lieder-
bestand um die mitte des siebzehnten Jahrhunderts bestelt war und was wirklich
gesungen worden ist. Es sind verhältnismässig wenige Volkslieder aus dem sechzehn-
ten Jahrhundert, die damals sich noch algemeiner gunst zu erfreuen hatten; neben
liedem, die von bekanten Verfassern, wie Simon Dach, Bist, Finckelthaus, Greflin-
ger herrühren (83 lieder unter 169, wobei ich die stücke Yoigtländers, von denen
gleich die rede sein wird, nicht mitzähle) gehöii dib gröste zahl der anderen gedichte
dem geselschaftslied an. Ein teil derselben stamt, wie die nachweise zeigen, aus der
zeit, in welcher das eigentliche geselschaftslied zu einer art von blute gekommen ist,
d. h. aus dem endenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert Ein andrer teil dage-
gen reicht schwerlich viel weiter als etwa in die vierziger jähre des 17. Jahrhunderts
zurück. Yei^leichen wir nun diese lieder mit den stücken des älteren geselschafts-
liedes, so muss der vergleich unzweifelhaft zu gunsten des lezteren ausfallen. Alle
schlechten eigenschaften, die das ältere geselschaftslied besass, sind geblieben; von
den guten Seiten desselben haben sich die meisten verloren. Das geselschaftslied,
wie es uns aus Hof&nanns vortreflicher samlung entgegenüitt, zeichnet sich durch
eine Zierlichkeit und anmut, gewantheit in spräche und oomposition und eine treu-
herzige altfränkische naivetät aus, die ihm namentlich in einzelnen erzählenden stücken
vortreflich zu gesiebte steht Es geht ihm ab die tiefe des gefühls, wie sie uns aus
dem Volkslied des fünfzehnten und aus der ersten hälfte des sechzehnten Jahrhun-
derts entgegentritt; der ton ist prosaischer, verstandesmässiger, nüchterner, ja, wenn
man das wort nicht mis verstehen will, spiessbürgerlicher geworden. Dieser ton stei-
gert sich nun im laufe des siebzehnten Jahrhunderts; dazu komt, dass auch die
guten eigenschaften, welche dem älteran geselschaftsliede eignen, almählich verloren
284 BLUNeiB
geben. An die stelle der Zierlichkeit tritt rohheit, die gewantheit in compositioD und
Sprache verschwindet In diesem zustande treffen wir das geselschaftslied in der
zeit, in der das Yenusgärtlein entstanden ist, und ein teil der in dieser samlung mit-
geteilten stücke legt von dieser herontergekommenheit des geselschaftsliedes zengnis
ab. Der rechte repräsentant dieses Stadiums des geselschaftsliedes ist Gabriel Yoi^-
länder, der mit seinen plumpen und hölzernen liedem einen ausserordentlich grossen
erfolg errang. Man kann es daher nur als einen fortschritt bezeichnen, dass dieser
plumpen Produktion gegenüber lieder von kunstdichtem, die in einer verhältnismässig
gebildeten spräche auch zarteren empfindungen ausdruck gaben, in auihahme kamen
und, wie das Yenusgärtlein (s. o.) und viele einzeldrucke beweisen, häufig und gern
gesungen wurden. Nur aus dieser Verbreitung der kunstmässigen lieder im volk ist
der grosse einfluss zu erklären, den die lyrische kunstdichtung des 17. Jahrhunderts
auf die entstehung des neueren Volksliedes ausgeübt hat Diese einwirkung ist ent-
schieden eine woltuende gewesen; einzelne ihr nicht angemessene demente, wie z. b.
die horübemahme des so beliebten daktylischen metrums in das Volkslied, hat die
Volksdichtung mit sicherem takte schnell wider ausgestossen. Wer diese beeinflus-
sung des neueren Volksliedes durch die kunstdichtung auch in der vorliegenden sam-
lung mit bänden greifen will, der braucht nur einmal Görings adschiedslied, s. 16 fg.
mit den volkstümlichen abschiedsliedem , wie sie seit dem beginne des 18. Jahrhun-
derts aufkamen, zu vergleichen: die verwantschaft in empfindungs- und stimmungs-
gehalt, ton und motiven springt auf der stelle in die äugen.
Eine andere frage ist, ob sich in dem Yenusgärtlein schon die anfönge des
neueren Volksliedes nachweisen lassen. Diese frage ist, wenn wir den gesamtinhalt
des buches betrachten, entschieden zu verneinen. Der typus desselben ist im wesent-
lichen kunstdichtung und geselschaftslied in vergröbertem zustande, dazu wenige
bruchstücke aus den älteren Volksliedern der beiden vorigen Jahrhunderte. Das waren
die lieder, die das volk damals sang Das Yenusgärtlein gibt uns, wie die gleich-
zeitigen einzeldrucke bestätigen, ein volkommen zutreffendes bild von dem zustand
des volksgesanges um 1650, wenn es auch natürlich nicht alle damals gesungenen
lieder umfassi Aber die keime des neueren Volksliedes zeigen sich doch bereits,
wenn auch nur ganz vereinzelt. So wird in dem s. XYII fg. mitgeteilten lied bereits
ein ton angeschlagen, der dann im neueren volksliede weiter ausgebildet worden ist
Femer vgl. man das valetUed s. 10. Besonders wichtig ist in dieser beziehung das
lied s. 138 Ein Hirschlein gieng im grünen Wald, der erste vorklang der jäger-
romantik, die nachher einen so bezeichnenden zug des neueren Volksliedes ausmacht
Aber diese ganz vereinzelten spuren wollen gegenüber der gewaltigen menge der
anderen lieder nichts besagen; und wenn auch hin und wider ein vorklang der
gefühlsweichheit, die namentlich für das liebeslied des neueren Volksliedes cha-
rakteristisch ist, auftaucht, so erinnert es doch mehr an die gleichzeitige religiöse
dichtung, die ihrerseits ja auch wider vom volks- und geselschaftsUede gelernt hat
Es mag bei dieser gelegenheit darauf hingewiesen werden, dass Schefflers schönes
lied: Psyche die verliebte Seele offenbar von dem liede Yenusgärtlein, s. 58 fg.:
Duo mein hochbetrübter Sinn beeinfiusst worden ist Man vgl. str. 10 und 11
des liedes:
Darumb jhr Hirten gute Nacht,
Ihr Wälder drinnen Echo wacht,
Ihr Myrthen, Bösen, lalgen, Klee,
Thaal, Berge, Wiesen, Muß, Ade.
ÜBKB YINüSeABILIIR SD. Y. WALDBIBG 285
Da auch 0 Doris leb in Buh,
Doch schließ den harten Sinn nicht zu^
LaB deiner Augen Thrfinen-Baoh,
Mir zu dem Orabe folgen nach.
und Scheffler, Heilige Seelenlust (Breslau 1657), buch lY, nr. 6, s. 29 fgg., str. 2
^d 3"- Gute Nacht, jhr grüne Matten,
Gute Nacht du bundtes Feld:
Gute Nacht jhr kühle Schatten,
Sprach sie, und du gantze Welt:
Gute Nacht du süsser Bach,
Denn ich folge Jesu nach.
Gute Nacht jhr Schäfferinnen,
Meiner Nachbarn liebe Schaar:
Lebet wohl, muß von hinnen,
Und euch lassen gantz und gar:
Gute Nacht jhr Sch&ffelein,
Und was mich gekönt erfreun^
Auch in dem Neu weltlichen Liederbüchlein finden sich nur wenige
Yorklilnge des neueren Tolksliedes. Die samlung, die etwa um 1680 anzusetzen ist,
zeigt freilich ein anderes aussehen auf als das Yenusgärtlein. Neben den kunstdich-
tem, zu denen jezt auch noch Schoch hinzukömt, finden wir eine reihe von wüsten
zotenHedem mit den widerwärtigsten Zweideutigkeiten, eine gattung, die gegen das
ende dee 17. Jahrhunderts grosser beliobtheit sich erfreut haben muss. Daneben eine
reihe von geselschaftSliodem, auch einzelne kriegslieder. Dass wir uos bereits nicht
mehr in einer so unproduktiven periode befinden wie zur zeit der abfassung des
Yenusgärtieins zeigt der merkwürdig individuelle, und trotz mancher harte in der
Sprache zu herzen gehende ton des liedes: Frisch auff mein Gemüht, bedaure
nicht. Schlag alles in den Wind (nr. 71). Aber von dem ton des neueren
Volksliedes ist hier noch nichts zu spüren; dieser zeigt sich ziemlich ausgebildet nur
in einem lied der samlung: Ach wer ist doch so selig als ich bin, Der ich
nicht mehr darff lieben wie vorhin. Yolständig ausgebildet begegnet uns
indessen das neuere Volkslied erst in den samlungen, die um die wende des sieb-
zehnten und achtzehnten Jahrhunderts gedruckt worden sind, dem Tugendhaften
Jungfrauen- und Jungen-Gesellen Zeit-Yertreiber und dem Gatnz neuen
Hans guck in die Welt, beide entschieden um ein oder zwei Jahrzehnte jünger
als das Neu weltliche Liederbüchlein. Ein lied wie das in dem Gantz neuen Hans-
guck in die Welt nr. 79 mitgeteilte: „Ach Gott, wie kann es möglich sein, dass ich
soll lassen die Liebste mein'^ zeigt schon durchaus den wehmütig -sentimentalen ton,
durch den sich das neuere volkstümliche liebeslied so eigentümlich von dem älteren
1) Vgl. aach Jakob Schwinger, Liebes-grillen, Hambuig 1666. III, 18:
Der gohte-Naoht sagende:
Onhte Naofat, ihr sohSne Wieseal
Qiihte Nacht du Lust Revier,
loh moM Absohied nehmen hihr
Und ein fremdes Land erkiesen.
Chihte Nacht gehabt each wol
TTnd lebt hoher Fireoden vol.
286 lOBGILLDr
abhebt. Natürlich stehen in beiden samlungen diese zeichen eines neuen erbluliens
der Yolkspoesie noch unter Tielerlei älteren und minderwertigen stücken; aber trotzdem
ISsst es sich doch deutlich erkennen, dass der charakteristische ton des neueren rolks-
liedes bereits zum durchbruche gekommen ist Ebenso wie die einzeldrucke wird
eine eindringende Untersuchung der herkunft der heute noch im voIke lebenden lie-
der weisen uns also auch die liedersamlungen auf die wende des 17. und 18. Jahr-
hunderts als auf die zeit hin, in der die für das neuere Volkslied entscheidenden
Züge gefunden und ausgebildet worden sind. Freilich müssen auch die etwas spfiter
gedruckten liedersamlungen noch mit hinzugezogen werden, so vor allem das Berg-
liederbüchlein, welches keineswegs, wie ühland meinte, sehr alte und weit zurück-
gehende lieder enthält, sondern im wesentlichen den liederbestand um 1700 repiS-
sentiert
Die fra^ nach der entstehung des neueren Volksliedes ist bis jezt trotz der
Wichtigkeit des gegenständes immer flüchtig nur berührt, und vorsuche zu ihrer
lösung sind kaum gemacht worden. Ich glaube, dass, wenn auch im einzelnen nodi
manches dunkel ist, die oben gegebenen gesamtanschauungen das richtige treffen.
Sobald meine Studien über diesen gegenständ volständig zum abschlusse gekommen
sind, werde ich den verauch machen, die firage in einem grosseren zusammenhange
zu beantworten.
BUtLHI. eiOBG KLUKOXB.
MISCELLEN.
Gardinenwiese.
In meiner heimatstadt Quedlinburg liegt zwischen dem Wiperti-ldoster und
dem schlossberge ein stück land, das den namen der ,, Gar diu en wiese '^ führt.
Zulezt hat über diese bezeichnung Oberlehrer dr. Rudolf Kohlmann in der festschrift
zur feier des 350jährigen bestehens des Quedlinburger gymnasiums (Quedlinburg, druck
von Carl Yoges 1890, s. 10) gehandelt, der neben der landläufigen erklärung aus
dem frz. jardin auch die Vermutung Brechts in den erläuterungen vor dem 2. bände
des urkundenbuches der stadt Quedlinburg, bearbeitet von E. Janicke s. XCI: ,i Gar-
dinen-wiese, d. i. wol Cortinen- oder Wall wiese*' abgelehnt hat
Zunächst ist zu bemerken, dass wir in der Quedlinburger bezeidinung eine
volksetymologische umdeutung des flumamens Gartine, Gärtine haben, der in
dieser form aus Könnern an der unteren Saale beigebracht ist (s. DWb. 4, 1418) in
einer gerichtlichen anzeige, in der ein bäuerliches grundstück feilgeboten ward,
bestehend in einem husche, einer gartine auf der Pernener mark und
12 morgen aoker. Femer führt Yilmar im idiotikon von Eurhessen s. 117 aus
Niederhessen die bezeichnungen: „In der Gärthine^\ „in der obersten Oärikine*"^
„in der Breitengarthine^ ; „in denen Qärthifien^ an. Kohlmann sieht in der bezeich-
nung mit dem deutschen wörterbuche eine Weiterbildung von garten in der bedeu-
tung „umzäuntes landstück*^. Allein es ist klar, dass diese bezeichnung eine zu
algemeine ist, als dass sie zu einer speoiellen flurbezeichnung hätte werden können.
Ich möchte deshalb vielmehr auf das alte niederdeutsche femininum jart, jardtf jar-
den verweisen, über das die herausgeber dos Mittelniederdeutschen Wörterbuchs bd. 2,
s. 401 bemerken: „Es ist ohne zweifei das fries. ierde, aits. gerde, engl, yard, rute
NKUB xBsamaiffxjNQKif 287
oder messrute gemeint, die von Terschiedener grosse ist Nach der aussage von land-
leaten ans Zwisohenahn (im Ammerlande bei Oldenburg) verstellt man nnter Jarthen
oder Varyarthen ,wendeäoker'', d. h. landstreifen auf den eschen, auf denen der pflüg
umwendet, die daher nicht eher besamt werden dürfen, als bis die hinter ihnen
liegenden stücke besamt sind*^. Ebenda wird erwähnt, dass das wort noch im Olden-
burgischen zur bezeichnung von länderstüoken gebräuchlich ist, z. b. iun^ard,
twi^ahrte, Dobiakrten, wie es sich denn appellativisch auch in einer Oldenburger
Urkunde von 1496 findet: üem ene stucke, heten de dorp iaren, dat buwet Ey-
lere, 1 sehepel komes, Dass das westphSÜsche und hessische garde, gerde, in dri-
gerde, vifgerde usw., von denen gardine, gärdine (mit dem ton auf der zweiten
Silbe) regelrechte Weiterbildungen sind, dasselbe wort ist, ist ebendaselbst richtig
bemerkt Yilmars meinung, dass gart aus qtMrt entstelt sei, wird mit redit als
völlig unhaltbar hingestelt; aber audi gegen Hildebrands (DWb. 5, s. 1392 und Woe-
Btes (Ztschr. des bergischen geschichtsvereins 1872 s. 183) erklamng, die es Bxdgart,
garten, zäun, umzäuntes land zurückführen wollen, wird zurückgewiesen. «Dagegen
spricht das verschiedene genus und die bestirnte Unterscheidung (wenigstens im Old.)
zwischen garden und jart, sowie sachlich der umstand, dass jart, fals es ein teil
eines esches ist, niemals eingehegt gewesen sein kann, weü die esche, im gegensatz
zu dem eingehegten Sondereigentum, immer offen waren''.
ROBXHIQC. B. SPBBMQIB.
NEUE ERSCHEINIINGEN.
B5ttleher, O. und Kinzel, K«, Denkmäler der älteren deutschen litteratur
für den litteraturgeschichtlichen Unterricht I, 3: Nibelungenlied. YI und 170s.
1,20 m. rV, 1: Litteratur des 17. Jahrhunderts, ausgewählt und erläutert
X und 130 s. Im. Halle, buchhandlung des Waisenhauses. 1892.
Bndtnialer, prof. dr., Goethecult und Goethephilologie. Eine Streitschrift.
Tübingen 1892 (in oomm. bei G. Fock, Leipzig). lY und 120 s. 2,50 m.
Der Verfasser hat durch seine Geschichte der poetischen theorie und kritik
von den disoursen der maier bis auf Lessing (Frauenfeld 1888. 89) bewiesen,
dass es ihm weder an litteraturkentnis noch an geist fehlt In der vorliegenden
Streitschrift zeigt er auch einen lebhaften und stellenweise drastischen schwä-
bischen witz; aber von dem fein abgeklärten und selbst bei scharfer sachlicher
gegnerschaft stets liebenswürdigen humor, den Fr. Yischer bei behandlung der-
selben fragen anzuwenden wüste, bleibt dieser witz sehr weit entfernt Neben
manchem beachtenswerten enthält die schrifb auch rasche und schiefe urteile; vor
allem ist einzuwenden, dass fast alle männer, die der verfiAsser wegen ihres über-
triebenen Goethecultus speciell angreift, in demselben bei weitem nicht in dem
masse befangen waren und sind, wie herr Braitmaier durch citieren einzelner
äusserungen (oder auch ohne citat) glaublich machen wilL Die lebenden mögen
selber für sich reden, wenn es ihnen in diesem falle der mühe wert erscheint;
aber gegen angriffe auf einen verstorbenen sollen auch hier einige werte gesagt
sein. Wie kann herr Braitmaier s. 38 von einer abneigung Scherers gegen Schil-
ler reden? Hat er niemals die Charakteristik desselben in Scherers litteratnr-
geschichte s. 581 — 613 gelesen, die allein schon zeigt, wie viel verwantschaft mit
Schillers geiste in Scherer selbst lag? Goethes werke hat er bewxmdert und analy-
288 NAOHRIGHnK
siert', Schiller war er selbst oongenial, soweit dies ein forscher des neunzehnten
Jahrhunderts einem denlcer und dichter des achtzehnten Jahrhunderts nur sein
kann. Wie komt femer herr Braitmaier dazu, die bezeichnung ^^Durchsduiits-
wiener* s. 37 fg. mit bezug auf Scherer zu gebrauchen, der — so lange er in Wien
wirkte und noch später — gerade gegen die mit dieser benennung von herm
Braitmaier gemeinten schwächen des phäakentumes und des mangels an nationa-
lem selbstbewustsein mit aller kraft gekämpft hat (vgl. z. b. Yortriige und aufiBitze ^
s. 146. 192; vgl den schluss der Utteratnrgeschiohtel)? Wie kann endlich heir
Braitmaier mit bezug auf die erwähnten schwächen sagen, dass Scherer für die
,1 weiblichen** Perioden der litteraturgeschiohte gegenüber den „männlichen* ge-
schwärmt habe? Die bezeichnendste äusserung Scherers bei der au&tellung jener
geistvollen antithese ist (QFI2, 2): „der rühm frauenhafter zelten ist ihi-e gerech-
tigkeit, ihre duldsamkeit, ihre anerkennung des gegners*^. Herr Braitmaier frei-
lich scheint einer solchen epoche nicht entsprossen zu sein, o. x.
Die Hvenisehe ehronik in diplomatischem abdruck nach der Stockholmer handschrift
nebst den Zeugnissen Yedels und Stephanius und den Hvenischen volksubeiliefe-
rungen herausgegeben von Otto Lvltpolt Jireecek. (Sonderabdruck aus Acta
Germanica III, 2.) Berlin, Mayer & Müller. 1892. XYII, 39 s. 1,80 m.
Kelle^ Joh«, Geschichte der deutschen litteratur von der ältesten zeit Ins
zur mitte des elften Jahrhunderts. Berlin, W. Hertz. 1892. 435 s. 8 m.
Poesehel) Job., Die sogenante inversion nach und, Anregung zu einer sprach-
geschichtlichen Untersuchung. [Einladungsschrift der landesschule Grinmia am
24. septbr. 1891.] Grimma, G. GenseL 13 s. 4. 0,75 m.
Von der gründlich angelegten und schaifsinnig unterscheidenden Unter-
suchung enthält dieses programm leider nur den ersten abschnitt Sobald die
volständige ausgäbe, welche der Verfasser vorbereitet, erschienen ist, soll sie in
dieser Zeitschrift ausführlich besprochen werden.
Beieke, Job., Zu J. Chr. Gottscheds lehrjahren auf der Eönigsberger
Universität I. Eönigsberger diss. 1892 [auch abgedruckt Altpreussische monats-
schrift XXIX, 1. 2; der 11. teil wird in derselben Zeitschrift erscheinen]. 34 s.
Wessely, B«, Über den gebrauch der casus in Albrechts von Eyb deut-
schen Schriften unter vergieichung des mhd. und nhd. Sprachgebrauches. Ber-
lin, diss. 1892. 58 s.
Der Verfasser hat nicht nur fleissig gesammelt, sondern auch die verschie-
denen gebrauchsweisen der obliquen casus sorgfältig gesondert und nicht ohne
scharfisinn übersichtlich dargestelt
NACHRICHTEN.
Der ao. professor dr. B. Seuffert in Graz wurde zum Ordinarius emast
Der privatdocent dr. Friedrich Kauf f mann in Marburg ist als ao. professor
für germanische philologie an die Universität Halle berufen; dr. Ernst Elster in
lieipzig ist zum ao. professor für deutsche spräche und litteratur emant
Herr dr. Albert Eöster (zulezt in Hamburg) ist als ao. professor für neuere
deutsche spräche und litteratur an die imiversität Marburg berufen; ebenso prof. dr.
Berthold Li tz mann von Jena zum 1. Oktober an die Universität Bonn.
Halle a. S., Buchdrackerei des Waisonhausee.
ÜBER GOETHES BRUCHSTÜCKE DES GEDICHTES
„DER EWIGE JUDE".
Wie arg die Ooetheforschung in die irre gerät, wenn sie ohne
Steuer und kompass sich dem meere der einfalle überlässt, zeigen neuer-
dings wider Paul Hoffmanns „Untersuchungen über Goethes ewigen Juden"
in Seufferts „Vierteljahrschrift '^ (IV, 116 — 152). Sie bedarf einer auf
alseitiger, durch Übung gereifter kentnis der mittel, welcher die Unter-
suchung zu erfolgreicher Wirksamkeit sich bedienen muss; einer mit
liebevoller soigfalt den spuren der dichtung folgenden, von inniger
Vertrautheit mit des dichters fühlen, denken, leben und streben getra-
genen anschauung; eines besonnenen, alle umstände erwägenden, durch
keinen augenblicklichen schein zu bestechenden urteils und voller
beherschung des weit verbreiteten gebietes, aus dem jederzeit das ent-
sprechende dem forscher zur Verfügung stehen muss. Ganz besonders
erweisen sich diese Vorbedingungen als nötig, wo es sich um ergüsse
von Goethes jugenddrang handelt, deren Verständnis dem alternden
dichter selbst längst verloren gegangen war, so dass seine eigenen
äusserungen aus den beiden lezten Jahrzehnten seines lebens nichts
weniger als den Stempel urkundlicher Wahrheit tragen. Hof&nann fasst
die Untersuchung am unrechten ende an, häuft übereilte Schlüsse auf-
einander, sucht das zu entdecken, was klar ausgesprochen vorliegt,
und findet schliesslich das gerade gegenteil.
Gtehen wir zunächst auf den hauptpunkt ein, in welchem Hof&nann
von der bisherigen meinung abweichen zu müssen glaubt Er sezt
die dichtung des bruchstückes in das frühjahr 1775 statt in den vor-
hergehenden Sommer. Hierzu gelangt er auf eigentümlichem wege:
er sucht zunächst die Stimmung zu entdecken, aus welcher die bruch-
stücke geflossen seien, sucht sodann nachzuweisen, zu welcher zeit
diese Stimmung bei Goethe geherscht, und da er so glücklich ist, diese
auf eine kurze zeitstrecke zu beschränken, so hat er sein ziel erreicht.
Hoffmann findet in der dichtung „erbitterung und hohn^ gegenüber
den Vertretern der kirche, und besonders der protestantischen geistlich-
keit; angriffe gegen den katholicismus fehlten, weil dieser Goethe frem-
der gewesen als das wirken der protestantischen lehre. Und doch wird
ZDfSCHRIFT F. DRUTSGHK PHILOLOOIB. BD. XXY. 19
kt
290 DÜNTZKR
der katholicismus gehörig gestreift in v. 201 fgg.; denn dort werden
die katholischen länder als diejenigen bezeichnet, ,,wo man so viele
kreuze hat, und man für lautiBr kreuz und christ ihn eben und sein
kreuz vergisst^. Manche protestantische und auch katholische geistliche
schäzte Goethe persönlich sehr hoch, sein Unwille galt nur den hersch-
süchtigen, das Christentum zu ihren weltlichen zwecken ausbeutenden
herren der kirche. Gegen den protestantismus, wie er geworden,
wante er sich, weil dieser sich rühmte die kirche gereinigt zu haben;
wogegen er bedauern muste, dass auch die reformation nichts gebes-
sert, nur den pfafFen haus und hof genommen habe, um wider p&ffen
hineinzupflanzen, die freUich weniger grimassen machen, aber desto
mehr schwatzen (277 — 281). Die Protestanten, bei denen Christus nur
noch auf den kirchfahnen, den Windfahnen, vorkomme, hätten freilich
den Sauerteig ausgescheuert; aber auch von der religion des herzens
sei wenig übrig geblieben. Und so fuhrt er uns diese bloss auf ein
möglichst angenehmes leben und eine neue hierarchie gerichtete geist-
lichkeit in den köstlichen bildem eines „geistlichen schafes^ (213 — 226)
und eines im konvent herschenden „oberpfarrers" (229 — 233. 286 —
293) leibhaft vor. Daneben hören wir, dass nirgendwo eine spur von
Christi lehren zu finden sei (235 — 240); und wie wenig man vom evan-
gelium wisse, wird mit recht ergötzlicher laune dadurch gezeigt, dass
bei der torwache, wo man die namen der ein- und ausgehenden auf-
schreibt, niemand des Heilands evangelische bezeichnung als „des
menschen sohn*^ versteht Das ist heiterster humor, nicht verbissene
Verhöhnung. Christus selbst staunt, dass die sitliche besserung, die er
mit seiner lehre bezweckt hat, nirgendwo erscheine, vielmehr alle bösen
leidenschaften in voller blute stehen, sein geist der liebe und des wol-
tuns verweht sei (173 — 200); was der dichter selbst vorher mit derbem
ausdrücken bezeichnet hat (165 — 172). Es war Goethes innerste Über-
zeugung, dass das Christentum die reine lehre seines gründers auf das
ärgste verunstaltet habe, keineswegs ein ausfluss der Verbitterung und
des hasses, wie uns Hoffinann gern einreden möchte. Das aufßUligste
scheint Hof&nann der „cynische ton^, in welchem in unsem bruch-
stücken von der gottheit die rede sei, besonders im gespräche von
Gott vater mit seinem lieben söhne (97 — 112). Dieses ist freilich in
sehr humoristischem tone gehalten, und die scharfe laune über das auf
die gottheit unwürdig angewante menschliche familienverhältnis lässt
sich nicht verkennen. Hoffinann selbst ist freilich weit entfernt, die
launige dichtung zu verstehen, nach welcher Gott vater darüber auf-
gebracht ist, dass sein die menschen heilender söhn, statt auf die erde
GOETHXS VWIGEB JÜDS 291
seine äugen za richten, nach einem weit entfernten steme geeilt ist,
um einem weihe in seiner not beizustehen; er muss ihn rufen, weil
es auf der erde eben übel zugeht Wenn Goethe sich auch die
TermenschUchung der gottheit sonst wol zurechtzulegen wüste (obgleich
ihm die freilich würdig gehaltene darstellung in Klopstocks „Messias^
nicht ganz behagte und die vergröberung derselben in der Vorstellung
mancher geistlichen und besonders des volks, bei der hohen geistigen Ver-
ehrung, mit der ihn selbst die gottheit erfiilte, äusserst misfallen muste)
so erklärt es sich doch leicht, wie bei dem einmal angeschlagenen
launigen tone sein drastischer spott gerade dieses Verhältnis traf.
Übrigens gehören diese verse zu den spätem bruchstücken, die ihm
von zeit zu zeit einfielen; ursprünglich und kurz hintereinander gedich-
tet waren nur die drei stücke 1—72, 116—200 und 201—297. Wie
er beim „ Faust ^ von dem gespräch mit Wagner gleich zur belehrung
des Studenten durch Mephisto und dann zu der geachichte mit Gret-
chen übersprang, so hier von der ersten einführung des ewigen Juden,
noch ehe er der beziehungen desselben zum heilande gedacht hatte,
zur widerkunft des herm nach dreitausend jähren, und dann mit vor-
läufiger übergehung der katholischen länder zum besuche der prote-
stantischen. Goethe war längst entschiedener freidenker; denn es ist
ein seltsamer irtum, wenn Hoffinann (s. 150), durch Goethes darstel-
lung im fünfzehnten buche von „Wahrheit und dichtung^ verleitet,
sich denkt, erst im jähre 1774 habe er sich von der brüdergemeinde
getrent.
Aus diesem „cynischen tone^, der hier eigentlich gar nicht herscht,
aber (bezeichnend für den Charakter der ganzen dichtung) schon in der
einleitung frisch und frei hervorbricht, macht Hoffmann einen schluss,
der ihn recht weit führt, aber dafür auch kein schluss, sondern ein
sprang ist Dieser ton „habe offenbar seinen grund in einer Stim-
mung, in der Goethe an der Vorsehung wie an der menschheit und
sich selbst nicht verzweifelte, aber zweifelte''. Fragen wir nach einem
diese behauptung nur irgend vertretenden gründe, so hören wir: „Dass
sich dazwischen wider stellen von wahrer Innigkeit, namentlich von
fronuner Verehrung des heilandes finden, wie vor allem in der antwort
Gbiisti: ,Du fühlst nicht' usw. (133 fgg^)', beweist das schwankende
im empfinden und denken des dichters. Schroffer können sich gegen-
sätze nicht gegenüberstehen als die cynisch gehaltene rede Gott vaters
und diese antwort" Aber die verse 113 fgg. sind nichts weniger als
antwort auf die rede des vaters 108 — 112, worauf sie nicht passen;
beide steUen gehören zu verschiedenen bruchstücken, und die zweite
19*
292 DÜNTZEB
sezt eine andere, nicht ausgeführte rede des vaters Yoraus, in der er
sich nicht über des sohnes teilnähme an bedrängten (d. i. leidenden,
wie das 105 fg. erwähnte weib), sondern über sein miÜeid mit Sün-
dern, die ängstlich um rettung flehen, ausgesprochen haben muss.
Solcher wegen hatte der vater den söhn gerufen. Die betreffenden
versa dürften kaum ganz gleichzeitig mit 97 — 112, sondern erst
nach einiger zeit gedichtet sein, wofür auch das ganz abweichende
versmass zu zeugen scheint; denn nur hier haben wir sechsfussige,
früher vier- oder fünffüssige, unter die sich durch blosses versehen
zweimal (76 und 77) in einem andern bruchstück ein sechsfossiger
verirte, aber nicht unmittelbar hinter einander in einem reimpaar.
Doch hiervon abgesehen, wie könte es vom schwanken des empfindens
und denkens des dichters zeugen, wenn er zwei verschiedene per-
sonen auch in verschiedenem tone sprechen lässt? und der ton des
vaters ist keineswegs „cynisch^; er ist nur „ganz angebrachte, wie
der dichter ausdrücklich sagt, und er spricht in dem einem ernsten
vater einem jungen söhne gegenüber nicht zu verübelnden tone: „Das
hast du dumm gemacht*' (das war ein dummer streich). Alles dies ist
freilich mit keckem, fast Lucianischem tone hingeworfen; selbst dass
der heiland auf einem weit entfernten steme einer gebärenden beisteht,
ist eine kecke, übermütige dichtung, die Ooethe, hätte er das gedieht
wirklich ausgeführt, wol fallen gelassen haben würde, da 97 — 112, ja
auch 113 fgg. kaum zu der mit 116 beginnenden widerkunft stimmen
dürften , die ja eine andere veranlassung vorauszusetzen scheint Jedes-
fals ist es der entschiedenste irtum, wenn Hoffinann aus diesen von
ihm nicht verstandenen versen, die nicht derselben zeit wie die drei
grossem stücke anzugehören scheinen, ein schwanken im empfinden
und denken findet und die schro&ten gegensätze in Goethes eignem
geiste daraus herleitet Aber auch hiermit ist er noch nicht am ziele.
Ganz unvermittelt wagt er den lezten sprung: „Goethe muss zu jener
zeit innerlich aufs schwerste gelitten haben. ^ Solte daraus, dass Goetiie
den vater und den söhn in verschiedenem tone sprechen lässt, sich
ergeben, dass dieser innerlich au6 schwerste gelitten habe, wie unse-
lig müsten erst die dramatiker sein, welche die allerverschiedensten
Charaktere, ihr gefühl und ihr ganzes wesen lebendig, oft in höchster
aufregung, auszuprägen verpflichtet sind!
Trotz allem glaubt HoSmann wirklich drei „merkmale^ erwiesen
zu haben, aus denen sich Goethes Stimmung bei der dichtung der
bruchstücke ergebe. 1. „Hass gegen die geistlichkeit, so weit sie nicht
dem ideale des christlichen laien entspricht^ (Yielmehr spottet er der
eOBTHBS BWieEB JUDE 293
geistlichkeit, deren leben ein höhn auf die gemütliche lehre des Stifters
des Christentums sei.) 2. ^Zweifel an sich, der menschheit und, nach
dem cynischen tone zu schliessen, an Gott". (Jeder beweis daför fehlt;
dass Goethe an den gott der christlichen Offenbarung nicht geglaubt, ist
gewiss, ergibt sich aber keineswegs aus dem spotte des dichters über
die durchaus verweltlichte Vorstellung von Gott vater.) 3. „Wechsel
von solchen bittern Stimmungen und inniger hingäbe, und zwar in
ein und demselben gedichte, ja im selben teile des gedichts". (Wie
seltsam es mit dieser behauptung stehe, haben wir gesehen.) Diese
wilkürlich erschlossene Stimmung, „die bitterkeit gegen die menschheit
und die gottheit selbst, die innere Zerrissenheit des dichters", wird nun
mit gewohnter raschheit zum beweise misbraucht, die einzige zeit, in
welcher die bruchstücke gedichtet sein könten, sei das frühjahr 1775.
Zu keiner zeit hat unsem dichter das vertrauen auf ein über ihm wal-
tendes Schicksal, eine weise, auf unergründlichen wegen ihn leitende
Vorsehung verlassen, wenn er auch über die art, wie die menschen
sich dieses unsichtbare und unfassbare wesen denken, wol scherzen
mochte: wie er sich zu diesem grossen unbekanten verhielt, hat er
in der zeit seines titanischen Jugenddranges seinen Faust aussprechen las-
sen. Wenn Fritz Stolberg, was HofEmann nicht erwähnt, ihm einen
„titanenkampf gegen seinen gott" zuschrieb, ja berichtete, im november
oder december 1775 habe er ihm von riesengeistem gesprochen, die
sich auch den ewigen geoffenbarten Wahrheiten nicht beugten, so gehört
dies zu den leidenschaftlichen entstellungen des bildes seines Wolfgang,
womit er den treulosen abfall von diesem vor sich selbst zu bemänteln
suchte, da er sich den glauben an eine gottheit nicht vorstellen konte,
ohne die drei personen der christlichen Offenbarung; während es zur
zeit viele wahrhaft fromme freidenker gab, denen Lavaters „entweder
Christ oder atheist" ein greuel beschränktester Unduldsamkeit war.
Welche Widerwärtigkeiten ihm auch in seinem, dem naturdrange unab-
lässig folgenden', von mancherlei leidenschaften umgetriebenen leben
bereitet waren, er vertraute seinem Schicksale, dass es ihn recht führe,
und verehrte es gläubig, wie schwer es ihm auch zuweilen fiel. Was
Hofi&nann zum beweise „einer religiösen Wandlung und bittersten Ver-
stimmung" in den ersten monaten des jahres 1775 aus seinen briefen
herausreisst, erscheint in ganz anderer beleuchtung, wenn man es im
zusammenhange und in Verbindung mit seinem damaligen leben betrach-
tet, dabei auch sein dichterisches schaffen nicht ausser acht lässt, das
mit einer Verzweiflung an sich, der menschheit und Gott ganz unverein-
bar ist. Das ausheben einzehier äusserungen aus des dichters wunderbar
294 DÜNTZEB
wechselndem, von mancherlei tiefgreifenden Verhältnissen bewegtem, oft
wild stürmischem, dann wider sich beruhigendem und heiterm leben
ist eine leere Spiegelfechterei. Hätte Hoffmann auf der suche nach
äusserungen, die seinem Vorurteile günstig schienen, Goethes Seelen-
leben in den monaten märz und april, wie es trotz aUer lückenhaftig-
keit im algemeinen klar vorliegt, reiflich erwogen, er würde gefunden
haben, dass dieser bei allen Verworrenheiten und aller ihn umtreiben-
den Unruhe nie das vertrauen auf seine gute natur und ein ihm gewo-
genes Schicksal verloren hat. Man nehme nur die äusserung an die
gräfin Auguste Stolberg: „Mir ists wider eine zeit her für wol und
wehe, dass ich nicht weiss, ob ich auf der weit bin, und da ist mirs
doch, als war' ich im himmel." Wie könte ein an Gott und weit ver-
zweifelnder, ein in sich zerrissener sich so aussprechen? Doch wozu
einzehies hervorheben, wo das hin- und herwogen der innigsten gefuhle
von lust und leid so ergreifend vorliegt? Seltsam genug bringt Hoff-
mann es nicht zu einer festen Zeitbestimmung von Goethes „höchstem
innem leiden^; freilich sezt er es s. 145 in den mai, aber sonst spricht
er vom „spätem frül^ahr''. Die merkwürdige Veränderung seiner Stim-
mung durch die im lezten drittel des april plötzlich erfolgte geheime
Verlobung erwähnt er mit keinem werte. Und doch ist es unzweifel-
haft, dass des dichters unruhe vor dieser am stärksten war, er darauf
das glück des bräutigams kurze zeit genoss, bis dieses durch die Stel-
lung, welche die famiUe der braut gegen ihn und seine eitern einnahm,
getrübt wurde, so dass er bald daran dachte, eine Verbindung, die das
gehofte familienglück nicht verspreche, ganz aufzugeben. Zunächst
fasste er den entschluss, seine Schwester in Emmendingen zu besuchen,
um sich zu vergewissem, ob er Lili entbehren könne. In dieser zeit,
vor der ankunft der grafen Stolberg, wahrscheinlich am zweiten Bücke-
buiger posttage des monats, am 6. mai (später war er von der anwe-
senheit der grafen zu sehr in ansprach genommen), scheint der brief
an Herder geschrieben, aus dem Hoffmann kapital schlagen möchte.
Er begint mit gefasster rahe: „Mir gehts wie dir, lieber bruder. Mei-
nen bauen spiel' ich wider die wand [versuche, was ich vermag] und
federballen mit den weibem [unterhalte mich mit frauenzimmem].
Dem hafen häuslicher glückseligkeit und festem fuss in wahrem leid
u&d freud der erde [die ihm die ehe zu geben versprach] wähnt' ich vor
kurzem näher zu kommen , bin aber auf eine leidige weise wider hinaus
ins weite meer geworfen.^ Am Schlüsse heisst es: „Ich tanze auf dem
drahte, fatum congenitum [das mitgeborene Schicksal] genant, mein
leben so weg! Yon meiner frescomalerei wirst ehstens sehen [„Erwin
eOBIUBS XWIOBB JUDE 295
und Elmire^], wo du dich ärgern wirst, gut gefühlte natur neben
scheuslichem locus communis zu sehen. Fiat voluntas! [Ein
freundlicher wünsch, nicht im evangelischen sinne.] ^ Und doch ver-
wendet Hoffinann eben diesen brief als beweis, dass damals Goethes
inneres leiden den höchsten grad erreicht habe; denn er zeige hier
„Verachtung des menschen und der christlichen lehre, und zum min-
desten nichtachtung gegen die gottheit selbst^. Von alle dem findet
sich nichts, nur entschiedener Unglaube an die christliche Offenbarung
und das gefühl menschlicher beschränktheit Herder hatte ihm seine
beiden neuesten christlichen Schriften „Erläuterungen zum neuen testa-
ment^ und „Briefe zweener brüder Jesu^ (Jacobus und Judas) gesant,
worin ihn dessen gefühlvolle behandlung fesselte. Die ganze lehre von
Christo schien ihm nur ein scheinding, das ihn als menschen, als ein-
geschränktes bedürftiges ding rasend mache; doch so behandelt, werde
ihm alles, auch gott oder teufel, lieb, da er darin eiaen ewig gleichen
bruder, den menschen erkenne, der freilich bald gott, bald wurm, bald
narr sei. Hof&nann scheint zu meinen, erst jezt sei Goethes Unglaube
an die christliche Offenbarung durchgebrochen, es sei bei ihm eine „alge-
meine innere Umwälzung^ eingetreten, die Goethe in „das tiefste see-
lische leiden^ gestürzt, dessen vornehmster grund wol „das schwaDkende
und unleidliche seines Verhältnisses zu lili^ gewesen. Kante er denn
nicht das berühmte bekentnis im briefe an Ffenninger vom 26. april
1774, das viel schärfer und bestirnter als die äusserung an Herder
ist! Und selbst Jacobis gattin macht er aus seinem Unglauben kein
geheinmis: ob ihre buben an Ohrist oder an Götz oder an Hamlet
glaubten, das sei alles eins, ruft er zwei monate früher aus; nur an
etwas müsten sie glauben, da, wer an nichts glaube, an sich selber
verzweifle. Und an welches höhere wesen er glaubte, wüste er sehr
bestimt; an diesem, an sich selbst und den menschen verzweifelte er
nicht, am wenigsten damals, wie sehr er auch um Lili litt Yon jenem
völligen Unglauben an Gott, von innerer Zerrissenheit und menschen-
verachtung zeigt sich bei Goethe nie eine spui*; und am wenigsten
kann man einen solchen verzweifelten zustand im frühjahr 1775 nach-
weisen, wenn er auch im april zunächst durch die ungewissheit seines
yerhältnisses zu lili und manches andere, wie durch Wagners spot-
schrift „Prometheus^ und Jacobis misverständnis seiner „Stella^, in
Unruhe versezt wurde. In das ende des monats falt gar seine Verlobung,
die ihn nur sehr kurze zeit beglückte, da wol schon in den ersten
tagen des mai der widerstand von lilis &milie hervortrat In dieser
zeit, am 3. mai, schrieb er an Knebels Schwester, der er nicht ver-
296 DÜNTZKB
raten durfte, was ihn quälte, er „lebe, wie immer, in strudele! und
unmässigkeit des Vergnügens und schmerzens^. Ist es schon auffallend,
dass Hoffmann keinen bestimten Zeitpunkt für das bruchstück festzu-
setzen vermag, um so erstaunlicher scheint es, wenn er kurzweg, indem
er zwischen dem plan und dem beginn der ausführung eine längere zeit
vergehen lässt, s. 150 erklärt: „Der plan selbst falt in die zeit der tren-
nung von der brüdergemeinde, also ins jähr 1774, das firagment aber
in der hauptsache in den spät&ühling 1775. Beide fliessen aus einer
quelle, dem deutschen Volksbuch. Aber während der entwuif aus reli-
giösen zweifeln hervorgieng [an diesen litt Goethe damals nicht, er
war längst fest entschieden, wie wir gezeigt haben] und eine ernste
dichtung beabsichtigte, wich das fragment infolge eines Umschwunges
der Stimmung von dem plane ab in der behandlung des Stoffes und
in seinem ganzen ton.^ Da haben wir ja ganz neue aufsteilungen, die
zu beweisen nicht die geringste anstalt gemacht wird. Dass die tren-
nung von der brüdergemeinde in das jähr 1774 versezt wird, yrider-
spricht allem, was wir sonst wissen. Erinnerte sich denn Hoffmann
nicht einer der bekantesten tatsachen, dass Eestner schon im november
1772 schrieb, Ooethe gehe nicht in die kirche, auch nicht zum abend-
mahle, bete selten, weil er dazu nicht lügner genug zu sein behaupte,
habe aber vor der christlichen religion alle hochachtung, nur nicht in
der gestalt, wie sie unsere theologen vorstelten! Und doch behauptet
Hoffmann, der dichter habe sich erst 1774 von der brüdeiigemeinde
getrent, ja sein „Ewiger Jude" sei der geheime absagebrief von dieser.
Wer den anfang des gedichts mit Verständnis liest, der muss sich sagen,
dass hier kein länger gehegter und gepflegter entwurf zu gründe liege,
noch weniger ein früherer ganz umgeworfen worden, sondern dass die
dichtung mit reissender gewalt aus der seele fliesse. Und schon der
dritte vers bohrt alle aufsteilungen Hoffmanns in den grund; denn ein
zerrissener, an nichts glaubender, Gott, weit und sich verachtender
mensch ist das gerade gegenteil von dem, was Goethe hier von sich
sagt: „Nie war mein busen seelenvoller."
Auch der wideraufiiahme des planes der dichtung auf der fahrt
über die Apenninen im Oktober 1786 gedenkt Hofimann, wobei er mit
recht von dem tagebuchbericht an frau von Stein ausgeht: „Heute [am
22. Oktober] früh sass ich ganz still im wagen [mit einem päpsÜidien
officier, dessen geselschaft ihm „von vielem nutzen war"] und habe
den plan zu dem grossen gedieht der ankunft des herrn oder dem
ewigen Juden recht ausgedacht" Er bemerkt aber nicht, dass sich
aus der art der einführung ergibt, frau von Stein müsse von diesem
00BIHI8 BWIQEB JT7DS 297
plane gewusst haben, und eine Veranlassung, gegen die freundin des-
selben zu gedenken, ergibt sich leicht, wenn es auch jedesfals zwei-
felhaft bleibt, ob in die abschrift seiner ungedruckten werke, die er
dieser im jähre 1781 verehrte, auch die bruchstücke des gedichtes auf-
genommen waren. Das grosse mystische gedieht „Die geheimnisse^,
von dem Goethe in den jähren 1784 und 85 unter ihrer wärmsten, ihn
drängenden teilnähme eine bedeutende anzahl stanzen schuf, muste, da
es auf die Verschiedenheit der religionen sich bezog, auch die rede auf
seine Jugenddichtung bringen, in der er die arge entartung des gemüt-
lichen Urchristentums mit scharfer laune getroffen hatte. Schon damals
dürfte er auch die Schlussentwicklung des Zusammentreffens des zur
erde zurückgekehrten heilands mit dem ewigen Juden naher bedacht
haben, mochte er auch noch nicht zum entschlusse gekommen sein,
wo diese statfinden solle. So wäre es leicht zu begreifen, wie er auf
dem wege nach Bom gegen frau von Stein dieses plans unter der
bezeichnung der „ankunft des herm oder des ewigen Juden ^ als eines
bekanten gedenken konte. Die ausführung, welche Qoethe im jähre
1814 in der „Italienischen reise^ der kurzen stelle des tagebuchs gab,
darf eben so wenig auf Zuverlässigkeit anspruch machen als die dort
firei ausgeführten plane der „Iphigenie in Delphi** und der „Nausikaa** ;
es fehlten Goethe ältere aufzeichnungen, so dass er die lücken seines
gedächtnisses frei ergänzen muste. Im vorigen jähre hatte er im fünf-
zehnten buche von „Wahrheit und dichtung" eine gleichfals durchaus
freie darsteUung des anfangs des gedichtes bis zu dem augenblick ent-
worfen, wo der Jude, betroffen vom fluche des heüandes, von „unruhe
und Sehnsucht" zu seiner Wanderung sich getrieben fühlt. „Von die-
ser*', schloss er „und von dem ereignis, wodurch das gedieht zwar
geendigt, aber nicht abgeschlossen wird, vielleicht ein andermal" Man
darf zweifeln, dass ihm damals vorgeschwebt habe, was er 1814 in
der „Italienischen reise" mit einer deutlich vorliegenden zeitverschie-
bung über die katastrophe des gedichtes frei ergänzte. Das tagebuch
hatte des planes am 22. Oktober gedacht, dann am 27. eines priesters,
der seit der entfemung des päpstlichen officiers in seinem wagen platz
genommen. Dies veranlasste ihn mit der freiheit, welche die bearbei-
tung der „Italienischen reise" auch sonst zeigt, das brüten über den
plan des gedichtes um fünf tage zu verschieben und es mit der anwe-
senheit des priesters und der nähe Roms in Verbindung zu bringen.
So heisst es denn jezt: „Dem mittelpunkte des katholicismus sich
nähernd, von katholiken umgeben, mit einem priester in eine sedie ein-
gespert", habe er lebhaft empfunden, welch ein barockes heidentum
298
heute auf den gemütlichen anfangen des Christentums laste. Da sei
ihm denn der ewige Jude wider eingefallen, der einen so wunderlichen
zustand erlebte, dass Christus selbst, als er zurückkomme, in gefiihr
gerate, zum zweiten mal gekreuzigt zu werden. „Jene legende: Yenio
iterum crucifigi, solte mir bei dieser katastrophe zum stoff di^ien*^,
schliesst er etwas seltsam. Nur in sehr entfernter weise hätte dieses
wort des heilandes an Petrus, der durch die flucht sich der Verfolgung
wegen seiner lehre entziehen wolte, hier anwendung finden können,
wie ich dies schon früher bemerkt habe. Auch Hof&nann erkent das;
aber er hilft sich mit der leeren Vermutung, Goethe habe von der
legende nur jene werte gekant, „in der bedeutung, wie er sie selbst
verwenden will*'. Aber nicht von jenen werten ist die rede, sondern
von der legende, die durch das Stichwort kurz bezeichnet wird. Noch
schlimmer als diese misdeutung ist es, wenn Hoflbnann nicht weiss,
dass Ooethe sich auch noch in Rom mit der sage beschäftigte. Schmidt
hat (Schriften der Ooethegeselschaft 11 , 396) aus einem römischen
notizhefte die werte mitgeteilt: „Ewger J(ude). P(ius) YL Schönster
der menschenkinder [als solcher erscheint Christus immer]. Neid. Will
ihn einsperren, ihn nicht weglassen, wie ihn [den papst] der kaiser [wäh-
rend der anwesenheit de spapstes in Wien, wie die sage gieng]. | Staats-
gef(angen) im Vatikan behalten. | al Geeu [kloster in Bom]. Jesuitentross.
Lob des ungerechten haushalters.*' Das dürfte denn doch Hoffinanns an-
sieht zuwiderlaufen, in Italien habe Ooethe „ein strenges und keusches
kunstwerk*' in seüiem „Ewigen Juden** beabsichtigt Auch Schmidt
denkt, „ein neues stilvolleres gedieht** habe die bruchstücke in knittel-
telversen verdrängen sollen. Ooethe bedachte damals wol nur den
abschluss der Wanderung durch das erscheinen des heilands, ohne ernst-
liche absieht, das gedieht neu auszufiihren. HofQnann bezieht sich
auch auf das nach Riemer im jähre 1808 von Ooethe beabsiditigte
gedieht „Maran Atha oder der herr komt**. Oanz unbekant scheint es
ihm dabei geblieben zu sein, dass eine schrift Herders von 1779, wel-
che dieser selbst für sein meisterstück erklärte, den titel „Maran Atha.
Das buch von der Zukunft des herm** führte. In dieser neuen bear-
beitung der „Offenbarung**, die Ooethe mit anteil las, behauptete Her-
der, die „Offenbarung*^, an deren abfassung durch Johannes er festhielt,
enthalte das wesen des Christentums und der Weltgeschichte und beruhe
auf dem gedanken, nur auf den trümmem eines so verfallenen reiches
könne das wahre reich gottes erscheinen. Ooethe scheint eine dich-
terische darstellung dieser widerkunft des herm augenblicklich im sinne
gehabt zu haben, wobei wol an sein zusammentreffen mit dem ewigen
OOIIHIS IWIGBB JÜDB 299
Juden, das nicht notwendig zu dieser gehört, kaum gedacht war.
Vielleicht war er dazu gekommen durch von Sonnenbergs Überspantes
gedieht „Donatoa oder das weitende^, das nach dessen tode von Oru-
ber herausgegeben worden war. Ooethe schenkte dasselbe Weihnachten
1806 der frau von Stein.
Ganz unbegreiflich ist es, wie Hoffinann aus einem gedichte, das,
wie der anfang auf das unzweideutigste dartut, der ausfluss übermütig-
ster laune und überschäumender schaffungskraft ist, die bitterste yer-
zweiflung an Oott imd weit und die furchtbarste Zerrissenheit heraus-
lesen konte. In kräftigstem tone hören wir den launigen sänger rer-
künden, sein dichterischer drang lasse ihn nicht ruhen, es treibe ihn
nachts aus dem bette, um einen reisenden mann zu singen, der unzäh-
lige wunder gesehen, die noch immer „in unserm unbegriffenen gotte
in einem punkte (augenblicklich) geschehen^, während man die zeit
der sogenanten eigentlichen wunder gewöhnlich für längst abgeschlos-
sen erklärte, was er als kindische gotteslästerung abweist („trutz der
lästrer kinderspotte '^). Kann er auch nur in kunstlosen knittelversen
sich aussprechen, so fühlt er sich doch dazu gedrungen, er erkent es
als seine pfiicht; und die lieben leser, fügt er launig hinzu, lassen sich
so Tiel gefallen, dass sie auch das, was der geist ihm eingibt, in sei-
nem kauderwelsch freundlich aufnehmen werden, und mit welcher
lachenden laune beschreibt er, wie er zum ersten besten kiel greift,
um seine gedanken au& papier zu bringen, wobei der lustige vergleich
mit den auf einem besenstiele reitenden hexen leise angedeutet ist!
Bei dem dränge, das innerlich geschaute niederzuschreiben, erinnert
man sich der ausgeführten Schilderung am anfange des sechzehnten
buches von „Wahrheit und dichtung'^, wo er bemerkt, er habe oft lust
gehabt, wie Petrarca, sich ein lederwams machen zu lassen, und sich
zu gewöhnen, darauf auch bei finsterer nacht zu schreiben. Schon im
fün&ehnten buche, und zwar gleich nach den andeutungen über den
„Ewigen Juden ^, hatte er seines produktiven talents gedacht, das ihn
seit einigen jähren keinen augenblick verlassen habe; ja er bringt dort
die betrachtung desselben mit seinem „Prometheus^ in Verbindung.
Dieselbe heiter alles beleuchtende übermütige laune, wie im eingange,
herscht in der Schilderung des schusters im heiligen lande Judäa, wo-
hin er das separatistengetriebe seiner lieben, konventikelreichen Vater-
stadt Prankfurt verlegt; und schon hier bricht seine leidige Überzeugung
durch, dass das Christentum durch die priester greulich verunstaltet,
die geistliche leitung zu einem seinen mann nährenden handwerk
erniedrigt worden sei; der lieben eitelkeit der Separatisten wird ein
300 DÜNTZBt
guter teil ihres frommen treibens zugewiesen. Wenn irgendwo guter
humor die leicht fliessende darstellung belebt, so in diesen 72 versen
der einleitung, dieses neckischeQ epischen proömiums. Aber yon hier
macht der dichter, wie schon früher bemerkt, einen gewaltigen sprung
über dreitausend jähre. Die zwischenliegenden bruchstücke hat Hoff-
mann mit grosser kühnheit auf bestirnte zeiten der kirchengeschichte
bezogen, wobei er von der Voraussetzung ausgeht, sie stünden in der
handschrift in derselben folge, in welcher sie Biemer hat drucken lassen.
Da die Weimarer ausgäbe den „Ewigen juden^ noch nicht gebracht, wis-
sen wir dies ebenso wenig, wie ob noch andere bruchstücke vorhanden.
Höchst wahrscheinlich finden sich die bruchstücke in dieser folge nicht
in der handschrift, sondern die Ordnung ward von Biemer nach dem
Inhalt bestiipt; so bruchstück 7 und 8 unmittelbar vor die widerkunft
des herm (9 und 10) gesezt, weil sie diesen vorhergehend gedacht
werden müssen. Ich gehe hier auf die deutungen von Hoffmann
nicht näher ein. Am wunderlichsten ist die beziehung der verse: „Es
waren, die den vater auch gekant Wo sind sie denn? Eh, man
hat sie verbrant^ auf den späten antitrinitarier Servet, während der
köstliche spott nur darauf geht, dass man sich der gegner der drei-
einigkeitslehre durch hinrichtung entledigt habe; wobei Goethe wahr-
scheinlich noch gar nicht an die stelle dachte, wo er dies bon mot
anbringen wolte. Kühne, aber unglückliche griffe sind die deutong
von 2 und 6 auf Nero und Jung Stilling. Was Goethe sehr spät von
einem besuche des ewigen Juden bei Spinoza im anfange des sechzehn-
ten buches von „Wahrheit und dichtung'^ sagt, bezieht Hof&nann auf
die älteste zeit; es sei mit den übrigen bruchstücken wenigstens im
geist schon erschaffen worden. Diese stelle war frühestens im firühjahr
1813 geschrieben, wahrscheinlich aber ist sie ein spaterer zusatz. Wenig-
stens wird der Zusammenhang eher gefördert als gestört, wenn man
sich dort die werte „Was ich mir aber aus ihm zugeeignet^ bis «aris
dem sinne schlugt sich wegdenkt
Wie sich der „Ewige jude^ zeitlich zu den übrigen bedeutenden
Schöpfungen Goethes in den drei jähren seines titanismus verhalte,
daran hat Hoffmann nicht gedacht Besonders in betracht kommen die
diehtungen, in welchen, wie im „Ewigen Juden ^, eine altüberlieferte
sage frei, ja dem ursprünglichen sinne zuwiderlaufend umgestaltet wurde,
sein „Prometheus^ und „ Faust ^. Yon dem ersten wissen wir jezt,
dass er dem jähre 1774 angehört, wie auch „Satiros^; der andere wurde
im September 1774 begonnen und wol bis zum december for^gesezt; in
die eisten monate von 1775 fisülen die Singspiele und , Stella^. Nun
OOITHES XWIQER JUDE 301
fragt sich: sollen wir den „Ewigen Juden" vor oder nach dem „Faust"
setzen? Da wir Hoffmanns verzweiflungsstinimung abgetan haben, kön-
ten wir fragen: wann dürfen wir eine solche übermütige laune und
solchen glühenden Schaffensdrang bei Goethe annehmen, wie ihn die
bruchstücke zeigen, vor „Faust" oder in den unruhig bewegten ersten
monaten von 1775? Gerade nach der bekantschaft mit Lavater, Jacobi
und Basedow, als er und Jacobi sich gegenseitig zu lebendigem schaf-
fen aufmunterten, noch ehe die sorge über die aufnähme seines „Wer-
ther" von Seiten Lettens und Kestners ihn beunruhigte, beglückte ihn
eine solche Stimmung, wie die briefe an Jacobi zeigen. Schon an sich
möchte es wahrscheinlicher sein, dass Goethe vom „Ewigen Juden" zu
dem ihm tiefer am herzen liegenden „Faust" übersprang*, als dass er den
umgekehrten weg gegangen sein solte. Doch weiss ich wol, dass
dies noch immer nichts beweist
Zulezt gedenken wir Goethes eigener äusserungen über unser
gedieht in seiner späten lebensbeschreibung. Es hat sich immer mehr
herausgestelt, dass Goethe über die entstehungszeit seiner ältesten dich-
tungen nichts bestimtes wüste, auch in spätem jähren sich nicht mehr
völlig in den geist zu versetzen wüste, der ihm diese eingegeben hatte.
Ebenso klar liegt vor, dass die stellen, wo er in „Wahrheit und dich-
tung" seiner einzelnen werke gedenkt, meist durch die bequemlichkeit
bestirnt wurden, sie mit der darstellung seines lebens in Verbindung
zu bringen. „Götz" und „Faust" werden mehrfach erwähnt, wo von
seinen ältesten arbeiten die rede ist; aber zur zeit, wo sie wirklich
begonnen wurden, geschieht ihrer keine erwähnung. Wenn es im
frühjahr 1771, zur zeit seiner ersten bekantschaft mit Merck, heisst,
„Faust" sei schon fortgerückt gewesen, „Götz" habe sich in seinem
geiste ausgebaut, so ist beides unwahr: „Götz" war im ersten entwuif
vollendet, „Faust" noch nicht begonnen. Die dichtung von „Wer-
thers leiden" wird unmittelbar nach Jerusalems tod gesezt, mehr als
ein jähr zu früh, weü es sich so am leichtesten machte. So geschah
es denn auch mit dem „Ewigen Juden", dessen Goethe auf veranlassung
seines Verhältnisses zur brüdergemeinde gedenkt, auf das ihn der tod
der frommen Klettenberg führte. Er erzählt, wie er plötzlich gefun-
den, welche kluft seine ansieht von der der brüder scheide, wie er in
folge seiner trennung von ihnen sich ein eigenes Christentum gebildet,
es auch durch sein frommes vertiefen in die kirchengeschichte zu
begründen gesucht Da habe er denn, weil alles, was er mit liebe in
sich aufgenommen, „sich sogleich zu einer dichterischen form angelegt",
den wunderlichen eiofall ergriffen, am leitfaden der sage vom ewigen
302 Dl^NTZEB
Juden ^die heiYorstehenden punkte der religions- und Mrchengeschichte
nach befinden darzustellen^. Zeitlich schwebt hier die trennung von
der brüdergemeinde nebst der dichtung des ^Ewigen Juden'' ganz in
der luft; aber Hoffinann versezt jene trennung in das jähr 1774, was
nicht allein unserer jetzigen kentnis, sondern auch der von Goethe
angegebenen Ursache widerspricht, welche die Vollendung des gedichts
gehindert habe. Dieses, hören wir, sei desto eher liegen geblieben, als
sich eine epoche entwickelte, die schon, als er den „Werther" schrieb,
und nachher dessen Wirkung sah, notwendig anspinnen muste. Unmit-
telbar darauf gedenkt er seines „Prometheus", der bekantlich 1773
gedichtet wurde; dass Goethe „Werther " irrig ins jähr 1772 verlegte,
ward schon erwähnt. Nach dieser darstellung würden also der „Ewige
Jude" und die trennung von der brüdergemeinde spätestens 1772 fal-
len; aber eine feste Zeitbestimmung wolte und konte Goethe gar nicht
geben. Ihm war es nur um eine einleitung zu seiner mitteilung über
die entstehung des „Ewigen Juden" zu tun, die er an den tod der
Elettenberg anknüpfen wolte. Was er hier vom Studium der kirchen-
geschichte sagt, gehört mehrere jähre früher; schon ehe er nach Strass-
burg gieng, hatte er sich in Arnolds „Kirchen- und ketzergeschichte"
versenkt, wie das achte buch von „Wahrheit und dichtung" ausführ-
lich berichtet Das, was er im fünfeehnten buche vom plane seiner
dichtung erzählt, beruht ganz auf der Vorstellung, die er sich im jähre
1813 davon bildete, ist eine so freie ausführung, wie die der „italieni-
schen reise" eingefügten plane der „Iphigenie in Delphi" und der
„Nausikaa", was sich daraus ergibt, dass die hier gegebene Schilderung
des „Ewigen Juden" durchaus abweicht von der im ersten bruchstücke,
wie Hof&nann selbst bemerkt hat Das, was er von Simon von Eyrene,
dem tuche der Yeronika und dem fluche des heilands erwähnt, nahm
er aus erneuter lesung des Volksbuches. Hoffmann war nicht berech-
tigt, diese im gedieht nicht hervortretende kentnis schon der zeit der
dichtung selbst zuzuschieben und daraus Schlüsse zu ziehen. Kann
somit das fünfeehnte buch von „Wahrheit und dichtung" nicht als zu-
verlässiger zeuge gelten, so bedeutet noch viel weniger der summa-
rische überblick seiner „in die tiefere menschheit greifenden" dichtung
der jähre 1769 bis 1775 in den viel spätem „Tag- und Jahresheften".
Hier lesen wir: „Es entsteht ein leidenschaftlicher Widerwille gegen mis-
leitende, beschränkte theorien; man widersezt sich dem anpreisen fal-
scher muster. Alles dieses und was daraus folgt, war tief und wahr
empfunden, oft aber einseitig und ungerecht ausgesprochen". In die-
sem sinne seien „Paust", die „Puppenspiele" und der „Prolog zu
GOSTBCBS XWIOSR JUDB 303
Bahrdt* zu beurteilen. Die bruchstücke des „Ewigen Juden" und von
„Hanswursts hochzeit" habe er in der ausgäbe lezter band nicht mit-
teilen dürfen; mehreres dieser frechen art sei verloren gegangen, nur
die farce auf Wieland erhalten. Dass er unter „frech*' nur die über-
mütige laune versteht, bedürfte keiner bemerkung, hätte nicht Hoff-
mann aus dieser stelle, die der bruchstücke des „Ewigen Juden*' nur als
in diese freiere richtung schlagend gedenkt, das ergebnis gezogen, es werde
deren innerer anlass als „leidenschaftlicher Widerwille**, die haltung
des ganzen als „frei** bezeichnet Aber keiner dieser ausdrücke bezieht
sich insbesondere auf die bruchstücke, die Goethe damals noch weni-
ger näher angesehen haben wird als im jähre 1813; denn gerade die
ersten abschnitte der „Tag- und jahreshefte** sind am allerspätesten
rasch entworfen, als die ausführlichen berichte seit der mitte der neun-
ziger jähre längst vollendet waren. Uns liegen jezt die bruchstücke
der dichtung vor; an sie müssen wir uns halten. Aus ihnen eigibt
sich ein viel anderes, wenn auch dem umfange nach beschränkteres
bild als Hoffmanns völlig verzertes, zu dessen aufistellung „ein grosser
aufwand schmählich ist vertan.** Wir durften nicht gestatten, dass ein
solches Windei, wie es wol geschieht, als eine leistung verehrt werde,
sondern musten warnend zeigen, wie es damit steht
KÖLN. H. DÜirrZER.
DAS NEUHOCHDEUTSCHE PEGNOMEN.
Em BETDRAQ ZUR DEUTSCHEN GRAMMATIK.
In den lezten fünfizehn jähren ist für erforschung der gesetze, die
in dem werdeprozess der neuhochdeutschen spräche walten, anerkennens-
wertes und gehaltvolles geleistet worden. Ebenso hat das Studium der
lebenden mundarten an umfang mid tiefe gewonnen; es ist femer die
monographische behandlung des Sprachgebrauchs einzelner schriftsteiler,
wie Luthers, mehr und mehr zu ihrem rechte gekommen. Dagegen
hat die darstellung des stufenweise fortschreitenden ganges der neuhoch-
deutschen Schriftsprache in der historisch - objectiven weise Jacob
Grimms verhältnismässig geringere beachtung gefunden. Wol sind
auf dem gebiete der lautlehre und syntax zwei bedeutende werke
erwachsen: „Grundlagen des neuhochdeutschen lautsystems^ von Karl
von Bahder und Oskar Erdmanns alle Zeitabschnitte der hoch-
deutschen spräche, mithin auch den neuhochdeutschen, umfassende
304
^ Grundzüge der deutschen syntax*', teil L Allein die neuhochdeutsche
formenlehre ist seit K A. Hahns ^Neuhochdeutscher grammatilr-"
Abt I. (Frankf. a/M. 1849) und Jos. Eehreins Orammatik der deut-
schen spräche des fünfzehnten bis siebenzehnten Jahrhunderts^ (Leip-
zig 1854 — 56. 3 teile) nach der angedeuteten richtung kaum um einen
schritt weiter geführt worden. Das buch von Hahn, das sich selber
nur einen „versuch" nent (vorrede s. X), kann, so verdienstlich es für
seine zeit war, schon darum nicht genügen, weil es nur auf einem
sehr bescheidenen, gröstenteils aus W. Wackemagels Deutschem lese-
buch entnonmienen apparate von belegen beruhte. Was aber das werk
von Kehr ein anlangt, so ist es, abgesehen von seiner beschränkung
auf das 15.— 17. Jahrhundert, wenigstens in dem teile, der die formen-
lehre enthält, nicht viel mehr als eine zwar reichhaltige, jedoch kei-
neswegs lichtvolle, den verrat des sprachlichen materiales möglichst
erschöpfende beispielsamlung und lässt die wissenschaftliche Verarbei-
tung des aufgehäuften stofFes nur zu sehr vermissen. Eine neue
behandlung der formenlehre in dem ausgesprochenen sinne erscheint
daher nichts weniger als überflüssig.
Die nachfolgenden blätter setzen sich nun die au%abe, die ent-
wicklung des deutschen pronomens seit der zweiten hälfte des 15. Jahr-
hunderts auf grund von reichlichen quellenbelegen aus dem bezüglichen
litteraturschatze in übersichtlichem zusammenhange darzulegen.
Als quellenwerke habe ich benüzt': die Schriften von Seb. Brant, Thom. Hur-
ner, G. Rollenhagen, Burkh. Waldis, Fischart, Luther (Dichtungen = Luther
D.), Opitz, Fleming, P.Gerhardt, Sim. Dach, Spee, J.Rist, Andr.Gryphius,
Logau, Grimmeishausen (Simpl.), G. R. Weckherlin, Günther nach den
unter dem titel „Deutsche dichter des sechzehnten Jahrhunderts*^ (Lpz. 1867 — 83.
18 bde.) und „Deutsche dichter des siebzehnten Jahrhunderts' (Lpz. 1869 — 83.
15 bde.) von Karl Goedeke und Jul. Tittmann besorgten ausgaben; Wickrams
Rollwagenbüchlein, Fischarts dichtungen (Fisch. Kurz) nach der „Deutschen
bibliothek*^, herausgegeben von H. Kurz; Witten weilers Ring, Niclas
V. Wyles Translationen, Paulis Schimpf und ernst, Steinhöwels Aesop nach den
ausgaben in der „Bibliothek des litterar. Vereins in Stuttgart (bd. 23. 57. 85.
117); Murners Schelmenzunft (Murn. Schelm.), Fischarts Geschiohtklitterung
(Fisch. Garg.), Krügers Hans Ciawerts historien, Sandrubs Delitiae, Schupps
Freund in der not, Chr. Weises Erznarren, Reuters Schelmuffsky (1. fassung]
nach den „Neudrucken deutscher litteraturwerke des XYI. und XYII.
Jahrhunderts" (Halle 1878 fgg. nr.9— 14. 33. 59. 65—71. 85). — Ferner: Eyb,
Albrecht von, Ob einem manne sey zunemen ein eeUch weyb oder nit (In: Schrif-
ten zur german. philologie. Herausgegeben von Max Roediger. Heft lY. BerL 1890). —
Eyb, A. V., dasselbe, nach der Nürnberger ausgäbe von Fritz Creu£ner 1472 (Eyb,
1) Die von mir gebranchten abkfiizangen füge ich dort, wo sie nicht ohnehin leicht «tkeahu
sind, in klammern hinzn.
NHD. PBONOMBN 305
(Creußner). — Geiler von Keisorsberg, J., Predigten. Augsbui-g 1508. 4. (Keis.) —
Geiler von Keisersberg, J., Schiff der penitentz. Augsb. 1514. 4, Keis. Pen.)
— Geiler von Keisersberg, X, Die ältesten Schriften. Herausg. von L. Dacheux.
Freiburg 1882. (Keis. D.) — Luther, Martin., Von den guotten weroken. s. 1.
1521. kl. 4. (Lnth. GW.) — Luther, M., Vom abendmal Christi. Wittemberg
1528. kl. 4. (Luth. Abendm.) — Luther, M., Wider den falsch genanten
stand des Bapsts vnd der Bischöffen. s. 1. & a. kl. 4. (Luth. Bapst.) — Franck
von Word, Sebastian, Sprüchwörter gemeiner Tütscher nation. Zürich, Froschauer
(1545). kl. 8. (Franck Spr.) — Franck v. W., Seb., Paradoxa ducenta octo-
ginta ... s. 1. 1542. kl. 4. (Franck Par.) — Franck v. W., Seb., Von dem
grewlichen laster der' trunckenheit. s. 1. 1533. kl. 4. (Franck Trunk.) — Agri-
cola, Johann, Drey hundert Gemeyner Spriohwörtter. s. 1. 1529. 2tle. 8. (Agric.) —
Zinkgref, J. W., Der Teutschen scharpfsinnige kluge Spruch. Straßb. 1626—31.
2 tle. 8. (Zinkgr.) — Bodmer, J. J., Vier kritische gedichte in: „Deutsche
litteraturwerke des 18. Jahrhunderts. Hgg. von B. Seuffert*. Nr. 12. Stuttg.
1883. — Hall er, Albrecht v., Vei-such schweizerischer gedichte. 10. aufl. Göttin-
gen 1768.— Klopstock, F. G., Oden. Hamburg 1771. — Lessing, G. E., Sämt-
liche Schriften. Hgg. von K. Lachmann. 3. aufl. besorgt von Fi'anz Muncker. I>eip-
zig 1886 fgg. — Bürger, G. A., Gedichte. Göttingen 1778. — Liscov, Ch. L., l^ob
der schlechten Schriftsteller. Hannover 1794. — Goethe, J. W., Sämtliche werke.
Mit einleitungen von Kaii Goedeke. Stuttg. 1874. 15 bde. (G.) — Schiller, Friedrich
Sämtliche werke. Mit einleitungen von Karl Goedeke. Stuttg. 1871. 4 bde. (Seh.) —
Briefwechsel des grossherzogs Karl August von Sachsen -Weimar -Eisenach mit
Goethe in den jähren 1775 bis 1828. Weimar 1863. 2 bde. (Brief w. G.KAug.) —
Platen, Aug. v.. Gesammelte werke. Stuttg. 1853. 5 bde. — Alle andern von mir
benüzten werke und ausgaben, werden an der betreffenden belegstelle selbst ersicht-
lich gemacht. — [Vgl. auch Goi*tzitza, gj'mn.-progr. Lyck 1877. 0. E.]
1. Persönliches ungesehlechtiges pronoinen.
Die kürzeren formen des gen. sg. mmi, dein, sein, aus denen
die heute gebräuchlichen meinet^ deiner, seiner hervorgiengen , sind
nunmehr vorzugsweise auf die gebundene rede und dichterische prosa
eingeschränkt Gottsched hat in seiner ^Deutschen sprachkunst^ (5. aufl.
1762) schon das heutige paradigma der längeren formen; auch Schot-
tel, „Ausführl. arbeit von der teutschen haubtsprache " (1663) stelt
bereits diese den einfachen formen voran.
Beispiele für den gebrauch der ursprünglichen formen: 0, sclio-
7iet mein Seh. (M. Stuart) 2, 221. Denkt er noch mein? ebd. Ich
denke dein G. 1, 33. als häif ich sein mich üherhoben G. (Tasso) 5,
397. Sie erwehrte sich sein G. (Werth.) 7, 59. 0 Selige, die sein
geniest Bürger 301. er mvss sich mein erwehren Grillparzer, Werke
(Ott) 4, 170. Dort begegnete der Maler zuerst LaureUa, die .,., ohie
sein XU acfiten, vorilberschritt Heyse, Novellen (1. samlg. 5. aufl.) 111.
In quellen des 15. Jahrhunderts war dieser gebrauch noch allein her-
ZraTSCHBIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIR. BD. XXY. 20
306 juttklss
sehend, obgleich schon bei Suchenwirt, mithin ein Jahrhundert vor-
her, spuren des späteren gebrauchs zu finden sind; s. Eoberstein, Über
die spräche des österr. dichters P. Suchen wirt (Naumbg. 1828 — 42) 11, 63.
Auch im 16. Jahrhundert tauchen die neueren formen vorerst mehr
vereinzelt auf und fehlen in manchen Schriften noch gänzlich. Dage-
gen sind sie im 17. Jahrhundert schon stark in Verwendung.
Beispiele: ich laß mich beduncken, das dein gemute vnd hegire
hie gegentmlrtig sein vnd sein noch mit meirier Heb t^mbgeben, warten
mein vnd wollen nit an mich abscheiden Eyb 58. du ... . woüest
nit vergessen mein ebd. 92. wann ob er gleych vil mü vnd arbeit
darauff legt, so spotten sy sein villeicht nur darxu Keis. 44*. taar-
lieh man tvirt dein nit warten Keis. Pen. 104'. es lacht alle weit
vnd spottet sein Pauli 39. Der sprach gern, vnd was meiner minder
wert ist, das uril ich dir nach geben ebd. 207. von si?i selbs tvegen
Franck Spr. 1, 158^ denck ouch din selbs darby ebd. 2, 51*. Ein
yeder ist sin selbs groster fynd 2, 44**. von sein selbs wegen Franck
Par. 76 ^ wo er nit sein selbs sorget vnd schonet ebd. 78'. Ja diser
mensch nimpt sich seyn selbs nit an 144**. Vergißmeinnicht vergißt
auch seiner selbst für ihr Flem. 63. wenn man sein begehrt ebd. 49.
wo seiner wird gedacht 72. Deiner tvolf er warten nicht 88. So
gedenK ich stetigs deiner. Daß ich auch vergeße meiner 180. So
darf ich deiner doch mit IVeuden stets gedenken 268. Wer sein selbst
Meister ist 230. Ich achte deiner nicht Opitz 14. daß ich dich jetzt
grüße Vnd deiner, wie ich tviU, . . . genieße, Das macht mein bester
Freund ebd. 57 — 58. Ein Bergmann aber kan so wenig sein ent-
gelten. Als wenig Ursach ist, der seine Reben pflegt, Daß man-
cher Mensch sich nur auf bloßes Saufen legt 84. Der Fürst der
Seligkeit hat seiner nicht geachtet 216. wann doch Jesu . . . warm
ivirst dich mei7i erbarmen? Spee 14. Ich seiner oft muß lachen ebd.
157. wann deiner ich gedenke 175. Wilstu, daß mjan dich bei uns
wol verehr* und deiner denke Logau 72. Dieser dankte, daß man
seiner gleichwol Mitte da gedacht ebd. 220. Wer sein selbst kan füg-
lich sein. Geh' kein' andre Pflichten ein 254. — In westdeutschen,
vornehmlich alemannischen Schriften und drucken des 16. Jahrhunderts,
bei Brant, Fischart, in dem Froschauerischen drucke von Seb. Francks
Sprichwörtern u. dgl., stösst man zuweilen auf die form deinen für
dein, deiner, z. b. der laßt dir im kat kein recht gon, sonder spottet
dinen Franck Spr. 1, 66'— 66^ Vgl. DWb. IV./2, 1029.
Über den gen.pl. unser, euer ist zu bemerken, dass daneben die
ungrammatischen formen unserer, euerer vorkommen, die zu verwerfen
NED. PBONOMBN 307
sind Sie scheinea erst im 17. Jahrhundert entstanden oder wenig-
stens in Umlauf gekommen zu sein. In der zeit Schillers und Ooethes
begegnen sie häufig und sind auch heutzutage gar nicht selten. Gott-
sched (Kern d. deutsch, sprachkunst, 6. aufl. 1769) sezt die form eurer
sogar ins paradigma. Das Deutsche Wörterbuch III, 191 (artikel eiier)
bemerkt: ,,das erste beispiel dieses fehlers bietet mir Opitz dar**. Unab-
hängig von Grimm, habe auch ich trotz fleissigster nachsuchungen kein
beispiel zur Verfügung, das vor Opitz fiele ^. Beispiele: Wann Rath
und That erliegt, wann alles ist gettian, Körnt Oott doch in das Spiel
und nimt sich unsrer an Op. 218. Nicht aus Verachtung eurer isis
geschehn Seh. (Teil) 2, 537. dann bedarf es unserer nicht mehr ebd.
551. Und Eurer — wahrlich hätf ich nicht gefehlt ebd. 542. Und
so ist der Glückliche vollkommen fertig, das Geschöpf unserer selbst
G. (Werth.) 7, 45. Das Wesen der Wesen bedarf unserer nicht Ger-
vinus, Gesch. d. d. dichtung IV*, 275. Wer ist, ihr frühen Urwelt-
nächte, Der eurer ohne Schrecken dächte Schack, F. A. v.. Aus zwei
weiten (Stuttg. 1887) 374.
3. PersOnliclies geschlechtiges pronomen.
Der nom. und acc. sg. neutr. von er erscheint schon in Schriften aus
dem ende des 15. Jahrhunderts, z. b. in jenen Eybs und Wyles, fast
durchgehends in der heutigen form, -die ursprünglich dem gen. sg.
masc. und neutr. angehörte. Hinwider ist dieser alte genetiv bis auf
einzelne spuren in gewissen redensarten, wie „es zufrieden sein^, „es
kein hehl haben", „es dank wissen" u. dgl., geschwunden, in denen
er ungefühlt fortlebt Ich gebe dafür beispiele aus älterer und neuerer
zeit Denn sol ein erbars kind heutte oder morgen fsum regimefnt
gebraucftet werden, so ist es not, das es viler leutte wesen, rede . . .
gesehen habe Agric. 1, 59*. ihr habt es freien Fug Flem. 238. der
Alte war es wohl zu frieden Weise 104. wenn ichs xu frieden wäre
Schelm. 41. Er hat es nimmermehr Getmn! Bürger 84. die beruhen-
testen Buchführer haben es darum Icein Hehl Lisc. 111. so sind Alle,
nur wollen sie es nicht Wort haben G. (W. Meister) 7, 245. ich bin
es lange überzeugt G. Forster, Werke 9, 79. Aber Anton tvar es wohl
zufrieden, daß jetzt die Tochter mit dem Vater fuhr Gust Freytag,
Werke 5, 68. Vgl. DWb. III, 1126 fgg.
1) Doch yerzeichnet Eehi-ein, Grammatik der deutsch, spräche des 15. — 17.
jahrh. I, 211 schon aus Joh. Dietenbergers „Catholischer Bibell*^ (Cöln 1571) die form
ewerer. — [Bei Gortzitza s. 66 fg. kein älterer beleg. 0. £.]
20*
306 JBTTKUES
Für den gen. sg. sein, seiner trift man in alemannischen Schrif-
ten und druckwerken des 16. Jahrhunderts auch bisweilen die form
seinen, z. b. Nun tvas ein guter freund, ein Burger, bey jm, so sei-
nen wartet Wickr. 163, 4. War den tu fei ein mal xehtifi geladeti,
kan sinen nieniermer abkommen Franck Spr. l, 98'. Hetiest du sinen
ee gedacht, so wSre er ee kommen ebd. 1, 164*. Das ist, sy fraget
keinen, nie er das sin hab anworden, ob er sinen tvirdig sye ebd. 2, 122'.
Der gen. sg. fem. und gen. pl. lautet in Schriften des 15. Jahr-
hunderte noch algemein und in jenen des 16. Jahrhunderts noch sehr
häufig ir, z. b. vne wol vil fürsten und herren yr (Sigismunda) beger-
ten XU der ee Eyb (Creußner) 59 ^ Marina . . . ließ sich ir keinen
nit sehen ebd. 71^ Es tvirt jr kainer sündigen Luth. QW. A4'.
Es begegnet eim esel imd Uuiven . . . ein huff wolff: als jr der esel
von veirem wamam, fieng er an was er mocht xe rüchlen Franck
Spr. 2, 127**. darumb solt er sich ir nit mer annemen Keis. 75'. ir
keiner Wald. 2, 293. ir eyner Mum. Schelm. 21. Dagegen: Vor Oott
jrer selbs groster lon^ vor der weit jrer selbs groster schad Franck
Spr. 1, 172**. U7id wenn ihrer auch fünfzig wer, Erlöset mich nur
von der schlangen Roll. 1, 162, 54. Das auch darüber viel verderbefi,
Ihrer etlich im gfervgnifi sterben, ebd. 1, 232, 389. der jhrer viel 7ioch
sind beim lebn Krüger, Ciawerts bist. 4.
Auch im 17. Jahrhundert ist die ursprüngliche form noch nicht
ganz erloschen, obwol ihrer immer ausschliesslichere geltung gewint
Schon Schottel gibt als hauptform im paradigma ihrer an, fügt aber
ihr daneben in klammern hinzu. Bei Gottsched wird bereits die län-
gere form ih'er allein angeführt Beispiele für beide gebrauchsweisen:
Kein Schlaf, der sol ihr (gen. sg.) vergeße^ Flem. 179. biß du jhr
(sg.) wider loß werdest Zinkgr. 1, 382. Ich muß jhr (pl.) schonen
ebd. 1, 88. Als vmb das Jahr 1385 die Juden zu Weissenfeid in
Meissefi eiiie zusammenkunfft hielten vnd jhrei* viel . . . dahin kamen
ebd. 1, 357. jhrer etliche, die nicht schuldig gewesen Sandrub 88.
Es haben ihrer viel . . . wol großen Ruhm verdient um ihren Muth
U7id Streiten Opitz 246. indessen udrd die WeÜ vergessen ifirer selbst
ebd. 195. Es bitten ihrer zwei nach Rossen Logau 43. Es stritten
ihrer zwei ebd. 189. Daß eines einem andren lebt, ist keinem ifirer
nicht erlaubt ebd. 261. ihrer zehen Rist 58. ihrer tid ebd. 156.
ihrer keinen ebd. 186.
Eine seltnere nebenform von ir für den dat sg. fem., die ich
z. b. in der Creußnerschen ausgäbe von Eybs Ehebuch (1472) finde,
ist ire: Der man hielt e^ für vnmüglich vnd versprach yre das also 24'.
NHD. PRONOMEN 309
In alemannischen schnften und drucken des 15. und 16. Jahr-
hunderts erscheint bisweilen für gen., dat. fem. sg. und gen. plur., ana-
log mit den oben besprochenen formen deinen^ seinen im dein (deiner) ^
sein (seijier), die form iren, z. b. Die bübery, wo man jren nit weert,
laßt sich 7iit genügen Franck Spr. 1, 201 ^ er liebet sy also, das der
brütgam sich zu jren in ein fleisch vom himmel herab laßt ebd. 1,
77*. Oab jren (dat. sg.) die leer Wickr. 16, 15. Ein anxahl jhren
(gen. pl.) entran diser Seichschwämme . . . Fisch. Garg. 233. Mit söU
liehen Worten verspotteten sie Esopum, da ireti xwen nuon so vil
truogen als er aUaifi Steinhöwel, Aes. 43. Vgl. DWb. IY./2, 2054 —
2055.
Eine andere nebenform des dat. sg. fem. und gen. pl., die gleich-
fals zumeist in alemanoischen Schriften und drucken des 15. — 17.
Jahrhunderts vorkomt, hat altertümliches gepräge und heisst iro (ira) :
Als er das xiim dickem mal von iro (i. e. siner gemahel) erfordert
Salat (ed. Baechtold) 151. Der herr verwiUigete ira das und ließ un-
den bi dem kilchhof ir einen ingang Knochen Strettlinger Chronik (ed.
Baechtold) 84. Im Fricktal machten si sich uß dem land, des wurden
inen iro dorfer alle verbrant Liliencron, Hist. volksl. II, 408. Vgl.
DWb. IV./2, 2058.
In betreff der dative ihm, ihr, ihnen ist zu erwähnen, dass die-
selben vormals bis spät in die neuhochdeutsche zeit zugleich stelver-
tretend für den der hochdeutschen spräche ursprünglich fehlenden dat
des reflexivum gebraucht wurden. Beispiele: der vater tüird serer
gestraft an dem sone dann an im selbst Eyb 19. Ain armer ver-
Schulter mensch, der ain grosse sach auff im hat Keis. 33*. Ain
mensch soll sich offt im tage txu jm selber keren ebd. 44*. er machte
ihm die Augen mit Speichel naß Gryph. (Dramen) 172. def* vater . .
besorgt, ob ir die tochter den tod het gethan Eyb 58. Es tvar die
gute Stadt ir selber nicht getreu Rist 137. si dünt in selber schad und
schand Brant 213. Viel sind . . . von Felsen abgestürzt Und haben
ihnen selbst die schwere Zeit verkürzt . . . Opitz 207, Von Kirchen-
dienern sagt er: sie sollen jhnen drey ding stets lassen angelegen sein
Zinkgr. 1, 251. Jedoch begint dieser gebrauch schon im 16. Jahrhundert
almählich der heutigen Verwendung der reflexiven dativform sich zu wei-
chen, und diese — die dem bedür&iisse, Zweideutigkeiten zu begegnen,
entsprungen sein dürfte — gewint dann seit dem 17. jalurhundert mehr
und mehr Verbreitung, ohne übrigens so bald vollends durchzudrin-
gen. Gottsched sezt zwar schon in seinen lehrbüchem der deutschen
spräche den dat. sieh ins paradigma des reflexivum, verwahrt sich aber
310
zugleich gegen den zu seiner zeit offenbar noch in umlauf befindlichen
dat ihm, ihr, ihien. Wie tief die alte gebrauchsweise im wesen der
spräche wurzelte, beweisen femer süddeutsche volksmundarten , in denen
sie bis zum heutigen tag forüebt Beispiele: Oleich als wen eyn vot-
ier vil streiitige imgehorsame Jdnder hat, setzt er eins aus pien xu
sich an den tisch Franck Par. 40 ^ Got fnüß das angenommen fleisch
mit ehr vnd preyfi krönen, mit sich in die hohe füren vnd dem eyn
namen geben Ober aUe namen ebd. 57 ^ Ein frommer Mann, der
stets einen Hund mit sich lauffeti hatte Zinkgr. 1 , 350. Sucht er . ..
eigen Nutzen, so schadet er sich selbst ebd. 2, 53. Die Frauen pfleg-
ien auch in Indien vorzeiten, Nachdem ihr Mann verschied, selbst
unter sich zu streiten Opitz 232. Wer sich nun nicht sdber helfen
kunie, der usw. Weise 40. wenn es ja an Oevattem mangelte, so
hätten sie einen Makler bey sich ebd. 97. Beide construktionen stehn
neben einander: Allein, weil er sie mit aller Gewalt wolle neben sich
haben, lüde er ihm (sibi) und den seinigen grosse Mißgunst auf defi
Haifi Schupp 11.
Der dat sg. ihm hiess früher gar nicht selten voller ime, ihnie,
z. b. jme Wyle 297, 6. yme Wittenweiler 206. ime ebd. 159. Keis.
D. 16, 8. ihme Salat 151. Opitz 173. Log. 11. 130. 201. Simpl.
1, 281. 2, 244 usw.; vereinzelt imo, s. Zamcke z. Narrenschiff 386.
Der acc. sg. ihn lautete vormals neben in auch ine^ ihne Qhne),
z. b. bei Eyb (Creußner) 109^ Fisch. 249, Fisch. Garg. 251. 334. Sand-
rub 122. Zinkgr. 1, 98; vereinzelt sogar inen, ihnen, so bei Luther
D. 182. 240.
Der dat pl., der sich heute von dem acc. sg. vorteilhaft unter-
scheidet, hiess noch im 15. und 16. und teilweise selbst im 17. Jahr-
hundert in, ihn, jedoch ist schon im 15. — 16. Jahrhundert die
erweiterte form ifief^, ihnet^ sehr verbreitet, so zwar, dass die beiden
formen abwechselnd neben einander vorkommen. Man vgl. z. b. bei
Luther GW. jn C 1\ E 2\ E 3*. E 3\ I 2\ I 4\ L 2\ N 2', jnen
ebd. G 2*. D 2\ I 3\ Nl^ (an lezterer stelle beide formen in einer
seile); bei Fischart (Kurz) /» 1, 34. 81. 138, jfien 1, 169. 3, 339.
363; bei Mumer m 60. 113. 190, inet^ 39. 132; bei Franck Par.
jnen (jhnen) 56\ 57\ 65\ 75\ 76*. 101 \ 103\ jn (jhn) 76'.
112^ bei Spee ihn 86, 37. 41. 87, 45. 208, 181. 244, 45, ihne^i
87, 43. 173, 68. 175, 165. 179, 95. 210, 236. 231, 4. 244,
27. 30.
Bei gewissen schriftstellem, insbesondere prosaikem, überwiegt
oder hersoht ausschliessUeh inai, das ist z. b. bei Luther in seinen
NHD. FBONOMEN 311
späteren Schriften (s. Franke, Orundzüge der Schriftsprache Luthers 189),
in Francks Sprichwörtern und in dessen Paradoxa sowie in Paulis
Schimpf und ernst der fall. Ausschliesslich begegnet man dieser form
seltsamerweise auch schon bei Nicl. Wyle, man vgl. u. a. 43, 28.
56, 8. 99, 22. 135, 25. 27. 173, 21 — 22. 217, 26. 267, 32 — 33.
274, 35 und s. Nohl, Die spräche des Niclaus v. Wyle (Heidelb.
1887) s. 81. In der zweiten hälfte des 17. Jahrhunderts scheint
ihnen bereits durchgedrungen zu sein; wenigstens sezt Schottel (s. 536)
diese form allein ins paradigma, während in den ersten Jahrzehnten
dieses Jahrhunderts, wie wir oben (bei Spee) gesehen haben, ihn noch
fortbestund.
Eine seltnere nebenform des dat. pl. ist ine (ihne), z. b. si won-
ien, iedemian zug ine nach liliencron, Volkslieder 2, 411. Mich nimpt
tminder, das sie sich nicht vor jhne selber schämen Franck Trunk. F 3'.
Anmerkung. Die in manchen Schriften älterer zeit, z. b. in
Wittenweilers Bing, vorkommenden formen sei, sey als nom. und acc.
sg. fem., sey, seu als nom. pl., es und enk für vos, vobis sind mund-
artliche eigenheiten von lokaler beschränkung.
3. Pronomen possessivnm.
Hier mag erwähnung finden, dass in der flexion von unser, euer,
gerade wie bei den mit el, er abgeleiteten adjectiven, öfter bald das e
der endung, bald jenes der ableitung abfalt, z. b. unsere Oliicks Haller
136. unsere ScJieidens ebd. 166. unsres Reisens 134. unsere Streits
lisc. 180. wisers Oliicks Seh. (Teil) 2, 532. unsres Sonnensystems
G. (W. Meister) 8, 96. Euers Gelds Lessing (Nath.) 3, 70. euere
Raths und euers Beistandes O. (Götz) 6, 71. NicJU eures Oelds he-
darfs — ein Herx toie euers wiegt Tonnen Ooldes auf und Millionen
Schill. (Wall.) 2, 84. eures Busens Seh. (Braut v. M.) 2, 439. eures
Winks Platen 3, 314. eures Kuides ebd. 4, 407. mit unserm Arm
Klopstock, Oden 71. nach unseren Sinn G. (Iphig.) 5, 318. aus
Euerm Hause Less. (Nath.) 3, 63. Euerm Rathe ebd. 70. eurem Rathe
G. 3, 78. an Euerm ^ Oeläute ebd. 7, 163. rmch eurem Willen ebd.
3, 89. vm Eurem Vater Uhland, Gedichte (Stutig. 1853) 446. die
eueni G. (Iphig.) 5, 317. durch unsrer Hände Fleiß Seh. (Teil) 2, 521.
unter euren Brüsten Haller 44. mit Euern eigenen Gedanken Less.
3, 101. In altem neuhochdeutschen werken, insbesondere poetischen,
zeigen sämtliche possessiva (mit ausnähme von ir, das häufiger die
unverkürzten formen beizubehalten scheint) neigung zum abwurf des
flexivischen, seltener des ableitenden e, und zwar in allen endungen,
312 mniLKs
selbst jenen, auf deren e der consonant r folgt, obschon die YoUen
formen keineswegs fehlen. Beispiele für die gekürzten formen: din
sach Murn. 78. sein ttigetit Wald. 2, 105. sein riarung Pauli 207.
euwer fröd ebd. 107. mifis lebens Wyle 54, 35. deins dieners Eyb 99.
meins gefiders Sachs 1, 104. meins todes ebd. 149. deins lebetis 149.
seins geseUen Pauli 199. unsers hergotts Murn. 77. unsers kerxens
Weckh. 161. ewers abgotts Luth. Bapst A 2'. euep's Unglücks Weckh.
180. euers fleißes ebd. 184. euers lobs 185. meinr kunst Wald. 2,
101. deinr ere ebd. 100. laut euwer verschrybung Wickr. 73. mit
sim staiui Brant 163. an sim vater ebd. 181. in sim gwalt Franck
Spr. 2, 42*. in mim garn ebd. mit deim brei Fisch. 237. in seivi
7iamen ebd. 178. vo7i seim OUed Sandrub 67. v^isemi kusxunri Pauli
369. in vnserm garten ebd. 187. wnserni Schöpfer Dach 73. unserm
Oott Spee 113. xü miser frawen Luth. GW. I 3^ in unser Seelen
Rist 245. mein rechten fusx Pauli 299. sei^i mu7id ebd. 382. sein
xoren Sachs 1, 80. viein bulen ebd. 179. unsem geist ebd. 72. mein
regel Murn. 129. sin hilf ebd. 133. sein frau Sachs 1, 205. sein
mütter Pauli 362. all sein sach Sandrub 123. euer eigne ehr Weckh.
89. dein federn (nom. pl.) Sachs 1, 104. sein ochsen Wald. 2, 112.
andre unsrer frehiden mehr Weckh. 153. eurer Siitiden Dach 96.
an din hindern Murn. 249. allen sin geseUen ebd. 130. uf sin federet
64. 7nit sein eignen fußen Wald. 2, 57. in vnsern reden Pauli 337.
xS vnsem xeiten ebd. 137. irs ampts Eyb 45. irs manns ebd. 63. im
muivnl Brant 15.
Das in der althochdeutschen imd älteren mittelhochdeutschen
spräche noch mangelnde possessivum ihr gewint im 15. — 16. Jahrhun-
dert immer algemeinere Verbreitung und scheint gegen ende des 17.
Jahrhunderts völlig durchgedrungen.
Eine besondere bewantnis hat es mit der gegen ende des 17. Jahrhun-
derts aufgekommenen, seit der mitte des gegenwärtigen wider verschwun-
denen form Ihro in der feierlichen rede. Die erste spur davon finde idi
in Abrahams a Sta. Clara „Mercks wol, soldat^ (Wien 1680), vorrede 1 :
y^Ihro Oenädigster Landes- Fürst ^ und am ende derselben: j^Ih^v
Gnaden Dienstbeflissener P, Fr, Abrahamus ä Ä Clara^. Hingegen
erscheint in den zwei jähre später (1682) veröffentlichten gedichten
Morhofs unter den vielen Widmungen zu poetischen „glückwünschen^
und „ leichenbestattimgen ^ ausschliesslich dafür Dero. Aber auch im
18. — 19. Jahrhundert genoss Ihro keineswegs algemeine Verbreitung,
z. b. findet sich in Oellerts „Briefen nebst einer praktischen abband-
hing von dem guten geschmack in briefen*' (Leipz. 1758) keine erwäh-
NHD. PBONOMEK 313
nung davon; die stelle, die von dem gebrauch der titulaturen handelt,
lautet: „Man soll nicht, wie man meistens im umgange redet, durch
Sie, Ihnen, Ihre, sondern durch Dieselben, Dero, Deroselben, Höchst-
denenselben, reden" (s. 76). Andere Schriftsteller wider bevorzugen
Ihro, Ich gebe einige weitere beispiele. Da tritt der Haitshofmeister
herein und meldet ihm die Beherbergung des verspäteten Pfarrhermy
und tvie er itxt, voller Verlangen, Ihro Gräfliche Gnaden xu sprechen,
vor der Kammerthüre lauschte Thümmel, Wilhelmine (1773) 60. In-
deß, sollte etwa^s nicht vollkonimepi nach Ihro Onaden Bequemlichkeit
gewesen seyn, so geruhen Ihro Ghiaden nur xu befehlen Lessing (Minna)
2, 192. Idi wollte nicht um AUes — Ihro Excellenx, fiel ich ein,
ich bitte tausendmal ti^n Verxeihmig G. (Werth.) 7, 51. Es muß doch
wohl so sein, Ihro Durchlaucht Seh. (Geisterseher) 4, 77. wenn nicht
der Gedanke, mich für Ihro Dienst verdoppelt xu sehen, so vergnüg-
lieh und aufheitemd wäre Briefw. G. K. Aug. 2, 46. In Hoffnung
mich Ihro Gegenwart bald xu erfreuen unterthänigst Goethe ebd. 82.
Das Deutsche Wörterbuch (IV/2, 2058) erklärt dieses Ihro für
possessiviscb unter hinweis auf die gleichzeitig daneben vorkommende
form dero und trent es von dem oben erwähnten iro, ihro, Ihro, das
bald als gen. und dat sg. fem. , bald als gen. pl. gebraucht war. Allein
gerade die kaum zufällige Übereinstimmung mit dem in derselben
anwenduDg begegnenden gen. des demonstrativum, dero, lässt vielmehr
vermuten, dass hier gleichfaJs ein ungefühlter casus des persönlichen
pronomen und zwar wahrscheinlich der gen. pl. vorliegt, der dann
allerdings possessivische Verwendung fand. Man vgl. Frisch, Teutsch-
lateinisches Wörterbuch I, 486, wo dieses Ihro gleichfals als gen. pl.
erklärt wird.
GRAZ. ADALB. JEITTELES.
(Fortsetzung folgt)
DEUTSCHE WANDEETßUPPEN IN DlNEMAEK.
I.
Schon früh wurde Dänemark von fremden schauspielertruppen
besucht So hatte der könig Friedrich IL zwischen 1579 — 86 zweimal
englische komödianten in seinen diensten, welche auch 1585 in Hel-
singör spielten und in dem folgenden jähre, als die ersten in Deutsch-
land, nach Dresden und Berlin berufen wurden. Umgekehrt sante
10 jähre später, zur krönungsfeier Christians IV., der Schwager des
königs, herzog Heinrich Julius von Braunschweig, seine englischen
"VT
314 FALUDAN
komödianten nach Dänemark^. In demselben jähre suchte ein fahren-
der poet, der Schlesier Martin Schwarzbach, vergebens die erlaabnis,
eine komödie ,,Studentes^ ' in Kopenhagen aufzuführen, und nicht bes-
seres glück hatte 1629 ein ähnliches gesuch einiger deutschen Studen-
ten. Als die bitte 1633 erneuert wurde, hatte sie hingegen vielleicht
den erwünschten erfolg, und möglicherweise ist bei dieser gelegenheit
Rists Irenaromachia hier gespielt worden ^ 1634 führte ein Deutscher,
der Satiriker Hans Lauremberg, als professor in Sorö die renaissance-
komödie, und 1655 die oper bei hofe ein^, und deutsche opern-ballete
waren in der folgezeit daselbst nicht ungewöhnlich.
Die an Wesenheit eigentlicher Wandertruppen aber spüren wir erst
in der zweiten hälfte des 17. Jahrhunderts. Yom anfang des jahres
1663 spielte in Kopenhagen eine niederländische bände unter Andreas
Joachim Wulff, der sich hier ansiedeln wolte und auch ein Schauspiel-
haus bauen liess, aber schon 1664 schuldens halber aufhören muste^.
Sein „hauptagent^ Michael Daniel Treu war jedoch Deutscher und ohne
zweifei derselbe, welcher später als puppenspieler und prinzipal zu
Lüneburg 1666 und München 1677, 1681—85 auftrat«. Vielleicht war
er söhn oder verwanter des ersten bekanten deutschen wanderprinzi-
pals Carl Treu, der 1622 und 25 in Berlin spieltet
1) Bolte im Jahrb. d. Shakespearegeselsch. XXIII, 1888, s. 99. 102. 103.
2) 0. zw. von Siimmelius 1550, vgl. H. Meyera Studentica, Leipzig 1857.
3) Werlauif, Uistoriske antegnelser til Holbergs lystspil, Kopenhagen 1858,
282 fgg. Overskou, Den danske skueplads, Eopenh. 1854, I, 80 fgg. Paladan,
Renaissancebevsegelsen i Danmarks litt., 1887, 307.
4) Paludan, H. Willumsen Laorembergs 4 Skj»mtedigte, 1890, s. Xu u. XXY.
5) Werlauff 285 fgg. Overakou I, 103 fgg. 262 fgg.
6) Zeitschr. f. deutche phil. XXI, 283. Gaedertz, Theaterzustände von Hildes-
heim, Lübeck, Lüneburg, 1888, s. 99: Michael Daniel Drey sucht 8. sept 16ö6 zu
Lüneburg spielerlaubnisz , nachdem wir unsz nuhnmehr Edliche Jahre bey Ihro Kö-
nigl. Ma\j. von Tennemarck auffgehalten haben. '^ — Bolte in Herrigs Archiv LXXXII,
85. Die dort citierten belegsteUen im Jahrb. für Münchener gesch. I konte ich nicht
einsehen.
7) Nach Löwen, Schriften lY, 13 (vgl. Plümicke, Theatergesch. v. Berlin 40; De-
vrient, Gesch. d. deutsch, schauspielk. I, 201) soll der dänische hofprediger oder gar
„oberhofprediger'' Lassenius in seiner Jugend zu dieser ältesten Treuschen tmppe gehört,
später vielleicht eine eigene gebildet und schliesslich von dem kurfürsten Georg
Wilhelm üben^det den schauspielefötand verlassen haben. Johann Lassenius war aber
»"st 1636 als söhn eines pommerschen pfarrei'S geboren, verbrachte 1657 — 66 einen
grossen teil seiner Jugend auf zum teil ziemlich abenteuerlichen reisen, wurde dann rector
und Prediger zu Itzehoe, gieng in den dienst des stathalters Ranzau als hofpiediger,
wurde aber keineswegs in dieser eigenschaft, sondern in der bescheidenen Stellung
eines diaoonus oder zweiten predigers an der deutschen Si Petrikirohe 1676 nach
WANDKRIBUPFEN IN DANZICABE 315
ungefähr gleichzeitig mit Wulff und Treu muss nach eigener
aussage der deutsche bandenprinzipal Andreas Fandszen in Dänemark,
vielleicht zu Odense schon 1661 und in Bergen 1664, gespielt habend
Weiter sind wir berechtigt, in Carl Andreas, der 1672 in Kopenhagen
Spielerlaubnis erhielt, einen der bedeutendsten, aber wenig bekanten
Vorgänger Veltens, Carl Andreas Paulsen zu vermuten, der schon um
1630 eine bände gebildet haben soll^ Er wird öfters bloss durch den
KopeDhagen bemfeD. Er machte sioh als eifriger asketischer Schriftsteller bekant,
wurde 1677 dr. theoL, im nächsten jähre professor, und starb 1692. Schon das jähr
seiner geburt macht jede Verbindung mit der viel älteren Carl Treuschen truppe
unmöglich, wie auch schon von Eusz in den Sohl. -holst provincialberichien 1833,
554, von Schröder in den Neuen sohl. -holst, provincialberichten 1834, 168 fgg. (vgl.
396 fgg. L's Leben von Enickbein), von Gervinus, Hagen, Gesch. des theaters in
Preussen 93, u. a. bemerkt ist Dennoch kehrt das misverständnis wider, z. b. bei Brach-
vogel, Gesch. d. kgl. theaters in Berlin I, 1877, 21—22, der auch Lassenius als
^kgl. dänischen hofprediger '^ in „ Stockholm '^ (!) enden lässt Hagen und nach ihm
Genee, Lehr- u. wandeijahre d. deutschen Schauspiels 284, glauben an eine Ver-
wechselung unseres Lassenius mit seinem gleichnamigen vater, der auch prediger
war, sonst aber ziemlich unbekant ist Schröder hingegen und neuerdings Carstens,
Axt Lassenius in der AUg. deutschen biographie, finden die annähme nicht unwahr-
scheinlich, dass unser Joh. Lassenius gegen den schluss seines abenteuerlichen Wander-
lebens, um 1666, für kürzere zeit in eine schauspielertruppe geti-eten ist. Unstreitig
scheint diese ansieht besser beglaubigt, nachdem sich herausgestelt hat, dass in die-
sen Jahren wirklich eine jüngere Treu'sche (nicht wie Carstens: ,,Traulsche ^) truppe
bestand, welche die tradition leicht mit der älteren und früher bekanten verwechselt
haben kann. Lnmerhin bleibt es doch bedenklich, dass der kurfürst Georg Wilhelm,
der Lassenius von der bühne abberufen haben soll, schon 1640 starb. Betrat Lasse-
nius nur von der not getrieben die bretter, so geschah dies schwerlich zu Berlin, in
der nähe seiner heimat und der Universität Rostock, wo er lühmlich studieii hatte;
eher im südöstlichen Deutschland oder Ungarn, wo er von den Jesuiten hingeschlept
war. Aber auch nicht die leiseste anspielung auf eine solche episode findet sich in
den gleichzeitigen quellen, dem Programma funebre der Eopenhagener Universität bei
Lassenius's tod, der lebensbeschreibung bei Moller, Cimbr. litt. H, imd einer anderen
in der dritten ausgäbe von Lassenius, Heiliger perlenschatz, Copenh. u. Leipz. 1701, 4^,
wahrscheinlich von dem deutschen prediger zu Helsingör Boldich. Ungefähr zu der-
selben zeit, in die seine scenische Wirksamkeit fallen muss, fährt Lassenius in
seinen „Arcana poUtico-atheistica*^, 1666, 12™°, s. 63 fgg. bei beschreibung eines
Jahrmarkts heftig gegen die gaukler, zahnbrecher und Schauspieler, diese „caix;ino-
mata et pestes reipublicae** aus. Weite man hier die reue des bekehrten orthodoxen
eiferers über irwege seiner vorzeit sehen, so ist dagegen zu bemerken, dass Lassenius
anderswo, z. b. in dem ^yPerlenschatze*^, ed. cit., 2. verteUung, 394, auf das Schau-
spiel zurück komt und ohne weiteren ärger erbauliche gleichnisse daraus herleitet
1) Werlauff 285. Overskoul, 110. Suhms Saml. II, 2. heft, 140. Schütze,
Hamb. theatergesch. 33. Devrient, Gesch. d. d. schauspielk. I, 204.
2) Werlauff 288. Overskou I, 112. Plümicke, Theatergesch v. Berlin 49.
316 PLLUDAN
Vornamen bezeichnet, als „Prinzipal Carl", „Carl (Andreas) Paul",
„Carl Paulson", und hatte schon, als er 1665 zu Frankfurt erscheint,
in Dänemark und (1663) in Schleswig gespielte 1668 war er in
Mecklenburg und Lübeck, und als die „Carlische geselschaft" einige
jähre später wider in Mecklenburg auftritt, hat sie in der Zwischenzeit
Schweden und Dänemark besucht *. Auf dieser reise treffen wir am
5. Jan. 1671 den „Prinzipal Carl" in Kiel*, und im märz 1672 bekomt
„Carl Andreas" erlaubnis, zweimal wöchentlich in Kopenhagen zu spie-
len. In demselben jähre wurde die „trefliche Schauspielerin" Anna
Paulson von Kopenhagen nach Petersburg berufen, ein beweis unter
anderen, dass schon vor Veiten weiber auf der bühne sich auszeich-
neten*. Ob es hingegen diese truppe war, die in einem königlichen
pass auf der reise nach Kiel 14. jan. 1676 als „unsere comedianten",
also als dänische hoftruppe bezeichnet wird, ist zweifelhaft, da die
„Carlische hochteutsche compagnie" schon 1674 von Dresden nach
Wien zog, also nicht mehr in Dänemark angesiedelt war*. Vielleicht
handelt es sich hier eher um die „kgl. dänischen priviligierten hof-
acteurs mit figuren", also puppenspieler, die in Hamburg um dieselbe
zeit, doch auch mit lebenden personen, agierten*. In diesem falle war
der hof nicht besonders kritisch, denn höchst wahrscheinlich war es
dieselbe truppe, die kurz nachher in der bitschrift eines gewissen Nico-
laus Locke vom sept 1680 als „eine so gar- undt überausschlechte
bände" bezeichnet wird. Locke dagegen will „eine bände vndt Kern
der vortrefflichsten Commoedianten " in Hamburg zusammengebracht
haben, und bekam auch für ganz Dänemark Privilegium, das er jedoch
nie benuzt zu haben scheint^. Ebenfals suchte 1695 der sächsische
Schauspieler (ehemaliges mitglied der Veltenschen truppe?) Joh. Aug.
1) litzmann in der Ztschr. f. vgl. litteraturgesch. u. renaissaDoelitt , n. f. I, 11.
Bolte in Henigs ai'chiv LXXXII, 86. Schon um 1650 und wider 25. apr. 1664 tref-
fen wir n^^l Andreas Paulj*^ in Lüneburg. Gaedertz, Theaterzustände, 75. 99.
2) Jahrb. f. niecklenb. gesch. 1836, 1, 95. 96.
3) Litzmaon a. a. o.
4) Overskou 1, 112. Litzmann a. a. o. Die quellen für die beruf ung nach
RuBsland bei Tietz Bunte skizzen aus süd und ost, Wesselofsky Deutsche einflüsse
auf das alte russ. tbeater, 1876, und Fechoer, Chronik der evangel. gemeinden in
Moskau, 1876, standen mh' nicht zu gebot.
5) Overskou I, 113. Bolte a. a. o. 86. Ob Carl Andreas Paul dann wider
mit „dessen Schwiegersohn Veiten*^ io Lübeck am 7. juni 1675 war? Vgl. Gaedertz,
Theaterzustande s. 48. 147.
6) Overskou 1, 113. Schütze 96.
7) Overskou I, 113. 265. Werlauff 288. 503.
WANDERTRUPPEN IN DANKHARE 317
üblich Privilegium als „Stadt- comediant*' zu Kopenhagen; von ihm wis-
sen wir aber später nur, dass er 1697 in Schweden war^.
Zweifelhaft bleibt es, ob der ungefähr sechsjährige aufenthalt einer
truppe „nordischer comedianten in hochdeutscher spräche" oder „chur-
sächsischer hochdeutscher comedianten ** in Schweden 1690 — 97 auch
die dänische theatergeschichte berührt. Die schwedischen Urkunden *
begegnen sich hier mit deutschen, indem wir 1697 dieselbe truppe
ZU Güstrow in Mecklenburg antreffen, durch die hoftrauer am tode
des königs Karl XL aus Schweden vertrieben, nachdem sie sich
„6 jähre in den nordischen platzen aufgehalten " ^ In diesen sechs
Jahren hat sie vielleicht auch Kopenhagen besucht, und sehr wahr-
scheinlich Bergen in Norwegen, wo der dichter Holberg als kind
eben zu dieser zeit biblische Schauspiele aufgeführt sah*. Die schwe-
dischen Verfasser wollen in diesen „ chursächsischen comedianten*^ die
berühmte Veltensche bände sehen, was sich aber schlechterdings nicht
mit der genauen Chronologie bei C. Heine ^ vereinigen lässt, ob es
schon durch die Untersuchungen Silfverstolpes* beglaubigt ist, dass Vel-
tens truppe, vielleicht in Schwedisch -Pommern, vor dem könige Karl XL
gespielt hat
Im jähre 1703 hören wir wider einmal von einem besuche nieder-
ländischer comedianten in Kopenhagen, und in demselben jähre scheint die
witwe Veiten Dänemark besucht zu haben'; über wesen und leistungen
aller bisher genanten truppen lassen sich jedoch aus alten, zerstreuten
Urkunden nur gelegentliche und fragmentarische aufschlüsse schöpfen.
Zuverlässliche erörterungen gibt erst die samlung der ältesten theater-
1) Werlauif 292. Silfverstolpe , Kfillor til svenska teatems hist, in der
schwed. zeitschr. Framtiden, 1877, 143.
2) Silfverstolpe a. a. o. 142. £. Land, Blad ur svenska teaterns hist, in
Qrönstedts schwed. ztschr. „Nu'' I, 1874 — 75, s. 426. Dahlgren, Stockholms thea-
trar, 1866, 9 fgg.
3) Bärensprung im Jahrb. f. mecklenb. gesch. I, 97. litzmann in der Ztschr.
f. vgl. litteraturgesch., n. f. I, 10.
4) Overskou I, 119. Holberg, Episteln, nr. 226. 382.
5) Joh. Veiten, Akad. diss., Halle 1887. Eher steht es mit diesem nordischen
aufenthalt kursächsischer komödianten in Verbindung, wenn ein gewisser „Franz Mel-
chior Hart, Saxonia Gomoediant.^ am 4. jan. 1692 zu Lüneburg spielerlaubnis sucht,
nachdem er in Schweden, Dänemark, Idefland, Sachsen usw. gespielt hat. Oaedertz,
Theaterzustände 119.
6) „Samlaren«, ztschr. d. schwed. litteraturgeselsch., 1889, 55—56. 1890, 76—83.
7) Overskou I, 121. Oaedertz a. a. o. 123: Frau Veiten sucht am 1. nov.
1703 aus Hamburg, nach einer beschwerlichen reise von Kopenhagen, in Lüneburg
spielerlaubnis.
.. "%• * »
318 PJLLUSAN
Zettel der dänischen nationalbühne von 1722 an, welche auf der kgL
bibliothek zu Kopenhagen vorhanden ist, und in welche sich auch
einige schauspielankündigungen der deutschen banden verirt haben, die
ein wenig früher in Dänemark spielten ^ Unter den ersten, wahr-
scheinlich schon von 1707, treffen wir hier einen anschlagszettel der
truppe der witwe Veiten:
„Die Eönigl. Pohlnische und GhurfiirsÜ.- Sächsische Hoff-Comoe-
dianten Werden mit gnädigster Erlaubnüs, Heute Frey tags den 4 No-
vemb. [1707] umb ihnen sonderbahre Affection zu erwerber (!), auf-
führen eine von dem berühmten Italiänischen Meister Cicognini ent-
lehnte Haupt -Action, die sich betitult:
Statua, Oder: die in ein Marmorsteinernes Bild yerliebte
Princeszin Adamira.
Personen der Action.
1. Indamoro, König in Sicilien.
2. Adamira, seine Tochter.
3. Dionysia, Princeszin aus Aragonien, in Gestalt eines Oärtners,
unter den Namen Laureno.
4. Heinrich, Printz aus Castilien.
5. Fischetto, sein Kammer- Diener.
6. Corinto, Printz aus Aragonien, unbekant, unter dem Nahmen Pe-
rideuB.
7. Pasquella, seine vermeynte Mutter, eine alte lustige Frau.
8. Drusilla, des Königs heimliche Liebste.
9. Despino, ihr lustiger Knecht
10. Idraspe, Capitain von des Königs Wacht.
11. Trinea, der Adamira Kammer- Mädgen.
12. Tepandro
J Zwey
-^ . I «.,^T Banditen.
13. Arzeo |
Kurtzer Summarischer Inhalt:
Des ersten Actos:
Der Capitain Idraspe findet den Despino auff der Schildwacht vor
der Drusilla Kammer-Thür schlaffend. Der König beurlaubet sich mit
seiner heimlichen Maitresse Drusilla, diese bestellet durch Despino zwey
1) Die Zettel sind schon yon Werlauff Antegnelser 292 fgg., und Oyerskon
Danske skueplads I, 126. 136 fgg. erwähnt, nirgends aber abgedruckt Meine abschrif-
ten sind mit allen Sprachfehlern wortgetreu und in ihi'er logischen und giammatiscben
unbehülflichkeit für die bildungsstufe der fahrenden Schauspieler bezeichnend.
wjlndxbtrüppkn in dInrmark 319
BanditeD, welche den Gärtner Laureno umbringen sollen, weil er in
ihre geile Begierden nicht hat willigen wollen. Printz Heinrich ent-
decket seinem Kammer -Diener Fischetto die grosse Liebe, so er gegen
die Princeszin Adamira trägt, und klaget daneben über ihre kaltsinnige
Härtigkeit, Brasilia wil Printz Heinrich zur Gregenliebe anreitzen,
beköAt aber den Korb, und musz mit Schanden abziehen. Perideus
koiüt mit seiner Pflege -Mutter Pasquella an den Sicilischen Hoff, an
welchem sich auch die Princeszin Bionysia aus Arragonien, in Mafls-
Kleidern und Gärtners -Oestalt, unter dem Namen Laureno auffhält,
damit sie auff Printz Heinrich desto besser Achtung geben kan, wel-
cher ihr in Arragonien die Ehe zugesaget, ihre Liebe genossen, und
hernach verlassen. Tepandro und Arzeo geben Feuer auff Laureno,
und verwanden ihn, Perideus, Pasquella und der Gapitain Idraspe
komen ihm zu Hülffe.
Des andern Actus.
Bie Princeszin Adamira beklaget ihre heimliche Liebe gegen die
Marmorsteiner Statuam, und wird von ihrem Kammer-Fräulein Trinea
vergebens getröstet, Printz Heinrich bemühet sich umsonst um der
Admirä Gegenliebe. König Indamoro will von seiner Tochter Adamira
die Ursache ihrer Traurigkeit und heimlichen Leydens wissen, kan aber
wegen ihrer Halszstarrigkeit und Yerschwiegenheit nichts erfahren. Ber
Gärtner Laureno meldet den Perideus und die Pasquella bey dem Kö-
nige an, werden von demselben in Bienst genommen, und machet
Pasquella, welche sich in den Laureno verliebt hat, gar poszirliche
Händel. Perideus wird in Debe entbrannt gegen die Princeszin Ada-
mira, entdecket solches dem Laureno, und begehret seiner Hülffe.
Des dritten Actus.
Trinea überlieffert der Pasquella die Schlüssel zum Garten -Zim-
mer, und vexiret sie mit der Liebe gegen den Laureno. Bie Prin-
ceszin Adamira klaget gegen die Statua im Garten ihre Liebe, Laureno,
welcher sich verstecket hat, höret solches, und erfähret also ihr Geheim-
nüs, überredet sie auch, dasz er die Kunst könne, einen Stein leben-
dig und beweglich zu machen, und verspricht solches ins Werk zu
richten. Brusilla lasset durch ihren Biener Bespino dem Perideus ihre
Liebe antragen, Laureno offenbaliret dem Perideus der Adamira heim-
liche Liebe gegen die Statua, und giebt ihm den Rath, dasz er auff
die künfitige Nacht die Statua präsentiren solle: die Princeszin zu
betrügen, und seine Begierde zu erfüllen, hernach überredet er den
Printz Heinrich, dasz die Princeszin Adamira gegen ihn verliebet sey.
«.'■ * . ' - ». "I-.«! *
320 PALÜDIN
und werde seiner künfitige Nacht im Garten erwarten. Drusilia ent-
decket dem Despino dasz sie die Rache so wohl an Printz Heinrich,
als an Perideus, wegen verschmäheter Liebe, suchen wolle. Adamira
kommt im finstem zu ihrer geliebten Statua in den Garten, welche
sie lebendig machet, und mit sich führet Printz Heinrich vermeinet
Adamira anzutreffen, enpfanget aber unwissend seine verlassene Liebste,
die Dionysia, welche sich in der Adamira Kleider verstellet hat, wer-
den also Adamira und Heinrich durch die Dunckelheit der Nacht artig
betrogen.
Des vierten Aotos.
Drusilia klaget dem Printz Heinrich bey dem König falschlich an,
als habe er sie mit Gewalt zu seinem Willen zwingen wollen, Despino
musz diese Anklage wider seinen Willen bekräfiEtigen helffen. Der
König beklaget sich über Printz Heinrich, dieser solches hörend, ver-
meynet, dasz der König um seine Liebe wisse, tritt derohalben hervor,
und bekennet dem König, dasz er vergangene Nacht der Princ^szin
Adamira ihre Liebe genossen habe, der König jaget ihn zornig von
sich, und verfluchet die Unkeuschheit seiner Tochter Adamira. Peri-
deus, welcher von ferne solches höret, bildet sich ein, dasz der König
von seiner gepflogenen Liebe Kundschafft habe, und entdecket solches
dem Könige, und wird mit Grimm abgewiesen. Darauff bringet Pas-
quella dem Könige der Adamira Kleider, welche sie in des Laureno
Kammer gefunden, und saget, das Adamira mit Laureno in Unzucht
gelebet habe. Der König, seiner Tochter Ehre zu retten, wil sie mit
Printz Heinrich vermählen, aber Laureno kommet darzwischen, und
entdecket, dasz sie die Princeszin Dionysia sei, befindet sich also
Heinrich betrogen, bittet seine Liebste um Verzeihung, und vertraget
sich mit ihr.
Des fünfften Actos.
Der König examiniret seine Tochter scharff, dasz sie sagen solle,
wer vergangene Nacht bey ihr gewesen, sie aber bleibet beständig
darauff, dasz es die Marmorne Statua sey, weswegen sie der König
für unsinnig halt, beschliesset aber bey sich, den Betrug zu erforschen.
Pasquella suchet Gegen -Liebe bey Laureno, weil sie ihn vor ein Manns-
bild hält, und verehret ihm ein köstlich Kleinod, Drusilia und Despino
sehen dieser Kurtzweil zu, imd vermeynet, dasz das Kleinod dem Kö-
nige gestohlen sey. Perideus wird in Gestalt der Statua ertappet und
gefangen genommen, und siebet die Princeszin Adamira, dasz sie betro-
gen worden. Perideus wird von der Drusilia als ein Dieb angeklaget,
aber vermittelst des Kleinods, wird er vor den verlohmen Printzen
WANDBRTRÜPPRN IN DÄNIUARK 321
Coriuto aus Arragonien vom Könige erkannt, und mit der Princeszin
Adamira vermählet
Nach dieser vortrefiflichen, raren, Haupt- Action, soll, damit jeder-
mann vergnügt uns verlassen möge, den Bescblusz machen, eine Nach
Comödie, welche ungemein lustig und sich betitult: Pickelherings Dop-
pelte Heyrath".
Den titel „kgl. polnischer und churfürstlich sächsischer hof-come-
dianten^ bekam die truppe der witwe Veiten nach der wähl des kur-
fürsten Friedrich August zum polnischen throne 1697; 1714 gieng der-
selbe auf die Haacksche, später Hoffmannsche truppe über^ Das stück
war bereits von Veiten 1684 in Dresden und 1690 in Torgau, nach
1700 vielleicht in Nürnberg aufgeführt und ist, wie schon der theater-
zettel besagt, nach Oiacinto Cicognini, einem der besseren dramatiker
Italiens im 17. Jahrhundert bearbeitet*. Dem ausführlichen referat bei
Klein zufolge weicht die hauptaction nur unwesentlich von Cicogninis
„Adamii-a overo la Statua dell' onore*', Venezia 1663 (1657?), ab. An
dem scenengang ist vielleicht ein wenig geändert, einige, meist unter-
geordnete personen haben namen gewechselt (die maitresse des königs
heisst im original Lesbia); die alte Pasquella und Despino, welcher bei
Cicognini eunuch ist, nähern sich als „lustige'^ personen etwas mehr
dem weiblichen und männlichen harlekin, dessen figur in der haupt-
action nicht gern fehlen durfte. Bei Cicognini ist die stelle der hand-
lung an den hof des schwedischen königs in „Nicosia^ verlegt, und
die äusserst verwickelten liebesintrigen spinnen sich zwischen schwe-
dischen, dänischen und norwegischen prinzen und Prinzessinnen ab,
um durch die blaue ferne den romantischen effekt zu erhöhen. Wahr-
scheinlich zu demselben zwecke hat der deutsche bearbeiter die scene
nach Spanien und Italien zurück verlegt, weil diese gegenden im nor-
den als land der romantik galten ^ So kam aber das stück um das
lokalinteresse, welches die ursprüngliche fassung bei einer aufTührung
in Kopenhagen dargeboten hätte, besonders zu einer zeit, wo kaum
jemand an dem gänzlichen mangel aller geschichtlichen und nationalen
farbung würde anstoss genommen haben.
