Skip to main content

Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

See other formats


ZElTSCIlRJll^ 


F  U  H 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET   von  JULIU8   ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


HUGO  GERING    UND   FRIEDRICH  KAUFFMANN 


VIEllZIGSTEIl   BAND 

-2. 


^'X^A 


^>rQr 


HALLK   A.  «. 

VERLAG    DEU    ÜUCHHANDLVHS'Ü    DES    WAISENHAUSES. 
1    9  0  S. 


^Sc/.  ^o 


INHALT. 

Seite 

Untersuchuügen  über  die  llildesagc.     Von  R.  C.  l5oer 1.  184.  292 

Der  oberdeutsche  vierzeilige  toteutanztext.     Von  \V.  Felis e 67 

Sophus  Bugge.    Von  M.  Olsen 129 

Das  nineudenkmal  von  Britsum  in  Friesland.    Von  S.  Ihigge  (y) 174 

Die  inschrift  der  spange  Von  Balingen.    Von  Th.  v.  (irii'nbcrger 2.")7 

Hünen.    Von  Fr.  Kau  ff  mann 27(j 

Angargathungi.    Von  Fr.  Kauffmaun 28(3 

Studien  zur  altgernianisohen  volkstraclit.    Von  Fr.  Kauffniann 385 

Die  Schwelinsche  liederhandschrift.    Von  E.  K.  Blüniml 404 

Helmbreoht  und  seine  haube.    Von  R.  M.  Mever 421 


Bericht  über  die  verhaudlungeu  der  germanistischen  sectiou  der  49.  ver.sanimlung 

deutscher  Philologen  und  Schulmänner  zu  Basel.    Von  E.  Geiger      ...       93 


Miscelleii. 

Zu  dem  Dornholmischen  ruuensteine  von  Vester-Marie  VI.    Von  11.  Gering    .  218 

Zu  Zeitschr.  39,  293fgg.    Von  G.  Necke  1 -    .     .  219 

Zum  Willehalm  des  Ulrich  von  dem  Türliu.    Von  E.  Fetzet.     .   ' 220 

Zwei  bisher  unbekannt  gebliebene  gedichte  des  Nürnberger  meistersängers  Aml>r. 

Österreicher  aus  dem  jähre  1562.    Von  M.  Schneider    .     .     .     .     .     .     .  347 

Der  angebliche  /i-abfall  im  bayrischen.    Von  V.  Moser 356 

Der  satzparallelismus  in  dem  Opus  imperfectum  in  Matthaeum.    Von  Th.  Puas  359 

Zu  Zeitschr.  39,  308 fg.  322  fg.    Von  G.  Necke  1 372 

Zu  Zeitschr.  40,  237.    Von  H.  Fischer 373 

Eine  frage  zu  Völuspa  5,  1 — 4.    Von  K.  Dyroff 430 

Beschwörung  gegen  würmer.    Von  L.  Schmidt 433 

Zu  Zeitschr.  .39,  388.    Von  G.  Ehrismann 433 


Litteratuv. 


Th.  Irmisch,  Beiträge  zur  schwarzburgischen  heimatskunde;  von  G.  EUinger  107 

Alex,  ßugge,  Die  Wikinger,  übers,  von  H.  Hungerland;   von  B.  Kahle      .  109 

L.  Wilser,  Die  Germanen;  ders.,  Die  herkunft  der  Bayern;  von  Fr.  Kauffniann  119 

C.  Pfeiffer,  Otfrid  im  gewande  seiner  zeit;  von  G.  Ehrismann 120 

G.  Bötticher  und  K.  Kinzel,  Das  Nibelungenlied  im  auszuge;  von  J.  Schmedes  121 

A.  Götze,  Die  hochdeutschen  drucker  der  refoimationszeit;  von  W.  Lücke     .  122 

El  Kayka,  Kleist  und  die  romantik;  von  R.  M.  Meyer 125 

K.  Klciiipaul,  Das  fremdwort  im  deutschon;  von  G.  Ehrismann     .     .     .     .  12(5 

A.  Fries,  Vergleichende  Studien  zu  Hebbels  fragmenten;  von  H.   Krumm  .  220 

G.  Drockstedt,  Floovent- Studien;  von  II.  Suchior 22.j 


IV  INHALT 

Seite 

Heinrich  von  Ficiberg  hig.  von  AI.  Beindt;  von  G.  Kobeuhagen      .     .  228 

W.  Dilthey,  Das  erlcbnis  und  die  dichtung;  von  Tb.  A.  Meyer 2iO 

A.  Johann  son,  Phonetfcs  of  the  New  High  German  language;  von  H.  Kliughardt  243 

M.  Morris,  Goethe  -  Studien ;  von  E.  Sokolowsky 246 

H.  G.  Graef,  Goethe  über  seine  dichtungen;  von  R.Sokolowsky 248 

E.  Martin,  Der  versbau  des  Heliand  u.  der  altsächs.  Genesis ;  von  Fr.  Kauft  mann  250 
Die    gedichte    Oswalds  von   AVolk en stein,    herausg.    von    J.   Schatz;    von 

G.  Ehrismann 251 

H.  Auz,  Die  lateinischen  magierspiele;  von  G.  Ehrismann 252 

H.  Herr  mann,  Studien  zu  Heines  Romauzero;  von  E.  M.  Meyer 254 

r.  Herrmaun,  Island  in  Vergangenheit  und  gegenwart;  von  H.  Gering      .     .  374 

F.  Piquet,  L'originalite  de  Gottfried  de  Strasbourg  dans  son  poeme  de  Tristan 

et  Isolde;  von  K.  Marold 377 

W.  Arndt,    Die    personennamen    der   deutschen    Schauspiele   des    mittelalters ; 

0.  Beckers,  Das  spiel  von  den  zehn  Jungfrauen  \\m\  das  Katharinenspiel; 

von  G.  Ehrismann 380 

0.  Brenner,    Die    lautliclien   und    geschichtlichen    gruudlagen    unserer   recht- 

schreibung;  von  II.  Wunderlich 383 

A.  Scheune rt,  Der  pantragismus  als  System  der  Weltanschauung  und  ästhetik 

Fr.  Hebbels;  Frz.  Zinkernagel,  Die  grundlagen  der  Hebbelschen  tragödie: 

E.   A.   Georgy.    Die    tragödie  Fr.   Hebbels  nach   ihrem    Ideengehalt;    von 

H.  Krumm 434 

J.  Schlemm,  Wörterbuch  zur  Vorgeschichte;  von  Fr.  Kau  ff  manu  .  .  .  .  452 
E.  Forrer,  Eeallexikon    der    prähistorischen,    klassischen  und  frühchristlichen 

altertümer;  von  Fr.  Kauffmanu iöb 

A.  Kiekebusch,   Der   einfluss    der  römischen   kultur  auf   die   germanische  im 

Spiegel  der  hügelgräber  des  Niederrheins;  von  Fr.  Kauft  mann    ....     45(1 

A.  Götze,  Gotische  schnallen;  von  Fr.  Kauffmanu 459 

R.  Henning,  Der  heim  von  Baldenheim;  von  Fr.  Kauffmanu 464 

Kristnisaga,   torvaldsjjättr,    IsleifsJ^attr,    Hungrvaka,    herausg.   von    B.   Kahle; 

von  A.  Gebhardt 467 

M.  Nygaard,  Norr0n  syntax,  von  G.  Neckel 473 

A.  Lüderitz,    Die    liebestheorie    der   Provencalen    bei    den  minucsängeru  der 

Stauferzeit;  von  E.  Wechssler 478 

R.  Jecht,  Die  Görlitzer  handschrifteu  des  Sachsenspiegels;  von  G.  Ehrismauu  484 
E.  Kegel,    Die    Verbreitung   der    mhd.   erzählenden    litteratur  in  Mittel-   und 

Niederdeutschland     nachgewiesen     auf    grund     von     personennamen:     von 

G.  Ehrismauu 485 

E.   Utitz,  Wilh.   Heinse  und   die  ästhetik   zur  zeit  der  deutschen  aufkläruug; 

von  Th.  A.  Meyer  . 486 

R.  Laube,  Rud.  Hildebrand  und  seine  schule;  von  J.  Schmedes 487 

J.  Haussmann,  Untersuchungen  über  spräche  und  stil  des  jungen  Herder;  von 

R.  M.  Meyer 487 

Verzeichnis  der  mitarbeitor  und  ihrer  beitrage  in  band  XXXI  —  XL     ....  488 

Neue  erscheinungen 127.  255.  383.  505 

Nachrichten 128.  256.  384.  509 

Register  von  W.  Beese 510 


ÜNTEKSUCHÜNGEN  ÜBER  DIE  HILÜESAGE. 

§  1.    Eiuloiteiule  beincrkungen. 

Eine  theorie  über  den  Ursprung  und  die  entwicklung  der  Hilde- 
sage, die  sich  der  Zustimmung  der  mehrzah!  der  forscher  erfreut,  gibt 
es  zur  zeit  wol  nicht  mehr.  In  weiten  kreisen  ist  MüUenhoffs  mythische 
erklärung  verbreitet,  aber  unter  den  fachgenossen  begegnet  sie  vielfach 
nur  noch  einem  kopfschütteln,  und  unter  ihren  freunden  sind  nur  noch 
wenige,  die  sie  in  unveränderter  gestalt  annehmen.  Vor  einigen  jähren 
hat  Panzer  einen  versuch  gewagt,  die  Hildeforschung  in  neue  bahnen 
zu  lenken.  Aber  so  bedeutend  die  negativen  resultate  des  scharfsinnigen 
und  gelehrten  Werkes  sein  mögen,  der  positive  teil  des  buches  hat  nur 
wenig  Zustimmung  gefunden,  und  namentlich  haben  nicht  viele  sich 
davon  überzeugen  lassen,  dass  der  stoß',  der  der  reichen  tradition  zu 
gründe  liegt,  das  Goldener  märchen  sei. 

Auf  eine  ausführliche  besprechung  dieser  und  anderer  theorien 
lasse  ich  mich  an  dieser  stelle  nicht  ein.  "Was  ich  im  einzelnen  gegen 
sie  einzuwenden  habe,  wird  im  laufe  dieser  Untersuchung  widerholt  zur 
spräche  kommen.  Principiell  scheint  mir  ein  fehler,  an  dem  sie  alle 
leiden,  ihr  eklektisches  verfahren  zu  sein.  Es  sieht  oft  so  aus,  als  ob 
die  erklärung  der  sage  der  Untersuchung  der  quellen  vorangehe.  Von 
einer  quelle  wird  ausgegangen,  daraus,  und  zum  teil  auch  aus  anderen 
quellen,  wird  das  als  echt  anerkannt,  was  man  für  die  erklärung,  die 
man  zu  geben  wünscht,  brauchen  kann;  das  übrige  sind  dann  ent- 
stellungen,  die  einzelnen  Verfassern  zur  last  fallen.  Demgegenüber  möchte 
ich  es  unternehmen,  zu  versuchen,  durch  die  historische  methode  zu 
dem  kern  der  sage  durchzudringen. 

Die  historische  methode  fragt  nicht  in  erster  linie  nach  der  für 
einen  erklärungsversuch  brauchbarsten  quelle,  sondern  nach  dem  Ver- 
hältnis der  quellen.  Sie  betrachtet  die  verschiedenen  formen  der  Über- 
lieferung wie  die  verschiedenen  handschriften  eines  werkes.  Zwar  ist 
sie  sich  bcwusst,  dass  sie  es  mit  erzeugnissen  zu  tun  hat,  die  nicht 
aus  einer  gemeinsamen  schriftlichen  quelle  stammen,  aber  sie  verkennt 
doch  nicht  die  deutliche  analogie  zwischen  schiiftlicher  und  mündlicher 

ZEITSCHRIFT   F.  DF.DTSCHE   PUILOLOGIK.       BD.   XI..  1 


Überlieferung.  Auch  hier  gih.  der  satz,  flass  gemeinsame  züge,  sofern 
kein  zufall  waltet,  auf  gemeinsamen  Ursprung  hinweisen.  Und  wenn 
auch  die  raöglichkeit,  dass  contaminationen  vorliegen,  hier  grösser  ist 
als  dort,  so  gibt  es  doch  dieselben  mittel  wie  dort,  um  zwischen  con-  • 
tamination  und  Verwandtschaft  zu  unterscheiden.  Eine  historisch -kritische 
Untersuchung  wird  daher  besonders  ihre  aufmerksamkeit  der  recon- 
struction  der  Zwischenstufen,  die  zwischen  den  erhaltenen  cjuellen  die 
bindeglieder  sind,  zuwenden.  In  einer  der  überlieferten  formen  wird 
sie  nicht  schnell  geneigt  sein,  die  urform  zu  erblicken;  nur  dann  wird 
sie  sich  dazu  entschliessen,  wenn  eine  solche  form  einfacher  als  die 
übrigen  ist,  und  diese  sich  ohne  zwang  sämtlich  aus  ihr  ableiten  lassen. 
Sie  wird  vielmehr  durch  die  reconstruction  dei'  Zwischenstufen  einen 
Stammbaum  der  Überlieferungen  zu  gewinnen  suchen,  in  dem  die  er- 
haltenen quellen  der  regel  nach,  obgleich  nicht  ausnahmslos,  als  end- 
punkte  sich  darstellen.  So  muss  jede  redaction  etwas  zu  der  geschichte 
der  sage,  und  wo  möglich  auch  etwas  zu  der  beurteilung  ihrer  ent- 
stehung  beitragen. 

Freilich  muss  jede  quelle  einzeln  betrachtet  werden.  Oft  lässt 
sich  schon  aus  dem  inhalt  einer  einzigen  quelle  ein  stück  geschichte 
ablesen.  Aber  die  bestätigung  der  auf  diesem  wege  gewonnenen  resultate 
muss  jedesmal  durch  die  übrigen  quellen  gebracht  werden,  und  die 
analyse  jeder  neu  in  die  Untersuchung  hineingezogenen  quelle  muss  zu 
der  bestimmung  ihres  Verhältnisses  zu  den  übrigen  und  somit  ihres 
platzes  in  der  reihe  führen. 

Bei  der  behandlung  des  hochdeutschen  gedichtes  führt  unsere  Unter- 
suchung, die'  die  Stoffgeschichte  zum  gegenständ  hat,  in  die  kritik  des 
epos  hinüber.  Ich  bin  den  hierhergehörigen  fragen  nicht  aus  dem  wege 
gegangen,  habe  aber  aus  gründen,  die  sich  unten  ergeben  werden,  auf 
die  besprechung  mancher  einzelfrage  verzichtet.  Weshalb  ich  Wilmanns' 
resultate  nicht  accoptieren  konnte,  wird  aus  dem  gang  dieser  Unter- 
suchung klar  werden.  Methodisch  scheint  mir  sein  grundfeliler,  dass 
er  zu  frei  mit  dem  stolfe  schaltet  und  waltet.  Wenn  man  nacli  belieben 
Strophen  versetzt,  eine  willkürliche  anzahl  bearbeitungen  annimmt  und 
über  eine  beliebige  anzahl  bearbeiter  verfügt,  so  lässt  sich  jedes  gedieht 
wol  in  eine  anzahl  lesbarer  stücke  zerteilen.  Freilich,  die  annähme 
der  Zusammenfassung  mehrerer  redactionen  ist  keine  Ungeheuerlichkeit, 
aber  nur  da,  wo  andeutungen  über  den  inhalt  solcher  redactionen  im 
voraus  gegeben  sind,  besteht  einige  aussiciit,  darüber  etw-as  näheres  zu 
ermitteln.  Das  einzige  kriterium,  dass  einige  beliebige  Strophen,  in 
einer   gewissen    reihenfolge   gelesen,    sich    hübsch    ausnehmen   würden, 


TTOTKRSUCHrNGEN    THKR    DIR    TIILDF.SAOF.  3 

genügt  nicht,  um  die  entstehiing  der  Küdrün  aus  einzelnen  liedern  zu 
beweisen  und  den  inlialt  der  quellenlieder  zai  bestimmen. 

Wir  gehen  nun  zu  der  Untersuchung  der  einzelnen  quellen  über. 

§  2.    Die  «larstelliing'  der  Siiorra  Edda. 

Ich  bezeichne  die  Versionen  der  Hildesage  im  engeren  sinne,  näm- 
lich alle  diejenigen,  in  denen  Hagen,  Heöinn,  Hild  als  hauptpersonen 
auftreten,  mit  ausnähme  der  in  der  Küdrün  erhaltenen  Versionen  mit  dem 
buchstaben  H.  Die  sagenform  der  Snorra  Edda  wird  durch  SH  ange- 
deutet, während  die  verschiedenen  entwicklungsstufen,  die  sich  auf 
grund  von  Snorris  erzählung  ei'kennen  lassen,  als  SH  1.  2  usw.  unter- 
schieden werden.  Die  bezeichnung  SH  1  bedeutet  demnach  lediglich  die 
älteste  sagenform,  die  sich  in  Snorris  darstellung  erkennen  lässt;  ein 
urteil  über  die  frage,  ob  es  möglich  ist,  mit  hilfe  anderer  Versionen 
eine  noch  ältere  fassung  zu  erschliessen,  ist  darin  nicht  enthalten.  Es 
ist  ferner  denkbar,  dass  ein  glied  der  reihe  SH1.2  usw.  sich  mit  einem 
gliede  einer  anderen  reihe,  etwa  PH  1.  2  usw.  (den  entwicklungsstufen 
des  SQrla  I)ättr)  als  identisch  ergeben  wird. 

He5inn  erbeutet  Hildr  af  herfangi,  während  Hogni  zu  einer 
koniiii(insi('f)ia  gereist  ist.  Hogni  erfähi-t  das  und  eilt  dem  räuber 
nach.  Bei  den  Orkneyjar  holt  er  ihn  ein.  Hildr  bietet  ihrem  vater 
einen  vergleich  —  nach  r  einen  halsschmuek  als  sühngeld  —  an;  falls 
er  darauf  nicht  eingehen  wolle,  sei  Heöinn  zum  streite  bereit.  Hggni 
antwortet  unfreundlich.  HeÖinn  und  HQgni  bereiten  sich  zum  kämpfe. 
Noch  einmal  bietet  Heöinn,  diesmal  in  eigener  person,  viel  gold  als 
busse.  Aber  Hogni  hat  schon  sein  schwert  Däinsleif  gezogen,  und  es 
muss  gekämpft  werden.  Das  geschieht.  Am  abend  kehren  die  könige 
zu  ihren  schiffen  zurück.  In  der  nacht  erweckt  Hildr  die  gefallenen, 
und  am  anderen  morgen  wird  der  kämpf  erneuert.  Das  widerholt  sich 
täglich  und  wird  so  fortgehen  bis  an  das  ende  der  weit. 

Diese  erzählung  zeigt  die  deutlichen  merkmale  einer  langen  ent- 
wicklung.  Es  finden  sich  züge,  die  mit  dem  übrigen  nur  lose  zu- 
sammenhangen, andere,  die  einander  widersprechen.  Wir  untersuchen 
zuerst  das  Verhältnis  des  Hjaöningavig  zu  der  entführungssage. 

Drei  auffassungen  sind  möglich.  Entweder  gehören  diese  beiden 
elemente  von  anfang  an  zusammen,  oder  das  Hjaöningavig  ist  der  ent- 
führungssage angehängt,  oder  diese  ist  secundär  als  oinleitung  in  die 
sage  von  dem  Hjaöningavig  aufgenommen  worden. 

Die  zuerstgenannte  auffassung  hat  kaum  mein-  viele  anhänger.  Es 
ist  auch  niciit  zu  ersehen,  welcher  notwendige  Zusammenhang  zwischen 

1* 


der  entfübrung  einer  frau  aus  der  macht  ihres  vaters  und  einem  darauf- 
folgenden kämpfe  einerseits  und  der  ewigen  fortdauer  dieses  kampfes 
andererseits  vorhanden  sein  sollte.  Um  die  notwendigkeit  eines  solchen 
Zusammenhanges  darzutim,  muss  man  zu  der  mythologischen  Interpre- 
tation seine  Zuflucht  nehmen,  indem  man  annimmt,  die  entführung  sei 
nur  ein  bildlicher  ausdruck  für  ein  unbekanntes  ereignis,  aus  dem  auf 
natürlichem  wege  ein  anderes,  gleichfalls  unbekanntes  ereignis  hervor- 
gehe, das  unter  dem  bilde  eines  ewigwährenden  kampfes  dargestellt  sei. 
Aber  weder  in  der  entführung  an  sich  noch  in  ihrer  darstellung  findet 
sich  irgend  etwas,  das  zu  dem  glauben  an  einen  mythischen  hinter- 
grund  berechtigt;  die  geschichte  ist  die  erzählung  einfacher  menschlicher 
handlungen.  Allerdings  ist  das  Hjahningavig  mythisch,  aber  nicht  in  dem 
sinne,  dass  es  ein  poetischer  ausdruck  für  etwas  anderes,  etwas  nicht 
menschliches  wäre,  sondern  einfach  in  dem  sinne,  dass  es  etwas  über 
den  seelenglauben  mitteilt.  Die  seelen  gefallener  krieger  setzen  in  ge- 
wissen fällen  nach  dem  tode  den  kämpf  fort.  Diese  Vorstellung  ist  so 
verbreitet,  dass  war  auf  keinen  fall  berechtigt  sind,  ihr  im  vorliegenden 
fall  einen  anderen  hintergrund  als  sonst  anzudichten,  und  dass  eine 
erklärung,  die  nur  den  zweck  hat,  sie  zusammen  mit  dem  raub  der 
Jungfrau  auf  eine  naturmythische  einheit  zurückzuführen,  nur  eine  er- 
klärung pour  le  besoin  de  la  cause  heissen  darf.  Und  wie  der  ewige 
kämpf  ohne  entführung,  so  ist  eine  entführung  ohne  ewigen  kämpf 
häufig  bezeugt. 

Die  zweite  und  dritte  auffassung  des  Verhältnisses  der  beiden  haupt- 
elemente  der  erzählung  stimmen  untereinander  darin  überein,  dass  sie 
die  entführungssage  und  das  HjaÖningavig  in  ihrem  Ursprung  vonein- 
ander trennen  1.  Für  die  weitere  entwicklung  der  zusammengesetzten 
sage  und  sogar  für  ihre  entstehung  ist  es  nicht  von  erheblicher  be- 
deutung,  ob  man  die  sache  auf  die  eine  oder  auf  die  andere  weise 
formuliert.  Denn  beide  erklärungen  sagen  doch  aus,  dass  eine  erzählung 
von  einer  entführung  und  ein  bericht  von  einem  ewigen  kämpfe  secundär 
zueinander  in  beziehung  gesetzt  worden  sind.  Aber  ein  unterschied  be- 
steht darin,  dass  die  verschiedenen  auffassungen  den  Schwerpunkt  der 
geschichte  auf  verschiedene  selten  legen.  In  dem  einen  falle  ist  die 
Hildesage  ihrem  Ursprung  nach  eine  sage  von  einem  ewigen  kämpfe, 
in  dem  andern  ist  sie  eine  entführungssage.  Die  ansieht,  dass  das 
HjaÖningavig  der  kern  der  erzählung  sei,  schliesst  sich  als  neue  Variante 

1)  Vou  der  möglickkeit,  dass  man  eines  der  beiden  elemente  für  spontan  ohne 
den  einüuss  einer  fremden  sage  aus  dem  anderen  entwickelt  ansieht,  wird  hier  ab- 
gesehen. 


UNTERSUCHUNGEN    IBER    DIR    HILDESAGE 


jener  anderen  an,  die  die  ganze  sage  mythisch  erklärt.  Sie  ist  z.  t.  im 
anschliiss  an  MüUenholf  von  W.  Meyer,  Beitr.  16,  516  fgg.  aufgestellt 
worden  und  wird  in  der  hauptsacho  auch  von  Sijmons,  Grundr.2  III,  712 
acceptiert.  Ihre  consequenz  ist,  dass  alle  redactionen  der  Hildesage 
und  derjenigen  sagen,  die  nur  Varianten  von  jener  sind,  sofern  sie  das 
Hjaöningavig  nicht  enthalten,  es  verloren  haben  müssen.  Denn  das 
HjaÖniugavig  ist  ja  dieser  ansieht  nach  der  älteste  teil  der  geschichte. 
Daher  die  vielen  versuche,  spuren  des  endlosen  kampfes  in  der  deutschen 
tradition  nachzuweisen.  Die  verschiedenen  zweige  der  Überlieferung 
müssen  sich  in  diesem  falle  zu  einer  zeit  getrennt  haben,  als  die  ent- 
führungssage  sich  schon  mit  dem  älteren  Hja^iningaol  verbunden  hatte, 
denn  die  entführung  finden  wir  überall  belegt,  ja,  sie  ist  zu  dem  deut- 
lichsten merkmal  der  Hildesage  geworden.  Wer  diejenigen  Versionen, 
die  von  einem  HjaÖningael  nichts  wissen,  für  Versionen  der  noch  nicht 
mit  dem  HjaÖningael  verbundenen  ontführungssage  erklärt,  begeht  von 
dem  erwähnten  Standpunkte  aus  eine  inconsequenz,  wenn  er  hier  von 
Versionen  der  Hildesage  redet,  denn  dieser  Standpunkt  ist  eben  dadurch 
charakterisiert,  dass  er  die  entführung  für  ein  der  Hildesage  von  hause 
aus  fremdes  dement  erklärt.  Unverständlich  bleibt  es.  denn  auch,  dass 
in  jenen  Versionen  ohne  Hjabningaol  dieselben  namen  auftreten,  im 
hochdeutschen  gedichte  Hagen,  Hilde,  Hetele,  in  der  Helgisage  und  im 
Waltharius  Hagen,  und  hier  wenigstens  auch  Hildegund.  Dass  die  trias 
von  anfang  an  in  zwei  voneinander  absolut  unabhängigen  sagen,  die  nur 
zufällig  später  miteinander  in  Verbindung  gesetzt  wurden,  in  der  rolle 
der  hauptpersonen  auftreten  könne,  ist  nicht  anzunehmen.  Die  namen 
gehören  vielmehr  entweder  in  die  entführungssage  oder  in  die  sage  von 
dem  Hjaöningavig.  Wir  müssen  also,  wenn  die  entführung  secundär  ist, 
das  HjaÖningavig  hingegen  die  echte  Hildesage  repräsentiert,  die  con- 
sequenz ziehen,  dass  eine  reihe  von  Versionen  das  Hjabningavig  ver- 
loren habe. 

Das  ist  nun  allerdings  a  priori  sehr  wol  möglich,  aber  ohne  not- 
wendigkeit  wird  man  es  doch  lieber  nicht  annehmen.  Und  was  nötigt 
zu  dieser  annähme?  Wenn  man  darüber  einig  ist,  dass  entführung  und 
HjaÖningael  nicht  von  anfang  an  zusammengehören,  also  einmal  mit- 
einander verbunden  worden  sind,  so  kann  man  von  vornherein  nicht 
wissen,  wie  alt  diese  Verbindung  ist.  Wenn  nun  eine  solche  Verbindung 
in  einer  geographisch  nahe  zusammenhangenden  gruppe  von  Über- 
lieferungen, deren  darstelkmg  der  ereignisse  auch  sonst  viel  gemein 
hat,  vorliegt,  während  sie  in  anderen  quellen  sich  nicht  vorfindet  oder 
daselbst  höchstens  unsichere  spuren    der   Verbindung  mit   mühe  nacli- 


gewiesen  werden  können,  so  liegt  für  einen  solchen  tatsachenbestand 
die  erklärung  auf  der  band,  dass  die  in  rede  stehende  Verbindung  zu 
der  besonderen  entwicklung  jener  gruppe  von  Überlieferungen  gehört. 
Ich  halte  diese'  auffassung,  zu  der  aus  anderen  gründen  auch  Panzer 
sich  bekennt,  für  die  richtige  und  hoffe,  dass  ihre  richtigkeit  auch  aus 
unserer  weiteren  Untersuchung  hervorgehen  wird.  Hier  niuss  uns  die 
frage  beschäftigen,  ob  der  secuudäre  Charakter  der  Verbindung  sich  auch 
in  Snorris  darstellung  erkennen  lässt. 

Meiner  ansieht  nach  ist  ein  zeichen  der  unvollkommenen  Ver- 
schmelzung der  sage  mit  einem  angehängten  motiv  in  dem  zug  zu  er- 
blicken, dass  die  könige  abends  zu  ihren  schiffen  zurückkehren,  und 
dass  das  HjaÖningavig  erst  am  folgenden  tage  anhebt  und  auch  später 
bei  tage  .fortgesetzt  wird.  Andere  erzählungen  von  dem  ewigen  kämpf 
lassen  ihn  in  der  nacht  stattfinden  (eine  reihe  beispiele  führt  Panzer 
s.  328  an).  Das  ist  auch  für  einen  geisterkampf  die  einzig  mögliche 
und  natürliche  auffassung.  Ferner:  an  einem  geisterkampf  sind  nur  die 
toten  beteiligt.  Wie  reimt  es  sich  damit  zusammen,  dass  die  könige 
unversehrt  am  abend  die  walstatt  verlassen  und  am  folgenden  tage 
gleichfalls  mitkämpfen?^  Ist  etwa  der  verlauf  der  folgende:  am  ersten 
tag  ein  kämpf,  in  dem  viele  beiden  fallen;  in  der  nacht  die  erweckung 
der  toten;  am  zweiten  tag  ein  kämpf  zwischen  denjenigen  beiden,  die 
am  ersten  tage  mit  dem  leben  davonkamen,  an  dem  aber  zugleich  die 
erweckten  toten  teilnehmen?  Aber  fielen  denn  am  zweiten  tage  alle 
beiden,  oder  kam  auch  diesmal  eine  gewisse  anzahl,  darunter  etwa  auch 
die  könige,  mit  dem  leben  davon?  Man  muss  weiter  fragen,  ob  denn 
nicht  ein  augenblick  kam,  in  dem  die  überlebenden  des  ewigen  kampfes 
müde  wurden,  und  warum  sie  nicht  in  der  nacht  davonsegelten  und 
den  toten  ihr  blutiges  vergnügen  Hessen.  Nein,  soviel  ist  klar:  ein 
geisterkampf  kann  nur  zwischen  toten  gekämpft  werden.  Und  dann 
gibt  es  zwei  möglichkeiten:  entw^eder  wird  in  einem  fort  gekämpft;  die 
toten  stehen  sofort  wider  auf,  wie  im  Sorla  |)ättr,  und  niemand  kann 
sich  davonmachen,  denn  tatsächlich  sind  alle  kämpfer  tote,  die  nur 
ein  Scheinleben  führen,  oder  es  wird  gekämpft,  bis  am  ende  des  tages 
niemand  mehr  lebt,  wenigstens  kein  lebender  mehr  sich  auf  dem  Schlacht- 
feld befindet  —  was  nicht  in  sich  schliesst,  dass  nicht  etwa  sieger  und 

y 

1)  Darum  lässt  sich  der  geisterkampf  vor  den  toren  Roms,  der  gleichfalls  erst 
nach  einer  mehrtägigen  schlaclit  anhebt,  nicht  vergleichen,  denn  dieser  kämpf  beginnt, 
nachdem  die  Schlacht  zu  ende  ist.  Snorils  geister  aber  beginnen  den  kämpf  zugleich 
mit  den  lebenden  am  anfang  des  zweiten  tages. 


fNTRi.'srciiuNor.x  vny.n  nir.  niMii-,SAfiR  7 

Hüchtlinge  das  sclilachttbld  verlassen  können '  —  und  in  der  nacht  setzen 
die  gefallenen  ihren  gespenstischen  kämpf  fort,  was  sich  dann  jede  nacht 
widerholt. 

Dass  die  könige  abends  zu  ihren  schiften  gehen,  lässt  sich  also 
mit  dem  Hjaöningavig  nicht  in  Übereinstimmung  bringen.  Es  deutet 
auf  einen  anderen  ausgang.  Dieser  lässt  sich  mit  einiger  Wahrschein- 
lichkeit construieren.  Das  ende  kann  nicht  gewesen  sein,  dass  beide 
davonsegeln.  Ihre  heftige  feindschaft  hat  sich  im  vorhergehenden  zu 
klar  manifestiert,  und,  was  fast  noch  mehr  bedeutet:  die  aufnähme  des 
HjaÖningavig  lässt  sich  nur  daraus  erklären,  dass  dieser  kämpf  als  der 
heftigste  angesehen  wurde,  der  jemals  gekämpft  worden  war.  Er  wurde 
also  am  zweiten  tag  fortgesetzt.  Und  das,  was  voihergeht,  sowie  die 
neue  fortsetzung  deutet  unmittelbar  auf  einen  tragischen  ausgang.  So 
scheint  Suorris  erzählung  sogar  ohne  die  heranziehung  verwandter  Über- 
lieferungen auf  einen  zweitägigen  kämpf  zu  deuten,  an  dessen  ende  beide 
beiden  fallen.  Der  dichter,  der  das  HjaÖningavig  hinzufügte,  Hess  die 
nächtliche  ruhe  am  ende  des  ersten  tages  bestehen,  sah  sich  aber  da- 
durch genötigt,  den  ewigwährenden  nächtlichen  kämpf  durch  einen  kämpf 
bei  tage  zu  ersetzen  und  daran  tote  und  lebende  zusammen  teilnehmen 
zu  lassen.     (Über  das  HjaÖningael  im  SQrla  pättr  s.  §  4.) 

Der  zug,  dass  Hildr  die  toten  erweckt,  ist  keineswegs  ein  not- 
wendiges Clement  des  HjaÖningael.  Er  kann  sogar  nicht  von  anfang 
an  dazu  gehört  haben,  da  Hildr  selbst  nicht  zu  der  sage  vom  ewigen 
kämpfe  sondern  zu  der  entführungssage  gehört-  Andere  erzählungen 
von  dem  ewigen  kämpfe  schreiben  ihn  auch  nicht  der  Zauberkraft  eines 
weibes  sondern  dem  furor  belli,  der  die  beiden  erfasst  hat  und  sie 
auch  nach  dem  tode  nicht  loslässt,  zu.  Zu  vergleichen  ist  die  wut  des 
StarkaÖr  im  zweiten  Helgiliede.  dessen  körper  fortkämpft,  nachdem  der 
köpf  vom  rümpfe  geti-ennt  worden  ist-\  Hilds  beziehung  zu  dem 
HjaÖningavig  ist  demnach  secundär^.    Die  entvvicklung  dieser  beziehung 

1)  Das  geschieht  natiuiiuh  iu  allen  erzählungen,  wu  f'.ne  partei  den  sieg  davon- 
trägt und  den  besiegten  feind  verfolgt. 

2)  Man  ist  natürlich  gar  nicht  dazu  berechtigt,  au.s  ihrem  nanien  —  wie  viele 
frauen  heissen  nicht  Hildr!  —  einen  entgegengesetzten  schluss  zu  ziehen. 

.3)  Über  das  Verhältnis  dieses  zugs  zum  HjaÖningavig  vgl.  §  6. 

4)  Ich  tretfe  darin  mit  Panzer  (s.  329)  zusammen.  Aber  au  die  n<jt\vendigkeit  der 
annähme  eines  keltischen  einflus.ses  glaube  ich  nicht,  da  in  der  sage  alle  Voraus- 
setzungen, die  zu  der  Verbindung  der  Hildr  mit  dem  Hja(5ningael  führen  konnton, 
vorhanden  waren.  Ein  fremder  einfluss  müsste  demnach  aus  schlagenden  Überein- 
stimmungen in  einzelheiten  bewiesen  werden.  Solche  aber  vermisse  ich  in  Panzers 
ausführung   (s.  330).  —   Die  frage,   ob   das   HjaÖningavig  si^lhst   aus  oim-r  keltisch.Mi 


kann  man  sich  auf  verschiedene  weise  vorstellen.  Es  miiss  zwischen  der 
erweckung  der  toten  zum  erneuten  kämpfe  durch  Hildr  und  ihrem  ver- 
geblichen versuch,  eine  Versöhnung  zu  bewirken,  ein  Zusammenhang 
bestehen.  Um  so  deutlicher  wird  das,  Avenn  wir  in  der  ßagnarsdräpa 
lesen,  dass  dieser  versuch  nicht  ernstlich  gemeint  war,  dass  Hildr  viel- 
mehr den  kämpf  wünschte.  Das  erwecken  der  toten,  d. i.  das  wünschen 
des  fortgesetzten  kampfes  könnte  die  consequenz  davon  sein ,  dass  Hildr 
überhaupt  den  kämpf  wünscht.  Dieser  wünsch  hängt  widerum  mit 
ihrer  walkürennatur  zusammen.  Die  frau,  die  zum  kämpfe  aufreizt,  ist 
natürlich  als  walküre  aufgefasst  worden.  Man  könnte  sich  demnach  die 
folgende  entwicklung  vorstellen:  zunächst  wurde  Hildr  als  walküre 
aufgefasst;  daran  schloss  sich  die  Vorstellung,  dass  sie  die  krieger 
zum  kämpfe  reizt;  endlich  sah  man  in  ihr  auch  die  Urheberin  des 
Hjaöningavig. 

Aber  auch  die  umgekehrte  entwicklung  lässt  sich  denken.  Ge- 
geben war  einerseits  das  Hjaöningavig,  anderseits  Hildr,  die  beim 
kämpfe  zugegen  war  und  um  deretwillen  gekämpft  wurde.  Sie  war  die 
Ursache  und  also  in  gewissem  sinn  die  Urheberin  des  Hjaöningavig. 
Man  schrieb  ihr  daher  die  erweckung  der  toten  zu.  Daraus  folgte,  dass 
sie  als  Avalküre  aufgefasst  wurde,  und  dass  man  sie  später  auch  für 
den  anfang  des  kainpfes  verantwortlich  machte.  Die  entscheidung  zwi- 
schen diesen  beiden  möglichen  auffassungen  müssen  die  parallelen  Über- 
lieferungen bringen.  Hier  sei  nur  gesagt,  dass  Snorris  erzählung  auf 
denselben  schluss  hinweist,  auf  den  jene  Überlieferungen  führen,  dass 
nämlich  die  zweite  alternative  die  richtige  ist. .  Denn  wie  sich  unten 
ergeben  wird,  deutet  auch  diese  erzählung  darauf,  dass  Hilds  beteiligung 
am  ersten  kämpf  ziemlich  jungen  Ursprunges  ist. 

Von  der  walküre  Hildr,  die  zum  kämpf  aufreizt,  ist  die  Hildr,  die 
den  HeÖinn  liebt,  streng  zu  unterscheiden.  Dass  die  Jungfrau  diese  liebe 
hegte,  sagt  Snorri  nicht  ausdrücklich.  Aber  dass  die  erzählung  diese  liebe 
voraussetzt,  lässt  sich  schwerlich  leugnen.  Wenn  HeÖinn  Hildr  wider 
ihren  willen  entführt  hat,  so  bleibt  es  durchaus  unverständlich,  dass 
er  ihr  erlaubt,  allein  zu  ihrem  vater  zu  gehen.  Hegte  sie  den  wünsch, 
HeÖinn  los  zu  werden,  so  brauchte  sie  nur  ihrem  vater  zu  folgen. 
HeÖinn  ist  also  davon  überzeugt,  dass  sie  zu  ihm  zurückkehren  wird. 
Und  er  hat  sich  darin  nicht  getäuscht;  nachdem  sie  ihre  botschaft  aus- 
gerichtet, kehrt   sie    zurück.     Da  nun   andere   quellen    diese    liebe    be- 

quelle  stammen  kann,  ist  eine  andere,  auf  die  ich  nicht  eingehe.  Dafür  Hesse  sich 
wenigstens  anführen,  dass  es  nur  in  quellen  belegt  ist,  die  den  kämpf  auf  den  britti- 
schen  inseln  localisieren  (§  17). 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DIE  FÜLDESAGE 


«tätigen,  dürfen  wir  aus  diesen  ziigen  schliessen,  dass  die  crzälüimg 
Snorris  ein  entwicklungsstadium  durchlaufen  hat,  in  dem  Hildr  Heilinn 
liebte,  dass  aber  diese  liebe  durch  das  jüngere  motiv,  dass  sie  den 
vater  und  den  liebhaber  gegeneinander  aufhetzt,  verdrängt  worden  ist. 

Hilds  gang  zu  ihrem  vater  muss,  wie  sich  aus  obigen  ausführungen 
ergibt,  in  jener  periode,  als  Hilds  liebe  zu  HeÖinn  mehr  in  den  Vorder- 
grund trat,  entstanden  sein.  Das  wird  dadurch  bestätigt,  dass  aus 
diesem  gang  nicht  hervorgeht,  wie  er  dazu  dienen  kann,  das  Verhältnis 
zwischen  Heöinn  und  Hogni  zu  verschlimmern.  Zwar  berichtet  die 
Ragnarsdräpa,  dass  Hildr  falsch  gewesen  sei,  aber  welche  falschheit 
sie  sich  zu  schulden  kommen  lässt,  vernehmen  wir  nicht.  Hildr  bietet 
ihrem  vater  geschenke  an.  Diese  können  doch  nur  den  zweck  gehabt 
haben,  seinen  zorn  zu  beschwichtigen.  Dass  dieser  zweck  nicht  erreicht 
wird,  fällt  ihr  nicht  zur  last.  Sie  sagt,  soviel  wir  wissen,  nichts,  was 
ihn  reizen  kann.  Allerdings  erklärt  sie  bei  Snorri,  dass  Heöinn  kämpfen 
werde,  wenn  HQgni  die  geschenke  nicht  annehmen  wolle,  aber  auch 
Heöinn  wünscht,  wie  sie  behauptet,  den  frieden.  Snorri  hat  das  auch 
noch  richtig  verstanden.  Denn  obgleich  er  wusste,  dass  die  Ragnars- 
dräpa Hildr  falsch  nennt,  sagt  er  von  dieser  falschheit.  kein  wort.  Das 
alles  zeigt,  dass  Hildr  in  einer  älteren  form  von  SH  einen  ernsthaften 
versuch  machte,  ihren  vater  mit  ihrem  geliebten  zu  versöhnen.  Aber  noch 
ein  älteres  entwicklungsstadium  der  sage  lässt  sich  von  Snorris  erzählung 
aus  erreichen.  Mit  Hilds  Versöhnungsversuch  concurriert  ein  anderes 
motiv,  der  von  HeÖinn  selbst  unternommene  versuch.  Dieser  versuch 
liegt  am  nächsten  und  ist  schon  deshalb,  auch  wenn  er  nicht  durch 
verwandte  erzählungen  gestützt  würde,  als  der  relativ  ursprüngliche 
anzuerkennen.  Heöinn  hat  sich  Hogni  gegenüber  ein  verbrechen  zu 
schulden  kommen  lassen;  er  hat  also  alle  Ursache,  den  beleidigten 
gegner  womöglich  zu  versöhnen.  Auch  sieht  man  nicht  ein,  wie  dieser 
zug  in  die  Überlieferung  hineingeraten  sein  sollte,  wenn  Hilds  ver- 
söhnungsversuch  schon  früher  dagewesen  wäre.  Er  würde  in  diesem 
fall  nur  die  bedeutung  einer  nutzlosen  widerholung  haben.  Das  um- 
gekehrte aber  lässt  sich  wol  verstehen.  Nachdem  Hildr  durch  ihre 
grosse  liebe  mehr  in  den  Vordergrund  trat,  fand  ein  dichter,  dass  sie 
in  einen  conflict  von  pflichten  geraten  war.  Sie  musste  wünschen,  die 
gegner,  die  ihr  beide  lieb  waren,  zu  versöhnen.  Ihr  versuch  wird  demnach 
anfänglich  auf  ihre  eigene  initiative  zurückgeführt  worden  sein;  dass  sie 
eine  botschaft  von  Heöinn  bringt,  beruht  schon  auf  einer  Umbildung^. 

1)  HQgDis  antwort  auf  HeSins  friedensvorschlag,  er  könne  sich  nicht  mit  ihm 
versöhnen,   da  er  sein   schwert  Däiosloif  schon   gezogen  habe,    ist  deutlich  jüngeren 


10  BOER 

Wenn  in  einer  älteren  form  von  SH  Hildr  Hec^inn  aus  liebe 
gefolgt  war,  so  war  sie  ihm  freiwillig  gefolgt.  Damit  verträgt  sich  die 
nachricht,  dass  er  sie  cd  herfaiigi  genommen  hatte,  nur  schlecht.  Diese 
nachriebt  muss  also  eine  andere  herkunft  haben.  Solange  man  nur 
Snorris  bericht  betrachtet,  sind  zwei  erklärungen  möglich:  entweder  ist 
der  bericht  eine  reminiscenz  an  eine  ältere  sagenform,  in  der  die  liebe 
der  jungen  leute  uocb  nicht  oder  weniger  hervortrat,  oder  es  ist  ein 
jüngeres  motiv.  Das  liesse  sich  wie  folgt  erklären.  Durch  die  hervor- 
hebung  von  Hilds  walkürennatur  war  das  motiv  der  liebe  wider  zurück- 
gedrängt. Dass  sie  ihm  freiwillig  folgte,  hatte  diese  tradition  vergessen. 
Die  erzählung  hub  damit  an,  dass  HeÖinn  mit  Hildr  entfloh.  Die  werte 
al  herfmiiji  enthielten  dann  eine  angäbe  (Snorris  oder  seiner  quelle) 
über  die  art  und  weise,  wie  Hildr  in  Hedins  gmvalt  kam.  Diese  angäbe 
würde  eine  in  einer  älteren  quelle  entstandene  lücke  ausfüllen.  Doch 
wird  die  vergleichung  mit  dem  Sorla  {)ättr  uns  darüber  belehren,  dass 
die  werte  anders  zu  verstehen  sind,  und  zwar,  wie  schon  angedeutet, 
als  eine  reminiscenz  an  eine  ältere  Überlieferung. 

Die  erzählung  der  Snorra  Edda  berechtigt  nach  dem  oben  aus- 
geführten zur  annähme  folgender  entwicklungsstufen: 

SHl:  Während  Hogni  auf  der  reise  ist,  entführt  Heöinn  seine 
tochter  Hildr.  HQgni  setzt  dem  räuber  nach  und  holt  ihn  bei  den 
Orkneyjar  ein.  Heöinn  bietet  gold  als  bns&e,  aber  Hggni  will  es  nicht 
annehmen.  Es  kommt  zu  einem  kämpfe,  der  zwei  tage  währt.  Beide 
könige  fallen.  —  Ob  die  erzählung  in  diesem  Stadium  noch  andere 
Züge  enthielt,  geht  aus  Snorris  beriebt  nicht  hervor. 

SH2:  Die  entführung  wird  daraus  erklärt,  dass  die  jungen  leute 
einander  sehr  lieben.  Das  hat,  wol  später,  die  einführung  eines  ver- 
sühnungsversuchs  durch  Hildr  zur  folg<\  Unter  dem  einfluss  dieser 
neuerung  wird,  —  gewiss  viel  später  —  Hognis  zweite  Weigerung  da- 
durch motiviert,  dass  er  schon  das  schwert  Diiinsleif  gezogen  habe. 

SH3:  Die  Vorstellung  von  dem  überaus  heftigen  kämpfe  veranlasst 
die  aufnähme  des  wandermotivs  von  dem  ewigen  kämpfe.  Die  unvoll- 
kommene Verbindung  mit  der  alten  sage  verursachte  die  wunderliche 
Vorstellung,  dass  die  könige  abends  zu  ihren  schiffen  gehen,  dass  die 
toten  in  der  nacht  aufstehen,  und  dass  tote  und  lebende  zusammen 
am  HjaÖningavig  beteiligt  sind^. 

Ursprunges.  Ursprünglich  verweigeit  H(}gni  den  frieden,  weil  er  den  kämpf  will.  Die 
änderung  wird  den  zweck  haben,  den  Inhalt  der  beiden  antworten  Hognis  (an  Hildr 
und  an  HeSinn)  zu  variieren.    Vgl.  s.  27. 

1)  Die  reihenfolge  von  SH  2.  .S  ergibt  sich  aus  Snorris  bericht  nicht,  wird  aber 
durch  andere  quellen  bestätigt.     4  setzt'  :5  und  5  4  voraus. 


U.NTKHSUC1IUNGKN'    ÜliEIf    DIK    IIILnESAGK  1  1 

SU  4:  Hildr  wird  mit  dem  Hja?)ningavii^-  in  vcrhindunc:  gesetzt. 
iSio  erweckt  durch  ihren  zaubergesang  die  toten. 

SH5:  Daraus  wird  abstrahiert,  dass  sie  walküre  ist;  sie  bezweckt 
durcli  die  erweckung  der  toten  die  fortsetzung  des  kämpfest 

SH6:  Daraus  folgt  weiter,  dass  sie  auch  an  dem  ersten  kämpf 
mitschuhlig  wird.  Ihr  versöhnuugsversuch  wird  zu  einem  scheinversuche. 
Sie  wünscht  den  kämpf  zwischen  vater  und  liebhaber.  Dieser  zug 
findet  sich  jedoch  nicht  in  Snorris  darstellung,  obgleich  er  ihn  ge- 
kannt hat. 

§  3.    Die  Ras^narsdräpa. 

Das  gedieht  (citiert  nach  Gering,  Kvsepabrot  Braga  ens  gamla)  ist 
eine  quelle  und  also  eine  Vorstufe  von  Snorris  orzählung.  Leider  ist  es  zu 
fragmentarisch,  um  die  herstelluug  einer  geschichte  der  Überlieferung  zu 
gestatten.  Unsere  aufgäbe  ist,  zu  untersuchen,  ob  es  in  irgend  einer 
hinsieht  Snorris  darstellung  oder  unserer  historischen  ausführung  wider- 
spricht, und,  wenn  nicht,  ihr  ihren  platz  in  der  reihe  SH  1  —  6  zuzu- 
weisen. Das  Verhältnis  zu  Snorri  lässt  im  voraus  vermuten,  dass  die 
dräpa  einen  weit  fortgeschrittenen  Standpunkt  einnehmen  wird. 

Hogni  befindet  sich  auf  seiner  flotte  (8,7);  das  beer  geht  ans  land 
(11,5  —  8).-  Die  feinde  begegnen  sich  also  auf  schiffen  an  einer  küste; 
das  ist  die  aus  Snorri  bekannte  Situation.  Vgl.  auch  10,2.  11:  man 
kämpft  am  strande  wie  bei  Snorri,  nicht  auf  den  schiften.  Hildr  geht 
zu  Hogni  mit  einem  halsring,  der  zur  sühne  dienen  soll,  aber  in  hinter- 
listiger absieht  (also  SH  6).  Daraus  lässt  sich  schliessen,  wenn  die  ent- 
wicklung  von  SH  oben  richtig  ausgeführt  worden  ist,  dass  der  dichter 
der  Ragnarsdräpa  auch  das  Hjaöuingavig  SH  3  gekannt  haben  muss-'. 
Ob  er  es   mitgeteilt  hat,   wissen   wir  nicht.     Dass  Hildr  den  tod  ihres 

1)  Einer  alteren  auffassuug,  derzul'olgo  sie  aus  einem  anderen  gründe  die  toten 
erweckt,  werden  -wir  §  5  begegnen. 

2)  Welches  beer?  Aus  dem  umstand,  dass  11,  1  —  4  von  Hilds  teilnähme  an 
dem  kämpfe  handelt,  wird  man  ableiten  müssen,  dass  11,  5  —  8  von  Heöins  beer  die 
rede  ist.  Aus  der  kenning  Iljarraada  hurd  'schild'  darf  man  das  nicht  schliessen; 
die  Umschreibung  steht  mit  Herjans  hnrd,  Hngna  hurS,  Ilaghurda  Imrd  u.  a.  auf 
einer  linie;  hurd  ohne  nähere  bestimniung  ist  nicht  'schild';  die  stelle  lässt  sich  also 
nicht  zur  construction  einer  abweichenden  sagenform,  in  der  dem  Iljarrandi  eine  rolle 
zufiel,  benutzen.  Die  kenning  Hjarranda  hurd  begegnet  auch  ausserhalb  des  Zu- 
sammenhanges der  Hildesage,  s.  Egilsson  s.  v.  —  Wenn  Hijgnis  beer  gemeint  sein 
sollte,  so  mü.sste  man  annehmen,  dass  HeSinn  schon  früher  ans  land  gegangen  wäre. 

3)  Um  das  zu  beweisen  genügt  übrigens  das  nahe  Verhältnis  der  Ragnarsdräpa 
zu  Snorri,  wenn  man  in  betracht  zieht,  dass  auch  die  weiter  abstehenden  darstellungen 
des  Sqrla  |)ättr  und  Saxos  das  HjaÖningavig  kennen. 


12  BOEH 

Vaters  wünscht,  geht  aus  8,  1  —  4  nicht  hervor  (vgl.  Panzer  s.  158), 
wol  aber,  dass  sie  walküre  ist  und  den  kämpf  herbeizuführen  wünscht'. 
Hogni  weigert  sich,  das  geschenk  anzunehmen,  wie  bei  Snorri.  HeÖins 
versöhnungsY ersuch  fehlt.  Das  wird  dem  fehlen  dieser  scene  auf  dem 
beschriebenen  schilde  oder  der  geringen  ausführlichkeit  des  gedichtes, 
das  dann  eines  der  concurrierenden  motive  beseitigt  hat,  zuzuschreiben 
sein.  Eine  hierauf  bezügliche  strophe  kann  auch  verloren  sein.  Wenn 
nicht,  so  stammt  der  zug  bei  Snorri  aus  einer  vollständigeren  quelle, 
deren  darstellung  im  übrigen  der  der  drapa  in  allem  wesentlichen 
gleich  war.  Nicht  unwichtig  ist  11,1 — 4;  wenn  Gerings  erklärung  der 
stelle  das  richtige  trifft,  so  nimmt  Hildr  persönlich  an  dem  kämpfe 
teil,  —  ein  weiteres  zeugniss  für  ihre  walkürennatur.  Snorri,  dem 
überhaupt  Hilds  verhalten  dem  vater  gegenüber  in  der  drapa  unver- 
ständlich vorkam  (oben  s.  9),  lässt  den  zug  aus.  Dass  Hildr  at  kerfanyi 
in  Hedins  gewalt  kam,  erfahren  wir  aus  der  drapa  nicht. 

Der  Standpunkt  der  drapa  ist  demnach  SH6.  Was  nicht  erzählt 
wird,  kann  aus  dem  fragmentarischen  zustande  des  gedichtes  erklärt 
werden,  was  bei  Snorri  fehlt,  erklärt  sich  daraus,  dass  die  auffassung 
der  Hildr  als  walküre  ziemlich  jung  war  und  sich  mit  der  übrigen 
erzählung  nicht  allzu  wol  vertrug.  Widersprüche  zwischen  beiden 
quellen  sind,  soweit  wir  zu  sehen  vermögen,  nicht  vorhanden. 

§  4.    Die  darstolluug  des  S<»rla  Iiätti*. 

Die  entwicklungsstufen,  die  sich  auf  grund  des  Scjrla  |iattr  er- 
kennen lassen,  werden  als  tHl.2  usw.  unterschieden. 

Wir  untersuchen  zunächst  den  abschnitt  der  erzählung,  der  mit 
Snorris  bericht  correspondiert.  Nach  einer  einleitung,  die  von  Freyjas 
ehebruch  und  dem  Brfsingamen  sowie  von  der  aufstachelung  HeÖins 
durch  Gondul  handelt,  lautet  die  geschichte  wie  folgt:  HeÖinn,  der 
söhn  des  königs  von  Serkland  vernimmt  [durch  Gqndul,  ein  dämonisches 
weib,  dem  er  im  walde  begegnet,]  von  einem  mächtigen  könig  in  Däne- 
mark, namens  Hogni,  und  macht  sich  auf,  ihn  zu  besuchen.  Er  will 
wissen,  wer  von  beiden  der  tüchtigere  held  ist.  Sie  halten  einen  wett- 
karapf  in  mehreren  fertigkeiten ,  aus  dem  sich  ergibt,  dass  sie  einander 
vollständig  ebenbürtig  sind.  Dann  schliessen  sie  miteinander  bluts- 
brüderschaft.   Einmal,  während  HQgni  sich  auf  einem  kriegszug  befindet, 

1)  Vgl.  anoh  str.  1  die  keoning  Hqgna  meyjar  hjöll.  Allerdings  kann  das  auch 
eine  anspielung  auf  die  Helgisage  sein ,  aber  auch  in  diesem  fall  ist  es  ein  zeugnis 
für  die  Hildosage  (§  6j,  obgleich  nicht  für  Hilds  walkürennatur. 


rNTERSUCHrXC.EN   VBEK    DIE    HII.DKSAGE  13 

teilt  Hedinn  [der  zuvor  eine  Zusammenkunft  mit  Ggndul  hat,  die  ihn 
aufhetzt]  der  Hildr  mit,  dass  er  sie  zu  entführen  und  ihre  mutter  auf 
greuliche  weise  zu  ermorden  beabsichtige.  Sie  macht  einwürfe.  Sie 
glaubt,  ihr  vater  werde  sie  dem  freunde  geben,  sobald  er  um  sie  an- 
halte, und  sie  versucht,  ihn  von  gewalttaten  zurückzuhalten.  Aber  ver- 
gebens. Hebinn  vollführt  seine  absieht;  er  tötet  die  königin,  [darauf 
hat  er  eine  neue  Zusammenkunft  mit  Gondul]  und  segelt  mit  Hildr 
davon.  Als  Hogni  heimkehrt,  eilt  er  dem  räuber  nach  und  holt  ihn 
bei  Haey  ein.  He5inn  begrüsst  Hogni  freundlich  und  bietet  sjdlfdamri; 
sogar  Hildr  will  er  dem  vater  zurückgeben,  sowie  ein  schiff,  das  er 
geraubt  hat.  Aber  HQgni  behauptet,  seine  missetat  sei  zu  gross;  für 
die  ermordung  der  königin  sei  keine  sühne  möglich,  und  es  müsse  ge- 
kämpft werden.  Ein  furchtbares  treffen  folgt;  die  toten  stehen  sofort 
wider  auf  und  kämpfen  mit  neuer  wut.  Aber  Hildr  sitzt  /'  einum 
liDidi  und  betrachtet  die  kämpfenden  beiden.  So  geht  es  fort,  [bis 
nach  vielen  jähren  ein  krieger  Olaf  Tryggvassons  dem  spuk  ein  ende 
macht]. 

Unsere  erste  aufgäbe  ist  nun  zu  bestimmen,  ob  eine  sagenforiu 
der  reihe  SH  1  — 6  der  ausgangspunkt  dieser  erzählung  ist.  Wir  können 
sofort  constatieren ,  dass  SH  3  erreicht  ist;  —  das  HjaÖningavig  ist 
schon  angehängt.  Daraus  werden  wir  schliessen  müssen,  dass  auch 
diese  tradition  die  Vorstellung,  dass  die  jungen  leute  einander  lieben, 
gekannt  hat.  Aus  der  darstellung  des  I)attr  ist  davon  nicht  viel  mehr 
zu  ersehen.  Aber  wenn  aus  verwandten  traditionen  hervorgehen  würde, 
dass  diese  liebe  älter  als  das  HjaÖningavig  ist  (§§  5.  6),  so  widerspricht 
der  pättr  dieser  auffassung  auch  nicht,  denn  es  sind  me  bei  Snorri 
momente  da,  die  die  liebe  zurückgedrängt  haben.  Dass  Hildr  dem  HeÖiun 
wol  gewogen  ist,  geht  aus  der  weise,  wie  sie  zu  ihm  spricht,  hervor; 
sie  hat  nichts  dagegen,  seine  frau  zu  werden;  nur  wünscht  sie,  dass 
er  als  ein  friedfertiger  liebhaber  sich  melde. 

Aber  die  Standpunkte  SH4.  5.  G  sind  noch  nicht  erreicht.  Hildr 
ist  an  der  erweck ung  der  toten  so  unschuldig  wie  an  dem  ausbruch 
der  feindseligkeiten.  Während  des  kampfes  sitzt  sie  ruhig  in  einem 
haine  und  sieht  zu.  Auch  ihr  Versöhnungsversuch  fehlt  noch,  während 
HeÖins  älterer  versuch,  frieden  zu  schliessen,  freilich  ohne  die  antwort, 
die  in  Snorris  darstellung  die  folge  des  Vorhandenseins  zweier  Ver- 
söhnungsversuche ist,  richtig  erhalten  ist.  Mit  Snorris  bericht,  dass 
HeÖinn  Hildr  at  herfa/tgi  erbeutet,  lässt  sich  vorgleichen,  dass  HQgni 
im  I)ättr  den  ausdruck  benutzt:  af  pü  lief  (Sir  hertekit  Ilildi.  Daraus 
lernen   wir,   dass  wir  kein   recht  haben,  Snorris  <tl  hcrfanni  für  eine 


14  BOEK 

junge  erklärung  (etwa  SH  7)  zn  halten;  es  ist  ein  alter  zug,  der  auf 
dem  Standpunkte  SH  3  (der  =  PH  1  ist)  schon  vorhanden  war.  Da  er 
nun  aber  nicht  in  SH  2,  der  die  liebe  der  Hildr  in  den  Vordergrund 
rückt,  entwickelt  sein  kann,  rauss  er  schon  aus  SH  1  stammen.  Aller- 
dings enthält  PH  einen  anderen  zug,  der  sich  ebensowenig  wie  die 
liebe  mit  dem  gewaltsamen  raube  verträgt.  HeÖinn  ist  früher  zu  Hogni 
gekommen  und  hat  mit  ihm  freundschaft  geschlossen.  Ist  das  eine  er- 
findung  von  PH?  Das  lässt  sich  kaum  annehmen.  Denn  wie  wir  unten 
sehen  werden,  setzen  alle  neuerungen  in  den  verschiedenen  gliedern 
der  reihe  PH  1.  2  usw.  diese  freundschaft  voraus.  Sie  muss  demnach 
wenigstens  zu  dem  ältesten  bestände  von  PH  gehören.  Aber  was  konnte 
wol  auf  der  stufe  SH3,  von  der  die  reihe  PH  ausgeht,  zu  der  ein- 
führung  eines  solchen  heterogenen  dementes  in  die  Überlieferung  anlass 
geben?  Erklärt  wird  durch  die  freundschaft  nichts;  wol  aber  entsteht 
dadurch  die  grosse  Schwierigkeit,  dass  Heöinn  die  fran  entführt,  die  er 
von  dem  freunde  leichten  kaufes  hätte  erlangen  können;  die  mühe,  die 
es  den  späteren  bearbeitern  gekostet,  dieses  betragen  HeÖins  zu  er- 
klären (s.  unten),  lehrt  zur  genüge,  dass  sie  diese  freundschaft  nicht 
eingeführt  haben  würden,  wenn  sie  sie  nicht  in  ihrer  quelle  vorgefunden 
hätten.  Wir  werden  demnach  schliessen  müssen,  dass  auch  die  freund- 
schaft zwischen  Heöinn  und  HQgui  schon  in  den  älteren  Versionen  von 
SH  vorhanden  war.  Wenn  das  richtig  ist,  so  hat  eine  version  von  SH, 
die  jünger  als  SH  3  sein  muss,  diese  freundschaft  ausgelassen,  eben 
weil  sie  sich  mit  dem  gewaltsamen  raube  nicht  vertrug. 

Es  ergibt  sich  daraus,  dass  der  gewaltsame  raub  und  die  frühere 
freundschaft  der  gegner  beide  aus  SH  1  stammen.  Es  sind  concur- 
rierende  motive,  deren  Verhältnis  im  folgenden  zu  untersuchen  sein 
wird.  Hier  wird  eine  andere  version  die  entscheidung  über  die  prio- 
]ität  bringen  müssen.    Vorläufig  setzen  wir  hier  ein  fragezeichen. 

PH  geht  also  von  SH  3  aus;  SH  3  aber  war  ausführlicher,  als 
aus  Snorris  bericht  zu  ersehen  ist.  Welche  entwicklung  hat  aber  PH 
durchgemacht? 

Zunächst  ist  auf  die  angliederung  des  HjaÖningavIg  zu  achten.  Die 
unvollkommene  angliederung,  die  sich  noch  bei  Snorri  zeigt,  erweckte 
anstoß  und  veranlaßte  eine  neubearbeitung.  Die  reste  der  zweitägigen 
Schlacht  wurden  entfernt.  Nicht  länger  kehren  die  könige  abends  zu 
ihren  schiffen  zurück,  und  nicht  länger  stehen  die  toten  in  der  nacht 
auf,  um  am  folgenden  tage  den  kämpf  fortzusetzen;  nein,  —  jetzt  steht 
jeder  erschlagene  sofort  wider  auf  und  kämpft  weiter.  Da  auf  diese 
weise    bald    ein   jeder   wol    einmal    gefallen    ist,    kommt    es    zu    einem 


rNTRKRÜCfnTi\GF,\    ÜRER    l)\F,    iriMIRSAGK  15 

wirkliclien  geisterkaiiipf,  der  tao-  und  nacht,  —  freilich  nicht  wie  die 
meisten  geisterkänipfe  bloss  während  der  nacht,  —  fortdauert.  Für 
Hilds  verhalten  während  des  kanipfes  ist  nicht  viel  getan.  Die  mit- 
teilung,  dass  sie  zusah,  sieht  sehr  alt  aus;  sie  wird  aus  der  zeit  vor 
der  aufnähme  des  HjaÖningael  stammen,  als  die  trau  tatsächlich  noch 
niciits  anderes  zu  tun  hatte,  als  zuzusehen  und  den  ausgang  des 
kampfes  abzuwarten.  Aber  jetzt  wird  ihre  position  so  ziemlich  un- 
möglich; nach  vielen  —  nach  einer  handschrift  123  —  jähren  sitzt 
sie  noch  so,  als  hätten  auch  die  lebenden  das  ewige  leben. ^ 

Die  wichtigsten  änderungen  in  f^H  sind  jedoch  durch  die  erwägung 
hervorgerufen,  dass  es  doch  wunderlich  sei,  dass  der  raub  der  Hildr 
einen  so  wütenden  kämpf  veranlasst  haben  sollte.  Freilich  wäre  es 
besser  gewesen,  wenn  Hec^inn  beim  vater  um  seine  tochter  angehalten 
hätte,  aber  Heöinn  und  H^gni  waren  doch  blutsbrüder;  der  vater  konnte 
gegen  die  Verheiratung  seiner  tochter  an  den  freund  keine  schwor 
wiegenden  bedenken  haben.  Wie  konnte  er  eine  etwas  voreilige  besitz- 
ergreif ung  des  mädchens  so  übel  nehmen,  dass  von  einer  sühne  nicht 
die  rede  sein  konnte?  Um  Hognis  unversöhnlichkeit  zu  erklären,  ist 
ein  neues  motiv  eingeführt  worden:  die  ermordung  der  königin.  Dass 
das  der  einzige  zweck  dieses  neuen  zuges  ist,  geht  aus  der  darstellung 
noch  sehr  klar  hervor;  Hqgni  selbst  spricht  es  aus:  c/,-  hefhi  (/ipt  per 
JlildL  cf  Jm  licfhir  lienriar  hrhii:  nn  po  ol,-,  at  fnl  licfhir  hcriekit 
Ilihli ,  J)d  ma'ili  rit  Jx)  scettax  fifr'i  Jxd ;  cii  iih  er  Jn'i  hefir  <jorf  srd 
)nihit  üverkcDi,  al  pü  hefir  ni(Ssl  d  drölininyn  oh  drepil  ha  na,  er  engl 
voll  d,  at  ek  all  sdition  trtka;  skuhi  ver  ok  reyiid  Jtegar  i  stah,  hvorir 
strerst  kui/ifci  a/  ho(/i/r(/.  Es  ist  wol  unmöglich,  eine  deutlichei'e  spräche 
zu  i'e<;len. 

Damit  ist  freilich  Hognis  zoru  genügend  erklärt,  aber  die  psycho- 
logische Unklarheit  ist  in  Kevins  Charakter  hineingetragen  Er  beträgt  sich 
geradezu  wie  ein  wahnwitziger.  Er  weiss,  —  Hildr  hält  es  ihm  sogar 
im  letzten  augenblick  vor,  —  dass  er  nur  um  die  frau  anzuhalten 
braucht,  um  sie  zu  bekommen;  nichtsdestoweniger  zieht  er  es  vor, 
nicht  nur  die  tochter  seines  freundes  zu  rauben,  sondern  auch  die  frau 
des  freundes,  die  mutter  der  geliebten,  auf  gi'euliclie  weise  umzubringen. 
Die  frage  konnte  nicht  ausbleiben,  was  denn  HeAiun  zu  einer  so  ver- 
zweifelten handhuig  voianlasst  habe.  Darauf  lautet  die  antwort:  He(^inn 
war  tatsächlich,  als  er  die  königin  ermordete  und  mit  der  tochter  da- 
vonreiste,   nicht  zurechnungsfähig;   er  handelte  untei'  dem  banne  eines 

1)  Was  vor  tior  aufnalime  der  Hjaftningavig  aus  ilu-  ward,  naclidem  ihr  vater 
iiii'l  ihr  liebhaber  gefallen  waren,  lässt  sich  nicht  mehr  ormittoln. 


16  BOKI? 

zauberischen  wesens,  das  ihn  betört  hatte.  Die  i'rucht  dieser  erwägungen 
ist  die  aufnähme  (jQnduls  in  die  geschichte.  Dass  diese  Heöinn  den 
übUchen  zaubertrank  darreicht,  ist  im  späteren  stil  solcher  erzählungen; 
die  ursprüngliche  vorstelkmg  wird  gewesen  sein,  dass  sie  ihn  betört 
hatte,  sodass  er  blind  ihrem  willen  folgen  musste,  wie  dieser  gedanke 
auch  noch  an  melireren  stellen,  namentlich  bei  der  ersten  begegnung 
mit  GQndul  (s.  398)  hervortritt.  Hier  ist  von  einem  zaubertrank  nicht 
die  rede;  Gondul  fordert  Heöinn  auf,  Hogni  aufzusuchen,  und  ohne 
zögern  erklärt  er  sich  dazu  bereit.  Und  auch  bei  der  zweiten  be- 
gegnung wird  die  von  ihr  ausgehende  sinnesbetörung  stark  hervor- 
gehoben (s.  400):  par  sd  haim  sifja  honu  d  stöli,  pd  sgmn,  er  hwin 
sd  fyrr  ä  Serklandi,  ol:  Jetzt  hotmm,  sem  imn  vceri  nü  alt  fegri  en 
fijrr.  Bei  der  dritten  begegnung  schläft  er  ein,  während  sein  haupt  in 
ihrem  schösse  ruht. 

Gondul  ist  demnach  ein  dämonisches  weib,  eine  eibin,  deren 
beruf  es  ist,  menschen  zu  berücken  und  dadurch  ins  verderben  zu 
stürzen.  Die  nordische  phantasie  hat  sie  nach  ihrer  gewohnheit  —  wie 
andere  übernatürliche  frauen,  z.  B.  Brynhild  —  zu  einer  walküre  aus- 
gestaltet. Aber  sehr  entwickelt  ist  ihre  walkürennatur  nicht;  im  gründe 
wird  diese  nur  aus  ihrem  namen  ersichtlich.  Der  name  aber  bot  die 
gelegenheit  zu  einer  neuen  anknüpfung. 

ISTach  den  motiven  der  GQndul  zu  forschen,  liegt  ausserhalb  des 
gebietes  der  rein  mensch  lieh -psychologischen  dichtung.  GQndul  ist  ein 
dämon;  ihr  eingreifen  in  die  menschlichen  geschicke  ist  ein  hebel  der 
handlung;  was  sie  selbst  bewogen  haben  mag,  gehört  zur  dämonologie. 
Mancher  dichter  und  erzähler  dürfte  auch  hier  halt  gemacht  haben. 
Aber  die  grenzen  zwischen  dem  erforschbaren  und  dem  mystischen  sind 
fliessend,  und  die  altnordische  poesie  überschreitet  oft  die  grenze  des 
rein  menschlichen.  Zwar  lässt  sie  häufig  götter  in  das  geschick  der 
menschen  eingreifen,  ohne  dass  man  den  grund  erfährt,  —  wie  z.  b. 
ÖÖinn  in  das  geschick  der  VQlsunge  eingreift,  —  aber  sie  ist  auch  im 
himmel  zu  hause  und  kennt  die  schwächen  der  himmlischen.  Den- 
noch sieht  es  danach  aus,  als  gehöre  die  geschichte,  die  Gonduls  ein- 
greifen in  Hebins  geschick  motivieren  soll,  nicht  mehr  ins  gebiet  der 
dichtung,  sondern  in  das  der  romantischen  SQgur.  Sie  ist  mit  der 
übrigen  erzählung  so  äußerlich  verbunden,  und  so  wenig  kunst  ist 
auf  sie  verwendet  worden,  dass  man  hier  eher  an  einen  sagaschreiber 
der  decadenzzeit  als  an  einen  dichter  heroischer  poesie  denken 
wird.  Die  geschichte  von  dem  halsband,  das  Freyja  durch  buhlschaft 
erwirbt  und  das  ihr  von  Loki  gestohlen  wird,  ist  weder  eine  erfindung 


ÜNTEESUCHUNGKN   ÜBER    DIE    irn.DESAGE  17 

.des  Sagaschreibers  noch  seiner  directen  quelle.  Das  beweisen  die  an- 
spielimgen  auf  dieselbe  oder  eine  cähnliche  geschichte,  die  sich  in  der 
litteratur  zerstreut  linden.  Von  Freyjas  buhlschaft  wegen  eines  kleinods 
weiss  auch  Saxo,  der  nur  Frigg  an  Freyjas  stelle  setzt,  und  Loki  als 
räuber  des  Brisinganien  ist  dem  dichter  Ulfr  Uggason  bekannt.  Zwar 
ist  eine  ältere  gestalt  der  erzählung  nicht  überliefert,  und  es  würde 
daher  einer  speciellen  Untersuchung  bedürfen,  die  von  unserem  thema 
weit  abführen  würde,  um  zu  entscheiden,  was  in  dieser  erzählung  das 
eigentum  derjenigen  quelle  ist,  in  der  die  Verbindung  mit  der  Hilde- 
sage zu  stände  kam.  Aber  abgesehen  davon  lässt  es  sich  leicht  nach- 
weisen, dass  diese  Verbindung  selbst  eine  ganz  willkürliche  ist.  Gondul 
wird  einfach  mit  Freyja  identificiert.  Der  zweck  ist,  wie  schon  gesagt, 
Gonduls  verfahren  zu  motivieren,  zugleich  aber  das  HjaÖningavig  auf 
Ohius  initiative  zurückzuführen.  Aber  die  episode  von  dem  halsband 
steht  in  der  saga  noch  durch  eine  ganz  fremde  erzählung  von  der  ge- 
schichte von  Ggndul  getrennt.  Dass  Freyja  gleich  Ggndul  ist,  sagt  der 
Verfasser  nicht  in  klaren  werten,  aber  es  geht  daraus  hervor,  'dass  sie 
das  ausführt,  was  Freyja  dem  ÖÖinn  versprochen.  Freyja  verspricht  zu 
bewirken,  dass  zwei  könige  so  lange  kämpfen,  bis  ein  christ  dem  spuk 
ein  ende  machen  werde.  Bei  ihrer  dritten  Zusammenkunft  aber  sagt 
GQndul,  als  HeÖinn  in  ihrem  schösse  eingeschlafen  ist:  nu  vUji  ek  Jtik 
undir  qll  pau  atkvceM  ok  skildaga,  sein  Ohmn  fyrir  mcelti,  ok  yklr 
Ilqgna  bäha  ok  alt  lih  ykkart.  Diese  stelle  gehört  also  demselben  be- 
arbeiter  an,  der  die  halsbandgeschichte  aufgenommen  hat.  Es  fällt  auf, 
dass  diese  dritte  begegnung  sich  gerade  so  schlecht,  ja  schlechter  in 
den  Zusammenhang  fügt  als  die  halsbandgeschichte.^  Nachdem  HeÖinn 
auf  Gonduls  rat  Hildr  geraubt,  sein  schiff  zu  wasser  gebracht,  die 
königin  getötet  und  selbst  sich  an  bord  begeben  hat,  bekommt  er,  er 
liann  er  cdbüinn,  auf  einmal  lust  widerum  ans  land  zu  gehen.  Dann 
folgt  die  Zusammenkunft,  in  der  Ggndul  ihn  dem  ÖÖinn  weiht,  und 
darauf  erwacht  HeÖinn,  geht  von  neuem  auf  sein  schiff'  und  reist  ab. 
HeÖinn  läuft  also  in  dem  augenblick,  wo  eile  not  tut,  von  dem  schiffe 
fort  und  an  bord  zurück,  bloss  damit  Gondul  die  gelegenheit  habe, 
ihren  fluch  au.szusprechen.  Für  die  handluug  ist  das  gar  nicht  not- 
wendig, denn  er  hat  schon  alles  getan,  wozu  Gc^mdul  ihn  verführt  hat. 

Es  ergibt  sich,  dass  nicht  nur  (JÖins  sondern  auch  Gonduls   be- 
ziehung   zu   dem  HjaÖningavig  .sehr  jung   ist.      Anfänglich    ist    Gondul 

1)  Die  iiDiuögliehkeit  dieses  auftiitts  hat  aucli  Panzer  eiiigeselieii  (s.  167);  abor 
er  zielit  daraus  aridere  Schlüsse. 

.      ZKITSCHRIFT    F.    DF.UTSCHK    PUILOLOOFE.       BD.   XL.  2 


nichts  anderes  als  Hec^ius  böser  dämon.  >Sie  lockt  den  beiden  ins  ver- 
derben, aber  dass  die  feindscbaft  zwischen  ihrem  opfer  und  HQgni  in 
eine  ewige  schlacht  ausklingen  wird,  davon  hat  sie  ebensowenig  eine 
ahnung  wie  er.  Der  Verfasser  des  Sgrla  pattr  (oder  der  bearbeiter 
der  uns  vorliegenden  fassung)  hat  sie  zunächst  mit  der  ehebrecheri- 
schen Freyja  identificiert  und  sie  dann  die  beiden  dem  ÖÖinn  weihen 
lassen.  So  führt  er  durch  Gondul,  die  schon  zu  der  Überlieferung 
gehörte,  luid  Freyja,  die  er  neu  einführt,  das  Hjabuingavig  auf  ÖÖinn 
zurück. 

Bei  Hebins  dritter  begegnung  mit  Gcjndul  wird  erzählt,  dass 
Gqndul  Hebinn  einen  becher  zu  trinken  gab,  der  ihm  die  erinnerung  an 
das  vergangene  widergeben  sollte.  Dieser  becher  soll  mit  dem  ver- 
gessenheitstrank  correspondieren,  den  sie  ihm  bei  der  zweiten  begegnung 
darreicht.  Da  der  zweite  zaubertrank  von  dem  Verfasser  der  halsband- 
geschichte  herrührt,  erhebt  sich  die  frage,  was  von  dem  ersten  zu  halten 
ist.  Schon  oben  s.  16  wurde  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  dieser 
trank  nicht  alt  ist,  dass  Hebinn  ursprünglich  durch  Ggnduls  sinnliche 
erscheinung  betört  wurde.  Es  ist  daher  sehr  wol  möglich,  dass  auch 
der  erste  zaubertrank  von  demselben  Verfasser  wie  der  zweite  her- 
rührt. Es  wird  gesagt,  dass  Hebinn,  als  er  ihn  ausgetrunken  hatte, 
sich  an  nichts  von  dem,  was  früher  geschehen  war,  erinnerte.  Aber 
diese  behauptung  wird  durch  die  folgende  erzählung  direct  verleugnet. 
Hebinn  weiss  alles;  er  antwortet  Ggndul,  die  ihn  zu  der  missetat  auf- 
stachelt, HQgni  werde  ihm  ja  seine  tochter  geben,  sobald  er  es  ver- 
lange. Erst  als  sie  behauptet,  dass  seine  ehre  dadurch  einbusse  er- 
leiden werde,  entschliesst  er  sich  zu  der  tat.  Es  ist  also  nicht  die 
erinnerung,  sondern  der  wille,  den  G(^ndul  ihm  geraubt  hat. 