1) Fürsteoau, Gösch, der masik and des theaters ia Dresden 11, 290.
2) Heine, Joh. Veiten 30. 58. 60. Klein, Gesoh. des dramasY, G6Gfgg. Jahr-
buch d. Shakespearogeselsch. XIX, 146, nr. 11.
3) In Meissners Verzeichnis, Shakespearejahrb. XIX, 146, lässt jedoch der
titel: „Die in eine statua verübte pnnzesin Adamira aus N ord wegen '^ (Nürnberg
um 1710?) auf eine verschiedene, in dieser hinsiclit Cicognini näher stehende redac-
tion sohliessen.
ZBITSCHRIFT F. DEUTSCHS PHILOLOOIB. BD. XXV. 21
322 PALÜDAN
n.
ungefähr aus derselben zeit datiert sich vermutlich ein zweiter
anschlagzettel, der einzige, der sich von einer Vorstellung der Wander-
truppen in den dänischen provinzen erhalten hat:
„Comoedia Qenandt: Der Verirrte Liebes-Stand, oder Der
Durchlauchtige Bauer. Dediciert und praesentiil Dem Hoch und
Wohlgebornen Herrn, Hn. Hans Schach, Oraff von Schackenburg eta
StiSt-Befehlungs-Mann über Riber-Stifft etc., Meinem gnädigsten Gra-
fen und Herrn**.
Nach einer langen poetischen widmung, einer guten probe der
elenden, eben so gespreizten als kriechenden komödiantenpoesie der
zeit, welche L A. D. unterzeichnet ist, folgt der
„Summarische Inhalt der Persohnen.
1. Orismanna, Königin in Böhmen.
2. Sigislaus, ihr Yetter, Frintz in Böhmen.
3. Odoardus, Hertzog und General der Königin.
4. Hedregundis, Princeszin der Wenden.
5. Salamiro, grosser Stadhalter in Böhmen.
6. Protopan, Hoher -Priester.
7. Mehim
}
^ o -2 Priester.
8. Sacer
> Königliche Räthe.
9. Herminus
10. Belsarus
11. Saga, eine Ziegeunerin.
12. Dolfero ^ ^.
13. Fiandus J ^^'S'^^^^*
14. Hedwan, ein Bauer.
Actas I.
Orismanna, Königin der Böhmen, kommt mit Sigislao ihres Bru-
ders Sohn, nach niedergelegten Wendischen Kriegs -Heer und Gefan-
genschaffl; der Wendischen Princeszin Hedregundis triumphirend in
Böhmen an. Orismanna ertheilet Befehl, die Hedregundis den Göttern
auffzuopffem, Sigislaus wird in denselben Augenblick gegen sie ent-
brant, und suchet ihren Todt zu hindern, bisz der darzukommende
Hohe -Priester, nachdem der Tempel eröfhet, die Königin auf mildere
Gedancken bringet, und die Gefangene völb'g vom Tode befreyet
Actus n.
Sigislaus, nachdem er von einem erscheinenden Nächtigen Geist
Nachricht erlanget, dasz sein Vater von Hertzog Odoardo mit GifiEl s^
WANDBBTRUFPBN IN DÄNEMARK 323
hingerichtet worden, verpflicht sich hoch, seinen Tod zu rächen. He-
dregnndis geräth in ein Oespräch mit ihm, welches die AnkunfFt der
ungestümen Orismanna verhindert Sigislaus entdecket der Königin
Mäuchelmörderischen Tod seines Vaters, und kan sein rachgierich G^
müth dabey nicht verbei^gen. Die Königin bittet aus falschen Sinn,
er möchte sich nach dem Ober- Zimmer verfügen, sie wolle ihm gleich
folgen, und fernere Unterredung halten, Sigislaus gehet, und fället in
die daselbst zugerichtete Falle, nehmlich eine Orube von Ottern und
Schla[n]gen angefüUet Odoardus geräht bey der Königin in Verdacht,
ob habe er Sigislaum den Mord seines Vaters entdecket, wird aber
bald bey ihr wieder ausgesöhnet Die Königin versammlet ein Oericht
über die unschuldige Hedregundis, gibt vor sie sey mit Sigislao ver-
letzter Majest schuldig, Sigislaus als überwiesen habe die Flucht genom-
men, fallet hernach selbst das ürtheil, man soll ihr einen Trunck, wel-
cher sie ihres Sinnes beraubet, eingeben, und hernach in eine wüste
Einöde Verstössen, Sigislaus entkommt in Bauren Habit den Zorn der
Orismanna.
Actos m.
Hedregundis kommet rasend zu einer Compagnie Ziegäuner, Saga,
die vornehmste darunter, bringet ihr durch einen Kräuter- Trunck den
verlohmen Verstand wieder, und nimmt sie vor ihre Tochter an, Sigis-
laus verdingt sich als ein Knecht bey einen Bauer Orismanna ist ent-
schlossen, ihren heimlichen Buler Hertzog Odoardum auff den Thron
zu heben, hier wieder legen sich die Reichs -Stände, entschliessen sich
endlich das Oracul zu befragen, welches zur Antwordt gibt, dasz der
Böhmische Thron einen Bauren und Ziegeuner bescheret sey, hierüber
wird Orismanna erzürnet, hauet dasz Götzen -Bild entzwey, versincket
aber zugleich in den Schlund der Erden. Odoardus wird aufT Befehl
der Stände gefänglich angenommen, das Oracul wird wieder gefragt,
wer das Beich regieren solte, gibt zur Antwort, der auf einen eysemen
Tisch sein Brod wird essen. Deszhalben werden an unterschiedene
Oerter Hoff- Bediente geschicket solchen zu suchen.
Actos IV.
Sigislaus geräth mit der verkleideten Hedregundis in einen Lie-
bes-Discurs, jedoch unwissend, das es seine Liebste sey. Belsarus ent-
lediget den Odoardum seiner Gefangnüs, welcher hernach im Wald
dem arbeitenden Sigislao unerkandt aufT stöst, und alle seine Schelm-
stücke ordentlich erzehlet, aber darbey eine grosse Reu blickea last
Sigislaus heist ihn um mehr Sicherheit willen, sich in eine alte Scheuer
21*
324 FALÜDAN
verbergen. Fürst Salamiro mit einem Priester finden Sigislaum auff
dem Pflug sein Brod essen, kündigen ihm Königliche Würde an, wobey
sich der neue König wunderlich anstellet, indem er den Fürsten, aller
seiner Würden und Güter entsetzet, und die gantze Ziegäuner-Zunffi
nebst dem Odoardo und seinen Wirth und Wirthin gefänglich anneh-
men lasset
Actus V.
Sigislaus legt seine verstelte Grausamkeit ab, setzet den Fürsten
Salamiro in seine Würden und Güter wieder ein. Belsarus erlangt
Gnad wegen des entledigten Odoardi. Odoardus wird zu ewigen Zeiten
aus dem Königreich Böhmen verbannet, der Bauer Hedwan und die
Ziegeuner werden begnadiget, und Sigislaus vermählet sich nach vor-
hergehender scharfiFen Keuschheits-Prob, mit der Ziegeunerin Hyacyn-
tha, welche zuletzt vor die Princeszin Hedregundis erkennet wird.
Nach dieser Haupt- Action sol folgen eine lustige Nach-Comcedie
° Arleqvin der betrogene Kup[ler].
Das stück finde ich nur in Meissners Verzeichnis [Jahrb. der
Shakespearegeselsch. XIX, 149, nr. 71: „Der Eiserne tisch oder prinz
sigislaus aus böhmen^, zu Nürnberg nach 1700?] erwähnt; dessen
Inhalt aber nirgends widergegeben. Seinen Ursprung habe ich nicht
ermitteln können; vielleicht fände sich wie für die Adamira ein origi-
nal in der romantischen dichtung Italiens oder Spaniens. Die perso-
nennamen in unserem stück tragen jedoch weniger italienisches gepräge
als die der Adamira.
Der Zettel hat keinerlei datierung, falt aber nach den dem grafen
Schack beigelegten ämtern und ehrentiteln zwischen 1698 — 1711*,
wahrscheinlich in die lezteren jähre dieser periode. Die truppe ist auch
nicht näher bezeichnet, aber die buchstaben L. A. D. unter der poe-
tischen Widmung können meiner ansieht nach nichts anders als Leonard
Andreas Deuner bezeichnen. Dies war gewiss der ältere Denner, wel-
cher wie sein söhn, der bekante Harlekinspieler, seine tochter und
sein künftiger Schwiegersohn, der spätere prinzipal Johann Spiegelberg,
ursprünglich mitglied der Veltenschen truppe gewesen sein soll. Nach
Devrient* bildeten sie 1710 eine eigene geselschaft, die namentlich im
norden hospitierte. Die Jahreszahl ist jedoch zweifelhaft; die Denner-
Spiegelbergsche bände dürflie sich schon eher abgesondert haben. Von
den kurf. sächsischen und kgl. polnischen comödianten der witwe Vel-
1) Werlauff, Antegnelser 292.
2) Gesch. d. deutschen schauspielk. I, 344.
WANDRBTBUFPIGN IN DÄI^EHARK 325
ten weiss man nur, dass sie 1697 in Dresden und Wien, 1702 und
1709 in Hamburg, 1704 in Nürnberg, 1707 in Kopenhagen spielten ^
Hingegen ist es unsfcber, ob es diese bände und nicht vielmehr schon
die Denner-Spiegelbergsche war, welche im Winter 1709 — 10 bei ihren
irfahrten auf dem eise in den skandinavischen reichen so übel zugerich-
tet wurde , dass Jfr. Denner sich die beiden grossen zehen amputieren las-
sen muste^. Jedesfals spielte die Denner-Spiegelbergsche famiiie noch
vier jähre früher, 1706, mit Stranitzky in Wien zusammen, vielleicht
doch nur zeitweilig von Veltens getrent; aber nicht lange vor oder
nach dieser zeit treffen wir urkundlich den älteren Denner als prinzi-
pal einer eigenen bände zu Köln. Maltzahn, Bücherschatz 346, hat
nämlich folgenden anschlagzettel:
„Denen Hoch -Edel -Gebohmen, Gestrengen . . . Herren Bürger-
meisteren und Rath Der Käyserlichen Freyen- Reichs -Stadt Collen am
Rhein, Meinen Gnädigen und Hochgebietenden Herren wolte folgende
Haupt- Action nebst vorgehendem Musicalischen Prologo Genannt Der
im Krieg verirrte, und in der Lieb verwürrte Soldat Als ein Zeichen
seiner unterthänigen Pflicht und Schuldigkeit, gehorsambst aufführen
und verbundenst dediciren, Deroselben Unterthäniger Diener Leonardus
Andreas Denner, Principal der Königl. Grosz-Britt und Churfürstl.
Braunschweig-Lünebtirg. würklichen Hoff-Acteurs*'.
Der Zettel ist ohne jähr; Maltzahn sezt ihn, ich weiss nicht wa-
rum, in die jähre 1698 — 1708, was nicht übel mit der mutmasslichen
Zeitangabe für die aufführung des „Durchlauchtigen Bauers*' zu Ripen
in Jütland stimt. Der Verfasser der poetischen widmung L. A. D. spricht
1) Devrient I, 315 — 16. 318. Füretenau II, 299. Overskou I, 126. Siehe
Gaedertz, Theaterznstäode 121. 123.
2) Schmidts mii' leider unzugängliche ChroDologie des deutschen theaters erzählt
diese etwas romantische geschichte von Spiegelbergs bände; Overskou I, 127 hingegen
von Veltens, die sich von Kopenhagen nach Holstein reisend auf dem gefromen
Bell verirte. (Vgl. hierzu die oben citierte notiz bei Gaedertz a. a. o. 123 von der
beschwerlichen überfahrt der witwe Veiten von Kopenhagen nach Holstein im Oktober
1703.) Overskou beruft sich auf Löwen, in dessen Theatergesch. (Schriften IV,
Hamb. 1766) diese erzählung sich jedoch nicht findet, dagegen eine andere, höchst
apokryphe, von dem entsetzen der naiven, halb heidnischen (!) Gotländer, als Vel-
tens truppe, vom stürm vorschlagen, in theatercostumen ihra insei betrat. Die zwei
traditionen veiinischt Devrient I, 344, der, ohne besondere geographische skrupel,
Spiegelbergs truppe „auf dem gefrornen Belt'^ nach Gotland wandern lässt (!) E. Lund
(Blad ur svenska teatems bist., „Nu** 1874—75, 427) findet mit fugOverskous bericht
wahrscheinlicher; allein woher stamt denn eigentlich dieser? Weder schwedische
noch dänische gleichzeitige quellen wissen von einem besuch deutscher Schauspieler
im jähre 1710, und auch die deutschon scheinen etwas trübe und widersprechend.
326 PALUDAN
auch in dem Bipener programm mehrmals in der ersten person und
im eigenen namen, so dass wir berechtigt sind, in ihm den prinzipal,
und also in der trappe die königl. grossbrittannischen und korfiirstlich
braunschweig-Iüneburgischen hof-acteurs zu vermuten. Von dieser
geselschaft weiss man sonst nichts weiter, als dass die bekante Caroline
Weissenbom und ihr gatte Neuber mitglieder waren, als sie 1718 zu
Braunschweig getraut wurden^. Es war also nicht, wie v. Beden-
Esbeck vermutet, die Haacksche trappe, welche diesen titel führte;
vielmehr hatten Neuber und seine gattin 1717 ihre scenische laufbahn
bei der Spiegelbergschen bände angefimgen und waren dann in dem
nächsten jähre zu den kgl. grossbrittannischen acteurs übergegangen;
was sehr natürlich ist, vorausgesezt dass Denner, der mit Spiegelbeig
in so naher Verbindung stand, noch 8 — 10 jähre nach seinen Vorstel-
lungen in Köln und Bipen an der spitze der leztgenanten trappe war.
m.
Die beiden Vorstellungen zu Köln und zu Bipen sind sogenante
„Baths-komedien^, welche die truppen, um sich für gute aufnähme zu
bedanken, mit feierlicher, auch poetischer widmung der obrigkeit zu
ehren zu geben pflegten. In Deutschland, besonders in den freien
Städten, war es bürgermeister und rat, denen man auf diese weise hul-
digte'; in Dänemark aber, wo unter der souveränen regierung die com-
munaladministration weniger entwickelt war, wante man sich an den
Stelvertreter des königs oder an hohe und einflussreiche gönner. So
finden wir dasselbe stück „Der verwirrte Soldat^, welches in Köln von
Denner als i-atskomödie aufgeführt war, auch in Kopenhagen 1719, dem
obersecretär der dänischen kanzlei Ditlew Wibe zu ehren, von der Spie-
gelbergschen truppe gespielt Diese hauptaction war eine der bekan-
testen und beliebtesten; sie stand fünfzig jähre hindurch auf dem reper-
toire verschiedener truppen und gehört zu den wenigen, die volständig
veröffentlicht sind, vielleicht in einer zu Laibach schon 1671 aufgeführ-
ten redaction^ Später wurde sie in Dresden 1673, und in Torgau 1690
von Veiten, zu anfang des 18. Jahrhunderts von Denner in Köln, 1719
von Spiegelberg in Kopenhagen, 1720 (auch 1733?) in Stockholm und
1) Trausohein bei v. Beden -Esbeck, Caroline Neuber, 41.
2) Vgl. A.Gohn im Jahrb. d. Shakespeareges. XXIII, 269 fgg., 1692 und 1699
in Breslau. Oaedertz Theaterzusi 110, 1680 in Lüneburg.
3) Durch G. v. Radicz, Agram 1865; vgl. litt oentralbl. 1866, nr. 49, Job.
Bolte in der Ztschr. f. deutsche phil. XIX, 1887, b. 86 und Klemming, Sveriges
dramaÜBka literatur 539.
WANDIBTRUPPBN IN DANEMAJUC 327
möglicherweise 1724 in Hamburg von demselben gespielt. Die aus-
gäbe von Badicz stand mir nicht zu geböte; um andern die vergleichung
zu erleichtem, teile ich hier das Eopenhagener programm mit, nur mit
weglassung der in Kopenhagen eigens hinzugedichteten widmung und
einer Aria, worin „Fama der Hoch -Edel und Wohlgebohmen Wibschen
FamilisB alles Glück und Heil wünschet, Wobey sich der Berg Pamas-
sus mit denen Musen praesentiref^, ein stück poesie von demselben
schlage wie die Dennersche. Der text selbst scheint nach dem in Bol-
tes au&atz gegebenen, kurzen andeutungen ganz derselbe zu sein, wel-
cher in Berlin und Wien handschriftlich erhalten ist, vermutlich also
auch mit dem von Badicz herausgegebenen gleichlautend. Einige
Unklarheiten und kleinere namensänderungen sind wol auch hier der
schriftstellerischen unbeholfenheit des programverfassers zuzuschreiben.
„Mit Allergnädigster Königlicher Bewilligung, Wollen Dem Hoch-
Edel und Wohlgebohmen Herrn , Herrn Detlev von Wiben , Ritter von
dem Elephanten Orden. Sr. Königl. Majestät von Dennemarck und
Norwegen, etc. Hoch-wohlbestalten Geheimten Rath und Grosz-Cantz-
lern. Ihrem grossen und vielvermögenden Patron dediciren und über-
geben Gegenwärtige Blätter. Und Ihm einig zu ehren auf den gewöhn-
lichen Theatro in einen Schau -Spiel vorstellen, eine galante, modeste
und sehenswürdige Action, Genandt: Des glückes Probier-Stein,
Oder Der im Krieg verirrte, und in der Liebe verwirrte Lie-
bes-Soldai Heute Montags den 23 Januarii [1719]^. Die vor itzo An-
wesende Hoch Teutsche Comoedianten". (Hier folgt widmung und prolog.)
Persohnen der ActioD.
1. Selim, König in Persien.
2. Selimor, sein Sohn, unter dem Nahmen Ormachus.
3. Albia, Königs Tochter.
4. Aribane, des Türckischen Kaysers, Solimans Tochter und Selimors
Liebste.
5. Parsinor, ein Land -Fürst, und der Albia Liebhaber.
6. Ajachmor, Ein Feldtherr.
7. Achmet
8. Harbi . Königliche Bäthe.
9. Sultan I
10. Orman, Selimors Hoff- Meister.
1) Der tagesangabe nach könte die Jahreszahl auch 1713 sein; aber Wibe wurde
erst am 6. jan. 1716 elephantenritter.
328 FALUDAN
Summarischer Inhalt.
Selim ein König in Persien, halt mit seinen Ministris Kriegs -
Bath, ob es vor sein Land und Reich besser gethan sey mit dem
Türckischen Kayser, Solimann, noch länger zu streiten, oder gegen
denselben die Waffen nieder zu legen. Harbi will, dasz man den
Feind mit aller Macht verfolge. Achmet thut unterschiedene Vorschlage,
wie das Yolck zum Streit könne muhtig und hertzhafift gemacht wer-
den. Sultan aber meinet, es sey weszlicher [sie!] gehandelt, wenn man
noch ein klein wenig mit Frieden stille lege, imd wartete, bisz der
Feind von neuen den ersten Angriff thue. Und weil Selim sich die-
sen Anschlag gefallen lasset, bemühet sich Fürst Parsinor auffs beste,
solchen mit Nachdruck zu wiederlegen. Dieses hat um desto eher
seine Wirckung, indem die Zeitung von der Princessin Albia Gefan-
genschafft gebracht wird. Worüber denn der König der massen ergrim-
met, dasz er eher sterben, als sein geliebtestes Kind in Solimans bar-
barischen bänden lassen will. Der Perser Feldherr Ajachmor setzet
mit der Klinge seines Degens des Türckischen Kaysers Tochter, der
Aribane cifferig nach, welches bey jedermänniglichen eine grosse Ver-
wunderung verursachet, da sie nicht wissen, was es vor eine Persohn
gewesen. Aribane tritt darauff mit geblösten Gewehr herein, giebt
sich zu erkennen, und nachdem um ihrentwillen der Krieg angefangen
worden, begehret sie von dem Könige, dasz er durch ihre Hand ster-
ben soll. Ormachus beschützet des Königes hohe Wohlfahrt durch
seine Klinge, und redet mit freundlichen werten Aribane ein, dasz
sie ihren zorn mäszige. Sie aber wendet vor, es sey fast ohnmöglich,
sich zu zwingen, allermassen der blutdürstige Selim sie ihres Liebsten,
durch Ertödtung seines Sohnes beraubet hat Doch nach langer Unter-
redung besänfiliget sie sich, sonderlich, da ihr Erlaubnisz gegeben wird,
ihres Liebsten Grabmahl zu sehen. Ajachmor mit Sultan und Achmet
bringen die höchsterfreuliche Nachricht, das Solimans gantze Kri^es-
Macht gäntzlich von ihnen erleget sey, und Fürst Parsinor die Print-
zessin Albia aus der Türeken Gewalt errettet habe. Albia und Paiisinor
zeigen sich in Persohn selber, und nachdem er sich so tapffer gehalten,
bekommt er die Printzessin von des Königes Hand, statt einer könig-
lichen Belohnung, zu seiner Gemahlin. Ormachus als ein Erhalter des
Königes, wird cbenfols begnadiget, und mit dem Fürstenthum Meschet
beschencket. Aribane eriiält desgleichen völligen Pardon, und wird mit
aller Liebe und Höfflichkeit umfasset Ormachus beseufilzet sein Elend
besonders, dasz er seine liebste Aribane verlassen müssen, und von
seinem Vater so unbarmheilzig verfolget worden, der ihn auch sogar
WANDERTRUPPEN IN DÄNSMARK 329
todt ZU seyn vermeinet. Orman als sein Hoffmeister, erkündiget sich
bey Ormacho seines wahren Zustandes, und weil er mit selbigem Mit-
leiden trägt, versichert er ihn durch einen theuren Eydschwur seiner
getreuen Hülffe.
Actos n.
Der König Selim bezeuget ein überflüsziges "Wollgefallen gegen
Ormacho, dasz er ihm beym Leben erhalten, und wieder Aribane
geschützet Aribane wird von neuen der Königlicher Gnade versichert
Ajachmor, Sultan und Achmet müssen ihr Gutdüncken geben von Ari-
bane Schönheit Drauff ofEenbahret ihnen der König, dasz er sie zu
seiner Gemahlin begehre. Solches glauben sie nicht, dasz es geschehen
könne, denn die Liebe, so sie zu Selimor getragen, sey allzu grosz.
Doch Ajachmor thut den Vorschlag, man solle einige Gesandschafft an
Soliman abfertigen, und mit ihm Friede stifften, vielleicht möchte die
Heurath können vollzogen werden. Darzu wird Fürst Parzinor erwählt
Ajachmor ist darüber vergnügt, weil er in dessen Abwesenheit seine
Liebste Albia zu entwenden hoffet Aribane verwundert sich gegen
Albia über den prächtigen Staat des Persischen Hoffes woboy Parsinor
und Ormachus mit zugegen seyn. Ajachmor fordert den Parsinor zum
Könige welcher auch alsobald seinen Abschied von seiner Albia nimmt,
und dem Ajachmor, selbigen indesz zu bedienen, Überlässet Ormachus
allein nimt Gelegenheit bey Aribane mit verblümten Reden von Selimor
und seiner Liebe, die er gegen Aribane gehabt, zu reden, welcher
Discours der König aber unterbricht, worauff sich gleich Aribane beur-
laubet wegzugehen. Der König verlanget von Ormacho, dasz, weil er
beredtsahm, er doch solle vor ihm bey Aribane um liebe anhalten.
Dieses verspricht er zwar zu thun aber mit grosser Bestürtzung seines
Gemüthes, denn er selber die Aribane liebet Ajachmor entdecket dem
Ormacho, dasz er die Princessin Albia liebe, und obschon Fürst Par-
sinor ihrer sey theilhafftig worden, wolle er sie ihme doch wieder ent-
führen zu dem Ende habe er auch dem König überredet, dasz er ihn
zu der Gesandtschaft; nach Soliman brauchen solte. Ormachus erschrickt
über dergleichen Boszheit gewaltig. Aribane, beklaget vor sich ihren
Selimor, dasz sie seiner Liebe nicht weiter geniessen kan. Ormachus
dargegen seine Aribane, dasz er sich nicht darff vor seinem grausah-
men Vater ihr zu erkennen geben. Fürst Parsinor besuchet Ormachum,
und, weil sie beyderseits vertraute Freunde, kan dieser nicht umhin,
ihme des Ajachmor Bubenstück zu offenbahren, doch ohne Nennung
der Persohn, weil er seine Ehre dabey zu Pfände gesetzet Aribane,
welcher von Ormacho höret, dasz der König sie liebet, ja sie gar zu
330 PALUJDAIV
seiner Gemahlin haben wül, schlaget solche liebe aus, und wil Ton
keinen andern, als Selimor, wissen. Nachdem Ormachus sich gegen
ihr blosz giebet, und saget, er sey Selimor, der biszhero Ormachus
geheissen, sincket sie in eine starcken Ohnmacht zur Erden nieder.
Ormachus wird auch bestürtzt, denn da der König nach der Ursache
fragt, was der Aribane fehle, weisz er nicht, was er andt werten soll.
Doch, da er sehr drauff dringet, wendet er ein, er habe bey ihr den
Befehl des Königs vollbracht, und als sie es vernommen, sey sie £ftst
des Todes gewesen. Albia und Ajachmor können sich nicht genug
darüber verwundern, Ajachmor rathet demnach dem König, er solle
mit Gewalt sichs von Ormacho sagen lassen, woher ein solch schleunig
Schrecken entstanden. Ormachus gehorsahmet, und was er kurtz vor-
her mit deutlichen Worten gegen der Aribane gesprochen, dasselbe
saget er hier sehr verklümet aus. Und weil er sich so gar an dem
König mit dem Degen, hernach an dem Ajachmor vergreiSt, wird er
in Yerhafft gezogen. Fürst Parsinor tröstet die betrübte Aribane mit
liebreichen Zureden, der Princessin Albia erweckt er eine Freude durch
Offenbahrung ihres Bruders Selimors, welches auch Orman vor seine
Fersohn erweiset, indem er bey diesen Handel mit Bath und That
ihnen an die Hand zugehen getreulich angelobet
Actus m.
Ormachus im Gefängnisz beklaget abermahl seinen unglückseligen
Zustand, dasz da ihn der Himmel hat hoch gebohren werden lassen,
er doch nicht, wie andere Fürsten und Könige Kinder, leben kan,
Orman spricht ihm einen Muth ein, mit Yersicherung, er werde noch
heute sein Aribane als Braut, umarmen können. Dieses will er nicht
glauben, weil sein geUer Yater ihm verhindernisz machet, wird aus
liebe nach Aribane rasend, aus Yerzweifflung reisset er die Ketten
entzwey, und springet aus dem Gefängnisz. Aribane solches hörend,
lauffet ihm geschwinde nach. Parsinor, nebst Achmet und Harbi, las-
sen sich von Orman dem richtigen Yerlauff der Sache mit Ormacho
erzehlen, und entschlieszen sich mit einhelliger Stimme, ihre Bache
am Selim, den gottlosen Yater, deswegen auszuüben. Ormachus raset
und tobet, und will von Aribane sich nicht besänfitigen lassen, ist unge-
halten, dasz Aribane seine Liebe verachtet, Harbi und Sultan lästern
dem König und vertheidigen gegen ihm den Ormachum, worüber Ajach-
mor hefftig erzürnet wird. Orman meldet einen Abgesandten von Soli-
man an, der König will ihm nicht hören, aber er musz sich doch wieder
des Königs Willen stellen. Selim siebet sich verrahten, weil der gantze
WANDEBIBUFFEN IN DAMEUABK 331
Hoff voller Auffrohr ist Des Gesandten Begehren wird nach allen
stücken erfüllet Der König fragt den Parsinor, warum er nicht ver-
reiset, und die Oefangenschafift [sie!] nach Soliman verrichtet, darauff
er diese Antwordt ertheilet, weil nemlich Ajachmor in seiner Abwe-
senheit habe, wollen mit seiner Liebste durchgehen. Ajachmor will
sich zur Bede stellen, wird aber bald abgewiesen. Albia sagt ihrem
Yater ins Gesicht, es sey nicht recht, dasz er mit seinen Kindern, als
ein Tyrane, verfahre. Ormachus raset abermahl, denn der König will
wieder ins Oefangnisz werffen. Keiner will die Hand an ihm legen,
weil er ein Printz, und von seinen Vater unschuldig leiden musz.
Sultan körnt, und meldet, wie dasz Aribane nicht mehr am Persischen
Hoffe zu finden sey. Der Türckische Abgesandte giebt sich zu erken-
nen, und zeiget, dasz unter den Manns -Kleidern Aribane verborgen
gewesen. Selbige fordert von dem Könige und Ajachmor den Degen.
Ormachus erhält seinen vorigen Verstand. Wird von jeder männiglich
vor Selimor erkandt, und angenommen. Selim bittet um Verzeihung,
dasz er so höchlich geirret, und sagt, es sey aus einer brünstigen Liebe
gegen Aribane geschehen. Erlanget Gnade. Ajachmor aber wird als
ein Yerrahter, aus Persien auff ewig verbannet Aribane und Orma-
chus und Parsinor und Albia schweren einander ewige Treue, einander
nicht zu lassen. Und wird also dieser Action unter vielen Glückwün-
schungen zu aller anwesenden Gontentement hiermit geendiget
Nach Endigung dieser admirablen Haupt -Action soll zu desto
mehrer Gemüths Vergnügung, eine recht lustige Nach Comödie den
völligen Schlusz machen Genandt
Die vier verliebten Geister.
Der Schauplatz ist auf den Schneider Gelachs -Hause in der Bro-
legger- Strasse auff der Eck von der Endelosz- Strasse, und wird prae-
cise umb 4. Uhr angefangen und giebt die Person in Logen 16 — 12
—8 bis 4. Lübsch^
IV.
Dieselben „hochdeutschen Comedianten^ gaben einige tage früher
im monat Januar und wider am 9. mai 1719 zu Kopenhagen die
bekante tragödie Papinian von Andreas Gryphius. In einem früheren
artikel dieser Zeitschrift^ habe ich gezeigt, wie das damals so beliebte
stück für eine dilettantenvorstellung zu St Gallen 1680 abgeändert
wurde; es liegt aber also noch in einer dritten bearbeitung vor, der
Haupt- und staatsaction. Die schauderhafte und erschütternde schil-
1) Ztschr. f. deatsche phU. XXIH, 239.
332 FALUDAN
derimg der blutigen regierungszeit des tyrannen Caracalla eignete sich
sehr wol für die Wanderbühne und wurde schon 1677 von der Trea-
schen truppe, 1690 von Veiten in Torgau und um 1710 in Nürnberg
gegeben ^ Ungefähr in dem leztgenanten jähre wurde die tragödie für
den behuf der Wandertruppen neu bearbeitet, warscheinlich von dem
bekanten bandenprinzipal Haskerl, und in dieser redaction ist sie neuer-
dings von C. Heine nach einer Wiener handschrift teilweise widerge-
geben'. Diese Haskerlsche hauptaction war es, die in Kopenhagen
1719 gegeben wurde, drei jähre früher als die erste auflührung in
Deutschland, die Heine hat ermitteln können (1722 in Dresden von
der Hoffmannschen truppe). Auch hier ist uns der theaterzettel mit
ausführlicher Inhaltsangabe und scenengang, wie es damals bei den
haupt- und Staats -actionen üblich war, noch erhalten; er dürfte zu
vergleichung mit Heines auszug aus dem stücke hier seinen platz
behaupten können:
Mit allergnädigster Königliche Bewilligung Werden heute am Don-
nerstage den 12ten Janarij [1719] Die von denen vor jetzo Anwesen-
den Hoch-Teutschen Comoedianten Denen Respective Liebhabern Teutscher
Schau -Spiele; mit lebendigen Fersohnen vorstellen, Eine raodeste,
galante und sehenswürdige Haupt- Action Genandt Der Groszmüh-
tige Rechts-Gelehrte ^milius Paulus Papinianus Oder Der
kluge Phantast und warhaffte Galendermacher Ein recht Mei-
sterstück der Gommoedien. — Persohn
Antonin US Bassianus, Römischer Kayser.
Antoninus Geta Des Kaysers Bruder.
Juliana Die Kayserin.
Pappinjanus Der Rechts- Gelehrte.
Plaucia Pappinjanus Gemahlin.
Lsetus Kayserlicher Raht.
Flavius, Klean der Zwey Kammer Diener
Trosullus Stern Kücker.
Trarreus Galendermacher.
Actus primus. — Letus Flavius und Oleander halten unter Re-
dung, wie sie den Pappinjanum seiner ehren Aempter berauben und
1) Jahrb. d. Shakespearegeselsch. XIX, 148, nr. 150: „Die Enthauptung pa-
piniani des rechtsgelehrten unter Caracalla**. Der zeit nach könte dies vielleicht auch
Haskerls Bearbeitung seiu.
2) Eine bcarbeitung des Papinian auf dem repertoir der Wandertruppen , Ztschr,
f. deutsche phil. XXI, 280 fgg.
WANDEBTBÜPPEN IN DÄNEMARK 333
wie sie ihn bey den Kayser in Ungnade bringen mögen; Flavius aber
gantz alleine gedencket aufiF Mittel wie er ihn bey den Kayser in Gna-
den setzen mögen, Pappinjanus sitzet beym Tisch und beklaget sich
der Verdriszlichkeit und des grossen Unrechts so ihn von den Kayser
wiederfahret, Plaucia seine Oem ahlin tröstet ihn, bittet er möchte dem
Kayser Fuszf&Uig werden, er aber kan dieses nicht thun weil der Kay-
ser ihn kein Gehör ertheilen will, Letus stehet und lauret und saget
wie dasz er diese Untreu den Kayser offenbahren will, Trarreus und
Letus haben einige kurtz weilige Reden mit einander, wegen des Pap-
pinjanus. Pappinjanus und Flavius halten Unterredung wegen des
Kaysers gefasten Zorn wieder den Pappinjano.
Actus 2. — Der Kayser triumphieret wegen seines gehabten Sie-
ges, Letus aber bildet dem Keyser ein, als ob sein Bruder Geta ihm
nach Krone und Cepter trachte, der Kayser will anfangliches nicht
glauben, weill aber der Kayser an seinen Bruder Geta ein sein Bedien-
ten mit einiger Decreta zu unterschreiben sendet, weill er aber die-
selben nicht gleich unterschreiben wil, bekommt er einen Argwohn,
Letus seinen Wort zu glauben, welcher ihn dann auch die Anleitung
giebet, seinen Bruder umbs Leben zu bringen; Geta beklaget des Kay-
sers Zorn, welcher er wieder ihn traget; Julia seine Mutter redet ihm
solches aus den Sinn, bittet ihn, das er seinen Bruder nichts wieder-
sprechen möge; Geta gehet hin seinen Bruder aufzuwarten; Frasullus
stehet mit seinen Sperepectiev und betrachtet den Himmels- Lauff; Frar-
reus stehet von hinten und siebet seine närrische Grillen an, und
haben einen poszirlichen Discours; der Kayser setzet sich mit seinen
Bruder auf den Thron, werden aber streitig zu sammen, der Kayser
ersticht seinen Bruder; die Kay serin beklaget den Tod ihres Sohnes.
Trarreus und Frasullus trösten die Kavserin; TrasuUus hat etliche
Kurtzweil mit Todten Cörper.
Actus 3. — Der Kayser sitzet an den Tisch, beklaget die Mordt
so er an seinen Bruder gethan, weil er aber, der Letus welcher ihn
zu dieser Morfit verführet, kein besser Geschenck zu geben weisz,
schickt er ihn einen Brief, nebst ein Dolch und einen Becher mit Gifft,
womit er sich selbst das Leben nehmen sol, Letus sitzet bey dem Tisch,
frohlocket über dasz jenige, dasz sein Anschlag so wohl von statten
gegangen ist, Flavius überbringet ihn den Brief nebst den Becher und
Dolch: Oleander kommt und hebet des Kaysers einmahl gefaszten Urtheil
auf; Frarreus und Frasullus halten einen lächerlichen Discours, worüber
sie sich erzürnen, und einander beim Kopff kriegen, einer von des
Kaysers Bedienten wil sie von einander treiben.
334 PALUDAN
Actus 4. — Der Kayser begehret von Pappinjano, dasz er eine
Schutz -Rede vor dem Volck für ihm thun sol, welches er ihn aber
abschlägt, worüber der Kayser zornig wird, und ihn seiner Ehren-
Aempter entsetzet; Plautia höret die Klage der Gemahlin Pappinjano;
Flavius kündigt dem Pappinjano die Enfetzung (!) seiner Ehren-Aem-
ter, und beraubet ihn seines Regiments -Staps, Oewehr und seines Kin-
des, der Kayser befielet dem Kinde das Leben zu nehmen, und weil
Pappinjanus noch in seinen Willen nicht willigen wil, befielet der
Kayser ihm auch den Kopff abzuschlagen.
Actus 5. — Der Kayser fället in einer Raserey; Julijana und
Plautia kommen und bitten vor Pappinjano weill aber er schon ent-
haupt ist, erlangen sie diese Antwort das sie zu späte kommen, uiid
jaget sie von ihnen, die mittel Gardine wird anf^zogen, da Presen-
tiret ein Monimient worin der Pappinjanus mit seinem Ednde lieget,
die Kayserin und Plautia kommen und beklagen den Todt des Pappin-
jano, Trasullus kommet und tröstet sie, und schlieszen die Commödie
mit Värsen.
Nach Endigung dieser admirablen Haupt-Action soll zu desto
mehrer Gemüths Vergnügung, eine recht lustige Nach Comödie den
völligen Schlusz machen.
Der Schauplatz ist auf den Schneider Gelachs -Hause in der Bro-
legger- Strasse auff der Eck von der Endelosz- Strasse, und wird pree-
cise umb 4 Uhr angefangen und giebt die Persohn in Logen 16, — 12,
— 8 bisz 4 Lübsch".
Etwas später in demselben jähre finden wir den Papinian wieder
von den „Hochteutschen Gomoedianten^ in Kopenhagen aufgeführt,
aber mit geändertem titel Auch in Deutschland lautete nach Heine 283
der titel häufig ganz verschieden an den verschiedenen stellen, wo das
stück gespielt wurde.
„Mit aller gnädigster Erlaubnisz Wird heute Dienstag den 9 Maij
[1719] Denen nach Standes Gebühr Hoch- und Viel Geehrten Lieb-
habern derer Comoedien, Die Welt -berühmte Hochteutsche Gompagnie
eine galante Haupt Action aufführen, Betittelt: Der unschuldige
Bruder-Mord Oder Das blutige Rom, unter der Regierung
des Römischen Käysers Antonini Bassiani Caracallae, Wie
auch Der Kluge Phantast und Warhafte Astrologus. Zum
Beschlusz folgt eine lustige Nach Comoedie Genannt, Arleqyin eine
verstelte Mumie.
Der Schau -Platz ist auff den Schneiders Gelachs -Hausz und prse-
sice des Abens umb 5 Uhr wird die Gardine gezogen. Anbey dienet
WANDIERTBUPPEN IN dXNEMABK 335
ZU wiszen, dasz wir diese Woche nar die einzige Comoedie auffiiren
werden; Und weil sie etwas lang, wird dienstlich ersuchet, sich bey
Zeiten einzustellen. — Der erste Platz giebt die Persohn 1 Mck lisz.
der andre 12 Lsl. der dritte 8 auch 6 Lsz.^
Dass es sich hier um die von Heine veröffentlichte hauptaction
handelt, geht aus dem inhaltsreferat ganz deutlich hervor. Zwar finden
sich besonders gegen den schluss einige Verschiedenheiten; die ersten
scenen des 4ten acts sind in dem Eopenhagener stück auf den 3ten
verl^, die lezte scene des 4ten acts auf den 5ten; die Überlieferung
des L8Btus an die kaiserin und seine grausame strafe sind nicht erwähnt,
auch trägt die kaiserin hier nicht dem Papinian ihre hilfe an; über-
haupt scheint der lezte teil des Stücks stark verkürzt, und das ballet-
tenartige schlusstableau versammelt nicht alle personen des Schauspiels.
Solche änderungen können sich aber die truppen nach massgabe der
äusseren Verhältnisse bei der jedesmaligen aufführung leicht gestattet
haben, geschweige dass unser schwerfälliges referat sehr wol wesent-
liche teile der handlung vergessen haben kann. Merkwürdig ist es,
dass die geistererscheinungen am schluss des 4. acts in der dänischen
redaction fehlen, da dergleichen gespensterscenen sonst in den mei-
sten hauptactionen zu den wichtigsten und fast unerlässlichen mit-
tein des bühneneffekts zählen. Bei der aufführung in St Gallen hat
man dagegen geflissentlich „dasjenige so bey uns ungebräuchlich oder
nicht gern gesehen wirt, wie die Geister und Höllische Furien^ aus-
gelassen.
Übrigens hat Heine 302 fgg. diese hauptaction mit dem original des
Gryphius verglichen um zu zeigen, wie die fahrenden Schauspieler das
gelehrte drama für den roheren geschmack ihres publikums zurecht
machten. Die gröberen elemente der handlung sind in den Vordergrund
gezogen, der bloss rhetorische teil des dialogs beschnitten und bis auf
einige besonders pathetische stellen in prosa bearbeitet, die lyrischen
chöre und „reyhen'^, in denen sich Gryphius am höchsten empor-
schwingt, fallen ganz hinweg. Die personenliste wird nach den kräf-
ten der truppe beschränkt, in Dänemark noch stärker als in Deutsch-
land; so sind ausser mehreren nebenpersonen nicht nur der vater Pa-
pinians, sondern auch seine mutter Eugenia gestrichen und, wie es
besonders in dem sehr verworrenen referat des 4ten acts den anschein
hat, teilweise mit der kaiserin vermengt Nach einer anderen seite hin
ist die handlung wider bedeutend erweitert: durch hinzufügung der
für die hauptaction ganz unerlässlichen Hanswurstscenen, welche, um
dem volksgeschmack entgegen zu kommen, dem tragischen element
336 PALUDAN
ganz ix)li und äusserlich ein burleskes anfügten. Die rolle des Hans-
wursts spielt in der hauptaction der „kalendermacher" Trarreus, zum
teil auch der „stemkijcker" TrasuUus, von denen nur der zweite bei Gry-
phius vorkomt, dort aber als ganz ernst gehaltene nebenperson. Die
plumpen schwanke der zwei narren sind mit der handlung. nur lose
verbunden und treten gewöhnlich vor und nach den ergreifendsten
scenen ein, vielleicht um den erschütternden eindruck etwas zu ver-
wischen; so heisst es in der Kopenhagener redaction unmittelbar nach
dem brudermord des kaisers: ,,Trasullu8 hat etliche kurzweil mit (dem)
toten körper". Übrigens scheinen hier einige der komischen auftritte,
besonders im anfang des 4ten acts, weggelassen oder vielleicht, als
extemporiert, in das programm nicht aufgenommen zu sein. Wie viel
gewicht man derlei narrenspossen beilegte, ist aus der starken, oft gar
irreleitenden hervorhebung auf dem anschlagzettel klar: „Der gross-
müthige Rechtsgelehrte . . . Papinianus oder der kluge Phantast und
wahrhafte Calendermacher". Dieser misgeschmack war besonders von
dem berühmten Wiener Hanswurstspieler Stranitzky ausgebildet, und
solche nebentitel haben fast alle von ihm aufgeführten (und geschrie-
benen?) hauptactionen aus ungefähr derselben zeit*: „Triumph der Ehre
und des Glücks oder Tarquinius Superbus, mit Hanns Wurscht dem
unglückseligen Verliebten, durchtriebenen Hofschrantz, interessirten
Kupier usw." „Die Enthauptung des weltberühmten Redners Ciceronis,
mit H. W. dem seltsamen Jäger, lustigen Fallirten, verwirrten Brief-
träger usw.", „Die Verfolgung aus Liebe oder die grausame Königin
Atalante, mit H. W. dem lächerlichen Liebes -Ambassadeur, betrogenen
Curiositetenseher, einfältigen Meuchelmörder" u. m. dgl.
Die Schauspieler, welche vom Januar bis mai 1719 in Kopenhagen
auftraten, bezeichnen sich immer als „hochteutsche comedianten". Die-
ser name ist aber nicht einzelbezeichnung irgend einer bestimten truppe,
sondern die landläufige benennung aller deren, die deutsch spielten*.
Allem anschein nach waren jedoch diese comödianten die bände Johann
Spiegelbergs, ein ableger der berühmten Veltenschen truppe, die sich
um 1712 aufgelöst hatte. Noch früher aber' schieden einige mitglie-
1) Schlager, Wiener -skizzen, N. F. 1839, I, 281. Weiss, Wiener haupt-
und Staats -actionen 1854; die meisten vom jähr 1724; vgl. C. Heine, Das Schauspiel
der deutschen Wanderbühne vor Gottsched 1889, 28 fgg. 35.
2) So nanten sich z. b. schon die Carlische truppe 1674, die in Laibach 1671,
die in Breslau 1692 und 99 und die in Schweden 1690—97 aufti-etenden comödian-
ten (Ztschr. f. deutsche phil. XIX, 87. Jahrb. d. Shakespearegeselsch. XXIII, 268);
auch die Yeltensche bände, bis sie sächsische hoftruppe wurde, u. a, m.
WANDKBTRÜPPSN IN DANEBCAKK 337
der derselben aus und trieben sich auf eigene gefahr in Norddeutsch-
land und den nordischen reichen herum. Darunter waren, wie schon vor-
her gesagt, die familien Denner und Spiegelberg, welche bald einzeln,
bald gemeinschaftlich agierten. Die wanderzüge der Yeltenschen truppe
bis zum tode Johann Yeltens 1692 sind neuerdings namentlich durch die
Untersuchungen G. Heines ziemlich genau bekant geworden, und auch
die zweite deutsche haupttruppe in der ersten hälfte des 17. Jahrhun-
derts, die Neuberscbe, hat durch ihre Verbindung mit Gottsched, welche
den Übergang zum regelmässigen kunstdrama vermittelte, die aufmerk-
samkeit der forscher auf sich gezogen. Hingegen ist die geschichte der
kleineren norddeutschen Wandertruppen in dem Zeitraum zwischen
1710 — 27 noch ziemlich unerörtert; aber eben für diese geschichte
geben die Eopenhagener theaterzettel und andere dänische Urkunden,
wie wir teilweise schon gesehen haben, einige belege. Haben wir es
hier mit Joh. Spiegelberg zu tun, so ist der ungefähr halbjährige auf-
enthalt seiner truppe zu Kopenhagen 1719 die erste sicher beglaubigte
spur von der Wirksamkeit derselben; denn es ist unklar, in welchem
Verhältnis sie zu der früheren Dennerschen geselschaft gestanden hatte,
und auch nicht gewiss, ob sie in Hamburg vor 1724 auftrat^. Spie-
gelberg nent sich aber nirgends auf den Eopenhagener theaterzetteln ;
und noch mehr verwickelt wird die frage dadurch, dass offenbar unge-
föhr gleichzeitig ein zweiter prinzipal desselben namens wirkte. Gla-
ser^ kent einen ^ Hochfürstlich Würtembergischen prinzipal^ Christian
Spiegelberg, welcher 1711 während der Braunschweiger messe auftrat;
v. Beden -Esbeck^ glaubt dies durch eine namensverwechselung mit
dem bekanten Johann Spiegelberg erklären zu müssen. Das dürfte
aber übereilt sein. Gewöhnlich wird berichtet, dass Joh. Spiegelbei^
auf einem seiner wanderzüge zu Bergen in Norwegen den 23. sept
1732 starb, und wirklich spielte noch im anfang des jahres 1733 daselbst
eine deutsche truppe. Die noch erhaltenen ministerialbücher der dom-
kirche zu Bergen wissen aber von keinem Johann Spiegelberg; dagegen
weisen sie aus, dass am 26. sept 1732 ein Christian Spiegelberg begra-
ben wurde ^. Dies zusammentreffen mit Glasers bericht kann kaum
zufällig sein; es ist also wahrscheinlich, dass zwei prinzipale Spiegel-
berg im ersten drittel des 18. Jahrhunderts in den nordischen reichen
spielten, und dass es der weniger bekante würtembergische hofcomö-
1)' Sohultze, Hamburg, theatergesch. 48. 50.
2) Gesch. d. theateis in Braunschweig, 1861.
3) Gardine Neaber 39.
4) Hoitfeldt, Christiania theaterhist., Kopenh. 1876, s. 41.
ZntSOHBIFT F. DEUTSCHE PHILOLOeiB. BD. XZV. 22
338 PALÜDAM
diant, nicht aber der vermutlich zu Kopenhagen 1719 auftretende prin-
zipal der „ hochdeutschen compagnie^ Johann Spiegelberg war, der zu
Bergen starb. Dagegen treffen wir die witwe des lezten, Mad. Elisabeth
Spiegelberg geb. Denner, 1735 zu Norrköping in Schweden spielend^.
V.
Die anwesenheit einer anderen deutschen bände zu Kopenhagen
in der fastenzeit 1717 kennen wir nur aus einem offidellen briefwedi-
sel', welcher weder namen noch repertoire angibt, die Vorstellungen
aber als ziemlich erbärmlich bezeichnet Das oben genante jähr 1719
hingegen war an Schauspielen in deutscher spräche besonders reich,
indem ausser den „hochdeutschen comedianten^ auch eine zweite, von
mir früher in dieser Zeitschrift XXIII, 231 fgg. ausftLhrlicher besprochene
geselschaft auftrat, welche u. a. den „Titus Andronikus^ als puppen-
komödie und als „lustiges nachspielt die tragödie Wenceslaus von
Rotrou gab. Nach diesem jähre aber wurde Kopenhagen unseres Wis-
sens von keiner eigentlichen deutschen Wandertruppe mehr besucht
Dies erklärt sich u. a. aus den Verhandlungen, die ein ehemaliges mit-
glied der französischen hoftruppe, Etienne Gapion, schon 1718 mit der
regierung eingeleitet hatte, und welche 1720 zu dem ihm vergönten
Privilegium ftlhrten, dass er allein komödien mit lebendigen personen
(1721 auch mit puppen, Seiltänzern u. dgl.) auffuhren und fremde
komödianten verschreiben dürfet Die behörden wünschten nämlich
den zufluss von fremden gauklem möglichst zu hemmen, und dies
gelang auch zum teil wirklich. Doch kam der bekante „starke mann^
Johann Carl v. Eckenberg noch in demselben jähre 1720 mit einer bände
von Seiltänzern in Kopenhagen an. Über seine Wanderungen in die-
ser ersten zeit herscht einige Unsicherheit, die sich jedoch durch beglau-
bigte dänische urkimden teilweise aufklären lässt Nachdem er 1719
in Bussland aufgetreten war, spielte er in der fastnachtzeit und nach
ostem 1720 zu Königsberg, verliess aber unzufrieden die Stadt ^ und
1) Schwed. zeitschr. „Na* I, 428.
2) Dr. 0. Nielsen, Ejöbenhavn paa Holbergs Tid, Eopenh. 1884, s. 231.
3) Werlauff, Antegnelser 1858, s. 217 fgg. 302. Banske samlinger v. Braun,
0. Nielsen und A. Petersen, II, 354 fgg. Ein gleiches Privilegium war schon 1706
einem Dänen, Anders Oamborg, gegeben, von diesem aber nicht benuzi Weriauff
a. a. 0. 293.
4) Hagen, Gesch. des theaters in Preussen 113 fgg. Holte, Der ^starke mann^
J. C. Eckenberg, in d. Forsch, z. brandenb. u. preuss. gesch. E, 1889 s. 214. Yon
den in diesem au&atz genanten, Holte nicht zugänglichen werken finden sich auf
dSnischen bibliotheken „Ourieuse nachrichten von starken leuten* (nicht aber in dAn.
WANDERTRUPPEN IN DXNEMABK 339
mu88 gegen ende des Jahres in Kopenhagen angelangt sein, wo er, wie
es scheint, als eine art von reklame seine „Abgenötigte ehrenrettong'^
herausgab und im december nicht nur seiltänzerkünste u. dgl. vor-
führte, sondern auch mit lebenden personen agierte, vermutlich „bur-
lesques comedies^, possen, die er ausdrücklich nent, als erden 15. jan.
1721 für längere zeit spielprivilegium suchte. Gapion protestierte aber
gegen einen solchen eingriff in sein Privilegium, und Eckenberg muste
sich mit ihm vereinigen. Nach kurzer zeit trenten sie sich jedoch wider;
Eckenberg gab abermals allein Vorstellungen, verliess aber bald die
Stadt und kam im april nach Stockholm^. In demselben monat des
folgenden jahres, 1722, erschien er noch einmal zu Kopenhagen und
producierte sich erst auf Gapions theater; nach drei wochen aber errich-
tete er eine eigene bude ausserhalb der Stadt, wo er auch comödian-
ten engagierte. Auf Gapions klage wurde ihm dies verboten (Septem-
ber 1722), und bald nachher verschwindet er aus Dänemark für immer*.
Die nachricht bei mehreren deutschen Verfassern, dass er in Dänemark
geadelt sein solle, oder wenigstens seinen adel erneuert bekommen
habe, entbehrt jeder stütze. Nach allem, was wir von seiner behand-
lang seitens der behörden wissen, genoss er beim hofe keineswegs eine
gleiche gunst wie später in Berlin bei Friedrich Wilhelm 1*.
Inzwischen hatte Gapion 1721 das erste eigentliche Schauspielhaus
gebaut und gab im jähre 1722 französische und deutsche Vorstellungen
mit ausländischen schauspielern. Sein repertoire kennen wir nicht;
aber schon am 23. sept 1722 gieng aus der Verbindung des dichters
Holberg mit Gapion und einem andern ehemaligen französischen hof-
schauspieler Montaigu eine dänische nationalbühne hervor, ungefähr
wie später eine deutsche aus Gottscheds Verhältnis zu der Neuberschen
trappe. Das neue nationale repertoire und die einheimischen Schau-
spieler stelten die leistungen der Wandertruppen ganz in schatten und
machten ihnen die concurrenz unmöglich.
Übersetzung, EjÖbenh. 1720) und £)okenberg8 ^AbgoDotigte ehrenrettong*^, welche dem
Inhalt und der zeit nach in Kopenhagen geschrieben scheint Neue aufschlüsse von
bedeutung geben diese Schriften nicht, meist nur illustrierte beschreibung der kunst-
stücke Eckenbergs.
1) Werlauff 220. 476. Dahlgren, Om Stookhohns theatrar, Stochholm 1866, s. 22.
2) Werlauff 222.
3) Devrient, C^ch. d. deutschen Schauspielkunst I, 353. Schütze 62. Plü-
micke, Theatergesch. v. Berlin 106. Brachvogel, Gesch. d. kgl. theaters in Berlin
66. 71. YgL 0. Nielsen, Ejöbenhavn paa Holbergs Tid 248 fgg. Rahbek Hesperus
(zeitsohr.) YI, 236, Kopenhagen 1822.
22*
340 PALÜDAN
Der einzige, der mit den dänischen comödianten zu wetteifern
versuchte, war Salonion Fanlsen t. Quoten, kein deutscher truppen-
prinzipal, wie man bei Devrient^ u. a. liest, sondern gewesener däni-
scher Soldat, wahrscheinlich aber doch deutscher oder niederländischer
abkunft; dann zahnbrecher, „oculist, stein- und brackschnieder^ und,
wie dergleichen quacksalber oft^, zugleich comödiant oder wenigstens
Puppenspieler. In Kopenhagen trat er schon 1715 auf und erreichte
nach widerholten bitschriften 1718 die erlaubnis, deutsche comödien
mit lebendigen personen zu agieren'. Wie er das priyil^um benuzt
hat, wissen wir nicht recht; nach einem versuche mit Gapion zusam-
men zu spielen zog er sich bald zurück und gieng, als Gapion spiel-
monopol bekommen hatte, mit seiner trappe nach Schonen (okt 1720),
wo er jedoch ebenfals abgewiesen wurde ^. Unter den von ihm gespiel-
ten sttLcken nent Holberg, t. Quoten selbst auf der bühne TorfÜhrend,
dr. Faustus, Adam und Eva, Zauberei von Armida ^
Als die dänische Schaubühne nach dem tode des pietistischen
Christian VI. wider erö&et wurde (1747), baten auch v. Quoten
und sein söhn mehrmals vergebens um die erlaubnis, deutsche (spä-
ter auch dänische) tragödien und comödien mit lebenden personen
aufführen zu dürfen^ und erlangten endlich ihr ziel durch benutzung
des einem general Arnold vergönten Privilegiums. Der söhn, Julius
v. Quoten, zeigte sich als ein ganz energischer leiter, welcher ein
eigenes theateigebäude errichtete und tüchtige leute engagierte, Deut-
sche wie Dänen; mehrere der lezteren gehörten später zu den besten
kräften der nationalbühne. Er spielte zweimal wöchentlich deutsche
comödien abwechselnd mit Moliöre, Holberg, Seiltänzer- und gaukl^-
künsten, an£angs nicht ohne glück; nach einem halben jähre aber
zog er in dem wetstreit mit der dänischen Schaubühne den kür-
zeren und muste im mai 1748 sein vorhaben einstellen. Yeigebens
suchte er dann ein Privilegium für die provinzen und Norwegen
und nahm endlich seine Zuflucht zu dem ursprünglichen gewerbe sei-
nes Vaters.
1) Qeaoh. d. deutschen sohaospielkuDst I, 352.
2) Devrient I, 354. Der italiener Sebastian di Scio zu Berlin 1693 (Bnch-
YOgel 49) und Stockholm 1696, s. Süfverstolpe in der schwedischen zeitschr. Yam-
tiden 1877, 143.
3) Werlauff 472 fgg. 0. Nielsen 243 fgg.
4) Dahlgren, Om Stockhohns theatrar, Stockhohn 1866, 21.
5) Hexeii eller blind alarm, act 4, sc. 5.
6) Werlauff 483 fgg.
WANDKBCBUFPBN IN DANIKABX 341
Die titel der yon ihm gespielten stücke hat uns Overskou erhal-
ten^. Wir treffen da ungefähr ein d atzend deutscher dramen ausser
einigen nicht näher bezeichneten nachspielen. Einiges darunter gehört
zum alten repertoire der Wandertruppen; aber die eingetretene geschmacks-
änderung zeigt sich auch daran deutlich genug, dass diese stücke nur
ein-, höchstens zweimal aufgeführt wurden, während Holbergs dänische
originale und die Übersetzungen aus dem französischen sich längere zeit
auf der bühne behaupteten. Eine bekante hauptaction war „Der flüchtige
Virenus oder die getreue Olimpia** (1747 und 48 bei v. Quoten zweimal
aufgeführt), schon zu Begensburg 1687, zu Nürnberg um 1710 und in
Hamburg 1721 gespielt^. Zweifelhafteren Ursprungs sind „Ulysses und
Fenelope oder Die treue beständigkeit^ (1^748) einmal)^, „Der grausame
Nero oder Die triumphierende liebe ^ (1747) (vielleicht die von Haak
in Hamburg 1719 gespielte action „Nero oder die beleidigung aus
liebe** ^) und „Aurora** (1747), nicht unwahrscheinlich identisch mit
^Ejonen- streit zwischen Aurora und Stella**^, nach Galderon auch
französisch und niederländisch bearbeitet und oft aufgeführt: Lüneburg
1666, Dresden 1676, von Veiten in Torgau 1680, vielleicht in Nürn-
berg um 1710, Frankfurt 1741, später von Eopf bearbeitet 1754. „Die
spanische blutmahlzeit oder Tugendspiegel der damen** (1747, einmal)
nent Bolte als dem repertoire Eckenbergs in Berlin 1733 angehörig^.
„Don Petros totengastmahl** (1747 — 48), die bekante geschichte von
Don Juan, war von Veiten in Torgau 1690, in Nürnberg um 1710,
in Wien von Prehauser 1716, daselbst vdder 1752 und 1761 und
anderswo öfters angeführt ^, auch als Puppenspiel; es bleibt aber wol
fraglich, ob dies eine eigentliche hauptaction, vielleicht nach einer der
bei Engel 11 genanten italienischen dramatisierungen der sage war,
oder nicht vielmehr eine modernere bearbeitung nach Moliöres Festin
de Pierre (1665). Jedesfals gab v. Quoten 1748 ein lustspiel von
1) Danske skueplads 11 , 63.
2) Jahrb. d. Shakespeareges. XIX, 150, nr. 77. Schütze 45.
3) Ztschr. f. deutsche phil. XXUI, 238 näher von mir besprochen.
4) Devrient I, 323.
5) Bolte in der Ztsohr. f. deutsche phiL XIX , 92 und in Heirigs Aroh. T.YYYH^
122. Heine, Joh. Yelten 29. Ders., Das Schauspiel der deutschen Wanderbühne 7.
8. 10, und Zeitschr. f. vgl. litteraturgesch. u. renaissancelitt N. F. n, 395. Jahrb.
d. Bhakespearegeselsch. XIX, 152, nr. 122.
6) Forsch, z. brandenb. u. preuss. gesch. ü, 221.
7) Heine, Joh. Veiten 37. Jahrb. d. Shakespeareges. XIX, 154, nr. 158 „Don
petro gastmahl*^. Engel, Deutsche puppencomödien I. Bolte, Moliere-übs. des 17.
jahrh., in Herrigs Archiv LXXXII, 81 fgg.
342 PALUDAN, WAMDlRTBUPPnf IN OÄNIMABK
Destoucbes „Das gespenst mit der trommeP in Gottscheds deutscher
Übersetzung von 1740. Neueren Ursprungs waren ebenfals die schafer-
spiele „Pavona oder die vierfache liebe ^ (1748) und „Der versteckte
hammel oder die gelehmte liebe^ (17^8)) dieses von J. G. Rost 1742^).
Eigens für die v. Quotensche trappe gedichtet waren ein paar stücke
in deutscher spräche, ein heldenspiel „Die träumende liebe^ oder „Phi-
stophile^ von dem Schauspieler linckwitz 1747, und ein singespiel
„Die gekrönte tugend^ zum geburtstag der königin 1748'. Endlich
treffen wir zwei lustige nachspiele: „Harlequins Bryllup**, 1747 — 48 mit
tanz, imd „Die böse Grethe oder Harlequins Pattebam^ (d. i. „Säug-
ling^, 1748), dieses mit halb dänischem, halb deutschem titel, woraus
sich nicht ersehen lässt, in welcher spräche es angefahrt ist Gott-
sched hat unter dem jähre 1716 die zwei bekanten gesangspossen
„Harlekins (singender) hochzeitschmaus '^ und „Harlekins kindbetterin-
schmaus^, die jedoch schon in Nürnberg um 1710, und auch später,
ungefähr gleichzeitig mit v. Quotens Vorstellungen, erwähnung finden'.
Beide sind 1730 ins dänische übersezt: „Herr Harlequins Bröllups-
og Barsei -Gilde, Sangviis Forrestillet^^, und es unterliegt wol keinem
zweifei, dass wenigstens erstere in dieser Übersetzung aufgeführt wurde.
Ob dagegen „die böse Grethe^ mit dem „Eindbetterin-schmaus*^ iden-
tisch ist, bleibt unsicher; in den erhaltenen exemplaren der leztgenan-
ten ist von keiner „bösen Grethe'^ die rede.
Von der v. Quotenschen concurrenz befreit sezte die dänische
Schaubühne ihre Wirksamkeit fort, wesentlich auf Holberg, Molidre und
die Franzosen gestüzt, aber von dem hinsiechenden deutschen drama
ganz unbeeinflusst Sie hatte von der mitte des Jahrhunderts nur noch
mit französischen schauspielern und italienischer oper zu kämpfen, und
muste daher auch ballet und Singspiel auf das repertoiie setzen, selbst
bisweilen französisch spielen. Deutsch wurde aber niemals gespielt,
und von deutschen Wandertruppen hören wir wenig mehr. Durch die
Gottschedsche reform nahmen diese auch nach und nach ein anderes
gepräge an und näherten sich mehr den stehenden bühnen. Der „kgl.
dänische privilegierte comödiant^ J. F. Darmstädter, welcher 1735 zu
1) Gottsohed 317. Maltzahn 533.
2) Ovenkon U, 45. 61.
3) Jahrb. d. Shakespeareges. XIX, 152, nr. 129 ,,8ingente harlequin*, nr. 130,
""kindbetts sohmaosz''. Maltzahn 533 (1743). Sohütze 87. 266 (1750. 1742). Köh-
ler, Ztsohr. f. deutsches altert, u. deutsche litt XX,« 119 fgg.
4) Kgl. bibl. zu Kopenhagen, Dan. katalog 55—263, 2 expL
DUFLOÜ, HANS SACHS ALS MORALIST 343
Rostock auftrat \ war schwerlich mehr als ein taschenspieler. unter
der pietistischen regierung Christians YL, 1730 — 46, als alle theatra-
lischen Yorstellungen in Dänemark selbst eingestelt waren, wissen wir
auch nicht, dass fremde Schauspieler privilegiert wurden. Schwieriger
erklärlich ist die lezte erwähnung einer deutschen truppe in Kopen-
hagen, als vom mai bis Oktober 1749, in ausdrücklichem widerstreit
mit den Privilegien der dänischen bühne, ein gewisser Ferdinand Hal-
lasch aus Königsberg Schauspiele, seiltanz und andere künste' gab.
Gewiss aber waren hier die gauklerkünste vorwiegend; denn in den
deutschen theatergeschichten dieser zeit, besonders bei Hagen, Theater
in Freussen, finde ich keinen prinzipal oder Schauspieler dieses namens,
und dänische quellen geben über seine Vorstellungen auch keinen wei-
teren au&chluss.
KOPENHAOEN. J. PALUDAN.
HANS SACHS AIS MOßALIST IN DEN FASTNACHT-
SPIELEN.
Es ist ein unbestrittenes, physisches wie politisches gesetz, dass
jede starke impulsion eine reaction nach sich zieht Wie der erfrischende
Strom der renaissance den wüst der scholastischen gelehrsamkeit weg-
schwemte, so machte die durch die philosophischen Schriften vorberei-
tete französische revolution den drangsalen und Standesungerechtigkeiten
vorläufig ein jähes ende; und die deutsche Jugend verliess damals die
von den drei einheiten eingeengte bühne der französischen dramatischen
muster, um sich jubelnd dem neu entdeckten, scheinbar masslosen
Shakespeare hinzugeben.
Dieses gesetz bewährt sich auch an den einfachsten gegenstän-
den. Es ist gewiss, dass das fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts von
groben, alles Zartgefühl verletzenden Schilderungen strozi Wie wir
nun Hans Sachs aus seinen werken kennen, die in auffälliger weise
das gepräge seines geistes tragen, kann es uns nicht zweifelhaft sein,
dass er es als eine heilige Sendung auf erden ansah, mit diesem kot
und kehricht aufzuräumen, und dass Goethe recht hatte, als er ihn so
1) Jahrb. d. Vereins f. meokleiib. gesch., 1836, I, 103: BSrensprong, Gesch.
des theaters in Meoklenburg-Sohweiin. Nach Dahlgren, Stockholms theatrar 29, komt
er 1736 und 38 auch in Schweden als oomödiant und zahnbrecher vor (vgl Nu, m&-
nadsskrift v. Joh. Grönstedt I, 1874—75, 428).
2) Overskoa ü, 96.
344 OTJ7L0U
auffasste und darstelte (Hans Sachsens poet sendung v. 39 fgg.). ^In
einen! fliegenden blatt: Gespräch mit der fasnacht, wante sich Hans
Sachs 1540 in heiterer form, aber mit ernster mahnung an seine mit-
bürger. Doch das sagte er sich wol selber, es muste die stimme eines
unwilkommenen Sittenpredigers im algemeinen lärm verhallen ... Hier
(aber) sah der mann, der unstreitig mit an der spitze des geistigen
lebens seiner Vaterstadt stand, seinen eigentlichen beruf angezeigt^ ^
Hans Sachs war sich dessen so gut bewusst, dass er dieser niedrigen
kunstgattung des &stnachtspieles so viel fleiss zuwendete, wie es vor-
her und nachher nie geschehen ist.
In bezug auf die herkunft der vom dichter bearbeiteten Stoffe müs-
sen uns gleich die häufigen entlehnungen aus Boccaccios Decame-
rone auiMlen. Dieser in allen lebensgenüssen verfeinerte weitmann,
der von männem wie frauen die anstössigsten geschichten in der rei-
zendsten form erzählen lässt, war ein lieblingsschriftsteller des Hans
Sachs. Wie tief muss im herzen des braven mannes das sitliche gefuhl
gewurzelt haben, dass er sich daran ergötzen und doch die reinheit
des gemütes bewahren konte! Aber dem reinen ist alles rein. Der
dichter nahm seine Stoffe allenthalben her, nur sorgte er dafür, dass
die nutzanwendung keine falsche war. Wenn ich das verfahren des
mannes beobachte, komme ich immer auf denselben vergleich. Der
natter schneidet man Stachel und giftdrüsen aus um sie nachher sogar
als unschädliches Spielzeug zu gebrauchen; ebenso lässt sich nachwei-
sen, dass Hans Sachs aus dem von Boccaccio überkommenen stoff das
unzüchtige ausmerzt, ehe er ihn verwertet Wenn wir den Bauer im
fegefeuer (Goetze, Neudrucke, nr. 42) mit Decamerone, giom. HI. 8
vei^leichen, so constatieren wir im ganzen den nämlichen verlauf der
geschichte, mit dem unterschiede, dass bei Boccaccio der abt den ein-
fältigen bauer in ein unterirdisches gemach einsperren lässt, um unter-
dessen die frau besitzen zu können, während im deutschen dieses motiv
in ein sehr löbliches und dem amte des geistlichen angemessenes verwan-
delt ist: die lust, den ehemann von seiner lästigen eifersucht curieren zu
helfen. Im Grosz eyferer (Goetze nr. 45) komt ähnliches vor. Die
frau sagt ihrem eifersüchtigen mann, dass sie zur beichte gehen will;
dieser besticht den kaplan und fungiert als beichtvater, um hinter die
geheimnisse seiner frau zu kommen, welche ihn erkent und ihm schalk-
haft gesteht, dass sie jede nacht den besuch eines p&ffen empfängt
Der angebrachte gatte bezwingt sich und steht nachher zwei nachte
1) Ooedeke und TittmanD, Dichtungen des Hans Sachs in, s. XXL
HANS SACHS ALS MOBALIST 345
hindurch schildwache an der hintertür, natürlich vergebens. Bei Boc-
caccio (giom. Vn, 5) will sich die geplagte frau dadurch an ihrem
manne rächen, dass sie seinen unbegründeten argwöhn rechtfertigt, und
die geschichte mit der beichte ist nur eine list, um ihn zu entfernen
und den ehebruch zu ermöglichen. Wenn aber bei Hans Sachs die
magd, welche die stelle einer kuplerin vertritt, den verschlag macht,
sich mit dem liebhaber in Verbindung zu setzen, antwortet die frau:
V. 43 Ich hab mich fromb ghalten biszher
An ihm, dieweyl und aber er
Seins eyfem je nit ab wil lassen,
So beweisz ich ims solcher massen,
Dasz im erst eyfem not musz thon.
Doch wil ich mein Ehr bhalten schon
Und aller Bubrey müssig gehn
Als ein fromb, ehrlich Weib bestehn,
und in mein Ehling stand beharren
Doch den Eyfrer machn zu ein Narren.
Dazu ist jede frau berechtigt; man merkt aber den unterschied.
Wenn nun aber die tendenz, das alzu derbe fastnachtspiel zu
versiüichen, bei Hans Sachs fast überall scharf ausgeprägt erscheint,
so ist dies doch, glauben wir, nicht ausnahmelos der fall. Tadellos in
dieser beziehung sind nicht alle stücke. Ich denke dabei an die num-
mem 46, 54, 61, 74 der Ooetzeschen ausgäbe. In 46, 54, 74 wer-
den die ehemänner von ihren frauen geprelt und geäft, einfach weil
sie zu dumm sind um zu merken, dass man ihnen einen blauen dunst
vormacht, oder (um in der spräche der zeit zu reden) dass man sie
am narrenseil herumzieht Nr. 61 enthält die geschichte einer übrigens
ehrlichen frau, welche sich von einer kuplerin durch eine alzu grob
gesponnene list verführen lässt, vom rechten pfade abzuweichen. Was
uns in diesen stücken verlezt, ist die demütigung und Verhöhnung des
guten und der triumpb des bösen, welches mit erhobenem köpf den
sieg davonträgt.
Allein auch hier lässt sich einiges zu gunsten des dichters bei-
bringen, und obgleich die tatsachen als solche offen am tage liegen,
glauben wir dennoch so viel von der gemütsstimmung des biedern
meisters erraten zu haben, um über den Sachverhalt ins klare zu kom-
men. VieUeicht könte ein unbedingter bewunderer des Hans Sachs
entgegnen, dass aus jedem stück ein moralisches epimythion gezogen
werden kann. Das ist insofern richtig, als sich aus jedem stücke
überhaupt irgend welche lehre abstrahieren lässt Aber völlig ent-
wmT . ■ J 4
346 DTJVLOU
schuldigt wird der dichter dadurch noch nicht; und sein Verteidiger
hätte zugleich einen satz aufgestelt, welcher der reinsten wilkür das tor
öfnen würde. Wie wir den dichter kennen, so steht es aber geradezu
fest, dass ihm hier keine unsitlichen, höchstens schalkhafte absichten
unterzulegen siod. Man beachte dazu noch folgendes. Das 54 fost-
nachtspiel, in dem Heinz Meyr von seiner frau hintergangen wird und
diese ungestraft wegkomt, ist datiert vom 12. Oktober 1553. Ist es
nicht auffallend, dass er schon am 24. ein neues spiel schreibt, wo
die frau energie und geduld ihres gatten erproben will xun nachher
desto ruhiger die ehe zu brechen, aber übler zugerichtet wird als
irgend welche andere? Das wainent hüntlein wurde yeifasst am
25. Januar 1554. Ist es nicht geradezu entscheidend, dass das nächst-
folgende, nur 6 tage später geschriebene fastnachtspiel einen plumpen
„ buhler ^ schildert, der von seiner geliebten spöttisch geäft und von
der eignen frau gehörig „gelaust*^ wird? Wir glauben hiemach an
die möglichkeit, dass der biedere dichter, bewusst oder unbewusst,
scrupel empfand in bezug auf das vorhin geleistete, und seinem ehr-
lichen gewissen gegenüber gleichsam seinen fehler dadurch sühnen
wolte, dass er zunächst ein spiel mit schrofT entgegengeseztem ausgang
verfiEisste.
Sehen wir uns jezt die moral des Hans Sachs genauer an ! Unter
den von Ooetze publizierten stücken gibt es nur ein halbes dutzend
ungefähr, welche wirklich bloss einen spass oder eine schalkheit zum
gegenstände haben, ohne dass dabei die moral dem dichter über die
Schulter blickt Es sind etwa die nummem 21, 34, 37, 51, 72, 79,
80. Sonst ist die absieht deutlich, wobei der dichter nun in doppelter
weise verfährt. Entweder sind die stücke ernst gehalten und es werden
uns allegorische personen, wie frau Olück, frau Wahrheit, frau Armut,
Flutus usw. und algemeine typen wie der rt^^S"' ^^^ „Mild*^ vor-
geführt; oder das stück ist ein dramatisierter schwank, wo die moral
offen hervortritt, ohne dass der dichter es je unterlässt am schluss den
herold oder einen andern eine direkt auf das publikum bezügliche sit-
tenpredigt halten zu lassen.
Betrachten wir zunächst des menschen Verhältnis zu Gott, so
finden vrir bei Hans Sachs die hauptidee der Lutherischen glaubens-
neuerung wider:
XIX, 309 das man verfarawe got
In aller trüebsal, angst und not
Der kan heUfen zw seiner zeit
Aus aller widerwertikeit
HANS SACHS AIS MOKAUST 847
Oder LQ, 403, wie Adam za Eva sagt, von gott redend:
Du hörst, das er sunst nichts begert.
Denn das ihn Menschlich gschlecht auff erdt
Im glaube und vertraw allein.
Der glaube, nichts als der völlige, unbedingte glaube an Gott war es,
den Luther als mittel zur Seligkeit den ablassbriefen, gebeten und guten
werken der katholiken entgegensezie ^. Und Oott ist ein liebevoller
vater, dessen gute unerschöpflich ist So stelte sich ihn Luther vor,
der mit ihm in direkter communion lebte und zu ihm ein grenzen-
loses vertrauen hatte ^. Hans Sachs war nicht so stolz und verwegen;
doch übertragt er auf Gott die charakterzüge eines grundbraven Deut-
schen. In dem spiele von den ungleichen kindern Evae erscheint
er uns wie ein liebreicher hausvater, der seine bedrängten kinder ver-
tröstet Er fragt die kinder Adams, ob sie beten können; man bildet
Edch fast ein, dass er sich nach ihren fortschritten in der schule
erkundigen wird; weil Set so gut betet, macht er ihn zum könig, einen
zweiten zum ritter, einen dritten zum bürgermeister, usw. Wie ganz
im einklang damit ist die äusserung Gottes (LXYII, 363 fgg.)) dass er
die menschen wol plagen und quälen müsse, weil sie es sonst zu bunt
machen würden!
Zu dieser evangelischen moral, in welcher der gotteigebene mensch
nie mündig wird, gesellen sich aber demente, welche gar nicht dazu
stimmen. Ich will nicht zu grosses gewicht legen auf den häufig wider-
kehrenden ausdruck das wältxend glück, der bei Hans Sachs eine
dem blinden Schicksal der Griechen ähnliche macht bezeichnet und
vielleicht nur eine durch seine belesenheit in den Schriftstellern des
altertums veranlasste, rhetorische figur sein mag. Aber im algemeinen
erscheinen uns des Hans Sachs personen nicht als unfrei, und im
68. spiele schildert er die laster als an einen pfähl gebunden, von dem
jedermann sie nach seinem gutdünken ablösen darf oder nicht. Dies
will doch deutlich sagen, dass der mensch der urheber seines eigenen
Schicksals sei und sich selbst bestimme. Verfolgt man dagegen jene
der evangelischen moral zu gründe liegende communion mit Gott bis
1) Pauli Bomerbrief m, 28.
2) Schweitzer, Hans Sachs (1887, Nancy) s. 126 erwähnt das fiActom, dass,
als Melanchthon krank war, Luther aus unmut darüber Gott ,die ehren rieb* nnd
seinem freunde versicherte, Gott werde ihn genesen lassen, was diesmal auch
zutraf. — [Im algemeinen verweisen wir bei dieser gelegenheit auf die eingehende
bespreohung des Schweitzersohen werkes durch M. Rachel in dieser zeitschriit ZXIY,
265—269. Bed.]
348 Dunou
in ihre lezten winkel, so stöst man auf den quietismas, d. h. auf die
yemeinung des freien willens, welche folgerung Erasmas trotz allem
widerstreben Luthers unerbiüich gezogen hat^.
Zwischen diesen beiden glaubensanschauungen liegt eine grosse
kluft, und doch sind beide tatsächlich bei Hans Sachs Torhanden.
Männer wie Luther und unser dichter, rüstige, tatkräftige, volblütige
menschen, kühne geister, waren nicht dazu aufgelegt ihrem ich zu
entsagen. Das 16. Jahrhundert hat keine schlaffen, lauen leute her-
Yoigebracht; für deigleichen ist in stürmischen Zeiten kein platz. Und
Schweitzer sagt treffend von Luther: „die gesunde yemunft des men-
schen corrigierte die logischen fehler des theologen'^^
Aus dem vorhergehenden begreift es sich, dass in den fastnacht-
spielen das wort sünde fast nicht vorkomt Der gedanke, der Hans
Sachs stets vor dem geiste schwebt, ist, dass man sich des bösen erweh-
ren soll nicht etwa der gnade und rechtfertigung wegen, sondern weil
es schlecht und töricht ist Deshalb wird das wort sünder durch narr
ersezt Dieser die ganze moral seit Brant dominierende spotname ist
die strafe des bösen, welche ihn noch im diesseits trift; und als der
kern der lehre, wie Oervinus vorzüglich sagt, stelt sich für den ein-
zelnen die selbsterkentnis heraus, gerade wie bei den alten, auf dem
fronton des delphischen tempels.
Betrachten wir nun die menschen in ihrem Verhältnis zu ein-
ander. Hier treibt die moral unseres dichters ihre reichsten bluten.
Hans Sachs wendet sich abwechselnd an jung und alt, verheiratete und
Junggesellen, frauen und männer, bauem und bürger, Untertanen und
herscher. Jedes gebiet berührt er, die notwendigkeit eines guten regi-
ments wie das häusliche leben auf dem lande, das los der fursten der
erde wie die kindererziehung. Hans Sachs, der mit seinem stände
zufriedene schuster, weiss wol, dass die reichen und mächtigen nidit
immer die glücklichsten sind, und es ist von jeher so gewesen. Als
der herr die stände schuf, sagte er zu Eva:
LH, 377 Köng, Bitter, Burger und EJaufEman
Oleich wol gar kein Handtarbeit han;
Doch unter jrem bracht verborgen
Stecken sehr grosz müh, angst und sorgen
Von Krieg, Auffrhur und Bauberey,
Eranckeyi; und Unglücks mancherley.
So sich zu tr^ im Begimendt
1) Ygl. darüber Schweitzer s. 127.
2) Ebenda s. 126.
HAKB SACHS ALS MORALIST 349
Die andern stände
Haben kein ander sorg nit mehr,
Denn wie man Weib nnd Eind emehr.
Die handt arbeit ist in gesnndt,
Macht süssen schlaff, nüchter und rundt.
In ist auch wolschmach speisz und tranck.
Auch ist in die weil nit so lang.
Wer über menschen und länder regiert, soll das wankelmütige
glück furchten; er hat viele feinde und wenig freunde; man lauert ihm
yiel£Eu:h auf um ihn umzubringen; denn furcht ist der grundstein seiner
herschaft: Du sagst recht, ir viel fürchten mich;
Ich allein musz sie fürchtenr all —
sagt Dionysius zu Dämon (XLYU, 214 fg.); sowie Diogenes zu Alexan-
der (XUV, 175%.):
So fürchtens dich als ein allein,
Du must sie fürchten all gemein.
Hans Sachs ist consequent, wenn er kaiser Augustus auf seinem
weichen polsterbette schlaflose nachte zubringen lässt (L, 283 fgg.). Er
sucht den irtum zu beseitigen , als ob nur die mächtigen die glücklichen
dieser weit wären; er selbst erklärt uns, weshalb er seine popularität
nie benuzt hat um seinen Schusterschemel gegen einen sessel im stadt-
regiment zu vertauschen:
ViJI, 305 Erst het dein stille rhu ein end,
Du würst ein £necht der Unterthanen.
Es gereicht dem dichter zur ehre, die Unabhängigkeit und sein
handwerk geliebt und die gleichheit der stände in bezug auf acht-
barkeit unwandelbar bis in sein hohes alter durch sein beispiel
behauptet zu haben. Aber nicht jedermann dachte wie er, und öfters
fühlte er das bedür&iis, diese so tüchtige lehre den leuten aufis neue
einzuschärfen. Ne sutor vUra crepidam, haÜ sieh mer ider in sein
stand (LXXYm, 223); oder wie es L, 327 fgg. heisst:
Halt innen beide mundt und handt.
Das er nit mehr hie thu verzem.
Denn im sein pflüge mag ernem;
und umständlicher IX, 256 %g.:
Welcher kein Bosz am paren hat,
Derselbig sol zu Fusen lauffen;
XTnd welcher nicht hat Wein zu kauffen,
Der trinck Wasser an seinem Tisch;
Und wer nit bat Wiltpret und Fisch,
350 DUVLOU
Der Esz Biutfleisch odr Haberprey;
Uud wen die Aimut drucken sey,
Der ker den Mantel nach dem Wind,
Den Sack zu halbem Theil zu pind
Und nem für das Merer das Minder,
Damit er hin pring Weib und Kinder . . .;^
denn LVni, 359 fg.:
Wer nit müeg rüeben essen,
Der mfles zu leczt den grebel fressen.
Und er bleibt noch immer in derselben gedankenreihe, wenn er betont,
dass auf zeitliches gut nicht zu achten sei, sondern auf „firümkeit^;
das sei der rechte reichtum (XXX, 430).
Das sind Yorzügliche ratschlage für arme leute, die andere um
ihren wolstand beneiden; doch die reichen redet er auch an, und
sein beständiges streben geht darauf hinaus, das gute einvernehmen
zwischen armen und reichen zu befestigen. Der reiche soll mild und
freundlich gegen den armen sein (XX YI, 361 tgg.)] desgleichen dieser
immer fleissig, standhaft in der tugend und ohne neid. Der eine kann
ja den andern nicht entbehren; der arme wäscht, kocht, spült, bäckt
für den reichen, und dieser beschüzt ihn mit seinen „geworben^.
Zwei laster, welche Hans Sachs auch ausrotten will und die ebenMs
dem reichtum anhaften, sind die zwei extreme geiz und Verschwen-
dung.
Vn, 67 wer gelt lieb hat.
Der wird des geltes nimmer sat
vn, 81 gutes vü
wird weng, wo mans verschwenden wil —
das sind epigrammatische Zusammenfassungen zweier gedanken, wo-
rüber der dichter sich ausführlich verbreitet Dem geiz vor aUem ist
er feind; der ist der quell vieler andren laster wie „wucher, furkauff
und finantz, arglist, renck imd alaümtz (YII, 193 %.); seine begier ist
grenzenlos; geschieht es, dass etwa ein pfennig fehlt —
YII, 135 Da liegst du denn die nacht zu wemmem.
An rhu zu seufFtzen und zu gemmem.
Auch schont Hans Sachs die geizhälse nie. In nr. 32 wird der Bei-
chenburger, welcher Simplicius sein geld entwendet hatte, audi seiner-
1) Dasselbe thema behandelt das 69. kapitel aus Marners Narrenbesohwö-
Tttng.
HAM8 SACHS ALS MORALIST 351
seits Yon Sapiens geprelt In nr. 16 wird gogen den Eargas ein com-
plott geschmiedet, wodurch man ihm einige taler abzwackt, welche die
lustigen spassvögel gleich verschmausen. In nr. 41 spielt man dem
geizigen einen noch ärgeren possen. Man stiehlt ihm seinen schinken,
gibt ihm eine aus dreck gemachte pille zu verspeisen und überzeugt
ihn zulezt, dass er sich selbst bestohlen haba Und der dichter sezt
hinzu :
317 Also musz man schuhen die Affen
und die filtzingen geitzhels straffen;
denn 332 Ein Sparer musz ein zerer haben,
Dasz der geltsack zu grosz nit wachs
Bey kargen Leuten, wünscht Hans Sachs.
Verschwendung aber ist kaum besser. „Demmen und schlemmen^,
possierliche kleider kaufen (VIII, 111 fgg.), jagen und koppeln halten
(ebd. 196 fgg.) zieht armut und eine reihe von quälen nach sich wie
den husten, die reude, die kratze, die Schwindsucht, den hamstein,
reissende schmerzen, rote äugen, sausende obren, Schwindel usw.
(LXVlil, 362 fgg.). Die katze wird das beste stück vieh im hause,
und der schlemmer denkt sich im himmel, wenn ihm der eintritt in
ein spital verstattet wird. Den goldnen mittelweg soll man folglich
wählen, der ehrenvoll ist und beliebt macht
Was unserm dichter eben&ls ein dorn im äuge ist, ist das
unzüchtige leben mancher jungen leute und sogar mancher eheleute.
Einmal verfährt er dabei gewissermassen theoretisierend, d. h. er lässt
von einem erdichteten „buhl er '^ die quälen aufzählen, welche ihn betrof-
fen haben, oder einen richter dessen betragen verurteilen. Den buhler
stelt er uns dar „traurig und kranklich dahergehend^, durch seine
geschenke verarmt, abgehärmt von dem tollen leben, der eifersucht,
dem „sehnen und meiden'^, und dabei im krieg mit den franzosen^
Wol sucht der buhler einzuwenden, dass die buhlerei der menschlichen
natur entspricht, dass gott
V, 64 das werck der liebe pur
Selbst hat gepflantzt in die natur,
dass der buhler glücksvolle stunden zubringt, usw.; aber seine brüder,
der trinker und der Spieler, die er um das väterliche erbe betrügen
will, reissen ihm schonungslos die larve vom gesiebt Manches beispiel
1) Nl. Syphilis, damals auch wälsche krätz genant Vgl. Histoires de
Paolo Jovio (Don 1558) I, 206 iind Dechambre, Dictionn. des sciences
medicales, 3. sehe. XIY, 255 fgg.
352 DUfLOü
aus dem alten testament und den proverbiis Salomonis wird angefahrt
Ton diesen bibelfesten menschen um darzutun, dass Oott die buhlerei
immer grausam bestraft hat. Es ist aber auch wahr, dass sie dagegen
andere stellen aus der bibel aufklauben, um ihr eigenes sündiges leben
zu rechtfertigen, was abermals beweist, wie bequem sich mit bibel-
steUen herumschlagen lässt Die gesellen des buhlers sdionen ihn
durchaus nicht; scherzweise erinnert man ihn daran, wie er mandmial
rücklings die stiegen hinuntergeworfen wurde; kurzum, es wird ein
abschreckendes gemälde entworfen.
Das zweite yerÜEdiren unseres dichters besteht dann, dass er einen
buhler handelnd auftreten lässt, so dass wir Zuschauer dessen sind,
was ihm widerfahrt Mit wenigen ausnahmen kommen diese leute
nicht so glatt weg, wie man sich denken könte. Im Teufelbannen
wird dem höckerigen, unzüchtigen pfarrer ein possen gespielt, der den
spass wirklich auf die äusserste spitze treibt (nr. 37); in nr. 62 wird
ein alter zahnloser kerl unbarmherzig verspottet Nr. 69 fährt uns einen
messner vor, der sich blind stelt, um seine ehebrecherische &au auf
frischer tat mit dem geistlichen zu ertappen; er schiesst diesem einen
eisernen bolzen in den buckel und legt seiner firau „fünfiBngerkraut^
aa£3 haupt Den frauen ergeht es nicht besser, obschon ihre unver-
gleichliche erfinderische verschmiztheit sie öfters geschwind eine list
oder ausrede ersinnen lässt, wodurch sie dem gerechten zome des
gatten entgehen. Wenn sie sich nach einem mißlungenen versuche (wie
in nr. 57) bekehren, dann unterbleibt die strafe; wenn sie aber die
geduld ihres mannes misbrauchen und überreizen, so begegnet ihnen
mitunter noch schlimmeres als prügel, wie ein aderlass (nr. 56); und
wenn eine, die selber „holz trägt ^, die Verwegenheit so weit treibt,
die tugend ihres mannes zu erproben, da verbrent sie sich jämmer-
lich die finger (nr. 38). Also, gleichviel wohin man sich wendet, fast
überall sehen wir die Unzucht gestraft
um diesem übel abzuhelfen, wo es unter jungen leuten grassiert,
kent Hans Sachs nur ein mittel, das sein lieblingsthema ist: die
ehe. Yon der würde des ehelichen Standes ist keiner mehr überzeugt
als er. Nicht nur komt dieses motiv zu widerholten malen in seinen
fastnachtspielen und anderen dichtungen wider, sondern auch hier,
wie schon einmal vorher, constatieren wir das übereinstimmen von
wort und tat Der siebenundsechzigjährige greis fühlte sich noch
gesund und rüstig genug um eine zweite ehe zu schliessen mit einem
achtzehnjährigen mädchen, Barbara Harscherin, deren reize der greis
Bans BACHS ALS M0BAU8T 353
in versen verherlichte, welche eher von einem jüngling herzurühren
scheinen. Schon 1518 schrieb er, indem er sich an die frauen wante:
I, 382 Spardt ewr lieb bisz in die £h,
Denn habt ein Lieb, sonst keine meh.
Dem buhler gebietet er (in nr. 5, nach 1533 gedichtet):
V. 463 thu dir selber nemen
Einen Gemahel zu der Ehe!
Die hab denn lieb und keine meh!
Gleiche aussagen finden wir in VIII, 253 (12. juli 1538); XXIII, 385
(10. Oktober 1550); LXXXIV, 465 fgg. (31. Oktober 1560).
Es macht einen sonderbaren eindruck, wenn man daneben die
galerie der bösen weiber durchmustert. Aber doch sind beide dinge
zu vereinbaren. Hans Sachs ist der ansieht, dass der mann sich seine
frau erziehen kann und muss, und dass es seine eigne schuld ist,
wenn es ihm nachher in der ehe sauer wird. Deshalb unterlässt er
nicht die männer zu belehren, um den hausMeden zu fordern:
XXVin, 295 Zeuch erstlich dein weyb an den ortten
Zu gehorsamb mit guten wortten^.
Zum beispiel:
XVII, 82 Mein Omahel, es wer mein gemüt,
Meins hertzen wolgfallen und wil,
Das du einzogen werst und stil.
Vieles gepolter taugt nicht (XII, 366 fg.); helfen aber keine guten werte,
XXVni, 298 So thu dich etwas ernstlich stellen
Zu wem ir eygen sinnig art
Wo sie dir noch helt wider hart.
So magstus straffen mit der zeyt,
Doch mit vernunfft und bscheidenheyt,
Wie man den spricht: ein frommer man
Ein ghorsamb weyb im ziehen kan^.
Vor allem aber komt es darauf an, ihr anfangs nicht die zügel schies-
sen zw lassen', und beiderseits nicht aufbrausend zu sein^: so erlangt
man schliesslich wol den y,pachen im deutschen hof^. Der schlimste
fehler, mit dem ein mann behaftet sein kann, ist zulezt noch die
1) Vgl. XXVE, 34 fg.
2) Dasselbe Xn, 373 fg.
3) Vgl. XXVni, 23 fg. und XXVE, 382 fgg.
4) Nr. LXrV.
ZUTSGHiaVT F. DKÜT8GHS PHILOLOeiB. BD. XXV. 23
■*•-;».
364 DUFLOÜ
eifersucht Nicht nur ist sie eine unaufhörliche folter, welche den
mann geradezu wahnsinnig macht, sondern sie ist auch das beste mittel
um das herbeizuführen, was man befürchtet Die spiele 42 und 45
sind beide gegen diese plage gerichtet Im 17. wird einer von dieser
krankheit durch einen von Hans Sachs angestelten arzt curiert
Also ist der biedermann fortwährend bestrebt seine mitmenschen,
die ehemänner, zur richtigen erkentnis ihrer pflichten und rechte anzu-
halten. Und man kann ihm nicht zur last legen, dass er den stoff
nicht erschöpft habe. Also: wenn es geschieht, dass man mit einem
„scheliigen gaul erschlagen^ ist, der nicht hören will, so muss man
in extremis wol zum bereits erwähnten kraut, zu prügeln und beschwö-
rungen eigentümlicher art^ seine Zuflucht nehmen '. Hans Sachsens
ideal, eine treue, züchtige^ frau, die fleissig ihre haushaltung besorgt
und keine klatschschwester ist, wird zwar auf diese weise nicht ver-
wirklicht; aber es ist nicht zu leugnen, dass der mann, welcher aus
erfahrung reden konte, zweifelsohne richtig sah, als er den Ursprung
mancher häuslichen Uneinigkeit auf die Unvernunft des mannes zurück-
führte.
Man denke nicht, dass unser bild bereits volständig sei. Nach-
dem er das Verhältnis von mann und frau beleuchtet und erörtert hat,
geht der dichter zu den kindern über:
Y, 481 jr solt ewre Kinder halten
unter der Buten, die mit schmertzn
Des Kinds thorheit treib ausz dem hertzn,
Auff das nit wüsüing darausz werden.
Man soll sie auferziehen „auff Gottes forcht, sitten und tugenf^^
(v. 489), denn
YI, 363 So bald ein Son kompt zu den Jam,
Sol man ihn fleissiglich bewam
Vor loser gsellschafiEt, wo man kan.
Wie uns lert der weisz Salomon^
1) Z. b. LXIV, 309 fgg.
Haie Bestia in spelonckes
Chabes kümaulqne et munckes
Pengel qne snb Schulter et lentes
Fadt dein rüesel faic loquentes! (die frau weite nicht sprechen).
2) Vgl. XXVI, 380 fgg.; XUX, 365 %g.
3) Vgl. LXXXIV, 428 fgg.
4) Dasselbe LU, 402.
5) Proverb I, 10; IV, 14.
HANS SACHS ALB MORALIST 355
An die Jünglinge selbst wendet der dichter sich; er begnügt
sich nicht im algemeinen aaf die notwendigkeit der guten sitten und
der tugend hinzuweisen (wie XIX, 320 fgg.), sondern das ganze spiel
nr. 8 ist dazu bestirnt, die ranke und schlingen blosszulegen, welche der
fürwitz oder „bethulancia", hier gewissermassen ein Inbegriff der ver-
führerischen lockungen, denen der jüngling ausgesezt ist, der Jugend
bereitet Wir heben nur eins hervor, das für den dichter bezeichnend
ist, nämlich den rat, den er müssiggängern gibt, ihre zeit auf das Stu-
dium zu verwendend
Was nun die mädchen anbelangt, so ist Hans Sachsens moral
recht hausväterlich und vorsichtig:
XXXIX, 533 Thut fleissig aufif ewr Töchter schawen.
Das sie sich einmütig einziehen*,
Beywonung der Manszbilder fliehen
Und der gar nit zu Hause laden.
Wann es bringt jren ehren schaden;
Obs gleich nit unehrlich zu geht.
Doch ein bösz gschrey darvon entsthet
Durch der klaffer gifitige zungen.
Es sei uns gestattet, zum schluss das sonst noch hin und her
zerstreute aufzulesen und hier zusammenzustellen.
Wie der dialog Ciceros de amicitia dem dichter bekant war,
so unterlässt er nicht auf das seltene glück eines rechten freundes
hinzuweisen, der den tadel nicht zurüökhält; falsche freunde und heuch-
1er werden scharf mitgenommen^. Dieses spricht für des dichters bie-
dersinn; für seine gesunde vemuult hingegen spricht seine Verspottung
der „alchamey^ (^ni) 325) und der wahrsagerei, deren zweck und
kern er ganz richtig erfasste (X,«200 fgg.). Törichte woltaten rügt er
ebenfals; man soll nicht den ersten besten „ freihart ^ beherbei^n, der
abends an die türe klopft (XXY, 346 fgg.), und Spitzbuben soll man
auch nicht trauen
Wan art die lest selten von art (LXXXI, 392).
Gleich unvernünftig ist es, sich in andrer leute händel einzumischen;
LXYI, 423 das sich sol ein weiser mon
Eains fremden haders nemen on
Und sich gar nicht darmit peküemer,
Das nit an in springen die trüemer.
1) Vm, 140 und vgl. die äusserong des doctors LXXXTTT, 168 fgg.
2) Dasselbe LXXXIY, 435.
3) Proverb VUE, 133; XIT passim; XIX, 314 fgg; XXXI, passim.
23*
356 K. 0. MATIB
Der grund ist malerisch ausgedrückt Mao soll sich immer vor den
folgen fürchten, sagt der dichter, und eben deshalb soll man auch ein
geheimnis treu bewahren. Diese lehre wird illustriert durch das spiel
vom knaben Lucius Papirius Cursor (nr. 73). Dies führt Hans Sachs
auf den gedanken, dass man immer vor weibem und kindem reinen
mund halten soll, damit kein geheimnis ruchtbar werde und dadurch
etwa ein mit vieler mühe aufgebauter plan mislinge (v. 391 fgg.). Des-
halb ist es auch zu empfehlen, dass man nicht zu neugierig sei, oder,
wenn man etwas gemerkt hat, es geheim halte. Alles zu bekritteln
und zu beschnattern, hat nie einem menschen vorteil eingebracht; im
schlimsten fall kann es eine derbe Züchtigung veranlassen, wie der
aime narr Jeckel zu seinem schaden fühlen moste (nr. 83).
Es ist jezt also klar: Hans Sachs, der vernünftige und praktische
mann, wendet sich in seiner moral haupts^hlich an den gesunden
menschenverstand seiner zuhörrr; viel weniger an das herz, die
höhern ge fühle. Doch glauben wir, dass sie vor dem vonvurf der
hausbackenheit gesichert ist. Einzelne ausspräche zeugen von einem
überlegenen, der zeit vorausgeeilten einblick in die weltverhältnisse;
manches der spruchgedichte (die wir hier absichtlich von unserer
Untersuchung ausgeschlossen haben) zeigt uns den dichter als einen
so feinen und fleissigen beobachter der politischen ereignisse, wie es
ein beschränkter geist nie hätte sein können. Allein er war ein kind
seiner zeit und liess sich die klarheit des blickes durch keine trugbU-
der und falsche Vorstellungen trüben. Wie er verfuhr, so muste in
dieser zeit, wo der physische, man dürfte sagen tierische teil des men-
schen noch so grell hervortrat, jeder verständige reformator verfahren,
wenn er nicht scheitern wolte. Hans Sachs ist öfters Luther an die
Seite gestelt worden wegen des anteils, den er an der reformation in
seiner Sphäre nahm; wir glauben, dass beide auch zusammengehören als
unermüdliche bekämpfer der torheit und des lasters.
OENT. O. DUFLOU.
DIE QUELLEN VON EUNÖEES LUSTSPIEL: DER
DEEWISCH.
Nachdem Klinger in seinem „Orpheus^ zum erstenmal den boden
der märchenweit betreten hatte, versuchte er mit unleugbarem gesdück
märchenhafte motive auf der scene zu komischer Wirkung zu verweiv
qUELLXN VON SLINOERS DSBWISGH 357
ten. Diesem versuche verdanken wir eines seiner besten stücke: das
lustspiel „Der derwisch" (Prag) 1780; aufgenommen in bd. HI des
theaters 1786, sonst in keine samlung Elingerscher Schriften. Man
kante bisher die quellen, aus welchen Klinger die motive zu diesem
stücke schöpfte, nur zum geringen teile; vgl. M. Bieger: Klinger in der
Sturm- und drangperiode, Darmstadt 1880, s. 297. Klingers haupt-
quelle war Henri Pajons „L'Histoire des trois fils d'Hali Bassa de la
mar et des filles de Siroco, gouvemeur d'Alexandrie''. Dieses märchen
erschien zuerst 1745 im Mercure de Erance (august — december) unter
dem Pseudonym M. Jaques (vgl Le cabinet des f6es, Genf- Paris 1786
bd. XXXIV, s. 7)., Der Abb6 de la Porte druckte es unter dem titel
„N6angir et ses fr^res, Argentine et ses soeurs^ in seiner „Bibliothdque
des F6es et des G6nies^ ab. Daraus übersezte es Wieland in dem
ersten bände seines „Dschinnistan oder auserlesene feen- und geister-
mährchen" (3 bde. 1786 — 89; beiHempel 30. teil s. 75—129). In der
samlung von feenmärchen „Le cabinet des f^s^ 1786 findet es sich
abgedruckt bd. 34, s. 119 — 236.
Die hauptzüge der äussei-st verwickelten handlung des märchens
sind folgende. Ein weiser derwisch machte den drei söhnen des Bassa
vom meere drei wertvolle geschenke, deren besitz ihnen glück bringen
solte. Dem ältesten söhne gab er einen rosenkranz mit neunundneunzig
der schönsten korallen und begleitete seine gäbe mit den werten:
„Bewahre diesen schätz, sei dem propheten getreu — und du wirst
glücklich sein^. Dem zweiten söhne schenkte er ein täfeichen von
kupfer, auf welchem der name des gesanten gottes in sieben sprachen
eingegraben war, und sagte: „Der name des freundes des allerhöch-
sten möge dein haupt bedecken; der turban, das zeichen der recht-
gläubigen begleite ihn immer — dann wird dein glück volkonmien
sein^. Dem jüngsten söhne legte er ein armband an mit den werten:
„Bein sei deine rechte, und deine linke unbefleckt! Bewahre dieses
kleinod, das in Medina verfertigt wurde — und dein glück wird nicht
gestört werden".
Die söhne des Bassa achten der werte des derwisches nicht und
geraten ins unglück. Der älteste söhn misbraucht den rosenkranz. Er
verliert eine koralle davon und ist verurteilt mehrere stunden des tages
die verstreuten korallen aufzulesen, zu zählen und die fehlende ver-
geblich zu suchen. Der jüngste söhn berührt, nicht eingedenk der
Warnung des derwischs , eine unreine speise. Sofort verliert seine band
die natürliche färbe und wird zu ebenholz. Drei stunden muss er
täglich sein unglück beweinen. Dem zweiten söhne N6angir wird das
358 K. 0.
kupfertäfelcben entwendet Er wird dadurch in einen kupfernen koch-
tiegel verwandelt und erlangt erst nach einigen jähren seine natürliche
gestalt wider.
Den drei söhnen des Bassa waren von kindheit an die drei töch-
ter des gouvemeurs von Alexandrien Siroco zu frauen bestirnt Auch
diese besitzen talismane in gestalt von ringen, welche sie vor Unglück
schützen sollen. Zwei der mädchen lassen sich von listigen Juden ihre
talismane herauslocken und werden auf der stelle in zwei taschenuhren
verwandelt: Argentine in eine silberne, Aurore in eine goldene. Sie
können nur entzaubert werden, wenn man ihnen die beiden ringe
wider anhängt Doch erlangen sie für eine stunde ihe natürliche
gestalt, wenn man sie um mittemacht aufzieht ünterlässt man di^
so rollen sie dem jeweiligen besitzer eilends davon.
Die beiden ringe werden den Juden von zwei Cirkassierinnen
entlockt Dabei spielt der oben erwähnte derwisch eine rolle. Die
zwei Cirkassierinnen erzählen vor dem Bassa und seinen söhnen ihre
wundersamen erlebnisse. Sie waren für den harem des grosssultans
bestimt Auf der reise dahin werden sie von zwei jungen männem
entfährt Der eine ist der prinz der schwarzen marmorinsel D61icat;
der andere — Thölamir — ist zwar nicht von so vornehmer abkunft;
aber er besizt geheimnisse, die ihn dem grösten herscher ebenbürtig
machen. D61icat muste aus der residenz seines vaters fliehen, weil er
die ihm bestimte braut nicht heiraten wolte. Die jungen männer brin-
gen die beiden mädchen, D61y und T6zile, auf das schloss Th61amirs
zu genussreichem leben. T6zile, die geliebte Th61amirs, zeigt bald eine
aufEallende Zärtlichkeit gegen D61icat und erregt ihres liebhabers eifer-
sucht Dieser findet einst nachts im walde D61icat mit einer schönen
in zärtliches Zwiegespräch vertieft. Er halt das mädchen für T6zile;
die erlauschten werte des gespräches scheinen seine Vermutung zu
bestätigen. In raschem zome schlägt er den liebenden mit einem säbel-
streich beide köpfe ab. Mit schrecken wird er sich nach begangener
tat seines irtums bewust Eilig legt er die abgehauenen köpfe an die
leiber an, steckt ihnen eine magische pille in den mund — und
sogleich wachsen die köpfe an, ohne die mindeste narbe sehen zu las-
sen. In der dunkelheit und eile hatte er aber die köpfe vertauscht
Erst als man in den palast zurückkomt, wird die Verwechslung ent-
deckt Th61amir will den schaden wider gut machen und beiden noch-
mals die köpfe abschlagen, um sie auszutauschen; doch die beiden
Opfer seiner eifersucht wollen sich zu dieser „Operation" nicht ent-
schliessen. Einige zeit nach dieser begebenheit stirbt Dölicats vater.
QUELLEN VOH KLINOERS DERWISCH 359
Es findet sich, dass er seinen söhn von der thronfolge ausgeschlossen
hat Trotzdem will D6Iicat mit D61y in die hauptstadt Er hoft das
Yolk für sich zu gewinnen. Da zeigen sich aber die schlimmen folgen
des kopfwechsels. Er sowie D61y werden für betrüger erklärt. Beide
werden enthauptet Thölamir und T^zile legen die abgehauenen köpfe
an die leiber an, und die magischen pillen tun abermals ihre Wirkung.
In der eile wurde aber D61icats köpf nicht genau an den hals ange-
passt, und der prinz stirbt sogleich nach seiner widerbelebung an Ver-
blutung. D61y im höchsten schmerz und zom durchbohrt Th61amir
als den urheber des ganzen Unglücks mit einem Schwerte. So weit die
erzählung der beiden Girkassierinnen.
Das märchen eilt sodann dem ende zu. Die zwei töchter Sirocos
gelangen in den besitz ihrer ringe und gewinnen ihre natürliche gestalt
wider. In der fünften falte des kleides der entzauberten Aurore findet
sich die vermisste neunundneunzigste koralle. Dadurch wird der älteste
söhn des Bassa von seinem zauber erlöst Auch der dritte söhn wird
bald von seiner ebenholzhand befreit, und eine reihe von Vermählun-
gen schliesst die verwickelte handlung.
Elinger hat in seinem lustspiele die motive dieses märchens auf-
gegriffen und zu komischer Wirkung ausgearbeitet In den mittelpunkt
stelt er einen derwisch. Ein solcher spielt auch im märchen eine
rolle; Klingers derwisch trägt jedoch ganz andere züge. Den Zusam-
menhang derselben einerseits mit dem derwisch AI Hafi in Lessings
Nathan, andererseits mit dem grafen Cagliostro weist M. Bieger über-
zeugend nach in Klingers leben s. 290 fg. Der derwisch besizt (wie
Th61amir im märchen) die gäbe tote zu erwecken. Nur bewirkt er
dies nicht mittels magischer piUen, sondern mit hilfe einer Wunder-
kerze, die er den toten in den mund steckt. Aus allen teilen der weit
konmien leute nach Ormus zum derwisch um sich da, wenn sie gestor-
ben, zu neuem leben erwecken zu lassen. An dem hofe des sultans
von Ormus lebt dessen Schwester, die schöne Genevra. Der ruf ihrer
Schönheit zieht viele prinzen an ihren hoC Doch keiner von ihnen
vermag den zauber zu lösen, der sie fesselt „Unaufhörlich" — so
erzählt einer ihrer bewerber, der prinz Mustapha, seinem cousin, dem
prinzen Oronoko [H, 2] — „unaufhörlich zählt sie Diamanten. Ein
kleines niedliches Körbchen trägt sie in der Hand, da sammelt sie
dieselben hinein und schüttet sie wieder aus und sucht sie wieder.
So geht das rastlos fort Es müssen neunundneunzig Diamanten
sein, wenn ihr Geschick ein Ende nehmen soll. Zählt sie aber die
Steine, so sind es achtundneunzig. Da zahlt sie wider und seufzt:
360 K. 0. MATXB
Achtundneunzig sinds. Verwünschtes Schicksal! Bevor sie neunund-
neunzig gleiche Diamanten zählt, darf sie mit keinem von uns reden
und keinen zum Gemahl erwählen''. Sie leidet also unter demselben
Zauber, wie der älteste söhn des Bassa vom meere. Wie dessen erlö-
sung von der entzauberung der beiden in taschenuhren verwandelten
töchter des Siroco abhängt, so ist die befreiung der Oenevra an das
Schicksal zweier illyrischer Prinzessinnen geknüpft Diese wurden von
dem mächtigen zauberer Primrose in taschenuhren verwandelt (der
grund ist nicht erzählt) und spielen in dem stücke als taschenuhren
ihre roUe. Sie können nur erlöst werden, wenn man sie mit dem
glockenschlage zwölf aufzieht Prinz Musfapha erzählt [I, 7] dem der-
wisch folgendes abenteuer: „Gestern Morgen kauf ich eine Uhr von
Gold. Wie ich Abends in mein Zimmer trete, liegt eine Uhr von
Silber grad auf meiner Schwelle. Ich nehme die Uhm und hänge sie
beide gegen mein Bett Um Mittemacht erwacht ich und hörte die
Uhm deutlich sagen: ,Ach diesmal sind wir wiederum nicht angezogen
worden!' Da sprang ich auf, weg waren meine Uhren, die Gekaufte
und Gefundene miteinander".
Im 5. auftritt des lY. aufzugs liegen die beiden taschenuhren auf
der scene.
[,Die Prmzessinnen aus lUyrieD als zwei Uhren auf dem Boden:]
Prinzessin Böse a. T. U.: Prinzessin Schwester!
Prinzessin Zamora a. T. U.: He!
Pr. Rose a. T. U.: Bist Du abgelaufen?
Pr. Zamora a. T. U.: Du?
Pr. Rose a. T. U.: Ja!
Pir. Zamora a. T. ü.: Ich auch!
Pr. Rose a. T. ü.: Zwölfe muss es nun gleich sein!
Pr. Zamora a. T. U.: Ich denke, ja!
Pr. Rose a. T. TJ.: Würden wir doch einmal zur rechten Zeit aufge-
zogen!
Pr. Zamora a. T. ü.: Möchte sich doch einmal das schreckliche Schick-
sal versöhnen lassen!
Pr. Rose a. T. U. : 0 Himmel ! welch ein harter Stand fiir Prinzessin-
nen, als Taschenuhren in der Welt herumzurollen !^
Man vergleiche damit folgende stellen des märchens, die Elinger
fast wörtlich benuzt hat: Ntongir, der zweite söhn des Bassa, kauft
bei einem Juden eine silberne taschenuhr. Als er abends nach hause
komt, findet er auf der schwelle seines zimmers eine prächtige goldene
uhr liegen. Gab. d. f6es XXXIV [s. 129 fg.]: „il se coucha tranquiUe-
QUELUEN VON KLZNOEBS DEBWI8CH 361
ment aprds avoir mis ces deux montres sur l'estrade oü il se pr^pa-
roit ä dormir. S'6tant 6yeill6 par hasard au milieu de la nuit, il
entendit une voix aussi douce qu'un tiiubre d'argent, qui sembloit
sortir d'une des deux montres (comme eile en sortoit en effet) qui dit:
ma chöre Aurore, ma chöre soeur, vous a-t-on montö ä minuit? Non,
ma fidelle Argentiue, r6pondit une autre voix; et vous? Moi? r6pon-
dit la premidre, on m'a aussi oubli6e; quel malbeur, il est une heure
pass6e, nous ne pourrons sortir que demain de notre prison! Oui,
dit la prenii6re voix, en cas que Ton ne nous nöglige pas encore comme
aujourd'hui. Nous n'avons plus ä faire ici, dit Aurore, rendons nous ä
notre destinöe: partons. Aussitöt le jeune Nöangir qui s'etoit lev6 ä
moiti6 surpris d'un semblable predige, vit ä la clart6 de la lune les
deux montres sauter par terre et rouler hors de sa chambre par la
chattiftre*'.
Der betler Derbin in Klingers stück findet endlich die beiden
uhren und entzaubert sie, indem er sie zur rechten zeit aufzieht. In
einer falte des Unterrocks der prinzessin Böse findet sich der fehlende
neunundneunzigste diamant, dessen die schöne Genevra zu ihrer ent-
zauberung bedarf.
Zur hauptperson des E^lingerschen Stückes ist der derwisch gemacht;
die motive der handlung aber nahm Elinger aus der erzählung der
beiden Cirkassierinnen bei Pajon. Der derwisch verliebt sich in ein
reizendes, einfaches mädchen, Fatime, dessen mutter er vom tode
erweckt Die dankbarkeit fordert Fatimes gegenliebe. Der derwisch
will mit ihr an den Ganges ziehen, um dort ein stilles, glückseliges
leben zu führen. Zum unglück verlieben sich aber auch der sultan
und sein favorit Culi in das mädchen und suchen es in ihre netze zu
locken. Fatimes bruder Halli, an gesinnung und aussehen seiner
Schwester ganz unähnlich, gibt sich zum Werkzeug für die Verführungs-
absichten Gulls her. Er bestelt seine Schwester in der dämmerungs-
stunde in des sultans garten zu einer Unterredung. Fatime findet sich
ein. Sie will ihren bruder bereden , seinem bisherigen schlechten lebens-
wandel zu entsagen und mit an den Ganges zu ziehen. Der derwisch,
welcher des sultans und Gulls absiebten auf Fatime wol kent, erfährt,
dass sich seine geliebte zu einem steldichein in des sultans garten
begeben. Voll eifersüchtigen zoms über Fatimes angebliche treulosig-
keit ergreift er einen säbel und eüt ihr nach. Er findet sie mit einem
manne scheinbar in ein liebesgespräch vertieft; die werte, die er hört,
bestärken seinen verdacht, und mit einem Säbelhieb schlägt er beiden die
köpfe ab. Jezt erst entdeckt er seinen irtum. Der vermeintliche lieb-
362 CKDIB80BIÖLD
haber ist Fatimes bruder Halli. Rasch passt der derwisch die köpfe
an den rümpf an und lässt seine Wunderkerze wirken. Aber, o schreck!
er hat in der dunkelheit die beiden köpfe vertauscht, und seine geliebte
Fatime trägt nun Hallis hässliches, rotbärtiges gesiebt Ihr bruder mit
seinem tausche zufrieden, macht sich eiligst aus dem staube, um einem
zweiten geköpftwerden zu entgehen. Fatime ist trostlos. Die drastische
wirkling, welche in der komik dieser scene liegt, weiss Klinger gut
auszubeuten. Um Fatime wider zu ihrem köpfe zu verhelfen muss ein
deus ex machina in der person des mächtigen Zauberers Primrose her-
bei. Mit dessen hilfe schlägt der derwisch dem Halli den köpf ab und
sezt ihn wider seiner geliebten auf. In einem wolkenwagen bringt er
sie an den Ganges.
WnUN, 29. SEPTEBfBEB 1891. K. 0. MAYEB.
THEODOB WISM
Die alte norwegisch -isländische litteratur ist schon seit langer zeit in Schwe-
den eifrig gepflegt worden. Nachdem man in der ersten hälfte des 17. jahih. auf
Island angefangen hatte, den denkmälem der vorzeit aufs neue seine aufmerksamkeit
za2suwenden, erweckte diese bewegong (die isländische , renaissance '') zon&chst in
Schweden den stärksten nachhall, wo der eifer die Schriftwerke der ersten blüteepoche
nordischer litteratur zu sammeln , herauszugeben und zu erklären damals grosser war,
als in der dänisch -norwegischen monarchie, obgleich von den in dieser vereinten beiden
Völkern das eine durch die politische Zusammengehörigkeit, das andere durch stamver-
wantschaft den Isländern näher stand. Im 18. Jahrhundert änderte sich dies freilich,
da namentlich durch die grossartige Wirksamkeit Ami Magnüssons jezt Kopenhagen
der hauptsitz der isländischen phüologie wurde, während in Schweden die altnor-
dischen Studien lauer betrieben wurden. Sie erloschen jedoch niemals ganz. Als
später, am anfang unseres Jahrhunderts, der grosso linguist Bask in Dänemark zu
einer eindringenderen und wissenschaftlicheren behandlung der altskandinavisohen
sprachen den grund legte, hatte Schweden zwar keinen ihm ebenbürtigen Sprachfor-
scher aufzuweisen, aber die häupter der nationalen (oder sogenanten gotisohen)
schule, Tegner, Ge\jer, Ung, Afzelius u. a. verstanden es doch, den inhalt der altn.
sagas und lieder in Schweden bekant und beliebt zu machen. Bald darauf begann
jedoch auch bei uns mit Schlyter und Bydqvist ein streng philologisches Studium,
das sich freilich zunächst, wie billig, hauptsächlich dem altschwedischen zuwante.
Die veriiältnisse änderten sich aber, als die nordischen sprachen zum gegenstände
des universitatsunterrichies gemacht und (1859) professuren für dieses fach inüpsala
und Lund errichtet wurden. Die ersten inhaber dieser lehrstühle, Carl Säve und
Carl August Hagberg, waren nämlich enthusiastische bewunderer der altisländischen
spräche und litteratur; sie lasen vorzugsweise über diese und stelten sie auch bei
den Prüfungen in den vordei*grund.
Hagberg, der erst in ziemlich vorgerücktem alter die Vertretung des neuen
iacheB an der Universität Lund übernommen hatte — vorher hatte er sich nament-
THioDOB vnstn 363
lieh duroh seine musterhafte Shakespeare -Übersetzung bekant gemacht — kam freilich
selbst in der nordischen Sprachforschung wenig über den Standpunkt des genialen
dflettanten hinaus, verstand es jedoch als lehrer fruchtbaren samen auszustreuen. Als
er 1864 starb, wurde einer seiner besten schüler, Theodor Wisen, sein naohfolger.
Wisen wurde 1835 in der nahe von Ealmar geboren; sein vater, der dem
bauemstande entstamte, war prediger. Auf der schule sowol als auf der Universität
erwarb sich der junge Wisen durch seinen klaren verstand und gründlichen fleiss
grosse anerkennung. Nachdem er den doctorgrad erreicht hatte, wurde er 1862
docent für griechische spräche und litteratur. Den klassischen sprachen hatte er
nämlich bis dahin vorzugsweise seine Studien gewidmet, während er die nordischen
nur nebenbei betrieben hatte. Um so mehr ist es zu bewundem, dass er auch in die-
sen, nachdem Hagbergs stelle ihm übertragen worden, sehr bald gründlich zu hause war.
Als Professor hat Wisen mit geschick und pflichttreue gewirkt Bei der wähl
des hauptfaches Hess er sich von der in Schweden traditionellen verliebe für die
schöne und reiche altnorwegisch -isländische litteratur bestimmen, die besonders anf
diejenigen, die mit der griechisch-römischen klassicität sich vertraut gemacht haben,
eine grössere anziehungskraft auszuüben scheint. Seine Vorlesungen behandelten die
poetische Edda, die alte skaldendichtung und isländische sagas, vorzüglich die tslen-
dingasQgur. Als direkter des Seminars für nordische philologie in Lund — das er
selber begründet hatte — leitete er jedoch auch Übungen im alischwedischen, goti-
schen, angelsächsischen usw. In seinem^ Unterricht, wie überhaupt in allem was
er sich vornahm, betätigte Wisen bei dem entwerfen des planes reife bedachtsamkeit
and bei der ansführang Scharfsinn, klarheit und eleganz. Daher waren seine collegien
auch sehr beliebt, und viele haben durch sie die anregung zu ernsteren Studien
empfangen.
Wisens litterarische tätigkeit ist nicht so umfassend gewesen, wie man dies
bei seiner grossen begabung, dem lebhaften interesse für sein fach und seinem
unermüdlichen fleisse hätte erwarten sollen. Seine ungewöhnliche praktische tüchtig-
keit und formgowantheit waren nämlich die ursacho, dass seine zeit und seine kräfte
in sehr bedeutendem masse durch andere aufgaben in ansprach genommen wurden;
und zwar bediente man sich seiner besonders gern bei den geschäften, welche die
Verwaltung und leitung der Universität nötig machten. Rector der Universität war er
1876 — 77 ujid 1885—91. Von den sonstigen pflichten, die ihm auferlegt wurden,
sei nur noch erwähnt, dass er von 1879 — 85 bei den Studentenexamina (d. h. den
matoritätsprüfungen an den gymnasien) censor war und im jähre 1878 zum mitgUede
der schwedischen akademie emant wurde; besonders das leztgenante ehrenamt hat
ihm viele arbeit verursacht.
Trotz dieser hindernden umstände hat Wisen jedoch durch eine reihe tüchtiger
und nützlicher arbeiten seine Wissenschaft fördern können. Da am Schlüsse dieses
naohrufes ein volständiges Verzeichnis seiner Schriften gegeben wird, beschränke ich
mich hier darauf, nur diejenigen, die mir die bedeutendsten scheinen, besonders her-
vorzuheben.
Für die grammatische Untersuchung des altisländischen war es dringend not-
wendig, dass die umfangreichste der auf uns gekommenen älteren handschriften, die
grosse isländische Homiliubök (Cod. membr. Holm. 15, 4®) mit diplomatischer treue
veröffentlioht werde. Wisen unterzog sich dieser aufgäbe, die doppelt schwer war,
einmal wegen der beschaffenheit der handschrift selbst und dann deswegen, weil er
in Lund, wo die arbeit ausgeführt werden muste, weder gelegenheit hatte, vergleiche
364 CIDKRSCHIÖLD
mit anderen alten handschriften anzustellen, noch von fachmännem, die auf demsel-
ben gebiete tätig waren, rat einholen konte; das unternehmen war überdies in Schwe-
den das erste seiner art. Trotzdem entsprach Wisens ausgäbe der Homiliubok, die
1872 erschien, den ansprächen der damaligen zeit in voistem masse. Neuerdings
hat freilich ein jüngerer forscher, dr. L. Larsson, eine von Wisens buch abweichende
lesimg und den tun g mehrerer (doch meist minder wichtiger) punkte erweisen wollen;
aber Wisen verteidigte seine aufTassung, und es dürfte bis jezt noch nicht entschie-
den sein, wie weit der eine oder der andere recht hatte.
Die norwegisch -isländische kunstdichtung (die skaldenpoesie) kann als der
eigentliche mittelpunkt von Wisens philologischer schriftstsllerei bezeichnet werden.
Als fruchte langjähriger arbeit auf diesem gebiete erscheinen 1886 und 1889 die bei-
den bände seiner Carmina norroena, einer reichhaltigen auswahl von skaldischen
dichtungen, von den ältesten dürftigen resten des 8. Jahrhunderts bis hinab zu den
erzeugnissen der rimurpoesie. Die texte sind sprachlich und metrisch normalisieTt;
es folgen auf sie ein kritischer apparat, bemerkungen über die gedichte und ihre
Verfasser, eine ausführliche erörterung der verschiedenen motive und endlich ein vd-
ständiges glossar. Die (}armina norroena haben bereits bei denen, die sich mit der
skaldischen poesie beschäftigen, als ein sorgfältiges und zuverlässiges handbuch grosse
anerkennung gefunden; sie übertreffen durch diese eigenschaften ganz bedeutend das
nach einem grösseren massstab angelegte, aber leider alzu subjektive und wilkürliche
Corpus poeticum boreale von Yigfusson und Powell. — Fernere Zeugnisse für das
liebevolle Studium, das Wisen der altnordischen poosie widmete, sind die editio piin-
ceps von drei grösseren cyklen von „rimur^ („ Riddararimur '^) , eine Untersuchung
über das eigentümliche metrum „M&lahittr^ und eine sorie „ Emendationer och exe-
geser tili norröna dikter*', sowie seine Edda-syntax, die schon vor dem bekanten
buche von Nygaard, das dasselbe thema behandelt, erschien.
An dem grossen, noch nicht ganz vollendeten schwedischen conversationslexi-
kon „Nordisk familjebok*^ hat sich Wisen als fleissiger und gewanter mitarbeit«r
betätigt; alle artikel zur nordischen mythologie und verschiedene andere zur altnor-
dischen sprach- und litteraturgeschichte sind von seiner band.
Es geschah besonders wegen seiner Verdienste als Sprachforscher, dass die schwe-
dische akademie Wis6n zu ihrem mitgliede erwählte; aber auch als stillst und redner
hätte er diese auszeichnung verdient. Unter seinen Schriften, die in den abhandlun-
lungen der akademie erschienen, sind die biographischen arbeiten zum gedachtnisse
J. E. Eydqvists und G. J. Schlyters für philologen von besonderem Interesse.
Zum schluss muss noch erwähnt werden, dass Wisen es war, der die akade-
mie veranlasste, die arbeiten an dem grossen neuschwedischen wörterbuche, die vor
mehr als hundert jähren begonnen, aber ins stocken geraten waren, nach einem
neuen plane wider aufzunehmen (1883). Unter seinen auspicien wurde dann diese
Sache so eifrig gefördert, dass die eigentliche redactionsarbeit 1891 beginnen konte.
An dieser konte er sich leider nicht lange beteiligen, da am 15. febr. 1892 der tod
seinem wirken ein ziel sezte.
Wisens heimgang erweckte algemeine trauer, und nicht bloss die näheren
freunde, sondern alle diejenigen, die sein klares urteil und seine in yerschiedenen
ämtern vielfach erprobte kraft, seinen festen Charakter und seinen offenen, redlichen
sinn hatten schätzen lernen, empfanden seinen tod als einen schweren veilust Der
unterzeichnete, ein treuer und dankbarer freund und sohüler Wisens, hegt, W9a die-
sen nachruf angeht, nur die befürchtung, dass er in dem bestreben, den schein
■J^« -i» . •. , — 1^ . ~. ■ r-v-..»
THSODOB WI8^' 365
Übertriebenen lobes zu vermeiden, den Verdiensten des verstorbenen nicht genügend
gerecht geworden ist.
CHRONOLOGISCHES VERZEICHNIS DER VON TH. WISÄN VERÖFFENT-
LICHTEN SCHRIFTEN
(mit ausschluss der rein amtlichen).
De vi et usu particolae a»^ apud Thucydidem commentatio. Havniae 1862. (Akad.
abhandlung.)
Hjeltesängeme i Sämunds Edda. I. Land 1865.
Gm ordfogningen i den äldre Eddan. Acta Univ. Land. 1865 (aach als akad. abhand-
lang erschienen).
Recension von: Efterladte skrifter af R. Keyser. Nordisk tidskr. 1866.
Recension von: Norrcen fornkvaedi, udg. af Sophas Bagge, und von: Saemundai*
Edda, handudg. ved Sv. Grundtvig. Nordisk tidskr. 1868.
Urval af norroBnum fomkvsedum handa hinum bökmennta-idkendum tint saman ok
ütgefit Lund 1870. [Ein anonym erschienener voiiäufer der Carmina norroBna
zum gebrauch bei akad. Vorlesungen.]
Gm qvinnan i nordens fomtid. Nordisk tidskr. 1870. (Auch besonders erschienen.)
Altnordische wortdeutungen. Germania XVI (1871).
Homiliu-bok. Isländska homilier, utg. efter en handskrift fr&n tolffce ärhundradet.
Lund 1872.
Gden och Loke. Tvä bilder ur fomnordiska gudaläran. Stockh. 1873.
Artikel (besonders die nord. mythologie betreffend) in Nordisk fami^ebok, Stockh.
1875—92.
Inträdestal i Svenska akademien den 20 dec. 1878. (Minnesteckning öfver Johan
Erik Rydqvisi) Svenska akademiens handlingar frän 1796 UV (Stockh. 1879).
Riddara-rimur, efter handskriftema utgifha. Köpenhamn 1881. (Skrifter udgivne af
Samfond til udgivelse af gammel nordisk litteratur, nr. 4).
Tal vid Lunds universitets fest d. 1 okt 1881 (kronpiins Gustafs och prinsessan
Victorias fürmäliüng). Lund 1881.
Gm norrona medialformer pä -umk i första personen singularis. Arkiv f. nord.
filol. I (Christ. 1883).
Tal i Svenska akademiens högtidsdag den 20 dec. 1883. Svenska akademiens hand-
lingar frln 1796 LX (Stockh. 1884).
Carmina norroena. Ex reliquiis vetustioris norroenae poesis seleota, recognita, com-
mentarÜB et glossario instructa. Vol. I. Lundae MDCCCLXXXVI. Vol. 11. Lundae
MDCCCLXXXIX.
M&lah&ttr. Ett bidrag tili norröna metriken. Arkiv f. noid. filol. m (Christ 1886).
Auch als univ.-progr. von Lund.
Gm den filosofiska graden vid Lunds universitet Lund 1886. (Programm.)
Emendationor och exegeser tili norroena dikter. Lund 1886 — 91. (Ursprünglich in
universitäts- Programmen gedruckt)
Uttalande i rftttstafhingsfrägan, afgifvet tili Svenska akademien. Lund 1887. (Nur
in 25 expll. gedruckt)
Textkritiska anmärkningar tili den Stockholmska homiüeboken. Ark. f. nord. filol. IV.
(Christ 1888).
N&gra ord om den Stockholmska homilieboken. Ett genmäle. Lund 1888.
366 MÖLLER
Minnesteckning ofver Carl Johan Schlyter. Svenska akademiens handlingar fr&Q 1886
IV. (Stockh. 1890).
ReccDsion von: Der lj6[>ahättr, eine metrische Untersuchung von Andreas Heusler.
Arkiv f. nord. fiiol. VIU. (Lund 1892).
LÜND DC HAI 1892. QTT8TAF CEDER8GHIÖLD.
LITTEEATUE.
Fritz Beehtel, Die hauptprobleme der indogermanischen lautlehre seit
Schleicher. Oöttingen, Vandenhoeck & Buprechts vorlag. 1892. X, 414 8. 8.
9 m.
Der gedanke, die ^hauptprobleme der indogerm. lautlehre seit Schleicher*^ zum
gegenstände eines eignen buches zu machen, ist ein vorzüglicher zu nennen. Das
buch soll (Vorwort s. V) ^über die wichtigsten Umgestaltungen bericht erstatten, die
das von Schleicher entworfene System des gemeinindogermanischen lautbestandes seit
dem erscheinen des Coropendiums erfahren hat. Es soll zeigen, welche probleme
aufgeworfen, auf welchem wege und wie weit sie gelöst seien; und es soll da, wo
die lösung noch nicht gelungen ist, den versuch machen, sie der lösung auf eigene
Verantwortung hin näher zu führen*^. Ob und wie weit die lösung eines problems
gelungen, darüber besteht nun allerdings in einigen föllen Übereinstimmung, so in
betreff des problems, das die vermeintliche „erste Steigerung** bot; in andern aber
nicht So halt nicht der Verfasser und auch der referent nicht, aber ein grosser teil
der Sprachforscher das problem, das die längen i und ü bieten, für gelöst durch
Osthoff: Kluge hat die folgerungen der OsthofiiBchen lehre ja sogar in sämtlichen
auflagen seines Etymol. Wörterbuchs als sicherstehend dem grossen pubUkum vor-
geführt £s ist klar, dass, wo es sich um probleme gleich diesem handelt, ein buch
mit dem titel des vorliegenden je nach dem Standpunkte des Verfassers ein sehr ver-
schiedenes aussehn haben muss; und zwar in einem um so höheren grade, ein je
selbständigerer forscher der Verfasser ist Ein weniger selbständiger Verfasser könte
in solchen iällen rein orientierend darlegen, was tatsächlich zur zeit der abfassung
von einem teile der forscher angenommen wird, was von andern. Ein buch, das so
verführe, könte für denjenigen, der erst sich in die Sprachwissenschaft hineinzuver-
setzen bestrebt ist, erwünschter sein als das vorliegende, und es könte auch sein^
dass mancher anhänger einer vom Verfasser bekämpften ansieht lieber eine solche
behandlung gesehen hätte. Die meisten forscher werden indessen doch zweifellos,
wie der referent es tut, auch ohne überall dem Verfasser zustimmen zu können, ein
buch, wie das vorliegende es ist, vorziehen und dem Verfasser dafür danken, dass
er da, wo die lösung (nach seinem urteil) noch nicht gelungen ist, den versuch
machen will, die probleme „der lösung auf eigene Verantwortung hin näher zu
führen**.
Wir haben demgemäss in dem vorliegenden buche, wie für ein buch, dessen
Verfasser F. Bechtel ist, völlig in der Ordnung, genau gesagt eine darstellung der
behandlung der hauptprobleme der indogerm. lautlehre von Schleicher um 1860 bis
Bechtel 1890. Die darstellung .ist nicht in allen abschnitten völlig gleichmässig: in
einigen kapiteln wird mit grösserer kürze und mit weniger Zwischengliedern von
Schleicher zu Bechtel übergegangen, ohne dass die länge oder kürze überall zu der
ÜBBB BBCHTKL, HAUPTPBOBLIME DEB INDOOERM. LAUTLBHHB 367
zahl der wirklich bestehenden Zwischenglieder oder zu der Wichtigkeit des probiems
in genauem Verhältnis steht. Nicht alle probleme werden behandelt, was auch der
titel „die hau p't probleme^ nicht verspricht: wie der Verfasser im vorwort s. VI mit-
teilt, sind „ein kapitel über die tonlosen aspiraten, ein anderes über die Unterschei-
dung von ^ und j, tf und v'^ vorhanden gewesen, abdr „gefallen''. Die ansichten
des Verfassers scheinen noch während des druckes manche Wandlungen erfahren zu
habend
S. 2 der acht Seiten langen „Einleitung'' lesen wir: „Es sind zwei gesetze,
deren aufßndung für die ontwickelung massgebend geworden ist, die die sprach wis*
senschaft nach Schleicher genommen hat: die von Karl Yemer mitgeteilte ei-gänzung
des Grimmschen lautverschiebungsgesetzes, und das von mehreren gelehrten gleich-
zeitig gefundene palatalgesetz". „Die entdockung des palatalgesetzcs ", sagt der Ver-
fasser s. 6, „steht an titigweite hinter der Vernerschen entdeckung nicht zurück".
Dies kann, wenn man die unmittelbarsten wichtigen konsequenzen des einen wie des
andern gesetzes zählt, richtig genant werden. Aber um die bedeutung, wie einer
historischen tat überhaupt, so auch einer solchen auf dem gebiete der Wissenschaft,
richtig zu ermessen, muss man nicht allein vorwärts, auch rückwärts blicken. Yer-
fährt man demgemäss, so wird man finden (und keiner, der die zeit um 1875 als
forscher auf dem gebiete der indogeim. lautlehre miterlebt hat, wird darüber in zwei-
fei sein), dass vom ersten erscheinen des „Compendiums" bis heuto keine sprach-
wissenschaftliche arbeit an epochemachender bedeutung sich mit dem „Kopenhagen,
juli 1875^ datierten aufsatz im 2. heft von Kuhns zeitschr. 23 messen kann, und
dass mit dem gesetz, das so lauge eine idg. Sprachwissenschaft lebt Vemers namen
fortführen wird, eine neue periode der idg. Sprachwissenschaft begann, die noch
heute fortdauert, ohne durch eine neue abgelöst zu sein. Das von dem miteotdecker
Yemer so genante „ palatalgesetz " (s. Liter, centralbl. 1886, sp. 1710) steht auf den
schultern des „ Yemerschen gesetzes " '. Das palatalgesetz und das Yemersche gesetz
verhalten sich, wenn man entdeckungen einer einzelwissenschaft mit weltgeschicht-
lichen ereignissen vergleichen darf, zu einander etwa wie Baiboas findung des Gros-
sen oceans 1513 und Ck>lumbus erste reise 1492.
Der Verfasser zeigt s. 6 fgg. den Zusammenhang zwischen Schleichers „forde-
rung, die vorgeschichtlichen phasen der sprachentwickelung in die betrachtung zu
ziehen , und den entdeckungen seiner nachfolger" (s. 2). S. 7 : „Die vermittelung zwi-
schen Schleicher und Yerner bildet Scherers 1868 erschienenes buch Zur geschichte
der deutschen spräche".
Der erste (in folge der im andern vom Verfasser vorgenommenen Streichungen
bei weitem grossere) teil von Bechtcls buch (s. 10 — 290) hat den titel: „Aus der
lehre von den vokalen".
Der „Erste abschnitt" (s. 10—181) behandelt in vier kapiteln „Kürzen
und diphthonge mit kurzem ersten komponenten".
1) Ref. hat in seinem leben kein buch gesehen, in dem auch nur annähernd
so häufig kai*ton gelegt ist, wie in diesem.
2) Ob die „Zweiteilung des a", die „mindestens für das germanische eine
ursprüngliche war", „ihre motive in früheren spiuchzuständen hat oder bis in die
indogermanische periode hinaufreicht*", erklärt Yemer zu ende seines aufsatzes KZ. 23,
1% für „einer näheren Untersuchung wert", die er darauf selbst mit den andern ent-
decken! des palatolgesetzes angestelt hat.
-üOm
368 MÖLLKB
Das 1. kapitel (s. 10— 73) führt nns von Schleichers a mit seiner , ersten
Steigerung*^ ä durch Curtius' „Spaltung des a- lautes*^, MüllenhofEs lehre von der prio-
lität des e und o vor i und u^ Amelungs „zwei irgendwie verschiedenen a-laaten^
der grundsprache mit läugnung der „Spaltung*, Brugmanns a^, a,, a, und mög-
licherweise noch mehr a, CoUitz* und Joh. Schmidts kritik, zum palatalgesetz (s. 62),
mittels dessen bewiesen wird, was die Überschrift des kapitels ist: Die vokale a,
e, 0 gehören der Ursprache an*^. «Der von Bopp und Schleicher als keines
beweises bedürfende [I. bedürfend hingestelte] satz, dass der urspiiachliche vokalismus
nach dem arischen rekonstruiert werden müsse*^, macht s. 63 dem satze platz, ,dass
der vokalismus der Ursprache im wesentlichen mit dem eui'opäischen identisch sei*.
„Wer nach diesem neuen principe den vokalismus der Ursprache konstruiert*, lesen
wir ebenda, lässt es nicht mit Brugmann ,ununtersucht\ wie viel kurze ,a-laute^ die
Ursprache besessen habe: er behauptet vielmehr, dass die anzahl jener vokale drei
gewesen sei, nicht weniger, aber auch nicht mehr*^. (Trotz dieser mit bestimtheit
vorgetragenen werte lernen wir später im 3. kapitel s. 104 einen vierten an stelle des
einen Schleicherschen a erscheinenden kurzen vokal kennen, den der Verfasser 9
schreibt. Dieser soll wol als „Schwächung* ausserhalb der mhe stehn: ob er aber
auch, wenn wir die laute der von uns erschlossenen periode der grundsprache pho-
netisch betrachten könten, ausserhalb der reihe zu stehen hätte, kann der Verfasser
nicht wissen.) „Er nent sie indes*, so lesen wir s. 63 unten weiter, „weder a-laute,
noch färbungen des a, weil er nicht der Vorstellung voi*schub leisten will, er denke
sie aus einem einheitlichen laute hervorgegangen*. „Dies ist*, bemerkt eine note,
„nötig hervorzuheben, weil für F. Masing „zweifellos ist, dass a^ und a, sich aus
einem und demselben a-laut differenziert haben*. In diesem punkte stimme ich
Masing bei gegen den Verfasser: ein e und ein o können wol, wenn sie in irgend
einem sprachzweige in völlig verschiedenen werten vorkommen, von haus aus völb'g
unabhängig von einander sein: sie können aber unmöglich, wie im indogermanischen,
in einem ablautverbältnis zu einander stehn, ohne dass entweder der eine der beiden
laute aus dem andern, oder beide aus einem gemeinsamen dritten hervorgegangen
sind. — Innerhalb des § 5 „Collitz und Schmidt* wird s. 46 — 60 die auf Schleicher
zurückgehende lehre Brugmanns zurückgewiesen, nach welcher europ. o in offnei
Silbe durch indoiran. ä vertreten wird. In der sache steht der referent völlig auf der
Seite Colütz, Joh. Schmidts und des Verfassers (vgl. EZ. 24, 519 note 2, PBB. 7,
498). Was aber die formelle seite der kritik betnft, so kann ich nicht umhin zu finden,
dass Brugmann hier vom Verfasser weniger gerecht behandelt wird, als dieser einai
andern mit seinen ansichten ihm näher stehenden forscher behandeln würde. Dass
ein gelehrter eine im jähre 1876 aufgestelte ansieht der kritik gegenüber im jähre
1880 in engeren grenzen fester zu stellen sucht, durch einen zusatz, den er 1876
in derselben fassung noch nicht geben konte (nämlich durch ausnähme des o , das mit
ö ablautet, da Brugmann doch schon früher das bestehen andrer „a-laute* angedeu-
tet hatte), wovon hier viel wesens gemacht wird (s. 51 fgg.), darin vermag ich durch-
aus nicht etwas verwerfliches, nur etwas höchst natürliches su sehen.
Das 2. kapitel ^Die Steigerungen* (s. 73 — 97) führt von dem Schleicher-
schen System der drei vokalreilien zu der erkentnis, die heute gemeingut ist, dass die
vermeintliche „erste Steigerung* der i- und i«- reihe in Wirklichkeit die gnmdstufe,
die veimeintliohen „grundvokale* i und u in Wahrheit Schwächungen wai^n.
Das 3. kapitel behandelt die „vokalschwächung* (8.98—154). „Schwä-
chung* ist dem Verfasser (s. 104) der gesamtbegriff, „reduktion* und „ansstoasung*
ÜBER BXCHTEL, HAÜPTFROBLKICE DRR INDOGERM. LAUTLEHRE 369
nent er dessen Unterabteilungen (r= Holtzmanns „vokalschwächung '' und ^vokalaus-
stossung'', Schleichers Schwächung im engem sinne und ^ Schwund*^). Die doppelte
form der Schwächung rührt teils (s. 105) von der verschiedenen ^natur der laute,
die den zu schwächenden vokal umgeben*^, teils (s. 106) von der ^Verschiedenheit
der Stellung des wertes im satze und der hierdurch bedingten Verschiedenheit des
accentes*^. Mit der annähme dieses lezten erklärungsgrundes gibt der Verfasser
Osthoft i-echt, so wenig er sich auch ^die ausführung dieses gedankeus, bekant unter
dem namen ^nebentonige und tonlose tiefstufe ^ anzueignen vermag*^. In doppel Wör-
tern wie got. guma: lit zmä sieht Bechtel ^Zeugnisse für die abstufung des exspi-
ratoiischen accentes im vortone, die wir uns durch vergleichung mit dem mhd. ton-
losen und stummen e veranschaulichen dürfen^. ,,Nehmen wir an^, sagt der Verfas-
ser, dass der von Paul für das germanische aufgestelte satz: „es können nicht zwei
auf einander folgende Silben ganz gleiche tonhöhe oder gleiches tongewicht haben '^
für die uraprache galt, „so wii*d der vorton des zweisilbigen wertes da seinen silben-
wert zu erhalten im stände sein, wo er zwischen zwei haupttönen liegt**. „Wo aber
dem schwachen vokale des vortones schon ein anderer schwacher vokal vorhergieng,
hatte er keine kraft der Vernichtung zu widerstehn **. (Verglichen könte hier werden
nhd. ge-leit : be-g-leiten; ge-leise : ent-g-leisen; ge-nug, ge-nüge : be-, ver-g^nü-
geft.) Die accente der beiden Osthoffschen tiefstufen, wenn diese hier mit i'echt zur
erklärung herangezogen werden, können in dem vorliegenden falle nichts andi'es als
ein urspiünglicher „anudätta*^ und ein „anudättatara** gewesen sein.
Der Verfasser behandelt in diesem kapitel die Schwächung des „vor die ton-
silbe geratenen e"^ (s. 106). Er nent also, wie auch andre es getan haben und tun,
den vokal vor seiner Schwächung e, obwol er gar nichts darüber wissen kann, ob
der ungeschwächte vokal wirklich ein e gewesen ist: feststehend ist nur, dass es sich
um die Schwächung desjenigen vokals handelt, der in der ursprünglich hochtonigen
Silbe als e erscheint Wenn dieses e erst durch den hochton aus einem ursprüng-
lichen a hervorgegangen ist, so ist derselbe ursprüngliche vokal, tonlos, vor seiner
Schwächung schwerlich ein e gewesen, ob derselbe gleich durch die Schwächung in
der .Stellung vor verschlusslaut oder spirant zu einem vokal geworden ist, der in den
verschiedenen indogerm. dialekten mit dem hochtonigen e qualitativ zusammengefallen
ist und auf vorhergehende X;- laute gleich diesem wirkt. Der ungeschwächte tonlose
vokal könte sich zu diesem reducierien verhalten haben, wie das ahd. tonlose a in
xunga, fogcU zum mhd. reduciei*ten laut in »unge, vogel, der, wo dor vokal e
geschrieben wii-d, derselbe laut gewesen sein kann wie im nhd. (wenn nicht ein nasal
oder eine liquida selbstlautend geworden ist), nämlich der dem a näherstehende
mediopalatale (engl, „mixed**) vokal, verschieden von dem antepalatalen e. Den redu-
cierten vokal der grundsprache, der dem hochtonigen e gegenübersteht, schreibt der
Verfasser 9. Sein 9 entspricht J. Schmidts «. Bechtel behandelt
1) die Schwächung des „mit muten und Spiranten verbundenen'^
vokals (s. 108 — 114). Der schwache vokal erscheint gleich dem hochtonigen im
sanskr. als a, im griech. als «, im germ. als e'. (Manche der vermeintlichen 9 kön-
ten jedoch in Wirklichkeit unter dem hochton entstandene e gewesen sein, die durch
ausgleichung an die stelle der 9- oder Schwundstufe getreten sind.) — Das von
Thumeysen (KZ. 30, 351) für die grundsprache zu erweisen gesuchte selbstlautende x
wird vom Verfasser in einer note (s. 106 fg.) mit recht abgewiesen.
1) Andera Sievers, Beitr. 16, 236 fg.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXV. 24
m -«h»,r*i
370 MÖLLER
2) Sohwächung des „mit nasalis oder liquida yerbandonen'^ vokals^
(s. 114 — 143). Der vokal mit folgendem m, n, r, / vrird (s. 114)
I. vor folgendem vokal
a) (mit ausstossung des vokals) zu m, n, r, l; oder
b) (durch reduktion) zur „Verbindung eines schwachen vokales mit jenen konso-
sonanten**: Diese Verbindung wird in den jüngeren sprachen wie folgt ver-
treten (s. 115):
„idg. 9 4'*'* = SADskr. am, gr. afA^ got um.
idg. 9 4'*' = sanskr. ir, griech. o^, got aür^.
Der Verfasser bezeichnet also den reducierten vokal vor liquida oder nasal, dessen
Vertretung in den jüngeren sprachen eine ganz andere ist, mittels desselben Zeichens
9 wie den reducierten vokal vor verschlusslaut oder spirant, obwol er nicht behaup-
ten kann, dass der reducierte vokal in der grandsprache in jenem falle derselbe gewe-
sen ist, wie in diesem, auch nicht einmal, dass jener vokal nach geschehener reduk-
tion in dem gesamten gebiete der grundsprsche und vor liquiden einerseits, nasalen
anderseits, ein einheitlicher gewesen ist: aber der Verfasser will alles dieses anch
gewiss nicht — Indem Bechtel (wie Joh. Schmidt) reducierten vokal -^ m, n, r, l
vor vokal für die grandsprache annimt', stelt er sich in einen gegensatz gegen „die
anhänger der sonantentheorie*^ (s. 131), die den wurzelvokal beseitigt sein lassen und
der grandsprache die lautgrappen mm, fm, fr, ü zuschreiben. „Gegen denotige
ausätze eriiebt das germanische protest, wie Paul (PBB. 6, 109 fg.) gezeigt hat^, dem
Bechtel (s. 132) sich anschliesst, obwol Paul, ohne das von ihm selbst früher vor-
gebrachte zu wideilegen, seinen einwand hat fallen lassen (6, 409). In got baurans,
numans, slaäum, munum usf. „kann niemals der vokal vor nas.-liq. ganz geschwun-
den gewesen sein*^, es müste sonst y^akullum heissen gerade wie kuüum'^. Paul und
Bechtel bemerken nicht, dass so gut wie das germanische auch die übrigen europiischen
dialekte protestieren: nur das griechische a vor v, fi könte passen, es heisst aber ßaq^
usw., nicht ^ßQttQv^^ oder j,ßttQQi^s'^. Die „formulierung*^ (Bechtel s. 217) könte nun
allerdings so gegeben werden, dass alles passt*: die lautgruppen mm, nn, rr, ü
einerseits, schwacher vokal -}- m, n, r, l anderseits sind in Wirklichkeit in schwa-
cher Silbe nicht in dem masse von einander verschieden, wie es auf dem papier den
1) liquidae und nasale fasst der verteser unter dem euten von R Seelmann
(Ausspr. des lateio 1885, s. 242) eingeführten ausdraok „mittdlaute*^ zusammen: für
verschlusslaute und Spiranten entbehrt er dagegen eines zusammenünssenden ausdrncks,
da er die benennung „ geräuschlaute '^ nicht im Sieversschen sinne, sondern in der
bedeutung „nicht -vokale^ gebraucht Für (Sievers') geräuschlaute und jene „mittel-
laute*^ eine zusanmien&ssende bezeichnung zu haben, ist allerdings wünschenswert
2) Das gleiche tut P. Kretschmer, KZ. 31 , 394 (welcher den reducierten vokal
mit « bezeichnet).
3) Germ. Wörter und wortformen mit uil haben zu der zeit, als der vokal
sich einstelte, ganz gewiss noch kein ü gehabt: solte dies aber doch der &11 sein,
so kum behauptet werden, dass in unbetonter silbe lautgesetzHch ul mit kurzem l
entstanden, und später, als die silbe den ixm empfieng, das U durch systemzwang
widerhergestelt wäre. Das entsprechende gilt von den germ. wm, umm, urr. Die
1, m, n, f mit folgendem einfachen konsonanten, also auch U usw., wenn solcfae
Verbindungen vorkamen, waren nämlich kurze silben, darum konte, wenn 2 zu
germ. ul ward, aus II auch nur ul hervorgehn, da sonst die lautgrappe von vokal
zu vokal um <üe dauer des ersten silbenauslautenden / länger geworden wäre. Aus
demselben gründe haben die im sanskrit und griechischen aus ti, m einmal entstan-
denen *a", a^ den nasal, der die silbe lang gemacht hätte, verloren.
ÜBER BEGHTBL, HAÜPTPROBLEIOC DER INDOGERIC. LAUTLEHRE 371
anschein hat, sie liegen sich vielmehr in der präzis recht nahe, so dass sie häufig
mit einander wechseln. Bass aber die uns vorliegenden vokale griech. «, germ. u
usw. vor m, n, r, l notwendig aus sonantischen m, n, r, l erwachsen sind, kann
nicht bewiesen werden: bei unbefaugener betrachtung weisen dieselben auf einen
grandsprachlichen schwachen vokal zurück^, und mit den möglicherweise vorgekom-
menen phasen mm, nn, fr, II brauchen wir uns nicht zu befassen. In diesem punkte,
wo es sich um die grundsprachlichen Vorläufer der griech. a/i,, av, uq, aX, germ.
um, un, ur, tU vor vokal handelt, gebe ich also dem Verfasser recht
n. «Folgt aufm, n, r, l ein konsonanf, sowird die ursprüngliche lautgruppe
im falle der Schwächung ersezt (s. 114) „durch die Verbindung eines schwachen voka-
les mit jenen konsonanten**. Bechtels auffassung weicht auch hier „von derjenigen,
die von Brugmann inauguriert und heute fast algemein angenommen ist'', „darin ab,
dass diese mit selbstlautenden m, n, r, l operiert, deren stimton sie in den einzel-
sprachen zum vollen vokale sich entfalten lässt*^. „Dass bei auflösung der Ursprache
silbenbildende nasale und liquidae nicht bestanden haben**, meint der Verfasser s. 128
unten, gehe „aus den erscheinungen der einzelsprachen ** hervor. Es wird aber nur
das slavisch- litauische ins feld geführt Joh. Schmidt hat bewiesen (Zur gesoh. des
idg. vok. 2, 8 fgg.), dass die selbstlautenden r, l slavischer dialekte „an die stelle
urslavischer ^r, U, selten är, iU getreten sind*', denen (wie Jagi6 gezeigt hat) lit. ir,
il, ur, td entsprechen. Ebenso hat das gemein -slavisch -litauische statt selbstlauten-
der nasale die Verbindung i -{- nasal gehabt Durch das slavLsch- litauische i vor
dem r, l oder nasal ist vorhergehendes h, g im slav. in c, i, im lettischen in %^ f
gewandelt worden. „Der schwache vokal**, meint Bechtel s. 131, „ist also auf einem
gewissen Sprachgebiete in sehr früher zeit vorhanden gewesen. Die sonantentheorie
ist dazu gezwungen, ihn dort neu entstehen zu lassen. Sie ist es eben so für jede
einzelsprache [dem steht auch durchaus nichts im wege], und kann als unveränder-
ten fortsetzer eines ursprachlichen lautes einzig das indische r betrachten**. Bis zu
diesem punkte können und müssen alle anhänger der „sonantentheorie** Bechtel recht
geben. Ich glaube aber nicht, dass viele von ihnen sich genötigt sehen werden, auf
des Verfassers ausführungen hin die sonanten fallen zu lassen. In den Engl. Studien
3 (1879), s. 149 habe ich drei gründe angegeben, aus welchen es mir notwendig
schien mit Brugmann grundsprachliche selbstlautende liquiden und nasale anzimeh-
men. Bechtel bemerkt s. 133, dass von diesen „zwei geprüft werden müssen**'.
1) der nicht in dem gesamten gebiete der grundsprache ein und derselbe
gewesen zu sein braucht (doch ist der vokal, aus dem griech. a und germ. u her-
vorgegangen, gewiss vor allen vier konsonanten der gleiche gewesen, und zwar der-
selbe laut, der unten im 2. abschnitt s. 387 mit a bezeichnet werden wird).
2) Warum nicht auch der dritte, sagt er nicht Der dritte grund, bei mir der
erste, war die beobachtung, dass „im sansMt k, g vor selbstlautendem f und dem Ver-
treter von selbstlautendem nasal k, g bleiben, hpni- „wurm**, gcUc^ „gegangen** (aus
gtrUdr-Y nicht zu palatalen werden, vgl. Kluge, QF. 32, s. 19 fg. Hiergegen hat mir
F. de Saussure im august 1879 bemerkt (in einem briefe, aus dem ich mir seine erlaub-
nis erbeten hab^ das folgende mitzuteilen), dass dem indo- iranischen palatal oder nicht -
palatal nicht viel zu entnehmen sein werde. Es sei nicht zu beweisen, dass g grade
in der form gaid lautgesetzlich sei; der Ursprung des g der Wurzel gam (neben zend
gamaiti und der w. gcvm im Naighantuka) könne ebensowol in formen wie gagmüs,
gagS^ma, gäntum, d^gOt usw. gesucht werden. Vor f und der Vertretung von
(Saussures) f scheine sJlerdings k, g das regelreohte, zu sein. „Aber wir finden z. b.
schon im Yeda efiäti „knüpfen**, crttd, vi-cft, «o^-cf'^ und dabei nicht einmal ein
cart-'*'. Ein weiterer fall, ^r^, sei „gewiss keine junge form, da sie von ihrer
24*
372 MÖLLKR
Den ersten unter diesen beiden (bei mir dritten), von Sanssore^s langen f, n, in her-
geholten gnind lasse ich fallen. Denn angenommen, dass Bechtel mit seiner l&og-
nong der kurzen selbstlantenden f, I, n, m der grundsprache recht haben solte, so
könten selbstverständlich auch keine langen grundsprachlichen f usw. bestanden haben
und deren existenz könte auf keine weise bewiesen werden. — Der zweite grond
aber, dessen beweiskraft Bechtel s. 134 fg. bestreitet, scheint mir nach wie vor ent-
scheidend. Was ich vorbrachte, gründete sich auf Bezzenbergers abhandlung «Zur
lehre von den silbenbildenden konsonanten ** in seinen Beitr. 3, 133 — 37. Bechtel
hfilt sich ausschliesslich an die a. a. o. beigebrachten slavisch- litauischen wortformen
und sagt von den (griechischen und) germanischen kein wert. In einer note bei Bech-
tel s. 136 fg. bemerkt £. Seelmann: , Angenommen die Verbindung {ktnto- od&r gnUi-'^
würde zum ausdruck zu bringen gesucht, so würde der Vorgang physiologisch nur
so denkbar sein, dass die explosion des k oder g innerhalb des geschlossenen
mundes statf2Uide, denn die kleinste mundöfnung würde einem vokale räum geben
und dem m als sonanten den garaus machen . . . Aber akustisch würde der k-
oder ^-laut hier gar nicht zur geltung kommen, und mit der perception würde der
laut dem gefühle überhaupt und alsbald der spräche verloren gehen''. Hierzu ist nur
zu sagen: dies ist völlig richtig. Es hat eben darum auf den vei'schiedensten Sprach-
gebieten die entstandene mundöfoung einem vokale räum gegeben; formen aber, aus
der zeit bevor dieses geschah datierend, in denen der verschlusslaut vor dem sonan-
ten der spräche verloren gegangen ist, haben sich in verschiedenen Sprachgebieten
erhalten. Zu diesen gehört der von Bechtel abgewiesene zeuge aus dem slavisch-
litauischen, preuss. infuwis, slav. ji^y-itö „zunge'^ aus ^nzü- aus neu- aus dn^kü-.
Da das d vor in nicht abgefallen wäre, so kann dessen abfall zu keiner andern zeit
geschehen sein, als bevor der vokal i im gemein -slavisch- litauischen sich eingestelt
hatte. Formen wie diese müssen am gleichen orte xmter gleichen bedingungen in
allen fällen entstanden sein, in den meisten fällen jedoch ist der verschlusslaut ans
den starken kasus wider hergestelt worden: in dem werte „zunge'^ aber war die
einmal vorhanden gewesene form der starken kasus *ddns;hü, *ddn^ua* wol schon
Wurzel (cari-) halb getrent da steht und im gewöhnlichen gebrauche durch carita
ersezt ist*^. ,,£in hübsches beispiel ist ^gdrcUS '^ singen*', garitdr „sfinger*^ neben
grnü^ti „singen, preisen**, gürtd „gepriesen", gfr „stimme" usw.* — In diesen lezten
beispielen handelt es sich nicht um einfaches skr. f gegenüber hochtonigem dr, son-
dern um die dem hochtonigen skr. dri gegenüberstehende reduktion, (Saussures f,
Bechtels »ff s. u., woraus) skr. fr, ür, Bechtel wird sagen, dass in gir, gürtd-
sein 9 also im indischen durch einen hinteren (postpalatalen) vokal vertreten gewesen
ist, und dasselbe wird er für skr. r nach nicht -palatalen behaupten können, ohne
dass eine Widerlegung möglich ist: wie slavisches r aus gemeinslavischem tr, ür, so
wäre skr. f aus einer älteren form mit hinterem vokal {ar oder ur) hervorgegangen.
(Auslautend ist -ur statt -f erhalten, s. J. Wackemagel, KZ. 25, 287 fg.)
1) Seelmann sagt, dass solche Verbindungen (also ihn, gm vor dental) in kei-
nem ihm bekanten idiome vorkommen und er grund habe, „sie für phantasiebildun-
gen zu erklären". Man kann indessen heute gelegentlich formen wie smtö'm „Symp-
tom", tnt'itmm „tentamen" gesprochen hören, und ein km, gm vor dental würde unter
denselben bedingungen auch entstehn. Ebenso sind in der grundsprache selbstlau-
tende m, t^, wenn überhaupt, dann sicher auch in der verbindxmg nach k-lxat und
vor <-laut entstanden.
2) Wenn Joh. Schmidt, Pluralbildungen s. 75 note mich PBBtr. 7, 544 (nicht
514) fff. sagen Iftsst, „im gotischen (tuggö) sei urspr. -na za '^ geworden", so hat
er mich mis verstanden. Das gotische ö habe ich nicht anders als das altn. -a, ae.
afr. -a-, ahd. -ö- in Mmg(hw erklärt, während ich aUerdings ^ube, dass das
ÜBKR BBOHTIOi, HAUPTPROBLEMK DEB IND06BRM. LAUTLBHBE 373
frühe verloren gegaogea. Ein vorzügliches und völlig sicheres germanisches beispiel
des gleichen Schwundes des versohlusslautes ist germ. sefHm, goi sibun , sieben^
ans 8^m aus septm. Das t wäre vor einem wenn auch noch so kurzen vokale nie
und nimmer geschwunden: sowol vorgerm. pt wie germ. ft vor vokal war die gewöhn-
lichste konsonantengruppe. Dass altfries. tmga (Brokm.) neben gunga ^ gehen ^ auf
gemeingermanische oder vorgermanische zeit zurückgehe als ursprüngliches verbum
auf -mi (s. Kluge, QF. 32, 155 fgg.) germ. gd/ngö (älter ^hdngkmi)^ pl. ungme aus
*ngme (aus ^nghme)^ scheint mir möglich, lässt sich indessen zunächst nicht mit
Sicherheit behaupten. Es werden aber, wenn die aufmerksamkeit darauf hingelenkt
ist, gewiss noch andere derartige beispiele des Schwundes des versohlusslautes aufzu-
treiben sein. Ein beispiel des Schwundes eines k der Verbindung sk vor { ist bekant,
ahd. 8eal, prät aolda, solta^. Den Schwund eines dentals vor { zeigt litauisch ilgas,
lett. ilga „lang*^ aus den obliquen kasus eines delgho-a, dlgM-: das 2, vor dem das
d schwand, kann, gegen Bechtel, widerum nur alter, nicht jünger sein als das
gemein -slavisch- litauische ü: im slavischen ist das d aus den starken kasus wider
hergestelt; vielleicht einmal ebenso in vorgermanisoher zeit in goi tiUgtta. — Vor f
finden wir andre erscheinungen'i im slavisch- litauischen und germanischen den Über-
gang eines sf in str. Lett litt 8Hma „reh*^ = (k3ch. sloven. sma: im slavischen
ist das 8 aus den urspr. starken kasus widerhergestelt Altn. 8tormrj ae. as. storm
(aus 8ermd'8^ 8Tme'8o)^ hd. stürm (aus sermö, srmefös)^ wurzelverwant mit griech.
opfjiii, zu dem es von Kern, Taalk. bdr. 1, 38 gestelt ist, gehört als benennung des
windes und des windgottes genauer zu griech. ^EQfAe(ttg, *EQ/^fjg, vgl. sanskr. sardmä
botin des Indra, sardfu- m. „wind*^, f. name eines flusses. Das f, dem das t sein
dasein dankt, kann hier widerum nur älter sein als das germ. ur, lit slav. tr. Bech-
tels meinung, indem er von diesen formen schweigt, ist wol die, dass, da germ. ur
mit ru, griech. aQ mit qu wechselt, die von Bezzenberger gezeigte erscheinung vor
der lautfolge r -j- vokal eingetreten sei, und dann anstatt dieser die lautfolge vokal
+ r etwa um das er der hochtonform willen sich eingestelt habe. Aber für das lit
tTf das nie als ri erscheint, ist diese annähme ausgeschlossen (siehe Bezzenberger
a. a. 0.). Wir haben also Zeugnisse für das vorhandengewesensein der f, f, 9, 1^
aus dem slavisch -litauischen und dem germanischen, geltend für die vor -slavisch -
ursprüngliche -ü in ahd. xungün, an. tungu fortlebe, ebenso wie in dem ü der obli-
quen kasus der von Joh. Schmidt s. 74 hinzugefügten ahd. Itmga, foraha, an. fura
= qtiercus, ahd. barta, an. barda = slav. brady (von denen Joh. Schmidt jedoch,
wie von tuggö, annimt, dass sie ein v vor dem vokal der endun^ verloren nahen).
Ein alter ü- stamm ist auch „kirche'^, kirkü- (was der i«-umlaut m afr. B. tsiurke,
E. txiurke, H. 8x4urke notwendig macht), woraus entlehnt slav. e^ky,
1) Vgl. J. y. Fierlinger, KZ. 27, 191 fg. Eierlinger lässt das k vor konso-
nantischem / geschwunden sein, nämlich in der 3. plur. 8fdi4n, im opt und inf.:
da diese formen aber, ^vie er selbst erkent, gar nicht lautlich aus einer 3. plur.
*8lun, einem pl. opt *shme, inf. *8lan mit sl aus skl hervorgegangen sein können,
dürfen wir diese formen mit skl auch gar nicht zu gründe legen. Das fehlen des k
kann nicht ursprünglich zu hause sein in den formen mit ul vor vokal (u des pL
skulum, % des opt, a des inf.), nur in formen mit ul vor kons., also im prät soldc^
8oUa (wozu die tatsache passt, dass diese fonn ursprünglich am weitesten ohne das
k verbreitet ist, vgl. Braune, Ahd. gr. § 374), ausserdem im part auf urspr. -to-
und vor dem urspr. j des opt: k kann aber in diesen formen natürlich nicht vor
dem vokal u^ nur vor dem urspr. l geschwunden sein.
2) Im griechischen nach Bezzenberger 3, 136 den Übergang eines mf in mbf,
woraus bf in ßd^afiM ?= iidqvafiM^ wogegen s. Kretschmer KZ. 31, 393.
374 MÖLLEB
litauisohe und vorgermaiiische zeit, und wir haben im indischen das f voiliegend:
es wird nicht notwendig sein, auch noch Zeugnisse aus den übrigen dialekten zu
suchen, wo sie auch wol zu finden sein würden. — In einer weiteren polemik gegen
Brugmann (s. 136 — 40) glaubt Bechtel „den naohweis liefern zu können, dass Brug-
mann durch seinen Standpunkt zur Verteidigung einer völlig haltlosen hypotheso, der
existenz betonter nasaler sonanten, sich gezwungen sieht^: dies werde zugleidi eine
kritik jenes Standpunktes sein. Die annähme betonter selbstlautender h, m scheint
Bechtel a priori als etwas absurdes zu betrachten, ohne grund. Dass so gut wie die
ursprünglich stets unbetonten i, u, a auch die geschwächten silben, welche hoch-
betonten em, en, er, d gegenüberstehen, durch accentverschiebung nachträglich den
ton erlangen können, kann Bechtel selbstverständlich nicht läugnen; aber die annähme
eines betonten reducierten vokals ^, zu der er sich genötigt sieht, scheint mir mis-
licher als jene annähme. Dass ein unbetonter reducierter vokal in den verschiede-
nen jüngeren sprachen zu allem möglichen werden kann, slav. lit t, griech. a,
germ. «, kann angehn: durch den hochton aber, solte man denken, müste derselbe
zu einem vokal mit einem nach einer bestimten richtung hin mehr ausgeprägten
Charakter geworden sein, der nicht dieselbe bunte Vertretung nach den verschieden-
sten richtungen hin in den jüngeren sprachen erführe. Brugmanns annähme, dass
betonte nasaUs sonans im sanskrit und griech. durch an (cni) vertreten sei, finde ich
mit Bechtel unrichtig: dieser schliesst richtig, dass skr. saptd, griech. inrä , durch
ihre Übereinstimmung beweisen, dass die nachkommen der betonten „nasalis sonans'^
von denen der unbetonten sich nicht abheben*^. Aber skr. saptd, gr. knra bewei-
sen anderseits, gegen Bechtel, dass septm', dieselbe form die oben durch das germa-
nische erwiesen ward, nicht 8epi9m zu gründe liegt Denn nach betontem vokal 9
wäre der auslautende nasal im griechischen (als v) und im sanskrit erhalten geblie-
ben , so gut wie in ivY6t^ skr. jugdm,
3) „Schwächung der Verbindungen ei, eu^ (s. 143 fgg.). Unrichtig meint
der Verfasser s. 145: „in den ursprachlichen formen ele%ö, sreuö fiel die silbengienze
nicht vor, sondern mitten durch ^, u"^', man habe sich jene form „gesprochen zu
denken wie die lateinischen peiitis, eiius*^. Wäre dies richtig, dann würden urspr.
i und u oonsonans zwischen sonanten (ausser in wurzelhaftem -<fa- nach dem Ver-
fasser s. 146) stets lange silbe schaffen: sie wären nicht einfachem r, l, n, m, son-
dern einem silbenauslaut -|- silbenanlaut rr, ü, tun, mm oder ursprünglichem r, l, n,
m + kons, parallel. Lat peiius mit (durch konsonantische länge bei kurzem vokal)
langer erster silbe ist "> ital. peggio; das gemeingermanische hat eben soldie %%
(>- nord. ggj, goi ddi, westgerm. ij) und entsprechende y^ neben einfachen %, %
gehabt, die der Verfasser selbst in den Nachr. d. ges. d. wiss. z. Gott 1885 s. 235
fgg. behandelt hat, aber dass jene j(ii W &^ der urspraohe ererbt, die einfachen
%i U dagegen durch ein germanisches lautgesetz aus jenen gekürzt seien, wird der
Verfasser schwerlich beweissen können.
Bechtel acceptiert (s. 147) mit Osthoff „Eögels hypothese, dass der Übergang
von ei und eu in i und u durch die mittelstufe f und ü erfolgt*^ sei. Aber ei und
eu gelten nur xmter dem ursprünglichen hochton: wer sagt dem Verfasser, dass die
unbetonten noch ungeschwäohten Vorläufer der • und u eben solche ei und eu und
nicht vielmehr ai und au gewesen sind?^ In den Engl. Studien 3 (1879), 151
1) Selten etwa die urspriln^chen a, ai, au in unbetonter silbe zunächst e,
ei, eu (mit einem von dem hochtonigen ^ = o qualitativ. verschiedenen e-laat), diese
ÜBBB JBBCHTBL, HAUrTPBOBLKME BKB INDOOIBM. LAUTLEHRE 375
bemerkte ich, dass die schwache stufe vor konsonanten wol nicht durch ^ aasfall des
a^, sondern doroh kürzung nach früher geschehener kontraktion entstanden sei: die
ursprünglichen ai und au wären in unbetonter silbe zonfichst zn S nnd ö kontra-
hiert (wie z. b. im ahd., faris aas -ats, fridoo aus -aux)^ diese dann später gekürzt
worden^. Osthoffs gedanken, dass die f, ü als längen erhalten bleiben, „wenn der
sie enthaltenden silbe der nebenton gewahrt blieb**, weist Bechtel s. 148 ab. An des-
sen stelle sezt er die hypothese: „f und ü yerharren als solche, fals sie durch einen
sekundären process den hochton erhalten **. Die möglichkeit solcher entstehung langer
f, ü vermag ich selbstverständlich nicht zu läugnen': als irgendwie wahrscheinlich
zu acceptieren vermag ich dieselbe indessen nicht Die Bechtelsche aocentverschie-
bung wäre eine ältere gewesen als diejenige, mit der wir sonst rechnen, durchweiche
i, üy d (äyvi) und die betonten f, 2, n, m (oder des Verfassers 9) ihren accent erhal-
ten haben. Neben dieser bekanten eine andre noch frühere accentverschiebung anzu-
nehmen (durch welche neben f , A ein a entstanden oder als von dem ursprünglichen
hochtonigen in keiner weise zu unterscheidender lauger vokal vor der Schwächung
bewahrt worden wäre), sehe ich keinen genügenden grund. Die f und ü haben kei-
neswegs meistens den hochton, stehn vielmehr „meist in unbetonten silben^ (Joh.
Schmidt, A. f. d. a. 6, 119; Osthoff, Morph, unters. 4, 280), womit gemeint ist „in
nicht hochtonigen** (näheres s. u. s. 378).
Das 4. kapitel „Dehnung** (s. 155 — 181) behandelt die innerhalb der
„6- reihe** statfindende „aufsteigende bewegung** der vokale. Der ver&sser zeigt
zunächst (s. 156 — 176), „dass wurzelhaftes e sowol in seiner ursprünglichen gestalt
wie in der ablautform o dehnung erfahren könne**, um darauf (s. 176 — 181) „über
die versuche zu berichten, die der frage nach dem treibenden faktor der aufsteigen-
den bewegung näher getreten sind**.
Hinsichtlich der erklärung der dehnungen ar und 9, heisst es s. 177, sind wir
leider „über die negation bisher nicht hinausgekommen. Denn die beiden versuche,
die seit Benfey gemacht sind um die entstehung sekundärer längen aufzuhellen, —
der Verfasser meint den des referenten (PBBtr. 7, 492 fgg.) und den von Fick (GGA.
1881 , 1452 fg.) — „ führen nicht zum ziele **.
Gegen meine erklärung des ö als durch den tiefton oder svarita bewirkte deh-
nung eines o in offner silbe bringt Bechtel zwei einwände vor: ein dritter nämlich
von ihm geäusserter einwand „würde nicht viele Schwierigkeiten machen**, wie der
Verfasser selbst (s. 178) richtig bemerkt. „Eine theorie**, sagt Bechtel zunächst
(178 fg.), „die nicht im stände ist eine einheitliche erklärung der beiden parallel lau-
fenden längen zu liefern, befriedigt von vornherein nicht. Möller vermag mit der
seinigen die entstehung des ö begreiflich zu machen, aber nicht die des ?; daher
kann er ? . . . nur als sekundäre entwickelung gelten lassen **. Ein andrer „ princi-
pieller einwand ** (s. 179 fg.) zielt gegen Fick und mich zugleich. Es „werden hier
einem und demselben accente Wirkungen zugeschrieben , die Wirkungen zweier wesent-
lich verschiedener accente sind. Hängt wirklich das erscheinen der vokale 0 und
lezteren dann sekundär f, ü geworden sein? vgl. lat fdUo fe-feUi; eaedo ee-eifdiy
in-cftdo aus ^eeidt, -ceidö; claudo ex-clüdo aus *cleudö,
1) Aus ai, au hervorgegangene monophthonge pflegen zunächst geschlossene
„low vowels** ((i, a) zu sein, aann aber sehr häufig zu geschlossenen ,,mid vowels**
i, d zn zu werden, deren kürzungen zji i, ü werden können.
2) Auch aus urspr. ad, au in tonloser silbe hervorgegangene geschlossene i, o
könten sehr wol durch sekundären hochton f, ü geworden sein.
376 MÖLLER
[nach Fick] a mit deren Stellung im nachtone zusammen, so moss in dem acoente,
der die vokalfarbe bestimt hat, das musikalische moment überwogen haben. Dagegen
haben vokalreduktion, vokalausstossung . . . einen wesentlich exspiratoiischen aocent
zur Voraussetzung'^. „Die Vermischung beider arten von Wirkungen ist der fehler,
den Möllers theorie mit der theorie Ficks teilt *^. Dieser einwand ist insofern begrim-
det, als dinge, die zwei verschiedenen auf einander gefolgten perioden angehört haben
müssen, einfach als geschehen hingestelt, aber nicht in zeitlicher Ordnung auseinan-
der gehalten worden sind. Werden die Wirkungen zweier verschiedener acceute zwei
verschiedenen perioden zugewiesen, dann wird dieser einwand gegenstandslos.
Ebenso ist die dehnung durch den svarita zeitlich zu sondern von den dingen,
mit denen sie gemeinsam als geschehen hingestelt worden ist Die sache könte also
(wie ich sie mir seit langem zurechtgelegt habe), in möglichster kürze dargestelt,
etwa gewesen sein wie folgt
In einer ältesten periode, in welcher neben dem musikalischen aocent ein
exspiratorischer aocent vielleicht wonig oder gar nicht bemerkbar war, hatte die
grundsprache drei verschiedene musikalische acoente, den hochton oder akut (udätta),
tiefton oder gravis (svarita), unton (anudätta, neben welchem vielleicht noch einen
anudättatara). Der hochton gab dem ursprünglichen d die hohe farbung, aus wel-
cher später 6, der tiefton dem ä die tiefe färbung, aus welcher später o hervoigieng.
Ob das a der untonsilbe zunächst a blieb, oder irgend welche qualitative modifika-
tion erfuhr (vgl. oben s. 369. 374), kann unentschieden bleiben. Es gab ein- und
mehrsilbige hochtonwörter wie md oder a/ntä „mich*^ (später mi); es gab mehrsilbige
Wörter mit hochton imd folgendem tiefton wie gen. td-sä oder idsajä (>* tesd oder
tSsfd)^ mehrsilbige Wörter mit hochton und folgendem unton (vor hoohton oder üef-
ton des folgenden wertes); es gab ein- und mehrsilbige tieftonwörter wie aä {> so,
griech. 6), tä-da ("> tdd, gr. t6), ein- und mehrsilbige untonwörter oder pro- und
enklitika, wie nava (>- nu) „nun*^. Wol die meisten Wörter und wortformen der
spräche konten je nach dem vei-schiedenen ihnen beigelegten gewicht oder der ver-
schiedenen bedeutung höchst verschiodenen accent haben: einsilbige Wörter drei
verschiedene acoente (oder mit dem anudättatara vier), mehrsilbige Wörter noch mehr
gestalten. Der nominativ und genitiv, ursprünglich identisch, waren nur durch die
verschiedene Stellung des accents unterschieden, nom. sdvä-sa (> sivö-s „suus^,
k6i)^ pädorsa ^fuss*^, gen. sava-aä, padä-8a^. Der vokativ konte einerseits hochton-
wort sein, als rufkasus, entweder mit zwei hochtönen, wie ddivd {däjavd?) {^düvt^
skr. deva, iit ds'vh und deve\ oder mit dem tiefton an zweiter stelle (s. u.), wie
ddivä (vgl. gelegentliches nhd. keü'nir! oder kelVnkr! wäeht'h-!)^ anderseits wahr-
scheinlich, als enklitischer vokativ, untonwort' (wie air in ne. yea sir, no sir):
dctiva,
Dass die musikalische betonung zwischen der eben kurz gekenzeichneten periode
der grundspraohe einerseits und dem uns vorliegenden sanskrit imd griechischen
anderseits jemals zeitweilig aufgegeben gewesen sei, gUube ich nicht Aber in einer
zweiten periode hat sich neben dem gogensatz der musikalischen höhe und tiefe ein
1) (PBBtr. 7, 522, Tidskr. f. filol. n. r. 10, 306). Wie der gen. des sing, auf
'0-8, '8 zum nom. sing, des maso. und fem., ebenso verhielt sich urspr. der gen. des
plur. auf -o-m zum nom. des neutr. auf -o-fi».
2) Vgl. Bezzenberger in seinen Beitr. 15, 298.
3) In den jüngeren sprachen hochtonwort mit dem hochton an erster stelle
und folgendem unton (vgl. Eretschmer, KZ, 31 , 359).
ÜBEH BICUTEL, UAUFTPBOBLBBUC DER INDOQKRH. LAUTLEHRE 377
gegensatz des grösseren oder geringeren nachdncks an seinen Wirkungen bemerkbar
gemacht: bestanden haben kann er sehr wol schon in der vorigen periode. Musika-
lisches und exspiratorisches mehr und minder scheinen (wie nicht notwendig aber
doch meistens der fall) in der grundsprache auf denselben silben zusammengetroffen
zu sein'. Mit dem musikalischen hochton war ein exspiratorischer hauptdruck oder
, hauptton*', mit dem musikalischen tiefton ein exspii'atorischer ,, nebenton *^, mit der
musikalischen eine exspiratorische „tonlosigkeit'' verbunden. In dieser periode ist
unbetontes urspr. a zunächst im auslaut und gleichzeitig vielleicht noch in andern
Stellungen geschwunden. Dann sind tonlose urspr. ai und au monophtongiert wor-
den. Später hat die tonlosigkeit Verkürzung langer vokale, vokalreduktion und vokal-
ausstossung (soweit die lezte nicht schon geschehen war) hervorgerufen. Zu ende
dieser periode haben die Wörter der giTmdsprache im algemeinen die gestalt gehabt,
die wir heutzutage als die grundsprachliche anzusetzen pflegen, jedoch ohne die jtln-
gere accentverschiebung und die ausgleichung zwischen den starken und schwachen
kasus usw., und ohne die später eingetretene dehnung. Wörter wie eevo-8, genos,
die sich, wenn ich nicht irre, die meisten mit tonloser zweiter silbe gesprochen den-
ken, sind vielmehr mit tiefton und nebenton auf dem o gesprochen worden, Sevds,
gends.
Nachdem die e und o qualitativ völlig von einander verschiedene vokale gewor-
den waren und diese, sowie die andern in der vorigen periode entstandenen silben-
träger i, u usw. so lange bestanden hatten, dass ihre knüpfung an je einen besondem
accent nicht mehr eine innere notwendigkeit und fürs Sprachgefühl nicht mehr vor-
handen war, konten accentverschiebungen eintreten, indem wortformen nach der
analogie andrer wortformen mit accenten versehen werden konten, die ihnen nach
der natur ihrer silbenträger von haus aus nicht zukommen konten. Ein o und die
ursprünglich nur untonigen i, u, f, n, m, a konten den hoch ton erhalten, ein e
und jene i, u {a usw.) konten den tiefton bekommen, ein e und o konten tonlos
werden {septtn, nicht 89ptfn, usw.).
In dieser periode nun, nach diesen accentverschiebungen, ist die dehnung von
vokalen in offner silbe durch den gravis oder nebenton eingetreten. Diese dehnung
ist genau derselbe Vorgang, wie die aus dem nhd. (und andern modernen sprachen)
bekante dehnung von vokalen in offner silbe durch den gravis, den selbständigen gra-
vis in näme^f nebentonigen in brösäme usw.
Bechtels satz (s. 177), „dass der accent die länge, die er trift, konserviert,
aber niemals schafft'', den der Verfasser natürlich nur als für das gemeinindogerm.,
und nach dem worüaut des bei ihm vorhergehenden möglicherweise auch nur als für
den indogerm. „hauptton'' geltend verstanden haben wird, kann, wie er nicht gemein-
gültig ist, auch für den indogerm. ^nebenton" oder „tieften" ungültig sein.
In den Beitr. 7, 498 gab ich die dehnungsregel in der fassung, dass o durch
den tiefton vor doppeltem unton in offner silbe gedehnt werde, also tod aus täda,
aber pf^dtn aus pädama. Wenn aber die ausstossung des untonigen vokals bereits vollen-
det war, dann ist die regel dahin zu ändern, dass die dehnung in offner silbe ein-
getreten ist, daher o in tod, Sevds, neutr. g&nds, aber ö im acc. sing., nom. plur.
des masc. und fem. pd d^m^ nepotm, -torm, -onm, jiirji. pddes usw. Eine konsequenz
dieser fassung der regel ist die annähme, dass die dehnung in dem mit -s nach vor-
hergehendem kons, versehenen nom. sing, des masc. fem. nicht eingetreten sein kann:
1) Andrer ansieht ist Bartholomae, Bezz. beitr. 16, 274.
378 MÖLLER
die gnmdspiachliche foim nach eingetretener dehnung wäre also gewesen pod-s, acc.
pö^dm, pl. pddes (wie nhd. lautgesetzlioh köf, höfes, höfe)^ ebenso in den andern
von Beohtel s. 171 fg. (unter b) angeführten warzelnomina: durch Übertragung aber
konte später, noch grundsprapchlich , das ö auch in den nom. treten (wie in nhd. höf,
kofesy. Die dehnung tritt auch im auslaut ein: 8f$ muste es heissen, wo der artikel
den tiefton gewahrt hatte (ved. aä^ ^metrisch yerlangerf^), so (yed. «a, gr. <(), wo
das in dieser form ursprünglich nur tieftonige wort tonlos geworden war. Ebenso ent-
standen zahlreiche andre doppelformen: gen. -^tjd (ved. -ctaja) neben -09b, pi^- ^
(germ. tö) neben do (slav. do, ahd. %a)^ pr^ (ved. prdf avest frä, lai pro) neben
pro (gr. nq6y skr. pra, avesi got. fra) usw. Vgl. Whitney, Ind. gr. § 248; Osthoff^
Morph, üni 4, 226).
Der von der dehnung betroffene vokal war häufiger als irgend ein andrer ein
Of einfach darum, weil allein diesem vokal nach alter regel der tiefton zukam. Hüle
der dehnung eines 0 durch den tiefton habe ich Beitr. 7, 498 fgg. massenhaft beige-
bracht*. Der ursprüngliche vokativausgang -d ward jezt durch dehnung -^, dei^
(s. Bezzenberger, Beitr. 15, 296 fgg.), während die vokativausgänge —H, -o» bleiben
(skr. dgnSy 8Ünö, lii nakte, Hlnau, gr. XrjTot, vgl. Eretschmer, KZ. 31, 356 fgg.).
Begelrecht ist die dehnung in der 3. person sing, des perfekts (Bechtel s. 165), gr.
yfyiov€, unerklärt bleibt jedoch die kürze dos o in der 1. sing., skr. tiUdpa usw.
(und im europ. in der 3. sing.): das o muss wol in diesem falle nicht tieftonig geblie-
ben, sondern vielmehr hochtonig geworden sein. Regelrecht ist die dehnung in der
1. dual, bherdvefsj, 1. plur. hhiri^mefsi) (daneben in Europa gr. ip4^ofikg usw. mit
tonlos gewordenem 0?). Die kausativen haben in der ersten silbe den tiefton gehabt
{(dy ou), so schwer derselbe hier auch zu erklären ist, daher (Bechtel s. 169) skr.
päiöjcUi aus pi^t^i usw. (neben pat^faii aus formen mit tonloser erster silbe).
Zu der zeit, als diese dehnung eintrat, haben aber auch andre vokale den tief-
ton tragen können. Zunächst nicht wenige e. Neben hochtonigem mS ^mich*^ hätte
die tieftonige form nach früherer regel *fnd lauten müssen; neugeschaffen war aber
statt dessen ein *fiü, woraus jezt mit dehnung m^ (vgl. Osthoff, Zur gesch. des per-
fekts s. 126). Ebenso vS" „oder*^ (skr. vä) neben hochtonigem vS und untonigem tt
(gr. ij^ßi, lat. ne-ve, ne-u, Osthoff ebd. 128, Eretschmer, KZ. 31, 365); q^ neben
urspr. hochtonigem, dann untonigem qe „und*^ (Osth. 128); augment ^ (gr. 17-) neben i
(ebd. 129). In einer Zusammensetzung ^septnC-d^emto-fn, mit der dehnung aeptm'-
dSemto-m (got. sibun-tskund, das h nach tathun)*^ war der tiefton oder svarita auf
die erste silbe des zweiten bestandteils gefallen: in einer früheren periode hätte der
tiefton den vokal zu 0 gefärbt (*dö*efftt-), was jezt nicht mehr möglich war. 80 im
zweiten bestandteile von kompositen mehrfach, wie in skr. ^atd-gärtida' a4j- ,hun-
dert herbste zählend, gebend*^, n. „alter von hundert jähren^.
1) Aus einer flexion pdd-s, pl^d-m konten später doppelformen wie rovos und
skr. tä'na-, dieses wie pä'da-, hervorgehn (vgl. PBBtr. 7, 509).
2) Zahlreiche daselbst unrichtig mit ö angesezte Wörter haben nach der neuen
fassung der regel vielmehr o gehabt: ndkt- „ nacht '^ 500, pdes got. faJis 510, pdtra
„herrin*' 511, ddc-mn ^öyf^a 516 usw.
3) Anders über sibuntshund usw. Brugmann, Morph, unters. 5, 12 fgg. — YgL
Joh. Schmidt, Die Urheimat der Indop;ermanen und das europäische zahlsystem (Ab-
handl. der Berliner akad. 1890). Einige beispiele der dehnung oder „vrddhi*^ finden
sich 8. 26 dieser schiift und bei P. Eretschmer EZ. 31, 456 verzeichnet.
ÜBIB BIOHXBL, HA13FIPB0BLBIIE DIR INDO0SBM. LAUTLEHRS 379
Der tiefton konte auch auf die von haus aus nur untonigen i, u fallen. n(t
(vgl. Osthoff, Mü. 4, 273) ist neugeschaffene tieftonform nehen dem untonigen nu
^nun*^, nicht, wie Bechtel s. 150 annimt, die durch den hochton gerettete mittelstufe
zwischen der ältesten erschliessbaren betonten form *neu (vielmehr nivd <: ndvä)^
und der jüngsten nu. Ebenso H* neben tu „du^ (Osthoff, MU. 4, 268 fgg.), der
enlditischen form des urspr. to-va; sii- neben su «gut'' (ebd. 251); f*- neben i- „er^
(ebd. 229 fgg.), der enlditischen form des urspr. orja (hochtonig ^'d-m, skr. ajäm
,er*, lat acc. «w»); nt- neben m- „nieder* (ebd. 223); ebenso wird piri- mit ton-
losem i zu pStt-, wenn der tiefton auf die zweite silbe fiel (ved- pärf- in pärf-vria-
usw., ebd. 245) usw. Hierher gehören alle von Osthoff (MU. 4) behandelten gemein-
indogermanischen' f undt2, die nicht Saussures (aus seinen i^, uA hervorgegangene)
fy ü sind'; zunächst nur soweit sie in ofber silbe des indogeimanischen ihre stelle
gehabt haben, sodann durch formübertragung auch in weiterer ausdehnung. Der
„nebenton*' hat aber nicht die l, ü konserviert, sondern die länge ist sekundär,
durch den nebenton geschaffen, genau wie bei den S, ö, die bei Osthoff vol-
ständig von den f, ü getrent sind. „Nebentonige tie&tufe'^ ist (da Osthoffs „ tief-
stufe* nach Mü. 4, 281 die schwächste stufe bei exspiratorischer betonung bezeic
hnet'*) eine contracUotio in adjecto: das richtige wäre „nebentonig gewordene frühere
tiefstufe*.
Nach der analogie zahlreicher einsilbiger tieftonwörter (Beitr. 7, 499) von der
art wie bhdr-s „fortträger, dieb* zu bkerd, deren acc. *bhdrm, pl. *hhdres jezt durch
die dehnung bhorm, bhöWes wurden, waren andre einsilbige wurzelnomina mit dem
tiefton gebildet worden, die nicht mehr den vokal o bekamen. So verschiedene mit
dem vokal 6, der diesen tiefton Wörtern von haus aus durchaus nicht zukommen
konte: von dem in lat. rego vorliegenden wurzelnomen gebildet *ri^-8, acc. jezt mit
dehnung repn (lair^em), pl. r^^ {sikx.rcfgcu, nom. sg. rö^, Bechtel 171. Ebenso
von legk' „liegen* acc. Wghm (lat legem) ^ Bechtel 173. Neben dem hochtonworte
gkvSrd-s (lat ferus) das tieftonwort aoc. gkvtrrn, yighvgres {S-fj^a, ^iiQ€g), — Ein-
silbige wurzelnomina von t- und i«- wurzeln hatten von haus aus in den starken
kasus die diphthonge di und du, wie vöie^s „haus*, aoc. vdiem (in gr. o7xa-<f£), gen.
vieds: war in solchen Wörtern das i, u aus den schwachen kasus in die starken
gedrungen, dann ward es jezt in offner silbe gedehnt, vic-s, acc. t^cm (woraus avesi
ffl8' neben skr. vi^). So konten zu dieser zeit auch tieftonwörter mit iy u neu
gebildet werden, die den diphthong nie gehabt haben, so vielleicht das wort „maus*,
1) Um zum werte nevd- „neu* zu gelangen, müste Bechtel also, ebenso wie
Osthoff, MU. 4, 274 ein suffix -o oder -e antreten lassen. Ich dachte, dass Bechtel,
der „auf den schultern Ascolis imd Ficks steht*, „über ein stambildendes suffix* -o
nicht „verfügt* (s. 230).
2) Also nicht die durch einzelsprachliche (z. b. iranische) lautgesetze zu stände
gekommenen längen, auch nicht italische, germanische, slavische alte ei, die eine
verliebe für lange f zu solchen gestempelt hat, noch gotische als möglichkeiten ange-
sezte „ü* , die in Wirklichkeit u sind usw. Auch nach der analogie bestehender f ; i,
ü:u an die stelle ursprünglicher et (;«), eu (:u) getretene jüngere %, ü, wie wahr-
scheinlich das ii in skr. guhati, sind auszunehmen.
3) Genauer alle ausser den von £j:etschmer, EZ. 31, 380—87 behandelten %, ü,
4) Da OsthofEB „tiefstufe* und mein „tiefton* ausser dem ersten bestandteil
des namens nichts mit einander gemein haben, so ist nicht einzusehn, wie das, was
Osthoff von seiner „tiefetufe* sagt, der entstehimg der „o -stufe* durch meinen
„tiefton* den boden soll entziehen können (Morph, imters. 4, xv).
380 IIÖLLKB
gen. muads, aco. mü*9in, pl. tintses (u in mus-ko-, s. Osthoff, Mü. 4, 217 %.)'. Ygl.
Bechtel s. 174, note. Die nominative des sing, haben den langen vokal schliesslioh
von den andern starken kasus angenommen, lai rBx, l8x, nUis, gr. Sijq usw.: der-
selbe Vorgang, wie wenn im nhd. die in offner silbe, tvijfes, entstandene länge auch
dem einsilbigen werte, tcSg, zuerteilt wird.
Ebenso hatten die tieftonwörter auf -i, -u (die in ihrer flexion kein -ei-, -etc-
hatten, gen. -id«, -uo«), als die dehnung durch den tiefton in offiier silbe eintrat,
neben dem o bereits andre vokale. Neben dorn hochtonwort auf -A- gen^ „weib^ war
mit dem gleichen vokal im zweiten teile von kompositen ein tieftonwort auf -t-,
*-3^»-«, entstanden, woraus jezt -g^'m-« (skr. -^Am-, z. b. in dvi-^itni', got. selb-
ständig geworden qSns). Vielleicht ist ebenso das B entstanden in medku-Bdi-a ^ho-
nigesser*^, slav. medv-ed^ „bär''. Das germanische hat zahlreiche adjektive auf -i,
von e- Verben gebildet, mit dem vokal ?, alle ursprünglich mit präfixen, wie -ng^mi-a
(jgot anda-n&ma , mhd. ge-ncSnie) ^ -prS^ct-a {ahd. gi-frägi, an. fro'g'r) usw. — Germ.
kü'di'X „haut^ neben lat. cu-ti-s (Osthoff 4, 98) muss wol ein ktt-tt-s, gen. kuiids
gewesen sein. — Mhd. swäger „Schwager*^ wird ein m- stamm gewesen sein, svl^eru-s'*.
Weibliche tieftonwörter auf -a', das später meistens durch -A abgelöst worden
ist, wie xionrjf Itünrj, Öqk „sorge'', *aTQa»<pa, '^TQtona, wovon OTQQHftuo, TQtoniuo zu
OTQ^ifo}, xQinto, haben neben den ö ein h gehabt, daher häufige germanische bildun-
gen wie germ. nSmö die „-nähme*', vBrö „sorge*', vrBkö (ahd. rähha) neben germ.
m-akö (ae. tcrcusu)^ dieses aus den obliquen kasus von *vrögä, Oder sind solche
Wörter im zweiten teile von kompositen aus hochtonwörtem mit ä entstanden, also
germ. gebö (ahd. gebd)^ aber -gSbö (mhd. gähe)^ urspr. in an-^ ab-, über-, wider -
gäbe usw.?
Indogerm. a (in äyw)^ von haus aus unbetont, muste natürlich gleichzeitig
unter denselben bedingungen, duich sekundären nebenton in offner silbe gedehnt,
1) Ein „ablaut* ü:u, den Job. Schmidt, KZ. 25, 21, Pluraib. 8.219 fg. (f :»
ebd. 220) zu erweisen sucht (womit nicht der tatsächliche Wechsel, sondern die
geschehene Verkürzung eines altem langen ü zu u in tonloser silbe, entsprechend
der des S zu a, gemeint ist), könte, wenn nicht eine widerholte reduktion statgefun-
den hat, nur durch jüngere analogie zu stände gekommen sein, da der ablaut, die
kürzung in tonloser silbe, beendet war als das i2 (f) aus dem vielmehr älteren u (i)
entstand. (Die von Job. Schmidt gelehite „doppel Verkürzung" vor weiter fort-
rückendem hochton, welche Bechtel s. 270 zweifelhaft findet, vermag ich nicht anzu-
nehmen).
2) Das wort „schwager*' hat ursprünglich jedesfals nicht den gatten der Schwe-
ster, nur den^bruder der frau, den vormund und fortgeber der braut als söhn und
rechtsnaohfolger des verstorbenen schwähers bezeichnet Das wort war wol ursprüng-
lich zweites glied eines kompositums (= „für-schwäher*, „jung-sohwäher* oder
dgl.), daher das germ. g. In der lautgruppe idg. kr kann das A:, als die dehnung
eintrat, zur folgenden silbe gehört haben (sonst müste die dehnuns in -sv&fru-s,
wenn dies die gi'undform war, jünger, nach zahlreichen Vorbildern analogisch geschaf-
fen sein). Über die grundform des wertes „schwäher* vgl. Kretschmer, KZ. 31, 446 fg. :
lautete dies wort bereits avieurd-s {ixvQÖg^ ahd. stcehur, ae. atoior usw.), dann wird
die grundform des wertes „Schwager* -8vtct4ro-s gewesen sein. War das wort selb-
ständig, dann entstamt dais germ. g der den obliquen kasus entnommenen oxytonie-
rung {svBcru-8 oder svEeurö-a),
3) Mit diesem -a ist, der lehre Job. Schmidts gemäss, das griech. -a des plu-
rals des neutrums, das aber von Schmidt selbst, Pluraib. 2^, völUg verkant worden
ist, ursprünglich identisch.
ÜBBR BBCHTEL, HAUPTPROBLEME DER INDOGERM. LAUTLEHRE 381
d* werden, also mit dem nraprünglich hochtonigen a zusammenfallen. So in nau-s
(später nOM-a)^ gen. navds, aco. nüCvtn u. a.^
Ob auch ein f (n usw.) gleich dem i, u sekundär den nebenton bekommen
konte ? A priori wird man es nicht verneinen können. Ein durch unsre dehnung in
offner silbe entstandenes langes f hätte natüilich nichts zu tun mit Saussures f , dem
Bochtel die existenz abspricht (s. u.): es braucht nicht durch dieselben skr. ir,
ür vertreten zu sein, durch welche dieses vertreten sein solte. Ist griech. xfj^^ skr.
-härd- (acc. m. -hS^rdam in su^hard- „wolgesint", dur-hä'rd- „übelgesint*) und skr.
härdi „herz*^ (Bechtel 171, vgl. Job. Schmidt, Pluralb. 224) ein altes cfd- (neben
erd-f skr. kfd-), efdt, so dass theoretisches f gemeinindogerm. durch Br vertreten
wäre? Germ, hert- im n- stamme got. kairtö könte lautgesetzlich aus älterem egrd'
entstanden sein mit kürzung der länge vor der konsonantengruppe (der n-stamfn wie
in au8ö aus älterem aiM-, vgl. Job. Schmidt, Pluralb. 109).
Den tiefton auf der Wurzelsilbe hatte von alters her der sing, des perfekts:
3. sing, vöide, skr. vS'da, gr. fotSe, goi vaii. Indem als charakteristisch für das
perfekt nicht sowol der vokal, als vielmehr dieser bestirnte accent gefühlt ward, sind
nach dieser analogie perfekte mit überti'agung des vokals des präsens, der dann in
offner silbe durch den tiefton gedehnt ward, neu gebildet worden: tde „ass*^ (lat
edit, got -^), redupl. griech. (d-ri&e (nach älterer regel hätte es heissen müssen
ed-ode)'^ ebenso mit a statt des älteren ö' perfekta wie gr. UXrid'a, lat scäbi, got
köf usw. * Manche andre perfekta sind nach solchen Vorbildern wahrscheinlich erst
in jüngerer zeit gebildet worden, die griechischen -rixa zu '6jö usw.; lat -liqui^
vidi, die, wenn das f alt, bildungen wären wie oben vip-.
Alle fälle der dehnung können durch das gesetz in der oben gegebenen form
nicht unmittelbar erklärt werden: ebenso wie im nhd. ist der in offener silbe gedehnte
vokal auch in geschlossene silbe und in Stellungen vor konsonantengruppen hinein-
getragen. So bleibt einstweilen unerklärt die vokaldehnung im «-aorist, slav. visu
^führte*^ zu vedq, nSsü „trug*^ zu nesq usw., lat rSci, texi usw. (Bechtell57): vgl.
Osthoff, Zur gesch. des perf. 112. 227, der diese lat e durch Übertragung aus dem
ültern perfekt l8gi, *r^i erklärt. Die dehnung h&b in den verschiedensten sprachen
Über ihr ursprüngliches gebiet hinausgegiiffen': namentlich im indischen hat das aus
1) Wie die Schwächung der hochstufe a muste das a, das Schwächung der
hochstufen ^, o ist (s.u.), durch die gleiche dehnung ä werden: so in einigen unter
den von Bremer, Beitr. 11 , 268 fg. zusammengestelten ä. — Von diesem a qualitativ
verschiedenes unbetontes a (von Bechtel a geschrieben, Saussures '^), woraus griech. a,
skr. t (s. u.), ist im sanskrit nach dem hoch ton ausserordentlich häufig lang, f {brd-
vimi „rede*^, ataa-fman- „ausbreitung*'): die dehnung wird durch den dem hochton
folgenden abhängigen svarita bewirkt und bereits in grundspitichlicher zeit zugleich
mit jenen andern dehnungen eingetreten sein. (Solte dieser vokal mit jenem a
ursprünglich identisch gewesen sein, s. u., dann hätten wir & als resultat der deh-
nung durch den selbständigen tiefton, dagegen im sanskrit ein f, wo die dehnung
durch den abhängigen svarita erfolgte.) Die Unregelmässigkeit der länge lässt dieselbe
eher als rest einer alten regel, denn als ergebnis einer jüngeren regel erscheinen.
2) Die germ. perfektplurale nSmumj setumy brikum usw. worden wol (wie
die flh-um vom sing, for) von älteren 3. sing. ^nSni, *8&, *brgk (= lat emit,
sedit usw.) herrühren, die neben den 1. sing, twm usw. bestanden haben, aber dann
(ausser Bt und ae. nom, cwom) durch diese ersezt worden sind.
3) So ist nach der analogie der (von J. Schmidt, Pluralb. 82 fgg. nachgewie-
senen) kollektiven feminina, welche die stelle des plurals des neutr. vertraten, auf
-on; -dr, 'öS (die die länge des nom. aus dem aoo. sing, übernommen hatten), im
•. ' »IfmtJk.
382 MÖLLBB
8 and ö entstandene ä in geschlossener sflbe (wie in säpta- n. , siebenzahl* von
saptd)^ wozu auch alle äi und äu vor konsonanten gehören, als ^yrddhi*^ oder
,, zweite Steiger ong*^ weite ausdehnung gefunden.
Dass die Wirkung des tieftons nicht auf den vokal o beschränkt gewesen sei,
habe ich, nachdem ich selbst schon solches gedacht, zuerst ausgesprochen gefondea
bei M. Bing, AlÜatein. Studien, Pressburg und Leipzig 1882, s. 52: «^^ svarita
blieb svarita und vokalbÜdner auch dann, als Ifingst . . . der kurze grandvokal durch
die betonung zu e und d differenziert war*^. — Otto Bremer, PBBtr. 11, 267 lehrt,
dass den f und ü innerhalb der t- und ««-reihe ein ä innerhalb der a- reihe (tds
deren hochstufe er s ansieht) entspreche, und bemerkt, dass die lange neben der
kürze „auch sekundär sein" (264, note 2), „t und a unter bestirnten bedingnngen
gedehat worden sein*^ könten. — Paul Kretschmer, der (KZ. 31, 338 fg.) für Osi-
hoffo hypothese „eine tatsächliche grundlage nicht aufzufinden vermag*^, da in den ein-
zelsprachen, welche die alte betonung gewahrt haben, „keine spur einer von der
steDung im satz abhängigen Verschiedenheit der tonstärke, geschweige denn von
einem danach sich regelnden Wechsel von i, ü mit %, u zu entdecken*^ ist^, erklärt,
dass betontes ü (und also auch f) „nur in unbetonter sUbe entstanden sein kann*
und hält es, ebenso wie unabhängig von ihm Beohtel, für „wahrscheinlich, dass es
seine länge darum festhielt, weil es den accent erhielt, ehe es weiter zu ü reduoiert
wurde''. Kretschmer meint aber, meines erachtens richtiger als Bechtel, „daas der
accent, welchen ü durch diese Verschiebung empfieng, der circumflex gewesen zu
sein scheint'' (der mit dem selbständigen tiefton oder svarita identisch ist): er weist
u. a. hin auf die nequsnoifiivfi in griech. vihf, —
Der „zweite abschnitt*' (s. 182—290) behandelt in abermals vier kapiteln,
die einzeln durchzunehmen ich mir versagen muss (das erste und lezte, 5. und 8.,
übergehe ich vöUig), „Längen und diphthonge mit langem ersten kompo-
nenten".
Neben den im 4. kapitel besprochenen dehnungen kurzer vokale hat die grund-
sprache lange vokale A, S, ö gehabt, die ihrersdits älter sind als die aus ihnen her-
vorgegangenen kürzungen.
Kürzung dieser lezteren a, e, ö ist (vor der tonsilbe und durch acoentver-
schiebung in der tonsibe) nach s. 238 fgg. im eoropäischen ohne das griechische a
{aS- ,|Säen% dö- „geben'': lat sätus, däha): im griechischen erscheint als kürzung
eines wurzelauslautenden ti, oi neben dem « ein c, o (h6g, d-irög, derög; iorog,
noTÖg)^ selten im aussergriechischen europ. ein ebensolches e (s. 244), o (247). Bech-
tel vermutet (s. 248. 265), dass „e, o und a zwei verschiedene schichten der Schwä-
chung repräsentieren, jene die ältere, diese die jüngere". Er sagt nicht, wie er sich
iranischen ein -Sni geschaffen (J.Schmidt 160 fgg., der aber diese endung für gemem-
indogerm. hält); ebenso im indischen i)lur. neutr. -anti, -ämsi aus -öfUa, -önsa
nach -&ni aus -öna (oder nach J. Schmidt aus önt-i usw.).
1) Nach spuren seiner regel in den einzelsprachen suchend findet Osthoff
(s. 351), dass wir „in der tat auch nach dieser seite hin nicht gänzlich von allen
anhaltspunkten entblöst" sind. Es heisst (s. 352) regelmässig ü (statt u) nUf ü su,
und von i- „gehen", üh^ „schieben" hinter präfizen (wie sam) ijät, tJ^'äi, nicht
^at, aJ^'at, „Es dürfte", bemerkt Osthoff s. 353, „vielleicht von interesse sein, zu
er&hren, dass ich auf diese historisch- einzelsprachlichen reminiscenzen an das alte
gesetz . . . erst hinterdrein aufmerksam geworden, nicht zum entwerfen meiner kon-
struktionen von ihnen ausgegangen bin". (Man greift doch überall erst im wassm^
nach dem Strohhalm.)
ÜBER BBCHTEL, HAX7PTFR0BLKMC DBB INDOGEBK. LiLUTLSEBB 383
dies denkt Dass eine ältere Schwächung nicht mit allen e und ö in gleicher läge
YolBtfindige , Schicht gemacht*^, sondern einer jungem Schicht einen teil der arbeit
hinteriassen haben solte, kann man sich nicht wol denken. Selten aber zwei schich-
ten auf einander gefolgt sein, so solte man doch denken, dass das dem ungekürzten
e und ö ferner geruckte a das ergebnis der altem (s. u.), das ihm näher geblie-
bene s, 0 das ergebnis der jungem schiebt gewesen sei. Eine jüngere schiebt der
Schwächung wäre nur als jüngerer analogievorgang denkbar: das e, o könte nur
entweder eine qualitative an^eichung des älteren resultats der Schwächung an das
hochtonige s, ö, oder neue Schwächung eines durch ausgleichung widerhergestelten
e, ö sein. Diesen Vorgang aber, in welcher weise er nun geschehen sein mag, wird
man wahrscheinlicher der einzelsprache als der gmndsprache zuschreiben. Im grie-
chischen ist qualitative ausgleichung eine häufige erscheinung.
Das indisch -iranische sezt eine dem gemeineurop. a entsprechende einheitliche
kürzung der drei längen voraus. Der Verfasser zeigt (s. 248 fgg.), dass dieses europ. a
im indisch -iranischen im übrigen durch i (skr. sihitd- ararög, ddta" ^n6g, ^iiä-
(naXiy-yxoTog)^ in zwei fällen aber durch älteres a veiireten wird, nicht wie Saus-
sure und mit ihm Hübschmann annehmen vor j und r, dagegen 1) unmittelbar vor
einem ursprünglichen t , mit dem das a sich zum diphthong verband (skr. sthSmdn-
«festigkeif^), 2) wo das a sekundär unter den hochton geraten ist (dd^i ^beisst*^,
gr. <fax-).
Mit recht wird von Bechtel s. 240 die ezistenz eines ursprünglichen beton-
ton a geläugnet und s. 256 fgg. ein „grund vokal a^ neben dem von ihm e genanten
grundvokal abgewiesen: jener vermeintliche grund vokal ist überall Schwächung.
Die S, ö, denen kürzimgen zur seite stehli, fasst Bechtel zum teil (s. 202.
235) als dehnungen von der art der im 4. kapitel behandelten: er spricht mehrfach
davon, dass die dehnung , grund vokal einer neuen reihe gewoixlen ist^ (so 202) und
von kürzungen solcher dehnungen. Omndvokal einer neuen reihe aber (dies ist bei
Bechtel nirgends zu sehn) kann die dehnung doch nur durch jüngere analogie gewor-
den sein, da, als die dehnung eintrat, die kürzung, die wir ablaut nennen, bereits
vollendet war. Anderseits kann ö, was Bechtel aber nur vom Ö im wurzelinlaut
bemerkt (s. 235), „ablaut einer der längen ?, ä vorstellen*. Klar dargelegt sind
diese Verhältnisse vom Verfasser nicht, wie überhaupt das 6. und 7. kapitel, die
nach den Überschriften bzw. , belege der grundvokale e, ä, ö'^ bringen und die
„Schwächungen von 0, g, ö^ behandeln sollen (während im 6. kapitel ebenso viel von
diesen die rede ist, und das 7. kapitel ebenso gut die Überschrift des 6. führen
könte), weniger übersichtlich geordnet sind.
Woher stammen denn nun aber die nach abzug der dehnungen und der
ablauts-d als rest bleibenden langen „gmndvokale*? Der Verfasser weist s. 237
Saussures hypothese ab. a in Xa^to, sagt Bechtel, soll aus ea (so schreibt er für
Saussures a^^), d in *XßL(o^ft aus oa (Saussures a,-^) entstanden sein: Saussures
hypothese ist also genötigt „zwei entgegengesezt wirkende kontraktionsweisen neben
einander zu behaupten*^. Aber eine andere erklärung der langen vokale ist a priori
weit wahrscheinlicher als die durch kontraktion von vokal -f- a- vokal. Von meinem
erklärungsversuch , Beitr. 7, 492 note 2 (vgl. Engl. stud. 3, 150 fg.) sagt Bechtel nichts.
Unendlich oft sehen wir vokalische länge durch Schwund eines konsonanten entstehn,
und sehr oft finden wir in unsem jüngeren sprachen einerseits auf diese weise ent-
standenen langen vokal, anderseits vokal -f- konsonant als genossen z. b. in derselben
ablautreihe, wie nhd. se- (sehe, geeehen) neben geb^ (mit von Norddeutschen verschie-
•%"
384 MÖLLER
den gesprochenem e-laut hier und dort), aber nirgends sehn wir wol in entsprechender
weise eine lantgruppe vokal + vokal a oder aus derselben durch kontraktion entstan-
dene länge als genossen einer lautgruppe vokal + nichtvokaL Ich behaupte doBhalb,
als eine hypothese die weit wahrscheinlicher ist als jede andre zur erklfirung derselben
beobaohtung findbare, dass die indogermanischen langen ,grundvokale* aus dem einen
kurzen grundvokale (Bechtels e) und einem folgenden geschwundenen konsonanten
hervorgegangen sind '. Das ablautverhältnis B: ö ist einfach ein e:o mit geschwun-
denem folgenden konsonanten. Im ablautverhältnis ^ ; ö ist dagegen ein solcher kon-
sonant geschwunden, der älteres e in a gewandelt (oder auch urspr. a, das sonst S
wird, konserviert) hat War die entstehung des ä : ö aus ea : oa schon darum
unwahrscheinlich, weÜ dort lücksohreitende, hier fortschreitende kontraktion vorläge,
so können wir ein ä und d, aus einem e und o und geschwundenem folgenden kon-
sonanten entstanden, tatsächlich neben einander finden. Im englischen ist mittelen^.
or zu o£Ehem ö (ä), ß{r)^ 8tö{r)m usw., dagegen mittelengl. erznä geworden, fä(r)
me. fer, sUHf) me. sterre, dä(r)k rae. derk, ha(r)t (geschr. heart) me. herie usw.
Ein neuengl. 8tä(r)v(e) : *8tö{r)ven aus me. sterve : storven, derselben ablautreihe wie
help : holpen angehörig, besteht zufällig in der Schriftsprache nicht mehr, da das ver-
bum (wie auch help) schwach geworden ist, könte aber bestehn. Der konsonant, der
im indogerm. ä: ö geschwunden ist, könte also möglicherweise derselbe, wie der hier
im neuengl. geschwundene, gewesen sein, ein hinteres r, verschieden vom Zungen-
spitzen-r. (Ein andrer häufig schwindender konsonant ist ?, vgl. ne. taJ(l)k, fo{l)k.y.
Die oben besprochene Schwächung a der „langen grund vokale*^ ist, ebenso wie
die i, u aus urspr. ai, au (hocht. et, eu), nicht durch „ausfall des a*^ bei lebzeiten
des folgenden konsonanten, sondern durch kürzung des langen vokals zu stände
gekommen. Das einförmige a (der „älteren schiebt*^) ist nicht Verkürzung der hoch-
tonigen S*, (£ (dann wäre das resultat der Verkürzung ein mannigfaltiges geworden,
wie die analogische Verkürzung der „jüngeren schiebt '^), sondern vielmehr kürzung
eines einförmigen untonigen dl, das aus dem einheitlichen ursprünglichen a mit dem
jedesmaligen früheran folgenden konsonanten hervorgegangen war.
Dass die „einsilbigen*' verbalwurzeln ursprünglich zweisilbig gewesen sind,
erkent Bechtel mit Ascoli und Fick (aber wol nicht für die wurzeln auf langen vokal)
an. Als „zweisilbige wurzeln '^ (die, aber nicht nach Bechtels aufPassung, ursprüng-
lich dreisilbig gewesen sind) bezeichnet er s. 193 die von Saussure' sogenanten udät-
ta- wurzeln^, solche wie griech. x£^a-(i^i;^»)y xQ€fjia-{wvfjii , -fiai). Der Verfasser
hält den auslautenden vokal solcher zweisilbiger wurzeln , gr. a = skr. i (f ) für ein
gemeinindogerm. a, und er hält ein wirkliches und primitives Xia diesem falle nicht
durch kürzung entstandenes) gemeinindogerm. a für den ursprünglichen auslaut solcher
wurzeln. In dem durch Saussures scharfeinn erklärten -na des präsens solcher wur-
zeln, ^{e)fAa', präs. &dfi-vri-fjii, skr. fami-, präs. ^am-nüt-mi usw. (vgl. jug-, pris.
1) Bremer, Btr. 11, 265 noto, scheint in der täuschuug begriffen zu sein, dass
in *ea *oa (woraus nach ihm g, ö) das a wirklich vorliege, nicht hypothetisch sei.
2) „Wie got. qifnan, qifan, stilan usf. zu skr. gä^ (griech. ßä-)^ gü'jaü
„ singt '', smjiir „dieb*" stehe *" (Bechtel 243), habe ich Beitr. 7, 494 zu erklären
gesucht
3) nach dem Dhätupä^ha.
4) die Bechtel nach andern grammatischen werken „»^-wurzeln'' (d. i. aa-i-t^
mit einem i versehene, im gegensatz zu den „on-^- wurzeln*' ohne das t) zu nen-
nen vorzieht.
Ü6KR BECHTEL, HAUPTTROBLEUS DER INDOOERM. LAUTLEHRE 385
ju-ne-g-mi > skr. jtmdgmi; cru ^hören'', präs. cr-ne-u-mi > skr. ^rnomi) ist ihm
das ä ^kontraktionsprodukt'^ (s. 206) von e (des elements -ni-) und dem wurzelvokal
a, was er für das ä in Xi&ta abwies. Für Saossure, und ebenso für mich, ist
natürlich das (t des präs. -na^mi dasselbe wie das u in Xäd^to: für mich ist das -ns'-
entstanden aus dem element -"ne- und dem geschwundeneu konsonanten, von wel-
chem oben die rede war, und dieser war der wirkliche auslaut der wurzel, wenn
man, von dem ursprünglich folgenden (sog. ,, thematischen'^) vokal absehend, z. b. in
j{e)ug- den konsonanten g als „wurzelauslaut^ bezeichnet.
Da wir, wo wir von „wurzeln* sprechen, nicht die wirkliche wurzel, d. h.
das urwort, sondern tatsächlich in unsem wöiiern vorliegende bestandteile zu meinen
und anzusetzen pflegen, so werden wir auch jenen unbekanten konsonanten bei der
ansetzuDg der wurzel ignorieren und, wie die wurzel von ImS^h} und Xuv&dvw als
läcUt oder ladk, ebenso im wurzelauslaut mit Bechtel ein -a ansetzen. Einem derc-,
veid-, jeug-j lüdh- entspiicht Bechtels ansetzung dema-, tera- usw., einem drc-,
vid-fjtig-, ladk- entspricht die ansetzung der wurzel als dnia-, tra-K
Oft ist beobachtet worden, dass „zweisilbige* oder „udätta- wurzeln* und kür-
zere „einsilbige*, „anudätta- wurzeln* neben einander stehn, vgl. Saussure s. 260,
Kretschmer KZ. 31, 395, Bechtel s. 195. So svep- „schlafen* (skr. svdptum) und
svepa- (skr. svapi-)^ ves- „kleiden* und vesa- (skr. vasi-^ gr. ia-v6g)^ ver- „wäh-
len* (skr. vrtd-) und vera- (vrnJtCj vürnä-)^ ster- (skr. sirtd-, siärtum) und stera-
(skr. stlrnd-, stdrVtum, stärtman-)^ ereu- „hören* und creva- (> (Jrö-, xlv-\ i^eu-
„opfern, anrufen* (wovon das germ. „gott* und das wort idg. ^heut(f, gen. ^kutSrds,
"> nom. skr. hötä „opferer, hauptpriester*, altn. godi) und ^eva- (skr. kütd-, hdvi-
man-). Osthoff meint MU. 4, 279: „Bas misliche seiner ganzen theorie tritt bei
de Saussure besonders s. 260 fg. hervor, wo er, auf eine anzahl unserer fälle mit
t", it zu sprechen kommend, sich nur so zu helfen weiss, dass er mehrere wurzeln
für „udättäs* und „anudättäs* zugleich erkläit'). £s scheint doch klar zu seia,
dass diese längeren „zweisilbigen wurzeln* sich zu den kürzeren nicht anders ver-
halten, als durch andre konsonanten „erweiterte* wurzeln, z. b. ^heud „giessen*
(ßitäa, fundo) zu i^keu (;^^/to), dass also, wenn wir den in dem langen ä geschwun-
denen unbekanten konsonanten mit (dem zeichen des umgekehrten V) A bezeichnen,
z. b. das zweisilbige stera-, ui'spr. stara-Aa^ eine erweiterung des urspr. stara ist,
wie steru'y urspr. stara-va eine andre erweiterung derselben wurzel (skr. stfnomi^
lat. struoy got straujan, vgl. Bechtel 210), und dass überhaupt die uraprünglich in
1) Diese lezte weise der ansetzung der wurzeln verglich ich Engl. stud. 3, 151
der in der semitischen grammatik üblichen. Vom Standpunkte meiner hypothese aus,
welche die „langen grundvokale* durch die annähme geschwundener konsonanten
erklärt, wären „zweisilbige wurzeln*^ auf-a, wie die oben angesezten 0^(e)ma-, t(e)ra-
mit einem teiminus der semitischen grammatik als wurzeln „tertiae gutturalis*
(solche mit mitlerem a wie UTdh als „mediae gutturalis**) zu bezeichnen, wenn näm-
üch die geschwundenen konsonanten, wie höchst wahrscheinlich, welche man sich
auch denken mag (gutturales oder kehlkopf-r, h, der Spiritus lenis usw.), gutturale
oder kohlkopfkonsonanten gewesen sind (neben welchen die A;- laute natürlich nicht
,, gutturale* genant werden dürfen).
2) „Ich fürchte*, fährt OsthofF fort, „dass diese so ausnahmsweise zugelassenen
zwitterwurzeln schliesslich nicht eine winzige minderheit, sondern bei weitem die
grosse mehrheit aller sein werden*. „La liste de ces variations no serait Jamals
nnie* hatte Saussure selbst bemerkt (s. 246, note). Ygl. Joh. Schmidt, Pluralb.
380 fg.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGUE. BD. XXV. 25
386 MÖLLtB
Wirklichkeit dreisilbigen wurzeln durch hinzutritt eines Clements ans älteren wirklich
zweisilbigen hervorgegangen sind. Was aber die hinzugetretenen elemente ursprÜDg-
lich bedeutet haben, ist natürlich in den meisten fiülen verborgen.
Die einsilbigen auf langen yoJ[al ausgehenden wurzelformen von udätta- wur-
zeln, wie atrO- (lat gtrOtus) zu siera-, fasst Bechtel s. 207 fgg. (vgl. 201 fg.) als
entstanden durch „dehnung^ des auslautenden wurzelvokals. Die ansieht Saussares,
der die in Europa erscheinenden r, l mit folgendem langen vokal indischem %r, Ur,
und europ. m, n mit folgendem langen vokal indischen Qn, ü gleichsezte und aus
langer liquida oder nasalis sonans hervorgehen Hess, weist Bechtel s. 212 mit recht
ab. (Ebenso Kretschmer, KZ. 31, 400. Beide zeigen, dass der lange vokal nach
der liquida oder dem nasal gemeinindogermanisch ist.) Aber auch Bechtels ansieht
ist nicht richtig. Richtig urteilt über das rä Kretschmer, KZ. 31, 403 ^g. Der-
selbe komt „zu dem ergebnis, dass die zweisilbigen odor udätta- wurzeln nicht wie
die einsilbigen eine, sondern zwei stai'ke formen besitzen*^: die r& (mä, vä, ja usw.)
sind hpchtonformen gleich den era {ema, eva, e/a). „Wie sich diese doppelform
erklärt**, sagt Kretschmer, „ist eine frage für sich**: er meint, es „dürfte die annähme
am nächsten liegen, dass den beiden starken formen -er-ä^ -zu gründe liegt (O* =
a, Sf d), d. i. Wurzel -jr angetretener langer vokal. War die zweite silbe betont, so
wurde er^^ zu r^'; trug dagegen die erste silbe den ton, so sei der lange vokal redu-
dert worden. Ganz richtig ist das nicht. Zunächst ist der besitz zweier starker
formen nicht eine eigentümlichkeit der sogenanten udätta -wurzeln: auch zahlreiche
sogenante „einsilbige** wurzeln, nämlich solche mit drei konsonanten (den apiritns
lenis eingerechnet), die gleich jenen ursprünglich dreisilbig gewesen sind, zeigen den
hochtonigen vokal bald vor dem zweiten, halb vor dem dritten konsonanton. So
erscheint neben detv- ein ^eu- aus urspr. ddfava : dajdva; neben dere- „sehn" ein
dree- aus urspr. ddraea : dardca; pero (ahd. as. fergän) „fragen** neben pree aus
päraca : pardca; ceru- (skr. ^fnlfmi) neben creu „hören** dXß edrava : earäea^. Wie
sterU' neben streu- „ausbreiten** ein stdrava : stardva, ebenso ist stera' neben strH-
ein urspr. stdra-Af^ • stard-A^i" Die Urbedeutung der doppelheit atertk- und strä- in
der verbalfiexion hat dagegen wol, nach Benfey (in der Kieler monaisschrift 1854),
Bechtel richtig erkant. Die differenzierung war ein dynamischer Vorgang. Ursprüng-
lich bezeichnete wol die form mit dem accent auf erster silbe {dra) ein tempus
imperfectum, die mit dem accent auf der zweiten (arcQ ein tempus perfectum. Oder
(vgl. Bechtel s. 190 fgg.) jene erate wurzelform bezeichnete die „besondem** Zeiten
(präsens, imperfekt), diese zweite die „algemeinen** (perfekt, aorist, futur), v^. dree-
in skr. fui druksjä'mi neben derc- (&^Qxofna)\ ghrebh- „greifen** in skr. perf. gagräbha
neben gherbh' (in ahd. garba „garbe**)'.
1) Oft erscheint der vokal an erster steUe anlautend als a anstatt des erwar-
teten e, S. die von Saussure, Mem. 275 — 283 zusammengestelten „phenomenes spe-
ciaux„: aus^ : ves-, auks- : veks- , (*anbh-) anibh- : nebk- ^ {^amdh-) andh- :medh'
usw. Ob ein später verlorener urindogermanischer konsonant, den ich hier mit '
bezeichnen will, ein folgendes ^ in a gewandelt (oder das ursprüngliche o konser-
viert) hat, 'eits (>• au8):*ife8, aus ^dvasa.-^avdsa?
2) Wie das perfekt scheinen überhaupt tieftonwörter ursprünglich nur von der
zweiten form der wurzel gebildet zu sein; so dfotta-, djeus- (gen. divds)^ nicht cidtr-«.
Komparativ und Superlativ werden von der zweiten wurzelform gebildet neben
einem positiv von der ersten form, vgl. PBBeitr. 7, 506.
ÜBER BBCHTEL, HAÜFTPHOBLEHE DBB INDOGKBM. LAUTLEHBB 387
Die verschiedenen konsonanten, denen die langen vokale ihre entstehung ver-
danken, können zu verschiedenen zeiten geschwunden sein: wenn der schwimd des
unbetonten zweiten nnd dritten vokals trilitteraler wurzeln (vor dem konsonanten eines
Suffixes) wie derc- aus ddraea*^ älter ist als der Schwund des konsonanten, dem das
hochtonige ä seine länge dankt, dann kann das von Eretschmer als zu gründe liegend
angesezte -erä, das einer wurzelform mit zwei e- vokalen wie derec entspräche, in
dieser gestalt nicht existiert haben und der vorliegende kurze vokal (gr. a, skr. i)
kann dann nicht reduktion des langen ä sein. Der konsonant muste in diesem falle
zwischen konsonanten, wenn es ihm möglich war, auf eignen beinen stehn, event.
zum selbstlauter werden (wie das u in -ert^)^ und dieser selbstlauter, wenn er nicht
vokal war, konte nachtrfiglich in einen vokal übergehen. Bechtel betont s. 206 (aber
von der irrigen Voraussetzung ausgehend, dass dies -a ein ursprüngliches sei) den
unterschied des im auslaut „zweisilbiger wurzeln*^ erscheinenden -a von dem a, das
kürzung der „langen grund vokale '^ ist: er schreibt aber beide mit dem gleichen zei-
chen a, (Eretschmer, der den laut in beiden fällen für reduktion einer länge hält,
schreibt wie Brugmann in beiden föllen 9.) Bechtel, der also zusammenfall der bei-
den nach ihm „strenge zu scheidenden*^ elementß in dem einen laute a annehmen
muss, lässt trotzdem die beiden laute in den verschiedenen sprachen zum teil einen
verschiedenen weg einschlagen. Im griechischen haben wir das gleiche a, ebenso
nach s. 208 dasselbe a im lateinischen, im indisch -iranischen das gleiche i (und 7),
aber nur die „ kürzung*' a wird hier unter nachträglich sich einstellendem hochton
durch d vertreten, nicht der auslaut der udätta-wurzel*. Im germanischen legt
Bechtel der „ kürzung*' die Vertretung a (s. 239 fgg.), dem ,,wurzelauslaut*' dagegen
die Vertretung u bei (s. 206 fg.)'- &hd. antä, lat. atuis; ahd. hintcc, gr. xegafög;
dazu das germ. u in der endung des perfekts = gr. «, skr. i. Dieser im germa-
nischen durch u vertretene laut kann nicht wo! das von Bechtel angenommene a
gewesen sein (indogerm. o in endungen wird lautgesezlich nicht durch germ. t«, son-
dern durch germ. a verti'eten, vgl. Beitr. 7, 537). Brugman wählt sein zeichen for
den laut „in anlehnimg an den gebrauch des 9 für den „indistinct vowel-sound'"'
1) Wo der lezte, der sogenante thematische vokal, vor dem anlautenden kon-
sonanten eines Suffixes fehlt, ist sein Schwund gewiss eben so alt, wie der des unbe-
tonten ursprünglichen -a im auslaut des sell:itändigen wertes (s. o. s. 376): der
Schwund des unbetonten zweiten vokals (des in derco- geschwundenen) mindestens
eben so alt, warscheinlich noch älter.
2) Betontes sanskr. -<l-, das wurzelauslautendem skr. -«', gr. -a zur seite steht
lässt Bechtel s. 195 — 99 vielmehr giiechischem -e- oder -o- in xaU'{aaai), duö-^aaai)
entsprechen. Dieses kann richtig sein. (Auf die -€, -o im auslaut zweisilbiger wur-
zeln und die ihnen zur seite stehenden längen 'S, -ö vermag ich hier nicht einzu-
gehn.) — Bechtel meint (195 fgg. 208), das „ursprachliche a'' (gr. a, skr. t), das „in
der zweiten silbe des ursprachlichen wertes steht, und zwar hinter der tonsilbe'',
laute ab mit betontem e (gr. xiXa- : xal^-^ skr. ^äsi- : ^asä-^ Dieses bin ich nicht
im stände für richtig zu halten. Das sanskr. a = gr. €, o in pari ^vtMänt- neben
3. sing, fvdsi-ti „schnaubt*' usw. (s. 196) ist in meinen äugen sicher der thematische
vokal, und zwar entweder der der älteren und küi'zeren anudätta-wurzel, oder der
der udätta- Wurzel, in dem lezteren falle also der dem geschwundenen konsonanten
ursprünglich folgende vokal (vor dem der konsonant spurlos geschwunden wäre):
sanskr. vamor- = griech. /f^^- (für lautgesetzL *fafjii-) aus irnnS- wäre also ent-
weder urspr. vamd- oder raw^(i-.
3) nach Bezzenberger, Beitr. 17, 216 note, der hinzufügt, dass e in hd. hirux,
miluh, seüuf vor solchem wurzelhaften t«, nicht aber vor einer svarabhakti, zu •
werde.
25*
388 MÖLLER
(Ghrondr. 1, 101). Der laut, den Bnigmann im äuge hat, den Sweet und andre zum
teil durch 9, zum teil und wie mir scheint besser (da das zeichen a dazu verführt
einen e- artigen laut zu sprechen) dui'ch das a- ähnliche zeichen (des umgekehrten v)
a bezeichnet haben, kann, w^ie ich glaube, mit grösserer Wahrscheinlichkeit als jeder
andre dem im auslaut der udätta- wurzeln erscheinenden grundsprachlichen vokal bei-
gelegt werden: Bechtels tera-, BiTigmanns ierd-, Bezzenbergers tero- (woraus gr.
T(Qa^ skr. tari-)^ wofür man auch schreiben kann tera-, hätte demnach etwa wie
engl, terror gelautet. Im neuengl. ist dieser vokal besonders häufig in unbetonten
Silben, die früher ein (in der schrift bis heute foiigeführtes) r enthielten, das vor
seinem Untergang ein hinteres r war. Wenn, wie oben vermutet, das indogerm. ä
entstanden ist wie der gleiche laut in ne. 8iä{r)^ das mit ihm ablautende indogerm. ö
wie der gleiche laut in ne. 8tö(r)nij dann kann der eben angesezte indogerm. laut in
tera- (aus täraAo) aus selbstlautend gewordenem hinteren r (oder auch, wie im engl,
meistens, aus schwachem vokal -|- hinterem r) hervorgegangen sein. Der Übergang
dieses vokals im sanskrit in i wäre dasselbe „unrounding*^, das dem selben unbeton-
ten vokale in englischen mundarten oft begegnet, der Übergang in den entsprechen-
den front -glide-vowel (wio in der in die gebildete spräche aufgenommenen ausspi-ache
der zweiten silbe von j^Mra^ für das ältere jezt „vulgär*^ gewordene ^^Misaus'^ der
romane, d. i. -sas mit a als Vertreter des ursprünglichen r). Der Übergang im grie-
chischen in (K ist leicht zu begreifen^ und die entstehung des germ. u aus diesem
laute begreiflicher, als es die aus jedem andern kurzen vokal ausser urspr. o und u
wäre. Ebenso ist begreiflicl\ der schwund dieses vokals. Im litauischen ist der aus-
laut der ^zweisilbigen wurzel*^ zwischen konsonanten geschwunden, dehnung dos vor-
hergehenden e und d und gestossene betonung hinterlassend (s. Bezzen berger in sei-
nen Btr. 17, 221 fgg., danach kurz Bechtel s. 227): ger-ve „kranich* y^qa-vog, mel-su
„melke*^ vgl. got miluks, dntis „ente^*.
Den hochtonformen e^a und e^a stehn als untonformen t und ü zur seite,
von Saussure erklärt (aus ia, ua^^ die auch, neben $a, %a, als untonformen gegen-
über den zweiten hochtonformen jßy ykä erecheinen (vgl. Eretschmer, EZ. 31, 383 fg.,
svadurs : goi stU-s). Saussure hat nun als Schwächungen von era, ema, aia die-
sen f , ü parallele grundsprachliche lange selbstlautende liquiden und nasale angenom-
men, die im sanskr. durch ir, ür, an, ä, im europäischen veiischieden, zum grossen
teile durch liquiden oder nasale mit folgendem langen vokal vertreten seien. ,Die
Voraussetzungen, auf welche de Saussure seine aufstellung von idg. langen f (m, n)
begründete*^, haben Osthoff (Morph, unters. 4, rv) und Brugmann (Grundr. 1, 252 fg.)
„im wesentlichen unbeachtet gelassen, dagegen die daraus gezogene folgerung ursprach-
licher langer liquida (und nasalis) sonans bereitwillig anerkant*^ (Kretschmer, KZ. 31,
4(X)). Dass im sanskrit %r, üTj an, ä die schwache stufe zu ari, ami, ani dar-
1) Ein a ist, wie auch aus starkem vokal e + hinterem r (westföl. dasken
„dreschen'^) häufig aus unbetontem nhd. -er der schrift entstanden. Vgl. eine steÜe
dor Flieg, blätter, die ich aus dem gedächtnis widergebe: Schalterbeamter: . . . „macht
in summa*^ so imd so viel. Bäurin: „In summa? Wie ^iel macht's denn nacha im
winta?*.
2) Nach vorhergehendem tieften (was selten vorkam, da es nach ursprüng-
licher regel statt töla- vielmehr tUf - hoissen muste, s. s. 386 note ^) scheint der laut
algemein geschwunden zu sein, bevor dehnung in offner silbe eintreten konte, daher
TdA-(^a) neben rela-, rala-.
3) wenn ich für den rest dieses abschnittes a für Saussures ^ setzen darf.
ÜBSB BKCHTRL, HAUFTPBOBLUIE DSB INDOOEBM. LAUTLEHBX 389
stelle, ist unwiderleglich von Saussure bewiesen: dass jenen lautgruppen aber indo-
germanische lange liquida und nasalis sonans zu gründe liege, haben unabhängig von
einander Eretschmer (a. a. o. 395 fgg.) und Bechtel (216 — 233) widerlegt, die auch
beide gezeigt haben, dass jenen europäischen r&j lä {rö, /ö), mä, nä {nS) yielmehr
indoiran. rä, lä, md, nä entsprechen.
Die Schwächung der hochtonigen ir, Sl, im, en vor vokalen war (s. o. s. 369,
in Bechtels bezeichnung) 9r, 9l, 9m, 9n, woraus skr. ir, ur, am, an. Schwächung
der hochtonigen h'a, Sla, ema, ina war demgemäss 9ra, 9la, 9ma, 9na (Bechtel 9ra,
Eretschmer ^^9 usw.). Im griecliischen sind diese lautgruppen durch itQa^ nXa, a/xa,
opa vertreten, die Saussure (267. 273, Bechtel s. 230) nicht zu erklären weiss:
ßägaS'gov, rdXttg, xdfxaTog, S-dvaros. Im sanskrit entsprechen den griech. aga, cda
in einzelnen fällen das erwartete tri, uri, uli (Bechtel 230 fg.)S in den meisten
fällen jene ir, ür. Dass der vokal in skr. ir, ur, am, an und in ir, ür, am, ä{n)
qualitativ der gleiche ist, betonen beides Eretschmer und Bechtel als wesentlich und
wichtig. Eretschmer sezt diese skr. fr, ür, am, fl(n)' unmittelbar = giiech. aga,
ttXa, ttfitty ttva, und dieses halte ich für das richtige. Er bemerkt (EZ. 31, 402
oben, 409 unten), dass der wurzelauslaut skr. i „unter dohnung des vorangehenden
Yokals geschwunden*^ ist. Die dehnung in fr für iri usw. ist der gleiche Vorgang
wie in den eben gesehenen litauischen er, 61, an (auf welche auch Bechtel hinweist)
aus idg. era, ela, ana, Bechtel nimt indessen, was ich nicht für richtig halte,
s. 232 neben den idg. 9ra usw. eine gomeinindogerm. zweite Schwächung an, deren
resultat 9f usw. war, die Verbindung des „schwachen vokales mit der langen nasalis
oder liquida consonans*^. Die Inder und Eranier, erklärt er (229), hätten „die deh-
nung von dem konsonanteu auf den vokal verlegt*^ ^. Ohne Saussure hätten wir hier
schwerlich die zeichen f, m usw. gesehen, sondern statt dessen die sonst für konso-
nanteu übliche doppelschreibung (oder ist der längensb'ich gesezt um dem äuge for-
men wie ^r9mmtö-, r> ski*. ^ä7Ud- , zu ersparen?). Die assimilation des a (oder
auch des ihm zu gründe liegenden konsonanten) an die r, m, n würden wir, wenn
vor konsonanten, um so eher vor vokalen erwarten, wo wii* sie nicht sehn (vgl.
oben s. 386, anm. ')*,
Eine zweite gemeinindogermanische Schwächung der „zweisilbigen wurzeln*^
auf -a habenwir vielmehr in der der zweiten hochtonform auf -ä ohne vorhergehen-
1) Parallele mögliche ami, ani, von denen Bechtel nichts sagt, sind von den
ursprünglich hochtonigen 6mi, äni nicht sicher zu scheiden; es gibt jedoch einige
imi (s. 205 fg.).
2) an ward ä vor t in vortoniger silbe, am ward On vor dentalen (Joh. Schmidt,
Plur. 170 fg., Bechtel 220 fg.).
3) „Dass die Eranier anteil nahmen'', meint Bechtel, „geht aus ihrer mit der
indischen übereinstimmenden behandlung der langen vokale hervor ''. Die Eranier
haben avest ä = skr. ä (xäta-, skr. gätd- „geboren^), aber avest. are = skr. fr
(dareya- „lang*^ skr. dlrgßiä-^ arema- „arm, hand'^, skr. frmo-). Liest Bechtel also
däreya-? Oder ist ihm are = jenem skr. iri? Eretschmer erklärt dagegen (s. 396):
„die vokallänge in fr, ür ist also ausschliesslich indisch*'.
4) Im litauischen haben wir (nach Bezzenberger, Beitr. 17, 214 fgg.) als
Schwächung der „zweisilbigen wurzeln*' vornehmlich ur, ul, um, die Bechtel den
skr. fr, ür, an gleich sezt, neben lit. ir, il, im, in. Von urspr. e}^, 6;|a hat das
litauische (Bezzenb. 217 fgg.) noch die Schwächungen uv, ui. Dies ui ist natürlich
nicht das urspr. f , sondern jüngere analogische speciell litauische Schwächung: das a
wird vor seinem Schwund im litauischen die f«-färbung angenommen haben und diese
ist dann in den ur, ul, um, ui auf den vorgehenden selbsÜauter übertragen.
390 MÖLLER
den yo^al zur seite stehenden sohwächnng auf a (oioht a), gr. « = skr. «, wie in
xixkttfievf über welche Eretschmer s. 404 1);., der lateinische und germanische bei-
spiele mit a beibringt, Bechtel kurz s. 206.
Zweiter teil: „Aus der lehre Yon den konsonanten*'.
9. kapitel „Die gutturale* (8.291 — 380).
An stelle der einen Schleicherschen ik- reihe nimt der Verfasser mit Bezzenber-
ger (Beitr. 16, 234 fgg.) und Osthoff (Morph, unters. 5, note s. 63 fg.) nicht zwei,
sondern drei grurdsprachliche lautreihen an:
1) eine g- reihe (q, 3, 3A), Osthoffs „ postvelare '^, Brugmanns „velare Ter-
schlusslaute mit labialisierung in den tf- sprachen*^.
Im german. ist das nachgeschlagene tf vor (yorgermanischem) 0, ö (germ. o,
ö) und u, ü lautgesetzlich verloren gegangen.
Im griechischen verlieren g- laute nach v die labialisierung (s. 353, nach Saus-
suro Mem. de la soc. de ling. 6, 161), wie in X&xog, xiJxXog, vyQog, ßov-xolag (neben
Inno- usw. -n6kog), Tor 0 lehnt Bechtel (s. 355) mit recht eine Vertretung der
9 -reihe durch x- laute statt durch tt- laute ab (ausser der ion. stamform xo-^ die in
der enklise entstanden sein wird): Bugges Zusammenstellung von xolnog mit alt-
schwed. hwüfr „wÖlbung*^ erklärt er für nicht zwingend (xöXnog ist vielmehr
dem ahd. kalba verwant). Vor c und t werden 9 -laute in einer bestirnten dialekt-
gruppe des äolischen, die Bechtel (s. 358) nachFick „achäisch*^ nennen will, durch n-
laute (ausser in thessal. x«;, kypr.aig^ = Tig)^ im übrigen griechischen durch t- laute
vertreten. Worte der griechischen spräche, die ;r- laute vor e, t statt dieser erwar-
teten T -laute zeigen (nirQa, ß(a „gewalf^, ß(og „leben '^) müssen aus jener achäischen
dialektgruppe stammend
2) eine JI;- reihe {k, g^ gh)^ Osthoffs „palatovelare*^ , Brugmanns „volare ver-
schluBslaute ohne labialisierung in den t^- sprachen*'.
Das griechische allein gibt zu bemerkungen anlass. Während nach Brugmann
ik- laute ohne labialisierung vor e, » im griech. x- laute bleiben, sind nach Bezzen-
berger (16, 248) und Bechtel (359) auch die ä;- laute vor (^ » normalerweise durch
T- laute vertreten {ah^o), d€k(pvg, Telx^vtg), Doch sind für diese reihe vor €, t tat-
sächlich X- laute häufiger, wie in xikrig, x^vtqwv, y^Qtcvog, xifpitXii: Bechtel will die-
selben (s. 367), „fals'^ sie „nicht sämtlich aus anders vokalisierten formen eingeführt
sind'', als Wirkungen einer Schuchardtschen „rein lautlichen analogie*' erklären, was
wenige werden aoceptieren können. — Im äolischen hat die 7 -reihe in die x- reihe
übergegriffen (Bezzenberger 16, 253 fgg., Bechtel 361 fg.): labiale als Vertreter die-
ser reihe müssen wider aus dem achäischen stammen, vor €, i {6(pMa>, äftmlog
neben äyxiov) und vor andern lauten {növog neben ^uixovog, ßaaTdC(o)\
1) Diese von haus aus untonige pronominalform muss also in diesem dialekte
in der enklise das ^ verloren haben, bevor A^ zu tt werden konte.
2) Aber knCarafiM, das Bechtel (s. 361) wie Bezzenberger (16, 237) zu diesen
Worten stelt als „ denominativum von ^Tnaxo- = skr. cütd- „verstand*'*', hat doch
gewiss, der alten annähme gemäss, die präposition km.- und gehört zur wurzd arä-
wie «verstehn", ahd. fir-stän, fir-stantan, ae. for-stondan, ne. under-sUmi,
3) 0. Hoffinann, Bezz. beitr. 18, 149 fgg., will aus dem eioen thessal. xi^
schliessen, dass 9 -laute „in allen griechischen dialekton vor hellem vokale das t
verloren" haben, dagegen die äolischen xr- laute neben ionisch -dorischen r- lauten,
»■ • -.
ÜBER BBCETKL, HAUPTPBOBLKICE DBB INDOOBBM. LAÜTLBHBB 391
3) Die p- reihe (Bechtel schreibt mit Fiok p, i, zh. loh schreibe wie früher
Diese lautreihe, die die meisten mit mir für eine reihe palataler yersohlnss-
lante gehalten haben (Die palatalreihe der idg. grundspr. Leipzig 1875) hält Bechtel
(s. 370 fg.) mit Joh. Schmidt (EZ. 25, 134 fg., Urheimat der Indogermanen 8) und
Fick (Vgl. wb. *) für eine grundsprachliche reihe palataler Spiranten. „Welchen weg
die palatalen Spiranten zurückgelegt haben um bei den westeuropaischen gutturalen
verschlusslauten anzugelangen, entzieht sich der erkentnis*^. Bechtel sagt zunächst
gar nicht, welchen lautwert er seinen „palatalen Spiranten*^ beigelegt wissen wüL
Meint er den palatalen Spiranten / (wie in nhd. ich) mit einem dazu gehörigen tönen-
den / und aspirierten yA? Dann wären diese Spiranten im westeuropäischen unmit-
telbar, ohne Zwischenstufe, in verschlusslaute übergegangen, zunächst in palatale
verschlusslaute, die dann neben nicht palatalen lauten zu velaren wurden: der Über-
gang tonloser Spiranten in tenues ist nicht selten, der tönender Spiranten in medien
sehr geläufig (vgl. das anlautende g des niederdeutschen, das erst neuerdings in einem
grossen teil des gebietes media geworden ist aus älterem im nnl. erhaltenen Spiran-
ten). Bechtel aber meint gewiss, nach den von ihm verwanten zeichen zu sohliessen,
den laut des skr. p (= poln. ^ und dazu gehörige tönende z, zh. Diese mouillier-
ten oder palatalen 8 -laute wären dann zunächst zu ;^- lauten geworden (wie im spa-
nischen geschehen) und diese auf dem eben angegebenen wege zu A;- lauten.
Ich kann mich der auffassung Bechtols nicht anschliessen. £ine ursprüng-
liche (nicht aus einer reihe von verschlusslauten erwachsene) reihe palataler Spiranten,
aus tonlosem, tönendem und tönendem aspirierten gliede bestehend, könte erst ange-
nommen werden, wenn auch andre dreigliedrige spiiuntenreihen, oder mindestens
eine solche nachgewiesen wäre, neben dem dentalen 8 ein x und ein xh (wol zu
merken ein vom 8 von haus aus geschiedenes, nicht aus ihm in tönender Umgebung
hervorgegangenes x^). Eine dreigliedrige Spirantenreihe, die palatale, eine für Spi-
ranten abnorme tönende aspirata mit umfassend, ohne parallele Spirantenreihen, aber
neben den dreigliedrigen reihen der verschlusslaute, könte zunächst nur aus einer
filteren reihe von afi&ikaten, ti, dz, dzk, hervorgegangen sein, welche laute nirgends
ursprünglich sind, sondern aus- palatalen verschlusslauten erwachsen zu sein pflegen.
Diesen schluss zieht Bechtel nicht. Es wäre also nur die ost-indogerm. Wandlung der
wo ihnen lateinische und germanische je? -laute entsprechen, aus urspr. kv, gv, gkv
erklären. Dies lezte könte in einigen oder allen fallen richtig sein. Hoffmann weist
hin auf S-i^q = äol. tpi^Q (aus ghve r- : ostslav. ^Sr^ mit ^ als ergebnis der zweiten
slavischen palatalisierung, nicht ^, während das westslav., poln. xtoiirx^, dech. xvir,
und das lit zveri-s auf palatalen anlaut, wie ihn Hoffmann für das wort annimt,
xhveris, zurückweisen). Aber woher sollen denn die übrigen äol. tt- laute vor heUen
vokalen stammen, denen nicht lai germ. jo- laute, sondern ^- laute entsprechen?
Die beschränkung auf lat. ^rm. p- laute ist schwerlich hältbar: Hoffinann hat selbst
ein loch in seine regel genssen, indem er auch dem zahlwort „vier*' trotz lai qua-
tttar den urspr. anlaut kv statt q zuerteilt (äol. niav^eg für *7rvavQ€g, aus der
schwachen form kuiv-, wie (pirvw, Id-vg aus *(pvTV(a, *vd'vg usw.?). Die konsequenz
würde gewiss sein, dass alle q, 3? 3^ für ursprüngliche k, g, gh -j^ v erklärt wür-
den (über xi^ s. o. s. 389 note *). [Ursprüngliche q -^ v nimt 0. Wiedemann an In-
dogerm. forschungen 1, 256.]