Anderseits  ist  die  möglichkeit  nicht  zu  leugnen,  dass  der  trank 
schon  früher,  sei  es  auch  nicht  von  anfang  an,  bei  der  betörung  Hebins 
eine  rolle  spielte  und  anfänglich  ein  plastisches  bild  für  seine  Ver- 
gewaltigung durch  Gqndul  war.  Dafür  dürfte  sprechen,  dass  der  paral- 
lelismus  zwischen  den  beiden  tränken  nicht  so  consequent  durchgeführt 
ist,  als  man  erwarten  würde,  wenn  beide  der  phantasie  eines  Verfassers 
entsprungen  wären.  Auffällig  ist  es,  dass  Hebinn  zwar  nach  dem  ge- 
nuss  des  zweiten,  aber  nicht  nach  dem  des  ersten  zaubertrankes  ein- 
schläft. Hier  heisst  es  nur  (s.  400):  rn  er  kann  hafbi  druhkit,  h)d 
honum  mjgk  iindarliga  vih.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass  diese  worte 
relativ  alt  sind.  Das  unmittelbar  folgende  Jrrkif  kann  mnndi  ongimn 
Idtil,  Jxmn  sem  dhr  liafhi  yf'irgengit  ist  nach  dem  oben  gesagten 
jedesfalls  dem  jüngsten  bearbeiter  zuzuweisen. 


1*NTERSUCIIUNGEN   ÜBER    DIE   HILDESAGE  19 

Dieser  bearbeiter  kann  und  wird  auch  wol  derselbe  sein,  der  die 
erlösimg  der  kampier  durcli  Olafr  Try.^-gvason  hinzugedichtet  hat.  Er 
weist  auch  in  der  Vorgeschichte  auf  diesen  ausgang  hin.  Die  Vor- 
geschichte und  der  schluss  sind  die  einzigen  teile  der  erzählung,  die 
einen  grossen  mangel  an  einsieht  in  die  weise,  in  der  in  der  alten 
poesie  übernatürliche  mächte  in  die  geschicke  der  menschen  eingreifen, 
kund  werden  lassen.  Dass  der  Verfasser  ein  christ  war,  geht  aus  dem 
Schlüsse  deutlich  hervor^;  diese  partien  sind  wol  nicht  älter  als  das 
14.  Jahrhundert.  Die  aufstachelung  durch  Gondul  aber  wird  bedeutend 
älter  als  der  {)ättr  sein;  nichts  widerspricht  der  möglichen,  freilich  auch 
nicht  beweisbaren  annähme,  dass  sie  der  poetischen  tradition  angehört.^ 

Auf  grund  obiger  ausführungen  lässt  sich  für  ^K  die  folgende 
entwicklungsreihe  aufstellen : 

PH1  =  SH3:  Hebinn  und  Hogni  sind  freunde.  Während  Hggni 
auf  einer  heerfahrt  begriffen  ist,  raubt  HeÖinn  Hildr,  die  ihm  ohne 
widerstreben  folgt.  Verfolgung.  Begegnung  bei  Haey.  HeÖinn  bietet 
eine  scett^  die  HQgni  zurückweist.  Zweitägiger  kämpf.  HjäÖningael. 
Hildr  sieht  dem  kämpfe  zu. 

]3H2:  Diverse  änderungen,  deren  relative  chronologische  folge  sich 
nicht  bestimmen  lässt.  HQgnis  zorn  wird  aus  der  ermordung  der  mutter, 
die  als  neuer  zug  eingefügt  wird,  erklärt.  Heöinn  bietet  nun  sogar  — 
aber  vergebens  —  an,  das  mädchen  zurückzugeben.  Yereinfachung 
des  zweitägigen  kämpf  es  und  Umbildung  des  Hjaöuingacl;  die  toten 
stehen  sofort  wider  auf. 

I>H  3 :  HeÖins  betragen  der  mutter  und  der  tochter  gegenüber 
wird  der  aufstachelung  durch  eine  dämonische  frau,  die  ihn  betört, 
zugeschrieben.  Vielleicht  gab  sie  ihm  in  jüngerer  tradition  auch  einen 
becher  zu  trinken.  Der  anfang  einer  auffassung  dieser  frau  als  wal- 
küre  zeigt  sich  in  dem  namen  Ggudul. 

I>H4:  Diese  Gondul  wird  vorgestellt  als  ein  Werkzeug  OÖins,  der 
konige  zu  einem  ewigen  kämpfe  anzureizen  wünscht.  Gondul  wird  mit 
Freyja  identificiert.  Aufnahme  der  halsbandgeschichte  und  dos  ver- 
söhnenden Schlusses.  Dies  alles  wahrscheinlich  in  junger  schriftlicher 
prosaischer  tradition. 

1)  Dass  er  ein  mönch  war,  wie  Panzer  behauptet,  folgt  daraus  keineswegs. 
Von  einem  fanatismus  wider  das  heidentum  kann  ich  keine  spur  entdecken,  wol 
aber  von  einem  rohen  geschmack,  dem  es  nicht  gelingt,  die  geschieh te  von  dem  ehe- 
bruch  in  eleganter  weise  zu  erzählen. 

2)  Sehr  unkritisch  scheint  mir  Panzers  verfahren,  wo  er  die  geschichte  von 
Freyja  und  die  von  G<?ndul  einem  und  demselben  —  späten  —  verfa.sser  zuweist. 

2* 


20  BOER 

§  ").    Saxos  darstellung. 

a)  Hithinus  kommt  zu  Frotho.  'Später"  verlieben  sich  ineinander 
Hilda,  die  tochter  des  Jütenkönigs  H(^gni,  und  Hithinus,  und  zwar 
bevor  sie  einander  gesehen  haben.  Als  sie  sich  erblicken,  können  sie 
kein  äuge  voneinander  abv\renden. 

b)  Hithinus  und  Hoginus  gehen  auf  einen  gemeinschaftlichen  raub- 
zug,  'denn  (sie)  Hoginus  wusste  nicht,  dass  Hithinus  senie  tochter  liebte'. 
Beschreibung  des  äusseren  der  beiden  beiden. 

c)  Hoginus  verlobt  Hithinus  seine  tochter.  Die  männer  schwören, 
einander  zu  rächen. 

d)  Hithinus  wird  beschuldigt,  dass  er  die  tochter  des  Hoginus  vor 
der  hochzeit  entehrt  habe.  Hoginus  greift  Hithinus  mit  schiffen  an  der 
slavischen  küste  an  und  wird  zurückgeschlagen.  Frotho  versucht  ver- 
geblich, eine  Versöhnung  zustande  zu  bringen.  Hoginus  fordert  allzu- 
heftig seine  tochter  zurück.  Es  kommt  zu  einem  Zweikampf,  in  dem 
Hoginus  siegt  und  seinen  feind  schont. 

e)  Nacii  sieben  jähren  kämpfen  Hithinus  und  Hoginus  auf  Hithinso 
und  fallen  beide.  Hilda  liebt  ikren  mann  so  sehr,  dass  man  erzählt, 
sie  habe  in  der  nacht  durch  zauberlieder  die  gefallenen  erw^eckt,  um 
den  kämpf  fortzusetzen. 

Dass  hier  zwei  Überlieferungen  miteinander  contaminiert  sind, 
leuchtet  ein  und  wird  auch  seit  Olrik  (s.  unten)  allgemein  anerkannt. 
Zweimal  ist  von  Hithinus  Verhältnis  zu  Hilda  die  rede.  Zw^eimal  —  sogar 
dreimal  —  wird  gekämpft.  Die  Schwierigkeit  aber  liegt  in  der  frage, 
wie  die  Überlieferungen  zu  trennen  sind. 

Olrik,  Saxo  II,  191  -196  verteilt  die  züge  zwischen  eine  von  ihm 
angenommene  dänische  und  eine  isländische  quelle. 

Dänisch  ist  nach  ihm  das  folgende:  1.  Hilda  und  Hithinus  können 
kein  äuge  voneinander  abwenden.  2.  der  blutsbruderbuud  dient  zur 
befestigung  der  verschwägerung.  3.  die  beschuldigung  wider  HeÖinn. 
4.  die  localisierung  auf  Hithinso. 

Isländisch  ist  nach  Olrik:  1.  dass  Hithinus  in  Norwegen,  Hoginus 
in  Dänemark  könig  ist  (eine  dänische  quelle 'Kununktallit'  kennt  HeÖinn 
als  dänischen  könig).  2.  das  schliessen  des  blutsbruderbundes.  Die 
erste  Seeschlacht  und  den  Zweikampf  hält  0.  für  ereignisse,  die  ursprüng- 
lich der  freundschaftlichen  Verbindung  vorangiengen;  er  vergleicht  sie 
mit  einem  ähnlichen  kämpf,  der  im  Sorla  [tättr  zu  der  freundschaft 
zwischen  HQgni  und  SQrli  (nicht  HeÖinn)  führt.  3.  die  aufweckung 
der  toten. 


UNTERSUCHUNGEN    ÜI5EIJ    DIE    IIILDESAGE  21 

Zunächst  ist  etwas  über  die  Unterscheidung  zwischen  einer  däni- 
schen und  einer  isländischen  quelle  zu  sagen.  Ich  leugne  noch  nicht 
die  möglichkeit,  dass  Saxo  eine  isländische  und  eine  dänische  quelle 
benutzt  hat,  obgleich  das  eine  allgemeine  h^ypothese  ist,  deren  richtig- 
keit  für  jeden  einzelnen  fall  einer  besonderen  Untersuchung  bedarf. 
Auch  würde  ich,  wenn  ich  von  einer  dänischen  und  einer  isländischen 
quelle  redete,  dieselbe  quelle  dänisch  resp.  isländisch  nennen,  die  Olrik 
so  nennt.  Aber  von  der  consequenz,  dass  die  sagenform,  die  Olrik  die 
isländische  nennt,  auf  Island  entstanden  oder  etwa  zu  Saxos  zeit  nur 
auf  Island  bekannt  gewesen  sei,  muss  ich  abstand  nehmen.  Wir  werden 
spuren  dieser  sagenform  in  grosser  entfernung  von  Island  begegnen; 
im  altertum  muss  sie  auch  in  Dänemark  bekannt  gewesen  sein.  Dass 
die  andere  form  ausschliesslich  dänisch  sei,  glaube  ich  eher,  zumal  da 
sie  die  älteste  zu  sein  scheint,  und  die  sage  sich  gewiss  von  Dänemark 
aus  über  den  skandinavischen  norden  verbreitet  hat.  Aus  diesen  gründen 
nenne  ich  die  form,  die  bei  Olrik  die  dänische  heisst,  Saxo  H  I^  kürzer 
Saxo  I,  die  andere  Saxo  H  II  (Saxo  II). 

Wenn  Olrik  recht  hat,  so  muss  Saxo  I  wie  folgt  gelautet  haben: 
HeÖinn  kommt  zu  ÜQgni.  Die  jungen  leute  verlieben  sich  sofort  in- 
einander. Hogni  gibt  seine  Zustimmung  zu  der  ehe.  Bei  der  Verlobung 
schliessen  die  männer  blutsbrüderschaft.  (Da  nach  Olrik  die  bluts- 
brüderschaft zur  befestigung  der  verschwägerung  dient,  so  muss  auch 
I  die  blutsbrüderschaft,  die  Olrik  übrigens  auf  die  seite  von  II  stellt, 
gekannt  haben.)  Darauf  wird  die  ehe  geschlossen  (denn  Hogni  verlangt 
ja  später  seine  tochter  zurück;  da  sie  aber  nicht  entführt  worden  ist,  so 
muss  die  ehe  zu  stände  gekommen  sein).  Dann  folgt  die  falsche  anklage 
wider  HeÖinn,  darauf  der  kämpf  auf  Heöinsey,  dessen  ausgang  nicht 
bekannt  ist,  aber  ohne  totenerweckung. 

Für  Saxo  II  bleibt  bei«  Olriks  auffassung  eine  erzählung  übrig, 
die  mit  den  darstellungen  Snorris  und  des  l)ättr  eine  ziemlich  grosse 
ähnlichkeit  hat,  aber  sehr  unvollständig  ist.  Erst  ein  kämpf,  sogar 
zwei,  —  ein  massenkampf  an  der  slavischen  küsto  und  ein  Zwei- 
kampf in  Frothos  gegenwart,  —  worauf  das  schliessen  des  freundschafts- 
bündnisses  folgt,  —  was  nicht  mit  der  freundschaft  zwischen  Hggni  und 
Hebinn  im  l)ättr,  sondern  zwischen  Hogni  und  Sgrli  verglichen~wird. 
Über  den  grund  der  feindschaft  geht  dann  aus  der  Überlieferung  nichts 
hervor;  man  muss  das  nach  den  isländischen  quellen  ergänzen.  Zum 
scliluss  ein  kämpf,  der  wol  ursprünglich  auf 'den  Orkncyjar  stattfand, 
aber  unter  dem  cinfluss  von  Saxo  I  nach  Hithin.so  verlogt  worden  ist; 
endlich  die  auferweckung  der  toten  durch  Hildr  und'das  HjaÖningavig. 


22  ROER 

Diese  auffassung  des  Verhältnisses  der  quellen  von  Saxo  erregt 
verschiedene  schwere  bedenken.  Ich  gehe  zunächst  auf  die  beiden 
zusammengehörenden  kämpfe,  den  an  der  slavischen  küste  und  den  in 
FröÖis  gegenwart  ein.  Dass  diese  kämpfe  die  alte  einleitung  des  freund- 
schaftsbündnisses  repräsentieren  sollten,  ist  nichts  weniger  als  wahr- 
scheinlich. Zunächst  ist  es  im  SQrla  I)ättr  nicht  Heöinn  sondern  Sorli, 
mit  dem'  Hogni  kämpft,  ehe  er  mit  ihm  freundschaft  schliesst.  Aber 
diese  geschieh te  hat,  noch  abgesehen  von  dem  unterschied  in  den  namen, 
mit  der  erzählung  bei  Saxo  nicht  die  geringste  ähnlichkeit.  Bei  Saxo 
zuerst  eine  Seeschlacht,  in  der  Hogni  geschlagen  wird,  darauf  ein 
Zweikampf,  in  dem  er  positiv  siegt;  im  I^ättr  nur  eine  Seeschlacht,  die 
unentschieden  bleibt,  worauf  die  gegner  sich  entschliessen ,  von  nun  an 
ihre  Streitkräfte  zu  vereinigen.  Dass  dies  in  romantischen  SQgur  ein 
ganz  gewöhnliches  motiv  ist,  hat  Olrik  selbst  gesehen,  vgl.  z.  b.  den 
kämpf  zwischen  Qr^ai'-Oddr  und  Hjälmarr.  Das  müsste  also  das  pri- 
märe sein.  Aber  wie  sich  daraus  die  beiden  kämpfe  bei  Saxo  ableiten 
lassen,  ist  schwer  zu  verstehen.  Mich  dünkt,  wenn  der  kämpf  zwischen 
SQrli  und  ÜQgni  im  Sgrla  pättr  mit  der  Hildesage  in  irgend  einem 
Zusammenhang  steht,  "was  sich  freilich  mit  recht  anzweifeln  lässt,  so 
kann  man  ihn  nur  mit  den  in  demselben  J)ättr  überlieferten  wettkärapfen 
zwischen  HQgni  und  Hebinn  zusammenstellen.  Jener  kämpf  ist  etwas 
ernsthafter  als  dieser,  aber  der  zweck  der  beiden  erzählungen  ist  der- 
selbe: es  soll  gezeigt  werden,  dass  die  beiden  einander  die  wage  halten. 
Welche  der  beiden  darstellungen  die  ältere  ist,  ergibt  sich  aus  ihrem 
Inhalte  nicht;  für  die  zweite  spricht,  dass  hier  HeÖinn  tatsächlich  auf- 
tritt. Ein  grund,  diesen  kämpf  oder  wettkampf  für  sehr  alt  anzusehen, 
ist  nicht  vorhanden;  die  geschichte  hat  ihren  ausgangspunkt  in  dem 
alten  kämpf  am  schluss  der  erzählung;  man  wollte  die  beiden,  die  sich 
auch  im  letzten  kämpf  einander  gew^achsen  zeigen  sollten,  einmal  im 
voraus  miteinander  vergleichen.  Der  wettkampf  ist  eine  art  symbolische 
vorwegnähme  des  ausganges. 

Olrik  muss  auch  der  Überlieferung  keine  geringe  gew^alt  antun, 
um  diese  geschichte  mit  jenen  kämpfen  bei  Saxo  auf  eine  Knie  stellen 
zu  können.  Während  Saxo  ausdrücklich  sagt,  dass  die  veranlassung 
zu  den  kämpfen  in  HeÖins  Verhältnis  zu  Hildr  zu  suchen  ist,  und  dass 
HQgni  noch  vor  dem  Zweikampf  seine  tochter  zurückfordert,  steht  der 
kämpf,  mit  dem  Olrik  Saxos  bericht  vergleicht,  am  anfang  der  erzählung 
und  leitet  die  freundschaft  ein. 

Wenn  man  nun  darüber  einig  ist,  —  und  Olrik  ist  der  erste,  der 
darauf  aufmerksam   gemacht  hat,  —  dass  Saxo  zwei  darstellungen  der 


ÜNTEHSUCIRTXGEN    ÜBKR    DIK    HILIJESAGK  23 

Hildesage  combiniert  hat,  so  ist  es  gewiss  weit  natürlicher,  dass  die 
beiden  grossen  kämpfe,  die  er  mitteilt,  —  wobei  der  erste  kämpf  an 
der  slavischen  küste  und  der  Zweikampf  für  einen  gelten,  —  nichts 
anderes  sind  als  die  ernsthaften  kämpfe,  die  in  den  beiden  von  Saxo 
benutzten  Versionen  den  hauptinhalt  der  erzählung  bilden.  Zu  beachten 
ist,  dass  beide  in  derselben  gegend,  an  der  pomnierschen  küste,  aiis- 
gefochten  werden;  —  nur  ist  die  schlussscene  des  ersten  kampfes  nach 
einem  anderen  orte  und  auf  einen  späteren  Zeitpunkt  vorschoben,  eine 
folge  von  Frothos  eingreifen  in  die  begebenheiten.  Da  nun  auf  diesen 
aus  zwei  teilen  bestehenden  kämpf  ein  zweiter  kämpf  nach  einer  ab- 
weichenden quelle  folgen  musste,  ist  dem  ersten  eine  glückliche  Wen- 
dung gegeben:  Hogni  schont  den  besiegten  gegner,  —  ein  ausgang, 
der  sich  von  dem  heftigen  anfang  in  wunderlicher  weise  abhebt  und 
sich  selbst  genügend  kritisiert.  Wie  der  ausgang  dieses  kampfes  in  der 
quelle  war,  lässt  sich  vorläufig  nicht  entscheiden.  Aus  Hognis  sieg  im 
Zweikampf  könnte  man  schliessen,  dass  HeÖinn  fiel,  aber  demgegenüber 
ist  zu  beachten,  dass  Hggni  an  der  slavischen  küste  die  niederlage  er- 
leidet. Das  dürfte  auf  den  Untergang  der  beiden  beiden  deuten.  Das 
nähere  unten  s.  25. 

Aus  der  Spaltung  des  kampfes  in  eine  Seeschlacht  und  einen 
darauf  folgenden  Zweikampf  lässt  sich  schliessen,  dass  diese  version 
einen  zweitägigen  kämpf  kannte,  wie  ein  solcher  auch  noch  in  Snorris 
erzählung  durchblickt. 

Eine  andere  Schwierigkeit,  zu  der  Olriks  teilung  führt,  liegt  in 
der  Ursache  der  feindschaft.  Saxo  kennt  nur  eine  veranlassung,  die 
in  der  form,  in  der  sie  mitgeteilt  wird,  zwar  unmöglich  ist,  aber 
doch  auf  den  richtigen  weg  führt.  Es  knüpft  sich  daran  die  frage, 
zu  welcher  der  beiden  ({uellen  diese  veranlassung  gehört.  Nach  Olrik 
gehört  sie  zu  Saxo  I,  und  zwar  in  der  form,  in  der  sie  überliefert 
ist.  Für  Saxo  II  muss  man  dann  eine  ergänzung  bei  Snorri  oder 
im  Sorla  pättr  suchen.  Aber  der  von  Saxo  mitgeteilte  grund  ist  in 
Saxo  I  sehr  schlecht  am  platze.  HQgui  und  HeÖinn  schliessen  freund- 
schaft;  HQgni  stimmt  in  die  ehe  zwischen  seinem  freunde  und  seiner 
tochter  ein.  Das  ehebündnis  kommt  zu  stände.  Erst  darauf  entsteht 
die  heftigste  feindschaft  aus  anlass  einer  beschuldigung,  dass  Heöinn 
schon  vor  der  iiochzeit  mit  seiner  braut  verkehrt  habe.  Wäre  die 
anklage  noch  vor  der  eheschliessung  erhoben,  so  wäre  wenigstens  ein 
gewisser  grund  zu  Hognis  zorn  vorhanden.  Aber  das  ist  unmöglicii; 
denn  da  die  anklage,  wie  Saxo  erzählt,  falsch  ist,  hat  HeÖinn  mit  Hildr 
nicht   vorzeitig   verkehrt,   viel  weniger  sie   entführt;   sie  ist  also  bis  zu 


24  liOER 

dem  Hochzeitstage  in  der  oblmt  ihres  vaters  geblieben.  Aber  wie  ist 
es  dann  möglich,  daß  HQgni  sie  zurückfordert?  Die  frau,  die  er  selbst 
dem  HeÖinn  gegeben  hat,  sollte  er  unerbittlich  zurückfordern,  aus  dem 
einzigen  gründe,  weil  eine  Vermutung  in  ihm  aufgestiegen  ist,  das, 
was  mit  seiner  Zustimmung  geschehen  ist,  dürfte  vielleicht  schon  etwas 
früher  geschehen  sein,  als  es  sich  geziemte!  Das  ist  doch  gewiss  für 
alte  heldenpoesie  allzu  subtil. 

Auch  diese  Schwierigkeit  wird  vollständig  gelöst,  wenn  wir  die 
falsche  anklage  auf  das  zurückführen,  was  sie  tatsächlich  ist,  die  mache 
jenes  mannes,  der  die  beiden  traditionen  verbunden  hat.  Eine  tradition 
erzählte,  dass  Heöinn  Hildr  von  Hogni  zur  frau  bekam,  später  aber 
mit  seinem  Schwiegervater  sich  entzweite,  die  andere,  dass  HeÖinn 
Hildr  raubte  und  dadurch  mit  ihrem  vater  in  krieg  geriet.  Nur  aus 
dem  raube,  nicht  aus  einer  falschen  anklage  nach  der  hochzeit  lässt  es 
sich  erklären,  dass  Hogni  seine  tochter  zurückfordert.  Aber  der  con- 
taminator,  der  erst  erzählte,  dass  Heöinn  Hildr  zur  frau  bekam,  konnte 
darauf  nicht  folgen  lassen,  dass  er  sie  raubte.  Der  raub,  der  durch 
eine  entehrung  ersetzt  wird,  ist,  wie  es  sich  versteht,  in  seinen  äugen 
eine  lüge,  eine  erdichtung  böser  leute. 

Nun  ist  es  auch  klar,  wo  der  platz  der  beiden  Vorstellungen  ist. 
Der  raub  ist  aus  isländischen  quellen  bekannt;  er  gehört  also  zu  Saxo  H. 
Saxo  I  hingegen  weiss  von  dem  raube  nichts;  diese  quelle  nennt  für 
die  entzweiung,  die  auf  die  hochzeit  folgt,  keinen  grund. 

Sodann  die  unwiderstehliche  liebe  der  jungen  leute.  Auch  diese 
hat  Olrik  auf  die  seite  von  Saxo  I  gestellt.  Aber  es  dürfte  einleuchten, 
dass  sie  mit  der  entführung  zusammenhängt.  Und  auch  hier  bestätigen 
die  isländischen  quellen  unsere  auffassung.  Auch  Snorris  tradition  hat, 
wie  wir  gesehen  haben,  ein  entwicklungsstadium  durchgemacht,  in  dem 
diese  liebe  sehr  in  den  Vordergrund  trat  (SH  2).  In  Saxo  I  hingegen 
ist  diese  liebe  viel  weniger  am  platze.  Wenn  hier  steht:  'Hggni  ver- 
lobte seine  tochter  dem  Heöinn,  und  sie  schwuren,  einander  zu  rächen', 
so  sieht  das  vielmehr  danach  aus,  dass  die  freundschaft  der  männer 
das  primäre  sei;  die  blutsbrüderschaft  dient  nicht  dazu,  wie  Olrik  an- 
nimmt, die  ehe,  sondern  die  ehe,  um  die  freundschaft  zu  befestigen, 
wde  das  auch  eine  alte  sitte  ist,  dass  eben  zur  befestigung  von  bünd- 
nissen  geschlossen  w^erden,'  —  nicht  aber  umgekehrt. 

Kehren  wir  zu  den  kämpfen  zurück,  so  ist  es  auch  hier  wol  klar, 
auf  welche  seite  ein  jeder  von  diesen  zu  stellen  ist.  Der  erste  kämpf 
wird  wegen  der  Hildr  gekämpft,  wie  man  bei  Saxo  H  erwarten  würde, 

1)  Vgl.  z.  b.  die  elie  zwischen  lugeld  und  Freawaru  (Beow.  2026 fg.). 


UNTERSUCIIUNGKN   UBKR    DIE   HILDESAGE 


25 


und  wie  die  isländischen  quellen  erzählen.  Hier  finden  sich  die  spuren 
eines  zweitägigen  kampfes  wie  dort.  Und  hier  findet  sich  ein  vergeb- 
licher Versöhnungsversuch  wie  dort.  Über  den  zweiten  kämpf  lesen  wir 
nur,  dass  die  beiden  sieben  jähre  später  (nach  dem  kämpfe  aus  Saxo  II; 
w^nn  die  sieben  jähre  aus  der  quelle  stammen,  so  muss  die  meinung 
sein:  sieben  jähre  nach  der  hochzeit)  eine  schlacht  begannen  und  beide 
ihren  wunden  erlagen.  Also  gehört  der  erste  kämpf  zu  Saxo  II,  der 
zweite  zu  Saxo  I.  Hier  findet  sich  auch  die  localisierung  auf  HeÖinse. 
Grosses  gewicht  kann  man  freilich  darauf  nicht  legen,  da  auch  der 
erste  kämpf  an  der  pommerschen  küste  localisiert  ist.  "Wahrscheinlich  (vgl. 
s.  28  anm.)  ist  diese  localisierung  für  Saxo  II  secundär;  eine  reminiscenz 
an  die  localisierung  der  isländischen  quellen  könnte  man  darin  erblicken, 
dass  die  beiden  zusammen  auf  den  Orkneyjar  siege  erfechten. 

Das  Hjaöningavig  wird  aus  II  stammen.  Da  der  kämpf  aus  II 
wegen  der  Verbindung  mit  I  einen  versöhnenden  ausgang  erhielt,  war 
hier  für  das  Hjaöningavig  kein  platz;  es  wurde  daher  an  den  schluss 
des  ganzen  versetzt.  Dass  es  zu  Saxo  II  gehört,  wird  schon  dadurch 
bewiesen,  dass  es  Hildr  ist,  die  die  toten  erweckt.  Wir  erkennen  darin 
eine  sehr  weit  vorgeschrittene  form  von  SH  wieder.  (Über  abweichungen 
von  Snorris  darstellung  s.  unten  s.  27).  Aus  dem  Hjaöningavig  geht 
ferner  hervor,  was  oben  s.  23  unentschieden  bleiben  musste,  wie  der 
ausgang  von  Saxo  II  war.  Beide  beiden  fallen,  —  eine  unumgängliche 
bedingung  für  die  aufnähme  des  Hjaöningavig. 

Um  zu  einer  richtigen  Vorstellung  davon  zu  gelangen,  was  jeder 
der  beiden  darstellungen  angehört,  brauchen  wir  sie  nur  einander 
gegenüber  zu  stellen.  Die  verbindenden  Zwischenglieder  stellen  wir 
zwischen  I  und  11;  das  wenige,  was  fehlt,  fügen  wir  zwischen  klammern 
hinzu.  Es  zeigt  sich  dann,  dass  jede  der  beiden  redactionen  ihre  ur- 
sprüngliche reihenfolge  bewahrt  hat,  und  ferner,  dass  nur  das  fort- 
gelassen ist,  was  bei  der  Verbindung  notwendig  ausfallen  musste. 
Saxos  reihenfolge  kann  absolut  gewahrt  bleiben. 


Saxo  I. 


Eigentum 
des  bearbeiters. 
Hithinus  kommt  zu  Frotho. 
Später 


Saxo  II. 


verlieben  sich  iueinauder 
Hilda,  die  tochter  dss  Jüteu* 
königs  Iloginus,  und  Hithi- 
nus, und  zwar  bevor  sie 
einander  gesehen  haben. 
Als  sie  einander  sehen, 
können  sie  kein  äuge  von- 
einander abwenden. 


26 


BOER 


Saxo  I. 

Hithinus  und  Hogimis 
gehen  auf  einen  gemein- 
schaftlichen raubzug, 


Beschreibung  des  äusseren 
der  beiden  beiden.  Hoginus 
verlobt  Hithinus  seine  toch- 
ter.  Die  raänner  schwören, 
einander  zu  rächen.  (Die 
ehe  wird  geschlossen). 


Nach  sieben  jähren  käm- 
pfen Hithinus  und  Hoginus 
auf  Hithius0  und  fallen  beide. 


Eigentum 
des  bearbeiters. 


denn  Hoginus  wusste  nicht, 
dass  Hithinus  seine  tochter 
liebte. 


Hithinus  wird  beschuldigt, 


und  wird  zurückgeschlagen. 
Frothos 


in   dem   Hoginus  siegt   und 
den  geguer  schont. 


Saxo  n. 


dass  er  die  tochter  des 
Hoginus  vor  der  hochzeit 
entehrt  habe  (d.  h.  er  hat 
sie  geraubt).  Hoginus  greift 
Hithinus  au  der  slavischen 
küste  an 

Ein  Versöhnungsversuch 
misslingt.  Hoginus  fordert 
allzuheftig  seine  tochter  zu- 
rück. Es  kommt  (am  zwei- 
ten tage  der  schlacht)  zu 
einem  Zweikampf,  (in  dem 
beide  fallen). 


Hilda  liebt  ihren  mann 
so  sehr,  dass  man  erzählt, 
sie  habe  in  der  nacht  durch 
zauberlieder  die  gefallenen 
erweckt,  um  den  kämpf 
fortzusetzen. 


Wir  versuchen  nun,  den  beiden  oben  erkannten  Versionen  ihren 
platz  in  der  Überlieferung  anzuweisen.  Es  ergibt  sich  sofort,  dass 
Saxo  II  auf  dem  Standpunkte  SH  i  steht.  Die  erzäblung  ist  demnach 
eine  Vorstufe  von  Bragi  und  Snorri;  sie  ergänzt  Snorris  darstellung  an 
mehr  als  einer  stelle.  Sie  hat  die  reihe  SH  1  — 4  durchlaufen  und 
deutlichere  spuren  der  verschiedenen  Stadien  bewahrt  als  Snorri.  In 
dem  gerüste  der  erzählung  erkennen  wir  SH  1  wider:  die  tochter  wird 
entführt;  der  vater  kämpft  mit  dem  räuber.  Auch  Heöins  versöhnungs- 
versuch  fehlt  nicht.  Aber  wenn  wir  aus  Snorri  erfahren,  was  HeÖinn 
bietet,  so  geht  aus  Saxo  II  hervor,  was  Hogni  fordert;  er  will  seine 
tochter  ausgeliefert  haben,    und   auf  grund   dieses  gegensatzes    werden 


UNTERSUCHUNG KN-    UBKR    DIE    HILDKSAGE  27 

die  Unterhandlungen  abgebrochen.  Saxo  II  bestätigt  also  die  s.  9  anni. 
ausgesprochene  Vermutung,  dass  die  bemerkung  Hqgnis,  er  habe  schon 
das  Schwert  Däinsleif  gezogen,  jüngeren  daturas  ist.^  Eine  andere  ab- 
weichung  ist,  dass  in  Saxo  IT  die  Unterhandlungen  nach  dem  ersten 
tage  des  kampfes  geführt  wei'den,  was  bei  Snorri  am  anfang  geschieht. 
Was  hier  das  echte  ist,  lässt  sich  kaum  entscheiden.  Das  zeugnis  des 
SQrla  |)ättr,  der  keine  zweitägige  schlacht  kennt,  hat  keinen  wert;  hier 
können  die  Unterhandlungen  nur  am  anfang  geführt  werden.  Aber 
eben  der  umstand,  dass  der  kämpf  unterbrochen  wird,  dürfte  darauf 
deuten,  dass  diese  Unterbrechung  einmal  einen  sinn  gehabt  haben  muss, 
nämlich  dass  sie  der  Unterhandlungen  wegen  stattfand.  Dann  stünde 
also  auch  hier  Saxo  II  auf  dem  ursprünglichen  Standpunkte. 

SH2,  die  motivierung  der  entführung  aus  der  innigen  liebe  der 
jungen  leute,  ist  Saxo  II  nicht  nur  bekannt;  das  motiv  steht  hier  so- 
gar in  voller  blute.  Es  ist  noch  das  hauptmotiv,  während  es  bei  Snorri 
schon  zurückgedrängt  erscheint.  Aber  von  einem  durch  Hildr  unter- 
nommenen Versöhnungsversuche,  der  später  aus  dieser  liebe  sich  ent- 
wickelt hat,  weiss  unser  bericht  noch  nichts. 

SH  3,  das  Hjabningavig,  ist  schon  in  die  Überlieferung  aufge- 
nommen -. 

SH  4,  Hilds  Verhältnis  zu  dem  Hjaöningavig  hat  sich  schon  ent- 
wickelt. Aber  die  auffassung  dieses  Verhältnisses  ist  noch  eine  alter- 
tümliche. Wenn  es  heisst,  Hilda  habe  HeÖinn  so  leidenschaftlich  geliebt, 
dass  sie  bei  nacht  die  geister  der  gefallenen  durch  zauberlieder  auf- 
erweckte, um  die  schlacht  zu  erneuern,  so  ist  es  klar,  dass  die  er- 
neuernng  des  kampfes  nicht  der  zweck,  sondern  nur  die  folge  der  er- 
weckung sein  kann.  Was  Hilda  treibt,  die  toten  zu  erwecken,  ist  ihre 
liebe;  sie  hofft  also,  ihren  geliebten  wider  zu  besitzen,  aber  ihre  hoff- 
nung  ist  vergebens;  die  kampfwut  tobt  noch  in  den  herzen  der  gefallenen, 
und  die  auferstandenen  krieger  erneuern  den  kämpf.  Aber  in  dem 
ausdruck  'um  die  schlacht  zu  erneuem'  liegt  schon  die  weitere  ent- 
wicklung  angedeutet;  bald  wird  die  erneuerung  des  kampfes  zu  Hilds 
zwecke,  ihre  walkürennatur  tritt  in   den  Vordergrund,    ihre  liebe  Avird 

1)  Auch  im  SQrla  [)ättr  fehlt  diese  antwort,  aber  der  [)ättr  hat  ebensowenig 
wie  Suorri  das  echte  bewahrt,  s.  s.  15. 

2)  Wenn  das  IljaSningavig  bei  Saxo  erst  nach  dein  fall  der  beiden  gegner  an- 
hebt, so  ist  das  eine  folge  davon,  dass  die  darstellung  secuudär  mit  Saxo  I  vorbuudon 
ist;  man  darf  also  darin,  dass  die  könige  nicht  zu  ihren  schüfen  zurückkehren,  nicht 
eine  Übereinstimmung  mit  PR  4  erblicken.  Dass  Saxo  II  auch  hier  auf  der  seite  von 
SH  6,  nicht  von  I'E4  steht,  zeigt  Ililds  verhcältnis  zum  IljaSuingavig,  die  in  der 
nacht  die  toten  erweckt. 


28  BOER 

nicht  mehr  erwiilint.  Diesen  schritt  hat  die  bei  Snorri  vorliegende 
tradition  getan.  In  dieser  hinsieht  vertritt  also  Saxo  II  eine  übergangs- 
stiife  zwischen  dem  {^ättr,  der  Hildr  noch  gar  keinen  einfluss  auf  die 
erweckung  der  toten  einräumt,  und  Bragi- Snorri,  wo  sie  aus  lust  am 
kämpfe  die  gefallenen  widerbelebt. 

Also  ist  der  Standpunkt  SH  5  in  Saxo  II  noch  nicht  erreicht. 
Und,  wie  sich  versteht,  ebensowenig  SH  6.  Auch  an  dem  ersten  kämpf 
ist  Hildr- nicht  schuldig.  Wie  die  erzählung  von  einem  von  ihr  aus- 
gehenden Versöhnungsversuche  noch  nichts  weiss,  so  auch,  oder  besser 
um  so  weniger  weiss  sie  etwas  von  Hilds  falschheit.  Die  stufe,  wo 
Saxo  II  von  SH  abzweigt,  ist  SH4;  dass  Saxo  II  von  da  aus  eine 
selbständige  entwicklung  durchgemacht  habe,  lässt  sich  nicht  wahr- 
scheinlich machen;  in  keinem  einzigen  punkte  geht  Snorri  sicher  über 
Saxo  II  hinaus  i.  Aus  diesen  gründen  glaube  ich  Saxo  II  mit  SH  4 
gleichsetzen  zu  dürfen. 

Ganz  anders  sieht  Saxo  I  aus.  Alles,  was  für  Saxo  II  und  die 
anderen  zu  SH  gehörenden  Versionen  charakteristisch  ist,  ja  hier  sogar 
wie  der  eigentliche  kern  der  erzählung  aussieht,  fehlt.  Soweit  wir  zu 
sehen  vermögen,  kein  Hjaöningavig,  und  wie  wir  deuthch  sehen,  keine 
entführung,  keine  innige  liebe  der  jungen  leute;  Hildr  ist  HeÖins  weib, 
mehr  nicht.  Der  Schwerpunkt  liegt  in  dem  Verhältnis  der  männer. 
Anfänglich  sind  sie  so  grosse  freunde,  dass  der  eine  dem  andern  seine 
tochter  zur  frau  gibt;  später  sind  sie  so  erbitterte  feinde,  dass  sie 
einander  erschlagen. 

Bei  der  grösseren  einfachheit  dieser  erzählung  liegt  die  Vermutung 
nahe,  dass  wir  es  hier  mit  einer  tradition  zu  tun  haben,  die  von  den 
bisher  besprochenen  fassungen  vollständig  unabhängig  ist,  ja  denselben 
vorangeht,  ihre  Vorstufe  ist.  Es  komnu'U  die  folgenden  erwägungen 
hinzu.  Die  übrigen  haben  das  Hjaöningaul  gemein  und  bilden  schon 
dadurch  solchen  fassungen  gegenüber,  denen  das  HjaÖningaei  fehlt,  eine 
gruppe.  Nun  hat  Saxo  I  mit  einem  glied  der  gruppe  SH,  &H,  Saxo  II 
einen  wichtigen  zug  gemein,  der  schon  deshalb  zu  dem  alten  bestände 
der  sage  gehören  muss,  nämlich  die  anfängliche  freundschaft  der  späteren 
gegner.    Schon  bei  der  besprechung  des  Sorla  pättr  war  davon  die  rede. 

1)  Eine  ausnähme  bildet  vielleicht  die  localisierung  an  der  slavischen  küste, 
die  aber  eine  folge  der  Verbindung  von  Saxo  I  -(-  IT  sein  kann  (obeu  s.  25).  Damit 
ist  nicht  gesagt,  dass  die  localisierung  auf  den  Orkneyjar  in  der  sage  älter  als  die 
auf  HeÖinsey  sein  müsse  (vgl.  darüber  §  17),  sondern  nur,  dass  für  Saxo  II  wol  die 
Orkneyjar  anzunehmen  sind,  da  hier  Snorri  imd  der  l)ättr  übereinstimmen  und  die 
gemeinsame  quelle  dieser  beiden  (SH  3)  auch  die  von  Saxo  II  (SH  4)  ist. 


UNTERf5UCHUNGEN   ÜRKR    DIR   KILDESAGF  29 

Schon  dort  hat  es  sich  als  wahrscheinlich  ergeben,  dass  diese  freund- 
schaft  sich  nicht  in  t>H  secundär  entwickelt  hat,  sondern  aus  der  quelle 
der  reihe  I^H  stammt  usw.,  also  zu  SH  1  gehörte  und  in  einer  jüngeren 
Version  von  SH  beseitigt  worden  ist.  Die  vergleichuug  von  Saxo  I 
bestätigt  nun  diese  ansieht.  Und  zwar  ist  es  SH4,  die  die  freund- 
schaft  fallen  gelassen  hat.  Denn  dass  sie  noch  in  SH  3  enthalten  war, 
beweist  der  J)ättr  in  vergleichung  mit  Saxo  I;  die  Übereinstimmung  aber 
zwischen  Saxo  II  und  Snorri  zeigt,  dass  sie  in  SH4  fehlte.  Der  grund 
der  auslassung  wurde  schon  s.  14  angedeutet:  die  freundschaft  verträgt 
sich  schlecht  mit  dem  raub  der  tochter  und  dessen  schweren  folgen. 
Auch  PH  hat  das  gefühlt  und,  wie  oben  gezeigt,  aus  diesem  gründe 
HeÖins  schuld  vergrössert.  Durch  die  ermordung  der  königin  wurde 
es  verständlich,  dass  Hogni  von  keiner  sühne  wissen  will.  Einen 
anderen  weg  wählte  SH  4.  Da  es  undenkbar  schien,  dass  Hogni  den 
raub  der  tochter  unter  keiner  bedingung  seinem  freunde  vergeben  sollte, 
fand  man  es  für  nötig,  die  ganze  freundschaft  zu  beseitigen.  Heöinn 
wurde  zu  einem  fremden  räuber. 

Der  raub  und  die  freundschaft  sind  demnach,  wie  s.  14  augedeutet 
wurde,  concurrierende  motive,  die  auf  die  dauer  nebeneinander  nicht 
bestehen  können  und  also  auch  nicht  zu  gleicher  zeit  entstanden  sein 
können.  Welches  von  beiden  ist  das  ältere?  Saxo  I  zeugt  für  die 
freundschaft.  Dazu  ist  noch  das  folgende  zu  erwägen:  Wäre  der  raub 
ursprünglich,  so  wäre  die  einführung  der  freundschaft  nicht  zu  ver- 
stehen. Denn  der  raub  sowol  wie  seine  furchtbarei»  folgen  würden  da- 
durch weniger  verständlich  geworden  sein.  Wenn  Hogni  das  mädchen 
freiwillig  geben  wollte,  wozu  brauchte  Heöinn  es  dann  zu  stehlen? 
Ganz  anders  sieht  die  sache  aus,  wenn  wir  von  der  freundschaft  aus- 
gehen. In  der  sagenform  Saxo  I  liegt  eine  Unklarheit,  die  einen  er- 
klärungsversuch  hervorlocken  konnte.  Hogni  und  HeÖinn  waren  freunde; 
plötzlich  werden  sie  zu  feinden  und  töten  einander.  Was  war  der 
grund  dieser  feindschaft?  so  konnte  man  fragen.  Die  antvvort  wurde 
in  Hebins  Verhältnis  zu  Hildr  gesucht.  Dass  sie  seine  frau  war,  be- 
ruhte auf  alter  Überlieferung;  nun  entstand  für  die  feindschaft  diese 
crklärung:  HeÖinn  hatte  die  frau  geraubt. 

Saxo  I  repräsentiert  also  die  älteste  erreichbare  form  der  sage; 
aus  ihr  sind  alle  übrigen  Versionen  abgeleitet.  Wir  nennen  diese 
sagenform  einfach  H. 

Auf  grund  dieser  resultate  lässt  sich  der  Inhalt  der  früher  er- 
schlossenen sagenformen  in  einzelnen  punkten  nocli  etwas   breiter  ai.'s- 


.30  BOÜH 

führen    und    näher   bestimmen.      Der    Inhaltsübersicht  der    aufeinander 
folgenden  fassungen  schicken  wir  ein  graphisches  Schema  voran  i. 

H 

(erhalten  in  8axo  I) 

I 

SHl 

1 
SH2 

1 
SH3         =         J'Hl 

Saxo  n  =  SH  4  fH  2 

SH  5  f  H  3 

SH6  pH4 

(darstellung  der  Ragnars- 
drapa  und  Snorris) 

Über  den  inhalt  dieser  Versionen  lässt  sich  das  folgende  sagen: 

H  ist  bekannt,  Saxo  I. 

SH  1 :  Um  die  feindschaft  zwischen  Schwiegervater  und  Schwieger- 
sohn zu  erklären  wird  die  ehe  mit  Hildr  als  ein  raub  aufgefasst. 
Heöinn  benutzt  dazu  einen  Zeitpunkt,  als  HQgni  von  hause  (auf  einem 
wikingerzug,  jünger  i  konungastefnu)  ist.  Der  raub  wird  als  herfang 
charakterisiert.  HQgni  eilt  dem  rauher  nach.  Es  kommt  zu  einer 
Schlacht,  die  zwei  tage  dauert.  Wahrscheinlich  am  morgen  des  zweiten 
tages  versucht  Hebinn  frieden  zu  schliessen,  aber  da  HQgni  die  zurück- 
gäbe des  mädchens  fordert,  worauf  Heöinn  nicht  eingehen  will,  wird 
der  kämpf  erneuert.     Beide  fallen,  wie  in  der  alten  sage. 

SH  2 :  Der  raub  ist  eine  folge  der  innigen  liebe  der  jungen  leute. 
Aber  die  bezeichnung  hertaka  (SQrla  |)attr),  her  fang  (Snorri)  bleibt  er- 
halten. (Daraus  in  einem  jüngeren  zweig  der  Überlieferung,  zwischen 
SH4  und  5  ein  Versöhnungsversuch  der  Hildr). 

SH  3 :  einführung  des  Hjaöningavig. 

SH4:  Die  freundschaft  zwischen  HeÖinn  und  HQgni  wird  als  mit 
dem  raub  unvereinbar  fortgelassen.  Die  erzählung  hebt  damit  an,  dass 
Heöinn  Hildr  raubt,  während  HQgni  von  hause  entfernt  ist.  Hilds 
liebe  zu  Heöinn  wird  mit  dem  Hjaöningavig  in  Verbindung  gebracht; 
aus  liebe  zu  ihm  erweckt  sie  die  toten,  aber  vergebens;  die  aufer- 
standenen setzen  den  kämpf  fort.  Diese  fassung  ist  bei  Saxo  (H) 
überliefert. 

SH5:  Daraus  folgt,  dass  sie  als  walküre  aufgefasst  wird.  Sie  er- 
weckt die  toten  aus  lust  an  dem  kämpfe. 

1)    Die  erhaltenen  glieder  sind  fett  gedruckt. 


rNTERi?TTrfnTNGRN  l'BEn   DIE   iiilherage 


Bl 


SH6:  Diese  auffassung  beoinflusst  auch  den  inzwischen  (nach  4) 
eingeführten  versöhnnngsversucli  der  Hildr.  Dieser  wird  als  ein  nicht 
ernstlich  gemeinter  aufgefasst.  Aber  warum  sie  eine  Versöhnung  nicht 
■wünscht,  sieht  man  nicht.  Darum  fehlt  der  zug,  den  die  Ragnarsdräpa 
mitteilt,  wider  bei  Snorri.  He^^ins  versöhnungsversuch  bekommt  eine 
andere  wendung;  nicht  länger  verlangt  Hogni  die  tochter  zurück,  die 
er  ja  mitnehmen  konnte,  da  sie  zu  ihm  gekommen  ist,  sondern  er  wnll 
kämpfen,  weil  er  sein  schwert  bereits  gezogen  hat.  Beide  versöhnungs- 
versuche  werden  an  den  anfang  des  kampfes  gestellt. 

PH1=SH3. 

PH  2  löst  den  Widerspruch  zwischen  der  freundschaft  und  dem 
raub  dadurch,  dass  Heöins  schuld  erschwert  wird.  Das  Hjabningavig 
"wird  besser  mit  dem  vorhergehenden  verbunden;  die  toten  stehen  so- 
fort auf.  Daraus  folgt,  dass  nicht  mehr  von  einem  zweitägigen  kämpfe 
die  rede  ist.  HeÖins  versöhnungsversuch  (der  einzige)  findet  daher  vor 
dem  kämpfe  statt. 

PH  3  erklärt  HeÖins  tat  durch  Gonduls  einfluss. 

I^H4  fügt  die  geschichte  von  dem  brisingamen,  die  dritte  be- 
gegnung  mit  Ggndul  und  die  schlussscene,  vielleicht  auch  den  ersten 
zaubertrank,  auf  jeden  fall  den  bericht,  dass  Heöinn  dadurch  die  er- 
innerung  verlor,  hinzu. 

Saxo  II  =  SH  4. 

Über  das  alter  von  I^H  2.  3  kann  man  auf  grund  dieser  Übersicht 
nicht  viel  sicheres  sagen.  Sie  sind  jünger  als  SH3,  aber  wie  viel, 
das  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Ihre  abstammung  von  einer  alten  form 
von  SH  beweist  nicht,  dass  sie  nicht  verhältnismässig  jung  sein  können. 
Denn  SH  3  braucht  nicht  untergegangen  zu  sein,  sobald  daraus  SH4 
hervorgegangen  war.  Ähnlich  verhält  es  sich  mit  SH  4  und  5.  6.  Die 
form  SH  6  liegt  schon  in  der  Ragnarsdräpa  vor,  die  doch,  auch  w^enn 
sie  nicht  von  Bragi  gedichtef  worden  ist,  kaum  jünger  als  1000  ist, 
aber  noch  Saxo  kennt  SH4,  ja  sogar  die  alte  form  H. 

§  6.    Dk'  Illldesasrc  in  der  lldgisage. 

Im  vorhergehenden  gelangten  wir  zu  dem  Schlüsse,  dass  die 
Hildesage  ursprünglich  nur  von  der  feindscbaft  zwischen  Hggni  und 
Hehinn  zu  erzählen  wusste,  und  dass  der  raub  der  Hildr  eine  secundäre 
erklärung  dieser  feindscbaft  ist.  Diesen  gedanken  werden  wir  an  einer 
anderen  stelle  weiter  verfolgen.  Vorläufig  gehen  wir  von  der  gleich- 
falls constatierten  tatsache  aus,  dass  die  frage,  warum  He(iinn  die 
tochter  des   freundes   entführen    musste,   und  warum  Hggni  dai-über  so 


32  DORR 

entsetzlich  zürnt,  auf  mehr  als  eine  weise  beantwortet  worden  ist. 
Eine  antwort  sagt,  dass  HeÖinn  von  einer  bösen  frau  berückt  worden 
war,  und  dass  er  eine  zweite  raissetat  begangen  hatte,  für  die  keine 
Vergebung  möglich  war.  Eine  zweite  antwort  lautet,  dass  zwischen 
den  gegnern  früher  keine  freundschaft  bestanden  hatte.  Noch  eine 
dritte  antwort  war  möglich,  bei  der  die  freundschaft  zwar  nicht  un- 
mittelbar geleugnet  zu  werden  brauchte,  aber  doch  leicht  verschwinden 
konnte,  nämlich  die,  dass  Hogni  seine  tochter  bereits  einem  anderen 
freier  bestimmt  hatte.  Diese  antwort  wird,  wenn  wir  von  den  deutschen 
Versionen  vorläufig  absehen,  auf  skandinavischem  boden  in  einer  nahen 
verwandten  der  Hildesage,  nämlich  in  der  Helgisage,  gegeben.  Eine 
eigentümlichkeit  dieser  fassung,  die  gleichfalls  auf  deutschem  boden 
mehr  als  einmal  widerkehrt,  ist  die,  dass  an  die  stelle  des  Unterganges 
der  beiden  gegner  der  sieg  des  Schwiegersohnes  tritt. 

Das  problem  der  Helgisage  ist  von  unserem  Standpunkt  die  frage, 
wie  weit  wir  das  recht  haben,  in  ihr  eine  Variante  der  Hildesage  zu 
erblicken,  anders  gesagt,  ob  die  züge  der  Helgisage,  deren  abstammung 
aus  der  Hildesage  sich  zur  evidenz  erheben  lassen,  zahlreich  und  deut- 
lich genug  sind,  um  uns  in  den  stand  zu  setzen,  daraus  ein  bild  der- 
jenigen fassung  der  Hildesage,  die  diese  züge  an  die  Helgisage  abge- 
geben hat,  zu  construieren.  Zu  diesem  zwecke  sehen  wir  uns  genötigt, 
auf  die  kritik  der  Helgisage  etwas  näher  einzugehen. 

Ungefähr  gleichzeitig  haben  Bugge  (Helgedigtene)  und  der  Ver- 
fasser dieser  Untersuchung  (Beiträge  22,  368  fgg.)  sich  mit  der  Helgi- 
sage beschäftigt.  Zu  demselben  resultate  gelangten  wir  in  der  Unter- 
suchung über  Helgis  herkunft  und  seine  identificierung  mit  dem 
Skjoldung  Helgi,  von  dem  u.  a.  die  Hrölfs  saga  kraka  berichtet.  Seinem 
kämpfe  mit  Hoöbroddr  liegen  ganz  andere  dinge  als  eine  liebesgeschichte 
zu  gründe;  HgÖbroddr  ist  der  repräsentant  der  Heaöobearden,  mit  denen 
das  geschlecht  der  SkJQldunge  im  6.  Jahrhundert  in  fehde  lag.  Die 
liebesgeschichte  hat  demnach  einen  anderen  Ursprung.  Dass  sie  zum 
teil  in  der  Hildesage  wurzelt,  hat  Bugge  erkannt.  Einen  anderen  teil 
leitet  er  aus  anderen  quellen  ab.  Ich  meinerseits  bin  damals  auf  das 
Verhältnis  zu  fremden  sagen  nicht  eingegangen  und  habe  nur  ange- 
deutet, wie  sich  mir  die  liebesgeschichte  des  Skjgldungs  zu  der  des 
Hundingtöters  zu  verhalten  schien.  Ich  werde  nun  im  folgenden  beide 
ansichten  einer  genaueren  prüfung  unterziehen. 

Bugge  glaubt  1.  dassSigrün  unter  dem  einfluss  einer  sage  von  Wolf- 
dietrich in  die  Helgidichtung  aufgenommen  sei;  2.  dass  der  zug,  dass  Sigrün 
bei  Helgi  gegen  ihren  vater  und  ihien  bräutigam  Unterstützung  sucht,  sich 


UNTKIJSUCHUXGEN   ÜBER    DIE    IIII.DESAOE  33 

entwickelt  habe,  bevor  die  Helgisage  von  der  Hildesuge  beeintlusst  wurde. 
3.  dass  es  auf  dem  einfluss  der  Hildesage  berulie,  dass  Helgi  Sigrün 
7AU-  frau  bekommt,  und  dass  ilir  vater  Hogni  heisst.  1.  dass  Helgis 
tod  ein  jüngerer  auswuchs  der  Helgidichtung  sei,  und,  wie  das  auch 
von  anderen  zügen  angenommen  wird,  unter  dem  eintluss  der  Sigurd- 
poesie  stehe. 

Über  Bugges  ersten  punkt  kann  icli  mich  ziemlich  kurz  fassen. 
Für  die  gleichstellung  von  Sevill  mit  Sabene,  ags.  Seafola,  führt  Bugge 
s.  167  gründe  von  einiger  bedeutung  an,  obgleich  es  dabei  sehr  un- 
sicher bleibt,  ob  die  gestalt  aus  der  Wolfdietrichdichtung  stammt,  eine 
frage,  an  der  wir  hier  vorübergehen  dürfen.  Alle  übrigen  gleich- 
setzungen  aber  beruhen  auf  bedeutungslosen  Scheinübereinstimmungen; 
ein  wirklicher  Zusammenhang  besteht  nicht.  Helgi  hat  eine  mutter 
Borghildr,  während  Wolfdietrichs  mutter  Hildeborg  heisst!  Helgi  ist 
ein  Ylfingr  und  wird  einmal  ein  grauer  wolf  genannt,  und  auch  Wolf- 
dietrich heisst  einmal  Wolf.  Diese  geringe  Übereinstimmung  sieht 
Bugge  selbst  für  zufälhg  an,  aber  er  glaubt,  sie  könne  weitere  be- 
rührungen  veranlasst  haben.  Es  ist  hier  auch  daran  zu  erinnern,  dass 
Wülfinge  ein  alter  geschlechtsname  ist,  der  mit  Wolfdietrich  nichts  zu 
schatten  hat,  und  dass  die  stelle,  wo  Helgi  ein  wolf  heisst  (H.  Hu.  H,  1) 
einerseits  eine  anspielung  auf  jenen  geschlechtsnamen  enthält,  anderseits 
aber  mit  der  erzählung  der  Hrolfs  s.  kr.  zusammenhängt,  wo  Helgi 
einen  hundenamen  trägt,  wie  er  ein  andermal  Hamr  heisst;  Helgi  nennt 
sich  im  gegensatz  dazu  einen  wolf  und  gibt  sich  dadurch  als  einen 
gefälirlichen  feind  zu  erkennen,  während  der  name  Wolf  in  der  mhd. 
diehtung  den  Wolfdietrich  als  einen  geächteten  bezeichnet.  Überhaupt 
ist  die  Überlieferung  von  Wolfdietrich  so  jung  und  so  wenig  zuverlässig, 
dass  man  mit  vergleichungen  zwischen  zügen  aus  diesen  gedichten  und 
ähnlichen  in  der  alten  altnordischen  poesie  sehr  vorsichtig  sein  muss  und 
am  wenigsten  berechtigt  ist,  sofort  auf  entlehnung  aus  der  Wolfdietrich- 
poesie, die  selbst  von  allen  selten  ihren  stoff  zusammenbettelt,  zu 
schliessen.  Endlich  soll  der  name  bubl/ingr  für  Helgi  (H.  Hu.  H,  44) 
damit  zusammenhängen,  dass  Wolfdietrich  mit  Botelunc  verwandt  war. 
Aber  hiihhiiKir  ist  eine  allgemeine  bezeichnung  eines  fürsten. 

Aber  auch  wenn  das  alles  aus  einer  Wolfdietrichüberlieferung 
stammen  sollte,  sieht  man  nicht  ein,  was  das  für  die  gestalt  der  Sigrün 
oder  ihren  namen  beweisen  könnte'.  Für  ihre  herleituug  aus  einer 
tradition    von  Wolfdietrich   wird   nur  angeführt  (s.  176),   dass  in  Wolf- 

1)  Auf  Bugges  vergleichung  der  dichtuug  von  Helgi  I Ijorvaiössoii  mit  der 
Wolfdietrichsage   oiuzugohen,   sehe   ich   in  diesoni  ziisaminonhang  keine  vt'ranla.ssung. 

ZKITSCIIRIFT    V.    IlKÜTSCHE    PUILOLOOIK.       HI).    .\I..  IJ 


34  BOEK 

dietrich  B  der  lield  eine  fraii  hat,  die  Sigminne  heisst  und  aus  einem 
'trold'  zu  einem  weibe  uragescbaffen  worden  ist.  Diese  beweisführung 
wird  nicht  viele  überzeugt  haben. 

Wir  kommen  zu  Bugges  zweitem  punkt.  Dass  Sigrün  bei  Helgi 
wider  vater  und  bräutigam  hilfe  sucht,  soll  sich  in  der  Helgisage 
spontan  entwickelt  haben,  ehe  die  sage  unter  den  einfluss  der  Hildesage 
geriet.  Das  stützt  Bugge  damit,  dass  in  der  Hrolfs  saga  kraka  Qgn, 
um  nicht  mit  Hrokr  vermählt  zu  werden,  sich  an  Helgi  wendet.  (Qgn 
ist  früher  mit  Hroarr  verheiratet  gewesen;  Helgi  hilft  ihr,  aber  er 
heiratet  sie  nicht.)  Dazu  bemerke  ich  zunächst,  dass,  wenn  dies  richtig 
wäre,  daraus  nicht  folgen  würde,  dass  dieses  motiv  in  der  form  der 
Hildesage,  die  die  Helgisage  beeinflusst  hat,  nicht  vorhanden  Avar;  eben 
eine  ähnlichkeit  in  diesem  punkte  könnte  dann  eine  nähere  angleichung 
veranlasst  haben.  Aber  ich  glaube  auch  nicht,  dass  Bugge  hier  recht 
hat.  Vielmehr  sieht  die  in  einer  sehr  jungen  quelle  überlieferte  er- 
zählung  von  Qgn  wie  ein  schwacher  nachklang  der  Sigrünsage  aus. 
Wenn  eine  frau  gegen  vater  und  bräutigam  bei  einem  fremden  manne 
schütz  sucht,  so  ist  die  ansieht,  dass  sie  dazu  den  mann  erwählen 
wird,  den  sie  liebt,  doch  wol  die  am  nächsten  liegende.  Die  Vorstellung, 
die  die  Sigrünsage  gibt,  ist  denn  auch  Aveit  natürlicher  als  die  der  er- 
zählung  von  Qgn.  Es  kommt  hinzu,  dass  der  kämpf  mit  dem  vater 
der  frau  '  geradezu  das  typische  motiv  der  Hildesage  ist,  und  ferner, 
dass  die  beeinflussung  der  Helgisage  durch  die  Hildesage  in  confesso 
ist.  Es  ist  demnach  wahrlich  kein  grund  vorhanden,  aus  der  un- 
klaren jungen  erzählung  von  Qgn  zu  schliessen,  dass  die  Helgisage 
dieses  für  die  sage,  unter  deren  einfluss  sie  sich  entwickelt  hat, 
typische  motiv  selbständig  hervorgebracht  haben  müsse  (vgl.  auch  un- 
mittelbar unten). 

Drittens  führt  Bugge  Helgis  ehe  mit  Sigrün  und  den  namen  des 
Vaters  HQgni  auf  die  Hildesage  zurück.  Hier  bin  ich  mit  ihm  einver- 
standen; mein  Aviderspruch  richtet  sich  aber  im  Zusammenhang  mit  dem 
oben  erörterten  gegen  die  enge  begrenzung  dieses  einflusses  und  zugleich 
gegen  Bugges  darstellung  der  entwicklung  der  Helgidichtung.  Bugge 
nimmt  s.  186  die  folgenden  stufen  an: 

1.  Helgis  kämpf  mit  HgÖbroddr  beruht  auf  einer  alten  geschlechts- 
fehde.  Von  Sigrün  ist  noch  keine  spur  vorhanden.  So  in  den  schelt- 
gesprächen  der  beiden  lieder. 

2.  Helgi  schützt  Sigrün  vor  HQÖbrodds  nachstellungen.  Sigrün  wäre 
also  schon  eingeführt  worden,  aber  noch  ist  HgÖbroddr  Helgis  eigent- 
licher feind.    Hogni  Avird  nur  selten  erAvähnt.     So  im  ersten  Helgiliede. 


rNTKRSUCHUXGKN    Vm-A!    DIR    JIII.DKSACK 


0.  Die  beeintlussuiii;-  der  Helgisage  durch  die  Hildesage.  Signiii 
wird  zu  HQgnis  tochter;  Helgi  tötet  Hngni  und  heiratet  Signiii. 

Gegen  diese  aufstelluugen.lässt  sich  das  folgende  auiübren: 

1 .  Auch  im  ersten  Helgiliede  ist  Sigri'in  Hoguis  tochter.  Da  ÜQgni 
auch  nach  Bugge  aus  der  Hildesage  stammt,  lässt  sich  also  aus  dem 
ersten  Helgiliede  nicht  ableiten,  dass  Sign'in  vor  der  beinllussung  durch 
die  Hildesage  in  die  Helgidichtung  aufgenommen  sei.  Wenn  im  ersten 
Helgiliede  weniger  von  Hogni  die  rede  ist,  so  bedeutet  das  also  nur, 
dass  der  dichter  dieses  liedes  andere  momente  mehr  in  den  Vordergrund 
gerückt  hat. 

2.  Man  konnte  auch  nichts  anderes  erwarten.  Denn,  wie  allgemein, 
auch  von  Bugge,  zugestanden  wird,  ist  das  erste  Helgilied  bedeutend 
jünger  als  das  zweite.  "Wo  beide  dieselben  dinge  erzählen,  wie  in  dem 
Scheltgespräche,  kann  sogar  das  zweite  lied  die  directe  quelle  des  ersten 
sein.  Es  wäre  also  höchst  auffällig,  wenn  die  auffassung  von  Helgis  Ver- 
hältnis zu  Sigrün  im  ersten  Hede  soviel  ursprünglicher  wäre  als  im  zweiten. 

Ich  glaube,  dass  wir  auch  hier  weiter  kommen,  wenn  wir  uns 
die  entwicklung  des  Stoffes  der  Chronologie  der  quellen  analog  vor- 
stellen, also: 

1.  Die  fehde  mit  Hoöbroddr  ist  eine  geschlechtsfehde  (so  in  den 
Scheltgesprächen,  gestützt  durch  Böowulf  und  einen  teil  der  Hrolfs  saga 
kraka,  s.  Beiträge  22,  .347 fgg.)i. 

2.  Beeinflussung  durch  die  Hildesage.  Der  kämpf  mit  Hoöbroddr 
wird  zu  der  entführung  der  Sigrün  (welche  die  Hildr  repräsentiert)  in 
beziehung  gesetzt,  und  Helgi  tötet  Hoöbroddr  und  HQgni.  So  im 
zweiten  liede. 

3.  Hogni  wird  durch  Helgis  alten  feind  Hgöbroddr  in  den  hinter- 
grund  gedrängt,  aber  die  Verbindung,  die  im  zweiten  liede  zu  stände 
kam,  bleibt  bestehen:  HQÖbrqddr  bleibt  Helgis  nebenbuhler.  So  im 
ersten  liede.  Der  dichter  des  ersten  liedes  hat  auch  sehr  gut  gewusst, 
dass  Hogni  fiel;  er  ist  bei  dem  kämpfe  zugegen 2.  Aber  er  will  den 
sieg   über   HQÖbroddr   betonen;    Sigrün    muss    über   HgÖbrodds    leiche 

1)  Dem  ersten  Helgiliede  muss  man  zugestehen,  dass  es  einzelne  kurze 
rominiscenzen  an  begcbenheiten  enthält,  von  denen  die  übrigen  quellen  nichts 
wissen,  und  die  aus  quellen  stammen,  die  auf  dem  im  text  genannten  Stand- 
punkte stehen. 

2)  Yielleicht  ist  auch  die  erwähnung  der  Insel  HcÖinsey  im  ersten  Helgiliede 
(str.  22,  vgl.  Bugge,  Helgedigtene  s.  130)  mehr  als  ein  zufall.  Wenn  Helgis  Streit- 
macht von  dort  her  Verstärkung  erhält,  so  dürfte  das  die  beeinlhissung  durch  die  sage 
von  Hebinn  voraussetzen.  HeSinsey  wäre  dann  hier  nicht  als  ein«'  Station  auf  dem  wege 
/.wischen   den  hindern   der  feinde,   sondern  als  Itebins  land  aufgofasst  worden.     Aber 


l'roblücken;  das  gedieht  soll  mit  einem  der  lieldin  erwünschten  ereignis 
schliessen.  Darum  "wird  Hggnis  tod,  das  traurige  moment  der  erzähhmg, 
nicht  direct  erwähnt.  Es  ist  nnter  solchen  umständen  ganz  natürlich, 
dass  er  auch  Helgis  tod  nicht  berichtet;  es  wäre  sehr  voreilig,  daraus 
zu  schliessen,  dass  dieser  ihm  nicht  bekannt  gewesen  sei.  Jedesfalls 
wissen  wir,  dass  eine  ältere  quelle  Helgis  tod  erzählt. 

ßugges  vierte  annähme  lautet,  dass  die  geschichte  von  Helgis 
tod  unter  dem  einfluss  der  SigurÖsage  stehe.  Auch  darin  kann  ich  ihm 
nicht  beipflichten.  Die  Übereinstimmung  besteht  darin,  dass  Helgi  wie 
Sigurbr  durch  seinen  schwager  getötet  wird.  Aber  in  der  SigurÖsage 
ist  das  das  hauptmotiv,  und  der  mörder  wird  durch  habsucht,  später 
durch  die  rachgier  eines  w^eibes  getrieben.  In  der  Helgisage  ist  es 
kein  hauptmotiv,  und  der  mörder  wird  durch  den  wünsch,  seinen  vater 
zu  rächen,  getrieben.  Für  die  entwicklung  dieses  motivs  brauchte  er 
des  Vorbildes  der  SigurÖsage  gewäss  nicht.  Dass  ein  söhn  seinen  vater 
rächt,  ist  w^eiter  nichts  als  der  gew^öhnliche  gang  der  ereignisse;  in 
HQgnis  tötung  durch  Helgi  ist  schon  der  keim  enthalten,  aus  dem  früher 
oder  später  eine  fortsetzung  entstehen  musste,  in  der  HQgnis  söhn  Helgi 
tötet.  Die  erklärung  für  das  Vorhandensein  dieses  sohnes,  dass  er  bei 
dem  treffen,  in  dem  der  vater  fiel,  mit  dem. leben  davongekommen  w-ai-, 
lag  auf  der  band,  und  dies  konnte  nun  wider  so  gedeutet  w^erden,  dass 
er  Helgi  einen  eid  geschworen  hatte. 

Wenn  nun  Sigrün  dem  Dagr  vorwarft,  er  habe  seinen  eid  ge- 
brochen, so  geht  es  doch  nicht  an,  das  ohne  weiteres  mit  Gudruns 
ähnlichem  Vorwurf  an  HQgni  in  der  SigurÖsage  gleichzusetzen.  Dagr 
hat  geschworen,  dem  Helgi  treu  zu  sein  und  auf  die  vaterrache  zu 
verzichten;  Hggni  hingegen  hat  SigurÖr  blutsbrüderschaft  geschw^oren. 
Der  inhalt  der  beiden  eide  ist  also  grundverschieden.  Dass  überhaupt 
eide  gebrochen  sind,  ist  aber  keine  ähnlichkeit,  aus  der  sich  der  ge- 
ringste schluss  ziehen  lässt.  Überall,  wo  verwandte  einander  ermorden, 
sind  solche  vorwürfe  möglich,  wie  Sigrün  sie  dem  Dagr,  Guörün  dem 
HQgni  macht.  Die  art  und  weise,  in  der  der  bruder  der  Schwester 
den  mord  mitteilt,  ist  himmelweit  verschieden.  Dagr  erzählt  seiner 
Schwester  betrübten  herzens,  was  er,  einer  teuren  pflicht  gehorchend, 
getan  hat;  Hogni  hingegen  rühmt  sich  der  Schwester  gegenüber  seiner  tat. 

das  Icann  sehr  gut  die  alte  auffassung  sein,  dass  die  Insel,  wo  HeSinn  mit  Hcjgni  zu- 
sammentraf, zugleich  ein  teil  seines  gebietes  war.  Ähnlich  gehört  in  einer  jungen  quelle, 
der  Küdrun,  Wäleis  zu  dem  lande  des  räubers.  Und  während  bei  Snorri  und  im 
Sqrla  pättr  auf  einer  der  Orkneyjar  gekämpft  wird,  ist  der  rauher  der  Shetlandsballade 
selber  ein  Orlvucyjarl. 


UNTERSUCHDXGE>J'   ÜBER    DIR    IllI.DESAGK  37 

Aus  dem  gesagten  folgt  nicht,  dass  nicht  eine  gegenseitige  bc- 
eintlussung  der  Helgi-  und  der  SigurÖdichtung  in  einzelnen  zügen  zu 
den  moglichkeiten  gehört.  Man  wird  das  sogar  erwarten,  da  Helgi 
später  in  die  VQlsungengenealogie  aufgenommen  ist.  Aber  das  gibt  nicht 
das  recht,  bei  jedem  schein  einer  Übereinstimmung  an  entlehnung  zu 
denken.  Wenn  Grimhildr  der  Gu?)rün,  Dagr  der  Sigrün  bussgcld  an- 
bietet, so  ist  das  vielleicht  in  beiden  sagen,  auf  jeden  fall  in  der 
Nibelungendichtung  jung,  aber  auch  dies  ist  widerum  vollkommen 
natürlich.  Dasselbe  gilt  davon,  dass  beide  fraueu  ihren  mann  beweinen; 
der  Zusammenhang  von  Helgis  rückkehr  und  GuÖrüns  wünsch,  SigurÖr 
möge  zurückkehren  (Ghv.  18.  19),  ist  widerum  sehr  unsicher,  und  wenn 
er  anzuerkennen  ist,  so  ist  es  sehr  unwahrscheinlich,  dass  das  prius 
hier  auf  der  seite  der  Sigurödichtung  sein  sollte;  übrigens  weist  Bugge 
selbst  es  der  Helgipoesie  zu.  Ahnliches  läßt  sich  über  die  vergleichung 
mit  einem  hirsche  (H.  Hu.  11,38.  GuÖr.  II,  2.  1,18)  sagen,,  worüber  die 
meinungen  geteilt  sind.  Aber  in  fällen  wie  dem  zuletztgenannten  könnte 
man  natürlich  sehr  wol  die  priorität  der  Sigurödichtung  zugeben,  ohne 
dass  daraus  in  bezug  auf  die  entwicklung  der  sage  von  Helgis  tod 
das  geringste  sich  folgern  Hesse. 

Ich  glaube  nachgewiesen  zu  haben,  dass  kein  grund  vorhanden  ist, 
weder  einer  Überlieferung  von  Wolfdietrich  noch  der  Sigurösage  irgend 
einen  einfluss  auf  die  entwicklung  der  Helgisage  zuzuschreiben;  ferner, 
dass  aus  Bugges  ausführungen  nicht  hervorgeht,  dass  die  aufnähme 
der  Sigrün  in  die  Helgisage  und  die  auffassung  HoÖbrodds  als  Helgis 
nebenbuhler  älter  als  die  beeinflussung  der  Helgisage  durch  die  Hilde- 
sage ist;  sodann,  dass  die  erzählung  von  Helgis  tod  sich  aus  den 
dementen,  die  aus  der  Hildesage  stammen  —  HQgnis  tod  durch  Helgi 
—  spontan  entwickelt  haben  kann,  und  dass  hier  wenigstens  an  den 
einfluss  einer  dritten  quelle  neben  der  alten  Helgisage  und  der  Hilde- 
sage nicht  zu  denken  ist.  Bevor  wir  unsere  weiteren  Schlüsse  ziehen, 
wird  es  not  tun,  meine  eigenen  frühereu  ausführungen  (Beitr.  22,  381) 
etwas  näher  zu  betrachten. 

Ich  habe  dort  zwischen  Helgis  liebesgeschichte  in  den  liedern 
und  in  den  prosaquellen  einen  Zusammenhang  gesucht.  Und  zwar  habe 
ich  folgende  stufen  unterschieden: 

1.  Helgi  raubt  (Jlof  und  später  ihre  tochter  Yrsa.  Helgi  und 
Yrsa  lieben  einander  sehr.  Yrsa  verlässt  Helgi  und  heiratet  Abils.  Helgi 
kommt  auf  einem  wikingzug  um. 

2.  Holgis  tod  wird  als  eine  folge  des  rauhes  dargestellt.  AÖils 
tötet  Helgi  (Hr.'.lfs  s.  kr.j. 


3.  Helgis  tocl  wird  mit  Hgbbrodds  tod  in  Verbindung  gebracht 
(Saxo,  wo  HQÖbroddr  Aöils'  vater  ist). 

4.  Also  besteht  auch  ein  Zusammenhang  zwischen  HoÖbrodds  tod 
und  Yrsas  raub.  Hobbroddr  wird  zu  Helgis  nebenbuhler.  So  in  den 
liedern. 

5.  Ölcjf  und  Yrsa  werden  zu  einer  person  (nur  in  den  liedern). 
Dadurch  wird  der  von.  Helgi  begangene  incest  beseitigt;  es  besteht  für 
Helgi  keine  veranlassung,  die  frau  zu  verlassen.  Ihr  zweiter  mann 
verschwindet  aus  der  erzählung.  Ein  brnder,  der  Helgi  tötet,  tritt  an 
die  stelle. 

Zur  zeit  verhalte  ich  mich  dieser  aufstellung  gegenüber,  wenn 
auch  nicht  geradezu  ablehnend,  so  doch  eiuigermassen  skeptisch.  Nicht 
weil  darin  etwas  unmögliches  oder  unwahrscheinliches  vorausgesetzt 
wäre,  sondern  weil  die  mehrzahl  der  für  die  älteren  stufen  angeführten 
Zeugnisse  in  jüngeren  quellen  stehen.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass 
ein  teil  von  dem,  wofür  dort  ein  hohes  alter  angenommen  wurde,  jünger 
ist  als  die  berichte  des  zweiten  Helgiliedes.  Demgegenüber  ist  anderer- 
seits auch  ZU  bemerken,  dass  die  anzahl  der  jüngeren  quellen  nicht 
so  gering  ist,  dass  aus  ihren  berichten  sich  eine  historische  reihe  nicht 
zusammenstellen  lässt,  und  dass  es  sich  auch  oben  bei  der  Untersuchung 
der  fassungen  der  Hildesage  ergeben  hat,  dass  eine  jüngere  quelle, 
namentlich  wenn  sie,  wie  ein  teil  von  Saxos  berichten  anderer  herkunft 
ist  als  die  übrigen  quellen,  häufig  auf  einer  älteren  stufe  der  sagen- 
bildung  stehen  geblieben  sein  kann.  Ich  gehe  auf  die  frage  hier  nicht 
von  neuem  ein,  sondern  ziehe  es  vor,  zunächst  den  nachweis  zu  liefern, 
dass  eine  entwicklung  wie  die  oben  angegebene  den  einfluss  einer 
fremden  sage  nicht  ausschliesst,  sondern  sogar,  um  zu  stände  zu  kommen, 
eines  solchen  bedarf. 

Nehmen  wir  also  an,  dass  die  a.  a.  o.  von  mir  aufgestellte  dar- 
stellung  der  entwicklung  der  Helgisage  das  richtige  trifft.  In  diesem 
falle  war  Helgis  tod  zwar  einerseits  mit  dem  raube  der  Yrsa,  andererseits 
mit  HoÖbrodds  tod  in  Verbindung  gebracht  worden ,  aber  ein  Verhältnis 
HQÖbrodds  zu  Yrsa-Sigrün  kennt  keine  der  prosaquellen.  Ein  solches 
kommt  erst  in  den  liedern,  die  unter  dem  einfluss  der  Hildesage  stehen, 
zustande.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  Helgis  tod.  Die  prosaquellen 
wissen  allerdings,  dass  dieser  mit  dem  raube  der  Yrsa  in  irgend  einer 
weise  zusammenhängt,  aber  da  Yrsa  keinen  vater  hatte,  den  Helgi 
töten  konnte  —  er  war  ja  selber  ihr  vater  —  wurde  er  von  AÖils, 
den  eine  quelle  (Saxo)  HoÖbrodds  söhn  nennt,  getötet.  Erst  in  den 
liedern,    die    von    der   Hildesage    becintlusst   worden   sind,    treten    ein 


UNTEESUCIIUNGEN   l'BEK    UIK    IIILUKSADK  39 

vater  und  ein  bruder  der  trau  auf,  der  seinen  vater  rächt.  Diese  beiden 
gestalten,  der  nebenbuhJer  Helgis  und  der  söhn  ÜQgnis,  der  den  vater 
rcächt,  gehören  also  zu  dem  teil  der  Helgisage,  der  aus  der  Hildesage 
stammt. 