1) Bartholomaes indogerm. xh, das, wenn begründet, eine solche lautliche
entwickelung gewesen wäre (gxh, hxh aus gh, hh + s), ist, nach Eretschmers
bemerkungen EZ. 31, 433 fg., von Bartholomae selbst zurückgenommen Idg. forsch.
1, 313.
Mb Am
392
liOLLER
paUtalen verschlusslaute zu einer gemeiDindogermanischeD gemacht, im übrigen nichts
gewonnen : das westeuropäische wäre nur auf einem weiten umwege' wider zum ausgangs-
punkte zurückgekehrt Bechtel hält die annähme einer gemeinindogermanischen palata-
len spiranienreihe darum für notwendig, weil die griechischen x,y,x dieser reihe nicht
durch folgende palatale vokale c, t gewandelt werden: er meint darum, die sprossen der
p- reihe könten nicht verschlusslaute gewesen sein zu der zeit wo die sprossen der
k' und der g- reihe vor palatalen vokalen palatalisiert wurden. Ich glaube nicht, dass
wir in einem so komplicierten falle wie diesem mit Sicherheit sagen können, dass wir
alle möglichkeiten des lautwandels übersehen: es kann sehr leicht ein fehler in der
rechnung bestehn. So kann in unserm falle der fehler leicht da Uegen, wo wir einen
schwachen punkt bemerken, in der von Bechtel angenommenen Vertretung der k-
reihe vor c, « im griechischen. Die x- laute der xdrig, y^Qavog, in denen Bechtel
die Unregelmässigkeit sieht, könten mit Brugmann die regelrechten Vertreter dieser
il- reihe, die r- laute in aiHa) und genossen dagegen die regelrechten Vertreter der
9 -reihe sein, und die Unregelmässigkeit entweder in diesen vorgriechischen q, s, ^
oder in den aussergriechischen Vertretungen dieser g- reihe liegen'. Die k (entspre-
chend überall die modien und aspiraten) wären dann vor «, t zu palatalen ^, gleich-
zeitig (wie im ostslavischen) die A^ (alte kv, wie alte gf*^, die zusammengefallen
waren) zu palatalen K^ geworden: diese palatalen Ji^ (aus welchen achäisch n)
wären darauf im nicht achäischen griech. zu t'^^ woraus r, umgesprungen, während
die palatalen U im übrigen blieben und mit den giTindsprachlichen palatalen zusam-
menfielen.
Angenommen jedoch, dass Bechtels prämissen richtig, so müste ich seine
Schlussfolgerung bis auf weiteres gelten lassen. Aber ich würde dieselbe doch nur
gelten lassen können für das griechische, nicht, wie Bechtel will, für das gomein-
indogermanische. Brugmann in seinem Orundriss § 380 nahm einen dialektischen
unterschied in der behandlung der palatalen (Bechtels p- laute) für die indogerm.
grundsprache an. Ich halte dieses für richtig. Diese differenz braucht für die grund-
sprache in nichts anderem bestanden zu haben, als dass im weston reino palatale
verschlusslaute K, g, gh, im osten diese laute mit nachgeschlagenem > oder j gespro-
chen wurden, JU^ ^, g/ifi (ebenso wie das gemein -englischfriesische ein solches JK|
gehabt hat = tie. ee, an stelle des spätem engl, eh, fries. tx, sth, sz usw.). Das
griechische würde sich, wenn Bechtel it^cht hat, zum osten gestelt haben. Die wei-
tere entwickelung wäre im osten gewesen Uj > t'ä > ä (oder stellenweise vielleicht
iy > ty > /), entsprechend gj "> nfi "> z (oder gj > d'y > y): im griech. wären
endlich die palatalen Spiranten auf dem oben angegebenen wege zu verschlusslauten
X, y gewoitien*. Es könten auch wol jene U* oder Kj gemeinindogermanisch gewesen
sein: im italischen, keltischen, germanischen wäre dann die palatale affektion auf-
gegeben, ebenso wie heute auf Seeland die gemeindänischen K'j, gj {ig, gj der schrift)
zu X', ^ geworden sind. Anzunehmen, dass die westeuropäischen verschlusslaute auf
1) Ä >«;•><«> 5 >;r > k.
2) So könten z. b. ae. eüfor-iamb, ahd. chUburra „kmm*^, aus denen auf
ursprünglich g für &(X(fijg^ ASfXiffög und zubehör geschlossen wird, den anlaut k
für kw von ae. eealf, ahd. ehalp übernommen haben.
3) Der tönende aspirierte spirant sh zur tonlosen aspirata / =: M nicht auf
dem wege yÄ >• /A >> M (wenn /, x ^^ o^° ^^^ tonlosen und tönenden Spiranten
bezeichnen), denn /A wäre gewiss mit / zusammengefiülen, sondern auf dem weg«
yÄ > ^Ä > M.
ÜBER BBCHTEL, HAÜFTPBOBLSUE DER IMDOGKRM. LAUTLEHRE 393
demselben umwege wie die griechischen entstanden seien, ist (wenn Bechtel für dsa
griech. recht hat) ebenso wenig notwendig, als es um des schwedischen tx (ti, ti)^ j
willen nötig wäre anzunehmen, die seeländischen U^ g seien zunächst aus palatalen
Spiranten /' oder i mit dazu gehörigem tönenden hervorgegangen.
Bechtel nimt (s. 364 fgg. 370 fg.) mit Job. Schmidt einen Zusammenhang
zwischen den griechischen t, &, & als Vertretern der beiden ersten reihen und den
indoiranischen und slavischlitauischen palatalen an. Die grundsprache, meint er
(371), habe eine palatale 9'- reihe und eine palatale K- reihe gehabt (vor palatalen
vokalen an stelle der q- und A;- laute), für eine dritte palatale X5- reihe an stelle der
Bechtelschen p- reihe sei kein räum. Dieses lezte argument ist nicht zwingend: waren
diese ältesten palatale schon zur stufe Xf» {Kj) vorgerückt, dann könte daneben wol
eine vom parasiten noch nicht afficierte Xf- reihe aufkommen. Aber dass die beiden
reinen palatalreihen, die 9'- reihe und die X^-i*eihe, wie in Westeuropa geschehn,
reinlich auseinander gehalten wären, scheint mir höchst unwahrscheinlich. Ein
palatales oder mouilliertes q' hätte auch schwerlich den labialen nachschlag 1^ erfah-
ren, den das 9 in Europa ohne das slavisch- litauische erfahren hat Sicherer
würde es dann sein, wie eventuell die palatale affektion der c-i*eihe (l^ oder £;'),
ebenso die labiale affektion der 9 -reihe schon der grundsprache als gemeinindoger-
manisch zuzuschreiben, q** oder qv (woraus vor palatalen vokalen q'^ oder 9 r) ':
die labiale affektion wäre im osten nachträglich wider geschwunden wie die palatale
im Westen.
Den Zusammenhang zwischen der griechischen palatalen affektion der beiden
hinteren A;- reihen und der indo- iranischen will ich durchaus nicht bestreiten, da
lautwandlungon bis in die späteste zeit über die grenzen von dialekten und sprachen
hinweg sich verbreiten können: jedenfais ist dieser palatalismus jünger als die affek-
tion der grundsprachlichen palatalreihe. Ein terminus ad quem für das eintreten
jener affektion im osten ist die indoiranische Wandlung des e in a. Im slavisch-
litauischen hat noch das gemeinslavolit. ^, das an stelle des Bechtelschen 9 erecheint,
Ä;> laute in derselben weise beeinflusst wie die älteren e und i. Im griechischen steht,
wenn, wie ich zu glauben geneigt bin, Brugmann gegen Bezzenberger und Bechtel
recht hat, natürlich nicht allein die affektion des ^ und kv, die zu t führte, son-
dern ebenso die durch diese vorausgesezte affektion des k in U (s.o.) in xäXffg, yiQa-
voq mit der indoiranischen und slavolitauischen palatalisierung beider hinteren A;- reihen
in Zusammenhang. Mie diesen griechischen palatalen, die x^ y^ x blieben, verhielt
es sich genau ebenso wie mit den speciell litauischen k, g vor palatalen vokalen,
die auch reine palatale verschlusslaute geblieben sind. Der grundsprache jedoch kann
diese im osten geschehene affektion dieser beiden reihen nicht mit Sicherheit zuge-
schrieben werden. Bei ansetzung grund sprachlicher formen darf sie (bei dem jetzigen
stände unserer kentnis) nicht in der schrift bezeichnet werden, denn solte sie bereits
indogermanisch gewesen sein, so wissen wir nicht, ob nicht auch (wie im heutigen
russischen) alle möglichen andern laute durch folgenden palatalen vokal mouilliert
oder palatalisiert worden sind, so dass wir, wenn wir q', U vor e, % schreiben, vor
denselben vokalen auch t\ p\ n^ m\ i usw. schreiben müsten.
Das lezte 10. kapitel (s. 380—390) lehrt in der Überschrift: „/ gehört der
Ursprache an''. Dies folgt aus „Fortunatovs regel'^ (Bezz. beitr. 6, 215—220),
1) Sezt man dieses «', «<, so kann man sich mit einer reihe von zeichen, k, g,
gh, begnügen: g^B^ni-s, ikhd-s usw.
« "^l^i«.*
394 8UM0NS
Dach welcher / + dental im sanskrit mit schwand des l durch den lingual vertreten
wird {ani- «achsennagel'^ aus cUni-, ahd. lun; patala- «dach, hülle, decke, Schleier"
ans peU'y gr. nilrfi, altn. feldr «decke*^; pufa- „falte*^ auspZto- oder Bechtels paUo-y,
während r + dental im skr. unverändert bleibt. Ausnahmen von der regel sacht
Beohtel auf den lezten Seiten 385 fgg. zu erklären, entweder durch geschehene dia-
lektmischung innerhalb des indischen oder durch systemzwang (wie wenn das pari
pün^ »^oU^ das r seines wurzelverbs, prfis. piparmi „fülle* festgehalten hat Ich
glaube eher, dass ür aus qU überhaupt auszunehmen ist, da hier der dental ursprüng-
lich nicht unmittelbar folgte, ü'rna „wolle*', mardhän- m. «haupt'' ae. acc. moldan
m. „Scheitel*^).
Die nach dem vorwort gestrichenen kapitel und namentlich den „anhang über
den ursprachlichea accent'' möchten wir dem Verfasser nicht gänzlich schenken:
hoffentlich kann er uns einmal in der folge seine gedanken imd seine resultate auch
betrefs dieser probleme in einer gestalt vorlegen, die ihn selbst und uns befriedigt,
wie das, was er uns in dorn vorliegenden buch gegeben, wenn auch wol nicht alle,
doch hoffentlich die meisten leser und jedesfals den unterzeichneten referenten im
grossen und ganzen befriedigt und dem Verfasser zu dank verpflichtet hat
Einige zu ende des buches nicht berichtigte druckfehler, die ich mir bemerkt
habe, sind: s. 114, z. 3 v. o. lies a//n. (oder a»s/.?) statt aesn. S. 226 in der noie
1. 213 statt 253. S. 328, z. 10 v. o. 1. Ifl statt kSf. 8. 340, z. 15 — 17 waren nicht
die k unter südeurop., die h^ unter germ. zu setzen, sondern die beiden reihen
kt k^ usw. ohne Zwischenraum zusammenzudrucken.
FREDRRIXSBERO (kOPBNHAOXN) , FKBB. 1892. HSUfANN MÖLLKR.
Die Y^lsungasaga. Nach Bugges text mit einleitung und glossar herausgegeben
von WniMlm Baiüseh. Berlin, Mayer k MüUer. 1891. XVm, 216 s. 8.
m. 3,60.
Die bestinunung der vorliegenden ausgäbe ist, wie der herausgeber im vorwort
bemerkt, „für lehrzwecke, insbesondere für die erste nordische lektüre*' zu dienen.
Aus personlicher erfahrung möchte ich der Verwendung der Y^lsungasaga für den
angedeuteten zweck, trotzdem sie den nicht gering anzuschlagenden vorteil bietet,
dass sie den anfänger in einen ihm teilweise bekanten stofkreis einführt, nicht
unbedingt das wort reden. Dass die Y^lsungasaga den älteren tslendingasQgur sti-
listisch weit nachsteht, ist bekant Bedenklicher aber ist ein anderer mangel, der
munittelbar aus der entstehungsweise der saga hervorgeht Als paraphrase von alten,
vielfach bearbeiteten und interpolierten liedem, die dem sagaschreiber häufig genug
nicht mehr verständlich waren, ist die erzählung ohne fortwährende hinzuziehung
und vergleichung der zu gründe liegenden Strophen, die doch dem anf&nger nicht
zugetraut werden kann, weder überall leicht fasslich noch besonders genussreich.
Und nun gar in den partien, wo durch die grosse lücke des Codex B^ns die ver-
gleichung der quellen versagt, lässt sich die erzählung häufig nur unter der voraos-
setzong verstehen, dass der Verfasser Strophen, deren Zusammenhang und sinn ihm
unklar waren, in ungefKhrer prosaischer Umschreibung ihres Wortlautes wideigegeben
hat So kann ich in den kapiteln 28 und 29, besonders im lezten, oft nur ein
zusammenhangsloses gestammel entdecken, womit sich „für die erste nordische lek-
türe* nicht viel anfügen lässt
ÜBER YOLSüNOASAeA ED. SAinSCH 395
Doch soll durch dieses bedoDken das verdienst des heransgebers nicht geschmä-
lert werden. Als einzige zugleich ausführliche und zusammenhängende quelle für die
nordische gestalt der Nihelungensage verdiente die saga eino handliche neue ausgäbe.
Bugges text in den „Norröne skrifter af sagnhistorisk indhold* (Det norske oldskrift-
selskabs samlinger YIII) ist nicht leicht mehr zu beschaffen und entbehrt sowol einer
einleitung' als eines glossars, während Wilkens ausgäbe (1878) sich über zwei bände
eistreckt (das glossar erschien 1883 besonders) und überdies wegen ihrer verwirrenden
einleitnng dem anfänger nicht empfohlen werden kann. Sanisch gibt nach einer ein-
leitung, die meines erachtens den am wenigsten befriedigenden teil der ausgäbe bil-
det, einen abdruck des textes (s. 1—79) und ein ausführliches glossar (s. 80—212)
nebst namenveizeichnis (s. 213 — 16).
Der tezt ist ein mit Bugges genehroigung veranstalteter abdruck des in den
,,Norrone Skrifter*^ veröffentlichten, doch in der oi'thographie verschiedentlich von
diesem abweichend. Ranisch verwendet die typen ^, 0, e (=0»), e (= tf), braucht
ß auch im in- und auslaut, x statt a nach II und nn (mit nicht streng durchgeführ-
ter Vereinfachung des vorhergehenden consonanten), ferner x statt eines dentals + s
und in der medio- passiven form des verbums (also z. b. ilxka, menxkr; sverx, ox;
hafax). Über die consequenz dieser Orthographie liesse sich bekantlich mit dem her-
ausgeber rechten, zumal auch die vorse sich derselben haben fügen müssen; ich
unterlasse es jedoch auf diese (rage weiter einzugehen. Von den besserungsvorschlä-
gen, welche Bugge in seiner ausgäbe unter dem texte, in den anmerkungen hinter
dem texte und auf dem Umschlag in den „tillseg og rettelser'^ bietet, sind viele mit
recht aufgenommen, und der herausgeber hätte bei einem für anfänger bestimten
buche in der herstellung eines lesbaren textes inihig noch etwas weiter gehen können.
Freilich war die grenze schwer zu ziehen, wenn von dem eigentlichen plane, einen
reinen abdruck des Buggischen textes zu geben, einmal abgewichen wurde. Als bei-
spiel erwähne ich c. 29, z. 113 (Bugge 153'*), wo Sigur)>r, indem er seine unaus-
löschliche liebe zu Brynhildr, auch nach seiner Vermählung mit Gu|>run, beteuert,
u. a. äussert: en af mir bar ek, sem ek mätta, ßcU er ek var i konungshqU, ok
unßa ek ßvi ßö, at vir vdrutn qll saman usw. Ich kann der stelle nur dann einen
vemünfkigen sinn abgewinnen, wenn man die von Bjömer vorgeschlagene, von
Bugge fragend wider aufgenommene conjektur acceptiert: mdtta, ßd er ek var (so
auch Wilken und G. Vigfüsson Cpb. 11, 539), oder nach Bugges verschlag in den
„tillaBg*^ Pat ganz streicht Die deutung der Überlieferung in Ranischs glossar s. v.
bera (s. 91^) vermag ich nicht recht zu verstehen; richtig übersezt Edzardi: „doch
unterdrückte ich es, soviel ich vermochte, die weil {=:ßfi er oder er) ich im königs-
saale war*^. Zum absoluten gebrauch von bera af sSr in der hier geforderten bedeu-
tung „sich in etwas finden, sich über etwas hinwegzusetzen suchen' vgl. z. b. Laxd.
0. 76 (ed. K&lund 283^^): Oußrunu ßötti mikit fräfall pwrkeU, en bar ßö ekqndiga
af sSr; weitere beispiele bei Fritzner* I, 128*. In diesem wie in manchen ähnlichen
fällen hätte dem zweck der ausgäbe die aufnähme einer leichten emendation besser
entsprochen als die beibehaltnng einer nicht oder schwer verständlichen lesart Viel-
leicht wäre es auch wünschenswert gewesen, in den dem texte einverleibten Strophen
1) Noch der mnsohlag des dritten heftes der „NorrOne Skziftar'* (1873) Teripridit eine einlei-
tnng, die n. a. nntermchnngen ,,oin Tedkommende aagaer, aange og sagn** entfaaltn aolte. Wir yer-
dnnlcen Bngge so viel, dass ihn za mahnen undankbar erschienen k5nte. So mOge sieh nur sehfiditsm
der mmsch hei vai wagen, dan anch diese einleitnng nns noch einmal die leiohe belehnng imd anrsgnng
■pettde , ohne welche keiner von einer Boggischeo arbeit sich trent.
Pa.£-.
396 SIJM0N8
erhaltener and verlorener lieder sichere metrische besserungen nicht zu verschmShen,
also z. b. stf. 22^ vip himni in vip himin zu ändern, das auch sprachlich den Vor-
zug verdient (vgl. Vsp. 57' Hyndl. 42*. Helg. Hund. II, 38 *• u. ö.), sowie ande-
rei*8eit8 metrisch verderbte zeilen irgendwie als unrichtig zu bezeichnen, wie z. b.
str. 23 ^ bliku reipi (reid Cd.)* Unter dem teide ist auf die quellenstellen verwiesen,
dagegen sind die handschriftlichen lesarten, wo der tert von ihnen abweicht, nicht
verzeichnet.
Im gl ossär liegt entschieden der Schwerpunkt von Ranischs arbeit. Der her-
ausgeber bat es „in nahem anschluss an Wimmers musterglossar zum (sie!) Lsesbog
(sie!) gearbeitet*^. Ohne sein muster zu erreichen, darf es doch als sorgfaltig, ver-
ständig und seinem zwecke durchaus entsprechend gerühmt werden. Die bedeutungen
sind, soweit ich nachgeprüft habe, in guter anordnung aufgeführt, schwierigere aus-
drücke volständig übersezt, die nötigen grammatischen fingerzeige hinzugefugt, sodass
es den anfänger kaum irgendwo im stiebe lassen dürfte. Wilkommon sind auch die
gotischen entsprechungen ; hie und da wird auch auf andera germanische sprachen
verwiesen (so s. v. afl, afla, apaldr, drcUigar, blatär, rekkr)^ doch ohne ersicht-
liches System, unter aka wird gar lat tigere angezogen. Bichtiger wäre es gewesen,
wenn der herausgeber sich aufs gotische beschränkt, hier aber nach möglichster vol-
ständigkeit gestrebt hätte. Für den anfänger ist es femer verwirrend, dass nicht
geschieden ist zwischen völliger identität der got und an. Wörter und loserem zusam-
menhange. Gegen eine formel wie d (got. ana) , akr (got akrs) ', hjarga (goL bairg-
an) ist nichts einzuwenden; aber bei bdptr (got. bajöps)^ berg, bjarg (got betirga-
hei)^ daupi (got dauptts) u. ä. wäre ein „vgl.*^ als Warnungstafel wol am platze
gewesen. Vor allem aber wie gesagt hätte der herausgeber den gotischen Wortschatz
noch eifriger ausbeuten können. Beim durchblättern des glossars sind mir die folgen-
den got. entsprechungen aufgestossen, die nach Ranischs System hätten angeführt
werden sollen: aldr (vgl. got framaldrs adj., ein bahuvrihi- compositum?); zu atim-
i^gf vgl. got anns (Noreen Ark. 6, 313 fg.); band: vgl. got bandi; blaupr: vgL
got blaufy'an; blömi: got *bldma^; zu dul vgl. got. dwals und seine sippe; eigna:
got ga-aiginon; einnhverr: vgl. got ainhwarjixuh; eypa: vgl got *auPs; fdr:
vgl. got. *ferja „nachsteller''; zu den compositis mit fjql- waren die entsprechenden
mit got fUu- heranzuziehen; zu fldr wäre dem anfänger eine Verweisung auf got
ga-piaihan nützlich; [frd: got /ra- findet sich nur in der Zusammensetzung]; fripa:
got. ga^fripdn; fyrirkoma: got. fa/uraqiman; gdigi: got galga; gaman doch wol
= got. gaman xoivtavta II Cor. 13, 13 (s. Kluge, Kuhns ztschr. 26, 70. J. Schmidt,
Idg. neutra s. 25); gaumr: vgl. got gaumjan; gipta: vgl. got fra- gifte; zu gneipr
dürfte got ganipnan zu vergleichen sein; gnött: vgl. got ganohs; gramr: vgl. got
gramjan; hamr: vgl. got -hani^; heü: got ga-hait; zu heida wäre zu verweisen
auf got hoMde (an. hqküll)\ heipta: got haftjan; hJjöta: vgl. got. hiauPe stm«; zu
hljöpr, hl^pa vgl. got *kliup stn.? (an. hf/öp); hUgja: got uf-hldhjan; krieta:
vgl. got "hriejan; keyra entspricht lautlich genau dem got. katujanf und auch die
bedeutungen lassen sich vermitteln; leyna: got ga-laugnjan (sik); lifna: got af-
lifnan; liki: got ga-ieiki; linbrök: vgl. got lein; zu Ijöp vgl. got HuPon, Hußar-
eis; menxkr: got mannisks; mettr: zu got vnatjan; m^l^a: vgl. got rnüka-mödei;
1) arkn 881» ist ein unschidlioher dnickMilor. BedoDldicher ist s. v. Mfir: got. bmin; lies
MRTt.
2) Belegt ist nnr aoc. pl. bISmana, doch vgl. ansser an. bl6mi auch ags. bl6ma, aa. bifimo, tM,
bbtomD,
ÜBKR VOLSüKOASAOA ED. RANISCH 397
ofr (od. of): vgl. got. uß6 ^überfluss" 11 Cor. 9, 1; reyrieinn: vgl. got. raus;
zu 8€Ur vgl. got. seUjan ^ wohnen'^; seinn: vgl. got. aainjan; sißr adv. comp.: goi
ßana-seißs; skapi: vgl. goi skaßis; anarpr: vgl. got at'Snarjyjan; snjör: got.
snaür^; sporßr ist wol = goi spaürds; zu «/flrA;a vgl. got. kleißra-stakeins, auch
^stctks (stakins)?; sveUa swv.: vgl. got. swiltan (an. svelia, 8valt)\ zu to^ vgl. got.
tikan; traust: vgl. goi trausti; üborinn, ükunnr, üviss^: got. «<9t2)auran^, «m-
kunßs, umceis; zu t«^^r, urt^r, tiz^^'nn vgl. got. unnuts, untpita, uniceniggö; tdlar-
lagPr: zu goi umlla; vargr: goi launa-tcargs; ve: vgl. got weihs; vist: zu goi
triffan (an. »era); t^^t; vgl. goi fra-weit, id-weit; v^'nta: vgl. goi wef^'an (an.
9<vmr); perra: vgl. goi gapairsan; pS = goi j^c^^iA (ags. ^^<iÄ); porpari: zu got.
ßaürp (an. Porp)\ zu Prutna vgl. got. prutsfill, us-priutan (an. Pfjöta); Pverliga:
vgl. goi pwairhs; pyrft: goi paürfts; zu />y<r vgl. goi put -kaum; Pqkk: vgl. goi
Pagks; qvi: vgl. got. atir«; qndverpr: goi andwairps. Hiermit sei die liste geschlos-
sen, obwol gewiss noch manches übersehen ist.
Indem ich einzelne bemerkungen zum glossar, die sich natürlich unschwer
machen lassen, unterdrücke, hebe ich noch einmal ausdrücklich hervor, dass ich
dasselbe trotz der gerügten nngleichmässigkeiten als eine rühmenswerte und nutz-
bringende arbeit betrachte.
Leider kann der einleitung nicht dasselbe lob gespendet werden. Ranisch
bemerkt über sie im vorwort, sie solle „einen überblick über die nordische Nibelun-
gendichtung bis auf die Vglsungasaga ^ geben, unter besonderer benutzung von Mül-
lenbofEs abhandlungen in der Ztschr. f. d. a. 10, 146 fgg. 23, 113 fgg. und dem
(inzwischen erschienenen) kommentar zu den eddischen 8igurl>sliedem (Deutsche alter-
tomskunde V, 2); manches eigene sei „freilich mehr behauptet, als bewiesen'^.
Schwerlich dürfte diese angäbe über zweck und anläge der einleitung zugleich auch
ihre rechtfertigung enthalten. Was man an oi'ster stelle in einer einleitung zu einer
neuen ausgäbe der Y^lsungasaga zu linden hoft, eine erörterung der litterargeschicht-
lichen Stellung des denkmals, sucht man vergebens; denn dio hastigen notizen am
Schlüsse (s. Xym), zwanzig zeilen, können gewiss nicht dafür gelten. Von der Über-
lieferung, dem Verhältnis der saga zur liedersamlmig, zur Ragnarssaga, zur l'idi-eLs-
saga, zu den rimui*, ist nicht oder kaum die rode. Statt einer wünschenswerten
Zusammenstellung der litteratar über die saga wird der „ anfanger '^ in einer schluss-
uote abgespeist mit einem hinweis auf meine Untersuchungen über die Y^lsungasaga
iu den Beiträgen und die einleitung zu Edzaixiis nicht näher namhaft gemachter Über-
setzung — tmd ist 80 klug noch wie zuvor, fals er nicht Edzardis ausgezeichnete
einleitung hinzunimi Anderei'seits darf billig bezweifelt werden, ob demjenigen^ der
Ranischs buch als „erste nordische lektüre*^ benutzen soll, mit dem zwar vielfach
ansprechenden, aber nirgends über blosse andeutungen und voimutungen hinauskom-
menden chronologischen überblick über die eddische Nibelungendichtung gedient ist,
der den grösseren teil der einleitung bildet (s. XI — XYIII). Ranisch unterscheidet
von den alten liedem des 10. Jahrhunderts — Reginsm61, Fäfnismäl, Sigrdrifumäl,
das lied (oder die lieder), das c. 26. 27 der Ys. zu gründe liegt, Brot af Sig., das
fast volständig sein soll, anfang und schluss der Sig. skamma, Atlakvi{)a, Ham{>is-
mäl — die gedichte einer zweiten, um 1000 anhebenden litteraturepoche, recapitu-
1) Doch ist in der bedeatong nimgewiss" wol üvias anzasetzsii tmd in diesem falle got. '«hwim
xa vecgleiotien. Entspredhend waren s. ▼. iAas die bedeatnngen 1) und 2) zu trennen als v(m (got. -WMt)
und viaa (got. *-icm<). Mit recht nimt Bernhardt tmiMfaMma I Cor. 9« 26 (die einzige stelle, wo sich
das wort findet) als Schreibfehler fOr unwiaaamma.
.»r . UM
3d8 8IJMON8, ÜBER V0LSUNOA8AOA ID. RANI8CH
lationsgedichte, Prophezeiungen, ausmalungen von rührenden Situationen (s. XIV —
XYII). Als jüngstes unter den heldenliodern der Edda gilt ihm mit recht die rein
dialogische Gripiss])^ (s. XVII fg.)- Manche gute und fördernde bemcrkung fliesst
dabei unter, kann aber eine blosse aneinanderreihung von behauptungen über eines
der schwierigsten litterarhistorischen probleme an ungeeignetem orte nicht rechtfer-
tigen. Was nützen dem anfönger annahmen, wie die der interpolation von Fafn. 41
(s. XII anm. = DA V, 367), die kritische Sichtung der Sig. sk. (s. XITT, vgl. DA V,
373 fgg.)i die erörterung über das gegenseitige Verhältnis der drei Guf>runlieder
(s. XVn, vgl. DA V, 370. 392. 396 fgg.) usw., wenn er sich nicht bei Müllenhofif
die nähere begründung sucht? In einer besprcchung der Deutschen altertumskunde
V, 2 komme ich auf einige der hier berührten fragen zurück. Zu Ranischs deutong
von Sig. sk. 34 — 41 (s. XV fg.), die ihm soweit ich sehe eigentümlich ist, darf ich
auf diese ztschr. XXIV, 25 fgg. verweisen.
Der erste teil der einleitung (s. V — XI) skizziert die vorauszusetzende frän-
kische gestalt der Nibelungensage, sowie die speciell nordischen Umgestaltungen der-
selben, die zwischen der ersten aneignung der sage und der eddischen dichtung lie-
gen. In allen hauptpunkten schliesst Ranisch sich an Hüllenhoff an, sodass auch
für mich zum widersprach nur in einzelheiten eine veranl&ssung vorliegt Auf die
Brynhildr-Sigrdrifafrage einzugehen darf ich mir durch einen hinweLs auf diese Zeit-
schrift XXIV, 1 fgg. erspai'en. Mit MüUenhoff verlegt Ranisch auch den wesentlichen
inhalt von c. 1 und 2 der Vs. in die fränkische sage: dem gegenüber beharre ich
bei meinem widersprach (s. Pauls Grundr. n, 1 , 24). Weder für die erzählangen
von Sigi und Rerir, deren namen schon genügend ihren nordischen Ursprung ver-
raten, noch für die abstammung des Welsimgengeschlechtes von ö{>inn lassen sich
in dor deutschen sage die leisesten andeutungen entdecken, und Müllenhoff gelingt
nur durch die annähme einer lücke in der Überlieferung, die Ranisch s. VI ,, nicht
unbegründet '^ findet, die herstellung eines verständigen Zusammenhanges. Gegen
meine behauptung, dass der intavvfiog des geschlechtes, Walis, der ältesten fränkischen
sage auch a]s der stamvater desselben gegolten habe, wendet Martin in seiner
besprechung der betreffenden lieferang des grundrisses (diese ztschr. XXTTT, 369) ein,
dass dessen name weiter zurück deute, der „ echte '^ sei doch der echte abkömling,
und man frage natürlich, wessen? Aber Walls (got walia) bedeutet zunächst nicht
„echt*^, sondern „auserlesen*^, wie die etymologie und die Verwendung des got a^jec-
tivs^ lehren: leider steht die bildung in den germanischen sprachen vereinzelt (doch
8. Müllenhoff, Ztschr. f. d. a. 23, 172 fg.), sie schliesst sich aber ungezwungen an
griechische ai^ectiva wie alri&rig „unverhohlen'*, univ&Tig „unerforscht", die mit der
für ein westgerm. *wali8 (ags. Wcels) vorauszusetzenden suffixbetonimg die bedeutung
des part perf. pass. verbinden. Bragmanns aussprach: „adjectiva von der art des
gr. ^jfEvdrig &va'fitvi]g sind [im germ.] wol nicht vorhanden** (Grundriss 11, 395)
bedarf demnach einer einschränkung. Weshalb nun der stamvater eines geschlechtes
nicht „der auserlesene*' heissen solte, ist nicht abzusehen. Ein Welisung als patro-
nymicum zu ^ Walis (ZE nr. X, 1) = ags. Walsing, an. Vqlsungr entspricht seiner
bildung nach dem Berhtung der Wolfdietrichssage, welches patronymicum gleich fais
1) Col. 3, 12 gmoaJUdai guips, weihams jah vtaKaans ixlexrol &eoVy aytoi xal rjyanij/uuro*. Zwar
ftbenest es Fhü. 4,8. X Tim. 1 , 2 und Tit. 1 , 4 gr. yvi^atogf «ber in der bedentnng ,, trea beflmdeQ".
In der stelle n Tim. 2, 1 hat waH»6 keine entsprechnng im original. Bemerkenawert ist der «asschlifle»-
lidie gebraneh soihwadier formen, such da, wo man die starke erwartete (ITim 1, 2. Tit. 1,4), dodi
ebenso II Tim. 1,2: Piauhu apanuimibu Trimm^iriaH NmMm bama.
KAUrFMANN, ÜBER MEYER, EDDISCHE XOSMOOONIE 399
auf einen algemein lobenden namen *Ber(a)kt (got. hairkts) ^der glänzende, her-
liche'^ für den stamvater eines fränkischen heldengeschlechtes hinweist Wie die
Ys. irt, wenn sie Sigmunds vater Y^lsungr nent, so ist in unseren mhd. Wolfdie-
trichen die tradition bereits verdunkelt, wenn sie den vater der Berchtonge selber
patronymisch bezeichnen.
Zum Schlüsse noch ein paar einzelheiten. Attilas tod wird s. Y fälschlich 451
statt 453 angesezi — Zu der von Kanisch s. YI angenommenen Kögeischen deutung
des namens Sintarfizzilo vgl. jezt Sievers Beitr. 16, 363, dessen bedenken nicht unbe-
gründet sind. — BaDisch hält s. YIII beide formen der sage von Sigfrids tod —
draussen im walde oder im bette an Gu])runs seite — für alt und meint, sie seien
zugleich nach dem norden gekommen. Die frage, die bekantlich in verschiedener
weise beantwortet ist, soll hier nicht erörtert werden, da ich andernorts auf sie ein-
zugehen gedenke. Hier sei nur erwähnt, dass Ranischs beiiifung aut Golther Germ.
34, 280 anm. diesem gelehrten, dessen auffassung ich übrigens nicht teile, schwer-
lich behagen wird. Golther hat sich mit aller entschiedenheit für die ursprünglich-
keit derjenigen form der sage erklärt, welche Sigfrids tod in den wald verlegt
(s. namentlich seine Studien zur germ. sagengesch. s. 78 fgg. und neuerdings litbl.
1891, sp. 264); und auch die citierte Germania -stelle besagt nicht, was Ranisch her-
ausliest.
ORORIKGBN, 9. DECRHBER 1891. B. SIJUONS.
Die eddische kosmogonie. Ein beitrag zur geschichte der kosmogonie des alter-
tums und des mittelalters von El. Hngro Meyer. Freiburg i. B., akademische
Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). 1891. YU und 118 s.
3,60 m.
Im 5. jahrhundeii; hatte ein byzantinischer künstler es gewagt, Christus mit
den Zügen eines Zeus darzusteUen, in der absieht, die Christen einen Christus, die
beiden einen Zeus im bilde sehen zu lassen. Theodorus Lector erzählt, ein gericht
gottes habe dem frevler die band gelähmt (L. Dietrichson, Christusbiliedet s. 162 fg.).
So dachte schon die alte kirche über Synkretismus. Noch besass sie nichts von der
rigorosen strenge der ecdesia triumphans des 11. und 12. Jahrhunderts. In den kata-
komben sah man den auferstandenen erlöser als Helios auf dem sonnenwagen zum
himmel fahren oder den göttlichen hohopriester im bilde des Orpheus aUer kreatur
seine wunderbaren werte verkündigen (Dietrichson s. 158. 160). Es liegt etwas in
diesen darstellungen von dem geiste jener zeit, da nach Lactanz die missionare von
der heidnischen bevölkerung der antiken weit zu hören bekamen, dass auch sie an
einen gott glaube, dass sie denselben gott anbete wie die Christen — mit dem ein-
zigen unterschied, dass sie ihn nicht Christus, sondern Jupiter nenne. Der gegen-
satz der kirche zu der antiken kultur war ein total anderer als der gegensatz der
kirche zu der germanischen welt^ Yen jener borgte die kirche das gewaltige rüst-
zeug, mit dem sie diese sich unterworfen hat. Es ist folglich ganz und gar unhisto-
risch, wenn in der vorliegenden studio Juvencus für einen Saemundr zeugnis ablegen
solL Es ist damit gerade so bestelt, wie mit dem taufstein von Otfcravakyrka
1) Man beachte namentlich den nntenchied der cbristlicfa anlJsefSrbten heidnischen litteimtar
(Aeachylos, Sophokles n. a.), worabor Oieseler, Kirchengeschichte I, 1, 225 and die daselbst citierte
SSchrift von Aug. BOckh za yeigleichen ist.
' . ^
400 KAX7FFHANN
(8. 23), der nach Meyer ums jähr 1000 (!!) gearbeitet ist und nnter alten Christas-
Symbolen Thor mit hammer und drachen darstelt Ich habe denselben im Stock-
holmer museum selbst gesehen und kann nur bestätigen, dass die von Hans Hilde-
brand gegebene deutung auf den steinhauer, der am taufstein arbeitet, die einzig
mögliche ist, H. Hildobrand, Fränäldre tider s. 24 fg. (Statens Historiska Museum
s. 77). Ich habe nicht die absieht, auch den übrigen ,, vermumm ungen ^ die maske
zu lüften. Es bedarf nur des beweises. dass die grundvoraussetzung Meyers, die
heidnischen Germanen könten überhaupt eine kosmogonie gar nicht gehabt haben,
irrig ist. Diesen beiveis zu führen, macht keinerlei Schwierigkeiten. Über den baby-
lonischen Schöpfungsbericht hat sich £. H. Meyer seine eigenen gedanken gemacht,
die um so weniger gegenständ der discussion sein können, als die neuesten auf-
schlüsse der jüngst entzifferten sumerischen tafel einen fachmann zu ganz andern
resultaten geführt haben (vgl. Deutsche rundschau 1891, juUheft s. 105 fgg.); und
was den platonischen Timaeus betrift, so ist mit der ganz vereinzelten sogenan-
ten Übereinstimmung, die Meyer s. 107 fgg. darlegt, so lange nichts gewonnen, bis
Meyer den zwergkatalog als gleichzeitig mit den umgebenden partien nachgewiesen
und nach den arten der dämonen in gruppen aufgelöst hat — eine Sisyphusarbeit,
die nur in den äugen derjenigen gelingen wird, die mit Meyer glauben, der Yölnspa-
dichter könte die von heftiger leidenschaft ergriffenen wesen des Chalcidius in dem
einen Al|)j6fr zusammengefasst haben (s. 109). Mir falt bei diesen und andern sogenau-
ten Übereinstimmungen die hübsche geschichte von pastor Richardt und Lope de Vega
ein, die ich bei Joh. Steenstrup, Yore folke viser fra middelalderen s. 272 fgg. nach-
zulesen bitte.
Den grundirtum der Mey ersehen schrift bildet das Vorurteil, in den eingangs-
strophen der VqlospQ sei uns eine kosmogonie überliefert, das wort in dem sinne
genommen, wie wir es z. b. für den mosaischen schöpfongsbericht zu gebrauchen
pflegen. Meyer kämpft gegen Windmühlen. Schon AVilh. Müller hat darauf hin-
gewiesen, dass die götter im Schöpfungsbericht der Scandinavier mehr als Ordner
und bildner, denn als eigentliche Schöpfer der naturzustände auftreten. Den göttem
wird kein urbeginn, vielmehr ein begrenzter anfang wie ein begrenztes ende zuge-
messen. Die ewigkeit der materie, die ketzerische philosophenlehre von der priorität
des weltstoffes, welche der mittelalterlichen kirche so viel zu schaffen gemacht hat,
bildet auch den ersten differenzpunkt der christlichen und der heidnisch -germanischen
legende. Die germanischen götter haben die geimanische kulturordnung geschaf-
fen, nicht unsem planeten, der vor ihnen gewesen und nach ihnen sein wird. Alles
liegt begriffen in den weiten der volva: Bors syner petr es mipgarß mairan seöpo.
Die götter sind es, welche die heimat der menschen wohnlich eingerichtet haben.
Die götter haben weder die riesen noch die zwerge noch die menschen erschaffen.
YqI. 10 steht klar und deutlich, von den göttern sei eine art klassenordnung der
zwerge veranlasst worden, und zwar sei Motsogner der oberste, Durenn der zweit-
oberste aller zwerge geworden. Wie ich schon in dieser zeitschr. XXIV, 96 ange-
deutet habe, bin ich ganz mit Meyer einverstanden, wenn auch er die menschen-
schöpfung den zwergen zuweist (s. 107). Askr und Embla haben die götter bereits,
wenn auch als schwache, hilflose wesen, vorgefunden. Die götter haben am men-
scfaengeschlecht nach seinen anatomisch -physischen elementen keinen anteiL Ihnen
verdankt der mensch allein, was ihn zum kulturwesen gemacht hat: den geist und
die seele mit ihren trieben, die körperliche erscheinung nach form und bewegung der
Organe, dazu das blut. Gerade das lezte erscheint für die Germanen besonders
ÜBER METER, EODISGHE KOSMOGONIB 401
bedeutsam, wenn man Leist, Gräcoitalisohe rechtsgeschichte s. 7(56 fgg. vergleicht
Mit all dem weiss sich Meyer nicht zu helfen (s. 111 fg.), und das ist sehr bezeich-
nend. Die vQlya weiss nichts von der erschaffung der tiere, nichts von der orschaf-
ung der lichtkörper usw. Die natürliche weit des organischen und anorganischen ist
älter als die götter. Das göttergeschenk in die urzeitliche natürliche weit ist die
kultur: die götter stehen nach germanischer Vorstellung nicht am anfang der Schöp-
fung, sondern am anfang der geschichte. Man entschliesse sich nur einmal, die
religiöse Überlieferung nicht unter dem bilde eines gewitterschauspiels, sondern als
Zeugnisse aus dem Volksleben des altertums zu betrachten — und man wird hier einen
der angelpunkte germanischer religion erkennen.
Meyer zählt nun aber s. 15 fgg. eine reihe von belegen auf, die seine annähme
bestätigen, dass die Germanen überhaupt nicht reif dazu gewesen seien, eine kosmo-
gonie zu erzeugen. Ich begnüge mich, die reihe dieser belege nur um einen zu
vermehren, der dem belesenen Verfasser nicht hätte entgehen sollen, denn er ist
wichtiger als Babylon und die Ophiten. Er führt uns mitten in das herz Deutsch-
lands. Als nämlich Bonifatius im jähre 719 mit vollmacht von papst Gregor aus-
gestattet die mission in Ostfranken und Hessen eräfnete, wante er sich an den bischof
von Winchester, seinen freund Daniel, der ihm schon a. 718 einen geleitsbrief aus-
stelte und der auch im späteren leben dem missionar ein treuer berater gewesen
ist Es zeugt für den ungewöhnlichen ernst des verehrungswürdigen mannes, dass
er das bekehrungsgeschäft nicht ohne sorgfältige Vorbereitung beginnen weite. Er
hat sich von Daniel auskunft erbeten, wie er den pi'aktisohen missionsbetrieb werde
einzurichten haben. Auf die anfrage ist bei Bonifatius ein schreiben eingetroffen,
das für beide männer ein schönes denkmal acht humaner gesinnung bleiben wird.
Der erfahrene wanderprediger spricht aus jeder zeile dieses briefes (Jaffe, Monumenta
moguntina s. 71). Er warnt den Bonifatius davor, sich zu niedrige Vorstellungen
von seinem heidnischen publikum zu machen. Die einbildungskrafk reiche weit genug,
wenn er es unternehmen wolle, den gesichtskreis der beiden von unserer erde auf
das unbegrenzte all zu erweitem , und ihr verstand sei scharf und geübt genug, seine
apologien zu bekämpfen. Beize sie nicht, indem du ihre vorstellungsweit lächerlich
machst; aber bemühe dich in ruhig sachlicher debatte ihnen die absurden consequen-
zen ihres glaubens zu gemüte zu führen: quatenus magis eonfuse quam exasperaU
pagani erubescant pro tarn abstirdis opinionibtis et ne nos latere ipsorum nefa-
rio8 ritus ae fabtUas estiment. Ich stehe nicht an, diesen brief unter die wert-
volsten denkmäler germanischen heidentums zu rechnen; nicht bloss weil hier einmal
der Vorhang über eine bühne sich lüftet, auf der leibhaftige individuen stehen, noch
mehr weil Daniel seine missionsgrundsätze durch beispiele erläutert hat, und weil hier
einmal ein missionar spricht, der es geradezu verwirft, die heidnische religion ein-
fach zu negieren, vielmehr individuell aus der seele der beiden heraus irtum und
Wahrheit mit einfach logischer conseqaenz sich entwickeln lässt Den reichhaltigen
brief kann ich hier nicht in seinem ganzen werte behandeln. Meyer konte aus ihm
lernen, wie unhistorisch das bild ist, das er sich von den Germanen der heidenzeit
gemacht hat, wie irrig es war denselben jede fähigkeit zu kosmogonischer Spekulation
abzusprechen, wie richtig die YQlospq die sogenante Schöpfung nicht auf das weltall
ausdehnt, sondern auf unsem planoten einschränkt, und wie lauter sie germanisches
heidentum überliefeii;, wenn sie von der ungeschaffenen, seit urbeginn vorhandenen
materie zeugnis gibt Daniel fordert den Bonifatius ausdrücklich auf: quodsi sine
initio semper exstüisse mundum eontenderint — quod multis refutare ae eon-
ZIOTSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOOIE. BD. XXV. 26
m «■»• ^.»^
402 wtnvDi&ucfi
vineere doeumenits argumeniisque stude — tarnen aUereomtes inierroga:
quis ante natos deos mundo imperaret? quis regeret? usw. Die fortsetzüiig der
fragen schliesst schon die taisache in sich, dass der heide dieselben nicht ohne
antwort lässt; und wolte man die fragen als ein am grünen tisch ausgehecktes sdiema
betrachten, so widerstritte dem schon die angäbe des briefes: ne nos latere ipso-
rum nefarios ritu8 ac fabulas estiment. Schlagende bestätigung für den bericht
der v^lva enthalten die fragen: quomodo autem suo subdere daminaiui vel suijtiris
faeere mundum ante se eemper eonsiHentem potuerunt? unde autem vel a quo rel
quando substiiuiue out genüus primua deua vel dea fuerat? Es entspricht völlig
den intentionen des briefschreibers , dass auf solche weise der missionar sich ganz
an den vorstellnngskreis des beiden hingibt, bis er ihn auf dem eigenen gebiete
geschlagen hat Das theogonische problem bringt den beiden schliesslich in die
schlinge der schlussfragen: uirum autem adkue generare deos deasque alios aliaS'
que auspieantur? Vel ei jam non generant^ quando vel cur eeesaverunt a eoneu-
büu et partu? Si autem adkue generant, infinitus jam deorum effeetue nume-
rus est.
Meyer erwartet, dass sein buch nur von dem einzig richtigen Standpunkt aus,
nämlich dem historischen beurteilt werde. Ich habe in vorstehendem nur die historie
reden lassen, die Meyer nicht so versäumen solte, wie es in seinen büchem der &I1
ist Was Meyer zum Verständnis der Snorreschen compilation beigebracht hat, ist
widerum so nützlich, dass ich den wünsch widerfaole, er möge nicht länger wasser
in das bodenlose fass giessen und sich begnügen, das theologische quellenmaterial
der Oylfsginning zusammenzutragen. Die arbeit ist notwendig, und man möchte sie
gerne in seiner band wissen. Entschliesst er sich dazu, die composition der Gylfa-
ginning zu zergliedern, dann werden ihm auch ihre heidnischen quellen in anderem
lichte erscheinen.
MARBÜBQ I. H., DBCEMBIR 1891. FBIIDBIGH KAÜFFMAKR.
Diu Wärheit, eine reimpredigt aus dem 11. Jahrhundert Von £• Weeie.
Kieler diss. 65 s. Leipzig, G. Fock. 1891. 2 m.
, Textbearbeitung nebst darstellung der spräche und verskunst* ist die auf-
gäbe, die sich der verfiisser vorgezeichnet hat, und er lässt derogemäss wie in einem
kleinen ausschnitte die verschiedenen gebiete unserer Wissenschaft an uns vorüber-
ziehen. Solche mannigfaltigkeit wird leicht auch die leistungen etwas beeinflussen,
vor allem wenn ein so vielumstrittones gebiet wie die metrik nur neben andern zur
darstellung komt Freilich Weede lässt die versknnst, die er festgestelt hat, grund-
legend auch auf die textbearbeitung zurückwirken, womit sich seine Stellung in die-
sen fragen sofort kenzeichnet Er sagt selbst (einleitung s. 8): ,Mit grösserer freiheit
bin ich verfahren, wo es sich darum handelte, die zwei verse eines reimpaares auf
die gleiche hebungszahl zu bringen; in solchen fallen habe ich öfters eine ent-
behrliche Partikel oder eine überflüssige adverbiale bestimmung als mutmass-
lichen Schreiberzusatz gestrichen. Die berechtigung solcher änderungen (^ube ich
kapitel Y nachgewiesen zu haben '^. In diesem kapitel geht der Verfasser jedoch
zunächst von der Voraussetzung aus: ,|Wir dürfen dem dichter nicht zutrauen, dass
er vei'se von ungleicher hebungszahl zu reimen verband *^ (s. 47) und streicht dann
i^BKS WBEDB, WABBStT 403
je nach bedürfois nicht nur adverbia wie vil (v. 64. 80)'; tcol (ü9), sondern aach
Possessivpronomina wie mtne in mine vil liehe (v. 27), das doch in v. 126 unbean-
siandet blieb; ähnlich iutoer in 69. Auch inhaltsvollere werte werden gestrichen,
wie in 75 {churxen xüeri)\ der parallelismns wird aufgehoben in 68 (für &ne wnr-
xen unde äne aaf ähnlich 27), der sinn verändert in 49. Vor allem fehlen ver-
suche, zu, erklären, inwiefern die Schreiber zu einschaltungen kommen konten; z. b.
wäre in einer stelle wie 182 des sulen si die not Men die auslassung des pronomens
durch einen Schreiber viel leichter erklärlich, als umgekehrt der einschub. In vers
122. 123 tut die Umstellung bei Weede der syntax gewalt an. Wo nun aber die
Streichungen nicht ausreichten, teilt Weede in zwei verse ab, obwol er hier gegen
die reimtechnik verstösst und gegen die verstrennungspunkte, die uns die Schreiber
ziemlich genau erhalten haben. Und doch ist ihm ja nicht entgangen, dass namentlich
ziir markierung von abschnitten längere verse beliebt sind (s. 48). Ausserdem ist
bei den jüngeren Schreibern hier ein bestreben ersichtlich, überlange verse des Origi-
nals auf kosten der reimtechnik zu kürzen (vergleiche die falschen trennungspunkte
in 90. 91); also scheint es schon hieraus unrichtig, die überlangen verse den Schrei-
bern zuzuweisen, und verse, wie sie Weede mit 38 unde leides ansezt, scheinen
noch bedenklicher als die überlangen.
Nach dieser seite hin möchte ich also die textgestaltung bei Weede nicht unbe-
dingt als fortschritt gegen die ausgäbe von Waag (Kleinere gedichte des XL
und XII. Jahrhunderts. Halle, Niemeyer. 1890. S. 125 fgg.) ansehen, vor deren
erscheinen Weede anscheinend seine arbeit schon abgeschlossen hatte. Dagegen zeigt
sich nach der philologischen seite Weede entschieden im vorteil. Schon die tren-
nung und Umstellung in 18. 19 muss einleuchten, während bei 37. 38 wol noch
nicht alles in Ordnung ist. Olücklich ist die lesung wunde in 112, wogegen in 114
wol besser mit Kraus (A. f. d. a. XVII, s. 29) xiuhet üx einzusetzen wäre. Die
lesungen lieben (27), triuwun (103), ewarte (111), missetrostan (146), winde (165)
haben jedesfals das für sich, dass sio — ohne grammatikalische bedenken zu erre-
gen — die reimtechnik heben. Wenn sie also auch nicht gerade bindend sein kön-
nen, so befriedigen sie wenigstens die forderung, dass eine textbearbeitung auch
etwas von einer arbeit an sich trage.
Die anmerkungen Weedes zu seinem texte verdienen von den verschiedensten
gesichtspunkten ans lob. Dass wir freilich solche, wie die zu v. 49. 75 beanstan-
den, erklärt sich aus dem oben gesagten. Die ausführungen über die spräche und
über den versbau des gedichtes (abschnitt IV und V) machen den eindruck von
gründÜchkeit und zeigen beobachtungsgabe. Die druckfehler hat der Verfasser selbst
sorgsam berichtigt
HKIDSLBXRO, MAI 1892. H. WÜNDEBUGH.
Prothese und aphserese des h im althochdeutschen. Von Hermaiin Garke.
(Quellen und forschungen 69.) X und 127 s. Strassburg, Trübnor. 1891. 3 m.
,Orthogi'aphisohe ungenauigkeiten " werden die ei-scheinungen gerne genant,
die Garke zu eingehender Untersuchung heranzieht; und von diesem gesichtspunkte
aus wird zur erkläi-ung gewöhnlich auf das romanische zurückgegriffen, das ja auf
1) In 2i tieoü vü wo< ist das vä mit recht als Tarachreibimg aafjsoflust
26*
404 WUNDEEUCH, ÜBER OARSE, PROTHISI UNO APHABESE DES h
die schrifdiche fixierung unserer spräche so entscheideDden einfluss ausgeübt hat.
Wie im romanischen protheso und aphärese band in hand gehen als yerschiedenaitige
zeugen desselben laut Vorganges, nämlich der Unsicherheit im vokaleinsatze, so hat
man beide auch für das deutsche aus einer wurzel abgeleitet. Garke stelt sich dem
gegenüber zimächst rein auf deutschen boden; auf diesem sondergebiet löst sich ihm
auch die prothese völlig ab von dor aphärese, und er gelangt dazu, dem prothe-
tischen h den Charakter eines volwertigon selbständigen lautes zu sicheni, der am
einzelnen werte haftet; während die aphärese den wechselfiülen des satz- und
Wortzusammenhanges unterliegt, der am einzelnen werte das anlautende h nicht
immer zur geltung kommen lässt
Garke hat also prothese und aphärese ganz und gar auf das phonetische gebiet
verlegt, während beiden bei Braune (Ahd. gramm. § 152, 1 und § 153, anm. 2) nur
graphische existenz zugestanden wird^ Diese ist freilich auch für Garke der aus-
gangspunkt, und er hat ihr durch sorgfältige Statistik eine so breite grundlage geschaf-
fen, dass er für die prothese 900 belege ins treiTen führen kann — eine zahl, die
jene erscheinung über die blosse „ungenauigkeit*^ hinaushebt, auch wenn mit Stein-
meyer DLZ. Xm, s. 755 einige belege gestrichen werden müssen. Die stofliche
beschränkung, die in dem thema liegt, wird erfreulich ergänzt durch die volle
beherschuug des eng begrenzten raumes, und aus dieser Verbindung keimen hüb-
sche eigebnisse auf. Es gelang, die räumliche Verbreitung der prothese abzugren-
zen (s. 30), in dem alle dialektisch volkommen gesichelten fälle dem westdeut-
schen gebiete angehören, während die bairischen denkmäler die prothese nur m
spuren fremder dialekte zeigen. Ausserdem ergab sich für die prothese selbst als
mitbestimmender factor der dem vokale folgende konsonant, indem spirantische und
sonore laute in erster linie beteiligt sind (s. 11); und endlich haftet die erscheinung
am werte selbst und von ihm ausgehend auch an gewissen durch die bedeutug zusam-
mengehaltenen gruppen (s. 21).
Dieser feststellung von tatsachen hat der ver&sser nun auch noch den ver-
such einer erklärung zur seite gostelt, wobei er sich an ein Hamburger programm
von A. Paul anschliesst Mit der lockerung, dem leiserwerden des vokalischen
anlautes im Satzzusammenhang soll sich die entwicklung eines leisen hauches ver-
binden, ähnlich wie sich der lateinisch -romanische Spiritus lems entwickelte, wie
sich auch im silbenanlaute im wortinnern der verba pura ähnliches volzog. An die-
ser entwicklung hatten, wie schon hervorgehoben, die folgekonsonanten ihren bestim-
ten anteil, und der Charakter des leisen hauches wurde dann durch die analogie des
h zum volwertigen hauchlaute verschärft. Ob dieser erklärungsgrund das richtige trift,
kann wol erst nach umfassenden phonetischen Untersuchungen festgestelt werden;
namentlich dürfte eine beobachtung des heutigen bairischen vokaleinsatzes im gegen-
Satze zum westdeutschen hier wol nicht umgangen werden.
Die aphärese ist knapper behandelt worden, als die prothese; für sie sind
auch einzelne fälle zugestanden worden, in denen „individuelle fehlerhafte ausspräche*'
vorliege, die keinen anspi-uch erheben könne „in das gesamtbild der deutschen
Sprache aufgenommen zu werden*^ (s. 45). Yielleicht gilt ein ähnlicher erklärungs-
grund auch für die vereinzelte prothese einiger denkmäler, die Garke dem baiiischen
dialekte abgesprochen hat, vgl. Braune im litt, centralblatt 1892 (s. 650).
1) Wirklichen laatwort teilt Braane einem anderen h zu, das sich anlautend zwischen zwei
vokalen entwickelt (§ 163 b); Qarke spricht aber diesem h Zusammenhang mit der prothese ab (s. 9).
F. YOGI, Obib liohienbkbokb, nibilünoin 405
Die darstellung ist klar, die spräche flüssig. Die belegstellen sind nach den
denkmälem (s. 49 fgg.) und nach begriflichen gruppen (s. 83 fgg.) geordnet, wobei
sehr dankenswert ist, dass das pronomen der 3. persona und worte wie huwo und
elcfant für sich betrachtet werden (s. 110 fgg.)- Auch jüngere prothese und aphärese
(s. 122 fg.) werden aufgeführt, soweit ihnen keine ahd. parallelen zur seite stehen.
Systematische volständigkeit konte hier natürlich nicht erzielt werden. Das Verzeich-
nis auf seite 15 fgg. nimt eigebnisse desjenigen auf seite 83 fgg. vorweg, ohne damit
viel nutzen zu stiften. Namentlich die einreihung von begriffen wie gkUxe, stirih
ohne beifügung eines für prothese empfänglichen lautbildes muss den leser eher ver-
wirren als aufklären. — Die Schlusszeilen auf seite 19 über die beiden Schreiber der
Heliandstellen (102 und 4144) haben das tatsächliche Verhältnis gerade umgekehrt;
sonst sind mir keine derartigen Verstösse aufgeCallen.
HKZDILBERO, FIBS. 1893. H. WUNOIBLICH.
Le poeme et la legende des Nibelungen par H. lielitenberger, docteur es
lettres, maitre de Conferences ä la faculte des lettres de Nancy. Paris, Hachette.
1891. 442 B. Preis?
Es ist ein zeichen für den parteigeist, der die deutsche Nibelungenforschung
beherscht oder beherschte, dass uns moch bis heute eine einleitung in unser grosses
nationalepos fehlt, welche mit ruhigem, rein sachlichem urteil die verschiedenen
hypothesen über dasselbe klarlegte und auf grund selbständiger und unbefangener
prüfung und forschung die einschlägigen fragen erörterte und forderte. Ein franzö-
sisches werk ist es, welches unter obenstehendem titel zuerst wenigstens einen
wesentlichen teil dieser aufgäbe löst. Der Verfasser gibt zunächst eine Übersicht über
den inhalt des gedichtes, indem er zugleich auf dessen ungleichmässigkeiten wesent-
lich im anschluss an Lachmanns kritik aufmerksam macht. Er stelt sodann in kur-
zen Zügen Lachmanns, Müllenhoffs, Holtzmanns und Bartschs hypothese dar, wobei
er Holtzmanns auüstellungen und die Vermutungen über des Eümbergers beziehungen
zum Nibelungenlied als völlig haltlos von der weiteren Untersuchung ausscheidet; auf
ein urteil über die grössere ursprünglichkeit von A oder B verzichtet er von vorn-
herein ebenso wie auf jede erörterung des rein formalen; den gegenständ seiner Unter-
suchung soll ausschliesslich einerseits der stoff, andererseits der anschauungskreis
der dichtung bilden; bei beiden sind aber ältere und jüngere demente von einander
zu sondern, und so greifen diese Studien überall in die frage nach der entstehungs-
nnd entwickelungsgeschichte dos Nibelungenliedes ein. Sie sind geeignet zur entschei-
dung darüber beizutragen, inw^ieweit es ein individuelles werk, in wieweit es das
natürliche erzeugnis der vereinigten tätigkeit österreichischer spielleute ist, und ob
sich dem entsprechend die wage mehr zu Lachmanns oder zu Bartschs gunsten neigt
So werden denn nun weiter nach einem überblick über die quellen die historischen
bestandteile und der Ursprung der sage kurz erörtert, sodann die einzelnen teile der-
selben ausführlich in der weise behandelt, dass die verschiedenen berichte verglichen,
die älteste form und deren umwandelungen festgestelt, insbesondere die darstellung
des Nibelungenliedes auf ihre grössere oder geringere ursprünglichkeit, auch auf das
über- oder nebeneinanderliegen von schichten verschiedenen alters untersucht wird.
1) Oarke leitet dieee pronomiiuJfoimeii mit h nicht von einem entsprechenden itunme ab , son-
dern erkllrt sie doich protbeee.
406 r. VOGT
Der Verfasser komt zu dem resultat, dass unserem epos wirklich einzelne lieder zu
grande liegen, um die sich nach und nach jüngere bestandteilo ansozten, so jedoch,
dass alle stucke immer die glieder einer grossen kette bildeten und jedem neu hin-
zutretenden von vornherein sein bestirnter platz zukam. Man kann seiner meinong
nach zugeben, dass sich der inhalt eines Laohmannschen und der eines alten liedes
vielfach deckt. Es hat sicher lieder von SiegfHeds ankunft in Worms (I), von Brun-
hild (lY und Y), von Siegfrieds tod (VIII) gegeben, und es ist äusserst wahrsdiein-
lieh, dass sie in den entsprechenden abschnitten des Nibelungenliedes mehr oder
weniger getreu widergegeben sind; ähnliches gilt für den zweiten hauptteil des epos.
Aber danim besitzen wir noch nicht die alten originallieder. Welche Veränderungen
die dichtungen in den bänden der spielleute erfuhren, können wir an anderen epen
sehen. Die einzelnen teile des Nibelungenliedes stimmen im Eitile doch immer viel
mehr überein als irgendwelche selbständigen volksepen. Vor allem setzen die offen-
bar älteren stücke unserer dichtung vielfach die jüngeren voraus oder bereiten sie vor.
Alles das spricht dafür, dass wir das ganze nur in einer durch verschiedene bände
nicht allein erweiterten, sondern auch überarbeiteten gestalt besitzen. Die ursprüng-
liche form der lieder, auf denen es aufgebaut ist, wird sich daher nicht mehr her-
stellen lassen.
Es folgen einige kapitel, welche die auf den könig, den beiden, das weib
bezüglichen anschauungen, sitten und poetischen motive des Nibelungenliedes dar-
stellen. Unter vergleichung der altgermanischen Verhältnisse nach Tacitus und der
behandlung der entsprechonden dinge in der spielmannspoesie und in der höfisch^i
dichtung wird auch diese seite unseres epos entwiokelungsgoschichtlich beleuchtet
Eine kurze Übersicht über die geschichte der Nibelungensage und -dichtung, wie sie
sich nach allem voi'angegangenen darstelt, bildet den schluss. Anhangsweise ist noch
eine recht zweckmässige Übersicht über die quellen der sage, eine Zusammenstellung
der Zeugnisse über sie und ein gut ausgewähltes Verzeichnis der wichtigsten litterar
tur beigegeben.
Der Verfasser beherscht seinen gegenständ durchaus; er ist auch in der neue-
sten forschung volständig bewandert, und in dem streite der meinungen trift er mit
klarem und besonnenem urteil seine entscheidimg. Bei seiner Stellung zur lieder-
theorie weiss er sich im einklang mit anschauungen, die neuerdings verschiedene
germanisten unabhängig von einander kundgegeben haben (s. 324 anm.). Da auch die
von mir im Grundriss der germ. philologio ausgesprochenen dazu gehören, so brauche
ich nicht auch meinerseits noch hervorzuheben, dass ich im prinzip mit dem Verfas-
ser zusammentreffe. Doch nehme ich sowol für den als älteste grundlage vorauszu-
setzenden liedercyklus als auch für gewisse elemente der bearbeitung mehr plan und
Zusammenhang an. Die gründe dafür auseinanderzusetzen und des weiteren auf alle
einzelheiten einzugehen, bei denen ich in dieser ü-ago mit dem Verfasser nicht über-
einstimme, muss ich mir hier versagen. Er erhebt ja auch keineswegs den anspruch,
diese dinge irgend erschöpfend behandelt zu haben. Aber schärfer hätte er seine
Stellung zu Laohmanns anschauungen doch wol unter allen imiständen bestimmen
können, sowol wo er mit ihnen übereinstimt als wo er von ihnen abweicht
Dass er sich nicht einmal für die prioiität von A oder B entscheidet, hat
allerdings tatsächlich weniger zu bedeuten, als man meinen könte. Bei seinen eror-
terungen folgt er doch Lachmanns ausgäbe, und sie würden wol nirgend anders aus-
gefallen sein, wenn er sich zu A bekant hätte. Warum er das nicht getan hat,
gestehe ich nicht recht einzusehen. Da ihm z. b. der unterschied der str. 13 fgg.
ÜBER LICHTINBER6EB, NIBELÜNOIN 407
vom Torhergehenden volBtändig klar ist and er auch hier nach A übersezt (s. 9), so
hat er doch anch sicherlich die Überzeugung, dass A mit dorn selbständigen anfieuig
der Str. 13 E^ troumde KriemhiUe usw. gegen BO, wo die Verbindung mit der ein-
leitung hergestelt ist (In disen höhen eren usw.), das ursprüngliche bietet
Mehr bedeutung hat es, dass der Verfasser sich andrerseits doch hie und da
stärker unter dem banne der Lachmanschen kritik befindet, als es eigentlich seinen
grundanschauungen entspricht; so wenn er gelegentlich die von Laohmann ausgeschie-
denen Strophen an bedeutender stelle stilschweigend bei seite Ifissi Das geschieht
z. b. bei str. 1528. Es liest sich ja recht schön, wenn er mit fortlassung derselben
die mitteilung Hagens über die prophezeiung der meeijungfrauen und die Schilderung
ihrer Wirkung folgendermassen berichtet: «7 leur ripHe la prSdietion des ondines.
„Je va%8 votis annoneer de terribles nouvelles: noua ne reviendrans jamats au
pays des Bürgendes (1527) .... M ces nouvelles voUrent de rang en rang et les
hiros rapides palirent usw.*' (1530). Aber: 1. sagt Hagen str. 1527 auch noch nu
eMhaU iueh, ritter unde knekt man sol vriunden volgen: ja dunket ex mich reht.
Er lässt also die schon in marsch befindlichen halt machen, weil er ihnen einen rat
geben will, den sie befolgen soUen. Dieser rat aber wird einzig und allein in
Str. 1528 orteilt: nu rät ich wax man tuo: dax ir iueh tcäfent, helde, vr sult iueh
tDol bewam: wir haben hie starke vtnde; dax icir gewerltehen vam. Streicht man
diese strophe und bezieht man die eindringliche mahnung Hagens ihm zu folgen nur
auf die auffordemng zum halt machen, so muss man denken, er wolle das beer von
der Weiterreise abhalten. 2. Widerum nur in str. 1528 sagt Hagen, dass er seine
Prophezeiung von den meerweibem habe. Diese berufung auf die göttlichen frauen
ist aber ganz unerlfisslich , wenn seine werte einen so gewaltigen eindruok hervorrufen
sollen. Nach str. 1452 hat ihm niemand glauben geschenkt, als er von der reise
abriet (von der darstellung im XIII. liede ganz zu schweigen); und jezt soll seine
ohne jede gewähr vorgebrachte behauptung, dass keiner von der reise heimkehren
werde, das ganze beer erbleichen machen, ohne dass irgend jemand fragt, wie er zu
dieser meinung komme! Str. 1528 ist also ganz unentbehrlich. Damit ist aber erwie-
sen, dass die erzählung vom kämpfe mit Else und Gelpfrät, mag man nun über ihr
alter denken wie man will, jedesfals an dieser einen stelle mit Lachmanns XIV. liede
unauflöslich verknüpft ist — Li anderen fällen sind derartige Verbindungen der nach
Lachmann älteren und jüngeren teile dem Verfasser nicht entgangen. So bemerkt er
mit vollem rechte bezüglich des VHI. liedes, welches ja als ein rechtes paradestück
von den anhängem der Lachmann -MüllenhofEschen hypothese vorgeführt zu werden
pflegt, in den versen 921, 4 er sach nach einem bilde an des kUenen gewant und
922, 2 er sehdx in durch dax criuxe scheine ihm die anspielung auf das YH. lied so
evident wie nur möglich. Er hätte aber, da hier von einer ausscheidbaren interpo-
lation nicht die rede sein kann, ohne jede einschränkung den schluss daraus ziehen
können, dass mn selbständiges VÜI. lied nicht mehr hergestelt werden kann, dass
wir es nur in einer fassung besitzen, in der es mit dem (jüngeren) siebenten
auf das engste verbunden ist Es scheint mir noch nicht bestimt genug, wenn
der ver&Bser dazu nur bemerkt, die ablehnung der möglichkeit, dass die alten
lieder überarbeitet seien, führe zu sehr unwahrsoheinliohen hypothesen, und man
würde hier z. b. annehmen müssen, dass der urheber des Vill. liedes ein dem Vn.
entsprechendes aber älteres gekant haben müste. Es handelt sich nicht allein darum,
woher er den zug kent, sondern auch darum, wie er ihn erzählt Er konte ihn so
wio es hier geschieht nur berühren, wenn vorher der nötige aufschluss über das zei-
406 r. YOOT
eben auf Siegfrieds kleid gegeben war. Sonst musto man ihm ein Ungeschick in der
erzihlnng zuschreiben, wie es den schlimsten der vielgetadelten interpolatorensüDdien
würdig ZOT Seite zu setzen sein würde. Denn es handelt sich ja hier dorchaos nicht
nm ein sagenmotiv, welches ein dichter als albekant und selbstrerständlicb Torans-
setzen konte; yielmehr nm einen zng, von dem keiner der anderweitigen berichte
▼on Siegfrieds ermordnng auch nnr das geringste weiss. Wer also eine filtere gnind-
läge des YII. liedes voranssetzen wolte, müste schon annehmen, dass der veifasser des
VnL diese nicht nur gekant, sondern dass er sein iied auch im anschlnss an sie gedich-
tet hätte, damit es nur mit ihr zusammen voiigetragen würde. Um die Selbständig-
keit des VlIL liedes würde es also dann ebensowol geschehen sein, und die ganze
annähme würde keinen schritt weiter fuhren. — In andern ßülen würde den yerÜBs-
ser gewiss schon ein eingehen auf die einzelheiten von Lachmanns textherstellnng zu
einer noch entschiedeneren ablehnung der alten liedertheorie gebracht haben, doch
lag ja das seinem programm fem. Ich will daher auch meinerseits nur noch auf
einige litterarbistorische und sagengeschichtliche punkte eingehen.
Bezüglich des Eürnberges bemerkt der Verfasser s. 56, dass man über alles
was ihn betrift est arrive au seepticisme le plus eomplet. Ich glaube, dass bei den
vielbesprochenen, vom Verfasser auf s. 55 ^. behandelten Strophen MF 8, 1 und
9, 29 vor allem folgendes zu erwägen ist. Wir müssen uns zunächst unter allen
umständen gegenwärtig halten, dass wir es hier nicht mit den bei einer bestimten
Situation gesprochenen werten, sondern mit einem gedichte zu tun haben. Auch wenn
wir uns mit Steinmeyer A. f. d. a. 14, 122 fg. die Strophe 8, 1 an den boten gerichtet
denken, können wir doch unmöglich annehmen, dass sie von der frau diesem wiik-
Uch so zugesungen sei. Oder sollen wir glauben, dass sie dem boten ihren befehl
in poetisch musikalischer form vorgetragen habe, dass dieser ihn dann dem ritter,
dem der auftrag galt, wider vorgesungen und dass MF 9, 29 der ritter alsbald in
derselben vers- und strophenform seinen waffenknecfat mit dem befehl angesungen
habe, ihm ross und hämisch zu bringen, damit er sich vor der alzu liebebedürftigen
landesherrin rette? Und das alles wäre uns dann urkundlich getreu überliefert?
Denkt man sich aber die erste strophe etwa als eine von der frouwe dem ritter
schriftlich zugestelte poetische liebesbotschaft, so weiss ich, von andern Schwierig-
keiten abgesehen, nicht, wie str. 9, 29, für die man dann doch zweifellos mit dem-
selben rechte eine wirkliche Situation voraussetzen muss, als antwort auf den liebes-
brief in versen erklärt werden soll; und in jedem falle fohlt mir das Verständnis
dafür, wie überhaupt em weib, und noch dazu eine landesherrin, sich in Wirklichkeit
mit einer so begehrlichen und so kategorischen liebeserklärung, mit einem liebes-
befebl bei strafe der landes Verweisung, einem ihr unbekanten ritter offen an den hals
weifen könte. Die auffassung, welche Steinmeyor für die wahrscheinlichere erklärt,
dass str. 8, 1 überhaupt nicht von einer frau, sondern von dem dichter der dazu
gehörigen str. 9, 35 verfasst sei, ist also doch wol die einzig gegebene. Dann kön-
nen wir natürlich gar nicht wissen, ob und in wie weit diese Strophe an irgend ein
erlebnis des dichters anknüpfen mag; aber sicher wissen wir, dass die rede der dame
fingiert, dass die ganze poetische gestaltung der Situation des dichters dgentum ist
Zu welchem zwecke kann er nun unter diesen umständen in diesem liedchen den
Kürenbero genant haben? Das singen gerade der Kürenberges unse lediglich
als Signalement für den aufzusuchenden sänger anzugeben, würde meines eraohtens
recht pedantisch und darum auch unpoetisch sein, wenn die besonderheit dieses
Signalements an sich'gar kein interesse und keinen wert hätte, ebensogut durch ein
ÜBER UCHTENBRBOER, NIBKLÜKGEN 409
andei'cs ^besonderes kenzeichen^ ersezt werden könte. Wo sonst in einem liede ein
dichteroame genant wird, da handelt es sich stets um irgend eine besondere bezie-
hang zwischen dem Verfasser nnd jenem anderen dichter, nnd irgend eine besondere
absieht komt in betracht, sei es anszeichnung, sei es herabsetzung des genanten oder
dergleichen. Wenn nun hier Eürenberc als Verfasser der weise genant wird, deren
gesang einen so überwältigenden eindmck auf die dame macht, so bedeutet das
für ihn als dichter zweifellos ein ganz besonderes lob. Soll der Verfasser des liedes
dies einem kunstgenossen gezolt haben? Wenn er selbst unter dem sänger verstan-
den sein will, durch dessen lied die frouwe sich so hinroissen l&sst, so würde diese
Schmeichelei gegen den kunstgenossen eine starke beeinträohtigung der eigenen kunst-
leistung enthalten; und eine solche würde doch hier durchaus nicht am platze sein,
wo der dichter nur die ausserordentliche Wirkung, die gerade er mit seinem gesange
erzielt hat, zur geltung bringen wiU; sie würde überdies einem so selbstbewnsten,
von seiner unwiderstehlichkeit so durchdrungenen dichter, wie er sich sonst in die-
sem liede zeigt, durchaus nicht anstehen. Soll aber unter dem Sänger in 8, 1 (und
damit natürlich auch unter dem in 9, 29 redenden) nicht der dichter, sondern eine
unbestimte persönlichkeit gemeint sein, ist also das ganze rein episch oder dramatisch,
nicht lyrisch gedacht, so gewint vollens die in diesem falle einzige beziehung auf eine
bestimte person, welche durch die nennung des Eürenberc erfolgt, ein ganz beson-
deres Interesse, und es wird nicht auch hier noch irgend ein dritter darunter zu ver-
stehen sein. In beiden fallen ist es durchaus das natürliche anzunehmen, die weise,
deren gesang der dichter solche wunder tun lässt, sei seine eigene. Jede andere
auslegung nimt meines erachtens dem liedchen ebensowol seine pointe, wie das bei-
spielsweise bei dem liede MSH I, 151 fgg. (Minor, Ulrich v. Wintcrstetten s. 21)
geschehen würde, wenn man behaupten wolte, der Schenk, dessen lieder da nach
den reden der mutter imd der tochter eine so grosse und so verführerische Wirkung
haben, sei nicht der dichter dieses liedes, es sei nur von dem samler imter seinen
namen gebracht, weil dieser darin genant sei. Von den beiden möglichk^iten , die
ich betrefs der persönlichkeit des in unserem liede eingeführten Sängers aDdeutete,
ist mir die annähme, der dichter wolle sich mit ihm identificieren , entschieden die
wahrscheinlichste. Das motte, welches er zum schluss für sein ganzes minnewerben
aufstelt: wip unde vederspil diu werdeni likte xam, swer si %e refUe lucket so
suoehent st den man gilt auch für dies kecke liedchen, nach welchem selbst die
herrin eines landes den unwideretehlichen Sänger suochet und er sie dann obendrein
noch ablaufen lässt. Die verhüllende art, in der er, der Eürenbero selbst, sich hier
bezeichnen lässt, entspricht dem gebrauche, den er beobachtet, wenn er mit dem
ein sehoene ritter 10, 21 sich selbst meint, wenn er die frouwe, die sich selbst mit
dem geliebten zusammen wünscht, rufen lässt got sende si xesamene die gerne geliebe
wellen stn, und wenn er deijenigen, die sich nach dem manne sehnt, die werte in
den mund legt: was ich wünsche ist den Hüten gelieh. — Für irgend eine der unter
seinem namen überlieferten Strophen eine frau als Verfasserin anzunehmen, liegt kein
grund vor, da wir einmal wissen, dass schon die ältesten lyriker frauen redend ein-
führen. Gerade das als besonders weiblich zart gelobte liedchen swenne ich stän
aleine in mtnem hemede 8, 17 gibt ein bild von der geliebten, wie es sich nur die
Phantasie des liebenden ausmalt: dass ihre „färbe erblüht wie die rose am dom-
strauch** bezeichnet das erröten so wie es ein anderer anschaut, nicht so wie man es
selbst empfindet; sie könte nur etwa sagen: ich fühle, wie mir das blut in die Wan-
gen steigt; sonst würde sie die äusserung ihrer gemütsbewegung gewissennassen im
•iP^
410 r. VOGT
Spiegel beobachten, und das wäre mindestens nicht naiv. Ich sehe also keine Ver-
anlassung, weshalb wir an der richtigkeit der handschriftlichen Überlieferung zweifeln
solten, nach welcher diese unter allen umständen in ritterlichem kreise entstandenen
lieder demselben ritterlichen dichter zuzuschreiben sind. Sein name von Kürenberc
ist in der zeit, in der gegend und in dem stände, in welche wir den verüasser «os
verschiedenen gründen ohnehin werden setzen müssen, urkundlich nachgewiesen; dass
ein Kürenberc lieder gedichtet hat, geht aus 8, 5 zweifellos hervor; dass er die vor-
liegenden lieder verfasste, wird durch ebendiese stelle nach der vorgetragenen ans-
legung nicht widerlegt, sondern bestätigt. Die form der lieder 7, 19 — 10, 24 findet
sich sonst in keinem lyrischen gedichte; sie taucht erst wider im Nibelungenliede und in
späteren epen auf. Daraus schliossen zu wollen, dass der Kürenberc auch das Nibe-
lungenlied gedichtet habe, ist schon deshalb unberechtigt, weil die grundvoraussetznog
dieser annähme, dass kein dichter eines anderen weise entlehnen durfte, nicht durch-
aus zutrift, und weil wir voliens über das Verhältnis der epischen zu den lyrischen
formen in dieser beziehung nichts wissen. Vor allem aber liesse sich niemals fest-
stellen, was denn der Kürenberger an dem Nibelungenliede gedichtet haben solte, da
ja die vorliegende fassung für ihn gar nicht in betracht kommen kann, bis zu ihrem
Zustandekommen aber verschiedene bände an dem epos tätig gewesen sind. Mit
recht misst daher auch Lichtenberger dieser hypothese keine bedoutung bei; doch
irt er, wenn er s. 57 meint, dass nach der algemeinen ansieht der Kürenberger schcm
vor 1150 gelebt habe.
S. 79 bemerkt der Verfasser gewiss mit recht, dass die hypothese von der
widergeburt des deutschen volksepos in den Rheinlanden und dessen belebung durch
die nordfranzösischen chansons de geste unzulänglich begründet scheine; aber die
dem Verfasser zusagende ansieht, dass dieselben doch den rheinischen Spielleuten eine
grosse anzahl epischer formein geliefert hätten (vgl. auch s. 327), ruht doch, vor-
läufig wenigstens, durchaus nicht auf besserer grundlage. £s wäre gewiss ein dankens-
wertes unternehmen, den stil der französischen und den der deutschen volksepik ein-
gehender zu vergleichen, als es bisher geschehen ist An bisher nicht bemerkten Über-
einstimmungen würde es wol nicht fehlen; nur müste man nicht alles gleich auf ent-
lehnung zurückführen. Gleiche Ursachen können auch in der poesie unabhängig von
einander gleiche Wirkungen haben, und andererseits darf nicht ausser acht gelassen
werden, dass das altfranzösische volksepos, mag man auch seine germanischen
demente nicht so hoch anschlagen wie JRigna, jedesfals nicht in der keltischen oder
lateinischen, sondern in der germanischen schiebt des französischen Volkstums wur-
zelt. Für verwantschaft und entlehnung von motiven sind auch Heinzeis Zusammen-
stellungen in den Wiener Sitzungsberichten 119, 78 fg. zu beachten.
Auf s. 87 und 434 pflichtet der Verfasser Müllenhoff in der annähme bei,
daraus, dass seit dem 8. jahrhundeii Nibelung als personenname vorkomme, gehe
hervor, dass damals das wort schon seine eigentliche bedeutung verloren hatte, da
kein vater seinen söhn einen c(^non infernal genant haben würde; während der Ver-
fasser doch ebenda bezweifelt, ob Nibelung jemals demon infernal oder eaprit de
Unkbree bezeichnet habe. Sicher ist in der tat nur der Zusammenhang des namens
mit nebd; dass dieser nicht mehr empfunden sein könte, als man Nibelung als per-
sonennamen gebrauchte, möchte ich nicht behaupten; auch die mythische beziehung
braucht man dabei nicht vergessen zu haben, so wenig wie bei der wähl der nameo
Alf oder Alberich. Weder die herkunft ihres namens noch ihr gegensatz zu dem
lic]itheros nötigt etwas anders als nebelgeistor, die zugleich auch als dunkelgeister
ÜBSB UCHTBNBieRQXB, NIBELUNOEN 411
gedacht sein werden, in ihnen zu sehen. Es ist sicherliob nicht ziiMlig, dass sich
in ihrem besitze die unsichtbar machende tamkappe befindet: zu den Nibelungen
gehört auch von vornherein die nebelkappe. Den zweifei, den der Verfasser s. 98
und 157 an der ursprünglichkeit dieses zuges äussert, weil der zaubermantel aizusehr
an die feenmfirchen erinnere, kann ich daher nicht teilen. Bemerkenswert bleibt
auch, dass im SiegfriedsUede der held durch dichte finsternis dorthin gelangt,
wo er nachher den schätz der söhne Niblings findet; und im Walberan, wo die
unsichtbarkeit des ganzen zwergenheeres zwar erwähnt wird, aber ohne bedeutung
bleibt, auch nicht festgehalten wird, ist gerade Nibelung der führer einer schar, bei
der allein jene eigenschaft wirklich zu pi*aktischer geltung kernt, indem sie, von kei-
nem menschen gesehen, schiffe entführt (Walberan 139 fg., vgl. Nibelunge 451/2).
Der Nibelung Engel reitet im Siegfiiedliede auf einem kohlschwarzen pferde und ist
mit der nebelkappe ausgestattet ebenso wie der Nibelungenmann Alberich im Nibe-
lungenliede; Alberichs unsichtbarkeit spielt auch im Ortnit bekantlich eine grosse
rolle; denselben streich wie Nibelung im Walberan fühlt er Ortn. 291 fg. aus. Dass
aber nun auch bei der gewinnung der Brünhlld die anwendung der tamkappe ursprüng-
licher sein müste als der gestaltentausch, folgt natürlich aus dem allen noch nicht.
Auf die schwierige frage, wie die burgundischen könige in der sage zu Nibelungen
wurden, weiss auch der Verfasser keine antwort, die ihn befriedigte. Die Lachmann-
sche hypothese, dass es neben dem historischen ursprünglich auch einen mythischen
Günther gegeben habe, dünkt ihn immerhin am wenigsten unwahrscheinlich (s 83).
Aber diese annähme stüzt sich doch schliesslich auf nichts weiter als auf den wünsch,
die Verschmelzung der mythischen und der -historischen elemente irgendwie zu erklä-
ren. Will man einer der personen der sage eine solche doppelroUe zuweisen, so
würde sich ein genügender grund nur bei Gibeche finden, dessen namo einerseits
an der spitze der burgundischen könige steht, andrerseits als der eines zwerges, eines
elbischen wesens überliefert ist. Zur Verteidigung dieser ansieht, welche Rieger
zulezt noch in den Quartalblättem des histor. Vereins f. d. grossherzogtum Hessen
1881 s. 43 fg. vertreten hat, Hesse sich noch darauf hinweisen, dass der herr des
Wormser rosengartens (wenn wir von Eriemhilt absehen, vgl. Germ. 26, 173) könig
Gibeche, nicht etwa könig Günther, ist; während andererseits in den tirolischen ber-
gen eines solchen pai'adiesgartens ein zwerg waltet, Laurin, ein mit übermenschlicher
Schönheit, stärke, pracht und herlichkeit ausgestattetes wesen, wie auch der name
des zwerges Gibeche auf reichtum und milde deutet. Eine Übertragung der rolle des
elben auf den gleichnamigen burgundischen kÖnig könte also bezüglich der rosen-
gartensage immerhin statgefunden haben; ja es wäre denkbar, dass beide ursprünglich
identisch waren, dass der burgundische Gibica, von dem nach der nordischen über-
lieferuDg das könlgsgeschlecht seinen namen trägt, ursprünglich nur der mythische
stamvater desselben war. Aber alles das ist ja keineswegs sicher, und es würde von
da immer noch ein sehr weiter schritt zur sage von Siegfried und den Nibelungen
sein. Eine andere erklärung scheint mir hier viel näher zu liegen.
Zu den ältesten bestandteilen dieser sage gehört jedesfals die Vorstellung, dass
der Nibelungenschatz im Rheine ruhe. Sie findet sich in den alteren nordischen
quellen ebensowol wie im Nibeihngenliede und im SiegfriedsUede. Längst hat man
darauf hingewiesen \ aber nicht überall ist es genügend beachtet, dass dies sagen-
1) Zalert besonders Rieger a. a. o. nnd Heinzel, Nibelungeiisage s. 12 (Wiener Bitznngsber.
109, 680).
4r2 F. VOOT
motiv eiDon tatsächlichen bintergrund in der goldhaltigkeit des Rheines hat Wenn
auch jezt die goldgewinnung dort nicht mehr lohnt (trotzdem ein Pariser die kühne
rechnung anfgostelt hat, dass zwischen Basel und Mannheim noch gold im werte von
170 millionen fi'ancs im Rheinsande ruhe), so ist es doch nicht lange her, dass -noch
münzen aus Rheingold geprägt wurden, und das ganze mittelalter hindurch hat die
goldwäscherei am Oberrhein eine nicht unbedeutende rolle gespielt Marquard Freher,
Origines Palat ed. 2 (1613) lib. 11 cap. XYII s. 84 fg. bemerkt, dass der Rhein das
gold e mantium auriferorum fibrts radicibusque cUfrasutn arenis suis involtai et
in certos voriiees cUque eaveas (quibus inde nomen natum — OoUgründe, da gegol-
det vmrdt) eongerai. Wie leicht sich die Vorstellung hilden konte, dass an solcher
stelle ein grosser schätz unter den fluten verborgen sei. leuchtet ein, xmd nichts ist
erklärlicher, als dass die Franken den unermesslichen schätz ihres Nibelungenmythus
in ihrem goldführenden ströme, im Rheine suchten. Da schon um 4(X) der ägyptisch-
griechische Nonnus den Rhein als den fluss nent, welcher der Beroe bei ihrer Ver-
mählung mit Poseidon das gold als hochzeitgabe herbeibringt (Dionysiaca 43, 410),
so kann den Franken sein goldreichtum damals nicht unbekant gewesen sein; es
spricht also alles dafür, dass sie den Nibelungenhort, von dem ihre mythen in jener
zeit schon berichtet haben müssen, ebendamals nirgend anderswohin versezten als in
den Rhein. Freilich nicht in den teil, an dessen ufern sie derzeit sassen; denn
unterhalb Mainz scheint kein gold mehr vorzukommen, während unterhalb Worms
bei Gemsheim, in dessen nähe jenes Lochheim liegt, wo das Nibelungenlied nach
Lachmanns auslegung Hagen den hört vorsenken lässt, „vor Zeiten eine goldfischerei
und goldwäscherei bestand '^^ und ebenso weiter aufwärts in verschiedenen orten der
bairischen und badischon Pfalz. Aber gerade die nicht durch den augenschein kon-
trolierten gerüchte und berichte aus dem nachbarlande konten sich ins phantastische
steigern, und der grosse reichtum dieser von der natur gesegneten, durch römische
kultur gehobenen landschaft mochte in der sage, dass dort der gewaltigste schätz,
der Nibelungen hört, ruhe, greifbare Vorstellung gewinnen'. Pflegt der sage doch
auch sonst der schätz zum bilde reicher herschaft und grossen besiztums, zum Inbe-
griff aller hilfsquellen des herschcrs zu werden. Ich erinnere nur an die Ermanrich-
sage. Als daher im jähre 413 das grosso ereignis geschah, dass jenes reiche land
einem germanischen stamme, den Burgundionen xmter könig Gundahari, anheimfiel,
da wird unter den Franken gesagt und gesungen sein, dass diese glücklichen leute
nun den grossen Rheinschatz erworben haben, sie werden die herren des Nibelun-
genhortes genant sein. Das war im gründe nichts anderes, als wenn der Mamer
(Strauch XI, 2) von den reichen Rheinländern singt: in dienet ouch des Rhies grünt . . .
der Nibelunge kort lU in dem Lurlenberge in In. Als aber später die Burgundionen
den herlichen besitz verlieren, als die Hunnen jenes mittelrheinische Burgundenreich
stürzen und Gundahari mit den seinen unter ihren Schwertern fSlt, da heisst das in
die sinliche, alles individualisierende spräche der sage übersezt: könig Attila bereitet
dem könig Gundahari mit seinen verwanten und seinen leuten den Untergang, um
sich des Nibelungenhortes zu bemächtigen. — Waren so eimnal Günther und sein
geschlocht zu den zeitweiligen besitzem des Nibelungenschatzes geworden, die um
seinetwillen zu gründe giengen, so musten sie natürlich in irgendwelche Verbindung
mit denjenigen erwerbem und herren des hortes gebracht werden, von denen der
mythus schon berichtete. In diesem wurde erzählt, dass Hagen jenen heros Siegfried,
1) Dahl, Beschreibung des fOntentams Lorsch s. 251.
2) Vgl. auch Heinzel a. a. o. s. 11 fg. (679 fg.).
ÜBER UCHTENBIRGER, NIBELUN6BN 413
der sich den schätz erkämpft hatte, meuchlings ei*mordete. Denn es scheint mir
nicht zweifelhaft, was auch Lichtonberger anzunehmen geneigt ist, dass Hagen, von
dem keine historische quelle etwas weiss, und dessen name mit den allitorierenden
der burguudischen könige gar nichts gemein hat, der nach der f^idrekssaga eines
elhen söhn ist, Yon vornherein ebensowohl wie SiegMed zum mythus gehörte. Er
wurde nun in eine enge beziehung zu den burgundischen königen gebracht; die art
deiselben schwankt noch in den yerschiedenen Versionen: bald ist er der bruder,
bald halbbruder, bald man und mfic, immer aber steht er mit ihnen in engster genos-
senschaft. So gewinnen sie denn auch mit anteil an seiner mordtat, durch die der
Nibelungenhort in seinen und ihren besitz übergeht, und werden schliesslich nach
dem schätze auch selbst Nibelungen genani
Die Verbindung der beiden hauptteile der sage ist auf diese weise meines
erachtens durchaus genügend erklärt Dass damit nun auch jede einzelne beziehung
völlig aufgeholt sei, darf man natürlich nicht erwarten. Verständlich ist es so jedes-
fals, wie Günther weiterhin auch bei der mythischen tradition von Siegfried und
Brünhild in die rolle des geheimen gegenspielers eintreten konto, der den von Sieg-
fried errungenen preis in seine bände zu bringen weiss. Aber etwas näheres lässt
sich darüber nicht feststellen, denn wir wissen nicht, auf welcher stufe der sagen-
entwickelung das Brünhildenmotiv gestanden hat, als die Verschmelzung mit dem
historischen elomente oifolgte. Ich glaube nicht, dass dieser teil der Siegfriedsage
damals überhaupt eine einheitliche gestalt hatte; hat er sie doch auch in der Über-
lieferung der Edda noch nicht. Die geschichte von der orweckung der Sigrdrifia und
die von der gewinnung der Brünhild konten nur künstlich mit einander verbunden
werden. Wenn Lichtenberger s. 145 meint, es sei zweifelhaft, ob die erstere ursprüng-
lich noch eine weitere folge gehabt habe als Siegfrieds Unterweisung im runenzauber,
so steht er ja mit dieser ansieht nicht allein; aber für richtig kann ich sie nicht hal-
ten. Denn sobald man mit dem Verfasser annimt, dass auch Sigrdrifa von der lohe
umgeben ist, und sobald man mit ihm die angäbe der prosa für echt hält, dass Odin
der in den schlaf versenkten bestirnt hatte sich zu vermählen, während sie das
gelübde tat, keinen mann zu nehmen, der sich fürchten könne, so muss man doch
den verlauf der erzählung zweifellos so ergänzen, dass der, welcher die flamme
durchreitet und sie aus dem zauberschlaf erlöst, eben deijenige ist, welcher keine
furcht kent und deshalb ihre band erhält. Dass dies wirklich die ursprüngliche
entwickelung war und dass wir andrerseits keinen grund haben Sigrdrifa und Bryn-
hild für von anfang an verschiedene pei'sönlichkeiten zu halten, hat inzwischen Sijmons
in dieser Zeitschrift XXIV, 1 fgg. gezeigt. Wir haben also eine Überlieferung anzu-
nehmen, nach welcher Siegfried die von dem undurchdringlichen hindemis eingeschlos-
sene Walküre für sich erwirbt, und wir haben demgegenüber in der erzählung von
Biünhild eine andere Überlieferung, nach weicherer sie für einen anderen, den Gün-
ther erringt. Beide traditionen würden sich auf verschiedene fassungen eines natur-
mythus zurückführen lassen. Die eine könte das erwecken der schlummernden,
frostumfangenen erde durch den frühlings- oder lichtheros und die Vermählung der
beiden widerspiegeln; die andere würde zugleich die kehrseite des mythus umfassen,
nach welcher die von jener freundlichen gewalt eroberte der dunkelen, winterlichen
macht anheimfölt, und bei ihr möchten dann verwante Überlieferungen eingewirkt
haben, in denen wie im Freyr-Skimir- mythus von der stelvei'ti'etenden erwerbung
der eingeschlossenen Jungfrau oder wie im Mengl^d- mythus von der Verstellung des
eindringenden werbers erzählt wurde. Sicherheit ist ja in diesen dingen nicht zu
■ '■^•■«•A
414 F. voeT
gewinnen;^ aber uoviel muss doch wol zugegeben worden, dass kein zwingender grond
vorliegt, hier eine älteste einheitliche, beide motive umfassende sagengeetalt Yoraos-
zusetzen und dass man sich eine solche schwer würde Torstellen können. Denn
wenn der bann der waberlohe einmal dorchbrochon ist, wenn die von ihr umgebene
Jungfrau aus ihrem todesschlummer erweckt und von dem geliebten erworben ist, so
kann die flamme sie doch nachher unmöglich noch umschliessen.
Ganz unaufgeklärt Ifisst Lichtenberger dio deutsche Umgestaltung der sage,
durch welche Kriemhild statt Etzels ihren brüdem den Untergang bereitet Er meint
— nach dem Standpunkte den er einnimt ohne ersichtlichen grund — dass diese
Umwandlung ebenso wie die einführung des Dietrich von Bern vielleicht seit dem
onde des 6. Jahrhunderts volzogen sei. Jedesfals aber müsse sie nach dem bekan-
ten Zeugnis des Saxo Grammaticus über des s&chsisohen Sängers gesang von der
noiiasima Qritnildae erga fratres perfidia, schon im anfang des 12. Jahrhunderts
bestanden haben. Der milderen auffassung des Nibelungenliedes von Etzel schreibt
er einen späten Ursprung zu; er sieht in ihr eine anähnlichung dieser rolle an den
verbreiteten typus des guten königs, die erfolgen konte, sobald die schuld am unter-
gange der Nibelimge von ihm auf Kriemhild übergegangen war; übrigens sei sie
nicht einmal konsequent durchgeführt, denn auch im Nibelungenliede erscheine Etzel
hio und da noch in ungünstigem lichte, und ganz zu verwerfen sei Thierry*s ansieht,
dass Etzel in den germanischen Überlieferungen von jeher eine ganz andere und
wesentlich vorteilhaftere rolle gespielt habe als in den romanischen. Gegen Thierry's
unzulängliche und widerspruchsvolle ausführungen konte Lichtenberger natürlich mit
vollem recht auf Attilas Stellung in der eddischen und ältesten gestalt der Nibelon-
gensage hinweisen; wenn er aber glaubt, dass diese auffassung vom Charakter des
Hunnenkönigs die gemeingemiamsche gewesen und erst ganz spät geändert sei, so
veralgemeinert auch er schliesslich wie Thlerry seine beobachtnngen in unrichtiger
weise. Natürlich ist Attila von seinen gormanischen gegnem anders beurteilt als von
den ihm verbündeten und unterworfenen Germanenstämmeu. In der Diefrichsage ist
von vornherein für den blutdürstigen und habgierigen Attila der Edda gar kein platz.
Schon in ihrer ältesten uns bekanten gestalt, wie sie uns im Hildebrandsliede vor-
liegt, geniesst Dietrich in der Verbannung den schütz des beherschers der Hunnen
und kehrt mit seiner hilfe heim. Wir wissen aber, dass darin nur die Übertragung
eines abhängigkeitsveihäitnisses liegt, in welchem Dietrichs vater Theodemer tatsficb-
1) Yoigesogoii wird jert im a]g«meinen die dentoog aof den tageneitemiiythiis, und die
hang der vaberiohe auf die nungenrOte (Scherar LQ^U, Sümons im Qnmdxias n, 1, 25, "Wilmmiw
A. f. d. a. 18, 72) ist ja aa sieh recht aoBpreohend , betonden wenn maa beräcksiöhtigt, dass die raa
ihr umgebene Brfinhiid nach der Edda wie nach der deatschen lokalsage auf einem felMn sdilamiBQct.
Aber weder im Freyr- Skimiruythns noch in dem von Swipdag nnd MenglQÖ ist doch der ra/rloy» so sb
deaten, nnd ebensowenig iHsst sich das DomrOschenmIrchen anf den Wechsel der tagesviten nrilckfllk-
len. Ein mythisches motir wird doch anch sicher in dem anltohneiden der brflnne der sa eriOeendea imd
zu erweckenden jnngfran za suchen sein; wihrend dies sich sehr gut auf das durchbrechen des die
schlummemde natnr umschliessenden frostpanzars durch den licht- und sonncnheros deuten lisst, wüste
ich es aas dem tagesmythus nicht zu erklSren. So habe ich denn auch bedenken , mich Wilmanna anza-
Bchliessen , der a. a. o. in seiner nach der niedenchzift des obigen teztes ecsdilenenan reoeoaion tob Lidi-
tanbeigeri buch sehr sinrelch den ersten flammenritt und die erweokung der Jungfrau auf morgeaiPte aad
sonnenaaijsang, den zweiten flammenritt und ilire Verbindung mit Qanther-SlegfHed auf abendrMe oad
nächtliche ruhe der sonne deutet Übrigens würde man sich doch auch bei dieser erklinmg die beidea
motivo, sobald sie sich zur heldensage formton, wegen der zweimaligen durehbrechung desselben hiader-
nisses nur in loee nebeneinandeihergehenden liedem, nicht in einer wirklidi einheitlidien , ia sidi
geschlossenen fonn behandelt denkea mässen.
ÜBER LICHTKNBKRQER, mSBLÜNOKN 415
lieh ZU Attila stand. Dieso konte erst nach Dietiichs lebzeiten geschehen, und sie
war nur möglich, wenn damals noch Überlieferungen von Theodemer im Umlauf
waren, in welchen der sehn in die stelle des vaters eintreten konte, überUefemngen,
welche den Attila nicht sowol als feind und unteiwerfer wie als mächtigen und wol-
wollenden schutzhem des Ostgotenkönigs erscheinen Hessen. Attila spielte also in
denselben eine rolle, welche ganz seinem namen entsprach, den die unterworfenen
Germanen, d. h. vor aüem wider die Ostgoten, ebenso bildeten oder deuteten, wie die
Russen ihren zaren Väterchen nennen. Erinnern wir uns, dass gotische spräche und
Sitte jedesfals einen hen'orragenden platz an Attilas hof einnahm, dass an demselben
seine taten in epischen liedem gefeiert wurden , dass abenteuernde germanische recken
dort genug gelegenheit zu lohnendem und ehrendem erwerbe fanden, dass ostgotische
konige unter ihm und für ihn fochten, so dürfen wir gewiss annehmen, dass sich
schon von Attilas Zeiten her lieder unter den Ostgoten vererbten, in denen er als
der grosse könig dargestelt ward, um den sich beiden und fürsten verschiedener
germanischer stamme scharen und der sich ihnen, insbesondere aber den Ostgoten
und ihrem könig, hilfireich eiweist. Wie man auch immer die frage nach der fort-
dauer von resten der Rugier in Österreich, von trümmem der Ostgoten in den öster-
reichisch-bairisohen Alpenlfindem beantworten mag, soviel ist doch sicher, dass die
reich entwickelte ostgotische heldensage und dichtung am ersten und stärksten in jenen
dem Ostgotenreiche einst benachbarten, teilweise auch ehedem zugehörigen gegenden
ausgebreitet war; und wenn nun die ältesten mittelhodideutscheu nationalepen, die
obendort gedichtet wurden, Nibelungen, Biterolf, Klage, den Charakter des Etzel und
sein Verhältnis zu germanischen fürsten, insbesondere zu dem Ostgotenkönig den vor-
auszusetzenden ostgotischen Überlieferungen entsprechend darstellen, während er in
quellen die auf fränkische und niedersächsische tradition zurückgehen als der grau-
same und herschsüchtige tyrann erscheint, so wird das gewiss nicht zufallig sein.
AId die fränkische Nibelungensage in die baiiisch- österreichischen lande gelangte,
begegnete sie eben Überlieferungen vom könig Etzel, welche von einer anderen, gün-
stigen auffassung desselben ausgiengen; und diese auffassung konte nicht ohne folgen
für die Nibelungensage bleiben , sobald sich ebendort ihre so naheliegende Verbindung
mit der Dietrichsage volzogen hatte und ein ausgleich der verschiedenen Vorstellun-
gen angestrebt wurde. Dieser entwickelung kam nun ein anderer, entscheidender
umstand entgegen. Es war ein unbefriedigender ausgang der Siegfriedsage, dass der
tod des beiden ungerächt blieb. Die nordische Überlieferung liess aus diesem gefühl
heraus den sterbenden Sigurd selbst noch seinen möi'dor töten. Die deutsche wendung
der sage ist durch eine wandeluug socialer anschauungen bedingt, die auch Lamp-
reoht, Deutsche geschieh te 1, 106 in Verbindung mit der Nibelungentradition sezt,
ohne die meines erachtens wichtigste folgemng daraus zu ziehen. Während früher
das Verhältnis zwischen bruder und Schwester als ganz besonders eng und heilig galt,
heiliger als die ehe, hielt man mit der fortschreitenden entwickelung der geselschaft-
lichen Ordnung die bände, welche die beiden gatten verknüpfen, für die festeren und
höher zu achtenden. Kriemhilds erste pflicht wurde es danach, für den ermoixleten
gemahl blutrache zu nehmen; so wui-de der Untergang ihrer mit der blutschuld bela-
denen brüder als die folge davon aufgefasst, dass Eriemhild dieser pflicht der gattin
nachkam, und die Überlieferung, dass sie ihre brüder an Etzel rächt, schwindet damit
natürlich aus der sage. Dass Etzel dabei immer doch noch als habgieriger mitschul-
diger hätte gelten können, zeigt die I^idrekssaga. Erst die Verbindung der in der
baiiisch -östcn'cichischon sage hei'schendon günstigeren auffassung Etzols mit jener
416 F. VOQT, ÜBER UCBTEMBEROIB, NIBKLÜNOKN
Yeräoderton anschauung über Eriemhilds Verpflichtungen gegen den gatten nnd gegen
die brüder hat die volle und einheitliche Umgestaltung der sage zur folge gehabt
Übrigens zeigt diese wandelung, wie früh die geschichte von Siegfried und Eriem-
hild und die vom untergange der Nibelunge als ein zusammengehöriges ganzes gegol-
ten haben muss.
Dass Lichtenberger in den lezten kapiteln für die kenzeichnung des typischen
und des eigenartigen in den motiven und Charakteren des Nibelungenliedes auch die
spielmannspoesie ztun vergleiche herbeigezogen hat, ist nur zu loben. Aber er über-
schäzt die verwantschalt der beiden. Er findet in einzelnen föllen ähnlichkeiten, wo
ich durchaus keine zu entdecken vermag, z. b. wenn er s. 328 behauptet: nous
retrouvons dans le Nibelungenlied , . » le mauvais rai, redoutable ä Ums eeux qui
pritendeni ä la tnain de aa fiüe. Die grosse verschiedonheit des ganzen poetischen
Stiles der Nibelungen xmd der spielmannsepen entgeht ihm ja nicht, und er macht
einen unterschied zwischen der art der rheinischen und deijenigen der österreichischea
Spielleute; aber nach seiner darstellung erscheint diese mehrfach als eine jün-
gere Veredelung von jener, und doch kann eine dichtungsweise, wie sie uns im
Orendel, Morolf und Oswald entgegentritt, nun und nimmermehr die Vorstufe der
Nibelungenepik gewesen sein. Das Nibelungenlied weist zweifellos auf eine lange
zeit weit treuerer und ernsthafterer pflege alter epischer überlieforungen zurück, als
sie aus jenen gedichten spricht Schon wenn er den herzog £mst mit zu jener spiel-
mannspoesie zilhlt, h< der veifusser verschiedene dichtungsarten nicht genügend
auseinander, obwohl er hier einem alten herkommen folgt Wie wenig berechtigt
dies ist, zeigt Lichtenberger selbst am besten, indem er da, wo er auf die einzelnen
charakteristischen züge dar spielmannspoesie eingeht, den Ernst ganz ausser betracht
lasst; sie finden sich eben in diesem gedichte nicht (vgl. diese ztschr. XXII, 478 und
480 fg.). Auch sonst hat der Verfasser bei seiner litterarischen Charakteristik einzel-
nes zu sehr veralgemeinert, und diesem und jenem ästhetischem urteil kann ich
nicht beipflichten. Aber im ganzen finde ich sowol die spielmannsepen wie das Nibe-
lungenlied mit richtigem nachempfinden anschaulich und ansprechend charakterisiert.
Im Nibelungenlied wird spreu und weizen meist richtig geschieden, und wenn der
Verfasser auch einiges ohne ausreichenden grund als ridieule bezeichnet, so hat er
doch für das wirklich grossartige in motiven und Charakteren volles verstSndnis. Auch
die darstellungsweise unseres grossen epos kenzeichnet er zutreffend durch die satse,
mit welchen er seine abhandlung beschliesst: Le poeie se bame ä reiraeer les ctven-
tures merveilleusee que rapporie la tradiiian, il est sobre dans ses descriptions;
rtteeent de ses ehanis est simple et frane. Dans aes vers sans pritention, sans
omements inutiles, passe un souffle de poisie natte qui etonne par son äpre
vigueur au sSduit par wie sorte de grdce arekaique, et ses lieder preteni une vie
d*une singulare puissanee ä ees figures idiales un peu raides, mais si expres--
sives, ä ees vieux h6roSy ä ees types de femmes Stranges et mystSrieux eelas dans
l'imagination des anciens Qermains*
Lichtenbergers buch ist vortreflich geeignet, in Frankreich zu eingehenderer
beschäftigung mit dem Nibelungenliede anzuregen sowie die richtige historische und
ästhetische beurteilung desselben und die erkentnis seiner nationalen eigenart dort zu
fordern. Es kann aber auch deutschen lesem zur einführung in ein litterarhistorisches
Studium unseres nationalepos recht wol empfohlen worden.
BRXSLAU. K. VOOT.
fcLÜNOEB, ibKR HAÜl^EN, CkSPJA SCäElDt 41?
Adolf Haoffen, Caspar Scheidt, der lehrer Fischarts. Studien zur ge-
schichte der grobianischen litteratur in Deutchland. (Quellen und for-
scfaungen zur sprach- und kultm'geschichte der germanischen Völker, heft 66.)
Strassburg, Trübner. 1889. X und 136 s. 3 m.
Eine kulturgeschichtlich wichtige aufgäbe hat sich der Verfasser des vorliegen-
den buches gestelt, indem er die klassische verköiperung des grobianismus, wie sie
im sechzehnten Jahrhundert durch Dedekind und Scheidt ausgeprägt worden ist, sowie
ihre vor- und nachgeschichte darzusteUen unternommen hat. Scherer durch seinen
an grossen gesichtspunkten reichen artikel über Dedekind in der Alg. deutsch, biogr.,
Milchsack durch die sorgfältigen zusammeDstoUungen vor seinem neudmcke des
Scheidtschen Grobianus hatten für eine solche arbeit bereits die wege gewiesen. Es
war selbstverständlich, dass die betrachtung von den altdeutschen tischzuchten aus-
zugehen hatte, dann zu zeigen war, wie die tischzuchten almählich parodistisch
aufgefasst werden und wie hierauf, nachdem Sebastian Brant den namen Gro-
bianis geschaffen und die litteratur des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts in
ihren meisten erzeugnissen ein gewaltiges material zur näheren ausmalung dieses
dankbaren gegenständes aufgespeichert hatte, der sog. kleine Grobianus von 1538 die
wichtigsten merkmale des zum Grobianerorden gehörenden kurz und bündig zusam-
menfassi Diesen weg ist der Verfasser unter sorgfältiger berücksichtigung des vor-
handenen materials auch gegangen und hat manche neuen hinweise hinzugefügt,
namentlich sei auf die Zusammenstellungen über Brant und Murner sowie die übrige
litteratur im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert verwiesen, s. 19 fgg.
Es wird dann weiter gezeigt, wie Dedekind das im Kleinen Grobianus bereits gege-
bene Schema besser ordnet und übersichtlicher gruppiert und der gestalt durch eine
grosse reihe von einzelzügen greifbares leben verschafb hat Trotz des lateinischen
gewandes (oder vielleicht grade wegen desselben) fand die dichtung eine ungemein
weite Verbreitung und wurde durch Scheidts Übersetzung denen, die des lateinischen
nicht mächtig waren, zugänglich gemacht Diese Übersetzung wird in der vorliegen-
den arbeit sorgfältig mit dem lateinischen original verglichen, und der Verfasser zählt
in übersichtlicher weise die Veränderungen und erweiterungen auf, die Scheidt sich
erlaubt und die im wesentlichen den zweck verfolgen, den ganzen Stoff wirkungs-
voller auszugestalten und die parodistischen demente mehr herauszuarbeiten. Sodann
betrachtet der Verfasser die zweite fassung von Dedekinds Grobianus (1582), die einer-
seits durch aufnähme einer grösseren anzahl meist aus Bebeis Facetien geschöpfter
schwanke, anderseits namentlich durch die einfügung der weiblichen nebenbuhlerin des
Grobianus, der Grobiana, sich auszeichnet Wichtig ist hier vor allem der s. 64 fg.
geführte nachweis, dass die bis jezt wol ziemlich algemein angenommene abhängigkeit
der zweiten fassung Dedekinds von Scheidts Verdeutschung volständig hinfällig und
durch nichts zu beweisen ist. Wendelin Hellbachs bearbeitung der zweiten fassung
Dedekinds, Eienheckels prosaischer auszug und Wenzel Scharffers übei-tragung in
Alexandrinern werden ausreichend charakterisiert, worauf dann noch kurz die übrigen
nachwirkungen des Grobianus zusammengestelt werden. — Ein weiteres kapitel behan-
delt Scheidts lobrede von wegen des Meyen, in der er, zum teil ebenfals auf latei-
nischen Vorbildern fassend und auch von der französischen litteratur nicht unbeein-
flusst, den mai gegenüber dem herbst herausstreicht Eine betrachtung über die
beeinflussung Fischarts durch Scheidt, welcher neben dem gereimten Eulenspiegel
namentlich noch die trunkenlitanei aus der geschichtsklitterung zu gründe gelegt ist,
bildet den schluss des buches, welches von hcrm prof. Erich Schmidt angeregt ist
ZEITSCURIFT F. OEUTSCHR PHTLOLOOIK. BD. ZZV. 27
418 SLUN01B
und einen schätzenswerten beitrag zur koltor- und litteratuigeschichte des 16. Jahr-
hunderts bietet
Was die kulturgesohiohtlichen folgerungen aus dem vorliegenden material
betrift, so möchte ich davor warnen, den werth dieser schildeinngen zu übeischatzan.
Grade die durchgeführte ironie und der algemeine beifall, den diese bei den Zeitgenos-
sen findet, zeigt doch schon eine gewisse erhebung über die greuliche unflfiterei. Es
liegt mir gewiss fem, zu bestreiten, dass in den sitton des 16. Jahrhunderts noch
immer eine entsetzliche rohheit sich zeigt, allein nach meiner kentnis des einsdila-
genden materials ist im 16. Jahrhundert der höhepunkt in dieser richtung bereits
überschritten; dieser fält vielmehr in das vorbeigehende Jahrhundert, dessen beispiel-
lose wüstheit im Zeitalter der reformation entschieden nicht wider erreicht worden
ist Es ist notwendig auf diese tatsache ausdrücklich hinzuweisen, um unrich-
tigen Vorstellungen vorzubeugen, wie sie neuerdings Johannes Janssen im VI. bände
seiner sogenanten Deutschen geschichte wider zu verbreiten gesucht hat (Vgl-
darüber meine ausführungen in der Historischen Zeitschrift, N. F. bd. XXIX,
s. 150 %g.)
Zu der nachgeschichte des Orobianius möge noch ein kleiner nachtrag beige-
steuert werden. Im jähre 1630 erschien in Augsburg eine kleine schrift: Alamo-
dische Hobelbanck (den langen titel volständig mitzuteilen scheint mir unnötig;
exemplar auf der königl. bibliothek in Berlin, Yy 1391). Sie enthält einen dialog
zwischen zwei adlichen Adolf und Rudolf, der im ganzen von sehr verstän-
digen gesichtspunkten aus sowol das grobianische wesen als die törichte nach-
äffung fremder, namentlich französischer sitten oder Unsitten bekämpft, auf eine
vernünftige und sorgfältige erziehung dringt und die forderung erhebt, dass der
adliche seinen adol ebenso durch sein ganzes inneres wesen wie durch den äusse-
ren anstand beweisen solle. Dieses gespräch erschien dann umgearbeitet, mit sehr
unnötiger pedantischer gelehrsamkeit vermehrt und dadurch entschieden nicht verbes-
sert, später noch einmal unter dem titel: Renovirte Und mercklich vermehrte
Alamodische Hobel-Banck (exemplar in Berlin, Yyl421; um 1660, da der
polnisch -schwedische krieg als eben beendet erwähnt wird, s. 181: Darum die bran-
denburgischen Soldaten in jüngstverflossenem schwedisch- und polnischen krieg
nicht vergeblich gesungen, wie schmeckt uns das leder von den gänsen so wol!)
In diesem buch schliesst sich an die dem gespräch folgenden kurzen lehren
s. 173 — 188 an ein: Eurtzverfasster Qrobianus. Allen Epicurischen
Mast-Schweinen, Venus-Nutzern, Fantastischen Pflaster-Trettern und
Müssiggengern, sich darinnen zu bespiegeln, vorgestellet Der kurze
auszug weist wider 16 abschnitte auf wie der sogenante kleine Grobianus, Qrobianus
tichzucht von 1538. Doch hat er mit diesem, der freilich ebenfals noch ziemlich
lange nachgewirkt hat, nichts zu tun. Er ist vielmehr ein kurzer auszug aus
der ersten fassung des Grobianus; das Verhältnis zu Kienheckeis bearbeitung, an
welche man wegen der prosaischen form zuerst erinnert wird, konte ich im augen-
blicke nicht feststellen, da mir diese nicht zugänglich war. Am ausfohrUchsten ist
das kapitel über das trinken behandelt, hier geht die prosa in eine art von reimprosa
über, ganz in Fischarts art, an welchen auch einige maccaronische Wendungen erin-
nern; einzelnes in dieser stelle klingt an die trunkenlitanei an.
Um eine ungefähre Vorstellung von diesem lezten selbständigen ausläufer der
grobianischen litteratur zu geben, lasse ich die einleitung und die ersten beiden
abschnitte folgen:
ÜBER BKINK, SCRAUSPIRL DKB WANDKRTRUPPEK 4lÖ
Eartzverfasster Grobianus. Wem dud diese vorgesetzte hobel-banck
allzu rigoros und streng zu seyn scheint, der kann seine fantastische, ungehobelte
Sitten behalten, und nach diesem beygefügten Grobiane vermehren und einrichten, so
wird er hie zeitlich nicht allein überall lieb und angenehm seyn, -wie die sau in des
jaden haus, und der esel in dem blumen-feld; nach seinem tod aber unfehlbar
nebens andern seinen geschwomen zunfft-brüdem, in Nobis-krug, wo man die äp£Pel
aufm sims bifttet, sein loschier finden; dann wie die arbeit, so ist der lohnl Mas-
sen sich nicht wenig finden, welche den Catonem und alle seine nachfolger, so sich
unterstehen, hoff- und tisch -zucht, moralien und tugend- lehren vorzuschreiben,
verlachen und verachten; den Syrach für einen narren und dilltappen, welcher ver-
mahnet: Wenn du bey eines reichen mannes tisch sitzest, so sperre deinen rächen
nicht auf, xmd dencke nicht, hie ist viel zu fressen, greiff nicht nach allem, was
du siebest, und nimm nicht, was für einen andern in der Schüssel lieget; Iss wie
ein mensch, was dir fürgesetzet ist, und friss nicht zu sehr, auf dass man dir nicht
gram wird; Wann du bey vielen sitzest, so greiff nicht am ersten zu, usw. Oap. 31.
Und im 42. Schäme dich, dass du mit dem arm auf dem tische liegest. Schäme
dich, dass du nicht danckest, wenn man dich grüsset. Schäme dich, nach den
buren zu sehen, und fremder mägde zu begehren, usw. Diss alles hält Monsieur
Schweinhardus Grobianus, aus Schlaraffenland gebürdig, für saalbaderey, und lehret
gerad das widerspiel; weiset hingegen seine brüder und mit-glieder auf das natür-
liche schlaff- fress- und sauff- recht, und an die heutiges tagos im schwang gehende,
incivilische mores, dann allzuviel gesetze und regeln, machen auf trucknen land
segeln, das ist, verwirrt imd nämsch seyn. Giebt ihnen demnach, mit veigün-
stigung des Plutonischen gross -printzen, nachfolgendes immerwehrendes Privilegium,
dergestalt kürtzlich verfasset, dass unser neumodische weit -fantasten, selbiges desto
leichter meroken und fassen können.
1. Erstlich und zu förderst sollen alle dem Grobianismo beygethane, für allen
dingen ihren bauch oder wanst, als ihren abgott in ehren halten, und durch die
finstere nacht, biss an das helle mittag -liecht, schnarchando, ratzen, schnarchen
und schlaffen, die wegen des tages über gepflogener woUust ermüdete glieder fein
ausrohen lassen, und nicht ehe aus dem feder-nest fliegen, biss die teller auf dem
tische liegen, xmd die fress -glocke in dem magen beginnet zu leuten, dann soll er
aus dem bette schreiten, die kleider auf den nacken fassen, und sich, wann es son-
derlich kalt ist, hinter dem warmen ofen anziehen, damit die mägde die weissen
beine und das schnee- weisse hälslein sehen, und sich darein verlieben können, auch
desto grossem appetit und lost zu ihm haben mögen; mit dem morgensegen soll er
Inhalten, und selbigen sparen, biss zu dem abendsegen: Nam quod potest fieri per
pauca; non debet fieri per plura; oder es doch knrtz und gut machen, ungefehr die-
ses inhalts: das walte gott, und kein böses weib!
2. Einen guten morgen soll er niemand wünschen, als nur der Jungfer Elisa-
bet, die ihm fein sanfft macht das bett, den andern gruss soll er erspaliren, und
mit selbigen wind die brühheisse suppen über den tisch blasen.
BERLIN. OIORO KLUNQRR.
Carl Heine, Das Schauspiel der deutschen Wanderbühne vor Gottsched.
Halle, Max Niemeyer. 1889. VIT und 92 s.
Die geschichte des deutschen volksdramas im siebzehnten Jahrhundert liegt
noch so im argen, dass jeder beitrag, der einen teil des über dem Schauspiel der fah-
27*
r^" de jr*-
420 ietiiKolEtt
renden liegeDdeo donkels zu lüften im stände ist, auf dankbare aufnähme bei den
Dachgenossen reebnen darf. Die vorliegende sohrilt nun stell zunächst die stücke
zusammen, die sich nachweislich auf dem repertoire der fahrenden befunden haben
und uns volständig erhalten sind. Dankenswert ist dann femer die s. 9 fg. gegebene
au&tellung über die herkunft der aufgeführten stücke, wobei der Verfasser sich nicht
auf die volständig erhaltenen dramen beschi-änkt. Das hauptkontingent stell das spa-
nische drama (darunter befinden sich fünf stücke von Caldei-on und eins von Lope),
daneben erscheinen fi*anzösische, niederländische und deutsche originale; ob italieni-
scher Ursprung bei allen den stücken, die der Verfasser hierher rechnet, wirklkdi
anzunehmen ist, muss dahingestell bleiben; dass auch Englands dramatische Produk-
tion noch beständig auf das drama der fahrenden einwirkte, sehen wir an dem Ver-
irten Soldaten. Weniger fordernd als diese Übersicht ei'scheint mir die zusammenstd-
lung der im ernsten drama der fahrenden verwendeten motive s. 15 fgg.; man eihilt
kein richtiges bild, ebensowenig wie aus der s. 80 fgg. gegebenen übersieht über die
am häufigsten vorkommenden Hanswurstcharaktere. S. 42 fgg. berichtet der Verfasser
auf grund der erhaltenen dramen über die art der darstellung, rollenbesetzung, das
aussehen der bühne, die notwendigen requisiten und ähnliches, wobei s. 43 richtig
bemerkt wird, dass in den dramen das extemporieren im wesentlichen auf die komi-
schen scenen sich beschi'änkte, was sich übrigens auch aus den älteren puppen-
spieltexten ergibt
Der hauptwert des buches beruht auf den s. 61 fgg. gegebenen analysen ans
di-amenhandschriften der fahrenden, welche die Wiener bibliothek besizt Ob nüt
diesen und den von dem Verfasser früher gegebenen mitteilungen die schätze dar
Wiener bibliothek nach dieser richlung hin erschöpft worden sind, sagt der Verfasser
nirgends; der referenl, der die Wiener bibliothek nicht kent, vermag darüber selbst-
verständlich kein uiieil abzugeben. Das verhältnismässig vollendetste der analysier-
ten stücke, scheint, soweit sich aus den mitgeteilten inhaltsangaben schliessen lasst,
die komödie in 12 personen s. 66 fgg. zu sein.
Kann somit in bezug auf das neu beigebrachte malerial die arbeil als eine
dankenswerte bereioherung unserer kontnisse des dramas der fahrenden dankbar ent-
gegengenommen werden, so erscheint dem referenten das verfahren des Verfassers,
näheres über das repertoire der Wandertruppen zu ermitteln und festzustellen, bei
weitem nicht ausreichend zu sein. Auf grund der wenigen gleichzeitigen handschrif-
ten, die der zufall vor dem verderben gerettet hat, lässt sich sicher kein auch nur
annähernd richtiges bild von der beschaffenheit und dem umfange dieses repertoiies
gewinnen, unsere kentnis derselben würde immer eine ganz mangelhafte bleiben^
wenn wir nicht ein wichtiges hilfsmittel mit hinzunehmen: die Puppenspiele. Ein
grosser teil der gedruckten imd handschriftlich erhaltenen Puppenspiele reicht in sei-
nem kern in die zeit des endenden siebzehnten Jahrhunderts zurück; bei den meisten
kann, wenn man ihre litterarisohe abstammung betrachtet, gar kein zweifei darüber
bestehen, dass sie auf der bühne der fahrenden gespielt sind und als volksdramen das
Publikum orgözt haben. Freilich die aufgäbe, die sich somit ergibt, ist nicht leicht
Zunächst geben die samlungen von Puppenspielen, die wir bis jezt besitzen, so vor-
trefliche dienste sie auch unter umständen der forschung leisten, doch nur einen
verschwindend kleinen bruchteil der auf den puppenbühnen gespielten stüoke wider.
Es müste also zu einer derartigen arbeit das. reiche handschriftliche material hinzu-
gezogen werden, das noch auf den verschiedenen deutschen bibliolheken zu finden
ist Dann müsten natürlich die spiele ausgeschieden werden, von denen ein zurück-
ÜBKB KRAUS, PUPPENSPIEL VOM DOCTOR FAUST 421
reichen bis an den anfang des achtzehnten Jahrhunderts oder noch ins siebzehnte
Jahrhundert nicht angenommen werden kann. Natürlich wären auch diese spiele einer
genauen Untersuchung zu unterwerfen, denn nicht selten komt es vor, dass teile
älterer stücke in ganz junge Puppenspiele hineingeraten sind. (Ein beispiel in dieser
Zeitschrift XXI, s. 119. Braunes neudrucke, 90 und 91, s. XIV.) Und ebenso lie-
gen uns ja die älteren Puppenspiele vielfach überarbeitet, korrumpiert und duix^h
roannichfache zusätze entstelt, vor. Diese stücke müsten ebenfals einer eingehenden
Untersuchung unterworfen werden; durch vergleichung der verschiedenen iassungen,
durch ermittelung der stücke, von denen sie abgeleitet sind, durch die mittel, die
die innere kritik an die band gibt, ist dann der versuch zu machen, den ursprüng-
lichen kern in diesen stücken festzustellen.
Eine ähnliche arbeit, wie ich sie eben skizziert habe, ist gewiss nicht leicht
Sie sezt eine ausgebreitete belesenheit, ein nicht geringes philologisches geschick und
eine sichere kombinationsgabe voraus. Dennoch müssen versuche gemacht werden,
sie zu lösen, bevor man zu einer wirklichen erledigung der frage schreiten kann,
deren beantwortung der Verfasser in dem vorliegenden buche unternommen hai Dass
auch das gleichzeitige kunstdrama (z. b. die stücke des Verfassers dßt Kunst über
alle künste) für die erkentnis des Schauspieles der fahrenden manche wichtigen
anhaltspunkte gewährt, die noch keineswegs genügend ausgenuzt sind — darauf sei
nur mit einem werte vorläufig hingewiesen; ich denke in nicht alzulanger zeit darauf
zurückzukommen.
BERLIN. eiORe ILLINeiB.
Das böhmische Puppenspiel vom doctor Faust. Von Ernst Kraus« Abhand-
lung und Übersetzung. Breslau, vorlag von Wilhelm Köbner. 1891. VI und
170 s. 3 m.
Das vorliegende buch hat das verdienst, unsere kentnis von dem ozechischen
Faustpuppenspiel, die sich bis jezt im wesentlichen auf Andrees bekanten bericht grün-
dete, beträchtlich zu vermehren und zwei volständige fassungen des Spieles in einer,
wie es scheint, getreuen Übersetzung bekant zu geben. Der Verfasser hat die beiden
texte (neben denen Andrees bericht und aufzeiohnungen eines Studenten über eine
auflnhrung des Puppenspiels nur wenig in betracht kommen) einer sorgfältigen ver-
gleichung unterzogen, deren nachprüfnng dadurch wesentlich erleichtert wird, dass
die beiden spiele in sauberem abdruck neben einander gestelt sind. Das resultat
dieser vergleichenden Untersuchungen über das Verhältnis der beiden fassungen zu
einander ist dieses, dass die gleiche anläge sowie viele Übereinstimmungen im ein-
zelnen auf eine gemeinsame vorläge hinweisen. Gegen diese annähme wird sich
gewiss nichts einwenden lassen. Über das alter dieser vorläge, die mit C bezeichnet
wird, spricht sich der Verfasser mit der grösten vorsieht aus; die sprachlichen erwä-
gungon, die er anstolt, scheinen ihm zur altersbestimmung entscheidende merkmale
nicht zu gewähren; aus inneren gründen, über die wir indessen keine nähere aus-
kunft erhalten, glaubt er sich aber zu dem Schlüsse berechtigt, dass C weit in das
achtzehnte Jahrhundert hinaufreiche. Auf die weitere frage nach der vorläge von C
geht der Verfasser zunächst durch eine vergleichung der böhmischen texte mit den
deutschon Puppenspielen ein: irgendwelche nennenswerte aufschlüsse ergeben sich
indessen auf diesem wege nicht, obgleich einzelne gute parallelen angeführt werden.
Noch weniger können aber die ansichten befriedigen, die der verfiEusser über das ver-
422 KLUNGEB
hältnis der Volkslieder vom Faast zu den czechischen Puppenspielen vorträgt Die
an sich nicht alzu schwer zu erkennenden beziehungen zwischen dem volksdrama
und dem epischen volksliede von Faust sind in neuester zeit durch einen unnötigen
aufwand subtilster Untersuchungen mehr verdunkelt als erhelt worden. Die widitigste
der dabei in betracht kommenden fragen ist bekantlioh die, auf welche weise die in
dem epischen volksliede vorkommende soene, in der Faust sich den eilöser am kreuz
malen lässt, in das drama gekommen ist Kraus versucht den knoten mit einem
kühnen streiche zu durchhauen. Auf dem titelblatt des ältesten druokes des epischen
faustliedes wird ein Pragerisches Comoodi-Iied erwähnt Das bezog man bisher auf
das bekante lyrische FausÜied: , Fauste, jene Himmelsgaben *^, welches als zweites
stück mit in dem erwähnten druck enthalten ist und dessen bezeichnung als komödi-
lied schon um deswillen keinen anstoss bot, als das lied tatsächlich in mehreren
Puppenspielen vorkomt Kraus stelt nun die ansieht auf, dass nicht das lyrische,
sondern das epische Volkslied als Pragerisches Komödi-Iied bezeichnet werde. &
schliesst weiter, dass das lied den inhalt einer Prager auffuhrung widergebe. Da
Prag ausdrücklich erwähnt wird, so muss nach seiner meinung diese Prager auffuh-
rung eine ganz besondere bedeutung innerhalb der geschiohte des volksdramas haben.
Auf diesem woge gelangt Kraus zu der behauptung, dass im siebzehnten Jahrhundert
mit dem deutschen volksdrama in Prag eine entscheidende Umarbeitung vorgenommen
sei; und aus dieser bearboitung sollen sowol die deutschen Volkslieder als die epische
vorläge von 0 geflossen sein.
Ist nun schon der reale Untergrund, auf dem diese Vermutungen sich aufbauen,
im höchsten masse bedenklich, so wird die ganze hypothese volkommen hinfällig,
wenn man das titelblatt des ältesten druckes der Faustballade genauer ins äuge fasst
Bei unbefangener betrachtung kann es nämlich durchaus nicht zweifelhaft sein, dass
mit dem Pragerischen Gomödi-Iied das lyrische gedieht gemeint ist Was Kraus
s. 95 fg. dagegen anführt, lässt sich nirgends halten. Der titel begint: ,Eine neue
ausführliche Beschreibung des weit- und wohl -bekannten auch weit- berühmten Johann
Doctor Faust Von Anhalt geboren, Meister der höllischen Geister, wie er sieh mit
den zwey Oeistem auf 24. Jahr verschrieben hat'' und nun folgt eine weitere, sum-
marische und grobe Zusammenfassung des inhaltes des epischen liedes in Sätzen, die
meist mit wie eingeleitet werden; am Schlüsse der satz: „wie solches femer im Pra-
gerischen Comödi-Iied zu vernehmen seyn wird^. Es ist volständig ausgeschlossen,
dass, nachdem so lange von dem ersten liede die rede gewesen ist, dieser satz. der
offenbar auf etwas ganz neues, jedesfals auf etwas anderes als das, wovon bisher
gesprochen, hinweist, nun ebenfals auf das epische lied zu beziehen sein solte. Wer
schon viele fliegende blätter des endenden siebzehnten und beginnenden achtzehnten
Jahrhunderts gesehen hat und mit der art des ausdrucks der titelfassungen vertraut
ist, wird gewiss zugeben, dass der titel weiter nichts sagen soll als: „Ein lied von
der persönlichkeit und den taten des Faust, femer ein zweites lied (das Pragerische
Comödi-Iied), in welchem ebenfals von der persönlichkeit des Faust die rede ist''.
Vorausgeschickt hat der Verfasser diesen untersuchtmgen eine recht lesenswerte
Übersicht über die ziemlich dürftige böhmische lokalsage vom Faust, eine Übersetzung
des Faustbuches von 1587, eigene czechische dichtungen, die an Faust und verwante
Probleme anknüpfen, sowie mitteilungen über die czechischen nachdichtungen des
Ooetheschen Faust
BKRUir. OKORG BLUX90SB.
ÜBBB BOLTE, BAÜIR IM UEDB 423
Der bauer im doutschen liede. 32 lieder des 15. — 19. Jahrhunderts nebst einem
anhange herauitgegebon von Johannes Bolte. Berlin, Mayer und Müller. 1890.
(Acta Germanica, organ f. deutsche philologie, herausg. von Henning und Hof-
fory. in.)
In dem vorliegenden buche hat Bolte aus einzeldmcken, handschriftlichen und
gedruckten hedersamlungen eine reihe von erzeugnissen des volks- und geselschafts-
liedee zusammengestelt, in denen der bauer und sein leben im mittelpunkte stehen.
Der naive stolz des bauem auf die vortreflichkeit seines Standes komt in diesen lie-
dem ebenso zum wort wie die klagen über die mühseligkeiten, die das b&uerliche
leben mit sich bringt; fast alle Verhältnisse des bauemlebens werden gestreift. Das
bäuerliche liebeslied in den verschiedensten formen fehlt ebensowenig wie derbe tiink-,
neck- und scheltlieder und die volkstümliche ballade; die leiden des bauem, etwa
im kriege, werden uns in charakteristischen liedem ebenso vorgeführt wie seine
freuden im Wirtshaus und bei der kirms. Durch diesen umfassenden Charakter erhält
die samlung einen besonderen kulturgeschichtlichen wert, zumal die äussemngen aus
bäuerlichen kreisen und über bäuerliches leben, die hier vermnigt sind, nicht einer
einzigen periode angehören, sondern aus den verschiedensten zeitaltem stammen und
somit zu vergleichenden beobachtungen hier reiche gelegenheit geboten wird. — Die
meisten der mitgeteilten lieder waren bisher noch nicht bekant; aber auch wo bereits
irgendwo pubUcierte lieder mitgeteilt werden, gibt der herausgeber aus dem reichen
schätze seiner samlungen neue und bessere fassungen.
Die einleitung skizziert kurz die Stellung, welche der bauer in den ver-
schiedenen Perioden der deutschen litteratur eingenommen hat, und verfolgt die
Wandlungen des geschmacks in dieser beziehung bis auf die gegenwart Im anhang
werden zunächst zwei Sprüche, ein lob der bauem und eine klage über die hof-
fiahrt der bauem, aus einer Münchener handschrift des fünfzehnten Jahrhunderts
mitgeteilt; femer enthält der anhang ein sehr wertvolles Verzeichnis von liedem über
den bauemstand aus samlungen, Zeitschriften und fliegenden blättem. Namentlich ist
die reichhaltige samlung von fliegenden blättern des 18. und 19. Jahrhunderts, welche
die königliche bibliothek in 25 miscellanbänden besizt, von dem Verfasser für dieses
Verzeichnis ausgenuzt worden.
Jeder freund der volkspoesie wird dem herausgeber für seine gäbe von herzen
dankbar sein.
moojN. GEone ellinqks.
Egberts von Lüttich Fecunda ratis. Zum ersten mal herausgegeben, auf ihre
quellen zurückgefühii und erklärt von Ernst Tolgi. Halle a. S., Max Niemeyer.
1889. LXYI und 273 s. 9 m.
In dem geleitsbriefe ad Alb ol dum episcopum bezeichnet sich der Verfasser
der Fecunda ratis, die uns hier in volständiger commentierter ausgäbe geboten wird,
als B. seraoram dei humillimus presbiter. Jener kann nur sein bischof Adalbold von
Utrecht (seit 1010), vorher archidiaconus an der kathedrale zu Lüttich, der 1026,
27. nov. starb. Zwischen 1010 und 1026 also ist das werk verfasst; genauer zwi-
schen 1022 und 1024, da der dichter der von Qugny aus über die Niederlande sich
verbreitenden askese mit rücksichtsloser schrofheit entgegentritt, der si(^ doch Adal-
bold in seinen lezten jähren zuwante, und unter der von westen vordringenden ketze-
rei, die er in dem stücke de malis Francigenis brandmarkt, die Neumanichaeer
r
424 PBPER
zu veretehen sind, die durch dio synode yod Orleans 1022 verdamt wurden. Adal-
bold würde auch in seiner zwischen 1018 bis 1022 verfasaten Schilderung der taten
kaiser Heinrichs U., in der er die Thietmarsche gmndlage mit Sentenzen und Sprich-
wörtern verzierte, dio Fecunda ratis zum schmuck seiner darstellung verwant haben,
wenn dieselbe ihm vor dieser zeit zugekommen wäre. Der Verfasser hatte das
50. jähr überschritten, als er schrieS, war also ungefähr 972 geboren. Er war Adal-
bolds gleichaltriger Schulkamerad; dieser aber war nicht in Laubach erzogen unter
Heriger und hatte nicht zu Gerberts füssen gesessen, wie fiüschlich angenomm«!
worden ist (Lobiensis bei Sigebert ergibt sich als Schreibfehler für Leodiensis): er
hatte zu Lüttich unter Notker seine ausbildung erhalten und ist zwischen 999 und
1003 Vorsteher einer dorn- oder stiftsschule — nicht der kathedralschule selbst, die
sich Notker vorbehalten — gewesen. — unter der Lütticher geistlichkeit und den
Zöglingen der dortigen schule unter Heiniich U. und Eonrad ü. findet sich mit dem
anfangsbuchstaben £ (ausser dem bereits 1012 vei*8torbenen Erluin) nur ein l^^rt,
von dem Sigebert von Oembloux c. 146 berichtet: Egebertus clericus LeodiensiB scrip-
Sit metrico stilo de aenigmatibus rusticanis librum primo breuem sed ampliato
rationis tenore scripsit de eadem re metrice alterum librum maiuscuium (was Trit-
heim mit- formelhaften Zusätzen ausgeschmückt und mit falscher datierung versehen
hat). Damit ist inhaltlich unser werk bezeichnet (wie sich auch sonst Sigebert mit
der angäbe des sachlichen inhalts statt des titeis begnügt), vgl. soholion zu I, 3 eo
quod plena iocis et rusticis instrumentis; auch weite sich der dichter anfänglich nur
mit der uulgi sententia, dem communis sermo befassen. Der ausdruck aenig-
ma aber ist ein umfassenderer und wird neben parabola und proverbium gebraucht,
wie u. a. Alani über parabolarimi, d. h. sprichwörtersamlung, zeigt. Im weiteren
verlauf hat er freilich die grenzen nicht innegehalten und teilt diesen fehler mit ali^i
sprichwörtei'samlungen des mittelalters. Was endlich Sigebert von einer doppelten
bearbeitung sagt wird durch unsre dichtung bestätigt, in der die kürzere urform in
der ausführlicheren bearbeitung noch kentlich ist: v. 1 — 4 bilden den prolog, 1006 —
1006 den epilog einer aus rund 1000 versen (einer im mittelalter beliebten verszahQ
bestehenden spruohsamlung.
Für zeit, ort, namen, stand ist somit eine feste grundlage gewonnen. Er lebte
unter Otto ü. und lü, Heinrich ü. und Konrad U., unter den Lütticher bischöfen
Notker f 1008, Balderich f 1018, Wolbodo f 1021, Durand f 1025 und vielleicht
Reginard (f 1036).
Von seinem Jugend- und mannesleben ist wenig bekant: aus einem deutsdien,
adlichen geschlechte stammend und wie sich aus seinen äusserungen ergibt, für die lauf-
bahn des weltgeistlichen bestimt, kam Egbert um 979 in die schule Notkers, trat in
ihr seinem mitschüler Adalbold nahe und ergriff mit eifer, was ihm die schule bot;
von eingehenden fachstudien nach dieser zeit zeugt seine umfassende belesenheit und
gründliche kentnis der bibel wie der kirchenväter. Er wurde dann presbyter und
erlangte einen festen platz in der domgeistlichkeit. Eine lange mühselige louiter-
suchung widmet der herausgeber der frage, an welcher anstalt Egbert gewirkt
habe: es kann keine kloster-, auch keine der sieben Lütticher pfusohulen niederer
art gewesen sein; es bleibt für ihn nur die eine höhere lehranstalt, die Lüttioh um
jene zeit besass, die dom schule. Die namen der Scholastiker aber, die sie geleitet,
und ihre amtsgahre sind durchaus bekant; unter ihnen findet sich für ihn kein platz.
Aber eine bischöfliche domsohule kann nicht der tätigkeit eines einzelnen mannea
anvertraut gewesen sein, trivium und quadrivium nicht in einer hand gelegen haben:
tJJUER EGBBRTS FICÜNDA KATIS ED. VOIGT 425
es hat unter den scholastici aach proscholi, submagistri gegeben, und ein solcher ist
nach ansieht des herausgebers auch Egbert gewesen für das gebiet des trivium: er
lehrte grammatik und wertschätz der lateinischen spräche, rhetorik, dialektik. Und
zum zwecke der erweiterung und ergänzung des trivialen profanunterrichts hat er seine
prora geschrieben. Der herausgeber stelt nun sorgsam aus dem werke zusammen
alle hindeutungen auf Egberts erfahrungen im lehrerberufe und seine pädagogischen
maximen; er zeichnet ein freundliches bild des fünfzigjährigen, der einst einen höhe-
ren Wirkungskreis gehabt und sich nun auf die Unterstufe beschränkt sieht, für die
or dies lehr- und lesebuch abgefasst hat. Zum erstenmale ist in diesem die ein-
heimische Spruch- lud beispielspoesie in ausgedehntem masse berücksichtigt; es
ist für die didaktische dichtung der sächsischen kaiserzeit das geworden, was der
Waltharius für die epische ist Es sind drei gruppen^ in die sich das ganze werk
Egberts zerlegt: A. die Cätogruppe, di^ in der hauptsache nur proverbien und Sen-
tenzen enthielt, in einzeiligen (bis 596) und zweizeiligen (bis 1006) Sprüchen; da die
fabel, das zweite element des primärunterrichts, in dem engen räume nur in ihren
pointen angedeutet wci'den konte, nahm er in der zweiten gruppe B. in drei-, vier-
und mehrzelligen gedichten (bis 1768) den wetstreit (?) mit der römischen fabel dich-
tung auf und führte darin zugleich ein buntes allerlei welÜichen, vorhersehend bio-
graphischen Charakters vor (die elemente von B sind hauptsächlich 1) spruchartige
betrachtungen aus der Bibel, den kirchenvätem, den klassikem, den einheimischen
spi-uch- und formelschatz, 2) solche, welche des dichters individueller empfindung
klagenden oder satirischen ausdruck geben, 3) fabeln und fabelelemente, nebst lehr-
haften erzählungen und schwanken); da endlich der trivialunterricht nicht Selbstzweck,
sondern nur Vorläufer und grundlage der theologischen Studien war, so fügte er eine
dritte hauptgruppe C (605 verse) hinzu, welche katechismusstücke, ethische, alle-
gorische, legendenhafte abschnitte umfassto (aus der bibel, Gregor, Augustinus, Am-
brosius u. a.) zur Vorbereitung und einführung in die geistliche gelehrsamkeit. Die
dem profanen lehrstoff im wesentlichen gewidmeten gruppen A und B machte er zum
ersten, die theologische gruppe C zum zweiten buche der dichtung und nanto das
ganze, das wie die arche Noah die ganze weit im kleinen umsohloss, das vol-
beladene schiff, und seine beiden bücher bug und Spiegel.
Von der älteren prosa, der gruppe A, v. 1 — 1006 (warum nicht in gleicher
weise für die anderen teile des werks?) stelt der herausgeber sodann die quellen (A:
römische littoratur, prosa und poesie, B: bibel, G: die kirchenväter), soweit sie zu
ermitteln waren, zusammen und zeigt, dass der vei'fasser aus einer altem recension
der contradictio Salomonis geschöpft haben muss. Egbert bietet unmittelbare
fruchte umfusender auf die quelle zurückgehender lektüre; seinem werke liegen nicht
bloss excerpte und fiorilegien zu gründe. Seine answahl aus den queUen war keine
erschöpfende; nur für die einheimischen sprichworter strebte er nach möglichster vol-
zähUgkeit. Es ist ein schätz von über 200 wirklich einheimischen Sprich-
wörtern und beispielen durch ihn überliefert, ein schätz, der von jedem kenner
der Volkskunde im vergleich mit der gnomik anderer nationen als ebenso gross und
mannigfach wie sinnig und poetisch bewundert werden wird und hinter dem alle
neueren samlungsversuche geradezu verschwinden.
In welcher weise Egberte dichtung auf ihre und die folgende zeit gewirkt hat,
ist schwer zu sagen. Sie ist nur in einer handschrift (cod. 196 der Kölner dombiblio-
thek) und in einem excerpte (n. 51 — 60 der Proverbia Rustici s. XHI in., s. Bom.
Forsch, m, 639) überliefei-t; aber vereinzelt ist sie, wie die sohoUen der handschrift
<^ "«■••r»h m.
426
beweisen, im Unterricht benuzt worden, und als schuhnann wird Sigebert von Gern-
bloux sie kennen gelernt haben. Es scheint doch, dass es das voi^gehen Egberts
ist, welchem wir die weiteren spiniohdichtungen des XI. Jahrhunderts verdanken:
AmulüB Delidae den, Otlohs liber pronerbiorum, die Prouerbia Wiponis, die
Scheftlarer Sprüche, vor allem die Prouerbia Heinrid, an die sioh im XIL und
XIII. Jahrhundert anschliessen das Florilegium Yindobonense, die alphabetische Uä-
tenlese von St Omer, die Proverbia Rustid, das Florilegium Gottingense, die durch
die in den nationalspraohen abgefassten, teils mit teils ohne lateinische veision
erscheinenden deutschen und französischen spruchwerke vervolstilndigt werden.
Das Verhältnis dieser samlungen zu Egbert, mit dem sie oft im Wortlaut auf-
fällig übereinstimmen, darzulegen hat der herausgeber wol mit absieht in recht»
erkentnis, dass dazu mancherlei vorarbeiten gehören, noch nicht versucht (vgL I, 146.
224. 336). So ist auch das Verhältnis des scholiasten zu Egberts arbeit (s. s. YIU)
nicht völlig klar gelegt; manchmal irt der scholiast (nicht überall, wo Voigt einen
irtum annimt), manches hat er sdbst nicht verstanden; manches versteht er, was
wir nicht belegen können (z. b. I, 334); sdn scholion steht einigemal den original-
sprich Wörtern näher, als die fassung, die Egbert dem spruohe gegeben hat (z. b. I,
154 verglichen mit dem Friesischen Sprichwort), oder er kent offenbar die quelle des
Spruchs (wie I, 180). Ist es einor, der die scholien verfasst hat? Sind sie das werk
mehrerer? waren ihm oder ihnen die quellen Ejgberts bekant und zur band? Die
nächstliegende Vermutung ist wol die, dass der scholiast ein ehemaliger schüler des
dichtere gewesen ist
G^hen wir nach dieser darlegung der grundzüge der einldtung zu dem werke
Egberts sdbst über, so können wir nicht verhehlen, dass Voigt den wert des werkes
unserer meinung nach doch überschäzt und ihm zu viel ehre angetan hat. Wenn
wir auch Egberts samlung der deutschen Sprichwörter hochschätzen und an seiner
auswahl bezdchnender, origineller stellen der bibel wie der kirchenväter unsere fireude
haben, so lässt sich doch bei der metrischen und sprachlichen behandlung, die
dieser stoff durch ihn gefunden hat, eine förderung der schüler, die er durch das buch
beabsichtigte, kaum als möglich denken — sie kann noch viel weniger, bd aller neigung
zu jenen Studien, uns heute irgend anmuten. Um so mehr ist es zu bewundern, was
der herausgeber, um jenen deutschen schätz zu heben, mit hingehendstem eifer und
entsagungsvoller unverdrossenhdt aus diesem werke gemacht hat: ein buch voll des
interessantesten Stoffes, das keiner, der für den sprach sinn hat, ohne gewinn aus
der band legen wird; ein unentbehrliches rüstzeug für alle, die mit dem spriohwör-
terwesen im algemeinen und besonderen sich befassen. Der text sdbst bot dem her-
ausgeber bei der beschaffenhdt der einen handschrift nicht gar grosse schwierigkd-
ten; was wir im einzdnen dagegen zu sagen haben, reihen wir später in unsre
bemerkungen ein. Das Verständnis desselben konte nur durch den bewunderns-
werten fleiss und die staunenerregende findigkeit (eigenschaften, die uns am heraus-
geber nicht mehr neu sind), mit der Voigt die beziehungen der einzelnen vei^ (ja
werte) und ihre qudlen aufspürte und von allen Seiten her und aus allen zeiten
belege sammelte, gefördert, meist überhaupt erst ermöglicht werdend Wie versteht
er es, sdbst aus einem scheinbaren nichts etwas zu machen, was band tmd fuss hat,
1) Da» lugeachick des dichten iat besonders za beklagen in den monosticha (Tgl. I, 131; oluo
kommentar iat vieles ganz nnventlndlich , vie I, 269. S28 n. a.; die konstroktion macht gar oft die
gxOeten Schwierigkeiten I, 222 fg. 888 n. a.). In den zwei- und mehneiligen Sprüchen veningert noh die
nnklartieit: sie war ah» folge des metrischen zwangee.
ÜBBR EGBERTS FECUNDA RATIS ED. YOIOT 427
und aas taabem gestern goldkörner zu gewinnen! So ist das buch eine reiche fund-
grabe* edlen erzes geworden, aus der man erquickong gewint für die mühseligkeit
des teztstudiums, und die man auch ohne den text zu berücksichtigen gern wider
aa£BUchi
Bei den Schwierigkeiten, mit denen der erklärer auf schritt und tritt zu ringen
hatte, ist es für ihn kein Vorwurf, dass er manches oft recht naheliegende übersehen,
dass er wideram öfters Schwierigkeiten gefunden hat, wo solche nicht vorliegen, und
über das ziel hinausgeschossen hat Wir wollen im folgenden zusammenstellen, was
wir im einzelnen einzuwenden oder hinzuzufügen haben.
Zum öfteren hat der herausgeber in dem teile, der zumeist monosticha enthält,
mehrere derselben zusammengegliedeit Sicherlich gibt es doppelverse, z. b. 222 fg.
244 fg.: aber die grössere zahl derer, die Voigt dazu stempeln will, dürfen wir nicht
als solche anerkennen. Abgesehen von unrichtiger erklärung (siehe unsere weiteren
bemerkungen; sodann 575 fg.) ist doch zu bedenken, dass der dichter in derselben
zeit ganze versreihen geschaffen hat, wo dann ein gedanke den anderen erzeugte;
so ists nicht wunderbar, wenn mehrera verse hinter einander verwanten sinnes sind.
Aufßllig ist das, um ein beispiel von vielen anzuführen, bei v. 50 und 51, die auf
boobaohtung verwanter erscheinungen beruhen. Zu doppelversen verbinden dürfen
wir dieselben darum doch nicht Ich beanstande also diese Verbindung bei 12 fg.
30 fg. 34 fgg. 46 fg. 148 fg. 161 fg. 205 fg. 218 fg. 333 fg. u. a.
Zur erklSrung möchte ich mir eriauben folgende kurze bemerkungen anzu-
fügen.
46 poletrinus kann hier nimmermehr „füllen*^ bedeuten; es ist dasselbe wie
poltron, desidioaus, segnis s. Du Gange. Der folgende vers hat nur entfernte verwant-
schaft damit und ist abzutrennen.
174 kann pro meines eraohtens nur praeposition sein.
178 uertit ist gleich euertit im gegensatz zu sUmtea zu fassen.
180 Die erklärang «ganz abgesehen usw.*^ ist entbehrlich.
319 Wenn der scholiast^/b« als aorornxoris erklärt, so möchte ich sein zeugnis
doch nicht ohne weiteres ablehnen. In die njimen verwantschaftlicher beziehung hat
sich allenthalben eine erweiterte bedeutung eingeschlichen, und grade die bezeichnun-
gen Schwager und Schwägerin zeugen davon. Die ehe mit der Schwester der verstor-
benen frau ist noch heute in vielen landen nicht ohne anstoss. — Der sinn des ver-
ses ist bei dieser annähme ein guter.
327 Ich interpungiere: Our . . . eliUUaa? propter aseUoa. Ich finde keine difFe-
renz zwischen Egbert und seinem scholiasten.
415 Man kann die stelle auf die feuer- und rauchaäule des Exodus (13, 21)
deuten, oder auf Frontin ü, 5, 16 verweisen: interdiu fumo^ nodu igne signifieare.
Das in der anmerkung beigebrachte scheint mir fremdartig.
428 Ich interpungiere: Omne, guod est, in pr, 8tat limUe eaaua (comm geni-
tiv). Alles auf erden ist dem zufall unterworfen. Die erklarungen und parallelen
die Voigt gibt, scheinen mir nicht zu passen.
434 Man darf nicht anstand nehmen, hanor in seiner eigentlichen, weiteren
bedeutung festzuhalten; vgl. 510.
459 Die Zusammengehörigkeit mit 458 steht nicht so fest Mit hoc earmen
ist der ruf oder ton „but but^ bezeichnet — also die klammem müsten fort Was
de eomibus besagen will, ist nun nicht schwer zu enträtseln. Die knaben „tutten*^
auf den hörnern {eamutant)^ bringen leider keine imd^ren töne als das ewiff wider*
. «W^äMMfarta ^
428 pufer
holte bui but horvor; nicht besser, deutet er damit -an, sind ihre schoUeistaDgen.
Die bttcoina wird in Diefifenhach Gloss. 85 butieina oder auch btäicitina genant,
btUare (neben buffare d. h. buffas inflare) erwähnt Da Gange: das hängt wol beides
mit dem naturlaute but but zusammen.
464 Wer sein leben bedroht sieht and sich nicht zar wehr sezt, ist an einem
morde schuldig, ist so gut wie ein Selbstmörder.
523 Die erklärung passt nicht; so trivial der vers ist, muss sich doch Egbert
etwas dabei gedacht haben; wahrscheinlich: „kein genoss ohne arbeit; jeder genuss
will errangen sein.^
531 Ich tilge das komma hinter humi^ denn nee ist nur verstaiites tum
oder soviel wie ne — q9Udem.
538 Ich sähe lieber et statt est.
571 Das komma muss hinter, nicht vor beilum gesezt werden:
dum ioeus est bellum, cessare (sc. a beUo) et omittere debes.
572 donis: natürlich ein ganz frostiges Wortspiel, wenn nicht ein bittrer tadel
gegen die lohrer diin steckt, welche geschenke nehmen — wie übrigens Voigt selbst
schon s. XLI anm. 7 vermutet.
605 Ich verstehe den vers nicht, wenn stipulas imitatus verbanden werden
soll; ich würde lieber construieren: ecUtulus inprimis oberrat stipukts (vorwarf der
Oberflächlichkeit, vergleich aus dem leben geholt: wer hätte nicht schon wildernde
katzen über die stoppeln streichen sehen?) imitatus artem (nicht initiaius oder
institutus arte)^ ad quam sollers uix produxeris ueterem. Es wird trotz deiner
anstrengung, trotz langen onterrichts nie etwas anderes als eine näscheiin aus ihr.
628 Ich nehme iurgia im eigentlichen sinne: irrita iurgia iaetabit =» ipsa
suas nolit pondus habere preces? post pretium dandum »» quae poseet munus,
659 Die zweite hälfte der erldärung scheint mir entbehrlich: (, andrerseits darf
nichf^ usw.); ich kann eurruea nur als hahnrei gelten lassen.
701 nunc scheint mir keine gute besserung der hds. lesart non: es dürfte sich
noua . . tusor empfehlen, wie z. b. Quid M. IX, 103 naua cum eoniuge bietet
717 edita kann nicht richtig sein (geboren?), es soll doch „bedeckt*^ heissen.
Könte scherzhaft eondita gesagt sein?
722 Wie Voigt diesen vers mit 721 verbindet, ist mir nicht klar geworden.
Ich würde s. 721 als ausruf der matter in anführangszeichen einschliessen : da (als
die mutter das kaum gesagt) ist auch der wolf schon da. Auch bei uns üblich.
871 Ich sehe keinen grund, aiebat zu ändern.
877 Solte nicht besser komma hinter salubres, kolon hinter amor gesezt
werden?
999 Der vers hat meines erachtens mit dem Soldaten bei Horaz nichts zu ton;
er steht in gedanklicher verwantschaft mit den ihn umgebenden versen 997 fg. und
1001.
1023 Ich würde lieber amorem schreiben.
1129 Der gedanke muss sein: mit der indignatio ist es nicht getan, trotz deren
gedeihen sie wol; sie müssen zertreten werden. Daraus ergibt sich mir iam non
minus illa uigescunt; aus uiescu/nt, wie man wol schrieb, war leicht der fehler quie-
scunt gemacht
1180 Der vers kann nicht dem fuchse in den mund gelegt werden. Natürlich
hat der bär als bowerber an der wähl nicht selbst teilgenommen; aber er hat seine
hinterträger gehabt und durch sie des fuchses misgünstiges votum erfahren; dafür
ÜfiKfi BOfiEMS l^KCÜNbA luUS Et. VOlOT 429
hat er ihn denn später (inde) derb abgestraft, nnd danach {hinc muss man statt kic
schreiben) berichtet der fuchs den brüdem sein leid. Also die anfühmngszeichen vor
und hinter 1180 müssen weg, hinter 1181 muss kolon gesezt weixien.
1205 Erwünscht wäre eine samlung yon besonders hervortretenden stellen mit
allitteration gewesen, wie sie hier in tero ter tria iura, 1306 loca IcUe lumine
luatrans und anderwärts erscheint.
1218 indoles egregia lässt sich wol halten.
1243 Ich schreibe hine statt hie, wofür Voigt hac will.
1322 oliquid maius gehört zusammen.
1323 Das komma setze ich hinter protinus, nicht hinter poteria.
1341 Ich möchte dentibus iniisis der hds. lesart inuisis vorziehen. Beleg-
stellen dafür gebe ich nachher an: für jeues ftnde ich keinen beleg.
1347 Es ist kein grund von der Überlieferung consueta malt ueaania uentris
abzuweichen: im gegenteil spricht alles für dieselbe. Warum solte conauetus hier
nicht absolut stehen dürfen, da es die alten so gebraucht haben? ich sehe nicht, wie
1425 dagegen sprechen könte. mali uentris uesania ist gut gesagt: statt mala u. t.
II. 185 quae res wird kein leser alter und miüerer zeit anders haben verste-
hen, kein Schriftsteller anders haben gebrauchen können als im recipierten sinne {id
quod): die werte zu trennen und als verschiedene casus zu erklären, geht schlech-
terdings nicht an, und wenn sich ein logischer fehler ergäbe bei der gebräuchlichen
aufiassung der werte, so müsto dieser dem schriftsteiler schuld gegeben werden. Das
scheint aber doch hier nicht der fall zu sein. „Dieser umstand (diese auseinander-
setzung auf grund der Hiobworte) lässt deutlich erkennen, dass [womit auch der
evangelische bericht übereinstimt] selbst in die Schweine der böse nur auf gottes geheiss
fährt. Wer den ausdruck porci auf sich beziehen solte, wird Egbert wol gewusst
haben.
Zu den Auetores vermag ich noch viel weniger zu bieten, abgesehen von dem
hinweis auf eine quelle, die seitdem so gut wie verschollen war.
23 Vgl. Dracontii Satisf. 261 de laud. dei I, 295 fgg.
52 Vor allen gehört natürlich Hercules -Juno hierher.
73 Gerstenbrot: auch als strafkost zuerkant von Marcellus bei Uv. 23, 17, 9.
Geringe kost der Pullanen s. Ersch und Gruber II, 1, 137. I, 62. 69. Schenkl.
Bibellexioon s. v. gerste.
440 lingua pleetrum: vgl. Avitus I, 88. Foiiunat. vita Martini 4, 39.
448 Ähnliches erzählt Gregor von Tours de gloria conf. 75 und das kürzlich
von W. Brandes herausgegebene gedieht de laudibus domini (Progr. Braunschweig
1887).
526 Yergil. G II, 103 (I, 137) vgl. Dracont. de laud. dei I, 215. m, 8,
Boet Conf. n o. 2 u. a. Otto Spr. s. 159 und 321 fg.
701 Ein kleiner beitrag zu der samlung von belegen sei mir vergöni Rabbi
Jose bar Rabbi Bun sagte: Auch wenn ein mann eine frau heiratete, welche nicht
für ihn passte, brachten seine verwanten körbe und falten sie mit feigen und nüs-
sen; darauf zerbrachen sie dieselben in gegenwart der kinder, und diese suchten den
inhalt auf und sprachen: N. N. ist von seiner familie abgeschnitten worden. Schied
sich ein mann von seiner frau, so geschah dasselbe, nur sprachen die kinder: N. N.
ist zu seiner familie wider zurückgekehrt Aug. Wünsche, der Jerusalemische Tal-
mud. Zürich 1880 s. 200.
• ■ •'.*«fc ..
4^ pnpn, ÜBER lOBBns fbcünda katib ed. toiot
931 uenirieului dem: in jener seit und später oft gebranclii C. Bur.
CLXXXVL
967 Quid. M VI, 386 a «lon e#< . . f«M' ia$U%.
1005 qui eondidü omma »olus: so wörtlich Dracontins de land. dei IH, 11.
1015 eommuiai fortuna uiees: Boet ConsoL phü. I c. 5, 29 uerMot Fortuna
uices. YfjL Dracont de Und. dei ü, 54 (u; miäent elementa uiee$ III, 306 iffnorai
mutare uiees Saiisf. 247 (= Columbani ad Seth. 64) altemani elemenia uieee.
1060 Horaz Ars. 417 oeeupei hune Beahiee,
1205 Ooid. F II, 573 tria iura.
1237 lierharum uires: Catonis dist II, 3. Ebenda: meneura et pondere: Sa-
lomon. Sap. 11, 21.
1275 ad unguem: Horai 8. I, 5, 32 ad unguem Factns homo.
1341 dentibua ifUisie: Dracont Carm. 8, 355. Orest 618. Man wird nacb
dun früher aus Draoontias belegten stellen, zumal zu 1005, nicht zweifeln dürfen, daaa
Egbert ihn wirklich gehant hat Nach den jüngsten mitteilnngen Ton Hanitins im
Rhein, museum 46, 493 ist daran nichts verwundeiiiches.
1469 Horat Ep. I, 18, 84 nam tua re» agüur, pariee cum proximus ariet,
1582 Ouid. M. Xni, 901 bilmia . . arena, Pradent. P. XI, 141 hnbulae
arenae,
n. 33 VeigiL 0 I, 85 erepüatUibue urere flammte,
66 eontento uiuere paueis, ebenso 11, 593, Tielleicht aus Horaz S I, 3, 16
kuie pareo paueie eontento?
373 non hostia dignior uUa, und 420 hosiia grata deo, erinnern wider an
eine reihe Dracontius-stellen: Carm. 10, 243 non est haee uietima digna, Orest
881 non est haee hostia grata. Carm. 10, 246 iam non erit hostia grata, de laud.
dei III, 113 hostia grata iaeens.
433 qui dum carpit iter: Ooid. M. X, 709 earpit iter XIY, 122 dumque
Her . . earpit. Dracont Orest. 108 interea dum e. i. Satisf. 313 sessorem dum e. i.
444 ante malorum: Yeigil. k I, 198.
463 ineireumseriptus eireumseribenda : Tgl. 11, 106 fg.
Die zahl der druckversehen ist bei dem schwierigen druck eine zum yer-
wundem geringe. 8. 122 erkl. zu 635 z. 6 lies einst mehr statt nicht mehr, s. 211
vor 99 wird doch wol in HERVSALEM das I ausgefallen sein. Das w&re ausser
einigen abgesprungenen punkten alles, was mir in dieser beziehung aufgestossen.
Glossar, metrischer index, namen- und Sachregister sind mit soiig-
falt, wie man es beim verf. gewohnt ist, gearbeitet Jedoch ist im glossar die beschrin-
knng auf werte und bedentungen, die nicht im Geoiges* stehen, bei einem so schwie-
rigen Schriftsteller, der allerhand spätlateinische ansdrücke gebraucht, zu bedauem.
Wir haben ähnliches schon beim Isengrimos empfunden. Wer weiss ohne nachzu-
schlagen mit antes, eapulare, uolutttbra, uitulamina bescheid? und es ist doch
auch von vorteil, die belege für die ganze spätere latinitftt möglichst vereint zu
finden.
BRESLAU. B. PEEFKB.
IdSCKLLBN 431
MSCELLEN.
Koeh einmal täte im bedinirnnffSMitaEe.
Mit bezug auf die in der Ztschr. f. d. phü. widerholt (zulezt XXIY, 202. 504)
angeregte frage nach erklänmg und gebrauch der wendung y,wenn ... thäte'^,. die
bisher nur für das 16. und 17. Jahrhundert belegt war, macht dr. 0. Bötticher
mich auf eine stelle bei Geliert aufmerksam. In der fabel ,,Damötas und Phyllis*
faeisst es str. 6:
0, thäte nieht sein böser Hund,
Ich miisste diesen Schäfer küssen.
Hier ist die negation nicht hinzugefügt, ohne welche der satz dem 18. Jahrhundert
ebenso unverständlich gewesen wäre, wie uns; aber das verbum tun in der bedeu-
tnng: wirksam sein, d. h. vorhanden sein (vgl. diese Zeitschrift XXIII, 42) ist noch
in alter weise erhalten.
Eine ganz ähnliche stelle finde ich so eben noch in der anonymen satirischen
Schrift Karrikaturen (Frankfurt und Leipzig 1788) s. 64: Wenn heut xu Tage die
vornehmen Weiber nicht thäien, würde niemand mehr von Stipendien leben können.
KIKL. 0. KRDMANN.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Comparetti, Domenico, der Ealewala und die traditionelle poesie der Finnen. Histo-
risch-kritische Studie über den Ursprung der grossen nationalen epopöen. Deutsche
vom Verfasser autorisierte und durchgesehene ausgäbe. Halle, Max Niemeyer.
1892. Xn, 327 s. 8 m.
Cosya, P. J., Aanteekeningen op den Beowulf. Leiden, E. J. BriU. 1892.
32 s. 1 m.
Der als Beowulfkonner und als forscher auf dem gebiet altenglischer gram-
matik rühmlichst bekante holländische gelehrte erörtert und erklärt in scharfein-
niger, bedächtiger und oft überzeugender weise eine anzahl schwieriger Beowulf-
stellen, meist im anschluss an die neueste, von Socin besorgte Q.S. ausgäbe
des Heynischen Beowulf.
Festsehrift zur begrüssung des fünften algemeinen deutschen neuphilologentages zu
Berlin pfingsten 1892. Verfasst von mitgliedem der Beriiner geselschaft für das
Studium der neueren sprachen, der geselschaft für deutsche philologie und der
geselschaft für deutsche litteratur. Herausgeg. von Jul. Zupitza. Berlin, Weid-
mann. 1892. IV, 202 s.
Wir verzeichnen aus dem reichen Inhalt dieser festsehrift die beiden artikel,
die für germanisten von Interesse sind: Job. Bolte, „das märchen vom tanze
des monches im dornbusch^ und Erich Schmidt, „ein verschollener aufsatz
A. W. Schlegels über Goethes Triumph der empfindsamkeit*^.
GOlliofff Joli., Das meklenburgische volksrätsel. Oesammelt, eingeleitet und
mit den Varianten herausgegeben. Parchim, H. Wehdenuum. 1892. XVI und
142 s. 2 m.
Samlung von 931 volksrätseln in folgender anordnung: 1) der mensch; 2) die
tierweit; 3) die pflanzen weit; 4) haus und hof, häusliche und feldarbeit; 5) stand
und handwerk; 6) jähr und Jahreszeit; 7) rechenaufgaben und verwantes; 8) Wort-
spiele; 9) biblische Scherzfragen; 10) i'ätselmärcheu; 11) verschiedenes. — Die
**•..■*. • • - ^*.fm\. ^
432 ttltÜR XBSOBtMtmotK. — KACMUCttTCK
einzelnen abteilangen sind durch gut orientierende und anregende algemeine
bemerkungen, die ganze schrift duroh „beitrage zur lehre von der inclination im
niederdeutschen'^ eingeleitet Unter den litteraturausgaben sind die beiden sam-
lungen Frischbiers in dieser Zeitschrift bd. IX und XI berücksichtigt, nicht
aber die noch umfangreichere XXIV, 240 — 264, welche gerade viele parallelem
und Varianten zu den von Qilihoif veröffentlichten rätseln bietet.
Hess, Oeorf, Oeist und wesen der deutschen spräche. Eingeleitet durch eine
kurze lebensbeschreibung des Verfassers (f als direktor des gymnasiums zu Erfurt
1891) von K. H. Keck. Eisenach, M. Wilckens. 95 s. 1,60 m.
Inhalt: I. Lautbeschaffenheit. IL Formenbildung und formen Verwertung,
m. Wortbildung und Wortschatz.
SelüUer, Geschichte des dreissigjährigen krieges (buch HI). Äbridged and
edüed by Karl Breul, university leeturer in Oerman, Cambridge, university
press 1892. XXXII und 194 s.
Diese schön ausgestattete ausgabo beweist in erfreulicher weise, dass man
auch in England den schriftstellerischen und pädagogischen wert des Schillerscheo
geschichtswerkes zu schätzen weiss. Die (englische) einleitung ebenso wie die
erläuternden anmerkungen zeigen eine achtungswerte bekantschaft mit der deut-
schen litteraturgeschichte und Sprachwissenschaft. o. x.
NACHRICHTEN.
Die revidierte Lutherbibel ist im vorläge der v. Gansteinschen bibelanstalt
in Halle a. S. erschienen; der preis ist für die gewöhnliche ausgäbe (mitteloktav in
Petitschrift) ungebunden 1,60 m., gebunden 3— 10 m.; für die feine ausgäbe mit
breiterem rande ungebunden 5 m., gebunden 7 — 13,50 m. Das noch von dr. 0. Frick
(t im Januar 1892; das angekündigte ausführlichere „begleitwort*^ ist nicht erschie-
nen) geschriebene vorwort gibt eine dankenswerte Übersicht über die seit 1857 für
die sachliche und sprachliche revision des bibeltextes geführten Vorhandlungen und
arbeiten, deren resultate 1883 in der „probebibel*' (verlag der buchhandlung des Wai-
senhauses) öffentlich vorgelegt wurden. Die von verschiedenen Seiten gegen die probe-
bibel ausgesprochenen bedenken (vgl. darüber diese Zeitschrift XVII, 125 fg. XYUI,
376 — 380. XX, 30 fg.) sind von den zur supeiTOvision berufenen sorgfaltig erwogen
worden; sie haben (nach den treffenden werten von 0. Frick) sich ornstlich bemüht,
dass die ehrwürdige kraft der alten Luthersprache mit der spräche der gogenwart
immer mehr in einklang gesezt werde, und zwar so, dass die alte Lutherbibel uns
als schul-, gemeinde-, volks- und kirehenbibel erhalten bleiben könne.
Am 24. juni starb zu Kopenhagen der assessor beim* oberappellationsgericht
und ohrendoctor der Eopenhagener Universität, Tühjälmur L. Finsen, rühmlich
bekant als herausgeber der altisländischen rechtsquellen (geb. 1. april 1823 in Reyk-
javik).
Der privatdocent dr« F. Holthausen in Giessen wurde zum ausserordentlichen
Professor befördert
Halle a. S., Buchdnickoroi des Waisenhauses.
HDEEKS SAGA UND NIFLUNGA SAGA,
In meiner abhandlung über die handschriften und redaktionen der
fidreks saga im Arkiv for nord. fil. VII, s. 205 — 243 gelangte ich
s. 226 fgg., 242 — 43 zu folgenden resultaten:
Die von einem Norweger geschriebene PS. ist uns in einer
kürzeren ursprünglicheren fassung und einer weitläufigen Umarbei-
tung überliefert. Die kürzere redaktion ist nur teilweise, und zwar
in einer einzigen handschrift erhalten, die längere hingegen ziem-
lich volständig und in mehreren handschriften, deren keine das
original der Umarbeitung ist. Die einzige membrane, nr. 4 fol.
der königl. bibliothek in Stockholm ist eine mischhandschrift, da
sie teils die kürzere fassung, teils die längere Überarbeitung wider-
gibt; dies erklärt sich daraus, dass die handschrift unter der lei-
tung zweier redaktoren, die von einander abweichende vorlagen
benuzten, geschrieben ist. Der erste teil der handschrift, nach
ihrem redactor membr.* genant, hört im c. 196 auf, der zweite teil
aber, membr.^, fangt schon bei c. 152 an; der Schreiber von membr.'
hat nämlich in die arbeit seines Vorgängers mehrere blätter ein-
geschoben.
Ausser membr.^ kommen noch drei handschriften der längeren
redaktion in betracht, nämlich eine schwedische Übersetzung der
vorläge von membr.^ (S) und zwei verhältnismässig junge papier-
handschriften (AB), welche eine isländische bearbeitung der saga
repräsentieren. AB bilden demnach membr.^S gegenüber eine gruppe
(I) und zusammen mit membr.^S eine grössere gruppe, deren vor-
läge wir U nanten.
Durch heranziehung von membr. ^, welcher handschrift leider
c. 1 — 20 fehlen, ist es möglich einen teil der Umarbeitung zu con-
trolieren. Durch vergleichung der handschriften hat sich ergeben,
dass diejenigen capitel innerhalb des abschnittes c. 21 bis 196,
welche zwar in U, aber nicht in mcmbr.* überliefert sind, der
ursprünglichen saga nicht angehört haben. Es sind c. 152 — 169
ZERSCIIRin F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. ZXV. 28
■• V ..
434 ROKR
(Sigurds Jugend und eine von c. 170 abweichende erzählung von
Hqgnis geburt), c. 172 — 188 (die beschreibung der beiden und
ihrer rüstungen). Weiter ergab es sich, dass in ü eine zweite
redaktion von c. 21 — 56 (Yilkina saga) und eine von c. 144 abwei-
chende nachricht über Osantrix tod (c. 191 — 192) hinzugefögt
wurde und dies die veranlassung gewesen ist, dass in den meisten
lins überlieferten handschriften der redaktion U die ursprüngliche
Yilkina saga fortgelassen und der Inhalt des c. 144 in I insofern
geändert wurde, dass Osantrix mit dem leben davonkomt. Schliess-
lich, dass der prolog unecht und wahrscheinlich nicht einmal älter
als die isländische bearbeitung der fS ist
So leicht nach erörterung der handschriftenfrage, wenn man
membr.* heranzieht, die kritik von c. 21 — 196 ist, so schwierig ist es,
in bezug auf den zweiten teil der tS, welcher nur in der Umarbeitung
vorliegt, zu entscheiden, was ursprünglich ist und was später hinzugefügt
wurde. Aus dem Verhältnis der handschriften lässt sich nur auf die
Wahrscheinlichkeit schliessen, dass auch dieser teil manche interpolutiou
enthalten wird, eine Vermutung, welche an dem mangelhaften zusam-
menhange vieler in ihm enthaltenen episoden, der uns noch weiter
beschäftigen wird, eine stütze findet; es ist aber äusserst schwierig,
einen richtigen massstab für die beurteil ung der einzelnen abschnitte
zu finden. Der zweite teil der I^S fordert demnach eine selbständige
Untersuchung, welche ausserhalb der grenzen meiner vorigen abband-
lung lag, aber doch auf grund der dort erreichten resultate geführt
werden kann. Diese Untersuchung bildet den hauptinhalt der folgenden
blätter. Bevor wir aber die einzelnen episoden der I*S in betracht
ziehen, ist es durchaus notwendig, dass wir über die principien klar
werden, welche bei der kritik der I*S im äuge zu behalten sind. Es
ist in dieser hinsieht viel gesündigt, und die resultate entsprachen
durchweg der methode. Ein fehler, den man selten vermieden hat^
ist der, dass man die ursprünglichkeit der einzelnen partien der I^S
nach ihrer grösseren oder geringeren Übereinstimmung mit hochdeut-
schen epen beurteilte. Dass eine solche Übereinstimmung nichts beweist,
da ein umarbeiter quellen benuzt haben kann, welche der hochdeut-
schen Überlieferung verschiedener sagen sehr nahe, teilweise sogar
näher standen als die des Verfassers, wurde a. a. o. s. 229 fgg. mit
besonderer berücksichtigung der Yilkina saga ausgeführt Man muss
demnach in der f S selbst das kriterium zur beurteilung der f S suchen,
und zwar zunächst in dem teile der saga, der ungefähr in seiner
ursprünglichen form erhalten ist, d. h. in c. 21 — 196. Die quellen-
I^IDRKKS SAOA UNO NIFLÜNOA SAOA 435
frage, obgleich von der frage nach der komposition der saga nicht
ganz zu trennen, muss doch genau von ihr unterschieden werden.
Schon bei oberflächlicher betrachtung der c. 21 — 196, wie sie
in naembr.* überliefert sind, muss es auffallen, dass der sagaschreiber
nicht alles das in die saga aufnahm, was ihm nur von fremden beiden
zu obren kam, sondern dass er seinen stoff zu einem einheitlichen
ganzen zu gestalten versuchte. Alle erzählungen, auch solche, in denen
die hauptroUe anderen personen zufält, gruppieren sich um fidrekr,
den beiden des ganzen. Der zweite teil der tS, der nur in der Um-
arbeitung U überliefert ist, ist dagegen überaus reich an episoden, in
denen Pidrekr gar keine, oder nur eine bedeutungslose rolle spielt
Da liegt denn doch die Vermutung nahe, dass dieser zustand wenig-
stens bis zu einem gewissen grade dem umarbeiter zuzuschreiben sein
wird. Es ist weiter von vorn herein wahrscheinlich, dass eine scharfe
grenzlinie zwischen dem, was ursprünglich, und dem, was interpoliert,
nicht überall nachweislich sein wird, denn nicht nur sind in der
längeren redaktion neue episoden hinzugefügt, sondern es sind auch
mehrere in abweichender fassung mitgeteilt, wodurch die kritik der
betrefifenden abschnitte sehr erschwert wird ^ Wir müssen daher
bedächtig zwischen den vielen einander manchmal widersprechenden
nachrichten der Umarbeitung hindurch die spuren des Verfassers
suchen, dazu an die stellen anknüpfend, wo durch ein versehen des
umarbeiters etwas stehen geblieben ist, was an eine ältere einheit
mahnt; denn aus c. 21 — 196 lässt sich mit gutem gründe schliessen,
dass die I^S, soweit sie die arbeit 6ines Verfassers ist, einmal ein orga-
nisches und woldisponiertes ganzes gebildet hat
Den ersten abschnitt der f^S schliesst die erzählung von I^idreks
zng nach Bertangaland, welche mit c. 224 zu ende ist An und für
sich ist es nicht unmöglich, dass schon zwischen c. 196, wo membr.'
und damit die kürzere redaktion der PS aufhört, und c. 224 ein oder
mehr spätere zusätze vorkommen. Direkte merkmale der Überarbeitung
sind mir hier freilich nicht aufgefallen ; es scheint auch kein anlass dazu
vorhanden gewesen zu sein. C. 224 verabschiedet I'idrekr sich bei
1) Die Vilkina saga, welche zufälligerweise in beiden redaktionen erhalten ist,
zeigt, wie einige teile der PS in ü behandelt sind. Es nfuss einleuchten, dass auf
ähnliche weise überarbeitete episoden, fals die lU'sprüngliche fassung nicht zufallig
überliefci*t ist, durch keine kritik mehr widerhergestelt werden können, ebensowenig
als es möglich wäre, aus der zweiten Vilk. s. die erste zu rekonstruieren. Allerdings
ist CS oft tunlich, an einzelnen stellen die Überarbeitung deutlich nachzuweisen.
28*
..-rr . ■•!— •wc.t^ ^
43G BOKR
kimig IsuDgr; darauf reitet er mit seinen mannen heim. Es folgt in
c. 225 als einleitung zu dem zweiten teile der saga ein programm für
I'iclreks nächste tätigkeit: Nu er pidrecr Iconungr oc aUir haiis menn
hafa nrynt sie ai pv(, at engl maär i verqldu er sd, er nü pori
sicjqld ai bera peim i gegn d hölm, J)d vilja peir nü setja sin rüci oc
borgir störhqfdingjum iil forrdäa oc sij&rnar. Pidrekr will also sein
reich befestigen, und zwar dadurch, dass er die regierung über die
verschiedenen provinzen vertrauten personen überträgt Dieser plan
giilangt sofort wenigstens teilweise zur ausführung: Ferr Hombogi jarl
hvim tu Vinlands oc vied honum Omlungr son kans med sina lionu
Fallborg, oc rdda peir sinu rlki langa stund med veg oc scemd, Nu
fen' Sintrani austr i Feuidi oc geriz par hertvgi oc er enn frcegsH
madr, sem hans cettmenn hafa verit Nü ferr Herbrandr heim til
»ins Hkis oc er liann enn Hhasti hertngi.
Aber durch das aussenden einiger vasallen hat I'idrekr doch seine
aufgäbe daheim noch nicht vollendet; man würde erwarten, dass jezt
die weiteren Veranstaltungen erwähnt werden selten, welche er im
Interesse seines landes tritt — c. 223 eröfnet einen durchaus neuen
abschnitt der saga und muss doch mit dem folgenden in irgend einem
Zusammenhang stehen — ; es kann uns daher nur wundern, wenn wir
a 226 auf einmal vernehmen, dass f idrekr mit Gunnarr nach Niflunga-
land zieht und den köuig sogar auf der brautfahrt nach Sacgardr beglei-
tet, eine nachricht, welche sich übrigens nur in der I'S findet, und
die nur den zweck hat, die folgende erzählung an I^idrekr zu knüpfen.
Eine bessere fortsetzung des c. 225 bietet c. 240: Nü er pat eitthvert
sinn, at pidrecr konungr gerir ferd slna nordr um fjaU, oc med ho-
num Fasold oc petleifr danski, oc ah hefir hann XL riddara, oc
par iil ferr hann, er hann kemr til borgar Drecanfils, oc er honum
par vel fag?iad oc hans mqnnum. par rdda peiiri borg IX dceir
Drusians konungs, oc peira niödir hefir andaxc af peim harmi, er
hon feck, pd er drepinn var Ecka. Oc nü segir pidrecr konungr sitt
cerendi, at hann vil bidja s6r iil eignariconu ennar elxtu döttur Drus-
iafis konungs, en sü heitir Oudilinda, oc annar(rar) peira systur
til handa Fasoldi, en ennar III systur iil handa peilcifi danska . . .
.... Oc nü er efnad til mildllar veixlu oc gqfuglegrar, oc ai pessi
veixlu kvdngax pidrecf^ konungr oc Fasold oc petleifr danski .... Oc
nü seix Fasold oc petleifr at riki pvi, er dit hqfdu dmtr Drusians
konungs, oc gerir pidrecr konungr pd bdda herioga, en sjdlfr rktr
hann heim til Beimar vid adra suia menn, oc med honum haus
kona GudiUnd; oc e9' hann kemr heim, sitr Imnn nü i sinu rfki.
I*IDRKKS SAOA UND NIFLUXGA 8A0A 437
Die Veranstaltungen, welche I^iSrekr im anschluss an c. 225 trift,
bestehen also darin, dass er zweien seiner freunde, welche noch kein
land haben, durch eine heirat dazu verhilft, und dass er selbst sich
verheiratet Was sich zwischen diese capitel gedrängt hat, kann nicht
ursprünglich sein. Es sind zwei episoden: 1. Sigurds und Gunnars hoch-
zeit, zu welcher interpolation der umstand mitgewirkt haben kann,
dass in c. 223^ und dem folgenden c. 240, und, was noch näher erör-
tert werden wird, auch in dem capitel, welches unmittelbar auf c. 240
folgt, von verschiedenen hochzeiten die rede war, wozu aber Sigurds
und Gunnars begegnung an könig Isungs hofe die nächste veranlassung
war, 2. die erzählung von Herburt und Hilde. Diese ist so äusserlich
mit fidrekr verbunden, dass man sie schon aus dem gründe für eine
zutat zu erklären geneigt sein würde; auch steht die erbärmliche rolle,
die Pidrekr in dieser episode spielt, in direktem gegensatze zu der
Schilderung des beiden in denjenigen teilen der saga, die wir als
ursprünglich ansehen dürfen. Dass Herburt mit f idreks braut entflieht,
nimt dieser nicht nur ganz ruhig auf, sondern als ob nichts geschehen
wäre, reist er darauf c. 240 wolgemut nach Drekanfils, um sich eine
andere braut zu holen. Dass derselbe mann, der c. 240 verfasste, auch
die geschichte von Herburt und Hilde solte geschrieben haben, ist aus
dem gründe sehr unwahrscheinlich; ein abschreiber aber, der selber
eine liebesgeschichte, an der I'idrekr beteiligt war, zu erzählen hatte,
wüste sie nirgends besser anzubringen als unmittelbar vor Pidreks
hochzeiL
Gegen die ausgeführte auffassung von c. 226 — 239 liesse sich
anfüliren, dass c. 224 von c. 226 — 230 nicht getrent werden kann.
Dort vernehmen wir, dass Sigurdr f idrekr aus Bertangaland nach Bern
heim folgte; wenn also im folgenden nicht mitgeteilt wäre, dass Sigurdr
Bern wider verlässt, müste man annehmen, dass er fortwährend an
fidreks hofe verweilte; es wäre in dem fall doch zu versvundern, dass
er dort nachher gar nicht mehr genant wird, auch wäre diese annähme
mit der Niflunga saga — wenn man ihre auffassung in dieser hinsieht
gelten lassen will — in offenbarem Widerspruch. Welcher wert aber
auf den anfang von c. 224 zu legen ist, erhelt aus c. 223. Als Pidrekr
und seine beiden sich bei könig Isungr verabschieden, bietet Sigurdr
tidreks mannen Hombogi und Qralungr grosse ehrengaben; er hat also
die absieht, selber zurückzubleiben, und dass er seinen plan ändert,
wird nicht mitgeteilt Dennoch berichtet c. 224 in einem tone, als ob
1) C. 223 berichtet Qmlungs hochzeit mit Isungs tochter Falborg.
m. r '
438 HOKR
solches sich von selbst ergäbe, dass Sigurdr Pidrekr begleitet Diese
nachricht ist also vom Schreiber Yon c. 226 — 230 ersonnen i; dasselbe
gilt von dem berichte c. 222, dass Sigurdr dadurch, dass er genötigt
inrird, den Zweikampf gegen I^idrekr aufzugeben, dessen mann wird.
Es ergibt sich, dass der hier besprochene abschnitt der redaction
TT sich dem originale gegenüber ebenso yerhält als der durch membr. *
kontrolierbare teil: Umarbeitung und Interpolation gehen durchweg zu-
sammen. Auf c. 240 folgt die zweite Yilkina saga; wir gehen vorläufig
an ihr vorüber und kommen zu
C. 241 — 274, der kurzen saga von Walther und Hildegunde und der
langen Irons saga jarls. Beim lesen von c. 275 falt es sofort auf, dass
dieses capitel, in dem die Vermählung Yidgas mit Bolfriana, der wit-
we des Aki Qrlungatrausti erzählt wird, die natürliche fortsetzung zu
c. 240, und zusammen mit c. 225 und 240 die einleitung zu den gros-
sen Verwicklungen des zweiten teiles der PS bildet Die grosse Ver-
stärkung von Rdreks macht, welche hier in friedlicher weise vor sich
geht, ruft Erminreks neid hervor, und dieser veranlasst I^idreks flucht
G. 275 gibt darüber aufschluss, wie es komt, dass Yidga in den fol-
genden kriegen auf Erminreks seite kämpft, einerseits schliesst es an
c. 240, andererseits enthält es den keim, aus dem sich die späteren
ereignisse entwickeln; im Zusammenhang ist es also unentbehrlich, und
zwar gerade am ende der einleitung, welche die zunähme von I^idreks
macht erzählt Doch könte man noch zaudern, c. 241 — 274 für unecht zu
erklären, wenn nicht auch andere tatsachen die unursprünglichkeit die-
ser capitel sicher stelten. In c. 275 wird Akis witwe Bolfriana, welche,
wie das capitel selbst mitteilt, in der Lombardie zu hause ist, Bolfriana
af Drekanfil genant, ein versehen, das offenbar darin seinen grund
hat, dass ein abschreiber an die drei c. 240 genanten jung&-auen, welche
in der tat zu Drekanfils wohnten, dachte und vielleicht auch den eben-
fals in c. 240 erwähnten Ekki mit Aki Qrlungatrausti verwechselte.
Dass dieses nicht hätte geschehen können, wenn c. 240 und 275 schon
damals durch 34 capitel ganz fremden Inhaltes von einander getrent
gewesen wären, leuchtet ein; dagegen lässt sich der fehler leicht durch
die annähme erklären, dass in der vorläge jenes Schreibers c. 241 — 274
1) Wie es scheint folgten unmittelbar nach c. 223 die werte: Oe nü ferr
piärehr kommgr aptr alla sina leid ena sqmu, sem dar for kann fram usw.; es
sind dann am anfang von c. 224 5Vs Zeilen hinzugefügt; man braucht nicht anzuneh-
men, dass vom ursprünglichen texte etwas verloren ist. Hingegen müssen c. 226 —
230 einige werte verdrängt haben, welche die nachricht enthielten, dass Gunnarr und
H^gni aus Bern nach Nifiungaland zurückreiten.
^lUREKS SAGA ÜNO NIFLUNOA SAGA 439
fehlten. In AB sind die werte af Ih'ekanfil wider fortgelassen; S
kürzt
Auch der Zusammenhang, in dem c. 241 — 274 überliefert sind,
beweist ihre iinursprünglichkoit. C. 275 wird von Aki und Bolfriana
als von noch nicht genanten personen gesprochen; es ist daher unmög-
lich, dass der Verfasser von c. 275 unmittelbar zuvor eine lange erzäh-
lung solte mitgeteilt haben, in der Aki und Bolfriana die hauptroUe
spielen ; eine solche erzählung ist aber die Irons saga jarls. Ebensowenig
ist die sage von Walther und Hildegunde hier richtig angebracht Sie
weist eine merkwürdige Übereinstimmung mit der kurz vorhergehenden
sage von Horburt und Hilde auf — es liegt nahe, bei diesen liebes-
geschichten, deren es in der I'S mehrere gibt, an 6inen und denselben
Verfasser zu denken. Valtari af Vascannsteini tritt c. 151 als Ermin-
reks stathalter in Oerimsheimr auf; seitdem wurde nicht mitgeteilt, was
c. 241 voraussezt, dass er als geisel an Attilas hof kam, wozu auch
gar kein grund vorhanden war, denn nach der Vorstellung der fS war
das Verhältnis zwischen Attila und Erminrekr bisher ungetrübt Im
gegensatz zu allen sonstigen berichten der PS tritt HQgni als Attilas
dienstmann auf ^ Aus diesen gründen geht klar hervor, dass auch die
episode von Walther und Hildegunde interpoliert ist*.
C. 276 — 290 enthalten die erzählung von tidreks flucht vor Er-
minrekr. Als die Ursache alles unheils, welches Pidrekr erfährt, wird
c. 276 die von Erminrekr dem weihe seines ratsherrn Sifka zugefügte
Schmach genant, was diesen dazu reizt, Erminrekr durch falschen rat
ins verderben zu stürzen. C. 278 — 283 berichten sodann, wie Ermin-
rekr auf Sifkas anstiften selbst den tod seiner drei söhne herbeiführt,
darauf seine beiden neffen Egard und Aki unschuldig hinrichten lässt
Darauf bringt Sifka den könig c. 284 dazu, dass er von fidrekr von
Bern tribut fordert; als dieser in einem stolzen tone die forder ung
abschlägt, entschliesst sich Erminrekr zu dem kriege. Nach dem vor-
hergehenden würde man nun erwarten, dass Sifka, der jezt als heerfüh-
rer Erminreks loos in seiner band hat, keine gelegenheit, um den könig
1) Auf die Dachricht, dass Valtari H^gni ein äuge auswirft, wird zwar in der
Niflunga saga angespielt; daraus lässt sich aber nur, und nicht einmal mit gowiss-
heit, auf einen Zusammenhang mit der NS, über den weiter unten die rede soin^xdrd,
schliessen.
2) Meine bemerkung Arkiv YII, 237 anm. muss demnach insofern geändert
werden, dass die episode zwar von einem anderen Verfasser als die 2. Yilk. saga zu
sein scheint, deshalb aber nicht ursprünglich zu sein braucht Ich komme darauf
zurück.
. * ta r— ' ■ - "" ■ •'r^r^tm^ m*
440 OOER
ZU beeinträchtigen, unbenüzt lassen iwiirde, dass er, wenn es z. b. zu
einer schlacht käme, zum feinde überlaufen oder auf eine andere weise
seinen könig verraten würde. Statt dessen tritt Sifka von diesem au^en-
blicke an als Erminreks treuer freund, dagegen als I^idreks schlimster
gegner auf, vor dessen gewalt dieser schliesslich das land räumen muss.
Später bleibt Sifkas betragen den beiden königen gegenüber dasselbe,
so in der schlacht bei Gronsport; I'idrekr betrachtet ihn persönlich,
mehr noch als Erminrek als seinen erklärten feind^. Wenn demnach
Sifka nach der auffassung des sagaschreibers mehr I^idreks feind als
ein Verräter gegenüber Erminrekr ist, so passen c. 276 — 283 sehr
schlecht in den Zusammenhang der saga'. Zum Verständnis von c. 284
sind sie entbehrlich: I^idreks wachsende macht, die c. 240, 275 beschrie-
ben wurde, erklärt genügend, dass Erminrekr ihn zu fürchten anfingt
und zu demütigen versucht; wenn zumal Sifka für den krieg gegen
I'idrekr eiferte, ist es nicht nötig, den grund dieses Verfahrens in hass
gegen Erminrekr zu suchen; im gegenteil lässt es sich sehr gut ver-
stehen, dass er als ratsherr zuerst die seitens des mächtigen nachbam
drohende gefahr einsah, und davor warnte. Zugleich erklärt sich
daraus fidreks bitterer hass gegen Sifka.
Man könte vielleicht diesen mangel an Übereinstimmung zwischen
c. 276-^283 und den übrigen berichten der tS einer inconsequenz
von Seiten des sagaschreibers zuschreiben, wenn nicht das folgende
hinzukäme. C. 278 gibt Sifka Erminrekr den rat, seinen söhn Fridrekr
nach Vilkinaland zu senden, um von Osantrix tribut zu verlangen;
Osantrix aber ist schon c. 144 umgekommen. Zieht man nun in
betracht, dass die zweite Vilkina saga, in der Osantrix eine hauptrolle
spielt, in U auf c. 240 folgt, also von ihrem bearbeiter beinahe unmit-
telbar vor c. 276 gestelt wurde — über c. 241 — 274, welche jezt
dazwischen stehen vgl. unten s. 441 — weiter, dass unmittelbar nach
Pidreks flucht die zweite redattion der erzählung von Osantrix' tode
folgt, so wird man sich dem Schlüsse nicht entziehen können, dass
c. 276 — 283 die arbeit desselben Verfassers sind, der die zweite Tü-
kina saga bearbeitete und c. 291 — 292 schrieb. Schliesslich führt eine
nähere betrachtung von c. 281 — 283 zu demselben Schlüsse. Nach
allen früheren berichten residieren Egard und Aki, und seit seiner
Verheiratung mit ihrer mutter Bolfriana auch Vidga zu FritUa (Ver-
1) C. 325: yfir her Eminreks konungs er einn kertugi Vidga, ydarr htfin
gödi vinr, oo annarr er Sifka y yäarr hinn mikli üvinr; vgl. c. 326, 413 u. a.
2) C. 401 tritt Sifka wider als ven-äter auf, abor, wie unten nachgewiesen
worden wird, in einem gleichfals interpolierten capitel.
PmKRKS 8A0A UXU NIFLUXOA SAGA 441
celli). C. 282 aber halten sie sich auf einmal zu Trelinnborg d Rhiar
backa auf. Diese Stadt zerstört Errainrekr; Vidga, der während der
belagerung in Bern war, komt c. 283 zurück und: hittir nü sina borg
brenda. Zur sühne gibt Erminrekr ihm ]^d borg er Rana heitir, oc
nü rceär Vidga peirri borg, Fritila wird gar nicht genant; doch heisst
Vidga c. 323 wider: Viäga Velentsson af Fritila.
Übersehen wir von dem gewonnenen Standpunkte aus unsere bis-
herigen resultate, so erhelt es schon jezt, dass in der I^S zwei grup-
pen von interpolationen deutlich zu unterscheiden sind. Es wurde
schon s. 439 anm. 2 bemerkt, dass der Verfasser von c. 241 — 244 mit
dem umarboiter der Vilkina saga nicht identisch ist. Da es wahr-
scheinlich ist, dass der leztgenante die 2. Vilkina saga aus dem gründe
hinter c. 240 einfügte, weil er die absieht hatte, bald auf Osantrix
zurückzukommen (vgl. oben s. 440), muss man nicht nur annehmen,
dass damals, als er die PS umarbeitete, c. 240 noch nicht durch meh-
rere ausserhalb des Zusammenhanges der saga stehende episoden von
284 fgg. getrent war, sondern auch dass der Schreiber der 2. Vilk. saga
diese episoden nicht geschrieben hat; mit andern werten, wenn c. 241
— 274 älter oder von demselben Verfasser wie die 2. Vilk. saga wären,
so würde er diese lezte hinter c. 274, nicht vor c. 241 gestelt haben.
Zwischen der 2. Vilk. saga und c. 276 Hess er nur c. 275 stehen, weil
dieses capitel nach seiner, allerdings richtigen, auffassung nicht von
dem folgenden getrent werden konte. Die sage von Walther und Hilde-
gunde, sowie die Irons saga jarls sind also jünger als die zweite Vil-
kina saga, c. 276 — 283, c. 291 — 292.
Nach ausscheidung der interpolierten c. 276 — 283 bleiben für
Pidreks flucht c. 284 — 290 übrig. Diese capitel, obgleich im grossen
und ganzen ursprünglich, sind doch nicht in ihrer ältesten fassung über-
liefert; aus dem inhalt ergibt sich, dass die erzählung überarbeitet ist.
Als Heimir c. 285 vemimt, was Erminrekr gegen fidrekr im
Schilde führt, macht er dem könige und Sifka heftige vorwürfe; das-
selbe tut Vidga, der darauf (c. 286) nach Bern reitet und Pidrekr
erzählt, was Enninrekr im sinne hat. Während Pidrekr und die sei-
nen sich schnell rüsten, komt c. 287 Heimir mit derselben botschaft
angeritten. Darauf kehren Vidga und Heimir c. 288 zusammen nach
Rom zurück, wo Heimir den könig und Sifka aufs neue in bittern
Worten tadelt (hier finden sich anspielungen auf c. 276 — 283, was
allein schon beweisen würde, dass die geschieh te umgearbeitet ist) und
Sifka ins angesicht schlägt. Von Vidga geschüzt entkörnt er; von dem
augenblicke an plündert er als räuber Erminreks lande.
442 BOEB
Diese erzählung enthält ziemlich viel unerklärliches. Dass Yidga
Enninrekr treue schwur, wurde c. 275 mitgeteilt Heimir hingegen
wurde bisher nur als I^idreks mann genant; was ist die Ursache, dass
er sich jezt auf einmal an Erminreks hofe aufhält? Yidga und Heimir
sprechen zusammen ihre schmachreden gegen Sifka; weshalb reiten
sie denn jeder für sich nach Bern? Der umarbeiter hat wol ein-
gesehen, dass Heimir, solte seine ankunft in Bern nicht ganz zweck-
los erscheinen, wenigstens eine nachricht bringen raiiste, welche eini-
germassen neu war: deshalb lässt er ihn erzählen: at Enninricr konungr
mim eiga skamt fangat, was freilich zur folgenden mitteiluDg, dass
I^idrekr, bevor er zu Attila flächtet, einen heftigen einfall in Ermin-
reks land tut, ohne irgend einem feinde zu begegnen, schlecht stimt
Durch die widerholung geht der eindrucke den Heimirs schelten machen
soll, ganz und gar verloren. Diese Widersprüche lassen sich alle aus
dem umstände erklären, dass der umarbeiter Heimir zu Erminreks
dienstmann machte, und zwar im anschluss an eine abweichende Über-
lieferung, welche den hochdeutschen gedichten, die denselben sagen-
stotr behandeln (Rabenschlacht, Dietrichs flucht, Alpharts tod u. a.)
näher steht \ der auffassung der ^S dagegen widerspricht Dass der
sagaschreiber, auch als er c. 284 fgg. schrieb, sich Heimir noch als
I^idreks mann vorstelte, beweisen die folgenden werte, welche der
umarbeiter diurch ein versehen hat stehen lassen (c. 287): pd sverr
Heimir pai vid giid, ai visi lätum v6r väri rlki viä üscemä firir sak-
ar Erminrix kofnmgs, oc enn mä kann fä af oss meira skaäa en
gagn, dar en v&r skiljum, pöti kann taki Bern ok aU Omlungalandj
wo unter väri riki doch nur Bern ok Omhtngaland zu verstreu ist
Dass Heimir mit Yidga nach Born reitet und Sifka schilt, kann ein
alter zug sein; dass er räuber wird und Erminreks land plündert,
bestätigt c. 429, wovon noch die rede sein wird.
Nachdem I^idrekr c. 287 Erminreks land verheert hat, zieht er
c. 289 nordwärts über die Alpen und komt bald nach Bakalar zum
markgrafen Bodingeirr, der ihm mit seiner frau Gudilinda entgegen-
reitet und ihn gastlich auihimt Hier erhebt sich zuerst die frage, eine
der wichtigsten für die kritik der saga: wie verhält sich Bodingeirr zur
I^S? Um sie zu lösen, werden wir diejenigen teile der saga, in denen
er genant wird, in ihrem Zusammenhang prüfen müssen. Es sind: die
zweite Yilkina saga, tidreks flucht, Attilas kriege mit Yaldemar, die
1) Hieran erkent man denselben umarbeiter, der auch in die Yilk. saga zuge
aas der süddeatsdien überiieferung aufnahm.
PjD]lKKS SAGA UNU NIFLUNOA SAGA 443
Schlacht bei Gronsport, die Niflunga saga, l'idreks klage über Rodin-
geirs tod auf seiner heimreise nach Bern und eine kurze bemerkung
über Bodingeirr c. 415.
Was die Vilkina saga anbelangt, wurde Arkiv VII, 229 — 238
nachgewiesen, dass die redaktion, in der der name Bodingeirr nicht
begegnet, die ursprünglichere ist; statt Bodingeirr tritt dort Rodolfr,
gleichfals margreifi zu Bakalar auf. Es wäre in der tat aufTallend,
wenn derselbe Verfasser dieselbe person, der er denselben rang zuer-
kent, etwas weiter Bodingeirr genant hätte. Der bearbeiter der zwei-
ten Yilkina saga machte aus Bodolfr zwei personen, nämlich Bodin-
geirr, der zu Bakalar regiert und einen herzog Bodolfr, dessen land
er nicht nent, der aber in der Yilkina saga eine hauptperson ist, und
schliesslich für Attila Erka, ihre Schwester Berta für sich selbst ent-
führt Aus dem leztgenanten umstände wird es klar, weshalb der
umarbeiter, anstatt überall den namen Bodolfr durch Bodingeirr zu
ersetzen, aus Bodolfr zwei verschiedene personen machte; nach seiner
meinung nämlich heisst Bodingeirs weib Godilinda, nicht Herta. Daher
konte es ihm gar nicht einfallen, dass der entfiihrer Erkas und Bertas
mit Bodingeirr af Bakalar identisch sein solte. Wenn der sagaschrei-
ber, was nach dem vorhergehenden wahrscheinlich ist, und noch näher
ausgeführt werden wird, nur Bodolfr, keinen Bodingeirr kante, so eigibt
sich daraus unmittelbar:
1. dass der umarbeiter in der I^S, abgesehen von der Vilk. saga,
welche er anders behandelte, überall Bodingeirr statt Bodolfr
schrieb;
2. dass die stellen, wo Godilinda als Bodingeirs weib genant wird,
nicht zur ursprünglichen saga gehören, denn in dieser heisst
Bodolfs weib nicht Godilinda, sondern Berta.
Dass der name Bodingeirr in der tat in der ältesten fassung der
I*S nicht vorkam, beweisen zwei stellen, welche der umarbeiter zu
ändern vergessen hat.
G. 293 berichtet, dass Yaldemar af Hölmgardi in Attilas reich einfält
und von dort einn göäan riddara Roäolf sendimann gefangen mit
sich führt Dieser ritter kann niemand anders als der aus der Yilk.
saga bekante Bodolfr af Bakalar sein; wahrscheinlich hat ihn der
umarbeiter an dieser stelle nicht als mit Bodingeirr identisch erkant,
den er bald darauf viele heldentaten volbringen lässt, ohne dass es
klar würde, wie er aus der gefangenschaft entkommen ist Man hat
hier die wähl zwischen der annähme, dass alles, was weiter von Bo-
dingeirr erzählt wird, eine zutat ist, und der, dass die erzählung von
444 DOKR
Rodolis befreiung fortgelassen wurde. Die zweite annähme hat die
grössere Wahrscheinlichkeit für sich, denn noch einmal wenigstens tritt
Ro^olfr später in der ursprünglichen saga auf. Doch ist ohne zweifei
ein teil der hier von Rodingeirr berichteten heldentaten die arbeit des
uniarbeiters, und Rodolfs ursprüngliche rolle in der episode wird
ungleich geringer gewesen sein. Wenn z. b. fidrekr c. 297 vom feinde
umzingelt ist, falt es auf, dass er anstatt zu Attila einen boten zu
Rodingeirr sendet; dieser wird zwar in dieser und der folgenden episode
(Schlacht bei Gronsport), sowie in der Niflunga saga als fidreks vor
allen anderen ausgezeichneter freund dargestelt, aber auch dieses wider-
spricht der sonstigen auffassung der saga. Auch sonst ist in fidreks
kriegen mit Waldemar ein mislungener versuch, Rodingeirr nachträg-
lich zu einer hauptperson zu machen, deutlich wahrnehmbar ^
Am abend vor der schlacht bei Gronsport reitet Hildibrandr allein
aus und begegnet Erminreks ritter Reinaldr, der ihm die zelte des
feindlichen lagers zeigt (c. 326). Hildibrandr zeigt darauf auch tidreks
lager, und in dem lager Rodingeirs zeit Hier ist in membr. Roäolfs
stehen geblieben,* was ich a. a. o. s. 234 anm. noch für einen zufall
hielt, was aber im Zusammenhang mit dem vorhergehenden nur so
erklärt werden kann, dass der umarbeiter hier den namen zu ändern
vergass, ein Versäumnis, das erst von den späteren abschreibern, aus-
genommen den von membr., nachgeholt wurde. Übrigens tritt hier
die neigung des umarbeiters, Rodingeirr zu einer hauptperson zu
machen, noch viel deutlicher hervor als in der erzählung von Attilas
kriegen mit Walderaar. Als Pidrekr nach dem siege, der ihm seinen
bnider f ether, Attila seine beiden söhne Erp und Ortwin gekostet hat,
nach Hünaland zurückgekehrt ist, will er vor Attilas äugen nicht
erscheinen, sondern er geht i eiii liiit hüs (c. 338). Rodingeirr dage-
gen begibt sich in Attilas halle, wo ausser dem könig und Erka, wie
aus dem Zusammenhang hervorgeht, noch einige ritter sich aufhalten.
Attila fragt nach des krieges ausgang, den Rodingein* ausführlich erzählt
Darauf fragt Attila, wo I*idrekr zu suchen sei. pä srarar einn maitr
(gardixurr A) : i eino sieikarahüsi par sitr nü piärekr komingr ok
meistan Hildibrandr usw. Hier würde es schwer, eine antwort auf
die frage zu geben, was eitm madr bedeuten soll. Ist damit einer
von Attilas mannen gemeint? Diese wüsten vor Rodingeirs eintreten
nicht einmal, dass I'idrekr aus dem kriege zurückgekehrt war. Ist es
1) Man beachte die ermtidende widerholang von kampfscenen c. 308, die dis-
cussion bei der bclagerung von Palteskja c. 311. Bodin{^irs naraen wird hier jedes-
mal genant; die grossen schlachten aber worden ohne ihn geschlagen (c. 312 fgg.).
I'IDUKKS SAOA UND NIKLUXOA SAGA 445
ein roann Eodingeirs? Aber Bodiiigeirr ist allein in Attilas halle
gegangen, und auch wenn er begleitet gewesen wäre, so würde doch
ein dienstmann sich nicht herausnehmen, eine frage, welche an seinen
heiTU gerichtet war, zu beantworten, am wenigsten unter umständen
wie diesen. Es ergibt sich schon wider, dass auch diese erzählung
nicht in ihrer ältesten gestalt überliefert ist: in der ursprünglichen {'S
hat nämlich Attila sicherlich die nachricht von dem tode seiner kinder
nicht aus Rodingeirs munde, sondern von einer grösseren anzahl per-
sonen erfahren, obwol es nicht klar wird, wo er denselben begegnete.
Auch die unmittelbar folgenden werte setzen ein andere sagenform
Toraus, als sie hier vorliegt Attila sagt: Minir tveir riddarar, gan-
gilt iit ok biäid piärck honung minn vin nm koma usw. Aus dem
Zusammenhang lässt sich nicht ermitteln, wer diese tveir riddarar sind^
obgleich sie in einer weise erwähnt werden , als ob sie dem leser schon
bckant seien, was in der ursprünglichen saga auch zweifelsohne der
fall war.
Obige erörterungen genügen um darzutun, dass der sagaschreiber
nur Rodolfr, keinen Rodingeir kante. Wo also Godilinda als Eodingeirs
weih genant wird, muss man entweder annehmen, dass sie in der
ursprünglichen I^S als Kodolfs weib vorkam, was mit rücksicht auf die
Vilk. sage unmöglich ist, oder — und nur diese möglichkeit bleibt
übrig — dass wir es mit einer interpolation zu tun haben. Das ist
denn auch, was c. 289 anbetrift, ganz bestirnt der fall. C. 290, obgleich
nicht in seiner ältesten fassung überliefert, ist doch zum teil echt; das
capitel erzählt Pidrcks ankunft bei Attila.
In der Niflunga saga (ich bezeichne mit diesem namen hier
nur c. 342 — 348 und 356 — 394) ist Rodingeirr nicht nur eine haupt-
porson an Attilas hofe, bis zu dem grade sogar, dass er im gegensatz
zu andern berichten der fS Pidreks bester freund genant wird, aber
auch Godilinda spielt keine geringe rolle: ich weise auf c. 368 fgg.,
wo Rodingeirr und Godilinda die Nibelungen auf eine weise bewirten,
welche an das Nibelungenlied erinnert Der schluss, dass auch die
Niflunga saga eine interpolation, und zwar vom boarbeiter der zweiten
Yilkina saga ist, liegt nahe. Es fragt sich, ob eine nähere betrach-
tung der NS an und für sich zu demselben Schlüsse fuhrt
Der Inhalt der NS bildet ein ziemlich abgeschlossenes ganze und
enthält nur wenig anspielungen auf ereignisse, welche die PS auch an
anderer stelle mitteilt Wo solches der fall ist, stimmen die nachrich-
ten der NS nicht immer zu denen der f S. So wird am anfang der
446 BOKR
NS (c. 342) ^ von Gannarr, HQgni und Sigurdr gesprochen als von per-
sonen, welche noch nicht genant wurden, obgleich Gunnarr und HQgni
als f^idreks gaste mit ihm nach Bertagaland gezogen sind und Sigurdr
dort mit ihm gekämpft hat Auch die Überschrift der NS' lässt ver-
muten, dass hier eine selbständige erzählung folgt, obgleich die NS
innerhalb der f^S nur eine episode sein soll. In Übereinstimmung mit
dem interpolierten c. 169, im gegensatz zu dem echten c. 170 nent die
NS Gunnars vater Aldrian (Arkiv YU, 228). G. 342 erwähnt die härte
von Sigurds haut als etwas neues, obgleich davon schon c. 190 erzählt
wurde ^. G. 375 berichtet, dass H^gni nur 6in äuge hat, dasselbe in
der interpolierten heldenbeschreibung c. 184; die Ursache teilt das inter-
polierte c. 242 mit; in der ursprünglichen ^8 findet sich keine ähn-
liche bemerkung. C. 373 erwähnt eine ausserordentliche freundschaft
zwischen I^idrekr und HQgni; c. 375 erinnert Attila sich, dass H^gni
früher an seinem hofe verweilt hat; dasselbe in dem interpolierten
c. 242; weder die eine noch die andere bemerkung wird durch eine
echte stelle der I^S gestüzt Die angaben der NS stimmen also nicht
übeiall zu denen der I^S; hingegen scheint zwischen der NS und
einigen interpolationen ein gewisser Zusammenhang zu bestehen; doch
würden die wenigen angeführten stellen zur entscheidung nicht genü-
gen. Wichtiger ist es zu prüfen, wie weit die NS in den Zusammen-
hang der ganzen f^S passt
C. 316 berichtet, dass I^idrekr zu der zeit, als er zuerst sein land
wider zu erlangen versuchte (schlacht bei Gronsport), bereits 20 jähre
im exil zugebracht hatte; in dieser angäbe stimmen alle handschriften
tiberein. Wenn in der ursprünglichen fS auf die schlacht bei Gron-
sport die ereignisse, welche die NS erzälilt, gefolgt sind, so müssen
verschiedene jähre zwischen jener schlacht und f idreks rückkehr nach
Bern angenommen werden. Nach c. 396 ist f idrekr denn auch 32 jähre
1) A ßessum tima i NiftungcUandi i ßeirri borg, er heitir Vemika, ßar
radr firir Ounnarr konungr ok med honom hans brödir Hqgni, oe hinn ßridi
ßeira mdgr, sd er dgeetastr hefir verit firir aUum kqppom oe hqfdingjom hvdr-
tteggja i sudrlqndotn oe nordrlandum en ßetta var Sigurdr sveinn, er ßd
dtti Orimildi, döitor Aldrians konungs oe sysior ßeira Gunnars oe Eqgna (1. Hqgna
oe Chmnars?), er ßd dtti Bryniüdi hina riko oe hina fagru.
2) Her hefr upp eagu Niflunga oe frd vidskiptum ßeira Sigurdar sveins oe
Hqgna oe Otmnars konungs oe af bardaganoni i Susat, oe hverso Qrimildr hef(n)di
sinnar ösamdar er henni var gqr at saclauso i fyrstunni,
3) Über das Verhältnis der NS zu dem interpolierten c. 166, welches die erwer-
bong der homhant eoniüilt, wird weiter unten gesprochen werden.
I*IDRRKS SAGA UND KIVLUNOA SAQA 447
landesflüchtig gewesen, sodass für die NS 12 jähre übrig bleiben. Aber
c. 429, wo wir erfahren, dass Heimir viele jähre lang Sifka's reich
verheert hat, fahrt der Verfasser fort: A pessu lund f&i^ fram XX vetr
alla pä hriä, er piärekr hmungr var 6r sinn riki. So A, membr.
fehlt, S nent die dauer von Pidreks exil nicht, in B ist XX in XXX
geändert, was auf keinen fall das richtige trift, denn nimt man an,
dass die NS echt ist, so müste hier in Übereinstimmung mit c. 396
XXXIL stehen. Die lesart von A findet eine stütze an c. 413. Als
Sifka durch Alibrandr gefallen ist, sagt Pidrekr: ef pat hefäi hami
gqrt IX veU^m fyrr, pä mundi betr standa riki ßmlunga. So A,
B hat XI statt IX, membr. fehlt Weder die lesart von A noch die
von B gibt einen verständlichen sinn, denn ebensowenig vor neun als
vor elf Jahren war eine besondere veranlassung dazu vorhanden, Sifka
zu töten, und vor elf jähren war I^idrekr schon seit langer zeit ver-
trieben. Allerdings würde es im Amelungenlande besser aussehen,
wenn Sifka getötet wäre, ehe er die feindschaft zwischen I^idrekr und
Erminrekr angefacht hätte. Dieses steht in S c. 355 : hadhe thet wa-
rith giorth for XX aar, tho stodhe Ixether i hunduiigha landhK
I'ldreks rückkehr hat also nach c. 413, 429 statgefunden, unmittelbar
nachdem er aus der schlacht bei Gronsport sich nach Hdnaland zurück-
begeben hatte.
Derselben Vorstellung begegnen wir, wie es scheint, c. 397. tid-
rekr verabschiedet sich bei Attila, der ihn bittet zu bleiben oder,
wenn er durchaus nach Bern ziehen wolle, wenigstens seine hülfe
anzunehmen (pd vil ek fd p4r lid Hüna fier) , fidrekr weist das aner-
bieten mit den folgenden werten, die eine anspielung auf die schlacht
bei Gronsport, nicht auf die NS enthalten, ab: eigi vil ek optar spilla
pfnum dpiigurn drengjum at vimia mift land. Abgesehen von dieser
antwort ist es nicht wahrscheinlich, dass Attila unmittelbar nach dem
untergange der Nibelungen im stände gewesen wäre, ausreichende hülfe
anzubieten; man beachte die werte c. 393: oc epter pessa ofrostu hefer
voräit svd mikil aud?i i Hünalafide st&rmennis, at ei d dqgum Attila
koniings hefer ordit jamngott mannval i Hünalande, sem dar var en
pesse öfridr höfx.
C. 340 enthält die erzählung von Erkas tode, welche I*idrekr vor
ihrem hinscheiden ihre verwante Herad zur gemahlin gibt Aber f idrekr
1) Aach das algemcine: hctdhe thet warith in S ist der lesart ef Pat hefdi
Jiann gort vorzuziehen, denn damals, als I'idrekr vertrieben wardo, war Alibrandr
noch nicht geboran, und konte also Sifka nicht toten.
448 BO£R
hat sich c. 240 mit Gudilinda af Drekanfils verheiratet, welche, soweit
wir wissen, noch nicht gestorben ist Das auftreten der fird Herad in
der I^S ist demnach verdächtig, und die stellen, wo sie genant wird,
bedürfen einer gründlichen prüfung. Abgesehen von c. 393, welches zur
NS gehört, tritt frd Herad hauptsächlich in der erzählung von l'idreks
rückreise nach Bern auf (c. 395 fgg.). Was dort über sie mitgeteilt
wird, spricht nicht dafür, dass sie in der ursprünglichen t^S erwähnt
wurde. Derjenige, welcher die Überschriften in membr. oder deren
vorläge, vielleicht schon in U, verfasst hat, wolte augenscheinlich die
aufmerksamkeit auf sie lenken: über c. 393, in welchem sie gar nicht
genant wird, das aber die erzählung von I^idreks rückreise eröfiiet,
steht: frd piäreki konungi oc frü Heraä, als ob sie die hauptperson
der ganzen episode wäre, und über c. 397: frd pidreJd konungi oc
hans frü. Nichtsdestoweniger weiss der Verfasser manchmal nichts mit
ihr anzufangen. C. 395 verabredet I'idrekr mit Hildibrandr, dass sie
zusammen ohne begleitung nach Bern reiten wollen. Hdrekr sagt:
oc vcen st^d vel, ät ek kmmi i Omlungaland med eigi fleiri 7nenn
en tveir vaeri vid saman, pd vil ek sverja usw. Etwas weiter Hildi-
brandr: pessi ferd man pickja vera stefnd med litilU soßmd, ef vit
fqrwniy herra! tveir einir saman; e?i heldr en eigi komim v4r i
Omlungaland, pd em ek fuss, at d pessa leid gerim ml. Unmittelbar
darauf sagt tidrekr c. 396: Frü Herad skal fara med oh', ef hon vily
was darauf verabredet wird. In der tat wartet Hildibrandr im anfange
von c. 397 bei der pforte mit drei reitpferden und einem saumross, wel-
ches mit gold, Silber und kleidern belastet ist Als aber I'idrekr darauf
Attila lebewol sagt, antwortet er auf dessen anerbieten, ihm mit hilfs-
truppen beizustehen: einnsaman vil ek keim fara oc leynilega, oc meisi"
ari Hildibrandr med mer. Über frü Herad kein wort Am Schlüsse
von c 397 taucht sie wider auf, an tidreks seite auf einem pferde
reitend. C. 398 wird sie nicht genant — das capitel erzählt Pidreks
klage über Bodingeirs tod und ist also von demselben Verfasser wie
die NS. Auch wird hier Bodingeirs weib Qodilinda genant, was die
unechtheit des capitels entschieden beweist ^ In c. 399 — 402, welche,
wie aus des jarls Eisung auftreten hervorgeht (vgl. c. 365), ebensowenig
1) BeiläuGg bemerke ich, dass der Verfasser von c. 308 poetische quellen
benuzt Iiat, walirscheinlich noi-wogische oder dänische Volkslieder, denn der reim ist
sogar in der altn. prosaerzlihlung beibehalten. Die Zeilen lauton : hon gaf niSr einn
grcenan gunnfana, sä vard tnargum Hwuim at bana, oc eitt hü Pyeka purpura
pelly pat ßordi at bera ütlendr hqfdiiigi vel. Die worte vei-wcisen auf c. 289,
vgl. oben s. 445.
I*IDR1CK9 SAGA UND NIFLUNOA SAGA 449
wie c. 398 von der NS getrent werden können^, spielt Herad eine frei-
lich passive rolle, in c. 403 %g., welche echt zu sein scheinen, ist sie
wider ganz überflüssig. I^idrekr und Hildibrandr reiten südwärts über
die Alpen* in einen wald, wo Pidrekr vom pferde steigt und zurück-
bleibt, während sein genösse die gegend recognosciert. Natürlich ver-
weilt Herad inzwischen bei I^idrekr im walde. Nach verschiedenen
merkwürdigen abenteuern kehrt Hildibrandr c. 405 zurück, begleitet
vom herzöge Lodvigr und dessen söhn Eonrädr, die beide den könig
mit der grösten ehrfurcht begrüssen, vor ihm auf die kniee fallen und
seine bände küssen, auf frü Herad aber gar nicht achten, ja, sie eben-
sowenig wahrzunehmen scheinen als der leser. Mit derselben blindheit
ist eine schar ritter geschlagen, die c. 411 unter Alibrands führung
an dei-selben stelle im walde ankommen, par er fyrir var piärehr
konungr ok hertugt Lodvigr. Keine spur von fru Herad ist zu
erkennen.
Die einzig mögliche erklärung aller genanten Widersprüche ist
die, dass die figur der frü Herad zuerst von einem interpolator in die
PS au%enommen ist; dieser folgte derselben methode wie auch früher:
er fügte nicht nur ganze erzählungen hinzu, sondern er änderte auch
in der saga das, was ihm unrichtig oder ungenügend erschien. Die
werte: oc fni Heraä hjd honum in c. 403 sind z. b. sein werk; ebenso
die mitteilung c 404, dass Ekungr jarl i Babilon (sie) tot ist (vgl.
oben s. 448).
Dass c. 415, welches Herads tod berichtet, unecht ist, versteht
sich nach dem vorhergehenden von selbst In demselben capitel wer-
den Rodingeirr und Gudilinda noch einmal genant, ohne jeden gewinn
für die saga. Hildibrands strohtcd und die Verurteilung von Arius'
ketzerei, die in demselben Zusammenhang mitgeteilt werden, sind also
auch ein späterer zusatz; das leztgenante ereignis hat für die f^S gar
keine bedeutung, das erste ist entbehrlich, denn von verschiedenen von
fidreks beiden wird der tod nicht erzählt; eine anspielung auf Hildi-
brands tod bietet a 414: En meistari Hildibrandr skilx aldri vid
piärek honung, svd lengi sem peir Ufa bdäir. Diese bemerkung wird
die erzählung in c. 415 veranlasst haben.
1) C. 401 , wo Sifka wider als Verräter dargestelt wird (er gibt den rat, Ermin-
rekr das eingeweide auszuschneiden!), ist ans dem gmnde auch nicht von der 2. Yilk.
saga zu trennen. Ein argument für den Zusammenhang zwischen der 2. Yilk. saga
und der NS.
2) fara dUa sina leid [audr um Munditifjall], Hier hört die Interpola-
tion auf, die c. .^7 mit denselben Worten anfängt.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHS PHILOLOGIE. BD. XXV. 29
• ■«•<«. h
450
Mit frd Herad, die in der arsprünglichen K niigends als
gemahlin erwähnt wurde, fält nun auch c. 340, wo Erka auf dem toten-
bette I^idrekr mit Herad yerlobt. Aber ohne c. 340 kann die NS nie-
mals zur fS gehört haben. In der ^S ist Erka eine haup^rson; die
NS ist die geschichte von Attilas ehe mit Orimhiidr, die natürlich
nicht zu Stande kommen konte, so lange Erka lebte. Es leuchtet ein,
dass c. 340 — 341 eine einleitung zur NS bilden, und von demselben
interpolator geschrieben wurden, der ausser der NS auch c. 396, den
schluss von c. 397, c 398 — 402 hinzufügte und I'idreks reise nach
Bern zum teil umarbeitete. Mit der NS ist nun auch c. 423 — 428.
Attihis ;tod zu streichen, eine erzählung, die als fortsetzung der NS
nicht älter als diese sein kann. Die möglichkeit, dass sie junger sei,
ist nicht ausgeschlossen (vgl. unten s. 465 fgg.).
Es ist hier am platze, der einwendung zu begegnen, dass die
ursprüngliche ^8 nicht mit Sicherheit einem einzigen Verfasser zuge-
schrieben werden könne. Man könte fragen, ob es nicht denkbar wäre,
dass der erste Verfasser nur den ersten teil der saga bis zum Schlüsse
von Hdreks zug nach Bertangaland geschrieben hätte, und dass ein
zweiter autor später eine fortsetzung hinzudichtete, oder dass wenig-
stens der erste autor noch am anfange des zweiten teiles von einem
andern abgelöst wurde. Wenn dem so wäre, liesse sich der unter-
schied in der bearbeitung und der widersprach zwischen den berichten
des anÜEinges und der späteren teile der saga einfach daraus erklären,
dass an der bearbeitung der saga verschiedene Verfasser beteiligt gewe-
sen, ohne dass man deshalb gezwungen wäre, Überarbeitung und inter-
polation anzunehmen. Es muss aber bemerkt werden, dass, obgleich
die zweite hälfte der ^8 mehr als der anfang umgearbeitet ist, doch
kein bestimter punkt bezeichnet werden kann, wo die arbeit des ersten
Verfassers aufhörte, die des zweiten anfienge. Im gegenteil sind die
spuren des ersten autors bis ans ende der ^8 zu verfolgen: er war es,
der c. 293, 328 Bödolfr schrieb anstatt Rodingeirr, wie die Umarbei-
tung hat, der c. 413, 429 erzählte, dass I^idrekr 20 jähre landesflüch-
tig gewesen; der Verfasser der NS aber fangt, abgesehen von den Inter-
polationen im ersten teile der I^S, für welche die möglichkeit, dass sie
jünger sind, vorläufig zugegeben wird, doch unmittelbar hinter c. 240
an, denn die NS ist von der 2. Yilk. saga nicht zu scheiden (vgl.
s. 449 anm. 1 ; s. 463). Da nun der erste Verfasser auf jeden fall bis
c. 429, und, was später nachgewiesen werden wird, wahrscheinlich
noch weiter schrieb, der zweite aber nicht später als unmittelbar nach
c. 240, vielleicht sogar noch früher, anfieng, so ist die möglichkeit,
t •"
PlDREKS SAOA UND NIFLTJNQA SAGA 491
dass die NS mit dem was dazu gehört keine interpolation, sondern etwa
eine fortsetzung wäre, ausgeschlossen.
Wir kehren zur Untersuchung der verschiedenen partien der PS
in der reihenfolge der Überlieferung zurück. Auf Pidi'eks flucht folgt
zunächst die mit der 2. Vilk. |saga zusammenhängende zweite erzäh-
lung von Osantrix' tode c. 291 — 292, über die ich Arkiv VII, 213
gehandelt habe. Daran schliessen sich Attilas kriege mit Waldemar
an. Dass diese geschichte, ein ursprüngliches element der I^S, erwei-
tert wurde, um Rodingeirr zu einer hauptperson zu erheben, wurde
oben 8.443 — 44 ausgeführt Ausserdem weist die episode andere spuren
einer freilich so ungeschickten Umarbeitung auf, dass man dabei an
den Schreiber der 2. Yilk. saga und der NS kaum denken kann. In
der erzählung von Hdreks kämpf mit I^idrekr Valdemarsson (c. 303 —
307) ist nämlich eine interpolation aufgenommen, welche an unwahr-
scheinlichkeit alles, was abschreiberweisheit ersinnen kann, Übertrift.
Pidrekr Valdemarsson ist als kriegsgefangener nach Susat geführt; Erka
erlangt von Attila die Zustimmung, während er in den krieg zieht, die
schweren wunden ihres vetters zu verbinden, muss aber mit ihrem
leben dafür einstehen, dass er nicht entflieht Sobald I^idrekr Valde-
marsson genesen ist, begibt er sich, ohne auf Erkas flehen zu achten,
auf den weg nach Ruziland. In der not wendet die königin sich zu
dem im vergangenen kriege gleichfals schwer verwundeten I'idrekr af
Bern, der infolge mangelhafter pflege noch sehr leidend ist Doch rei-
tet er auf Erkas bitten Pidrekr Valdemarsson nach und erreicht kurz
nach ihm die wälle der stadt Vilkinaborg, die hier also auf dem wege
von Soest nach Ruziland liegt Einen augenblick später holt er seinen
feind im Borgarskögr zwischen Pulinaland und Hünaland ein. Dieser
wald liegt so nahe bei Vilkinaborg, dass Hdrekr, als er nach langem
kämpfe auf demselben wege zurückkehrt, eine dame, welche sich c. 303
auf der Stadtmauer befand, daselbst noch antrift, und die damals mit
ihr angeknüpfte Unterhaltung fortsezt. Wir wollen uns durch diese
wunderbaren geographischen anschauungen nicht stören lassen und
unsere aufmerksamkeit darauf richten, was weiter von Vilkinaborg
erzählt wird. Zunächst falt es auf, dass Hdrekr Valdemarsson, dessen
verwanten dort regieren, sich nicht in die stadt geflüchtet hat Hier
bekommen wir in Übereinstimmung mit dem interpolierten c. 278 den
auischluss, dass dort ein jarl regiert, dessen namen nicht genant wird,
der aber nach demselben c. 278 Osantrix' dienstmann ist und also dazu
geeignet wäre, Osantiix' neffen zu retten. Die tochter dieses jarls —
29*
452
d. i. die dame, mit der I'idrekr sich vor der Stadtmauer unterhielt —
verbindet c. 305 seine wunden, und, damit die zeit in Vilkinaboig
ihm nicht zu lang werde, liegt sie — wie es scheint mit Zustimmung
ihres vaters — die nacht über bei ihm; nichtsdestoweniger muss noch
c. 306 die frage in erwSgung gezogen werden, ob man besser daran
tue, den gast zu töten, oder ihn ehrenvoll aufzunehmen. An dem hofe
jenes jarls hielt sich nämlich ein verwanter Sifkas auf, der sich des-
sen erinnerte, dass vor einigen jähren in derselben stadt Erminreks
söhn Fridrekr, fidreks vetter ermordet war*; dieser fürchtet fidreks
räche und gibt daher den rat, ihn zu töten und dadurch zugleich Sif-
kas freundschaft zu verdienen; der jarl aber entschliesst sich, I^idrekr
durch ein fest zu versöhnen, was c. 307 geschieht Nach beendigung
dieses mehrtägigen festes reitet I'idrekr nach Hünaland zurück; als er
dann I^idrekr Yaldemarssons köpf, den er während der ganzen zeit ver-
borgen gehalten hat, vor Erkas fttssen hingeworfen hat, gengr pidrekr
iü sinnar sceingar oc liggr par nü i sdrom sem fyrr. Dass I^idrekr
verwundet und krank, wie er war — das blut floss durch die maschen
seines kollers (c. 303) — aufstand, um seinen feind zu verfolgen und
mit ihm zu kämpfen, war schon eine äusserst merkwürdige heldentat;
dass er aber, statt nach dem kämpfe heimzukehren, einige tage lang
in einer fremden stadt feste feiert, und erst, als er darauf nach
hause komt, wider an die wunden denkt, die ihm nicht nur kurz vor-
her das aufstehen schier unmöglich machten, sondern ihn auch jezt
noch zwingen, sich sofort zu bette zu legen, das wird doch kein eini-
germassen vernünftiger mensch selbst einem beiden zutrauen. C. 303
von den werten: Nü riär kann par Uly er kann keinr firir Vtlcina
borg bis zum ende und c. 305 — 307 bis zu den werten: H^ epHr
leypr usw. sind also ein Zusatz, und zwar von einem anderen Schrei-
ber als die 2. Yilk. saga, was sowol aus dem sinlosen Inhalt wie aus
dem widersprach mit c. 278 hervorgeht*.
Da an manchen stellen ein bestimtes kenzeichen der Interpolation
fehlt, ist es oft schwer zu entscheiden, ob ein capitel die arbeit des
sagaschreibers ist oder nicht Zuweilen beleuchtet die veigleichang
mit solchen teilen der saga, über deren Verfasser kein zweifei möglich
ist, die frage. So wird in c. 295 und 308 berichtet, dass die Hunnen
1) C. 278 ist der jarl selber Sifkas verwanter. Die anspielang auf Fridreks
tod beweist schon genügend, dass diese erzählnng nicht älter als c. 278 ist
2) Dasselbe gilt für einzelne sätze und sazteile in c. 307, welche mit dieser
interpolation zusammenhängen: oe med honom kons VI rtddarar; etwas weiter: oe
hans riddara; so der lezte satz dieses capitels.
I^REKS SAOA UND NIFLUNGA SAGA 453
vor den Russen fliehen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der bear-
beiter der 2. Yilk. saga, der Attila sonst mit grosser Vorliebe behandelt
und sogar in der Yilk. saga eine niederlage seines lieblings in einen
si^ verwandelt hat (Arkiv YIII, 235), diese capitel geschrieben habe.
Auf die kriege mit Yaldemar folgt c. 316 — 339 die schlacht bei
Gronsport, worüber schon s. 444 fgg. gehandelt ist Dass c. 340 — 341
nur eine einleitung zur NS bilden, wurde s. 450 ausgeführt Im an-
schluss an das dort gesagte mnss noch bemerkt werden, dass der Schrei-
ber der NS in dem lezten texte von c. 339 etwas geändert hat; wo
nämlich von I^idrekr gesagt wird: oc er nü med Attüa kanungi enn
lapigar kridir, können mit rücksicht auf I'idreks noch im selben jähre
folgende reise nach Bern (vgl. s. 447) die werte langar hriäir nicht
ursprünglich sein (1. um hriä?)
C. 342 — 348 enthalten den schon besprochenen ersten teil der
NS. Darauf folgt c. 349 — 355 die erzählung von Fasolds und I^etleifs
tod. Dass dieselbe jünger als die NS ist, beweist die s. 446 citierte
Überschrift von c. 342, woraus hervorgeht, dass die NS einmal ein
einheitliches ganze innerhalb der I^S bildete. Auch wenn man annimt,
dass die Überschriften in membr. nicht ursprünglich sind, so leuchtet
es doch ein, dass diese Überschrift, welche sich auch auf den nach
c. 355 folgenden abschnitt bezieht, älter als c. 349 — 354 sein muss,
die ausserhalb des Zusammenhanges der NS stehen. C. 356 — 394 ent-
halten den schon besprochenen zweiten teil der NS.
Über c. 395 — 416, Hdreks rückreise n^ch Bern, vgl. s. 447 fgg.;
ausser den dort nachgewiesenen Interpolationen sind keine spuren der
Umarbeitung deutlich wahrnehmbar, obgleich man durchaus nicht mit
gewissheit bekaupten kann, dass eine solche nicht statgefunden hat
Was c. 414 von den bildsäulen, die I^idrekr sich selbst zu ehren errich-
ten lässt, mitteilt, erregt verdacht; es lässt sich jedoch hierüber nichts
sicheres sagen.
Hingegen erhelt es beim ersten anblick, dass c. 414 — 422 nicht
alt sind. Nachdem es sich ergeben hat, dass alle stark romantisch
gefärbten episoden der I'S Zusätze sind, welche ganz äusserlich mit
I^idrekr in Verbindung gesezt wurden, kann unser urteil über diese
episode voll der wunderlichsten abenteuer, welche nur den zweck hat,
I'idrekr noch einmal sich verheiraten zu lassen, und zwar mit einem
weibe, das für die weitere entwicklung der erzählung nicht die
geringeste bedeutung hat — wir vernehmen nicht einmal, dass
I^idrekr mit ihr einen nachfolger erzeugt — nicht zweifelhaft sein.
454 BOBB
Sämtliche aartretenden personen stehen ausser dem Zusammenhang der
saga: Hertnit f Bergara, sein weih Isolde (a 422) und ein jarl Artus,
systurson Isungs konungs (c. 422): die leztgenanten namen sind natür-
lich dem brittischen Sagenkreise entnommen und erinnern an die unech-
ten c. 245 fgg, während der name Isungr zu gleicher zeit eine Ver-
bindung mit c. 189 — 224 herstellen soll, was völlig mislingt Die
geographischen Vorstellungen sind unklar: Bergara, wo Hertnit mit
seinem brittischen weibe regiert, wird c. 417 mit Hünaland verwech-
selt Schliesslich fält es auf, dass I^idreks pferd hier zuerst Blanka
heisst — so in c. 437, 438, worüber noch gesprochen werden wird — ,
während das tier sonst die ganze saga hindurch Falka genant wird.
Die gescbichte scheint, nach dem Zusammenhang mit c. 245 fgg. zu
urteilen, die ai*beit des zweiten interpolators zu sein.
G. 423 — 428 erzählen im anschluss an die NS Attilas tod, vgl
s. 450. C. 429 fangt wider eine echte episode an, was schon aus der
dort erhaltenen beraerkung, dass l'idreks exil 20 jähre gedauert, her-
vorgeht Hier tritt Heimir wider auf, der nach c. 288 seit Pidreks
flucht Erminreks land verheert hat, nun aber seine Sünden bekent
und in ein kloster geht Obgleich Heimirs auftreten zweifelsohne
ursprünglich ist, scheint doch die folgende erzählung nicht in ihrer
ältesten form erhalten zu sein. Wir erfahren, wie Heimir dadurch,
dass er den riesen Aspilian tötet, so berühmt wird, dass l^drekr
an dieser heldentat seinen alten genossen wider erkent und nicht
ruht, bevor er ihn aus dem kloster geholt und wider an seinen
hof gezogen hat Die hauptpersonen sind von früher bekant, der Zu-
sammenhang ist klar; man wäre deshalb geneigt, die episode dem
sagaschreiber zuzuschreiben. Im Widerspruch mit früheren berichten,
(z. b. c. 45) ist der Schauplatz der erzählung nach der Lombardei ver-
legt (c. 429), wo Aspilian nach der darstellung der I*S nicht zu hause
ist; dieses könte eine spätere änderung sein; zu beachten ist es wenig-
stens, dass Heimirs kloster Vadincusan zuerst c. 434 genant wird, als
Hdrekr dahin reitet, um Heimir abzuholen. C. 433 reitet Aspilian^ einn
alpandü (Schreibfehler für alpandtt^^ er menn kalla fil] das wort alpan-
dir begegnet auch in dem echten c. 118; unserer stelle ungleich näher
stehen aber die folgenden worte in dem interpolierten c. 180: pat er
P^deskir mefin kaüa alpandyr en Vceringjar fil. Dass der umarbeiter
an der episode teil hat, sei es nun, dass er sie geschrieben hat, oder
1) So heifist er in U, in membr.' Asplian.
I^IDRKKS BAGA UND NIFLUKGA SAGA
455
dass er sie nur umarbeitete, beweist übrigens die Übereinstimmung im
einzelnen mit der erzählung von Yidgas kämpf mit Edgeirr c. 195 ent>
schieden. Man vergleiche nur die beiden capitel:
C. 433: Nu keyrir Heimir sinn best
sporum oc rfdr at honum ok leggr spjöt-
inu undir hqnd risans .... t>etta lag
sakar bann ekki. En risinn shfitr i
gegn Jumum sinum aigeir, en Heimir
l^tr undan fram ä sqäulbogann ok ftfigr
atgeirrinn firir ofan kann ok i jqrd"
ina par sem nidr kam, svä at ekki tök
uppy ok engl madr sidan hefir fundit
|>enna atgeir I^ä hleypr Heimir ör
sQdlinum .... (irffr um medalkafla sfns
sverdz ok bregdr skyndiiiga. Bisinn
hleypr ok ofan, bann bregdr ok sverdi
ok reidir upp ok heggr til Heimis. En
Heimir bregz undan hQgginu, ok missir
risinn bans ok heggr f JQrdina. Heimir
sn;^z aptr ok beggr af risanum b^nd-
ina boagri firir ofan srerdzl^jaltit . .
Heimir veiiir pegar annat slag risan-
um d hans leer; sneiä ofan Icerit aU
med beininu, ok svä segjap^äersk kvceäi
(tyske men S), ai svä mikit leysti kann
af hans keri, at eigi mundi einri hestr
draga meira Hann (risinn) reidir
sik til ok vtll nü falla d Heimi, ok veit,
at hann rnä fd bana, ef hann verdr
undir honvm. En svä er Heimir föt-
hvatr ok djarfr, at pd er hann 8&, at
risinn vill faUa d hann ofan, viU hann
eigi undan reniia at heldr; hänn hleypr
at risanum vid, ok svd berr til ($1
risinn feUr, fcetr risans koma djqrdina,
en d vinstri hlid Heimis annarr fötr
risans en anrvarr d hoegri, En Heimir
stendr heiU d miUi leggja risans.
Die I^S enthält kein anderes beispiel davon, dass der Verfasser
seine eigene arbeit so im einzelnen nachgeschrieben hätte. Nichtsdesto-
C. 195: Nü teer risinn
oc skfitr at Vidga. En Vidga
leypr i mot hanom, oc fiygr
atgeirrinri ifir hann oc svd
i jqrdina at ecM stöd upp
af Nü heggr Vidga tu ri-
sans d Uer hanom, oc svd
mikit af vqdvanum, at engi
hestr berr meira, oc |)& heggr
hann annat bQggf&doema mik-
it oc hvert at adro, |)ar til
er risinn fellr, oc he vir mqrg
s&r ok stör oc ketr
hann (risinn) nü faüax til
jardar, pviat hann hyggr, at
Vidga man verda undir han-
om oc drepa hann svd, En
Vidga leypr aptr i milU föta
ha7iom, pd er hann reidir
sie til fallx, oc svd helt Vidga
Si7lU Kfi,
456 BOBB
weniger ist die aowendung stereotyper ausdrücke und beschreibungen
eine in der altn. litteratur so bekante erscheinung, dass man auch hier
annehmen könte, der Verfasser habe zur beschreibung einer ähnlichen
Situation dieselben worte widerholt, welche er c. 195 benuzt hatte,
wenn sich gegen diese anschauung keine wichtigen einwendungen
erheben Hessen. Zunächst ist die zweite erzählung viel länger als die
erste und mahnt an die geschwätzigkeit der beiden umarbeiter, wäh-
rend andererseits mehr die ähnlichkeit der berichte als die der worte, in
denen sie mitgeteilt werden, äuffalt. Vor allem aber ist es schwer,
wenn der sagaschreiber sich selbst plagiiert hat, die Verweisung auf
die aussage deutscher gewährsmänner in c. 433 zu erklären. Wir müs-
ten in dem fall von selten des sagaschreibers absichtliche falschung
annehmen. Es ist bekant, dass die oben citierten umstände nach sei-
ner auffassung zu Vidgas kämpf mit Edgeirr gehören; wir wissen,
dass die quelle von c. 195, obgleich er sie nicht nent, ein deutsches
gedieht ist^ Er verweist aber selten oder niemals auf deutsche quel-
len <; welchen grund könte er denn wol dazu gehabt haben, in einer
erzählung, welche nur eine nachbildung eines früher von ihm selbst
geschriebenen capitels wäre, eine solche quelle anzugeben? Anderer-
seits ist die Vorliebe des umarbeiters für dergleichen Verweisungen auf-
fallend, und wird uns noch öfter beschäftigen. Absichtliche falschung
braucht man bei ihm nicht anzunehmen, er braucht nicht c 195 nach-
geschrieben zu haben: es ist nämlich möglich, dass ihm oder seinen
gewährsleuten einige verse desselben gedichtes zu obren gekommen
sind, welches die quelle von c. 195 ist, und dass diese verse in seiner
quelle in einem anderen zusammenhange vorkamen', oder etwa zuerst
von ihm auf Heimirs und Aspilians kämpf bezogen wurden.
Die geschichte von Heimirs kämpf mit Aspilian ist also in der
form, in der sie vorliegt, nicht die arbeit des sagaschreibers. Es ist
sogar die frage, ob der ausgang nicht ursprünglich ein ganz anderer
war, imd ob nicht Heimir in der ursprünglichen saga von Aspilian
getötet wurde. Es folgt nämlich c. 436 eine erzählung, die den ein-
druck macht, als sei sie nur eine Variation von jener. Heimir komt
im kämpfe mit einem riesen um; der kämpf ist dem mit Aspilian sehr
ähnlich. — pessi risi er nü gamaU at aldri ok er aUra risa mestr
1) örundtvig, D. G. F.. IV, 626 fgg.
2) Die ganze I^S enthält keine Verweisung auf .deutsche quellen, welche sicher
von ihm ist.
3) Es ist eine in Volksliedern des mittelalters bekante erscheinung, dass die-
selben vei'se zuweilen in verschiedenen gedichten widerkehren.
¥*U)IUSKS 8A0A UND NirLÜN6A SAGA 457
ok sterkastr, svd at engt fiU fcer kann borit Rann prifr sina
s^Q:^f ^ h<ßäi er Iqng ok digr; kann reidir hana upp ok l^str Heimi
usw.i — Die erwähnuDg eines elefanten als des tieres, auf dem der
riese reiten solte, erinnert an c. 195 und c. 433; die eisenstange ist
in der I'S das feste attribut Asplians und seiner bruder. Der riese
hütet einen schätz wie Asplians bruder Etgeirr; man hat demnach grund
anzunehmen, dass dieser riese der lezte der vier bruder ist, die im
ersten teile der I^S eine so wichtige stelle einnehmen. Es komt hinzu,
dass die widerholung der kämpfe mit riesen ermüdend wirkt und kaum
ursprünglich sein kann. Wenn die hier ausgesprochene Vermutung,
die sich freilich auf grund des vorhandenen materiales nicht zur Sicher-
heit erheben lässt, richtig ist, wird man sich die Sachlage so vorstellen
müssen, dass der umarbeiter der I^S, der eine von c. 436 durchaus
abweichende Überlieferung dieser sage kante, zunächst c. 433 hinzu-
fügte, und darauf, damit doch ein bericht über Heimirs tod nicht feh-
len möchte, in c. 436 das nötigste änderte, an die stelle des namens
Aspilian einn risi schrieb, und das schon c. 430 angewendete motiv,
dass Aspilian vom kloster tribut forderte, durch die mitteilung ersezte,
dass Heimir im namen I'idreks den riesen aufforderte, Steuer zu zah-
len. Wie weit c. 429 — 432, welche die veranlassung zum kämpfe
erzählen, alt sind, lässt sich nicht entscheiden.
Wenn c. 433 und 436 sich so verhalten, wie oben ausgeführt
wurde, so geht daraus hervor, dass c. 434, wo I^idrekr Heimir aus
dem kloster Yadincusan holt, und c. 435, wo Heimir das kloster nie-
derbrent, zusätze sind und von demselben Schreiber herrühren, der
Heimir Aspilian besiegen Hess. Aus dem Inhalte der betreffenden capi-
tel lassen sich in dieser hinsieht keine genügenden Schlüsse ziehen.
Die quelle von c. 434 ist zweifelsohne ein gedieht, was u. a. aus den
refrainartig mit geringer abweichung stets widerkehrenden werten:
^Bt'öäir, Vit hqfum 86t jnargan st&ran snjä, sidan vit skildumz göäir
1) Merkwürdig ist auch hier, sowie ia c. 195, 433 und auch sonst, wo die
riesischeD bruder in der I'S beschrieben werden, die Übereinstimmung mit einer
beschreibung Aspriäns im könig Rother 652 fgg.:
do sän sie in deme melme gän
dnin wunder liehen man,
den nemochte nichein ros getragen,
der duckte sie ein seltsene knape.
der iroch eine statine stangin,
vier und xweinxdeh ettene lange.
des wart sie ein miehü kaffen an getan;
sie hrähie ein riese, der hiex Äspriän,
r '
458 BOBR
vinir^ hervorgeht, und zwar ein gedieht, weldies viele anspielungen
auf früher von I'idrekr und Heimir zusammen erlebte abenteuer ent-
hielt Darunter findet sich eine anspielung auf die Irons saga jarls,
was den gedanken an den zweiten interpolator der PS nahe legen würde,
wenn das capitel nicht daneben anspielungen auf ereignisse enthielte,
welche die I^S gar nicht mitteilt \ sodass die Übereinstimmung mit der
Umarbeitung ebensowenig wie mit der ursprünglichen saga volständig
ist Der schluss, dass der dichter des liedes, welches später die quelle
von c. 434 wurde, sagen kante, welche sowol dem sagaschieiber wie
den beiden interpolatoren unbekant waren, liegt nahe, was nichts daran
ändert, dass das lied selbst diesen sowie jenem bekant gewesen sein
kann. Die oben ausgesprochene auffiissung von c. 434 beruht also auf
der einfachen Vermutung, dass c. 433 und 436 ursprünglidi zusam-
men 6ine erzählung bildeten, welche Heimirs tod enthielt, und ist daher
nicht über jeden zweifei erhoben. Dasselbe gilt von c. 435. Mit
gewissheit kann man über c. 429 — 436 nur behaupten, dass in der
ursprünglichen I^S mit c. 429 eine episode anfieng, deren held Heimir
war, und die damit endete, dass Heimir von einem riesen, wahrschein-
lich Asplian, erschlagen wurde.