Leugnet  man  einen  Zusammenhang  mit  der  liebesgeschichte  der 
prosaquellen,  oder  nimmt  man  an,  dass  in  diesen  höchstens  nachklänge 
der  sage,  wie  sie  in  den  liedern  überliefert  ist,  enthalten  sind,  so  hat 
das,  "svas  eben  bemerkt  wurde,  in  demselben  oder  in  noch  höherem 
grade  giltigkeit,  denn  in  diesem  fall  ist  nicht  eine  ältere  liebesgeschichte 
unter  dem  einlluss  der  Hildesage  umgebildet  worden,  sondern  die  ganze 
liebesgeschichte  stammt  dann  aus  der  Hildesage  oder  ist  eine  Weiter- 
bildung von  dieser. 

AVir  können  die  züge,  die  aus  der  Hildesage  stammen  oder  auf 
einer  fortbildung  von  elementen  der  Hildesage  beruhen,  in  zwei  grujjpen 
teilen,  nämlich  solchen,  die  aus  anderen  Versionen  der  Hildesage  be- 
kannt sind,  und  solchen,  die  zwar  aus  diesem  materiale  entwickelt 
worden  sind,  aber  noch  nicht  als  elemente  der  Hildesage  erkannt 
Avurden.  Zu  jener  gruppe  gehört  das  hauptthema:  Helgi  nimmt  Sigrun 
gegen  den  willen  ihres  vaters  zur  frau,  und  er  tötet  den  vater.  Eine 
interessante  Übereinstimmung  mit  Saxo  H  besteht  auch  darin,  dass 
Sigri'in  (H.  Hu.  11,15)  behauptet,  sie  habe  Helgi  geliebt,  ehe  sie  ihn 
gesehen  hatte.    Diese  züge  sind  ohne  weiteres  der  Hildesage  zuzuweisen. 

Die  zweite  gruppe  bilden  Helgis  nebenbuhler  und  HQgnis  söhn, 
der  den  vater  rächt.  Dass  diese  züge  sich  weder  aus  der  liebes- 
geschichte, Avie  sie  die  prosaquellen  erzählen,  noch  aus  ferner  abliegen- 
den quellen  wie  die  Sigurd-  oder  die  Wolfdietrichdichtung  erklären 
lassen,  hat  sich  schon  ergeben.  Sie  sind  aus  dem  aus  der  Hildesage 
stammenden  materiale  ganz  folgerichtig  entwickelt.  Der  nebenbuhler 
ist  aus  dem  raub,  der  söhn,  der  den  vater  rächt,  aus  dem  tode  des 
vaters  entwickelt.  Es  erhebt  sich  nur  die  chronologische  frage:  ist  das 
vor  oder  nach  der  beeinflussung  der  Helgisage  durch  die  Hildesago 
geschehen?  Im  ersteren  fall  muss  man  sagen:  auch  der  nebenbuhler 
und  der  rächer  stammen  aus  der  Hildesage.  Im  zweiten  fall  müsste 
man  sie,  obgleich  als  eine  ausschliessliche  consequenz  der  Hildesage, 
doch  als  gestalten  der  Helgisage  betrachten.  A  priori  ist  das  eine  so 
gut  möglich  wie  das  andere.  Die  antwort  auf  die  frage  kann  auch  die 
Helgisage  allein  nicht  geben.  Doch  gibt  es  ein  mittel,  ihr  näher  zu 
treten.  "Wie  der  raub  des  mädchens  und  die  tötung  des  vaters  als  aus 
der  Hildesage  aufgenommen  dadurch  erwiesen  werden,  dass  diese  dinge 
in   l)ekannten  fassungen  dieser  sage  widerkehren,  so  würden  auch  der 


40  BOEK 

nebenbuhler  und  der  söhn,  der  den  vater  rächt,  durch  eine  version  der 
Hildesage,  die  dieselben  gestalten  enthielt,  als  gestalten  der  Hildesage,  die 
also  älter  als  die  beeinflussung  der  Helgisage  durch  die  Hildesage  wären, 
erwiesen  werden.  Solche  Versionen  nun  sind  tatsächlich  vorhanden;  wir 
werden  sie  §§  8. 1 1  ausführlich  besprechen.  Hier  müssen  wir  die  tatsache 
vorwegnehmen,  um  zu  unserem  schon  angedeuteten  schluss  zu  gelangen. 

Versuchen  wir  jetzt  zu  bestimmen,  welche  entwicklungsstufe  die 
Hildesage  erreicht  hatte,  als  jene  version,  der  wir  in  der  Helgisage  be- 
gegnen, sich  von  ihr  abzweigte.  Dass  SH2  erreicht  war,  geht  daraus  her- 
vor, dass  die  starke  liebe  des  jungen  paares  die  Ursache  der  Verwicklungen 
ist.  Es  Avurde  schon  bemerkt,  dass  die  strophe  der  HHuH,  die  von 
Sigrüns  liebe,  noch  ehe  sie  Helgi  gesehen  hatte,  handelt,  in  Saxo  II 
fast  wörtlich  widerkehrt.  Nach  allem,  was  wir  jetzt  wissen,  ist  gewiss 
kein  grund  vorhanden,  diesen  Zusammenhang  mit  Panzer  (s.  173)  zu 
leugnen.  Dass  dieser  zug  aus  SH2  stammt,  wird  auch  durch  die  fol- 
gende erwägung  bestätigt.  Wenn  die  liebesgeschichte  der  Helgidichtuug 
mit  der  der  prosaquellen  nicht  zusammenhängt,  so  beruht,  wie  oben 
gezeigt  wurde,  die  ganze  erzählung  auf  der  Hildesage.  Besteht  aber 
ein  Zusammenhang,  so  muss  dieser  zug  erst  recht  aus  der  Hildesage 
stammen,  denn  bei  Yrsa  ist  er  unmöglich,  da  Yrsa  von  Helgi  nie  ge- 
hört hatte,  ehe  sie  ihn  sah.  Freilich  liebt  auch  Yrsa  Helgi  sehr;  und 
das  kann  ein  anknüpfungspunkt  für  die  Hildesage  gewesen  sein,  aber 
die  liebe,  bevor  sie  ihn  gesehen  hatte,  sowie  der  umstand,  dass  sie  ihm 
freiwillig  folgt,  sind  züge  aus  SH2. ' 

Wir  fragen  w^eiter,  ob  die  sage  das  HjaÖningavig  schon  auf- 
genommen hatte.  Bei  der  beantwortung  dieser  frage  muss  H.Hu.  II,  29 
für  sich  betrachtet  werden.  Darauf,  dass  diese  strophe  in  einem 
andern  metrum  als  die  übrigen  gedichtet  ist,  lege  ich  keinen  grossen 
wert,  da  es  nicht  feststeht,  dass  die  Verbindung  mehrerer  metra  in 
einem  gedichte  absolut  verpönt  w-ar.  Aber  das,  worauf  es  ankommt, 
ist,  dass  die  strophe  wenigstens  davon,  dass  Sigrün  die  toten  erweckt, 
nichts  weiss.  Wenn  die  erklärung  von  kjösa  in  Sigrüns  werten: 
Lifna  miinda  ck  Ijäm  er  libnir  erti  ok  knättak  pö  per  i  fahmi 
felax  als  'zaubern'  das  richtige  trifft,  so  enthält  die  strophe  aller- 
dings   eine    reminiscenz  an   das  HjaÖningael,    und  zwar  an    eine   Aveit 

1)  Dass  solche  liebo  in  mittelalterlichen  erzählungen  öfter  begegnet,  lässt  sich 
gegen  den  Zusammenhang  unserer  quellen  natürlich  nicht  anführen,  da  diese  liebe 
nicht  ein  alleinstehender  zug  ist,  der  etwa  in  zwei  ganz  verschiedenen  erzählungen 
zufällig  aufträte,  sondern  an  genau  derselben  stelle  in  orz.älilungen ,  die  sich  zug  für 
zug  entsprechen. 


UNTKIfSUCIlL'NGEX    t'BK.K    lilK    U1LL)ESAG15  41 

fortgeschrittene  form  dieses  motivs,  in  der  Hildr  die  toten  erweckt,  also 
wenigstens  SH4,  aber  sie  überliefert  diese  reminiscenz  als  einen  teil 
der  Hildesage,  keinesw^egs  als  einen  integrierenden  bestandteil  der  Helgi- 
sage.  Sigrün  sagt  dann,  dass  sie  unter  einer  gewissen  bedingung  die  toten 
erwecken  würde,  aber  sie  tut  es  nicht,  und  sie  sagt  es  in  ihrer  ant- 
wort  darauf,  dass  Helgi  sie  der  Hildr  verglichen  hat.  Die  strophe 
enthält  demnach  —  vorausgesetzt,  dass  hjosa  hier  'zaubern'  bedeutet  — 
eine  anspielung  auf  die  Hildesage,  die  dieser  dichter  als  eine  andere 
sage  betrachtet;  sie  kann  uns  also  nicht  darüber  belehren,  welches 
Stadium  der  Hildesage  unsere  sage  selber  repräsentiert.  Diese  anspielung 
kann  ihren  grund  in  einem  mehr  oder  weniger  klaren  bewusstsein 
haben,  dass  im  gründe  der  stoff  beider  sagen  derselbe  ist,  aber  sie 
erklärt  sich  doch  eher  aus  der  ähnlichkeit  der  beiden  erzählungen,  die 
zwar  in  ihrem  gemeinsamen  Ursprünge  wurzelt,  dessen  der  dichter 
jedoch  sich  nicht  bewusst  gewesen  zu  sein  braucht. 

Übrigens  scheint  es  mir  doch  sehr  zweifelhaft,  ob  die  Übersetzung 
'zaubern'  für  Ijösa  die  richtige  ist.  lijosa  kann  diese  bedeutung 
haben,  aber  diese  bedeutung  ist  die  seltnere.  Und  welcher  sinn  käme 
dabei  heraus?  Dass  Sigrün  zaubern  kann,  wird  nirgends  gesagt,  noch 
besteht  ein  grund,  das  zu  vermuten;  wie  kann  sie  also  sagen:  'ich 
würde  die  toten  widererwecken,  wenn  ich  trotzdem  in  deinen  armen 
liegen  könnte'?  Wenn  noch  dastände:  'ich  würde  wünschen,  sie  zu 
erwecken'  usw.,  so  wäre  das  verständlich.  Wenn  aber  Ljusa  'zaubern' 
ist,  so  kommt  der  begriff  des  wünschens  nicht  zum  ausdruck.  Sigrün 
weiss,  dass,  wenn  die  toten  auferständen,  sie  nicht  in  Helgis  armen 
liegen  würde,  und  darum  wünscht  sie  auch  nicht,  dass  sie  auferstehen. 
Also  bedeutet  hjusa  'wünschen'  und  Sigj'ün  sagt:  'ich  würde  w^ünschen, 
dass  sie  noch  (oder  wider)  lebten,  wenn  nicht  die  einzige  bedingung, 
unter  der  das  denkbar  wäre,^  für  mich  schlimmer  Aväre  als  ihr  tod'. 
Wenn  wir  die  stelle  so  verstehen,  so  enthält  nur  z.  2.:  Hildr  Itefr  Jnl 
oss  verit  eine  schwache  anspielung  auf  die  Hildesage;  über  das  Hjab- 
ningael  sagt  die  strophe  in  diesem  fall  nichts  aus. 

Wollen  wir  wissen,  ob  das  HjaÖningael  aufgenonuncn  war,  als 
die  Überlieferung  der  Helgisage  sich  abzweigte,  so  müssen  wir  den 
blick  auf  den  schluss  der  erzählung  richten.  Eine  kühne  kritik  würde 
in  Helgis  durch  Sigrüns  tränen  bewirkter  wüderkehr  eine  reminiscenz 
daran  erblicken  und  diesen  zug  mit  Saxos  bericht,  dass  Hildr  aus  liebe 
zu  ihrem  gemahl  die  toten  anferweckt,  verbinden.  Aber  weiter  als  bis 
zu  einer  vci-inutung  würde  nuin  auf  diesem  wege  nicht  gelangen.  Und 
dorn  .steht  ein   wichtiges   moment,   das   in    umgekehrter   riclituiig  weist, 


42  BOKR 

gegenüber.  Das  Hjabningael  setzt  voraus,  dass  beide  beiden,  Schwieger- 
vater und  Schwiegersohn,  in  dem  gewaltigen  kämpfe  das  leben  einbüssen. 
Aber  in  der  Helgisage  fällt  nur  der  Schwiegervater;  der  Schwiegersohn 
wird  erst  später  durch  seinen  schwager  getötet.  Nun  wird  das  eine 
ünderung  sein.  Aber  diese  änderung  war  leichter  ins  werk  zu  setzen, 
wenn  das  Hjabningael  nicht  angehängt  war,  als  im  umgekehrten  fall. 
Jedesfalls  müsste  bei  dieser  neuerung  jede  erinnerung  daran  entfernt 
worden  seih.  Aber  wozu  soll  man  denn  annehmen,  dass  es  in  der 
quelle  vorhanden  war?  Als  eine  zutat  haben  wir  es  §  2  erkannt.  Stossen 
wir  also  auf  eine  Überlieferung  ohne  Hjabningael,  so  ist  die  natürlichste 
erklärung  dafür  die,  dass  sie  es  nicht  verloren,  sondern  es  niemals 
gekannt  hat.  Diese  erklärung,  die  schon  aus  allgemeinen  gründen  die 
wahrscheinlichste  ist,  wird  ferner  durch  andere  Versionen  der  sage,  in 
denen  gleichfalls  der  vater  fällt  oder  wenigstens  besiegt  wird,  der  räuber 
aber  siegt,  und  wo  wie  in  der  Helgisage  kein  Hjabningael  folgt,  be- 
stätigt  (§§  Sfgg.). 

Eine  reminiscenz  an  eine  darstellung  des  heftigen  kampfes,  dessen 
blinde  wut  zu  der  Vorstellung  von  dem  Hjabningael  führte,  kann  aber 
die  mitteilung  HHu  H,  27  sein,  Starkabs  rümpf  habe  noch  gekämpft, 
nachdem  der  köpf  davon  abgetrennt  war  (vgl.  oben  s.  7).  ^ 

Wir  gelangen  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  version  der  Hildesage, 
die  in  die  Helgisage  aufgenommen  war,  direct  von  SH2  stammt.  Die 
stufe  SH3  war  noch  nicht  erreicht.  Sigrüns  walkürennatur  lässt  sich 
also  Hilds  walkürennatur  nicht  gleichsetzen.  Es  sind  auch  wichtige 
unterschiede  vorhanden.  Hilds  walkürennatur  entwickelt  sich,  wie  §  2 
gezeigt  wurde,  aus  ihrem  Verhältnis  zum  Hjabningavig,  die  der  Sigrün 
aus  ihrem  Verhältnis  zu  Helgi.  Sigrün  ist  Helgis  walküre  wie  Sväva 
die  des  Helgi  HJQrvarbsson.  Hildr  hingegen  wird  zur  walküre  pur 
sang,  die  aus  lust  am  kämpfe  die  kämpfer  aufstachelt. 

Die  erzählung  von  Helgis  rückkehr  aus  dem  grabe  wird  jünger 
sein.  Ich  gehe  hier  nicht  auf  ihre  Verwandtschaftsverhältnisse  ein;  nur 
ihre  Stellung  innerhalb  der  Helgisage  interessiert  uns  in  diesem  Zu- 
sammenhang. Darüber  lässt  sich  sagen,  dass  sie  eine  folge  von  Sigrüns 
klagen    ist,    die  ihrerseits    an  Helgis  tod   anknüpfen.     Es  ist  nun  wol 

1)  Von  StarkaÖr  wird  übrigens  in  anderen  quellen  ühnlielies  berichtet.  Der  von 
dem  rümpf  getrennte  köpf  beisst  sich  in  das  gras  fest,  Saxo  (Holder)  s.  274.  Das 
motiv  ist  übrigens  nicht  auf  StarkaÖr,  sogar  nicht  auf  das  germanische  altertum  be- 
schränkt. Beispielsweise  führe  ich  eine  stelle  aus  dem  Paücatantra  (Bombay  1873, 
I,  101,  15)  an,  wo  es  heisst:  präyo  mastakanufe  samaramukhe  nrtyati  liabandhah 
(oft  tanzt  der  ruin])f  in  der  vorderen  schlachtreihe,  nachdem  der  köpf  abgeschlagen 
worden  ist). 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBKß   DIE   IIILDESAOK  43 

möglich,  diiss  das  alles  von  einem  dichter  ersonnen  ist,  aber  der  rci^el 
nach  geht  die  fortbildung  der  Überlieferung  nicht  so  schnell.  Dieser 
aiiffassung'  entspricht  es,  dass  wir  unten  mit  der  Helgisage  nahe  ver- 
wandten aber  von  ihr  unabhängigen  Versionen  der  sage  begegnen  werden, 
die  zwar  die  räche  des  sohnes  an  dem  mörder  des  vaters,  aber  nicht 
die  rückkehr  des  beiden  aus  dem  grabe  kennen. 

Dass  die  Helgisage  von  der  zweitägigen  dauer  des  kamptes  nichts 
mehr  weiss,  fällt  bei  den  änderungen  des  Schlusses  nicht  auf.  Übrigens 
finden  sich  eben  in  allem,  was  mit  den  kämpfen  zusammenhängt,  die 
meisten  reminiscenzen  an  die  alte  nicht  mit  der  Hildesage  contaminierte 
Helgisage.  Die  kämpf beschreibung  ist  nicht  die  der  Hildesage,  sondern 
die  der  alten  Helgisage. 

Ich  nenne  die  in  der  Helgisage  vorliegende  recension  der  Hilde- 
sage //  und  versuche,  die  verschiedenen  stufen  von  H  in  den  Stamm- 
baum der  Hildesage  einzureihen.     Wir  finden  folgende  reihe: 

//1  =  SH2.^ 

H2:  Der  Schwiegersohn  trägt  im  kämpfe  den  sieg  davon  und 
behält  die  frau.  Ein  uebenbuhler  des  räubers,  der  gleichfalls  erschlagen 
wird,  wird  eingeführt. 

NB.  Diese  beiden  züge  lassen  sich  als  i72a  und  J?2b  unter- 
scheiden. Über  ihr  chronologisches  Verhältnis,  das  aus  der  Helgidichtung 
nicht  klar  wird,  vgl.  §  7. 

H'd:   Der  söhn  rächt  den  vater. 

//4  (wol  nicht  mehr  Hildesage,  sondern  bloss  Helgisage):  rückkehr 
des  beiden  aus  dem  grabe. 

§  7.    Die  Waltheisaue. 

in  betracht  kommen  1.  die  Walderefragmente,  2.  die  polnische 
Version,  3.  die  erzählung  der,  PiÖreks  saga,  4.  der  Waltharius,  5.  die 
mittelhochdeutschen  fragmente.  Für  die  frage,  die  uns  beschäftigt,  von 
keinem  wert  ist  das  Chronicon  Novaliciense,  das  eine  fremde  erzählung 
an  Walther  knüpft. 

Heinzel  hat  im  117.  bände  der  Wiener  Sitzungsberichte  ausführ- 
lich über  die  Walthersage  gehandelt.  Das  hauptverdienst  dieser  abhand- 
lung  besteht  m.  e.  darin,  dass  der  Verfasser  die  polnische  version  all-, 
gemein  zugänglich  gemacht  hat.  Ich  mache  hier  einen  dankbaren  ge- 
brauch von  Heinzeis  mitteilungen.  Aber  sowol  die  Interpretation  schwie- 
riger stellen  wie  die  allgemeine  auffassung  der  sage  scheint  mir  unter  dem 
banne  vorgofasster  und  unrichtiger  voiaussetzungen  zu  stehen.  Ich  werde 
im  folgenden  mehrfach  gelegenheit  hahcn,  dieses  urteil  zu  rechtfertigen. 


44  BOEK 

Wir  fangen  mit  der  bcsprechung  einiger  stellen  in  den  Waldere- 
fragmenten an. 

Heinzel  glaubt  im  gegensatz  zu  den  früheren  erklärern,  dass  das 
erste  fragment  worte  Hagens  enthalte,  und  dass  dieser  Walderes  freund 
sei  und  ihm  beistehe.  Dass  nicht  Hildegunde  die  redende  person  sein 
könne,  schhesst  er  aus  folgenden  erwägungen:  I,  12fgg.  ist  die  rede 
von  kämpfen,  in  denen  die  person,  die  hier  spricht,  Waldere  nicht  hat 
fliehen  sehen.  Das  können,  so  meint  Heinzel,  nicht  früher  mitgeteilte 
kämpfe  mit  den  Verfolgern  sein.  Also  sind  es  andere  kämpfe.  Aber 
dann  kann  Hildegunde  nicht  dabei  zugegen  gewesen  sein.  Also  redet 
ein  krieger. 

Weshalb  nicht  kämpfe  mit  den  Verfolgern  gemeint  sein  können, 
ist  nicht  zu  ersehen.  Zwar  glaubt  Heinzel,  dass,  da  Günther  allein 
übrig  sei,  nicht  kämpfe  gegen  mehrere  gleichzeitige  angreifer  schon  er- 
zählt worden  sein  können.  Aber  dass  Günther  allein  übrig  ist,  steht 
nirgends;  und  auch  wenn  das  der  fall  wäre,  so  würde  daraus  mit 
nichten  folgen,  dass  Waldere  nicht  schon  gegen  eine  Übermacht  gekämpft 
haben  könnte,  ja,  dass  nicht  sogar  nach  einem  massenkampfe  Hagen 
und  Günther,  nacheinander  in  einzelkämpfen  auftretend,  A¥alderes  ge- 
fährlichste feinde  sein  könnten.  Es  ist  auch  nicht  richtig,  dass  es  dafür 
kein  analogen  gebe;  in  der  Äsmundar  saga  kappabana  geschieht  das- 
selbe; der  held  kämpft  zuerst  mit  einem  Widersacher,  dann  mit  zwei, 
und  so  fort  bis  zwölf;  dann  ist  nur  Hildebrand  übrig,  und  der  kämpf 
mit  diesem  einen  beiden  wird  der  schwerste. 

Andererseits  liegt  auch  gar  keine  nötigung  vor,  bei  dem  z.  lo  ge- 
nannten siveordplega  an  kämpfe  mit  den  Verfolgern  zu  denken.  Es 
kann  auch  von  früheren  gefechten  die  rede  sein.  Hildegunde  kann  von 
solchen  ausführliche  nachricht  bekommen  oder  denselben  zugesehen 
haben,  wenn  etvva  vor  den  toren  einer  bürg  gekämpft  wurde,  in  der 
sie  sich  aufhielt.  Von  jenen  kämpfen  wissen  wir  überhaupt  nichts,  und 
es  ist  daher  geraten,  darüber  auch  nichts  zu  behaupten.  —  Endlich  ist 
auch  noch  der  möglichkeit  zu  gedenken,  dass  der  dichter  nicht  an  be- 
stimmte gefechte  gedacht  hat,  sondern  Hildegunde  nur  so  reden  lässt, 
weil  solche  worte  zur  aufmunterung  des   beiden  nützlich  sein  können. 

Es  bedarf  also  geAviss  besserer  arguraente,  um  zu  beweisen,  dass 
das  erste  fragment  nicht  worte  der  Hildegunde  enthalten  könne. 

Was  Heinzel  weiter  dagegen  anführt,  dass  Hildegunde  rede,  ist 
noch  weniger  stichhaltig.  S.  6  heisst  es,  es  könne  von  den  unmittelbar 
vorhergehenden  kämpfen  nicht  die  rede  sein,  da  Waldere  selbst  sehr 
gut  wisse,  was  dabei  vorgefallen  sei.    Wenn  das  ein  grund  wäre,  Aves- 


UNTRI^SüCHTrNfiKX   ÜREi;    ME    Ill^nKSAOK  45 

lialb  es  nicht  erlaubt  sein  soll,  davon  zu  reden,  so  nui&sto  tlasselbe  ]ür 
frühere  kämpfe  Walderes  gelten.  Oder  weiss  er  etwa  niciit,  wie  er 
früher  gekämpft  hat?  Und  warum  nicht  Hildegundc,  wol  aber  ein  freund 
ihn  ^l^tlnn  ordwiga  nennen  kann,  ist  auch  nicht  zu  verstehen.  Ent- 
weder ist  diese  bezeichnung  eine  ehrenvolle  —  in  diesem  falle  steht  es 
auch  Hildegunde  zu,  sie  anznwenden  —  oder  sie  ist  es  nicht  —  dann 
wird  auch  ein  freund  den  beiden  so  nicht  benennen. 

Aber  dafür,  dass  die  person,  die  das  wort  führt,  Hildegunde  ist, 
zeugt  die  besorgnis  für  Walderes  leben,  die  z.  19  zu  worte  kommt,  ob- 
gleich sie  im  übrigen  ihn  anfeuert,  was  mit  dieser  besorgnis  nicht  in 
Widerspruch  ist,  da  im  vorliegenden  fall  seine  rettung  ganz  von  seiner 
kampftüchtigkeit  abhängt.  Ferner  z.  25  die  Avorte  tu  eoce  um-  'uns 
beiden  zur  hilfe'.  Der  dual  ist  sehr  schlecht  am  platze,  wenn  eine 
dritte  person,  die  doch  nur  eine  nebenperson  sein  kann,  redet.  Denn 
dass  Hildegunde  zugegen  ist,  muss  man  doch  wol  annehmen.  Endlich 
fällt  auch  das  Zeugnis  aller  übrigen  Überlieferungen,  die  auf  Walthers 
Seite  allein  Hildegunde,  keinen  fremden  helfer  kennen,  ins  gewicht. 

Dass  die  person,  die  in  dem  fragmente  das  wert  führt,  unter 
keinen  umständen  Hagen  sein  kann,  scheint  mir  sonnenklar.  Dagegen 
zeugen  alle  Überlieferungen,  nicht  nur  der  Walthersage,  die,  wo  Hagen 
und  Günther  zusammen  auftreten,  ohne  ausnähme  die  beiden  beiden 
auf  dieselbe  seite,  niemals  einander  gegenüberstellen.  Ferner  ist  zu 
erwägen,  dass  wenn  das  fragment  worte  Hagens  enthielte,  aus  den  eben 
angeführten  werten  I,  25  hervorgehen  würde,  dass  er  von  anfang  an 
öffentlich  auf  Walderes  seite  gegen  Günther  und  die  seinen  gekämpft 
hätte.  Aber  dem  widersprechen  H,  14fgg.  aufs  deutlichste.  Wie  könnte 
Günther  glauben,  Hagen  habe  mit  Waldere  gekämpft  und  ihn  kampf- 
unfähig gemacht,  wenn  er  Waldere  und  Hagen  zusanmien  angegriffen 
hätte?  Freilich  stellt  Heinzel  sich  Hagen  im  Widerspruch  mit  seiner 
auffassung  von  I,  25  als  einen  Überläufer  vor.  Aber  wenn  Günther 
Hagen  in  den  kämpf  gesandt  hat,  wie  muss  er  es  sich  dann  erklären, 
dass  dieser  nicht  zu  ihm  zurückkehrt?  Er  konnte  wenigstens  daraus 
den  schluss  ziehen,  dass  Hagen  Waldere  nicht  oder  nicht  völlig  be- 
siegt hatte,  und  er  wird  sich  selbst  nicht  zum  kämpfe  angeschickt 
haben,  bevor  er  wenigstens  vernommen  hatte,  was  aus  Hagen  ge- 
worden war. 

Auch  Heinzeis  Interpretation  von  II,  14fgg.:  hivoit,  ^//  hurii  iven- 
flest,  vine  Hinijcwht ,  licet  ine  IltujoHni  liand  liikJe  t/rfrctnede  mul  gc- 
twcemde  ß^ciriges  (so  ist  statt  frheiviggcs  zu  lesen),  kann  ich  keineswegs 
beipflichten.     Das  soll   bedeuten:    'er  hat    mich   nicht  einmal   bekämpft'. 


4G  üOKi; 

AVas  geschehen  ist,  steht  in  diesen  werten  gar  nicht;  es  steht  nur  da, 
was  nach  Walderes  Vermutung  Günther  glaubt,  dass  geschehen  sei.  Er 
glaubt,  Hagen  habe  mit  Waldere  gekämpft  und  ihn  zum  weiteren 
kämpfe  unfähig  gemacht.  Dass  es  nur  die  letzten  werte  (and  (jetivcEmfle 
fehriulges)  sind,  auf  die  es  ankommt,  und  die  Waldere  verneint,  geht 
aus  dem  was  unmittelbar  folgt,  so  klar  wie  möglich  hervor:  fein,  gyf 
h/i  dyrre,  cet  piis  hrahincaigcm  häre  byrmin,  'hole  dir,  wenn  du  es 
wagst,  die  brünne  des  (wie  du  glaubst)  durch  den  kämpf  erschöpften 
mannest  Also  leugnet  Waldere,  dass  er  nicht  im  stände  sein  sollte, 
sich  gegen  Günther  zu  wehren.  Die  copulative  Verbindung  and  ge- 
tiummde  kann  also  nur  als  eine  consecutive  verstanden  werden,  und 
Waldere  meint:  'du  glaubst,  der  kämpf  mit  Hagen,  den  wir  eben  aus- 
gefochten  haben,  habe  mich  erschöpft'.  —  Davon,  dass  Hagen  Waldere 
besiegt  haben  sollte  (Müllenhoff  u.  a.),  ist  gar  nicht  die  rede,  und  auch 
Günther  hat  das  nicht  geglaubt,  wie  Heinzel  annimmt,  sondern  Günther 
hat  gehofft,  die  besiegung  Walderes  werde  nach  dem  kämpfe  mit  Hagen 
für  ihn  ein  leichtes  sein^ 

Was  Heinzel  zu  seiner  hypothese,  Hagen  stehe  auf  Walderes  seite, 
verführt  hat,  sind,  wenn  wir  vorläufig  von  seinen  sagenhistorischen 
Voraussetzungen  absehen,  die  stellen,  die  von  dem  Schwerte  Mimming 
handeln.  Wenn  Hagen  ein  Überläufer  ist,  so  kann  er  das  seh  wert  mit- 
gebracht haben;  so  erklärt  Heinzel  es,  dass  Günther  glaubt,  es  liege 
wolverwahrt  in  einer  kiste  in  seinem  hause,  während  es  tatsächlich  sich 
in  Walderes  band  befindet.  Aber  auch  das  ist  eine  hypothese,  die  die 
meinung,  Hagen  sei  im  ersten  fragment  der  redende,  nicht  stützen  kann, 
sondern  der  stütze  dieses  fragmentes  dringend  bedürfen  würde,  wenn 
die  andere  annähme  bewiesen  wäre.  Die  geschichte  des  Schwertes  aber 
lässt  sich  auf  eine  andere  weise  weit  einfacher  erklären  (s.  unten  s.  55). 

I,  19.  n,  13  iiietod ,  grijje  verstehe  ich  mit  Heinzel  als  'tod'  und 
'kostbarkeit'  (an.  gripr). 

n,  22  b  —  24:  heo  (der  hämisch)  hi^  fäh  wih  me,  ponne  .  .  .  un- 
lua'gas  eft  ongynnah,  mecum  gemetah,  sivd  ge  7ne  dydon.  Z.  23  be- 
deutet nicht:  'wenn  ich  ihn  noch  lange  im  kämpf  gegen  fremde  tragen 
muss'  (Heinzel  s.  11).  Denn  1.  ist  eft  nicht  'lange',  sondern  'von  neuem'. 
2.  die  bedeutung  von  uniiuegas  lässt  sich  durch  einen  hinweis  auf  das 
adjectivum   immcage  nicht  bestimmen.     Denn   un-  mit  einem   adjectiv 

1)  Eine  reminiscenz  daran,  die  das  alter  der  Walderestelle  verbürgt,  findet 
sich  Waltharius  722,  wo  Günther  nach  der  besiegung  Sabramunds  sagt,  man  müsse 
"Walther  sofort  wider  angreifen  und  nicht  abwarten,  dass  er  zu  atem  kommo  (agcirc- 
dümmr  eun>  nee  rcsjnrare  sinamus,  doncc  depeiem^  lassescat). 


UNTEKSUCIITTNGKX    VRKK"    DTE    mLDi;SAi;K  47 

componiert  bedeutet  nicJit  notwendic;  dasselbe  wie  in  der  Zusammen- 
setzung mit  dem  correspondierenden  Substantiv,  vgl.  'unmenscli'  mit 
' unmenschlich \  'untat'  mit  'untätig';  nn-  aber  in  unma'gas  z.  23 
ist  stark  betont.  8.  die  Übersetzung  'gegen  fremde'  ist  sehr  dürftig. 
Wenn  Günther  und  Hagen  fremde  sind,  so  braucht  Waldere  das  nicht 
zu  betonen;  zwischen  feinden  ist  das  das  natürliche  Verhältnis.  Hin- 
gegen hat  Waldere  sehr  viel  grund,  auf  eine  Verwandtschaft,  wenn  eine 
solche  bestehen  sollte,  den  nachdruck  zu  legen  und  die  incpgas,  die 
ihn  angreifen,  als  böse  verwandte  (immregas)  zu  bezeichnen.  Und 
ongijnnah,  mecum  gemeint  bedeutet  nicht  'ich  muss  kämpfen',  sondern: 
'(die  bösen  verw-andten)  greifen  mich  an'.  Nur  so  versteht  man  auch 
sivd  gc  me  dydon,  was  ein  heftiger  Vorwurf  ist,  wenn  Günther  und 
Hagen  Walderes  verwandte  sind,  im  entgegengesetzten  falle  aber  eine 
müssige  bemerkung.  Wir  müssen  also  schliessen,  dass  wenigstens  der 
text  für  diese  Verwandtschaft  spricht;  ob  die  sagengeschichto  sie  be- 
stätigt, wrd  sich  unten  ergeben. 

Über  I,  6  J^tlaii  onhuuia  s.  unten. 

Dass  die  Walthersage  eine  Variante  oder  eine  widerholung  der 
Hildesage  ist,  haben  schon  mehrere  forscher  vermutet  (s.  die  litteratur 
bei  Sijmons,  Heldensage-  705).  Panzer  leugnet  es,  ohne  sich  auf  eine 
Aviderlegung  einzulassen.  Heinzel  hingegen  hat  seine  abweichende  an- 
sieht ausführlich  begründet.  Leider  kann  ich  mir  nichts  davon  an- 
eignen. Folgende  einwendungen  mögen  an  dieser  stelle  genügen.  Heinzel 
geht  von  seiner  identificierung  Hagens  mit  Aötius  als  von  einer  be- 
wiesenen tatsache  aus.  Diese  identificierung  aber  ist,  soviel  ich  weiss, 
von  niemand  acceptiert  worden,  und  auch  ich  muss  sie  ablehnen.  Zur 
begründung  dieser  ansieht  verweise  ich  auf  meine  Untersuchungen  über 
die  Nibelungensage.  Ferner  nimmt  Heinzel  als  ausgemacht  an,  dass 
die  flucht  des  jungen  paares  von  anfang  an  von  dem  Hunnenlande  aus- 
geht. Aber  die  quellen  stimmen  in  diesem  punkte  nicht  überein;  die 
polnische  version  bietet  bestimmt  andere  angaben,  und  wie  der  dichter 
der  Walderefragmente  sich  die  sache  vorstellte,  lässt  sich  nicht  ohne 
w'eiteres  entsclieiden ;  hier  bedarf  es  also  einer  näheren  Untersuchung. 
Die  historischen  anknüptüngen  Heinzeis  sind  schw^ach  und  wenig  über-, 
zeugend.  Er  führt  eine  reihe  von  ereignissen  au,  die  mit  cinzelheiten 
der  Walthersage  eine  entfernte  ähnlichkeit  haben,  aber  nicht  nur  wird 
ein  einziger  zug  der  Walthersage  mit  mehreren  verschiedenen  berichten 
der  geschiehte  verglichen,  sondern  Heinzel  versäumt  es  auch,  zu  er- 
klären, wie  die  verschiedenen  sagenzüge  sich  v.w  ohw  /usaninicnhängon- 


48  BOEI>' 

den  ci'zählung  verbunden  haben.  Die  einzehien  ereignisse  aber,  die  für 
constituierende  demente  der  Walthersage  erklärt  werden,  sind  solche, 
die  jeden  augenblick  geschehen  können  (der  römische  kaiser  weigert 
sich,  dem  Attila  goldene  gefässe  und  einen  Wechsler  auszuliefern;  Attila 
wünscht  für  seinen  secretär  die  band  einer  frau,  diese  aber  wird  von 
einem  oströmischen  officier  entführt;  in  demselben  jähre  wird  dem 
Hunnenkönige  eine  gefangene  —  verheiratete  —  frau  entführt  usw.); 
menschhch  sind  solche  begebenheiten ;  an  und  für  sich  steht  nichts  der 
möglichkeit  im  wege,  dass  ein  solches  ereignis  eine  sage  oder  eine 
dichtung  von  einer  entführung  hervorgerufen  habe,  aber  ein  grund, 
gerade  in  einem  dieser  vorfalle  den  historischen  hintergrund  der  "Walther- 
sage zu  suchen,  ist  nicht  zu  ersehen.  Heinzel  selber  führt  s.  67  eine 
reihe  parallelen  an,  die  unserer  erzählung  weit  näher  stehen  als  die 
historischen  begebenheiten,   aus  denen  er  die  sage  abzuleiten  versucht. 

Die  geschichte  der  Walthersage  muss  in  erster  Knie  aus  den  quellen 
selbst  abgelesen  werden.  Ihr  gegenseitiges  Verhältnis  ist  zu  bestimmen; 
erst  dann  kann  es  sich  ergeben,  was  alt  ist  und  was  jede  quelle  selb- 
ständig hinzugefügt  hat.  Die  beste  gewähr  aber  hat  das,  worüber  alle 
quellen  einig  sind.  Das  beweist  schon,  dass  die  Verfolgung  durch 
Hagen,  die  überall,  auch  in  den  quellen,  die  die  Verfolgung  von  dem 
Hunnenlande  ausgehen  lassen,  entweder  direct  erzählt  wird  oder  noch 
durchblickt,  von  weit  grösserer  bedeutung  ist,  als  Walthers  Verhältnis 
zu  Attila.  Die  fragestellung  sollte  demnach  nicht  lauten:  'wie  kommt 
es,  dass  zuerst  die  Hunnen,  später  die  Burgunden  die  Verfolger  sind?' 
—  denn  'zuerst'  und  'später'  beruhen  auf  einer  anticipierung,  sondern: 
'wie  kommt  es,  dass  Hagen  dem  entflohenen  paare  bald  vom  Hunnen- 
lande, bald  von  Worms  aus  nachsetzt?' 

Während  nun  die  geschichte  des  Hunnenreiches  nur  einzelne  sehr 
unsichere  punkte  der.  vergleich ung  darbietet,  besteht  neben  der  Walther- 
sage eine  andere  sage,  mit  der  sie  in  ihrer  ganzen  structur  sowie  in 
vielen  einzelheiten  sehr  nahe  übereinstimmt.  Die  ältesten  quellen  der 
beiden  sagen  (Walthersage  und  Hildesage)  stammen  aus  nahe  beieinander 
gelegenen  gegenden,  während  das  Hunnenland  der  geschichte  weit  ab- 
liegt. Der  Zusammenhang  ist  so  augenscheinlich,  dass  auch  Heinzel 
sich  genötigt  sieht,  eine  starke  secundäre  beeinflussung  der  Walthersage 
durch  die  Hildesage  anzuerkennen;  als  ausgangspunkt  für  jene  will  er 
von  dieser  nur  darum  nichts  wissen,  weil  er  den  supponierten  Zusammen- 
hang mit  jenen  historischen  datis  nicht  aufgeben  kann.  Wir  haben  also 
guten  grund,  die  frage,  ob  die  Walthersage  aus  der  Hildesage  abge- 
leitet werden  kann  und  muss,  von  neuem  ernsthaft  zu  prüfen. 


ÜNTERSUCHUNGKN   ÜBER    DIE    TFILllESAGK  49 

Doch  hat  noch  eine  weitere  erwägung  Heinzel  davon  abgehalten, 
die  identität  der  beiden  sagen  anzuerkennen.  Die  Walthersage  ist  nach 
ihm  rein  menschlich,  während  er,  darin  der  alten  auffassiing  huldigend, 
die  Hildesage  für  mythisch  ansieht.  Hier  repräsentiert  Heinzel  ein  über- 
gangsstadium.  Die  alte  schule  suchte  in  der  Hiidesage  einen  mythus, 
und  sie  sträubte  sich  auch  nicht,  die  Walthersage  für  eine  Weiterbildung 
der  'mythischen'  Hildesage  zu  erklären.  Heinzel  fällt  das  rein  mensch- 
liche an  der  Walthersage  auf;  er  entschliesst  sich  zur  trennung  dieser 
sage  von  jener.  Die  heutige  forsch ung  tut  einen  weiteren  schritt:  sie 
gelangt  zu  der  einsieht,  dass  das,  was  an  der  Hildesage  mythisch  ist, 
jüngere  zutaten  einer  bestimmten  gruppe  von  Versionen  sind,  und  sie 
verbindet  die  beiden  sagen  von  neuem  miteinander  —  diesmal  auf  der 
menschlichen  seite. 

Allerdings  wird  in  dieser  letzten  behauptung  das  resultat  der 
folgenden  seifen  vorweggenommen.  Wir  machen  die  probe  nach  der 
folgenden  methode.  Es  wird  zu  untersuchen  sein,  ob  sich  aus  in  den 
quellen  der  Walthersage  erhaltenen  zügen  eine  bekannte  redaction  der 
Hildesage  zusammenstellen  lässt,  und  ferner,  ob,  wenn  man  von  der 
auf  diese  weise  construierten  urform  ausgeht,  die  weitere  entwicklung 
der  sage,  wie  sie  in  den  einzelnen  quellen  vorliegt,  sich  natürlich  und 
einfach  erklären  lässt.  Die  mittelhochdeutschen  fragmente  werden  zu 
der  Untersuchung  nur  wenig  beisteuern  können,  sie  kommen  am  besten 
am  schluss  dieses  abschnittes  zur  spräche. 

1.  Hagen  ist  ein  könig  der  Franken.  Dass  er  ein  Franke  ist, 
bezeugt  der  Waltharius,  ebenso  die  ^iöreks  saga,  die  ihn  von  dem 
Nibelungenfürsten  nicht  unterscheidet.  Als  könig  wird  er  in  der  er- 
haltenen Überlieferung  der  Walthersage  nicht  mehr  genannt.  Das  hat 
darin  seinen  grund,  dass  die  deutschen  quellen  hier  wie  in  der  Nibe- 
lungensage Günther  zum  könige  erheben.  Es  wird  sich  aber  unten 
zeigen,  dass  der  angelsächsische  dichter  Hagen  noch  als  den  könig  auf- 
gefasst  zu  haben  scheint.  Einen  deutlichen  hin  weis  auf  seine  ursprüng- 
liche Stellung  enthält  der  folgende  zug. 

2.  Die  frau,  die  später  geraubt  wird,  ist  seine  tochter.  Die  pol- 
nische Version  weiss  noch,  dass  Helgunda  eine  fränkische  königs- 
tochter  ist.  Und  Walther  schilt  Hagen  und  Günther  'böse  verwandten' 
(unmcegas),  s.  oben  s.  46fg.  'Verwandt'  sind  sie  ihm  nur  infolge  seines 
Verhältnisses  zu  Hildogunde. 

8.  Walther  tritt  auf.  AVie  und  wo  er  Hildegunde  zuei.st  zu  gesicht 
bekommt,  geht  aus  der  Überlieferung  nicht  mit  völliger  Sicherheit  horv(.)r; 
die  begegnung  in   der  gefangenschaft  (Waltharius   und  PS)   l)eruht   auf 

ZEITSCHRIFT   f.  DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      üü.  XL.  l 


50  BOER 

einer  Umbildung;  die  entsprechende  stelle  des  Waldere  ist  verloren.  Die 
polnische  version  erzählt  jedoch  von  einem  aufenthalte  Walthers  am 
hofe  des  vaters,  und  das  wird  ein  alter  zug  sein,  obgleich  die  darstellung 
im  einzelnen  verwirrt  ist. 

4.  Yon  dem  ersten  augenblicke  an,  wo  Hildegunde  Walther  er- 
blickt, liebt  sie  ihn  über  alle  weit  (PS)^  Statt  dessen  findet  der  Wal- 
tharius  heraus,  sie  sei  ihm  früher  verlobt  gewesen. 

5.  Walther  entführt  Hildegunde. 

6.  Die  älteren  quellen  sind  darüber  einig,  dass  die  jungen  leute 
schätze  mit  sich  führen.  Direct  findet  sich  diese  aussage  nicht  nur  in 
der  J'iöreks  saga  and  im  Waltharius,  sondern  auch  eine  stelle  des  Waldere, 
die  oben  schon  berührt  wurde,  lässt  sich  daraus  verstehen.  Zu  den 
kostbarkeiten,  die  Hildegunde  mit  sich  führt,  gehört  das  schwert,  das 
sie  im  ersten  fragment  Waldere  darbietet  als  ersatz  für  das  schwert, 
das  er  im  kämpfe  mit  Hagen  zerbrochen  hat  2.  Das  neue  schwert  ist 
besser  als  das  verlorene  (nid6ma  cyst);  nach  I,  2  —  3  ist  es  Mimming-l 
Wenn  Hildegunde  dann  sagt:  hy  (damit)  hu  Oühhere  scealt  beot  for- 
blgan,  hces  he  he  bds  headuive  ongan  mid  unryhte  cerest  secan.  forsöc 
he  häm  sivurde  and  J)äm  syncfatum ,  beaga  menigo,  so  ist  es  ferner 
klar,  dass  auch  hier  von  Mimming,  nicht,  wie  Heinzel  glaubt,  von 
diesem  oder  jenem  unbekannten  Schwerte,  oder  gar  von  Walthers  eigener 
zerbrochener  klinge  die  rede  ist.  forsoc  aber  bedeutet  hier  'er  hat  ver- 
loren', —  dadurch,  dass  Hildegunde  es  ihm  entwendet  hat.  Hier  finden 
wir  nun  auch  die  schätze  und   die  menge  der  ringe,   die  Günther  zu- 

1)  C.  242:  Pa  var  ec  .iiii.  uetra  gomul.  er  ec  sa  ßic  et  fijrsta  sitini,  ok 
Unna  ec  per  pagar  sua  rnikit,  at  cengiim  lut  i  rerolldu  meira,  oc  fara  vil  ec  mecf 
per,  Jxingat  er  ßu  villt.  —  Kürzer  sagt  c.  241 :  Pessir  enir  ungu  menn  unnu%  mikit. 

2)  Nur  so  lässt  sich  die  stelle  verstehen.  Wenn  Hildegunde  sagt:  ne  murn 
3u  for  Si  mi'ce,  so  muss  er  ein  schwert  verloren  haben,  und  zwar  in  dem  unmittel- 
bar vorhergehenden  ianipfc;  dieser  aber  ist  nach  II,  14  der  kämpf  mit  Hagen.  Der 
Waltharius  bewahrt  daran  1374  eine  reminiscenz;  auch  hier  zerbricht  das  schwert  in 
dem  kämpf  mit  Hagen,  —  woran  Heinzel  stillschweigend  vorübergeht.  Dass  es  aber 
Hildegunde  ist,  die  ihm  ein  neues  schwert  verschafft,  weiss  das  lateinische  gedieht 
nicht  mehr. 

3)  Dieser  name  und  die  mitteilung,  dass  es  Wclandes  geweorc  ist,  zeugen  für 
bekanntscbaft  mit  der  sage  von  Wielands  erziehung  bei  zwergen.  Im  gegebenen  Zu- 
sammenhang sollen  die  namen  nur  die  treffliche  qualität  des  Schwertes  illustrieren; 
dass  es  ein  besonderes  Verhängnis  dieses  .Schwertes  gewesen  sei,  gestohlen  zu  werden, 
wie  Heinzel  glaubt,  lässt  sich  nicht  beweisen  und  hat  auf  keinen  fall  für  imsere  sage  be- 
deutung,  da  der  raub  des  schwertos  hier  mit  dem  der  übiigen  schätze  zusammenhängt 
und  also  einen  ganz  anderen  Ursprung  hat.  Für  das  alter  dieser  mitteiiungen  spricht 
eine  reminiscenz  im  Waltharius;  hier  ist  (z.  965)  Walthers  brünne  Wielands  arbeit. 


UNTERSUCIIUNGEX    l'RKR    MF.    HII.DESAOF.  51 

gleich  mit  dem  scbwerte  verloren  hat.  Diese  stelle  aber  beweist  un- 
widerleglich, was  schon  sub  2  ausgeführt  wurde,  dass  die  flucht  tat- 
sächlich von  dem  orte  ausgeht,  wo  Hagen  und  Günther  wohnen.  Dabei 
wurden  Günthers  schätze  mitgenommen. 

Die  entwendung  der  schätze  aber  findet  sich  auch  in  einzelnen 
Versionen  der  Hildesage,  namentlich  in  &H,  wo  Heöinn  ein  schifl'  ge- 
raubt hat. 

7.  Unmittelbar  nach  der  entfiihrung  setzt  Hagen  dem  räuber  nach. 
Sehr  klar  ist  das  in  der  l^iöreks  saga,  wo  Hagen  nicht  den  vorüber- 
ziehenden auflauert,  sondern  von  dem  orte  auszieht,  den  die  entflohenen 
verlassen  haben.  Aber  nach  dem  oben  ausgeführten  ist  das  auch  die 
Vorstellung  des  Waldere  gewesen.  Denn  Waldere  ist  ja  von  Hagens 
Wohnort  entflohen.  Das  geht  hervor  1.  aus  der  bezeichnung  unmcegas 
(s.  sub  2),  2.  daraus  das  Hildegunde  Günthers  schätze  entwendet  hat 
(s.  sub  6),  B.  aus  der  bezeichnung  JEtlan  ordwlga  I,  6.  Waldere  ist 
also  nicht  eine  geisel,  sondern  ein  kämpfer  Attilas^;  man  muss  an- 
nehmen, dass  nach  der  darstellung  dieser  quelle  seine  heimat  bei  Attila 
ist.  Also  entführt  er  Hildegunde  aus  dem  laude  Hagens  und  Günthers 
nach  Attilas  land.  Auf  diesem  wege  wird  er  von  Hagen  und  Günther 
eingeholt. 

Dem  entspricht,  dass  die  polnische  version  noch  weiss,  dass  die 
flucht  und  die  Verfolgung  vom  Rhein  aus  in  östlicher  richtung  gehen. 
Der  Verfolger  ist  hier  nicht  mehr  der  vater  (vgl.  unten),  aber  noch  findet 
der  kämpf  am  Khein,  das  heisst  in  der  nähe  des  ortes,  von  wo  die 
flucht  ausgegangen  ist,  statt. 

8.  Die  Verfolger  holen  die  entflohenen  ein,  während  sie  ausruhen. 
So  noch  im  Waltharius.  Die  erzählung  der  l^icireks  saga  hat  den  zug, 
wenn  er  alt  ist  —  vgl.  die  ruhe  in  der  Hildesage  —  verloren;  in  der 
polnischen  version  lässt  sich  der  durch  die  begegnung  mit  einem  fähr- 
mann  veranlasste  aufenthalt  vergleichen;  die  stelle  ist  im  Waldere  nicht 
erhalten. 

9.  Ehe  der  kämpf  anhebt,  wird  Walther  aufgefordert,  das  mädchen 
(und  die  schätze,  AValtharius)  herauszugeben.  So  im  Waltharius  und 
in  der  polnischen  version.  Die  stelle  im  Waldere  ist  verloren.  Wenn 
er  dazu  bereit  ist,  wird  er  das  leben  behalten  (Waltharius).- 

1)  Als  ein  zeugnis  für  dio  weitere  Verbreitung  dieser  auffassung  lässt  sicii  die 
von  Heinzel  s.  68  citierto  stelle  der  Chanson  de  Roland  anführen,  wo  Walther  Qauti«r 
dr  l'Huni,  de  Hums  genannt  wird.     Auch  hier  ist  Walther  ein  llunne. 

2)  Im  ^Valtharius  (018  vgl.  062)  bietet  Waltlier  dem  Verfolger  gold.  Das  lässt 
sich  dem  gleichen  berichte  bei  Snorri  vergloiclitMi.    Wenn  ein  Zusammenhang  besteht, 


10.  Anfang  des  kampfes. 

11,  Hildegundes  anblick  kräftigt  die  kämpfer.  So  in  der  polni- 
schen Version.  Man  hat  darin  eine  reminiscenz  an  Hilds  walkürennatur 
gesehen.  Wenn  der  zug  alt  ist,  so  ist  diese  annähme  sehr  bedenklich, 
da  die  Vorstellung  von  walküren,  wie  sie  die  altnordische  poesie  kennt, 
gew^iss  jünger  ist  als  die  anfange  der  Walthersage.  Man  hat  hier  die 
wähl  zwischen  zwei  auffassungen.  Entweder  ist  dieser  zug  der  polni- 
schen Version  aus  einer  erneuten  beeinflussung  durch  die  nordische 
form  der  Hildesage  (SH4)  zu  erklären,  oder  man  hat  es  hier  mit  dem 
ersten  anfang  einer  Vorstellung  zu  tun,  die  im  norden  zu  Hilds  wal- 
kürennatur geführt  hat.  Das  ist  namentlich  im  hinblick  auf  die  Wal- 
derefragmente, wo  Hildegunde  ihren  geliebten  anfeuert,  das  wahrschein- 
lichste. Denn  zwischen  dem  zug  der  fragmente  und  der  polnischen 
Version  wird  ein  Zusammenhang  bestehen.  Darin  ist  nichts  übernatür- 
liches. Eine  frau,  die  freiwillig  einem  krieger  gefolgt  ist,  wird,  wenn 
sie  ihn  in  gefahr  sieht,  ihn  anfeuern,  und  dass  ihr  anblick  ihn  be- 
lebt, ist  auch  selbstredend.  Die  polnische  version  übertreibt  die  sache 
und  lässt  auch  den  neben  buhler  gekräftigt  werden.  Heldenmütige 
frauen  kennt  das  altertum  im  überfluss.  Aber  hier  konnte  die  Um- 
bildung zu  einer  walküre  einsetzen,  namentlich  wenn  im  stoffe  andere 
data  zu  einer  solchen  Umbildung  vorhanden  Avaren.  Der  zug  bei  Ecke- 
hart, dass  sie  in  der  nacht  singt,  ist  fernzuhalten;  es  existiert  auch 
kein  grund,  diesen  sang  für  ein  zauberlied  zu  erklären,  das  dazu  dient, 
tote  zu  erwecken, 

12.  Zwei  tage  währt  der  kämpf.  In  der  nacht  ruhen  die  ermüdeten 
aus.  So  noch,  mit  neuer  deutung,  im  Waltharius.  Und  auch  die  saga 
enthält  eine  deutliche  reminiscenz  daran,  wo  Hagen  in  der  nacht  sich 
dem  lager  der  ruhenden  naht,  um  sie  anzugreifen,  aber  zurückgeschlagen 
wird.     Also  wie  in  SH  und  Saxo  IL 

18.  Walther  geht  als  sieger  aus  dem  kämpfe  hervor.  In  der 
polnischen    version    erschlägt    er    seinen    gegner;    in    der   I>ibrekssaga 

so  ist  der  zug  sehr  alt,  ja  älter  als  der  raub  der  schätze;  das  gold  soll  als  sühne 
für  den  raub  des  mädchens  dienen.  Der  "Waltharius  macht  daraus ,  dass  Walther  aus 
freundlichkeit  einen  teil  des  goldes,  das  er  aus  dem  Hunnenlande  mit  sich  führt, 
geben  will.  Ohne  grund  erklärt  Heinzel  (s.  94)  diese  Übereinstimmung  für  zufällig. 
Wie  bei  Snorri  weiden  die  Unterhandlungen  vor  beginn  des  kampfes  geführt. 
Nur  der  Waltharius  kennt  auch  ein  gespräch  —  aber  keine  Unterhandlungen  —  am 
anfang  des  zweiten  tages.  Das  lässt  sich  kaum  den  Unterhandlungen  bei  Saxo  II 
(vgl.  s.  27)  vergleichen.  Die  widerholten  reden  im  Waltharius  während  und  zwischen 
den  einzelkämpfen  gehören  zur  ausstattung  und  haben  mit  dem  Versöhnungsversuch 
nichts  gemein. 


UNTERSUCHUNG KX    ÜBKIJ    DIE    HILDESAGE  53 

entkommt  Hogni  nur  mit  genauer  not  und  mit  sclimach  bedeckt.  Der 
Waltharius  redet  zwar  von  einer  Versöhnung,  aber  zuvor  hat  Walther 
doch  alle  begleiter  Günthers  und  Hagens  getötet,  und  dass  er  der 
Sieger  ist,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  er  die  frau  und  die  schätze 
behält.  Über  den  grund,  dass  in  der  saga  und  im  Waltharius  Hagen 
resp.  Hagen  und  Günther  am  leben  bleiben  s.  unten  s.  09. 

14.  Das  Hjabningavig  hat  man  in  dem  zweitägigen  kämpfe  des 
"Waltharius  widerfinden  wollen.  Diese  ansieht  ist  deshalb  unrichtig, 
weil  der  zweitägige  kämpf  in  der  Hildesage  älter  als  das  HjaÖningavig 
ist,  wie  §  2  ausführlich  gezeigt  wurde,  vgl.  sub  12.  Wenn  der  sub  11 
besprochene  zug  so  zu  erklären  wäre,  dass  Hildr  die  toten  erweckt,  so 
würde  das  zugleich  ein  zeugnis  für  das  HjaÖniugavig  sein;  aber  wir 
haben  gefunden,  dass  auch  von  einer  totenerweckung  nicht  die  rede 
ist.  Den  endgiltigen  beweis  aber,  dass  das  Hjaöningavig  in  der  unserer 
Überlieferung  zu  gründe  liegenden  form  der  Hildesage  noch  nicht  vor- 
handen war,  liefert  der  sub  13  besprochene  umstand,  dass  Waither 
den  sieg  davonträgt.  Das  Hjaöningavig  gehört  zu  einer  sagenform,  in 
der  beide  beiden  fallen.  Unsere  sage  zeigt  sich  durch  ihren  ausgang 
als  eine  nahe  verwandte  derjenigen  form,  die  auch  in  die  Helgisage 
aufgenommen  ist.     Auch  dort  findet  sich  kein  Hjabningavig. 

15.  Nach  beendigung  des  kampfes  (im  Waltharius  nacli  dem 
friedensschlusse)  setzen  Walther  und  Hildegunde  die  reise  fort.  Das 
folgt  direct  aus  Walthers  sieg. 

Diese  sage  ist  in  unveränderter  gestalt  in  keiner  quelle  erhalten. 
Aber  soweit  wir  aus  den  Walderefragmenten  auf  den  Inhalt  des  ganzen 
zu  schliessen  vermögen,  stand  dieses  gedieht  noch  auf  einer  sehr  alter- 
tümlichen stufe. 

Wir  haben  nun  zunächst  das  verwandtschaftsverhältnis  unserer 
sage  zu  den  verschiedenen  fassungen  der  Hildesage  zu  bestimmen. 
Diese  arbeit  ist  jetzt  eine  leichte.  Es  ergibt  sich,  dass  die  sage  die 
stufen  SH 1  und  SH  2  durchschritten  hatte.  Die  ehe  mit  Hildr  war 
zu  einer  entführung  geworden,  aus  der  die  feindschaft  mit  ihrem  vater 
erklärt  wurde,  und  die  entführung  hatte  in  der  leidenschaftlichen  liebe 
des  paares  ihre  erklärung  gefunden.  Die  stufe  SH  3  (Hjaöningavig) 
hingegen  war  nicht  erreicht. 

Zusammen  mit  der  version,  die  in  die  Helgisage  ausmündet,  hatte 
die  spätere  Walthersage  sich  von  dem  hauptstamme  abgezweigt;  zu- 
sammen hatten  diese  beiden  zweige  die  neuerung  eingeführt,  dass  nicht 
beide  beiden  fallen,  .'Sondern  dass  der  Schwiegersohn  den  sieg  davonträgt. 
Also  stammt  die  Walthersage  von  der  oben  s.  42  als  //'2a  bezeichneten 
Version.     Die  stufe  //2b   hingegen,    die    einen    nebenbuhlcr    einfüiirt, 


54  BOKR 

war  ebensowenig  erreicht  wie  //3,  die  den  vater  von  dem  söhne  ge- 
rächt werden  lässt^.  Der  nebenbuhler  der  pohlischen  version  vertritt 
den  vater,  der  hier  nicht  handelnd  eingreift,  die  übrigen  Versionen 
wissen  von  einem  nebenbuhler  nichts.  Diese  Verwandtschaftsverhältnisse 
lassen  sich  vorläufig  in  folgendem  Stammbaum  festlegen: 

H  {^  Saxo  I) 
I 
.     ■  •  SHl 

1 
Hl  =-  SH  2 

I  I 

H2a  SH3  =  t' H  1 


II  I  ^1 

Walthersage    E2h        SaxoII  =  SH4  PH2 

HB  SH5  I'HS 

■  1  I  ^1 

JT4  SH6  !'H4 

(Helgisage)  (Ragnarsdräpa  (Ögrla  f)ättr) 

und  Snorri) 

Welches  sind  die  Ursachen  der  bedeutenden  änderungen,  die  die 
Walthersage  in  den  verschiedenen  vorliegenden  Versionen  erfahren  hat? 
Die  meisten  lassen  sich  auf  eine  sehr  natürliche  aber  zugleich  sehr 
eingreifende  neuerung  zurückführen. 

Hagen,  Hilds  vater,  wurde  als  mit  dem  Nibeluug  Hagen  identisch 
aufgefasst.  Diese  auffassung  war  in  gewisser  hinsieht  richtig;  ursprüng- 
lich ist  es  ein  und  dieselbe  gestalt  (§  17).  Aber  diese  Identität  war 
doch  zu  der  zeit,  als  die  neue  identificierung  stattfand,  lange  vergessen; 
beide  sagen  hatten  sich  unabhängig  voneinander  entwickelt.  Die  neue 
identificierung  kann  nicht  mehr  auf  grund  einer  früheren  einheit  der 
sagen  zustande  gekommen  sein,  denn  es  war  kaum  noch  irgend  welche 
ähnlichkeit  vorhanden.  Dass  die  identificierung  stattgefunden  hat,  ergibt 
sich  aus  der  tatsache,  dass  die  sage  Hagen  im  Frankenlande  localisiert 
und  dass  noch  in  der  polnischen  version  Helgunda  eine  französische, 
d.  h.  fränkische  prinzessin  ist.  Ob  damals  Hagen  und  Günther  schon 
miteinander  verbunden  waren,  kann  man  nicht  wissen;  in  diesem  falle 
wurde  zugleich  mit  der  auffassung  Hagens  als  einer  mit  dem  Nibelungen 
identischen  figur  auch  Günther  aufgenommen.  Im  entgegengesetzten 
fall  ist  Günther  zugleich  in  die  Walthersage  und  in  die  Nibelungensage 

1)  Eine  neuerung  der  AValthersage  scheint  hingegen  die  weise  zu  sein,  in  der 
der  dichter  sich  positiv  auf  die  seite  des  räubers  stellt.  Auch  in  der  Helgisage  ist 
seine  Sympathie  auf  dieser  seite,  aber  erst  in  der  "Walthersage  heisst  es,  er  liabe 
recht;  GüShere  sucht  den  kämpf  med  unryhie.  Ebenso  ist  die  Vorstellung  des  Wal- 
tharius,  obgleich  hier  durch  die  starke  hervorhebung  von  Hagens  heldentum  die 
Sympathie  wider  einigermassen  über  beide  parteien  verteilt  erscheint. 


U.NTERSUCUUiN'GKX    ÜBER    DIE    IIILÜESAGE  55 

aufgenommen  (Untersuchungen  über  die  Nibelungensage  II,  191).  In 
beiden  fallen  ist  das  resultat  dasselbe:  am  anfang  unserer  Überlieferung 
stehen  Hagen  und  Günther  zusammen  Walther  gegenüber. 

Aus  der  Nibelungensage  wissen  wir,  dass  die  niederdeutsche 
tradition  anfänglich  die  Verbindung  zwischen  Günther  und  Hagen  so 
zustande  brachte,  dass  Günther  zu  einem  Frankenkonig  wurde;  die 
beiden  könige  sind  brüder  (Untersuchungen  über  die  Nibelungensage  II, 
128.  137).  Auch  die  Walthersage  steht,  was  den  ersten  punkt  anbelangt, 
noch  auf  diesem  Standpunkte;  sogar  Eckeharts  bearbeitung  nennt  Günther 
und  Hagen  Franken  ^  Dass  sie  brüder  sind,  weiss  Eckehart  nicht  mehr; 
dieser  dichter  repräsentiert  eine  mehr  historisierende  —  nicht  historische  (!) 
—  auffassung  ihres  Verhältnisses,  indem  Günther,  obgleich  er  ein  Franke 
genannt  wird,  doch  nach  Worms  versetzt  und  allein  könig  genannt 
wii'd,  während  Hagen  sich  ihm  unterordnen  muss.  Dass  Hagen  'von 
Troye'  ist,  w^eiss  Eckehart  noch,  aber  wie  im  Nibelungenliede,  wo 
der  name  entstellt  worden  ist,  ist  Troja  (Francorum),  die.  alte  haupt- 
stadt  des  Nibelungenfürsten,  zum  sitz  eines  vasallen  geworden.  Es  sind 
aber  gute  gründe  zu  der  annähme  vorhanden,  dass  der  Waldere  hierin 
noch  auf  dem  alten  Standpunkt  stand.  Denn  w^enn  das  erste  fragment 
von  der  Verwandtschaft  Walthers  mit  seinen  Verfolgern  redet,  so  kann 
das  natürlich  nur  bedeuten,  dass  Hagen,  nicht  Günther,  Hildegundes 
vater  ist.  Aber  wenn  Hagen  und  Günther  zusammen  Walther  verfolgen, 
um  Hagens  tochtcr  zurückzubekommen,  so  kann  der  dichter  sich  schwer- 
lich Hagen  als  einen  vasallen,  Günther  als  den  einzigen  könig  vorgestellt 
haben.  Dem  entspricht  nun,  dass  Waldere  im  plurale  von  /mnicegas 
redet.  Hagen  und  Günther  sind  demnach  brüder,  beide  regieren,  und 
daraus  erklärt  es  sich  auch  wol,  dass  Hildegunde  schätze  mitgenommen 
hat,  die  Günther  gehören  (forsöc  he  [d.  i.  Gii^here]  Mm  sivurde  and 
hdm  Hincfuium,  vgl.  oben  s.  50).  Dadurch  wendet  der  dichter  oder 
eine  schon  ältere  tradition  zugleich  den  Vorwurf  von  Hildegunde  ab, 
dass  sie  ihren  vater  bestiehlt  (die  alte  Hildesage  schrieb,  sofern  sie 
einen  raub  von  schätzen  mitteilte,  denselben  dem  Heciinn  zu).  So 
wird  die  Vorstellung  die,  dass  Hagen  die  tochter,  Günther  die  schätze 
genommen  werden.  Hagen  bezweckt  also  mit  seiner  Verfolgung,  die  tochter, 
Günther,  die  schätze  zurückzugewinnen.  Daraus  wird  die  jüngere  bei  Ecke- 
hart belegte  Vorstellung,  dass  es  Günther  darum  zu  tun  ist,  Walther  zu 
berauben.     Aus  habsucht  setzt  er  dem  vorüberziehenden  hehlen  nach  -. 

1)  Es  verdieut  beachhmg,    dass  die  sage  die  jüngeren  Gornöt  und  Giselher 
noch  nicht  kennt. 

2)  Doch    gibt    nocl»    bei    Eckehart    (z.   h\l)    (luntluT    zu    orkenuen,    er    wolle 
Walther,    die   'gestohlenen'    schätze  abnehmen.      Einen   sinn   hat   diese  »ittiiche    ent- 


Ö6  BOER 

Welches  ist  nun  im  Waldere  das  gegenseitige  Verhältnis  der  könige? 
Nach  dem  vorhergehenden  wird  man  erwarten,  dass  sie  gemeinsam 
regieren.  Aus  dem  umstände,  dass  die  gestohlenen  schätze  dem  Günther 
gehören,  darf  man  kaum  schliessen,  dass  ihm  die  Oberherrschaft  zukam. 
Denn  dem  steht  gegenüber,  dass  die  prinzessin  Hagens  tochter  ist;  da- 
durch dass  Günther  der  besitzer  der  schätze  ist,  sind  nur  die  rollen 
verteilt.  Es  gibt  aber  eine  stelle,  die,  wie  mir  scheint,  mit  Sicherheit 
auf  ein  entgegengesetztes  Verhältnis  schliessen  lässt.  I,  29  folgen  auf 
Hildegundes  bemerkung,  dass  GüÖhere  das  schwert  und  die  schätze 
verloren  hat,  diese  worte:  7m  sceal  beaga  leas  hworfan  from  hisse 
hilde,  hläfurd  seean,  ealdne  ehel,  oÖÖe  her  cer  sivefan.  Also:  Günther 
wird  die  schätze  nicht  zurückerlangen ;  ohne  diese  wird  er  zurückkehren, 
oder  er  wird  hier  im  kämpfe  umkommen.  Was  bedeutet  aber  hläfurd 
secan?  Eine  Umschreibung  für  sterben  ('gott  aufsuchen')  kann  es  nicht 
sein,  denn  der  ausdruck  wird  durch  ealdne  ehel  variiert,  und  der 
begriff  'sterben'  folgt  nachher  als  gegensatz.  Also  ist  der  hläfurd  der 
weltliche  herr,  und  daraus  folgt,  dass  GüÖhere  nicht  das  oberhaupt 
der  Franken  ist.  Als  solches  ist  demnach  Hagen  anzuerkennen ;  GüÖhere 
ist  wol  ein  jüngerer  bruder,  der,  obgleich  mächtig  und  reich,  doch 
Hagen  untergeordnet  ist^ 

"Diese  Verhältnisse  sind,  wie  es  sich  versteht,  im  Waltharius  um- 
gekehrt. Ob  es  damit  zusammenhängt,  dass  die  reihenfolge  der  kämpfe 
gleichfalls  geändert  ist,  ist  eine  frage  für  sich.  Im  Waldere  kämpft 
zuerst  Hagen,  dann  GüÖhere;  im  Waltharius  greifen  Günther  und  Hagen 
am  zweiten  tage  Walther  vereint  an.  Hagen  führt  den  ersten  streich, 
aber  auch  den  letzten,  entscheidenden.  Die  frage  der  reihenfolge  ist 
darum  schwer  zu  beurteilen,  weil  wir  nicht  wissen,  ob  im  Waldere 
andere  einzelkämpfe  vorausgiengen.  Aber  die  kämpfe  mit  den  königen 
bilden  doch  den  kern  der  erzählung;  die  übrigen  einzelkämpfe  müssen 
früher  oder  später  hinzugefügt  sein.  Die  Hildesage  weiss  davon  noch 
nichts.  Hier  ist  von  einem  gefecht  zwischen  zwei  beeren  die  rede. 
Walther  aber  ist  nur  von  Hildegunde  begleitet.  Das  bedeutet  eine 
Vereinfachung    der    Verhältnisse    auf   der    einen    seite.     Nun   sind  zwei 

rüstung  über  Walthers  diobstahl  bei  einem  zweiten  räuber.  der  nun  seinerseits 
AValther  bestehlen  will,  nicht  mehr.  —  Freilich  behaujitet  Günther,  der  schätz 
habe  einmal  Gibich  gehört  nnd  sei  von  diesem  an  Etzel  abgetreten  worden  (vgl. 
z.  11  —  33). 

1)  Vielleicht  ist  es  eine  reminiscenz  an  dieses  Verhältnis,  wenn  der  Waltharius, 
obgleich  er  schon  Hagen  zu  einem  vasallen  macht,  noch  weiss,  dass  er  älter  als 
Guntier  ist  (z.  29  fgg.). 


UNTERSUCHUNGKN    ÜBER    DIE    IIILDESAGE  57 

dinge  möglich.  Entweder  fand  dieselbe  Vereinfachung  auch  auf  der 
anderen  seite  statt;  in  diesem  fall  setzte  Hagen  allein,  später  Hagen 
in  gesellschaft  Günthers  dem  räuber  nach.  Die  übrigen  helden  sind 
dann  zugesetzt.  Oder  die  Vereinfachung  auf  dieser  seite  bestand  darin, 
dass  die  zahl  der  Verfolger  auf  zwölf  beschränkt  wurde.  Die  begleiter 
repräsentieren  dann  die  alte  heeresmacht.  In  diesem  fall  ist  jedoch 
ihre  individualisierung  eine  spätere  neuerung.  Das  ist  bei  weitem 
das  wahrscheinlichste  ^  In  der  ältesten  form  der  Walthersage  wird 
also  Hagen  "Walther  mit  elf  oder  zwölf  genossen  angegriffen  haben, 
aber  nur  der  kämpf  mit  Hagen,  später  auch  der  mit  Günther,  wurde 
hervorgehoben.  Die  richtigkeit  dieser  auffassung  wird  des  weitern  durch 
die  Pibreks  saga  bewiesen,  wo  von  den  elf  genossen  keiner  genannt 
wird;  es  wird  nur  erzählt,  dass  die  elfe  umkommen  und  dass  Hagen 
sich  durch  die  flucht  rettet.  Da  es  sich  unten  zeigen  wird,  dass 
die  saga  und  der  Waltharius  einander  genetisch  näher  stehen  als  eine 
dieser  Überlieferungen  dem  Waldere,  so  müssen  wir  in  vollstän- 
digem gegensatz  zu  Heinzel  schliessen,  dass  die  Vorstellung  der  saga, 
die  im  gegebenen  fall  die  ursprüngliche  ist,  auch  die  des  Waldere 
war.  Im  Waldere  hat  also  der  held  auch  gegen  eine  Übermacht  ge- 
kämpft, aber  nur  der  kämpf  mit  Hagen  —  und  mit  Günther  —  wurde 
ausführlich  erzählt. 

Nun  wissen  wir  aus  der  geschichte  der  sage,  dass  auch  der 
kämpf  mit  Günther  eine  jüngere  zutat,  wenn  auch  älter  als  die  in- 
dividualisierung der  elf  genossen  ist.  Es  ist  durchaus  natürlich,  dass 
diesem  kämpf  auch  in  der  erzählung  eine  spätere  stelle  zugewiesen 
wurde.  Hagen  setzt  dem  räuber  seiner  tochter  nach;  er  wird  nicht 
mit  dem  angriff  gezaudert  haben,  bis  Günther  ihm  zuvorkam.  Als 
aber  später  'die  übrigen  helden  individualisiert  wurden,  wurden  ihre 
kämpfe  an  den  anfang  gesetzt,  da  die  kämpfe  mit  den  königen  die 
entscheidenden,  also  die  letzten  sein  mussten. 

Der  Waldere  erklärt  den  zug,  dass  GüÖhere  zuletzt  kämpft,  aus 
seiner  feigheit;  erhoffte,  Hagen  werde  Waldere  so  übel  zurichten,  dass 
der  sieg  für  ihn,  Günther,  ein  leichtes  werden  dürfe  (oben  s.  46).  Diese 
erklärung  ist  älter  als  der  Waldere,  denn  auch  die  deutsche  tradition 

1)  Eine  andeutuDg  davon,  dass  "Walther  es  einmal  nur  mit  Hagen  und  (iuntlier 
zu  tun  gehabt  habe,  darf  man  darin,  dass  er  im  AValtliarius  am  zweiten  tage  nur 
von  diesen  beiden  angegriflen  wird,  nicht  suchen,  da  der  zwoitägi^'c  kämpf  aus  der 
alten  Hildesage  stammt.  Auch  in  der  I'iörcks  saga  überfällt  Ihigou  W;dther  das 
zweite  mal  allein,  aus  demselben  gründe  wie  im  Waltharius,  da  die  übrigen  kämpen 
gefallen  sind. 


58  BOER 

weiss  von  Günthers  feigheit;  sie  blickt  nicht  nur  widerholt  im  Nibe- 
lungenlied durch,  sondern  wird  auch  ioi  Waltharius  stark  hervorgehoben. 

Wenn  nun  im  Waltharius  Günther  nicht  mehr  nach  Hagen  kämpft, 
so  kann  das  nicht  damit  zusammenhängen,  dass  er  der  könig  ist.  Denn 
die  änderung  hat  nichts  weniger  als  den  zweck,  ihn  zu  ehren.  Der 
letzte  kämpf  ist  gerade  der  ehrenvollste;  wenn  wir  aber  glauben  wollten, 
der  dichter  hätte  daran  anstoss  genommen,  dass  der  könig  die  reihe 
schliesst,  so  müsste  er  ihn  consequenterweise  eben  an  den  aufang 
gestellt  haben.  Eher  hängt  die  änderung  mit  der  hervorhebung  Hagens 
zusammen:  er  sträubt  sich,  an  dem  kämpfe  teil  zu  nehmen,  und  muss 
also  in  der  höchsten  not  durch  bitten  dazu  bewogen  werden,  und  er 
ist  der  tüchtigste  held,  dem  es  schon  deshalb  zukommt,  den  letzten 
streich  zu  führen. 

Dass  die  einzelkämpfe  mit  dem  Rosengartenmotiv  etwas  zu  schaffen 
haben  sollten,  wie  Heinzel  annimmt,  scheint  mir  unglaublich.  Die  einzige 
Übereinstimmung  besteht  in  der  zwölfzahl  der  kämpfer,  die  überaus 
häufig  vorkommt.  Im  Rosengarten  stehen  aber  auf  jeder  seite.  im 
Waltharius  nur  auf  der  einen  seite,  zwölf  beiden;  die  zwölf  paare  im 
Rg.  kämpfen  nach  im  voraus  abgemachten  bestimmungen;  im  Waltharius 
bestimmt  Günther  jedesmal  die  zahl  nach  seinem  eigenen  belieben;  im 
Rosengarten  wird  im  scherz,  im  Waltharius  im  ernst  gekämpft.  Die 
hauptsache  aber  ist,  dass  Günther  und  Hagen  ursprünglich  in  der 
Rosengartensage  nur  unbedeutende  nebenpersonen  sind;  der  kämpf 
findet  zwischen  Dietrichs  und  Isungs  mannen  statt,  und  Günther  und 
Hagen  dienen  nur  dazu,  die  zwölfzahl  voll  zu  machen.^  Wir  lassen 
demnach  den  Rosengarten  bei  der  Untersuchung  der  Walthersage  beiseite. 

Wir  kehren  zu  dem  Verhältnisse  der  könige  zurück.  Der  Waldere 
steht,  wie  oben  gezeigt  wurde,  auf  dem  Standpunkte,  den  man  in  der 
angelsächsischen  poesie  erwarten  konnte.  Das  gedieht  steht  darin  mit 
den  niederdeutschen  quellen  auf  einer  linie,  dass  es  Hagen  und  Günther 
beide  als  könige  auffasst,  ja  geht  darin  noch  über  dieselben  hinaus, 
dass  es  Hagen  dem  Günther  überordnet.  Dass  die  darstellung  des 
Waldere  in  vielen  punkten  von  der  der  I^iÖrekssaga  abweicht,  beruht, 
wie  sich  noch  ergeben  wird,  keineswegs  auf  einem  räumlichen,  son- 
dern auf  einem  zeitlichen  unterschied.  Ob  die  Angelsachsen  die  sage 
von  dem  festlande  mitnahmen,  lässt  sich  schwer  entscheiden;  sie  können 
sie   auch    im   8.  Jahrhundert    aus   Niederdentschland    empfangen   haben. 

1)  Den  endgiltigen  nachvveiy,  dass  dio  Rosengartensage  vollständig  auf  der 
erzählung  von  Dietrichs  zug  nach  Bortangaland  beruht,  hoffe  ich  in  einem  demnächst 
im  Arkiv  f.  nord.  fil.  erscheinenden  aufsatz  zu  liefern  (Arkiv  24,  lOSfgg.). 


ÜNTERSUCIIUXIIKN'    ÜBER    DIE    HIhDESAfJR  59 

Die  litterarischen  Verbindungen  zwischen  Norddentschland  und  England 
in  jener  periodc  sind  bekannt  genug.  Und  es  ist  mit  rücksicht  auf 
ihre  entstehung  aus  einer  fremden  sage  vorsichtig,  den  Ursprung  der 
"Walthersage  chronologisch  nicht  höher  hinaufzurücken,  als  es  die  data 
erfordern. 

Eine  erste  folge  der  Vorstellung,  dass  der  Nibelung  Hagen,  der 
später  im  Hunnenlande  umkommt,  auch  derjenige  ist,  der  mit  Walther 
kämpft,  und  dass  er  an  Günthers  seite  streitet,  muss  gewesen  sein, 
dass  der  tragische  ausgang  durch  einen  friedensschluss  ersetzt  wurde. 
Denn  man  wusste,  dass  Hagen  und  Günther  nicht  bei  dieser,  sondern 
bei  einer  späteren  gelegenheit  umkamen.  Hagen  stirbt  also  nicht,  er 
wird  nur  schwer  verwundet. ^  Wir  müssen  diese  Schlussfolgerung  un- 
bedingt in  die  erste  entwicklungsperiode  der  Walthersage  stellen  und 
also  schliessen,  dass  auch  der  Waldere  diesen  ausgang  gekannt  hat. 
Bestätigt  wird  er  durch  den  oben  s.  56  besprochenen  ausdruck  hJdfurd 
secan.  Denn  wenn  Hagen  der  hläfurd  ist,  so  bedeutet  ein  zurück- 
kehren Güöheres  zu  ihm,  dass  er  nicht  im  kämpf  geblieben  ist. 

Auch  die  erste  einführung  des  Hunnenlandes  wird  auf  dem  ein- 
fluss  der  Nibelungenpoesie  beruhen.  Ursprünglich  waren  das  meer  und 
seine  gestade  der  Schauplatz  der  begebenheiten.  Aber  Troja  Francorum 
liegt  tief  im  lande.  Was  in  der  Nibelungensage  geschah,  ist  auch  hier 
geschehen.  Alte  Varianten  der  Nibelungensage,  die  Sigmundsage,  die 
Finnsage,  kennen  eine  seereise,  ja  sogar  in  den  Atlamäl  geht  die  fahrt 
über  das  meer;  seitdem  aber  Hagen  ein  Frankenfürst  ist,  zieht  er  über 
land  nach  dem  feindlichen  lande.  So  kommt  auch  in  der  Walthersage 
der  feind  über  land.  Und  da  die  tradition  im  gcgensatze  zu  Hagens 
land  das  Hunnenland  kannte,  wurde  der  räuber  zu  einem  hunnischen 
häuptling,  zu  dem  JEtlan  ordwiga. 

So  sah  die  tradition  aus,  die  dem  gedichtc  von  Waldere  zugrunde 
liegt,  und  dass  das  gedieht  darin  bedeutende  änderungen  vornahm, 
wird  sich  schwerlich  Avahrscheinlich  machen  lassen. 

Auf  dem  festlande  setzt  sich  die  beeintlussung  dureli  die  Nibe- 
lungensage fort.  Die  nächstfolgende  neuerung  ist  eine  iinderung  in 
Hagens  Verhältnis  zu   Hildegunde.     Dass  er  ihr  vater  ist,   wird   niciif 

1)  Der  Verlust  des  auge.s  geht  in  die  Nibelungcnsagc  über,  wo  die  ciniiiigigkoit 
zu  einem  merkmal  Hagens  wird.  Die  Vorstellung,  dass  Guiitlier  <'in  boin  verlor,  Hess 
sich  mit  anderen  Vorstellungen  nicht  voreinigen  und  giong,  wenn  sie  je  verbreitet 
gewesen  ist,  wider  verloren.  Aber  violleicht  ist  das  nur  eino  erfindung  Eckoharts 
oder  seiner  directon  nuelle. 


00  BOER 

richtig  mehr  verstanden;  der  zug  gerät  in  den  hintergrund,  um  bald 
völlig  zu  verschwinden.  Aber  bei  der  Verfolgung  bleibt  er  die  haupt- 
person,  ja  im  gründe  die  einzige  person  von  bedeutung.  Und  noch 
immer  ist  Hagen  ein  Frankenfürst  und  Hildegunde  eine  fränkische 
Prinzessin,  wenn  auch  das  Verhältnis  zwischen  beiden  nicht  mehr  klar 
ausgesprochen  ist.  Von  dieser  sagenforra  stammt  die  polnische  version 
direct.^  Sie  geht  davon  aus,  dass  die  Vaterschaft,  die  ihre  directe  quelle 
nicht  mehr  nennt,  auch  nicht  besteht,  und  sie  sucht  für  die  Verfolgung 
eine  neue  motivierung.  Hilgunda  bleibt  eine  regis  Francorum  fdia, 
woraus  in  einer  Variante  eine  französische  prinzessin  wird,  Hagen  wird 
zu  einem  rex  Älmanorum,  und  dieser  ist  nicht  länger  Helgundas  vater, 
sondern  ihr  verlebter,  während  der  vater  zu  einer  statistenrolle  verurteilt 
Avird.  Diesen  nebenbuhler  mit  dem  nebenbuhler  der  Helgisage  und  der 
deutschen  Versionen  der  Hildesage  (§  11)  zu  identificieren ,  verbietet  der 
umstand,  dass  keine  andere  version  der  Walthersage  von  einem  neben- 
buhler etwas  weiss.  Die  neuerung  ist  aber  interessant,  weil  sie  lehrt, 
wie  leicht  in  eine  geschichte  wie  diese  ein  nebenbuhler  eingeführt 
werden  konnte,  und  wie  wenig  grund  vorhanden  ist,  da,  wo  wir  auf 
einen  solchen  stossen,  sofort  an  den  einfluss  einer  fremden  Überlieferung 
zu  denken. 

Von  änderen  neuerungen  der  polnischen  version  erwähne  ich 
Walthers  gesang  und  die  lange  fortsetzung  der  geschichte,  die  nicht 
mehr  zur  Walthersage  gerechnet  werden  kann.^  Wenn  jener  zug  mit 
Horants  gesang  zusammenhängen  sollte,  so  beruht  er  doch  gewiss  auf 
einer  secundären  beeinflussung  durch  die  deutsche  Hildesage;  in  der 
Walthersage  steht  der  zug  allzu  vereinzelt  da,  um  hier  anspruch  auf 
hohes  alter  erheben  zu  können.  —  Der  zweitägige  kämpf  ist  ferner  auf 
einen  Zweikampf  zwischen  Walther  und  seinem  Verfolger  reduciert,  und 
auch  die  genossen,  die  äen  Verfolger  begleiten,  hat  diese  tradition 
verloren. 

Auf  einem  alten  Standpunkte  steht  die  polnische  version  darin, 
dass  der  ort  des  kampfes  (das  Rheinufer)  noch  in  der  nähe  des  ortes 

1)  Dieses  directe  Verhältnis  der  polnischen  version  zu  einer  redactiou,  die  mehr 
als  eine  stufe  vor  der  piSreks  saga  liegt  (vgl.  s.  (il  und  die  tabelle  s.  66)  verbietet 
die  von  Heinzel  s.  88  gut  geheissene  annähme  Nehrings,  die  polnische  redaction  sei 
auf  die  saga  zurückzuführen,  und  Polen  beruhe  auf  einem  missverständnis  für  Pill 
in  der  saga  (c.  241). 

2)  Den  stoff  dieser  fortsetzung  bildet,  wie  bekannt,  die  Salomonsage  (s.  Vogts 
einleituug  zu  Salman  und  Morolf  s.  LXVIIIfgg.),  die  auch  für  die  entwicklung  der 
Hildesage  in  Deutschland  bedeutungsvoll  gewesen  ist. 


UNTF.RSUCIIUNGKN    ÜBKK    DIR    llII.DKKAdK  Ol 

liegt,  von  wo  die  jungen  leute  entflohen  sind  (Frankenland),  während 
der  endpunkt  der  reise  weit  abliegt  (Krakau),  und  zwar  im  osten  (oben 
s.  51).  Dieser  zug  muss  aus  alter  Überlieferung  stammen,  und  dadurch 
wird  bestätigt,  dass  das  auch  die  Vorstellung  des  Waldere,  der  der 
gemeinsamen  quelle  noch  näher  steht,  war.  Auch  noch  in  der  tiöreks 
saga  liegen  der  ausgangspunkt  der  flucht  und  der  ort  des  kampfes 
nahe  beieinander  (s.  unten),  nur  der  Waltharius  lässt  die  flucht  von 
dem  Hunnenlande  ausgehen  und  dennoch  den  Überfall  am  Rhein  statt- 
finden. 

Die  quelle  der  polnischen  version  wird  wie  die  des  angelsäch- 
sischen gedichtes  ein  sächsisches  lied  gewesen  sein.  Daraus  erklärt  sich 
die  Überführung  des  Stoffes  nach  Polen,  und  auch  die  localisierung  der 
sage  am  Niederrhein  bestätigt  das. 

Die  folgende  stufe  repräsentiert  eine  redaction,  von  der  die  erzäh- 
lung  der  PiÖreks  saga  und  auch  der  Waltharius  stammen.  Hagen  und 
Günther  bleiben  Franken,  aber  sie  siedeln  nach  Worms  üben  Das 
deutet  auf  eine  fränkische  bearbeitung.  Die  bezeichnung  der  beiden 
als  Burgunden,  die  sich  sonst  in  jüngeren  süddeutschen  quellen  findet 
(Unters.  NS  II,  201),  bleibt  der  Walthersage,  sogar  dem  süddeutschen 
Waltharius  fremd.  Dass  die  localisierung  der  könige  in  Worms  auch 
für  die  quelle  der  saga  gilt,  geht  aus  der  bezeichnung  Valtarlaf  Vaskasteiid 
hervor.  Diese  tradition  hatte  den  kämpf  nach  dem  Wasgenwalde  ver- 
legt; also  war  die  residenz  Hagens  und  Günthers  nicht  am  Niederrhein, 
sondern  südlicher,  also  in  Worms. 

Auf  dieser  stufe  muss  die  Vorstellung  von  dem  gang  der  begcben- 
heiten  die  gewesen  sein,  dass  Walther  auf  seiner  flucht  nach  dem  Hunnen- 
lande von  Günther  und  Hagen  verfolgt  und  in  der  nähe  der  Vogesen 
eingeholt  wurde.  Die  flucht  geht  also  zunächst  in  südlicher  richtung. 
Das  wird  so  zu  verstehen  sein,  dass  Walther  südlich  von  Worms  eine 
stelle  sucht,  wo  er  über  den  Rhein  setzen  kann,'  dass  er  aber  gegen 
die  nachstellungen  der  feinde  im  nahen  gebirge  eine  Zuflucht  sucht. 

p]ine  eigentümliciikeit  dieser  redaction  ist  noch,  dass  der  kämpf 
des  zweiten  tages  zu  einem  zweiten  verräterischen  Überfall  wird. 

Die  folgende  stufe  repräsentiert  die  erzählung  der  l^iöreks  saga. 
Der  umstand,  dass  Hagens  Verhältnis  zu  Hildegunde  nicht  nieiir  ver- 
standen wurde,  hat  zu  einer  völligen  Umgestaltung  der  Überlieferung 
geführt.     Hildegunde   ist  eine  geraubte    prinzessin  —   da.s  gehörte  zu 

1)  Man  vergleiclie  damit,  das.s  Walthoi  auch  in  der  puliiiscliL'n  voraion  am 
Rheine  eingeholt  wird. 


62  BOER 

der  alten  tradition.  Und  Walther  war  Attilas  mann.  Wenn  er  die  frau 
nicht  bei  Hagen  geraubt  hatte,  ruusste  er  sie  also  bei  Attila  geraubt 
haben.  Daraas  folgte  weiter,  dass  er  nicht  ein  vasall,  sondern  eine  geisel 
des  Hunnenkönigs  war^,  der  die  gelegenheit,  zu  entfliehen,  sucht  und 
benutzt.  Das  Verhältnis  des  mädchens  zu  Attila  wurde  nach  dem  vor- 
bilde von  Walthers  Verhältnis  zu  dem  könig  gestaltet:  auch  sie  lebt 
nun  als  geisel  am  hunnischen  hofe. 

Aber.  Hagen  als  Verfolger  stand  von  alters  her  in  der  tradition  fest; 
und  gleichfalls,  dass  die  Verfolgung  denselben  ausgangspunkt  wie  die 
flucht  hatte.  Denn  der  zweck  der  Verfolgung  war  ja,  das  mädchen  und 
die  schätze  zurückzugewinnen.  Also  zieht  unser  dichter  die  consequenz, 
dass  auch  Hagen  am  Hunnenhofe  verw^eilt.  Wie  er  dahin  gelangt  ist, 
erfahren  wir  aus  dieser  quelle  nicht.  Sein  Verhältnis  zu  Attila  muss 
ein  freundschaftliches  gewiesen  sein;  wie  könnte  dieser  ihn  sonst  mit 
der  Verfolgung  des  entflohenen  paares  beauftragen?  Am  wenigsten  kann 
er  selber  sich  als  geisel  am  hofe  aufgehalten  haben ;  er  würde  in  solchem 
fall  doch  allzu  leicht  in  die  Versuchung  geraten  sein,  Walthers  beispiel 
zu  folgen  und  selber  davonzulaufen.  Das  freundschaftliche  Verhältnis  zu 
Attila  bestätigt  PS  c.  375,  wo  dieser  sagt:  liaim  rar  meh  mer  um  rib, 
oc  ek  dubbahe  hann  tu  riddera  oc  EvIm  drofuing,  oc  vist  var  hann 
Jm  var  vin  gohr,  eine  stelle,  die  in  das  Nibelungenlied  (str.  1756)  über- 
gegangen ist-.  Davon,  dass  Hagen  geisel  gewesen  sei,  wie  die  deutsche 
Strophe  erzählt,  weiss  die  quelle  der  strophe  nichts;  wenn  im  NL  Attila 
hinzufügt:  Hagenen  sante  ich  ividere,  so  sieht  das  keineswegs  wie  eine 
aus  einer  unabhängigen  quelle  stammende  bemerkung  aus,  sondern 
vielmehr  wie  eine  erklärung  davon,  dass  Hagen,  der  diesmal  als  gast 
mit  den  übrigen  fremden  am  hunnischen  hofe  eingetroffen  ist,  früher 
den  hof  verlassen  hat.  Die  anspielung  auf  Hagens  gezwungenen  auf- 
enthalt  am  Hunnenhofe  hingegen  kann  aus  einer  jüngeren  quelle  der 
Walthersage  stammen;  diese  quelle  aber  weiss  widerum,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  nichts  davon,  dass  Attila  Hagen  zurücksendet.  Auf  die 
bemerkung  des  NL  ist  demnach  kein  grosses  gewicht  zu  legen.  Jedes- 
falls  lassen  sich  in  der  entwicklung  von  Hagens  aufenthalt  an  Attilas 
hofe  drei  stufen  unterscheiden:  1.  er  hält  sich  dort  auf,  ohne  dass  eine 
nähere  erklärung  gegeben  wird;  2.  er  war  dort  in  grosser  freundschaft; 
3.  er  war  dort  als  geisel.     Die   erste  stufe  ist  die  unseres  liedes,   und 

1)  Zu  dieser  neuerang  kann  eine  abneigung  gegen  die  Vorstellung,  dass  Walther, 
dem  die  heldenrolle  zufiel,  ein  Hanne  gewesen  sei,  mitgewirlit  haben. 

2)  Die  bemerkung  im  Biterolf  770 fg.:  von  Etxelen  ivir  nämen  swert,  bcde  ich 
unde  Hagene  geht  wol  auf  das  Nibeluugeulied  zurück. 


rXTERSUCHUXGEN    t'BF.K    DIR    IIII.DKSAGE  63 

das  genügt  auch  völlig  dem  zwecke,  dem  dieser  aufenthalt  dienen  sollte. 
Es  war  damit  erreicht,  dass  Hagen  nun  wie  von  alters  her  dem  ent- 
flohenen paar  nachsetzen  konnte.  Die  Verfolgung  geht  in  der  alten  weise 
von  statten;  die  Verfolger  werden  erschlagen;  nur  Hagen  entkommt, 
wird  aber  übel  zugerichtet.  Der  preis  aber,  womit  die  erhaltung  dieser 
alten  Vorstellung  bezahlt  wurde,  war,  dass  Günther  aus  der  erzählung 
verschwand.  Denn  nur  Hagen,  nicht  Günther  war  nach  dem  hunnischen 
hofe  versetzt  worden.  Daher  ist  Hagen  nun  wider,  wie  in  dei'  Hilde- 
sage, der  einzige  führer  der  dem  paare  nachsetzenden  schar.  Ferner 
findet  der  kämpf  nicht  mehr  auf  dem  Vaskasteinn  statt,  sondern,  wie 
sich  versteht,  näher  bei  Attilas  sitz.  Der  name  Vaskasteinn  aber  ist  in 
dem  beinamen  des  beiden  erhalten  und  bestätigt  die  frühere  localisie- 
rung  Hagens  in  Worms. 

Wir  kommen  zu  Eckeharts  darstellung.  Schon  eine  sehr  einfache 
analyse  lehrt,  dass  diese  unmöglich  einheitlich  sein  kann.  Ich  halte 
sie  für  eine  combination  aus  den  beiden  zuletzt  besprochenen  Versionen. 
Was  soll  das  heissen,  dass  erst  Hagen  geisel  bei  Attila  ist  und 
davonläuft,  dass  darauf  Walther  und  Hildegunde  dasselbe  tun,  und 
dass  schliesslich  Hagen  und  Günther  zusammen  Walther  angreifen? 
Dieser  aufenthalt  Hagens  bei  Attila  ist  so  entbehrlich  wie  störend. 
Entbehrlich,  weil  er  gar  keinen  zweck  hat;  störend,  weil  Hagen  Walther 
ein  beispiel  gibt,  wodurch  diesem  die  initiative  genommen  wird,  das 
aber  die  folge  hat,  dass  Attila  auf  der  hut  ist.  Wie  es  den  jungen  leuten 
dennoch  gelingt,  zu  entkommen,  wird  völlig  unverständlich.  Hagens 
aufenthalt  an  Attilas  hofe  gehört  zu  der  version,  die  Hagen  die  ent- 
flohenen von  Attilas  hofe  aus  verfolgen  lässt,  der  Überfall  von  Worms 
aus  zu  jener  anderen,  die  die  jungen  leute  aus  Worms  fliehen  lässt. 
Es  fehlt  auch  nicht  an  andeutungen  einer  zwiefachen  flucht  und  einer 
zwiefachen  Verfolgung.  Z.  402  fgg.  wird  erzählt,  dass  Attila  dem  paare 
Verfolger  nachsenden  will;  da  aber  niemand  das  abenteuer  zu  unter- 
nehmen wagt,  wird  aus  der  Verfolgung  nichts.  Aber  als  die  flüchtigen 
beim  Wasgenstein  angekommen  sind  und  Walther  sich  zum  schlafen 
niederlegt,  bittet  er  Hildegunde,  wache  zu  halten  (504fgg.);  als  sie  nun 
die  Franken  herankommen  sieht,  glaubt  sie  (543),  es  seien  die  Hunnen. 

Eckehart  hat  also  für  den  anfang  die  fassung  benutzt,  tlie  in  der 
JJiöreks  saga  enthalten  ist.  Daraus  entnimmt  er  1.  dass  der  ausgungs- 
punkt  der  flucht  das  Hunnenland  ist,  2.  dass  Hagen  bei  Attila  war. 
Dass  er  eine  geisel  war,  hat  Eckehart  wol  erfunden,  obgleich  es  mög- 
lich ist,  dass  dieser  zug  in  eine  jüngere  fassung  seiner  (luelle  auf- 
genommen war.     Aber  dass  Hagen  davonläuft,  ist  gewiss  eine  erfindung 


C4  BOER 

Eckeharts^,  wenigstens  wenn  man  nicht  annehmen  will,  dass  die  Ver- 
bindung zweier  Versionen  schon  vor  Eckehart  zustande  gekommen  war, 
in  welchem  fall  alles,  was  hier  von  Eckehart  gesagt  wird,  von  seiner 
unmittelbaren  quelle  gelten  würde.  Hagens  flucht  hat  keinen  anderen 
zweck  als  den,  zu  erklären,  dass  er,  obgleich  früher  an  Attilas  hofe 
auAvesend,  dennoch  —  nach  der  zweiten  quelle  —  in  Worms  ist,  als 
Walther  dort  vorüberreitet.  Das  motiv  von  Walthers  flucht  wird  zu 
diesem  zw-ecke  widerholt.  Darauf  folgte  in  der  quelle  die  Verfolgung. 
Da  diese  nach  der  zweiten  quelle  erzählt  werden  sollte,  blieb  hier  nur 
der  bericht  stehen,  dass  Attila  die  entflohenen  verfolgen  zu  lassen  wünscht, 
und  es  wurde  neu  hinzugefügt,  dass  die  Hunnen  diesem  wünsch  ihres 
herrschers  nicht  nachzukommen  wagen.  Dann  geht  der  dichter  zu 
seiner  zweiten  quelle  über.  Die  flucht,  die  schon  nach  der  ersten  quelle 
erzählt  worden  war,  wurde  natürlich  nicht  widerholt,  das  erste,  was 
mitgeteilt  wird,  ist  der  angriff,  und  dieser  findet  nun  beim  Wasgenstein 
statt,  und  zwar  durch  Hagen  und  Günther  gemeinschaftlich.  Da  aber 
Walther  nicht  mehr  aus  Worms  entflohen  ist,  werden  Hagen  und  Günther 
zu  Wegelagerern.  Doch  zeigen  sich  die  alten  Verhältnisse  noch  darin, 
dass  Walther  und  Hildegunde  einen  Überfall  erwarten,  obgleich  Walther 
mit  Hagen  befreundet  ist,  und  auch  darin,  dass  Günther  als  einen 
grund,  Walther  zu  berauben,  anführt,  dieser  habe  die  schätze,  die  er 
mit  sich  führt,  gestohlen. 

Die  geschichte  ist  ferner  nach  den  Vorstellungen,  die  man  sich, 
wie  bekannt,  in  jenen  südlicheren  gegenden  unter  gelehrtem  einfluss 
von  dem  Verhältnis  zwischen  Günther  und  Hagen  gebildet  hatte,  um- 
redigiert. Günther  ist  zu  dem  einzigen  könige,  Hagen  zu  einem  vasallen 
geworden.  Günther  ist  es  nun  auch,  der  den  anschlag  ersinnt;  Hagen 
lässt  sich  nur  mit  mühe  dazu  bewegen,  an  dem  Überfall  teilzunehmen; 
er  rät  sogar  davon  ab. 

So  lässt  sich  schon  bei  einem  gelehrten  dichter  des  zehnten  jahr- 
liunderts  die  Zusammenfassung  abweichender  redactionen,  der  auch  die 
längeren  mittelhochdeutschen  epen  des  zwölften  und  dreizehnten  Jahr- 
hunderts vielfach  ihre  entstehung  verdanken,  klar  beobachten.  Es  ist 
die  bekannte  compilationssucht  des  mittelalters,  welche  die  Wahrheit  zu 

1)  Auch  eine  freundschaft  zwischen  Hagen  uud  Walther  wird  aus  ihrem  Zu- 
sammensein bei  Attila  abstrahiert,  und  damit  wird  es  denn  in  Zusammenhang  gebracht, 
dass  Hagen  gegen  Walther  nicht  kämpfen  will.  Doch  scheint  die  Weigerung  zu 
kämpfen  etwas  älter  als  diese  freundschaft  zu  sein,  denn  der  hauptgrund  dieser 
Weigerung  ist  doch,  dass  Hagen  an  die  möglichkeit  des  sieges  nicht  glaubt.  Aller- 
dings setzt  auch  dies  wol  voraus,  dass  er  Walther  kennt. 


trNTERSUCHüNGEN   TTBEI?   DIE    HIMlERAGE  ()0 

finden  glaubt,  wenn  sie  alles  mitteilt,  was  in  verschiedenen  quellen 
steht,  und  das,  was  fohlt,  nach  eigenem  gutdünken  ergänzt,  die  hier 
ihren  triumph  feiert. 

Dass  die  mittelhochdeutschen  fragmente  für  die  beurteilung  der 
entwicklung  der  dichtung  von  keinem  oder  geringem  wert  sein  würden, 
liess  sich  im  voraus  erwarten.  Das  material  genügt  kaum  dazu,  uns 
in  den  stand  zu  setzen,  ihnen  ihren  platz  in  der  Überlieferung  zuzu- 
weisen. 

Ich  gehe  davon  aus,  dass  das,  was  in  den  fragmenten  steht,  auch 
wirklich  zu  dem  gedichte  gehört.  Es  scheint  mir  ein  hoffnungsloses 
verfahren  Heinzeis,  hier  aus  stilistischen  gründen  noch  interpolationen 
ausscheiden  zu  wollen.  Was  weiss  man  denn  von  dem  stil  des  ge- 
dichtes?  Dass  z.  b.  nur  einmal  die  construction  einer  strophe  in  die 
folgende  hinübergeführt  wird,  ist  bei  dem  geringen  umfang  dieser 
bruchstücke  doch  nicht  wunderbar  ^  Wir  finden  folgende  Überein- 
stimmungen mit  älteren  Versionen.  Hagen  ist  bei  Attila,  als  Walther 
anstalten  zu  der  flucht  macht  (erstes  fragment  2,1,8.  2,' 2, 9).  Also 
wie  in  der  bekannten  fränkischen  version.  Walther  wird  von  Hunnen 
verfolgt  und  besiegt  sie  (Wiener  fragm.  1  str.  IH),  wie  in  der  saga. 
Aber  Walthers  Verhältnis  zu  Hagen  scheint  nach  dem  ersten  fragmente 
ein  friedliches  oder  gar  freundschaftliches  zu  sein.  Auch  mit  den 
Wormser  beiden  findet  eine  begegnuug  statt  (Wiener  fragm.  I,  2  fgg., 
vgl.  auch  18).  Diese  züge  weisen  auf  Eckeharts  dichtung  oder  deren 
zweite  quelle.  Dass  diese  begegnung  eine  friedfertige  zu  sein  scheint, 
kann  nur  auf  einer  recht  jungen  neuerung  beruhen.  Dasselbe  gilt  für 
die  an  Etzel  gerichtete  einladung,  der  hochzeit  beizuwohnen  (Wiener 
fragm.  II,  16 fgg.). 

Das  gedieht  ist  also  aus  einer  neuen  compilation  hervorgegangen. 
Als  ganzes  kann  es  nicht  aui  Eckeharts  gedieht  zurückgehen,  da  es 
Züge  aus  Eckeharts  erster  quelle  enthält,  die  Eckehart  selbst  nicht 
mitteilt. 

Dass  Hagen  und  Walther  zusammen  aus  dem  Hunnenlande  auf- 
gebrochen sein  sollten,  nimmt  Heinzel  ohne  jeden  grund  an.  Cl)er  die 
stelle  des  Nibelungenliedes  (1756)  Hagcnen  santc  ich  iciderr,  aus  der 
Heinzel  folgert,  dass  das  in  diesem  gedichte  gestanden  haben  müsse, 
s.  s.  62. 

Dass  ein  gedieht,  das  den  kämpf  mit  Günther  und  Hagen  auf 
dem  Wasgenstein  erzählte,  gegen  ende  des  12.  Jahrhunderts  bekannt  war, 

1)  Heinzel  (s.  17)  erklärt  aus  diesem  gnmdo  str.  13  des  erstüii  Wicuur  fragmentcs 
für  interpoliert. 

ZEITSCHRIFT   F.  DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       HD.  XL.  5 


(56 


BOER,    TJNTKRStTCHUNGFA    VBE1?    DIE   HILDESAGE 


zeigt  str.  2844  des  Nibelungenliedes,  wo  Hildebrant  sagt:  Nu  iver  ivas 
der  üfme  schilde  vor  c]e?n  Wasleiisteiue  sax'^  Das  kann  nicht  unser 
gedieht  gewesen  sein,  das  freilich  einen  kämpf  mit  den  Hunnen,  aber 
nicht  mit  Günther  und  Hagen  kannte.  Das  mhd.  Waltherlied  ist  auch 
schwerlich  so  alt.  Aber  es  ist  sehr  wol  möglich,  dass  einer  der  bearbeiter 
des  NL  den  Waltharius  gekannt  hat^  Die  quelle  des  NL  kennt  diesen 
Vorwurf  Hildebrants  nicht;  hier  wirft  Dietrich  an  der  entsprechenden 
stelle  Hagen  vor,  dass  er  ein  söhn  des  teufeis  sei  (PS  c.  391). 

Die  entwicklung  der  Walthersage  lässt  sich  in  folgendem  Stamm- 
baum darstellen: 

W 

(sächsisch.    Hagen,  der  vater  der  geraubten  frau,  mit  dem  Nibelung  identisch. 
Hagen   könig.      Günther    neben    ihm    aufgenommen.     AValther    ein    Hunne.) 


AW 

(Waldere, 
angelsächsisch) 


SW 

(sächsisch.     Hagens  verhältniss  zu 
Hildegunde  wird  weniger  deutlich.) 


PW 

(polnisch) 


FWl 

(fränkisch.     Localisierung  in  Worms  und 

am  Wasgenstein.     Hagens  Verhältnis  zu 

Hildegunde  völlig  aufgegeben.) 


FW  2 

(fränkisch.    Hagen  hält  sich  an  Attilas  hofe 

auf.     Günther  wird  aufgegeben.    Walther 

geisel  an  Attilas  hofe.) 


PS 


EW 

(Eckeharts  erzähluug.  Hagen  ist  geisel  undent- 

ilieht.  Günther  und  Hagen  Wegelagerer.  Spuren 

doppelter  Verfolgung.     Individualisierung  der 

bei  der  Verfolgung  beteiligten  kämpfer.) 


MHW 

(mittelhochdeutsche  fragmente.) 

1)  Auf  derselben  stufe  wie  Eckehart  stand  auch,  so  weit  wir  ersehen  können, 
die  darstellung,  die  dem  Biterolf dichter  bekannt  war.  Walther  ist  an  Etzels  hofe 
gewesen  —  er  berichtet  darüber  ziemlich  ausführlich  —  aber  er  hat  den  sieg  er- 
fochten an  detn  Ein  (717),  also  wol  über  Günther  und  Hagen.  Eine  andere  Über- 
einstimmung mit  dem  Nibelungenliede  wurde  s.  62  anm.  2  angeführt;  hinzuzufügen 
ist  noch,  dass  Walther  (619  u.  a.)  von  Spunjelant  ist,  wie  es  im  NL  von  Späne  heisst. 

(Schluss  folgt.) 

AMSTEBDAM.  E.  C.  BOKR. 


PEHSE,   t)KR   OBERDEUTSCHE    VlERZRlUC.E   TOTKNTAXZTEXT  67 

DEß  OBERDEUTSCHE  VIEEZEILIGE  TOTENTANZTEXT. 

In  meiner  arbeit  über  den  „Ursprung  der  totentiinze"  (Halle, 
Niemeyer  1907) ^  glaube  ich  nachgewiesen  zu  haben,  dass  dem  ober- 
deutschen vierzeiligen  totentanztext  in  24  paaren,  der  uns  in  verschie- 
denen handschriften  und  blockbüchern  aus  der  mitte  des  15.  Jahrhunderts 
überliefert  ist,  eine  weit  höhere  bedeutung  für  die  geschichte  der  toten- 
tiinze zukommt,  als  man  bisher  annahm.  Aber  auch  davon  abgesehen, 
dürfte  wol  der  text,  der  zu  dem  berühmtesten  und  kunstgeschichtlich 
wichtigsten  aller  totentänze,  dem  „Tod  von  Basel",  die  grundlage  bildete, 
interesse  für  sich  beanspruchen.  Mehr  als  hundert  jähre  sind  es  her, 
seit  Docen  im  Neuen  literarischen  anzeiger  1806  sp.  412  die  anregung 
gab,  den  beziehungen  zwischen  dem  Baseler  und  dem  in  den  hand- 
schriften und  blockbüchern  vertretenen  text  nachzuforschen.  Und  bis 
heute  ist  diese  anregung  unbefolgt  geblieben.  Das  muss  um  so  mehr 
wunder  nehmen,  als  die  lösung  dieser  frage  für  den  Ursprung  der 
totentänze  vielleicht,  für  ihre  entwicklungsgeschichte  sicherlich  von 
grosser  Wichtigkeit  ist.  Leider  hat  man  bisher  geglaubt,  diese  frage 
durch  hypothesen  umgehen  zu  können.  Die  folge  davon  war,  dass 
diese  aufgäbe  nur  immer  energischer  eine  lösung  verlangte  und  dass 
die  lösung  nunmehr  die  lücken  der  bisherigen  totentanzforschung  um 
so  greller  beleuchtet.  Zwar  hat  Massmann  in  seinem  buche  „Die 
Baseler  totentänze"  (Stuttgart  1847)  einen  „urtext"  des  oberdeutschen 
totentanzes  zum  abdruck  gebracht,  der  auf  den  handschriften  fusst, 
und  ihm  den  Klein -Baseler  text  mit  seinen  verschiedenen  schösslingen 
gegenübergestellt.  Aber  diesem  „urtext"  liegt  keine  Untersuchung  des 
handschriftenverhältnisses  zu  gründe,  und  über  die  beziehung  der  hand- 
schriften zu  den  beiden  Baseler  texten  erfahren  wir  von  unsicheren  an- 
deutungen,  die  sich  auf  einzelfälle  beziehen,  abgesehen,  gleichfalls  nichts. 
So  ist  also  jener  „urtext"  im  letzten  gründe  ein  erzeugnis  der  willkür 
des  herausgebers,  der  sich  für  jede  lesart  von  fall  zu  fall  entscheidet. 
Und  auch  alles,  was  von  anderer  seite  über  das  Verhältnis  der  texte 
gesagt  worden  ist,   ist  über  blosse  Vermutungen  nicht  hinausgegangen. 

Merkwürdiger  weise  hat  nun  gerade  Docen,  ohne  es  zu  ahnen, 
die  aufgäbe,  die  er  stellte,  durch  den  abdruck  seines  textes  im  Neuen 
literarischen  anzeiger  1806  unnötig  erschwert.  Dieser  text  ist  mit 
einer    Sorglosigkeit   zusammengestellt   und    abgedruckt,    dass    man    sich 

1  Bei  der  abfassung  dieser  arbeit  lagen  mir  uoch  niobt  sämtliche  handschriften 
des  oberdeutschen  vierzeihgen  totentanztextes  vor.  Ich  war  infolgedessen  auf  die 
Varianten  in  Massmanns  , Baseler  lotentünzon"  angewiesen.  Ix'idcr  sah  ich  mich 
nachher  in  meinem  vertrauen  zu  ihnen  mehrfach  getäuscht. 


()8  I--KHSK 

vergebens  fragt,  ob  den  herausgeber  oder  den  setzer  die  grössere  schuld 
trifft.  Bald  ist  die  Orthographie  der  handschrift  peinlich  genau  gewahrt, 
bald  ganz  regellos  und  willkürlich  geändert.  Ohne  irgendeine  angäbe 
des  Sachverhalts  sind  conjecturen  des  herausgebers  eingeflickt.  Die 
folge  davon  war,  dass  Massmann  bei  seiner  ausgäbe  die  diesem  ab- 
druck  zu  gründe  liegenden  handschriften  nicht  widererkannte  und  die 
Varianten  von  Docens  text  unter  dem  zeichen  M^  in  seinen  kritischen 
apparat  "setzte.  Ausserdem  war  Massmann  eine  wichtige  handschrift, 
Ms.  Germ.  nr.  109  Berol.,  unbekannt.  Da  ferner  die  lesarten  Massmanns 
so  unvollständig  und  unzuverlässig  sind,  dass  man  bei  der  ersten  besten 
nachprüfung  auf  fehler  stösst,  so  scheint  es  nunmehr  an  der  zeit,  das 
Verhältnis  der  texte  zueinander  genauer  zu  untersuchen,  zumal  da  es 
keinem  zweifei  mehr  unterliegen  kann,  dass  damit  ein  wichtiger  beitrag 
zur  geschichte  der  totentänze  geliefert  wird. 

Der  oberdeutsche  vierzeilige  totentanztext  ist  in  folgenden  hand- 
schriften resp.  blockbüchern  enthalten: 

1.  Codex  germ.  Monac.  nr.  270  bl.  192"— 197"  (M^). 

2.  Codex  xylogr.  Monac.  nr.  39  (M^).  —  Der  text,  der  ursprüng- 
lich in  holz  geschnitten  unter  den  bildern  stand,  ist  schon  im  15.  Jahr- 
hundert fortgeschnitten  und  durch  handschriftlichen  text,  der  neben 
die  bilder  geschrieben  ist,  ersetzt  worden.  Nur  kümmerliche  reste, 
die  zum  einbinden  verwendet  worden  waren,  sind  gerettet  worden. 

3.  Codex  germ.  Monac.  nr.  2927  bl.  13=^  —  15"  (M^).  —  Die  hand- 
schrift ist  stellenweise  fast  unleserlich. 

4.  Codex  Palatin.  nr.  314  bl.  79"  — 80"  (H^).  —  Abgedruckt  im 
anhang  meiner  arbeit  „D.  u.  d.  t."  s.  50  fgg. 

5.  Codex  Palatin  nr.  438  bl.  129"— 142"  (H^).  —  27  in  holz 
geschnittene  tafeln.  Die  Strophen  der  toten  stehen  in  holz  geschnitten 
über,  die  der  menschen  unter  den  bildern.  Reproduciert  von  Massmaun 
im  anhang  zu  don  „Baseler  totentänzen"  und  von  W.  L.  Schreiber  als 
facsimiledruck. 

6.  Ms.  germ.  fol.  Berolin.  19  bl.  224  —  227  (Berl). 

Dazu  kommt 

7.  der  auf  39  paare  erweiterte,  im  einzelnen  vielfach  veränderte 
text  des  Klein -Baseler  (Klingentaler)  totentanzes,  der  uns  in  einer 
copie  des  Baseler  bäckermeisters  Büchel  (Der  Todten-Tanz  in  dem 
Klingentahl  zu  Basel.  Nach  dem  Original  gezeichnet  und  an  das  Licht 
gestellt  von  Emanuel  Büchel  im  Jahr  1768  usw.,  handschriftlich  in  der 
Baseler  kunstsamralung)  erhalten  ist.  Diesem  text  kommt  für  eine  reihe 
von  stellen  der  wert  einer  handschrift  zu  (Kl  B). 


DKR    OnKRDEUTRCIlE    VIEKZKILIGE    TOTE.NTANZTKXT  69 

1.    Docens  text. 

Bevor  wir  uns  mit  den  liandschriften  selbst  befassen,  liegt  es  uns 
ob,  den  von  Massmann  als  jM*  bezeichneten  abdruck  Docens  an  die 
richtige  stelle  zu  setzen.  Durch  eine  reihe  von  irrtümern  und  felil- 
gril^en  ist  es  gekommen,  dass  Massmann  in  Docens  abdruck  die  wider- 
gäbe  einer  verschollenen  handschrift  sah,  die  in  Wirklichkeit  niemals 
existiert  hat.  Docen  lag  zunächst  die  Münchener  handschrift  M^  vor. 
Er  ging  nun  bei  dem  abdruck  so  willkürlich  vor,  dass  er  die  Schreib- 
weise der  handschrift  je  nach  belieben  stehen  liess  oder  änderte  und 
dass  er,  ohne  darauf  hiiizuweisen,  stellen,  die  er  für  verderbt  hielt, 
durch  conjecturen  ersetzte.  Er  macht  selbst  kein  hehl  daraus,  dass 
es  ihm  auf  genauigkeit  nicht  ankomme.  Denn  nachdem  der  erste  teil 
des  textes  erschienen  ist  (bis  zum  mönch),  wird  er  von  dem  director 
der  kgl.  hof-  und  Staatsbibliothek  in  München  frh.  v.  Aretin  auf  das 
blockbuch  M^  aufmerksam  gemacht,  dessen  handschriftlichen  text  er 
nun  mit  dem  schon  abgedruckten  vergleicht  (Neuer  literarischer  anzeiger 
sp.  393).  Er  gibt  an  der  band  der  zweiten  handschrift  einige  Ver- 
besserungsvorschläge an  und  sagt  dann: 

„Auch  die  nachherigen  verse  bedürfen  die  nämliche  berichtigung, 
die  in  dem  noch  übrigen  hier  folgenden  teile  soll  beobachtet 
werden;  doch  würde  die  aufzeichnung  aller  Varianten  bei  der 
eben  nicht  grossen  Wichtigkeit  des  gegenständes  hier  zu 
weitläufig  werden." 

Für  den  ersten  teil  des  abdrucks  liegt  also  nur  M^  zu  gründe; 
die  abweichungen  von  dieser  handschrift  charakterisieren  sich  als  con- 
jecturen oder  versehen  Docens. 

Einzelne  auffällige  Übereinstimmungen  im  gegensatz  zu  den  andern 
handschriften  mögen  zunächst  zeigen,  das  für  den  ersten  teil  des  abdrucks 
die  handschrift  M^  vorlag. 

M'  Doceu  Die  andern  handschriften*. 

Einleit.  14  vrtail  vber  al 

XI,  1  Ir  chaisser  her  keyser 

VIII,  3.  4  Des  miest  jr  an  dessen  Das  raüst  ir  an  dem  rayon  puessen. 
rayen  hassen 

wul  hör,  lant  euch  ab  den  toten  woll  her,  lat  ewch  dy  töten  gruesscn. 
nit  grussen 

VllI,  7  jni  fochten  worden  chranck  in  fochen  claydern  glancz 
X,  6       wol  erchant  pechant. 

1)  Ich  gebe  hier  den  text  nach  M%  die  Ja  als  dritte  Münchner  handschrift 
allein  für  Docen  neben  M'  in  botracht  kommen  würde. 


70 


Die  Übereinstimmungen  Hessen  sich  beliebig  vermehren  jind  bis 
auf  orthographische  einzelhciten  (vgl.  V,  2  dantz)  ausdehnen.  Da  wo 
Docen  im  ersten  teil  des  abdructs  von  M^  abweicht,  ändert  er  meist 
nur  allerdings  ziemlich  willkürlich  die  Schreibung  oder  verbessert  offen- 
bare versehen. 


Docen. 
Das  ein  get  her,  das  ander  hin. 
Durch  das  erst  die  frummen 

hand  gewin. 
.  .  .  genant 
auf  erd  erkannt. 


Ml 
Einleit.  5  Das  ain  get  hin,  das  ander  her. 
Durch  das  erst  die  frumen 
hand  gewin. 

I,  5.  6     genant 

auf  erd  genant 

(Die  andern  handschriften  haben:  au  forcht  bekant) 
Zepter  und  chron  sind  vnwert  Zepter  und  krön,  die  sind  vnwert 

(Die  andern  handschriften  haben:   .  .  sint  hie  vnwert.) 

Der  zweite  teil  des  abdrucks  (vom  ritter  bis  zur  mutter)  ist  nun 
ein  gemisch  aus  M^  und  M"^,  so  jedoch,  dass  der  handschrift  M ^  (meist 
mit  unrecht)  grösseres  vertrauen  entgegengebracht  wird.  Einzelne  bei- 
spiele  sollen  das  beweisen. 

M  ^  Docen  M  * 


Reihenfolge 
der  gruppen 

XIII,  2 

XIV,  2 


18.  Kaufmann 

19.  Nonne 

20.  Bettler 

21.  Koch 


18.  Nonne 

19.  Kaufmann. 

20.  Koch. 

21.  Bettler. 


streit 


zeyt. 


Süßes  gesang 


Gemessen  (verlesen) 
gesang 


Suessen  gesang 


XIV,  4 
XV,  1 

XVII,  5 

XIX,  ] 
XIX,  4 

XX,  5 

XX,  6 


Die  vcrchündet  euch  des 

todes  wal 
Her  artzat  gebt  euch  selber 
rat 


die  verchundet  euch  hie  des  todes  val 


Her  artzt  tuet  euch  selber  gueten  rat. 


Ich  solt  treiben  genugsam  vil 


Ich  solt  treiben  Juckens  (seil. 
Juchzen,  Jauchzen)  vil 


Fraw  nunn 

mit  den  toten  farn 

Ain  armer  geiler 


Fraw  mein 

hie  an  der  toten  schar 


Zu  ainem  fraind  was  jch  nie- 
mant  eben 


Ayn  armer  pettler 

XXI,  6  Zu  ainem  frevvnt 

ist  nyemant  eben. 


Auf  diese  weise  kam  dann  allerdings  ein  text  zustande,  der  auch 
dem  rätselhaft  erscheinen  musste,  der  die  handschriften  vor  sich  hatte. 
Dazu  kommt  noch  ein  merkwürdiges  versehen.  Der  aufsatz  Docens  in 
dem    Neuen    literarischen   anzeiger  1806  ist  in   drei  teilen  erschienen: 


DER    OBKIiDKUTSdlE    VIEKZEILIGE    TOTENTANZTEXT  71 

sp.  348  fgg.,  sp.  393  fgg.  und  sp.  -412  fgg.  Der  zweite  teil  enthält  vom 
text  selbst  nichts,  sondern  nur  den  bericht  von  der  zweiten  handschrift 
und  die  Verbesserungen  nacli  ihr.  Der  dritte  teil  bringt  dann  nach 
einer  kurzen  bemerkung  über  das  Verhältnis  des  vorliegenden  textes 
zum  Gross- Baseler  den  zweiten  teil  des  abdrucks.  Massmann  scheint 
nun  den  zweiten  teil  von  Docens  aufsatz  (sp.  393  fgg.)  ganz  übersehen 
zu  haben.  "Wäre  dem  nicht  so,  so  hätte  er  wol  den  zweiten  teil  des 
abdrucks  vorsichtiger  benutzt,  da  er  wissen  musste,  dass  er  auf  grund 
von  M2  „berichtigt"  worden  war.  Massmann  verrät  durch  keine  be- 
merkung, dass  er  den  Zusammenhang  kennt  Er  sah  sich  demnach 
einem  texte  gegenüber,  der  in  seinem  ersten  teile  enge  beziehungen 
zu  M^  zeigte,  ohne  doch  sich  als  identisch  mit  ihm  zu  erweisen, 
während  der  zweite  teil  bei  aller  ähnlichkeit  mit  M^  in  wichtigen 
fällen  Übereinstimmung  mit  M^  zeigte.  Daraus  ergab  sich  ihm  der 
trugschluss  M^,  und  vielleicht  ist  gerade  daran  sein  bemühen,  in  das 
Verwandtschaftsverhältnis  der  handschriften  einzudringen,  gescheitert. 

2.  Die  handschrift  H^ 
Unter  den  handschriften  unseres  textes  tritt  H^  bedeutungsvoll 
schon  äusserlich  hervor.  Sie  enthält  ausser  der  ersten  und  zweiten 
predigt  nur  die  Strophen  der  menschen.  Die  anreden  der  toten  fehlen. 
Ausserdem  geht  in  ihr  allein  von  allen  handschriften  dem  deutschen  text 
eine  fast  peinlich  genau  entsprechende  lateinische  version  voraus.  Diese 
auffälligen  abweichungen  von  den  anderen  texten  verlangen  die  beant- 
wortung  mehrfacher  fragen.  Ich  muss  hier  noch  einmal  auf  einzelnes 
zurückkommen,  was  ich  schon  früher  (U.  d.  t.  s.  34 fgg.)  berührt  habe. 
Der  oberdeutsche  totentanztext  ist  nur  rein  äusserlich  ein  dialog.  Der 
tote  redet  zwar  den  betreffenden  menschen  an,  aber  der  mensch  er- 
widert nicht  auf  die  anrede  dos  toten,  sondern  spricht  für  sich,  ohne 
sich  auf  seinen  partner  zu  beziehen.  Bitten  an  den  tod,  noch  zu  ver- 
ziehen und  zeit  zur  besserung  zu  lassen,  wird  man  in  diesen  Strophen 
vergebens  suchen,  während  sie  in  andern  totentänzen  die  regel  bilden. 
Au.s  dieser  eigenart  der  Strophen  der  menschen  ergibt  sich  nun  die 
merkwürdige  tatsache,  dass  man  die  eine  hälfte  des  textes,  nämlich 
die  anreden  der  toten,  tilgen  könnte,  ohne  dass  dadurch  die  andere 
hälfte,  die  Strophen  der  menschen,  im  geringsten  unverständlich  oder 
auch  nur  unklar  würde.  Zwischen  ihnen  fohlt  eben  ursprünglich  jede 
innere  boziehung.  Und  am  schluss  wird  durch  diese  tilgung  erst  der 
richtige  Zusammenhang  hergestellt.  Das  kind  antwortet  ebensowenig 
wie    die    menschen    der   andern  gruppe   dem   toten,    sondern  redet  die 


matter    au.     Und    die  matter  ihrerseits  nimmt   von   den   Worten  ihres 
partners  keine  notiz,  sondern  antwortet  dem  kinde. 

Kind. 

0  vre  lybe  müter  meyn, 

Ain  schwarczer  man  zeucht  micli  do  hiu 

Wye  wyltu  mich  also  verlän"? 

Miilß  ich  tanczen  vnd  kan  nit  gän. 

Mutter. 

0  Kind,  ich  Avolt  dich  haben  erlost; 
So  ist  emjjfallen  mir  der  trost. 
Der  tod  hat  das  für  komen 
Vnd  mich  mit  dir  genomen. 

Darch  die  Strophen  der  beiden  toten  wird  ein  neuer  zasammen- 
hang  nicht  nur  nicht  hergestellt,  sondern  der  ursprüngliche  wird  sogar 
zerrissen.  Ferner  tragen  die  Strophen  der  menschen  einen  eigenartigen 
Charakter,  der  sich  stark  von  dem  Charakter  der  entsprechenden  Strophen 
anderer  toten tcänze  unterscheidet.  Sie  beginnen  fast  alle:  ,,Ich  irar"^  .  . 
„Ich  hab  als"  .  .  .,  und  dann  kommt  die  Standesbezeichnung,  deren 
stereotype  betonung  umsomehr  auffällt,  als  sie  uns  ja  schon  in  den 
Strophen  der  toten  angegeben  wird.  All  das  zwingt  zu  der  annähme, 
dass  die  Strophen  der  menschen  ursprünglich  allein  gestanden  haben, 
dass  die  Strophen  der  toten  erst  nachträglich  hinzugefügt  w^orden  sind. 
Die  Strophen  der  menschen  haben  ursprünglich  offenbar  als  Unter- 
schriften unter  einem  reigengemälde  an  stelle  der  einfachen  bezeichnung 
der  dargestellten  menschen  gestanden.  Dadurch  wurde  in  diesen  Strophen 
die  betonung  des  Standes  notwendig,  wenn  sie  sich  nicht  aus  dem  Inhalt, 
wie  z.  b.  beim  arzt,  Juristen  usw.,  von  selbst  ergab.  Daher  auch  die 
einförmigkeit  und  Inhaltslosigkeit  dieser  Strophen,  die  ja  nur  eine  etwas 
weiter  ausgeführte  paraphrase  der  Standesbezeichnung  sein  sollten. 

Dadurch,  dass  sich  die  handschrift  H^  ausdrücklich  auf  einen  zu 
ihrem  text  gehörigen  Codex  albus  bezieht,  der  die  totentanzbilder 
enthielt,  wird  diese  ansieht  bestätigt.  Leider  ist  von  diesem  Codex  albus 
keine  spur  mehr  vorhanden. 

Demnach  bietet  die  handschrift  H^  uns  also  nicht  etwa  einen 
durch  die  willkür  eines  abschreibers  um  die  hälfte  der  Strophen  ver- 
kürzten text  —  eine  annähme,  die  an  sich  den  Stempel  der  unwahr- 
scheinlichkeit  tragen  würde,  da  sich  schwerlich  eine  begründung  für 
sie  finden  würde  —  sondern  sie  stellt  uns  den  ursprünglichen  zustand 
des    textes    vor   äugen.     Diese    feststellung   ist   für  die  geschichte  des 


DKK    UBKKDKUTSCllE    VIKUZKILIÜE    TOTK.NTANZTEXT  73 

obordeutschen  t(^tentanztextes  von  entscheidender  bedeutung.  Nicht  nur 
das  handschriften Verhältnis,  sondern  auch  die  abhängigkeit  des  Baseler 
textes  von  dem  handschriftlichen  wird  dadurch  sofort  erklärt.  Es  fragt 
sich,  ob  dieses  resultat  sich  auf  anderem  wege  bestätigt.  Die  text- 
kritische Untersuchung  wird  die  probe  für  unsere  beweisführung  sein. 
Die  handschrift  H^  ist  die  älteste  von  den  sechs  handschriften 
resp.  blockbüchern,  die  unsern  text  enthalten  (t.  aq.  1443).  Da  jedoch 
der  zeitliche  abstand  der  handschriften,  soweit  er  festzustellen  ist, 
äusserst  gering  ist,  so  ist  dieser  umstand  ohne  bedeutung.  Aber  auch 
an  reinheit  des  textes  steht  keine  andere  handschrift  ihr  gleich.  Es 
findet  sich  in  ihr  keine  stelle,  die  auf  grund  des  textes  einer  anderen 
handschrift  verbessert  werden  müsste.  Und  andererseits  enthält  sie  eine 
reihe  von  lesarten,  die  unzweifelhaft  die  echten  sind  und  die  von  keiner 
der  anderen  handschriften  gebracht  werden. 

Einleitung  7  fg. 
H':  Mit  des  himels  poit,  die  in  geölfut  ist. 
Das  ander  die  bösen  weist 
Ab  zu  der  hellischen  porteu. 

Hier  ist  frühzeitig  in  v.  7  die  Umstellung  „ist  gcöffnt"  eingetreten 
(so  M^  ÄP  M^)  und  dadurch  der  reim  verwischt  worden.  Das  hat 
offenbar  in  H^  und  Berl  zu  der  änderung  der  betreffenden  stelle  anlass 
gegeben : 

Berl:  Durch  das  erst  die  fromen  hand  gewin 
jn  des  himels  fröiden,  do  si  kumon  hin. 
Das  ander  nach  den  werten 
Die  bösen  wist 

ab  zu  der  heischen  porten. 

IP:  Dach  des  ersten  die  guten  hand  gewyn, 
Do  sie  yn  den  hymmel  kernen. 
Do  nemen  sie  des  guten  fromen. 

Massmanns  herstellung: 

mit  des  himels  port,  die  in  ist 
geöffnt,  das  ander  die  bösen  wist 

ist  sclinii  (leshalb  zu  verwerfen,  weil  sie  das  einzige  beispiel  eines  stark 
auffallenden  enjambements  in  den  deutschen  text  bringen  würde. 

FV,  1  fg. 

II':  Ich  han  als  ain  koning  geweltiklych 
Die  weit  gerogyrt,  als  rom  das  reich. 

Latein.:    ^7  njo  rc.r  urhc/ii  .s/c  rcii  no)i   tt/iiius-  urhcin. 


74  FEHSE 

Über  die  unklare  fassung  des  deutschen  textes  wird  in  anderem 
Zusammenhang  zu  reden  sein.  Diese  stelle  ist  wol  infolge  ihrer  un- 
durchsichtigkeit  von  den  andern  handschriften  nur  verderbt  widerge- 
geben worden. 

Berl;  Ich  hab  als  ein  kunig  gewaltiklich 
die  weit  gereieret,  das  römisch  rieh, 
tl*:  Ich  han  als  ain  Chunig  gewaltikleich 

die  weit  geregyrt  als  rayn  das  reich.    (Ebenso  M^  M^). 
M^:  Ich  han  als  ain  chünig  gewalticlich 
die  weit  rengniert  vnd  das  reich. 
XI,5fg. 
H^:  Ich  han  vil  monnych  als  ain  apt  gelert 
Streng  gezogen  vnd  wol  gener tt. 

Latein.:   Ut  jmtcr  arctaui  monachos  et  optime  paui. 
M  *  Berl :  ...  vol  gewert. 
H^  M*  M":  ...  wool  gemert. 

XVIII,7. 
H^:  Nu  hat  dem  tod  meyn  gab  versohmächt. 
Alle  andern  handschriften:  der  tod. 

XIX,5  fg. 
H^:  Ich  han  in  dem  closter  meyn 

Got  gedynet  aly  ain  geweyltes  (mhd.  u-ilen  =  rclare)  nünlein. 
Latein.:  L?  claustro  grata  seruiui  cristo  velata. 

Alle  andern  handschriften  und  Kl.  B. :  geweichtes. 

Die  stellen,  wo  H^  im  gegensatz  zu  allen  andern  handschriften 
allein  die  ursprüngliche  lesart  bietet,  sind  an  zahl  gering.  Bei  dem 
kleinen  umfang  des  textes  kann  das  nicht  wunder  nehmen.  Und  stellt 
man  dazu  die  tatsache,  dass  keine  andere  handschrift  auch  nur  an- 
nähernd so  reinen  text  zeigt  wie  H^  und  dass  keine  einzige  stelle  von 
H'  auf  grund  der  lesarten  der  andern  verbessert  werden  kann,  so  be- 
stätigt sich  uns  damit  das  oben  auf  anderem  wege  gewonnene  resultat, 
dass  die  iiandschrift  H^  uns  die  ursprünglichste  fassung  des  textes  bietet. 

Damit  sind  jedoch  noch  nicht  alle  rätsei  gelöst,  die  uns  H^  auf- 
gibt. Bietet  diese  handschrift  die  ursprüngliche  gestalt  des  textes,  dann 
gewinnt  die  frage  an  interesse,  ob  der  lateinische  oder  der  deutsche 
text  der  ältere  ist.  Auch  diese  frage  ist  bisher  ununtersucht  geblieben. 
Maßmaun  (Baseler  totentänze  s.  122)  hält  den  lateinischen  text  für  die 
Übersetzung  des  deutschen  und  sucht  dies  damit  zu  begründen,  dass 
die  übrigen  handschriften  das  lateinische  nicht  haben.  Da  Massmann 
offenbar  H^  für  eine  Verkürzung  des  ursprünglichen  textes  hielt,  so 
erübrigt  sich  diese  an  sich  schon  unverständliche  begründung  für  uns. 


DER    OBKRDKUTSCHE    VIERZEILIGE    TOTENTANZTEXT  75 

Was  uns  bei  dem  vergleich  beider  texte  am  meisten  auffällt,  ist 
die  geschicklichkeit,  mit  der  sich  der  Übersetzer  seiner  aufgäbe  entledigt 
hat,  mag  er  nun  das  deutsche  ins  lateinische  übertragen  haben  oder 
umgekehrt.  Diese  tatsache  und  die  fast  peinliche  genaiiigkeit,  mit  der 
die  Übersetzung  den  text  widergibt,  erschwert  die  Untersuchung,  macht 
sie  jedoch  nicht  unmöglich.  Es  finden  sich  eine  reihe  inhaltlicher  und 
textkritischer  kriterien,  die  für  sich  allein  vielleicht  unbedeutend  und 
zur  entscheidung  ungenügend  erscheinen  mögen,  die  aber  in  ihrem 
zusammenhange  die  tatsache  erhärten,  dass  der  lateinische  text  der 
ältere,  der  deutsche  eine  Übersetzung  aus  ihm  ist. 

Die  erste  predigt  ist  eine  mahnung,  an  das  jüngste  gericht  zu 
denken.  Sie  geht  aus  von  den  worten,  die  nach  Matthaeus  25,34  und 
41  der  weltrichter  zu  den  frommen  zu  seiner  rechten  und  den  bösen 
zu  seiner  linken  sagen  wird:  „kommet  her!"  und  „gehet  hin!"  In 
diesen  beiden  worten  Christi  liegt  das  Schicksal  der  menschen  nach 
ihrem  tode:  ewige  freude  oder  ewige  pein.  Darum  geziemt  es  sich, 
an  den  tod  zu  denken,  der  weise  und  narren  in  seinem  reigen  vereint i. 
Die  erste  predigt  schliesst  mit  den  versen: 

V.  10  squ.  Fistula  tartarea  vos  iungit  in  una  Chorea, 
qua  licet  inviti  saliunt  ut  stulti  periti, 
hec  ut  pictura  docet  exemplique  figura. 

1)  Auch  die  anrede,  mit  der  die  predigt  beginnt  0  vos  viventes  hiiius  nnmdi 
sapienlcs  —  o  diser  iicrlt  tveijsheijt  khit —  ist  biblischen  Ursprungs.  1.  Korinth.  1,20 
spricht  Paulus  von  der  sapientia  huius  mündig  die  er  in  gegensatz  stellt  zu  der 
Weisheit  gottes.  Es  liegt  also  eine  leise  Ironie  in  dieser  anrede.  Vielleicht  fällt  von 
hier  aus  licht  auf  jene  merkwürdige  beiäihrung  des  oberdeutschen,  des  französischen 
und  des  lübisch-revalschon  textes  in  dem  ersten  verse  der  einleitung.  Der  französische 
text  beginnt;  0  creature  ralsonable^  der  lübisch - revalsche  text  bringt  die  wörtliche 
Übersetzung  davon:  0  redelike  ereaiuer.  Dass  eine  beziehung  zwischen  diesem  verse 
und  dem  entsprechenden  lateinischen  resp.  oberdeutschen  bestehen  muss,  liegt  auf 
der  band.  Die  hervorragende  stelle  des  verses,  der  entsprechende  inhalt  zwingen  zu 
dieser  annähme.  Freilich  zur  entscheidung  der  priorität  eines  dieser  texte  reicht  der 
vergleich  dieser  beiden  verse  nicht  aus.  Ich  habe  die  ansieht  Seelmanns  zurückge- 
wiesen, dass  der  deutsche  text  eine  ungelenke  widergabe  des  französischen  sei  und 
darauf  hingewiesen,  dass  der  französische  text  sehr  wol  den  versuch  darstellen  kann, 
die  dem  Übersetzer  unklare  deutsche  lesart  frei  und  doch  sinngemäss  widorzugeben. 
Gelingt  uns  nun  der  nach  weis,  dass  der  lateinische  text  von  H'  der  ursprüngliche 
ist,  dann  ist  damit  Seelmanns  behauptung  noch  schlagender  widerlegt,  denn  dann 
erklärt  sich  die  ungelenke  construction  des  oberdeutschen  textes  ohne  weiteres  aus  dem 
lateinischen.  Da  aber  der  lateinische  text  biblischen  Ursprungs  ist,  so  dürfte  schwer- 
lich an  der  priorität  dos  oberdeutschen  textes  zu  zweifeln  sein,  denn  die.se  anrede  er- 
scheint in  ihrem  ironischen  gehalt  durchaus  angemessen,  während  die  anrede  in  der 
französischen  und  niederdeutschen  fassung  zum  mindesten  unmotiviert  crs(;heint.     Der 


70  Fjcii^io 

V.  21  fgg.  Mit  seiner  hellischeu  pfeifen  schreien 
bringt  er  euch  all  an  einen  raien, 
dar  an  die  weisen  als  die  narren 
gezwungen  in  den  Sprüngen  farn, 
als  des  gemäldes  figuren 
sind  sy  ein   ebenbild  zu  truren. 

Der  lateinische  text  von  v.  12  ist  durchaus  klar  und  schliesst  sich 
angemessen  an  das  vorhergehende  an:  wie  dies  gemälde  und  die  bild- 
liche darstellung  des  abbildes  lehrt.  Der  deutsche  text  erscheint  danach 
unlogisch,  ja  sinnlos.  Nach  ihm  wären  die  „weisen  und  die  narren" 
ein  ,, ebenbild  zu  trauern".  Offenbar  ist  der  schiefe  ausdruck  im 
deutschen  dadurch  entstanden,  dass  zwei  begriffe  des  lateinischen  textes, 
nämlich  flgura  und  exemplum,  vom  Übersetzer  in  anderer  "wertung  ge- 
faßt worden  sind,  als  sie  in  der  vorläge  standen.  Statt  den  vers  sinn- 
gemäss widerzugeben,  hat  er  sich  an  die  drei  hervorstechenden  worte 
des  verses  pictura  exemplum  figura  angeklammert  und  sie  in  ganz 
neuer  weise  combiniert,  ohne  zu  sehen,  dass  sich  dabei  der  inhalt 
wesentlich  verschob.  Der  lateinische  reim  pictura- figura  bestätigt  sich 
aus  dem  deutschen  text,  während  der  im  lateinischen  nicht  begründete 
deutsche  passus  „-xu  truren'''  in  keiner  weise .  sich  aus  dem  Zusammen- 
hang mit  dem  vorhergehenden  motiviert  und  also  offenbar  flickwort  zu 
gunsten  des  reimes  ist. 

Zweite  Predigt  6  fgg.  Qualiter  aut  c^iando  venerit ,  manet  in  dubitando. 
Sic  etiam  dura  noscuntur  inde  futura 
Propter  ignotuni  remanendi  locuni  quotjuo  totum. 

9  fgg.  Aber  wye  oder  wenn  des  todes  czeytt 
Kummen  sol,  des  enwyst  ir  nit. 
Es  wirt  erkant  weh  allen  hertt*, 
Was  yederman  dar  nach  ist  beschertt, 
Vmb  das  vnkündig  ist  die  statt, 
AVa  yderman  seyn  pleyben  hätt 

Die  lateinische  version  bedeutet:  Wie  und  wann  der  tod  kommen 
wird,  bleibt  ungewiss.    Und  daher  werden  auch  die  künftigen  geschicke 

abstand  aber,  der  zwischen  dem  lateinischen  0  vos  viventes  Indus  niundi  sapientes  und 
dem  französischen  o  creature  raisonable  liegt,  würde  sich  sehr  gut  durch  die  zwei- 
malige Übersetzung  (zuerst  ins  deutsche,  dann  ins  französische)  erklären.  —  Ich  bin 
weit  entfernt  davon,  in  dieser  erklärung  des  Zusammenhangs  einen  sicheren  beweis 
für  die  priorität  des  oberdeutschen  textes  zu  sehen.  Ich  will  nur  zeigen,  dass  diese 
Übereinstimmung,  wenn  aus  ihr  überhaupt  Schlüsse  gezogen  werden  dürfen,  für  die 
ursprünglichkeit  des  oberdeutschen  textes  spricht. 

1)  In  meinem  abdruck  ist  vor  „hertt"  das  kolon  zu  tilgen.  Die  damit  an- 
gedeutete auffassung  ist  unrichtig  (vgl.  den  lateinischen  text;  hertt  =  dura). 


TIER    niJKRDKUTSrilE    VIKRZKTLIOE    TOTEXTANZTEXT  7i 

als  liart  erkannt,  weil  auch  der  ort  des  Verbleibens  ganz  unbekannt  ist. 
—  Dadurch,  dpss  im  deutschen  ,jrch  allc/i."  eingefügt  ist,  und  durch 
die  schwerfallige  widergabe  der  lateinischen  futura  ist  der  sinn  der  stelle 
unverständlich  geworden,  und  erst  der  vergleich  mit  dem  lateinischen 
texte  bringt  licht  in  den  Zusammenhang. 

I,  1  Sanctus  dicehar,   nulluni   viveiido   verebar. 

T,  1  fg.     Ich  was  aiu  hailiger  babst  genant, 

Die  weyl  ich  lebt  an   forcht  bekant. 

Hier    erkliirt    sich    die    auffällige   Verbindung   ,,an  forcld  hekant" 
sehr  einfach  aus  dem  lateinischen.    Das  „bekannt",  das  sich  so  deutlich 
als  flickwort  offenbart,  ist  im  lateinischen  nicht  begründet. 
IV,  1  Ut  ego  rcx  urbeni,  sie  rexi  non  minus  orhem. 

V\\  1  fg.     Ich  lian  als  aiti  koning  gewaltiglych 
Die  weit  gercgyit  als  rom  das  reich. 

Hier  spricht  die  bekannte  Zusammenstellung  iirhem  d  orhem  für  die 
Priorität  des  lateinischen  textes  ebenso  wie  die  Unklarheit  der  deutschen 
Version.  Selbstverständlich  kann  hier  nicht  von  einem  vergleich  zwischen 
dem  könige  und  Rom  die  rede  sein  in  einer  zeit,  da  jener  den  titel 
eines  römischen  köuigs  trägt.  Schw-erlich  aber  ist  Massmanns  erklärung 
richtig,  der  hier  roin  als  „römischer  voget"  deuten  will.  Offenbar  hat 
der  Übersetzer  in  dem  bestreben  das  lateinische  wortgetreu  widerzugeben, 
„als  rom  das  reich"  (=  wie  rom  so  das  reich  vgl.  1.  predigt  v.  23: 
die  weysen  alz  die  narren)  als  apposition  zu  „weit"  gefasst.  Jedesfalls 
zeigt  sich  auch  hier  deutlich,  dass  sich  das  deutsche  erst  aus  dem 
lateinischen  erklärt. 

X,  1         Nobilis  imperii  cotnes  in  mundo  reputatus 

X .  1  fg.     Ich  was  in  der  weit  geuaat 

Ain  edler  gräf,  dem  reych  bekant. 

Auch  hier  haben  wir  wie  I,  Ifg.  den  reim  (jenant .  .  behaut,  der 
im  lateinischen  hier  wie  dort  nur  durch  ein  wort  motiviert  ist.  Auf- 
fallend ist  die  auseinanderreissung  des  officiellen  titeis  imperii  comes 
(„reichsgraf"),  die  sich  nur  aus  der  Übersetzung  erklärt. 

Vergleicht  man  die  beiden  texte  nach  ihrer  metrischen  gestaltung, 
so  fällt  beim  ersten  lesen  auf,  dass  der  lateinische  text  äusserst  flüssig 
und  gewandt  geschrieben  ist.  Der  Verfasser  meistert  den  leoninischen 
vers  mit  unübertrefflicher  Sicherheit  und  eleganz.  Nirgends  ist  eine  spur 
von  einem  gezwungenen  reim  zu  constatieren.  In  den  ersten  9  versen 
der  ersten  predigt  haben  wir  nicht  weniger  wie  4  emjumboments. 
Diese  spielende  treiheit,  die  den  reim  nicht  als  fessel  omptinden  lässt, 
sondern  als  willig  sich  darbietenden  schmuck  der  rede  hinnimmt,  findet 


78  FEHSE 

sich  in  dem  deutschen  texte  nirgends.  Im  gegenteil  fällt  hier  oft  die 
mangelhafte  öconomie  beim  bau  des  reimverses  auf.  Iij  der  regel  ent- 
sprechen zwei  deutsche  verse  einem  lateinischen  reimvers.  Sehr  häufig 
ist  nun  zu  constatieren,  dass  der  erste  deutsche  vers  fast  den  ganzen 
inhalt  des  lateinischen  widergibt,  während  der  zweite  deutsche  vers 
nur  noch  ein  einzelnes  wort  nachholt. 

Erste  predigt  1,  1         0  t'os  viventes  huius  nmndl  sapientes 
I,  Ifg.     0  diser  weit  weyshayt  kint 

Alle  die   noch  im   leben   sint. 
1,2         Cordibus  apponite  duo  verba   christi:   Venite  .  . . 
I,  3  fg.    Setzt  in  ewr  herz  zway  wort, 

Die  von   cristo   sint  gehört. 

Zweite  predigt     7         Sic  etiani  dura  nosruntur  inde  futura 
11  fg.     Es  wirt  erkant  weh  allen  hertt, 

Was  yederman  dar  nach  ist   beschertt. 
8         Propter  ignohim  remanendi  locimi  quoque  totum. 
13  fg.     Vmb  das  unkundig  ist  die  statt. 

Wa  yderman  sein  pleyben  hat. 
10  fg.     Ergo  peccare  desistite,  si  properare 

Ad  fineni  ciipitis   optatum;   nani  bene  scitis  . .  . . 
17fgg.  Dar  vmb  solt  ir  von  Sünden  län, 
Wollt  ir  zu  dem  end  gän, 
Des  ir  all   seytt  begirlich. 
IV,  2         Nunc  miser  in  penis  mortis  constringor  habenis. 
IV,  3  fg.     Nun  pin  ich  mit  des  todes  panden 
Verstrickt  in  seinen  banden 
IX,  1         Presul  egregius  renerabar  hie  quasi  dijtis. 
Ich  pin  wirdiklich  geeret  worden, 
Die  weyl  ich  lebt  in  bischofs  orden, 
XXTI,  1         Hie  in  sudore  vixi  magnoqtie  labore. 
Ich  han  gehebt  vil  arbeit  groß, 
Der  schwayfß   mir  durch  die  hwt  flofß. 

So  drängt  sich  häufig  der  eindruck  auf,  als  würde,  nachdem  der 
lateinische  text  im  grossen  und  ganzen  sinngemäss  widergegeben  ist, 
vom  Übersetzer  noch  einmal  nachlese  gehalten,  damit  auch  nichts  über- 
sehen werde. 

Vgl.  Erste  predigt  6  Gaudia  vel  pene  sine  finc  sunt  ibi  plene 

12fgg.  Das  ain  halb  ist  gantz  fröd  beraytt. 
Ander  halb  die  peyn  ach  gonczlich 
Über  al  on  ende  ewiklich. 

sine  flne  ist  also  in  der  Übersetzung  verdoppelt  und  ausserdem 
ist  „über  al"  als  füllsei  hinzugesetzt  worden,  üass  dies  „über  al"  hier 
als  unpassend  empfunden  wurde,  zeigt  die  lesart  von  M^,  die  es  durch 


WM    OliERPErTSniK    VIKRZKII.IOK    TOTKNTANZTKXT  79 

,,viieit'  ersetzt.    Und  Massnian  hat  diese  lesart  in  seinen  „iirtcxt"  ein- 

Ylir.  fg.     Xobih's  eduxi ,  qiwnoii  dux  ipse  reluxi. 

Sed  nnnc  tit  adeavi  cogor  cum  viorte  coream. 
Ich  hän  die  edlen  herren  fert 
Als  aiü  herrzog  geregyrt  mit  dem  schwert: 
Nun  pin  ich  in  fechen  claydern  glancz 
Oezwngen  an  des  todes  tancz. 

Hier  ist  im  ersten  teile  der  Übersetzung  das  relu.ri  ohne  ent- 
sprechung  geblieben.  Infolgedessen  wird  es  in  der  zweiten  hälfte  der 
Strophe  ganz  äusserlich  gedeutet  (in  fechen  claydern  ylancx)  widergegeben. 

Noch  deutlicher  tritt  die  priorität  des  lateinischen  textes  zu  tage, 
wenn  wir  die  reime  betrachten.  Zunächst  fällt  die  menge  der  flickreime 
auf,  die  inhaltlich  überflüssig  erscheinen  und  durch  den  lateinischen  text 
nicht  bestätigt  werden.  Im  lateinischen  text  findet  sich  dagegen  kein 
einziger  flickreim,  und  auch  da,  wo  die  lateinischen  reime  ungewöhn- 
lich und  auffällig  erscheinen,  werden  sie  fast  ausnahmslos  durch  den 
deutschen  text  beglaubigt. 

Vgl.    XTTT.  1     Xon  iiivat  rrppello  de  mortis  ultimo  belle. 
Es  hilf  dehain  appelyren  nit 
Von  des  todes  letzsten  streyt. 

Aus  dem  lateinischen  reim  erklärt  sich  sofort,  wie  der  dichter  zu 
dem   ungewöhnlichen  ausdruck  iiltbnnm  mortis  bellum  gekommen   ist. 
Umgekehrt  finden   sich   im   deutschen   text  eine  reihe  von  merk- 
würdigen   ausdrücken,    die    ihren  Ursprung    offenbar  der  reim  not  ver- 
danken. 

Erste  predigt  i     7     spernere  vana 

j  16     Ir  tut  weh  ab  vppiger  tätt. 
11     inviti  saliunt 

24     gezwngen  in  den  Sprüngen  farn. 
I,  1     nulluni  vivendo  ixrebar 
I,  2    an  forcht  bekant. 

I  Vm,  2  reluxi 

j  Vlil         in  fechen  claydern  glancz 

{IX,  1     presul 
IX,  2     die  woyl  ich  lebt  in  bischofs  orden. 

Noch  weit  auffälliger  tritt  die  Originalität  des  lateinischen  textes 
hervor,  wenn  man  die  reime  des  einen  textes  daraufhin  prüft,  ob  sie 
im  andern  ihre  entsprechung  finden.  Da  zeigt  sich  denn  die  merk- 
würdige tatsache,  dass  mit  wenigen  ausnahmen  fast  alle  reimworte  des 
lateinischen  textes  im  deutschen  ihre  entspreciuing  in  irgend  einer  form 
finden,  während  die  deutsciien  reimworte  sich  kaum  zur  hälfte  aus  dem 


{ 


80  FEHSK 

lateinischen  text  belegen  lassen.  Dieses  mag  sich  zum  teil  aus  der 
stärkeren  begrifflichen  gedrungenheit  der  lateinischen  spräche  erklären, 
aber  das  gegenseitige  Verhältnis  ist  doch  so  sehr  verschieden,  dass  darin 
allein  nicht  die  lösung  des  rätseis  zu  suchen  ist.  Der  lateinische  text 
ist  wirkliches  dichtwerk,  und  so  sind  denn  die  reimworte  auch  inhalt- 
lich von  grösserem  gewicht.  Wenn  sie  also  in  einer  Übersetzung  ihre 
entsprechung  finden,  so  ist  das  nicht  wunderbar.  Aber  auch  w.o  weniger 
hervorstechende  worte  den  reim  bilden  helfen,  sorgt  die  fast  ängstlich 
erscheinende  peinlichkeit  des  deutschen  Übersetzers  dafür,  dass  nichts 
übergangen  wird.  Und  dieselbe  peinlichkeit  erklärt  andererseits  die 
tatsache,  dass  die  reime  des  deutschen  textes  zu  einem  grossen  teile 
aus  dem  lateinischen  sich  nicht  belegen  lassen.  Genauigkeit  im  Inhalt 
und  reinheit  des  reimes  (im  weitesten  sinne  verstanden)  wäre  eine  auf- 
gäbe gewesen,  der  der  deutsche  Übersetzer  nicht  gewachsen  war.  Eins 
musste  vernachlässigt  werden,  und  das  war  naturgemäss  der  reim. 

Wenn  sich  uns  so  der  lateinische  text  als  der  ältere  ergibt,  so 
bestätigt  sich  uns  damit  die  auf  verschiedenen  wegen  gefundene  tat- 
sache, dass  die  handschrift  H\  die  allein  den  lateinischen  text  ent- 
hält, die  ursprünglichste  form  des  oberdeutschen  totentanzes  bietet. 
Mit  diesem  resultat  würde  das  Interesse  an  den  übrigen  handschriften 
unseres  textes  erheblich  sinken,  wenn  nicht  die  beiden  Baseler  toteu- 
tänze  zu  diesem  in  der  engsten  beziehung  ständen.  Es  ist  darum  unsere 
aufgäbe,  den  übrigen  handschriften  ihre  Stellung  zueinander  anzuweisen 
und,  wenn  es  möglich  ist,  den  Baseler  text  in  die  handschriftenfamilie 
einzugruppieren. 