C. 437 teilt mit, wie I^idrekr Heimirs tod rächt Die einzelhei-
ten des kampfes stimmen wider zum teile wörtUch mit denen von Yid-
gas resp. Heimirs kämpf mit Etgeirr resp. Aspilian überein'. I^dreks
pferd heisst hier, wie in c. 416, in Widerspruch mit den übrigen berich-
ten der I^S Blanka'; es unterliegt also keinem zweifei, dass a 437 ein
Zusatz ist Denselben namen Blanka trägt I^dreks pferd im lezten
capitel von üngers ausgäbe c. 438. I'idrekr wird vom teufel in der
gestalt eines schwarzen pferdes fortgeführt Der lezte abschnitt der 1^
1) Brödir, minnxiu nü d jM, hversu okkrir hesiar drukku iU vid Frisidf
svä ai vcUnxt fvarr, svd mikit sem pat er ok nü skaltu mtnnax, hversu
ver hhnwn i Bomaborg til Erminreks konunga, ok hversu vdrir hestar gneggjudu
ok allar kurteisiskonur stödu ok sd.
2) Gib stendr npp si^ött ok tekr sina siqng ok hlegpr i gegn honum. pidrekr
konungr bregdr nu sinu sverdi hinu hvassa Ekkisax, Bisinn reidir m« siqngina
bädum hqndum af qllu afli, pidrekr konungr sSr nü, hversu stqngin ridr ok leypr
iü risanum ok viü eigi fltfjß. Bisinn l^sir stqnginni svd^ at endirinn kemr i
jifrdina d baki Pidreks konungs. pidrekr snyx nü fast i mdti hqgginu ok heggr
i einu hqggi af bädar hendr risans vid stqngina, ok er kann nü sigriauss ok
handiauss, Pidrekr gengr nü eigi fyrr af en ßessi risi er daudr.
3) Storm, Sagnkredsene, 125 erklärt diesen mnstand daraus, dass zvge von
Wolfdietrich auf I^drekr yon Ben übertragen seien; die inconseqaena eines verfias-
sers, der in demselben bache dasselbe tier einmal FUka, dann Blanka genant hatte,
wird dadoreh aber nicht erkürt
I*IDBEX8 6A0A UND NIFLÜNGA 8A0A 459
ist ausser in AB nur in der schAv edischen überzetzung erhalten ; da nun
die Übersetzung membr.'^ näher steht als die hss AB, ist die frage,
wie die lezten capitel in S lauten, für die kritik der ]^S vom grösten
interesse. Auch hier begegnet dieselbe erzählung wie in AB, es folgt
darauf aber unmittelbar eine ganz andere nachricht über Hdreks tod.
Es liegt also, wie so oft in früheren partien der I^S, ein fall von dop-
pelter redaktion vor; somit erhebt sich die frage, welche redaktion die
ursprünglichere ist Dass das fehlen der zweiten in AB nichts beweist,
leuchtet ein: auch sonst fehlt in AB, was doch in einem der älteren
Codices, von denen A und B abstammen, gestanden haben muss (z. b.
die erste Yilkina saga). Dass die redaktion, welche mit AB überein-
stimt, in S vor der anderen steht, beweist auch nichts, denn auch
sonst steht in der umgearbeiteten f^S bisweilen eine interpolierte redak-
tion Yor der ursprünglichen, (z. b. das interpolierte c. 169 vor dem
echten c 170). Es muss also der inhalt beider erzählungen entschei-
den, welche ursprünglich in der 1^8 gestanden hat Bei dieser Sach-
lage wird das vorkommen des namens Blanka in c. 438 zu einem
umstände von grossem gewicht Man müste wenigstens sehr gute
gründe für die priori tat von c. 438 anführen, wenn man, um diese zu
behaupten, annehmen weite, dass der sagaschreiber dem tiere in dem
lezten kapitel einen namen gegeben hätte, der sonst in der ganzen
I^S nicht begegnet; dieser name, und somit das ganze kapitel, kann
nur die arbeit desselben Verfassers sein, der c. 416 und 437, wo Blanka
gleichfals genant wird, schrieb. Femer ist noch die Verweisung auf
deutsche gewährsleute ^, welche in der arbeit des sagaschreibers ganz
vereinzelt dastehen würde, zu beachten.
Die zweite erzählung von ftdreks tod, nach S c. 383 — 385 teilt
uns mit, dass Yidga nach der Schlacht bei Gronsport von einer haffru
hans fadker fadher modher (vgl. c. 23) nach Seeland geführt wurde.
Dann halt er sich auf der insel Fimber verborgen, bis Hdrekr, der
ihn lange gesucht hat, schliesslich seinen Schlupfwinkel entdeckt und
ihn im Zweikampf erschlägt Hdrekr reist darauf durch Holstein und
Sachsen südwärts, stirbt aber unterwegs an seinen wunden; er wird
für einen kaufmann angesehen und begraben. Es folgt die natürlich
nicht ursprüngliche mitteilung, dass die erstere erzählung mit der deut-
schen Überlieferung übereinstimme, während die Römer dafür halten,
dass l^idrekr gestorben sei, som for scrifviih stör. Obgleich es nicht
1) en 8vd segja p^ävershir menn, cU vitrax haß i draumum, €U pidrekr
konufigr haß notit af guäi ok Sancte Mariu, cU hann mintix Peira nafna vid
bona sinn.
460
sicher, ja nicht einmal wahrscheinlich ist, dass die gescbichte in S ihre
älteste form bewahrt hat — S kürzt fortdauernd — , so muss man doch
erkennen, dass sie im ganzen sehr gut in den Zusammenhang der ^S
hineinpassi Der Verfasser bebandelt Yidga mit grosser Torliebe; es ist
daher durchaus nicht unwahrscheinlich, dass er ihn am Schlüsse der
saga noch einmal auftreten liess, damit er weniger schmählich umkom-
men möchte, als man nach c. 336 glauben würde. Vidgas wunderbare
errettung bei Gronsport hängt, wie schon angedeutet wurde, mit c. 23
zusammen; was aber am meisten für die ursprünglichkeit dieser redak-
tion spricht, ist der umstand, dass die erzählung, wie in anderen tei-
len der saga, in Nord-Europa (Seeland, Holstein, Sachsen) lokalisiert
ist. Man denkt dabei, nicht wie S angibt, an eine tradition, die
in Italien zu hause ist, sondern vielmehr an eine Volksüberlieferung,
welche aus Nord -Deutschland über Dänemark ihren weg nadi Nor-
wegen fand, wie das auch mit andern erzählungen der I^ der fall ist
(Arkiv VII, 242). Die sage hingegen, welche f idrekr vom teufel fort-
führen lässt, ist in Rom (pidreks baä) lokalisiert und eher süd- als
norddeutschen Ursprunges; ein merkmal mehrerer Interpolationen.
In S folgt noch ein capitel (386), welches fast ganz ausserhalb
des Zusammenhanges der PS steht; wie weit es ursprünglich ist, wage
ich nicht zu entscheiden; die drei verse am Schlüsse sind, wie der
Inhalt beweist, vom Übersetzer.
Zu dem teile der PS, der nur in der Umarbeitung (U) auf uns
gekommen ist, gehören auch c. 1 — 20. Dass diese zum grossen teile
alt sind, beweist der Zusammenhang sowie die bekante tatsache, dass
wenigstens ein beträchtlicher teil davon einmal in membr. gestanden
hat Doch ist auch hier an ein paar stellen die band eines umarbei-
ters deutlich wahrnehmbar.
Nachdem in c. 13 erzählt ist, dass Samson jedem seiner beiden
söhne Erminrekr und I^etmarr ein reich gegeben habe, heisst es wei-
ter: ok borg pä, er heiUr FriHki, er Vceringjar kaüa Fridscelu, gaf
hann syni sinum, er Akt Mi, ok par med hertuga nafn. Mödemi
hana var ekki mikit Aki ist also ein unechter söhn Samsons. Aber
etwas ganz anderes erfahren wir c. 123, wo membr.* berichtet: Hafa
peir (Pidrekr, Yidga, Heimir) tekii sär gisting i hüstim pess mannx,
er heiter Aki Amlungatrausti , hann er brödir Ernvinreks konongs
sammoedra oc petmars konongs af Bern, pessi siadr heitir Fritüaborg.
Abgesehen von der richtigen lesart Awlungairausti statt Amlunga-
transH in A (Storra, Aarboger 1877, s. 303), weichen AB insofern ab,
^DRKES SAGA UND NIFLÜNQA 8A0A 461
dass die mitteilung über Akis matter, welche c. 13 widerspicht, fehlt —
AB haben nur: Han7i er brödir Erminreks konungs ok petmars.
Man könte daher die lesart von niembr.* für verderbt halten, wenn
sie nicht durch c. 275 gestüzt würde, wo membr.* hat: Emi gamU
Akt var samfeäri viä Erminric konung oc enn rikasti maär, A dage-
gen hat: Hinn gamU Äki var hröäir Enninreks konungs sammcßddr
ok var rikr madir; der satz fehlt in B, S kürzt an allen genanten
stellen und beleuchtet die frage nicht Der Vorstellung, dass Aki die-
selbe mutter wie £rminrekr und l^etmarr hat, begegnen wir also in A
sowie in membr.', sie ist demnach, soweit wir sehen, die der ursprüng-
lichen I^S; die nachricht, dass Erminrekr und I^etmarr denselben vater,
aber eine andere mutter als Aki haben, bieten membr.^ und AB; sie
stamt daher aus der gemeinschaftlichen quelle dieser hss., d. h. aus U.
Zu dieser nachricht stimmen die oben aus c. 13 citierten, im Zusam-
menhang leicht entbehrlichen werte, welche demnach ein zusatz sind;
zweifelsohne haben sie die späteren änderungen in c. 123 und 275 ver-
anlasste In demselben c. 13 heisst es von Erminrekr in volständigem
Widerspruch mit dem Inhalte der I*S: )w,nn er vinscell ok fridsamr hinn
efra tut cefi sinnar; auch diese werte werden ein zusatz sein.
C. 18 nent zum ersten male Brynhild und zwar in Verbindung
mit Eeimir. Die Stadt, .wo sie regiert, heisst wie im interpolierten
c. 226 Ssßgardr. In der nähe ist Biynhilds gestüt, was Zusammenhang
mit dem gleichfals interpolierten c. 168 verrät Vor allem verdient es
beachtung, dass Brynhildr später nur in den jüngeren teilen der saga
erwähnt wird. Was hier über sie mitgeteilt wird, hat also in der
ursprünglichen ^S gar keinen sinn und kann nur von jemand geschrie-
ben sein, der die absieht hatte, später auf sie zurückzukommen. Die
Ursache, dass sie gerade an dieser stelle zuerst genant wird, ist zwei-
felsohne diese, dass sie in der nordischen sage mit Heimir verbunden
begegnet; ein interpolator hat hier also nordische züge in die nieder-
deutsche sage gemischt Es ist kein grund vorhanden, in c. 13 den
beweis zu suchen, dass die Verbindung Brynhilds mit Heimir auch
niederdeutsch ist Nirgends in der PS greift Heimir sonst in Bryn-
hilds geschichte ein.
1) Eine andere ündening hat c. 275 nur in AB statgefnnden, um das capitel
mit 0. 13 in Übereinstimmung zn bringen. In membr. steht: andax einn greifi, er
heitir Aki Orlungatrausti ; AB haben heriugi statt greifi. Nur durch einen zufall
ist hier in membr." greifi bewahrt; über dem capitel steht: daude Aka hertuga;
am Schlüsse aber: oe er kann (Vidga) greifi (so auch AB) Erminriks konungs.
462 BOBR
Dass c. 188, welches erzählt, wie Heimir dem l^idrekr das pferd
Falka verschaft, an der stelle, wo es jezt steht, nicht ursprunglich ist,
wurde Arkiv YII, 226 ausgeführt Da nun dieses capitel in S an
anderer stelle (als ein teil von c. 16) vorkomt, erhebt sich die frage,
welche damals unbeantwortet gelassen wurde, ob es auch dort als ein
Zusatz aufzufassen ist Dass es nicht vom sagaschreiber herrührt, wird
durch c. 91 erwiesen, wo dieser Falka zum ersten male nent und zu-
gleich über seine herkunft au&chluss gibt^, was er doch gewiss unter-
lassen hätte, wenn dasselbe schon früher viel breiter von ihm erzählt
worden wäre. Es ist daher kaum wahrscheinlich, dass das capitel
jemals in doppelter redaktion bestanden hat Da es nun in AB an
derselben stelle wie in membr. steht, also auch in der vorläge dieser
handschriften, von der auch S stamt, an jener stelle gestanden hat, so
erhelt daraus, dass es zugleich mit c. 172 — 187 interpoliert ist In S
erhielt es zuerst den platz in c. 16, der zur Chronologie der erzählten
ereignisse besser stimt
Im vorhergehenden wurde nachgewiesen, dass beträchtliche par-
tien von dem, was die handschriften als teile der PS überliefern, spa-
ter hinzugefügt sind. Gleichfals hat es sich ergeben, dass nicht alle
änderungen und zusätze von 6inem Schreiber herrühren. Es erübrigt
die frage, wieweit es möglich ist, im einzelnen zu entscheiden, wel-
cher interpolator die betreffenden teile der saga hinzugefügt resp. um-
gearbeitet hat Zunächst unterscheiden wir die Niflunga saga im engem
sinne, d. h. die beiden abschnitte c. 342 — 348, 356 — 394, welche,
wie die Überschrift von c. 342 ausweist (vgl. s. 446 anm. 2), zusam-
mengehören. Da c. 340 — 341 (Erkas tod) in keiner anderen absieht
geschrieben ist, als um die NS anbringen zu können, so ergibt es
sich, dass auch diese capitel von demselben Schreiber sind, und ebenso
die mit a 340 nahe zusammenhängenden c. 396 — 402, welche auch in
anderer hinsieht der NS nahe stehen (vgl. s. 447 fgg.) Eine zweite
gruppe von Interpolationen hängt unmittelbar mit der zweiten Yilkina
saga (der widerholung von c. 21 — 56 nach c. 240) zusammen. Hierher
gehören c. 276 — 283, wo Osantrix, der in der ursprünglichen saga
schon c. 144 umkomt, als lebend erwähnt wird, und c. 291 — 292, die
zweite redaktion von Osantrix' tode.
1) kann var hröäir Skemmtngs, er Viäga dtti oe brödir Rispa, er Heimir
dtti. In gleicher weise heisst es c. 190 vonGrani: kann er brödir Falka ok Skemm-
inga ok Riapa (so auch S; der bericht fehlt in AB). Diese werte können die
kombtnation, welche in c. 168 vorliegt, veranlasst haben.
T>n>BSXS SAGA XJVÜ NIFLTTNGA 8A0A 463
Zwei tatsachen weisen darauf hin, dass diese beiden gruppen
zusammengehören, mit andern worten dass der Schreiber der zweiten
Yilk. saga und der NS identisch sind:
1. In dem mit der NS zusammenhängenden c. 401 treffen wir die-
selbe der ursprünglichen pS widersprechende auffassung von
Sifkas Charakter an wie in den mit der zweiten Yilk. saga
zusammenhängenden c. 276 — 283 (s. 449 anm. 1).
2. In der NS, sowie in der zweiten Yilk. saga ist Rodingeirr,
der dem Verfasser der J^S unbekant war, eine hauptpersou.
Aus diesem gründe ist es wahrscheinlich, dass auch die änderun-
gen in c. 284— 290 (pidreks flucht), c. 293 — 315 (Attilas kriege mit
Waldemar) und c. 316 — 339 (schlacht bei Gronsport), die den zweck
haben, Bodingeirr zu einer hauptperson an Attilas hofe zu erheben,
dem Schreiber der NS zuzuschreiben sind.
Yon einem späteren umarbeiter rühren einige jüngere zusätze
her. Mit Sicherheit gehören hierher c. 349 — 355, die den Zusammen-
hang der NS stören, sodann ein bruchstück von c. 303, sowie ungefähr
die ganzen c. 305 — 307, welche dem vom ersten intei-polator geschrie-
benen c. 278 widersprechen, vgl. s. 451 fgg.), c. 241 — 274, welche den
Zusammenhang zwischen der zweiten Yilk. saga und c. 278 stören und
also jünger als diese sind.
In den leztgenanten erzählungen (sage von Walther und Hildegunde,
Irons saga jarls) herscht, wie schon Treutier (Germania XX, 171) be-
merkte, eine starke verliebe für romantische episoden, liebesgeschich-
ten usw. vor; die Vermutung hat daher guten grund, dass auch c. 231
— 239, die geschichte von Herburt und Hilde, c. 416 — 422, pidreks
drachenkampf und seine hochzeit mit Isolde, und wenn dieses der fall
ist, auch das damit zusammenhängende c. 415, welches Herads tod
berichtet, sowie c. 437, pidreks räche an dem riesen, der Heimir
getötet, c. 438, die erste redaktion von ^idreks tode, (in diesen bei-
den leztgenanten erzählungen heisst pidreks pferd wie in c. 416 Blanka^)
die arbeit desselben Verfassers, nicht desjenigen, der die zweite Yilk. s.
und die NS schrieb, sind.
Für einige interpolationen ist die verfasserfrage, obgleich von gros-
ser bedeutung, nicht so leicht zu lösen; es sind Sigurds Jugend und
1) Die Terweisnng auf deutsche gewährsleute in c. 438 könte den gedanken
an den ersten interpolator nahe legen (s. 459 anm.); dieser hätte dann auch c. 416
— 422, 437 geschrieben; jedoch ist es natürlich sehr wol möglich, dass auch der
zweite umarbeiter eine solche hinzugefügt haben kann.
- -V /-* m.
464 BOKR
die erste redaktion von Hijgnis geburt (c. 152 — 169), Sigards und Gun-
nars hochzeit (c. 226 — 230), Attilas tod (c. 423 — 428). Für die hel-
denbeschreibung (c. 171 — 188), ist die frage von geringerem belang.
.£s kommen die änderungen in c. 13 und c. 18 und die Umarbeitung
von c. 429 — 436 (Heimirs lezte heldentaten) hinzu. Hit ausnähme von
c. 13, 171 — 188 und 429 — 436 enthalten alle diese stücke die Vor-
geschichte oder die fortsetzung der NS, was freilich noch nicht beweist,
dass sie von demselben Verfasser herrühren, wie diese. Schon Bass-
mann ^ hat darauf hingewiesen, dass sie dem NL g^enüber sich ganz
anders verhalten als die NS. Er macht die bemerkung', dass die NS
im engeren sinne viel öfter im einzelnen mit dem NL übereinstimt als
die hier genanten abschnitte, und schliesst daraus, dass die quellen
der NS der süddeutschen Überlieferung sehr nahe stehen, während
c. 152— 168, 226 — 230, 423—428 eine davon abweichende sagen-
form repräsentieren; eine folgerung, die sich mit den bisherigen resul-
taten dieser Untersuchung treflich vereinigen lässt Es wurde nämlich
oben schon öfter darauf hingewiesen, das der Schreiber der NS auch
in anderen teilen der I^S von süddeutschen sagenformen stark beein-
flusst worden ist Wie man sich die Überlieferung, welche später die
quelle der NS wurde, vorzustellen hat — ob als eine süddeutsche,
welche, noch auf einer älteren entwicklungsstufe als das NL stehend,
sich im 12. oder 13. Jahrhundert über Nord- Deutschland verbreitet
hatte, oder vielmehr als eine norddeutsche Überlieferung, welche durch
berührung mit der süddeutschen mehrere züge aus dieser in sich auf-
genommen hatte', entscheide ich hier nicht; es genügt, mit Raszmann
und Edzardi (Germania XXIII, 92), dessen anzeige Rassmanns resul-
tate ergänzt, zwischen den quellen der NS und denen der stoflich mit
ihr zusammenhängenden episoden der ^S zu unterscheiden, und die
erste im gegensatze zu den zweiten, welche zum teile wenigstens rein
niederdeutsch sind, süddeutsch zu nennen.
Au und für sich ist es nicht unwaiirscheinlich, dass zwischen der
tatsache, dass die quellen der Interpolationen der PS zweierlei art sind,
und der, dass die interpolationen von zwei verschiedenen Schreibern
1) Die NifloDga saga und das Nibelungenlied, Heilbronn 1877.
2) A. a. 0. 8. 97 — 102.
3) Von einer rein süddeutschen Überlieferung kann aus verschiedenen gründen,
— u. a. der lokalisatiou in Westfalen (Raszmann, s. 14—22) — nicht die rode sein; doch
enthält die NS von andorm abgesehen auch geographische reminiscenzen au ihren
süddeutschen Ursprung. Dies ist z. b. die ein&chste erklärung für den so vielbe*
8pit)chenen bericht, dass die Donau und der Rhein znsammenfliessen.
!*IDKSE8 8A0A UND NIFLUNOA SAQA 465
herrühren, ein gewisser Zusammenhang besteht, zumal da es sich ei'ge-
ben hat, dass bekan tschaft mit hochdeutschen sagenformen ein beson-
deres kenzeichen 6ines dieser umarbeiter ist; wenn somit eine episode,
welche die Vorgeschichte oder die fortsetzung der NS enthält, auf quel-
len weist, die nicht hochdeutsch sind, liegt die Vermutung nahe, dass
sie vom zweiten interpolator, dessen arbeit keine bekantschaft mit
hochdeutschen quellen verrät, geschrieben sei. Diese Vermutung ist
um so mehr begründet, wenn eine solche episode mit der NS in vol-
ständigem Widerspruche ist
Die erzählung, welche sich mit der NS am wenigsten vereinigen
lässt, ist die von Attilas tode. Während Grfmhildr in der NS ver-
gebens Attila gegen ihre brüder aufzureizen sucht, und schliesslich
ohne seine hilfe und gegen seinen willen ihre räche volzieht, begegnen
wir c. 423 — 428 der Vorstellung, als sei Attilas habgier die Ursache
von der Nibelungen Untergang, weshalb auch ihn die räche tritt, und
zwar durch einen söhn ÜQgnis, Aldrian, den er nach c. 393 in der
nacht vor seinem tode mit einem weibe, das Rdrekr ihm verschaft,
erzeugt*. Ein Verfasser, der Attila c. 376 auf Grimhilds unaufhalt-
sames flehen, Sigurdr zu rächen, antworten lässt: Frü, hcett oc mcel
ei peita opiar. Hvi munda ek svikfa mhia mäga, er ßeir hafa gengit
d mina trü; oc ei skaltupat gera n4 einn maär at mishjöda peim, und
der c. 392 erzählt, dass Attila I'idrekr aufträgt, Grfmhildr, die Ursache
alles imheiles, zu töten, müste doch aller vemunft beraubt sein, wenn
er c. 423 fgg. mitteilte, dass Attilas tod die strafe für seinen verrat an
den Niflungar war. Wenn c. 423 — 428 von einem anderen Verfasser
als die NS herrühren, so hat derselbe in der NS einiges geändert,
denn c. 393, welches von H^gnis lezter nacht berichtet, stelt zwischen
der NS und Attilas tod eine Verbindung her, welche nur dem Schrei-
ber der leztgenanten episode zugeschrieben werden kann. Vielleicht
ist auch er es, der c. 359 die werte hinzufügte: En Atiila konungr
er allra manna ßgjamastr, ok pykMr iüa, er kann skal ei fd Ntflunga
skatt^y was mit der unmittelbar folgenden Weigerung, zum untergange
1) Bass diese Vorstellung norddeutsch ist, beweist die Übereinstimmung mit
den Eddaliedern, wo Attila der feind der Nibelungen, Gudrun -Grimhildr ihre rächeriu
ist; Atlamal 88. 89 erzählt, dass ÜQgnis söhn Hniüungr den Atli getötet habe. Einen
söhn HQgnls, Ranche, der Grimhildr tötet, nennen die Hveensche kronik und das
läröische HQgnilied. In der süddeutschen sage hingegen ist alles, was sich auf Atti-
las tod bezieht, bis auf wenige spuren vergessen (Edzardi, a. a. o. s. 93).
2) Edzardi (a. a. o. s. 76) erklärt Attilas worte als eine reminiscenz an eine
Übergangsform der sage, nach der Grimhildr Attila als Werkzeug ihrer räche benuzt.
ZmSCHBIFT F. DEUTSCHS PHnX)L0GIB. BD. XXV. 30
466 Boo
der Niflangar mitzuwirken (fö er Ounnarr honungr vörr enn karste
vin), und mit seiner ganzen haltung während des kampfes schlecht
harmoniert An und für sich ist gegen die annähme, dass der zweite
inteipolator, der Attilas tod in die ^S aufnahm, auch in der NS eini-
ges änderte, nichts einzuwenden: dasselbe tut er auch anderswo, z. b.
in der erzählung von I^dreks kämpf mit Hdrekr Taldemarsson c. 303.
307, um die interpolation c. 305 — 306 anbringen zu können (vgl
s. 452 anm. 2); ebenso in c. 224 (vgl. s.437 — 38). Andererseits sprechen
ausser den genanten noch einige andere tatsachen dafür, dass die NS
ursprünglich mit c. 394 aufhörte. Zunächst c. 394 selbst Wenn der
verffisser der NS seine arbeit hier als nur zum teile vollendet betrach-
tet hätte, wäre es doch mindestens aufiEeülend, dass er seine lange aus-
führung über die glaubwürdigkeit seiner berichte schon an dieser stelle
und nicht erst nach c. 428 angebracht hat Die schon däerte Über-
schrift von c. 342 lässt vermuten, dass die NS ein geschlossenes ganzes
bildet, nnd dass der Schreiber nicht die absieht hatte, sie stückweise
mitzuteilen (vgl. s. 446); Attilas tod aber ist durch ein stück d^
ursprünglichen I^S von der NS getrent Mag der lezigenante umstand
seinen grund darin haben, dass Attila c. 397 noch als lebend genant
wird, so ist damit doch nur eine von den Schwierigkeiten, welche der
annähme von der Zusammengehörigkeit der NS mit der erzählung von
Attilas tod sich entgegenstellen, gelöst Nachdem in c. 393 H^gnis tod
erzählt ist, heisst es weiter: oc nü er lokit cevi Niflunga, eine nach-
richt, die der unmittelbar vorhergehenden nütteilung über Aldrian Hqgna-
sons künftige geburt und der ganzen erzählung c 423 fgg. entschie-
den widerspricht Herrad, welche doch niemand anders als I^idreks
n. a. c. 340. 396 genante gemahlin Herad sein kann, heisst c. 393 eine
frcenhona piäreks konungs und wird von I^drekr gesant, um H<}gnis
wunden zu verbinden. Verweisungen auf deutsche quellen b^egnen
in Attilas tod nicht Aus all diesen gründen scheint es sicher, dass
der an&ng von c 393 bis zu den werten: oc h6r epHr dayr Hqgni
und die episode c. 423 — 428 von dem zweiten interpolator herrühren;
dieser hat dann c. 392 einen abweichenden bericht über HQgms tod
fortgelassen K
Wenn seine aoflassang richtig ist, li^ hier eine von den kleineren inconseqaenzen
vor, vne sie in der NS öfter sich finden.
1) Es verdient weiter beachtang, dass c. 393 den Sigiafroä iyaUara nent,
den die NS sonst nicht erwähnt, womit aber die höhle angedeutet wird, in der Attila
c. 426 umkomt Auch die namensform Sigisfrod, die aosschliesslich hier vori[omt,
legt den gedanken an einen anderen Schreiber nahe. Am nächsten steht Sigfiroeä
wie Sigurdr in der erzählung von seiner Jugend öfter heisst
{»IDKBKS SAGA UND NIFLÜKOA 8A0A 467
Die betrachtang der composition der saga fährt also zu demsel-
ben schlösse wie die ergebnisse unsrer erforschung der quellen, näm-
lich dass die NS und die erzählung von Attilas tod keine einheit
bilden. Dem scheint nun die tatsache zu widersprechen, dass auch
sonst, und zwar in der Hveenschen chi*onik und dem damit nahe vei^
Wanten fSröischen Högniliede^ die sagenform der NS mit der von At-
tilas tode verbunden vorkomt. Wie seit Orundtvigs Untersuchungen
(D. G. P. IV, 586 fgg.) algemein angenommen wird, ist PS nicht die
quelle von H; ebensowenig kann natürlich H die quelle der viel älte-
ren I*S sein; scheinbar bleibt daher keine andere erklärung der Ver-
bindung beider sagenformen in {'S sowie in H übrig als diese, dass
I^ und H beide eine dritte quelle benuzt haben, in der diese Verbin-
dung schon vorlag. Doch dürfte sich die sache dennoch anders ver-
halten.
Als die süddeutsche sagenform — ich bezeichne damit hier die
der NS, ohne dadurch im einzelnen ein urteil über ihre entstehung
aussprechen zu wollen (vgl. s. 464 fg.) — sich stets mehr in nördlicher
richtung ausbreitete und der andern echt niederdeutschen begegnete,
entstanden daraus mischformen. Diese finden wir in der I^S und der
viel jüngeren H. Den mit H nahe verwanten dänischen liedem von
Orimhilds räche fehlt diese Verbindung noch*. Bei der vergleichung
von H mit der I^S fält sofort ein wichtiger unterschied auf. In der
I^ wird Grfmhildr von I^idrekr von Bern auf eine weise erschlagen,
die an das NL erinnert; Hi^gnis söhn tötet Attila. Im HQgniliede trift
B.qgm HQgnasons räche sowol Attila als Orfmhildr; in der Hveenschen
Chronik, welche Attila gar nicht nent, komt nur Grfmhildr in dem mit
schätzen erfülten berge um. Es leuchtet ein, dass die darstellung der
I^S ursprünglicher als die des Högniliedes und der chronik ist Diese
ist mehr zusanmienhängend und daher vom ästhetischen gesichtspunkte
aus betrachtet mehr befriedigend; aber dieser Zusammenhang ist durch
die entfemung oder entstellung alter züge, welche anderen widerspra-
chen, entstanden. Das Högnilied bildet in dieser hinsieht eine über-
gangsform von der I^S zur Hveenschen chronik. Da es nun undenk-
bar ist, dass eine minder ursprüngliche Überlieferung die quelle einer
ursprünglicheren sein solte, so können in einer eventuel gemeinschaft-
lichen quelle der I^S und H die beiden sagenformen nicht so combiniert
1) Die Hveensche ohronik und das Högnilied haben eine gemeinschaftliche
quelle (Grundriss der germ. phil. n, 16), welches ich hier H nenne.
2) Die redaktion 0 dieses liedes, wo sie vorkomt, ist nach Onindtvig (I, 35)
eine kombination Vedels und hat also keinen wert
30 ♦
. -. ■■*,' '. t.
468
gewesen sein, wie das im Högnilied, viel weniger, wie es in der Hveen-
schen chronik der fall ist Im gegenteil müste eine solche quelle alle
alten züge, welche die ^8 aufweist, enthalten haben; mit andern Wor-
ten: auch dort müste Grfmhüdr allein die schuld am untergange der
Niflungar tragen, die räche aber ausschliesslich Attila treffen. Solch
eine quelle ist aber als mündliche Überlieferung undenkbar; am wenig-
sten könte man sich ein Volkslied vorstellen, das solche widerspräche
enthielte. Die annähme einer gemeinschaftlichen quelle für die pS und
H, in der die nord- und die süddeutsche sage schon kombiniert waren,
führt also zur annähme einer schriftlichen quelle, welche mit der f^
durchaus übereinstimte, an der also wahrscheinlich auch zwei Schrei-
ber teil hätten; eine Vermutung, zu der gar kein grund vorhanden ist,
und welche die frage zwar verschiebt, aber zu ihrer lösung keineswegs
forderlich ist Die lieder von OrlmhUds räche beweisen ausserdem
klar genug, dass im volksmunde lebende lieder die quelle von H sind
Andererseits geht es auch nicht an, die Übereinstimmung zwischen der
^S und H für zufällig zu erklären, um so weniger, da die entwick-
lung der sage von der PS über das Högnilied zur chronik deutlich zu
verfolgen ist Die einzig mögliche erklärung der vorliegenden tatsachen
ist daher diese, dass der bearbeiter von H die fS kante. Man braucht
deshalb nicht anzunehmen, dass die fS die einzige quelle von H war.
Es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass der bearbeiter von H nur für
die räche die t^S als quelle benuzte; man könte sogar mit gutem
gründe annehmen, dass er, wenn beide sagen ihm bekant waren, ans
der ]^S nur den gedanken, sie zu verbinden, entlehnte. Das fehlen
der räche in den dänischen liedem, worauf schon hingewiesen ist,
spricht auf jeden fall dafür, dass diese Verbindung in der volksüber-
lieferung jung ist
Einen söhn Högnis kennen ausser der PS und H nur Atlamäl
und VqIs. s. Man könte sich aus diesem gründe zu zweifeln veran-
lasst fühlen, ob in Attilas tod in der tat eine norddeutsche und nicht
vielmehr eine skandinavische Überlieferung zu suchen sei. Aber das
schon von Edzardi (a a o. s. 93) angeführte märchen vom Simelibeig
(Orimm nr. 142) beweist, dass dieser zweifei nicht berechtigt ist Auf
deutschen Ursprung weist auch der name Sigisfrod (c. 393), vgl. dazu
oben s. 466 anm. Aus den übrigen namen (Attila, Grfmhildr usw.) las-
sen sich für die episode keine Schlüsse ziehen; dieselben könten sich
nämlich der form nach an die namen der N8 angeschlossen haben,
wie z. b. die ganze NS hindurch namen wie Ounnarr, HQgni sich an
die nordische Überlieferung anschlössen.
IlDBIKS SAQA UND NIFLUNdA 8AQA 469
In bezog auf c. 152 — 168 (Sigurds Jugend), 226—230 (Sigurds
und Gunnars hocbzeit) kann man zugeben, dass keine dieser beiden
episoden sich mit der NS in so volständigem Widerspruch befindet,
dass sie schon deswegen unmöglich von demselben Verfasser sein kön-
ten wie diese. Doch lassen sie sich in mehreren punkten nicht nüt
ihr in Übereinstimmung bringen. Zunächst muss hier widerholt wer-
den, was schon s. 466 bemerkt wurde, dass die Überschrift, und, wenn
diese auch nicht für echt gelten darf, doch der anfang der NS^ vor-
auszusetzen scheint, dass die auftretenden personen noch nicht genant
sind, was sehr auffallend wäre, wenn ihn der Verfasser von c. 152 —
168, 226—230 geschrieben hätte «.
Femer gilt auch hier, dass die beiden episoden vom NL ungleich
weiter abstehen als die NS (s. 464)^; dass sie vielmehr eine nieder-
deutsche sagenform zu repräsentieren scheinen, welche sonst in der
arbeit des ersten interpolators selten oder niemals b^egnet Schliess-
lich fehlen auch hier die Verweisungen auf deutsche quellen. G. 152 —
168, 226 — 230 scheinen demnach vom Schreiber der episode von Atti-
las tod zu sein. Scheinbar spricht der umstand dagegen, dass die bei-
den erzählungen von Sigurds Jugend und Gunnars hochzeit einander
an einer stelle widersprechen. C. 168 nämlich, wo Sigurdr sich bei
Brynhildr ein pferd holt, ist von einem vertraulicheren Verhältnisse
gar nicht die rede; doch wirft c. 227 Brynhildr Sigurdr vor, dass er
sich früher mit ihr verlobt hat Diese lezte bemerkung ist augenschein-
lich ein zug aus der nordischen sage, welche auch sonst demselben
Schreiber vorgeschwebt hat Dieser Schreiber ist es nämlich, der c. 18
die ihm aus der nordischen sage bekante Verbindung Brynhilds mit
Heimir hergestelt hat^
1) Citiert oben s. 446 anm. 1.
2) Hierher gehört auch das mitteilen von einzelheiten, welche schon in einer
der genanten episoden erzählt sind; so die nachricht über Sigurdr c. 342: hans horond
vor svd hart sem sigg vüligaltar eda hom^ oe engtskonar vdpn mdtii d festa nema
miUi herdanna; par vor hans horond sem annarra manna, vgl. c. 166, welches die
erwerbong der homhaat im einzelnen berichtet Dieselbe bemerkung, aber ganz kurz,
findet sich in der ursprünglichen sage c. 190; vgl s. 446.
3) Die abenteuerliche erzählung von Sigurds geburt Seine erziehung bei Mimir,
wie im Siegfriedsliede. Ganz anders im NL.
4) Wahrscheinlich war es auch dieser Schreiber, der c. 359 in der NS eine
anspielung auf den schätz, welchen Sigurdr in dem lager des getöteten drachen findet,
hinzufugte: ek veü fru, cU Sigurdr sveinn dtte mikU guUj ßat fyrst, er hann tök
undan ßeim mtkla dreka er hann hafde drepit. Das von ihm geschriebene c. 166,
wo Sigurdr Reginn tötet, nent den schätz nicht, was gewiss darin seinen grund hat,
470
Dass Sigurds Jugend und Ounnarrs hochzeit trotz de^B Wider-
spruches zwischen c. 168 und 227 von demselben Verfasser sind, beweist
der Zusammenhang beider episoden mit a 18 (vgl. s. 461) zur genüge.
Dieses capitel ist neben c. 226 das einzige, das SsBgardr als Brynhilds
Wohnsitz nent; andererseits lässt sich c. 18 von c. 168 nicht scheiden,
wo Sigurdr aus Brynhilds gestüte ein pferd holt Dass c. 152 — 168
und 226 — 230 zusammenhängen, geht weiter daraus hervor, dass Si-
gurdr c. 226 der weg nach Brynhilds Stadt bekant ist
£ine einwendung, die sich gegen die Scheidung von Sigurds
Jugendgeschichte von der NS erheben liesse, muss noch widerlegt wer-
den. Brynhildr, von Grfmhildr beleidigt, klagt Ounnarr und HQgni
ihre not und sagt a 344: Oc svd kom kann iü min fyrsta sinnig at
eigi vissi kann sinn fador eda sina mödar ok enga sfna cett, werte,
die auf c. 168 anzuspielen scheinen. Abgesehen von der freilich gerin-
gen möglichkeit, dass die quellen von c. 168 und 344 in diesem punkte
mit einander übereinstimten, sodass aus der gleichheit der berichte
noch nicht auf die Identität der Verfasser geschlossen werden könte,
muss bemerkt werden, dass der angeführte satz in einem Zusammen-
hang vorkomt, durch den die Übereinstimmung mit c. 168 zu volstän-
digem Widerspruch wird. Unmittelbar vorher sagt nämlich Brynhildr:
Sigurär sveinn kom Idngat iü ydar sem einn vaUari, en nü er hanfi
svd stolz ok svd rikr, at eigi md lafigt hedan Uda^ ddr en f6r munod
allir honom pjöna. Diese werte setzen eine ganz andere sagenform
als c. 168 voraus. Meines erachtens können sie nur so gedeutet wer-
den, dass Sigurdr wie ein umherirrender ritter (sem einn vaUari), also
auf dem wege, Brynhildr zu suchen, zufälligerweise nach Ounnars hofe
kam und dort — wie sich versteht, Grfmhildr zu liebe — blieb, eine
Vorstellung, der man in mehreren Eddaliedern begegnet (vgl. Sijmons,
Ztschr. f. d. phil. XXIY, 17. 21 fgg.), und die auch einmal in Deutsch-
land verbreitet gewesen sein muss. Aber auch wenn man die worte
sem einn vaUari nicht in dem eben angegebenen sinne verstehen weite,
so liessen sich Brynhilds worte doch auf keinen fall mit a 168 in
Übereinstimmung bringen, wo Sigurdr von Brynhildr sofort zu könig
Isungr in Bertanga reitet, ohne Ounnarr oder Högni zu begegnen.
Dass die von Brynhildr gesprochenen worte echt sind, geht aus Oun-
dass die qnelle des capitels den schätz nicht kante; die NS und Attilas tod nennen
beide einen schätz, der SigorAr gehört hat; dieser stamt nicht von Beginn -Fafnir
her, wie der name Niflungaskattr aasweist (c. 424 u. a.). Die angeführten worte
scheinen also eine reminiscenz an die nordische sage von der tötong Fafnirs zu sein,
was sich beim Schreiber der NS sonst nicht findet
I»IDBgJC8 SAGA HMD NI7LÜNQA SAGA 471
nars antwort hervor^; merkwürdigerweise lässt er die anspielung auf
Sigurds besuch bei Brynhildr, welche doch zwischen jenen werten und
seiner antwort steht, unbeachtet Diese stört also einigermassen den
Zusammenhang und dürfte eine zutat des Schreibers von c. 168 sein.
Für einen näheren Zusammenhang zwischen c. 168 und c. 344 beweist
sie jedesfieds nichts.
Gegen die yermutung, dass die erzahlungen von Sigurds Jugend
und Gunnars hochzeit von einem andern Schreiber als die NS herrüh-
ren , lässt sich also nichts zwingendes einwenden. Das entgegengesezte
aber, die Identität beider yerfasser liesse sich nur verfechten, wenn
man annehmen wolte, dass der interpolator der NS viele quellen benuzt
hat, welche der süddeutschen Überlieferung sehr fem stehen (was gerade
ein charakteristisches kenzeichen des zweiten interpolators ist), dass er
nordische züge in die erzählung aufnahm (was in den episoden, die
sicher von ihm sind, nirgends der fall ist), dass er sich selbst manch-
mal plagiierte, indem er in der NS vieles als etwas neues mitteilte,
was er schon früher, zum teil ganz ausführlich erzählt hatte; schliess-
lich, dass er die Verweisungen auf deutsche quellen, die er sonst mit
so freigebiger band ausstreut, in einem teile seines werkes, der doch
auch nach deutschen quellen bearbeitet ist, ganz beiseite liess. Da es
überdies feststeht, dass die fortsetzung der NS von einem anderen Ver-
fasser als die NS selbst ist, wird man lieber annehmen, dass dasselbe
mit den episoden c. 152 — 168 und 226 — 230 der fall ist, welche
sich mit der von Attilas tod treflich verbinden lassen, als seine Zu-
flucht zu solchen gewagten und wenig wahrscheinlichen hypothesen zu
nehmen.
Es kann nach dem vorhergehenden nicht länger zweifelhaft sein,
wer der Verfasser von c. 169 (Hqgnis geburt) ist Das capitel widerholt
nachrichten, welche c. 342 richtiger erzählt werden (Yemiza, die haupt-
stadt in Niflungaland wird c. 169 nicht genant); sodann enthält es eine
aus der luft gegriffene anspielung auf c. 391 > und eine ungeschickte
anspielung auf c. 390. Bei der erwähnung Gislers unter Aldrians söh-
nen wird nämlich hinzugefügt: hann er pd eitt bam, er pessi Udendi
gerax. C. 390 berichtet, dass Gisler ein kind war, als Sigurdr getötet
1) Fruy eigi skaUu grata, oh ßegi pu ßegar i stad, Sigurdr sveum mun
eigi lengi vera vdrr herra^ ok min systir Qrimhüdr man eigi vera fin dratning.
2) Oe vid var stqdd ein bona oc keyräi, oc su vor Man fridla pidreks
konungs af Bern ok sagäe honum af trünadi fenna lut, oe ßar af kom tipp tdi
ßetta mdl um sidir*
472
wurde; c. 169 aber erzählt nicht Sigurds tot, sondern HQgnis gebort
Die anspielung in c. 169 ist somit an ungeeigneter stelle angebracht
Übrigens gelten für die beurteilung dieses capitels zum teil dieselben
argumente wie bei c. 152 — 168, vor allem was s. 469 über den anfang
des NS gesagt ist
G. 172 — 188 hängen mit keiner andern Interpolation unmittel-
bar zusammen; mit Sicherheit ist es kaum zu entscheiden, ob diese
partie die arbeit des ersten oder des zweiten interpolators ist Die
vielen Verweisungen auf deutsche gewährsleute^ lassen das erste ver-
muten*. Aus demselben gründe ist es wahrscheinlich, dass c. 429 —
436 vom Verfasser des NS umgearbeitet sind. Abgesehen davon, dass
c. 433 sich auf deutsche quellen beruft (vgl. s. 456), fält noch der s. 454
besprochene Zusammenhang mit der heldenbeschreibung (c. 180) au^
der zur selben aufiTassung führt Wer der umarbeiter von c. 13 ist,
geht aus dem zusammenhange nicht hervor; vgl. aber unten s. 474 anm.
Als ergebnis dieser Untersuchung lässt sich die geschichte der I*S
auf folgende weise in kurzen zügen darstellen:
Der sagaschreiber hat nach den ihm bekanten quellen, wie schon
der titel angibt, das leben l^idreks von Bern und seiner beiden be-
schrieben. Dabei war ihm der könig bis zu dem grade die hauptper-
sou, dass mehrere beiden nur eine Zeitlang in seiner Umgebung auf-
treten, ohne dass der leser erfahrt, was weiter aus ihnen wird^ Der
Verfasser hat seine arbeit breit entworfen und verweilt im an&ng oft
bei den Schicksalen von nebenpersonen, später halt er sich mehr an
seinen stoff, was leicht zu verstehen ist, da I^idreks leben stets interes-
santer wird^. Seine quellen waren teilweise niederdeutsche Volkslieder,
vielleicht auch mündliche mitteilungen von personen aus Nord-Deutsch-
land; dass er ausschliesslich deutsche quellen benuzt habe, ist nicht zu
1) C. 180: d hans vdpnum er markad Pai^ er Pt^desJdr menn kaUa cUpan-
dyr en Vceringjar fU. — C. 181: VüdigqUr, ßat er d ß^desku Vüdifer, — C. 184:
P<U er nü aftekit i sqgum ßt^deskra manna, at engt skal bera d kölm siifrlagdan
s^jqld eäa buklara, — C. 187: oc vid pat sama er hans (Hildibrands) gettt, hvar
Sern hans nafn er rüad eäa frd honum sagt (Hier nur eine ganz algemeine Ver-
weisung auf fremde quellen).
2) Man beachte noch, dass der von Sigurdr getötete drache hier (c. 185) Fadmir
heisst, beim zweiten interpolator hingegen (c. 163) Reginn.
3) Z. b. Sintram, Fasold, fetleifr.
4) Die arbeit des sagaschreibers sind o. [1 — 21], 22 — 56 kurze redaktion,
57 — 151, 170, 171, 189—225, 240, 275, [284—290, 293—339, 395, 397, 403—
414, 429—436], schliesslich ein oder mehr capitel, deren inhalt in S als c. 383 —
385 (386?) mitgeteilt wird. Die zwischen klammem gestelten capitel sind nur in
volständiger oder partieller umarbeitxmg erhalten.
tlDBEKS SAGA UND laFLUMOA BAQA 473
erweisen: es ist sehr wol möglich, dass ein teil der von ihm bearbei-
teten sagen ihm nur in nordischer Überlieferung bekant waren. In
den fallen, wo die mitgeteilten sagen sicher deutsch sind, weisen sie
gewöhnlich eine von anderen quellen, namentlich von den süddeutschen
epen abweichende sagengestalt auf. In den teilen der PS, welche, so
weit man sehen kann, nicht umgearbeitet sind, begegnen keine grossen
Widersprüche, was neben der Sorgfalt des Schreibers dem umstände
zuzuschreiben sein wird, dass auch die quellen des sagaschreibers ein-
ander selten oder nie widersprechen.
Ein abschreiber, der viele sagen aus dem munde deutscher ge-
währsleute in einer den süddeutschen epen ziemlich nahe stehenden
form vernommen hatte, wunderte sich über den in mancher hinsieht
sehr bedeutenden unterschied zwischen dieser Überlieferung und der
der PS. In der Überzeugung, dass die abweichenden berichte der PS
unrichtig seien, fieng er an sie umzuarbeiten und berief sich dabei
fortwährend auf seine deutschen quellen. Seine tätigkeit ist von zweier-
lei art:
1. er fügt neue stücke hinzu, welche nach seiner meinung in der
PS nicht entbehrt werden konten (Sifkas räche c. 276 — 283,
die NS mit dem was dazu gehört c. 340 — 348, 356 — 394, 396,
398 — 402; wahrscheinlich auch die heldenbeschreibung c. 172
-187);
2. er bearbeitete stücke, welche in der PS bereits vorhanden waren
auf «eine eigene art Diese wurden wider auf zwei weisen in
die saga aufgenommen:
a. die Umarbeitung tritt an die stelle der ursprünglichen redak-
tion (Pidreks flucht c. 284 — 290, die kri^ mit Valdemar
c. 293—315, die schlacht bei Gronsport c. 316 — 339, Hei-
mirs lezte heldentaten c. 429 — 436);
b. die ältere redaktion bleibt stehen, die Umarbeitung folgt
später (Yilkina saga c. 21 — 56 nach 240, Osantrix tod
c. 132—144 als c. 291 — 292).
Eine genügende erklärung der tatsache, dass der umarbeiter ver-
schiedene teile der saga, die er doch in derselben weise beurteilte,
auf so verschiedene art behandelte, ist noch nicht gefunden. Als die
ansprechendste erscheint diese, dass er sich in einer ähnlichen läge
befand wie der Schreiber nr. 3 von membr., dass nämlich ein teil der
handschrift, die er bearbeitete, und zwar mindestens bis c. 144, höch-
stens bis c. 171 schon von ihm oder einem andern geschrieben war,
ehe er sich vornahm, die saga umzuarbeiten. Was vor cap. 144 schon
- " ■»■» —
474 Bon, tn>BiK8 baga und vamv^k saoa
erzählt war, muste somit, wenn ee dem umarbeiter unrichtig ersdiien,
wideriiolt werden, was nach a 171 (wo die erste interpolation von sei-
ner band anfängt) folgte, wurde in solchem fiill nur umgearbeitete
Ein zweiter abschreiber, der gleichfiils viel kentnis von fremden,
besonders romantischen sagen hatte, sah die ]^ als ein zur compilation
äusserst geeignetes buch an, und fügte eine anzahl erzählungen hinzu,
deren inhalt von haus aus der pS völlig fremd war. Der umstand,
dass die NS einen teil der I>S bildete, veranlasste ihn, an den dazu
geeigneten stellen hinzuzufügen, was er weiter von Sigurdr und Grlm-
hildr, von Gunnarr, Hqgni und Attila zu erzählen wusste. Um seinoi
berichten den schein zu geben, als seien sie integrierende teile der pS,
lässt er pidrekr zuweilen eine Statistenrolle spielen, welche niemals
anders als in seiner Imagination bestanden hat-, so zieht z. b. ]^idrekr
in Widerspruch mit allen anderen Überlieferungen auf der brautfahrt
nach SsBgardr mit Gunnarr. Mehrere ganz fremden Sagenkreisen ent-
lehnte erzählungen verknüpft er in der ungeschicktesten weise mit der
geschichte pidreks. Um zwischen der pS und seinen Zusätzen den
gewünschten Zusammenhang darzustellen, ändert er mitunter einiges in
der arbeit des verfiassers oder des ersten umarbeiters (c. 224, pidreks
kämpf mit pidr. Yaldemarsson, NS); diese änderungen aber scheinen
nicht von tief eingreifender art zu sein. Bei kleineren episoden, die
seiner auffassung widersprechen (Hi^gnis geburt, pidreks tod), nimt er
seine Zuflucht zur doppelten redaktion; ein anderer grund dafür ist
nicht anzugeben, als etwa dieser, dass er schon in der pS, wie er sie
kante, fälle doppelter redaktion vorfend. Beide male stelt er die von
ihm geschriebene redaktion vor die ältere.
Für die sagenforschung besteht die bedeutung der hier gewon-
nenen resultate darin, dass es hinfort leichter sein wird, in dem bun-
ten gemische hochdeutscher, niederdeutscher und nordischer sagenzüge
den weg zu finden. Allerdings verliert die pS durch die erkentnis,
dass drei Schreiber an ihrer gestaltung ihren selbständigen anteil haben,
ihren einheitlichen Charakter. Dieser verlust aber ist nur sdieinbar.
Denn es muss anerkant werden, dass viele Widersprüche, welche, so
lange man die längere redaktion der pS als die arbeit öines verfiissers
auffassen wolte, unlösbar schienen, aufgehoben werden, wenn man ein-
mal zur einsieht gelangt ist, dass in ihr sehr verschiedene sagenscäuch-
1) Wenn diese aufEusong der tätigkeit des ersten inteipdlatois das riditige tiift,
80 geht daraus hervor, dass nicht er c. 13 (vgl. s. 472) omgearbeitet hat Denn seine
arbeit fängt erst nach c 144 an*
BÖHRIGHT, BEBIOBI ÜBSB UNS JIBÜSALEMFAHBI. U 475
ten über einaader gelagert sind. Hoffentlich werden die yorhergehen-
den blätter dazu beitragen, diese schichten wenigstens in hauptzügen
zu unterscheiden.
LEEDWABDEN, DECEMBER 1891. B. C. BOBE.
ZWEI BEEICHTE ÜBER EINE JEEUSALEMFAHET (1521).
(Fortsetzung zu s. 163 — 220 dieses bandes.)
Am Freyttag vmb Vesper Zeit do khamen wir in die Haylig statt
Jherusalem* vnd ritten des Ersten auff den berg Sion für das kloster,
do stunden mir ab, do khamen die Barfusser Münch heraws vnd
empfingen vns mit grossen frewden. Do giengen wir gleich inn die
kirchen vnd danckten got seiner gnaden; nach dem fürt man vnns in
ain gartten, da gab man vnß die Brüder ein GoUation zimlich genung,
des wir nottnrfftig waren, dann wir vonBama auß nichts betten, dann
Wasser, keß vnd brot vnd nit den zehenden thayl wein, also sazte man
vnns hoch thewtschen als an ain Taffei, nach demselben alls wir gös-
sen betten, do gab man vns herberg auch in ain hawß, da wir auch wol
versehen waren, do schickten die Prüder ainen yetlichen ain teppich
vnd ain lydere küß daniff zw ligen. Also plyben wir dieselb nacht
in der herbeig vnnd richten vnns eyn. —
Ynnd am Sambstag Morgen^ stunden wir hoch thewtschen frw
auff, zwu stund vor tags vnd gingen hinauff den berg Sion zw den
uier . .^ bruder, do hortten wir ain stund vor tags meß vnd betten die
bruder vnnd annder bilger, so mit vnns khomen warn, stets Meß, das
allso bis in drew stund weret Damach hub man ain loblich ampt
an. Nach dem thet man vns ain schone predig vnd vnderweysung,
wie wir imß hallten sollten. Lateinisch, Thewtsch vnd Welsch. Nach
sollicher scheuer ermanung zw andacht, do zaigt man vnns des ersten
in der kirchen auff dem berg Sion in Chor der fron Alltar, das ist die
Stat, da got mit seinen lyben Jüngern das letst Abentmal gössen hat
vnd das New Testament anfing vimd machet laut des Euangeliums, da
ist Vergebung aller sündt. Oleich daneben ain wenig auf die Recht
handt, da ist auch ain Alltar, da ist die Stat, do vnnser lieber herr
seinen Jüngern die fuß wusch, da ist Vergebung aller sündt Das
ward alles mit scheuer proceß vnd lobgesang gezaigt vnnd ersucht,
1) Itmerarimn ins h. land. II.
2) Vgl oben b. 178 (19. juli). 3) 20. juli, vgl oben b. 178. 4) LtLoke.
. * r - -• •.!. ^
476 BÖHUCBT
auch mit schenen ermanungen zw Andacht den Bilgem inn Latein,
Teutsch, Welsch gesagt vnnd fiiigehalten. Also gingen mir ans bemel-
ter kirchen mit der proceß hinaus auff ain scheue Altar, do zaigt man
vnnB oben auf diser kirchen ain Cappel, doch yetz zerstert von den
Hayden beschechen, da ist die Stat, da got der herr den hayligen
gayst am Phingstag zw vunser lieben frawen seiner Rainen Mutter
Maria vnd den hayligen Zwelff potten sendet laut des Euangely, da
ist Vergebung aller sündt Damach giengen wir ain stigen ab in den
krewtzgang vnd zw ennd des krewt^^ngs, auff der Rechten handt ain
Gapell, da ist die khamer gewest, da vnnser lieber herr zu seinen Jün-
gern zwaymal durch verschlosne thür einkham nach seiner hayligen
Yrstennde, vnd das andermal lies er im Sant Thoma in seine haylige
wunde greyffen Inhalt des heyligen Euangeliums. In dem Altar dyser
Capell ist auch ain stück stain einer Ellenbogen hoch von dem seull,
daran vnnser lyeber herr gegayslet worden ist In dyser Eapell ist
auch Vergebung aller sündt —
Wen man herauß gat auB dem kloster auf die gerecht hanndt,
lygt zwen schritt von der Brüder kirchen, do zaigt sich an ain grott
aller gemain, ain scheue kirch, darin sein die hernach volgenden stet
als in begriffen gewest Erstlich gleich neben der Stiegen aussen an
der Kirchen auf die gerecht hanndt, da ist die Statt, do vnser liebe
Fraw gewonet hat, vnd ain schlafiTkamer gewest ist, vnnd auch von
den Engeln offt da erhept worden, da ist ablas Syben Jar 7 Karen.
Etwa X schritt dar von auff die lingk handt für sich gegen der Stat
zw ist die stat, do sant Matheus zu ainem zwelffpotten an Judas stat
erweit worden ist, da ist ablaß 7 Jar 7 Karen. Von dyser stat an
Xn schrit da ist Sannt Jacob der minder zw ainem Bischoff erweit
worden, ist ablas 7 Jar 7 Karen. Damach gleich ain XY schrit weit
wider für sich, da ist die Stat, do vnnser liebe fraw nach irm todt
gesalbet vnd balsamiert worden ist, da ist ablas 7 Jar. Noch ain wenig
für sich da ist die Stat, ist ain Gapeil gestannden, do vnnser fraw
XnU Jar nach Cristi vnsers herrn todt gewonet vnd enthalten hat vnd
auch an diser Stat verschyden, da ist Vergebung aller sünd, pein vnnd
schwld. Ain wenig baß hinumb leicht sechs schrit, dahe ist die Stat,
do Sannt Johanns vnnser lieben Frawen offt meß gehallten hat, da ist
Ablas 7 Jar 7 Karen. Yiertzig schrit von dyser Stat auff die lincken
hannd sein zwen stain, bedewtten die Stett, do vnnser lyber herr sei-
nen lieben Jüngern gepredigt vnd dem Yolck, so im nachgeuolgt hat,
da ist vnnser Fraw gemaincklich gegen dem herren, als da ain stain
stat, gesessen, da ist Ablas 7 Jar 7 Karen. Sechs schritt fürwartz auf
BIBICHT ÜBER nNS JEBÜSALEHFAHRT. H 477
die Becbten haimd an der kloster Maur ainwarts da ist Dauids grab,
das haben die Hayden inn, lassen nymand darein von Christen. Syben
schrytt fimvarts auch an dem Gioster, da ist die Stat, do das Oster-
lamp gepraten worden ist, da ist ablas 7 Jar 7 Karen. Drey schrit
dameben ist ain Altar, da ist der erst Marterer sannt Steffann vnden
begraben worden, ist nit mer dann auch sonst eüich fronfasten, da ist
ablas Syben Jar 7 Karen. Drey schrit wider hinder sich auf die ge-
rechten handt gegen dem Gioster ist ain hocher stain, da hat vnnser
lieber herr Jhesus seinen Jüngern beuolhen, sy sollen ausgan in alle
Land vnd sein vrstennd vnd das Euangelium predigen, also haben sich
daselbs die lieben Jüngern von stund an nach dem gepott des herren
zerthailt in alle Lannd vnd von ainander vrlaub genomen laut der
hayligen geschrifft, da ist ablas 7 Jar 7 Karen. Dyse haylige Stet
sein all in vorgemellten kirchen gwest vnnd in eren gehalten worden
mer dann yetz, so sy zerstört seind, das ist durch die hayden zerstert
worden. —
Von dem borg Sion biß in das hawß Gaiphe ist^ . . schrit, da
ist yetz ain kirchen gepawt —
Yngefer^ .. schritt, da ist ain stain, bezaichnet die Stat, do die
lieben Jünger den todten leyb unser lyben frawen in das Thal Josaphat
wollten tragen, da haben sie gerwet, da sein die Juden khomen vnd
haben in den hayligen leyb wollen nemen, da hat ainer die bahr
angriffen, da ist er von stund an krumb worden vnd seind im die
hend erdort, do das die anndem ersachen, das hat ir gar vil zw dem
Christennlichen glawben kert, da ist ablas 7 Jar 7 Karen. —
Damach gingen mir fürpas etwo' . . schrit, do khamen mir abwärts
zw ainem Alten gemaur vnd ainem Yelsen, da ist die Stat, da Sant
Fetter sein sünd bewainet vnd büß wircket vmb die verleugung Christi,
laut der hayligen geschrifft, da ist ablas 7 Jar 7 Karen. —
Damach ain wenig abwärts do sahen wir gar sehen staine geng,
do das Wasser in Salomons Tempel gelauffen ist Also gingen wir ain
wenig fürbaß, do zaigt man vnns auf der lingken handt hinauf in den
Tempel Salomonis ain gezew, da ist die Jungfraw Maria au%eopffert
worden in den Tempel dreyunddreyssig Staffel hoch, do mag man nit
hinkhomen, dann die hayden lassen khain Christen in im Tempel, wo
aber ainer darinn khem, so müst er sterben oder verleugnen seins
glawbens, da ist Vergebung aller sünd vnnd missethat, die stat anzu-
sehen als man vnns zaigt hat —
1) 2) 3) Lücke.
478 BÖHBIGRT
Von dannen gingen wir abwartz bis zw ainer stainen brugk, die
vber den pach Cedron gat, daselbst ist gelegen vor der Marter Christi
dos holtz das man nitt mochten brawchen zw dem Tempel Salomonis,
wo man das hin maß so was eß zw kurtz oder zw lanng, da weiten
die khunig(in) von Saba ainßmals spacieren gan an den berg Oliueti,
do khamen sy an den stegg, da wolten sy nit hinüber gon sunder sy
knieten nider vnd betten das holtz an vnd sagten: 0 du Edels holtz,
an dir wirt leyd^ vnd sterben der sun gottes, der himel vnd erdtrich
beschaffen hat! Vnd ist durch den pach Cedron geganngen, also sich
weytter ausweyst die geschrifft der propheten die Eünigin Sibilla von
Saba genant, in dem alten Testament Damach ist das holtz hinweg
genomen worden vnd in ain Weyr gesenckt für den Tempel Salomonis,
als ich weytter melden will, vnd ward ain ander holtz da her gelegt,
da yrtz die brugk stat, da ist vnser lieber herr yfEt durchganngen in
den gartten mit seinen lyben Jüngern. Ynd als er gefangen worden
ist, da haben die Juden den lieben herm Jhesum Cristum an der stat
mehr vnbarmhertzlich mit schlagen vnd Ziehen durch den Pach ge-
schlayfft Da ist Vergebung aller sünd für pein vnd schwld. Vnd als
mir vber die pruck khomen, da ist ain thum von ainem gantzen Yell-
sen gemacht, den hat der schön Absolon lassen machen, ain sun Salo-
monis, vermaint sein aigen Yatter dardurch zw bezwingen, seins wil-
lens zw leben. Er beschlieff auch dem Yatter seine weyber, als sy
dann in der alten Ehe vil weyber gehapt haben, vnd vmb der vnge-
horsam willen des Suns dem Yatter, so haben die hayden ain prawch,
wen ainer furgat, so wirffi er mit ainem stain in den Thum vnd ver-
fluchen den Sone in abgrund der hellen, des werfiFen ist so vil gewest,
das zw diseer Zeit ain großer hawff Stain in vnd vor dem thmm lygen
vnd haben ain groß loch durch den gantzen Yelssen geworffen. Also
gingen wir ain wenig auf die gerechten hanndt abwärts vnd darnach
auf der lincken hannd, da ist ain holer berg, da hat sich Sanct Jacob
inn verborgen nach der gefenncknus Christi, bis er gekrewtziget ist
worden, vnd nit weyt dauon ist das grab Zacharie, der was ain Sun
Bacharie ^, von welcher vnser herr vnd heyland sagt im euangelio. Also
gingen mir widerumb hinder sich der brugk zw vnd für auß etwa von
der brugk bis zw der Stat, da ist gewesen das Dorff Bethsemani^
. . . schrit, in welchem DerfKe vnnser lyber her(r) sein acht Apostl ließ
vnd die drey mit im nam. Da ist Ablas 7 Jar 7 karen. —
1) Bemchja; vgl Matth. XXin, 35.
2) Gethsemane; lüoke.
BBRIOHT ÜBHt CINX JBRüSALUfFAHBT. n 470
Darnach gingen mir noch bey ^ . . sehnt auffwarts gegen der gerech-
ten handt, do funden mir in dem garten ain groBen Stain Yellsen, do
lieft vnnser lyber herr die andern drey Jüngern, Petnim, Johannem
vnd Jacobum, da sieht man auf dyse stund in dem hertten stain
Yellsen, wie die lieben Jünger gelegen seind. Da ist ablas 7 Jar
7 karen. —
Also gingen wir etwas bey ' . . schritt hinder sich wider abwartz,
do khamen mir zw der Stat, do vnnser herr dem Yerretter Juda ent-
gegen ging vnd sagt: Frunt, warzw ist es khumen? vnnd zw den Juden
redt Er: Wen sucht Ir? Do antworten sy: Jhesum von Nazareth. Do
sagt der Herr: Ich bins, do fielend die Juden alle nider zw Kuck, nach
laut des Euangeliums vnd Passions. An derselben stat ist gleich die
stat, do der herr von inn auch angefiedlen vnd ge&nngen ward, ain
wenig hinder sich auf die Rechten hannd abwärts ist das ort, do Pe-
trus Malchum das ohr abhawt In dysen stetten ist Vergebung aller
sünd. —
An welcher stat man gleich gerad gegen der gülden Portten sieht
in Tempel Salomonis, do der kayser^ frechlins das hayUg krewtz mit
groftem Triumpf wolt entfuer, do erschin der Enngel auf der portten
vnd thet sich die portten zw als ain Maur, da sagt in der Engel : Dein
got(t) vnd dein schöpffer ist in groBer diemutigkhait auß Jherusalem
gangen, du solt die nit mit solchem Triumpf eingon! Da stund der
kayser abzw fiiß mit großem schrecken vnd demutiget sich, do thet
sich die portten wider auff vnd do trug er das Grewtz Cristi in dem
Tempel Salomonis, als die haylig geschrifEt weyter außweyst Auch ist
durch dyse porten der Herr Jhesus von dem garten hineingangen vnd
hat die khauffer vnnd verkhauiFer außgetryeben. —
Zw dyser Portten noch in den Tempel mag man nit khomen vor
der hayden annderst haimlich doch mit großem gefer, daß nit wol zw
wogen ist Hie dyse portten zw sehen mit Andacht vnnd ein pater
noster betten und ist Vergebung aUer sündt —
Damach gingen wir wider auffwarts ain wennig auff die Rechten
handt bey^ . . schrit, da ist der Stain Yells, darauff sannt Thoma geses-
sen was, do die aller Bainest Jungfraw Maria von den engein erhebt
ward vnnd zw den hymeln gefiirt Auff dysem Stain Yelß ließ die
hochwirdig Mutter aller gnaden sannt Thoman die gürttel vnd Ir hay-
ligen Uaider. Da ist aplas 7 Jar 7 karen. —
1) 2) Lücke.
3) Heraclios; über diese sage vgl. G. v. Zezschwitz, Yom römischen kaiser-
tum 58. 174 fgg. 4) Lücke.
• '*V.L -.
480 RÖHRICHT
Demnach gingen wir wider abwärts auff die lingen bandt, als die
Stat auff die Becbten bandt ligt Etwo^ .. scbrit, do kbamen mir in ain
boU des Velssen, do der berr Jbesos sein gebet verbracbt vnnd plat-
tigen scbwayfi scbwitzet vnnd gott sein bimliscben Yater patt, Vatter
(spracb er), ist es müglicb, so nim den kelcb des leyden von mir, doch
nit mein, sonnder dein will gescbech! Do ist der Stain, drauff der
Enngel gestannden ist vnd kham zw dem berrn vnnd tröstet die men-
schait, das ist ain ernstlich andecbtige statt zw sehen, das warlicb kbain
mensch glawb ich daher kompt, er ersewfftzet von bertzen vnd wird
gotforchtig. Da ist aplas Vergebung aller sünd. —
Ain wenig abwartz von dem gartten auff die linck bannd in das
thal Josaphat Etwo ^ . . schrit, da kbomen mir zw ainem schonen Alltar
kirchen, ist gar inn die Erd gepawen, Achtundviertzig Staffel ain Ste-
gen ab. Damach in dem vordem pogen des Erewtz auff die Rechten
hanndt, da ist der Mutter aller gnaden vnnser lieben frawen der Rai-
nen Jungfraw Maria begrebnuß, das ist ain klains Gapellen, in deren
großen vnd klainen Capelln ist das wirdig grab wie ain alltar gemacht,
brennen stets der gantz bogen voller ampeln, gar andechüich zw sehen,
gat zw ainem klainen thürlin fürwarts gegen dem grab hinein vnd aoff
die lingk hanndt wider heraws. In der kirchen ist ain brunnen vnd
vast kalt wasser darinn, vnd so man die stygen wider auf gat, so ist
auff dem halbthayl der Stegen auff der Rechten seytten das grab in die
seytten Mur in ainer Eapell des hayligen Sannt Joachims, vnnd auf
der ander seytten in ainer Capell das grab der hayligen Mutter Sannt
Anna. Die hayden haben die kirchen inn vnd verphngen ir beth, da
ist gar Vergebung aller sünd für pein vnd schwld. AuSwarts von dyser
kii*chen auff die gerechten bannd etwo 15 schritt da ist der Stain, do
der erst Marter sannt Steffan auffgelegen ist vnnd mit stainen auff der
Stat erworffen, da ist er also pelyben, bis die Christen kbomen sein
vnd in vergraben, do sieht man noch scheinbarlich in stain Yellsen,
wie der lieb haylig gelegen ist Da ist ablaß 7 Jar 7 karen. —
Noch baß hin auffwarts gegen der Stat Jherasalem ongefer acht-
undzwaintzig schrit, do ist ain stain Teils, darauff Sannt Paulus geses-
sen vnd hielten den Buben, die Saimt Steffan verstaingeten, ir klay-
der, damit sy deß ringer zu werffen betten, dann er deßmals nodi
jung vnd nit kristen was. Weytter gingen mir fürhin in die Stat Jhe-
rusalem, nit weyt, do kbamen mir auff die lingk bannd in ain gassen
für ain portten des Tempels Salomonis, daselbs auf die gerechten handt
1) 2) Lücke.
BERICHT ÜBER KÜVE JERÜSALSMFAHRT. II 481
ist der weyer gewest, do das holtz oder stog, der vber den pach Cedron
gelegen was (alls ich vor auch gemelt hab), in demselben weyer, wan
ainer kranck was vor dem leyden Christi, vnd sobald er sich darinn ...^
so ward er gesand. Zw der Zeyt des leyden Christi kam dasselb
heraws vnd schwam empor, ward eß herauß genomen vnnd das haylig
krewtz von gemacht Da ist aplas 7 Jar 7 karen. —
Der weyer hayst Depissyna^ Deßmal gingen mir gestracks die
lanngen gassen, do vnnser lieber herr das krewtz getragen hat, zw
Herberg. —
Am Sonntag zwu stund auff den tag, do ließ man vnns wider
auß dem hayligen Tempel des hayligen grabs vnd borg Caluaria, do
gingen mir zw herberg vnd aßen, nach mittag do rwentten mir biß
zw Yesper Zeit, do kham der brüder ainer ab dem berg Sion vnd fürtt
vns weitter, haylig Stett zw besuchen vnnd zw sehen. Erstlich gingen
wir dem Schloß zw, das auf der Bechten hanndt des wegs gen dem
berg Sion ligt, damor ist ain platz vnd ain stain bey ainem Brunnen,
do mag man die drey hayligen Tempel sehen. Erstlich den Tempel des
hayligen grabs Christi vnnd des bergs Caluarie, der annder den Tem-
pel Salomonis, den dritten Tempel vnd Berg Oliueti. Dyse Stet zu
sehen mit andacht vnd ain Pater noster zw sprechen, ist ablas 7 Jar
7 karen. —
Weytter für sich gen dem berg Sion, do khomen mir zw ainer
kapellen, da ist die Stat, do vnnser lieber herr zw den drey Maria
kham nach der vrstennde vnnd sprach: Seyt gegrüßt Ir Maria, laut
Euangelio. Da ist ablas, wie ofitgemelt Ein wenig bas für sich auff
der lincken handt ist ain kirchen, haben die Armenier innen, da ist
der groß Sannt Jacob, der yetz in Oallicia' ligt, von Herode enthawpt
worden, die statt ist ain wenig hiufür auff der linck hannd, so man
hinein gat, ist ein kapellen, da ist 7 Jar 7 karen. —
Ton dann gingen mir in das haws Cayphe, da ist ain kirchen
in, die haben die Sürgani^ inn, sein auch Christen, da ist auff dem
vordem Alltar der Stain, der vor dem hayligen grab Cristi gelegen,
daruff der Enngel stundt, nach dem Euangelio. Auff der Bechten
hanndt ist ain klains thorlin, darinn ain gewelblin vast enng, da ist
vnnser herr eingefencklich gelegt worden, dieweyl die Juden Bath bet-
ten wider den herm zw todten, vnd alß man auß der kirchen gat
hinauß, da ist ain Loch auff der linck hannd in der Maur, da ist der
1) Lücke. 2) Probatica piscina. 3) Santiago di Ck)mpostella.
4) Smianer, syrische Christen.
ZBTBOmilFT F. DEÜTBOHI PHILOLOa». BD. XXV. 31
t'. • • • -■- ■ l-^ -«
482 B5HBinn
han gesessen, (do Petras veriaDguet) de er dreymal 'krehet Vnd ain
wenig für sich anff die Rechten hannd, da ist ain pktz vmbnEiaurt
vnd stat yetz ain bäum darinn, do ist das fewr gewest, do Petras bej-
stund vnd ynsem lyben herm dreymal yerlangnet In dyser kirchen
vnd stat ist dem herm aller yerschmacht bescheen vnnd auch von
Eayphe beschworen. Da ist Vergebung aller sünd, pein vnd schwld. —
Yon Eaiphee hawB in das hawft Anne 309 schritte Aber der
herr ist auft dem gartten in Anne hawß gefuert worden, ist auch ain
kirch, haben die Armenier, auch Christen, inn. Bey dem vordem Al-
tar auf der lingken hannd, da ist der herr von Anne gefragt Da
gab im der knecht Anne ain backen straich laut des hayligen Euan-
geliums, da ist veigebung aller sündt Vnnd alB man wider ausgat
auf die Rechten band, da statt ein Ölbaum yetz in ainem Eck, do ist
zw der Zeyt des leyden Christi ain Feygennbaum gestannden, da ist
vnnser lieber herr angebunden worden, ehe das er für Anne gepracht
was in das hawA. Da ist ablas 7 Jar 7 karen. —
Von dann gingen wir für sich auff die lingk hannd fürt hinab
ain lange gassen, darnach auf die Rechten hannd ein lange gassen
vnnder ainem gewelb hinauf zw ainer Portten des Tempels Salomonis
porta spedosa genant, da sahen wir hinein mit gepett ains Patter noster,
gingen also vber der hayden gewonhait oder prawch die stigen mehr
den halb auff, das sollten wir nit gethon haben, sonnder die schwch
ausgezogen, deshalb die hayden ser zornig wurden vnd vnnser Yatter,
der vnns füret, die hennd zerkretzt, auch mit wasser geschüdt vnd
etlich Bilgern vbl geschlagen vnnd gestossen, welche vast hindennacfa
giengen. —
Also gingen wir dieselb lang gassen wider hinder sich vnnd auff
die gerechten hanndt ab, vnnd damach wider ain gassen ein zw ainer
anndem portten, den Tempel Salomonis zw sehen, do vnns kain layd
beschach, da ist auch aplas usw. —
Yon dann gingen wir wider auffwarts in die lang gassen, do
vnnser lieber herr das krewtz in getragen hat, do khomen mir zu dem
hawß, do Maria Magdalena vnserm erloser die tat gewaschen laut vnd
Inhalt des Euangely, do ist gleicherweyß aplas 7 Jar 7 karen. Da ist
ir sünd vergeben worden. Ain wenig baB auffwarts do khamen mir
zu des reichen Manns hawfi, der Lazarum lieft vor der thür lygen lauts
Ewangely. Noch baft hinauff khomen mir zw dem hawB, do vnnser
1 — 7) Alle diese angaben sind neu und variieren erbeblich von den bei Tob-
1er, Topogr. I, 240 gegebenen entfemnngen.
BXKIGBT ÜBEB fINB JS&tTSALKMFAHRT. n 483
liebe Fraw die Mutter aller gnaden iren lieben san das erstmal sach
das krewtz auf seinem hayligen Rücken tragen, do ir ain schweki:
durch ir hertz ging, da ist gleicher ablas wie gemelt ist Damach
khamen mir zw dem hawß Filati, do zaigt man vnnß den gang vber
die gassen herüber vnd die zwen stain in die Mawr gemaurt, darauff
vnnser lieber herr vnd Pilatus gestannden, als er den herm den Juden
zaigt vnnd sprach: Ecce Homo, da schrjen sy all: Crucifige eum,
lauth deshalb Eüangeliums. Da ist gemelter Ablas 7 Jar 7 karen. —
Damach gingen mir in das Hawfi Pilati, do musten mir auch
ainer ain Medin geben, da waren Mamelucken in, zaigt man ynnS ain
schon hoch gewelb, ist oben noch gemalet, inmitten desselben gewelbs
da ist die stat, do vnnser lieber herr gegaislet worden, auch in dem-
selben gewelb gekronet, da ist es aber alls in vneer gehallten, stond
yetz Boß darinn, das die Christen pülich zw hertzen sollten nemen
Tnnd helffen die vnglawbigen von sollichen Stetten vertreyben. Da
ist auch Vergebung aller sünd. Es wurden auch etlich bilgem daseibs
vbel geschlagen vnd von den Mamülugken vnderstunden zw versper-
ren, vmb gelt auff zw hallten, das aber durch den herm, so mit vnns
ging, abgestelt ward. Yon Pilattus hawß khomen mir den rechten weg
fürwiuiz bis auff ain krewtz gassen, do kham auff der rechten hanndt
der arm Simon von ainem Dorff her ganngen; der da must das krewtz
nemen vnd dem herm tragen helffen, da ist aplas 7 Jar 7 karen. Ain
wenig furpaß an einem Eck, alß man vff die rechten hanndt in die
gassen wil gon gen dem Berg Galuarie, da stat ain stain, ist die stat,
do der herr sprach zu dem Yolck: Nit wainet vber mich, sunder vber
ewch vnnd ewre khindter! Das ist Ablas, wie obstet Ain wenig baß
auffwarts gar nach bey der Alten Statt Thor gen borg Galuarie, da ist
das hawß der hayligen Frawen Yeronica, die heraws ging vnd dem
Herm ain Tuch gab, sich daran zw trocken, auch im also nachuolgt,
da ist ablas 7 Jar syben karen. —
Yon Pilatus hawß bis zw dem hawß vnnser lyben frawen, do sy
in sach das krewtz tragen, 122 schrit, vom haws^ Pilati bis an das
Ennd, da Simon das krewtz nam, ist 210 schritt — Mer vom hawß
Pilati bis an den berg Galuarie ist 950 schritt. —
Yom Bach Gedron biß zy dem hoel Petre vorgemelt vnd angezaigt
ißt 226 schritt«. —
Yon dem hoel biß zw der Stat, do sy vnnser fraw nidersatzten,
als sy zw grab trugen, schritt 303®. —
Yon der Stat bis an die Staffel des Bergs Sion, do der herr das
nachtmal aß mit seinen lyben Jüngern, ist schrith 370^. —
31*
jrr, 7 . ÄH--.'. <,
484 BÖBUCBT
Montag, der do was der tag Maria Magdalena frw da gingen mir
ain stund vor tags den perg Sion zw vnd namen die prader sanipt
vnserm Patron ainstbayls mit vnnß, des Ersten gein der lingken hannd
für die vorgmelten stet, so da lygen bis an den bach Cedron rber die
prugk, do der herr vnnser Erloser durch das wasser geschlaifit ward,
da ist, als ichs vor auch gemeld hab, Vergebung aller sünd. Do gin-
gen mir auff die Rechten hanndt hin vnnd auff die linck band dem
perg auff etwon ain halb welsche meyl, da khomen mir zw dem hawfi,
ist nit mer dann noch ain alt gemaur, zw des verretters Judas, auch
dapey hat er sich selbs erhennckt, das ist ain böse statt, da khain
andacht ist zw suchen. Also gingen wir den weg für vnnß hin mer
etwo ain halb welsch meyl, da zaigt man vnns die Stat, do der feygen-
paum gestannden ist, den vnnser herr verflucht, da sein noch mehr
feygenbaum, aber sy geben noch khain guete frucht nit Weytter gin-
gen mir ftirbas noch ain halbe welsch meyl, do khomen mir gen Be-
thania, ist gar zerstört, aber ain zimiiche große Stat gewest, alls sich
der Zirckel des allten gemewr auBweyst, vnd ist vast stainig, boß,
rauch gepirg, hat doch gut frucht, das zuuerwundem ist Da gingen
mir des Ersten in das hawß Simonis leprosi, da hat Maria Magdalena
dem herm die fQB gewaschen vnnd gesalbet, da ist ablas 7 (Jar) 7 ka-
ren. Aber ir sünd ist in da nit vergeben. Baß abwärts ain wenig
auff die Recht hannd für sich, do khomen mir zw dem Gasteil Lazari,
von dann noch bas für sich zw dem grab Lazari, ist ain Kirchen,
haben die hayden inn, must ainer ain Medin geben. Hinder dem
grab binden in der kirchen da ist die stat, da Jhesus vnser haylmacher
gestannden ist vnnd Lazarum hieß auffston. Darnacii gat man noch
baß hinder sich in ain gewelb« do muß man vnnder der Erd in ain
loch schlieffen, kompt man wider in ain klains niders gewelblin gantz
on licht, das ist newn schwch brayt vnd X schweb lanng, das ist die
stat, do Maria Magdalena in büß gewürckt hat 7 Jar, an den drey
stetten ist Vergebung bey yedem ort alle sündt Darnach gingen mir
zw dem hawß Martha, do ist gar khain Maur mehr, aber man sidit
noch, daß ain schoen Zister oder ...^ da gewest ist, da ist vnnser herr
vast vil gewest Auch khamen mir gleich zw dem hauß Maria Mag-
dalena, das hat noch gemeur, da ist der herr auch ye gewest, In
yetlichem hawß ist Ablas 7 Jar 7 karen. Also gingen wir abwartz zw
dem Stain, do vnnser lieber herr aufirwhet, als er vom Jordan khomen
was. Do khamen die Maria Martha zw dem herm, klageten: 0 herr,
1) Lüoke.
BERICHT ÜBER EINB JEBÜSALEMFAHBI. U 485
vnnser brader ist gestorben, werst du hie gewest, Er lebt noch, also
sagt der herr weyter (im Euangelio): Gut hin, Lazarus wirt wider auff
ston; da ist ablas 7 Jar 7 karen. Damach zugen wir weytter für auf
die gerechten hanndt den berg binden auf Oliueti, do khamen mir an
die stat, do das dorfflin Betphage gewest ist, da vnnser herr die zwen
Jünger von im in die stat schickt auf den palmtag, ime die zwen Esel
zw pringen. Da ist ablas, wie nechstgmelt ist —
Ain wenig fürpas, do khamen mir zw ainem großen stain, ist ein
Yelft, do der herr auf den Esel saß vnnd noch all Jar so khomen alle . . .^
von Gristen vnd die brüder vom berg Sion dahin, vnd setzen den Gar-
dion auf ain Esell auf den palmtag vnnd werffen im Zweyg von dem
Ölbaum vnnder, gleich wie vnnser Erloser eingeritten ist biß auf den
berg Sion. Da ist aplas 7 Jar 7 karen. —
Vnnd alls mir auff den berg Oliueti khomen, do gingen mir
abwärts vnnder die Erdt, da ist ain kirch der hayden, ist die stat, do
sant Pelagia büß gewürckt hat, mir musten auch ain Medin geben. Da
ist aplas wie vorgmelt Demnach gingen mir wider auffwarts in den
hayligen Tempel des hayligen berg Oliueti, da ist ain schone großQ
kirchen gewest, darinn ist auch ain Mindere Gapell, die ist noch ganntz,
darinn ist der Stain, darauff vnnser lyber herr gestannden, do er zw
Himel fuor, do sieht man noch den drith' gerayt von ainem fuß des
herrn, wie Er gestanden ist Die kirchen haben die Hayden inn vnd
in Eeren, verpringen auch ir gepett, da ist Vergebung aller sünd für
pein vnd schwld. Damach, als wir auß der kirchen khomen, do gin-
gen wir ain wenig auff die Rechten hanndt, da ist die Statt, do die
zwelff Jünger bey ainander waren vnd den glawben machten, vnd
hynach den an allen orten vnd Lannden predigt Da ist auch souil
Ablas. —
Damach gingen wir wider auff die lingk hanndt hinumb, nach
ainer stain Maur, da sein stain YeUs vnd locher darinn, da hat vnnser
lyber herr vnd heyland seine Jünger das Patemoster gelernt Da ist
Ablas wie uorgmelt 7 Jar 7 karen. —
Demnach gingen mir wider ain wenig auff die Rechten hanndt, do
ist die stat, do die Jünger zw dem herrn khamen vnnd fragten in: Herr:
wie baldt wird das Jüngstgericht? Antwort der Herr: Ir solt nit vns-
sen die haimlichait meins himlischen Yatter vnd mein, sonnder Er ver-
sprach In da den hayligen gaist zw schicken , der sy solt aller warhait
vnnderweysen laut Euangeliums. Da ablas, wie vorstet Baß abwärts
1) Lücke. 2) Tritt
, fc» r" 7 *" "VS ^ mm
486 BÖHBIGBI
auf die ling hanndt, da ist die stat bey ainem gartten Thor, da ynnser
liebe Fraw offt geniet hat nachdem, alis sy die hayligen Stett nach
dem leyden Christi gesucht hat. Da ist auch gemelter aplas. Damach
gerad für sich abwärts khomen mir an die haylig statt, do der herr
vber die Stat weinet, dauon stond noch zwelf Ölbaum, die zw der Zeit
gestannden seind, do die Juden die Zweig abprachen vnd dem herrn
vnderwurffen, als er auf den palmtag gen Jherusalem ryth. Die stat
ist auch gerad gegen der gülden portten vber, aber ligt hocher dan
der gartten, do der herr in gepettet hat Do gerad darob da haben
die hayden auch ein bethhawB, aber offen, da ist auch aplas wie berürt
7 Jar 7 karen. —
Demnach gingen wir wider abwartz in das gewelb, do der herr
bettet, vnd von dan in vnnser lieben frawen kirchen, do sy ward be*
graben, da musten mir aber ain Medin geben, do holten mir den Aplas,
do ist Vergebung aller sünd. Nach dem gingen wir heim vnd rwheten
in der herberg bis nach dem nachtmal. —
Am Montag zw Abent am tag Maria Magdalena, do gingen mir
auB mit zwen bnider von dem Berg Sion, zaigt vnns etliche mechti^
allte bew, die Christen gethan haben, auch die Bodisser, dieweyl sy
Jherusalem inngehapt Do khamen mir zw der ersten Portten, als
Herodes Petrum gefanngen hatt vnd wolt in todten lassen vnd die Chri-
sten vertreyben, aUs das die Christen vemomen, do gingen sy in ain
Tempel, do waren man auch inn vnd haben in noch die ...^ seind die
eltsten kristen, wir Bochen seyd des leyden Christi' vnd betten ain
versamlung, wie sy sich hallten sollten, waren ganntz verzweyfflt, da
ir Herr Bischoff Petrus gefanngen was vnd also solt gedoet werden,
do kham Sannt Petter auß der gefenncknus vnd ging die eysse portten
gen inne auff', vnd ging zw den Christen in das hawß, trost sy laut
der Episteln: Misit Herodes Bex^. —
Da ist an bayden orten aplas 7 Jar 7 karen. —
Demnach gingen mir wider hinder sich zw dem haufi, do Sannt
Joannes in geporen was, ist gar ain alten kirchen, haben die Orecy
innen, die haben nur ain got, ain glauben, ain bett, ain Alltar, musten
wir auch ain Medin geben. Da ist Aplas wie gemelt ist 7 Jar 7 karen.
Am Zinstag morgen frw komen mir auff den peig Sion, do hor-
ten mir Meß, nach demselben gingen wir auf die Bechten, den berg
hinfüer, da wardt vns gezaigt der borg, der ligt am tall Ennon^, do
1) Lücke. 2) Unverständlich. 3) Vgl Tobler, Topogr. I, 413 fg.
4) Actor. Xn, 19. 5) Hinnom.
BERICHT ÜBBB SINB JBBUBALIMrAHBT. n 487
der EoDgel zw Abraham kam vmid zaigt im den berg Galuarie, da soll
er sein sun opfFem, des er ^ ...
Weytter abwärts gingen wir hinab in dem Thall Sillo', da ist
ain brun auff der gerechten hanndt tieff in Felssen, da hat vnnser liebe
Fraw dem Herrn Jesu, irem Sun, die windlen oder tüchlen gewaschen
in seiner Jugend, da ist khain aplas nit Wir gingen auffwarts das
tbal auff die gerechten hannd, do khamen mir zw ainem Wasserfluß
stilL Da ist ein schon allt gepew, der fluB eingefaßt, auch ain weyer
▼nnd ain schonen gartten gewest, yetz aber alls zerstört, dan der fluB
ist noch vnnd das aUt gemeur in der Erden stat noch. Dis hat Salo-
mon gepaut Es haben auch die Eünig gemaingklich an diesen enden
triumphiert vnnd auch die Abtgotter angebett In dysem wasser ist
der vssatzig gesund worden, alls in der herr hieß darinn gon sich
waschen, laut im euangelio. Da ist alles 7 Jar 7 karen. Auff die
ling hannd hinder sich da zaigt man vns die stat bey ainem bäum,
da ist vor Zeitten ain Hollderbaum gestannden, da ist Elesias^ der
prophet eingestossen worden vnd mit ainer hilltzen seggen enntzway
geschnitten. Da ist ablaß, wie oben gemelt ist —
Darnach bas auffwarts auff die gerechten hanndt an berg der
lincken hannd, da khomen mir zu vill Jüdischen begreben vnd dar-
nach zw ainer Hoell im berg, do sich die lieben Jünger den merer-
thayl in verporgen vnd verschlüffen in dem leyden Christi, drey tag
vnd drey necht Da ist gleicher Aplas. —
Ain wenig bas auffwartz des beigs kamen mir auff den Acker
Achel domach, der vmb die dreyssig pfenning ward kaufft, darumb
vnnser erloser verkhaufit vnnd verraten was worden, den hat Sannt
Helena lassen vmbmuoren vnd oben gewelben, hat oben newn loecher,
dreyssig schritt lanng, XXV braith^, do pflicht man die Christen, so
es b^gem, die zw Jherusalem sterbennd, einzulegen, da wirfft man sy
hoch hinab durch die loecher. Da ist ablas 7 Jar 7 karen. —
Yen dissem gotsacker gingen wir durch ein Weingarten vnnd in
ain thayl, haist Ennon, do sahen mir auf die lingk hannd oben lygen
für sich ain wenig das hauß malo consilio des bössen Bats, do Judas
einkam zw den phariseyen vnd vnsem herm verkhaufit ^ —
Demnach ain wenig fiir sich in dem Thal, da ligt gar ein schone
Statt aines weyers gewest, auf der gerechten hannd ain alter thum,
dapey ein schöner lustgartt, das hat Dauidt im zw lust gepawen^ Zw
1) Lücke. 2) Sfloah. 3) Jesaias; vgl Tobler, Topogr. II, 205—6.
4) Andere masse ebd. 262^263. 5) Vgl. ebd. 6—12. 6) Ebd. 82.
488 RÖHBIOBT
sollichem waeser was daS weyb Yrios ain Ritter, den Daoidt in kri^
schickt mit beuelch, das er solt erschlagen werden, Potsebea genant,
vnd ließ ir ain magt ire fußh waschen, deshalb Dauidt vor der thär
durchgesiebt der weyssen pain, in lieb entzünt wardt vnd sündet,
darumb er darnach büß gewürckt vnnd die puß Psalmen gemacht
Damach gingen wir das thall auff an dem berg Sion aolF die gerecht
hannd, do khainen mir zw dem starcken schloß, das die von Pissa
gepawet haben, aber es ist auch zerstört, sonnder eß haben ytz die
Türckischen herrn hawß darinn. Do gingen wir in vnser herberg vnd
rweten bis zw Vesper Zeit usw. —
Nach vesper ließ man vns wider in den Tempel des hayligen
grabs usw. —
Am Sambstag nach mittag vmb vesper Zeytt wurden wir in den
wirdigen hayligen Tempel des hayligen grabs gelassen. Ynnd als wir
hinein khomen, da samleten wir vnns in der Brüder Capell von dem
berg Sion, vnd darnach hüben die brüder ain schone proceß an ynnd
gingen des ersten in die Kapelle der vrstennd Cristi, geweicht der eer
vnnser lyeben frawen, mit andechtigem gesanng vnnd hetten wir Bil-
ger all brünnend kertzen in den henden. Also des ersten so zaigt man
vnns den ober mitler altar der Capell, da hat vnnser liebe fraw gerwet
nach dem tod Christi, biß sy warlich die vrstennd Christi ires lieben
Sun gewust hat, in der Capell auff der Rechten hannd ist ain altar,
darinn von ain stuck von der seul, daran Christus vnnser erloser ge-
gayslet worden ist Auff der lingken hannd der Capelln vnnd das halb-
thayl von dem hayligen krewtz verborgen in die maur, da ist auch
ain altar, das ander thayl ist gen Constantinopel gefürt worden. Doch
so soll noch ain stuck in dyser Mur lygen von dem krewtz, ich habs
aber nit gesechen. Mer inmitten dyser Capell ist ain Rund verzaich-
net mit mancherlay stain in Zircken, do ist die Stat, do man nitt hat
erkhent nach erfindung des krewtz Christi vnnd der zwayer Jünger,
welches deß herrn Jhesu gewest wer, das ward daselbs auff ain todte
frawen gelegt, die man da begraben sollt, die ward von dem hayligen
Crewtz Christi lebenndig laut außweysung Inuentionis crucis. In der
Eapel ist von der 4 heyligen stetten Vergebung aller sünd. —
Darnach gingen wir in loblicher proceß mit schöner Andacht vnd
Lobgesanng des Salue Regina fünff sprossen ab auß der Capell, gleich
ain schrit daruon da ist die stat, da der herr Jhesus Maria Magdalena
nach der Vrstennd in ains Gärtners weiß erschynen ist, vnd gleich für-
paß ain 4 schritt da ist die Stat, da Maria Magdalena gestanden ist vnd
den herrn Jesum fraget, ob er nit west, wer den herrn auß dem grab
BBBIGSX ÜBEB lONK JlBUSALEMFABBil. U 489
hett, oder ob er eB thon heti Das beschach auß hytzigem inbrünsti-
gem liebe, so sy zw dem herrn hett, dann sy erkhannt in nit, biß
das der Herr Jesus sy anredt laut Euangely, ist ablas 7 Jar 7 karen. —
Darnach gingen wir mit der proceß 53 schritt, gat auff die ling
hannd die abseytten auf vnd drey sprotzel ab in ain Capell, da ist ain
altar, da ist die spelunca oder gefenncknus gewest, do vnnser lyber
herr Jhesus in gelegen ist am berg Caluarie, biß das krewtz gemacht
ist vnd die Juden ir sach zw dem Marter des vnschwldigen lamp auf
das best zwgericht betten. Da ist aplas Vergebung aller sünd, haben
die Gersy oder Grecy inn. —
Weytter so gingen mir darnach wider ain wenig hinder sich,
Tnnd vmb ain bogen hinumb, noch aufT ain abseytten neben dem Chor
oder kriechischen kirchen hin vngefer bey 80 schritten, da ist ain offne
Capell vnd ain Altar, da ist die stat, do die Juden vmb vnnsers liben
herrn Bock gespilt haben, den im vnnser lybe fraw die Mutter gots
in seinen Jüngern^ gemacht hett Da ist Vergebung 7 Jar 7 karen,
haben die Armenier inn. —
Von der Capellen gingen wir drey sprossen ab vnnd drey schritt
für sich auff die lingk handt, do gingen mir ain stiegen ab acht und
'zwantzig Staffel in ain Eapei, ist in der Eer sant Helena gepawen, es
ist auch ir bett vnnd schlaffhawß gewest, da haut sy sich stets geübt
vnd graben lassen das haylig Crewtz zw finden. Es ist noch ain fen-
ster in der Eapell auff die Recht hannd pey dem großen Altar, daraus
sy stets gelügt hat im leutten zw, die in ainVellsen geprochen haben
nach dem hayligen Crewtz, da ist in dem graben gelegen der alten
Stat Jherusalem das Yest, sieht noch in die Capell, vnnd die haylig
Fraw Sannt Helena die ligt zw Venedig, da hab ich ir hayligen leyb
gesehen. In diser Capell ist aplas vnd Vergebung aller sünd, haben
die Armenier in. In diser Capell gingen mir von dem Alltar vmb ain
pfeyller zwainer stygen dreyzehen schrit vnnd die stigen ab 12 Staffel
vnnd von dann in ain Capell, 12 schrit lanng, da ist die stat, do das
haylig Crewtz in gefunden ward, vnnd ift auch ain alltar, da ist ablas,
Vergebung aller sünd. Die Capell ist oben ain halber velß vnd das
annder thayl geweiht vnd durch die stiegen ab ist es auch ain Vellß.
Das gemaurt ding ist der stat graben gewest, als ich vor auch groel-
det, die stat do das in gefunden, haben die Orei inn vnd den Alltar
die Brüder vom berg Sion. Also gingen mir wider die gmelten stigen
auff vnd gleich sechs schrit hinumb auff die lingk Hannd in ain Capel-
1) Mass wol heissen: in seinen jüngeren jähren.
490 BöHBicin
len, do ist ain stain, drauff oder daran viiser her Cristos gesessen ist,
als er krönet worden ist, ligt in ainem Altar. Da ist aplas 7 Jar
7 karen. —
Diso Capell haben die Indier innen, von dyser Capell auch hin-
umb fiir sich auff die lingk Hanndt als in aineni Bund hinumb zw
gan gen dem berg Galuarie, da ist XVIII schritt, vnd von dann ist
noch gar den berg hinauf zw gan biA an die stat Golgatha, da das
krewtz gestanden ist, zu dem hayligesten loch zweintzig Staffel hoch,
wiewoi der berg vil hocher ist, aber der gantz Tempel ligt auf dem
peig, das macht, das die minder hoche daher nit gerechnet wirt, bey
dem hayligen loch ist kain AUtar vnnd ist weyt mit gar ainem . . A vnnd
Bund, auch oben mit ainem Silbern ploch besetzt, das mir nit daruon . . .'
vnd ist vmb das loch zwen schritt brayt vnd 3 lanng, mit merbel
schoen besetzt vnnd ist das loch ain elenbogen tieff, daruon auff die
gerechten Hanndt ist der YellB von ainander gespalten, alls das ich
wol nach der seytten, dannen nähet durch den yelft ab ynnd ab vnd
gleich hinumb ain schrit, ain wenig herfuer da ist ain alltar, die statt,
do vnnser lyeber Herr Jesus Cristus der aller Bainester Jung&aw sei-
ner lyben mutter ward tod von dem krewtz in die schoos gel^, gleicli
dameben ist ain Alltar vnd 3 oder vier schrit daruon ist die stat, do-
der herr vnser Erloser erstlich ann das krewtz rnbarmhertzigklich
geAreckt vnd genaglet ward, auff der lingen seytten dyser Capell ist
ain Alltar, do defi gerechten Schachers krewtz gestannden ist, so man
aber in der Capell ist, so sieht man den . . . ^ Schacher auff der gerechten
Hannd. Dyse kapeil ist ganntz gefiert vnd mit schoen marbel gemacht
yersetzt an die altar vnd Staffel oder bennck gleich XII schrit braytt
vnd 12 lanng. Da ist Vergebung aller sünd vnd haben das halbthaU
dyser Capell auff der Bechten Hannd auch die prüder vom peig Sion
inn, das annderthayl die Grey oder Gersy. —
Zw der lincken Hanndt ausserhalb des Tempels an der kapeil do
ist die stat auch in ainer kapell, do die Jungfraw Maria das letzstmal
stund vor dem herm wol 10 schritt weyt neben im, do er sy trost
vnd ir Johannem zw ainem beschinner gab vnnd Sant J. ir zw ainem
Sun gab laut des passions. Da ist auch usw. —
AuB dyser kapell gingen mir wider hinab in die weytte des tem-
pels mit der proceß, vnden an dem berg Sechszehen schritt von der
stiegen vnnd doch glich vnnder der Capell, da sahen mir noch mer der
grawssamliche BiB, so in den vellsen gethon ist in dem pitter leyden
1) 2) 3) Lüoke.
BiBiOBx üBiB um jibüsalhifabbi. n 491
▼nd sterben Jheeu Christi, des San gottes. In dem ymgang der kapel-
len lygen zwen Gbristenlich kunig von Jherusalem, gnant Gottfridas
vnd Contabundas^ Bex. Da ist aplas 7 Jar 7 karen, haben dieOersy
oder Grey inn. —
AaB diser Gapell khomen wir wider in die wit des tempels, gleich
neben dem eingang des Tempels fünff schrit von dyser kapeil da ist
die haylig stat, do vnnser liebe Fraw Maria Magdalena vnd ire Schwe-
ster vnd Joseph von Arimathia sampt dem fromen Yatter Nicodemo
den herm salbeten vnd balsamierten, des der süB Herr nit bedorfft
het Da ist vil vei^giessimgh der ausserwelten matter Maria vnd ir
gesellschaflR; der traer' geschechen, es ist fiirwar gar ain andechtig Hay-
lig Statt, da ist vergebang aller sünd für pein vnd schwld. Do gin-
gen wir fiirpaß noch XTTT scliritt, da ist die statt, do die Jangfraw
Maria ir lyeben Sun das erstmal am staine des hayligen Grewtz ersach,
das ist auch gleich gegen dem krewtz, da hat der herr nichts mit der
Rainen matter geredt, des sy beschweret besonnder, dann sy was im
zw weyt, nach dem ist sy erst an die vorgmelt stat khomen, ain wenig
gegen dem krewtz aaff die Recht Hanndt, aaftwarts vor der stat
halben die kriechen vast vil. Yon der Stat, do der herr gesalbet
ward, da ist XL! schritt bis in das haylig grab, da mag ain yeder
wol denncken, was die betrübt Matter Maria sampt ir hayligen gesell-
schafit für groft schmertzen vnnd Hertzlayd gehapt hat mit irem lieben
Sun Jhesu Christo, der ir doch gar ser verwannt was vnnd allen leip-
lich trost verloren hat. 0 we des grossen schmertzen, die deftmals die
khunigin aller gnaden hett omb vnnser willen vnd sünd, ir lieber sun
da also vbel gemartert Das sollen wir piUich bedenncken vnd got
seins pittem leyden, sterben vnd marter, samt seiner gebenedeyten
mutter Maria, vmb alle gnad vnnd Barmhertzigkait dannckpar sein.
Also gingen mir in das Haylig grab, das stet binden im Tempel vnnd
ist der Tempel oben nyt gedeckt vber das grab, also das eß vnnderm
Himel statt Das grab hat drey Capellen, in der mitten das grab, aber
auBwendig sieht eB, alls sey es nur ain Capell, da ist veijgebung aller
sünd, das haben auch die prüder vom perg Sion in, doch haben die
annder Secten . . .^ auch darin meB. Do gingen wir vnd machten kelch,
gaben vns die prüder wein, doch betten mir selbs, das mir des nit
bedorfften, das Haylig grab haben auch die Brüder vom Berg Sion
innen. — ^
1) Baldmnns L 2) Trauer.
3) Lücke.
.. ^. iP.j«w» ^^^ . ■ -•- " ■ -Vi.-»- .-«
492 SÖHBICHI
Zuuerstan, das ich die schrit, so ich do uor schieyb, also maa^
wie ainer sonst zimlich gatt —
Die Gapeil hinden am Heyligen grab haben inn die Jacobittar,
sein der kirchen vnderworffen. —
Hinder demselben an der Rechten kirchmaur ist ain Capell, seind .. .'
Mer ain Gapell auff die lingk hannd des Hayligen grabs, Priester Johaa
glauben vnnderworffen, doch auch Cristen heyssen die ...* Auf dersel-
ben Gapell in dem hoch mer dan 30 Staffel ain stigen auff, do ist ain
Gapell, haben die Armenier in, sein aber vil der Nation, die vnnder
dem Türeken vnd Soldan soindt —
Der kor, aber die groß mitlest Gapell in der kirchen haben inn
die örey vnd haben ain guten glawben, seind auch frum vnd recht
Ghristen, dann das sy der kirchen oder Bepstlichem stul nit vnder-
worffen wollen sein, vnnd das Sacrament ny essen sy in zwayerlay
gestalt vnder wain vnnd prot, glawben sonst alle ding Becht vnd
sing(en) all Horas, die Gersy hangen in an, seind ine in allen dingen
gleich, dann das sy nit ir sprach reden. —
In dyser grossen kapeil ist inmitten ain stain, darin ain Bund
loch, da soll es mitten in der weit sein, das mag sein, aber doch lautt
vns Weyssagung der Bibel oder prophecey , so hat Gristus vnnser erlo-
ser inmitten der Wellt gemartert sollen werden, das ist nun alA im
Hayligen templ des bergs Galuarie, welches ja dasselb mittel sey, will
ich gutlich glawben. —
Am Zinstag abent khomen mir in den hayUgen Tempel vnd ver-
prachten die nacht vnser gepett, vnd am Mitwoch morgen, am Abent
des hayligen zwolffpotten Sant Jacobs abent, khomen mir wider her-
aws. —
Nach dem gingen wir zw der Herberg vnd rwten biß vesper Zeyt,
do sassen wir auff die essel vnd ritten geen Bethlehem. —
Am mitwoch zw Abenndt do gingen wir zw dem kloster auff den
borg Sion, funden wir die Esel vnnd ritten auß gen Bethlehaim. —
Zw dgm ersten von Jherusalem auß bey zwü wellisch meyln rait-
ten mir durch schon weingartten, daselbs ist ain paum, da zaigt man
vnns die statt bey ainem stain in ainer Maur aines Weingartten, do
vnnser Fraw offt gerwhet hat, als sy wider vnd für ging von Jheru-
salem vnd Betlehaim. —
Nit weytt dauon khamen mir zw ainem Zistem, sollen noch zwen
gewest sein, darob soll der stem den hayligen drey khünigen erschin-
1) YerBchriebeii für: nam. 2) 3) Lücke.
BBKIOHT ÜBER SINE JIRUSALKM FAHRT. II 493
nen sein, alls sy zw Jherusalem wider außritten Yon dem Eünig Herode,
als sy in verloren betten gehapt, baß binfiir auff der gereebten Hannd,
do ist die stat, da Abacuck ward von dem Engel bey dem scbopff
gennmen, vnd zw Daniel in die Lewen grub gefürt wart laut der Bibell.
Auff der lincken banndt, da stat ain kircb Sant Elia genant, die baben
die Eriecben inn, da ist Helias gepom worden. —
Damacb kbomen mir fürpaß zw ainem grab, ist vmbmurt wie
ain kirch, da ist Racbabelis, Jacobs des patriarcben hawsfraw begra-
ben. —
Nacb dem für sich auff der lingken banndt ligt ain Acker, do
hat zw der Zeit, allß vnnser lybe fraw et wo von Bethlaem gen Jheru-
salem wandlet, ain pawr geackert vnd gesebet erbß, da ist vnnser liebe
Fraw die mutter alier gnaden für ganngen vnd dem pawm zwgespro-
chen vnd in gegrüst, darzw in gefragt, was er doch guts see. Da bat
der pawr gesagt: stain, vnnd der mutter gots Christi gespott, da hat
vnnser lybe Fraw gesagt: So pleyben eß stain! Also sein auf dysem
Acker auß den erbisen, so der pawr geseet hat, also stain worden,
denn ich auch hab sehent, wie die arbais, vnnd fint man noch hewt
zw tag stets derselben stain. —
Yon dann ritten mir gen Bethleheim, daselbs musten mir in das
kloster eingon, gaben ein Modin, do gab man vnns alle gut g^ vnnd
wein vnnd prott zimlich genung, vnd gleich do gingen mir wider auß
in Sanct Katharina Gapeil, do machten mir ain proceß. Erstlich, do
gingen wir mit schonen proceß, alls mit brünnenden lichtem auß der
Capell sannt Katharina in den krewtzganng, daraus in ain kapell Newn-
zehen Staffel ab in ein schon Capell vnnder der erd. Da hat Sannt
Jheronimus büß gewirckt, vnnd die Bibel von Hebraysch vnd von He-
bräisch' zw kriechisch vnd auß kriechisch zw latein gemacht Da ist
aplas 7 Jar 7 karen. —
Auff der Rechten handt, hinein baß in die kapell binden ein da
ist der haylig Jheronimus des ersten begraben bewest vnd sein Sun
Eusebius auff der lingen hannd in dyser kapellen. Do ist auch Ablas
7 Jar 7 karen.
Damach gingen wir auß vnnd kbomen in den grossen Tempel,
ist gar ain schone, kostliche kirch gewest, aber zergat vast, do khamen
mir femer auff dis die Rechten hannd neben dem Chor zw ainem AU-
tar, da Cristus vnnser erloser das erstmal sein hayliges plutt von vnn-
ser aller sünd wegen vergossen, daselbs ist der Herr, als er acht tag
1) Nicht ansgesohiiebeD. 2) Sio.
494 vßimacn
allt was, beschnitten worden, das ist Vergebung aller sündt Von dan-
nen gingen mir durch den Chor ein durch vnnd auf die linck hanndt
des Chorea in der grossen kirchen, da ist ain Altar, do der stem, der
die Haylig drey khünig wyset, still stund zw ainem Zaichen, das da
der grosmechtig khünig der Juden vnd allen gnaden gebom was, do
legten sich die hayligen drey khünig an, vnd riditet ir opffer zw, bey
diser stat des altars ist ablas YII Jar YIl karen. --
Damach gingen wir auff die Rechten hannd ain sti^n ab Sech-
tzehen Staffel gleich an der dem Chor der grossen kirchen, do khamen
mir zw dem hayligisten, frolichsten stat, so ich nie gesehen hab, die
hallt ich für die hayligsten vnnd frolichsten, dann da der an&ng aller
erlosnng des Christenpluts gewest is für war. Es waren vnnser bey
130 auff einmal in dyser Capell, do hortte ich von dem Haister. Es
war mir auch also, es bezaigt es auch yil mit den Wercken, das ainem
das hertz im leyb vor frewden lacht in diser Capell zw khomen vnnd
die haylig Stat zw sechen. Ich wiil das glawben, an allen andern
haylig Stett zu veracht, so ist es ain stat, die in mir grossen firewden
vnd gar innigklich zw Andacht ermant vnd warlich ainem yeden Chri-
sten besonder dao^kbar macht, vmb alls guts. Die stat ist vnder
ainem alltar, von marbell gemacht, gantz Bund . . .^ nit gleich auf die
lingk hannd, wen man hinabgatt etwa drey schritTon der stieg^i vnnd
auf der anndem seytten gat man auch ain stygen wider auff, do der
Altar der beschneydung. Hie ist Vergebung aller sünd, gleich vor den
altar vber auf die gerecht hannd. Sechs schritt hinder sich, drey Staf-
fel ab, ist ain Hoel in dem Yellß, da ist ain altar, darpey hinder dem
altar auff der Hechten Hannd das kripple, do der Herr Jhesus yngele-
gen was, für das ochsle vnd Esele, das ist aber yetz mit Marbel vber-
zogen. In welchem Marbel ainer das angesicht Sannt Jheronimns
gewichst ist, wie er büß gewürckt hat Hie ist auch Vergebung aller
sündt —
Weytter gingen wir hinder sich die long der Capell vnd binden
pey der thür da ist ain loch, do der stem durch das haws vnd da in
die erdt verschwunden ist, durch das loch vnnd nit mer gesehen wor-
den, dan den hayligen drey khünigen geleucht hat zu dem Oj^er. —
Auf diser Capell auff die gerecht Hannd abwärts khamen mir in
un Capell, da sein vill der vnschwldig kindle durch gewalt Herodis
getodt worden vnd da begraben. Da ist Aplas Syben Jar 7 karen.
Damach auf die lingk handt auffwarts wider in Sanct Katharina Capell,
1) Lücke.
BiBiGHT Obsr bnb jibüsalbmfahbt. ii 405
die ist in der Eer der hayligen Jungkfraw Sant Katharina gewicht
worden, vnnd yetz allen aplas da den man haben mag auf Sannt Ka-
tharina berg, vnd wen ainer ain fart zw dem hayligen berg verhayssen
hat, so wirt sy im abgenomen, das er nit dahin darff, das ist darumb
beschehen. das man so hart dahin khomen mag durch die wüsty vnd
man die glait nit vberall hellt In dyser Gapell, auch in allen vorge-
melten heyligen stetten, so in dyser Kirchen Bethlaem begriffen sein,
thet ain prüder alweg ain schone predig vnd ermanung zw Andacht,
auch mit anzaygung der geschieht der hayligen Stett mit schöner Bedt
Latein, Thewtsch, yo wellisch auch^ allso was die loblich proceB dysen
Abent auB, vnd ging yederman, wo er wolt, die ganntz nacht die hay-
ligen Stett zw besuchen. Hie ist yergebung aUer sündt —
Ymb mit Nacht fing man an, meft lesen, das treyb man bis auff
ain stund im tag. —
Zw Morgen am Donersta^ zaigt man mir, wie ain track an ainer
glatten wandt gebrochen was neben dem hochen Alltar auf der gerecht
Hanndt, von wegen das ain Soldan . . . ^ wollt denselben stain etlich hin-
weg haben lassen füren vnd seinen pallast mit bawen, dan eß vast
schon ...^ marbel in dyser kirchen seind, also die ...' ain wenig also
durch den glatten stain gemacht, das doch schier vnglawbig ist, hot
er sein fümemen abgestellt vnd die stain da gelassen. —
Also am Dunerstag morgen, als wir nun vnnser gepett Terpracht
hatten, wiewol wir gern lenger an der hayligen stat belyben waren,
yedoch musten wir auff sein der hitz halb wollten mir annderst die
hernach volgenden stett auch besehen, vnnd sassen auff die Esell,
anderhalb stund auff den tag ynnd rytten auß von Petlehem. AUs
wir ain wenig außwarts khomen, do sahen mir auff die lingk hannd
sannt Jheronimus kloster, auff die gerecht hanndt die stat, do Sannt
Jörg ge£Eaigen ward. —
Damach sahen wir ain Dorff gerad vor vnnß ain wenig auff die
lingk' hanndt, hayst ...^ da sein eytel Christen inn, müssen aber dem
Türeken vast groß tribut geben. —
Do ritten wir ain längs thall ein, vast boß weg, vier Wellisch
meyl zw ainem Brunnen, da hat sannt Philippus Enochum getöfft vnd
vil hayden. Da ist Ablas 7 Jar 7 karen. —
Von dem prunnen khamen mir ain hochen berg auff vnd wider
ab, vast boß weg, auch wol vier Wellisch meyl, do khamen mir zw
1)— 3) Lücke.
4) Der name Bezeih ist zn ergänzen; vgl. Gonrady 147. Zur sage von des
soltans beabsichtigtem nnd vereiteltem raube vgl. Tobler, Bethlehem 87.
; V -.
496 BÖUKIOHT
ainem Allten gemeur, da ist das hawß Elizabeth, do die mutter gots
zw ir kham vnd sy haimsucht vnd Sant Elizabeth sy grüst laut Euan-
geliums. Da hat vnnser liebe Fraw das Magnificat gemadit, das ist
ain stat vnnden in ainem gewolb. Da ist Vergebung aller sündt —
Demnach oben auff demselben gewolb da ist die Statt, ist auch
ain Capell gewest, do sanntt Johanns Baptista beschnitten ist worden.
Da ist aplas 7 Jar 7 karen. —
Darnach auf die gerechten Hannd, da ist ain kirch, aber wirdt
dyser Zeyt nit in eren gehallten, da ist das hawB Zachary gewest, gat
man auff die gelingk hannd neben dem Altar hinab, do ist die stat,
do Sannt Elizabeth sant Johann Baptista gepom hat Ynnd als sy
empfanngen hat, do waß die haylige Fraw ob 40 Jaren, do kham der
Enngel vnnd verkhündt, Zacharias sein fraw würde ain Sun gepom,
den solt er Johannes hayssen. Das wolt er nit glawben vnnd ward zu
ainem stummen, vnnd als die haylig fraw gepar, do weiten die frawen
das khindt dem Yatter nach gehaissen hab(en), do stund der Yatter
auff, der nichts hot mtigen Beden, von der Empfengnus bift daher ynd
schrieb: Mein Sun soll hayssen Johannes, alßbald das beschach, do
wart Er Beden vnd macht das Benedictus dominus deus Israhel. Da
ist Vergebung aller sünd. —
Demnach khamen mir auf die lingk hanndt ain berg auff vnd
in ain weytte . . .^ ongefer zwu wellisch meyl von der Statt, do khamen
mir zw ainem kloster, haben die Ebron innen, ain zimlich schone
kirch, davomen vnnder den ...' AUtar ist ain loch, da ist die Stat, do
der bäum des hayligen krewtz gewachssen ist, suchten mir auch haim
von andacht wegen. Hie ist ablas 7 Jar 7 karen. —
Also zochen mir fürtter hinein gen Jlierusalem vnnd plyben die-
selb nacht Bowen. —
Am freytag Morgen gingen mir zw Meß in das kloster vnd dar-
nach den tag spaciem vnd Bwheten ein yeder, wo er wolt Wiewol
man vnns gern in tempel het gelassen, mir weiten aber nit, biß mir
von dem Jordan khomen, aus vrsach, wie Ich noch hernach melden
will. —
Am freytag abent, do was der hayligen Mutter Sannt Anna tag,
do schickt der patron zw vnns vnnd ließ vnns sagen, Er het mit dem
Türeken gehanndlet, sy weiten vnns in die kirchen lassen, do Sancta
Anna die haylige frtiw vnd mutter aller geben' hat, do must ainer geben
ain Modin, noch must der Patron zwen Ducatten darzw geben. Es ist
1) 2) Lücke. 3) Soll wol heissen: geboren.
BERICHT ÜBBR KINS JRRUSALKMFAHRT 497
ain kirch, aber man helts für ain hawß, vnd vnnder dem fron AUtar
ist ein gewelb, da ist die statt, do die Jungfraw Maria ynnd mutter
gots geporn ist worden, ist ain andechtige statt, ir geschieht aber wenig
Eer. Hie ist Vergebung aller sündt —
Am Ringan wurden etlich Bilgern ir Bareth genomen vnd sunst
ain tail geschlagen vnd mit stainen geworfifen, dann cß vast spat was
worden. Aber ich ging den nechsten mit vnnserm Fürsten vnnd sei-
ner gesellschafft in das kloster auff dem berg Sion, do plyben wir
vbernacht vnd in der nacht do beychten wir. Vnd am Sampstag mor-
gen ging(en) wir Hochthewtschen bey zwaintzig zw dem hochwirdig-
sten Sacrament an der hayligen stat, do der herr Jhesus vnnser erloser
das ausgesetzt vnd das new Testament gemacht hat, do hett(en) mir
vor mitnacht messen bis schier mittag vnd ain schon ampt. Do dannck-
ten wir got dem herrn, das wir das haylig Sacrament an der heyligen
statt, do eß der güttig Herr auffgesetzt hat, empfangen haben. Hie
ist Vergebung aller sünd, als ich vor auch gemeldt —
Nach tisch plyben mir zw Herberg, dann eß so gar haiß was,
das wir nindert hinmochten. Aber zw Abendt waren wir des willens,
an den Jordann zw reytten, do khamen mer wie wol hundert pferdt
vnd etlich knecht Arabier an, den anndern bilgern gewest weren Ara-
biem, das in die khainn^ entflohen sein, die dasselb mal gen Bethle-
hem ritten, die auft' der andern Naffen gefaren waren. —
Am Sambstag den dritten tag Augusti gingen wir hinauf zw den
Brüder auf den berg Sion, do funden mir vnnser Esell. Also namen
mir vrlawb vnd beualchen sy got vnnd sassen et wo vmb vesper Zeit
auf vnnd ritten auß der hayligsten Statt Hierusalem vnd namen gleich
den weg für vnns, den mir vordar geritten betten, vnnd als wir nun
bey' wellisch meyl geritten waren, do khamen mir zw ainem Allten
gemeur, ist ain schloß gewest, darpey was gut wasser vnd vil Oelbaum,
also legten wir vnns Nider vnd Ruheten bis zwu stund auf den tag,
do waren wir wider auf vnnd ritten fiirtter gegen Rama zw. Vnnder-
wegen, als mir etwo 3 meyl geritten waren, do wolt(en) die glaytslewt
von Jherusalem wider hinder sich, wollten nit mer gelaytten, dann
sy sich vast hart forchten von den Arabiern, hielten den Patron für,
die HerrschafPt Jherusalem hett yetz ain ennd vnd gehört wider dem
Herrn von Rama zw. Also hatten sv vnnsern Patron so hoch vnnd
schannckten im XY Ducaten, das sy gar plyben bis durch das Thall
hinaus oder zw dem schloß Aladron, das sy thetten, ging aber hart
1) keine. 2) Lücke.
ZEITBCHRm F. DEUTSCH! PHILOLOOIR. BD. XXV. 32
: h
498 RÖHmoHT
zw, dan ir waren wenig, zwar eß half vnns nit vi], dann khaum 1 mey]
daraor, do het eß gar ain engepaß, musten mir durchziehen, do vber-
fylen vnns bey zwayhundert pawren auß der Lanndschafit oder Herr-
schaßt Rama vnnd all mit bogen, verhielten vnns den weg mit gewalt
vnd weiten von jedem Bilger haben XY Modin. Daraor halff vnns
der Türeken geklagt gar nichts, dan sy vii lieber dan vor geflohen
weren. Es waren vber FünflEzehen pferd nit vnnd XX zu fuß vnd
schrien: die pawren komen oben im perg Arabia. Das sind der Türeken
iindt, also flohen die ainsthayls, die vnns beschirmen vnd belayten
sollten , ir der Bitter zwen oder drey herren vnd vnnser patron hinfüer
vnd die Tollmetschen vnd> in der sach, das man die pawm stillet, doch
must er in etlich Ducaten schenncken, das sy zwfryden, aber es wor-
den dannocht vil Bilgem gestossen, verspott vnd geschlagen, welche
etwo zw ferr binden plyben, das must man gedulden. Dieselben pau-
ren sein all halb schwartz wie die weyssen Moren vnd sein geschickt
mit ir wehr oder bogen zw dem schiessen. —
Als mir mer dann ain stund da wurden auf^halten, do zodien
mir wider fürt vnd an dem zerprochen Stettlin AUadron hin auf Rama,
vnd plyben die Türckischen glaitslewt hinder biß an fünff, die ritten
noch mit vnns biß gen Rama. Do gingen mir wider in vnnser alt her-
borg, das ist das hawß, das hertzog Philips von Burgundi den bilgem
gestifiR; hat Da bracht man vnns zw khauffen gnung aller ding ain
gut notturfiL —
Also plyben mir am Sonntag da vnd am Montag weiten mir gern
hinweg sein, da wolt der herr von Rama vnnsem Patron nit lassen
faren. Er wolt in zwingen. Er sollt im wol vmb Yierthawsent gülden
aschen abkhauffen, das wolt er kurtz nit thun, sonnder wolt er in nit
ziehen lassen, so wolt er in verclagen vor dem grossen Türeken. Des
verschmacht in hart vnd sucht allerlay boß weg vnd vrsach wider vnn-
sem Patron, damit er im schmach bewyse, auch vnns hindert vnd den
Patron noch vmb mer gelts prechte, alls auch beschach. —
Am Montag den Y. tag Augusti zw Abent mainten mir hinweg
zw reytten, dann mir funden khain wein mer zw khauffen im ganntzen
Rama, dann die hayden trincken nit wein, offenbar dergleich der art
Türeken nit, es ist wider ir gesetz. —
Ynd wie mir schier auf sollten sein, do begab sich, das ain Pil-
ger, ain Frantzoß auß der anndem Naffen ain haiden ins maul schlug,
1) Lücke.
BERICHT ÜBKR EINR JRRU8ALK1CFAHRT. U 499
deshalb er gestrafift von der HerrschafEl vmb 4 Ducaten, vnd wart gar
ein seltzams gericht vber das gesetz, deßgleich ich nie gehört hab, der
pracht Zewgknus, das er deß gut vrsach het, das halff alls nit, sonnder
er solt ain hannd yerloren hab(en) vnd khain annders, doch hanndlet
vnnser Patron so vil, das sy die 4 Ducatten namen für den firefell,
liessen im die handt, dan sein Patron nit geschickt was, die vnd ann-
der Sachen bey dem Türgken zwhanndlen. Also plyben mir den Mon-
tag auch gar da. —
Am Zinstag Morgens den YL tag Augusti firw hieß man vnns
aber auf die Esel sytzen vnd wir sollten reitten, mitler Zeit wolt der
herr von Bama kurtz aber mit sampt den anndem, das die zwen Pa-
tron die Aschen sollten khauffen vnd khain annderß oder hie pleyben,
des sy vnains wurden vnd khamen mit wortten an ainander, das vnn-
ser patron sagt: Wer Ich zw Jaffen bey mein schiffen, Ich wolt von
Euch khomen, es wer ewch lieb oder layd. Deshalb der herr vnd die
anndern erzürnet vnnd liessen vnns ab den Eseln schlagen vnd wider
in vnnser herberg jagen, wie das Viech, vnd namen vnnsern Patron
gefanngen vnd fürtten mit in in ir hawß. —
Das weret bey zwu stunden, das der Patron dannocht so vil
hanndlet, das sy doch die pilgern wegliessen reytten, dann sy khein
wehr mer hetten vnd man sunst auch nit vill speys mer fand, das
beschach. —
Also zochen mir on vnnser bayd Patron dahin auff Jaffa zw, do
waren die Türeken vnnd hayden im abschyd gantz hitzig auff vnns,
was sy vnns khunden layds thon, damit sy sich letzsten, das beschach
vast vnd wurden vil gezannck, also thet man vnns wider in die loecher,
do plyben mir also bey 4 stunden, wiewol mir die nacht sollten da-
plyben sein, aber wir waren in zw geschickt Do mir Sachen, daß
anfachen wolt also der Neyd zwischen den Christen vnnd vnglawbigen,
do thet der Fürst ains vnd macht predick^, ob er selbs fünfit mocht
zw schiff faren vmb etlich gelt Doch kant man in nit, sonnder man
maint, es weren gesellen, die kranck weren oder die den andern ir
khamer wollten zwrichten. Das ward von der Herrschafit zugelassen,
also füren ir fünff vnd ich auch vmb etlich gelt Damach, alls das
beschach, do die warcken' würden zw lannd khomen, do fielen die
pilgern mit gewalt zw schif, doch ainsthails vbel dapey geschlagen,
also nach vnd nach, bis das dieselb nacht am Zinstag den 6. tag Au-
1) predioa ital. (8traf)predigt.