8.    Das   handschriftenverhältnis   und   die   Baseler  texte. 

Da  die  beiden  Baseler  totentanztexte  die  anreden  der  toten  mit 
der  secundären  gruppe  der  handschriften  und  blockbücher  gemein  haben, 
so  erübrigt  sich  die  von  Seelmann  aufgestellte,  aber  unbegründet  gelassene 
hypothese,  dass  der  text  der  handschriften  ein  auszug  aus  dem  Baseler 
text  mit  39  gruppen  sei.  Denn  diese  hypothese  bedingt  ja  die  andere, 
dass  H^  eine  um  die  lateinische  version  erweiterte  Verkürzung  des  textes 
der  übrigen  handschriften  sei.  Ich  habe  {U.  d.  t.  s.  12fgg.)  den  nach  weis 
geführt,  dass  die  15  gruppen,  die  Kl.  Basel  mehr  aufweist,  eine  neue 
anschauung  des  totentanzmotivs  zeigen,  die  mit  der  ursprünglichen  im 
Widerspruch  steht,  dass  sie  demnach  sich  als  zusätze  charakterisieren. 
Durch  die  vorstehende  Untersuchung  begründet  sich  dieses  ergebnis 
nun  von  einer  andern  seite  her. 


DER    OnF.IjnKUTSClII-:    VTF.RZr.IT.lOE    TOTKNTANZTKXT  81 

J^'ür  die  Untersuchung  des  handschriftenverlialtnisses  kuiumt  von 
den  beiden  Baseler  texten  nur  der  Klein -Baseler  in  betracht.  Die  leider 
widerholt  ohne  begründung  aufgestellte  behauptung,  der  Gross-Baseler 
totentanz  sei  der  ältere  und  ursprünglichere,  ist  auf  grund  der  bilder 
von  Götte  (Holbeins  totentanz  und  seine  Vorbilder,  Strassburg  1897) 
zurückgewiesen  worden.  Götte  hat  den  nachweis  geführt,  dass  der 
Gross-Baseler  totentanz  fehler  in  der  Zeichnung  des  Klein-Baseler  bildes 
übernommen  resp.  sie  in  einer  weise  verbessert  hat,  die  den  ursprüng- 
lichen fehler  noch  deutlich  erkennen  lasst.  Für  den  text  gilt  genau 
das  gleiche.     Man  vergleiche  z.  b.  die  folgende  stelle: 

XX,  .5 fg. 
Ain  armer  gej'lcr  hie  in  leben 
Zu  ainem  frwnd  ist  nymant  eben. 

KI.  B.  21,  5fg. 
Ein  armnier  krupel  hie  uff  erden 
Zu  einem  vrund  ist  nemant  eben. 

Gr.  B.  20,  .5  fg. 
Ein  armer  Krüppel  hie   auf f  Er d 
Zu  einem  freundt  ist  niemand  wärt. 

In  zahlreichen  fällen  weicht  KIB  von  dem  text  der  liandschriften 
ab.  In  allen  diesen  fällen  hält  sich  GrB  an  KIB  oder  bringt  selb- 
ständige Wendungen  resp.  Strophen.  In  keinem  falle  zeigt  sich  in  GrB 
eine  Übereinstimmung  mit  den  handschriften,  wo  KIB  eine  solche  nicht 
aufweist  (vgl.  U.  d.  t.  s.  20fgg.).  Für  unsere  Untersuchung  bleibt  GrB 
als  sicherei'  abkommling  von  KIB  füglich  beiseite.  Wol  aber  sind  die 
mit  den  handschritten  übereinstimmenden  stellen  von  KIB  zu  befragen. 
Directe  Verwandtschaft  in  dem  sinne,  dass  eine  handschrift  die 
voilage  für  eine  andere  gewesen  ist,  kann  zwischen  den  uns  vorliegenden 
handschriften  nicht  existieren.  TI-  fehlt  z.  b.  die  zweite  predigt,  M-  hat 
abweichende  Stellung  einzelner  gruppen,  in  Berl  ist  die  erste  predigt 
und  die  strophe  des  bauern  stark  verändert.  Ebenso  machen  bei  M^ 
und  M''  eigentümliche  abweichungen,  die  sie  allein  haben,  die  annähme 
unmöglich,  dass  sie  für  eine  der  andern  handschriften  als  vorläge  ge- 
dient haben. 

Auf  grund  gemeinsamer  abweichungen  sondern  sich  zunächst  zwei 
gruppen  H-  und  M^  einerseits  und  Y  (M^  M''  Berl  KIB)  voneinander  ab. 
Die  Gruppe  T  gibt  sich  infolge  einer  reihe  gemein.><amcr  fehler  als 
einheit.  Die  andere  gruppe  ist  nicht  durch  gemeinsame  fohler  verbunden 
(von  einem  sehr  zweifelhaften  falle  XIIT,  5G  abgesehen).  K'^  und  M- 
weichen    im   gegenteil   wider   voneinander  stai'k   al).     Das   verbindende 

ZF.ITSCHRrFT   K.    DKUTSCHK   PinLOLOOIE.       BD.  XL.  li 


82  FEHSl? 

zwischen  ihnen  ist  nur  der  gemeinsame  gegensatz  zu  der  gruppe  Y. 
Es  ist  deshalb  möglich,  dass  sie  trotz  ihres  nicht  besonders  reinen  textes 
direct  auf  die  erste  handschrift,  die  den  um  die  Strophen  der  toten  er- 
weiterten text  hatte  (X),  zurückgehen.  Dadurch  würden  sich  auch  einige 
kleinere  berührungen  von  M^  mit  der  gruppe  T  erklären. 

H^  M^  Y 

XVIT,.7fe.  I  1^.'^™^'  }  wie  W  '^,^*^-"^S*  (^'^  ^^^^^'"^§^) 

l  lugt        /  dingt 

f  pflegen  an  H^ 
XVI,  2         ■»     fl  T,^o         I  pflegen 

l  pflegan  M-         ^  ^     ^ 

XIX.  3        scapular  schapelern  (scapliern  M-') 

^,„   .  .     ,     ■  .  I    durchstreichen  M^  äP  Berl) 

XXI,  4        einstreichen  i      i     i     .  •  i       ^r^^, 

y     duck  strichen  KIB 

XXI,  7        nie  gefinden  doch  .  .  .  nit  finden 

XXIV,  3      disen  tanz  den  tanz 


™"'l      i^M-}  f'"" 


\  ye  M 

Von  der  gruppe  Y  sondert  sich  durch  gemeinsame  abweichungen 
die  gruppe  Z  aus  (Berl  und  KIB),  die  nach  Basel  hinweist.  Ob 
zwischen  Z  und  M^  noch  ein  näherer  Zusammenhang  besteht,  muss  da- 
hingestellt bleiben.  Die  Übereinstimmungen  der  handschriften  M  und  Z 
im  gegensatz  zu  M^  sind  für  eine  solche  entscheidung  nicht  ausreichend. 
(Vgl.  XI,  6  geteert  [gemert  M^],  XIV,  2  xues  gesang  [suessen  Gcsanc  M"], 
VI,3  das  lot  Valien  [das  fehlt  M^]). 

Die  Scheidung  zwischen  M^  und  M^  einerseits  und  Z  (Berl  KIB) 
andererseits  begründet  sich  durch  die  folgenden  Varianten: 

M^  M^  H^  M^  Z 

1,4         den  tantz  hoffieren  zo  dem  tanz  füren 

IV,  8      verstrickt  in  seinen  banden  ser  verstricket  in  sinen  banden 

VIII,  4  lat  euch  die  toten  grüssen  lust  euch  die  toten  zu  grüssen 

XIV,  3  meiner  pfeifen  schal  der  pfiffen  schal 

XVI,  1   man  degen 

Wenn  wir  also  die  erste  handschrift,  die  den  um  die  anreden  der 
toten  erweiterten  text  bietet,  mit  X  bezeichnen,  so  ergibt  sich  folgender 
Stammbaum  der  handschriftenfamilie : 


H-M'' 


M'  M'*  Z 

BeTi  XI B 

I 
GrB 


DER    OBERDKDTSf  HE    VIERZEII,IGE    TOTEXT ANZTEXT  83 

Ob  ausser  den  angenommenen  noch  weitere  Zwischenglieder  vor- 
handen gewesen  sind,  Uisst  sich  nicht  sagen,  ist  aber  auch  für  uns  ohne 
interesse,  da  sich  damit  für  die  stelle,  an  die  wir  KIB  setzen  mussten, 
nichts  ändert.  Die  liandschrift  Borl  weist  auf  Basel  hin.  Sie  enthält 
am  schluss  ein  blatt  mit  dem  wappen  von  Basel.  Ein  Schutzengel  steht 
hinter  dem  Wappenschild,  das  von  zwei  basilisken  (mit  hahnenkämmen 
geschmückte  vögel,  die  in  schlangenleiber  auslaufen)  getragen  wird.  Über 
dem  ganzen  steht  die  Inschrift: 

baseUischg/is  du  giftiger  wurm  vnd  böser  fasel 
nu  heb  den  schilt  der  toirdigen  stat  basel. 

Die  vorläge  von  KIB  kann  diese  handschrift  jedoch  nicht  gewesen 
sein,  da  Berl  an  einigen  stellen  erheblich  von  dem  ursprünglichen  texte 
abweicht,  während  KIB  mit  den  andern  handschriften  geht.  Ausser- 
dem enthält  Berl  keine  bilder,  von  dem  prediger  am  schluss  des  toten- 
tanzes  abgesehen.  Die  Verwandtschaft  der  bilder  von  KIB  und  H- 
zwingt  jedoch  zu  der  annähme,  dass  dem  Baseler  maler  eine  bilder- 
handschrift  zur  vorläge  gedient  hat. 

Für  die  textgestaltung  ergibt  sich  aus  dem  vorstehenden  zunächst, 
dass  H^  für  die  beiden  predigten  und  die  Strophen  der  menschen  die 
grundlage  bilden  muss.  Auch  da,  wo  die  andern  handschriften  an- 
sprechendere lesarten  zu  bieten  scheinen,  zeigt  sich  bei  näherem  zusehen, 
dass  H^  den  ursprünglichsten  text  bietet  (vgl.  IL  predigt  6 :  ist  benennt). 
Für  die  übrigen  Strophen  sind  zunächst  H^  und  M^  zu  befragen,  aber 
da  gerade  ihr  text  im  einzelnen  sehr  unzuverlässig  ist,  sind  sie  nur  da 
von  entscheidender  bedeutung,  wo  sie  übereinstimmen.  In  praxi  ergibt 
sich  trotz  der  zahlreichen  Varianten  für  die  herausschälung  des  richtigen 
textes  kaum  eine  Schwierigkeit,  weil  dieser  in  den  meisten  fällen  deut- 
lich durchschimmert.  Die  Schreibung  ist  einheitlich  gestaltet,  aber  nur 
in  der  weise  modernisiert,  dass  sich  jede  Schreibart  des  textes  aus  den 
handschriften  belegen  lässt. 

Der  toten  tanz.  Setzt  in  euer  herz  zwei  wort, 

Der  erst  prediger.  Die  von  Cristo  sind  gehört. 

'I  diser  weit  Weisheit  kind,  Das  ein:  Get  lior!  das  ander:  Get  hin! 

Alle  die  noch  im  leben  sind,  Durch  das  erst  die  frumea  liand  gewin. 

Überschrift.  Der  toten  tantz  Bert  Das  ist  der  toten  tantz  •  vnd  ist  das  die 
erst  predig  .V*  Der  erst  prediger  H^M^  Der  predigei-  hio  vor  M-  Vbei\<ichrift 
fe/dt  77-.  1  0  fe/ilt  ^r-       aller  diser  weit  .1/'       dis  werlt  woyse  kiiit  M' 

2  alle  fetdt  M'  5  das  oyno  koniet  lier  E"       get   hin   das  ander  her  .1/'        das 

andr'r  hin   V-  G  dach  77'-. 

0* 


6 


84 


Mit  des  liimels  port,  die  iu  geöifnt  ist. 
Das  ander  die  bösen  weist 
Ab  zu  der  hellisclien  porten. 

10  Also  wirt  in  den  werten 

Gegeben  ein  sollich  underscheid, 
Das  einhalb  ist  ganz  freud  bereit, 
Anderhalb  die  pein  ach  genzlich 
Überal  on  ende  ewiglich. 

15  Darumb  ich  euch  getreulich  rat, 
Ir  tut  euch  ab  üppiger  tat, 
Wan  die  zeit  ist  kurz  an  disem  leben, 
Darnach  wird  ach  und  we  gegeben 
Durch  den  zwifachen  tod, 

20  Der  über  niemand  erbermd  hat. 
Mit  seiner  hellischen  pfeifen  schreien 
Bringt  er  euch  all  an  einen  reien, 
Daran  die  weisen  als  die  narren 
Gezwungen  in  den  Sprüngen  faren, 


Als  des  gemeldes  ligureu 

Sind  sie  ein  ebenbild  zu  truren. 

I.  Der  tod. 

Her  pabst,  merkt  auf  der  pfeifen  ton, 
Ir  sullet  darnach  springen  schon, 
Es  hilft  darfür  kein  dispensieren, 
Der  tod  will  euch  den  tanz  hofieren. 

Der  pabst. 
Ich  was  ein  heiliger  pabst  genant, 
Die  weil  ich  lebt,  on  forcht  bekant. 
Nu  wird  ich  gefürt  frevelich 
Zu  dem  tod.     Ich  wer  mich  üppiglich. 

IL  Der  tod. 

Her  keiser,  euch  hilft  nit  das  schwert, 
Zepter  und  kröne  sind  hie  unwert. 
Ich  han  euch  an  die  band  genomen, 
Ir  müst  an  meinen  reien  komen. 


25 


7  ist  geöffent  M^  ]\P  HP  jn  des  himels  froiden  do  si  kumen  hin  Berl  do 
sie  yn  den  hymmel  komen,  do  nemen  sie  des  guten  fromen  II~  8  ab  weist  ]\P 
das  ander  nach  den  worten  die  bösen  wist  Berl  das  ander  die  bozen  weizet  yn  pein 
der  hellen  dy  ouch  ewig  wirt  seyn  H^  9 — 13  fehlt  H-  10  in  disen  worten  Berl 
11  geben  Berl  12  das  ander  halb  ist  frod  beraitt  M*  das  ein  wort  ist  gantz  in  froid 
bereit  Berl  13  das  ander  wort  leid  vnd  pin  on  end  Berl  ain  halb  die  pein  als  gentzlich 
HP  auch  gentzleich  J^P  JSP  14  fehlt  Berl  vrteil  on  end  M'  l.ö  getreulich  fehlt 
]\P  gütlich  ]\P  16  ir  fehlt  Berl  H'- 3P  iP  17  wenn  Berl  H'  2P  in  disem 
leben  Berl  H-  ÄP  M-  AP      J\P  stellt  17.  18  hinter  20  18  darnach  ist  2P 

19  durch  den  czwefechegen  tod  H~       durch   den   zweiffaltigen  rat   ]\P       durch  den 
zwifachen  rat  J/-       durch  den  czwifachen  tat  ]\P  20   chain  erbarmung  M- 

über  die  bösen  niemant  kain  erbermd  hat  Berl      der  die  oppigcn  brengit  yn  not  H- 
dar  über  auch  niemant  chain  erpermd  hant  J/'       dar  vmb  niemant  kain  erbermd 
hat  M^  21  geschraien  M'      wenne  mit  seyner  pfeyfen  geschrey  H'-      der  hei- 

schen pfiffen  schriyen  Berl  22  all  fehlt  AP       pint  er  euch  .¥'       sie  alle   an 

seynen  reyn  H'^      die  Bringet  vns  all  Berl  23  fg.  doran  dy  weyzen  czu  den 

sprangen  mit  den  toren  werden  gecwungen  H-      gezwungen  in  disen  Sprüngen  müsen 
varen  Berl  25  dises  tantzes  Berl      dezis  gemeldis  H-      gewelds  M'       geldes 

ÄP  26  sie  fehlt  Berl  E'      hie  ]\P  AP      ew  hie  ,¥"-       zu  allem  trauren  AP. 

I.     Die  Überschriften  fehlen  in  H-;    in  iJ*  nur  lateinische  Überschriften 
das  spricht  der  tod      das  spricht  der  paubst  nstv.  M^      der  tod  spricht  czem  pabst 
der  pabst  spricht  usw.  M^  1  uu  mcrckent  Berl     an  der  pfeiffen  M-     meynei- 

pawken  don  H"  (auf  dem  dazu  gehörigen  holxschnitt  trägt  der  tote  des  papstes  eine 
paulce,  die  in  Kl  B  durch  einen  totenhopf  ersetzt  ist)  2  hie  springen  H^  AP 

3  Ir  dorfet  keyns  dyspensiren  H'       tispatieren  Berl       disputieren  AP       Aispefierö 
JQB  4  an  den  tantz  füeren  Berl      zo  dem  tantz  füren  KIB  6  ich  lept 

auff  erd  genant  AI^. 

n.     1  ir  chaisser  AP  2  zepter  noch  Coron   j\r-      hie  fehlt  1/'       nicht 

wert  H-  3  bey  der  band  11'  4  rainen   AP. 


DKK    OBElJllEUXSClIK    VIEIi'ZKILIGE    iOTENTANZrEXT 


85 


Der  keiser. 
5    Jcli  kuud  das  reich  in  hoher  oren 
Mit  streit  und  fechten  wol  genieren, 
Nu  hat  der  tod  überwunden  mich, 
Das  ich  bin  weder  keiser  noch  menschen 

gleich. 
m.  Der  tod. 

Ich  tanze  euch  vor,  frau  keiserin. 
Springt  mir  nach,  der  rei  ist  mein. 
Die  sperbrecher  sind  von  euch  gewichen 
Der  tod  hat  euch  allein  erschlichen. 
Die  keiserin. 
5    AVollust  hett  mein  stolzer  leib, 
Do  ich  lebt  als  eines  keisers  weih. 
Nun  hat  mich  der  tod  zu  schänden  bracht, 
Das  mir  kein  freud  ist  mer  erdacht. 

IV.  Der  tod. 

Her  kunig,  euer  gewalt  hat  ein  end. 
Ich  wil  euch  füi'en  bei  der  heud 
An  diser  schwarzer  bruder  tanz. 
Da  gibt  euch  der  tod  einen  kränz. 
Der  kunig. 
:,    Ich  han  als  ein  kunig  gewaltiglich 
Die  weit  geregieit  als  rom  das  reich. 
Nun  bin  ich  mit  todes  banden 
Verstrickt  in  seinen  banden. 


V.  Der  tod. 
Springet  auf  mit  cuerm  roten  hut, 
Her  kardinal,  der  tanz  ist  gut. 

Ir  habt  gesegnet  wol  die  leien, 
Ir  müsst  nun  mit  den  toten  reien. 

Der  kardinal. 
Ich  was  mit  pabstlicher  wal 
der  heiligen  kirchen  kardinal. 
Nun  bin  ich  darzu  gezwungen  gar. 
Das  ich  tanz  an  des  todes  schar. 

VI.  Der  tod. 

Her  Patriarch,  nu  lat  euch  lingen, 
Ir  müst  mit  mir  den  reien  springen. 
Das  zwifache  kreuz  lat  fallen. 
Der  tod  wil  mit  euch  schallen. 

Der  Patriarch. 
Ich  han  das  zwifach  kreuz  getragen 
Als  ein  patriarch  bei  meinen  tagen. 
Nun  wil  der  tod  mich  zwingen 
Mit  seinen  gesellen  zu  springen. 

VII.  Der  tod. 

Seit  ir  in  hoher  wird  gesessen, 

Erzbischüf,  des  ist  gar  vergessen. 

Euch    kan    gelielfon    weder    kreuz    noch 

pfaffen. 
ir  müst  auch  tanzen  mit  disen  äffen. 


der  tantz   M'-'  KIB  3  sperber- 

entwichen M-  6  lob  J/'      des 

frund  H-. 


5  in  hochen  eren  Berl  M' M^  ]\P  6  streiten  M^  M^- ]\P     st(r)iten  KIB 

wol  geweren   Berl      ich   han    das  reich    in   hoch    er    mit   streiten   vnd    fechten   wol 
gewert  J\P  8  noch  einem  menschen  Berl      pin  geleich  ]\P. 

in.     2  nun  springt  M^      der  rat  ü^ 
brecher  M^      sperp'cher  Jl/'      von  fehlt  .1/* 
chaisers  M^  8  me  ist  M^      yst  nw  TP 

IV.  1  ein  fehlt  M^    pey  der  haut  AP    bey  den  henden  H-        3  Ze  diser  ^P 
In  diser  .¥'     dissen  swartzen  il/'      swarczen  H'  4  des  .1/'  5  das  römisch 
rieh  Berl      als  reyn  das  rieh  H- J\P  M^      vnd  das  reich  ]\P      mit  des  todes  Berl 
IP  M^  M":  M*      ser  verstricket  Berl      verstrickt  ser  KIB      pestreckt  .V-'      Nw  pin 
ich  mit  des  todes  banden  verstricket  vnd   (übergeschrieben!)  mit  seinen   panden  -1/'-. 

V.  4  vnd  must  //'-'       uu  fehlt  ^P  M'-       auch  mit  il/'       Nu   müst  ir   .1/^ 
mit  dem  tode  H-     an  den  rayon  M-        5  mit  der  pabstlicheu  wal  ^P        7  zwungen 
-U'  M"      bezwungen  M-  8  tanzen  müs  Berl      mues  tanczen   M'      der  todes 
schar  M'. 

VI.  1  gelingen  i¥' J/-  singen  IP  KIB  3  das  lat  Berl  M'  4  der 
tod  der  wil  mit  uch  ietz  schallen  Berl  dor  tod  wil  ewros  leyltes  walten  .17 '  {rgl. 
XI.  4)             G  mich  der  tod  Berl  IP  yP       des  bezwingen  Berl            7  und  mit  M'. 

VII.  1  er  gesessen  .!/•'  2  her  c-rtzbischof  Berl  das  Berl  :U'  nw  ver- 
gessen yp-          4  tanczen  ouch  //'-      mit  den  uffeu  J/'. 


8« 


Dor  erzbiscliof. 
Ich  trug  in  hoher  wirdigkeit 
Das  kreuz  vor  der  pfafheit, 
Als  ein  erzbischof  das  tragen  sol 
Nun  gen  ich  au  der  toten  zol. 

VIII.  Der  tod 

Habt  ir  mit  trauen  ie  hoch  gesprungen, 
Stolzer  herzog,  oder  wol  gesungen, 
Das  müst  ir  an  disem  reien  büssen. 
Wol  her,  lat  euch  die  toten  grüssen. 

Der  herzog. 
Ich  han  die  edeln  herren  wert 
Als  ein  herzog  geregiert  mit  dem  schwert. 
Nun  bin  ich  in  fechen  kleidern  glänz 
Gezwungen  an  des  todes  tanz. 

IX.  Der  tod. 

Euer  wird  und  er  hat  sich  verkert, 
Her  bischof  weis  und  wol  gelert; 
Ich  wil  euch  an  den  reien  ziechen, 
Da  ir  dem  tod  nit  mügt  entfliechen. 

Der  bischof. 
Ich  bin  wirdiglich  geeret  worden. 
Die  weil  ich  lebt  in  bischofs  orden. 
Nu  ziechen  mich  die  ungeschaffeu 
Zu  dem  tanz  als  einen  äffen. 


X.  Der  tod. 

Her  graf,  heist  euch  den  keiser  helfen. 
Ich  bring  euch  hie  zu  wilden  weifen, 
Mit  den  müst  ir  tanzen  bejagen. 
Der  tod  will  euch  des  nit  vertragen. 

Der  graf. 
Ich  was  in  der  weit  genant 
Ein  edler  graf,  dem  reich  bekant. 
Nun  bin  ich  von  dem  tod  gefeit 
Und  hie  an  seinen  tanz  gestelt. 

XL  Der  tod. 

Tanzt  mir  nach,  her  gugel  weit, 
Wie  wol  das  ir  ein  apt  seit, 
Ir  müst  des  todes  regel  halten. 
Der  wil  eures  leibes  walten. 

Der  apt. 
Ich  han  vil  münch  als  ein  apt  gelert. 
Streng  gezogen  und  wol  genert. 
Nun  wird  ich  selber  hie  gezwungen. 
Mit  des  todes  regel  gedrungen. 

Xn.  Der  tod. 

Her  ritter,  ir  seid  angeschriben, 
Dar  ir  ritterschaft  nu  müst  treiben 
Mit  dem  tod  und  seinen  knechten. 
Euch  hilft  weder  schimpf  noch  fechten. 

8  das  todes  zal  M' 


5  mit  hoer  wirdikeit  i7^        6  vor  aller  pfafheit  Berl 
nu  so  gang  ich  an  der  toten  zol  Berl      deser  toten  H'. 

VIII.  1  ie  mit  Berl  nu  mit  ]\P  hie  mit  KIB  2  wol  gelungen  KIB  (ist 
euch  wol  g'lungen  OrB)  3  des  M^  dem  rayen  3P  an  dem  mal  [verbessert  aus 
mue)  hie  M"^  an  dessen  rayen  hussen  i)/^  4  ab  den  toten  nit  grussen  M^  wie 
lust  uch  hie  diser  toten  grüssen  Berl     lust  uch  die  tote  zo  grussen  KIB        o  fert  H^ 

7  weehen  I'P     reichen  i¥^     leynen  R-      jm  fechten  worden  chranck  ilf  8  be- 
twungen  H'-      den  toten  IP. 

IX.  1  er  vnd  wirde  IP  4  ir  türft  holt  nimer  von  mir  suchen  IP 

8  tod  Berl  ]\P  3P  AP  KIB  (H'  lat.  morti). 

X.  2  ich  peiag  M-  hie  fehlt  J/^  hut  zu  wilden  weifen  Bet-l  zu  ewn 
weifen  M-'  3  tantzen  jagen  Berl  H^  tantzen  vnd  jagen  J/*  J^P  BAitzen  vnd 
jagen  KIB  mit  denen  ir  müst  H' J\P  M'-^  4  euchs  nit  ]\P  6  dem  reich 
wol  erchant  if      wol  bechant  M-         7  geuelt  2P         8  jn  seinen  tancz  H'^  j\P  AP 

gezelt  Berl  R-  AP  ^P  AP  KIB      vnd  vnd  Berl      hie  fehlt  j\P. 

XI.  1  nu  tantz  Berl  tantz  ]\P  2  wie  wol  ir  nu  Berl  4  er  wil  AV^ 
KIB  der  tod  wil  AP  Übersehrift:  der  münch  spricht  AP  6  gar  strenge 
dirczogen  R-  erzogen  AI'  gemert  R'^  M- AP  gewert  JI^  Berl  8  und  mit 
Berl  R-  AP  AP       vnd  pin  mit  M-. 

XII.  1  auch  angeschriben  AL-  2  das  ir  nu  rittterschaft  IP  R'^  da 
mit  ir  ritterschaft  M^  wan  ir  nu  die  ritterschaft  Berl  ?>  vnd  mit  ]\P  4  oder 
vechten  AP      stirmen  noch  fechten  KIB. 


DEK   OüEKDKÜTSClIF.    ViKRZEILKiE    TOTEXTAXZTEXT 


87 


Der  ritter. 
Ich  han  als  eiu  strenger  ritter  gut 
Der  weit  gedient  in  hohem  iiuit. 
Nun  bin  ich  wider  ritters  orden 
An  disen  tanz  gezwungen  worden. 

XIII.  Der  tod. 
Die  urteil  ist  also  gegeben, 
Das  ir  lenger  nit  solt  leben, 

Her  Jurist,  das  tut  des  todes  kraft. 
Müget  ir,  so  beweist  eure  nieisterscluift. 

Der  Jurist. 
Es  hilft  kein  apiDcIlieren  nit 
You  des  todes  letzstem  strit. 
Er  überwint  mit  seinem  geschlecht 
Das  weltlich  und  das  geistlich  recht. 

XIV.  Der  tod. 

Her  korpfaff.  habt  ir  gesungen  vor 
Süssen  gesang  in  euerm  kor, 
So  merket  auf  meiner  pfeifen  schal, 
Die  verkündet  euch  des  todes  fal. 

Der  korher. 
Ich  han  als  ein  korher  frei 
Gesungen  manch  lieblich  melodei. 
Des  todes  pfeif  stet  dem  nit  gleich; 
Sie  hat  gar  ser  erschrecket  mich. 


XV.  Der  tod. 
Her  arzat,  tut  euch  selber  rat 
Mit  euer  meisterlichen  tat. 

Ich  für  euch  zu  des  todes  gesellen, 
Die  mit  euch  hie  tanzen  wellen. 

Der  arzat. 
Ich  han  jnit  meinem  harn  schauen 
Gesund  gemacht  man  und  frauen. 
Wer  wil  mich  nun  machen  gesund? 
Ich  bin  zu  tode  wund. 

XVI.  Der  tod. 
Komet  her,  ir  edler  man, 

Ir  raüst  der  Sterke  pflegen  an 
Mit  dem  tod,  der  niemands  schont. 
Ligt  ir  im  ob,  euch  wirt  gelont. 

Der  edclman. 
Ich  han  manchen  man  erschreckt. 
Der  wol  mit  hämisch  was  bedeckt. 
Nun  erschreckt  mich  hie  der  tod 
Und  bringt  mich  in  die  jüngste  not. 

XVII.  Der  tod. 
Edelfrau  tanzt  nach  euerm  sinn, 
Bis  die  pfeif  rechten  ton  gewinn. 
Sie  hat  der  frauen  vor  vil  betrogen, 
Die  all  der  tod  hat  hingezogen. 

8  mit  disen  M'-      bezwungen  A[^. 


4  so  fehlt  il/i 
6  für  des  Berl 
8  das  geisthch   vnd 

3  vf  der  pfiffen  schal 
7  pfeiffen   M' 


5  als  fehlt  KIB  7  ich  fehlt  H' 

XIII.  1  das  ortil  i?'  2  nit  lenger  Berl  M^ 
bewert  M^  M-  M'            5  kein  appelliren   czu  dessir  czeit  IP 

leczten  zeytt  .1/'-'       hilft  vor  todis  harten  streyth  H' 
das  weltlich  recht  Berl  H-  ili'  M-  HP. 

XIV.  2  sus  gesang  Berl  KIB      Süsses  gesang  ]\P 
Berl  KIB  4   euch   hie  M^       wal  ]\P       G  loblich  M- 
vngeleich  M'  8  so  ser  H-  Berl  il/'  M-  iP  KIB. 

XV.  Überschrift:  tfimher  Berl  1  gept  euch  selber  gueten  rat  .1/- 

2  mit  ewr  maysterschaft  M'^  4  hie  mit  euch  2P        mit  uch  all  Berl       bie 

fehlt  M-  5  härm   M'  7  nu  machen  mich  Berl  H'-  HP   M'      nun   mich 

machen   HP  8   czu   dorne   todo   H-   .1/'        wan   ich   bin   zu   dem    tode  Brrt 

ja  den  tod  HP      verwunt  HP  HP. 

XVI.  1   tegen  Berl  KIB  2  pflegan   HP       au  f-hlt  Berl  HP  ^P  KUi 
eur   sterkin  HP  HP       ietz   der  Sterke  Berl       h   moiseu  he  mauheit  ptlegon  KIB 

4  legit  ir  nw  oben  W       vnd  ligent  ir  im  ob  Berl      ligt  ir  im  ob  jU'       vud 

euch   mit  ainem   solichen  schimpf  lont  .1/-       Ir  ligt  ve  (V)  im  ob  .1/'      Suligout  vch 

wurtht   gelont    KIB  0  mit  harnasch   wol   HP       der  wol  was    //'  7   \w 

fehlt  HP       nu   hat  bezwungen   mich   der  tod  Berl  8  yn  die  ougistiicho  not  //' 

an  die  jüngste  not  HV. 

XVII.  1  nu  tantzent  Berl       bas  //■       bis  da.s  ße/7       gewint  HP  Kl li 

4  die  allir  der  tod  //'       Überschrift:  Die  fraw  spricht  HP       Das  udelweib  HP. 


88 


Die  edelfrau. 
Ich  solt  treiben  juchzens  vil, 
Sech  ich  vor  mir  der  freuden  spil. 
Des  todes  pfeife  mich  betrügt, 
Dis  tanzgesaiig  hie  fälschHch  lügt. 

XVIII.  Der  tod. 

Her  kaufinami,  was  hilft  euer  erwerben? 
Die  zeit. ist  hie,  das  ir  müst  sterben. 
Der  tod  nimt  weder  miet  noch  gaben. 
Tanzt  mir  nach,  er  wil  euch  haben. 

Der  kauf  mann. 
Ich  het  mich  zu  leben  versorget  wol, 
Das  kisten  und  kästen  waren  vol. 
Nun  hat  dem  tod  mein  gab  verschmacht 
Und  mich  um  leib  und  gut  bracht. 

XIX.  Der  tod. 

Frau  nonne,  ir  dunket  euch  subtil, 
Dester  gerner  ich  mit  euch  tanzen  wil. 
Werfet  von  euch  den  scapular. 
Ir  müst  hie  mit  den  toten  farn. 


Die  nonne. 
Ich  han  in  dem  kloster  mein 
Got  gedient  als  ein  gewelltes  nünleiu. 
"Was  hilft  mich  nun  mein  beten, 
Ich  muss  des  todes  reien  treten. 

XX.  Der  tod. 

Hink  heran  an  deiner  krücken. 
Dein  ding,  das  wil  sich  gelückeu. 
Dich  haben  die  lebentigen  nit  für  gut. 
Der  tod  dir  besunder  gnade  tut. 

Der  krüpel. 
Ein  armer  geiler  hie  im  leben 
Zu  einem  freund  ist  niemant  eben, 
Aber  der  tod  wil  sein  freund  sein. 
Er  nimt  in  mit  dem  reichen  hin. 

XXL  Der  tod. 

Koch ,  du  kanst  gut  pfeffer  machen. 
Hupf  auf,  ich  wil  dich  wol  besachen! 
Die  vorn  an  dem  reien  schleichen, 


Den  mustn  pfeffer  einstreichen. 

5  -luckens  ^1/-  Juchiczeu  H"^  genugsam  ]\P  7  mich  also  Berl  betringt 
(rgl.  V.  3)  Berl  ]\P  HP       bezwingt  (aus  betvingt?)  KIB  8  sin  tantz  vnd   gesang 

Berl       der  tanczgesang  H^      des  tanz  gesang  ]\P  M^      Mingt  Berl  M^  M''  KIB. 

XVIII.  M-  setzt  den  hcmfinann  In'nter  die  klosterfrmi,  —  1  geworben 
Berl  J/-'  '  gewerb  if  gewerbe  M'-  2  das  fehlt  M^  3  gut  noch  gaben  H"^ 
HP  4  dantz  mir  noch  ich  will  dich  haben  Berl  Überschrift:  Der  reichmann 
spricht  J/'  6  das  schrein  vnd  kästen  H'-  das  chasten  vnd  chisten  M-  dy 
kisten  M'            7  der  tod  Berl  H-  J/'  M-  Jl!'            8  irnd  hat  mich  Berl  M'  M- 

von  lieb  vnd  uon  gut  J\P       vmb  leib  vnd  leben  M^. 

XIX.  1  fraw  mein  M'  gar  subtil  ÄP  2  dezen  reyen  ich  H'-  '.>  das 
scapulai-  -1/-  den  fehlt  AP  schapelern  Berl  .¥'  den  scapliern  ilf*  4  hin 
mit  71/'  mit  mir  vnd  den  Berl  hie  an  der  toten  schar  M-  Überschrift:  die 
nun  spricht  M^       die   chlösterfraw   ]\P       dye   nunn   HP       kloster  nun  Berl 

5.  G  Ich   han  in  dem  closter  mein  Got  dienet  ilf '       geweichtes  Berl  H-  3/'  j\P  il/^ 
KIB  7  mich  fehlt  M'^      an  des  todes  J\P. 

XX.  J\P  setxt  den  krüpel  hinter  den  koch  1  nu  hinck  her  mit  Berl 
her   nach  .1/^            2  das  fehlt  HP       dir  gelucken  Berl       3  leptigen  ]\P       lebenden 
IP            4  sunder  gnade  Berl       Ü  her  seit  rift :  krüpel  Berl       der  steltzer  spricht  HP 

der  petlär  HP       der  chrüpel  spricht  HP  5  Ayn  armer  pettler  in  dem  leben 

HP  6  was  ich   niemant  eben  HP       ist  niemant  geben  il/^  7   mein  fraind 

HP  8  mit  deti  reichen  Berl  HP  HP      mit  den  rechten  il/'       den   armen   mit 

dem  reichen  IP      Und  wil  in  (ich  übergeschrieben  niichPj  nemmen  mit  dem  reichen 
liin  (ein  übergeschrieben)  HI'-^. 

XXI.  1  gueter  .¥■  gute  i)feffirlyn  IP  2  hoppe  off  H-  wol  fehlt 
IP  HP  il/^  wol  besaichen  KIB  3  die  da  vornen  Bcvl  4  den  pfeffer  HP 
HP  KIB  den  saltu  pfoffirlyn  //'  den  müst  jn  den  den  pfeffer  M^  durchstrichen 
Berl  Hl'   Hl-       vgl.  duck  strichen  KIB. 


DER    OBElUiEUTSClIE    VIKKZKILIGK    TOTKNTANZTKXT 


89 


Der  koch. 
Ich  han  erlert  vil  pfoffersäck 
Und  gemacht  das  süss  geschleck 
Und  kunt  des  köstleins  doch  nit  finden, 
Dar  mit  ich  den  tod  möcht  überwinden. 

XXII.  Der  tod. 
Bäuerlein  mit  deinen  schuhen  grob, 
Rusch  her,  du  must  erwerben  lob. 
An  disem  tanz  dahinden 

Da  wil  der  tod  dicli  finden. 
Der  bauer. 
Ich  han  gehabt  aü  arbeit  gross. 
Der  schweiss  mir  durch  die  haut  üoss. 
Noch  weit  ich  gern  dem  tod  empfliehen, 
So  han  ich  des  gelücks  nit  hie. 

XXIII.  Der  tod. 

Kreuch  her.  du  must  hie  tanzen  lern. 
Wein  oder  lach,  ich  hör  dich  gern 
Hettest  du  den  dutteu  in  dem  mund, 
Es  hiüf  dich  nit  an  diser  sti;nd. 

Das  kind. 
0  we,  liebe  muter  mein, 
Ein  schwarzer  man  zeuclit  mich  dahin. 


Wie  wiltu  mich  also  verlanV 
Muss  ich  tanzen  und  kan  nit  gan? 

XXIV.  Der  tod. 

Nun  schweigt  und  lat  euer  kriegen. 
Lauft  dem  kind  nach  mit  der  wiegen. 
Ir  müst  alle  beide  an  diseu  tanz. 
Frau,  lacht,  so  wird  der  schimpf  ganz. 

Die  muter. 
0  kind,  ich  wolt  dich  haben  erlost 
So  ist  empf allen  mir  der  trost. 
Der  tod  hat  das  für  kernen 
Und  mich  mit  dir  genommen. 

Der  prediger  hie  her  nach. 
O  ii-  tödlichen  menschen  all, 
Die  der  falschen  weit  wolt  wolgefallen. 
Bedenkt,  wie  das  ende  sei, 
Und  merkt,  was  künftig  ist  dabei. 
Zu  dem  ersten  gehört  wie  und  wenn. 
Das  letzt  ist  zwiefaltig  benennt. 
Wa  die  stat  zu  bleiben  ist. 
Der  tod  euch  allen  das  end  beweist. 
Aber  wie  oder  wenn  des  todes  zeit 
Komen  sol,  des  enwist  ir  nit. 


ü  viel    süss  geschlek  Berl  ili'    J/^       manch   süsse  gelecke   II'  <    vnd 

kau  M'  das  chöstiein  M'  Berl(KlB?J  doch  feJilt  H- M-  vnd  kond  doch  Berl 
M^  AI-  (KIB?)  nye  fynden  H'  nie  gefinden  M''  ....  kudich  des  kostlyns 
(zeile  rorn  -verstümmelt)  H'. 

XXII.  2  rawsche  H"-  rasch  M'  4  wil  dich  der  tot  1  —  4  ganz 
abweichend  in  Berl:  purlin  mit  grosen  seh  riehen  do  binden  (zur  äbergesclirieben)  mag 
ich  nit  erwinden.  du  must  mit  disen  an  den  tantz.  erst  so  ist  der  reig  gantz. 
Überschrift:  das  pewerleiu  ]\P  6  durch  min  antlit  flos  Berl  7  nun  wolt 
ich  .1/^  8  so  mus  ich  an  disen  tantz  zicchen  Berl  5  —  8  in  H'  fast  yanx 
Im  druck  verstümmelt. 

XXIII.  1  nu  chreuch  ,1/^    her  an  H'    hie  fehlt  Berl  M'  MUUB    ye  .1/- 

2  ich  han  3/'  3  vnd  betest  Berl  4  es  hilft  H"-  5  Awe  H"  7  nun  wiltu 
M^     nw  vorlan  IP        8  nun  miiss  Berl  H' ]\P  M-     noch  nicht  gan  Berl  U"- M-. 

XXIV.  3  alle  fehlt  M-  M'      jetz  baide  .1/^'      an  den  tantz  Berl  .1/'  ^1/=* 

4  nu  lachent  Berl  G  nw  ist  //-  S  vnd   hat   5erl  .1/'   .1/-       vnd   liat   midi 

vnd  dich  i/*       hin  geuumen  Berl  M'-. 

Die  zweite  predigt  fehlt  in  H'      i'bcrsrhrifl :   das  ist  die  ander  predig  M^ 
dy  ander  predig  .1/-'      Überschrift  fehlt  in  Berl         1  torlicheu  Berl        2  der  bösen 
Berl      die  fehlt  M'  .V- J/^"      wolt  fehlt  M'  M'  .1/'      wolgefalie  .1/' -1/'      wolgefallen 
frhlt   .!/•'         3  gedenkt  Berl  M'  .1/- .1/'         f)  vnd  niclit  was  .1/'      künftig  .si  Berl 
0  ich  zwifaltig  benenn  J/'  .V-  .1/^       icli  luii  zwifoltig  benenn  Vrrl        7  die  sint  .1/* 
wan   hio   stat  sein  beleihen  nicht  .1/'  8  end  fehlt  .1/'  !>•  10  aber  wie 

vnd   wan  die  zeit  des  todes  kumen  Sol  das  wissen  wir  nit   firrl  10  d;is  .1/'    M' 

Jf      wist  ir  M'  M-. 


90 


Es  wirt  erkaut  euch  allen  heit, 
Was  jederman  dar  nach  ist  beschert, 
Umb  das  unkundig  ist  die  stat, 
Wa  jederman  sein  bleiben  hat. 

15  Das  alles  wirt  an  den  werken  hangen, 
Die  in  diser  weit  sind  begangen. 
Dar  umb  solt  ir  von  sünden  lan, 
"Wolt  ir  zu  dem  ende  gan, 
Des  ir  alle  seid  begirlich, 

20  Und  ist  darzu  wissentlich, 
Das  der  himel  wird  den  frunieu, 
In  das  feur  die  bösen  kamen. 

Die  dritte  predig.*) 

0  mensch,  sich  wie  du  tust, 
"Wann  in  der  erd  du  faulen  must. 
Du  warst  nie  so  hoch  oder  so  weis, 
Du  must  werden  der  würm  speis. 
5    Gedenk,  du  must  manchen  schönen  tag 
Ligen  und  faulen  in  dem  grab. 


Und  niemand  nit  weiss  von  dir. 

0  armer  mensch,  wes  warten  wir? 

Wir  wissen  weder  zeit  noch  stund. 

Morgen  tot,  heut  gesunt. 

Niemant  weiss  seins  lebens  frist 

Als  lang,  als  ein  kleines  weilen  ist. 

AVir  warten  des,  das  niemand  sieht, 

das  uns  herz  und  leben  zerbricht. 

0  mensch  ker  von  sünden  und  ruf  an 

Mariam,  die  dir  helfen  kan. 

Geb  got  dein  sei,  der  dir  sie  gab, 

So  machstu  an  dem  jüngsten  tag 

Vor  got  frölich  erstan, 

Wiltu  von  sünden  lan. 

Das  helf  mir  Maria,  dein  werter  nam, 

Wan  dich  rufen  alle  sünder  an. 

Der  tod  spricht. 
0  mensch,  sich  an  mich. 
Was  du  bist,  das  was  ich. 
Auch  sich,  wie  recht  jämerlich 
Die  würm  beissen  umb  mein  fleisch. 
Sich  mein  freund  kriegen  umb  das  gut. 
Sie  enruchen,  wie  mein  arme  sei  tut. 


Der  lateinische  text  von  H^. 

Der  erst  'prediger. 

0  vos  viventes  htiiiis  miindi  sapientes, 
Cordibus  apponite  dtio  verba  Christi:   Venite! 
Kee  non  et:  Ite!    Per  prinnim  ianua  vitae 
lustis  erit  nota,  sed  per  aliud  quoqiie  porta 
Inferi  monstratiir :  sie  res  diver sificattir. 
Gaudia  rel  pene  sine  fine  sunt  ibi  plene. 
Hinc  voce  sana  nos  hortor  spernere  vana. 
Tempus  7iamque  breve  vivendi,  postea  vae  vae 
Mors  geminata  parit,  sua  nulli  vis  quoque  parcit. 
Fistula  tartarea  vos  iungit  in  una  ehorca, 
Qua  licet  inviti  saliunt  ut  stulti  periti. 
Haee  ut  pictura  docet  exemplique  figura. 


1]  bekaut  Berl    es  wirt  nicht  erchant  allen  heren  J/'        12  jemant  il/*  .!/•' 
das  ist  weschert  ]\P  13  wan  das   M-^      vnkünt  M^  M^  14  da  jederman 

M^         15  in  den   werken  M^       wie  alles  au   den   werken  wird  hangen  Berl 
16  gegangen  Jl/'  17  von  den  sünden  M-      welcher  zu  M^  19  das  ir  sint 

all  Berl      alle  zeit  J]/'  20  das  wissenlich  Berl    wol  wissentleich  W- M'- M^ 

20  vnd  jn  das  hellisch  fewer  M'-. 

*)  Die  „dritte  predigt^'  ist  nur  in  ]\P  erhalten.  In  derselben  hs.  stehen 
hinter  der  xtveiten  predigt  noch  ß  verse,  die  fast  gatiz  unleserlich  geworden  sind. 
Sie  beginnen:  0  werlt  des  tancz  hat  niomant  zeit  oder  zil  Tliid  nyemaiit  ways  wenn 
der  pfeiffer  auf  pfeiffen  wil. 

14  hercze  leben  zerpricht. 


DEU   OBERDEUTSCH!';    VIEKZKILIGE   TüTENTAiNZTEXT  91 

lte))i  alius  doctor  depictus  jyredicando  in  opposita  parte  de  eontemptu  mundi. 
0  vos  mortalcs,  perversi  nnmdi  sodales, 
Fiiiem  pcnsate  qiie  futura  considerate, 
Qiudibus  ad  priinum  fempusqtce  requiritur  inmvi. 
Pro  loco  dnplatiir,  tibi  fines  perpetuahir. 
Mors  horrenda  nimis  est  cunctoriwi  quoque  ßnis. 
Qiialiter  aut  qitando  venerit,  manet  in  dubitando. 
Sic  etiam  dura  noscuntur  inde  futura 
Propter  ignotum  remanendi  locum  quoque  totum. 
Pendet  a  factis  in  isto  mundo  pcractis. 
Ergo  peccare  desistite,  si  proper are 
Ad  fineni  cupitis  optatuni,  nam  l)ene  scitis, 
Quod  caelwn  dignis  locus  est,  sed  fit  malis  ignis. 

I.    Pap  a. 
Sanetus  dicebar,  nulluni  vivendo  verebar. 
Frivole  minc  ducor  od  mortem,  vane  reluctor. 

II.    Caesar. 
Culmen  imperii  vincendo  magnißcavi, 
Mortc  sum  victus,  non  caesar,  non  homo  dictus. 

III.    Caesarissa. 
Deliciis  usa  vivens  ut  caesaris  uxor, 
Morte  confusa  nullis  modo  gaudiis  utor. 

IV.    Rex. 
Ut  ego  rex  urbein ,  sie  rexi  non  minus  orheni. 
Nunc  miser  in  penis  mortis  constringor  linbenis. 

V.    Cardinalis. 
Ecclesiae  gratus  fiii  ^jc»'  papam  piliatus; 
Mortis  protervam  nunc  stringor  adire  eatervam. 

VI.    Patriarcha. 
Dupliei  signatus  eruce  sum,  patriarcha  vocatus, 
Et  mortis  dirae  cogor  consortes  adire. 

VII.    Ärchiepiscopus. 
Doctriyia  fultis  hoc  signum  praetidi  niultis, 
Metropolitanus  nunc  cum  vanis  ego  vamis, 

Vin.    Dux. 
Nobiles  eduxi,  quorum  dux  ipse  rclitxi, 
Sed  nunc  ut  adeam  cogor  cum  morte  choream. 

IX.    Episcopus. 
Praesiil  egregins  venefabar  hie  quasi  diii(.-<. 
Heu  nunc  distorti  pracsumunt  nie  dare  morti. 

X.    Com  es. 
Kohilis  imperii  conies  in  mundo  rrputal/is. 
Morte  nunc  perii  corisantibus  associatus. 


I'EIISE,    DKR    OBEKDKÜTSCHE    VIERZEILIGE    TOTENTÄNZTKXT 

XI.  Äbbas. 

Ut  2intei'  arctavi  monachos  et  optime  pavi, 
Nunc  egoviet  stringor  et  mortis  regida  cingor. 

XII.  Miles. 
Strenuits  in  arniis  deduxi  gandia  carnis. 
Contra  iura  mea  diicor  in  ista  Chorea. 

XIII.    lurista. 
Xo/i  iuvat  appello  de  mortis  tdtiino  hello; 
Sitccumhunt  iura  legesque  siib  ista  figura. 

XIV.    Ca  n  0  n  Ic  u  s. 
In  choro  cantavi  vielodias,  quas  adamavi. 
Discrepat  iste  sonus  et  mortis  fistida  tonus. 

XV.    Medicus. 
Curavi  tiiultos  iuvenes  mediocres  aduUos. 
Quis  modo  me  curat?    Mihi  mors  contraria  iurat. 

XVI    Nohilis. 
Armis  consortes  in  vita  terrui  fortes; 
Nunc  mortis  terror  me  terret,  ultinms  error. 

XVII.    Nobilissa. 
Plaudere  deberem,  si  ludicra  vitae  viderem, 
Fistida  tue  fallit  mortis,  quae  dissona  psallit. 

XVIII.    Mercator  seu  cives. 
Vivere  speravi  thesauros  elaboravi, 
Munera  mors  spernit,  ab  amicis  me  que  secernit. 

XIX.  Monialis. 

In  claustro  grata  servivi  Christo  velata. 
Quid  valet  orare,  ine  mors  itibet  hie  corisare. 

XX.  Mendicus. 
Pauper  mendicus  viventi  turpis  aniicus 
Marti  carus  erit,  illuni  cum  divite  quaerit. 

XXI.    Cocus. 
Ferrula  condita  quamvis  in  mundo  paravi. 
Paptiis  n  vita  mortem  miniine  superavi. 

XXII.    Rusticus. 
Hie  in  .sudore  vixi  magnoque  labore; 
Non  minus  a  morte  fugio  contraria  sorte. 

XXJTT.    Puer  in  cunabulo. 
0  cara  mater,  me  vir  a  te  trahit  ater, 
Debeo  saltare,  qui  nunquam  scivi  meare. 

XXIV.    Mater. 
0  fili  care,  quae  te  volui  liberare, 
Morte  praeventa  saliendo  sumque  retenta. 

liTIR(i    HEI  MAGDEBURU.  WILHELM    FEHSE. 


GEIGET?,    rrilLOLOGEXVKKSAMMLt'N'ti    IX    BASEL    1007  9r! 

Bericht   über  die  verliaiulluii^en  der  j^erinaiiislischeii  seetion  der  IJ).  versaiuinliinj? 
deutscher  philolog'eii  uud  sohiilniUiiner  zu  IJasel. 

Die  erste  sitzunj;  der  gennauistischen  (4.)  section  der  versaniiiiluug-  deutscher 
Philologen  und  Schulmänner  fand  dienstags,  den  24,  September  1907,  naclimittags  2'  .,  uhr 
im  concertsaale  der  musLkschule  statt.  Prof.  dr.  John  Meier -Basel,  als  erster  obniann 
des  vorbereitenden  ausschusses,  begrüsst  die  anwesenden  mitglieder  und  gedenkt 
hierauf  der  männer.  die  der  deutschen  Sprachforschung  seit  der  letzten  tagung  ent- 
rissen wurden,  vorab  Moritz  Heynes,  der  von  1870  — 1883  als  nachfolger  Wilhelm 
"Wackeraagels  erfolgreich  in  Basel  wirkte.  Die  section  erhebt  sich  zur  ehiung  der 
verstorbenen  von  den  sitzen. 

Prof.  dr.  Ernst  Martin  -  Strassburg  beantragt,  die  beiden  obmänner  des  vor- 
bereitenden ausschusses  prof.  dr.  .Tohn  Meier -Basel  und  prof.  dr.  Albert  Gessler- Basel 
zu  Vorsitzenden  der  section  zu  ernennen,  was  die  Versammlung  beschliesst.  Die 
schriftführung  übernehmen  nach  dem  vorschlage  der  obniiinner  dr.  Ernst  Jenny -Basel 
und  dr.  Emil  Geiger- "Wohlen. 

Der  erste  Vorsitzende  teilt  mit,  dass  die  herren  prof.  dr.  Edward  Schröder- 
Marburg  und  prof.  dr.  Roman  Wörner- Freiburg  i.  Br.  am  erscheinen  verhindert  seien, 
was  die  Streichung  der  beiden  vortrtäge  „Die  ältesten  münzbezeichnuugen  der  Ger- 
manen" (Schröder)  und  „Zur  kunstlehre  des  jungen  Goethe:  die  notwendige  Unwahr- 
heit der  form"  (Wörner)  zur  folge  hat. 

Die  reihe  der  vortrage  eröffnet  prof.  dr.  Andreas  Heusler-Berlin.  Er 
spricht  über:  „Metrischen  stil  in  stabreimender  und  endreimender  zeit." 
Die  kernfrage  der  versforschung:  wie  sprechen  wir  die  verse?  kommt  in  den  schrift- 
lichen abhandlungen  nicht  immer  zu  ihrem  rechte;  mündliche  vortrage  der  verschie- 
denen metrischen  Standpunkte  böten  eine  weit  bessere  grundlage  zur  beurteilung.  Der 
vortragende  will  an  drei  vei'schiedenen  metrischen  stilen  der  deutschen  versgeschichte 
das  kennzeichnende  formgefühl  aufzeigen. 

Der  „jambisch -trochäische"  stil  bedeutet  dem  rhythmus  der  prosa  gegenüber 
ausgleichung  und  herabsetzung  der  natürlichen  coutraste.  Die  empfindung  des  gleich- 
bleibenden von  vers  zu  vers  ist  hier  besonders  stark.  Der  lateinisch -romanische 
Versbau,  der  diesem  princip  seit  alters  folgte,  hat  schon  im  9.  Jahrhundert  auf  den 
deutschen  reimvers  eingewirkt.  Aber  es  entstand  zunächst  keine  copie,  sondern  eine 
charakteristische  metrische  familie,  die  in  der  mitte  stehen  blieb  zwischen  dem 
exnltet  edelum  U'mdibüs  und  der  Mtern  germanischen  form:  dem  altdeutschen  vers 
(füllungsfreier  viertakter). 

Eine  vergleichung  von  knittelversen  Goethes  und  Ilartmanus  von  Aue  mit 
jambisch -trochäischen  versen  zeigt  die  Verschiedenheit  der  sprachstilisierung  der 
beiden  familien:  hier  strebt  die  spräche  nach  einer  schmeidigiuig  der  contraste,  dort 
wird  der  prosarhythmus  nach  Seiten  der  Steigerung  stilisiert,  und  die  zeitliciien  gegen- 
sätze  verstärkt.  Mau  lese  z.  b.  die  zeile:  und  dieses  herz  fühlt  wider  jugend- 
lich einmal  als  prosa,  dann  in  alternierenden  rhythmen,  endlich  als  fiillungsfreicn 
viertakter,  um  den  unterschied  klar  zu  hören. 

Was  diesen  zweiten  stil  vom  ersten  abhebt,  eben  diese  eigensihaften ,  in  or- 
höhtem  grade  genommen,  zeichnen  den  dritten  stil,  den  altgernianischon  aus.  Wi« 
in  diesem  ein  eigenes  formgefühl  waltet,  i.st  gut  zu  vordeutlidion  an  sprirhwörtorii 
wie:  Wenn  der  wei'n  niedersitzt,  so  schwimmen  die  wörtö  einpur;  di'r 
mensch   d.nkt,   CVtt  lenkt.     Der   vi<Tgliedngo    „nlfdetit.scho  vers"   ist  schmieg- 


94  n  EIGER 

samcr  als  der  zweigliedrige  altgcnnaüischc;  an  vier  stellen  liauii  er  ciucu  vollen 
uachdrucksgipfel  aufnehmen.  Die  eigentlieho  marke  des  altgermanischen  versstiles 
ist  die  schroffe  rangabstufuug,  die  höchst  ungleiche  aufteilung  der  versdauer  an  die 
einzelnen  Silben;  sie  kommt  namentlich  in  den  überlangen  des  ersten  verstaktes  zur 
geltung:  stä'tt  und  stunde  heissen  den  dieb  stehlen  (cf.  ahd.  hina  miti 
Deotrihhe).  Der  Stabreim  selbst,  der  nicht  ein  aufgeklebter  zierat  ist,  sondern 
ein  gipfelbildner,  stärkt  diese  herrische  zeitliche  contrastierung.  Die  gesteigerte, 
erregte  spräche  der  episch -hymnischen  dichtung,  aber  auch  der  scharfe  nachdruck 
der  Spruchpoesie  kommen  erst  bei  dieser  rhythmisierung  wahrhaft  zum  ausdruck. 
Der  häufige  logisch -syntaktische  gleichlauf  heischt  diese  gliederung;  so  bringt  z.  b. 
die  priamelstrophe  Häv.  81:  At  |  kveldi  skal  |  dag  leyfa,  |  konu,  er  |  brend 
er,  I  nnr^ki,  er  |  reyndr  er,  |  mey,  er  |  gefin  er,  |  Is,  er  |  yfir  k0mr,  |  ol,  er 
drukkit  er  diesen  altgermanischen  rhythmenstil  unserm  gefühle  mit  einer  unmittel- 
baren Selbstverständlichkeit  nahe. 

Der  vortragende  bringt  mit  V(^luspastrophen  die  getragen  -  sangbare  art,  mit 
Heliandzeilen  die  rhetorisch  bewegte  art  des  epischen  masses  zu  gehör.  Das  Hilde- 
brandslied steht  in  der  mitte.  Trotz  seinen  formfreiheiten  ist  dieser  deutsche  dichter 
ein  besonders  ausdrucksvoller  rhythmiker:  mehrere  verse  (z.  b.  hwer  sin  fater 
wari)  bringen  den  besondern  sinn  ihrer  stelle  zu  schlagender  Wirkung  und  sind  zu- 
gleich typisch  für  den  gegensatz  zwisclien  altgermanischem  und  altdeutschem  vers- 
stile.  Der  meisterhafte  vertrag  ausgewählter  teile  des  gedichtes  brachte  die  stimmungs- 
volle abwechslung  und  den  wolklang  dieser  mächtigen  rhythmen  zu  voller  Wirkung.  — 
Eine  discussion  fand  nicht  statt. 

Hierauf  erhält  prof.  dr.  Alois  Brandl-Berlin  das  wort  zu  seinem  vortrage 
über  „die  G,otensage  bei  den  Angelsachsen".  Es  sind  gründe  persönlicher  und 
wissenschaftlicher  natur,  die  den  vortragenden  zur  behandlung  des  themas  drängen. 
Persönlich  nämlich  ist  ihm  der  Sagenkreis  Dietrichs  von  Bern  von  Jugend  auf  vertraut, 
und  er  möchte  ihn  deshalb  ungern  in  der  englischen  litteratur  missen,  wissenschaft- 
lich aber  hält  er  die  gegen  den  bestand  der  sage  vorgebrachten  argumente  nicht  für 
stichhaltig.  Er  begründet  seinen  Standpunkt  durch  eine  kritik  der  abhandlung  von 
prof.  dr.  Binz:  Zeugnisse  zur  germanischen  sage  in  England  (Paul,  Braune 
Beiträge  bd.  20, 141fgg.),  der  namentlich  das  fehlen  altenglischer  eigennamen,  die  dem 
gotischen  Sagenkreise  entnommen  sind,  für  einen  beweis  der  geringen  Verbreitung 
dieser  sagen  in  England  hält.  Dem  gegenüber  macht  der  vortragende  durch  den 
hinweis  auf  das  ähnliche  verhalten  der  namengebung  gegen  andere  nachweislich  weit- 
verbreitete sagen  geltend,  dass  die  eigennamen  überhaupt  kein  wesentliches  kriterium 
für  die  feststellung  der  Verbreitung  einer  sage  sein  können.  Wol  darf  man  aus 
dem  häufigen  vorkommen  eines  namens  schliessen,  dass  der  Sagenkreis,  dem  er  an- 
gehört, grosse  Popularität  geniesst,  andererseits  aber  ist  das  fehlen  der  namen  kein 
stichhaltiger  beweis  für  das  fehlen  des  betreffenden  Stoffes  in  irgend  einem  gebiete. 
Ob  ein  name  populär  wird  oder  nicht,  muss  noch  durch  andere  gründe  als  nur  die 
Volkstümlichkeit  der  quelle  bedingt  sein,  da  z.  b.  auch  Hengest  und  Horsa  nur  spär- 
lich in  der  englischen  namengebung  sich  vorfinden.  Ferner  ergibt  die  kritische  durch- 
sieht der  alt-  und  mittelenglischen  litteratur  eine  ganze  anzahl  belege  dafür,  dass  tat- 
sächlich die  kenntnis  der  (lotensage  vorausgesetzt  werden  muss.  Ja,  der  umstand, 
dass  diese  meist  nur  als  knappe  andeutungen  auftreten,  scheint  darauf  hinzuweisen, 
dass  die  sage  allgemein  bekannt  sein  musste,  weil  sonst  derartige  anspielungen  nicht 
verstanden  worden   wären.     Endlicli  führt  der  vortragende  einige  neue  oder  anders 


rmi.OLOGENVKRSAMMLTTXG    IM    nASET.    1907  95 

aufgefasste  Zeugnisse  an,  die  als  weitere  beweise  für  eine  grössere  verblei tun^'  der 
(ioteusage  liei  den  Angelsachsen  dienen  können.  iSo  wird  in  Aelfrcds  Bo('thiusüber- 
setzung  Dietrich  als  ein  Amelunge  bezeichnet,  in  Deors  klage  Dietrichs  härte  getadelt; 
ferner  finden  sich  in  einem  mittelenglischen  Wace-fragment,  sowie  in  Walther  Maps 
Nngae  curialium  züge  der  Gotensage  vor. 

Auf  grund  der  mitgeteilten  erwägungen  und  belege  schliesst  der  vortragende, 
dass  die  Gotensage  auch  bei  den  Angelsachsen  wie  bei  allen  Germanen  im  mittclpunkte 
der  heldeuüberlieferung  stand  und  in  der  hauptsache  bereits  mit  den  heidnischen 
eroberern  im  (5.  Jahrhundert  über  den  kanal  gelangte.  Für  eine  weite  Verbreitung 
sprechen  die  zeitlich  grosse  ausdehuung  der  einzelnen  zei;gnisse  und  ihr  auftreten  an 
verschiedenen  orten  und  bei  verschiedenen  Volksschichten,  ferner  auch  der  umstand, 
dass  sich  die  Verfasser  jeweilen  mit  aphoristischen  andeutungen  begnügen. 

Aus  dieser  saclilago  ergibt  sich  aber  auch  einiges  licht  füi'  den  zustand  der 
Gotensage  auf  dem  festlande  in  jener  zeit.  Die  gestalt  Dietriclis  von  Bern,  der  52G 
starb,  muss  bereits  wenige  Jahrzehnte  nach  seinem  tode  ins  übermenschliche  ge- 
steigert und  nnt  dem  keim  zu  jenen  drachen-  und  elbengeschichten  ausgestattet 
worden  sein,  mit  denen  sie  im  15.  Jahrhundert  im  Heldenbuch  erscheint. 

An  den  Vortrag  knüpft  sich  eine  lebhafte  discussion.  "Während  einige  redner 
den  Vortrag  prof.  Brandls  in  einzelheiten  ergänzen,  erklärt  jn-of.  Binz- Basel,  dass 
er  heute  manches  anders  fassen  würde  als  vor  12  jähren.  Er  legte  damals  auf  das 
vorher  nicht  beachtete  kriterium  der  eigennamen  vielleicht  etwas  zu  viel  gewicht,  glaubt 
aber  doch  noch,  dass  die  Gotensage,  deren  existenz  bei  den  Angelsachsen  angesichts 
der  litterarischen  Zeugnisse  nicht  zu  bestreiten  ist,  sich  nicht  der  gleichen  beliebtheit 
erfreute,  wie  auf  dem  continent,  wo  sie  im  mittelpunkt  der  ganzen  heldensage  steht.  — 
Nach  einon  kurzen  Schlussworte  prof.  Brandls  wird  die  sitzung  geschlossen. 


Die  zweite  sitzung  fand  Mittwoch,  den  25.  September,  vormittags  statt  und 
zwar  gemeinsam  mit  der  romanistischen  section,  die  der  versitzende,  prof.  dr.  Albert 
Gessler-Basel,  begrüsste. 

Hierauf  besprach  prof.  dr.  Carl  Voretzsch-Tübingen:  „Die  neuern 
forschungen  über  die  deutschen  Rolandsbilder".  Die  deutschen  Roland- 
standbilder, die  sich  in  einer  anzahl  niederdeutscher  städte  befinden,  locken  den 
Philologen  zur  genauem  betrachtung,  bieten  aber  ihrem  wesen  nach  nicht  ein  philo- 
logisches, sondern  ein  rechtshistorisches  problem  dar.  So  haben  sich  denn  vor  allem 
Juristen  und  historiker,  ausserdem  noch  mythologen  und  nur  vereinzelt  philologen 
mit  der  lösung  beschäftigt.  Der  redner  gibt  nun  eine  knappe  Zusammenfassung  der 
bisherigen  forschung. 

Erst  der  archivrat  Georg  Sello  stellte  die  forschung  über  die  Rolandbilder 
auf  festen  boden.  Sein  Rolandkatalog  (1890)  sichtet  das  material  und  seheidet  alle 
bildwerke,  die  den  namen  zu  unrecht  tragen,  aus.  Nach  ihm  sind  die  Rolandbilder 
ursprünglich  königsbilder,  speziell  bilder  des  städtegründers  Otto  1.,  die  besonders 
unter  litterarischen  einflüssen  den  namen  Roland  nach  dem  paladin  Karls  des  grossen 
erhielten.  R.  Schröder  dagegen  vertritt  die  ansieht,  dass  die  statuen  an  die  stelle 
ehemaliger  marktkreuze  getreten  sind,  also  Symbole  der  marktberochtigung  darstellen. 
Eine  ähnliche  Symbolwandlung  vertritt  F,  Keutgen,  nur  liält  er  die  statuen  für  so- 
genannte Gerichtsrolande,  die  an  stelle  der  die  Stadtgerichtsbarkeit  anzeigenden  friede- 
kreuze getreten  sind.    Noch  weiter  geht  der  rechtshistorikcr  Kii'tsclil .  d<'i  dio  figuren 


9()  OEIGEK 

selbst  als  urspi  üuglicJi  ansieht,  als  Verkörperung'  der  dauerudeu  gerichtsherrschaft  des 
fürstlichen  stadtherrn  über  die  Stadt.  Mythologisch  deutet  die  bilder  Paul  Platen, 
der  darin  alte  Donarbilder,  neuerdings  Tiu-Sahsnotbilder  erblickt. 

In  ein  völlig  neues  Stadium  trat  die  forschung  durch  die  sogenannte  Spielroland- 
theorie, gleichzeitig  aufgestellt  von  dem  historiker  Heidma un  und  dem  germanisten 
Jostes.  Beide  leiten  den  Wahrzeichen-Roland  von  der  im  Rolandspiel  als  ziel  dienenden 
drehügur  .ab  und  führen  diese  auffällige  Umwandlung  der  bedeutung  auf  die  kecke 
fälschung  des  Bremer  ratsherrn  Hemeling  zurück,  der  1404  den  im  jähre  1366  ver- 
brannten hölzernen  Spielroland  durch  einen  steinernen  ersetzen  Hess  und  diesen  durch 
den  auf  den  schild  aufgezeichneten  freiheitsspruch  im  verein  mit  fälschung  von  Ur- 
kunden und  der  stadtchronik  zum  träger  städtischer  freiheiten  machte.  Heldmann 
hält  aber  das  Rolandspiel  für  eine  genaue  nachahmung  der  sterbescene  Rolands  im 
epos,  während  Jostes  darin  vielmehr  das  französische  quintainespiel  erblickt  und  den 
namen  der  spielfigur  aus  ihrer  drehbarkeit  (rotttlare-roider=Yo\leu)  erklärt,  der  volks- 
etymologisch an  Roland  angelehnt  wurde. 

Soweit  die  bisherige  forschung.  Tritt  mau  vorurteilslos  an  die  frage  heran,  so 
ist  wol  name  und  weseu  der  figur  zu  trennen,  denn  das  wesentliche  sind  die  Stand- 
bilder selbst,  während  der  name  erst  auf  späterer  Übertragung  beruhen  kann.  Allein 
da  selbst  die  ältesten  Überlieferungen  keinen  klaren  aufschluss  über  die  bedeutung 
der  Statuen  geben,  bleibt  wol  nur  die  wähl  zwischen  den  verschiedenen  hypothesen, 
von  denen  Seilos  auffassung  der  Rolande  als  königsbilder  und  die  von  Rietschi,  Keutgen 
u.  a.  vertretene  deutung  als  gerichtssymbole  die  ansprechendsten  sind.  Für  die  letztere 
spricht  vor  allem  der  Sachsenspiegel,  dessen  richterbilder  und  Vorschriften  über  die 
kleiduug  der  richter  und  Schoppen  auffällig  mit  dem  typus  der  Rolandstandbilder  über- 
einstimmen. Gegen  die  deutung  der  statuen  aus  spielfiguren  spricht  schon  der  total 
verschiedene  typus,  dann  aber  auch  die  von  Walther  Stein  nachgewiesene  tatsache, 
dass  die  Hemelingschen  fälschungen  erst  nach  1419  möglich  waren,  also  zeitlich 
nicht  mit  der  errichtung  des  steinernen  Rolandes  zusammenfallen. 

AVas  nun  den  namen  der  Gerichtsrolande  betrifft,  so  liegt  hier  gewiss  eine  anspie- 
lung  auf  den  epischen  Roland  vor,  schwieriger  aber  ist  die  erklärung  dieser  tatsache,  weil 
handschriften  deutscher  Rolanddichtungen  in  Niederdeutschland  offenbar  nicht  so  häufig 
waren,  dass  sie  die  popuIarität  des  beiden  zu  erklären  vermögen.  Ebensowenig  gibt 
die  namenforschung  aufschluss,  da  der  name  von  haus  aus  deutsch  ist  und  unabhängig 
von  der  litterarischen  Überlieferung  fortgepflanzt  wurde.  Gegen  eine  blosse  Über- 
tragung des  namens  von  den  Spielrolanden  auf  die  Wahrzeichen-Rolande  spricht  der 
umstand,  dass  das  spiel  selbst  ursprünglich  Roland  hiess. 

So  ist  der  name  der  richterfigur  noch  nicht  befriedigend  gedeutet.  Der  vor- 
tragende vermutet  im  auschlusse  an  die  forschungen  Seilos,  dass  die  auf  Karl  den 
grossen  zurückgeführten,  118G  urkundlich  bestätigten  Privilegien  der  stadt  Bremen 
das  mittelglied  bildeten.  Da  die  richterfigur  stets  als  symbol  städtischer  gerichts- 
freiheit  galt,  hielt  man  sie  auch  für  ein  Sinnbild  jener  Vorrechte.  Es  ging  nun  aller- 
dings aus  äussern  gründen  nicht  an,  das  Standbild  für  dasjenige  Karls  des  grossen  zu 
halten,  und  so  trat  sein  erster  paladin  als  Stellvertreter  für  ihn  ein.  So  könnte  der 
name  vielleicht  auf  gelehrter  oder  halbgelehrter  deutung  beruhen,  da  die  bezeichnung 
der  figur  nicht  unbedingt  popuIarität  voraussetzt. 

In  seinem  Schlussworte  nach  der  discussion  vertrat  prof.  Voretzsch  nochmals 
einer  abweichenden  hypotliesc  dr.  Seelmanns -Bonn  gegenüber  den  standi)unkt,  dass 
die  statue  und  nicht  die  säulo  das  wesentliche  sei. 


rim.OLOGENVEIJSAMMIJ'NG    IN    n.\SEL    19117  97 

Prof.  dr.  Karl  Bohnenberger-Tübiiigea  teilte  hierauf  iu  seinem  vurtragu 
„Über  mundartengrenzen"  die  wichtigsten  resultate  seiner  forschungen  mit.  Die 
eingehenden  wortgeographischen  Untersuchungen  auf  dem  gebiete  des  alemannischen 
haben  allgemeine  ergebnisse  über  mundartengrenzen  geliefert.  Die  grenze  des  ale- 
mannischen erseheint  gegen  uachbarmuudarten  entweder  als  einheitliche  linie 
oder  als  zone,  und  zwar  tritt  diese  letztere  entweder  als  linienbündcl  oder  als  völlige 
Zerstreuung  der  linien  auf.  Die  Ursachen  dieses  grenzverlaufs  lassen  sich  in  weitgehendem 
niasse  aufzeigen:  grenzlinien  wie  zonen  stimmen  zum  teil  mit  heutigen  confessions- 
grenzen,  meist  aber  mit  ehemaligen  besitzgrenzen  überein.  Es  besteht  also  zwischen 
politisclier  und  sprachlicher  grenze  ein  ursächlicher  Zusammenhang.  Die  geschicht- 
lichen grenzen  zerfallen  nun  in  zwei  gruppen:  eine  jüngere  gruppe  aus  der  zeit  des 
ausgehenden  mittelalters ,  die  bis  zur  auflösung  des  reiches  fortbestand  und  zum  teil 
noch  iu  der  heutigen  confessionsgrenze  fortlebt,  und  eine  ältere  gruppe,  bestehend  aus 
den  grenzen  der  lierzogtümer  (bezw.  stamme)  und  der  daraus  erwachsenden  gebilde. 
Dabei  sind  nun  die  Jüngern  grenzen  der  ersten  gruppe  als  die  zeitlich  näher  liegenden 
von  grösserer  Wirksamkeit-,  die  bedeutnng  der  älteren  grenzen  liegt  darin,  dass  da,  wo 
sie  mit  den  heutigen  politischen  grenzen  zusammenfallen,  die  mundartgrenzen  verstärkt 
werden.  In  andern  fällen  hat  zwar  zuerst  die  alte  hcrzogtumsgrenze  als  verkehrs- 
grenze  sprachscheidend  gewirkt,  -ilit  ihrem  erlöschen  haben  aber  benachbarte  jüngere 
besitzgrenzen  die  Sprachgrenze  an  sich  gezogen,  gewöhnlich  die  zunächst  liegenden, 
obschon  auch  Übergang  an  fernere  zu  beobachten  ist.  Immerhin  lässt  sich  feststellen,  dass 
die  abweichungen  von  der  alten  grenze  nicht  allzu  grosse  sind;  die  heutige  grenze 
der  alemannischen  mundart  folgt  im  allgemeinen  der  alten  hcrzogtumsgrenze  recht 
genau.  Auch  für  die  innere  gliederung  einer  mundart  erweisen  sich  die  Jüngern 
besitzgrenzen  als  massgebend.  Neben  den  geschichtlichen  Ursachen  wirken  an  der 
gestaltung  der  Sprachgrenze  auch  die  natürlichen  Verkehrshindernisse  mit  (gebirge, 
flüsse,  Wälder  usw.);  das  mass  dieser  beeinflussung  ist  aber  schwerer  zu  bestimmen. 
Proben  auf  ausseralemannischem  gebiet  haben  volle  Übereinstimmung  mit  dieser  gesamt- 
lage  gezeigt  und  daher  die  allgemeine  bedeutung  der  hier  gewonnenen  ergebnisse  gestützt. 

Anschliessend  an  den  Vortrag  wies  prof.  dr.  Louis  Gauchat -Zürich  auf  die 
förderung  hin ,  welche  die  mundartenforschung  der  französischen  Schweiz  den  deutschen 
Untersuchungen  verdankt. 

Nach  der  gemeinsamen  sitzung  tagte  die  germanistische  section  noch  allein, 
um  die  ausführungen  von  prof.  dr.  Fridrich  Pfaff  -  Freiburg  i.  Br.  über  „Die 
Tannhäusersage"  anzuhören.  Die  entwickelte  Tannhäusersage  ist  in  den  verschie- 
deneu fassungen  eines  alten  Volksliedes  und  in  der  volkssage  vom  Yenusberg  bei 
Uffhausen  im  Breisgau  überliefert.  Den  besten  tcxt  des  liedes  bietet  ein  druck  von 
Jobst  Gutknecht  in  Nürnberg  aus  dem  Jahre  l.ölö  (Uhlaud,  Volkslieder  1,  2,  297), 
Dieser  text,  der  unter  die  besten  deutschen  balladendichtungen  zu  zählen  ist,  hat 
aber  ein  bedeutend  höheres  alter  als  der  druck.  Neben  dieser  fassung  linden  sich 
im  ganzen  deutschen  Sprachgebiete  zahlreiche  neuere  poetische  bearbeitungen  der  sage^ 
die  aber  alle  teils  duVch  auslassungeu ,  teils  durch  Zusätze  entstellt  sind.  Der  uanie 
des  sagenhelden  ist  verändert  oder  ganz  vergessen,  und  statt  des  erlobnisses  mit  der 
göttin  Venus  erwähnen  diese  lieder  nur  grosso  sünden.  Dagegen  stellt  die  Komfahrt 
im  Vordergrund. 

Die  sage  von  Uffhausen  erzählt  Heinrich  Schreiber  in  seinem  Taschonbucii 
für  geschichte  und  altortum  in  Süddeutschland  (1839).  Eine  vorhöho  des  Schönberges 
bei  Froiburg  i.  P.r ,  nahe  bei  Uffhausen,  heisst  der  Vuniislierg  (Fiiiisliorg).    Ein  ritter 

ZEIISCHRIFT    K.    OKUnSCHK    fUll.OLOOlK.       HU.  XL.  7 


98  GEIGEK 

von  der  nahen  Schneebui'g  zog  nach  Rom,  um  lossprechung  von  seinen  schweren 
Sünden  zu  erlangen.  Diese  wird  vom  papste  verweigert:  eher  soll  dessen  dürrer  stab 
rosen  tragen.  Der  ritter  kehrt  heim  und  stürzt  sich  verzweifelnd  in  den  offenstehenden 
Venusberg.  Nach  zwei  jähren  trägt  der  stab  rosen.  Der  papst  sendet  der  witwe  bericht, 
man  gräbt  im  bei'g  und  findet  den  ritter  tot.  Zum  saal  der  Venus  ist  man  aber  nie- 
mals gelangt.     Also  auch  hier  fehlt  das  Vorspiel  im  Venusberg. 

Die' vollständige  sage  zerfällt  in  drei  grandstoffe:  1.  erlebnisse  Tannhäusers. 
2.  sage  vom  Venusberg.     3.  legende  vom  stabwunder. 

Der  held  ist  ohne  zweifei  der  minnesinger  Tannhäuser,  der  um  die  mitte  des 
13.  Jahrhunderts  dichtete.  Seine  heimat  steht  nicht  fest,  und  seine  Schicksale  kennen 
wir  nur  aus  seinen  gedichteu.  Danach  war  er  ein  leichtlebiger  geselle,  der  auf  aben- 
teuerlichen reisen  das  heilige  land  besuchte,  nach  Cypern  kam  und  bei  Kreta  einen 
Schiffbruch  erlitt.  Die  gestalten  der  atitike  waren  ihm  nicht  ganz  fremd,  nennt  er 
doch  Venus.  Pallas.  Medea,  Sibylla  in  seinen  liedern;  auch  der  nekromantie  will  er 
kundig  sein.  Warum  sich  nun  die  sage  vom  Venusberg  an  ihn  anschloss,  lässt  sich 
nur  vermuten.  Da  er  auf  Cypern,  dem  heiligtum  der  Venus,  war,  kann  er  wol  eine 
grotte  der  Venus  besucht  haben.  Die  erzählung  seiner  abenteuer  deutete  dann  die 
wundersüchtige  zeit  um. 

Die  fahi'enden  Schüler  des  späteren  mittelalters  brüsteten  sich  damit,  sie  hätten 
im  Venusberg  die  schwarze  kunst  gelernt.  Solcher  Venusberge  und  Feneslöcher,  in 
denen  die  weisse  frau  wohnt  und  die  Fenesleute  (zwerge),  gibt  es  in  Deutschland  viele, 
der  echte  aber,  der  Sibyllenberg,  liegt  in  Itahen  bei  Norcia  im  herzogtum  Spoleto. 
Von  ihm  berichten  manche  Schriftsteller,  vor  allem  Antoine  de  la  Salle  (geb.  1387) 
in  seinem  ^Salade",  einer  erziehungsschrift  für  Johann  von  Anjou,  den  söhn  könig 
Renes.  Er  hat  den  zauberberg  selbst  besucht  und  ein  der  Tannhäusersage  ähnliches 
abenteuer  vernommen.  Dass  nun  in  Deutschland  der  name  Venus  in  der  bezeichnung 
des  berges  auftritt,  hängt  damit  zusammen,  dass  hier  die  antike  göttin  durch  die 
Vagantendichtung  früh  bekannt  wurde.  Da  Venus  aber  nach  der  aussage  fahrender 
Schüler  zugleich  die  lehrmeisterin  der  schwarzkunst  ist,  lag  es  nahe,  sie  der  an- 
tiken Sibylle,  die  im  berge  bei  Norcia  haust,  und  mit  der  weissen  frau  der  deutschen 
sage,  deren  aublick  dem  menschen  Unglück  bringt,  gleich  zu  setzen.  So  wird  der 
Sibyllenberg  in  Italien  zum  Venusberg  umgedeutet  und  mit  allen  eigenschaften  der 
deutschen  zauberberge  ausgestattet. 

Die  strenge  des  papstes  gegen  Tanuhäuser  hat  oft  Verwunderung  erregt.  Sie 
ist  aber  nur  ein  ausfluss  der  uralten  auffassung,  dass  der  anblick  des  heiligen  dem 
menschen  verderblich  sei.  Deshalb  gilt  auch  die  gemoinschaft  mit  götterhaften ,  unter- 
irdischen gewalten  für  unheilvoll.  Tannhäuser  hat  sich  dem  elbischen  wesen  ergeben 
und  ist  darum  nach  menschlicher  auffassung  verloren.  Nur  ein  göttliches  wunder 
kann  ihn  retten:  das  stabwunder.  Es  ist  der  ausdruck  der  göttlichen  erwählung,  was 
Aarons  priesterwahl  und  Josephs,  des  Zimmermanns,  grünende  rate  beweisen.  So  ist 
der  biblische  Ursprung  des  vvunders  ziemlich  sicher. 

Alle  diese  bestandteilc  waren  im  14.  Jahrhundert  vorhanden  und  bekannt. 
Ihre  Zusammenfassung  ergab  die  Tannhäusersage,  die  dann  je  nach  den  örtlichen 
Verhältnissen  gewisse  umdoutungen  erfuhr.  So  war  z.  b.  in  Uffhausen  i.  Br.  neben 
der  erzählung  von  den  un taten  der  Schneeburger  die  sage  verbreitet,  es  wohne  eine 
weisse  frau  im  berge,  die  wol  die  menschen  zu  sich  hineinlocke,  aber  nicht  mehr 
hinauslasse.  Die  fertige  Tanuhäuser,sage  brauchte  nur  als  lied  oder  erzählung  in  die 
gegend  zu  dringen,  um  sich  mit  leichtigkeit  hier  anspinnen  zu  können. 


PHILOLOGENVERSAMMI-rNT.    IX   BASp;L    1907  99 

In  der  discussion  tarnen  einige  abweichende  crklärungen  des  bergnamens  zur 
spräche.  Vor  allem  wurde  auf  die  an  einigen  orten  auftretende  form  Venisberg  auf- 
merksam gemacht,  welche  auch  eine  deutung  nach  der  Stadt  Venedig  zulasse,  spielte 
diese  doch  im  mittelalter  als  mittelpunkt  des  handeis  auch  im  norden  eine  grosse  rolle. 
Diesen  abweichenden  meinungen  gegenüber  beharrt  prof.  Pfaff  auf  seiner  auffassung 
und  verweist  dabei  auf  die  bald  erscheinende  buchausgabe  seiner  forschun^reu. 


Die  dritte  sitzung  hielt  die  gernianistiscbe  section  gemeinsam  mit  der 
romanistischen  und  englischen  abteilung  donnevstag,  den  26.  September,  vormittags  ab. 
Nach  einigen  einleitenden  worten  des  Vorsitzenden  prof.  dr.  Stengel-Greifswald 
spricht  prof.  dr.  Baist-Frciburg  i.  Br.  über  „Arabische  beziehungen  vor  den 
kreuz  Zügen."  Was  das  mittelalter  von  den  Arabern  erlernt  hat,  ist  fast  durchweg 
unabhängig  von  den  kreuzzügen.  Vieles  ist  älter,  einiges  mit  unrecht  als  arabisch 
betrachtet  worden.  Lasurstein,  seidenzucht  und  baumwolle  haben  die  Griechen  nach 
Italien  gebracht,  daher  italienisch  bambagia,  deutsch  wams.  Der  maschenpanzer 
ist  germanisch  alt  einheimisch.  Das  Schachspiel  kennen  die  spanischen  Christen  im 
10.  Jahrhundert.  Die  arabischen  werter  im  altern  französischen  epos  kommen  aus 
Spanien,  so  mesquin,  adouber,  usw..  nur  den  namen  des  admirals  (Emir)  brachten 
die  Griechen.  Der  vortragende  weist  die  richtigkeit  seiner  auffassung  an  der 
geschichte  zahlreicher  Wörter  nach.  Vermittlungsstelle  war  in  erster  linie  die 
katalanische  mark. 

Da  eine  discussion  nicht  beliebt  wird,  erteilt  der  versitzende  prof.  dr.  Eduard 
Wechssler-Marburg  das  wort  zu  einem  vortrage  über  „Mystik  und  minne- 
gesang**.  Mannigfach  sind  die  Wirkungen,  die  der  erste  krouzzug  auf  die  bevölkerung 
des  abendlandes  ausgeübt  hat.  Der  begeisterte  entschluss,  das  grab  des  herrn  zu 
befreien,  steigert  das  religiöse  fühlen  der  menschen  des  ausgehenden  11.  Jahrhunderts, 
so  dass  sich  das  rehgiöse  ideal  des  gottmenschen  in  jener  zeit  seiner  Verwirklichung 
nähert.  Und  doch  liegen  gerade  in  diesem  dränge  nach  dem  osten  die  anfange  einer 
künftigen  Wandlung  der  lebensanschauungen,  denn  neue  erfahruugen  in  bis  jetzt  un- 
bekannten gebieten  erweitern  den  gesichtskreis  der  kreuzfahrer,  vergleiche  werden 
augeregt  und  führen  zur  Zerstörung  mancher  Illusion.  Der  mensch  tritt  aus  den 
engen  schranken  seiner  bisherigen  Wirkungsstätte  in  die  weite  weit  hinaus,  und 
während  er  bis  jetzt  als  kuecht  der  kirche  tief  von  seiner  innern  abhängigkeit  durch- 
drungen war,  regt  sich  schon  am  anfange  des  12,  Jahrhunderts  der  freiheitsdrang  des 
individuums.  Dieses  erwachen  der  persönlichkeit  hat  aber  nachhaltige  folgen :  neben 
dem  kirchlichen  ideal  der  weltflucht  entsteht  ein  neues  lebensideal, 
das  der  cortesia  (kurtoisie)  oder  hövescheit.  Die  ersten  regungen  dieser 
neuen  anschauung  zeigen  sich  auf  altitalieniscbem  culturboden;  seine  ausbildung  aber 
erhält  das  neue  ideal  zuerst  in  ausgeprägter  weise  an  den  südfranzösischen  fürsten- 
höfen.  Von  hier  dringt  es  dann  nach  norden  vor  und  ergreift  auch  die  östUch  vom 
Rheine  sesshaften  Völker. 

Worin  liegt  nun  das  wesen  dieses  neuen  Ideals?  Es  ist  ein  orgobnis  der 
Wanderung  sowol,  wie  der  erfahrungen  im  fremden  lande.  Das  gemoiiLsamo  reisen 
zwingt  zu  rücksiohten  und  führt  so  zu  einer  Verfeinerung  der  Umgangsformen.  Das 
neue  ideal  ist  also  in  seiner  wurzel  ein  wesentlich  ästhetisches.  ,\llein  das  .streben 
nach  harmonischer  ausbildung  der  ganzen  persönlichkeit  ist  in  seiner  Wirkung  nicht 
auf  das  gebiet  des  rein  ästhetischen  beschränkt,  denn  die  ausbildung  aller  fähigkeiteu 
bedingt    nicht    nur  cultur    des  geistes,    sondern    auch    pflege    dos    körpers,    und    so 


100  GEIGER 

schliesst  sich  der  riss,  don  das  frühe  iiiittelalter  zwisuhen  leib  und  seele  immer 
betonte.  Aus  dieser  ausbildung  der  gauzen  persönlichkeit  zur  mögHclisten  voUeudung 
ergibt  sich  so  mit  notwendigkeit  ein  sittlicher  grundzug:  aus  der  neuen  sitte  erspriesst 
eine   neue  Sittlichkeit,  und  das  ästhetische  ideal  erhält  zugleich  ethischen  charakter. 

Ausdruck  findet  diese  neue  weltauffassung  nun  im  niinnesang,  dem  das  ideal 
der  kurtoisie  recht  eigentlich  zu  gründe  liegt.  Wenn  der  minnesänger  das  lob  seines 
herrn  singt,  oder  seine  herrin  als  ein  vorbild  edler  Weiblichkeit  hinstellt,  so  tut  er 
es  stets  im  hinblick  auf  das  neue  ziel.  Untermischt  wird  dessen  Verherrlichung  mit 
Zügen  der  damals  herrschenden  gesellschaftlichen  Ordnung:  zur  kurtoisie  tritt  das 
lehenswesen  ergänzend  hinzu,  weshalb  freigebigkeit  und  geiz,  treue  und  falschheit 
als  Vorzüge  bezw.  mängel  des  rechten  ritters  erscheinen. 

Allein  aus  den  weltlichen  Umgangsformen  schöpft  der  niinnesang  doch  nur  eine 
ader  seines  reichen  bornes,  denn  mit  dem  streben  nach  persönlicher  ausbildung  regt 
sich  auch  die  Sehnsucht  nach  persönlichem  erleben  vor  allem' der  religiösen  tatsachen. 
Ist  aber  eine  zeit  tief  innerlich  erregt,  so  nimmt  dieses  erleben  gefühlsmässigen 
Charakter  an,  es  wird  zur  mystischen  einfühlung  in  die  gottheit.  Dieser  mystische 
zug  ist  nun  dem  miunesaug  im  hohen  masse  eigen,  waren  doch  den  minnesängeru 
philosophische  probleme  überhaupt  nie  fremd  gewesen.  Sie  waren  meist  geschulte 
kleriker,  wol  unterrichtet  im  trivium  und  quadrivium  und  vielleicht  auch  der  trockenen 
scholastischen  formen  überdrüssig.  Man  sollte  nun  allerdings  eine  mystische  kirchen- 
lyrik  erwarten.  Allein  eine  solche  war  nicht  im  sinne  der  kirche,  und  das  publicum 
wollte  sie  nicht  hören.  So  blieb  dem  troubadour  nur,  das  gebiet  der  weltlichen  dich- 
tuug,  in  das  er  nun  seine  eigenen  anschauungen  überträgt.  Das  zwölfte  jahrliundei-t 
ist  die  blütezeit  dieser  weltlichen  lyrik  mit  mystischem  grundzug.  Sie  wird  durch 
den  Marienkult  des  dreizehnten  Jahrhunderts  abgelöst,  der  also  wesentlich  jünger  als 
der  minnesang  ist. 

So  ist  also  nicht  das  dogma,  sondern  die  mystik  die  entscheidende  religiöse 
grundlage  des  miunesangs  geworden.  1141  stirbt  Hugo  von  Saint-Yictor,  1153  Beru- 
hard von  Clairvaux,  und  um  die  gleiche  zeit  singen  die  bekanntesten  troubadours. 

Im  wesen  der  mystik,  die  als  ein  hinausstreben  der  seele  aus  dem  endlichen  ins 
unendliche  durch  die  kraft  der  liebe  bezeiclinet  werden  kann,  liegt  zwar  nicht  not- 
wendig ein  gegensatz  zum  dogma,  denn  die  mystik  ist  nur  eine  methode  der  gottes- 
erkenntnis;  sie  will  die- religiösen  Wahrheiten  auf  intuitivem  wege  erfassen.  Allein  in 
diesem  persönlichen  erleben  liegt  doch  auch  schon  ein  zur  loslösuug  drängendes  momeut, 
und  dem  kirchentreuen  Franz  von  Assisi  stehen  meister  Eckhart  und  Böhme  als  abtrün- 
nige gegenüber,  wie  in  diesem  zusammenhange  auch  der  Albigenser  zu  gedenken  ist. 

Ein  gemeinsamer  zug  eint  lyrik  und  mystik:  beide  setzen  ein  tiefes,  eigenes 
erleben  voraus.  Im  mystischen  erlebnis  liegt  so  schon  viel  poetischer  gehalt  ver- 
borgen. Umgekehrt  aber  wird  dort,  wo  die  mystische  grundstiinmung  vorhanden  ist, 
auch  das  nichtreligiöse  eiiebnis  durch  diese  richtung  beeinüusst  werden;  der  dichter 
wird  seine  zustände  durch  das  medium  der  mystik  schauen.  Das  ist  im  niinne- 
sang der  fall.  Das  mystische  liebesgefühl  führt  zur  Vergöttlichung  der  frau,  das 
reale  liebesleben  erhält  einen  schwärmerisch -religiösen  charakter:  es  entsteht  eine 
eigenartige  höfische  religion.  Folgende  züge  lassen  sich  als  wesentliche  äusserungen 
dieser  Wandlung  anführen: 

Die  liebe  des  minuesängers  ist  nicht  mehr  bloss  sinnliche  leidenschaft,  sondern 
liebe  von  seele  zu  seele.  Darin  liegt  es  begründet,  dass  nicht  nur  die  körperliche 
.Schönheit  der  frau,  sondern  auch  ihre  sittlichen  Vorzüge  entscheiden. 


rniLOI,00i:XVKI?SiMMLUNTr    IN    MASKL    1007  101 

Dem  mystiscli  schauenden  ist  das  leben  ein  träum.  "Wo  er  mit  ihm  in  bcrüh- 
rung  kommt,  empfindet  er  es  als  last.  Darauf  geht  die  empfindsamkeit  dos  minnc- 
sängers  zurück,  der  mit  tränen  nicht  sparsam  umgeht.  Ein  schwermütiger  klang 
tönt  aus  manchem  liede. 

Der  mystischen  neigung  der  dichter  vordankt  der  minnesang  seine  bedeutung, 
denn  das  persönliche  erleben  hat  individuelle  gefühlsaussprache  zur  folge.  So  tritt 
der  minnesang  selbständig  neben  die  objective  epische  dichtung  als  ein  künstlerischer 
ausdruck  der  einzelempfindung.  Damit  hängt  es  zusammen,  wenn  der  dichter  sich 
öfter  am  Schlüsse  nennt.  Er  bezeugt  dadurch,  dass  er  das  eigene  erleben  für  wert- 
voll hält. 

Auch  in  formaler  hinsieht  wirkt  die  neue  richtung  belebend,  denn  in  die  zeit 
des  minnesangs  fallen  die  ersten  versuche  einer  psychologischen  analyse  des  persön- 
lichen erlebnisses. 

Das  wesentliche  organ  des  künstlers  wie  des  mystikers  ist  das  innere  äuge, 
der  oculus  cordis.  Nicht  auf  äussere  Vorzüge  kommt  es  vor  allem  an,  sondern  das 
herz  soll  sehen.  So  spielt  in  die  Sehnsucht  nach  der  vollkommenen  frau  die  Sehn- 
sucht nach  dem  göttlichen  hinein. 

Voraussetzung  des  mystischen  fühlens  ist  die  Überzeugung  einer  höhereu  ein- 
heit,  der  alle  wesen  als  glieder  augehören.  Es  gilt,  über  die  sinnlichen  unterschiede 
hinweg  das  gemeinsame  band  zu  erkennen.  So  glaubt  der  minnesänger  an  eine 
Seelen  Verwandtschaft,  an  ein  übergehen  des  einen  weseus  in  das  andere,  ohne  dass 
körperliche  nähe  nötig  ist.  Auch  wenn  die  geliebte  ferne  weilt,  lebt  er  in  ihr:  er  ist 
„verdacht".     Ausserlich   zeigt  sich  dieses  aufgehen  im  andern  in  seiner  befangenheit. 

Zielpunkt  mystischen  fühlens  ist  so  die  extase,  das  heraustreten  der  seele  aus 
dem  endlichen  ins  unendliche,  das  aufgehen  in  gott.  Wie  dieser  auf  den  religiösen 
mystiker  wirkt  die  herrin  auf  den  mystisch  ergriffenen  dichter  ein.  Der  frauendienst 
wird  zum  frauencult.  So  wird  der  liebesbegriff  umgedeutet:  der  liebe  zu  gott  ent- 
spricht hier  die  liebe  zur  herrin.  Wol  herrscht  noch  äusserliche  begriffseinheit,  in- 
haltlich aber  zeigt  sich  hier  doch  ein  tiefer  gegensatz  zwischen  minnesang  und  kirche, 
der  die  angriffe  der  letztern  wol  begreiflich  macht. 

Aber  auch  hier  wird  die  ästhetische  richtung  zugleich  zur  ethischen,  denn  nach 
Augustins  prädestinationslehre  kann  nur  der  gute  lieben.  In  der  extase  liegt  so 
-f.hon  ihre  rechtfertigung  mit  eingeschbssen. 

Mannigfach  dringen  so  die  anschauungen  der  niystik  in  die  lyvik  ein ,  und  erst 
'Ue  beginnende  cultur  der  renaissance  hat  eine  neue  auffassung  der  persönlichkeit 
begründet.  Als  letzter  zugleich  abschliessender  Vertreter  dieser  dichtung  erscheint 
Dante,  dessen  grosser  kunst  eine  aussöhnung  zwischen  kirche  und  poesie  dadurch 
gelingt,  dass  er  den  licbesdienst  zur  allegorie  und  die  liebe  zur  herrin  zum  tiefen 
Symbol  der  gottesliebe  umdeutet.  —  Eine  discussion  fand  nicht  statt. 

Der  Vorsitzende  erteilt  hierauf  prof.  dr.  Ernst  Martin-Strassburg  das  wort. 
Der  redner  macht  auf  den  umstand  aufmerksam,  dass  die  litterarischeii  Zeugnisse 
der  tiersage  fast  vollständig  gesammelt  sind,  während  die  bildlichen  darstollungen 
noch  einer  sichtung  bedürfen.  Er  bittet  daher  um  gefällige  mittcilungon  über  bildor, 
sculpturen  usw.,  die  Stoffe  der  tiersage  zum  gegenständ  haben,  da  eine  geschichto 
dieses  stoffkreises  einer  ergänzung  durch  die  orforschung  dieser  d((nkmäler  bedarf. 

Nach  dieser  gemeinsamen  sitzung  hörte  die  germanistische  section  noch  den 
Vortrag  des  pri vatdozenten  dr.  Friedrich  Wilhelm  -  München  über  „Fabuli- 
<tische  quellcnangal)en  bei  mittelhochdeutscliou  dicIitiTii".    Da  die  arboit 


102  GKIOER 

in  erweiterter  gestalt  demnächst  in  Paul  und  Braunes  beitragen  erscheint,  beschränkt 
sich  der  redner  auf  die  mitteilung  der  wichtigsten  resultate  seiner  forschung. 
"Wolfram  von  Eschenbach  beruft  sich  Parzival  453,  ll%g.  auf  Kyot  als  seine  quelle, 
der  seinerseits  wider  in  Toledo  aus  dem  werke  des  beiden  Plegetanis  nacbrichten 
über  den  heiligen  Gral  gescliöpft  haben  will.  Passt  mau  diese  (juellenaugaben  als 
blosse  fiction,  nimmt  man  also  an.  Wolfram  berufe  sich  nur  zum  scheine  auf  einen 
gewährsmänn,  um  seinen  angaben  mehr  gewicht  zu  verleihen,  so  haftet  an  dem 
edlen  dichter  der  makel  des  betruges.  Der  vortragende  will  einen  entlastungsbeweis 
versuchen. 

Er  geht  dabei  von  der  tatsache  der  bücherauf findung  bei  grabesöffnuugen  aus. 
Gewiss  wurden  dabei  gelegentlich  wertvolle  mauuscripte  entdeckt,  die  hohe  preise 
erzielten.  Allein  dieser  umstand  verlockte  zu  fälschungen,  indem  man,  um  den  wert 
eines  werkes  zu  steigern,  auffindungsgeschichten  fingierte.  Es  ist  in  diesem  zusammen- 
hange etwa  an  die  fabelhaften  bücher  des  Numa  oder  an  byzantinische  memoiren  der 
trojanischen  beiden  zu  erinnern.  Der  gleichen  absieht  dient  es,  wenn  in  heiligen - 
und  mönchslegenden  berühmte  Verfasser  als  quellen  auftreten.  Es  sollen  diese  fictionen 
das  vertrauen  des  lesers  erwecken,  und  man  hat  deshalb  die  Versicherungen,  die 
Verfasser  sprächen  die  lautere  Wahrheit,  nicht  mit  dem  heutigen  kritischen  massstabe 
zu  messen.  Die  zahl  der  solche  fingierte  angaben  enthaltenden  prologe  und  epiloge 
ist  sehr  gross.  Bahnbrechend  für  ein  derartiges  vorgehen  war  aber  im  neunten  jahr- 
liundert  Hinckmar  von  Reims,  der  für  seine  Vita  Sancti  Remigii  wenige  gerettete 
l)lätter  eines  verlorenen  buches  benützt  haben  will.  Die  quellenfälschung  des  alter- 
tums  wird  so  auch  auf  das  mittelalter  übertragen,  und  im  ganzen  abendlande  bedienen 
sich  jetzt  die  hagiographen  dieses  reclamemittels.  Von  der  geistlichen  litteratur  aus 
greifen  diese  fälschungen  auch  auf  die  weltliche  über;  es  wird  geradezu  brauch, 
fingierte  quellen  zu  eitleren,  so  dass  niemand  darin  etwas  anstössiges  erblickt.  Im 
Ortnit  A,  in  den  ersten  sechs  Strophen  des  Wolfdietrich  D,  im  Jüngern  Titurel, 
beim  Stricker  finden  wir  solche  fabelhafte  angaben,  weshalb  Wolframs  verhalten 
durchaus  nicht  vereinzelt  dasteht.  Daraus  ergeben  sich  nachstehende  Schluss- 
folgerungen : 

Die  weltliche  litteratur  des  mittelalters  folgt  dem  alten  brauche,  unwahrschein- 
liches durch  fingierte  quellenangabeu  glaubhaft  zu  machen.  Vermittelt  wurden  diese 
fälschungen  vor  allem  durch  die  Spielleute  und  die  hagiographische  litteratur.  Das 
jnittelalter  hielt  derartige  fictionen  für  erlaubt.  Wolfram  von  Eschenbach  macht 
keine  ausnähme,  sondern  bedient  sich  wie  seine  Zeitgenossen  dieses  mittels,  um  seine 
hörer  durch  fabelhafte  angaben  von  Vertrauensmännern  zu  fesseln.  Ein  Vorwurf 
darf  ihm  deswegen  nicht  gemacht  werden,  denn  er  folgt  darin  nur  einem  brauche 
seiner  zeit. 

Erster  Verhandlungsgegenstand  der  4.  (schluss-)sitzung,  freitag,  den  27.  Septem- 
ber, war  ein  bericht  von  pro  f.  dr.  John  Meyer-Basel  über  den  stand  des  deutschen 
Wörterbuches,  das  nach  dem  beschluss  der  philologenversammlung  zu  Halle  (october 
1903)  bis  zur  Vollendung  auf  jede  tagungsliste  der  germanistischen  section  zu  setzen 
ist.  Der  referent  erinnert  bei  diesem  anlasse  w'ider  an  den  tod  prof.  Moritz  Heynes, 
dessen  abieben  eine  empfindliche  lücke  in  der  redaction  des  Wörterbuches  hinterlassen 
hat.  Das  reichsamt  des  inuern  stellte  sich  deshalb  die  frage,  wie  das  werk  nach 
diesem  Verluste  weiterzuführen  sei  und  kam  zu  dem  eutschlusse,  die  sache  des 
Wörterbuches    der  preussischen  academie  der  Wissenschaften  angelegentlich  zur  för- 


PlIILOLOUENVEKSAMMI-UNG    L\    BAhEL    1907  103 

doruiig  ZU  ompfehleu.  Einer  mitteilung  [nvf.  dr.  Roethes-Berliu  zufolge  erklärt  sich 
die  academio  trotz  mannigfaclier  bedenken  bereit,  aus  piotät  gegen  die  brüder  Grimm 
die  fortsetzung  des  Wörterbuchs  zu  untornohmen.  Sie  hat  eine  deutsche  commission 
zum  Studium  dieser  frage  eingesetzt,  und  der  arbeitsplan  dieses  ausschusses  ist  an  das 
reifhsamt  des  inuern  weitergeleitet  worden.  Gegenwärtig  schweben  die  Verhandlungen 
nocli.  Prof.  Meier  hält  deshalb  dafür,  dass  die  germanistische  section  unter  diesen 
umständen  eine  zuwartende  Stellung  einnehmen  solle,  da  eine  beschlussfassung  erst 
nach  beendigung  dieser  beratungen  möglich  sei.  Im  anschluss  an  diese  mitteilungen 
entwickelt  sich  eine  lebhafte  discussion. 

Prof.  dr.  Kluge-Freiburg  i.  Br.  dankt  für  die  gegebenen  aufschlüsse,  inö(;ht.ü 
aber  wissen,  ob  die  auf  der  Hamburger  tagung  von  1905  beschlossene  eingäbe  an  die 
reichsregierung  seinerzeit  beantwortet  worden  sei.  Es  scheine  nicht  der  fall  zu  sein, 
und  so  erhoffe  er  von  dieser  seite  wenig  förderung.  Es  wäre  wol  zu  begrüssen,  wenn 
die  academie  tatkräftig  eingriffe,  allein  auch  hier  muss  sich  der  redner  leider  skeptisch 
verhalten,  denn  die  preussische  academie  der  Wissenschaften  habe  bis  jetzt  für  die 
deutsche  spräche  nichts  getan.  So  scheine  denn  an  den  leitenden  stellen  gleich- 
giitigkeit  vorzuherrschen.  Unter  diesen  umständen  bleibe  den  gernianisten  nur  ein 
weg  übrig:  der  der  öffentlichkeit.  Man  müsse  vorsuchen,  das  deutsche'  volk  für  die 
suche  zu  interessieren.  Er  sei  als  freund  des  Wörterbuches  gekommen  und  sähe  es 
gerne,  wenn  die  gernianisten  sich  zu  der  frage  aussprächen,  und  vor  allem  die  an- 
wesenden mitarbeiter  des  Wörterbuches  ihrer  nieinung  in  dieser  angelegenheit  ausdruck 
verliehen. 

Prof.  dr.  Hermann  Wunderlich-ß erlin  beruft  sich  auf  die  beschlüsse 
der  Versammlung  zu  Halle,  wonach  sich  die  germanistische  section  nicht  nur  mit  der 
Organisation  des  Wörterbuches,  sondein  auch  mit  den  ieistungeu  der  mitarbeiter  zu 
befassen  hat.  Diese  letzte  förderung  ist  aber  leider  unerfüllt  geblieben.  Jeder  mit- 
arbeiter des  Wörterbuches  sieht  sich  nach  wie  vor  ganz  auf  sich  selbst  angewiesen, 
da  kein  meLnungsaustausch  über  die  jeweilen  erscheinenden  lieferungen  entstehen  will, 
der  viel  zur  berichtiguug  von  Irrtümern  beitragen  könnte.  Es  fehlt  so  den  mitarbeitern 
au  anregung  von  selten  der  fachgenossen.  Überhaupt  macht  der  sprechende  stets  die 
beobachtung,  das  überall  Unklarheit  über  den  charakter  des  Wörterbuches  herrscht,  und 
ein  referat  über  die  Organisation  des  Wörterbuches  somit  ein  dringendes  bodürfnis  wäre. 
So  allein  könnten  weitere  kreise  darüber  aufgeklärt  werden,  dass  das  Wörterbuch  wirklich 
einen  wertvollen  beitrag  zu  unserer  cultur-  und  Sprachgeschichte  bildet.  Gebe  es  doch 
z.  b.  noch  heute  viele  rechtslehrer,  die  achtlos  an  ihm  vorbeigehen,  trotzdem  es  oft  aus- 
fülirlich  auf  die  deutsche  rechtsgeschichtc  eingeht.  Ferner  sollten  die  mitarbeiter  am 
Wörterbuch  jeweilen  persönlich  zu  den  versammlnngen  der  germanistischen  section  ein- 
geladen werden,  damit  auch  öffentlich  die  gemeinsamkeit  der  Interessen  zum  ausdruck 
komme.  AVas  nun  den  Übergang  der  redaction  des  Wörterbuches  an  die  academie  betrifft, 
so  vermag  der  votant  gewisse  bedenken  nicht  zu  überwinden.  Die  academie  ist  an 
überlieferte  formen  und  Satzungen  gebunden  und  wird  diesen  gemäss  eine  Oberaufsicht 
über  die  mitarbeiter  ausüben  wollen.  Das  wöiterbuch  bedarf  aber  vor  allem  freier 
persönlichkeiten,  wenn  seine  Sache  zu  einem  guten  ende  gedeihen  soll.  Dann  hat 
die  deutsche  commission  die  frage  des  Wörterbuches  mit  der  herstellung  eines  The- 
saurus der  deutschen  spräche  verknüpft.  Darin  aber  erblickt  prof.  AVunderlich  eine 
grosse  gefahr  für  das  Wörterbuch,  da  seine  anhnge  ganz  von  dor  eines  solchen  werkes 
abweicht,  und  es  zudem  nicht  ratsam  sei,  jetzt,  da  die  Vollendung  dos  Wörterbuches 
in  absehbarer  zeit  möglich  ist,  neuerungeii  durchzuführen.     Endlich  nuisso  auch  hier 


104  GEIGER 

widor  betont  weiden ,  dass  die  Verzögerungen  vor  allem  durch  die  läge  der  assistenten 
bedingt  seien,  deren  beständiger  Wechsel  sich  als  folge  der  wenig  beneidenswerten 
Stellung  ergebe. 

Prof.  dr.  Meissner-Königsberg  verfasste  vor  zwei  jähren  die  eingäbe  an 
die  reichsregierung  und  gibt  zunächst  einen  zusammenfassenden  bericht  über  den 
inhalt  jenes  Schreibens  (vgl.  Zeitschr.  38, 120fgg.).  Er  erblickt  in  dem  vorschlage  des 
reichsanites,  die  weitere  bearbeitung  des  Wörterbuches  der  academie  der  Wissenschaften 
zu  übergeben,  eine  folge  der  Hamburger  tagung.  Trotzdem  er  nun  prof.  AVunderlichs 
bedenken,  der  nach  jahrelanger,  aufopfernder  tätigkeit  am  Wörterbuch  nicht  von  oben 
herab  regiert  sein  will,  vollauf  begreift,  möchte  er  doch  diesen  plan  nicht  ohne 
weiteres  von  der  band  weisen.  Denn  einerseits  verbürgt  die  academie  concentration 
und  energische  leitung,  anderseits  kann  sie  doch  auf  die  bisherigen  mitarbeiter  nicht  ver- 
zichten und  wird  deshalb  die  proff.  Wunderlich  und  v.  Bahder  wie  bisher  weiter  arbeiten 
lassen.  Auch  die  befürchtung  einer  verquickung  des  Wörterbuches  mit  dem  Thesaums 
vermag  prof.  Meissner  nicht  zu  teilen,  da  nach  seinen  erkundigungen  die  abfassung 
des  letzteren  noch  in  weite  ferne  gerückt  ist.  Zudem  erhofft  der  sprechende  von  der 
academie  eine  besserstellung  der  assistenten,  deren  elend  er  aus  eigener  erfahrung 
genugsam  kennt.  Er  stimmt  deshalb  dem  vorschlage  prof.  Meiers  bei,  da  er  die 
concentration  durch  die  academie  für  einen  gewinn  hält;  nur  möchte  er  festgestellt 
wissen,  dass  die  mitarbeiter  wie  bisher  frei  und  selbständig  bleiben. 

Prof.  Kluge  will  ebenfalls  keine  eingäbe  im  jetzigen  Zeitpunkte,  aber  er  hält 
darauf,  dass  die  Öffentlichkeit  weit  mehr  am  werke  interessiert  werde,  als  es  bis  jetzt 
geschah.  Die  geschichte  des  Schweizerischen  Idiotikons  beweise,  wie  wertvoll  die 
teilnähme  bl'eiterer  Volksschichten  für  ein  solches  werk  sei:  neben  der  centralisation 
ist  ihr  das  rasche  fortschreiten  des  schweizerischen  Wörterbuches  zu  verdanken.  Die 
regelmässigen  jährlichen  berichte  der  schweizerischen  commission  üben  einen  heilsamen 
zwang  auf  die  leitung  aus  und  verhindern  den  stillstand.  Er  stellt  deshalb  folgenden 
antrag:  „Die  sache  des  deutschen  Wörterbuches  bildet  ein  hauptinteresse 
der  germanistischen  section  der  Versammlung  deutscher  philologen 
und  Schulmänner.  Es  ist  deshalb  auf  jeder  tagung  über  den  stand  des 
Werkes  bericht  zu  erstatten". 

Prof.  "Wunderlich  stellt  einige  ausführungen  prof.  Meissners  richtig.  Nach 
einer  amtlichen  mitteilung  soll  das  Wörterbuch  so  rasch  als  möglich  fertig  gestellt 
werden,  damit  die  herstellung  des  Thesaurus  begonnen  werden  kann.  Mit  prof.  Kluge 
hält  er  dafür,  dass  das  kräftige  einstehen  der  germanistischen  section  doch  einen  ge- 
wissen druck  auf  die  leitenden  kreise  auszuüben  vermöge,  mit  prof.  Meissner  ist  er 
darin  einig,  dass  auch  er  einen  mittelpunkt  des  ganzen  Unternehmens  wünscht. 
Seiner  ansieht  nach  genügt  aber  eine  centrale  Sammelstelle,  die  dann  von  selbst  auch 
einen  leitenden  einfluss  auf  die  redaction  des  werkes  gewinne. 

Prof.  dr.  John  Meier-Basol  bedauert,  dass  prof.  Wunderlich  keinen  vortiag 
über  die  Organisation  des  Wörterbuches  für  die  diesjährige  tagung  anmeldete.  Nun 
fehle  es  an  Orientierung,  da  nur  die  zunächst  beteiligten  einen  einblick  in  die  wirk- 
liche Sachlage  hätten.  Was  die  eingäbe  an  das  reichsamt  des  innern  betreffe,  so  sei 
bis  jetzt  keine  antwort  eingetrolfen.  Es  stehe  der  Versammlung  frei,  auf  einer  solchen 
zu  beliarren  und  in  diesem  sinne  bei  der  regierung  vorstellig  zu  werden.  Dagegen 
möchte  er  die  section  warnen,  im  jetzigen  Stadium  der  Verhandlungen  mit  neuen  vor- 
schlagen hervorzutreten.  ,Tede  abweichung  von  der  Hamburger  eingäbe  bedinge 
bestenfalls   eine  weitere   Verzögerung.     Er  unterstützt  daher  den  antrag  prof.  Kluges, 


PHILOLOGENVERSAMMLrNtf    I.V    BASEL    U»'7  105 

luöolite  aber  vorläufig  von  weiteru  bescblüssen  absehen.  Nach  einei-  kurzen  erwiderung 
prof.  Meissners  bringt  der  versitzende  prof.  dr.  Gessler-Basel  den  antrag  prof.  Kluges 
zur  abstimmung.     Er  wird  einstimmig  angenommen. 

Hierauf  erstattet  prof.  John  Meier-Basel  bericht  über  die  von  prof.  dr.  Wit- 
kowski- Leipzig  auf  der  Hamburger  tagung  angeregte  wissenschaftliche  ausgäbe  von 
Goethes  Faust.  Laut  einer  brieflichen  niitteilung  prof.  "Witkowskis  mnss  der  plan 
vorläufig  aufgeben  werden,  da  von  competenter  stelle  aus  zur  zeit  keine  materiello 
Unterstützung  zu  erwarten  ist. 

Nach  der  erledigung  dieser  geschäftlichen  angelegenheiten  spricht  prof.  dr. 
Renward  Brandstetter-Luzern  über  „Die  Schicksale  der  Wuotansage  in 
Luzern".  Neben  der  geistlichen  und  weltlichen  dichtung  Luzerns,  deren  gipfelpunkt 
das  geistliche  drama  des  sechzehnten  Jahrhunderts  darstellt,  läuft  eine  folkloristische 
littei'atur,  deren  schätze  in  den  archiven  der  Urschweiz  liegen  und  noch  grösstenteils 
ungehobeo  sind.  Namentlich  für  die  sagengeschichte  ist  reiches  material  vorhanden, 
und  der  vortragende  will  von  den  vier  Sagenkreisen,  für  die  quellenmaterial  in  den 
archiven  liegt  (Wuotansage,  Pontius  -  Pilatussage ,  ßolandsage,  Tannhäusersage),  den 
ersten  in  den  hauptrichtungen  seines  geschichtlichen  Verhaltens  schildern. 

Den  ausgangspunkt  seiner  darlegungen  bildet  eine  kurze  Übersicht  über  den 
stand  des  Volksglaubens  im  alten  Luzern  in  der  zweiten  hälfte  des  16.  und  am  an- 
fange des  17.  Jahrhunderts.  Die  wichtigste  quelle  ist  der  zum  bestand  der  bürger- 
bibliothek  in  Luzern  gehörende  nachlass  (collectaneen)  des  stadtschreibers  Renward 
Cysat  (f  1614).  Nach  seinen  Zeugnissen  waren  damals  in  Ijuzern  die  alten  volks- 
traditionen  noch  äusserst  lebendig,  und  der  feingebildete  Cysat  selbst  teilte  noch  ganz 
den  naiven  gespensterglauben  seiner  zeit.  Verdient  er  deshalb  seiner  leichtgläubigkeit 
wegen  als  historiker  wenig  lob,  so  ist  er  andererseits  gerade  infolge  dieser  eigenschaft 
für  volkskundliche  dinge  ein  wertvoller  zeuge.  Trotzdem  von  seinem  reichen  samrael- 
inaterial  —  er  habe,  sagt  er  selbst,  „nach  und  nach  durch  Uffmerckung  vil  hundert 
Articul  zuosamenbracht"  —  nur  ein  verhältnismässig  geringer  teil  auf  uns  gekommen 
ist,  läs.st  sich  doch  aus  den  trümmern  Cysats  verdienst  erkennen;  er  ist  der  erste 
schweizerische  sagenforscher  gewesen. 

Was  nun  die  sage  selbst  betrifft,  so  ist  festzuhalten,  dass  Wuotan  in  Luzern 
nicht  als  der  erhabene  gott  der  Edda,  sondern  stets  als  winddämon  auftritt.  In  stür- 
mischen nachten  saust  er  durch  die  Jüfte  oder  über  den  erdbodcn  hin.  Er  kann  allein 
sein,  oder  es  können  ihn  die  Seelen  der  verstorbenen,  die  nach  altem  glauben  im 
winde  fortleben,  oder  auch  tiere  begleiten.  Es  kommt  auch  vor,  dass  die  seelenschar 
allein  umzieht  ohne  führer.  Endlich  kann  der  umzug  ein  lebhaft  erregter  sein,  eine 
jagd,  ein  heertross,  oder  aber  ein  ruhiger,  friedlicher.  So  lassen  sich  die  von  Cy.sat 
überlieferten  sagen  in  folgende  drei  gruppen  einteilen.  Die  erste  gruppe  erzählt 
in  mannigfachen  Varianten  die  wilde  jagd  oder  den  wilden  heoreszug.  Die  beziehungeu 
zu  den  raen.schen  sind  feindlich.  Schausplatz  ist  der  Pilatus.  Die  sagen  guhen 
unter  dem  namen  Tüi-st  (mhd.  türse),  was  sich  inhaltlich  mit  Wuotan  deckt  und' 
etwa  riese  bedeutet:  Türstsagen.  Die  zweite  gruppe  erzählt  gewaltsame  eutrückungen 
lebender  menschen.  Schauplatz  ist  die  Luzerner  landschaft.  Die  sagen  gehen  unter 
dem  namen  Nachtgesponst,  ein  wort,  dessen  volkstümliclikeit  allerdings  in  frage  steht: 
Nachtgespenstsagen.  Die  dritte  gruppe  erzählt  den  ruhigen  unigang  der  geister  mit 
musik.  Die  beziehungen  zu  den  menschen  sind  freundschaftlicli,  nur  beiläufig  werden 
zornige  äusserungen  oder  gowaltsamo  entrücktingen  erwähnt.  Schauplatz  ist  mehrere 
male    die    stadt   Luzern.     Diese   sagen  gehen  trotz  ihres  friedlichen  charakters  meist 


106  GEIGER,   PHlLOLOGENVEIiSA.MMLUNG   IN   BASEL    1907 

unter  dein  nanien  Wuotisheor,  der  da  und  dort  volksetyniologisch  zu  Guotishocr  (an- 
lehnung  an  „gut")  umgedeutet  wuixle. 

Etwa  150  jähre  später  erzählt  der  Luzerner  Cappeller  in  seiner  Pilati  montis 
historia  (1767)  drei  sagen,  die  zum  Wuotankreis  gehören  und  zwar  zur  ersten  gruppe. 
Er  hat  sie  selbständig  aus  seinem  verkehr  mit  den  sennen  geschöpft,  da  er  trotz  seiner 
gewissenhaftigkeit  in  Quellenangaben  Cj'sat  nicht  erwähnt.  Ein  vergleich  zeigt,  dass 
wol  einige'  einzelheiten  fehlen,  sonst  aber  Übereinstimmung  herrscht.  Der  grund 
dieser  beharrlichkeit  liegt  im  völligen  stillstand  des  politischen  lebens  im  17.  Jahr- 
hundert; keinerlei  neu  zuströmende  ideen  verdrängten  die  alten  bilder  aus  dem  herzen 
des  Volkes. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  100  jähre  später.  1862  erscheint  in  Luzern 
A.  Lütolfs  Schrift  „Sagen,  brauche  und  legenden  aus  den  fünf  orten".  Das  von  ihm 
mitgeteilte  material  zeigt  eine  weitgehende  Verarmung.  Die  sagen  der  zweiten  und 
dritten  gruppe  sind  verklungen  bis  auf  unansehnliche  fragmente,  und  wenn  Lütolf 
noch  einen  führer  des  trosses  oder  der  jagd  als  persönliches,  menschenähnliches  wesen 
kennt,  so  hat  die  heutige  sage  auch  hier  eine  einbusse  erlitten;  denn  nun  wird  der 
anführer  fast  ausnahmslos  als  tier  gedacht.  Diese  Verluste  finden  ihre  erklärung  in 
der  erschütterung  des  Luzerner  Staatswesens  durch  die  ideen  der  französischen  revo- 
lution,  wie  auch  durch  den  einfluss  der  modernen  Schulbildung.  Und  wie  die  sache 
vermindert  sich  auch  die  nomenclatur.  Nachtgespenst,  Guotisheer,  Sälig  volk  usw. 
sind  verklungen,  Wuotisheer  (jetzt  Wüetisheer  mit  anlehnung  an  wüete-n,  wüetig  :  wiat) 
ist  selten  geworden,  und  nur  das  wort  Türst  ist  heute  noch  allgemein  bekannt. 
Der  sprechende  schliesst  mit  dem  vertrag  zweier  jetzt  noch  lebenden  fassuugen  und 
mit  einem  ausblick  in  die  zukunft.  Wie  von  der  Tannhäusersage  heute  in  Luzern 
nur  noch  die  redensart  „s'god  wi  im  Frau- Vreue- Berg''  (umdoutung  von  Venus  in 
Verena)  zeugnis  ablegt,  werden  wol  in  absehbarer  zeit  von  der  Wuotansage  einzig 
ähnliche  kümmerliche  reste  künde  geben. 

In  der  discussion  wurde  u.  a.  auf  die  forin  Muotisheer  hingewiesen,  die  prof. 
Fischer- Tübingen  als  euphemistisch  ansehen  will  (vgl.  auch  schwäbisch  Wtäach, 
schweizerisch  Muoia).  Demgegenüber  weist  prof.  Brandstetter  nach,  dass  der  Wechsel 
von  m  und  ic  im  anlaut  für  Luzern  lautgesetzliche  geltung  hat:  ir  geht  in  der  heu- 
tigen mundart  vor  tie  in  m  über.  Z.  b:  Mncst  „Wust",  Muecht  „Wucht",  Muer 
„Wuhre,  Flusswehr".  Dagegen  Wüetisheer,  weil  ein  ü  auftritt.  Muetis  und  Wüetis 
entsprechen  sich  also  wie  Muest  (Wust)  und  das  rtdjectiv  wüest.  Der  vertrag  erscheint 
iu  erweiteiier  gestalt  im  Geschichtsfreund  bd.  LXII. 

Hierauf  erteilte  der  versitzende  prof.  dr.  Ermatinger- Winterthur  das 
wort  zu  einem  vortrage  über  „Romantisches  bei  Wielaud".  Die  anfange  der 
deutscheu  romautik  erblickt  der  redner  im  mystischen  pietismus  des  17.  Jahrhunderts, 
denn  der  gemeinsame  zug  beider  Weltauffassungen,  der  romantik  wie  der  mystik,  ist 
der  hang  zum  unbewussten,  irrationalen,  das  es  auf  irgend  eine  weise  anschaulich 
fassbar  zu  macheu  gilt.  Im  mittelpunkt  dieser  anschauung  steht  Novalis.  Nach  ihm 
ist  das  romantische  das  unbewusste;  es  an  die  schwelle  des  bewusstseins  zu  rücken, 
ohne  dass  es  den  reiz  des  unbewussten  verliert,  ist  aufgäbe  der  romantischen  poesie. 

Mit  der  romantik  hat  nun  Wieland  den  ausgangspunkt  gemein :  auch  er  wurzelt 
im  pietismus.  Aber  dieser  bildet  nur  den  oft  völlig  gedeckten  grundton,  denn  schon 
früh  drang  die  aufklärung  in  sein  geistesleben  ein.  Am  nachhaltigsten  zeigt  sich  die 
mystische  Stimmung  in  den  schritten  vor  1760.  Aber  auch  später  war  Wielands  Ver- 
hältnis   zu    der    romantischen    denkweise    nicht  stets  dasselbe,  sondern  das  jähr  1775 


ELLINGKW    ÜUKi;    IK.MISCll,    SCllWAKZß.    HKI.MATSKUNDE  107 

bildet  insoferu  oiue  scheidolinie,  als  alle  scliriften,  die  zwischen  17(J0 — 1775  liegen, 
das  romantische  wesen  bald  heftifi:  tadelnd,  bald  nur  ironisch  angreifen,  wälirend 
die  nach  1775  erschienenen  werke  unter  dem  einfluss  des  Sturmes  und  dranges  sich 
um  ein  tieferes  Verständnis  der  romantik  bemühen.  Da  mystik  und  romantik  vor 
allem  des  porsöulichen  erlebnisses  bedürfen,  sind  die  lebensschicksale  des  dichters  von 
uachhaltigem  einfluss  auf  seine  kuiist;  so  auch  bei  Wieland:  die  liebe  zu  Sophie 
Gutermann  hat  recht  eigentlich  die  romantische  Stimmung  ausgelöst.  Das  durch  sie 
angeregte  lehrgedicht  „Die  natur  der  dinge"  enthält  manche  wichtige  ideen  der 
spätem  romantik.  So  erinnert  seine  evolutionistische  metaphysik  an  Novalis'  doppel- 
system  von  natur  und  geist.  Auch  Wieland  denkt  sich  die  gestirne  als  beseelte  wesen, 
uad  ebenso  wie  Novalis  hält  er  den  tod  für  ,eine  selbstbesiegung,  die  ...  .  eine 
neue,  leichtere  existeuz  schafft".  Mit  Novalis  stimmt  "Wieland  auch  in  der  wollust 
des  Schmerzes  überein,  und  beiden  ist  nach  dem  Verluste  der  geliebten  die  lüsternheit 
in  der  askese  gemein.  Eomantisch  ist  ferner  Wielands  Vorliebe  für  den  begriff  Sym- 
pathie, den  der  vortragende  auf  Plato  und  Leibniz  (prästabilierte  harmonie)  zurückführt. 

Allein  nicht  nur  die  hauptrichtungen  seines  denkens  zeigen  romantische  nei- 
gungen,  sondern  selbst  in  den  einzelheiten  herrscht  teilweise  Übereinstimmung.  Auf- 
schlüsse höchst  lehrreicher  art  geben  in  dieser  hinsieht  einige  romane  des  -jungen 
Schwärmers,  so  vor  allem  Don  Sylvio  von  Rosalva,  Agathon  und  Pereglinus  Proteus. 
Auf  Don  Sylvios  jagd  nach  dem  blauen  Schmetterling,  dem  Sinnbild  der  geliebten, 
dürfte  Ofterdingens  streben  nach  der  blauen  blume  zurückgehen,  hat  doch  Novalis 
nachweislich  Wielands  jugendschriften  gekannt.  Blau  war  für  Wieland  die  bezeichnung 
für  das  wunderbare,  unglaubliche,  ein  Sprachgebrauch,  der  wol  in  erster  linie  auf  die 
von  Wieland  viel  benutzte  französische  märcheusammlung,  die  Bibliotheque  bleue, 
zurückzuführen  ist. 

Die  arbeit  erscheint  in  erweiterter  fassung  in  Ilbergs  neuen  Jahrbüchern  für 
das  classische  altertum. 

Vor  schluss  der  sitzung  gelangt  prof.  John  Meier-Basel  noch  mit  dem 
antrage  an  die  section,  es  seien  künftig  die  vorbereitenden  obmänucr  ohne  weitere 
bostätigung  als  definitive  vorstände  zu  betrachten ,    was  einstimmig  beschlossen  wird. 

Mit  einigen  dankenden  abschiedsworten,  die  von  prof.  Hermann  Fischer-Tübingen 
erwidert  werden,  schliesst  der  Vorsitzende  die  Verhandlungen  der  germanistischen  section. 

WOHLEN    (aARGAU).  ,  EMIL    GEIGER. 


LITTEEATUE. 


Th.  Irmiseh,  Beiträge  zur  .schwarzburgischen  heiniatskunde.    2  bde.    Son- 
dershausen, F.  A.  Eupel  1905 -OG.     X,  493  s.  und  VIII,  427  s.     8  ni. 

Im  sommer  188(5  richtete  der  unvergessliche  begründer  dieser  Zeitschrift  die 
anfrage  an  mich,  ob  ich  nicht  die  germanisti.schen,  litterarhi-storischen  und  historischen 
aufsätze  meines  verstorbenen  lehrers  Irmiseh  sammeln,  sie  so  aus  der  Verborgenheit, 
in  die  sie  der  bescheidene  Verfasser  entrückt,  hervorziehen  und  der  allgomeinheit 
zugänglicii  machen  wollte.  Er  eibot  sich  für  einen  Verleger  zu  sorgen  iiud  sich  mit 
an  der  Ordnung  der  arbeiten  zu  beteiligen.  Mit  freuden  gieng  ich  auf  die.so  auregung 
ein,  aber  infolge  einer  reihe  äusserer  umstände  kam  das  geplante  untornehmen 
nicht  zustande. 


108  KLUNGEE    ÜREK    UnilSCII,    SCIIWARZB.  UEIMATSKrXDE 

Thilo  Irmisch  (1816 — 1879)  ist  allgemein  bekannt  als  naturforschcr  geworden; 
aber  seine  schüler  wussten,  dass  dei'  berühmte  botaniker  auch  ein  vortrefflicher  kenner 
der  deutschen  spräche,  litteratur  und  geschiclite  war.  Die  rührende  bescheidenheit, 
die  den  trefflichen  gelehrten  zeit  seines  lebens  ausgezeichnet  hat,  veranlasste  ihn,  seine 
wertvollen,  diese  gebiete  berührenden  arbeiten  in  kleinen  localblättern  abdrucken  zu 
lassen.  So  kam  es,  dass  diese  seite  seiner  Tätigkeit  fast  ganz  unbekannt  blieb. 
Zacher  aber,  der  so  leicht  nichts  wertvolles  übersah  und  das  als  wertvoll  erkannte 
in  jeder  weise  zu  fördern  suchte,  waren  Irmisch'  arbeiten  nicht  entgangen.  Sein 
wünsch,  diese  Studien  allgemein  benutzbar  zu  machen,  ist  durch  Irmisch'  leider 
unterdessen  ebenfalls  schon  dahingerafftem  Schwiegersohn  G.  W.  Hallensleben  erfüllt 
worden.  Wenn  nun  in  dieser  Zeitschrift  auf  die  beiden  stattlichen  bände  aufmerksam 
gemacht  wird,  so  geschieht  es  nicht  bloss,  weil  durch  sie  ein  gedanke  Zachers  ver- 
wirklicht worden  ist,  sondern  auch  deshalb,  weil  diese  auf sätze  um  ihrer  selbst  willen 
bekannt  zu  werden  verdienen.  Der  erste  band  enthält  z.  b.  eine  abhandlung  über 
Albrecht  von  Halberstadt,  die  von  Irmisch'  freunde,  Rudolf  Hildebrand,  angeregt 
worden  ist.  Auf  grund  der  genauesten  localkenntnis  und  des  urkundlichen  materials 
einerseits  wie  der  litterarhistorischen  Voraussetzungen  andererseits  wird  hier  eine  ganz 
vortreffliche  darstellung  des  gegenständes  gegeben,  die  kein  freund  der  mittelhoch- 
deutscheu  dichtung  ungelesen  lassen  sollte.  Ausserordentlich  wertvoll  ist  auch  die 
abhandlung  über  den  thüringischen  Chronisten  Paul  Jovius,  dessen  werk  Irmisch 
selbst  in  der  handschrift  zuerst  aufgefunden  hat.  Hier  ist  durch  die  sorgfältigste 
aufspürung  und  erwäguug  aller  in  betracht  kommenden  äusseren  und  inneren  factoren 
ein  musterhaftes  biographisch  -  litterarhistorisches  bild  gegeben  worden.  Zahlreiche 
kleinere  arbeiten  geben  wichtige  beitrage  zur  schwarzburgischen  schul-  und  gelehrten- 
geschichte,  zur  culturgeschichte  und  altertumskunde.  Auch  die  rein  historischen  arbeiten 
berühren  sich  meist  mit  der  litteraturgeschichte,  teils  indem  sie  unbekanntes  wert- 
volles briefmaterial  aufschliessen  (so  bd.l  s.  ISöfgg.  die  ungemein  anziehenden  schreiben 
Wilhelms  von  Oranien,  des  grossen  Schweigers,  an  den  grafen  Günther  XLI  von 
Schwarzburg),  oder  indem  sie  ein  litterarisches  denkmal  erläutern  und  erweitern,  so 
in  der  abhandlung:  „Zur  familiengeschichte  der  gräfin  Katharina  der  heldenmütigen", 
die  uns  die  gestalt  der  aus  Schillers  erzählung:  „Herzog  Alba  bei  einem  frühstück 
auf  dem  schlösse  zu  Rudolstadt  1547"  bekannten  tatkräftigen  frau  unmittelbar  ver- 
gegenwärtigt. —  Auch  wichtige  einzelheiten  werden  aufgedeckt,  so  ist  bd.  1  s.  255 
anm.  1  in  einer  1879  entstandenen  und  veröffentlichten  abhandlung  schon  auf  das 
Zeugnis  über  den  historischen  Faust  in  Prassers  Chronicon  Waldeccense  hingewiesen 
worden,  auf  das  neuerdings  widerum  die  aufmei'ksamkeit  gelenkt  worden  ist. 

Alle  in  den  beiden  bänden  vereinigten  arbeiten  atmen  den  gleichen  geist  und 
tragen  die  gleichen  züge.  Wir  beobachten  einmal  die  liebevollste  Versenkung  in  den 
stoff,  die  sorgfältigste  berücksichtigung  auch  des  kleinsten,  die  „andacht  zum  unbe- 
deutenden". Und  wir  sehen  dann,  wie  diese  einzelnen,  so  sorgfältig  aufgesuchten 
und  behauenen  steine  wider  sich  zu  einem  ganzen  zusammenschliessen.  Auch  das 
kleinste  empfängt  seine  weihe  durch  die  freude  an  der  Vergangenheit  des  eigenen 
Volkes  und  das  innige  heimatsgefiihl. 

Möchten  diese  aufsätze,  aus  denen  die  liebenswerte,  schlichte  und  edle  Persön- 
lichkeit ihres  Verfassers  so  vernehmlich  redet,  die  verdiente  Verbreitung  finden. 

BERLIN.  GEORtr    ELLIXGER. 


KAIILK    VÜF.K    UUGGK,    WIKINfiEK  109 

Alexander  Bugge,  Die  wikiiiger,  bildcr  aus  der  uoi'disoheu  vergangeubeit.    Autori- 
sierte übertraguug  aus   dem  norwegischen  von   dr.  pbil.   Heinz  Hungerland. 
Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer  190ß.     282  s.     6  m. 
ITuzweifelhaft  inuss  man  dem  Übersetzer  danken,  dass  er  das  buch  A.  Buggcs 
einem  grösseren  deutschen  leserkreis  zugänglich  gemacht  hat.     Das  werk  ist  für  ein 
grösseres  publicum   berechnet,  liest  sich   angenehm,  ist  unterhaltend   und   bietet  des 
wissenswerten  gar  vieles.     Das   original  (Vikingerne,   billeder  fra  vore   forfjedres  liv) 
ist  1901  in  Christiania  erschienen,  eine  fortsetzuug  (Anden  samling)  1906.    Wir  haben 
es  hier  nur  mit  dem  ersten  teil  zu  tun.     Ein   abschnitt  desselben,   beim  oy  olding, 
der  also  vom  kind  und  greis  handelt,  ist  nicht  mit  übersetzt  worden,   er  fällt   auch 
etwas  aus  dem  rahmen  des  übrigen  heraus  und  ist  für  den  nichtfachmann  von  min- 
derem Interesse. 

A.  Bugge  hat  die  eigenschaft  so  mancher  gelehrter  seines  Stammes:  eine  weit- 
hinschweifende phantasie,  die  ihn  des  öfteren  veranlasst,  den  festen  boden  der  tat- 
sachen  zu  verlassen  und  auf  schwankem  gründe  luftige  gebäude  aufzuführen.  Dabei 
fehlt  es  ihm  nicht  an  dichterischem  schwung,  der  iliu  zu  stimmungsvollen  gemälden 
begeistert,  so  wenn  er  die  eigenartige  natur  Irlands  oder  der  insel  Man  schildert,  oder 
das  erste  zusammentrelTen  nordischer  wikinger  mit  der  fremdartigen  keltischen. cultur. 
Diese  keltische,  oder  genauer  gesagt  irische,  cultur  ist  es  denn  auch,  die  es  ihm 
angetan  hat.  In  einer  reihe  von  arbeiten  ist  A.  Bugge  an  die  seite  seines  vaters 
Sophus  getreten  und  sucht  neue  waffen  zu  schmieden  im  kämpfe,  der  über  die  frage 
des  einflusses  herrscht,  den  die  iiische,  weiterhin  dann  überhaupt  die  westliche, 
d.  h.  also  insbesondere  die  karolingische  und  angelsächsische  cultur  auf  die  skandi- 
navische, vor  allem  die  des  norwegischen  volkes  und  der  ihm  entsprossenen  colonisteu, 
ausgeübt  hat.  Er  sucht  der  frage  besonders  von  der  culturhistorischen  seite  beizu- 
kommen. Zu  den  arbeiten  dieser  art  gehört  auch  die  vorliegende,  und  wie  ein  roter 
faden  zieht  sich  die  behauptung  von  dem  eiufluss  der  irischen  cultur  auf  die  der 
nordleute  durch  das  buch.  Wo  nur  immer  ein  gemeinsames  motiv,  eine  ähnlichkeit, 
und  wenn  sie  auch  noch  so  schwach  sei,  auftaucht,  da  unterliegt  es  keinem  zweifei, 
da.ss  Irland  oder  der  westen  die  heimat  sei.  Selten  wird  die  frage  erörtert,  ob  etwa 
das  umgekehrte  der  fall  sein  könne,  oder  ob  etwa  selbständige  entstehung  bei  ver- 
schiedenen Völkern  oder  gemeinsame  quelle  für  beide  anzunehmen  sei.  Mau  wird 
also  bei  den  partien  des  buches,  die  sich  in  der  angedeuteten  richtung  bewegen,  grosse 
vorsieht  üben  müssen,  und  besonders  der  laie  sei  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
hier  reclit  vieles  der  nachijrüfuug  bedarf.  Dem  gegenüber  sei  hervorgehoben,  dass 
A.  Bugge  den  ganzen  reichen  schätz  seines  wissens  vor  uns  ausbreitet,  dass  er  ein 
höchst  anziehendes,  farbenprächtiges  bild  dieses  wol  merkwürdigsten  Zeitabschnitts 
der  geschichte  der  skandinavischen  Völker  entwirft,  in  dem  diese  eine  ungeheure  kraft- 
entwicklung  zeigen,  in  dem  sie  mit  älteren,  reicheren  culturen  zu.sammenstossen,  in 
dem  alles  alte  wankt,  merkwürdige  männer  und  frauen  auf  die  bühne  treten,  ein  reich 
bewegtes  geistiges  leben  herrscht,  ein  neuer  glaube  allmählich  siegreich  voidringt  und 
trotzige  recken  sich  dem  weissen  Christ  beugen.  Wie  kaum  einer  ist  A.  Bugge  durch 
seine  kenntnis  der  irischen  quellen  und  gleichzeitige  beherrschung  dei*  nordischea 
litteratur  geeignet,  das  leben  in  deu  westlichen  nordischen  colonien  zu  schildern. 

Der  erste  abschnitt  behandelt  'das  erste  hervortreten  der  nordischen  vöiker', 
er  i.st  etwas  breit  und  ausführlich  gehalten,  erörtert  begriffe  wie  'familio',  'stamm', 
•natiou',  'volk",  uud  sucht  zuerst  die  eigenart  der  Germanen  gegenüber  anderen  indo- 
germanischen Völkern  zu  zeigen.     Die  Gonnaiien    haben  sieb,   so  führt  der  verf.  aus, 


1 10  KAHLE 

reineres  blut  erhalten  als  andere ,  früher  als  andere  siinl  sie  aufs  hohe  meer  gefahren, 
das  kalte  klima  härtete  leib  und  seele  ab,  nicht  kannten  sie  ummanerte  städtc  und 
bürgen.  Es  wird  dann  auf  die  nordischen  nationen  eingegangen.  Obwol  Norweger, 
Schweden  und  Dänen  sich  nicht  schwerer  untereinander  verstehen  als  der  Bayer  und 
der  Mecklenburger,  machen  sie  doch  drei  nationen  aus,  während  diese  zu  einer  ge- 
hören, trotzdem  bei  ihnen  auch  noch  der  confessionsunterschied  hinzukommt.  Gleich- 
wol  haben  die  skandinavischen  Völker  doch  das  gefühl  engster  Verwandtschaft.  Bis 
in  den  anfang  des  11.  Jahrhunderts  hinein  gab  es  kaum  grössere  sprachliche  unter- 
schiede unter  den  Völkern  des  nordens,  erst  von  da  ab  kann  man  von  wirklichen 
drei  hauptsprachen  reden.  Doch  bildeten  die  nordländer  auch  damals  keine  einheit, 
sondern  sie  zerfielen  in  eine  grosse  anzahl  einzelner  stamme.  Erst  allmählich  ent- 
wickeln sich  einige  centren.  Der  älteste  Staat  erwächst  an  den  gestadeu  des  Mälar, 
es  ist  der  der  Svear,  der  eigentlichen  Schweden.  In  ansprechender  und  überzeugen- 
der weise  wird  nun  geschildert,  wie  hier  im  norden,  ebenso  wie  sonst  in  der  ge- 
schichte,  'die  ebenen  mit  breiten,  schiffbaren  strömen  die  tief  aus  dem  lande  kommen', 
oder  'die  ufer  grosser  seen'  es  sind,  'die  menschen  frühzeitig  zu  Völkern  und  nationen 
zusammenschliessen'.  Solche  mittelpunkte  im  norden  sind  ausser  dem  Mälar  der  Yäner 
und  Vätter  mit  den  Gauten,  die  insel  Seeland  mit  den  Dänen.  Am  spätesten  finden 
wir  in  Norwegen  derartige  Zusammenschlüsse,  und  sie  sind  lockerer  als  in  den  andern 
ländern.  Hier  sind  es  besonders  die  gegenden  um  den  Drontheimsfjord,  sowie  die 
um  den  Christianiafjord,  von  denen  später  die  eiuigung  ganz  Norwegens  ausgehen 
sollte.  Was  wir  von  diesen  stammen  der  frühzeit  aus  griechischen  und  römischen 
Schriftstellern  wissen,  was  der  Beowulf  uns  berichtet,  das  stellt  der  Verfasser  ge- 
schickt zusj^mmen,  weist  auf  die  altberühmteu  köuigsgeschlechter  hin  und  zeigt,  dass 
es  an  kämpf  und  fehde  auch  in  dieser  zeit  nicht  gefehlt  hat,  wenn  auch  sein  aus- 
spruch  (s.  18),  dass  sie  voll  von  wikingerzügen  gewesen,  wie  der  könig  Hugleiks 
nach  Frankreich  vom  jähre  516  einer  war,  übertrieben  sein  dürfte.  Erst  50  jähre 
später  hören  wir  wider  von  einem  solchen  zug  der  Dänen,  wie  B.  selbst  angibt; 
es  sind  nur  vereinzelte  ereignisse,  nur  vorspiele  der  grossen  zeit,  die  kommen  sollte. 

B.  sucht  nun  unterschiede  in  den  drei  nationen  festzustellen,  die  sich  schon 
früh  zeigen,  in  volkscharakter,  götterglauben ,  dichtung  und  den  socialen  Verhält- 
nissen: der  Norweger  aristokratisch  mit  übermächtiger  häuptlingsklasse,  wild,  trotzig, 
stolz  und  übermütig,  aber  doch  auch  edelsinnig;  der  Däne,  dem  südlichen  Europa 
näher  stehend,  geschliffner  und  gesitteter,  weicher  im  Charakter;  von  den  Schweden 
wissen  wir  weniger,  sie  scheinen  'sowol  was  charakteranlage  als  sociale  Verhältnisse 
anbelangt,  mehr  den  Norwegern  als  den  Dänen  geglichen  zu  haben.'  Das  bild  wird 
im  grossen  und  ganzen  richtig  gezeichnet  sein. 

Trotz  dieser  unterschiede,  deren  sie  sich  teilweise  selbst  bewusst  waren,  fühlten 
sich  die  nordischen  nationen  doch  wider  als  eins,  was  besonders  in  stunden  der  ge- 
fahr  hervortrat.  In  den  wikiugerheeren  standen  oft  mitglieder  verschiedener  nationen 
(das  beispiel:  Rollo,  der  erste  herzog  der  Normandie,  war  ein  Norweger,  der  über 
Dänen  herrschte,  ist  aber  höchst  zweifelhaft),  gemeinsam  dienten  sie  in  der  leibwache 
des  byzantinischen  kaisers.  Sowol  schwedische  wie  norwegische  bauern  murren  und 
und  zwingen  ihre  könige,  frieden  zuhalten,  weil  sie  nicht  bei  dem  stammverwandten 
Volke  beeren  wollen.  Die  isländischen  skalden  ziehen  an  allen  höfen  der  dqnsk  tunga 
umher  und  werden  kaum  als  fremde  angesehen. 

Die  deutschen  stamme  sind  zu  einer  nation  zusammengewachsen,  als  ihi'e 
existenz  von  aussen  bedroht  war;   ein  gleiches  ist  im   norden   nicht  der  fall  gewesen. 


ÜBER    rsnOOK,    WIKINGKR 


111 


Alle  versuche,  die  skandiuavischeii  viHkor  zusaininonzuschwpissen,  sind  gesclieitort. 
'Die  nordischen  völker  sind  nicht  eine  nation  und  werden  es  niemals  sein  —  soviel 
wir  sehen  können  —  niemals  werden  sie  zu  einem  volke  zusammenschmelzen.  Aber 
als  freie  Völker  und  selbständige  individualitäten  können  sie  zusammen  wirken  und 
dadurch  grosses  im  dienste  des  friedens  und  fortschritts  vollbringen;  niemals  aber 
werden  sie  dies  vermögen,  wenn  sie  gegen  einander  stehen'  (s.  39).  So  schlicsst 
der  verf.,  in  offenbarem  hinblick  auf  die  ereignisse  der  jüngsten  zeit,  dies  capitel. 

T3as  2.  cap.  behandelt   'das  weib   in   der  wikingerzeit'.     'Um   das  culturniveaa 
eines  volkes   bestimmen   zu  können,  ist  niclits  so  wichtig  als  die  Stellung  des  weibes 
ini  gemeinwesen   kennen   zu  lernen'   (s.  40).     Das  ist  sicherlich   richtig.     So   ist  dies 
capitel  denn  wichtig  und  interessant.     Durch  Tacitus   kennen    wir  die  hohe  Stellung 
des  weibes  bei  den  Germanen;  wir  wissen  von  einer  Veleda,  wir  wissen  von  priesterinnen 
bei  den  Westgoten.     Priesterinnen  hat  auch  der  Norden  gehabt,    und   die  später  ver- 
achteten rqlvm-  werden  einst  eine  andere,   höhere  Stellung  eingenommen  haben.     Im 
allgemeinen  aber  gehörte   die  frau  ins   haus  und   spielte  in  alter  zeit  keine  rolle  im 
öffentlichen   leben.     B.  sucht  nun   die   Stellung  der  frau  in  der  ehe  zu  zeichnen  und 
tut  dies  gewiss   im   grossen   und  ganzen   richtig:    die   ehe   war  der  hauptsache   nach 
convenienzheirat,   nach   stand   und  vermögen  wurde  gefragt,   nicht  nach  gegenseitiger 
liebe.     So   ist's   auch  heute  noch  vielfach  —  nicht  nur  im   norden  —  bei  der  bäuer- 
lichen   aristokratie.     Dass    das    weib,    worauf  ja   auch    das  wort  'bi'autkauf   deutet, 
ursprünglich  wirklich  vom  mann  gekauft  wurde,   ist  wol  unbestreitbar,   und  B.  zeigt, 
wie   der  kauf  noch  in   die  anfange   der  wikingerzeit  hereinragt,   dann  aber  durch  die 
heirat  als  schenkungsact  abgelöst  wurde.     Und  dass  die  tochter  um  ihre  einwilligung 
nicht  gefragt  wurde,  ist  sicher  die  regel  gewesen.    Aber  die  isländischen  sagas  wissen 
doch   auch    aus  jener  zeit  von   so  mancher  ausnähme  zu  berichten,    die  B.  nicht  er- 
wähnt.   Allerdings  scheinen  die  betreffenden  mädchen  dann  oft  eine  besondere  Stellung 
eingenommen  zu  haben.    So  freit  Hoskuldr  um  die  schöne  Jorunn,  des  BJQrn  tochter, 
die  hervorragend  klug  war  (skqrungr  rnikill  i  vitsi/iunum);   der  vater,   der  mit  der 
Werbung    einverstanden    ist,    überlässt    ihr    gleich  wol    die    entscheidung    (veik  po   til 
hcnnar  rajjar),  Laxda'la  c.  9.    Ebenso  übeilässt  es  Egill  Skallagrimssou  seiner  tochter 
I'orger{)r,   ob  sie  den  Öläfr  pä  nehmen  will   'denn  keinem  manne  ist  die  möglichkeit 
gegeben,   die  f*orger{)r  ohne   ihren   willen    zu  bekommen',   ebd.  c.  23.     Und   der  gode 
Suorri  sagt  auf   die  Werbung   um    seine    tochter  fördis,    die    schön    und    ansehnlich 
(uterkiUy)   war,    sie  solle   nur  den  mann  heiraten,   der  ihr  wol  anstehe.     Sie  schiebt 
freilich  die  entscheidung  ihrem  vater  wider  zu,  sagt  aber  doch,  dass  sie  am  liebsten 
den  bewerber,  BoUi,  haben  wolle,  ebd.  c.  70.     Als  BJQrn  HItdölakappi  um  die  schöne 
Oddny   freit,   die  auch  ein  skqrungr  mikill  war,   schiebt  gleichfalls  ihr  vater  l'orkell 
ihr  den  entschluss  zu,  und  sie  nimmt  den  bewerber,  weil  sie  sich  beide  schon  vorher 
geliebt  hatten,  Bjamar  s.  Hitd.  c.  2.    Hier  haben  wir  auch  einen  der  verhältnismässig 
viltenen   fälle,   in   denen   von   vorheriger  liebe  des  paares  die  rede  ist.     Ebenso  wird 
Ilildigunnr  Starkadöttir  gefragt,   ob  ihr  der  bewerber,  llQskuldr,  gefalle.    Stolz  nennt 
sie  sich  selbst  von  ungewöhnlicher,  über  die  menge  emporragender  gesinnung  (skapstur)^ 
und  sagt,  ihr  oheim  habe  ihr  versprochen,  sie  nur  einem  godeu  zu  verheiraten,  was 
HQskuidr  nicht  war.     Worauf  der  oheim   erwidert,  wenn  sie  den  mann  nicht  habou 
wolle,   wolle  er  nichts  dagegen  tun.     Sie  aber  stellt  die  bcdingung,  dass  man  jenem 
ein  godord  verschaffe,   Njäla  c.  97.     Die  berüchtigte  HallgerÖr  ist  unwillig,   dass  sie 
bei   ihrer   ersten    Verlobung   nicht   um    ihre   meiiiuug    gefragt    worden   ist,    niu.ss   diu.s 
also    doch    wol   als   ihr   recht  ange.sehon   hal)eu,    ebd.  c.  10.     Als  Dalla,   dio    tochter 


1 ] 2  KAHLE 

des  I'oi'valdr,  erfährt,  dass  ihr  vater  dem  Jsleifr  oiuo  abschlägige  antwort  gegeben 
liat,  weiss  sie  den  vater  umzustimmen,  so  dass  er  den  abgewiesenen  freier  zurücij- 
nift,  isleifs  jjättr  §  10.  Und  um  auch  aus  Norwegen  einen  fall  anzuführen,  so 
überlässt  Oläfr  Tryggvason  seiner  Schwester  die  entscheidung,  ob  sie  die  Werbung 
des  jarl  EQgnvaldr  von  Gautland  annehmen  will,  Flateyiarb.  1,415, 

Man  sieht  der  ausnahmen  von  der  regel  sind  nicht  so  wenige. 

Hat  der  verf.  somit  bezüglich  des  ursprünglichen  kaufes  der  braut  recht,  so 
wird  man  ihm  dagegen  nicht  zustimmen  können,  wenn  er  ausführt,  dass  wie  bei 
anderen  vÖlkern  so  auch  bei  den  Germanen  der  kaufehe  eine  ältere  stufe  voran- 
gegangen sei,  und  zwar  als  rechtliche  Institution,  die  raubehe,  auf  die  das  wort 
'brautlauf'  und  allerlei  hochzeitsbräuche  wie  die  scheinbar  gewaltsame  entführung 
der  braut  u.  ä.  hinweisen  sollen.  Dass  wir  es  bei  der  ja  tatsächlich  oft  vorkommenden 
raubehe  'nirgends'  mit  einer  'durch  sitte  und  gesetz  anerkannten  heiratsform ',  sondern 
überall  nur  mit  'einer  vereinzelten,  die  schranken  des  rechts  durchbrechenden ,  straf- 
baren gewalttat'  zu  tun  haben,  hat  Grosse  Die  formen  der  familie  und  die  formen 
der  Wirtschaft  s.  105 fgg.  gezeigt.    Vgl.  auch  Spencer,  Principles  of  sociology  I,  623. 

B.  schildert  nun,  wie  die  frauen  allmählich,  in  verschiedenen  gegenden  zu 
verschiedener  zeit,  das  recht  erhalten,  zu  erben  und  grund  und  boden  zu  besitzen, 
was  ausnahmsweise  aber  auch  schon  früher,  wie  an  beispielen  belegt  wird,  in  der 
Wikingerzeit  der  fall  gewesen  ist. 

Der  mann  hatte  'hals-  und  haudrecht'  über  seine  gattin;  nur  auf  Island,  wo 
die  frau  überhaupt  früh  grössere  rechte  erreichte,  war  das  recht  des  mannes  in 
dieser  hinsieht  beschränkt,  und  schlage  galten  des  öfteren  als  scheidungsgrund. 