2) Barken.
32*
^ • ' ■ i« «■ —
500 RÖHBIOHT
gusti die Bilgern all in die naffen kbomen, doch mit grosser mühe,
dan der sack mit dem^ gar zerprochen was. —
Demnach ritten vnnser glaitslewt vnnd Tolmetsch wider hinder
sich zw dem Patron gen Rama, der da sampt dem anndem Patron mit
gwalt vnd wol verhütt aufgehalten ward, bis auf den Sampstag, der
do was der tag Sant Lorentzen*, aber das sy in mit gwalt weiten
zwingen mer dann vmb Tawsent Ducaten Aschen von in zw kauffen.
auch schetzten sy in vmb mehr gelt dorumb, das die Bilgern ains-
thayls am* zw schiff gefallen waren. —
Mir betten vnns vnsers Patrons ain weyl verwegen, alls ich wol
weyter melden will, mir schickten ime auch püchssen, damit man in
her vor den Arabiem zu vns belaitten mocht Do vnnser Patron zw
schif kham am Sampstag morgen, do hub man von stund an die Anckei
vnd zogen die Segell auff, als das wir ain stund nacher von Jaffa hin-
weg fuom mit zimlichen guten windt. —
Am Suntag morgen waren beyde schif zwsamen gefaren vnnd
waß vnnser groß schif auf das klain ganngen, daß eß ain stück binden
daraus gestossen hett —
Vnnser patron sagt vnns, wir betten Recht thun, das wir zw
schiff geeylt betten, dann weren mir noch dieselb nacht hie auß blyben
am lannd, wer vnns nit wol erganngen, Vrsach, das sy den Fürsten
erst erkhannt betten vnd sy inen* worden. Vnd het sein Hoffraaister
Rainhart von Neweneck ain Türeken mit ainem stain in das gesiebt
geworffen, doch nit gern. Darfür het er im ain Ducatten geschennckt,
das er schwig vnd der Herrschaflft nit klagt. Er wer sonnst vmb groß
geschetzt worden. Vnnd wie wir hinweg warn zw schiff, do der das
geklagt, vnd sucht man den vnnder den Andern Bilgern. —
Auch solt der Herr von Damaste^ gestorben sein, do schrien die
Türeken, als ir gewonhait ist, wan das hawpt stürbt, ist kain Recht
im lannd, biß man ain anders setzt Da hielten sy den patron auch
des lanng auf vnnd betten sy vnns noch zw lanndt gehebt, wer vnns
nit wol erganngen. —
Am Sonntag nachmittag sahen mir khain lannd mer vnnd füren
also Zipern zw, doch mit klainem Windt, der hat vast nachgelassen. —
Also füren mir hin vnnd her vnd lauierten, dann mir nie kain
Rechten fort wint betten vnd sahen nie khain lannd, betten auch kain
frisch prett, sonnder mir musten^ essen bis in Zypern. Was vast hayß,
1) Lücke. 2) 10. angusi 3) 4) Lücke. 5) Damascus.
6) Lücke.
BERICHT OBER KINK JKIiUSALKUKAIIRT. n 501
das khain wint nit mocht Recht gan, das weret also Sonntag, Montag,
Zinstag, Mitwoch, der was der viertzehend Augusti vnd vnnser lyeben
frawen Abent himelfart. —
Was sich mitler Zeit von den Bilgem vnd im schiff zwtragen hat,
ist nit vil von zw schreyben, mag ain yeder selbs gedenncken, was
solch lanngweylig wesen erfordert vnd kurtzweyl sucht —
Am Donerstag hetten mir auch nit ander windt, doch auff den
Abendt, der ain wenig starck, also das mir verhofften, noch eüich ann-
der Lanndt zu sehen, aber die Sonn was zw bald nider, das wir nit
aigennüich wüsten, ob mir Landt gesehen hetten oder nit —
In der Nacht was der Windt vast starck worden, doch hetten mir
in nur halb, füren aber wol von statt, also das mir am Preyttag mor-
gens frw die Insel Gypem gar nache vor vnnß sahen. Demnach als
wir nur neben die Inssel, do wardt der windt ye lenger ye stercker,
das er vnns nur mit gwalt an das Landt wolt werffen, mir waren auch
noch wol X meyl von der Porta Sallina, also wendten mir vnnser
schiff wider zw Rück mer dann zwu stundt vnnd füren darnach wider
der Port zw, do kundten mir noch mer dann vier Meyl nit Recht in
die portten zw anndern schiffen khomen. Do wurffen mir ein Ancker
vnnd plyben also den Freyttag necht da am angker ligen. Zw Abendt
do ließ der wint nach, do richtet man die Segell wider auff vnd rüsten
zw, das mir in der Nacht auf den Angker füren, vnnd zw Morgen am
Sampstag gegen tag hub man den Angker wider, was gar ein feiner
zimlicher lufit, mit dem füren mir in die portten. Alßbald darnach
fingen an die Pilgern hinausfaren zw lanndt Mir funden auch in der
Portten drey Naffen auß andern lannden, sagten vnns newe merr, wie
das der Hertzog von Venedig^ todt was vnnd der Khünig von Vngem
ain Schlacht dem Türeken abgewonnen haben solt^
1) 2) Vgl. oben s. 213 dieses bandes.
BERLIN. R. BömilGHT.
JOHANN SEBASTIAN MITTEKNACHT.
Ein bcitrag zur geschiclite der sehnlkomOdie im 17. Jalirliiindert.
Die dramen Johann Sebastian Mitternachts (geb. am 24. juli 1613
zu Hardesleben in Thüringen, seit 1646 rektor am gymnasium zu Gera,
seit 1667 Superintendent in Zeitz, wo er am 25. febr. 1679 stirbt^)
1) Näheres über sein leben bis za seinem weggange ans Gera bei dr. R. Bütt-
ner, rektor Job. Seb. Mittemacht und seine Wirksamkeit am Oeraer gymnasium.
_ * ■•-•..^-
502 ELUNOIB
haben eine eingehende Würdigung bis jezt noch nicht erhalten. Zwar
hat Wol%ang Menzel in dem betreffenden abschnitt der ^Deutsdien
dichtong*^ (ü, 412 fg), der, obgleich grade er die gröbsten flüchtig-
keiten des ganzen buches enthält, dennoch ein zur orientierang noch
immer wichtiges hil&mittel bietet, der Politica dramatica mit warmer
anerkennung gedacht; auch neuerdings ist gelegentlich auf dieses und
das zweite drama Mitternachts hingewiesen worden. Aber eine genauere
betrachtung der dichterischen, insbesondere der dramatischen tatigkeit
Mitternachts ist noch nicht versucht worden. Und doch verdienen
seine beiden dramen namentlich eine solche Würdigung durchaus; durch
die lebendigkeit ihrer spräche, die kraft, mit der die darzustellenden
Situationen erfasst und zur veranschaulichung gebracht worden sind,
vermögen sie viel besser als die meisten Alexandrinertragödien uns
eine Vorstellung von dem dramatischen können Deutschlands im 17.
Jahrhundert zu geben.
In der nachfolgenden Untersuchung soll der versuch gemacht wer-
den. Mitternachts dichterische produktion zu charakterisieren und ihr
innerhalb der deutschen poesie des 17. Jahrhunderts ihren platz anzu-
weisen. Wir beschränken uns hierbei nur auf die Würdigung des dich-
ters; die wissenschaftliche tatigkeit, die er auf dem gebiete der philo-
logie und theologie entfaltete, bleibt ausserhalb des kreises unserer
betrachtung; ebenso seine pädagogische Wirksamkeit, zumal dieselbe
bereits in B. Büttner einen kundigen darsteller gefunden hat Das
material zu der vorliegenden arbeit boten die königliche bibliothek in
Berlin, die Universitätsbibliothek in Oöttingen und die gynmasialbiblio-
thek in Gera^. Namentlich die leztgenante gewährte reiche au&chlüsse;
denn in der reichhaltigen samlung der progranmie Mitternachts, welche
die Oeraer gymnasialbibliothek besizt, fanden sich Inhaltsangaben ein-
zelner von Mittemacht in der schule veranstalteten auffuhrungen, welche
nicht allein um ihrer selbst willen beachtung verdienten, sondern auch
für die betrachtung der beiden deutschen dramen wichtige gesichts-
punkte boten'.
Programm des gymnasiums von Gera. 1888. Ygl. daselbst namentlich die sohüdenmg
der draDgsale, welche Mittemacht auszustehen hatte, als, während er pfarrer in Teut-
leben war (seit 1638), dieser ort von den Schweden geplündert wurde. S. 6.
1) Herr dr. R. Büttner in Gera hat mich durch seine Unterstützung bei der
bescbaffung des in Gera befindlichen materials zu grossem dank verpflichtet.
2) Der einer predigt Mitternachts: Bechtschaffener Christen heim, Schild
und wagen. Zeitz 1670. (Exemplar auf der grossh. bibliothek von Weimar) ange-
fügte „Catalogus oder Verzeichnis derer wenigen opusculoiiim oder Schrififten, welche
J. S. MITTERNACHT 503
Die frühsten dichtungen Mitternachts, die sich erhalten haben,
sind lyrische stücke, eine kleine samlung kirchenlieder, die im jähre
1652 erschienen ist^. Der gröste teil der lieder stamt indessen nach
Mitternachts eigenen Zeugnissen aus früherer zeit, und zwar sind die
meisten stücke (57) im jähre 1640 entstanden. Am Schlüsse finden wir
auch einige (10) später gedichteten stücke. Das buch wird durch eine
längere vorrede eingeleitet, die sich in heftiger polemik gegen das
papsttum wendet'. Die gleiche streitbare gesinnung tritt übrigens auch
in den liedem selbst zu tage und äussert sich in einer weise, der wir
heute unmöglich noch geschmack abgewinnen können. So malt er z. b.
in der „pindarischen Danck-Ode vor die Offenbahrung des reinen Oot-
tes-Dienstes^ (nr. 58) gegenüber der widerherstellung des göttlichen
Wortes die in Rom herschende Verfinsterung mit den schwärzesten fär-
ben aus:
Zu Rom pflegt iederman zu huren.
Zu Rom ist viel Abgötterey;
Die Sund' und Schand ist mancherley.
Da feiert man nichts als Figuren
Die Ehre, die nur Gott gebühret,
Gibt man zu Rom der Bilder- Schaar:
Da ist das Yolck ersoffen gar:
Die Bilder sind mit Gold gezieret
Das Hertz des Menschen bleibet leer.
Versündigt sich ie mehr und mehr.
Wenigstens in der form originell ist eine klage der religion (zu-
Ich, Job. Sebast. Mittemacbt, Färstl. Säcbs. Hoffprediger nach und nach aa£-
gefertiget" enthält folgende drei wahrecheinlich poetische oder sich mit der poesie
beschäftigende Schriften, die ich leider nicht habe auftreiben können:
1. Seufitz- Sing und Betstunde auf die blichst gefährlichen damahligen Kriegs -
Zeiten gerichtet anno 1639. Erfurt
3. Betrachtung der vier 'Letzten Dinge, des Todes, des jüngsten Gerichtes, der
Höllen und des ewigen Lebens. Jena. 1642.
7. Tractätlein von der deutschen Heimkunst. Altenburg. 1648. Leipzig. 1653.
1) M. Johann Seba- | stian Mitter- | nachts | Feuer -heisse | Liebes -flammen. |
Einer in Jesu verliebte | und in der Welt betrübten | Seelen. | Leipzig, | Auff Chri-
stian Kirchners Verlag, | Drukkts Qvirinus Bauch. | 1653. 67 lieder. kl. 8*^. Exem-
plar in Oöttingen.
2) Gelegentliche polemik gegen das papsttum findet sich auch in dem Vnglück-
seligen Soldaten und vorwitzigen Barbierer, (lU, 5) in welchem die werte des Muso-
philus, der für seinen verschollenen söhn seeleimiessen halten will, vom Morio mit
folgeoder bemerkxmg begleitet werden: „Sind denn alte Leute auch Narren? Was
werden den Sohn die Seelmessen helfen?*
'^.
l-»-^^
504 KtLINOKR
gäbe nr. 3) über den unglückseligen zustand , in dem sie sich vor Luthers
auftreten befunden; wir finden in diesem gedieht den keim zu den
klagen der Pietas und Hospitalitas im Unglückseligen Soldaten und zu
ähnlichen scenen in der Politica dramatica. Dieser klage steht unmit-
telbar gegenüber ein jubellied der religion ^nach des antichristes falle^,
in welchem wider das papsttum heftig angegrijGTen wird.
Der gesamteindruck, den man von den gedichten erhält, ist ein
günstiger. Natürlich fehlt es in ihnen nicht an geschmacklosigkeiten,
ohne die es im siebzehnten Jahrhundert nun einmal nicht abgeht, so
wenn der dichter singt (nr. 4):
Wenn ich dich, o Jesulein
Nicht empfind' im Hertzen- Schrein,
Werd' ich schwach und sterbe -Kranck:
Alles ist mir lauter Stanck.
Oder nr. 10: Ein kurtzes Liebes-Füncklein.
Jesu Breutigam,
Low' aus Judas Stamm',
Ein Trost Abraham,
Hilff: ich lig im Schlamm!
Geradezu zu einer gewissen komik versteigt sich der dichter in
seiner „ pindarischen Liebs- und Lobs -Ode**, nr. 39:
Keine Wort kan ich erfinden,
Die da meine Liebes- Glut
Gegen dich, du Höchstes Gut
In die Reime möchten binden.
Ob ich gleich die Cantzelley
Und die gantze Liebrarey
Von dem Anfang biß zum Ende
Durch und durch herummer wende,
Knd' ich doch mein wünschen nicht.
Indessen würde man sehr ungerecht sein, wenn man aus diesen
stellen, bei denen wir den abstand der zeiten fühlen, ein gesamturteil
über die lyrische poesie Mitternachts ableiten wolte. Der gröste teil
der lieder ist frei von derartigen geschmacklosigkeiten und zeigt ein
warmes und lebhaftes empfinden. Und von besonderer Wichtigkeit sind
die lieder um ihrer litterarhistorischen Stellung willen, eine tatsache,
auf die, so viel ich weiss, bis jezt noch nirgends hingewiesen worden
ist. Mittemacht vertritt näralich in der protestantischen liederdicbtung
ganz dieselbe richtung wie Spec und später SchefTler in der katholischen.
J. 8. MRTEBNACUT 505
Von Spee beeinflusst kann Mitternacht nicht sein, da die Trutznach-
tigall erst acht jähre nach der abfassung dieser lieder erschien; wir
haben es also mit verschiedenen äiisserungen der gleichen Weichheit des
gefülils zu tun, eine Stimmung, die demgemäss doch damals schon
nicht mehr ganz selten gewesen sein kann und wie eine blume unter
Schutt und moder aus den gräueln und der rohheit des entsetzlichen
krieges auftaucht
Zunächst wird ebenso wie bei Spee und später bei Scheffler auch
bei Mitternacht das geistliche lied förmlich zum liebeslied. Die Sehn-
sucht, welche die seele Jesu entgegenbringt, wird mit den färben der
weltlichen liebesglut ausgemalt Wenn bei Spee die seele Jesum sucht
(Trutznachtigall, nr. 9 und 10, s. 29 fgg. und 34 fgg. der ausgäbe von
Balke), so findet sich die gleiche Situation mehrfach bei Mitternacht,
vgl. nr. ni Str. 2 :
0 mein Freund, mein Freund und Ehre,
Meines Lebens höchste Freud',
Ach komm wieder und beschere
Deine schönste Freundligkeit
Jesu! Jesu! Süß und Hold,
Lieber will ich dich als Gold;
Wirst du dich bald wiedergeben?
Ohne dich kan ich nicht leben.
Man vgl. auch nr. 5:
Alle Winckel seyn durchkrochen,
Seyt ich suche meinen Freund.
Mein Hertz ist mir fast zerbrochen.
Jesu komm! Ach komme heunt!
Weiter fliehen kan Ich nicht,
Weil mir Wind und See gebricht
Keine Lieder noch Oesänge
Stillen mir mein Hertzeleyd.
Denn mein Schmertz ist gar zu strenge,
Tiefif ist meine Traurigkeit
Jesu diese scharffe Pein
Führ ich nur von wegen dein. usw.
Wenn nun gelegentlich wohl andre gegenstände auftauchen, bit-
ten, klagen, danksagungen, so bleibt doch der grundzug derselbe wie
bei Spee: die liebe der seele zu ihrem bräutigam Jesus, dieser mysti-
sche grundton wird immer aufs neue wider angeschlagen, und der
506 ILUKQIB
dichter sucht in die behandlungen des gleichen themas möglichst viel
abwechslung zu bringen , wenn ihm dies auch nicht immer gelingt \ —
Aber nicht allein im inhalt, sondern auch in der äusseren form ahnein
Mitternachts gedichte denen Spees in auffallender weise. Spee begint,
wie bekant, seine gedichte sehr häufig mit einem natureingang, der zu-
weilen nur kurz angedeutet, manchmal aber auch breiter ausgeführt ist;
die betreffenden stücke gehören durch die innige naturempfindung, die
aus ihnen spricht, und den zarten duft der poetischen spräche mit zu
dem besten, was nicht nur Spee, sondern was die ganze deutsche dich-
tung des siebzehnten Jahrhunderts hervorgebracht hat Diese eigentüm-
lichkeit finden wir nun in den geistlichen dichtungen Mitternachts oft
wider, man vgl. z. b. die anfange der beiden ersten lieder:
Nr. 1: Der Moigen kömt gegangen,
Last sehen seinen Glantz:
Nechst Purpur- Farben -Wangen,
Schmückt ihn ein güldner Erantz.
Die Vöglein tireliren
Mit ihrer Stimmen Klang,
Die Nachtigall muß führen
Den süssen Lobgesang.
Der Tag hat abgeleget
Das schwartze Trauerkleid:
Was hin und her sich reget.
Das ist nunmehr erfreut
und nr. 2: Die Sonn hat sich verkrochen
Ins tieffe Meer hinein:
£s ist schon angebrochen
Der bleiche Monden -Schein.
1) Zuweilen werden die ausdracksmittel der weltlichen liebespoesie etwas za
unbefangen verwendet; man vgl. z. b. nr. 11 str. 2, wo es von Jesus heisst:
0 wie mit so hellen Schein,
Wie Rubin im Bingelein,
Leuchtet deiner Augen licht,
Wenn es ist auf mich gericht
Ganz im geiste Spees und Sohefflers ist folgende stelle nr. 39, der andere satz:
Berg* und Thäler müssen zeugen.
Wie ich offt so jämmerlich
Buffe Jesu, Jesu dich.
Keine Stunde kan ich schweigen.
J. 8. MIRIBNACHT 507
Am Himmel läBt sich sehen
Das blancke Stemen-Heer:
Die Fischer lassen stehen
Das au^eschwöllte Meer.
Das Feld beginnt zu schlaffen
Mit Winden zugedeckt:
Die Hirten bey den Schaffen,
Die liegen ausgestreckt
Ähnliche natureingänge konmien auch sonst vor (z. b. nr. 24, wo
nr. 2 ziemlich genau kopiert worden ist; vgl. auch nr. 53). Die frage,
wodurch Mittemacht zu diesen frischen und einfachen naturschilderun-
gen angeregt ist, wird bei ihm ähnlich zu beantworten sein, wie bei
Spee: wir haben es hier offenbar mit einflässen des Tolksliedes zu
tnn^ Die einwirkung des Volksliedes auf die lyrische dichtung Mit-
ternachts tritt aber noch stärker herror, wenn er, ganz wie das Volks-
lied, in einem gedieht zuerst ein naturbild entwirft, daneben ein
kontrastierendes ereignis aus dem Seelenleben stelt und dieses in der
volkspoesie so häufig auftretende schema dann durch alle Strophen
durchfährt So in dem liede nr. XII, Trochaische nachtklage:
1. Aller Bäume Blätter gläntzen
Yon dem Grase -grünen Safit:
und die Blumen in den Kräntzen
Geben des Geruches Erafit:
Und ich muß bekleidet sein
Mit der schwartzen Angst und Pein.
Yor des hellen Glantzes Zierde
Schutt' ich aus mein' Hertz -Begierde.
2. Sanffte blasen letzt die Winde,
Und erqvicken was da lebt,
Wenn der Abend-Wind gelinde
Durch die blöden Blätter schwebt
1) Es möge wenigstens mit einem werte erwähnt werden, dass der an£uig des
liedes nr. 50: Wo soll ich mich hin wenden,
0 taosent- schöner Held?
an ein ftlteres Volkslied anklingt:
Wo soll ich mich hinkehren,
Ich tommes Brüderlein?
Vgl. anch das spätere Volkslied (Mittler, s. 880):
Wo soll ich mich hin wenden
Bei der betrübten Zeit?
" ', V
506 KLLINOKB
Auf mich stürmet Ungestüm m,
Manches kalten Nordens Grimm.
Ach daß doch die Gnaden -Winde
Bliesen auff mich fein gelinde!
3. Jetzo fallt aus hohen LüfFten
Honigsüsser Silber-Thau,
Und zerfleusset in den Klüfften
Aaf das Graß in feuchter Au';
Aber ich bin ausgedürrt
Meine matte Seele girrt
Ach ich muß vor Durst vergehen,
Weil mich auch die Freunde schmähen.
In der gleichen weise verlaufen dann auch die drei übrigen
Strophen.
Neben diesen einflüssen des Volksliedes auf die lieder Mitternachts
fehlt natürlich auch die einwirkung der kunstpoesie nicht. Äusserlich
zeigt sie sich zunächst in der sehr häufigen Verwendung der damals
in der lyrik so beliebten daktylischen metren, ohne dass es Mittemacht
gelungen wäre, dieses metrum wirklich für das kirchenlied fruchtbar
zu machen, was erst Neander vorbehalten blieb. Die fast bei jedem
der damaligen modepoeten vorkommenden, aus der neulateinischen dich-
tung stammenden, echospielereien dienen zur grundlage eines gedich-
tes (nr. 26); bekantlich hat auch Spee diese Spielerei für die geistliche
dichtung verwendet Dass Mittemacht auch von Opitz nicht unbeeiu-
flusst geblieben ist, ergibt sich aus der tatsache, dass er von Opitzens
berühmten lied: „Wol dem, der weit von hohen dingen" eine art
geistlicher umdichtung gegeben hat (nr. 16); an die stelle der werte
Opitzens: „Ein jeder lobe seinen sinn — Ich liebe meine Schäferin*',
tritt bei ihm: „Dies mag die weit nach lüsten treiben: — Ich will bey
meinem Jesu bleiben." Von der art der bearbeitung möge str. 5 eine
Vorstellung geben:
Viel brennen nach den hohen Gnaden
Der Fürsten, die doch Menschen seyn:
Und wollen, ob sie gleich nur Maden,
Doch prangen in dem falschen Schein.
Diß mag die weit nach lüsten treiben.
Ich wil bey meinem Jesu bleiben i.
1) Auch hierin zeigt sich eine Übereinstimmung mit Schefflor, der ebenfals das
lied geistlich umgedichtet liat; vgL v. Waldberg, Renaissancelyrik, 8. 121 fg., der
.7. S. MITTRRNACHT 509
Unter dem kriegselend hätte Mitternacht selbst schwer zu leiden;
wir werden später noch davon zu reden haben, wie die schmerz-
lichen erfahrungen aus dieser trüben zeit für den dramatiker fruchtbar
geworden sind. Es ist daher nicht wunderbar, dass wir auch in sei-
nen gedichten nachklängen der not, schmerzlichen klagen und bit-
ten begegnen. In dem sonnet nr. 29 bittet er Jesus um abwendung
der durch den krieg verursachten hungersnot; die gleiche bitte spricht
er in dem folgenden gedieht aus. In dem liede nr. 43 fleht er Jesus
um schütz in der schlacht an für die, die ihm anhängen, und in zwei
gedichten aus dem jähre 1646 und 49 (zugäbe nr. 6 und 8) hat er
seiner freude über die almähliche besserung der zustände und die end-
liche erlangung des friedens ausdruck gegeben.
Von der günstigen seite, von welcher Mitternacht sich im wesent-
lichen doch in diesen liedem zeigt, lernt man ihn aus einem sechs
jähre später entstandenen gelegenheitsgedicht eben nicht kennen. Diese
„lob- und wünsch-gedanken''^ die zur feier des fünfundzwanzigsten
geburtstages des fürsten Heinrichs X. von Beuss verfasst sind, stellen
sich als ein ziemlich trockenes machwerk dar, das sich durch nichts
von dem gewöhnlichen banalen stil der gelegenheitspoesie des siebzehn-
ten Jahrhunderts unterscheidet.
Indessen so lohnend es auch ist, Mitternacht als lyrischen dich-
ter kennen zu lernen, ein weit grösseres Interesse flöst er uns doch
durch seine dramatischen Schöpfungen ein. Mittemacht ist erst durch
sein amt zur dramatischen dichtung angeregt worden. In der Ordnung
der schule, deren leitung er übernahm, war vorgeschrieben, dass der
rektor in jedem jähre mit seinen schülem eine theatralische aufführung
halten solte. und wenn auch die ausführung dieser Vorschrift unter
dem elend des krieges lange zeit unterblieben war, so erkante der
trefliche pädagoge doch, welchen wert ihre befolgung für die belebung
des Unterrichtes gewinnen könte. Deshalb begann Mitternacht bereits
ein jähr nach seinem amtsantritt wider in der schule dramatische auf-
führungen zu veranstalten. Wenn wir von der darstellung der „mate-
ria von dem Päbstischen Fasten** — wahrscheinlich ein stück mit star-
ker antipäbstlicher tendenz — , dem concilium Deorum ac Dearum de
statu Germaniae deliberantium — offenbar ein rückblick auf den krieg,
eine anzahl von umdichtongen znsammenstelt Zwei weitere geistliche parodien siehe
Blätter f. hymnologie, 1889, s. 23.
1) Den nach der bekannten anordnnng der gelegenheitsgedichte des 17. Jahr-
hunderts sehr ausgedehnten titel widerzugeben, schien mir unnötig. Exemplar in
Göttingen, Poet. Qerm. 1719.
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510 ILLIirQIB
eine betrachtung über die wunden, ^e er Deutschland geschlagen,
vielleicht mit einem hofoungsvollen ausblick auf die Zukunft — , der
geschichte der Stiftung des gynmasiums zu Gera und dem „philoso-
phischen gedieht Yon den tugenden und lästern '^^ wovon wir uns keine
deutliche Vorstellung zu machen im stände sind, absehen, so begegnen
wir in diesen schulkomödien*^ durchweg Stoffen, die im drama des 16.
und beginnenden 17. Jahrhunderts vielfieich behandelt worden sind. Die
„reformation der kirchen durch Lutherum geschehen^ erinnert uns an
die stücke zur hundertjährigen Jubelfeier der reformation, unter denen
Eielmanns Tetzelocramia so bedeutsam hervorragt unter den bibli-
schen stücken finden wir ausser den noch gleich zu besprechenden:
Judith, Isaacs geburt (Abraham) und Tobias; novellistische stoffe behan-
deln die bereits von Frischlin dramatisierte geschichte von Hildegard,
Karls des gr. gemahlin, und Griseldis, der im 16. Jahrhundert u. a.
durch Hans Sachs, Mauricius und Fondo eine dramatisierung zu teil
geworden war. Die reichhaltige samlung von programmen Mitternachts,
seiner kollegen und nachfolger, welche die Geraer gymnasialbibliothek
besizt, bietet uns einige inhaltsangaben der von Mittemacht veranstal-
teten aufführungen, die uns eine ungefähre Vorstellung von diesen
stücken gewähren.
Yon den biblischen komödien liegen vier inhaltsangaben vor. Die
erste, im jähre 1650 aufgeführte, behandelt die geburt Jesu. Das
stück muss sich nach dem lateinischen berichte recht seltsam ausgenom-
men haben; denn in seinem bestreben, die auffahrung so viel als
möglich für seine schulzwecke auszunützen, gieng Mittemacht so weit,
ein wunderliches sprachgemenge eintreten zu lassen, indem er die
Juden hebräisch, die griechen griechisch reden liess und auch die
lateinische und deutsche spräche gelegentlich verwendete. So weit man
aus der Inhaltsangabe schliessen kann, war in diesem stücke die dra-
matische form noch nicht streng durchgeführt, sondern manches wurde
ohne weiteres erzählt Zuerst traten die patriarchen und propheten auf
und beklagten in hebräischer spräche das elend des menschlichen ge-
schlechtes, indem sie zugleich ihre hofiiung auf die baldige ankunft
des messias aussprachen; ihnen gibt gott aus dem feuer einen gün-
stigen, ihren wünschen erfüllung verheissenden bescheid, ebenÜEÜs in
1) Die titel dor von ihm in der schule aufgeführten stücke verzeichnet Mitter-
nacht selbst in den widmungsworten des Vnglückseligen Soldaten und vorwitzigen
Barbiorera, ig bf., wo er sich auch für den nutzen theatralischer Vorstellungen auf
Luthers bekante und verbreitete Susserung beruft
J. 8. KITTKRNACHT 511
hebräischer spräche. Damit auch die deutsche spräche nicht fehlet
folgt ein Zwischenspiel, in welchem Pamphilus, Thraso und Philumena
betrachtungen über die menschen anstellen, die an den hohen festen
in prachtvoller kleidung erscheinen und einen glaubenseifer an den tag
zu legen sich bemühen, den sie tatsächlich doch nicht besitzen. Hier-
auf folgt die eigentliche geburtsgeschichte von Gabriels Verkündigung
bis zum erscheinen des engeis bei den hirten. Dann unterhält sich ein
priester von Delphi mit einem bauer über den verfall des orakels,
worauf auch noch Apollo selbst erscheint und sich hefdg darüber
beklagt, dass ihm durch einen hebräischen knaben der mund verstopft
werde. Die wunder bei der geburt Christi, die uns von vier Jünglin-
gen in lateinischer spräche erzählt werden, sind unterdessen auch nach
Rom gedrungen, und kaiser Augustus erbittet sich über diese wunder
und deren bedeutung aufklärung bei der Sibylla, die ihm den rat gibt,
dem erstgeborenen Gottes einen altar aufstellen zu lassen.
Das zweite, 1652 aufgeführte stück: Dlustratio vaticinii Jacobaei,
quod Genes. XLIX. v. 10. habetur, scheint von Harsdorffers gesprächs-
spielen beeinflusst worden zu sein, deren einfluss auf Mitternachts dra-
matische Produktion wir auch sonst verfolgen können. Das stück ist
eigentlich noch weniger ein wirkliches drama als das vorhergehende.
Ein fürst hört mit seinen hofleuten einem gespräch seiner geistlichen
zu, in welchem über die Weissagung Jakobs gesprochen und die
fjEiischen auslegungen der Juden und einzelner katholischer Schrift-
steller bekämpft werden. Der fürst verfolgt das gespräch mit sol-
chem anteil, dass er sich auch nicht stören lässt, als ihm ein Sekre-
tär die nachricht überbringt, ein verwanter von ihm sei angekommen
und wünsche sogleich mit ihm zu sprechen. Erst nachdem das gespräch
beendet ist, verlässt er unter danksagung das haus.
Während das 1652 aufgeführte drama: Magorum historia, soweit
sich aus der Inhaltsangabe ersehen lässt, nur eine trockene schulübung
in der hebräischen und griechischen spräche war und keine ausätze
zur selbständigen ausgestaltung des Stoffes zeigt, ist das 1657 gespielte
stück: de cruento Herodis infanticidio wider selbständiger gearbeitet
Hier erscheinen zuerst die vier magier — Mittemacht hatte bereits in
dem soeben erwähnten stück die vier weisen aus dem morgenlande auf-
treten und mitten im stück durch einen schüler die katholische ansieht
von der dreizahl der weisen oder könige bekämpfen lassen — und
1) Mitternacht sagt hierüber in dem programm, welches die inhaltsangabe ent-
hält: Nam et hnic linguae sans non deest decor, et adsueüaciendi sunt etiam pau-
latim inferiores, et primis coloribus imbuendi.
512 KLUNOBR
rüsten sich zu der heimfahrt. Hierauf tritt ein kaufmann aus Betle-
hem auf, der einen lobspnich auf fietlehem vorträgt, und zwar latei-
nisch, da er häufig in Rom gewesen ist; während die weisen grie-
chisch sprechen. Es folgt ein gespräch zwischen Herodes und sei-
nem rat; jener klagt über die nichtigkeit der menschlichen anschlage
und über die treulosigkeit iler weisen und fragt, wie sich wol der
neugeborene Judenkönig werde beseitigen lassen. Der rat sucht ihn
zu beruhigen und ihm die furcht vor dem leeren gerücht auszureden.
Ein gespräch Josephs mit Maria und das geheiss des engeis an beide,
mit dem kinde nach Ägypten zu ziehen, schliessen den akt, nachdem
vorher noch ein studiosus der theologie mit einem theologen einige fra-
gen über die engel erörtert hat Der zweite akt führt uns zunächst
Simeon und Hanna in freudigem gespräche über die endliche geburt
des erlösers vor. Sie werden von einem edlen aus der Umgebung des
Herodes belauscht; dieser berichtet den Inhalt ihrer Unterredung dem
Herodes und entflamt diesen dadurch zur wut Sodann werden uns
Joseph und Maria, einander gegenseitig tröstend, auf der flucht gezeigt,
und nachdem das stück wider durch ein zwischen vier personen geführ-
tes theologisches gespräch über die flucht nach Ägypten unterbrochen
ist, wird der akt mit einer auseinandersetzung zwischen Herodes und
seinem rat geschlossen, der, da er die Unmöglichkeit einsieht, den
Herodes zu beruhigen, sich ihm endlich fügt Im dritten akt erscheint
zuerst die Gonscientia, die dem Herodes seine vielen morde vorhält
Die Tyrannis dagegen bestärkt den Herodes in seinem vorhaben. Ein
Sekretär Thrasybulus überbringt dem Herodes das dekret, welches den
kindermord befiehlt, zur Unterschrift, worauf Herodes durch einen die-
ner zwei centurionen herbeirufen lässt, um diesen die ausführung zu
übertragen. Mit einer klage der Gonscientia über ihr loos schliesst der
akt Die beiden hauptleute erscheinen am anfang des vierten aktes;
der eine erklärt sich zu dem kindermorde bereit, der andre verweigert
seine mithilfe. Hierauf wird uns nun in einer reihe von scenen der
kindermord vorgeführt: drei frauen, die die Soldaten flehentlich um das
leben ihrer kinder bitten, aber von ihnen verhöhnt und ihrer kinder
beraubt werden; eine frau, die ihrem manne jammernd die ermordung
ihres kindes erzählt, worauf dieser in der Verzweiflung dem Soldaten
mit gezücktem schwort entgegen tiitt und von diesem getötet wird. Auch
die klagen des älteren sohnes über den tod des vaters bleiben uns
ebenso wenig erspart wie die freude, die der entmenschte soldat bei
der erinnerung an den kindermord äussert — Im fünften akt hören
wir zunächst wider klagen über das elend; dann wird Herodes vor-
J. 8. BUTTSBNACHT 513
geführt, gequält von den geistern derer, die er gemordet, und unter
denen Mariamne zuerst erscheint Auch Conscientia und die schatten
der gemordeten kinder beängstigen ihn; hierauf erscheinen auch noch
die drei furien, und vergeblich bittet Herodes seine höflinge und
Soldaten, diese zu verscheuchen. Nachdem dann noch Maria und Joseph
die gute Gottes gepriesen haben, der sie so wunderbar behütet, berich-
tet Fama das traurige ende des tyrannen.
Um seines Stoffes willen noch interessanter ist das Geleberrimi
pictoris Apellis fatum (aufgeführt 1655), die dramatisierung der bekan-
ten erzählung von der Verleumdung des Apelles durch einen neben-
buhler — eine fabel, welche schon der vortref liehe Micyllus während
seines Frankfurter rektorats (1531) dramatisch behandelt hat, um, da
er wie der griechische maier von einem nebenbuhler verdächtigt wor-
den war, in dem Schicksal des Apelles sein eignes abzuspiegeln. In
Mitternachts stück tritt zuerst der maier Antiphilus auf und beklagt
sich über die Verachtung, der er anheim gefallen; Invidia erfült dann
sein herz noch mit immer heftigerem hass gegen Apelles; Galumnia
gibt ihm rat; trug und hinterlist treten ebenfals auf und gewähren ihm
Waffen, Audacia endlich reizt ihn zur tat und erweckt die nötige Unver-
schämtheit in ihm. Im zweiten akt wird dem könig Ptolemäus nach-
richt von einem aufstand gegeben, der in Syrien durch Theodota ent-
standen ist und viele anhänger gefunden hat. Nachdem der könig die
üblichen klagen über das schwere loos der könige und die vielen
gefahren, denen sie ausgesezt seien, vorgetragen und sich mit seinen
raten beraten hat, lässt er durch einen herold dem einen hohen preis
bieten, der ihm mitschuldige des empörers angebe. Im dritten akt
erscheint nun Antiphilus und nent den Apelles als mitverschwörer; in
der Umgebung des königs stimt man für einen schnellen tod des Apel-
les. Dieser, durch Fama von dem, was ihm droht, benachrichtigt,
bejammert das schwere Schicksal, das ihn trotz seiner Unschuld getrof-
fen, und wird deshalb von Calumnia verspottet. Am anfange des drit-
ten aktes treten wider drei allegorische personen: Innocentia, Justitia
und Conscientia auf, diese tröstend, jene sich über das unrecht beklagend,
das dem Apelles angetan. Dann erscheint des Apelles söhnchen vor
Ptolemäus, fält vor ihm nieder und fleht um gnade für seinen vater;
da es beim könige nichts erreicht, wendet es sich mit seiner bitte
an den kanzler. Dieser bestimt, dass die sache von einem gerech-
ten richter untersucht werden soll. Jedoch dieser wird von den ran-
ken des durch trug und list unterstüzten Antiphilus so bestrickt, dass
er den Apelles für schuldig erklärt und ihn zum tode verurteilt Im
ZEITSOHHIFT F. DltTTSGHB FHDiOLOOIK. BD. ZXV. 33
514 BIUIIGIB
fünften akt endlich erfolgt die befreiung: der kanzler befragt die gefan-
genen, ob Apelles zu ihnen gehört habe; sie sagen für ihn aus, nnd
so spricht der könig den Apelles los und übergibt ihm den Antiphilus
als Sklaven.
So weit man aus den Inhaltsangaben einen schluss ziehen kann,
wird das drama vom betlehemitischen kindermord die stärkste Wir-
kung ausgeübt haben. Namentlich die scene, in der Herodes von den
schatten der von ihm gemordeten geängstigt wird und vergeblich den
furien zu entrinnen sucht, scheint, wenn wir uns ähnliche Situationen
aus den beiden deutschen stücken vergegenwärtigen, gross angel^
gewesen zu sein. Freilich ein künstlerischer eindruck konte mit die-
sen stücken, so stark auch das eingesezte dramatische talent des Ver-
fassers war, kaum erzielt werden: eine wirkliche entbltung der hand-
lung, eine anpassung des ausdrucks an die darzustellende Situation war
durch das seltsame sprachgemenge sehr erschwert, welches selbstver-
ständlich in der spräche viel Schablonen- und phrasenhaftes herbeifüh-
ren muste.
Daher lernen wir die eigentliche kraft des dramatikers erst aus
den beiden deutschen dramen kennen. Jedesfals aber sind für die ent-
wicklung des dichters diese schulkomödien nicht zu unterschätzen: sie
haben ihm zweifellos eine gewisse theatralische gewantheit, eine bedeu-
tendere Sicherheit in der handhabung der form gegeben. Im aufbau
ähneln denn nun auch diese vielsprachigen schulkomödien den deut-
schen dramen volständig, wie wir noch sehen werden, wenn wir uns
von der art der bühneneinrichtung, die seine stücke voraussetzen, eine
Vorstellung zu machen suchen. Auch andre züge, wie das auftreten
der gleichen allegorischen figuren, die neigung zimi ausmalen leiden-
schaftlich bewegter und rührender scenen finden wir in den deutschen
stücken wider; ja einzelne scenen der deutschen dramen scheinen in
diesen stücken gewissermassen schon im keim enthalten zu sein, so
z. b. die scene, in der die kinder des barbiers den lichter um gnade
für ihren vater anflehen (s. u. s. 525 %.), i^i dem gleichen oben s. 513
angeführten Vorgang aus dem Apelles. Ebenso muten uns andre sce-
nen wie Vorstudien zu ähnlichen auftritten in den deutschen stücken
an. Dass der gleiche reichtum an personen hier wie dort vorhanden,
ist selbstverständlich und erklärt sich ebenso wie spätar bei Christian
Weise aus dem wünsche , möglichst viele schüler an der aufifuhrung teil-
nehmen zu lassen.
Bevor wir uns indessen den deutschen dramen Mittemadits selbst
zuwenden, sei ein kurzer ausblick auf die nachwirkung gestattet, die
J. S. MITTERNACHT 515
sein eifer für schulauffühningen in Gera ausübte. So führte rektor
Köber, Mitternachts naclifolger, mehrfach eine komödie zum lobe des alten
Griechenlands auf, mit benutzung des Cornelius Nepos. In dieser wird
im ersten akt Jupiter vorgeführt, den die Providentia divina auffor-
dert, Griechenland aus seinem jetzigen zustande zu befreien, worauf
dann Griechenland, gefesselt von der Barbaries (in der inhaltsangabe
der späteren auflführung ist es der Türke selbst: vinculis Turci con-
stricta) erscheint und ihr trauriges Schicksal beklagt Im zweiten akt
erscheint dann Jupiter auf der erde mit Graecia und Attica, und er
lässt durch Mercurius götter, beiden, totenrichter, geschichtsschreiber
und viele allegorische figuren herbeirufen, welche entweder das los
Griechenlands verkünden oder dieses durch ihr zeugnis bekräftigen
müssen. Man sieht: es ist eigentlich mehr ein redeakt als ein wirkliches
drama; nur im fünften akt komt durch die klagen der aus der unter-
weit heraufbeschworenen Athener Themistokles, Aristides und Cimon über
die Ungerechtigkeit ihrer ehemaligen Verbannung aus dem vaterlande
ein neues motiv in die handlung. Überhaupt nehmen sich diese stücke,
ebenso wie die, welche Mitternachts koUegen noch während seiner
amtszeit aufFührten (wie die vom conrektor Berger 1657 zur darstellung
gebrachte vergilische tragödie : Aeneas und Lavinia) Mitternachts stücken
gegenüber recht kahl und dürftig aus, so dass man aus dieser verglei-
chung erst erkent, mit wie grossem theatralischen geschick Mittemacht
seine aufgäbe angriff.
Grösseres Interesse bringen wir von diesen späteren schulkomö-
dien in Gera nur einer entgegen, nämlich der vom rektor Köber 1669
veranstalteten aufführung, die ähnlich wie Mitternachts deutsche
stücke auf dem rathause zur feier des landtagsschlusses statfand. Das
stück verdient um deswillen beachtung, weil es eine neue bearbeitung
von Gomeilles Polyeuct ist, und deshalb möge hier die inhaltsangabe,
die sich erhalten hat, mit auslassung der namen der darsteller wider-
gegeben werden. Gomeilles name selbst ist freilich in dem dmcke
nicht erwähnt, wie denn auch in demselben nirgends vermerkt wird,
dass das stück nach einem fremden vorbilde gedichtet ist (Es sind
4 blätter in 4^; auf die beschreibung des ausführlichen titelblattes kann
wol verzichtet werden). Das offenbar in deutscher spräche geschriebene
stück führte den titel: „Der Christen Marter -Krohn und Ehren -Thron."
Nach den üblichen werten des Prologus, des Argumentator generalis
und des Admonitor folgt zunächst in der ersten abhandlung der „Ar-
gumentator specialis", den Inhalt der gantzen ersten handlung mit kur-
zen werten erzehlend: Im I. auftritte dancket Antonius, ein einsie-
33*
516 ELLINOER
del Gott vor friede und ruhe, so er bisher seiner kirchen verliehen.
Im U. auftritt praesentirt sich Szaramuza als ein unwissender und in
christlicher religion unerfahrener bauem -junge, welchen der einsiedel
mit sich nimt, und in der erkäntnus Gottes unterrichtet Im III. tritt
ein der kaiserliche herold und eröfnet aus des kaysers Decii ernst-
liches edict, die Verfolgung der Christen betreffend. Im IV. tut Sza-
ramuza dem einsiedel sein erlerntes glaubens-bekäntnüs. Im V. dis-
curriren Folyeuctus das haupt des adels in Armenien und Majoranus
ein rat des fiii'sten in Armenien von dem kayserUchen befehl, und
improbiren denselben, als heimliche Christen. Im TL erkläret sich
Felix, ein Fürst in Armenien dem kay serlichen befehl treulichst nach-
zukommen, welches ihm, wie wol vergeblich, Polyeuct widerratet.
Im VII. erzählt Scaramuza, was er in der stadt von der Christen Ver-
folgung gehört, und gehet hin, solches seinem alten einsiedel zu erzäh-
len. Im Vin. kömt Polieuct und Nearcus, ein afrikanischer landes-
fiirst, vor diesmal ein mitglied des hohen rats in Armenien, und
erinnern einander ihres Christentums und der beständigkeit, bey dem-
selben zu verharren. ])n IX. stellt sich ein Felix mit seinen raten,
so da sind Polyeuct, Majoran, Seleucus, Nicander, Brutus und Aure-
lius, teils Römer, teils Persianer; vor sie werden gebracht, und zum
tode verurteilet zween persianische Christen, sonst vornehme reichs-
vasallen. Im X. klagt Scaramuza über den todes-fall seines frommen
einsiedlers. Im XL begegnen Polyeuct und Nearc der Paulinae und
Stratonicae, und eilen von diesen hinweg. Daher Paulina, des füi'stcn
tochter uild vertraute des Polyeucti, im XII. eintritt über Polyeuct klagt,
Scaramuza aber um die Gamillam freyet, und repuls bekömt Im XIII.
bittet Paulina bey ihrem vater, dem fürsten Felici, umb gnade vor die
gefangenen Christen, bekömt aber abschlägliche antwort, weil er sich
vor des Severi, eines römischen ritters und des kaysers geheim desten
freundes ankunfit, so ihm Albin, ein römischer kriegsbedienter in Arme-
nien, ankündiget, gar hefftig fürchtet, in sorgen stehende, Sever möchte
vom römischen kayser abgeordnet seyn, uff Felicis beginnen wider die
Christen achtung zu geben. Im XIV. agirt Scaramuza und Pantalon
und gibt jener bey dieser seyner tochter Freyens vor. Im XV. fallen
Severus und Fabian nider uff die knie, und dancken den Göttern vor
verliehenes glück zur reise. Im XVI. kömt Albin und mit ihm Seleu-
cus, Brutus, Nicander, Aurel, Majoran und Scaramuza, Se^erum zu
beneventiren. Im XVII. reden Severus und Fabian, bey de römische
ritter und vertraute freunde, von der Paulinen Vermählung an den Po-
lyeuct Denn die Paulinam hatte hiebevor Severus zu Rom geliebet,
J. S. MITTIBNACHT 517
kam auch nuiimehro, sie ihmo zur gemahlin zu begehren, und, damit
solches desto heimlicher möchte zugehen, gab er vor, er hätte den
göttem in Armenien ein grosses opfer zu tun, und das sei die Ursache
seiner ankunfft von Rom. Im XVIIL kommen zu diesen beyden rit-
tem Paulina und Straten ice, so denn Severus die unglückseligkeit sei-
ner liebe beklagt. Scaramuza menget sich hiermit ein und agiert. Im
XIX. tröstet Polyeuctus die Paulinam, dass sie sich vor Sever nicht
zu fürchten, noch etwas böses zu befahren habe. Im XX. berufift Cleon,
hauptmann über die leib -wache, den Polyeuct im tempel zum opfFer,
ufif des fürsten befehl. Im XXL Polyeuct sich stellend, als wolte er
dahin gehen, wird von Nearc seines Christen thumbs scharff erinnert:
Daher sie beyde beschliessen zu öffentlicher bekäntnus ihres glaubens,
den öffentlichen angestelten götzen- dienst zu zerstören Zu der
andern abhandlung wird einen anfang machen Argumentator 11. Im
I. eintritt aber agiert Pantalon und Scaramuza, da jener diesen als einen
Christen höhnisch hält, dieser aber jenes heidnische götzen verlacht.
Im n. auguriert ein heidnischer wahrsag-priester, wie treulich die
götter in zukunfft ihre religion beschützen würden. Im III. agiert
Scaramuza. Im IV. steht der hohepriester vor Jupiters altar mit dem
räucher-fass, der opffer-priester beym opffer und verrichten nebenst
dem wahrsag-priester ihren götzendienst. In welchem sich auch befin-
det fürst Felix mit fünff raten, wie auch Stratonice. Zu ihnen kom-
men im V. eintritt Polyeuct, und Nearc, ihnen den schändlichen götzen-
dienst verweisende, die anwesenden verjagende, die bilder stürmende.
Im VI. kömt Albin mit der wache und nehmen Polyeuct und Nearc
gefangen. Im VII. lässt fürst Felix seinen zorn und imwillen wider
die missetäter hören. Im VIII. erzählt Stratonice der Paulinen, was
im tempel vorgegangen, worüber diese gar sehr bestürzt wird. Im
IX. praesentiert sich das gefängnis mit den gefangenen Polyeuct, Nearc,
obgedachten 2 Persianern und Scaramuza. Im X. kömt Albin vors
gefängnis mit der wache, und holt Nearcum vors hohe gerichte ab. Im
XI. bringt Albin den gefangenen, Felix und seine rate verdammen
Nearc zum tote, und befehlen, dass ihm das hertz solle aus dem leibe
gerissen werden. Im XU. tröstet Majoran die Paulinam, berichtend,
dass Polyeuct noch lebe, und dass er sich wolle angelegen seyn lassen,
ihn vom tode zu erretten. Im XIII. wehklagt Paulina über den elen-
den zustand ihres liebsten Polyeucts, wird aber von Stratonice getrö-
stet. Im XIV. werden die beyden Persianischen Christen im feuer
geschmäuchet. Im XV. wird Nearcus nach gefältem urteil justificiert,
und siehet diesem handel Polyeuct mit hert^hafftigkeit zu. Im XVI.
* • -•. »■ •-
518 ILLmOEB
wehklagt die Christen -Unschuld, ein engei aber tröstet sie. Im XYU.
berichtet Gleon den Felicem, wie die hinrichtung des Nearci abgelaof-
fen. Im XVIII. falt Paulina ihrem herm vatter zu fasse, vor ihren
breutigam, Polyeuct, umb gnade bittende, aber Felix will sich darza
nicht beqvemen. Im XIX. erzehlt gleicher massen Albin, was bey
justificierung des Nearci vorgelauffen, und bittet zugleich um des Po-
lyeucts erledigung, erlanget aber nichts Und hierauf wird geschrit-
ten zur dritten und lezten abhandlung. Den Inhalt derselben erzählet
Argumentator III. Und darauff in dem I. eintritt erscheint des ertö-
teten Nearci geist mit einer krohnen und palmenzweige dem Polyeuct,
so ufF einem stule sitzet und schläfit Im 11. eintritt erscheinet ihm
die ewigkeit im schlaffe, ihn mit betrachtung der ewigkeit auffiichtenda
Im in. praesentiert sich CSeon mit der wache vor dem gefangnis, Po-
lyeuct begehrt mit seiner Paulina noch nicht zu reden« Im lY. erklärt
sich Polyeuct zur beständigkeit in seiner christlichen religion. Inzwi-
schen kömt im Y. eintritt Paulina zu ihrem Polyeuct, weil sie ihn
aber durchaus uff keinerley weise von dem christenthumb abwendig
machen kann, gehet sie endlich in unmuth darvon. Im YI. implorieit
Paulina den Sever, er wolle ihr doch zu liebe und gefallen ihren Po-
lyeuct vom tode erretten, worzu er sich auch erklärt, iedoch dass ihm
solches Fabian, nach der princessin hinwegscheiden, eiferichst wider-
räthet, wiewohl Sever uff seiner gefassten meinung bleibt, und die
gethane verheissung in der that zu leisten gedenket In dem YII.
kömt fürst Felix mit einem mehr, sezt sich an einen tisch, und nach-
dem er den mehr von sich gelassen, und schreiben will, schlummert
er darüber ein. Darauff erscheinet das Fatum und erinnert den fur-
sten im träume, wie vergeblich sein beginnen sey wieder den rath-
schluss gottes. Und so Felix hier auff erwachet, und von neuem das
blut-urtheil wieder seinen eydam den Polyeuct unterschreiben wUl,
kömt Nearci geist, löschet ihme das liecht aus, rüttelt an dem tisch
und nimt ihm das pappier aus der band, und fleucht darvon^; worüber
Felix zwar bestürtzt wird, doch aber bey seiner meinung wieder den
Polyeuct zu verharren gedenkt. Im YIII. tritt Severus ein, den for-
sten zu bereden, dass er Polyeuct möchte das leben schencken, aber
Felix, als der ihm nicht trauete, will sich nicht bereden lassen. Im
IX. hält Felix rath wieder Polyeuct, welcher sich auch als einen
gefangenen im X. vor dem hohen rath darstellig macht: wird zum
1) Denuiige Situationen kommen im drama des siebzehnten Jahrhunderts sehr
häuflg vor, man vgl. z. b. den ganz ähnlichen Vorgang in Beckhs: Folinte oder die
kUlgliohe Ijoolizoit; vgl. Viertoyahrsschrift f. litteratargeschichte V, 372.
J. 8. MITTJEBNACHT 519
todte verurtheilt Im XL wird Polyeuct zur richtstätte hinaus geführt,
Pauline eilt ihm nach, bekennet sich öffentlich zum christenthumb,
und kniet nieder, mit bitte, man wolle ihr doch noch eher, als ihrem
Polyeuct den kopff nehmen. Über dieser wunderlichen geschieht wird
alles perplex, und werden die gefangenen uff des fürsten befehl, bis
uff fernere anordnung zurücke geführt. Fürst Felix wird durch so
wunderseltzame begebenheiten heftig constemirt, und zugleich in seinem
hertzen kräStiglich gerührt, dass er sich zum christlichen glauben zu
bekennen nicht wenig geneigt ist, und solches wird er bekennen im
XII. eintritt. Im XIII. wird er rath halten und deliberiren, ob es
nicht rathsam, dass man sich zur chnsten-religion wende. Und nach
dem allerley discurrirt worden, erklärt er sich mit den räthen dahin,
dass sie mit dem gantzen lande Christen wollen werden. Im XIV. wer-
den die heydnischen priester aus dem lande gejagt Im XY. und letz-
ten wird Gott vor die bekehrung zur göttlichen warheit von Feiice,
Polyeuct und Paulina gedancket, sie auch werden von einem engel
zur beständigkeit im glauben angemahnet Und also wird frölich, was
sich so traurig und jämmerlich anliess, beschlossen —
Diese bearbeitung darf gewiss Interesse für sieh in anspruch neh-
men. Wir erhalten keine sich genau an das original anschliessende
Übersetzung, wie sie vom Polyeukt drei jähre vor Köbers stück Tobias
Fleischer in seinen „Erstlingen von Tragoedien, Helden -Reimen vnd
anderen Tichtereyen (1666. Exemplar in Berlin; vgl. Goedeke, III*,
222 und die freilich nicht zureichenden mitteilungen in Schnorrs archiv
f. 1. III, 249 fgg.) gegeben hatte, sondern eine auseinandergezogene
und mit vielen zutaten verbrämte Überarbeitung. Tatsachen, die Cor-
neille erzählt, werden auf der bühne selbst dargestelt, namentlich
dann, wenn sie gelegenheit zu pomphaften scenen geben. Die scene
im tempel, die bei Corneille nur berichtet wird, führt der Verfasser
unmittelbar vor, ebenso die hinrichtung des Nearch; wodurch aller-
dings der übelstand entsteht, dass das, was wir eben auf der bühne
haben vorgehen sehen, nachher noch zweimal erzählt wird.
Ein teil dieser änderungen, wie die einfügung der komischen
personen und des einsiedlers rührt offenbar von Köber selbst her; die
wesentlichsten zusätze dagegen berühren sich so mit einer in dem
gleichen jähre erschienenen bearbeitung des Polyeukt, dass ein Zusam-
menhang nicht in abrede gesteh werden kann. Es ist der „Polyeuctus
oder Christlicher Märtyrer" von Christophorus Kormart (1669; exem-
plar in Berlin Xv 3590; Analyse in Gottscheds Beyträgen zur criti-
schen historie der deutschen spräche und beredsamkeit, YI, 385 fgg.),
V». «
520
ELUNOIB
bokant namentlich durch die, freilich so wie sie überliefert wird,
unglaubwürdige nachricht, dass in diesem von Studenten dargestelten
stück Veitheim zuerst aufgetreten und infolge dieser aufiFührung nei-
gung zum theater gewonnen haben soll. Die Umarbeitung Eormarts
zeigt in ihren steifen gedrechselten prosaischen reden, den unerträg-
lichen reimereien, die hie und da neben der prosa auftauchen, nament-
lich aber in den von Eöber zum teil entlehnten „eigenen erfindungen*^
einen sehr schlechten geschmack. Dieses stück muss bald nach seiner
drucklegung Eöber zugekommen sein, denn die wesentlichsten yeran-
derungen sind aus ihm entnommen, sowol die kleineren wie der dialog
zwischen Severus und Fabian nach ihrer seereise (Eöber I, 17. Eor-
mart II, 1), die einfügung der um ihres Christentums angeklagten Per-
ser (Eöber I. 9. 11, 14. Eorraart I, 2. III, 9), als die Vorführung
der scene im tempel und die geistererscheinungen des Nearch (die
scene HI, 7 bei Eöber ist genau Eormart IV, 11 nachgebildet). Die
von Eormart verwendeten mythologischen und allegorischen figuren
sind von Eöber fortgelassen ; doch werden bei Eöber gelegentlich andere
allegorische gestalten verwendet. Dagegen ist die rettung Polyeukts
am schluss Eöbers eigentum; der schluss Eormarts schliesst sich im
wesentiichen an Corneille an. —
Die beiden deutschen dramen Mitternachts, denen wir uns jezt
zuwenden, können eigentlich nicht durchweg als schulkomödien betrach-
tet werden. Sie wurden zwar von schülern, aber nicht in der schule,
sondern öffentlich auf dem rathaus dargestelt, und zwar das eine zur
feier des landtagsschlusses, das andre, um die tätigkeit Mitternachts
als rektor bei seinem weggange nach Greiz würdig abzuschliessen.
Wenn nun aber auch diese Art der entstehung dem autor mehr frei-
heit sowol in der wähl des Stoffes als in der ausführung des einzelnen
gab, so lässt sich doch, wie bereits oben hervorgehoben ist, nirgends
der Zusammenhang mit den eigentlichen schulkomödien verkennen. —
Mittemacht hat auf die ausarbeitung der dramen grosse Sorgfalt gewant
Er wendet sich daher aufs schärfete gegen die stücke der fahrenden
englischen und deutschen komödianten und die nach seiner ansieht in
diesen dramen herschenden regellosigkeiten und Unsitten. „Zwar die
Engelländer", lässt er den Prologus zu seinem Vnglückseligen Soldaten
und Vorwitzigen barbierer sagen ^, „und andere im lande herumbstrei-
chende comoedianten, als welche entweder gar nichts, oder nicht viel
1) Ein teil der stelle ist schon angefühH worden von C. Renling, die komi-
sche figur in den wichtigsten deutschen dramen bis zum endo des XYII. Jahrhunderts.
1890. S. 131.
J. 8. MITTEBNACHT 521
besonders studiret haben, sind hierumb wenig bekümmert, wie aus
denen Engelländischen comoedien, so in zweyen voluminibus zusam-
mengedrückt, satsam zu ersehen stehet, als in welchen fast nicht eine
einige zu befinden, die nach den vorgeschriebenen legibus und prae-
ceptis durchgängig eingerichtet wäre; und pflegen doch nichts desto
weniger solche comoedianten hin und wieder beliebet und gelobet zu
werden, alldieweil sie, was ihren comoedien ermangelt, theils durch
kleider-pracht, theils durch einen geübten und kurtzweiligen Jean puta-
gen ersetzen, und sich getrösten, dass unter viel hundert Spectatoribus
oder Zuschauern offt kaum einer sey, der da, was zu einem solchen
wercke gehöret, gründlich verstehe, und consequenter davon judiciren
könne, sondern die meisten Spectatores mit hindansetzung des haupt-
werkes sich an den possen, und gemeiniglich groben zot^n belustigen*'.
(A 2 a.) — Namentlich darauf hat Mitternacht grosse mühe verwendet,
jeden die spräche sprechen zu lassen, die seinem bildungsgrade ent-
spricht, „sintemahl am hellen tage lieget, dass anders ein vornehmer
potentat, anders ein gelehrter mann, anders ein bescheidener bürger,
anders ein knecht oder magd, anders eine manns- und anders eine
weibs-person, anders ein erwachsener mensch, und anders ein kind zu
reden pflege", (a. a. 6. liij b.) Für die berech tigung dieses strebens
nach natürlichkeit des ausdrucks und abstufung der spräche nach
herkunft und bildung der einzelnen personen beruft er sich auf Plau-
tus, während Terenz alle figuren in der gleichen eleganten spräche
reden lasse.
In seinem trauerspiel: Der unglückselige soldat vnd vorwitzige
barbireri ergriff Mittemacht ein ereignis zur dramatischen behandlung,
welches unmittelbar vorher geschehen war. Die schauererzählung, die
durch fliegende blätter in Deutschland verbreitet wurde, kam dem
erfahrenen pädagogen offenbar recht gelegen, denn sie eignete sich vor-
züglich zur einschärfung einzelner cardinalsätze, die der Jugend einzu-
piägen waren. Zunächst predigte die geschichte laut und vernehmlich
den gehorsam gegen eitern und lehrer, und Mitternacht unterliess es
nicht, das bereits im Stoffe liegende motiv noch deutlicher herauszu-
arbeiten. Das drama zeigte an einem erschütternden beispiele, wie es
einem jüngling ergieng, der sich durch ungehorsam, trotz und Undank-
barkeit an seinen eitern vergangen hatte. Aber noch nach einer andern
1) 1662. Goedeke EI*, 221. Gottsched, Nöthiger vorrath I, 225 hat das
stück irtümlicher weise unter das jähr 1670 gestelt. Daraus ist denn die voratellung
entstanden, als ob das stück noch einmal in späterer aufläge erschienen wäre; tat-
sächlich existiei't aber keine ausgäbe von 1670.
-ia.«__ «- ..
522 UiLmoBR
rieht ung hin ivar die gescbichte für den erzieher auszubeuten. Nach
dem entsetzlichen kriege waren noch nicht anderthalb Jahrzehnte ver-
flossen; der schwedisch -polnische krieg war soeben yerübergegangen,
und die neigungen der Jünglinge, an dem wilden kriegstreiben teilzu-
nehmen, das ihnen befireiung von jeder fessel verhiess und rühm, ehre
und reiche beute vorspiegelte, werden zwar nicht mehr ebenso stark
gewesen sein wie im dreissigjährigen kriege, waren aber noch immer
keineswegs verschwunden. Da galt es, warnende beispiele vorzufuhren,
welche davon Zeugnis ablegten, wie trügerisch die von der phan-
tasie vorgespiegelten träume seien und wie anstatt rühm und reich-
tum nur mühsal, beschwerden imd ein siecher oder verstümmelter
körper dort zu holen wären; es galt, die abneigung vor den Studien
und die abenteuerlust zu bekämpfen. Diese pädagogischen tendenzcn
beherschten Mittemacht, als er an die dramatisierung der geschichte
gieng, deren Inhalt kurz folgender ist:
Musophilus, ein kaufmann von Trient, hat einen söhn Ariophilus,
den er sorgfaltig hat unterrichten lassen, da er ihn später in einem
hohen amte zu sehen wünscht Des sohnes gedanken aber sind nur auf
den krieg gerichtet; und als sein vater ihn auf eine Universität senden
will, komt der Zwiespalt in beider anschauungen zum ausdruck. Ario-
philus lässt sich anwerben; er verlangt von seinem vater ungestüm das
mütterliche erbteil und zieht, nachdem er es erhalten, von dannen in
der stolzen hofnung, bald zu den höchsten militärischen ehren empor-
zusteigen. Aber um sein geld betrügen ihn die andern Soldaten; an-
statt der erwarteten ehren lernt er nur die mühseligkeiten und placke-
reien seines neuen Standes kennen, auch schlage werden ihm nicht
erspart Da desertiert er, wird verfolgt und sucht bei einem berühmten
arzt (barbier) in Padua Zuflucht. Der arzt nimt ihn scheinbar freund-
lich auf, gedenkt ihn aber zur ausfühnmg eines entsetzlichen planes
zu gebrauchen. Schon längst hatte er nämlich den wünsch gehabt,
einem lebendigen menschen die brüst aufzuschneiden, um die bewe-
gung des herzens zu beobachten. Er hatte schon vordem versucht,
diesem wünsch auf gesetzliche weise zu genügen, indem er den padua-
nischen gerichtshof ersucht hatte, ihm zu diesem zwecke einen zum
tode verurteilten Verbrecher zu überliefern. Damals war er abgewiesen
worden. Darum komt ihm jezt der landflüchtige soldat sehr gelten.
Er nimt seinen gehülfen einen eid ab, dass sie über alles schwei-
gen wollen; hierauf wird das grausige werk vor den äugen der
Zuschauer volzogen, und Ariophilus stirbt einen entsetzlichen tod.
Aber trotz der furchtbaren eide bleibt die tat doch nicht verborgen.
j. B. hzthrnaght 523
Der arzt wird eiogezogen, muss seine tat gestehen und wird hinge-
richtet
Oleich der erste akt führt uns alle für den weiteren fortgang des
Stückes wichtigen faktoren vor. Der akt begint mit einem gespräch
zwischen Musophilus und Ariophilus: jener wünscht seinen söhn auf
die Universität zu schicken, um ihn dereinst in amt und würden zu
sehen; dieser bekent seine abneigung gegen die Studien und reizt durch
die einwürfe, die er den ermahnungen seines vaters entgegensezt,
diesen so, dass er zornig abgeht Ein werber, der allen denen, die
sich zum kriege Spaniens gegen Portugal anwerben lassen wollen, gol-
dene berge verheisst, wird von Ariophilus begierig angehört; bei Muso-
philus, der das gespräch von fem vernommen, überwindet die väter-
liche liebe die Verstimmung, er komt und warnt seinen söhn, dem er
den allerdings für die gemütsart des Jünglings möglichst unpassen
den rat gibt, sich aus der weit zurückzuziehen und ein mönch zu wer-
den. Aber die antwort des Ariophilus überzeugt ihn bald, dass alle
seine Vorstellungen nutzlos sind. Deshalb geht er, und nun erscheint,
umgeben von gewafheten, Mars. Nachdem er erzahlt hat, wie trotz
der verschiedenen versuche, seiner herschaft ein ende zu machen, sein
reich doch nicht aufhöre, fordert Martis lieutenant die „junge Pursche
und generöse, lebhaSte Oemühter'^ auf, herbeizukommen und dem Mars
in dem bevorstehenden feldzuge zu dienen. „Zwar ich kan wohl
geschehen lassen, dass ihr zu hause hinter dem Ofen oder Kamin sitzet,
und die Aepffel bratet: aber dadurch werdet ihr wenig Ehre, und
noch viel weniger Geld und Gut erlangen. Im Gegentheil, wer sich
in meines Generals, den ihr da in seiner Majestät stehen sehet,
Dienste einlassen wird, der darfif weder vor dignität und Ehre, noch
vor Güter und Keichthum, am wenigsten aber vor Lust und Ergetz-
lichkeit sorgen*^. Ariophilus, ohnehin schon geneigt soldat zu werden,
erklärt sich bereit sich anwerben zu lassen und erscheint gleich darauf
voller freude, um sich von dem handgelde eine schöne ausrüstung
anzuschaffen und so verändert vor seinen vater zu treten. Aber wie
trügerisch die hofhungen sind, mit denen er in den krieg zieht, wird
uns schon jezt gezeigt, zunächst durch einen monolog des Secretarius
Martis, der die Verblendung der Jugend beklagt, die in dem kriege
nur angenelimes zu finden hoffe, tatsächlich aber die bittersten erfah-
rungen mache und auf sein eignes Schicksal hinweist, da er sich eben-
fals als junger mann durch den scheinbaren glänz des krieges habe
betören und von den büchern weglocken lassen. Dann tritt ein alter
verstümmelter soldat an knicken auf und bejammert sein Schicksal:
-* ■ v*- —
524 BLUROEB
trotz der Warnungen seiner eitern hat er sich in den krieg begeben
und dort nichts als elend, Jammer und not kennen gelernt; als betler
und krüppel muss er jezt in der weit umherziehen; er beklagt die jun-
gen leute, die es ebenso machen wie er es einst gemacht und so auch
demselben Schicksal entgegengehen. Ein neuangeworbener, junger Sol-
dat, gewissermassen das ebenbild des Ariophilus, komt dazu, fahrt ihn
heftig an und meint, der alte werde wol seinen elenden zustand, durch
feigheit verschuldet haben ; er selbst lässt sich in seiner Zuversicht durch
den alten nicht irre machen. Nach einem improvisierten Zwischenspiel
von narren wird die scene gewechselt (wovon der dichter freilich nichts
sagt); wir befinden uns in Fadua. Der barbierer tritt auf und erzählt
von dem rühm, den ihm seine chirurgischen bücher erworben hätten,
und wie er nun nur noch über die bewegung des menschlichen her-
zens unsicher sei und diese an einem lebendigen menschen kennen zu
lernen wünsche. Sodann erscheint der präsident und die beisitzer des
gerichtes, bei deren auftreten sich der barbier zurückzieht Der Präsi-
dent eröfnet den beisitzern die schriftlich an ihn gelangte bitte des
barbierers, ihm den zum tode verurteilten Verbrecher auszuliefern,
„damit er seinem cuiieusen Gemüht ein Genügen thun, und nach dem
er denselben lebendig aufipgeschnitten, besehen möge, vne das Mensch-
liche Hertz im Leibe beweget werde**, und fordert sie auf, sich über
diese angelegenheit zu äussern. Der erste beisitzer spricht sich dage-
gen aus, worauf der präsident den barbierer hereinrufen lässt und ihm
den abschläglichen bescheid des gerichtshofes mitteilt Der barbierer
aber beschliesst, von seinem plane doch nicht abzulassen, und nach-
dem die gerichtspersonen sich entfernt, sagt er „ trutzig ": „So muss
ich doch noch zu meinem Zwekke gelangen, es geschehe recht- oder
unrechtmässiger weise. Aber hiervon ist ietzo nicht viel zu sagen.
Die Sache wird sich wol geben. Ich weiss schon, was ich thun will".
Man wird aus der analyse dieses aktes schon eine ungefähre Vor-
stellung von der art des Stückes erhalten haben ; es ist natürlich unmög-
lich, die anderen akte in der gleichen ausführlichkeit durchzugeben.
Trotz aller Ungeschicklichkeit und eckigkeit sind doch überall hübsche
ausätze zu einer wirklichen Charakteristik der auftretenden personen
vorhanden. So finden wir auch in dem zweiten akte, in welchem
Ariophilus die eigentliche natur des Soldatenlebens kennen lernt, die
gestalten des lagers ganz hübsch herausgearbeitet: die Soldaten, die
sich an den neugeworbenen herandrängen und ihm schmeicheln, um
ihm sein geld abzulocken, ihn aber hinter seinem rücken auslachen
nud verspotten; die geldgierige, aber wenigstens bis zu einem gewis-
J. S. MITTBRNACHT 525
sen grade gutherzige soldatendirne; den armen, von den Soldaten ge-
plagten, aber von dem officier in schütz genommenen bauer. Auch
zur Charakteristik der mutter des Ariophilus werden am ende des aktes
einige gute züge beigebracht. Im vierten akt sind die gesellen des
barbierers in ihrer rohen umbarmherzigkeit nicht ohne glück gezeich-
net, und die kinderscenen im fünften akt, wo der barbierer nach län-
gerem läugnen seine tat eingesteht und zum tode verurteilt wird, zeu-
gen obenfals von guter beobachtung und zeigen uns, wie die neigung,
kinderscenen rührend auszumalen, welche im Zeitalter der reformation
so stark war, auch im siebzehnten Jahrhundert sich noch erhalten hatte.
Die frau und die kinder des barbierers treten im fünften akt dreimal
auf, zuerst vor dem gericht, wo sie die gnade der richter anflehen,
dann im kerker, um von dem vater abschied zu nehmen, schliesslich
widerum vor dem gerichtshof, dessen barmherzigkeit sie nochmals ver-
geblich anrufen. Der dichter hat sich bemüht, das verschiedene alter
der kinder durch eine gewisse abstufung in den empfindungen und
Worten, die er sie äussern lässt, zu charakterisieren, und es ist ihm
das bis zu einem gewissen grade gelungen. Man vgl. z. b. folgende
stelle, in welcher die kinder unmittelbar vor der angesezten hinrich-
tung noch einmal um gnade für ihren vater bitten (V, 7. Ib. f.):
Der andere Sohn. Ach ihr hertzliebsten Herren, können eure
sonst so sanfftmüthigen Hertzen durch kein bitten und flehen erweichet,
und zur Barmhertzigkeit beweget werden? Ach sehet doch mich armes
Kind in Gnaden an, und gebet mir meinen liebsten Vater wieder. Denn
wer wolte mir zu essen geben, wenn ich keinen vater hätte? Ach!
unsre liebste Mutter will auch sterben. Ach! wo wollen wir denn
hin? Ach! wer will uns aufnehmen? Ach! wer will uns essen und
trinken geben? Ach! wer will uns neue Schuhe und Kleider kaufen?
Darum ach hertzliebste Herren, erbarmet euch doch über uns und
schenket uns unsren Vat^r. Wenn ich nur ein wenig grösser werde,
so will ich euch gerne die Schuhe putzen, und hin gehen, wohin ihr
mich schicken werdet. Ihr sollt mir so lieb seyn, als mein Vater
selbst
Praeses. Wir erbarmen uns recht hertzlich über euch, ihr lie-
ben kinder. Aber euren Vater können wir euch nicht wieder geben.
Denn demselben muss nach ürtheil und Recht der Kopf abgeschlagen
werden.
Der andere Sohn. Wenn mein liebster Vater todt ist, so be-
gehre ich nicht mehr zu leben. Bitte derowegen, dass ihr mir auch
den Kopf wollet abhakken lassen.
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526 ILUNOBB
Der dritte Sohn. Wenn meines lieben Vaters und meiner lie-
ben Brüder Kopf abgehakket ist, so will ich meinen Kopf auch abhak-
ken lassen. Denn wenn mein lieber Yater kein Wammes hat angehabt,
so hab ich meins flugs auch ausgezogen. Wenn nun er keinen Kopf
hat, so begehre ich auch keinen.
Das kleine Töchterlein. Schweigt stille, ihr lieben Brüder,
und lasst euch den Kopf immer abhakken. Ich will eure Köpfe und
des lieben Vaters Kopf wohl wieder aufsetzen. Neulich setzte ich auch
meiner Dokken ihren Kopf wieder an.
Der erste Sohn. Ach liebes Schwesterlein, mit ansetzen ist es
nicht aussgerichtet Der liebe Vater bliebe doch todt, wenn du ihm
gleich den Kopf wieder ansetztest Darum bitte die lieben Herren, dass
sie dem Vater den Kopf nicht abhakken lassen.
Das Töchterlein. Wenn der liebe Vater gleich todt und gestor-
ben ist, so will ich bet^n, dass ihn der liebe Gott wieder lebendig
mache.
Der erste Sohn. Ach! sehet doch, hertzliebste Herren, was das
vor ein Jammer ist, wenn ein solch armes Kind keinen Vater haben
soll. Darum bitt ich nochmals um Gottes willen, erbarmet euch unser.
Der dichter bemüht sich auch im verlauf des Stückes noch, die
verirrung des Ariophilus zu erklären. So erfahren wir z. b. im drit-
ten akt, dass der präceptor des Ariophilus sich über diesen bei der
mutter oft hatte beklagen lassen , dass aber die mutter dann immer die
Sache vertuscht, ja gradezu die schuld auf den lehrer geschoben und
dadurch mit zu dem unglück ihres sohnes beigetragen habe. Natürlich
unterlasst der Verfasser es nicht, auch hieraus seine pädagogische nutz-
an Wendung zu ziehen und den eitern zu empfehlen, sich bei klagen
der kinder gegen die lehrer nicht immer auf die seite der kinder zu
stellen: ,,Wenn nun die Eltern den Verleumdungen der Kinder glau-
ben, und den treuen praeceptoribus des wegen feind werden, was ists
wunder, dass sie hernach an den kindern alles Hertzeleyd erleben?
Gott, dessen stelle treue praeceptores vertreten müssen, hat ein lang
Gedächtnüs, schreibet hinter ein Ohr, was den praeceptoribus vor
Lohn wiedei-fähret, und pflegets zu rechter Zeit zu vindiciren und zu
strafifen''.
Von den im drama des siebzehnten Jahrhunderts so beliebten
allegorischen figuven hat Mitternacht einen reichlichen gebrauch gemacht
Wenn wir von der prologisch eingeführten Veritas absehen, sind nidit
weniger als acht begriffe allegorisiert und dargestelt worden; den mei-
sten sind wir schon in den schulkomödien begegnet Sobald Ariophi-
J. S. MITTKRNACHT 527
lu8 der bösen folgen seiner veriming inne wird, erscheint sein gewis-
sen, die Conscientia Ariophili „in einem zwar weissen, aber mit viel
blut besudelten hemde** und hält ihm in eindringlicher rede seine Sün-
den vor; ebenso wird das gewissen des barbierers und das eines seiner
gehülfen personificiert, der sich vergeblich bemüht, den anklagen der
Conscientia zu entgehen. Bevor der barbierer seine blutige tat aus-
führt, treten Ambitio und Conscientia zu ;ihm (IV, 1), jene reizt ihn
an, diese mahnt ab; jene spiegelt ihm vor, dass er die tat ja nur zum
besten der menschheit unternehme und gewint ihn dadurch, während
die Conscientia ihn zornig verlässt. Ebenso klagen nach dem volbrach-
ten mord Hospitalitas und Pietas, dass sie nicht mehr geachtet werden
und in der Verbannung herumziehen müssen, und vor dem gericht,
das über die tat des barbierers zu urteilen hat, erscheint Justitia und
ermahnt die richter, gerechtigkeit zu üben (V, 2, vgl. auch IV, 5). —
Eine halb allegorische figur ist der treue Eckhard, der einmal auftritt
(III, 5), um den vater daran zu erinnern, wie alle seine firüheren War-
nungen vergeblich gewesen sind.
"Will Mittemacht durch derartige allegorische figuren, wie sie
ganz ähnlich in derselben zeit z. b. in den dramen Joh. Jos. Beckhs
verwant wurden, zuweilen offenbar die Schwierigkeiten eines monologs
umgehen, so fehlen die monologe doch sonst nicht. — uns von der
art der bühneneinrichtung, die das stück voraussezt, eine Vorstellung
zu machen, hält nicht leicht Die wahrscheinlichste annähme, die sich
ergibt, wird die sein, dass dekorationen überhaupt nicht zur anwen-
dung kamen oder eine dekoration von anfang an durch das ganze stück
beibehalten wurde, und dass die Zuschauer aus den autftretenden per-
sonen und ihren werten schliessen musten, an welchem ort die hand-
lung vor sich gienge. Anders lässt sich der schnelle scenenwechsel
nicht erklären. So spielt z. b. im vierten akt die erste scene in Padua
(es ist die Unterredung des chinirgus mit Conscientia und Ambitio),
in scene II befinden wir uns aber in Trient: die mutter des Ariophilus
äussert in einem ganz kurzen monolog ihre trüben ahnungen über das
Schicksal ihres sohnes und klagt sich der mitschuld an. Die übrigen
scenen spielen dann wider in Padua. Ähnliche ortsveränderungen
begegnen uns auch sonst in dem stücke.
Ti'otz des scharfen tadeis, den Mittemacht über die dramen der
englischen komödianten ausspricht, ist der dichter doch von dieser
dramatik nicht unbeeinflusst geblieben und hat sich manches daraus
angeeignet Die beiden spassmacher, moriones, von denen der eine
den Ariophilus bogleitet, dann aber plötzlich vei'sch windet, wälirend
»•*- ji ^ jk«k»r.-. ■ -.■ ■ — ■ — .^su ^
528 ELUNGIB
der andere zu hause bleibt, weisen zwar schon durch ihren namen auf
das lateinische drama des 16. Jahrhunderts hin, zeugen aber in der art
ihres auftretens und ihrer witze ebenfals von dem einfluss der komi-
schen person der fahrenden komödiantcn. Auch andre moriones treten
auf, und zwar bringen sie ihre extemporierten spösse meist am ende
eines aktes oder vor einem scenenwechsel vor. — Auch die neigung
greuelscenen auf die bühne zu bringen und der realismus, mit dem
dieselben ausgemalt sind, erinnert an die art der englischen komödian-
tcn. Man vergleiche in dieser beziehung nur die scene, in welcher
Ariophilus getötet wird, und man wird den einfluss des englischen
komödiantcn nicht verkennen. (IV, 4.)
Ariophilus. Ach! um Gottes willen, schonet meiner! schonet
meiner! Ich hab euch ja niemals etwas gethan.
Barbirgeseil. Hier ist kein schonen zu hofTen, fort, fort, mein
Kerlat, fort
Ariophilus. Was wollt ihr denn mit mir armen Soldaten machen?
Der dritte Gehülfe. Hast du nicht wohl ehe neben andern
Soldaten gesungen: Ein Soldat und ein Mast- Schwein
Sollen immer lustig seyn,
Denn sie wissen beyde nicht,
Wenn man ihnen den Hals absticht?
Ariophilus. Das hab ich freylich wohl ehe gesungen.
Der vierdte Gehülfe. Drum soll letzt erfüllet werden, was du
gesungen hast. Sperre dich nur nicht gross. Du kriegst sonst 14 maul-
schellen nach einander, und eine zur Zugabe, dass die mandel voll
werde.
Ariophilus. Ach! erbarmet euch doch! erbarmet euch doch um
Gottes willen! erbarmet euch doch über mich iunges Blut.
Barbirsgesell. Ich habe nie gew^ust, was erbarmen sey. Barm-
hertzig seyn, und einen Barbirer agiren, fallen nicht zusammen.
Ariophilus. Ihr werdet ja nicht Christenblut vergiessen.
Der andere Gehülfe. Nicht Christenblut, sondern Soldatenblut
wollen wir vergiessen.
Ariophilus. Die Soldaten werden ja auch Christen seyn.
Der dritte Gehülfe. Hier ist nicht disputirens, sondern schlach-
tens Zeit
Ariophilus. Ach schonet doch meiner Eltern.
Der vierdte. Was gehen uns deine Eltern an?
Ariophilus. Liisset mich lebendig, und bringet mich nachTrient
Icli will euch 600 Kronen vor mein Leben geben.
.T. S. MIRKBNACHT 529
Chirurgus. Was wechselt ihr viel Wort mit dem Soldaten?
werftet ihn stracks zu Boden. Haltet ihn fest an Händen und Füssen.
Eniehet auf seine Schenkel und Arme, und halte ihm einer das Maul zu.
Ariophilus. Ach mein Herr, ist dies das gute, das ihr mir zu
thun versprochen habt? Ach vergeh euchs Gott, dass ihr mich junges
Blut so grausamlich aufopfern wollet Was hab ich euch denn zuwie-
der gethan? worum dürstet euch denn so sehr nach meinem Blute?
Chirurgus. Es antworte ihm mir niemand nicht
Ariophilus. Ach hertzliebster Yater! Ach hertzliebste Mutter!
Ach hertzliebster Praeceptor! Ach was hab ich gethan? letzo denk
ich erst an eure Worte, die ich zu unterschiedenen mahlen von euch
gehöret habe. Ach dass ich doch nur so glückselig seyn solte, dass
ich euch eine Abbitte thun könnte! Ach hertzliebster Vater! Ach
hertzliebste Mutter! Ach hertzliebster Praeceptor!
Chirurgus. Haltet dem Hunde das Maul zu.
Ariophilus. Ach! ich bitte ums jüngsten Gerichtes willen, wenn
ihr mich ja ums Leben bringen wollen, gönnet mir doch einen Prie-
ster, dem ich meine grossen Sünden beichten, und absolution von ihm
erlangen könne.
Chirurgus. Bei dieser Sachen, die ich vorhabe, sind die Pfaf-
fen nichts nütze. Sie verstehen sich auch nicht darauf Wissen viel
weniger davon, als der blinde von der färbe.
Ariophilus. Ach die Angst meines Herzens ist gross! Ach
schonet doch!
Chirurgus. Die Hertzens- angst soll dir bald benommen wer-
den. Jetzo will ich gleich den ersten Schnitt in deine Brust thun,
und dir Raum zu deinem Hertzen machen.
Ariophilus. 0 ihr Steine erbarmet euch meiner, weil sich die
Menschen nicht erbarmen wollen! Gute Nacht hertzliebster Yater! gute
Nacht, hertzliebste Mutter! Ach dass nur mein Bruder wissen solte,
wie mirs ergangen: dass er auch desto fleissiger gehorchte.
Chirurgus. Seht doch, seht doch, wie sich das Hertz beweget
Barbirgesell. Zappele nur nicht, du guter Kerl, wenn wir dein
Hertz genug besehen haben, werden wir dich wieder gehen lassen,
wo du hin willst
Ariophilus röchelt
Der andere Gehülfe. Soll ich ihm das Maul zuhalten?
Chirurgus. Es ist unvonnöthen. Er wird nicht mehr schreyen.
Trotz des grauenhaften realismus, mit welchem diese scene aus-
geführt ist, schlägt doch auch in ihr die pädagogisch -moralische ten-
ZUTSCmOFT F. DEUTSCHS PHILOLOGIE. BD. XXV. 34
*..- . •. •- N^ X \ ' ' : ■^■- ■ _i 1.
530 KLUNOKR
denz hervor, wie sich aus dem beständigen hinweis des Ariophilas auf
die folgen seiner nichtachtung der befehle von eitern und praeceptor
ei^ibt; wir haben gewissennassen einen abkömling der dramen Tom
verlornen söhn vor uns. Diese moralische tendenz überall durch das
stück selbst hervortreten zu lassen, genügte indessen dem veifasser
nicht, sondern er liess am Schlüsse jedes aktes, zuweilen auch inner-
halb eines aktes bei einem grösseren einschnitte, die sich aus den
einzelnen vergangen ergebenden lehren ausdrücklich formulieren. Die-
ses fabula docet wurde einem Philosophus in den mund gelegt, deren
sich mehrere im laufe des Stückes ablösten, und von denen jeder nach
dem akt oder innerhalb des aktes hervortrat und sich in längerer rede
über das, was geschehen war, aussprach. Natürlich sind diese mora-
lischen auseinandersetzungen, die also gewisseimassen den chor der
alten vertreten selten, zuweilen nicht frei von der pedanterie des sieb-
zehnten Jahrhunderts; aber einzelne dieser betrachtungen sind, wenn
man den verschiedenen geschmack der Zeitalter in erwägung zieht, als
wolgelungen zu bezeichnen.
Das fünf jähre später verfasste drama: Politica Dramatica^ über-
trift das erste Schauspiel in den drei ersten akten und in der fassung
einzelner scenen, bleibt aber als ganzes hinter ihm zurück. Die schuld
dafür ist weniger dem dichter selbst als dem stoff zuzusdireiben, den
er sich ausgewählt. Mittemacht wolte zeigen, wie eine bedrückung
der unteren stände, Verletzungen der Interessen der oberen stände und
Verweigerung der gerechtigkeit zu algemeinem aufruhr gegen die Obrig-
keit führen müsten, wie dann nach der gewaltsamen beseitigung der
regierenden ein zustand algemeüier rechtsunsicherheit eintrete, jeder-
manns band gegen die andre sei, so dass die meisten einer derartigen
beschafienheit des Staatswesens gegenüber den früheren druck von sel-
ten der Obrigkeit noch immer für das bessere halten werden. Er wolte
dann ferner zeigen, wie die königliche macht vertreten, beschränkt,
unterstüzt und beraten werden muss, wenn sie wirklich zur wolfahrt
des landes gereichen soll. Auch die Schilderung des gesetzlosen zustan-
des solte natürlich mit dazu dienen, die Vorzüge eines wolgeordneten,
den billigen ansprüchen der einzelnen stände nach kräften gerecht wer-
denden, Staatswesens um so deutlicher hervortreten zu lassen. Natür-
lich liess sich der aufruhr der einzelnen stände gegen die obrigkeit,
ebenso wie die algemeine Verwirrung, die nachher entsteht, im drama
1) M. Joh. Sebast. Mitternachts Politica Dramatica. Das ist Die Edle Regi-
ments-Kunst In der Form oder Oesalt einer Ck)moedien, in Hoher Standes- und
anderer vornehmer Personen Gegenwart vorgestellet
j. s. innsRNACRT 531
leichter darstellen als die darauf folgende widerherstellung des könig-
tams. Gab jene die möglichkeit, leidenschaftlich bewegte volksscenen
auf die bühne zu bringen und gat beobachtetes in kräftiger darstellung
lebendig werden zu lassen, so muste diese bei den absiebten Mitter-
nachts za einer blossen lehrhaften abhandlnng werden, die auf die
dauer unmöglich zu fesseln im stände war. So komt es, dass in die-
sem drama zwar die ersten drei akte starke and wirkungsvolle scenen
aufweisen, die beiden lezten aber keinen bedeutenden eindruck hin-
terlassen.
Der erste akt führt zunächst zwei parallele Vorgänge aus dem
bäuerlichen und bürgerlichen leben vor. Zunächst treten zwei bauem
Gorydon und Menalkas auf und beklagen sich über die mühseligkeiten
ihres Standes und die schlechte nahrung, die ihnen zu teil wird, beson-
ders aber darüber, dass sie den geringen erwerb, den sie gern für ihre
familien verwendeten, als steuern zu geben gezwungen werden. In
ihren Zwiegesprächen werden sie durch das weib eines anderen bauem
unterbrochen, welches sie unter jammern und schreien anfleht, ihr zu
hilfe zu kommen; die bauem versehen sich mit stocken und folgen ihr.
Wir erfahren nachher, dass der mann des weibes durch den büttel aus-
gepfändet werden solte und dass dieser dem einen bauem, der dem
ausgepfändeten zu hilfe kommen wolte, mit dem schwort über den
arm gehauen und ihm eine wunde beigebracht hat Zwei bürger, Eras-
mus und ürbanus, beklagen sich im gespräch über die Steuerlasten,
welche ihnen der rat auferlegt; ein dritter bürger, namens Ernst komt
jammernd hinzugelaufen und erzählt, dass der stadtknecht in seiner
abwesenheit in sein haus eingedrungen sei und ihm das bett weggenom-
men habe. Sie sind noch im gespräch, als drei musketiere hinzukom-
men und den Ernst unter mishandlungen gefangen nehmen, weil er
Schmähungen gegen den stadtknecht und gegen den rat ausgestossen
habe. Nachdem uns auf diese weise die härte veranschaulicht ist,
mit der die regierenden bürgern und bauem gegenüber ihre rechte
ausüben, erscheint es erklärlich, dass es der aufti*etenden Anarchia leicht
gelingt, zuerst die bauem und. dann die büi^er zum aufstand zu rei-
zen. Schliesslich tritt dann noch ein ratsherr auf, der sein bedenken
über die harte behandlung der unteren stände ausspricht, einen auf-
stand voraussieht und sich deshalb entfemt, um seines lebens sicher
zu sein. — Im zweiten akt bricht nun die empörung wirklich los, und
zwar sind es jezt nicht allein die büiger imd bauem, die sich an ihr
beteiligen, sondem auch der adel erhebt sich gegen den könig. Am
anfiang des zweiten aktes erscheint vor dem könig ein adliger, der
34*
532 ELUNGIR
sich darüber beklagt, dass ein anderer beim könige in grosser gunst
stehender adliger ueine tochter mit gewalt geschändet, so dass die
Jungfrau sich aus Verzweiflung selbst den tod gegeben hat Er verlangt
die bestrafung des schuldigen; der könig aber, der seinen liebling nicht
preisgeben will, weist ihn mit harten werten ab. Als er dringender
wird, will ihn der könig fesseln und in das tieüste gefangnis werfen
lassen; da zieht der adlige eine pistole hervor und erschiesst sich vor
den äugen des königs. Die dabeistehenden äussern ihre bedenken;
Fama verbreitet die tat, unter den adligen entsteht eine gährung.
Sie beschliessen, einen abgesanten zum könig zu schicken und um
bestrafung des Schänders zu bitten. Unterdessen hat die empörung von
bauem und bürgern schon zu blutigen taten geführt; in höchst leben-
digen scenen wird uns gezeigt, wie der amtmann und schöffe von
den bauem, der bürgermeister und die büttel von den bürgern mis-
handelt und getötet werden. Aber schon bricht unter den empörem
Zwietracht aus; die beiden bauem, die uns im ersten akt b^egnet
sind, geraten mit einander in streit; der eine schlägt den andern, und
als dieser erklärt, er werde ihn verklagen, mft jener ihm höhnisch zu:
„Bey dem toten Hunde? Da hast du noch eine auf diesen Bakken.
Gehe hin und verklage mich!*', worauf der andere erwidert: „Lebte nur
der Amtmann noch. Es selten dich die 2 Maulschellen theuer genug
ankommen!^ Am anfange des dritten aktes komt nun auch die empö-
rung der ritterschaft zum ausdruck. Wir erfahren im ersten auf-
tritt durch einen königlichen lakaien, wie der könig das unheil, das
ihn betritt, selbst heraufbeschworen hat, indem er den an ihn abge-
santen adligen, welcher die bestrafung des schuldigen verlangte, anstatt
ihn anzuhören, in das gefangnis hatte werfen lassen. Wie die auf-
tretende Fama mitteilt, hat er ihn sodann auf der bastei erschiessen
lassen und die ärgsten drohungen gegen den adel dabei ausgestossen.
Der adel, darüber aufe höchste empört, rottet sich zusammen, belagert
und stürmt die residenz, haut den ehrenschänder zusammen, tötet die
gemahiin des königs samt ihren kindern und nimt den könig selbst
gefangen, um ihn vor ein gericht zu stellen. Unmittelbar darauf wird
dann auch der könig von einem bürger vor das gericht des adels
geführt und von dem bürger angeklagt Von dem versitzenden des
gerichtes und den einzelnen adligen beisitzern aufgefordert, sich zu
rechtfertigen, bestreitet der könig die kompetenz des gerichtshofes und
verweigert jede antwort auf die ihm vorgelegten fragen, indem er
erklärt, dass dem Untertanen nicht die macht zustehe, den könig zu
richten. Diese hartnäckigkeit erbittert die ritter; der könig muss sich
J. 8. MITTKRNAOHT 533
entfernen, das gericht beschliesst seinen tod; hierauf wird der könig
wider herbeigerufen und ihm das urteil angekündigt, gegen welches er
vergebens protestiert. Durch einen alten bürger erfahren wir darauf,
dass das urteil volstreckt worden ist. Er schildert uns die traurige
scene und knüpft seine betrachtungen daran ^. Nach dem tode des
königs bricht nun im lande algemeine rechtsunsicherheit aus. Schon
nach seiner gefangennähme treten die uns aus dem ersten akte bekan-
ten bürger Erasmus und ürbanus auf; zuerst geben sie gemeinsam
ihrer freude über die ermordung von bürgermeister und büttein ans-
druck, bald aber geraten sie um der Verteilung des geraubten gutes
willen in streit, und da der dichter uns schon im ersten akte
gezeigt hat, wie schnell Streitigkeiten zwischen den beiden zu täüich-
keiten führen (I, 2), so ist es leicht zu begreifen, dass der zank end-
lich in gewaltsamkeiten ausartet Urbanus ersticht den Erasmus mit
den werten: „So muss man den Schnarchern begegnen. Und ist mein
Glükk, dass wir keine Obrigkeit haben^. Weiter ersehen wir dann aus
einem gespräch zwischen einem gastwirt, einem kaufinann und einem
kaufinannsdiener, wie schlecht dem volke die empörung gegen die
Obrigkeit bekommen ist: jeder klagt über Ungerechtigkeiten und placko-
1) m, 6. Civis senex: Ach war das nicht ein jämmerlich Spectacul! Ach
dz Ichs doch nicht aogesehen hätte! Ich kan den König nimmermehr vergessen.
Wer hätte meinen sollen, daß einen so hohen und gewaltigen Potentaten ein so
schmählicher, ein so erbärmlicher Tod begegnen könte? Wie Elend war er an zu-
sehen, da er auß dem Bahthause herauß auff die Bühne gebracht wurde? Wie rung
er die Hände? Wie blikkte er nach dem Himmel, die Qötter vieUeicht um HülfPe
oder Bache anruffende? Aber da war keine Gnade weder bey den Göttern noch bey
den Menschen. Wie sähe er sich auff allen Seiten um, da er itzt niederkniehen und
den Kopf auff den Stock legen solte? Aber es wolte nichts helffen. Der Scharfrich-
ter hieb zu, daß der Kopf in die Höhe Sprung, und er mit dem Königlichen Blut
überall besprenget wurde. Dieser Fall soll uns sterbliche Menschen lehren, daß den
Göttern keiner so hochgesessen, oder so mächtig sey, den sie nicht stürtzen könten,
wenn er Tugend xmd Gerechtigkeit aus den Augen setzet Zwar der liebe König war
vor sich gut genug, aber die Hofschrantzen verführten ihn, weil er ihnen allzu viel
gehör gab, und sich durch sie regieren ließ. Man schwatzte ihm vor, wenn die
Unterthanen nur so viel hätten, daß sie das leben erhalten könten, so hätten sie
genug. Das übrige wäre des Königes. Darauft denn die Unter -thanen so außgemer-
gelt wurden, daß sie endlich in desperation gerahten. Zu erbannen ists, daß der
König so gar wenig darvon genossen, was den ünterthaoen unrechtmässiger weise
abgepresset worden. Denn theils die Hofschrantzen, theils die Beamten auf dem
Lande, theils die Bathsverwandten in den Städten wurden dadurch bereichert. Aber
Sie haben nun alle ihren Lohn bekommen, den sie verdienet Und wie wird es uns
armen Leuten gehen, weil niemand vorhanden, der Gericht und Gerechtigkeit admi-
nistriret?
A^. « -^ ji-A^ r - _ 1^ . • ■ 3-i.' »■- ••
534 XLUNGIB
reien, die er erdulden muss, und gegen die ihn niemand in schntz
nimt Das gleiche ergibt sich aus den klagen eines entehrten banem-
mädchens, deren eitern bei dem yersuch, sie vor der schände bewah-
ren, ums leben gekommen sind, und die nun hingeht, um sich selbst
den tod zu geben. Daher bricht denn die auftretende Salus publica
in bittere klagen über die herschende rechüosigkeit aus; ihre bitte an
Jupiter um hilfe wird erhört, dieser verspricht ihr, die Politica zu
schicken, die das reich wider aufrichten solle. Die Politica erscheint
dann auch, mit kröne und scepter versehen, und verspricht der Salus
publica, die Ordnung im lande wider herzustellen.
Die beiden lezten akte schildern nun diese neuordnung des regi-
mentes; eine ausnähme bildet nur die episode, die uns die Verzweif-
lung der einzigen hinterbliebenen tochter des hingerichteten königs vor-
führt, die vor kummer über den verlust ihrer freiheit sterbenskrank wird,
während ihre mit ihr gefangene hofmeisterin aus gram sich durch gift
tötet; einen eigentlichen zweck dieser scene im drama vermag man
freilich nicht einzusehen. (II, 6.) Abgeordnete des adels, der bürger
und der bauem treten zusammen und beraten, wie man dem elende
des landes am besten abhelfen könte: Politica steht ihnen in ihr^
beratungen bei, wägt die verschiedenen Verfassungen ihrem werte
nach gegen einander ab und komt schliesslich zu dem ergebnis, dass
eine durch gute gesetze imd die mitwirkung er&hrener rate weise
beschränkte monarchie für das land die angemessenste r^ierungsform
sei. In einem gespräch zwischen einem priester des Jupiter und Mer-
cur er&hren wir dann, dass ein neuer, in jeder beziehung zu dem
amte geeigneter könig dem lande gegeben werden soll. Dann sezt
Politica mit den abgeordneten ihre Verhandlungen fort; der könig tritt
selbst auf und verspricht sich die beschränkungen, die eine ausartung
der königlichen macht verhüten sollen, gefallen zu lassen. Endlich
ermahnt dann noch Politica die Pietas, Justitia und Bldes, sich
des königs anzunehmen. Im fünften akt finden sich dann die tugen-
den bei dem könige ein, dieser sezt tüchtige rate und lässt sich von
ihnen in den wichtigsten regierungsgrundsätzen unterweisen. Die freude
des Volkes über die widererlangte Ordnung komt in einem gespräch
zwischen edelmann, bürger und bauer zum ausdruck.
Im algemeinen muss man sagen, dass im vergleich zu den drei
ersten akten die schlussakte dürftig und trocken sind. Es ist Mitter-
nacht nicht gelungen, die wideraufrichtung des reiches lebensvoll
darzustellen; von dem neuerwählten könig erhält man kein richtiges
bild, während der angeklagte und hingerichtete könig eine gut cha-
j. 8. larncBNACHT 535
rakterisierte gestalt ist, bei der dem dichter vielleicht Karl I. vorge-
schwebt hat An einzelnen hübschen zügen fehlt es zwar auch den
beiden lezten akten nicht, man vgl. z. b. die treuherzige naivetät, die
aas den werten des bauem am anfange des vierten aktes zu uns
spricht; das ganze indessen zeigt nicht aus dem leben gegriffenes und
gut beobachtetes, sondern bewegt sich in abstraktionen. Die gründe
dafür sind leicht zu finden. Wo es darauf ankam , rohe Vergewaltigun-
gen, empörungen des bedrückten volkes zu schildern, da konte Mitter-
nacht aus lebendiger anschauung schöpfen. Man vergegenwärtige sich
nur immer, wie schwer er selbst unter dem grauenhaften elend des
dreissigjährigen krieges hatte leiden müssen. Wie oft mag er scenen
selbst mit erlebt haben wie die, welche er in den ersten drei akten
der Politica dramatica und auch im unglückseligen Soldaten geschildert
hat Wie Grimmeishausen, so gab auch ihm das unmittelbare erleb-
nis die kraft zu so anschaulicher Schilderung. Während er hier also
aus dem vollen schöpfen konte, fehlte ihm bei den vergangen, die er
im vierten akt schilderte, die rechte anschauung, und er kam daher
über ein unsicheres tasten und suchen nicht heraus.
Indessen so sehr die drei ersten akte auch litterargeschichtlich
zu beachten sind und eine so hohe bedeutung ihnen in der entwick-
lung der dramatischen litteratur des siebzehnten Jahrhunderts auch zu-
komt, weit bedeutungsvoller ist das ganze stück, wenn man es vom
kulturgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet Man hat sich gewöhnt,
die zeit nach dem dreissigjährigen kriege bis zum anfange des sieb-
zehnten Jahrhunderts hin als die blütezeit des servilismus za bezeich-
nen; aber man hat bei dieser abschätzung, wie mir scheint, zu viel
wert auf einzelne, allerdings ungeheuerliche, äusserungen dieser art
gelegt Die sitliche und geistige Verwilderung, welche der entsetzliche
krieg mit sich bringen muste, legt ja allerdings die meinung nahe,
dass das übrig gebliebene gebrochene geschlecht nan zu nichts weiter
als zu hündischer Unterwürfigkeit fähig gewesen wäre. Allein man
übersieht dabei, welche summe von unverwüstlicher kraft doch damals
im deutschen volke gelebt haben und im wesentlichen unversehrt aus
dem kriege hervorgegangen sein muss. Nur so lässt sich die Wirksam-
keit etwa des grossen kurfürsten erklären; nur so die gewaltige kraft,
mit der die bösen folgen des dreissigjährigen krieges in verhältnis-
mässig kurzer zeit überwunden wurden, und hier haben wir auch
den erklärungsgrund für die verhältnismässig freie politische gesinnung
zu suchen, die das ganze stück atmet Zwar die frage, ob die bürger
einen offenbaren tyrannen umzubringen das recht haben, wird von
,i:v .- L^ -^ — ■*A%-* ^
536 SLLI2V0IR, J. 8. miRRNACHT
Mitternacht vorsichtig zurückgeschoben. Aber aus den vorgetragenen
erwägungen spricht, wenn wir den aus der zeit sich ergebenden mass-
Stab anlegen, so viel gesunder politischer sinn, so viel ruhe und mäs-
sigung in der ab wehr der übergriffe von oben und unten, dass man
sich der besonnenen und freidenkenden persönlichkeit freuen moas und
durch sie ein ganz andres bild von den schulmeistern unmittelbar
nach dem dreissigjährigen kriege erhält, als es sich aus den landläu-
figen Vorstellungen ergibt
Die politischen nutzanwendungen sind widerum mehreren philo-
sophen in den mund gelegt; in diesem stück aber hält der betreffende
Philosoph nicht wie in dem Unglückseligen Soldaten einen monolog,
sondern er wird im gespräch mit einem jungen prinzen vorgeführt,
dem er auf seine fragen antwortet und der aus den vorgeführten ereig-
nissen wie aus den erläuterungen der nacheinander auftretenden Philo-
sophen heilsame lehren schöpft und diese in seiner zukünftigen regen-
tentätigkeit zu befolgen verheisst Durch diese anläge erhält das ganze
stück noch mehr den Charakter eines fürstenspiegels, und die Widmung
an seinen landesherm zeigt, dass Mittemacht wol auch in dieser bezie-
hung eine praktische absieht verfolgte. — Einen praktischen zweck
hatte Mittemacht mit seiner komödie auch insofern im äuge, als es
ihm darauf ankam, mit ihr den untenicht zu unterstützen und gewisse
hauptsätze der politik besser einzuprägen, ähnlich wie etwa Isaak Gil-
husius im 16. Jahrhundert mit seiner Orammatica den grammatischen
Unterricht zu fördern gedachte. Ja Mittemacht beklagt es in der vor-
rede, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, alle lehrsätze des Prä-
torius in das stück hineinzupacken und es dergestalt zu einem vol-
ständigen compendium der politik zu machen. Das werk, auf das er
sich bezieht, ist doch wol das buch von Martin Praetorius, opusculum
de administrando principatu, cum praeceptis politicls. Strassburg. 1594;
es ist mir leider nicht zugänglich gewesen. Beziehungen Mitternachts
zu den gleichzeitigen politischen theorieen (etwa zu Hobbes, an den
manches in der konstruktion des Verhältnisses von fürst und volk erin-
nert) sind wol nicht anzunehmen ; die vorhandenen Übereinstimmungen
scheinen zufalliger natur zu sein.
Eine nachwirkung auf die dramatische litteratur war den beiden
dramen, wenn wir von den späteren schulkomödien in Gera absehen,
nicht beschieden. Dennoch hätten sie eine solche viel eher verdient
als manches elende stück, das auf der bühne der fahrenden fortlebte.
Denn die verhältnismässig einfache und schlichte spräche, die sich im
wesentlichen frei von hochtrabenden werten und schwulst halt, die
BNQLBRT, HANDSCHBIFTEN IN ZWOBRÜCKEN 537
unverkenbare kraft, mit der Situationen herausgearbeitet und persön-
lichkeiten gezeichnet worden sind, sichern den beiden stücken inner-
halb der dramatischen poesie des siebzehnten Jahrhunderts einen her-
vorragenden platz zu.
BERLIN. e. ELLINOER.
MITTEILUNGEN ÜBEK HANDSCHEIFTEN DER ZWEI-
BRÜCKENBR GYMNASIALBIBLIOTHEK.
Die älteren werke der Zweibrückener gymnasialbibliothek stammen
zum grösten teil aus der von herzog Wolfgangs jüngstem söhne Karl
(gest 1600) gegründeten Birkenfelder bibliothek, die um die mitte des
lezten Jahrhunderts nach Zweibrücken verbracht wurde; zum teil auch
aus Überresten der alten herzoglichen bibliothek zu Zweibrücken, deren
gründer Wolfgangs Zweitältester söhn Johann I. gewesen war, sowie
aus der bibliothek des ehemaligen herzoglichen gymnasiums. Leider
ist die alte herzogliche bibliothek zu Zweibrücken, die den vorhan-
denen berichten zufolge neben einer sehr grossen anzahl gedruckter
werke auch eine menge von handschriftlichen schätzen barg, durch
zweimaligen kriegsraub fast gänzlich abhanden gekommen. Während
des dreisdgjährigen krieges, in dem für Zweibrücken schreckensToUen
jähre 1635, wurde die bibliothek von den kaiserlichen geplündert Es
blieben damals nur c. 5000 bände übrig. Der Zweibrückener gelehrte
Q. Chr. Crollius, der in seiner schrift „De illustri olim bibliotheca
ducali Bipontina^, Bip. 1758, die Schicksale dieser bibliothek beschreibt,
hat (nach s. 29) noch selbst ein Verzeichnis eines grossen teiles der
damals übrig gebliebenen werke vor äugen gehabt und teilt daraus die
titel von 33 handschriften, fast ausschliesslich geschichtlichen Inhalts,
mit*. Dieses Verzeichnis scheint leider verloren gegangen zu sein.
Mit den französischen eroberungskriegon brach ein neues geschick über
die bibliothek herein. Im jähre 1677 wurde dieselbe bis auf einige
Überreste nach Frankreich fortgeführt*.
1) Darunter (s. 30 a. a. o.): ^Pfaltzgraf Friedrich des sieghaftigeo
leben, roimenweis geschrieben*^. Crollius widerholt hiebe! die von G. Chr.
Joannis in seiner vorrede zu ,,Dan. Parei Historia ßav.-Palat.^, Frf. 1717, s. 35,
ausgesprochene Vermutung, dass diese handschrift ein exemplar des von Michael
Bebe im verfassten gedichtes gewesen sei, worin dieser das leben des genanten pfalz-
grafen beschrieben hat.
2) Einer nachricht zufolge wui*de sie nach Metz verbracht. Nach einer ande-
ren mitteilung wäre sie dem orzbischof von Reims Charles Maurice Le Tellier, dem
•• • ^ !■ * *>
538 BiroLiBT
Oegenwärtig besizt die Zweibrückener gymnasialbibliothek an 5000
werke, von denen weitaas die meisten älteren datoms sind^. Daronter
befindet sich eine grosse anzahl von Seltenheiten aus den verschieden-
sten gebieten der litteratur. So z. b. besizt die bibliothek wertvolle
originalaosgaben von werken französischer schriftsteiler des 16. und
17. Jahrhunderts, eine grosse anzahl älterer theologischer Schriften,
wertvolle ausgaben deutscher gesangbücher des 16. Jahrhunderts und
andere seltene werke aus der deutschen litteratur des reformationszeit-
alters 2. Auch befinden sich in der bibliothek noch c. 50 handschrift-
liche werke, von denen ich nachstehend einige in das gebiet der deut-
schen dichtung einschlägige in kürze beschreiben will'.
1) Eat nr. 33. Lederband in 4^. „Pfisdzgrav Friedrichs des U,
Kurfiirstens Yermählung mit Dorothea, gebohmen Prinzessin von Dä-
nemark, König Christierns des 11 und Isabella, einer Schwester Kaiser
Karls Y, Tochter, vollzogen d. 27. Sept 1535 zu Heidelbeig, poetisch
beschrieben''. Dieser titel, auf dem ersten blatte, ist von späterer
band geschrieben. Ebenso der titel auf dem folgenden blatte: „Tent-
sche Beime von Pfaltzgrav Eridrichs Hochzeit 1535''. Das gedieht
selbst um&sst 246 blätter. Auf einer seite stehen durchschniüich
16 — 18 verszeilen. Reimpaare.
Anfang: König Salamon von Gott begabt
Das er die höchste Weissheit gehabt,
bruder des marqnis de Louvois, geschenkt worden. Vgl. Molitor, Zweibracken, borg
und Stadt, Zweibnicken 1879, s. 63 und CroUius, a. a. o. s. 33, anm. Grollius
bemerkt hier noch: Si iilins Catalogi ab Ant. Fabro [Faurej et Nie. Gementio [Cle-
ment] . . . doctissime conscripti ... et Parisiis a. 1603 fol. editi copia mihi foisset,
melius cognosoere licuisset fatom bibliothecae Bipontinae. Telleriana illostrissimi sai
possessoris Uberalitate legata est Abbatiae S. Genovefae, ea lege, ne nnquam disa-
pata ex huios carceribus emitteretar. — Ich habe ein in der k. hofbibliothek zu
Aschafifenborg befindliches exemplar des genanten kataloges genau durchgesehen nnd
dabei nichts gefunden, was auf die einyerleibung der Zweibrückener bibliothek in die
Bibhotheca Telleriana hindeuten könte.
1) £ai der bibl. der kl. b. Studienansi zu Zweibnicken, herausg. von Butters,
Zweibrücken 1871.
2) So die 2. und die 3. ausgäbe des „ Teuerdank *^, Fischarts nLa^tenstück*
(1572), „JesuitenhüÜein'' 1580, „Feldbau*" 1580, „Binenkorb'' 1581 (ausg. b nach
Goedekes bezeichnung), Scheits „Grobianus'^ 1551.
3) Über ein handschriftliches betgesangbuch von einem unbekanten liederdich-
ter des 16. Jahrhunderts und eine ältere geschriebene samlung geistlicher lieder habe
ich in dem voij&hrigen programm der kreisrealschule München „Beitrüge zur litte-
ratur des geistlichen liedes^ berichtet
HANDSCHBIRIN IN ZWHBEÖCKXN 639
Für andere Menschen hie auf Erdt
Hat in Sprüchbuchlin wolgemehrt, usw.
2) Eat nr. 3547. Lederband in folio. ^Dialogus oder Oesprech
zwayer Personen Nemlicb aines Büchsenmaisters mit ainem Fewrwerckher
von der waren kunst vnd rechtem gebrauch des Büchsen geschoss vnd
Fewrwerckhs. Inn zwen Theil getheilt . . . Durch Samuelen Zimmer-
mann vonn Augspurg ... 1574^. 166 gezählte blätter, 16 blätter regi-
8ter. Der eigentliche dialog ist in prosa verfasst und durch ein ge-
sprach in yersen eingeleitet, welches 4 blätter einnimt Das exemplar
gehörte ursprünglich dem bereits oben erwähnten pfalzgrafen Karl, wie
aus der eigenhändigen einzeichnung desselben auf dem titelblatt ^Carll
Pfaltzgrawe 1584*' hervorgeht Vgl. Goedeke, Grundr. 11, 276 (91. 1).
3) Eat nr. 47. Fergbd. in 8^ „Christliche Beütter Lieder gestelt
durch Herrn Philipsen den Jungem Freiherrn zw Winnenberg vnd
Beihelstein. Nicht spot mit Gott mein Sprichwort ist Wolt Gott solchs
thet ein jder Christ Der reVter YVels VnD gVt gesang FVr Gott
haben ein anDem kLang^. Auf das titelblatt folgt ein leeres blatt,
dann 3 blätter vorrede, dann ein leeres blatt, hierauf 46 ungezählte
blätter (einige darunter unbeschrieben) mit den reuterliedem. Damach
1 leeres blatt, 12 blätter „Zeugnus, usw.**, 4 blätter mit einem liede:
„Der vollen bruderschafft zw Ehrenn**. Den liedem sind melodieen
voigesezt Auf dem vorderen deckel des einbandes ist in gold ein-
gepresst: PDJFHZWVB [- PhiHp d. J. freih. z. Winnenb. u. Beih.].
1581. Auf dem hinteren deckel stehen in den ecken die 4 buchstaben:
NS I MG [« „Nicht spot mit Gott" — wahlspmch des verfiissers].
Auf der inneren seite des vorderen deckeis ist ein holzschnitt
aufgeklebt, das Winnenbergsche wappen darstellend ^
Vielleicht rührt das manuscript von der band des dichters selbst
her. Leider ist das vorsetzblatt, das eine diesbezügliche notiz enthal-
ten mochte, herausgerissen.
1) Dasselbe befiodet sich auch auf der fahne des geharnischten xitters, welcher
das titelblatt der 1582 zu. Strassborg erschienenen gedrackten ausgäbe (s. unten) ziert.
Der dichter war pfUz. rat und burggraf zu Alzey. Nach L. A. Qebhardi Geneal.
gesch. der erbl. reichsstfinde in TeutschL, I (Halle 1776), 684 war sein vater im jähre
1571 reichshofratspräsident. Seine mutter, Ursula, war eine geb. grifin yon Ritbeig.
Eine tochter unseres dichters heiratete 1586 den grafen Henrich von Ortenburg.
Wenn das geschlecht im jähre 1636 ausstarb, wie Gebhard angibt, so ist dessen
Vermutung, dass der dichter der lezte des Stammes war, unrichtig, da derselbe 1619
schon verstorben war. Im jahie 1613 lebte er noch; in diesem jähre unterschrieb
er den reichstagsabschied. 8. anm. a. a. o. Vgl. Goedeke, Elf bücher deutscher dich-
tung I, 225 und Grundriss II, 518 fg.
540 BYGUEBT
Der umstand, dass sich auf dem deckel die Jahreszahl 1581 befin-
det, während das eteostichon in das jähr 1582 verweist, erklärt sich viel-
leicht in der weise, dass die handschrift 1581 fertig gestelt wurde,
das eteostichon aber auf das jähr berechnet war, in welchem der druck
erscheinen solte. Für diesen mag die handschrift als vorläge gedient
haben.
Die erste gedruckte ausgäbe ist die im jähre 1582 bei Jobin in
Strassburg erschienene, welche Wackemagel in seinem „Deutschen kir-
chenlied'' I, 522 nach einem in Wolfenbüttel befindlichen exemplar
genau beschrieben hat^ Die reihenfolge der stücke ist hier dieselbe
wie in der handschrift, nur mit der ausnähme, dass das in dieser
am ende stehende lied „Der vollen bruderschaSt zw Ehrenn^ in der
gedruckten ausgäbe sich an die „Reuter Lieder^ anreiht In dieser
ausgäbe ist auch ein register hinzugekommen. Der text des druckes
weicht, von der Orthographie abgesehen, nur wenig von dem der hand-
schrift ab. Die Verschiedenheiten beschränken sich auf kleinere Vari-
anten.
Die Zweibrückener bibliothek besizt auch ein exemplar dieses
druckes, welches nach dem auf dem titelblatte befindlichen handschrift-
lichen monogramm PWB [«= Philip Winnenberg Beihelsteyn] ursprüng-
lich dem dichter selbst gehörte*.
4) Eat. nr. 36. Pergbd. in breitem quartformat Titelblatt:
„Historische Reimen vonn dem Yngereimbtem Reichstage Anno 1613.
Durch einen kurtzweiligen liebhaber der Warheit ans licht gebradit
desselben Jars, inn der Weinlese, nach der Stroemdte".
Das gedieht umfasst 108 gezählte blätter; meist stehen 12 vers-
zeilen auf einer seite. Es schildert in satirischer weise den verlauf
des reichstages, welchen kaiser Matthias auf kardinal Elesls treiben im
jähre 1613 nach Regensburg berief, um einen ausgleich zwischen den
1) Die angäbe in Goedekes Grondr. II, 519, nr. 2, ist ungenau. — Die Jah-
reszahl 1580 der daselbst an zweiter stelle angeführten ausgäbe ist wol unrichtig.
2) In der Zweibrückener bibliothek befindet sich auch ein exemplar der von
Philip d. J. 1588 veröffentlichten psabnen. (Vgl. Wackemagel, a. a. o. 547 undGoe-
deke, Grundr. 11, 519.) Auf der inneren seite des vorderen deckeis ist eine holz-
schnittabbildung des Winnenbergschen Wappens, auf der des hinteren deckeis eine
abbildung des Beihebteinschen Wappens eingeklebt Auf dem ersten holzschnitt steht:
„Nicht spot mit Gott*^, auf dem zweiton: „Gott allein die Ehre*^. Vgl. das namenlied
auf den dichter, Wackemagel a. a. o. Y, 38 (nr. 46), wo sich diese beiden symbola
aus den anfangsworten der lezten strophe ergeben. — Das Zweibrückener exemplar
gehörte dem oben erwähnten pfalzgrafen Karl. Derselbe hat eigenhändig seinen
namen, seine symbola und die Jahreszahl 1589 in das buch eingetragen.
HANDSGHHIFTSN IN ZWBIBRÜCKEN 541
katholiken und Protestanten zu erzielen, der jedoch an der unversöhn-
lichkeit der religionsparteien scheiterte. Der unbekante Verfasser der
Satire, welcher nach einer darin enthaltenen andeutung der katholischen
konfession angehörte, steht auf dem Standpunkte absoluter Unparteilich-
keit Sein spott und sein unwille richtet sich in gleichem masse gegen
die unnachgiebigkeit seiner glaubensgenossen wie gegen die der ande-
ren Parteien. Was den dichter zur satire herausfordert, ist die tiefste
entrüstung über die starköpfigkeit der geistlichen und weltlichen grossen
und das aufrichtige bedauern mit dem loose des volkes, das in ahnungs-
vollem bangen dem grenzenlosen elende entgegensieht, welches der
hader der parteien über Deutschland heraufbeschwören wird.
Die spräche des dichters ist nicht frei von härte und unbehol-
fenheiten. Immerhin ist ein entschiedenes satirisches talent in dem
gedichte zu erkennen, das für den litterarhistoriker sowol wie für den
kulturhistoriker sehr beachtenswert ist
Nachfolgend teile ich eine sehr gelungene stelle als probe der
darstellungsweise des dichters mit
Der Eeiser^ solte reissen vnnd hat kein heller gelt,
Welches ein grosses Greutz in dieser argen weit
Man hilt geheimen rhat, wie man solt gelt bekommen,
Ynnderschiedtliche weg wurden da vorgenommen.
Einer schlug vor, man solt die gemähldt all verkauffen*.
Weil sie da ohne das legen vber einem hauffen,
Es könne diese wahr keinem menschen nicht nutzen,
Oder man solt damit die Gottes heusser putzen;
Ynnd wass sie kosten möchten, solt man dargegen nehmen
Auss den kirchen gefellen, dass wer nit vnbequemen.
Fändt man aber drunder etlich weltlich Sachen,
So solts diess nötig werck drumb nit stutzig machen;
Dann man hett in Gott lob des weihewassers gnug.
Mit dem könnt man abwaschen allen diesen vnfug.
Hernach muss man mit vleiss vf die weltliche Sachen
Ein Gatholisch aussieg darüber zierlich machen.
Nemlich wann man solt finden die geschieht von- der Biblis^,
1) Matthias.
2) Es handelt sich am gemälde aas der von kaiser Radolf n. im Hradschin
za Pi-ag angelegten kanstsamlang. Yoraas geht:
Zu Prag inns Kaisers schätz, fannde mann inn der erdt
Sehr konstereioh gemähldt, die seindt viel tausent werdt, asw.
3) Biblis (Byblis), tochter des Miietos and der Eidothea, war von heftiger
h^ •• mAmf\ - "- '•'•LL-3 •«
542
So schreibe man drander, es sei Cathrin von Senis.
Findt man auch Jouis Schwanschneblein mit seiner Leda,
Macht man dranss die andacht Ton St Eliesabetha.
Findt man den Blumentopff, so Geyn^ hat gemacht,
So kann kein besser schein darüber werden erdacht,
Alss das er komme her auss Dorothee garten.
Des Halligen St Frantzen sein höllische wallfarth,
Wie er vmb ein seel sich mit 3 teufein geschmissen,
Die hat der Goltzius' sehr künstlich abgerissen,
Da er ein Satyram mit der feder abgemahlet
Die schieff, darf&r Yroom' viel tausent hat gezalet,
Drunder schreib mann, es sei die gross blutige sddacht.
Welche St Michael mit dem Teufel yolbracht
Des Brogels^ Fassnacht grillen, dess Yulcani gedieht^,
Kann auff die Hochzeit zu Gana werden gericht
Da der vmb Ganimedes, der Joyem hett entzündt,
(Wie .mann von Bäbsten auch, solch ding geschrieben findt) ^,
Drumb ihn sein vogel muss aufheben von der Erden,
Loiolae himmelfarth kann drauf gedeutet werden.
Findt man wie Juppiter inn seinem gülden regen
Yon oben kombt vnnd sich zu Danae thut legen,
Mann schreib drunder, es sei, wie an dem beig Syna
Auff die Söhne Jacobs Gott regnen liess Manna.
Wenn Venus vnnd Atonis Tff heimlich discurriren.
So kann man diess gespräch gar geistlich figuriren
Auff vnsem St Albanum, von dem geschrieben steth,
Dass er an vnser frauwen brüsten gesogen hett,
Vndt dass er mit derselben nicht anders sei vmbgangen
liebe zu ihrem bruder Eaunos entbianot und starb, da sie dieser verBchmähte. Ana
ihren tränen entstand ein qnelL Ovid, Met 9, 446 fgg.