So  ändert  sich  nach  und  nach  die  Stellung  der  frau,  wir  hören  von  wirklicher 
liebe;  um  ihrer  selbst  willen  wird  nun  auch  gelegentlich  die  frau  umveorben.  Aus 
der  dichtung,  wie  aus  der  geschichte  werden  beispiele  in  reicher  zahl  vorgeführt, 
■wir  lesen  von  glühender  leidenschaft,  von  rührender  treue  bis  zum  tod.  Doch 
findet  das  liebeslied  w^enig  eingang,  ja  auf  Island,  von  dem  wir  doch  proben  besitzen, 
■war  es  sogar  gesetzlich  verboten.  Dass  wir  aber  ausserhalb  Islands  nichts  von  liebes- 
liedern  wissen,  ist  nicht  ganz  richtig.  Die  norwegischen  könige  Olaf  der  heilige  und 
Magnus  der  gute  haben  welche  gedichtet,  vgl.  Finnur  Jönsson,  Litteraturh.  1,  464 fg.« 
467.  Auch  in  Dänemark  und  Schweden  zeigen  sich  spuren  einer  höheren  auffassung 
der  frau,  auf  runensteinen  und  bei  Saxo.  So  kann  es  nicht  wunder  nehmen,  wenn 
in  dieser  zeit  sich  eine  reihe  von  frauen  über  das  gewöhnliche  uiveau  erheben. 
Zwar  die  zeit  der  schildjungfrauen,  die  wir  auch  bei  den  anderen  Germanen  antreffen, 
liegt  vor  der  eigentlichen  wikingerzeit  und  gehört  der  frühzeit  des  Germanentums 
an.  In  sage  und  dichtung  haben  die  gestalten  der  kriegerischen  Jungfrauen  ihre  Ver- 
herrlichung und  nacbahmung  gefunden,  sind  vorbild  der  walküren  geworden,  bei 
denen  menschliches  und  übermenschliches  zusammenfliesst.  Wenn  'das  rote  mädchen', 
von  der  ein  irisches  gedieht  des  14.  Jahrhunderts  als  anführeriu  einer  wikingerschar 
erzählt,  wirklich  gelebt  hat,  wie  B.  will,  so  ist  sie  doch  nur  eine  verspätete  ausnähme 
gewesen.  Auch  so  gab  es  genug  hervorragende  frauen,  von  denen  uns  B.  eine  reihe 
anschaulich  schildert,  die  eine  bedeutsame  rolle  im  öffentlichen  leben  spielten,  als 
fürstinnen,  dichterinnen ,  ärztinnen,  ansiedlerinnen.  Mächtig  auch  entwickeln  sich 
die  leidenschaften  bei  ihnen,  wir  sehen  grosse  liebe,  auch  grossen  hass,  wir  sehen 
dämonische  frauen,  die  jenseits  von  gut  und  böse  sind.  Besonders  Isländerinnen 
erscheinen  als  solche.  Nicht  alle  aber  scheint  mir  Bugge  richtig  beurteilt  zu  haben, 
so  wenn   er  bei   frauen,   wie  llallger|3r  und  der  GuJ)rün   der  Laxdirla  nur  'kleinliche 


ÜBER    HUC.OE,    AVIKIXGKR  11)5 

clirbegier  und  hoffart'  sieht,  'in  denen  man  unmöglich  den  versölinenden  zug  höheren 
streben«  entdecken  kann'.  Ihren  zweiten  mann  hat  doch  Hallgerpr  wirklich  geliebt; 
und  ist  nicht  alles  nnheil,  das  Gu{)rün  dem  geliebten  ihrer  Jugend  zugefügt,  aus  ihrer 
grossen  liebe  zu  ihm  hervorgegangen?  Wirft  nicht  die  bekannte  scene,  wie  sie  ihrem 
söhne  auf  sein  eindringliches  fragen,  wen  sie  am  meisten  geliebt,  nach  langem  zögern 
antwortet:  'den,  an  dem  ich  am  schlechtesten  gehandelt',  einen  versöhnenden 
Schimmer  auf  ihr  leben?  So  bringt  auch  Brynhild  dem  geliebten  Sigurd  den  tod. 
Und  wenn  nun  B.  eine  anzahl  irischer  trauen  von  gleicher  gemütsart  uns  vorführt, 
sollen  wir  ihm  da  wirklich  glauben,  dass  es  das  keltische  blut  war,  das  in  vieler 
Isländer  ädern  rollte,  und  der  einfluss  der  irischen  cultur,  die  diese  frauencharaktero 
schuf?  Hat  nicht  auch  das  Merowingerhaus  unheimliche,  dämonische  frauen  hervor- 
gebracht? War  nicht  auch  die  norwegische  Gunnliildr,  die  mutter  der  könige,  eine 
solclie  oder  die  schwedische  Sigrijjr  storräfia,  die,  von  könig  Olafr  Tryggvason  ver- 
schmäht,  ihn   mit  unauslöschlichem   hass  verfolgte  und  seinen  Untergang  veranlaßte? 

Der  schluss  des  capitels,  der  sich  übrigens,  ohne  dass  dies  angedeutet  wird, 
nicht  im  original  findet,  weist  nun  auch  auf  schaden  hin,  die  der  Stellung  der  hau 
in  dieser  zeit  der  berührung  mit  fremden  culturen  ei'wuchs:  die  zunehmende  Viel- 
weiberei der  häuptlinge,  die  au  haremswirtschaft  erinnernden  Verhältnisse  der 
schwedischen  Russen,  ebenso  wie  der  nordischen  häuptlinge  in  Irland;  die  kebsen- 
wirtschaft  der  Norweger,  Schweden,  Dänen  und  Isländer.  Auch  die  gewerbsmässige 
Prostitution  lernen  die  Nordleute  in  England  kennen. 

Der  dritte  abschnitt  behandelt  'das  leben  in  einer  wikingeransiedlung'.  ^yir 
erhalten  zunächst  eine  anziehende  Schilderung  Irlands,  seiner  uatur,  seiner  bewohner 
und  deren  cultur.  Staatlich  wenig  entwickelt,  in  klane  zerfallend,  die  in  ewiger 
fehde  miteinander  lagen,  waren  sie  roh  und  sinnlich.  Der  ackerbau  war  wenig  ent- 
wickelt, vielizucht  der  hauptnahrungszweig.  Von  südländischer  lebhaftigkeit  waren 
sie,  von  erregter  phantasie.  Leidenschaftlich  hatten  sie  das  Christentum  ergriffen, 
glaubensapostel  sandten  sie  aus,  ihre  anachoreten  bevölkerten  die  schottische  inselweit, 
ja  drangen  vor  den  Norwegern  nach  Island,  hüter  der  classischen  cultur  waren  sie 
y.n  einer  zeit  allgemeinen  Verfalls  geworden.  Aber  auch  ihre  mutteisprache  pflegten 
-le  eifrig;  nicht  nur  wissenschaftliche  arbeiten  werden  in  ihr  verfasst,  sondern  aucii 
iiistorische  werke,  wie  Jahrbücher,  genealogische  arbeiten,  geschlechtersagas  und 
.'■Idensagen,  märchen  und  gedichte'.^  Da  nun  auch  die  muttersprache  mehr  als 
anderswo  im  Norden  auf  Island  eine  pflegestätte  fand,  so  wird  flugs  geschlossen ,  dass 
dies  'wenigstens  zum  teil  der  Verbindung  mit  Irland  zu  danken  ist'.  Die  isländischen 
häuptlinge  sahen,  dass  die  könige  und  häuptlinge  in  Irland  sich  mit  sagamännern 
und  kunstskalden  umgaben.  Nun  müsste  man  eigentlich  erwarten,  dass  angeführt 
würde,  da.ss  die  isländischen  häuptlinge  dies  beisjiiel  nachgeahmt  hätten;  das  geschioiit 
nicht  und  ist  auch  nicht  der  fall  gewesen.  Wol  aber  hat  Harald  .schöniiaar  sich  mit 
skaldcn  umgeben,  und  dass  dieser  das  beispiel  der  irischen  fürsten  nachgeahmt  habe, 
lialte  ich   für  wenig  wahrscheinlich'.     Und  sdiou  vor  Harald  dichtete  ßragi  der  alte 

1)  In  .seiner  grossen  und  weiivollen  arbeit,  Vesterlandoncs  indtlydi'ise  paa 
Nordboernes  og  sa3rlig  Nordnifendenes  ydre  kultur,  levosfet  og  samfuiuNforhold  i 
vikingetiden  (Skrift.  udg.  af  vidensk.-selsk.  i  Christiania  1!»04.  Jl.  bist. -phil.  klasse) 
s.  OC)  sucht  übrigens  A..  Buggc  dem  einwand,  da-ss  zu  jener  zeit  die  veil)induiig 
zwischen  Norwegern  und  Iren  zu  gering  für  einen  solohon  eintluss  gewesen  sei, 
durch  den  hinweis  zu  begegnen,  dass  schuu  seit  -'/i  Jahrhunderten  Norweger  in  Dublin 
"wpson  und  da.<:s  Harald  selbst  nach  Man  und  den   llebriden  gokoninuMi  sei. 

ZKIT.SCimTFT    F.    JtKÜTSfHK    rHU.OI.OOIK.        HD.    XL.  ^ 


114  KAIIT.K        - 

an  deu  liüfeii  der  koiiigc.  B.  weist  sodann  auf  die  ithnlicbkeit  der  iiisclieu  und  is- 
ländischen dichtung  hin.  'Die  kunstdichtuug,  wie  sie  sich  im  10.  Jahrhundert  auf 
Island  entwickelte,  ist  sonst  im  Norden  fast  unbekannt.  Selbst  in  Norwegen  wurde 
sie  nur  wenig  gepflegt'.  Auch  hier  nimmt  er  einwirkung  von  Irland  auf  Island  an. 
Da  ich  des  irischen  nicht  mächtig  bin,  will  ich  mich  hier  eines  eigenen  Urteils 
enthalten.  Abei'  es  muss  doch  hervorgehoben  werden,  dass  man  zunächst  nicht  gut 
anders  kann,  als  die  isländische  skaldendichtung  einfach  als  fortsetzung  der  nor- 
wegischen des  9.  Jahrhunderts  anzusehen.  Sind  doch  bei  Bi-agi  schon  alle  demente 
dei'selbeu  vorhanden ,  und  wenn  dieser  auch  der  älteste  uns  bekannte  skald  ist,  so  kann 
er  doch  unmöglich  der  erfinder  dieser  dichtungsart  sein,  sondern  seine  dichtuugen 
setzen  schon  eine  längere  kunstübung  voraus.  Es  müsste  also  ei'st  bewiesen  werden, 
dass  schon  etwa  um  800  ein  eiufluss  der  ii-ischen  dichtung  stattgefunden  hätte,  und 
zwar  auf  die  norwegische  dichtung,  was  ganz  unwahrscheinlich  erscheint.  Denn 
wenn  auch  die  berühruugen  der  Nordleute  mit  der  keltischen  weit  des  Westens  schon 
seit  etwa  700  beginnen,  so  sind  sie  doch  in  diesem  Jahrhundert  verhältnismässig 
spärlich  und  sicherlich  fast  dui'chweg  feindlich  gewesen,  so  dass  man  sich  in  diesem 
Zeitraum  einen  so  weitgehenden  einfluss  auf  das  geistesieben  nur  schwer  vorstellen 
kann.     B.  nimmt  auch  diesen  einfluss  erst  für  später  an. 

Nach  Schilderung  der  irländischen  litteratur  geht  B.  nun  auf  die  tatsächlichen 
berühruugen  der  Nordleute  mit  dem  volke  des  Westens  ein.  Schon  um  700,  ja 
vielleicht  noch  früher  haben  Norweger  aus  dem  südwestlichen  teile  des  landes  festen 
fuss  auf  den  Oi'kneyjar  und  deu  Shetlandinseln  gefasst.  In  ihrer  begleitung  waren 
wahrscheinlich  mänuer  aus  Gotland.  Dies  wird  geschlossen  aus  Ornamenten  und 
bildern  auf  gotländischen  runensteineu,  die  den  eiufluss  keltischer  kunst  zu  verraten 
scheinend  Die  Schilderung  nun  der  norwegischen  und  dänischen  eroberungen  im  westen, 
liauptsächlich  auf  Irland,  die  gründung  ihrer  herrschaften ,  besonders  des  norwegischen 
königreiches  in  Dublin ,  des  lebens  und  treibens  in  diesen  colonien ,  des  Verkehrs ,  der 
sich  zwischen  den  Irländei'u  und  den  Nordleuten  entwickelte ,  erst  durchaus  feindlich, 
bald  aber  gelegentlich  auch  friedlich,  der  heiraten  zwischen  den  fürsteugeschlechtern, 
des  emporblühenden  handeis,  der  einführung  des  nordischen  heideutums,  ja  dessen 
ausbreitung  unter  Irländern,  aber  doch  schliesslichen  besiegung  durch  das  Christentum, 
alles  das  ist  höchst  interessant  und  lesenswert.  Irische  gefolgschaftsskalden  trafen  sich 
mit  isländischen  und  norwegischen  am  hofe  zu  Dublin.  Auch  die  nordische  sagaerzählung 
soll  dort  geblüht  haben.  Dort  soll  der  boden  gewesen  sein  für  den  einfluss  der 
irischen  litteratur  auf  die  isländische.  Aber  eins  ist  doch  verwunderlich.  Wenn 
wirklich  dort  ein  so  reges  litterarisches  leben  geherrscht  hat,  wie  kommt  es,  dass 
wir  von  keinem  einzigen  skalden  norwegischer  zunge  aus  Irland  wissen?  Es  hätte 
sich  doch  eine  einheimische  litteratur  in  norwegischer  spräche  entwickeln  müssen  — 
was  Sophus  Bugge  für  die  sagalitteratur  anführt,  ist  höchst  unsicher  —  sollte  all  das 
verloren  seinV  "Warum  haben  die  Isländer,  die  uns  doch  die  norwegische  litteratur 
aufbewahrt  haben,  nichts  von  dieser  irisch -norwegischen  erhalten,  warum  kennt 
Snorri  Sturluson  keinen  einzigen  irisch -norwegischen  dichter?  Das  ist  alles  doch 
kaum  erklärlich.  Und  dieser  grosse  einfluss  auf  das  geistige  leben  der  Norweger 
soll  statt  gehabt  haben,  obwol  B.  selbst  sagt:  'Nirgendwo  begegneten  sich  zwei 
Völker,    die    so   verschieden  waren   an   Charakter,    cultiir   und  socialen  Verhältnissen, 

1)  Wer  sich  über  diese  culturströmuug  genauer  unterrichten  will,  sei  auf  die 
ausführliche,  durch  zahlreiche  abbiiduugen  erläuterte  darstellung  A.  Bugges  in  der 
erwähnten  arbeit  Vesterl.  indfl.  hingewiesen. 


i'üKK  lU'uGi:,   \viKiNcii;i;  115 

wie  gerade  hier  (in  Irland).  Daher  lebten  aucli  die  uacliliünuiien  der  wikinger  und 
Iren  Jahrhunderte  lang  seite  an  seite,  ohne  miteinander  zu  verschmelzen  und  inein- 
ander aufzugehen  zu  einer  zeit,  wo  in  den  wikiugercolonien  in  England,  B^ankreich 
und  Russland  nur  die  spräche  dieser  länder  gesprochen  wurde'  (s.  141  fg.).  Damit  lässt 
sich  wol  eine  gegenseitige  beeinflussung  in  'friedlichen  beschäftigungen',  also  in 
materieller  cultur,  auch  in  bildender  kiuist,  leicht  vereinigen,  aber  schwer  eine  so 
tiefgehende  geistige  wie  sie  B.  annimmt. 

Der  4.  abschnitt  ist  den  'eriunerungen  au  die  wikinger  auf  dei-  iusel  Man' 
gewidmet.  Die  geschichte  dieser  insel  ist  schon  deswegen  höchst  interessant  und  hat 
die  aufmerksanikeit  der  forscher  schon  frühe]'  auf  sich  gezogen,  weil  hier  wie  sonst 
nirgends  in  alten  norwegischen  colouieu,  sich  die  grundzüge  der  von  den  Norwegern 
gegebenen  Verfassung  bis  auf  den  heutigen  tag  gehalten  haben.  Noch  heute  müssen 
alle  gesetze,  um  gesetzeskraft  auf  der  insel  zu  haben,  vom  Tynwald  Hill  verkündet 
werden.  Tynwald  ist  aber  nichts  anderes  als  altnordisch  Pingvqllr  'die  ebene  des 
dings'.  Noch  heute  wird  das  ding  umfriedet,  wie  in  alten  tagen.  Norweger  und 
Iren  sassen  auf  der  iusel,  die  sich  früh  ihre  Selbständigkeit  errang,  feilweise  sogar 
voroit  füi'  die  Hebriden  war.  Allerlei  verwegenes  gesiudel  aus  beiden  nationen  fand 
hier  Unterschlupf,  es  war  ciu  richtiges  seeräubernest.  Noch  heute  findet  man  spuren 
der  alten  Norweger,  wie  z.  B.  in  personen-  und  ortsnameu. 

Die  denkwürdigsten   reste   aber  sind   die   vielen  runensteine  'gleich  interessant 
durch  ihre  iuschriften  wie  durch  ihre  bilder.    Nur  auf  Gotland  gibt  es  entsprechendes'. 
In  ihrer  form  sollen  sie  den  irischen  und  besondei's  ostschottischen  steinen  gleichen,  wie 
sie  zur  zeit  der  wikingerzüge  üblich  war-en.     'Sie  sind  entweder  als  kreuz  zubehauen, 
oder  das  kreuz  schmückt,  was  am  häufigsten   ist,   die  Vorderseite  des  stciues'.     In 
den   bandverschlingungen   und  Ornamenten  ist  unleugbar  einfluss  der  keltischen  stein- 
kreuze vorhanden.     "Während   aber  diese   mit  bildern  aus  der  bibel   oder  dem  leben 
der  heiligen  geschmückt  sind,   finden   wir  nun  auf  den  runensteinen  scenen  aus  der 
heimischen  götterweit  und  sage  dargestellt.    Einige  dieser  steine  sind  abgebildet,  leider 
die  meisten  recht  schlecht,  wie  auch  später  die  aus  Gotland,  so  besonders  der  auf  s.  200 
so  dass  man  besser  hier  zum  original  greift,  in  dem  die  bilder  deutlicher  sind.     Die 
inschriften  sind  im  jüngeren  runenalphabet,  und  zwar  in  einem  typus,  der  wie  Sophus 
Bugge  nachgewiesen  hat,  sich  widerfindet  in  Jsedereu  und  ßingerike  in  Norwegen,  in 
Östergötland,  auf  Gotland  und  auf  den  Orkneyjar,  was  für  alte   Verbindungen   dieser 
gegenden  miteinander  spricht.     Man  dürfte  übrigens  aus  diesem  umstand  allein  noch 
nicht    auf  directe  beziehungeu   etwa  zwischen  Gotland  und  Schweden   zum   Westen 
-'  hliesseu;  war  diese  art  der  schrift  von  dort  nach  Norwegen  vorgedrungen,  konnte 
sie  auch  von  dort  herübergekommen  sein.    Doch  ist  hervorzuheben,  dass  eine  inschrift 
in  schwedischer  spräche  abgefasst  ist.    Vor  die  2.  hälfte  des  11.  Jahrhunderts  können 
tie    steine    nicht    gesetzt    werden,    da    sie    von    Christen   errichtet  wurden,   und  das 
liristeutum   erst  um   1050  allgemein   auf    der    insel    angenonimou    wurde,     ^^'ie    die 
nanieu  auf  den   inschriften  bezeugen,   hat  hier  —  also  wie   es  scheint,   viel  stärker 
als  in  Irland  —  eine  friedliche  vermisi;hung  von  Nordleuten  und  Kelten  stattgefunden. 
Bei   der  deutung  nun  der  bildlichen  dar.stellung  tritt  in  iicrvorragendom  masse 
lie  Phantasie   A.  Bugges,   von   der  ich   eingangs  gesprochen,   zu  tage,   und  aucli  die 
ic'S   vaters.     Denn    auf   ihn  geht  ein   teil    dei-    erklärungen    zurück.     Manches    zwar 
'•heint  sicher,   wie  der  die  schlänge  tötende  Sigurd  auf  dem  stein  von  Jurby,   nicht 
M  sicher  z.  b.   ist   schon  die  deutung  des   mit  dorn   wolfe   kämpfendeu    mumies    als 
Odin  auf  dem  stein  von  Kirk  Andreas.    A.  Olrik  z.  b.,  und  ich  bin  geneigt,  mich  ihm 

8* 


1  IG  KAULI-; 

auzuschliessen,  sieht  darin  den  gott  Vidärr.  Was  uns  aber  weiterhin  vom  stein  von 
Jurby,  vom  gehängten  Raudver  mit  dem  bunds-  —  oder  wie  der  Übersetzer  will  — 
vvolfskopf,  vom  adlerköpfigon  Odin  und  "Walhgll  erzählt  wird,  oder  von  den  vogel- 
köpfigeu  einheriern  auf  dem  stein  von  Kirk  Michael  ist  doch  nicht  viel  mehr  als  ein 
phantasiegebilde. 

Der  5.  abschnitt  trägt  den  titel  'herdfeuer  der  cultur  in  alter  zeit'.  Wir 
werden  in  zelten  geführt,  die  zum  teil  vor  der  wikingerzeit  liegen.  Am  frühesten 
ragt  hervor  Leire  auf  Seeland  mit  seiner  prächtigen  königshalle  -Hirsch',  die  wir  aus 
dem  Beowulf  kennen,  dann  ist  zu  nennen  Uppsala,  wo  das  hauptding  der  Svear 
war,  die  alte  handelsstadt  im  Mälarsee  Birka,  die  im  10.  Jahrhundert  durch  wikiuger 
zerstört  wurde,  worauf  sie  von  Sigtuna,  gleichfalls  am  Mälar  gelegen,  abgelöst  wurde. 
In  Dänemark  waren  Schleswig  und  Hedeby  die  handelsstädte.  wo  Sachsen,  Friesen 
und  Holländer  sich  trafen.  Von  grosser  Wichtigkeit  war  dann  Gotland,  hier  mündete  der 
handel  aus  dem  osten.  In  Norwegen  fehlt  es  an  solchen  einzelnen  culturbrennpunkten, 
doch  scheint  die  gegend  um  den  Christianiafjord  früh  schon  reges  leben  entwickelt  zu 
haben.  Die  culturen  aller  dieser  platze  werden  geschildert.  Freilich  muss  hier  viel 
erschlossen  werden  aus  runensteinen,  grabfundeu,  münzen  u.  a.,  so  dass  der  phantasie 
hier  mannigfacher  Spielraum  gelassen  ist.     Immerhin  folgt  man  gern  B.'s  führung. 

'Cultur  und  lebensanschauung  der  wikinger'  heisst  der  6.  abschnitt.  In 
diesem,  wie  in  dem  folgenden  letzten,  begegnen  wir  mannigfachen  widerholungen 
aus  früheren  partien  des  buches.  Gleichwol  ist  die  Zusammenfassung  nützlich.  Auf 
die  Veränderungen  in  spräche,  schritt  und  kunst  wird  hingewiesen.  Aber  dass  erst 
die  wikingerzeit  dem  götterglauben  das  gepräge  einer  kämpf religion  aufgedrückt  hat. 
mag  billig  .bezweifelt  werden.  Schon  vorher  haben  blutige  kämpfe  im  norden  getobt, 
und  den  kriegsgott  haben  die  Nordleute  schon  in  frühesten  zelten  verehrt.  Gegen 
die  Schilderung  der  götter-  und  heldensagen  sowie  der  lebensanschauung,  die  in  der 
dichtung  wie  in  den  taten  der  menschen  jener  zeit  sich  ausspricht,  habe  ich  wenig 
einzuwenden.  Nur  dass  ein  grosser  teil  der  Eddalieder  im  Westen  entstanden  ist, 
glaube  ich  nicht.  Doch  diese  Streitfrage  hier  zu  erörtern,  ist  kaum  am  platz.  Auch 
dass  die  sagen  von  Sigurd  und  Wölund  einst  gemeingut  fast  aller  germanischen 
stamme  gewesen  seien,  vermag  ich  nicht  anzunehmen.  Und  dürfen  wir  aus  dem 
umstand,  dass  wir  auf  Gotland  bildliche  darstellungen  aus  götter-  und  heldensagen 
haben,  nun  auch  schliessen,  dass  die  Eddalieder  dort  'ein  reiches  und  blühendes 
leben  gehabt  haben'?  Nichts  berechtigt  uns  dazu.  Wir  können  nur  sagen,  dass 
die  Stoffe  dort  bekannt  gewesen  sind,  und  in  welchem  umfang  ist  auch  noch  sehr 
die  frage.  Ob  diese  Stoffe  auch  dichterisch  behandelt  v/orden  sind,  und  in  welcher 
form,  darüber  wissen  wir  nichts.  Und  konnte  wirklich  nur  die  wikingerzeit  Wölund 
den  Schmied  'mit  der  tiefen  liebe  und  dem  noch  tieferen  hass.  voll  dämonischer 
Wildheit'  schaffen?  Bot  nicht  die  völkerwanderungszeit,  bot  nicht  die  blutbefleckte 
geschichte  des  Frankeureichs  genug  der  Vorbilder? 

Bei  Schilderung  der  äusseren  cultur  ist  die  E]gs{)ula  in  ausgedehntem  niasse 
verwendet  worden,  die  B.  im  westen  in  keltischer  Umgebung  im  anfang  des  10.  Jahr- 
hunderts entstanden  sein  lässt.  Aber  bereits  der  Übersetzer  weist  in  einer  anmerkung 
darauf  hin,  wie  zweifelhaft  der  entstehungsort  sei.  Ja  die  neuste  auffassimg,  die 
von  A.  Heusler  (Herrigs  Archiv  116,  270  f gg.)  geht  sogar  dahin,  dass  das  gedieht  ein 
spätes  isländisches  erzeugnis  des  13.  Jahrhunderts  sei.  Bevor  also  heimat,  und  vor 
allen  dingen  alter  des  gedichts  nicht  besser  festgelegt  sind,  kann  man  es  für  die 
cultur  der  wikingerzeit  nicht  benutzen. 


VliKIS    miOGK,    WIUlNtiKi:  117 

Der  letzte  abschnitt  behandelt  'die  lebensanschauung  und  bildung  beim  über- 
gange von  der  wikingerzeit  zum  mitteLalter'.  Es  ist  die  zeit  des  ausgehenden  heiden- 
tums,  des  Übergangs  zum  Christentum,  jene  zeit  seltsam  gemischten  glaubens,  wo  der 
magre  Helgi  nach  bedarf  Christus  oder  Thor  anrief,  wo  Christen  heidnische  bilder 
auf  kreuze  setzten,  die  zeit,  in  der  unter  oberflächlicher  christlicher  tünche  lange 
noch  heidnische  anschauungen  wucherten.  Eine  anzahl  männer,  wie  der  dichter 
Egill  Skallagrimsson  und  der  Christ  gewordene  skald  Hallfre|)r,  der  nur  schwer  sich 
von  den  alten  göttern  trennt,  werden  uns  als  typische  Vertreter  dieser  zeit  angeführt. 
Es  hätte  aber  auch  der  edle  Gunnarr  von  nii{)arendi  nicht  übergangen  werden  dürfen. 
Wir  sehen,  wie  langsam,  recht  langsam,  die  alte  Wildheit  schwindet,  wir  sehen 
auch  'einen  durchbruch  im  gefühlsleben ',  'einen  Übergang  zu  der  mehr  zärtlichen 
und  innigen  auffassung  des  mittelalters  vom  weibe  (s.  265).  Auch  das  naturgefühl 
scheint  stärker  zu  werden,  besonders  ist  es  das  wilde  meer,  das  die  dichter  zu 
schildern  lernen.  Als  erste  mittelalterliche  gestalt  von  umfassender  bildung  wird 
dann  der  dichter  Sighvati-  in  plastischer  schilderang  uns  dargestellt. 

Auf  ein  paar  einzelheiten  sei  noch  mit  einigen  werten  eingegangen. 

Als  erste  nordische  völker,  die  in  der  geschichte  auftreten,  nennt  B.  (s.  8)  die 
Cimbern  und  die  Teutonen.  Ist  'nordisch'  rein  geographisch  gebraucht,  wird  man  da- 
gegen nichts  einzuwenden  haben,  soll  es  aber  etwa  heissen  nordgermanisch  im 
gegensatz  zu  süd-  oder  westgermanisch,  so  ist  die  Sache  doch  nicht  sicher.  Bremer 
z.  b.  zählt  die  Cimhern  zu  den  "Westgermanen,  die  irgendwo  in  Schleswig -Holstein 
Sassen.  Doch  wird  man  von  jenen  unterschieden  fi'u-  diese  zeit  am  besten  überhaupt 
abstand  nehmen.  Wenn  B.  s.  17  als  beleg  dafür,  dass  die  Heruler  ein  merkwürdiges 
Volk  waren,  den  bericht  Prokops  anführt,  dass  sie  lediglich,  um  einmal  probeweise 
ohne  könig  zu  .sein,  iiiren  könig  getötet  hätten,  so  haben  wir  es  doch  wol  mit  einem 
später  untergelegten  grund  zu  tun.  Sie  werden  schon  eine  andere  veranlassung  gehabt 
haben,  vielleicht  dieselbe  oder  eine  ähnliche,  die  jene  Schweden  hatten,  die  ihren 
könig  den  göttern  wegen  anhaltenden  misswuchses  opferten. 

Nach  s.  58  könnte  es  scheinen,  als  wenn  die  Vorstellung,  dass  der  tote  eines 
Schiffes  bedurfte,  um  in  die  unterweit  zu  kommen,  die  allein  herrschende  gewesen 
i.  Es  ist  dies  aber  nur  eine  von  mehreren  arten,  wie  man  den  weg  zurücklegte. 
Dass  wir  auf  den  goldenen  hörnern  darstellungen  von  walküren  haben  sollen  (s.  58), 
die  met  in  "Wallhall  einschenken,  ist  mehr  denn  zweifelhaft,  vgl.  Müller,  Nord, 
altert.  2, 150,  und  die  bemcrkung  (s.  59).  dass  dies  beweise,  dass  die  Nordleute  bereits 
in  der  zeit  der  völkeiwanderung  dem  weibe  ein  leben  nach  dem  tode  zuschrieben, 
ist  doch  wol  überflüssig.  Haben  sie  es  vor  der  Völkerwanderung  etwa  nicht  getan? 
Die  grabbeigaben  bezeugen  dies  doch  für  viel  ältere  zeit.  Höchst  zweifelhaft  ist 
.  72j,  ob  Au{)r  hin  diüpü|)ga  mit  könig  Olaf  dem  weissen  von  Dublin  verheiratet  ge- 
wesen ist,  vgl.  Gering  zur  Eyrb.  c.  1, 8.  Den  satz  auf  s.  85  verstehe  ich  nicht: 
'Aber  eine  frau  daheim,  eine  in  England,  eine  in  Irland  oder  Frankreich,  das 
wurde  bald  zu  viel  für  einen  mann,  und  nach  und  nach  wurde  die  Vielweiberei  all- 
gemein in  den  Wikingerdistricten  des  Ostens  und  westeus.'  Der  nachsät/,  widerspricht 
dem  Vordersatz,  man  würde  erwarten,  wenn  die  drei  oder  vier  frauen  zuviel  wurden, 
dass  man  zur  monogamie  zurückkehrte.  Ob  etwa  ein  versehen  des  übei-sotzors  vor- 
hegt, kann  ich  nicht  sagen,  da  dies  stück  im  original  nicht  steht.  .\uf  s.  97  wird 
gesagt,  dass  der  ackerbau  nur  eine  geringe  rolle  für  die  Iren  spielte,  aufs.  141,  dass 
die  Iren  die  Nordloute  viel  zu  lehren  liatten,  besonders  was  ackorliau  und  vieh/.uclit 
anlx'trilTt,  worin  di<'  Iren  ihrerseits  überaus  vii-1  von  d'-n  Körnern  in  Ürilaniiion  gelernt 


118  KAIILK    ÜBKR    EUdliE,  'WIKJNGEK 

hatten.  Was  ist  umi  richtig V  Dass  der  isländische  freistaat,  wenigstens  teilweise,  sein 
A^orbild  in  den  wikingercolouien  auf  den  britischen  inseln  gehabt  habe  (s.  120),  scheint 
jnir  sehr  unwahrscheinlich.  Mit  ganz  geringen  ausnahmeD ,  wie  aus  den  Schilderungen 
B.s  selbst  hervorgeht,  haben  diese  alle  unter  häuptlingen  gestanden.  Die  entwicklung 
auf  Island  ist  eine  ganz  andere.  Hier  stiessen  die  landuahmsmäuner  auf  menschen- 
leeres land,  denn  die  paar  irischen  anachoreten  zählten  nicht. 

Kaum  richtig  ist  ferner,  dass  die  nachkommen  der  auf  den  Hebrideu  und  in 
Irland  getauften  landnahmsmänner  und  die  irischen  anachoreten  den  boden  für  die 
annähme  des  Christentums  auf  Island  im  jähre  1000  vorbereitet  hatten.  Die  nach- 
kommen der  ersten  Christen  waren  längst  ins  heidentum  zurückgefallen  und  bewahrten 
höchstens  ein  paar  abergläubische  anschauungen ,  und  die  anachoreten  scheinen  gleich 
bei  ankunft  der  ersten  colonisten  oder  doch  bald  nachher  das  land  verlassen  zu  haben. 
Jedesfalls  haben  sie  keine  Wirksamkeit  ausgeübt,  davon  hätten  wir  sicher  künde.  Was 
s.  IßOanni.  des  Verfassers  als  tatsache  ausgesprochen  wird,  dass  nämlich  die  isländischen 
goden  ihren  titel  von  dänischen  und  norwegischen  Wikingerhäuptlingen  in  England  und 
Irland  angenommen  haben,  ist  nichts  als  eine,  noch  dazu  unwahrscheinliche,  Ver- 
mutung. Die  gewöhnliche  altwestnord.  form  (s.  163)  ist  nicht  k/jrkja,  sondern  kirkju, 
was  auch  besser  zum  manischen  kirk  stimmt. 

Die  s.  169  erschlossene  verszeile  auf  einem  kreuz  auf  Man  'Ein  mensch  soll 
wenig  fürchten  und  schön  handeln '  mag  ja  aus  der  zeit  des  heideiitums  stammen  und 
sich  den  Sprüchen  der  Hävam^l  vergleichen,  aber  etwas  specifisch  heidnisches  hat  sie 
nicht,  und  eignet  sich  deshalb  nicht  dazu,  als  beleg  für  die  mischung  von  heidentum 
und  Christentum  angeführt  zu  werden.  Mit  den  bezeichnungen  'ältestes  Eddagedicht', 
als  welches  die  Volundarkvijja  angegeben  wird  (s.  210),  sollte  man  doch  vorsichtiger 
sein  und  sich  damit  begnügen,  zu  sagen  'eins  der  ältesten'.  Es  hätte  wol  angeführt 
werden  können  (s.  223),  dass  auch  bei  den  Wikingern  der  Normandie,  obwol  sie  der 
hauptmasse  nach  Dänen  waren,  Thor  die  hauptrolle  gespielt  zu  haben,  oder  zum 
mindesten  doch  eine  sehr  starke  Verehrung  genossen  zu  haben  scheint.  Dass  namen 
wie  AlfQÖr  (s.  223)  für  Odin  nicht  notwendig  christlicher  anschauung  entsprungen  sein 
müssen,  glaube  ich  Ark.  f.  nord.  fil.  17, 141fgg.  gezeigt  zu  haben.  Für  ein  so  einfaches 
bild,  wie  das  vom  rückwärtsfliessen  der  flüsse,  um  etwas  unmögliches  zu  bezeichnen, 
das  meiner  ansieht  uach  überall  entstehen  kann,  nach  quellen  zu  suchen  (s.  265) 
halte  ich  für  vorkehrt.  Dass  Hallfre{)r  (s.  272)  die  Kolfinna  zum  ehebi'echerischen 
verkehr  gezwungen  habe,  wie  B.  annimmt,  scheint  mir  aus  der  erzählung  nicht  hervor- 
zugehen. Es  steht  kein  wort  von  zwang  da.  Unwillig  wird  KolGnna  nur,  als  Hall- 
fre{)r  die  schmäh verse  auf  ihren  mann  dichtet,  den  sie  ganz  gern  hat.  Aber  lieber 
hatte  sie  doch  wol  noch  den  geliebten  ihrer  jugeud. 

Eingangs  habe  ich  gesagt,  dass  Hungerland  sich  durch  seine  Übersetzung  dank 
verdient  hat.  Grösser  wäre  dieser  noch,  wenn  sie  sorgfältiger  wäre.  Auf  eine  anzahl 
kleiner  druckversehen,  die  jeder  selbst  leicht  verbessern  kann,  lege  ich  kein  gewicht. 
An  manchen  stellen  muss  man  schon  etwas  schärfer  zusehen,  um  das  richtige 
zu  erkennen.  Auf  s.  44  ist  zweimal  Irländer  in  Isländer  zu  vei bessern;  s.  128, 10 
'und'  in  'nur'  zu  ändern;  s.  231,29  'persönlich'  in  'persönlichste'.  Der  stil  lässt 
viel  zu  wünschen  übrig.  S.  3,  5 fg.  'nationaiversammlung,  wo  die  männer  zusammen- 
strömen' erinnert  an  die  spräche  der  Pfalz,  ist  aber  kein  gutes  hochdeutsch.  S.  12 
anm.  6  steht  'nur'  an  falscher  stelle:  'diesem  gebiet  kommt  eigentlich  nur  der  nanie 
Schweden  zu';  gemeint  ist:  nur  diesem  gebiet.  Auf  s.  25  ist  in  zwei  anmerkuugen, 
einer    des    Verfassers  und   einer  des  Übersetzers,    der  namc  Noreen  falsch  mit  accent 


KAUI-FMANN    ÜliKK    AVII.SKI; ,    IHK    GKlfM  ANK.X  119 

auf  dem  ersten  e  gescliriebeu.  Dieser  l'eliler  liudet  sich  si;huii  im  original.  Nicht 
deutsch  ist  es,  zu  sageu,  ebd.  aum.  2,  'Ottar  war  der  erste,  der  zuerst. .  .'  Eine  Ver- 
mischung zweier  constructionen  findet  sich  s.  Iö8,  24:  (sie  werden)  in  ihrer  eigenschaft 
als  gesetzeskundige  wegen  . .  !  •  Gemahnen'  (s.  259,  12fgg.)  wird  im  dcutsclieii  mit  'an 
etwas'  construiert,  uicht  mit  'von  etwas'.  Augenscheinlich  scliwebte  H.  etwas  wie 
' Zeugnis  ablegen'  vor.  Ob  man  die  bewohner  der  Uebriden  'Hebriden'  (s.  182,  ,31) 
nennen  kann,  scheint  mir  zweifelhaft..  Freilich  weiss  ich  das  wort  auch  nicht  recht 
zu  bilden.  Verkehrt  übersetzt  ist  indhav  (s.  14,  17)  mit  'binnensee',  es  muss  heisseu 
'binnenmeer'.  Überhaupt  schimmert  des  öfteren  das  norwegische  durch,  so  dass  die 
Übersetzung  undeutsch  wird,  ein  paarmal  ist  auch  direct  falsch  übersetzt.  S.  3, 13  ist 
'da"  (norw.  da)  in  'als'  zu  ändern;  es  soll  kein  ursächliches,  sondern  ein  zeitliches 
Verhältnis  ausgedrückt  werden.  Mau  kann  uicht  (s.  7,  lü)  sagen  ,sich  einander  ver- 
stehen' (forstdd  liincmdcn).  Dass  die  gesetzgebende  Versammlung  auf  Man  die  gesetze 
'stiftet'  (s.  155, 31),  kann  man  unmöglich  sagen,  soll  heissen  'die  gesetze  werden 
angenommen'.  Dan.  oidoy  heisst  nicht  'doch'  (s.  188,  26),  sondern  'sogar'.  'Dort' 
(s.  204,  10)  für  doch  (dag)  ist  wol  druckfehler.  Eine  vom  asenglauben  'durchsäuerte' 
dichtung  (s.  230,  29  fg. ;  yjenncmsyrct)  ist  im  deutschen  wenigstens  ein  unschönes  bild. 
Ich  würde  vorschlagen  'durchtränkte'.  Bei  den  hinweisuugen  auf  die  anmefkungen 
herrscht  zuweilen  ziemliche  Verwirrung.  Eine  anm.  4  auf  s.  18,  auf  die  s.  27  aum.  2 
verwiesen  ist,  findet  sich  dort  nicht.  Ebensowenig  wie  anm.  3  aufs.  49,  auf  die  s.  61 
anm.  2  hindeutet.  Überhaupt  ist  auf  dieser  seite  Zwiespalt  in  den  hinweisen  im  text 
und  der  Zählung  der  an  merkungen.  Die  anm.  **)  s.  149  gehört  auf  s.  150  zu  zeile  1 
hinter  -Hebriden".  Melir  oder  minder  grosse  Verwirrung  herrscht  auch  auf  den 
ss.  230.  249.  252.  "Was  den  Inhalt  der  von  H.  herrührenden  anmerkungen  betrifft, 
so  erklären  sie  teils  den  deutschen  lesern  ferner  liegende  dinge,  teils  bringen  sie 
nachweise,  die  das  original  nicht  hat,  zuweilen  auch  eigene,  abweichende  ausichten, 
denen  ich  vielfach  zustimmen  kann.  Etwas  zuviel  ist  es  wol  gesagt,  wenn  s.  26 
anm.  1  Egill  Skallagrimsson  für  einen  der  grössten  dichter  der  weltlitteratur  erklärt 
wird.  Auch  möchte  ich  die  Njäla  (s.  44  anm.  1)  nicht  für  die  unbedingt  grossartigste 
isländische  saga  halten.  Warum  wird  s.  150  anm.  1  für  die  alte.dingstätte  auf  Island 
ilie  dänische  bezeichnuug  Thinyvalla  gegeben,  und  nicht  lieber  die  isländische  Ping- 
rellir?  Dass  der  glaube  an  die  in  berge  entrückten  seelon  und  ihre  Verehrung  durch 
die  nachkommen  (s.  256  anm.  1)  aui  keltischen  einfluss  schliessen  lässt,  scheint  mir 
nicht  genügend  begründet.  Übrigens  citiert  H.  hier  sich  selbst  falsch:  es  muss  nicht 
heissen  Arb.  f.  nord.  tU.  XVI,  367,  sondern  XXI,  387. 

HEIDELBERG.  B.    KAILLE. 


IVilser,  Ludwiir:  Die  (Jormauen.    Beiträge  zur  Völkerkunde.    Thüringische  verlags- 

anstalt,  Eisenach  und  Leipzig  s.  a.  (1904).    VI,  447  s.     6  m. 
Derselbe:   Die  herkunft  der  Baiern,  mit  anhang:  Stammbaum  der  langobardischen 
könige.     Zur  runenkunde.     Zwei   abhandlungen.     vVkademischor  vorlag   für  kunst 
und  Wissenschaft.     Leipzig  und  Wien  1905.     80  s.     1,20  m. 

In  dem  an  erster  stelle  genannten  buch  sind  die  zahlreichen  seit  25  jähren 
veröffentlichten  äusserungen  Wilsers  über  problemo  der  prähistorio  und  der  germa- 
ni.schen  altertum.skunde  vereinigt  worden.  Der  vielseitig  orientierte  verfasset  ist  be- 
kanntlich nicht  im  stände,  die  bei  uns  piiilologen  und  historikern  übli(;licii  grundsätze 
wis.senschaftlicher  beweisführung    anzuerkennen.     Seine    [ihantasie    überwuchert  sein 


120  EIIKISMAAN    ÜBEK    l'J-'EIFFER ,    OTFKIl) 

wissen.  Infolgedessen  wird  niemand  sich  veranlasst  sehen,  Wilsers  flüchtige  feder 
und  die  von  ihr  gezogenen  krausen  linien  zu  respectieren.  Der  schreibselige  mann 
machte  neuerdings  dann  noch  den  anlauf  gegen  das  Baiernproblem ,  das  er  spielend 
durch  die  gleichung  Lugier  =  Baiern  beseitigt  zu  haben  glaubte.  In  der  runen- 
abhandhmg  beliommen  wir  zu  hören,  wie  "Wilser  über  neuere  ruuologische  Ver- 
öffentlichungen denkt.  Der  lefraiu  laiitet  auch  hier,  es  sei  ihm  unbegreiflich,  dass 
man  immer  noch  und  immer  aufs  neue  an  einem  rätsei  herumrate,  das  doch  Wilser 
längst  gelöst  habe. 

KIEL.  FRIEDEICH    KAUFFMANK. 

Otfrid,  der  dichter  der  evangeheuharmonie  im  gewande  seiner  zeit.  Eine  litterar- 
und  kulturhistorische  Studie  von  C.  Pfeiffer.  Göttingen,  Vandenhoeck  u.  Ruprecht 
1905.     134  s.     2,60  m. 

Einen  wissenschaftlichen  zweck  verfolgt  der  Verfasser  nicht,  er  'wendet  sich 
an  ein  weiteres  publicum',  um  auch  bei  den  'menschen  der  neuzeit  rein  menschliches 
intei'esse'  für  den  dichter  der  evangelienharmonie  zu  erwecken.  Dieses  ziel  mag  er 
erreicht  haben,  denn  er  hat  seine  Studie  mit  vvärme  und  liebevoller  hingäbe  an  den 
gegenständ  geschrieben.  Es  genügte  ihm  aber  (abgesehen  von  einer  das  klosterleben 
und  das  Christentum  jener  zeit  schildernden  einleitung)  allein  auf  grund  einer,  aller- 
dings sehr  reichen,  auslese  anmutiger  oder  ergreifender  scenen  aus  Otfrids  werke  ein 
bild  des  dichters  zu  entwerfen  ohne  viel  darnach  zu  fragen,  ob  die  gedanken  auch 
von  ihm  herrühren  oder  nicht.  So  erscheint  Otfrid  fast  überall  originell,  wo  er  doch 
fast  immer  nur  nachahmer  ist.  Die  Schilderung  der  p'rophetin  Anna  und  ihrer  witwen- 
treue (1, 1(3,  5)  wird  als  perle  Otfridscher  gemütstiefe  gepriesen:  aber  schon  dei"  dichter 
des  Heliand  äussert  die  gleichen  empfindungen  (v.  504),  und  auch  er  schon  hat  zarte 
worte  für  die  liebe  der  Maria  zu  ihrem  kinde  (Otfr.  I,  2,33,  Hei.  378)  und  weiss  die 
bitterkeit  des  zweifeis,  der  Josef  beschwert,  nachzuempfinden  (Otfr.  I,  8,  9  =  Hei.  295); 
Marienklage  und  klage  der  bethlehemitischen  trauen  vollends  sind  ganz  nach  alten 
motiven  gearbeitet.  So  ist  es  auch  mit  der  allegorie  von  der  heimkehr  der  Magier. 
Wie  viele  andere  scenen  ist  auch  sie  ein  ausdruck  des  grundgedankens  des  evangelien- 
buchs,  der  ist:  den  weg  zu  zeigen  zum  himmelreich  (vgl.  verf.  s.  55.  64.  107.  109). 
Dann  aber  genügt  es  nicht  zu  sagen,  Otfrid  gestalte  hier  nur  einige  trockene  moral- 
sätze  seiner  quelle  tief  und  gemütvoll  aus,  sondern  wir  erkennen  darin  die  welt- 
bewegende Offenbarung  vom  himmlischen  heim  weh,  dem  fQwg  Piatons,  d.  i.  'die 
ringende  Sehnsucht  der  seele  nach  ihrem  überirdischen  Ursprung'  (Windel band),  und 
wir  werden  mit  der  seele  'den  weg  gehen  in  unser  liebes  Vaterland",  wie  ihn  viel 
tausendmal  schöner  Plotiuus  beschrieben  denn  Otfrid,  und  werden  uns  erinnern,  dass 
auch  viele  menschen  im  Zeitalter  unseres  dichters  das  heimweh  kannten  und  er- 
greifende worte  dafür  gefunden  haben,  wie  die  angelsächsischen  Sänger  vom  wandercr, 
vom  Seefahrer,  von  der  luine,  Paulus  Diaconus  nach  seiner  stillen  klosterzelle  und 
der  starre  mönch  Gotschalk  nach  der  freiheit,  und  wie  in  der  tlieologie  des  mittel- 
alters  die  weit  immer  das  exilium  gewesen  ist,  in  das  wir  aus  dem  vaterlaud  des 
Paradieses  (ex  Paradisi  patria)  Verstössen  worden  sind.  Und  widerum,  wie  bei  Piaton 
der  iQOjg  es  ist,  der  die  seele  zu  dem  göttlichen  leben  zurückführt,  an  dem  sie  einst 
teil  hatte,  so  ist  es  bei  Otfrid  die  christliche  Karitas  :  minna  thiu  diura  (tkcist 
Jcaritas  in  ivaraj  .  .  .  tili  gäeitit  nnsih  heiin,  Hartm.  129 fg.  (vcif.  s.  55).  Das  aber 
eben  ist  der  mittclpunkt  der  christlichen  lehre. 

HEIDELBERG.  G.    EIIRISMANX. 


S<]IMKI)ES    ÜBKK    IximCilKU- KIN/.KI. ,    MHKI.l'.Mi  KNLIKD  121 

Das  Nibelungeulied  im  auszuge  iiacli  dem  urtext  mit  dou  entsprecliunden 
abschnitteD  der  W  ölsungeusage  erläutert  und  mit  den  nötigen  hilfsmittelu 
versehen  von  G.  Bötticher  und  K.  Kiuzel.  Sechste  verbesserte  aufläge.  (=^  Denk- 
mäler der  älteren  deutschen  literatur,  herausgegeben  von  dr.  G.  Bötticher  und 
dr.  K.  Kinzel  I.  3).     Halle,  Waisenhaus  190:3.     VIII,  179  ss.     1,40  m. 

Die  einleitung  des  für  den  schulgebrauch  bestimmten  buches  handelt  im  ersten 
capitel  von  der  geschichte  der  deutscheu  heldensago  und  des  Nibelungenliedes.  Die 
herausgeber  stellen  sich,  was  die  eutstehung  des  gedichtes  angeht,  auf  Lachmanns 
Standpunkt,  ohne  näher  auf  seine  liedertheorie  einzugehen,  aber  auch  ohne  den  immerhin 
liypothetischen  character  ihrer  angaben  anzudeuten.  Das  zweite  capitel  gibt  einen 
brauchbaren  auszug  aus  der  Wölsungensage  nach  verschiedenen  Übersetzungen  der  alt- 
nordischen quellen. 

Von  den  2316  Strophen  der  Lachmaunischen  ausgäbe  sind  etwa  zwei  fünftel 
in  einer  zweckmässigen  auswahl  abgedruckt.  Übrigens  weichen  die  herausgeber  von 
L's  reccnsion  in  kleinigkeiten  ab,  die  zum  teil  doch  wol  druckfehler  sind.  Ich  habe 
mir  folgende  stellen  angemerkt:  46,3  es:L.  richtig  ez  (hier  ist,  wi&  die  anmerkung 
zur  .stelle  zeigt,  mit  absieht  geändert);  68,  4  s wanne  :L.  swanneu\  91,2  .swze :  L. 
mine;  102,  4  und  :  L.  unde  (ebenso  649,  4);  422,  3  wartend  :  L.  wartent;  üOe;  2  läz  : 
L.  laxe;  6,32,1  kiz:L.  hiex\  632,2  AdrUnes-A..  Aldrianes;  697.3  Günthers -.L. 
Ounfheres]  702,  3  ivaz  ir  so  rekte  ertrüebet  hete  ir  imiot:L.  ivax  ir  so  rehte  swrrre 
verrihtet  hete  ir  muot\  792,4  We  :  L.  tmn;  797,4  richtet -Aj.  richet;  897,2  stt  ir 
»nner  frtunde -.Jj.  Sit  ir  mir  miner  friunde\  937,  3  hieicen  :  L.  hiuwen\  944,3 
hiiobet :  L.  houbet. 

Auslassungen  von  einigem  umfange  sind  durch  inhaltsaugaben  ersetzt,  und  so 
ist  die  Verbindung  überall  mit  anzuerkennendem  geschick  hergestellt.  Für  zwei  stellen 
schlage  ich  eine  kleine  änderung  vor.  S.  134,  zeile  1  v.  o.  wäre  statt  der  Ämelungen 
wol  Dietrich  allein  zu  nennen  gewesen,  s.  138  (mitte)  entspricht  die  angäbe,  dass 
Hagen  und  Günther  dem  spielmann  Volker  ewige  freundschaft  und  dankbarkeit  gelobt 
hätten,  doch  nicht  dem,  was  die  weggelasseneu  strojthon  sagen. 

Commentar  und  Wörterverzeichnis  werden  im  allgemeinen  leisten,  was  die  heraus- 
geber sich  davon  versprechen,  wenn  jener  auch  zuweilen  erklärungen.  namentlich 
sachlicher  art,  bringt,  die  zum  mindesten  überflüssig  erscheinen.  Ich  weise  nur  auf 
ein  paar  stellen  hin,  die  ich  für  entschieden  unrichtig  oder  doch  irreführend  halte: 
es  sind  die  anmerkungen  zu  29,  4;  11.5,  2;  140,  3;  141,  1:  215,  2  —  3. 

Den  beigegebenen  abriss  der  mhd.  laut-,  flexions-  und  verslehre  will  ich  nicht 
liunkt  für  punkt  durchgehen,  sondern  nur  hervorheben,  was  mir  besonders  bedenklich 
erschienen  ist.  In  den  bemerkungen  zur  laUtlehrc  wird  recht  planlos  bald  auf  das 
ahd.  zurückgegangen,  bald  wieder  nicht.  Die  boispiele  sind  hier,  wie  auch  weiterhin, 
keineswegs  alle  dem  Wortschatz  des  Nibelungenliedes  entnommen.  Dass  h  vor  t  gleich 
unserem  ch  gesprochen  wird,  erführt  der  schülcr  hier,  dagegen  kein  wort  über  diu 
doppelte  geltung  des  x.  Nebenbei  bemerkt:  wäre  es  nicht  in  ausgaben,  die  für  die 
schule  bestimmt  sind,  sehr  angebraclit,  auch  im  toxt  das  zeichen  z  zu  verwenden? 
Da.s  paradigma  neben  für  die  starke  conjugation  ist  unglücklich  gewählt,  denn 
du  fjihesl.  er  ijihet  kommt  in  den  abgedruckten  strophon  nirgends  vor.  dagegen  ein- 
mal du  <jisl .  dreimal  er  git.  Noch  bedenklicher  ist  mfjtr  als  licispiel  fiir  die  prsß- 
toritalbildung  der  schwachen  verba  mit  kurztr  .Stammsilbe:  vgl.  11,  1  sisar/etr,  675,3 
(jescit;  676,  1  versciter.  Dass  einige  noutra  einen  plural  auf  -er  bilden,  hätte  un- 
erwähnt bleiben  können;  zum  wenigsten  wäre  ein  anderes  l.uispiel  als  das  späte  redrr 


122  LUrKE      ' 

beizubnugoii  gewesen.  S.  168  z.  6  v.  o  beisst  es:  I'ron.  sich  ist  nur  als  acc.  gebrauuht; 
der  dativ  lautet  im.  Etwa  aucli  im  plural?  Aber  ganz  abgeseben  von  den  besprochenen 
einzelheiten  erscheint  mir  der  abriss  so  dürftig,  dass  ich  ihn  in  dieser  form  übei'haupt 
nicht  für  brauchbar  halten  kann.  Wollen  ihn  die  herausgeber  nicht  ganz  fallen  lassen, 
so  werden  sie  sich  zu  einer  gründlichen  Umarbeitung  entschliessen  müssen.  Freilich 
ist  mir  fraglich,   ob  sie  in  diesem  falle  mit  vier  seiten  auskommen  werden. 

FRAXKPUßT    A.  M.  .1.    SCHMEDES. 


Alfred  Götze,  Die  hochdeutschen  drucker  der  reformationszeit.    Straßburg, 
Trübner  1905.     XIII,  127  s.  79  tafeln.     10  m. 

Das  schmuck  ausgestattete  büchlein  will  zur  bestimmung  von  drucken  der  re- 
formationszeit helfen,  deren  heimat  und  presse  nicht  angegeben  ist.  Wie  der  Verfasser 
in  der  einleitung  (s.  VI)  ausführt,  sind  bei  diesen  datierungen  nach  möglichkeit  stets 
drei  punkte  zu  beobachten  und  genau  nachzuprüfen:  die  typen,  die  titeleinfassuugen 
und  sonstigen  zierstücke,  die  mundart  des  druckers.  So  hat  auch  das  buch  drei 
teile.  Im  ersten  werden  kurze  biographien  von  79  druckern  gegeben ,  das  wesen  ihres 
Verlags  angezeigt  und  die  hervorstechendsten  eigentümlichkeiteu  ihrer  spräche  zusammen- 
gestellt. Der  zweite  teil  enthält  von  194  titeleinfassungen  die  beschreibung,  die  nameu 
der  benutzer  und  angaben  über  evtl.  vorkommende  nachschnitte.  Im  dritten  endlich 
finden  wir  eine  nachbildung  von  typenbeständen  der  im  1.  teil  aufgeführten  drucker. 
Dabei  ist  die  grenze  von  1530  wol  kaum  überschritten  worden. 

Die  bibliographischen  Vorbemerkungen  sollen  nach  der  absieht  des  Verfassers 
(s.  X)  keinen  neuen  Stoff  zu  den  leben sbeschreibungen  der  behandelten  personen 
bringen,  sondern  nur  in  dem  rahmen  der  druckbestimmung  ist  ihr  Inhalt  zu  betrachten. 
Z.  b.  sollen  sie  verhüten,  dass  man  einen  Lutherdruck  emem  strengen  katholiken 
zuschreibe,  oder  eine  schrift  von  1525  einem  manne  zuweise,  der  bereits  1522  ge- 
storben ist.  Und  unter  diesem  gesichtspunkt  betrachtet  genügen  die  angaben.  Ein 
allgemeiner  überblick  über  die  benutzte  litteratur  wird  s.  XI  gegeben.  Aber  bei  einer 
ganzen  reihe  von  druckern  ist  der  verf.  selbst  über  dies  umschränkte  ziel  hinaus- 
gegangen, indem  er  die  besondere  litteratur  und  die  neuesten  forschungen  anführt. 

Anderseits  sind  einige  drucker.  die  als  besitzer  von  titelbordüren  erscheinen, 
im  1.  und  3.  teil  des  buches  nicht  berücksichtigt.  Gewiss  sind  sie  von  untergeord- 
neter bedeutung.  Zum  .teil  hat  ihre  ausschaltung  aber  auch  wol  ihren  grund  darin, 
dass  mit  angäbe  der  presse  versehene  texte  schwer  aufzutreiben  waren.  Unter  den  7 
drucken  z.  b. ,  die  A.  v.  Dommer ,  Lutherdrucke  auf  der  Hamburger  stadtbibliothek ,  mit  gu- 
tem recht  Martin  Landsberg  in  Leipzig  zuweist,  trägt  keiner  ein  volles  Impressum.  Auch 
Weller  gibt  nur  einen,  10G8  (s.  455),  aus  dieser  officin  an,  der  den  namen  des  druckers 
hat.  Indessen  hätte  Landsberg  W'ol  mindestens  ebenso  gut  wie  Joh.  Schwan  (nr.  65) 
verdient,  im  3.  teil,  natürlich  unter  entsprechendem  hinweis,  eine  stelle  zu  finden, 
denn  seine  grösseren  typen  weisen  einen  recht  eigenartigen  ductus  auf.  (Mir  liegt 
gerade  Panzer  1143  vor). 

Auch  Johann  Loersfeld  ist  nicht  vertreten.  Im  dritten  teil  wäre  das  auch  kaum 
nötig  gewesen,  da  er  meistens  die  Trutebulschen  lettern  benutzt.  Aber  wie  er  unter 
dem  artikel  nr.  30  —  Trutebul  —  als  nachfolger  dieses  drackers  in  Erfurt  genannt  wird, 
hätte  auch  hier  auf  seine  bedeutung  für  das  Marburger  druckwesen  hingewiesen  werden 
können.  Vgl.  dazu  A.  v.  Dommer,  Die  ältesten  drucke  aus  Marburg  in  Hessen  (Mar- 
burg 1892)  s.  Ifgg. 


ÜBEK    GÖTZE,    DIE    HOCHDErTSrHEN    DKUrUEK    DEK    RKl'ORMATIONSZEIT  123 

Zu  iir.  lo  ist  zu  bcjuerken.  dass  Kiiiuger  allerdings  auch  deutsche  drucke  an- 
fertigt; so  tragen  Panzer  2083  und  Weller,  Nachtrag  (3822)  sein  volles  iinpressuni. 
Panzer  3103  lässt  sich  Jacob  Fabri  in  Speyer  zuweisen,  dessen  tätigkeit  damit  auch 
für  1526  belegt  wäre. 

Im  zusammeuhaug  mit  den  biographien  sind,  wie  schon  oben  erwähnt,  kurze 
Zusammenstellungen  der  sprachlichen  eigeuarten  der  drucker  gegeben.  Sie  verfolgen 
rein  praktische  zwecke  und  sind  in  diesem  sinne  als  wertvoll  zu  begrüssen. 

Die  titeleinfassungen  sind  recht  geschickt  nach  der  grosse  angeordnet;  fast 
durchweg  ist  die  beschreibung  klar  und  vollständig. 

Im  folgenden  einige  ergänzungen  und  berichtigungen!  S.  26  wird  von  Tb.  Ans- 
helm  gesagt:  "titeleinfassungen  verwendet  er  wol  nirgends."  —  Dabei  führt  der  verf. 
selbst  unter  nr.  82  eine  an.  Eine  andere  trägt  z.  b.  Panzer  104.5.  Sie  besteht  aus 
zwei  Seiten  -  und  einer  oberen  schmalen  ijuerleiste.  In  dieser  ein  gepanzei^ter  knabe, 
der  sich  mit  einer  band  auf  einen  Schild  stützt.  Hinter  ihm  eine  stilisierte  pflanze 
mit  verschiedenen  emblemen,  unter  anderm  ein  Schild.  In  den  zierraten  der  rechten 
leiste  oben  ein  engelskopf,  in  der  linken  oben  eine  kurze  säule  mit  herabhängenden 
quasten,  darunter  ein  bieneukorbähnliches  gefäss,  unter  den  sonstigen  xerzierungen 
vier  kauhjuappenähnliche  gebilde. 

In  der  beschreibung  von  nr.  39  ist  ein  kleiner  irrtum:  Der  rechte  engel  sucht 
den  wilden  mann  mit  einer  schlinge  emporzuziehen .  die  kugelartischocke  hängt  an  einem 
zweige  des  baumes.  Übiigens  wird  die  einfassung  auch  als  Schmuckstück  verwandt, 
so  in  Weller  1792,  wo  sie  Huttens,  und  Panzer  1492,  wo  sie  Luthers  ganzbild  um- 
rahmt.    In  beiden  fällen  ist  das  Spruchband  ohne  inschrift. 

Die  bordüre  74  trägt  zunächst  die  Jahreszahl  1520,  z.  b.  Panzer  1158.  Später 
wird  die  eine  hälfte  der  0  weggeschnitten,,  sodass  1521  entsteht. 

Zwischen  den  nrr.  65  und  77  scheint  mir  ein  untei'schied  nur  in  der  Zusammen- 
setzung aus  4  stücken  bei  77  gegen  eins  bei  65  zu  beruhen.  Denn  abgesehen  von 
der  Jahreszahl  passt  die  beschreibung  von  65  auch  durchaus  für  einen  mir  vorliegenden 
drack  des  Egidius  Fellenfürst.  Panzer  1291.  Die  greife  der  nr.  77  (in  65  'drachen 
mit  bärtigen  männerköpfen'j  kehren  in  anderer  Umgebung  wider  auf  der  bordüre  von 
AVeller  2346.  Diese  besteht  aus  4  stücken,  das  obere  112  mm  lang,  17  mm  breit, 
das  untere  112  lang,  19  breit,  die  mitttleren  je  96  lang,  22  breit.  Schriftfeld  96:69. 
Oben  eine  fruchtschale,  von  der  nach  rechts  und  links  eine  art  maiskolben  ausgehen, 
in  der  unteren  lei.ste  die  greife.  Die  seitenleisten  haben  fast  gleiche  Zeichnungen, 
schwere,  mit  reichem  blattschmuck  versehene  säulen.  in  der  mitte  jeder  eine  schalen- 
ähnliche ausbuchtung.  In  diese  ragt  ein  blatt  hinein,  das  in  ein  gesiebt  ausläuft.  Die 
hnke  Zeichnung  ist  .schattiert,  der  grund  wagerecht  schraffiert.  Die  ausführung  des 
ganzen  roh.  Der  druck  ist  von  Erlinger;  vgl.  Heller,  Leben  Georg  E.  von  liam- 
berg,  1837,  s.  11.  —  Wie  die  greife  sind  auch  die  seitenleisten  nachschnitte 
Fellen fürstsoher  zierstücke.  Sie  finden  sich  allein  auf  Weller  2247,  einem  nach  den 
typen  sicher  Fellonfür.stschen  drucke;  vgl.  jetzt  Höfer,  Beiträge  zu  einer  ge.scbichte 
des  Cöburger  buchdrucks,  1906,  s.  28fg. 

Die  bordüre  141  hat  im  urschnitt  in  mehrfach  unter.schiedener  form  Nickel 
Schirleutz.  Vgl.  v.  Dommer,  Luthcrdrueko,  s.  241  fg.  orn.  82.  Nr.  18S  kommt  auf 
diucken  mit  impressum  von  Michel  Blum  in  Leipzig  vor,  z.  b.  Woller  400. 

Das  aufsuchen  der  titeleinfa.ssuugeri  soll  ein  stichwörterverzoichnis  erleichtern. 
Alu^r  in  manclien  füllen  scheint  mir  lii(!r  die  auswahl  nicht  glücklich.  So  würdo  die 
reizende  oinfassun''    115  weit  deutlicher  durch    'kiuderkonzerC   als  durch    •  flute'  ge- 


121  LÜCKE  ÖBKl;  GÖTZE,  DIE  IIOCHDEUTSCURN  DütJCKER  DER  REFORMATIONSZEIT 

kennzeichnet  werden.  Bei  nr.  185  weiss  ich  nicht,  ob  überhaupt  die  striche  im 
Vordergrunde  reisig  bedeuten  sollen.  Jedenfalls  ist  'reisig'  als  Stichwort  längst  nicht 
scharf  genug.  'Christkind'  oder  'Jesusknabe'  würde  m.  e.  am  besten  passen.  Auch 
'mäulcr'  in  nr.  74  ist  nicht  characteristisch  genug.  Vielleicht  hülfe  'keulenschwinger' 
nach  der  rechten  oberen  figur  am  ehesten  zur  auffindung.  Nr.  82  hat  als  Stichwort 
'Schalmei'.  Soweit  ich  nach  dem  mir  vorliegenden  druck  Weller  1527  erkennen  kami, 
trägt  der  betreffende  knabe  einen  dud(3lsack.  Allerdings  hat  auch  Dommer,  a.  a.  o., 
s.  267,  oru.  156,  die  angäbe  'Schalmei'.  Viel  treffender  erscheint  mir  ein  überhaupt 
andres  Stichwort:  ,knabenbalgerei'.  Bei  nr.  79  gebührt  dem  fruchtkorb  der  vorrang 
vor  der  kugel.     Dann  dürfte  aber  nr.  79  wol  identisch  mit  ni'.  76  sein. 

Bei  der  betrachtung  der  bordüren  zum  zweck  von  stichwortaufstelliuigen  wird 
allerdings  eine  subjective  auffassung  weiten  Spielraum  haben.  So  sollen  auch  diese  aus- 
führungen  keinen  tadel  bedeuten.  Den  wenigen  mangeln  gegenüber  steht  als  ein 
verdienst  des  verf.,  in  vielen  fällen  durch  solche  festgelegten  characteristica  der  ein- 
fassungen  eine  knappe,  leicht  verständliche  bezeichnung  ermöglicht  zu  haben.  (Z.  b. 
Lotters  klausner-,  Schönspergers  windradbordüre.) 

Die  gewaltigste  arbeit  hat  der  verf.  im  3.  teil  des  buches  geleistet,  wo  er 
typeunachbildungen  der  im  1.  abschnitt  behandelten  drucker  aufführt.  Er  will,  dem 
zweck  des  Werkes  entsprechend,  typen  von  drucken  geben,  auf  denen  sich,  der  drucker 
selbst  genannt  hat  (s.  V).  Indes  ist  er  diesem  grundsatz  in  einigen  nachweisbaren 
fällen  nicht  treu  geblieben.  So  lässt  sich  allerdings  sicher  erschliesseu,  dass  Eberlins 
von  Günzburg  'Bundsgenossen'  bei  Pamphilus  Geugenbach  in  Basel  gedruckt  sind, 
aber  ein  Impressum  tragen  sie  nicht.  Trotzdem  gibt  Götze  auf  taf.  17  eine  Zusammen- 
stellung aus  typen  des  7.,  10.  und  13.  buudsgenossen.  Ferner  hat  er,  gestützt  auf 
ausführungeu  von  Freys  und  Bärge  (Centralblatt  f.  bibliothekswesen  21,  312  fg.),  ge- 
glaubt, eine  besondere  art  von  typen  (taf.  59,  letzte  gruppe)  Konrad  Kerner  aus 
Straßburg  zuweisen  zu  dürfen.  Diese  frage  ist,  wie  ich  an  andrer  stelle  (Flugschriften 
aus  den  ersten  jähren  der  reformation,  Halle  1906,  heft3,  s.  7  fg.)  ausgeführt  habe, 
noch  nicht  entschieden.  Es  wäre  für  eine  nachprüfung  sicher  sehr  dienlich  gewesen, 
wenn  der  verf.  in  einem  kurzen  Verzeichnis  im  anschluss  an  Panzer  und  Weiler, 
die  ja  das  meiste  material  zusammenstellen,  auskunft  über  die  drucke  gegeben  hätte, 
denen  seine  typenbestände  entnommen  sind.  Wenn  auch  auf  vielen  tafeln  die  titel 
benutzter  drucke  reproduciert  sind,  manchmal  vermisst  man  eine  nähere  angäbe  doch 
sehr  (z.  b.  taf.  3,  unten;  45,  58.) 

Bei  der  Schwierigkeit  und  den  grossen  kosten  photographischer  nachbildung  sind 
die  typen  auf  zinkographischem  wege  nach  federzeichnungen  vervielfältigt  worden,  die 
der  Verfasser  auf  durchsichtiges  papier  durchgepaust  hatte.  Es  ist  klar,  dass  bei 
dieser  schwierigen  roproduction  manche  feinheit  verloren  gehen  musste,  und  zumal 
die  kleinen  und  kleinsten  typengattuugen  sind  davon  betroffen  worden.  Aber  in  den 
meisten  fällen  w'erden  doch  bei  den  druckbestimmungen  die  grösseren  typen  aus- 
schlaggebend sein,  und  .so  lässt  sich  sehr  wol  mit  dem  gebotenen  material  arbeiten. 

Indes  bleibt  hier  noch  viel  zu  ergänzen,  denn  selbstverständlich  hat  der  verf. 
nicht  den  ganzen  typenvorrat  seiner  drucker  erschöpfen  können.  So  hat,  um  nur 
einige  umfassendere  beispiele  zu  nennen,  Siegmund  Grimm  in  Weller  2052  typen 
derselben  art,  wie  sie  Götze  als  charakteristisch  für  Alex.  Weißeuhorn  (taf.  12)  bei- 
bringt. (Derselbe  druck  hat  auch  eine  bei  G.  nicht  verzeichnete  titeleinfassung,  die 
sich  widerholt  auf  dem  ebenfalls  Grimmschen  druck  AVeller  1702).  Nickel  Schirlentz 
verwendet  in   „Eine   Pre-  1  digt,   Mart.  Lu-  |  ther,   das  man   kin-  |  der  zur  Schu-  | 


K.    M.    MFAKR    VBER    UAVKA,    M.KIST    UND    DIK    IJOMANTIIC  125 

leii  halten  \  solle.  |  Wittemberg.  |  MDXXX.  genau  die  typen,  die  der  veif.  taf.  78, 
2.  gruppe,  Hans  Luft  zuweist. 

In  gewisser  weise  sehe  ich  in  dieser  ergänzungsbodürftigkeit  des  werkos  einen 
Vorzug.  Es  veranlasst  infolge  derselben  zu  einer  privaten  Vervollständigung,  die  viel 
leichter  unternommen  wird  im  anschluss  an  das  gegebene  material,  als  eine  nur  auf 
sich  beruhende  Sammlung.  Und  so  glaube  ich  auch,  dass  das  büchlein  gerade  dem 
anfänger  auf  dem  gebiet  der  druckforsehung  eine  fülle  von  aiiregung  verschaffen  wird. 

Gewiss  wird  gerade  von  dem  3.  teil  des  wcrkes  derjenige  weniger  gebrauch 
machen,  der  einen  reichen  vorrat  von  originalen  zum  vergleich  heranziehen  kauii;  oft 
wird  das  rückgreifen  auf  originale  für  jeden,  der  auf  diesem  gebiete  arbeitet,  unbedingt 
nötig  sein.  Aber  in  vielen  fällen  wird  das  büchlein  genügen,  wird  insbesondere  dem 
eine  stütze  sein,  der  mit  nur  geringem  vorgleich.smaterial  zu  wirtschaften  gezwungen 
ist.  Und  so  ist  dieser  erste  versuch,  „dem  verfahren  der  druckbestimmuiig  den  Cha- 
rakter des  zufälligen  nach  möglichkeit  zu  nehmen  und  es,  man  verzeihe  den  anspruchs- 
vollen ausdruck,  methodisch  zu  sichern",  mit  dank  zu  begrüssen. 

SUHL.  ,  .         AV.    LÜCKE. 


Ernst  Kayka,  Kleist  und  die  romantik.  Ein  versuch.  (Forschungen  zur  neueren 
lit.-gesch.  hrsg.  von  F.  Muncker.  XXXI.)  Berlin,  A.  Duncker  1906.  210  s. 
.")  m.,  subscriptionspreis  4,20  m. 

Dem  eifrigen ,  aber  in  weit  und  litteratur  noch  gründlich  unerfahrenen  verf.  ist, 
wie  so  manchem,  die  ausdehnung  des  themas  zum  Verhängnis  geworden.  Seine 
these;  Kleist  gehöre  gar  nicht  zur  roiuantik  und  sei  durch  seine  Originalität  völlig 
unabhängig  (vgl.  bes.  s.  155 fg.),  wäre  in  seiner  abhandlung  sorgfältig  durchzuprüfen 
gewesen  —  freilich  nicht  in  Ks.  advocatorischer  weise,  die  auch  für  das  'Käthchen' 
(s.  145)  „selbständige  unromantisch-kleistische  art",  behauptet.  Wenn  K.  widerholt  (so 
s.  18.  93j  momente,  die  man  für  Kleists  beziehungen  zur  romantik  angeführt  hat,  als 
'gemeingut'  der  zeit  nachweist,  so  war  doch  eben  zu  unteisuchen,  in  wie  weit  der  dichter 
der  'Ilermannsschlacht'  und  in  wie  weit  die  romantiker  überhaupt  zeitgenössischen 
anschauungen  dienen;  und  wenn  die  kräftige  ausführung  romantisch  concipierter 
figuren  schon  einen  dichter  aus  dem  kreis  der  romantik  ausweist,  selbst  der  verf. 
der  'Kronenwächter'  würde  nicht  dahin  gehören.  Nichts  aber  mangelt  K.  so  völlig, 
als  das  veimögen,  allgemeinere  beziehungen  zu  erfassen.  Er  will  z.  b.  keineswegs 
gelten  lassen,  dass  Kleists  Charakter  und  leben  romantisch  heissen  dürfen  (s  159 fg.). 
Deshalb  wird  die  damalige  mode,  viel  im  bett  zu  bleiben  und  zu  arbeiten  (ich  erinnre 
nur  noch  für  später  an  Mörike,  an  Prinz  Heinrich  den  jüngeren  von  Preussen, 
Moltkes  chef  in  Eom)  für  Kleist  (s.  187)  ganz  willkürlich  erklärt.  Oder  jeder  gedanke 
an  Sadismus  wird  als  'einfach  absurd'  (s.  189)  oder  'heller  walinsinn'  (vgl.  s.  197)  ab- 
gewiesen, und  deshalb  wird  auch  das  peitschenmotiv  im  'Käthchen'  (s.  196)  so  gedeutet, 
als  ob  dies  motiv  in  der  Griseldissage,  in  der  von  lUirger  bearbeiteten  altengl.  ballado' 
'Graf  Robert'  usw.  gar  keine  analogie  hätte.  Mit  deductionen  wie  folgende  wird 
gearbeitet:  „B'ür  Kleist  war  .sittliche  reinbeit  religionssache;  ein  aussorohelicher  ge- 
.schlechtsverkehr  oder  gar  ehebruch  war  unmöglich"  (s.  182)!  Wie  denn  überhaupt 
Kleist  als  ein  mann  von  unbeugsamer  festigkcit  dargestellt  werden  soll  (und  da.s  ver- 
mittelst einer  interpretation  des  wortes  '  LL'l)ensplan'  s.  25— 50,  die  durch  die  von  K. 
selbst  angezogenen  worto  widerlegt  wird)  —  er,  der  nicht  unison.^t  seine  gestalten 
vor  der  'Verwirrung  des  gefühls'  zittern  lässt. 


IL'G  EinasiMAN'x  düer  klkinpaul,  das  frkmdwort  im  dkutscftex 

So  verwickelt  sich  K.  denn  (s.  187  fg.)  bei  der  besprechung  des  Selbstmordes  und 
der  todesauffordcrung  (s.  195)  vollends  in  wirre  hypothesen,  und  vage  Vermutungen 
sind  es  auch,  die  den  ganzen  jenei-  these  vorgebauten  ersten  teil  des  buches  er- 
füllen. Diese  unaufhörlich  aus  den  fingern  gesogenen  betrachtuugeu  über  Franz  von 
Kleist  (s.  8.  15)  uud  —  immerhin  viel  besser  fundiert  —  über  Wunsch'  einfiuss  auf 
Kleist  (s.  16 fg.  wird  eigentlich  Kleists  ganze  Weltanschauung  auf  ihn  zurückgeführt, 
s.  151  jede  beeinflussuug  abgestritten !)•  dies  unaufhörliche  'zweifellos'  (s.  15),  'wer 
könnte  da  noch  zweifeln'  (s.  25),  'es  wird  also  auch'  (s.  41),  'es  wird  wol  nicht  — " 
(s.  47),  'L.  Wielaud  wird  wol  seinen  freund  auf  das  Guiskardproblera  gebracht  haben' 
(s.  77),  'Wieland  wird  gebeten  haben'  (s.  82)  usw.  usw. ;  schliesslich  die  bekräftigung 
dieser  ebenso  unbeweisbaren  als  überflüssigen  annahmen  durch  fortwährendes  schimpfen 
auf  'absurde  urteile'  (s.  112),  'heillose  verständuislosigkeit'  (s.  146)  usw.  usw.  —  all 
das  macht  die  lectüre  höchst  unerfreulich  und  kann  leicht  die  wirklichen  voi'züge 
übersehen  lassen. 

Diese  liegen  in  einer  zwar  übertreibenden,  im  kern  aber  richtigen  contrastieruug 
Kleists  mit  den  romantikern,  zu  denen  er  persönlich  oder  litterarisch  in  berührung 
trat,  vor  allem  mit  Z.Werner  (den  K.  fieilich  s.  101  fg.  doch  zu  arg  behandelt,  aber 
'das  schmierigsüssliche '  ist  nicht  schlecht  gesagt!),  zu  Adam  Müller  (s.  109.  121.  136) 
und  Fouquc  (s.  126.  141);  in  hübschen  aufdeckungen  von  motivkeimen  (wie  s.  9  fg. 
zur  „Deutschen  monatsschrift")  und  mancher  brauchbaren  berichtiguug  zu  den  for- 
schuugen  R.  Steigs  (s.  138,  Kleists  christlicher  Standpunkt  bestritten  s.  130)  und  an- 
derer. Besonders  sei  noch  auf  den  versuch  hingewiesen,  Zschokkes  'Alamoutade' 
(s.  72)  für  das  Verständnis  von  Kleists  Jugend  fruchtbar  zu  machen. 

Dagegen  muss  auch  die  Verwahrlosung  des  stils  gerügt  werden,  die  neuerdings 
sich  oft  verletzend  gerade  in  die  nähe  unserer  grossen  künstler  wagt.  Ein  gutes 
deutsch  zu  schreiben  ist  für  den  deutschen  litterarhistoriker  wichtiger  als  die  ersetzung 
des  Wortes  'national'  (s.  142)  durch  'völkisch'! 