1) Gheyn. Es gibt mehrere niederländische künstler dieses namena. Der
hier genante ist wahrscheinlich Jakob Jansz de G. (gest 1582) oder sein söhn, Jakob
de G. Vgl Nagler, ktlnstlerlexikon.
2) Wol Hendrik Goltz ins, der berühmteste von den künstlern dieses namens
(gest. 1616).
3) Yroom Hendrik Comelissen, geb. zu Haarlem 1566, gest daselbst 1640,
malte viele marinebilder. Auch zwei söhne von ihm waren maier.
4) Brneghel, Pieter — der ältere? oder der jüngere?
5) Apposition? Oder solte ein bild des von Nagler erwähnten zeichnen und
knpferstechers H. Ynlcanns gemeint sein, dessen lebensverhältnisse Nagler nicht
bekant sind? (N. vermutet, dass er dem 17. Jahrhundert angehörte.)
6) Am rande steht: Panlna 3. Julius 3.
HANDSCHRimN IN ZWDBRÜCKKN 543
Alss wie ein Breutgam sein braut pflegt zu vmbfaugen.
Da Pyramis vnnd Thysbe sich selber thun erworgen,
Das kann man füglich deuten yf den Ritter St Oörgen;
Pyramis sei St Görg, Thysbe sei königs kindt,
Der drach sei die löwin, welche den Schleyer findt,
Ynnd auss St Oörgen lantz mach man Pyramis schwerdt,
Der bäum, darbeys gescbach, das sey St Oörgen Pferdt
Findet man aber gar vnzüchtige geberdten,
Darauf kein geistlich geschieht könnt abgebildet werden,
Die muss ein reicher Abt oder BischofT bezalen,
Ynnd schlag sie bei sein bett, so darf ers nit mahlen;
Wann er etwa Yor lieb nit schlaffen kann die nacht,
So kann er drauss schöpffen manch geistliche andacht
Noch sei der epilog des gedichtes hier mitgeteilt, der in einer
von herbem Unwillen beseelten apostrophe an die geistlichen und welt-
lichen herm und in einem yerzweiflungsvollen hülferuf zu Gott den
bangen gefühlen des Yolkes in jener gewitterschwülen zeit ergreifenden
ausdruck gibt
Ihr Herren alzumal, wie ihr euch möget nennen,
Gatholisch, Evangelisch, ihr müst es wol bekennen.
Ihr habet harte köpf, keiner will gerne weichen;
Wie könt ihr dann zu häuf kommen vnd euch vergleichen?
Ein theil soll von dem andern nichts vnbillichs begeren.
So soll ein theil dem andern wass recht ist auch nit wehren.
Befleisst euch ja dess Medens, fanget kein krig nit ahn,
Sonnsten muss es entgelten der arme Pauwers Mann,
Welcher vnschuldig ist, weiss nichts von euerm Zanck,
Den wolt ihr so mutwillig legen vf die schlachtbanck.
Woher nembt ihr das gelt zufüllen euere Taschen,
Wann Dörfer, Stett vnd Schlösser da liegen in der aschen?
Ihr Herm weltliche, wie man euch also nennet.
Bleibt doch bei euerer Jagt, weil ihr die weit selbst kennet
Wolt ihr ja führen krieg, so lasts beim alten pMben,
Last eure Secretarios vnnütze Briefe schreiben,
Zanckt euch ein weil mit werten, dörfl; ihr euch doch nit schlagen,
Es muss einer den andern inn etwas vbertragen.
Greift ia nit zum schwerdt, dan das ist auss dem schertz,
Dass verderbt nur landt vnd bringt euch auch in schmertz.
Ihr Herren geistliche, wolt ihr es recht besehen,
So würdt nur vber euch der krieg allein aussgehen;
544
Ihr wist wol, das ihr nur ad yitam Fürsten seit,
Das auch viel euers todts warten mit schwerem leidt,
Weil ihr zu lange lebt: drumb dan eure Bastarten
Von eurigem erbgut nichts haben zugewarten.
Herr Oott, behüt für krieg, wendt vns ab vnser schmertzen,
Tröste doch mit gnaden alle betrübte hertzen,
Stercke mit deiner krafft, welche für angst verschmachten,
Lass die zuschanden werden, die nach ihrem vnglück trachte),
Erhalte deine kirch ynd zerstreuw ihre feinde,
Vermehre vns den glauben vnd sterck deine gemeinde,
So werden dan die frommen hoch loben deinen nahmen,
Diess wünsch ich von hertzen, drumb Sprech ich iröhlich Amen.
Dominus misereatur nostrj
Et
Sustentet Egenos.
MÜNCHEN. ANTON ENGLEST.
LIED, GENANT: DAS MENSCHLICHE LEBEN EIN
TRiUM.
unter diesem titel befindet sich in meinen reichhaltigen hand-
schriftlichen liedersamlungen, wie mich eine kürzlich vorgenommene
durchsieht lehrte, u. a. ein aus einem gedruckten fliegenden blatte
stammendes gedieht, das die zehn altersstufen des menschen in
engem anschluss an den spruch, über welchen in dieser Zeitschrift
widerholte erörterungen gepflogen wurden (XXTTT, 385. XXIY, 161
fg.), behandelt Da es in weiteren kreisen schwerlich bekant und zu-
dem nicht ohne eine gewisse poetische gewantheit verfasst ist, so dürfte
es sich für einen Widerabdruck wol empfehlen.
unterhalb des titeis steht die angäbe: „Iglau, 1864. Johann
Kipp". Der Verfasser ist ungenant In HoSmanns v. Fallersleben
„Unsere volkstümlichen lieder^ (3. aufl. 1869) ist das lied nicht ver-
zeichnet Erwägt man einerseits, dass die ausfährung der dem spruche
von den altersstufen zu gründe liegenden gedanken nicht nur lebens-
voll, sondern im ganzen auch formell ziemlich gelungen ist, dass aber
andrerseits die Strophenbildung und beschaffenheit der reime — man
vergleiche die assonanzen Jüngling — Dümmling, Mitte — Blicke,
Greis — Lebenszeit — einen berufismässig geschulten dichter nicht
erkennen lässt, so wird man kaum irre gehen, wenn man annimt, dass
UED VOM MXN8CBLICH1EN I.BBSN 545
der Verfasser den halbgebildeten volkskreisen angehöre. Ob die auf
dem titelblatte stehende jahrszahl 1864 das jähr der entstehung, bezie-
hungsweise ersten Veröffentlichung, oder aber, was wahrscheinlicher,
des blossen neudruckes einer älteren dichtung bezeichnet, muss dahin -
gestelt bleiben. Die in Strophe 4, vers 4 — 5, vieUeicht auch nur
scheinbar, enthaltene corruptel habe ich dadurch einigermassen zu ord-
nen gesucht, dass ich vor „sich nützlich** und nach „Geschäften" ein
komma sezte. Strophe 10, vers 5 dürfte als optativischer ausraf zu
fassen sein.
Wird euch das. Lied denn auch gefallen.
Von zehn! bis hundert angeführt?
Es wird hier in den zehen Zahlen
Das Menschenalter explizirt.
Was ist der Mensch? —
Ein Meisterstück aus Schöpfers Händen,
An Körper schwach, an Weisheit blind.
Trotz seiner Gaben und Talenten
Ist er noch bis zehn Jahr ein Eind.
Und dann mit zwanzig -
Ist er ein lebensfroher Jüngling,
Der alles wißen, können will;
Da kommt die Lieb, macht ihn zum Dümmling,
Verdirbt sein ganzes Lebens -Ziel.
Und dann mit dreissig —
Ist er ein Mann in vollen Kräften
Und die Vernunft tritt wahrhaft ein,
WeU er, sich nützlich in Geschäften,
Kann einstens sich des Lebens freun.
Und dann mit vierzig —
Das ist die schönste Lebensstufe,
Sie schaukelt Sprossen in der Schooß,
Und ist er glücklich im Berufe,
So ist beneidenswerth sein Loos.
Und dann mit fünfeig —
Umrungen im Familien -Kreise,
Wo er als Vater sich entzückt,
1) Sämtliche in dem gedieht vorkommende zahlen sind in dem originale dorch
Ziffern bezeichnet Sonst habe ich an der Schreibweise nichts geändert, nur di^ inter-
punktion geordnet
ZEITSCHRIFT F. DKÜTSCHI PHILOLOGIE. BD. XXV. 35
*^m •• — j»»«.rr. •..•-■ ■ -* '„v ^
646
Steht er Dun still an seiner Reise
Und lebt zufrieden und beglückt
Und dann mit sechzig —
Da sieht man schon am Angesichte,
DaB sich nun fängt das Alter an,
Erwartet er die süßen Früchte,
Wenn er einst Outee hat gethan.
Und dann mit siebzig —
Sitzt er in seiner Lieben Mitte
Und freut sich immer noch als Greis
Und wirft empfindungsvolle Blicke
Zurück auf seine Lebenszeit
Und dann mit achtzig —
Da geht die Weisheit schon zu Grunde,
Er bittet täglich Gott den Herrn
Um eine süße Abschiedsstunde,
Und lebt doch inmier herzlich gem.
Und dann mit neunzig —
Da wird er, was er einst gewesen,
Ein Kind, doch andern nur zum Spott;
Drum sind die Worte auserlesen:
Lebt' er noch hundert Jahr, bei Gott!
Und dann mit hundert —
Dieß Loos ist wenigen beschieden.
Drum, Menschen, strebt nach Tugend, Ruhm
Und wandelt froh im süßen Frieden
Hinüber ins Elisium.
WIEN. A. JEITTKLES.
LITTEEATUR
Deutsche altertamskunde. Von Kari MlUleiihoff. Dritter band. Berlin, Weid-
mannsche buchhandlang. 1892. XVI, 352 b. 10 m.
^Der in den vorarbeiten so gut wie ganz, in der ausarbeitnng nur zum teil
YoUendete dritte band soll aus der Stellung und dem sprachlichen veiMltnis der
ältesten, historisch bekanten Völker des mitleren Europas in dem striche von den
Pyrenaeen bis zum Kaukasus den beweis fuhren, dass die väter der Germanen nicht
später*^ ihren wohnsitz um Oder und Elbe „eingenommen haben können, als die urver-
Wanten stamme der Italiker und der Griechen ihre sitze in Italien und Griechenland,
und auf grund der nachrichten der Römer und Griechen darauf die ausbreitung und
Verzweigung der Germanen um den anfang unserer Zeitrechnung darlegen^ So schrieb
thnm MÜLLBNHOFF, DEUTSCHS ALTKRTÜMSKÜNDI. HI 547
Müllenhoff am 2. decbr. 1881. Tatsächlich enthfilt der vorliegende dritte band folgen-
des: 1) Über die Skythen, Sarmaten, Geten nnd Daken (s. 1 — 163); 2) einwandemng
der Arier und orbevölkernng Europas (s. 164—170); 3) eine unvollendete abbandlung
über dieUgurer (s. 171—193); 4) einige sprachliche bemerkungen (s. 104—204); dazu
5) anhänge (s. 205—332). Und dieser band, das fünfte buch, nent sich „der Ursprung
der Germanen^! In der tat, die enttlluschung konte nicht grosser sein! Zwar hatte
schon 1887 Roediger gesagt, dass Müllenhoff den dritten band „nur zu einem gerin-
gen teil* ausgearbeitet habe; doch vertröstete er uns auf „beträchtliche ungedruckte
samlungen und entwürfe* und die Vorlesungen über Tacitus Germania und meinte,
dass „wir selbst hier nicht ungünstig gestelt'' seien, „wo es sich um den schwierig-
sten der noch fehlenden bände handelt*. Im vorwort zum dritten bände berichtet
nun Roediger, dass der kommentar der Germania ungeteilt im vierten bände vor-
gelegt werden soUe. Und das ist allerdings nur zu billigen, da Müllenhoff über das
besonders wichtige kapitel der ausbreitung und Verzweigung ddr Germanen gar nichts
hinterlassen hat Die aufgäbe der herausgeber, Roediger und Puiower, war unter
diesen umständen nicht eben eine dankbare. Die 130 Seiten, welche dieser band an
ungedrucktem bringt (s. 1 — 90, 164 — 204), stammen in dieser fassung gröstentelLs
aus den jahi-en 1872 und 1873. 200 Seiten dieses bandes (s. 91 — 163 und 205 —
332) sind nur verbesserte abdrucke früherer abhandlungen aus den jähren 1851,
1856, 1857, 1862, 1866, 1869, 1870 und 1875. Ich kann mein befremden nicht
unterdrücken, dass diese sanüung einzelner abhandlungen uns unter dem titel einer
Deutschen altertumskunde geboten wird. Da es sich herausgestelt hat, dass lei-
der Müllenhoff sein grosses werk mehr im köpfe als auf dem papiere fertig gehabt
hat, so hätten, wenn sich keiner fand, der in seinem sinne den bau volständig
auszubauen gewagt hätte, die herausgeber vielleicht besser getan, solche fragmente
wie diese nicht unter dem titel von Müllenhofib Altertumskunde herauszugeben. Mül-
lenhoff selbst würde schwerlich einen derartigen schritt gebilligt haben. Alles, was
dieser band bringt, gehört ausnahmelos allein in eine samlung von MüUenhoffs
schriftei^zur deutschen altertumskunde. Es ist gewiss dankenswert, dass die älteren
abhandlungen, in verbesserter gestalt, zusammenhängend wider abgedruckt werden;
aber nicht an dieser stelle! Und sollen wir auf die in der „Altertumskunde*^ nicht
zum abdruck kommenden, anderen au&ätze verzichten? Oder sollen in einer ausgäbe
der kleineren Schriften die arbeiten fehlen, welche in der „Altertumskunde^ stehen,
oder sollen diese dann zum dritten mal gedruckt werden?
Eine besprechung des Inhaltes des vorliegenden buches kann sich naturgemäss nur
auf die 130 Seiten erstrecken, welche dasselbe an bisher ungedruckten abhandlungen
enthält. Es sind dies 1) mehrero aufsätze über die Skythen (s. 1—90); 2) ein auf-
satz über die einwandemng der Arier (s. 164 — 169); 3) ein solcher über die Urbevöl-
kerung Europas (Finnen s. 169—170, Iberer s. 171, Sikanen, Sarden, Corsen s. 172
— 173, ligurer s. 173 — 193); 4) unter der verlockenden Überschrift „der Ursprung
der Germanen* bemerkungen über die ältesten und wesentlichsten sprachlichen neae-
rungen, durch welche sich die germanische spräche von der indogermanischen abhebt
(s. 194 — 204). Wie diese Inhaltsangabe zeigt, betreten wir eigentlich nur mit dem
leztgenanten aufsätze den boden der germanischen philologie. Die anderen aufsätze
betreffen die germanische altertumskunde nur insofern, als sie mittelbar „den beweis
führen*, dass die Germanen sich im nordöstlichen Deutschland nicht später angesie-
delt haben als die ItaUker und Griechen in ihrer heimat Wir fragen: ist dieser beweis
gefuhrt?
35*
W ~_i _ _ ^^^ _
548
Ich möchte zuvor die frage aufwerfen: ist es überhaupt möglich, einen sol-
chen beweis zu führen? Oewiss dürfen Müllenhoffs werte nicht gar so genau
genommen werden, als ob die Germanen völlig gleichzeitig mit den Griechen und
ItaUkem ihre späteren sitze eingenommen hätten. £& liegt ja anf der band, dass es
sich nur um eine ganz ungefähre gleichzeitigkeit handeln kann, bei der es auf ein
paar Jahrhunderte nicht ankomt Ist es aber möglich nachweisen zu können, ob die
Germanen auch nur vor dem jähre 1000 v. Chr. bereits die gebiete an der Oder and
Elbe eingenommen haben? Ich mnss diese frage verneinen. Keinerlei geschichtliche
Zeugnisse lassen eine beantwortung auch nur insofern zu, als sich etwa dartun liesse,
dass seit 1000 v. Chr. andere Völker diejenigen gebiete bewohnt hätten, welche die Ger-
manen notwendigerweise durchzogen haben müsten, um nach Deutschland zu gelangen
Als einen versuch nach dieser richtung hin müssen wir im rahmen seiner „Alter-
tumskunde*^ offenbar Müllenhoffs auseinandorsetzungen über die Skythen betrachten.
Dass dieser versuch resultatlos sein muste, zeigen Müllenhoffs eigene werte (s. 9):
„Das innere des heutigen Russland, das ganze gebiet des obem Dnjeprs, die quellen
des Dons wie der Wolga waren den gewährsmännem Heixxlots unbekant*^. Und He-
rodot danken wir unsere ältesten nachrichten über die länder nördlich des Pontos.
Es steht uns also kein mittel zu geböte, um die frage zu beantworten, ob zu Hero-
dots zeit Gennanen etwa in Polen oder am Waldai-gebirge gesessen haben. Doch
vielleicht hat Müllenhoff es für ausgeschlossen gehalten, dass die Germanen durch
das mitlere Bussland gezogen seien. Vielleicht hat er allein den weg durch das
Skythenland für möglich gehalten. Selbst dann würden wir nicht mehr sagen kön-
nen, als dass die Germanen um 500 v. Chr. schon an der Weichsel gewohnt haben.
Für die erste hälfte des ersten jahitausends v. Chr. aber wäre damit gar nichts aus-
gesagt Müllenhoff fragt (s. 29), „ob unser weitteil bereits vor der einwanderung der
Skythen über den Don seine spätere geschichtliche bevölkerung hatte, oder ob sie
durch die Skythen oder vielleicht noch spätere zuzüge erst ihren abschluss erhalten
hat*^. Er durchmustert daher einmal „auf der von Herodot gegebenen grundlage die
übrigen alten diathesen des östlichen Europas*^, um „die tatsaohe festzustellen, dass
nach der skythischen in alter zeit nur noch eine grosse Invasion über den Don stat-
gefunden hat''. Sodann — dieser teil ist aus den Monatsberichten der Berliner aka-
demie von 1866 abgediniokt — sucht er „aus den übeiTOsten ihrer spräche die ethno-
logische Stellung der Skythen und Sarmaten zu bestimmen'^ und komt zu dem ergebnis,
dass diese keine Slawen, vielmehr Asiaten gewesen seien, und sieht hierin den
beweis dafür, „dass schon vor der oin Wanderung jener die bevölkerung des Weltteils
abgeschlossen war*^. „Der wert dieses ergebnisses'*, sagt Müllenhoff (s. 31), „für die
gesohichte der bevölkerung unseres Weltteils, insbesondere auch für die entscheidung
der frage wegen der herkunft der Germanen wird sich dann schon später herausstel-
len'*. Leider bringt er hierüber nichts. Ich wüste auch nicht, was aus diesem
ergebnis, welches bereits lange gemeingut der Wissenschaft ist, weiter gefolgert wer-
den könte, als dass um 500 v. Chr. die Germanen bereits an der Weichsel gesessen
haben. Ein früheres datum würde nur dann zu gewinnen sein, wenn sich die zeit
der skythischen einwanderung bestimmen liesse. Herodot und Ephoi'us glaubten,
dass die Skythen um 634 die Kimmerier aus dem lande nördlich des Pontus ver-
trieben hätten. Diese nachricht verwirft Müllenhoff mit recht und zeigt (s. 22 fg.),
dass die Skythen wenigstens schon im 8. Jahrhundert am Pontus gewohnt haben.
Weiter können wir nicht kommen. Wir können also auf grund der darlegungen
Müllenhoffs höchstens sagen, dass, gesezt die Germanen sind einmal nördlich des
ÜBKR MÜLLENHOFF, DBUT8CHR ALTERTUMSKUNDE. IH 549
Schwarzen meeres westwärts gezogen , sie diese sitze scbon spätestens im 8. jahrhan-
dort mit westlicheren vertaascht haben müssen. Der beweis aber, dass sie die Oder
and Elbe schon im zweiten jahrtansend v. Chr. erreicht haben, ist weder von Mtil-
lenhoff erbracht worden, noch lässt er sich überhaupt erbringen — es sei denn, dass
diese gebiete als ein teil der Urheimat der Indogermanen nachgewiesen würden.
Die frage nach der Urheimat der Indogermanen behandelt oder richtiger streift
Müllenhoff auf zwei und einer halben seite (s. 164 — 166). Ohne auf die auch von den
herausgebem nicht citierte neuere litteratur über diese frage näher einzugehen, nimt
er das „nordöstliche Iran, auf der Westseite von Hoohasien*^ als den sitz des urvolks
an und fragt, auf welchem wege die Indogermanen in Europa eindrangen. Er
entscheidet sich für die Strasse, „die südlich um das kaspische meer an dem niedern
östlichen Kaukasus vorbei führte'^. „Auf ihr sind sämtliche Arier in die neue hoimat
gezogen*^. MüllenhofiF fährt fort, über die „marschordnung'^ der Europäer berichtend:
„An der spitze des keilförmigen zuges beenden sich die ahnen der Kelten, hinter
ihnen folgten Schulter an Schulter die häufen der Urgermanen und Uritaliker, den
Italikem die ürhellenen, den Gormanen, die Eisten und Slawen*^. „Geteilt haben
müssen sie sich an den Karpaten*^. „Auf deren ostseite'^ „trenten sich'' „die Urger-
manen von den künftigen Italikem**, um „nordwärts um das gebirge herum^ zu zie-
hen und in dem „lande zwischen Oder und Elbe sich zu einem volk*^ auszubilden.
Wiewol man hiemach auf manches vorbereitet sein solte, wirkt die Schlussfolgerung
doch überraschend (s. 169): „Bestand aber vor der trennung der Westarier an den
Karpaten ^ die „periode der einheit dos volkes * und erfolgte die besiedelung Europas
in der geschilderten weise**, „so muss, wenn auch die urväter der Germanen, wie
nicht zu bezweifeln ist, an dieser periode teil haben, wenigstens irgend ein punkt
des grossen gebietes, den wir im anfang unserer künde von Germanen bewohnt sehen,
ebenso früh oder doch nicht wesentlich später eine arische bevölkerang erhalten
haben als etwa Griechenland und Italien*'. — Allerdings, wunderbar einfach! Der
beweis ist geliefert I Es hätte der Skythen gar nicht bedurft
Als einen exkurs darf man die folgende Untersuchung über die vorindogerma-
nische urbevölkemng Europas ansehen. Die Finnen durften nach der darstellung, die
sie im zweiten bände gefunden, auf einer seite abgetan werden. „Ihre ausbreitung
von dem Ural und der Wolga um die Waldaihöhe herum bis an die Ostsee nach
Scadinavien muss entweder gleichzeitig mit oder nach der einwanderang der Arier
in die südlicheren teile Europas erfolgt sein** (s. 170). Über die Sikanen und Bar-
den wird (s. 171 — 173) gesagt, dass sie keine Iberer, über die Corsen (s. 373), dass
sie Ligurer seien. Die ethnographische Stellung der ligurer solte dann eine grössere
abhandlung dartun. Leider hat sich im nachlass nur der anfang derselben vorgefun-
den (s. 173 — 193). Müllenhoff zeigt zunächst das geographische Verbreitungsgebiet
der Ligurer und sucht dann aus der spräche ihre ethnographische Stellung zu bestim-
men. Tiol zu km*z ist die frage abgetan , ob sie zu den Iberem in näherer beziehung
stehen. Es hätte wol einer „weiteren ausführung** bedurft, ehe man den satz unter-
1) Dieses wird begrfindet durch 1) das bewahren der idg. or^okale 0, E, A gegenüber mtari-
schem A, 2) „eine strengere nnterscheidong des L and R, ja überwiegend sogar eine neue bildong des L
ans dem B'*, S) „genauere begrifsbestimmimg alter wOrter wie z. b. die bedeatong der prüposition oAM
im skr. noch sehr onbestimt od ist, gr. afiqt^y lat-kelt. ambi, ahd. vmbi dagegen fest eingeschränkt
erscheint", 4) „die bildong neuer oder die bewahnmg alter, im osten nidit mehr bekanter woneln und
stftnune", „modificationen an wurzeln, wortstftmmen und soffixen", 6) „die schöpfang einer grossen
anzahl neaer Wörter, von denen einige zogleich auf deren coItarfortBchritt , wie den Übergang vom hirten-
leben som ackei^an deuten".
",. « —
550
schreiben kann: „an einen näheren zosammeDhang der ligoier mit den Iberern ist
auf keinen £a11 zu denken^. Müllenhoff fragt weiter, ,ob sie den Ariern verwant
waren '^, und findet neben wesentlichen abweichongen eine reihe von sprachlichen
übereinstimmangen mit dem italischen und keltischen. Der hauptteil, in welchem
bewiesen werden solte, dass die ligurer, wie die Baeter, zu der vorindogermanischen
bevölkerung Europas gehörten, fehlt
«Den eigentlichen inhalt der Urgeschichte emes Volkes bildet — das lehrt die
gesohichte der Griechen so gut wie die der Germanen — die ausbildung und Schei-
dung seiner stamme. Nirgend können wir diese phase in der entwicklung einer nation
beeser erkennen als bei unsem yorfahren**. ,|Yor der ausbildung und Scheidung der
Stämme gibt es im leben einer nation nur noch eine epoche: das ist die genesis der nation
selbst, ihre entstehtmg und bildung zu einem von ihrer Umgebung und ihren stam-
verwanten unterschiedenen, eigentümlichen, in sich gleichen ganzen. Zu bestimmen,
wann die genesis des ganzen germanischen volksstammes zum abschluss gekommen
ist, dafür besitzen wir zwar nicht das einzige, aber doch sicherste, untrü^chste und
volkommen ausreichende mittel in der spnK)he. Die spräche macht die nation. Sie
ist dasein und leben eines volkes, und ohne sie ist es tot. Die grossen perioden und
Wandlungen, die es bald rascher und gewaltsamer, bald langsamer und almfthlicher
durchmacht, prägen sich daher auch ihr ein, und so unvertilgbar, dass es die merk-
zeichen einer jeden und damit die seiner ganzen Vergangenheit in ihr allezeit gegen-
wärtig mit sich herumträgt Je grosser aber die Wandlungen, desto tiefer greifen sie
auch in die spräche ein, und die Wirkung seiner grösten epoche, des anfangs seines
eigentümlichen und selbständigen lebens, muss in ihr am deutlichsten sichtbar sem*.
Ich habe diese herlichen werte (s. Id4) unverkürzt widergeben wollen. Sie entrollen
ein yerluüssungsvoUeo prognunm. Der leser erwartet hienuch ein «wie&ches: ein-
mal auf grund sprachlicher Untersuchungen eine ungefähre Zeitbestimmung der ,gene-
sis der nation **; zum andern vor allem eine psychologische analyse der urgerma-
mschen Sprachgeschichte. Es bedarf wol nicht des hinweises, dass diese analyse,
welche Müllenhoff allein gibt, nicht auf 10 Seiten erschöpfk werden kann. Und doch
hätte MüUenhoflf, wäre es ihm beschieden gewesen sein werk zu vollenden, wol
kaum erheblich mehr und erheblich andres gegeben, als uns vorliegt. Nach dem
Ursprung unseres volksstammes fragend, bestimt Müllenhoff als den anfangspunkt
germanischen sonderlebens, „sprachlich ausgedrückf^, „die Verschiebung der stummen
konsonanten, die sogenante lautverschiebung*^. „Sie ist das erste und älteste merk-
mal der volzogenen abtiennung und das erste anzeichen einer besonderen entwicklung
der Germanen '^ (s. 196). „Trägheit oder erschlaffung der organe offenbart sich*^ in
der Verschiebung der idg. aspiraten und tenues. „Dagegen zeigt sich in dem Über-
gang der alten medien zu tenues augenscheinlich ein aufraffen zu neuer kraftan*
strengung*^. „Die regelmässigkeit, mit der*^ sich die ganze lautverschiebung volzieht,
offenbart eine „stätigkeit und ruhig ausdauernde kraft '^ (s. 197). „Dieselbe ansdauer
und energie muss die nation oder der stamm bewiesen haben, als er sich in die
rauhe natur seiner heimat einlebte^. „Das aufraffen zu neuer kraft lässt uns die
Sprachgeschichte auch weiterhin noch erkennen*^ (s. 198). Ebenso unzulänglich ist,
was Müllenhoff über das „euphonische*^ konsonantische auslaulgesetz beibringt, über
das vokalische, „wonach alle kurzen A und I im wortende oder in der lezten wort-
Silbe abfallen musten*', über das Yemersche gesetz und über den germ. acoent In
dem „ betonungsgesetz '^ und dem durch dieses bewirkten vokalischen auslautsgesetz
sieht Müllenhoff „das eigentlich unterscheidende moment zwischen dem alt- und
ÜBKB MÜLLKNHOFF, D1ÜT80BB ALTCRTUM8KUNDB. DI 551
wigermaDischen und dem neugermanischen. Hierdurch erst wird eioe neue epoche
der entwioklung herbeigeführt, der eintritt des rechten Germanentums, der abschluss
und die Vollendung des eigentümlichen wesens und Charakters unserer nation** (s. 200
fg.). Es ,, entspricht die durchgängige betonung der haupt- und stamsilbe ganz und
gar der wnoht und einseitigkeit des kriegerischen Charakters, mit dem die Germanen
in die geschichte eintreten*^ (s. 201). „Die verlüste namentlich in der coigugation . . .
zeugen, wenn nicht von einem mangel und einer abnähme an feinem sinlichen unter-
Scheidungsvermögen, so doch von einer trägheit, unlust und Iftssigkeit, feinere unter-
schiede festzuhalten, auf der andern seite die neue accentregel von einer gewissen
rohheit Aber durch die schliessliche gestaltung unserer flexion geht wie schon durch
die Lautverschiebung derselbe mächtige zug nach einfacher, klarer Ordnung, der zum
siege verhalf und wodurch der spräche neben dem starken auch nicht das zarte,
neben dem rauhen nicht das milde versagt blieb. Das zeigt sich auch in der her-
schaft, die die melodie des ablauts in ihr gewann, in dem gegenge wicht, das der
nebenaccent dem hochton gegenüber behauptete. Zugleich aber verrät sich hierin ein
tiefer musicalischer und rhythmischer sinn, der unserer nation von anfang an eigen
war'' (s. 203 fg.). Dies ist im wesentlichen Müllenhofb psychologisohe analyse.
Nichts von den einer solchen doch in erster reihe zugänglichen nicht -lautlichen neu-
bildungen, nichts über syntax, nichts über Stilistik! Was würde die kritik wol
sagen, wenn ein anderer forscher uns heute derartiges brächte? Es ist kein zweifei:
dieser aufgäbe ist MüUenhofif nicht gewachsen gewesen. Seine sache war es, das
deutsche altertum lebendig nachzuempfinden und vor unseren äugen wider erstehen
zu lassen, soweit es galt geschichtliche zusammenhänge äusserer wie geistiger art
aufzudecken. Tiefere blicke in das leben der spräche zu tun ist ihm versagt geblie-
ben. Und die aufgäbe, um welche es sich hier handelt, ist wol die allersohwierigste,
welche der historisch -vergleichenden Sprachwissenschaft harrt: sie ist (oder sie solte
seini) das endziel aller Sprachforschung.
Ich habe das, was das buch neues bietet, geglaubt an dieser stelle nur in-
soweit besprechen zu sollen, als es das gebiet der germanischen philologie betnft. Es
braucht bei einem werke Müllenhoffis nicht besonders hervorgehoben zu werden, dass
im übrigen die grosse gelehrsamkeit und die scharfsinnige kritik des Verfassers überall
eine fruchtbare ist Den hauptgewinn aus dem buche zieht, wie es bei dem ersten
bände der fall gewesen ist, die antike geographie, welcher dieser band eine kritik der
nachrichten über das östliche Europa von Hekataeus von Milet und Herodot an bis auf
Ptolemaeus und Ammianus Marcellinus bringt. Boediger hat diesem abschnitt (s. 1 —
90) die abhandlung MüllenhoffiB über Ptolemaeus und Marinus aus den Berliner monats-
berichten 1866 (s. 91 — 100) angefügt, dann diejenige über die spräche der pontischen
Skythen und Sannaten ebd. (s. 101 — 125), dann den artikel Geten aus Ersch und
Gruber (s. 125 — 163). Die anhänge bringen 1) „Griechische inschiiften aus Südruss-
land'^ aus Heimes bd. 3 und 4 (s. 205—211), 2) „Über die weitkarte und chorogra-
phie des kaisers Augustus*^ Kieler Universitätsprogramm 1856 (s. 212 — 295), 3) „Die
Völkertafel der Genesis*^ aus den Gott gel anz. 1851 (s. 295 — 298), 4) „Über die
römische Weltkarte*^ aus Hermes bd. 9 (s. 298 — 311), 5) „Über den anhang zu dem
provinzialverzeichnis von 297 '^, abhandlungen der Berliner akademie 1862 (s. 311 —
325), 6) „Die fränkische völkertafel '', ebd. (s. 325 — 332). Das meiste ist mit Ver-
besserungen Müllenhoffis abgedruckt Sehr dankenswert ist das von B. Wenzel ange-
fertigte register (s. 333—352).
* ■ ■*■ f«li «.
552 KAUFfMANR
Es liegt jezt voq Müllenhoffo lebonswork der erste, zweite, dritte und fonfte
band vor. Schon jezt können wir ntch einer richtung hin ein abschlieesendes urteil
über das ganze werk fällen, das schwerlich anders ausgefallen sein würde, wenn es
dem Verfasser vergönt gewesen wäre, dasselbe selbst za vollenden. Es galt eine
zwiefache arbeit zu tun: eine kritik unserer quellen war die erste und notwendigste
aufgäbe; die zweite war eine zusammenfassende darstellnng. MüUenhoff hat wesent-
lich nur die erste aufgäbe angegriffen, wie sehr es seinem herzen auch um die zweite
zu tun war, und wie sehr er auch geglaubt haben mag, in diesem sinne zu schrei-
ben und zu wirken. Er ist über jene elementarere tätigkeit, in der seine gelehisam-
keit und sein kritischer Scharfblick glänzend zu ihrem rechte konunen, im gründe
nicht hinausgekommen. Auch in der anläge des ganzen Werkes zeigt sich, wie wenig
MüUenhoff den einen gesichtspunkt dem andern unterzuordnen veimocht hat Der
erste band gibt ausschliesslich eine quellenkritik; er endigt mit Fytheas. Der zweite
band fängt von neuem an und gibt, wenn auch gröstenteils eine solche kritik im rah-
men grösserer, algemeiner gesichtspunkte, so doch zum teil auch wirklich zusam-
menfassendes (besonders über Aestier, Finnen und Slawen). Der dritte band sezt
wider ein, wo der erste aufgehört hat: auf Pytheas folgt Herodot Dann abermals
ein ganz neuer anfang in jenem andern sinne: die Indogennanen. Der vierte band
scheint wesentlich ein kommentar zu der Germania des Tacitus werden zu sollen.
Der fünfte band war als eine germanische mythologie gedacht — und ist doch nur
eine kritik der Edda und ihrer mythen.
MüUenhoff^ werk ist — und das tut seinem Verdienste keinen eintrag — eine
Vorarbeit Eine zusammenfassende germanische altertumskunde soll noch geschrie-
ben werden.
HALLS A. 8., DEN 3. JXTLI 1892. OTTO BBEMER.
Zur geschichte der altdeutschen verskunst Von Andreas Heiuder. [Ger-
manistische abhandlungen, herausgegeben von Karl Weinhold. 8. heft] Bres-
lau, Wilhelm Koebner. 1891. YIU und 161 s. 5,40 m.
Das buch ist flott und frisch geschrieben: besizt der autor doch in seltenem
masso die gäbe, sich von der gebundenheit unseres Wissens frei zu machen. Die
schwungvollen prolegomena zu einer neubegründung der metrischen principienlehre
(s. 38 fgg.) habe ich mit besonderem genusse gelesen. In der diction liegt hier ein
packender rhythmus, der den zweifelnden mitreisst Nur steht nach meinem geschmack
der abschnitt nicht an der richtigen stelle. Er stört an seinem orte den Zusammen-
hang des 3. und 4. kapitels imd wirft eine anzahl von begriffen in die diskussion,
die nicht gründlich genug für ihre Verwendung gerüstet erscheinen. Die stilistischen
Vorzüge und der Standpunkt des Verfassers (s. 58), dass in der Verslehre nur selten
beweise und Widerlegungen möglich seien, binden zuweilen dem recensenten die band.
Heusler spricht von kinder- imd ammenversen, kindersprüchen, kinder He-
de rn. Er veiigleicht s. 10 einen abzählspruch, dessen strophe er im anord. /bm^-
daUig widerfindet, mit gliedern des Ijöpahdttr. Nun ist es unter allen umständen
unzulässig, wie s. 9 geschieht, einzelne halbverse des Hildebrandsliedes und Mn-
spilli nicht bloss an dem masstab' einzelner strophenteile moderner reimveise, son-
dern gar an dem Ijöpahdttr zu messen, ohne bewiesen zu haben, dass auch jene
halbverse nicht stichisch, sondern strophisch zu verstehen sind. Möller hat ganz
richtig die konsequenz seines Systems gezogen, wenn er die ahd. bruchstücke in Stro-
phen auflöst Heusler hat in seiner anzeige des MöUersohen buches und jezt wider
ÜBER BEÜ8LER, ALTDEUTSCHE YERSKUNST 553
iD dem vorliegenden werke sich gegen strophische einteilong ausgesprochen, muss
sich nun aber selbst zu strophischen gebilden flüchten, um seine theorie zu illustrie-
ren. Das ist ein cardinalfehler, dass Heusler die taktmessung strophischer icten-
reihen auf die unstrophischen gedichte des alliterierenden Zeitalters übertragen
hat Es nüzt nichts s. 5 zu dekretieren: ,|der vers unserer hauspoesie ist die unmit-
telbare fortsetzung des altgermanischen verses'^ (vgl. bei Möller s. 171), wenn s. 2
gesagt ist, der einzelvers führe keine Sonderexistenz. Den kindervers kennen wir
nur als festgefügtes glied der strophe. Wenn er die fortsetzung des altgermanischen
Verses wäre, müste auch dieser als glied einer strophe überliefert sein. Da dies nach
Heuslers entscheidung nicht der üeJI ist, so kann die Identität des altgermanischen und
des kinderliedverses nicht aufrecht erhalten werden, und sie hätte [nicht behauptet
werden sollen. Wie wäre es auch möglich! fieusler logt so viel gewicht darauf,
dass die metrische forschung sich von der last der buchstaben frei mache. Aber
ihm selbst hängt dlQse last noch am ränzel. Denn was soll es heissen, den kinder-
vers mit dem alliterationsvers zu identificieren, ohne dabei zu beachten, dass wir das
kinderlied nur kennen als „gesungen oder gesprochen zu den ringeltänzen, zum gänso-
marsch, während man die kinder auf armen oder knien schaukelt*^ (s. 38), also nur
als getanztes oder algemein ausgedrückt von taktmässiger, rhythmischer körperbewe-
gung begleitetes. Wo wäre von alle dem bei unserer alliterationsdichtung auch nur
entfernt die rede? Es hat noch niemand den versuch gewagt, das versmass des
Hildebrandsliedes als getanztes auszugeben. Denn es ist etwas ganz anderes, wenn
Scherer behauptet hat, an die tanzbewegungon seien ursprünglich auch die werte
gebunden gewesen. Scherer hat auch betont, dass darnach eine zeit gekommen ist,
in der das lied sich vom tanze losgelöst hat, und er ist es auch gewesen, der behaup-
tet hat, schon in grauer vorzeit habe es eine poesie — die epische — gegeben, die
weder getanzt noch gesungen worden sei, für deren rhythmik folglich auch ganz
andere Voraussetzungen zu gelten haben. Weder Möller noch Heusler haben die durch
die Verschiedenheit der poetischen gattung bedingte Verschiedenheit der
rhythmischen struktur bedacht So ist also von vornherein die unmittelbare Zusammen-
gehörigkeit des heutigen kinderverses mit dem alliterationsvers unserer epen hinfällig K
Dann verliert aber Heusler jegliche stütze für seine einschi-änknng der dipodie
auf die ictenfolge z' x x' x\ Sievers hat gerade im volkstümlichen vers wechselnde
gruppiemng von haupt- und nebenictus belegt Heusler gibt das Volkslied ganz preis
und lässt nur in den kindersprüchen die uralte sitte nachklingen. Er hat auch
nichts dazu getan, was den methodologischen fehler ausgliche, die Strophen des min-
nesangs mit der stichischen alliterationsdichtung zu verknüpfen (s. 91 fgg.)* ^s "^äre
die aufgäbe gewesen, sich ernsthaft mit Müllenhoff Z. f. d. a. 23, 151 auseinanderzu-
setzen, der in der bündigsten weise die annähme strophischer gliederung für die
westgermanische epik ad absurdum geführt hat. So fält auf Heusler selbst zurück,
was er von dem zur vorsieht mahnenden Wilmanns sagt: sein experiment erinnei't
an das messer ohne klinge, dem der griff fehlt Die frage: warum muss denn mit
dem stabreimvers selbst auch alles andere der stabreimdichtung vei'schollen sein? —
diese frage hätte Heusler nicht stellen sollen. Wird doch s. 11 fg. eine roiho von
faktoren, die den eigentlichen Charakter der stabreimverse bestimmen, wie die lang-
reihigen auftakte, die alliteration selbst, ja sogar die sti-affe regel von der hebungs-
1) Was diesen selbst betrift , so ist , nebenbei bemerkt , die scansion , die MOller nnd Heusler
▼ertreten, mit den neuen onschanongen über die germanischen betonnngsformen nicht vereinbar (Beitr.
U, 66. 15, 262 XL a).
554 KAUFnUNN
fähigkeit der verschiedenen Wortklassen preisgegeben — was bleibt aber dann noch
vom alten Stabreim verse übrig?
Die bedentnng der aUiteration ist von Möller und Hensler nicht genügend
gewürdigt worden. Zwar hält auch Heusler den gmndsatz aufteoht, dass die gewich-
tigen Satzglieder im guten taktteil stehen und dnrch den reim nodi energischeren
nachdrock bekommen haben werden. Auch Möller hat s. 165 anm. hervorgehoben,
der takt des alliterationsverses Verstösse niemals gegen die nachdnicksaccente. Ich
sehe mich aosser stände, auf dem boden dieses grundsatzes verse wie her was (Ha-
ehre, enti mit fastun, sunufatarungo u. a. zu verteidigen. Wenn nftmlioh sMU
ddnt^, sunufatarungo nicht znlfissig, so bleibt nur sunu — fitarungo übrig, d. h. dann
müssen die compositionsglieder um takt und dipodie zu retten durch eine y^'ptnae
getrent werden. Heinzel hat sich bereits (Anz. XVII, 3) hiei^pegen ausgesprochen.
Heusler sucht diese Schwierigkeit mö^chst zu umgehen. Otfrids fuaxfallonti soll
die form j | i | | | | haben. Warum denn nicht M " 1 f f I T 1 ^ ^®^ Otfrids
ubar sunnun lioht als T f I T I T I T ^uid nicht als p p I T' P I T I * ? Wenn
Otfrids vers nicht unter 4 silben sinken kann, so wird zunfichst jeder unbefengene
darin eine bedeutsame Übereinstimmung mit dem stabreimvers erkennen; wenn aber
Heusler sich auf den Ijößahättr bezieht, so folgt doch aus der zweigliedrigkeit des
Schemas, das mindestens durch 2 silben vertreten sein muss, nicht die vieigliedrig-
keit der taktierung, die Heusler als gegeben betrachtet
Nun ist aber nach Heusler, was man im gewöhnlichen sinne Volkslieder nent,
nicht dipodisch (s. 5), vielmehr wie Otfrids vers monopodisoh; d. h. nicht, dass im
verse die 4 hebungen mit gleicher stärke scandiert würden, die icten sind nur prin-
dpiell gleichwertig; es besteht fr^ie abwechslung, es dominieren nicht immer diesel-
ben hebungen (hebung 1. 3 wie im kinderlied), sondern auch 2. 4 usw. Der vier-
gliedrige vers könne von seinen 4 guten taktteilen nach belieben bald diese bald jene
stärker hervortreten lassen. Heusler gibt zu, dass gegen die von Sievers gegebene
formulierung des begrifs dipodie an sich nichts einzuwenden, dass wenigstens ein teil
germanischer reimdichtung auch in seinem sinne dipodisch gemessen sei. Die beschrftn-
kung des Schemas x' x x' x auf den kindervers erklärt sich ganz einfach aus dessen
schon erwähnter besonderheit, dass er mit gleichmässig wechselnder körperbewegung
vorgetragen wird. Wo diese fehlt, haben wir auch jene strenge abfolge des nach-
druckswechsel nicht zu erwarten. Die freiheit Otfridischer versmessung mit ihren
principiell gleich- und ungleiohwertigen icten eignet der gesamten reimdichtung. Die
aussondemng der kinderlieder aus dem gesamtschatze der volkspoesie kann ich nicht
gutheissen. Hier gilt es nach einer höheren einheit für den volkstümlichen vers zu
suchen imd diese ist von Sievers gefunden worden.
S. 13 fgg. gibt Heusler eine neue beurteilung von Otfrids iotenzeichen
Hier finden sich ganz ausgezeichnete beobachtungen, denen ich freudig beistimme.
Sehr richtig wird s. 15 als kern des ganzen probloms die frage gestelt, ob für Otfrids
spräche überhaupt noch jene satztongesetze gegolten haben, von welchen wir die
spräche der stabreimenden dichtungen gebunden wissen. Heusler meint nun, ohne
leider auf eine diesbezügliche Untersuchung sich einzulassen , eine accentuation wie in
himilgualliehi mit ictns auf zweiter hebung solte verhindern, dass dieselbe unter
die dritte herabsinke, solte mit andern werten verhüten, dass der vertrag in die
dipodie '' '* verfalle. Dies zugegeben, wird man die von Heusler gezogenen folge-
ÜBKB HKU8LKR, ALTDEUTSCHB VEE8KÜN8T 555
mngen nicht in den kauf nehmen. Otfrid selbst und seine hörer nnd leser seien an
dipodisohe dichtong gewohnt gewesen. Eons voiher hatte Hensler es abgelehnt,
Otfrids veTsmessong als einen ommodelangsprooess aufzufassen — und hier lässt er
Otfrid abwägend vorbeugen, dass ein vers wie wortati frenkUgen ja nicht als w6r^
Um frMdsgbn gelesen werde! Hält es Heusler überhaupt für denkbar, dass bei der
auch von ihm grundsätzlich anerkanten einheit von wort- und versbetonung über-
haupt jemand zu Otfrids Zeiten auf die ganz unmögliche sprechform frenhUgen hätte
yerÜEÜlen können? Und wenn man gerne zugeben wird, der ictus sei in solchen Al-
len mahnzeichen podischen Vortrags, was folgt daraus anders, als dass gerade diese
yerse des Evangelienbuches nicht wie die andern gelesen werden selten; dass tatsäch-
lich auch Otfrid die mehrzahl seiner verse dipodisch, die minderheit podisch gelesen
haben wolte (auf die saeculares voees hätte sich Heusler nicht berufen sollen, denn
sie sind formelhaft und stammen vermutUch ans dem Sedulius, vgl. Hnemers ausg.
8. 361 fg.)^ Heusler geht doch selbst so weit, dass er sagt, der erste takt habe
acoentlos bleiben können, da er auch im dipodischen vertrag den starkton getragen
habe. Das hat aber doch nur dann sinn, wenn wie gesagt die mi^orität unserer
Otfridverse dipodisch (sowol als 1. 3 wie 2. 4 vgl. s. 19 fg.) gelesen worden ist —
quod erat demonstrandum. Heusler selbst erhebt s. 20 gegen seine theorie noch den
durchschlagenden einwand, dass, wenn es dem urheber der accentzeichen darum zu
tun gewesen, monopodische lesnng zu markieren, er nicht bei den versen 1. 3 und
2. 4 die stärksten Silben, gerade die gipfel als dipodien bezeichnet hätte, während
umgekehrt bei versen 1. 3 die Senkungen 2. 4 (vgl. s. 22), bei versen 2. 4 die Sen-
kungen 1. 3 hätten ausgezeichnet werden müssen, wenn die absieht bestand, dipo-
dische lesung zu verhüten. Ich erkläre mich aber mit Heusler einverstanden, dass
ein Zusammenhang der ictenzeichen mit der structur des aliiterationsveises« wie ihn
Sievers durchzuführen versnobte, tatsächlich nicht besteht (s. 25 fgg.). Es kann von
einem widerstreit zwischen rhythmischem Schema und Satzbetonung schlechterdings
nicht die rede sein. Ich gehe jezt noch weiter als Heusler. Diejenigen verse, deren
aocentuierung sich nicht mit der prosabetonung deckt, sind nicht bloss nicht aus den
alten typen, sie sind überhaupt nicht aus der Vortragsweise alliterierender dichtung
zu erklären; es handelt sich auch nicht um einen konflikt zwischen dem neuen
monopodischen versraass und der alten gewöhnung an die dipodie, sondern es handelt
sich um die erst mit der reimposie volzogene einfuhrung dipodischer versmessung.
Die stebreimdichtung hat nichto vergleichbares. Otfrid hat zum ersten mal ein um-
fängliches deutsches buch in dem versmass lateinischer rhythmen geschrieben,
nachdem schon geraume zeit vor ihm mit der alten technik gebrochen worden war.
Die kurz verse des lateinischen rhythmus — man solte nicht immer auf den hym-
nenvers sich berufen* — zeigen ganz denselben bau wie die kurzverse Otfrids, wovon
man sich leicht überzeugen kann, wenn man einen beliebigen lateinischen rhythmus
nach den regeln deutscher Satzbetonung liest. Das von W. Meyer aufgestelte prin-
cip des taktwechsels ist nichts anderes als die freiheit der ictenstellung. Es ist auch
für die lateinischen rhythmen nicht zulässig, das dipodische mass auf " '' einzu-
schränken, sondern hier wie dort bilden das gerüste zwei volle ioten, neben denen
2 schwächere nebenicten das taktmass fallen. Dazu komt, wie R. M. Meyer schon
1) Vgl. jezt die graten darlog^aDgen bei J. Kelle, Geschidite der deataohen litteratar s. 47 tg.
69 n. ö.
1) Beda, de arte meirioa s. b. oitiert hymnen, die nach Uaasiachen metren gebaut sind. Vgl.
WalahfridoB Strabo, de ezordüs et incrementis usw. c. 26 (ed. Knoepfler).
-Vi- .■« . >,.,ku..< «. A.*.».7.';_ .^^11 ^ - '*'W^ ^i>.
556 KAumuNN
gezeigt hat, dass die existenz einer halbierenden cäsar bei Otfrid wie in den latei-
nischen rhythmen das gewichtigste argximent für dipodiscbe versznessang liefert (QF.
58, 38 fgg.). Nicht bloss die Spielerei mit dem akrostichon in den widraungsgedidi-
ten weist ans in die lateinische schale, in der Otfrid seine reimerei gelernt hat. Es
lassen schon Commodian und Sedulias genaa wie Otfrid die namensformen durch
anfangs- and endbachstaben der versreihen gebildet werden; ich verweise noch anf
Poetae Latini aevi Carolini I, 4. 35. 423. 620 (der heransgeber hat hier das doppelte
akrostichon nicht bemerkt); U, 4. n, 421 (wie bei Otfrid and Walahfridos Strabo,
so aach bei ihrem gemeinsamen lehrer II, 167). Der ganze apparat. mit dem das
Evangelienbach in die öffentlichkeit gegeben worden ist, zeigt die mode der zeit and
die liebhabemen lateinischer schulpoesie. Wandalbert von Prüm schickt seinem Mar-
tyrologiam (c. a. 848. Poetae latini n, 567. Neues archiv lY, 305) nicht bloss
eine epistola voran: ad iUuatrem virum Otrieum eierieum super eis quae sequenii
opere eontinentur metrorum generibus — dem grammatisch -metrischen Sendschreiben
an Liutbert vergleichbar — , sondern er fügt auch widmangsgedichte <td Caesarem sowie
an seinen freand Fhrus bei und versftumt so wenig als Otfrid die vorbildliche bedea-
tung der Juvencus Arator Prudentius hervorzuheben ; vgl. auch Neues archiv IV, 523.
Es ist bekant, dass auch Otfrid in seinen lehrreichen selbstbekentnissen die
eigene verskunst als nicht-metrische bezeichnet hat (noü quo series scripiioms
hujus metriea sii subtüitate constricta) und widerholt davon spricht, dass der
reim das einzige gesetz für seine verse abgegeben habe. Zamcke hat mit prficiser
deutlichkeit dargestelt (Bor. d. sfichs. geselsch. 1871, 38 fgg.)? vio almählich unter
rhytkmus eo ipso ein gereimtes gedieht verstanden worden ist Es sei auf die bedeu-
tende Stellung, welche die Afrikaner mit ihrer verliebe für den endreim einnehmen,
verwiesen; vgl. die samiungen im Arohiv für lai lezicographie und grammatik I, 350.
576'. Der erste, der systematisch den [vorerst stets einsilbigen] endreim durch-
geführt hat, scheint C!ommodian gewesen zu sein; sodann hat Augustin seinen psalm
gegen die Donatisten durchgereimt (jede verszeile endet auf — e). In dem zweiten
hymnus des Sedulius erscheint der endreim gleichflEds eingebürgert, aber noch der
hymnus rex aeteme domine (Daniel I, 85 fg.) zeigt unvolkommene reime; etwas
genauer ist der hymnus: apparebü repentina (Du Meril s. 135 fgg.)* Im gegensatz
zu ^dem hymnus des Sedulius können die reimunvolkommenheiten merkwürdig erschei-
nen. Es unterliegt keinem zweifei mehr, dass die im mittelalter ganz algemein vei^
breitete ansieht, der reim stamme aus der rhetorischen figur des homoeoteleuton, das
richtige getroffen hat (Zarnoke, Ber. d. sächs. geselsch. 1874, 56). Diese rhetorische
figur ist von einer unbekanten autorität zum zwecke volkstümlicher Wirkung in
die poesie eingeführt worden (Augustin sagt: ad ipsius humillimi vulgi ei
omnino imperitorum atque idiotarum notitiam). In älterer zeit ist der gewohnheit
der rhetoren folgend nur hie und da der endreim am Schlüsse rhythmischer koU nutzbar
gemacht worden, während andere teile der gedichte ungereimt blieben (vgl. z. b. die
von Beda citierten hymnen). Otfrid verlangt consequenz in der Verwendung des
homoeoteleuton (assidue). Trotzdem sind auch ihm bekantlich einzelne reimlose versa
entgangen, die sich nicht alle als stabreimende reste auffassen, dagegen als auslaufer
eines älteren stils lateinischer dichtung sich vortreflich deuten lassen. Otfrid ist
indessen nicht der erste gewesen, der den endreim als gesetzmässige vei'siBgel anem-
pfohlen hat Lange vor ihm bewundem wir den wolklang stetig reimender gesänge
1) Kotrektiimote: Inzwischen ist flisdiienen 0. Dingeldein, Dor mm l)ei den Oiiedieii und
BOmem. Leipzig 1892.
ÜBER RKU8LER, ALTDRUTSGHE VKRSKXTNST 557
in dem kunstgeübten kreise irischer klosterdiohter. In dem ebemiiass irischer reim-
technik komt uns zum ersten mal die schöne errungenschaft der harmonie des laut-
Spiels zum bewustseiu. Es wäre ein falscher anachi-onismus mit Zeoss gram. celt. U,
910 fgg. die in den irischen klöstern überraschende reimfülle aus der einheimischen
verskunst herzuleiten (vorsichtiger ist Edzardi, Beitr. V, 581). Die lateinischen Vor-
bilder sind für die poesie der muttersprache massgebend gewesen. Unmittelbare
Schüler irischer gelehrter waren die strebsamen Angelsachsen, die wie vieles andere,
so auch die reimkunst von Iren gelernt haben. Aldhelm, Aethelwald, Bonifatius,
ohne weitere namen zu nennen, stehen in der pflege des reims auf demselben Stand-
punkt wie fiibemicus exul-Dicuil. Die ganze scala der dazumal üblichen reim-
formen ISsst sich dui'ch die gedieh te der genanten Angelsachsen verfolgen (Jaffe, Mo-
numenta Moguntina s. 38 fgg.). Gibt nicht das akiDstichon in den versen des Boni-
fatius an Nithardns die beste antwort auf die frage, wo Kynewulf es gelernt hat, in
der Elene endi'eime anzuwenden und seinen namen akrostichisch einzulegen (vgl. auch
Kluge, Beitr. 9, 443)? Gewiss sind es die Angelsachsen gewesen, die in die Pflanz-
stätten deutscher klöster die reimtechnik gebracht haben. Auf dem hintergrunde der
angelsächsischen mission in Deutschland hebt sich wie eine unscheinbare coulisse —
aber die scenerie des geistigen lebens im 8. — 9. Jahrhundert vervolständigend — die
durch die einführung des lateinischen rhythmus reformierte verskunst ab.
W. Grimm hat in seiner geschichte des reims viel mühe aufgewendet, die ent-
stehung des endreims im hexameter zu verfolgen, ohne andere resultate zu erzielen,
als dass Jahrhunderte hindurch assonanzen oder reime in dem heroischen versmass
anklingen. Weltliche und geistliche gedichte sind lange durchgereimt worden, ehe
der leoninische hexameter für deutsche dichtung anregung bringen konte. Es ver*
dient nur die ansieht gründliche erwägung, ob tatsächlich regelmässig zweisil-
biger reim zuerst im hexameter herschend geworden und von da in rhythmische
dichtung übergegangen ist (Sitzungsber. d. Münch. akad. 1882, 143 fg.).
Wenn wir für Otfrid nach dem meister fragen, in dessen schule er zur pflege
des endreims erzogen worden sein mag, so bietet sich der name Hitibanus Maurus
ganz von selbst. Das grosse gedieht de fide caiholiea ist von Hrabanus selbst als
rhythmo Carmen compositum bezeichnet worden (Poetae lat. II, 197). Es finden
sich in der lateinischen dichtung alle Schattierungen des ein- und mohrailbigen reims
bis zum rührenden reim. Wir haben hier die kategorien der deutschen reime Otfrids
(vgL auch Bartsch, Sequenzen s. 129 fgg.)- Ich möchte nicht versäumen, auf die
versus de eversione monasterii Glonnensis aufmerksam zu machen (o. a.850. Poetae
lat n, 146. 8itzung8ber. der Münch. akad. 1882, 96. Neues archiv lY, 296.
W. Grimm a. a. o. s. 164). Denn das lied besteht aus einer zweizeiligen Strophe,
die mit der strophe Otfrids identisch ist Da jede möglichkeit ausgeschlossen
ist, dass die strophe der versus aus deutscher kunstübung übernommen sei, so dürfte
die abhängigkeit Otfrids evident erscheinen. Seine strophe stamt aus dem repertoire
der lateiner.
Es ist zu bedauern, dass Heusler die volkstümlich lateinische rhythmik nicht
in den bereich seiner arbeit gezogen und die ältere deutsche verskunst, statt sie an
ihr geschichtliches vorbUd anzulehnen, durch seine Überschätzung der kinderiieder in
eine falsche Perspektive gebracht hat Auf die weiigreifende bedeutung der lateiner
gerade auch für die modernen volkstümlichen gesangsformen ist neuerdings von
Tobler in höchst lehrreicher weise aufmerksam gemacht worden, wie ich der Viertel-
jahrsschrift für musikwissenschaft 1891, 444 fgg. entnehme (Eühreihen oder kühi*ei-
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558 KAUmCANN
gen, jodel und jodeUied in Appenzell). Man wird der wahriieit um ein beirftchtiidies
nfiher kommen, wenn man den kindervera, den yolkstümlich dentsohen yers,' nicht
an die alliterationsdichtung, sondern an die yolgären lateinischen ihythmea murnttel-
bar anschliesst
liegt non aber in der deatschen reimdichtung ein radikaler brach mit der
einheimischen älteren tradition — wer wolte es für zuUssig halten , wenn fiensler sich
ein hinterpförtchen offen hält und am schluss eines durch schärfe der kritik ausge-
zeichneten kapitels behauptet: mehr als Otfrid haben andere, spätere dichter von dem
germanischen verse herubei^nommen ! Jüngere sollen in engerem Zusammenhang
mit dem alten stehen als ältere. Das erscheint geechiohtswidrig.^ Auch Notker baut
im Boethius eine doppel- Strophe wie
Ufuie 4n der umoft tctmta, der luxxel gemakta,
Unde in des tMes mitma lerta diu imo den teuoft rakia.
Dax sang er unde rox unx is heüa erdrttx.
Und sus suoxo bat er gnadon die Herren dero sehn.
Heusler ist der meinung, eine unterstromung der metrischen Überlieferung habe
Otfrids reform nicht mitgemacht (s. 56). Er oonstatiert selbst, wie nahe die kleine-
ren deutschen reimdiohtungen in ihrem versbau an Otfrid sich anlehnen und findet
sodann um wenig mehr als ein Jahrhundert später eine grosse reihe geistlicher und
weltlicher dichtuugen, die sich in wesentlich anderen bahnen bewegen. Es fallen die
sehr kurzen und sehr langen reimzeilen ins äuge. Heusler glaubt, dass für die dich-
tungen des 11. 12. Jahrhunderts dreihebige verse ausreichen, und die verse, bei
denen man meist mehr als 4 hebungen angenommen hat, doch viertaktig zu lesen
sind. Auf einen beweis hat Heusler freiwillig verzichtet (s. 58). Bei dreihelHgen
Versen ist die lezte hebung durch eine pause ersezi Während nun aber Heusler
mit eifer dagegen kämpft, die sUbenfolge ^ x von ~. x metrisch zu unterschttden
(z. b. 8. 46) — ich stimme ihm darin, soweit die gesamte deutsche reimdiditung in
betracht komt, volkommen und mit freuden zu — , während er selbst behauptet, dass
bei Heinrich von Veldeke die dreihebigen verse sowol bei dem ausgang ^ x als bei
— X vorkommen, hält er es aufrecht, dass in diesem falle ^ x nicht als vS» x' ge-
nonunen sein könne! Es streitet von Seiten des satzrhythmus durchaus nichts gegen
die annähme (s. 65 anm.), dass auch vorsilben wie ne ge ir fir xe (Germ. 11, 445)
den schwachen taktteil fallen kdnten. Es ist folglich eine grosse zahl von belegen
zu streichen. Es bleiben nur 11 fölle übrig, die nach dem worüant der Überlieferung
als dreihebig in ansprach genommen werden könnra. Bei den sog. überlangen ver-
sen lässt Heusler nun auch das lebende Volkslied als verwante formen bergend mit-
reden (s. 67), und er unterscheidet sehr treffend zwischen leichter und schwerer
taktfüllung, die in der metrik der klassischen werke einem saubera, geftlligen gleich-
gewicht der taktglieder gewichen ist Ich hätte in diesem abschnitt nur gewnnsdit,
dass das vorkommen von doppelversen in. grösserem umfang anerkant worden wäre.
Noch schroffer gegen Otfrid stehen die sogenanten verse mit 4 hebungen bei
klingendem ausgang. Wenn Heinrich von Veldeke stonde : gonde wie dags : klage
reime, so stehe er damit auf dem boden der altheimisohen alliterationsdiohtung, wäh-
rend Otfrid dem lateinischen usus folge. Andere werden an der romanischen her-
kunft dieser klingenden reime noch länger festhalten. Es kann doch nicht zufall sdn,
dass klingender reim nach fester regel angewendet sich zuerst bei höfischoi diditera
findet (Pilatus. Veldeke); wie solte höfische dichtung gerade in diesem stück etwas
einheimisch volkstümliches conserviert haben, während sie sonst so willig das mu-
ÜBIB HKÜSLER, ALTDBT7TSCHB VSKSKÜNST 559
heimische vornehm bei seite geschoben hat? Wenn es nun Heusler gar untemimt,
den rhythmus der ältesten minnelieder unmittelbar an den stabreimvers anzuknüpfen,
wenn er z. b. MF. 39, 18 den dipodischen bau des vierhebungsyerses in einer Ein-
heit findet, wie er seit der stabreimenden zeit kaum in einem denkmal altdeutscher
dichtung zu tage trete, so wollen wir über die durchführbarkeit dieser sogenanten
rein dipodischen voiiragsweise mit Heusler nicht rechten, wol aber die stabreimdich-
tung dagegen verwahren, als ob in ihr Verstösse gegen den satzrhythmus vorkämen,
gegen die Heusler bei Otfrid so tapfer ins treffen gegangen ist Mir ist es unerfind-
lich, wie man Musp. 37 als etwas anderes denn als reimvers aufCassen konte.
Sehr schön hat Heusler den dipodischen bau der ältesten minnelieder nach-
gewiesen, womit nicht gesagt sein soll, dass ich seine ictensetzung in allen Wien
korrekt finde. Trotz der begeisterung für den rhythmus jo emcds ich niht ein ^ber
teiidi, ziehe ich . . iväa . . . iber icüd^ vor und kann nicht mit moderner empfind-
samkeit eher unter den tisch fallen lassen. Ich sehe nicht ein, warum nte frö wer-
den eU ein sohlechter vierhebiger vers sein soll; man mäste sich denn der besseren
einsieht verschliessen, dass nie frtl tchrden stt eine ebenso gute dipodie ist wie
d^ engdn ich dir niet, vnex ünder ans xwiin ist getan, ietner därbhule stn,
ex ist den liuUn gelich. Es rächt sich, dass Heusler nicht die dipodien ' " ' und
'^' ' (z. b. göt d^ dinen Itp) zulassen will. Sievers formulieruog bewährt sich bei
der reimdichtung ebenso wie die mannigfaltigkeit seiner typen für die alliterations-
dichtung.
Für die bedeutimg der Nibelungenstrophe (s. 104 fgg.) hebt Heusler zu-
nächst hervor, dass reichere taktfüUuDg (mehrsilbige Senkung) eine altertümliche
erscheinung ist, wie unreiner reim und mehrsilbiger auftakt, imd dass die verschie-
denen redaktionen von dem bestreben geleitet waren, die reichere taktfüUung zu
beschränken. Auch in den versschlüssen ist eine glättende band zu verspüren. So
wenig ab die Kürefiberges wUe ein krystallisches Strophengebilde gewesen, so wenig
wird in dem original des Nibelungenliedes gleichmässigkeit des versausganges gegol-
ten habend Der normalschluss der ungeraden halbverse ist klingend. Es ist zu ver-
muten, dass das original zahlreiche halbverse mit stumpfem ausgang enthalten hat,
desgleichen eine nicht unbeträchtliche zahl von versen mit klingendem schluss in
der zweiten Strophenhälfte. Beim Etirenberger sind diese lezteren entschieden 4 -hebig
zu lesen, für das Nibelungenlied soll das nicht gelten, weil verse wie dise degeney
eich vx kuoben vorkommen: als ob diese nicht 4 -hebig gelesen werden könten. Den
Nibelungen fehlt, was beim Kürenberger bestimmend war, der dipodische bau. Mag
auch da und dort eine Strophe in leidlich dipodischem tonfall erklingen (s. 112), im
Nibelungenlied ist dies zufällig. Wo bleibt hier der eifer, der in der imgleichmässig-
keit der Eürenbergstrophen so viel sinn zu ahnen wüste und zu finden glaubte? Auch
das Nibelungenlied geht in vortreflichen dipodien, nur lassen sie sich in das enge
Schema Heuslers nicht einzwängen, so wenig als die lyrischen Strophen. Dass die
bearbeiter vielfach unter anschluss an formen der höfisch -romanischen kunst in
3 -hebige messung übergegangen sind, ist gerne zuzugeben. Heusler meint nun
aber, auch die 8. halbzeile sei ursprünglich 3 -hebig gewesen und (um vierhebigkeit
zu gewinnen) von den redaktoren geändert worden; es habe sich der hang nach zwei-
silbiger taktfoUung mehr oder weniger stark geltend gemacht In diesem sinn recon-
1) Bb wir» mit fipeodfln m begrfln«n, weim künftig nicht mehr von einer (Uoes theoretiachen)
Nibelongen-, Qndran-, Morolt-itrophe naw. abTon abaolnt einheitUehen Systemen (wie die gxieohisehen)
die rede wir».
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560 LÖBincft
stniiert Heuslor dreihebige schlusszeilen und ist der ansieht, dass durchschnittlich
▼on 6 Strophen eine dreihebig in der schlosszeile gewesen sei. Was mochte die
bearbeiter, die nach Heusler ausserhalb der Tolkstumlichen tradition stehen und in
andern fällen dem glcichmass höfischer kunst so willig nachgeben, Teranlassen, die
sohlusszeile um eine hebung zu erweitem? Eine solche cadenz will mir gänzlich
unwahrscheinlich vorkommen. Der volle schlussvers hat sich nach Heuslers eigenem
urteil nicht ab lebenskräftig erwiesen, die jüngeren Strophenformen gehen bekantlich
immer nachhaltiger gerade auf dreihebigkeit des Schlusses aus.. Von den zahlreichen
dreihebigen schlusszeilen der handschrift A stimmen nach Heuslers Zählung nur 16
mit erschliessbaren original versen. Ich glaube auch, dass unter den formalen rück-
sichten das streben nach goregelter strophenform eine der wichtigsten gewesen ist;
aber nach Heusler müste den bearbeitem ein ideales strophenschema vorgeschwebt
haben, wenn sie einheitliche gleichmässigkeit überhaupt hatten erreichen woUen. Bas
Strophenschema war vielmehr für sie gegeben durch die modernere form der 1. — 3.
langzeile. Mir scheint bei Heusler der Sachverhalt geradezu auf den köpf gestdt zu
sein; die ästhetischen anlorderungen, die er s. 158 geltend macht, wird wol die mehr-
zahl der leser mit einem fragezeichen versehen.
BALL! ▲. S. FBIKDBICH KATTmANN.
„Vom Rechte*^ und „Die Hochzeit*^. Eine litterar -historische Untersuchung von
Carl Kraus. Wien 1891. In kommission bei F. Tempsky. (Sitzungsberichte der
kaiserl. akademie der Wissenschaften in Wien, philosophisch -historische klasse.
Band CXXHI. IV. Ausgegeben am 22. mal 1891.) 126 s. 2,50 m.
In meiner dissertation über die hochzeit 1887 hatte ich eine kritische und
kommentierte ausgäbe des gedichtes in aussieht gestolt. Äussere vorhsltnisse nötig-
ten mich, meine arbeiten hierzu abzubrechen. Inzwischen erschien die ausgäbe von
Waag, später das vorliegende vortrefliche buch von Kraus, das sich zum teil mit
meinen materialien deckt, zum teil aber (in der suche nach der theologischen quelle
des mutmasslich echten gedichts und in den übrigen nachweisungen aus der theolo-
gischen litteratur) mir, wie ich gern bekenne, weitaus den rang abgelaufen hat
Indem ich, was die erörterungen über horkunfk, spräche, reimkunst, text und
Verhältnis zu anderen geistlichen godichten betrift, mich au die auch durch glücklidie
emendationen bereicherte besprechung Edw. Schröders im Anz. f. d. a. XYII, 287 fg.
anschliesse, möchte ich mich hier mehr an verfahren und ergebnis der höheren kritik
und an die Untersuchung der theologischen grundlage halten.
Ich hatte Diss. 36 gesagt: über dem gedieht vom Recht und über gewissen
interpolationen der Hochzeit ist dieselbe band beschäftigt gewesen, und 38: nur die
(von mir angenommenen) interpolationen weisen die verwantschaft mit dem Recht
auf. Später — hiervon konte Schröder leider nichts wissen (vgl. a. a. o. 289) —
erkante ich eine direkte Umarbeitung der parabel durch den dichter des Rechts, deren
Wirkungen sich sowol auf die erzählung als auf die deutungen erstreckten; bis zu
einer reinlichen und befriedigenden Scheidung der demente war ich noch nicht gekom-
men. Eine weitere arbeit ist für mich durch das vorliegende buch überflüssig gewor-
den; ich habe aber wenigstens den trost, dass ich auf dem richtigen wege war.
Kraus ist durch veränderte Stellungnahme weiter gekommen als ich, schliesst
jedoch au manchen punkten noch immer mit einem non liquet: die höhere kritik ist
zurückhaltender geworden. Dies ist natürlich kein Vorwurf; der fehler hatte auf mei-
DbBB KRA178, VOM VECSOM TSVh DU HOOHZIIT 561
ner seite gelegen. Kraus geht vom Recht aus. Stil, ideenkreise und anschauungen
dee gedichtes ergeben das bild einer dichterischen Persönlichkeit, die sich auch in
fremder Umgebung widererkennen liesse. Sie ist zu finden in der Hochzeit, imd
zwar vorwiegend in den stücken, die bereits Scherer — der uns alle in dieser sache
den richtigen weg gewiesen hat — als interpolationen erkante. Die beweisfiih-
rung von Kraus ist für die partien 7 — 144 (der eingang ist vielleicht — vers 6 doch
noch echt?), 484—580, 607—695, 707—779 (rund 400 verse) überzeugend und
ahschliessend. Die grosse sohlussinterpolation 821 — 1054 weist in stil und ideen-
kreis dasselbe bild auf, wenn auch mit echten teilen durchsezt Die partie von der
himlischen Jerusalem und den arbeitem im Weinberge 405 — 481 hat in der Überlie-
ferung gelitten , enthfilt aber vielleicht auch noch einiges echte. Von diesen 6 stücken
unterscheidet sich nach erfindung und stil die ei'zählung von der Hochzeit: sie weist
nur eine — schon von Scherer erkante — einschaltung auf. Einige echte deutungen'
sind erhalten, die meisten kleineren partien lassen keine sichere beurteilung zu, die
verlorenen deutungen können nicht umfangreich gewesen sein. — So weit Kraus.
Ungefähr so stellte sich auch mir das verhältms der teile dar, nur dass ich an
einigen punkten wegen Unterbrechung des Zusammenhanges einschaltungen innerhalb
einer interpolation annehmen zu müssen glaubte. Ich beruhige mich jezt bei der
ansieht von Kraus; das für den dichter aufgestelte stilprincip der ideenassociation (die
manchmal am blossen wort klebt) und logischen inkonsequenz reicht volkommen aus,
die auch für diese partien von ihm behauptete einheit der herkunft zu erhärten.
Eins nur vermisse ich in seinen ausfuhrungen: er erkent einflüsse der Überlieferung
auf das vom Verfasser des Rechts interpolierte gedieht von der Hochzeit an, lässt
aber nicht deutlich genug werden, wie weit er sich etwa noch eine dritte hand, und
sei es die des lezten abschreibers, über dem uns vorliegenden texte beschäftigt denkt
Die alternative: ursprüngliche parabel oder zutat, bez. Umarbeitung des dichters vom
Recht, ist nicht immer gestelt; es ist aber in solchen fiUlen das urteil über die etwaige
herkunft des betreffenden Stückes überhaupt ausgesezt
Ich hatte eine direkte lateinische vorläge für das echte gedieht angenommen,
aber nicht nachweisen können. Der grundstock schien mir, nach Scherers vorgadge
(den Ejraus an der entscheidenden stelle: dax der broutegom dar oham unde die
brotU Mio im nam, da% bexeiehent aUer meist den heiligen geiet, der in dax men-
niseh chumet, da e» mit [minjnen (toeinen)? ende genimit 339 fg. bekämpft) der
mystischen ausdeutung des motivs von der geistlichen hochzeit zu entsprechen,
wonach der bräutigam der heilige geist, die braut die seele, die hochzeit das zu
bezeichnen habe, was die deutsche mystik später „vergottung*^ nante; die deutungen,
die auf das geistliche motiy Christus sponsus ecclesiae hinauslaufen, schienen
mir hineingearbeitet, die auf Maria fremder anhang. Ich habe später eingesehen,
dass die konsequente durchfuhrung der einen mystischen deutung, ohne abschwen-
kung nach der viel gelaufigeren heilsgeschichtlichen, von einem geistlichen dichter
des Xn. jahrhimderts zu viel verlangt wäre. Kraus geht auch hier von einem ande-
ren punkte aus. Er sielt zwei lateinische parabeln zusammen, eine aus Honorius
Spec. Ecol. Dominica 29 Migne 172, 1065 fg. (dazu 1. c. 1093 D), und eine pseudo-
bemhardinische parabel ebd. 183, 767 ^. de Christo et ecclesia, welche im stil
unseres gedichtes erzählen, wie Christus die Ecclesia als braut sich erwählt, boten
zur Werbung schickt, sie heimholt, sich ihr vermählt, sie der hut starker männer
übergibt, fortzieht, um sein reich einzunehmen, und wie dann Ludfer, der schon
früher aus neid gegen gott sich erhoben, ihm die braut verunehrt: das ist der jetzige
ZanSOHBIFT F. DIUTSCHB PHILOLOGIE. BD. XXV. 36
JBÜ
^rfii
562 LÖBNIB, ÜBIR KRAUS, TOM RICHTI UND Dil HOOBZIDT
stand der kirche, wir ho£fen aber und harren der erlöenng (d. i. der hochzeit am
jüngsten tage). Eine derartige bereits kontaminierte parabel sei, meint Kraus, die
vorläge unseres gedichtes. Ich hatte in meinen späteren nntersachnngen von diesen
parabeln, die ich in ähnlicher fassung auch anderwärts fand, abstand genommen,
weil dabei eine sache, an der auch Kraus anstoss nimt, nicht zum austrag komt
nämlich die geschiohte mit Luzifer. In den Ecclesiaparabeln ist sie integrierender
bestandteil, in der erzählung des gedichtes findet sich ein kurzer hinweis, in den
deutungen fehlt sie, an ihre stelle tritt die ausführliche interpolation vom &11 der
engel, Schöpfung, sündenfall und erlösung. Mit der mystischen deutung hat sie
nicht viel zu tun, wenn auch bei der weit ausholenden manier der geistlichen dich-
tung ihre erwähnung am anfang nicht besonders auflMlt Für die Ecclesiaparabel ist
die bewachung der braut wichtig, das gedieht dagegen sagt: si mohten si vil lihU
bewaren, sine tcolde doch nicht mtssesaren. Eine bereits in die erzählung einge-
schobene und deswegen verdächtige deutung bezieht die hut auf die anfechtungen,
die die seele vom teufel zu erleiden hat. Dem widerspiicht: dö vl^xxeie sieh diu
magei hax ir wcßte, danne si i irnUy was aber sehr gut zur Ecclesiaparabel f^mt,
nach der die braut sich in Ägypten in luto et latere befand. Dem schluss der
Ecclesiaparabel, welcher die Verunglimpfung durch Luzifer enthält, entspricht der
schluss des gedichtes, die fröhliche hochzeit, in keiner weise. Kraus hat zu allen
motiven der parabel theologische ginindlagen nachgewiesen; das bild, das er von der
direkten vorläge gibt, ist auch deutlich genug, aber eine herzhafte Stellung zu den
dennoch bleibenden Widersprüchen nimt er nicht Nur so viel entnehme ich, dass
er sich eine Ecclesiaparabel als vorläge denkt, deren deutungen zum teil erhalten,
zum teil verändert und ausgangspunkte für die erweiternden zusätze des dichters vom
Recht geworden sind. Seine nach Weisungen für die deutungen ergeben, dass der
bearbeiter sich nicht an eine besümte der vier bekanten anslegungen des motivs von
der Hochzeit hat binden wollen. Die mystische auslegung der parabel hat Kraus wol
absichtlich weniger berücksichtigt Ob mit recht, ist allerdings schwer zu entsdiei-
den. zumal da er mit seiner auffassung weit genug gekommen ist. — Da Kraus die
metrik als kriterium aufgegeben hat, konte er in der aufhellung der bedeutenden
Schwierigkeiten des interessanten gedichtes auch nicht weiter kommen. Die Unter-
suchung des Rechts hat nicht mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen , da das gedieht
keine intei*polationen erfahren hat Die noch vorhandenen dunkelheiten hat Kraus
meiner Überzeugung nach durch seine von umfassender belesenheit zeugenden nach-
weisungen aus der theologischen litteratur gehoben.
Man gestatte mir einige kleine nachtrage.
Vom Recht 363 fg. got mage vil tool sin undir ir (der eheleute) deehin
der dritte geselle: Tertullian sagt: Wo solche zwei (nämlich christliche eheleute), da
ist er (Christus) der dritte. Hase, Kirchengeschichte 1, 375. Genaueres anzugeben
ist mir nicht möglich.
Hochzeit 854: die engel sollen den ersten menschen anbeten, geht zurück auf
Hebr. 1,6: Und widerum da er den erstgeborenen auf den erdkreis eingeführt, da
heisst es: Und alle engel gottes sollen vor ihm niederfallen (= Ps. 97, 7). — V^
Dreyer, Der teufel in der d. dichtung des m.-a. Diss. Rostock 1884, 13. Er ver-
weist auf Hagen, Ges. Ab. I, Adam und Eva. Der hinweis auf die biblische gnmd-
lage findet sich bei Dreyer nicht
Zur mystischen hochzeit: Hugo v. St Victor. Migne 175, 798 De amore Sponai
ad Sponsam: Sponsus est Dens, sponsa est anima. Tunc autem sponsus domi est,
BOLTE, tBER RBÜLINO, DIE EOIOSCHE FIOUB IM DEOT8CHBZT DRAMA. 563
quando per internum gandium mentom replet; tuDc i'eoedit, quando dnlcedinem con-
templationis subtrabit. Sed qaa similitudine anima sponsa Dei dicitur? Idoo sponsa,
quia donis gratianim subarrhata. Ideo sponsa, quia casto amore Uli sociata. Ideo
spoDsa, qnia per aspirationem Spiritus sancti prole virtutum fecundanda . . . qnod
qnisque habet, hoc cuique arrha est
LANDSBESQ A. W. H. LÖBNKB.
Die komische figur in den wichtigsten deutschen dramen bis zum ende
des 17. Jahrhunderts. Von C. Benlinir* Stuttgart, G. J. Göschensche ver-
lagshandlung. 1890. 181 s. gr. 8. 4 m.
Eine geschieh to der lustigen person und der wichtigen rolle, die sie in ver-
schiedenen Perioden auf der deutschen bühne von den mittelalterlichen mysterien bis
zur feierlichen Verbrennung des Hanswurst durch Gottsched gespielt hat, wäre ein
dankbares, freilich auch umfassende Studien erforderndes unternehmen. Die vorlie-
gende arbeit zeigt schon durch den titel, dass sie diese aufgäbe nicht in vollem
umfange losen will, sondern sich auf eine auswahl von dramen beschränkt. Reuling,
ein Schüler Baechtolds, behandelt in zehn kapiteln (leider fehlt sowol eine inhalts-
Übersicht wie ein register): 1. das erste erscheinen der komischen figur in den
geistlichen spielen, 2. die fastnachtspiele, 3. das schweizerische drama, 4. Hans
Sachs, 5. die englischen komödianten, 6. Jacob Ayrer, 7. herzog Julius [soll heissen:
Heinrich Julius] von Braunschweig, 8. die zeit des drcissigjährigen krieges, 9. Chri-
stian Weise, 10. die extemporierte komödie Stranitzkys. Fleissig und genau, aber
etwas trocken excerpiert der autor die einzelnen stücke auf ihre handlung und die
mehr oder minder gelungene Verbindung der lustigen person mit derselben und stelt
am Schlüsse jedes kapitds die erhaltenen charakterzüge in einer tabellarischen Über-
sicht zusammen. Seit der ältesten zeit erscheint der lustigmacher, sei er nun teufel
oder bauer oder ein knecht niederer abkunft, als ein fressgieriger, trunkliebender, gei-
ler und zugleich feiger geselle, spottlustig, boshaft und unflätig wie Eulenspiegel und
dann wider gutinütig oder bitter moralisierend; auch die einzelnen komischen motive,
Wortwitz, wörtliche auslegung von befehlen, misverständnis fremden dialekts, pantof-
felhorschaft, hanreitum u. a., werden aufgezählt und durch vergleich mit früheren
kapiteln die neuheit einzelner züge hervorgehoben. Die Verwendung des narren als
einschreiers und prologsprechers in schweizerischen stücken des 16. Jahrhunderts
ist nicht vergessen, die verschiedenen namen des Hanswurst vom knecht Bubin bis
zum Fuohsmundi werden angegeben (s. 86. 79. 107. 125. 150. 166), auch über seine
kleidung wird berichtet (s. 69. 84). Damit bietet Reuling uns ein verlässliches und
gut geordnetes material, das als Vorarbeit für eine umfassendere und eingehendere
Untersuchung sich jedesfals nützlich erweisen wird.
Denn wenn auch die auswahl der dramen verständig getroffen ist, so zeigen
sich doch in der betrachtung des 16. und 17. Jahrhunderts manche lücken. Dass
s. 50 der name des Valentin Apelles (Goedeke, Grundriss* 2, 368) fehlt, ist ein
geringes versehen; aber wir hören gar nichts von der niederdeutschen, von der neu-
lateinischen komödie, von Macropedius, Erischlin, Gramer, Boeefeld; das drama der
fahrenden komödianten wird nur eben gestreift, während doch eine Untersuchung des
Juden von Venedig, der stücke Eormarts, auch Christian Reuters hier zu fruchtbaren
betrachtnngen hätte führen müssen. Eine tiefergehende quellenuntersuchung der
komischen stoüe und motive wird allerdings auf manche seitenpfade leiten, an denen
36*
564 BOLT£, ÜBSB BIUUNO, DU XOUIBCHX nOOB UI DBUTSOHClf DBAMA
der Verfasser als an irwegen rasch vorübergeschriiten ist, aber auch yielen gewinn
bringen. Die einflösse des französischen, des italienischen, des englischen theaters
dürfen nicht übergangen werden. 8. 2 heisst es: ^Der knecht Rubin ist die erste
frei erfondene fignr in der dramatischen deutschen litterator*. Nun hat aber Martin
im Anzeiger für deutsches altertum 8, 311 gerade hierin eine nachahmong des altfran-
zösischen Bobin nachgewiesen. Der name Calliopius für den als regisseur auftre-
tenden narren (s. 37) mahnt uns an den fortwirkenden einfluss des Terenz; v^Bolte,
Märkische forschungen 18, 213 zu Wolfg. Herman; femer Gnapheus, Hypocrisis 1544.
Ziegler, Abel iustus 1559. A. Meyenbrunn, Johannes der tfiuffer 1573. Bollenhagen,
Terentius 1592 vorrede. Pape, Christiani hominis sors 1612 vorrede. Für Hans Sachs
wäre die neuerdings wider von Stiefel vorgenommene betrachtung seiner unmittelbaren
quellen, ebenso bei Ayrer die rücksicht auf die von ihm benuzten schwanke Eirdi-
hofifis (Wendunmut 1, 139. 363. 371. 425), Valentin Schumanns u. a. forderlich gewe-
sen. Überhaupt wird man den engen Zusammenhang von bühnendichtung und anek-
dotensamlungen nicht aus den augcn verlieren düi*fen und auch die Stellung der
lustigen person im wirklichen leben als hofoarr, pritschmeister und spruchsprecher
beachten müssen. Die zunehmende bedeutung des Hanswursts während des 17. Jahr-
hunderts erkent man daraus, dass viele beliebte darsteUer dieser rolle sich zu prin-
cipalen von schauspielergeselschaften emporgeschwungen haben, wie sie ja auch
bestimte charaktermasken bildeten und schufen. So trat Bobert Beynolds als Pickel-
haring, SackeviUe als John Bouset, Andreini als capitano Spavento auf, Spencer als
Junker Stockfisch, Tiberio Fiorilli als Soaramuzza\ Job. Valentin Petzold als Eüian
Brustfleck', Stranitzky als Fuchsmundi, Kurz als Bemardon. In den hauptaktionen
wüsten diese komiker in ihren dienerrollen durch unflätige karikatur der hauptper-
sonen das wolgefallen des grossen publikums auf sich zu lenken und trugen gerade
dadurch zur herabziehung des ernsten Schauspieles am meisten bei. Der schon
genante Kormart gibt durch seine bearbeitung des Timocrate von Thomas Corneille
hierfür ein lehrreiches beispiel (vgl. Herrigs archiv 82, 120 (g,). Die wachsende
berühmtheit der clowndarsteller lässt sich kaum besser illustrieren als durch die
häufige tatsache, dass schwanksamlungen unter ihrem namen veröffentlicht wurden.
Ich stelle, da hierauf bisher kaum geachtet worden ist, kurz zusammen, was mir zur
band ist:
1) Außbündige gute bossen, oder außgeklaubte schnadriaken, durch herm Hen-
sel "Wurst, o. o. 1610. 8^ — auch 1618. 8«. (Hayn, Bibl. Germ. erot. 1885 8.354).
2) De geest van Jan Tamboer of uyt-gelese stoffe voor de kluchtlievende
jonckheydt Amsterdam 1656 (Qrässo, Tresor 3, 450). — Amsterdam 1664. 3 bl. +
268 s. 12«. (Berlin Zh 10176). — Amsterdam o. j. (Leiden). — Deutsch: Der
geist von Jan Tambaur. gedruckt in diesem itzigen jähre [vor 1692]. 290 s. 12^.
(Berlin Yt 9901, 3. Hayn citiert deutsche ausgaben von 1669 und 1673). — Jan
1) La vie de Scanunonohe por Meaetin (A. Constantini) 1695. röünpr. par L. Moland 1876. —
GrebnrUi, Leben und Todt des bwühmten Scaramozza. 1728 zagleioh mit dem italieniBchen texte (Beriin
Zz 7096). — Ck)n8taDtini , Het leren ran Sobanunouche door L. L. 2. druck. Amsterdam 1716 (Leiden).
Vgl. Hayn, Bibliotheca Geimanoram erotica 1885 a. 274, der deateobe ausgaben Leipsig 1695 und o. j.
anfHbTt.
2) Vgl. Scberer, Ans üoetbea frfibzeit 1879 s. 122—126. R. M. Werner, Ztscbr. f. d. altert
26, 289. — Bnlenspiegelatreicbe dee Eilian Brostlleck werden erzüblt bei G*. G. Backard, Die laoheiide
Bchnl. Hall 1725 nr. 2. 61. 93. 127. 166 tg. 162 (Berlin Yt 10681) nnd in den Scbenbafftan ei&AIlaa und
lästigen bistorien 1768 nr. 60. 71. 72. 76. 172 (Beriin Tt 104S1, 2).
EBDSLLNN, ÜBER REIOKE, GOTTSCHEDS LKBBJAfiBB 565
Tamboer war ein Amsterdamer Schauspieler; vgl. Worp,*T\jdschrift voor nederL taal-
en letterkunde 3, 64.
3) Filamon ans Miseinen, Der geist von monsienr Pickel -hering oder histori-
scher blnmenthal. gedruckt im jähr 1666. 8»/, bogen 12«. (Berlin Yt 9266, 1.) —
1670- 8 bogen 12«. (Berlin Yt 9380a, 2).
4) Philamon ans Miseinen, Der geist von monsienr Corteean, oder historischer
lust-wald. gedmckt im jähr 1666. 200 s. 12^ (Berün Yt 9266, 2). — Hayn citiert
noch einen druck von 1670.
5) Filamon aus Miseinen, Der geist des pussierlichen Pussenellen. o. o. 1668.
(Hayn a. a. o.) — Auszüge aus nr. 2, 4 und 5 in „Des uhralten jungen Leyer-Matzs
lustiger correspondentz- geist". 1668 und 1670. (Berlin Yt 9376 und 9380. Goe-
deke, Grundriss' 3, 266).
6) Der kurtzweilige und noch niemals auff der schau -bühne dieser weit auff-
getretene Arlequin . . . durch J. M. M. Leipzig 1691. 2 + 549 s. 12^ (Berlin Yt
9901, 1).
7) Der schnaack und geckhafifte, dabey ei'getzende Scaramutza, worin allerhand
lustige unp lächerliche begebenheiten enthalten. Leipzig, verlegts Hieron. Frieder.
HofiEmann. (Leipziger messkatalog ostern 1694, bl. Hla).
8) Der kurtzweilige Hanß -Wurst von Fi'ölichshausen . . . von N. L. 1718. 334 s.
12°. (Berlin Yt 10431, 1).
9) Halecius Eyer- platz [= Joh. Paul Waitmann], Der in allen wissenchaften
erfahrne und wohlstudirte Piokelhering. 1720. 2 + 334 s. 12^ (Berlin Yt 10511). —
Röthenbach 1733. 308 s. 12^ (BerUn Yt 10516).
Man sieht also, dass der forschung auf diesem gebiete noch viel zu tun
übrig bleibt
BBRUN. JOHANNES HOLTE.
Zu Joh. Christ Gottsched's lehrjahren auf der Königsberger Univer-
sität Von Jo]ianne8 Beieke. [Abdruck aus der Altpreussischen monatsschrift
XXIX, 1. 2.] Königsberg i. Pr., Ferd. Beyer. 1892. 81 s. 2 m.
Die abhandlung, deren kleinerer teil (s. 1 — 16 und anmerkungen s. 40 — 60)
als Königsberger doctordissertation 1892 erschienen ist, gibt alles, was aus neuer
durchforschung der quellen — schrifken Gottscheds und seiner Zeitgenossen, Idrchen-
bücher, universitätsacten und seltene diiicke von gelegenheitsschrifken — für die
kentnis von Gottscheds äusserem und innerem leben bis zu seinem unfreiwilligen
fortgange aus dem geliebten vaterlande (1724) zu gewinnen war. Auf Gottscheds
eigene Persönlichkeit wie auf die seiner freunde, lehrer und gönner (namentlich
Pietsch's, dessen 1718 verteidigte, sehr oharakteristische thesen über dichtkunst und
Stil im anhange s. 72—81 abgedruckt sind), wirft dr. J. Eeiokes schrifk neues licht
Der p&rrerssohn aus Juditten hat fast ein jahrzehent an den brüsten der Albertina
gelegen und galt — wie z. b. aus der ihm bei seiner promotion gewidmeten fest-
Schrift hervorgeht, vgl. s. 38. 68 fg. — als ein besonders hervorragender und viel-
versprechender Zögling der universitftt Zu fast allen bestrebungen, die er in seiniam
späteren leben mit eifer und Zähigkeit verfolgte, hat er den grund schon in Königs-
berg gelegt Eigene anschauung des theaters freilich hat er nach seiner ausdrück-
lichen angäbe in der vorrede zum „Cato*^ (dr. Beicke machte mich brieflich auf die
stelle aufmerksam) dort nicht gewinnen können-, aber seine auf buchgelehrsamkeit
gegründeten ansichten von der „theatralischen poesie*^ sind, wie man aus derselben
h« t^■.- »Ib. rt« •MJki«>f.-', ",. ■.-*■.-.-. ■H^"'»V«f^ ^ .-:_
6«6
Torrede sohliessen kann, ebenfals sohon in Königsberg im wesentlichen aosgelyüdet
worden. Die fleissige und von Inbliothekarisoher sorgfidt zeugende sohrift J. Reicke's
ist lehrreich für jeden, der eine richtige Würdigung des oft obeillfidilioh beurteiltea
und verurteilten mannes gewinnen will; viele der gesammelten seugnisse haben aber
auch, typisch gefasst, ihren wert für die erkentnis des gesohmackes und der geistes-
richtung, die zu anfang des 18. Jahrhunderts in den gelehrten kreisen Fieusseos und
Deutschlands vorhersehend waren.
KXKL. 0. KBD1IA1I9.
MISCELLEN.
Za den nentralen eagelB.
Mit bezug auf die von prof. Seeber in unserer Zeitschrift XXIV, 32—37
gegebene darstellung macht prof. dr. Ph. Strauch darauf aulmeiiDBam, dass die dort
8. 35 angezogene handschrift Sentlingors zu den sogenanten Schwellhandschriften der
Weltchronik gehört Die von den „neutralen engein* handelnden verse, die s. 35 fg.
unter 2) und 3) citiert sind, finden sich schon in der Weltohronik von Jansen Eni-
kel, siehe Strauch, ausgäbe derselben (Monumenta Germanica, deutsche chitmiken
m, 1. Hannover, Hahn. 1891) v. 229—236. 259—270. 320—326.
Die aeiehen > und <•
Da Hugo Schuchardt seinen zuei'st im litteraturblatt für germanische und
romanische philologie (1892, sp. 40) veröffentlichten verschlag (es handelt sich darum,
eine ^eichmässige Verwendung der zeichen >• und <C in sprachwissenschafUiehen
publikatiooen herbeizuführen) auch in der Zeitschrift für vergleichende sprachfof-
schung (bd. 32, s. 595 fg.)i in den Beitrügen zur geschichte der deutschen spräche
und litteratur (bd. 16, s. 566) und vielleicht noch anderwärts hat abdrucken lassen,
mithin seine meinung nach kräften zu verbreiten sucht, scheint es mir nötig, hier-
durch ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ich in dem zuerst genanten blatte (1892,
sp. 182— 184) den beweis geführt habe:
1) dass die zeichen > und < ungefähr gleichzeitig von Francis A. March
und Karl Yerner zuerst angewendet worden sind und dass beide gelehrte sie in der-
selben geltung gebrauchen (x "> y heisst: x wird zu y; x < y heisst: x ist aus
y entstanden);
2) dass die Verwendung der zeichen in dem umgekehrten, von Schuchardt ver-
teidigten sinne nur ganz ausnahmsweise statgefunden hat, vielmehr die weit über-
wiegende mehrzahl deijenigen, die sich später dieser zeichen bedient haben, dem bei-
spiele von March und Yerner gefolgt sind.
Meine ausfnhrungen scheinen algemein als zutreffend anerkant worden zu sein;
wenigstens habe ich nicht erMren, dass auch nur eine stimme für Schuchardt sich
erhoben hat, während mir zahlreiche briefliche Zustimmungen zugegangen sind und
öffentlich Behaghel (Germania 37, 375), Sievers (Beiträge 16, 566) und Gaston
Paris (Romania 21, 469 fg.) für mich sich erklärt haben. Gaston Paris sieht sogar
die ganze finge als abgetan an und ist der Überzeugung, dass nun einmütig sämt-
liche Sprachforscher den beiden zeichen den von March und Yerner ihnen beigelegten
wert belassen werden. Diese erwartung des berühmten französisdien romanisten ist
leider (wie z. b. nr. 9 des litteraturblattes beweist) alzu optimistisch gewesen; doch
NBUB sRSCHxnnnvQiR 567
darf Ich meinerseits wol die hofnung aussprecben , dass die herausgeber linguistischer
Zeitschriften in ihren spalten fortan nur die Verwendung der beiden zeichen dulden
werden, die von mir als die historisch allein berechtigte und fast algemein im in-
und auslände gebräuchliche erwiesen ist
KIEL. HUGO OKBINO.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
EDgrelien, Angfost, Grammatik der nhd. spräche. 4. aufläge. Vlll und 608 s.
7,50 m. — Leitfaden für den deutschen Sprachunterricht 11: für die
mittelklassen. Neue stereotypierte aufläge. 160 s. Im. — Die deutsche
Wortbildung für den schulgebrauch methodisch dargestelt 45 b. 0,30 m. Ber-
lin C, W. Schnitze. 1892.
Die weite Verbreitung, welche die beiden ersten bücher bereits gefunden
haben, ist nicht unverdient; sie sind aus gründlicher arbeit und von nachdenken
begleiteter pädagogischer erfahrung erwachsen und bewältigen in klarer darstellung
eine grosse menge lehrreichen Stoffes. Über manche theoretische frage kann man
abweichender meinung sein; unter den grammatischen benennungen beklage ich
die beständig gebrauchte „imperfectum*^ für das germanische praeteritum. Die
tatsächlichen mitteilungen sind aus fleissigem Studium grundlegender wissenschaft-
licher werke, sowio aus eigener lektüre der nhd. litteraiur geschöpft und fiiist
durchweg zuverlässig; eine ausnähme macht die unrichtige notiz über ahd. heixan
und giheixan (s. 176 der grammatik). Wenig eindringend ist, was s. 100. 375
über den artikel, s. 514 (nur ganz nebenbei I) über die Wortstellung gesagt ist —
In dem dritten, jezt zum ersten male erschienenen büchlein über die Wortbildung
wären die ableitungen von getrost s. 20, glück s. 21 besser fortgeblieben, o. s.
Heyne, Moriz, Deutsches Wörterbuch. Vierter halbband: licht — quittung.
XXIY (erstes quellenverzeichnis!) und sp. 641 — 1238. Leipzig, S. Hirzel. 1892.
5 m.
Lesmed, Marion I^exter, the sage of Walther of Aquitaine. Baltimore 1892.
VI, 208 s.
Marold, K., Die schriftcitate der Skeireins und ihre bedeutung für die tert-
geschichte der gotischen bibel. 10 s. 4. [Festschrift des königl. Friedrichskolle-
giums zu Königsberg i. Pr. 1892. s. 65—74.]
Wunderlich, Hermann, Der deutsche satzbau. Stuttgart, J. G. Cotta nachfol-
ger. 1892. XIV und 252 s. 4 m.
Inhalt: L Verbum (1. abgrenzung von anderen Wortklassen; 2. formen;
3. Stellung), ü. Substantivum (1. algemeine abgrenzung; 2. gebrauchaformen).
m. Ac^ectivum. IV. Fronomen. V. Partikeln (1. algemeines; 2) praepositionen;
3. bindepartikeln.) — Der herr Verfasser teilt uns mit: „Im Verzeichnis der druck-
fehler und nachtrage (s. 252) sind einige berichtigungen leider in folge eines mis-
verständnisses ausgeMen. Wenn auch der sinn in den meisten fällen unschwer
zu erraten ist (so auch wo! 212, 17 Verstrennung für Vertrenntmg; 182, 21
bedrängt statt bedingt)^ so muss doch zu 59, 11 bemerkt werden, dass der satz
wie überhaupt — Präsens zu streichen ist, und dass 236, 17 die ursprüngliche
fassung in einem Falle sich bei der korrektur urtümlich in einmal umgewan-
delt hat".
.«AI
568
VACHRICRTBN
NACHRICHTEN.
Es habilitierten sich für deutsche philologie: in Wien dr. Max Hermann
Joilinek, in Münster dr. Karl Drescher, in Bern dr. 0. v. Qreyerz. Der pri-
vatdocent dr. Oswald von Zingerle wurde als extraordinarius nach Czemowitz
berufen.
Am 15. angnst 1893 verschied zu Weimar dr. Reinhold Köhler, grossher-
zogl. sächsischer oberbibliothekar (geb. in Weimar 24. juni 1830). Er war ein her-
vorragender forscher auf dem gebiete der vergleichenden litteraturgeschiohte, beeondere
auch ein feinsinniger kenner der mittelalterlichen noveUistüc und der märofaenlitte-
ratur. Unserer Zeitschrift hat er bis zum XYI. bände eine reihe wertvoller beitiage
gesani
Am 17. September 1892 verstarb dr. Ignaz Vinzenz Zingerle, edler von
Summersberg, k. k. regieiirngsrat, von 1859 bis 1890 professor der deutschen philo-
logie an der Universität Innsbruck (geb. 6. mai 1825 in Meran). Eine Schilderung
seines lebensganges von der band K. Weinholds enthält die beilage zur Allg. zeitung
vom 1. Oktober; eine Übersicht seiner Schriften (vgl. auch C. v. Wurzbach, östeir.
biograph. lexicon XL) ist in demselben blatte am 22. September gegeben. Eine reihe
kleinerer arbeiten Zingerles enthält Pfeiffers Germania, sowie unsere Zeitschrift (in
band H. IV. VI. IX. XI. XHI. XVH. XVHI. XXI. XXIV. XXVI).
Am .%. Oktober 1892 starb zuAarau der sagenforscher Ernst Ludwig Roch-
holz (geb. 3. märz 1809 zu Ansbach).
In der anzeige des buches von Bechtel ist zu lesen: s. 368, zeile 12: „mit
Brugmann; r. 372, z. 11: '); &• 374, z. 12: 9'; s. 375, anm. 1, z. 2: ä\ s. 376, z. 8
V. u.: skr. de'va, ht devh\ s. 377, z. 3 v. u.: pddm-, s. 378, z. 17: lit. nakte'; s. 379.
z. 7 V. u.: ghveWes; s. 385, z. 27: erklärt**.*)
L SACHREGISTER
Acrosticha in lateinischen gedichten und
bei Otfrid 556.
Adelungs Wörterbuch: Wielands Wortschatz
im Geron verglichen damit 240 — 252.
alamodische hobelbank 418 fg. vgl gro-
bianische Schriften.
alliteration siehe metrik.
altnordisch: eddische kosmogonie siehe
Edda.
Arnolds lateinische Übertragung des Hart-
mannsohen Gregorius 126 fgg. vgl. Hart-
mann.
begräbnis more Teutonico 139.
bibelübersetzung, niederdeutsche, Bugen-
hagens anteil daran 134 fg.
Boccaccio: Hans Sachs als nachahmer des
B., siehe H. Sachs.
Bngenhagens anteil an der nd. bibelüber-
setzung 134 f^.
Capions schauspielertruppe siehe dieses.
Carmina Burana 27.
Chauken, Wohnsitze 129.
Cicogninis stück Statua in Dänemark ge-
spielt 321; vgl schauspielertmppen.
Comeilles Polyeuct: deutsche bearbeitun-
gen 519.
Dänemark: deutsche schauspiolertruppen
in D. 313 fgg.
Donners schauspielertruppe 324.
drama vom verlornen söhn 140. deut-
sche schauspielertruppen in Dänemark
314 fg. kindersoenen 525. allegorische
figuren 527. komische figuren 563 fg. —
Vgl. Faust, A. Gr^hius, Klinger, Mit-
temacht, Puppenspiele, Gottsched.
Eckenbergs schauspielertruppe 338.
Eckenlied: metrische abhängigkeit der
Carmina Burana von der weise des
Eckenliedes 1 fg., 27 fg. die in Car-
mina Burana überlieferte strophe stelt
den ursprünglichen anfang des Ecken-
liedes dar 2 fg. — Helfrich von Lutrin-
gen oder Lune ursprün^^ch allein in
der ersten strophe der alten dichtung
I. 8ACHBEGI8TER
569
Tertreten 3 fgg. bedeutnn^ des namens
5 — 11. — nrsprüngliohe reihenfolge der
Strophen vom anfang des originales bis
zum beginn des kampfes in der näch-
sten grün dlage von L d a s 1 1 — 22. Ver-
hältnis der texte bei der Überlieferung
des kampfes 22 — 24. Dietrichs kämpf
mit Fasoit und Dietrichs besuch bei den
königinnen 24 — 27.
Edda: eddische kosmogonie 399 — 402.
Egbert v. Lüttich, fecunda ratis 423—430.
englische komödianton, ihr einfluss auf
Mitternacht 527 fg.
Enikel, Weltchronik 566.
Paust: Verhältnis des böhmischen Puppen-
spieles zu den Volksliedern von Faust
421 fg.
Geraer gymnasium: aufführungen von dra-
men im 17. jahrh. 510 fg.
Germanen: zeit ihrer ansiedlung im nord-
östlichen Deutechland 547 fgg. — Urhei-
mat der Indogermanen 549. vorindo-
germanische bevölkerung Europas 549.
— bestimmung des anfanges der ger-
manischen Sondersprache 550 fg.
geselschaftslied des 17. Jahrhunderts, siehe
liederbücher.
Gloim: briefe Herders und seiner gattin
an ihn 36 — 70. briefe Gleims an Her-
der 37 fg. 51 anm. 7; an Herders gat-
tin 42 anm. 2. 54 anm. 1. — sein urteil
über Jean Faul 40 anm. 6. über Stol-
bergs übertritt zum katholicismus 58
anm. 1. über die Xenien 47 anm. 1.
Gnaphaeus Acolastus , Schaffhauser manu-
script 140.
Goethe: urteil Gleims über die Xenien 47
anm. 1. — gedieht: Der ewige Jude,
zeit der entetehung 289 fg. das gedieht
als angebliches zeugnis für Goethes
damaligen religiösen Standpunkt 289 —
300. einfluss der Verlobung auf seine
Stimmung 294 fg. wideraufnahme des
planes auf dem wege nach Rom 296 fgg.
tendenz des gedichtes 299 fg. verhfit-
nis zu gleichzeitigen dichtungen 300 fg.
Goethes späteres urteil 301 fgg.
Gottsched in Königsberg 565.
grammatik. neuhochdeuteche : gebrauch
des pronomens: persönliches, unge-
schleontiges pronomen 305 fgg. per-
sönliches, geschlechtiges pronomen 307
— 311. pronomen possessivum 311 fgg.
— hauptprobleme der indogermani-
schen lautlehre: Verhältnis von ablau-
tendem e und 0 368. Schwächung des
mit muten xmd Spiranten verbundenen
vokals 369. des mit nasalen oder liqui-
den verbundenen vokals vor folgendem
vokal 370 fg. vor folgendem konsonan-
ten 371 — 374. Schwächung der Ver-
bindung ei, eu 374 fg. dehnung 375 —
382. fingen und diphthonge mit lan-
gem eföten komponenten 382 — 390.
die gutturale 390 — 393. / der Ur-
sprache 393 fg.
grobianische Schriften: alamodische hobel-
bank 418 fg.
Gryphius, Andreas: sein Papinian nach
Haskerls bearbeitung gespielt von der
Spiegelbergschen schauspielertruppe 331.
Hanswurst 564.
Hartmann von Aue: Gregorius, Verhältnis
der einleitung zur lateinischen Übertra-
gung Arnolds 126 fg.
Haskerls bearbeitung des Papinian von
A. Gryphius 331 fg.
Helfrich von Lutringen oder Lune in der
ersten Strophe des alten Eckenliedes,
bedeutung des namens 3 fgg. vgl. Ecken-
lied.
Herder: briefe von ihm und seiner gat-
tin an Gleim 36 — 70. brief Gleims an
Herder 37 fg. 51 anm. 7. an Herders
gattin 42 anm. 2, 54 anm. 1.
höfisches leben zur zeit der min-
nesinger: fragespiel 91. tanz 91 fg.
musikinstrumente 92 fg. vorlesen 93.
Spielleute, das sptlwip 93 fg. Stellung
der kirchenfürsten zu den spielleuten
93. s. Gertruden , s. Johannis minne 95.
lebenswandel der geistlichkeit 95 fg. sit-
lichkeit 96. ideale des ritters, minne-
dienst 97 fg. einteilung der frauen 98.
eheschliessung 98 fgg. sperlOOfg. ban-
ner 101. rüstung, kleidung 102 fg.
waffenröcke 103 fg. zimier 104. reise-
gewand 104 fg. schild 105 fg. kover-
tiure 106. tumier 106. 109. ordale
109. zeit 110 fg. kampflieder 111.
heilmittel für wunde, Operation 111 fg.
die gefallenen 112. schwur 113.
Jean Paul : Gleims urteil über ihn 40 anm. 6.
Jerusalemfahrt des pfalzgrafen Otthein-
rich 166 — 220. 475—501. Vgl. pü-
gerfahrten.
indogermanische lautlehre, haupt-
probleme derselben siehe grammatik. —
Urheimat der Indogermanen 549. vor-
indogermanische bevölkerung Europas
549. bestimmung des anfanges einer
germanischen Sondersprache 550 fg.
Joachims Karl von Braunschweig lieder-
buch 29 — 32. vgl. liederbücher.
klage, diu: Unterscheidung von zwei tei-
len 146. inhalt des zweiten teiles 146 —
150. rechtfertigung Eriemhilts 150 fgg.
Hagens verurteüimg 153. degeneration
der alten recken 153—157. wörtliche
Übereinstimmungen mit dem Nibelun*
p-^^tt,* ^
570
L 8ACSKI6I8TEB
geoliede 156. Widersprüche zwischen
oeidea teilen des gedieh tes 158 fg. ver-
knüpftmg beider teile 159 fg. lateinische
und deutsche quelle 160 fg.
Klinger, Maximilian y. : Henri Pig'ons UHi-
stoire des trois fils quelle seines lust-
spiels: Der derwisch 357 ^g. bearbei-
tung Elingers 359—362.
Köbers auffuhrungen am Oeraer gymna-
sium 514.
Köhler, Reinhold 568.
Konrads Yon Hirschau dialogus super aucto-
res sive didascalon: inhalt 268—272.
spräche, quellen, pädagogischer Stand-
punkt 272. methode 272 f^.
Kormarts Polyeuctus siehe Mitternacht
Kümberger, der: als Verfasser der ihm
zugeschriebenen Strophen 408 fgg. als
angeblicher dichter des Nibelungenliedes
408 fgg.
Lassenius, Johann, seine angebliche lauf-
bahn als Schauspieler 314 anm. 7.
lautlehre, hauptprobleme der indogerma-
nischen, siehe grammatik.
Lexer, Matthias von, nekrolog 253—256.
liederbüchor des 16. und 17. Jahr-
hunderts: liederbuch des prinzen Jo-
achim Karl von Braunschweig 29 — 32.
der Prinzessin Luise Charlotte v. Braun-
sohweig 32 — 36. — Vonusgärtlein : nach-
weise zu nr. 50 s. 65. 273 fg. zu nr.
53, s. 68. 274—280. zu nr. 63— 65
s. 280. zu nr. 69 s. 280—283. zu nr.
81, s. 122. 283. zu nr. 107 s. 283. zu
nr. 114 s. 283. Charakter des gesel-
schaftsliedes 283 fg. Verhältnis zum mo-
dernen volksliede 284. s. 138: Ein
hirschlein usw. anfang der modernen
Jägerromantik 284. nachgeahmt von
Sdieffler 284 fg. — Des Neu weltlichen
liederbüchleins und ähnlicher Verhältnis
zum modernen volksliede 285 fg. —
vgl. Zweibrückener handschriften.
Luise Charlotte von Brandenburg, lieder-
buch derselben 32—36.
metrik: zur gesohichte der altdeutschen
verskunst 552 fgg. alliteration 554. Ot-
frieds iktenzoichen 554 fg^. endreim
556 fg. der reim bei den irischen klo-
sterdichtern 557. in der lateinischen
dichtung 557. drei-, vier- und mehr-
hebige verse naxh. Otfried 558 fg. Ni-
belungenstrophe 559. — metrische ab-
hängigkeit der Strophen der Carmina
Burana von der weise des Eckenliedes
1 fg. 27 fg. — vgl. Eckonlied.
minnegesang: natureingänge der minneUe-
der 122 ^. 124. — hönsches leben zur
zeit der minnesinger 91 — 113.
Mitternacht: lieder 503— 509. diamea
509 fg. seine lateinischen dramen auf-
geführt von Schülern des Geraer gym-
na8iums510 — 514. auffuhrungon durch
rektor Köber, den nachfolger Mitter-
nachts 514; darunter eine bearbeitung
von Comeilles Polyeuct 514 — 519; Zu-
sammenhang mit Kormarts Pdyeuctus
519 fg. — die beiden deutschen dramen
Mitternachts 520 fg. : 1) der un^ück-
selige Soldat vnd vorwitzige barbierer
521 — 526. auftreten allegorischer figu-
ren 526 fg. einfluss der englischen ko-
mödianten 527 fgg. pädagogisch -mora-
lische tendenz des Stuckes 529 fg. 2)
Politica dramatica 530—537.
Müllers, Wilhelm, romanze: Est, est 142 fg.
nekrologe: Friedr. Zamcke 71 — 90. Mat-
thias V. Lexer 253 — 256. Theodor Wi-
sen 362—366.
Neuberin, die, mitglied der Spiegelberg-
schen schauspielertruppe siehe das lezte.
Nibelungenlied: Verhältnis der klage
zum N., siehe klage. — Verhältnis d^
YU. und yni. Lachmannschen liedcs
407 fg. der Kümbeiger als angeblicher
Verfasser des N. 408 fgg. bedeutung
des namens Nibelung, Nibelungen 410 fg.
burgundische könige 411. goldhaltigkeit
des Rheinsandes hat zur sage von dem
Nibelungenschatze beigetragen 411 fg.
Verhältnis der geschichte von der er-
weckung Sigrdrifas zur gewinnung Bmo-
hilds 413 fg. Wechsel der rollen des
Etzel und der Kriemhilt im nordischen
und deutschen NibelungenUede 415 f^.
Verhältnis des epos zur spielmannspoesie
416. — Nibelungenstrophe 559.
Otfrieds iktcnzeichen 554.
Ottheinrichs, pfalzgrafen bei Rhein, pil-
gorfahrt 164.
P<gons, Henri, L'Histoire des trois fils
usw. quelle von Klingers derwisch, siehe
Klinger.
Pandszensche schauspielertruppe 315 fg.
Paulsensche schauspielertruppe 315 fg.
Pilgerfahrten: entstehuns soeenanter
pilgorbrüder 163 fg. piTgerfaort des
pfalzgrafen Ottheinrich 164. bericht
eines bäuerlichen Schweizers darüber
164. 166-220. 475—501. bericht
eines geistlichen darüber 164.
Puppenspiele: Zugehörigkeit zum repertoiro
der Wanderbühnen des 17. Jahrhunderts
420 fg. — böhmisches Puppenspiel von
dr. Faust 421 fg.
von Quotens schauspielertruppe 340 fg.
reim: siehe metrik.
reuterlieder, siehe Zweibrückener hand-
schriften.
n. yXB2XICHlfI8 SKR BBBFBOGHKNEN STELLEN
571
Sachs, Hans: behandlang des Boooacdo
344 fg. erklfirung des von ihm beibe-
haltenen anstöesigen 845 fg. Verhältnis
der menschen zu Gott in den fastnacht-
spielen 346 fgg. Verhältnis der men-
schen untereinander: Warnung mächtiger
348 fg. achtbarkeit aller stände 349 fg.
tadel unzüchtigen lebens 351 fg. lob
der ehe 352 fgg. Jnndererziehung 354
fgg. quellen 564.
Schauspielertruppen, deutsche, in
Dänemark: des Wulff und Treu 314.
des Pandszen 315. des Paulsen 3 1 5 fgg.
des üblich 316 fe. der witwe Veiten
317. theaterzettel ihrer trappe, betr.
das stück Statua und inhalt desselben
318 — 321. vergleich mit dem italieni-
schen original des Cicognini 321. —
anschlagzettel, vermutlich dos Denner,
betr. das stück: Der verirte liebes -stand
322 fgg. die Denner -Spiegelberssche
trappe 324 fgg. Neuber und frau Neu-
berin mitglieder derselben 325. plan
des von der Spiegelbergschen trappe in
Kopenhagen gespielten Stückes: derver-
wirte Soldat 326—331. des von Has-
kerl bearbeiteten Papinian des A. Gry-
phins 331 — 334. änderangen des ori-
ginales 334 fgg. nachweis eines zweiten
im norden spielenden Spiegelberg 337 fg.
Oarl V. Eckenbergs auftreten 338 fg.
Etienne Gapions bühne 338 fg. v. Quo-
ten und die von seiner trappe gespiel-
ten stücke 340 — 342. — Puppenspiele
im repertoire der Wandertruppen des
17. Jahrhunderts 420 fg.
Schomer ahmt lieder des Venusgärtleins
nach 284.
Scherer, Wilhelm , urteile über ihn 287 fg.
Schiller: Gleims urteil über die Xenien
47 anm. 1.
Spiegdbergsohe sohauspielertrappen 326
spielmannspoesie, Verhältnis zum Nibe-
lungenliede 416.
Sprachvergleichung, siehe grammatik.
Stolbergs übertritt zum kauolicismus, ur-
teil Gleims 58 anm. 1.
Thidreksaga; urspriingliche und inter-
polierte tmle: o. 197—283. 433—441.
0. 21 — 196 435. vgl. 455 fg. c. 197 —
240 435—438. c. 241—274 438 fg.
c. 276 — 290 439 — 442. Verhältnis Ro-
Aingeirrs zur sage 442 — 445. Stellung
derNiflungasaga(342— 348. 356—394)
zur sage 445—450. c. 303—307 4r)l
fg. c. 295. 308 452 fg. c. 316—339
444 fgg. c. 340—341 450. c. 349 —
355 453. c. 395—422 447 fgg. 453 fg.
c. 423 — 428 450. 4.54 fg. c. 429 — 436
454—458. c. 437 458 fg. Sc. 383 —
386 459 ^. c. 1—20 460 fgg. Schei-
dung der interpolationen nach den ver-
fassen 462—475.
Treusche schauspielertrappe 314.
ühlichsohe schauspielertrappe 316.
Veltensche schauspielertrappo 317.
Venusgärtlein, Hederbuch des 17. Jahr-
hunderts 273 fg.
Volkslieder des 16. Jahrhunderts: einfluss
auf das moderae Volkslied 285. — Ver-
hältnis des böhmischen Puppenspieles
von dr. Faust zu volksliedera von Faust
421.
Wanderbühnen, siehe schauspielertrappen.
Wielands dichterische manier 221 fgg.
Geron: composition des gedichtes und
Verhältnis zur quelle, Gyron le Cour-
tois 221 — 236. Wielands aoffassung
vom hochdeutschen 236—240. Verhält-
nis zu Adelungs Wörterbuch 240 (^.
Wortvorrat im Geron verglichen mit
Adelung 241 — 252.
Winnenbergs, freihenm von, reuterliedor
in einer Zweibrückener handschrift 539.
Wisen, Theodor, nekrolog 362—366.
Wulfiische schauspielerti'uppe 314.
Xenien: urteil Gleims 47 anm. 1.
Zaracke, Friedrich, nekrolog 71—90.
zehn altsrsstufen des menschen, gedieht
544 fg.
zeichen > und < 566.
Zingerle, I. v., 568.
Zweibrückener handschriften: ge-
dieht auf die vermtiilung pfalzgraf Frie-
drichs IL 538 fg. dtalogus 539. reu-
terliedor des freiherra v. Winnenberg
539 fg. historische Reimen vonn dem
Yngereimbden Reichstage Anno 1613
540—544.
n. VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.
ntleUttteliüseb.
Egberts von Lüttich Fecunda
ratis 23 s. 429.
46 8. 427.
52 8. 429.
73 s. 429.
174. 178 s. 427.
319. 327. 415 s. 427.
428. 434 8. 427.
440. 448 8. 429.
459 8. 427 ^.
464. 523 s. 428.
526—538 8.429.
571 fg. 605 8. 428.
628. 659 8. 428.
701—722 8.428.
871 fgg. R. 428.
672
OL
Egberts von Lüttich FecoDda
ratis.
931. 967 8. 430.
999 8. 428.
1005. 1015 8. 430.
1023 8. 428.
1060 8. 430.
1129. 1180 8. 428.
1205 8. 429. 430.
1218 8. 429.
1237 8.430.
124ä. 1322 8. 429.
1341 8. 429. 430.
1347 8.429.
1469. 1582 8. 430.
n. 33. 66 8. 430.
185 8. 429.
373. 433. 444. 463
8.430.
AltDordlseli.
V^lBongasaga ed. Banisch.
c. 29, z. 113 8. 395.
Str. 22* 8.396.
AltDordlseh«
Walis (eigenname) 8. 398 fg.
AltfHeriseh.
l/wen (eigenname) s. 129.
Hlttolhochdeiitseh.
armbiuBt 8. 109 fg.
bannherzunge 8. 262.
baat rf. pabat) 8. 257.
bezecnenen (f. bezeichnen)
8. 258.
brutgon s. 258.
büwewerch 8. 262.
ohonsohe (f. kinsche) s. 258.
dietland 8. 262.
dornalehe 8. 263.
ebengenozsam 8. 263.
ebenm&zonge 8. 263.
eigenaun 8. 263.
ergrauten a. 263.
eraoemen 8.263.
verteilaere s. 263.
viak-aohiflin s. 263.
viwer-eiter s. 263.
flataohe, fletache s. 110.
vol-eren 8.263.
Thidrekaaga stehe daa aach-
r^istar.
HltteUiodidevtei^
Altdentache predigten, her-
aoagegeben y. Schöobaoh
29, 8 8. 261.
29, 22. 40, 7 8. 259.
42, 24 8. 261.
49, 2. 52, 24 a. 259.
59, 2 8. 261.
64, 7. 25 8. 259 fg.
80, 8 8. 261,
101, 21. 105, 28. 107, 5
8.260.
132, 33. 38 8. 260 fg.
133, 31 8. 260.
139, 6 fg. 8.261.
142, 3 8. 260.
147,31. 149,38. 154,28
8.261.
159, 21. 161, 32 8. 260.
162, 3. 167, 9 8. 260.
173, 38 8. 261.
m. WORTREGISTER.
Yol- Ionen a. 263.
vurfrit 8. 257.
gemande 8.263.
gemüezegen s. 263.
genozsamen s. 263.
gie^n (giengin) s. 258.
gigirach. gigirschheit s. 263.
gota-geiichnnase 8.263.
gotson 8. 257 fg.
ersal a. 264.
hersedel s. 264.
hersenier s. 110.
heimladunge s. 264.
hinnebedes s. 264.
horweiin 8.264.
ir (pron.) s. 258 fg.
Miüe, kolbe s. 110.
kolze 8. 102, anm. 1.
kooffc (f. gek.) 8. 258.
lantsite s. 264.
lecken 8.259.
leigelich s. 264.
mirrensmac s. 264.
nedehein s. 264.
paere s. 262.
pfaffensamenunge s. 264.
reismantel s. 2&.
riusaerinne s. 264.
s&mbalde 8.264.
184, 6 8.2601^
186, 9. 192, 22 a. 261.
206, 29. 212, 9 a. 261.
355, 1 8. 262.
Nibelungenlied.
1528 8. 407.
Klage.
1396 fgg 8. 161 ^.
1473—1555 a. 162.
1633 8. 161.
Minneaangsfrfihling
. 8, Innd 9, 29 s. 406 fgg.
NeidharL
48, 20 ^. 8. 124.
Vom rechte.
363 fg. 8. 562.
Hochzeit
854 8. 562.
NlederdentBeli.
Stricker, De Dadesche
Schlömer.
185. 733. 2242 s. 130.
3599. 5009 s. 131.
scefistioraere s. 264.
sines willen s. 258.
spaldenier s. 102.
toufbotege 8.264.
unanesihtik s. 264.
ungewislichen s.264.
wenigi 8. 264.
woldan s. 110.
ZUG weten s.264.
lOttelfranzMaeli.
haubergeon s. 130.
Nenboehdeutaeh.
Füglisthal (ortsn.) s. 267.
Gardinenwiese s. 286 fg.
th&te (im bedingungssatze)
8. 138. 431.
Wölflingen (ortsn.) a. 267.
Niederdeutaeh«
dribolde scheren s. 140 %.
grindt s. 131.
patz s. 131.
NenlhoiaSaiaeh.
TanffBÜn (ortsn.) s. 267.
Halle a. S. , Boohdnickorei des WaiBeobaiises.
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