BERLIN.  RICHARD    M.    MEYER. 

Das   fremd  wort  im    Deutschen.    You  dr.  Rudolf  Kleiiipaiil.    Dritte,  verbesserte 

aufläge.      Leipzig,    G.  J.   Göschen'sche    Verlagshandlung    1905.      152  s.      80  pf. 

(Sammlung  Göschen). 

.  Kleinpauls    fremdwörterbüchlein    ist    flott    geschrieben    in    leichtverständlicher 

daistellung  und   übersichtlicher  gliederung.     Auch  ist  der  Verfasser  keiner  von   den 

grimmigen  Verdeutschungseiferern.    Diesen  guten  eigeuschaften  verdankt  das  werkchen 

wol,   und  mit   rocht,   eine   dritte  aufläge.    Wer  sich  aber   wissenschaftlich   mit  dem 

fremdwort  beschäftigen  will,  muss  sich  an  schwerfälligere  hilfsmittel  wenden. 

HEIDELBERG.  GUSTAV    EURISMANX. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Die  redaction  ist.  bemüht,   für  alle  zur  besprechung  geeigneten  werke  aus  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  sachkundige  referonton  zu  gewinnen,   übernimmt  jedoch  keine  Verpflichtung,   unverlangt 

eingesendete  bücher  zu  recensieren.     Eine  zurücklief erung  der  recensions-exomplaro  an 

die  herren  Verleger  findet  unter  keinen  umständen  .statt.) 

Heownlf.  —  Schuck,  Henrik,  Folknamnet  Geatas  i  den  fornengelska  dikten  Beowulf. 
[Upsala  universitets  ärsskrift  1907,  2. J     Upsala,  Almqvist  &  AViksell  1907.    45  s. 

Brückner,  Willi.,  Über  den  burditus.  Basel  1907.  [Sonderabdrirck  aus  der  Fest- 
schrift zur  49.  Versammlung  deutscher  pliilologen  und  Schulmänner.]     15  s. 


NKUK    ERSCFIEINUNGEN  127 

Kbci'iiaiul    vou   Ei-l"iii'(.   —    Priest,  ü.  M. ,   E.  v.  E.,   zu   «einem   Icbeu   uud   wirken. 

Jena,  Autou  Kämpfe  11107.     102  s. 
Edda  SaMiuiiidar.  —  Glossar  zu  den  liedern  der  Edda  (Ssemundar  Edda)  von  Hugo 

Gering.     3.  aufläge.     [Bibl.  der  ältesten   deutschen  literatur-denkmäler.     VII I.J 

Paderborn,  F.  Schöuingli  1907.     XII,  22!)  .s.     5,40  m. 
Edda  Siiorra  StiU'lusouar  Ein  nur  Jinisson  bjö  til  prentunar.    Reylvjavik,  Siguröur 

Kristjänssou  1907.     VIII,  429  s.     2,50  kr. 
Falk,  II.  S.  und  Torp,  Alf,  Norwegisch  -  dänisches  etymologisches  wörterbucli.     Mit 

Unterstützung  der  Verfasser  fortgeführte  deutsche  bearbeitungvon  Herm.Davidse  n. 

Lief .  1 :    A  —  biege.     Heidelberg,    Carl  Winter   1907.      [Das  werk    ist    auf    etwa 

75  bogen  berechnet,  die  in  monatlichen  lieferungen  von  je  5  bogen  zur  ausgäbe 

kommen.     Preis  der  lieferung  1,50  m.] 
(xcbliardt,  Aug.,  Grammatik  der  Nürnberger  mundart.    Unter  mitwirkuug  vou  Otto 

Bremer.     [Sammlung  kurzer  grammatiken  deutscher  mundarten.    Vil.]    Leipzig, 

Breitkopf  vV  Härtcl  1907.     XVI,  392  s.     12  m. 
CJreff,  Joachim.  —  Buchwald,  Reinhard,  J.  G.,  Untersuchungen  über  die  anfange 

des  renaissaucedramas  in  Sachsen.    Leipzig,  R.  Voigtländer  1907.    [Probefahrten  .  . 

hrg.  von  Alb.  Köster.    IL]     X,  89  s.     3,60  m. 
Greif,  Martin.   —   Kosch,   Wilhelm,    Martin    Greif    in    seinen    werken.     Leipzig, 

C.  F.  Ainelaug  1907.     VEI,  174  s.     2,50  m. 
Hebbel.  —  F  r e n  k  e  1 ,  J o  a c  h. ,  Fr.  Hebbels  Verhältnis  zur  religiou.  [Hebbel  -  forschungen 

hrg.  von  R.M.Werner  und  W.  Bloch-Wunschmann.    TLJ     Berlin, 'B.  Behr 

1907.     VI,  103  s.     2,50  m. 
Heinrich  vou  Hesler,  Apokalypse,  aus  der  Danziger  handschrift  herausg.  von  Karl 

Helm.     [Deutsche  texte   des  mittelalters   herausg.  von  der  kgl.  preuss.  akademie 

der  Wissenschaften.  VIIL]    Berlin,  AVeidmann  1907.    XX,  415  s.  u.  2  fall'.    12m. 
Heiuzel,  Richard,  Kleine  Schriften  herau.sg.  von  M.  H.  Jellinek  und  C.  v.  Kraus. 

Heidelberg,  Carl  Winter  1907.     VIII,  456  s.     12  m. 
Hille,  Curt,  Die  deutsche  komödie  unter  der  einwirkung  des  Aristophanes.    [Breslauer 

beitrage  zur  lit.-gesch.    12.]     Leipzig,  Quelle  u.  Meyer  1907.    VI,  180  s.    5,75  m. 
Jöusson,  Fiunur,  Don  islandske  litteraturs  historie  tilligemed  den  oldnorske.    Koben- 

havn,  Gad  1907.     (VIII),  453  s.     7  kr. 
Kleist,  lleiur.  vou.  —  Roetteken,  IL,  Ileinr.  v.  Kleist.    [Wi.ssen.schaft  und  bildung 

hrg.  von  Paul  Herre.  22.]   Leipzig,  Quelle  u.  Meyer  1907.  IV,  148  s.  geb.  1,25  m. 
Leopold,  Max,  Die  vorsilbe  rer-  und  ihre  geschichte.    [Germanist,  abhandlungen  .  . 

hrg.  von  Fr.  Vogt.   27.]     Breslau,  M.  &  H.  Marcus  1907.     VIII,  286  s.     10  m. 
Leyeu,  Friedr.  v.  d.,   Einführung  in  das  gotische.     [Handbuch  des  deutschen  Unter- 
richts an  höheren  schulen  hrg.  von  Ad.  Matthias.  11,1.]    München,  C.  IL  Beck 

1908     X.  181  s.     3,20. 
Maiitliner.  Fritz,  Die  spräche.     [Die  gesellschaft  herausg.  von  Martin  Üuber.  IX.] 

Frankfurt  a.  M..  Rütten  u.  Löüing  o.  j.     120  s.     cart.  1,50  m. 
Nicolaus  von  Jeroschiu.  —  Ziesemer,  Walther,  Nicolaus  von  .leroschin  und  seine 

quelle.     IBorliner  heiträge   zur  german.  imd    roman.  philologic   XXXI. |     llerlin, 

E.  Eboriug  1907.     VIII,  1.58  s.     4,50  m. 
Odoaker.  —  Imelmann.  Rud.,  Zeugnisse  zur  altenglischen  (3doak(Mdiclituug.    Berlin, 

Springer  1907.      i?  s.  und  1  taf.     2  m. 
Olrik,  Axel,  Nordi.sk  aaudsliv  i  vikingetid  <.g  tidlig   middolakh'r.     Kobonh.  og  Krist., 
'  Gvldondal  1907.     110  s. 


128  NACllUICHTEX 

(h'dbok  öfver  svenslca  spräket  utgifven  af  Sveuska  akademien.  Hafte  34:  Dam  — 
daiwinism.     Lund,  Gleerup  (Leipzig,  Nils  Pehrsson)  1907.    sp.  225-384.    1,50  kr. 

—  Hüfte  35:  Betacka  -  bcträda.     1907.     sp.  1921—2080.     1,50  kr. 

Phiten.  —  Richter,  Konr. ,  Bemerkung(3n  zu  Platens  reimen.  1.  heft.  Bukaiest 
[Berlin,  Mayer  &  Müller]  1907.     (II),  48  s.     1,25  m. 

Peetzscli,  Albert,  Studien  zur  frühromantischen  politik  und  geschiehtsauffassung. 
[Beiträge  zur  kultur-  und  Universalgeschichte  hrg.  von  Karl  Lamprecht.  HL] 
Leipzig,  Voigtläuder  1907.    VHI,  113  s.     3,60  m. 

Probst,  Peter,  Diamatische  werke,  eingel.  und  herausg.  von  Emil  Kreisler.  [Neu- 
drucke deutscher  lit.  werke  des  16.  und  17.jhrs.,  nr.  219  — 221.J  Halle,  Niemeyer 
1907.     XVIII,  141  s.     1,80  m. 

Schiller.  —  Bartels,  Rud.,  Zu  Schillers:  Das  ideal  und  das  leben.  Halle,  Waisen- 
haus 1907.     46  s.     1   m. 

Sütterlin,  Lud«'.,  Die  deutsche  spräche  der  gegenwart.  2.  aufl.  Leipzig,  Yoigt- 
liuider  1907.     XXVIII,  451  s.  u.  2  taff.     7  m. 

Tilo  von  Kulm,  Gedicht  von  siben  ingesigeln,  aus  der  Königsberger  handschrif* 
herausg.  vou  Karl  Kochendörffer.  [Deutsche  texte  des  mittelalters  heran  ,. 
von  der  legi,  preuss.  akademie  der  wissensch.  TX.]  Berlin,  "^^eidmaun  1907. 
XII,  110  s.  und  2  tafl'.     3,60  m. 

Tsehcrsig,  Hubert,  Das  gasel  in  der  deutscheu  dichtuug  und  das  gasel  bei  Platen. 
[Fireslauer  beitrage   zur  lit. -gesch.    11.]     Leipzig,   Quelle  u.  Meyer   1907.     XH. 

229  s.     8  m. 

■\Vaekenroder.  —  Dessauer,  Ernst,  "Wackenroders  'Herzensergiessungen  eines 
kunstliebendeu  klosterbruders '  in  ihrem  Verhältnis  zu  Vasari.  Eine  lit.-histor. 
Untersuchung.     Berlin,  Alex.  Duncker  1907.     60  s.     1  m. 

Walther  von  der  Vogel  weide.  —  Die  gedichte  Ws  v.  d.  V.  7.  ausgäbe  von  Karl 
Lachmann,    besorgt  von   Carl   v.   Kraus.     Berlin,   G.  Reimer  1907.     XXIV, 

230  s.     4  m. 

Weig'aud,  Fr.  L.  K.,  Deutsches  Wörterbuch.  5.  aufi.  ...  neu  bearb.  von  Karl 
V.  Bahder,  Herrn.  Hirt  u.  Karl  Kant;  hrg.  vou  H.  Hirt.  1.  lieferung.  A  — 
beipflichten.  Giessen,  Alfr.  Töpelmann  1907.  192  sp.  [Subscriptionspreis  für 
12  lieferungen  von  zusammen  150  bogen  etwa  19  m.] 

Weightuian.,  Jane,  The  language  and  dialect  of  the  later  old  english  [anglosaxon] 
poetry.  [Proiuotionsschrift.]  Liverpool,  Uuiversity  press.  1907.  VIII,  76  s. 
4  sh.  6  d. 


NACHRICHTEN. 

Professor  dr.  0.  F.  Walzel  in  Bern  wurde  an  die  technische  hochschule  in 
Dresden  berufen;  in  seine  stelle  tritt  der  privatdocont  dr.  Harry  Maync  aus  Marburg. 

Der  privatdocent  dr.  Robert  Petsch  in  Heidelberg  ist  zum  ausserordentlichen 
Professor  ernannt  worden. 

Es  habilitierten  sieh  für  neuere  deutsche  litteraturgeschichte  dr.  Eduard  Castle 
in  Bern  und  dr.  Spiridion  Wukadinovic  au  der  deutscheu  hochschule  in  Prag. 

Professor  dr.  Edward  Schröder  in  Göttingen  wurde  zum  geheimen  regio- 
rungsrat  ernannt,  professor  dr.  Andreas  Heusler  in  Berlin  zum  ordentlichen  mit- 
gliede  der  kgl.  akademie  gewählt. 

Buchdruckerei  des  Waisenhauses  in  Halle  a.  S. 


SOPHUS  BUGGE\ 

(Nach  dem  manuscript  des  Verfassers  aus  dem  norwegischen  übersetzt.) 

Als  Sophus  Bugge  am  8.  juli  1907  starb,  fand  ein  reiches  wissen- 
schaftliches leben  seinen  abschluss,  das  mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert 
umspannte  und  den  schätz  unserer  erkenntnis  durch  zahlreiche  sichere, 
z.  t.  höchst  bedeutende  ergebnisse  bereicherte,  aber  vielleicht  in  noch 
liöherem  grade  durch  die  anregungen,  die  von  seinen  forschungen  nach 
den  verschiedensten  richtungen  ausgiengen,  epochemachend  geworden  ist. 
Mit  wehmut  vernahmen  die  fachgenossen  in  der  nähe  und  feine  die 
nachricht  von  seinem  tode.  Er  selbst  sah  in  jedem  mitforscher  einen 
freund,  und  in  freundschaftlicher  gesinnung  wird  man  jetzt  des  heim- 
gegangenen  gedenken.  Am  grössten  war  der  verlust  für  sein  eigenes 
land,  dessen  nationale  entwicklung  er  mächtig  förderte,  und  für  die 
nachbarvölker,  denen  seine  Wirksamkeit  ebenfalls  in  reichem  maße  zu 
gute  kam,  da  er  allezeit  den  norden  als  sein  Vaterland  im  weiteren  sinne 
betrachtete.  Am  allermeisten  wird  er  jedoch  in  dem  kleinen  kreise  der 
angehörigen  unserer  landesuniversität  vermisst  werden,  die  das  glück 
hatten,  täglich  mit  dieser  reinen  und  warmherzigen  persönlichkeit  zu 
verkehren  und  von  seiner  anregenden  belehrung  nutzen  zu  ziehen.  Ein 
herzlicher  dank  sei  daher  das  erste  wort  in  diesen  zeilen,  die  wir  dem 
andt'uken  Sophus  Bugges,  des  .grossen  forschers  und  trefflichen  mamies, 
weihen. 

Elseus  Sophus  Bugge  wurde  zu  Larvik,  in  der  alten,  an  histo- 
rischen erinnerungen  reichen  landschaft  Vestfold,  am  5.  januar  1833 
geboren.     Sein  vater  war  der  kaufmann   Alexander  Bugge,    der   kurze 

1)  Ein  vollständiges  Verzeichnis  von  Sophus  Bugges  gedruckten  schrillen  ist  von 
mir  gegeben  worden  in  den  Sprogliye  og  historis/ce  Afhandlinyer  viede  ISopliiis  Biq/ges 
Miiule  (Christ.  11)08)  s.  285  —  94.  In  dem  vorliegenden  nekrolog  sind  seine  sämtlichen 
wi.sseuschaftlichen  arbeiten  aufgeführt.  Dagegen  ist  in  der  regel  nicht  rücksicht  ge- 
nommen auf  die  roferate  über  seine  vielen  vortrage  in  der  gesellsehaft  der  Wissen- 
schaften zu  Christiaoia,  selbst  wenn  diese  kurz  von  sonst  nicht  voröffoutlichten  resul- 
taten  seiner  forschung  berichten.  Auch  die  zahlreichen  beitrüge,  die  1».  ohne  Überschrift 
oder  titrl  zu  (b'ii  srbriftcti  aiidcrcr  gelehrter  beistinuirti'.  sind  hier  in  der  regel  über- 
gangen. 

ZKITSCHHIH    i-.   UKUTSCHK    IIULOLOUIE.       BD.  XL.  '•' 


1 30  OLSEX 

zeit  offizier  gewesen  AVar:  seine  mutter  war  eine  tochter  des  predigers 
J.  F.  Sartz.  Bugge  wurde  sehr  früh  für  das  Studium  bestimmt;  er  meinte 
sich  zu  erinnern,  daI5  er  bereits  in  seinem  8.  jähre  mit  dem  latein- 
lernen begann. 

„In  meinen  Schuljahren",  erzählt  Bugge  selbst  in  den  von  ihm 
angefangenen  'Kindheitserinnerungen '^  „wurden  die  freistunden  und 
sommerferien  vielfach  dazu  benutzt,  im  lande  herumzuwandern  und 
eins  oder  das  andere  nach  der  uatur  zu  zeichnen.  Damit  verband  sich 
bald  das  Interesse  für  die  überbleibsei  aus  der  vorzeit  und  dem  alter- 
tum.  Ich  zeichnete  die  inschriften  aus  den  Zeiten  der  dänischen  könige 
nach,  die  in  der  nähe  des  schulhofes  in  den  fels  eingehauen  waren; 
später  grabhügel,  bautasteine  u.  ähnliches  .  .  .  Ich  habe  niemals  gehört, 
dass  irgend  jemand  aus  meiner  familie  sich  mit  dem  beschäftigt  hat,  was 
das  hauptstudium  meines  lebens  wurde.  Ebensowenig  bin  ich  mir  be- 
wusst,  dass  ich  durch  eine  von  einem  lehrer  oder  Schulkameraden 
empfangene  anregung  darauf  geführt  worden  bin.  Es  tauchte  unwill- 
kürlich in  mir  auf  und  erfüllte  allmählich  mehr  und  mehr  meine  ge- 
danken."  „In  einem  von  meinen  letzten  Schuljahren  erwarb  ich  zufällig 
Riemers  griechisches  Wörterbuch,  worin  viele  wilde  und  allzu  kühne 
etymologische  combinationen  sich  finden.  Ich  erinnere  mich,  dass  ich 
den  ersten  abend,  den  ich  in  dem  buche  las,  wie  im  fieber  war.  Schon 
während  ich  auf  der  schule  war,  begann  ich  Wörter  und  ausdrücke  auf- 
zuzeichnen, die  in  und  bei  Larvik  gebräuchlich  waren,  der  gewöhn- 
lichen Schriftsprache  dagegen  nicht  angehörten.  Vom  altnorwegischen 
hatte  ich  als  Schuljunge  nicht  sonderlich  viel  gelernt;  dagegen  war  ich 
in  Aalls  Übersetzung  der  königsagas  gut  zu  hause.  Mein  rector  lieh 
mir  in  den  letzten  jähren,  in  denen  ich  die  schule  besuchte,  verschie- 
dene sprachwissenschaftliche  werke,  u.  a.  Buttmanns  Lexilogus  und 
Schencks  etymologisches  lateinisches  Wörterbuch." 

1848  wurde  Bugge  Student,  und  nun  begannen  seine  Studienjahre 
an  der  Universität  Christiania,  die  bis  zum  december  1857  sich  er- 
streckten. Von  seinen  norwegischen  lehrern  erinnerte  er  sich  in  späterer 
zeit  mit  besonderer  dankbarkeit  des  historikers  und  Sprachforschers 
F.  A.  Munch,  'des  mannes  mit  dem  genialen  blick  im  äuge',  des  von 
der  natur  so  reich  ausgestatteten  forschers,  der  'mit  spielender  leichtig- 
keit  alle  gebiete  beherrschte,  die  er  untersuchen  rausste,  um  die  vorzeit 
seines  volkes  aufzuhellen'.     Zu  Bugges  lehrern  gehörte  ferner  Rudolf 

1)  Diese  Erinnerungen  wurden  nach  seinem  dictat  im  jähre  1903  nieder- 
geschrieben und  waren  ursprünglich  nur  für  seine  kinder  bestimmt.  Sie  sind  jetzt 
herausgegeben  in  der  norweg.  Zeitschrift  'Sanitiden'  1907  s.  397  —  40.5. 


SOPHÜS   BÜGGE  131 

Xevser,  'eine  vou  Mimch  weit  verschiedene  natiir,  weniger  umfassend, 
ruhiger  und  minder  vorwärtsstürmend.  Keyser  war  es ,  der  zuerst  das 
Studium  unserer  alten  spräche  und  der  in  ihr  geschriebenen  isländi- 
schen und  norwegischen  litteratur  an  unserer  Universität  einführte. 
Durch  seine  Vorlesungen  wirkte  er  bedeutender  als  Munch.  Sie  waren 
sorgfältig  ausgearbeitet  und  wurden  in  zierlicher  form  vorgetragen, 
während  Munchs  Vorlesungen  häufig  die  formlosigkeit  dei-  Improvisation, 
zuweilen  aber  auch  deren  frische  besassen,  mit  funkelnden  lichtblicken 
dazwischen ^'  Endlicii  muss  vou  Bugges  norwegischen  lehrern  sein 
späterer  langjähriger  freund  und  College,  der  gründliche  classische  philo- 
log  L.  C.  M.  Aubert  genannt  werden. 

"Wie  so  viele  grosse  männer  begann  Bugge  mit  wilden,  aber  gross- 
artigen Phantasien.  p]r  warf  sich  auf  die  abstrusesten  fragen  und  wollte 
die  grössten  aufgaben  mit  unzureichenden  hilfsmitteln  lösen.  Riemers 
lexikon  veranlasste  seine  erste  abhandlung,  eine  arbeit  über  die'  grie- 
chische etymologie,  die  man  ihm  abriet  drucken  zu  lassen.  Bald  aber 
lernte  er  Bopps  grundlegende  werke  über  vergleichende  Sprachforschung 
kennen,  und  kaum  20  jähre  alt  konnte  er  selbst  als  selbständiger  ver- 
gleichender Sprachforscher  auftreten.  Jetzt  folgte  in  seinen  studenten- 
jahren  eine  arbeit  rasch  der  andern.  In  Kuhns  Zeitschrift  (II— VI  und 
VIII)  veröffentlichte  er  in  den  jähren  1853  — 18.59  zehn  aufsätze,  von 
<lenen  die  meisten  beitrage  zur  erklärung  oskischer  und  umbrischer 
sprachformen  und  Inschriften  enthielten.  1857  schrieb  er  ausserdem 
•Vermischtes  aus  der  spräche  der  Zigeuner'  (Beiträge  zur  vergl.  Sprach- 
forschung I,  139 — 155).  Er  beschäftigte  sich  jedoch  auch  mit  germa- 
nischen sprachen,  besonders  mit  dem  nordischen.  Seine  zweite  abhand- 
lung in  Kuhns  Zeitschrift  (III,  26  —  34)  behandelt  'Altnordische  namen' 
i-rlbr;  Jör-  ^  Jqfiir-;  etymülogische  erklärung  des  Odinsnamens 
Ilroptr).  Im  IW  bände  (s.  241  —  256)  derselben  Zeitschrift  schrieb  er 
über  'Die  formen  der  geschlechtlosen  persönlichen  pronomina  in  den 
germanischen  sprachen'  (1855)  und  in  band  V  ('Althochdeutsch  und 
gotisch',  s.  59  —  61)  gibt  er  eine  Zusammenstellung  'einiger  sprach- 
orscheinungen   im   uhd.,   die  sich   nicht  aus  dem  got.  herleiten  lassen'. 

In  den  genannten  —  rein  sprachlichen  —  Jugendarbeiten  erwies 
sich  Bugge  bereits  als  reifer,  selbständiger  forscher.  Seino  kenntnisse 
waren  schon  damals  bedeutend,  seine  beobachtungsgabe  scharf  und  der 
>charfsinn    und    die  Sicherheit   in   seinen   erklärungen   erstaunlich.     Die 

1)  Bugges  Charakteristik  dieser  seiner  beiden  lehrer  in  einer  warm  empfundenen 
-'odü«htnisrede ,  in  der  er  kura  vor  seinem  tode,  am  14.  mai  1907  das  andenken  I*.  A. 
-Muncbs  feierte  (gedruckt  in  'Samtiden'  19U7,  s.  :J37  — 4G). 


1.^2  OLSEN 

arbeiten  des  jungen  Studenten  über  oskische  and  umbrische  Inschriften 
brachten  viele  wertvolle  beitrage  zum  Verständnisse  des  baues  diesei' 
sprachen  und  zur  deutung  ihrer  denkmäler. 

Bugges  allererste  wissenschaftliche  arbeit  behandelte  jedoch  einen 
Stoff  ans  dem  gebiete  der  norwegischen  Sprachforschung,  und  in  seiner 
ganzen  Studienzeit  beschäftigte  er  sich  auch  n^it  der  norwegischen  spräche 
und  "den  norwegischen  Volksüberlieferungen,  einem  gebiete,  auf  dem 
seine  Wirksamkeit  bald  von  weitreichender  bedeutung  werden  sollte. 

In  demselben  jähre,  in  dem  ßugge  die  Universität  bezog,  gab  der 
geniale  volksschullehrer  Ivar  Aasen  seine  grammatik  der  neunorvve- 
gischen  mundarten  ('l)et  >iorsl,r  folkesprogs  grammatil')  heraus,  und 
zwei  jähre  später  (1850)  folgte  sein  Wörterbuch  f'Ordbog  over  det  norskr 
foJke^profi') .  Diese  beiden  werke  sind  für  das  ganze  spätere  Studium 
der  norwegischen  spräche  grundlegend  geworden.  Auf  den  jungen  Bugge 
machten  sie  einen  gewaltigen  eindruck.  Kurze  zeit,  nachdem  Aasens 
Wörterbuch  ei'schienen  war,  sandte  er  an  Langes  TidssLrift  for  vidcnskab 
og  liUcyalnr  eine  abhandlung:  Om  consoiuint  -  overgangc  i  dct  7ioj:ske 
folkc'sprog,  die  1852  im  V.  bände  dieser  Zeitschrift  (s.  201  —  216)  gedruckt 
wurde.  Besonders  bemerkenswert  sind  bereits  in  dieser  seiner  ersten 
arbeit,  die  ausgedehnten  Sprachkenntnisse  des  noch  nicht  20jährigen 
Studenten,  die  ihn  in  den  stand  setzen,  consonantenübergänge  im  nor- 
wegischen durch  zahlreiche  analogien  aus  näher  und  ferner  stehenden 
sprachen  zu  beleuchten.  Schon  hier  begegnet  uns  bei  Bugge  die  erstaun- 
liche befähigung,  parallelen  für  laut-  und  bedeutungsübergänge  zu  finden, 
eine  gäbe,  die  wir  in  seinen  späteren  arbeiten  so  oft  bewundern  müssen. 

Ein  Zeugnis  derselben  nationalen  begeisterung  wie  Aasens  schritten 
waren  die  bestrebungen,  die  seit  den  vierziger  jähren  sich  das  ziel  setzen, 
unsere  volksüberlieferungen  aufzuzeichnen.  1842—43  gaben  P.Chr. 
AsbJ0rnsen  und  Jörgen  Moe  ihre  erste  Sammlung  norwegischer  Volks- 
märchen (Knrske  folkerveni/jr)  heraus,  und  1852  —  53  erschien  Land- 
stads  reichhaltige  Sammlung  norwegischer  Volkslieder  (Norskc  folke- 
riscr).  Dies  sind  wichtige  glieder  in  der  geschichte  unserer  nationalen 
widergeburt,  nicht  minder  fruchtbringend  für  das  norwegische  geistes- 
leben  als  für  Deutschland  die  'Kinder-  und  hausmärclien '  und  'Des 
knaben  Avunderhorn'.  Auch  ßugge  wurde  von  der  starken  nationalen 
Strömung,  die  um  die  mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  einsetzte,  fort- 
gerissen. Schon  ein  jähr  nach  dem  abschlusse  der  Landstadschen  aus- 
gäbe der  Volkslieder  behandelte  er  in  Langes  Tidsskrift  {VW^  102 — 21; 
192)  das  eigentümliche,  mit  den  Sölai'Jjöh  nahe  verwandte  norwegische 
gedieht  I)rftiimel:vcf'c,   von   dem    mehrere   vai'ianten   in  der  abgelegenen 


SOIMIUS    Ul'GOE  133 

gebiigslanilschaft  Teloinaiken  aufgezeichnet  waren.  Ihn  ergrifl'  ein  bren- 
nender eifer  alles  niederzuschreiben  und  zu  retten,  was  von  alten  er- 
innerungen  noch  in  den  gebirgstälern  Norwegens  im  volksmunde  lebte. 
lS5li  und  1857  bereiste  er  mit  ijfFentlicher  Unterstützung  das  obere 
Telemarken  und  hatte  das  glück,  viele  früher  unbekannte  alte  lieder 
XU  sammeln,  sowie  ursprünglichere  und  vollständigere  odei'  wesentlich 
abweichende  aufzeichnungen  von  schon  vorher  veröttentlichten  zu  er- 
langen. 1858  erschien  seine  wertvolle  Sammlung  von  Volksliedern  {Gf/ffi/c 
)tors/:e  folkp.vimcr,  Christiania  1858,  1.56  s.).  In  dieser  ausgäbe  verfuhr 
Bugge  mit  streng  philologischer  akribie  und  gab  in  den  anmerkungen 
wie  im  glossar  viele  wichtige,  namentlich  sprachliche  beitrage  zur  er- 
klärung  der  lieder.  Das  buch  umfasst  jedoch  nur  einen  kleinen  teil 
von  Bugges  reichhaltigen  Sammlungen  volkstümlichei-  Überlieferungen, 
von  denen  noch  vieles  uugedruckt  ist'. 

Im  december  1857  schloss  Bugge  seine  Universitätsstudien  in 
Christiania  ab,  und  ein  jähr  darauf  erhielt  er  ein  öffentliches  Stipen- 
dium zu  einem  zweijährigen  Studienaufenthalt  im  auslande.  Den  grössten 
teil  dieser  zeit  brachte  er  in  Kopenhagen  zu,  wo  er  unter  Weste rgaards 
leitung  sanskrit  trieb  und  ^ladvigs  Vorlesungen  über  klassische  philo- 
logie  besuchte.  Zu  diesem  trat  Bugge  später  in  ein  nahes  persön- 
liciies  Verhältnis;  er  lernte,  wie  er  selbst  sagte,  von  Madvig  mehr 
•draussen  im  grünen  wald',  als  ;^\visehen  den  büchern  im  Studierzimmer. 
In  dem  jungen  forscher  auf  dem  volkslaind liehen  gebiete  Svend  Grund  t- 
vig  fand  Bugge  auch  bald  einen  freund,  mit  dem  ihn  zahlreiche  ge- 
meinsame Interessen  verbanden.  Die  zeit,  die  er  als  jüngling  in  Kopen- 
hagen verlebte,  bewahrte  Bugge  stets  in  dankbarer  erinnorung,  und  er 
verdankte  ihr  viel  für  seine  persönliche  entwicklung.  Mit  verschiedenen 
miterbrechungen  studierte  er  aucli  (während  der  Kopenhagener  ferien)  etwa 
teht  monate  in  Berlin  bei  Albrecht  Weber  (sanskrit,  pali,  avestisch), 
dessen  lebhaften  und  anregenden  vertrag  er  besonders  schätzte,  und  bei 
.Moritz  Haupt;  auch  hörte  er  einzelne  Vorlesungen  von  Kiepert.  Eine 
liebe  erinnerung  an  den  aufenthalt  in  Berlin  knüpfte  sich  für  Bi'igge  an 
einen  abend,  den  er  zusammen  mit  seinem  lehrer  P.  A.  Mundi  in  dem 
lieim  der  brüder  Grimm  zubi'ingen  duifte. 

Aus  brieten,  die  Bugge  von  Kopenhagen  und  Berlin  an  seinen 
lehrer,   professor  Aubert,  sandte-,   ersehen  wir,   dass   er  vor   allem    be- 

1)  In  der  däuisclieii  Zeitschrift  Follcc,  ImJ.  I  (ISiVJ)  s.  Sni  — 371.  hat  B.  noch 
tls  nachlese  eine  kleinere  zahl  von  Volksliedern  au.s  den»  oberen  IVleniurkon  mitgeteilt. 

2)  To  unyJinnshrere  frn  SupliK.i  Biii/f/r.  ■^<-<\\n>'ki  in  d.Mi  Afli<iH'll.  ricilf  litiijyts 
Minde  s.  278  —  bi. 


134  OLSEN' 

strebt  war,  sich  sichere  und  umfassende  Sprachkenntnisse  anzueic;nen, 
um  bei  späteren  selbständigen  forschungen  darauf  fassen  zu  können. 
'Es  ist  mir  mehr  und  mehr  klar  geworden',  schreibt  er  im  jähre  1858, 
'dass  ich  um  einigermassen  gründliche  kenntnisse  im  sanskrit  zu  er- 
langen, diese  spräche  während  meines  aufenthaltes  an  den  ausländischen 
Universitäten  zu  meinem  hauptstudium  machen  muss'.  Noch  im  früh- 
ling 1.860  treibt  er  beständig  bei  Westergaard  sanskrit.  'Ausserdem 
liöre  ich  bei  dem  eben  erst  angestellten  docenten  Smith  polnisch  und 
litauisch;  besonders  die  altertümliche  litauische  spräche  interessiert  mich 
sehr,  und  ich  hoffe  darin  tüchtig  vorwärts  zu  kommen.  Endlich  höre 
ich  bei  professor  Mehren  die  anfangsgründe  des  arabischen.  Ich  liess 
mich  auch  darauf  ein,  weil  arabisch  notwendig  ist  um  persiscli  zu  lernen 
und  weil  ich  ungern  aller  kenntnisse  in  den  semitischen  sprachen  bar 
wäre'.  Allmählich  aber  trat  eine  nicht  ganz  unerhebliche  änderung 
seiner  Studien  ein.  Bisher  beschränkten  sich  Bugges  selbständige 
arbeiten  wesentlich  auf  zwei  gebiete:  vergleichende  Sprachwissenschaft 
(mit  besonderer  berücksichtiguug  der  italischen  und  germanischen 
sprachen)  und  norwegische  Volksüberlieferungen  (mit  stetem  hinblick 
auf  die  vergleichende  indogermanische  mythologie).  In  Kopenhagen 
wurde  er  jedoch  mehr  und  mehr  durch  die  alte  isländische  und  nor- 
wegische litteratur  gefesselt,  besonders  durch  die  götter-  und  helden- 
lieder  der  älteren  Edda,  die  durch  manche  fäden  mit  der  neuern  Volks- 
dichtung verbunden  waren.  So  schreibt  er  1858  von  Berlin  aus  über  die 
ersten  monate  seines  Kopenhagener  aufenthalts:  'Jeden  tag  sass  ich  auf 
den  bibliotheken  .  .  Hier  durchmusterte  ich  und  copierte  zum  teil  die 
Sammlungen  der  fseröischen  lieder,  die,  wenn  man  sie  mit  den  unsrigen 
vergleicht,  grosse  ausbeute  gewähren;  auch  machte  ich  mich  einiger- 
massen mit  den  besten  handschriften  der  älteren  Edda  bekannt,  die  ich 
bei  dem  nächsten  auf  enthalte  daselbst  vollständig  zu  collationieren  hoffe; 
das  wird  gewiss  keine  überflüssige  arbeit  sein'.  1860,  als  seine 
Studien  im  auslande  ihrem  abschlusse  nahe  waren,  schrieb  er  ferner: 
^Jeden  tag  pflege  ich,  wenn  der  zustand  meiner  äugen  es  zulässt,  auf 
den  bibliotheken  zu  sitzen  und  isländische  handschriften  abzuschreiben. 
Namentlich  hoffe  ich  mit  der  Untersuchung  der  handschriften  der  älteren 
Edda  vollständig  fertig  zu  werden.  Ich  verglich  auch  einige  hand- 
schriften derjenigen  sagas,  die  —  ohne  genügende  kritik  —  in  den 
Fornaldarsögitr  herausgegeben  sind,  und  hätte  nicht  übel  lust,  einige 
davon  von  neuem  zu  edieren.  Endlich  habe  ich  auch  einige  neuere 
Sammlungen  norwegischer  Wörter  und  Sprichwörter  abgeschrieben.  — 
Zu  hause  beschäftige  ich  mich  meistens  mit  altuorwegisch,  Volksdichtung, 


SOPHUS    BUGGE  135 

Sanskrit  und  angelsächsisch'.  'Ich  hätte  gerne  .  .  eine  abhandlung 
(Textkritische  benierkungen  zur  älteren  Edda)  an  die  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  eingesendet.  Aber  sie  passt  dort  nicht  recht  hin,  da  sie 
eigentlich  kein  abgeschlossenes  ganze  bildet,  sondern  aus  zerstreuten 
benierkungen  besteht.  Überdies  finde  ich  immer  mehr  zu  bemerken, 
je  tiefer  ich  in  die  ältere  Edda  eindringe.  Wenn  ich  alle  handschriften 
verglichen  habe,  werde  ich  besser  imstande  sein,  meine  beitrage  mit- 
zuteilen, die,  wie  ich  hoffe,  für  eine  neue  ausgäbe  nicht  ohne  bedeutung 
sein  werden'. 

Kurz  vor  seiner  heimkehr  nach  Norwegen  im  jähre  1860  war 
Bugge  durch  seine  ernennung  zum  'Stipendiaten  (besoldeten  docenten) 
für  vergleichende  Sprachwissenschaft  und  sanskrit'  fest  an  die  Univer- 
sität Christiania  geknüpft  worden.  Es  war  ihm  also  damals  noch  nicht 
klar,  dass  seine  lebensaufgabe  auf  dem  heimischen  boden  lag.  186-i 
nieldete  er  sich  zu  der  durch  C.  A.  Hagbergs  tod  erledigten  professur 
der  nordischen  sprachen  an  der  Universität  Lund.  In  Christiania  hatte 
man  jedoch  längst  seine  seltene  und  vielseitige  begabung  erkannt,  und 
um  unserem  lande  einen  mann  zu  sichern,  der  'jeder  Universität  zur 
Zierde  gereichen  würde',  richtete  die  Universität  eine  eingäbe  an  die 
regierung,  dass  für  Bugge  ein  besonderer  lehrstuhl  errichtet  werden 
möge.  1864  wurde  er  denn  auch  lector  für  vergleichende  Sprachwissen- 
schaft und  zwei  jähre  später  rückte  er  zum  professor  dieses  faches  auf, 
wobei  ihm  die  Verpflichtung  auferlegt  wurde,  auch  über  alt- 
norwegisch zu  lesen.  Von  jetzt  ab  ist  ßugges  künftige  Wirksamkeit 
fest  bestimmt  und  umgrenzt.  Seine  lebensarbeit  sollte  hauptsächlich  der 
nordischen  philologie  zu  gute  kommen;  gleichzeitig  aber  setzte  er  fast 
ohne  Unterbrechung  bis  an  sein  ende  die  schon  in  seinen  studenten- 
jahren  begonnenen  forschungeu  in  der  vergleichenden  indogermanisciien 
Sprachwissenschaft  fort,  wobei  besonders  die  italischen  sprachen,  später 
auch  das  damit  in  Verbindung  gebrachte  etruskische  und  die  klein- 
asiatischen idiome  berücksichtigt  wurden.  Wir  wollen  zuer-st  seine 
arbeiten  auf  dem  gebiete  der  nordischen  philologie  bis  zum  sciilusse 
der  siebziger  jähre  verfolgen,  wo  seine  ansicliten  übei  das  geistige 
leben  der  nordischen  wikingerzeit  eine  entschiedene  änderung  erfuliren. 

In  den  sechziger  jähren  sehen  wir,  wie  Bugge  in  der  nordischen 
Philologie  die  grenzen  seiner  forschungen  immer  weiter  nach  allen  rich- 
tungen  ausdehnt.  Überall  rodet  er  neues  land,  und  überall  wächst  die 
ausgestreute  saat  üppig  empor.  Zwei  wissenschaftliche  taten  ersten 
ranges  gehören  diesen  jahron  an:  di(.'  horausgaho  der  älteren  Edda  und 
die  deutung  der  urnordischen  runeninschriften. 


1 3n  OLSEN       > 

Bereits  1858  hatte  Bugge  die  vorarbeiten  für  eine  neue  Edda- 
ausgabe begonnen,  und  1860  hatte  er,  wie  schon  erwähnt,  verschie- 
dene beobachtungen  gemacht,  die  für  diese  ausgäbe  von  Wichtigkeit 
werden  sollten.  Noch  in  demselben  jähre  hielt  er  in  der  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  zu  Christiania  einen  vertrag  über  'das  Verhältnis 
zwischen  Grögaldr  und  FJQlsvinnsmtil,  beleuchtet  durch  ihre  vergleichung 
luit  dem.  dänisch -schwedischen  volksliede  von  Sveidal'.  Durch  diesen 
vertrag,  der  in  den  ForhaiuUinger  i  Vifleiiskahs-selskahet  i  Clnistinnia 
(1860,  s.  123  —  40)  gedruckt  wurde,  schlägt  er  eine  brücke  von  den 
Volksliedern  —  mit  denen  er  sich  andauernd  beschäftigt,  wie  er  u.  a. 
auch  wichtige  beitrage  zu  Svend  Grundtvigs  Danmarks  gamle  foJkeviser 
liefert  —  zur  älteren  Edda.  Mit  hilfe  des  Sveidal -liedes  wies  er  näm- 
lich nach,  dass  die  beiden  gedichte  Grögaldr  und  Fjolsvinnsraäl  ein 
einheitliches  ganze  bilden,  das  nach  Bugges  verschlag  jetzt  allgemein 
Svipdagsmäl  genannt  wird. 

Zwei  jähre  später  (1862)  kündigte  ein  vertrag  über  die  Hälfs 
saga^  Bugges  ausgäbe  der  Norröne  skrificr  af  sagnhistorhk  indhold 
an  (heft  1 :  Hälfs  saga  og  Nornagests  pdttr,  Christ.  1864;  heft  2:  FoY.s- 
unga  saga,  1865;  heft  3:  Hervarar  saga,  1873).  Die  ausgäbe  dieser 
sagas  machte  den  alten  abdruck  in  den  Fornaldar  sögur  überflüssig. 
Die  zahlreichen  wertvollen  anmerkungen  sprachlichen  und  sagengeschicht- 
lichen Inhalts  beweisen,  wie  gründlich  Bugge  bereits  jetzt  in  der  alt- 
nordischen spräche  und  litteratur  zu  hause  war.  Leider  blieb  das  werk 
unvollendet,  da  die  bereits  vollständig  niedergeschriebene  einleitung  bei 
einem  vortrage  im  'Philologischen  verein',  wo  Bugge  die  wesentlichsten 
ergebnisse  daraus  mitteilte,  verloren  gieng. 

1867  erschien  dann  in  Christiania  die  lange  vorbereitete  ausgäbe 
der  älteren  Edda:  Norram  fornkvcsti.  Islandsk  mnding  af  folkelige 
oldtidsdigte  am  Nordens  guder  og  heroer,  (ilmindelig  kaldet  Scomtndar 
Edda  hins  fröba  (LXXX,  450  s.).  Jetzt,  nachdem  40  jähre  seit  der 
ausgäbe  dieses  buches  verflossen  sind,  sind  wir  imstande,  die  arbeit 
völlig  zu  beurteilen  und  zu  würdigen.  Ihre  bedeutung  ist  von  Sijmons 
in  seiner  Übersicht  über  die  geschichte  der  Eddaforschung  (Die  lieder 
der  älteren  Edda,  einleitung  s.  CXV  fg.)  treffend  charakterisiert  worden. 
Nachdem  er  von  der  'Unsicherheit  und  Unfruchtbarkeit'  gesprochen  hat, 
die  zu  anfang  der  sechziger  jähre  auf  den  eddischen  Studien  lastete, 
fährt  er  fort:  'Bugges  ausgäbe  hat  nach  zwei  seifen  in  der  geschichte 
der  Eddaforschung  die  bedeutung  einer  erlösenden  tat.     Einmal  gab  sie 

1)  Ein  kurzes  referat  über  diesen  Vortrag  iiudet  sich  iu  dcu  Forhandlinger  i 
Viclenskabs  - selskabet  i  Christiania  (1862,  s.  40 — 41j. 


soi'Hus  Hronp;  137 

zum  ersten  male  ein  mit  der  äussersten  sori^falt  und  vollkommenster 
Sachkenntnis  hergestelltes,  getreues  und  vollständiges  bild  der  gesamten 
handschriftlichen  Überlieferung  .  .  .'  Sie  darf  'als  die  eigentliche  editio 
princeps  der  Eddalieder  bezeichnet  werden,  die  alle  früheren  editionen 
mehr  oder  weniger  überflüssig  machte  und  für  alle  nachfolgenden  die 
gesicherte  basis  bot.  Zweitens  aber  hat  ßugge  mehr  als  irgend  ein 
anderer  vor  oder  nach  ihm  durch  geniale  textkritik  und  durch  eine  fülle 
anregender  und  scharfsinniger  bemerkungeu  in  den  fussnoten,  den 
'Tilhrg  og  rettelser'  (s.  388  —  449)  und  dem  nachtrag  in  den  'Aarböger' 
von  1869  [s.  243— 76]  das  Verständnis  der  lieder  im  einzelnen  ge- 
fördert .  .  .  Bugges  ausgäbe  [w^ird]  in  der  Wissenschaft  der  germanischen 
Philologie  als  eine  zierde  und  ein  bleibender  besitz  ihre  stelle  be- 
haupten'. 

Nun  gab  es  noch  eine  zweite  grosse  aufgäbe  auf  dem  gebiete  der 
nordischen  philologie,  die  lockend  vor  Bugges  äugen  lag  und  zu  deren 
lösung  er  von  seinen  epigraphischen  Studien  über  italische  inschriften 
und  seinen  sprachvergleichenden  arbeiten  reiche  Voraussetzungen  mit- 
brachte. Am  anfange  des  19.  Jahrhunderts  hatten  die  sogenannten 
'gotischen'  (urnordischen)  runen  beständig  wachsende  aufmerksam- 
keit  auf  sich  gezogen,  und  mit  glück  -war  für  die  endgiltige  deutung 
dieser  runen  vorgearbeitet  Avorden.  Durch  die  erklärung  der  Inschrift 
des  goldenen  hornes  von  dem  dänischen  gelehrten  Bredsdorff  (1838) 
und  besonders  durch  die  scharfsinnigen  und  methodischen  deutungs- 
versuche  des  Norwegers  P.  A.  Munch  (von  denen  namentlich  seine 
1857  veröffentlichte  erklärung  der  Tune- Inschrift  hervorzuheben  ist) 
begann  über  den  Inhalt  mehrerer  urnordischen  runenioschriften  all- 
mählich ein  licht  aufzudämmern.  ^  Munch  war  jedoch  zu  voreilig  in  den 
aus  seinen  deutungen  gezogenen:  schlussfolgejiingen  über  die  sprach- 
lichen und  ethnographischen  Verhältnisse  des  nordens  im  älteren  eisen- 
zeitalter, und  nach  Munch  erfolgte  ein  rückschritt  durch  die  verfehlten 
versuche  von  Dietrich  und  Stephens.  Die  aufgäbe  musste  sein,  auf 
Bredsdorffs  und  Munchs  beobachtungen  weiter  zu  bauen,  ihre  richtig- 
keit  an  dem  gesamten  material  zu  prüfen  und  den  urnordischen  sprach- 
stoff  von  der  germanischen  Sprachgeschichte  aus  zu  beleuchten. 

Im  jähre  1865  zog  Bugge  in  einer  kurzen  notiz  über  die  Inschrift 
des  goldenen  hornes  (Tklskrifl  for  phiblof//  V,  317  —  18)  die'conse- 
quenzen  von  Munchs  beobachtung,  dass  die  runc  Y  ^^i''  «'tju  steinen  von 
Tune  und  Tstaby  einen  .s-laut  oder  einen  daraus  entstandenen  r-laut 
bezeichne  (Munch  hatte  1857  diese  rune  durch  ,i  trausscribiert).  Bugge 
führte  den  beweis,  dass  die  rune  auch  auf  dem  goldenen  hörne  diesen 


138  OLSEN 

lautwei't  habe,  und  gelangte  dadurch  zu  der  endgiltigen  lesung  dieser 
inschrift.  Er  gab  hier  auch  (mit  bezug  auf  ein  wort  unter  vorbehält) 
eine  Übersetzung  der  legende  des  goldenen  hornes,  die  spätere  for- 
schungen  in  allem  wesentlichen  als  die  richtige  bestätigt  haben.  Bugge 
schliesst  seine  kleine  notiz  mit  den  werten:  'Die  hier  gegebene  deutung 
w-ill  ich  jetzt  nicht  näher  begründen,  ehe  wir  die  vollständige  ausgäbe 
der  inschriften  mit  den  älteren  runen  von  professor  G.  Stephens  erhalten 
haben*.  Aber  'welche  bedeutnng  diese  lesung  hatte',  sagte  ein  zeit- 
genössischer dänischer  philolog\  'zeigte  sich  ein  paar  jähre  später  auf 
das  deutlichste  sowol  durch  .  .  .  Wimraers  wie  durch  Bugges  eigene 
lesung  und  deutung  einer  ganzen  reihe  von  inschriften,  die  mit  den 
älteren  runen  geschrieben  waren'.  In  seiner  kleinen  notiz  übersetzt 
Bugge  die  inschrift  des  goldenen  hornes  in  die  'spräche  Wulfilas',  in 
'gewöhnliches  altnordisch"'  und  ins  'altenglische'.  Hier  wird  somit  in- 
direct  die  frage  aufgeworfen,  in  welcher  sprachform  die  ältesten  runen- 
inschriften  des  nordens  abgefasst  sind.  Die  antwort  wurde  wenige  jähre 
später  unabhängig  von  einander  durch  Bugge  und  den  Dänen  Ludv. 
Wimmer  gegeben,  der  mit  Bugge  die  ehre  teilt,  die  neuere  runen- 
forschung  begründet  zu  haben. 

lu  die  jähre  1867  —  68  fallen  Bugges  bahnbrechende  deutungen 
der  urnordischen  Inschriften -,  wodurch  die  lesung  derselben  im  wesent- 
lichen für  immer  festgelegt  ward.  Durch  das  werk  von  Gr.  Stephens: 
Old  northeni  runic  moiniments  I.  II  (Kjobh.  1866  —  68)  war  für  die 
deutung  eine  grundlage  geschaffen,  auf  der  mau  einigermassen  mit  Sicher- 
heit fussen  konnte,  und  Bugge  prüft  nun  inschrift  für  inschrift  und  fügt 
seinen  deutungen  allgemeine  betrachtungen  über  die  schritt  und  die 
spräche  an.  In  einer  reihe  von  erkläruugen,  in  der  beurteilung  des  Ver- 
hältnisses zwischen  dem  längeren  und  dem  kürzeren  aiphabet  und  in 
der  auffassung  der  Stellung  der  urnordisehen  spräche  begegnete  er  sich 
mit  Wimmer,  der  1867  seine  klare  und  methodische  Untersuchung:  De 
celdste  iionliske  runemdsl,r/f/er  {A^arbBger  1867  s.  1—64)  veröffentlichte. 

Mit  der  frage  über  die  sprachliche  Stellung  der  urnordischen  runen- 
inschriften  beschäftigten  sich  um  diese  zeit  auch  der  ausgezeichnete 
dänische  Sprachforscher  Yilh.  Thomson,  der  1869  seine  für  die  runen- 
kunde  bedeutungsvolle  doctordissertation:  Den  (joliske  sproijklasses  ind- 
flydehe  paa  den  finske  herausgab,  und  der  zu  früh  verstorbene  dialekt- 
forscher K.  J.  Lyngby.     Diese   beiden  männer  schlössen   sich  der  von 

1)  C.  Berg,  Tidskr.  für  pliil.  X  (1872)  s.  7G  aniii.  1. 

2)  Bidrag  til  tydniny  af  de  fehlste  rtineindskriftcr  I  —  III  (Tidskr.  for  phil. 
VIT,  211  —  252,  312  —  363.  VIII,  1G3  — 204). 


SOPIICS    BUOGF.  139 

Wimmer  und  Biigge  geltend  gemachten  auffassung  an,  dass  die  im 
norden  gefundenen  runeninsciiriften  aus  dem  ältei-en  eisenzeitalter  in 
einer  spräche  ('urnordisch')  geschrieben  seien,  von  denen  die  historischen 
nordischen  sprachen  abstammten,  und  brachten  —  öffentlich  und  in 
brieten  an  Bugge  —  wichtige  tatsachen  zur  Sicherung  dieser  auffassung 
bei.  Dagegen  suchte  K.  Gislason  eine  nähere  Verwandtschaft  zwischen 
der  spräche  der  ältesten  nordischen  runeninschriften  und  dem  deutschen 
nachzuweisen  (Aarboger  1869  s.  85— 148).  Bugge  erwiderte  darauf  in 
^eiuer  abhandlung:  Lidt  oni  de  (fldsle  nordiske  rfmehidslrifters  sprogllge 
stilUng  (Aarboger  1870  s.  187 — 216),  in  der  er  die  hauptpunkte  des 
Streites  scharf  beleuchtet  und  seine  eigene  meinung  siegreich  verteidigt. 

Im  folgenden  jähre  sandte  Bugge  eine  neue  wichtige  runologische 
arbeit  in  die  weit,  die  scharfsinnigen  und  methodischen  B.emcerkninger 
oui  runeindslniftcr  paa  giddbractealrr  (Aarboger  1871  s.  171  —  226; 
auch  in  französischem  resumc  in  den  Memoire^  des  antiqiiaircs  du  nord 
1866 — 71  s.  361  —  384).  Er  ist  sich  der  eigentümlichen  Schwierigkeiten 
klar  bewusst,  die  mit  der  deutung  der  auf  den  bracteatstempeln  ein- 
geschnittenen runenzeichen  verbunden  sind,  da  diese  häufig  nur  von 
anderen  bracteaten  ohne  kenntnis  der  Wortbedeutungen  die  runenformen 
mechanisch  übertrugen.  Später  ist  er  auch  bei  der  deutung  anderer 
runeninschriften  oft  auf  die  bracteatinschriften  zurückgekommen  und  hat 
viele  wertvolle  neue  lesungen  und  erklärungen  geliefert. 

Von  den  siebziger  jähren  ab  bis  an  seinen  tod  hat  Bugge  wider- 
iiolt  einzelne  urnordische  runeninschriften  monographisch  behandelt.  Alle 
wichtigeren  neuen  fiinde,  die  in  Norwegen  gemacht  wurden,  hat  er 
beschrieben,  und  von  freunden  und  fachgenossen  in  Schweden  ward  er 
in  der  regel  sofort  unterrichtet,  wenn  in  diesem  lande,  was  nicht  selten 
geschah,  eine  neue  urnordische  Inschrift  entdeckt  ward,  und  gebeten  sie 
zu  behandeln.  Dadurch  ward  eine  lange  reihe  meisterhafter  mono- 
graphien  über  urnordische  runeninschriften  veranlasst,  von  denen  die 
bis  zum  jähre  1880  erschienenen  schon  hier  angeführt  seien :  J'rh/tiugs- 
nceH-imhkriften  (Aarboger  1872  s.  192—196);  To  ngfundiiv  norshc 
runeindskrlfter  fra  den  celdre  jernalder  |  Valstjorden  u.  Einaug]  (For- 
handliiiger  i  Videfi.sk.  .sr/.s/,-.  /  Christiania  1872  s.  310  —  332);  Rune- 
'ndskrifl  fra  Förde  (Aarsberelning  fra  Fürcniiigeii  til  norshe  fortids- 
nnnder.sinasrker.s  hevariiig  187!  s.  HTj— 179);  En  i  Xorgr  fiindai 
spcende  med  rnneindskrlft  fni  iHclli'nijirHahkrcn  (if  (>.  A'//////  og  S.  />. 
(Aarboger  1878  s.  59  —  72). 

Jedoch  schon  ehe  Bugge  seine  le.sung  und  deutung  lU-.r  Inschrift 
des  goldenen  hornes  mitgeteilt  luitto.  war  er  als  niuulog  aufgetreten,  da 


140  OLSEN 

er  scbon  1864  in  der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Christiania  einen 
Vortrag  über  die  mit  jüngeren  riinen  eingeritzte  druttkvcvtt- Strophe 
in  der  kirche  zu  Vinje  gehalten  hatte  ^.  Auch  seine  nächste  arbeit  über 
inschriften  mit  den  jüngeren  ruuen  behandelte  ein  metrisches  denkmal, 
die  interessanten  runenverse  auf  einem  holzpflock,  der  in  die  kanzel 
der  alten  'stavkirke'  zu  Aardal  in  Sogn  eingefügt  war  [Runeindskrifter 
fra  Aardcds  kirke  i  Sogn,  in  Aarsberetning  fra  Foreningen  til  norske 
fortidsmifidesmcBrkers  bevaring  18Q8  —  69  s.  30  —  38).  Es  ist  natürlich, 
dass  inschriften  dieser  art  seine  besondere  aufmerksarakeit  erregten,  da 
er  sich  in  dieser  zeit  eifrig  mit  der  norrönen  dichtung  beschäftigte. 

Seit  1865  hat  Bugge  auch  verschiedene  runologische  reisen  in 
Norwegen  ausgeführt.  In  den  jähren  1868.  1872  und  1876  bereiste 
er  mit  Unterstützung  der  Kgl.  schwedischen  akademie  der  Wissenschaften 
Schweden,  um  die  runeninschriften  dieses  landes  zu  untersuchen.  Einen 
teil  von  den  ergebnissen  dieser  reisen  hat  er  in  dem  reiseberichte  nieder- 
gelegt (gedruckt  in  K.  Vitterhets  Mst.  och  ant.  akad.  inönadsblad,  dec. 
1877  s.  529  —  536)-;  sodann  in  seiner  schrift:  Rnne-indskriftev  pna 
ringen  i  Forsa  k/rke  i  Xordre  Helsingland  (Christiania  iiniversiiets  fest- 
skrift  i  anledning  af  Upsala  universitets  jubilceuDi  1877),  Avorin  er 
die  durch  ihren  inhalt  —  wir  haben  es  mit  dem  ältesten  rechtsdenkmal 
des  nordens  zu  tun  —  wie  durch  ihre  runen  gleich  merkwürdige  In- 
schrift behandelte.  Diese  letzteren,  die  sogenannten  'Heisinger'  (oder 
'stablosen")  runen,  stehen,  wie  Bugge  nachwies,  mit  einer  anderen 
gruppe  von  nordischen  runeninschriften  in  Verbindung,  die  er  zuerst 
eingehend  behandelt  und  deren  historische  bedeutung  er  als  erster  er- 
kannt hat. 

Auf  dem  kirchhofe  von  ßök  in  Östergötland  befindet  sich  be- 
kanntlich der  stein  mit  der  längsten  und  merkwürdigsten  runeninschrift, 
die  wir  kennen;  diese  hat  Bugge  verschiedene  male  untersucht.  In 
keiner  anderen  von  seinen  runologischen  arbeiten  tritt  in  so  hohem 
grade  sein  S(.'harfsinn  und  seine  umfassende  gelehrsamkeit  zu  tage. 
nirgends  zeigt  er  sich  so  glänzend  als  meister  methodischer  Untersuchung 
und  deutung,  wie  in  der  dieser  Inschrift  gewidmeten  abhandlung:  Tolk- 
ning  af  riineindskriflen  paa  Rökstenen  l  Östergötland  (Antiqv.  tidskr. 
f'ör  Sverige  V,  1—148;  211 — 215).    'Ein  ganzes  buch  in  stein'  hat  Bugge 

1)  Ein  kurzes  referat  darüber  ist  mitgeteilt  in  den  Forlicmdlinyer  i  Vidensk. 
sclsk.  i  Christiania  1864  s.  216  — 17. 

2)  Seine  kurzen  bemerkungen  über  die  schwedisclien  raueninschriften  auf  dem 
marmorlöwen  vom  Piriius  ( .Mänadsblad ,  juli  1875  s.  98 — 101)  werden  weiter  unten 
besprochen  werden. 


SnPIlUS    BUGGE  141 

die  Rök-inschiift  genannt,  und  dieses  buch  hat  er  in  der  genannten 
sciirift,  sowie  in  einem  späteren  aufsatze  vom  jähre  1888  (Om  nine- 
iii(hl:rlftenic  pao  Bähst eiirn  i  Osicrgöllaufl  0(/  paa  Fonnaas-spccnden 
fra  Bendalen  i  Norye,  K.  Vittcrhcis  hist.  och  anl.  akad.  hcindi  XXXI,  inj 
klar  vor  unseren  äugen  ausgebreitet.  Der  phantastische  inhalt  der  in- 
schrift,  die  den  sagenkönig  Theodorich  den  grossen  und  die  epony- 
niischen  heroen  norwegischer  stamme  erwähnt,  gab  Bugge  die  veran- 
hissung  zu  zahlreichen  corabinationen.  In  seinem  letzten  lebensjahre 
kehrte  er  noch  einmal  zu  der  Rük-inschril't  zurück,  und  er  hinterliess 
die  dritte  behandlung  derselben  nahozu  vollendet.  Dieser  aufsatz,  in 
dem  er  die  Inschrift  im  zusammenhange  mit  der  ältesten  geschichte  des 
nordens  und  mit  der  ältesten  norwegisch-isländischendichtung  betrachtet, 
wird  hoö'entlich  bald  auf  kosten  der  Schwedischen  akademie  erscheinen. 

Bugge  beschäftigte  sich  in  den  siebziger  jähren  übrigens  nicht  aus- 
schliessHch  mit  der  deutung  nordischer  runeninschriften  ^  Auch  die 
frage  nach  der  cntstehung  und  der  geschichte  der  runenschrift  hat 
ihn  eine  Zeitlang  stark  beschäftigt.  1873  hielt  er  in  der  Gesellschaft 
der  wissenscliaften  in  Christiania  einen  vertrag  über  den  Ursprung  der 
runenschrift,  über  den  ein  kurzes  referat  in  den  Forhandlinyer  (1873 
s.  485— 487)  berichtete.  Aber  erst  in  seinen  letzten  lebensjahren  fand 
Bugge  die  müsse,  tiefer  auf  diese  fragen  einzugehen. 

In  die  erste  hälfte  der  siebziger  jähre  fallen  sodann  zwei  arbeiten 
Bugges  über  nordische  litteratur.  auf  die  besonders  aufmerksam  gemacht 
werden  muss:  Jinnfcrknivger  om  de//  I  SLoUamI  fnndite  laiiuskc  Norgrs- 
Lrönil.c  (Aarboger  1873  s.  1  —  49)  und  BIskop  Jijarne  Kolheins-sön  oij 
Snorrcs  Edda  (ebda.  1875  s.  209  —  240).  Beide  abhandlungen  zeigen, 
dass  Bugge  jetzt,  ebenso  wie  8ars  und  Vigfüsson,  auf  den  bedeutenden 
eintluss  aufmerksam  geworden  ist,  den  die  westlichen  gebiete  der  nor- 
ronen  cultursphäre,  die  norwegischen  colonien  auf  den  brittischen  inseln, 
im  früheren  mittelalter  auf  die  entwicklung  des  geistigen  lebens,  das 
in  der  alten  norwegisch -isländischen  litteratur  sich  uns  abspiegelt,  aus- 
geübt haben.  Bald  sollte  er  in  der  frage  nach  der  lieimat  der  ed- 
dischen gedichte  seinen  Standpunkt  wählen.  Zunächst  Hess  er  jedoch 
in  dem  streite  über  das  alter  dieser  lieder,  der  nach  Jessens  an- 
regender abhandlung  (Zeitschr.  III  [1871 1  s.  1  —  84)  von  neuem  entbrannt 
war,  seine  gewichtige  stimme  hören,  und  zwar  in  einem  vortrage  auf  der 

1)  ['her  die  up.eclite  Inschrift  von  Olilorsliol  in  l.ivland  tuilt  ü.  einige  l)onier- 
kungen  mit  in  den  Verhandlungen  der  j;el.  e.stii.  gesellschaft  zu  Dorpat  VIII.  2  (187.'')) 
s.l—S.  und  im  anscliiuss  daran  oint;  -('bersieht  über  die  timi'nliltiT.ntiir"  iolictMi;i 
s.  D— i:ij. 


142  OLSKN   ' 

Kopenhageuer  philologen- Versammlung  von  1876:  Nogle  hldracj  til  det 
■norröne  sprocjs  og  den  norröne  digtnings  historie  heniede  fra  verslceren 
(Beretning  om  foihandl.  pä  det  Iste  nord.  filologmöde  1876,  Kbh.  1879, 
s.  140  — 146).  Er  zog  hier  aus  gewissen  eigentümlichkeiten  in  dem 
metrischen  bau  der  Eddalieder  (besonders  der  im  Ijööahuttr  abgefassten) 
■\veitreicliende  Schlüsse  auf  das  , alter  derselben.  'Wir  dürfen  sicher  an- 
nehmen', äusserte  Bugge,  'dass  kein  im  Ijöhahättr  gedichtetes  lied  älter 
ist  als  das  8,  Jahrhundert'-  Sein  Vortrag  lieferte  den  ersten  vollgiltigen 
beweis  dafür,  dass  die  liauptmasse  der  inhaltlich  eng  zusammengehöri- 
gen Eddalieder  nicht  ein  gemeinsames  besitztum  des  gesamten  nordens 
ist,  sondern  der  wikingerzeit  angehört  und  in  westnordischer  (nicht 
in  schwedischer  oder  dänischer)  spräche  abgefasst  wurde. 

Bugge  ist  somit  jetzt  zu  der  Überzeugung  gelangt,  dass  die  Edda- 
lieder erzeugnisse  der  gärenden  wikingerzeit  sind,  in  der  die  nordischen 
Völker  in  das  volle  licht  der  geschichte  treten  und  dauerndere  und  tiefer 
greifende  beziehungen  mit  den  europäischen  culturvölkern  im  Süden 
und  Westen  anknüpfen.  Und  gleichzeitig  (im  winter  1876/77)  beginnt 
auch  eine  neue  auffassung  über  den  Inhalt  der  eddischen  lieder,  über 
die  norröne  götter-  und  heldendichtiing  bei  ihm  aufzudämmern.  Bevor 
wir  jedoch  über  diese  neue  phase  in  Bugges  wissenschaftlicher  entwick- 
lung  und  production,  die  durch  seine  mythologischen  Studien  eingeleitet 
wird,  berichten,  muss  noch  seine  übrige  Wirksamkeit  (mit  einschluss 
der  gebiete,  die  nicht  der  nordischen  philologie  angehören)  bis  zum 
ausgange  der  siebziger  jähre  in  kürze  besprochen  werden. 

Während  er  bereits  mit  der  Eddaausgabe  beschäftigt  war,  schrieb 
er  den  aufsatz:  Sjaldne  ord  i  norrün  skaldshih  (Tidsli\  f.  phil.  VI 
[1865]  s.  87—108;  162)\  In  den  jähren  1870  —  71  behandelte  er  noch- 
mals die  nordischen  pronomina  (Tidskr.  f.  phil.  IX,  111 — 129;  273 — 74) 
und  erklärte  den  norwegischen  landschaftsnamen  HdJogaland  (Hist.  tids- 
skr.  I,  135 — 140);  1879  veröffentlichte  er:  EUjmologi^che  beitrüge  aus 
dem  nordischen  (Bezzen bergers  Beitr.  III.  97  — 121)  und:  Sproglige  oplys- 
ninger  om  ord  i  gamle  nordiskc  lore.  I.  Svenske  ord  (Tidskr.  f.  filol., 
n.  r.  III,  258 — 275)"-.     Mit  angelsächsischer  dichtung  beschäftigte  er 

1)  Ein  paar  kleine  beitiäge  zur  erklärung  skaldischer  diohtungen  hat  er  1871 
in  [Norsk]  Histor.  tidsskr.  i  gegeben:  Om  Skareid  i  Skirüiyssal  (s.  385— 88)  und  Et. 
vers  af  Torbjörn  hornklove  om  Harald  haarfagre  (s.  518  — 19). 

2)  Zu  erwähnen  sind  hier  ferner  die  notiz  über  Das  scliivuclie  germanische 
praeteritnm  in  Kuhns  zeitschr.  XXIII  (1876)  s.  523  und  die  berichtiguug  einer  stelle 
der  got.  bibelübersetzung  (Rom.  12.  8)  in  den  Forhandl.  i  Vidensk.  selsk.  i  Christiania 
1875  s.409. 


sornrs  rtogf;  143 

>icli  in  dieser  zeit  eiugehender  uiul  liiit  die  ergebnisse  seiner  t'oisclmng 
auf  diesem  gebiete  niedergelegt  in  den  beiden  abhandlungen:  Spredte 
iafittafichcr  i-edhwninende  de  oldeu()eIske  digie  um.  Beöwtdf  og  Walderc 
(Tidskr.  f.  phil.  Vlll[1868— 69]  s.40— 78;  287—307)  und:  Zinn  Beowulf 
(Zeitschr.  IV  [1873]  s.  192 — 224],  die  eine  menge  von  trefl'iiclien  bemer- 
kungen  and  scharfsinnigen  conjecturen  enthalten.  Diese  Studien  hat  er 
auch  später  fortgesetzt,  und  die  genaue  bckanntschaft  mit  der  angel- 
sächsischen dichtung  kam  ihm  in  der  folge  bei  seinen  Untersuchungen 
über  die  beziehungen  der  norrouen  Poesie  zu  der  englisch- keltischen 
cultursphäre  zu  gute.  Aus  seiner  neuen  kritischen  behandlung  der 
Iknnhismdl  (Zeitschr.  VII  [1876]  s.  377 — •400)  ersehen  wir,  dass  er  sich 
mit  planen  zu  einer  neuen  Eddaausgabe  trug,  die  jedoch  nie  verwirk- 
licht wurden. 

Auch  als  classischer  piiilolog  und  vergleichender  Sprach- 
forscher war  Bugge  in  den  sechziger  und  siebziger  jähren  tätig.  Als 
Madvig  1863  eine  reihe  von  conjecturalkritisclien  aufgaben  zu  griechi- 
schen und  lateinischen  Schriftstellern  aufgestellt  hatte  (Tidskr.  f.  philol.  V, 
13fgg.),  sandte  Bugge  unter  der  chiffer  'Semibarbarus'  lösungen  ein,  die 
zugleich  mit  den  von  anderen  eingelieferten  antworten  im  nächsten  hefte 
(V,  157  — 160)  abgedruckt  wurden.  Dadurch  scheint  sein  Interesse  für 
textkritische  behandlung  der  alten  autoren  geweckt  zu  sein.  P]r  ver- 
öffentlichte nämlich  1865  —  67  in  derselben  Zeitschrift  (Vi,  1  — 19;  VII, 
1 — 37)  mehrere  wertvolle  textkritische  und  sprachliche  bemerkungen  zu 
Plautus,  die  er  später  (1870  —  76)  im  Philologus  (XXX,  636  —  652; 
XXXI,  247  —  262)  und  in  Fleckeisens  Neuen  Jahrbüchern  für  philologie 
(CVII,  401 — 419),  sowie  in  der  festschrift  für  Madvig  (Opuscula  philo- 
logica,  Kbh.  1876,  s.  153  —  192)  fortsetzte;  auch  gab  er  1873  die  Mostel- 
larla  heraus,  begleitet  von  einer  aorwegischen  Übersetzung  von  Fr.  Gjertsen. 
Als  etymolog  behandelte  er  AltUiteiiiischc  wörler  und  woriformrn  hei 
Fesius  vnd  Paubis  (Fleckeisens  Jahrb.  CV  [1872]  s.  91—108).  Ferner 
sind  hier  zu  nennen  seine  etymologischen  arbeiten:  Sons,  insons  (Cur- 
tius'  Studien  IV  |1871]  s.  203  —  207);  Beiträge  xnr  gnccltisclnn  nnd 
Idtein ischen  etgniologie  (ebda.  s.  323 — 354);  Zur  (hjtnologiscln'n  norf- 
forsfhnng  (Kuhns  zeitschr.  XIX  [1870]  s.  401— 447;  XX  [1871]  s.  1—50) 
und  Iknierhnngen  über  dm  nrsprniig  der  latrinischen  snffi.rc  clo, 
culo  nsn:.  (Kuhns  zeitschr.  XX  |1872]  s.  134  147).  Zu  den  altitalischon 
iuschriften  kehrte  er  widerholt  zurück,  indem  er  1874  und  1878  zwei 
arbeiten  unter  dem  titel:  Altitalischr  s/ndirn  herausgab,  die  erste  in 
Kuhns  zeitschr.  XXII  (1874)  s.  385—466,  die  zweite  als  besonderes 
buch  (Christ.  1878).     Auch    als    romanist    hat   sicii   Bugge    versucht  in 


144  OLSEX 

den  aufsätzen:  Etyinoloyles  frdiiraises  d  roinanes  (Roniania  III  [1874J 
s.  145 — 163)  und  Etyviologies  romancs  (ebda.  IV  [1875]  s.  348  —  369), 
und  wurde  ungefähr  gleichzeitig  von  den  italischen  sprachen  auf  ein  nach- 
bargebiet hinüber  geführt,  dem  er  später  eine  so  eifrige  pflege  widmen 
sollte,  das  etruskische:  er  zeigte  nämlich  den  1.  band  von  Corssens 
buch  'Über  die  spräche  der  Etrusker'  in  der  Jenaer  litteraturzeitung 
an  (1875,  17.  april  s.  285—88)  und  nahm  hier  zu  der  etruskischen  frage 
Stellung,  aber  erst  in  den  achtziger  Jahren  fand  er  gelegenheit  sich  ein- 
gehender mit  den  etruskischen  inschriften  zu  beschäftigen.  Vorläufig 
fesselten  ihn  nämlich  ganz  andere  aufgaben,  die  seine  arbeitskraft  völlig 
in  beschlag  nahmen. 

Am  4,  Januar  1877  schrieb  Bugge  aus  Kopenhagen,  wo  er  den 
winter  verlebte,  an  seinen  freund  und  collegen,  denarchäologenO.Rygh: 
'Es  gären  bei  mir  Vermutungen,  die,  wenn  sie  auf  dem  richtigen  wege 
sich  bewegen,  wie  ich  glaube,  ein  überraschendes  licht  auf  die  älteste 
geschichte  der  germanischen  mythendichtung  und  heldendichtung  werfen 
werden.  Es  wird  lange  dauern,  bis  sie  sich  bei  mir  klären,  aber  ich 
werde  sie  nicht  mehr  loslassen'.  Und  zwei  monate  später  (10.  märz): 
'Beständig  schiessen  neue  combinationen  vor  mir  auf,  die  eine  aben- 
teuerlicher als  die  andere,  ebenso  schwierig  abzuweisen  wie  zu  beweisen'. 
Während  einer  dänischen  doctordisputation  hatte  Bugge  über  eine  auf- 
fallende ähnlichkeit  zwischen  der  griechisch-römischen  und  der  nor- 
dischen mythologie  nachdenken  müssen.  Der  doctorand  (Henry  Peter- 
sen) war  auf  einen  ketzerischen  gedanken  gekommen  und  war  deswegen 
von  seinen  Opponenten  scharf  angegriffen  worden.  Auch  Bugge  wies 
diesen  gedanken  immer  wider  von  sich  ab,  aber  jedesmal  tauchte  er 
aufs  neue  vor  ihm  auf.  Die  frage  war  angeregt,  und  die  unruhe  des 
forschens  trieb  ihn  beständig  weiter. 

Bis  zu  der  genannten  zeit  hatte  Bugge  eine  grosse  und  vielseitige 
productivität  entwickelt,  besonders  in  den  letzten  zehn  jähren.  Aber 
jetzt  tritt  plötzlich  eine  Stockung  auf  allen  gebieten  ein,  die  mehrere 
jähre  dauert.  1879  druckt  er  nur  ein  paar  kleinere  aufsätze,  und  1880 
veröffentlicht  er  überhaupt  nichts.  Erst  um  die  mitte  der  acht- 
ziger jähre  beginnt  er  wider  über  runen,  nordische  etymologie  und 
etruskisch  zu  schreiben.  In  der  Zwischenzeit  ist  er,  wenn  seine  gesund- 
heit,  die  damals  etwas  geschwächt  war,  es  erlaubte,  fast  ausschliesslich 
von  seinen  forschungen  über  die  nordischen  götter-  und  Heldensagen  in 
anspruch  genommen.  Lange  kämpft  er  zwischen  zweifei  und  glauben. 
Er  legt  die  arbeit  wider  und  wider  bei  seite,  nimmt  sie  aber  stets  wider 


SOPHUS    BUGOF,  145 

auf,  imd  allmählich  festigt  sich  bei  ihm  die  Überzeugung,  auf  dem 
richtigen  wege  zu  sein.  —  Schon  im  winter  1876/77  teilte  er  seine 
neuen  Vermutungen  seinem  freunde  Svend  Grundtvig  mit,  der  ihm 
freiUch  nicht  auf  den  neuen  bahnen  zu  folgen  vermochte,  aber  doch 
während  des  Kopenhagener  aufenthalts  ihm  zuvorkommend  mit  büchern 
und  notizen  aushalf:  'denn',  äusserte  Grundtvig,  'die  Wahrheit  —  wenn 
es  die  Wahrheit  ist  —  muss  zu  ihrem  rechte  kommen.'  Der  nüchterne 
und  kritische  historiker  0.  Rygh,  dem  ßugge  sich  gerne  sofort  mit- 
teilte, sobald  er  auf  neue  forschungswegc  geriet,  scheint  sich  dagegen 
—  nach  Bugges  briefen  an  Rygh  aus  dem  jähre  1877  —  im  ganzen 
genommen  durchaus  nicht  abweisend  gegen  Bugges  anschauungen  über 
das  geistige  leben  der  wikingerzeit  verhalten  zu  haben.  Kurz  vorher 
hatten  ja  auch  u.  a.  J.  Sars,  Henry  Petersen  und  E.  Jessen  den 
blick  weit  über  die  grenzen  des  nordens  schweifen  lassen,  sowol  nach 
Westen  wie  nach  Süden,  um  die  Strömungen  aufzufinden,  die  in  dem 
götterglauben  und  der  heldendichtung  der  wikingerzeit  zusammenflössen. 
Am  81.  october  1879  hielt  Bugge  in  der  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Christiania  seinen  aufsehen  erregenden  Vortrag  über  die  ent- 
stehung  der  nordischen  götter-  und  heldensagen:  Man  habe  bisher  den 
blick  allzu  ausschliesslich  auf  das  gemeingermanische  gerichtet.  Es 
dürfe  als  bewiesen  angesehen  werden  —  durch  spräche,  metrum  und 
Inhalt  —  dass  keines  der  Eddalieder  weiter  zurückdatiert  werden  könne 
als  ins  9.  Jahrhundert.  Der  reiche  Inhalt,  der  uns  darin  überliefert  sei, 
erwiese  sich  als  ein  erzeugnis  des  mächtigen  wogenschlages  der  wikinger- 
zeit. Eine  menge  von  göttern  und  riesen  trete  uns  da  entgegen,  von 
denen  sich  bei  den  Deutschen  keine  spur  finde.  Hier  habe  man  eine 
reiche  und  eigentümliche  nordische  entwicklung.  Die  Eddadichtimg  sei 
nordisch,  in  gleicher  weise  wIq  unsere  märchen,  aber  ihr  stoff'  sei  in 
seinen  wesentlichsten  bestandteilen  fremden  Ursprungs.  Die  vorwürfe 
dieser  dichtung  seien  erzählungen  gewesen,  welche  die  Nordleute  im 
Westen  von  Christen  in  irischer  oder  englischer  spräche  gehört  hätten. 
Aus  zwei  quellen  seien  diese  erzählungen  geschöpft:  die  eine  seien  die 
alten  griechisch-römischen  götter-  und  heldensagen,  die  andere  die 
jüdisch -christlichen  legenden  und  sagenmässigen  ausschmückungen  der 
heiligen  geschichte.  Mit  reicher  phantasie  sei  der  fremde  sagen-  and 
mythenstoff  aufgefasst  und  eine  poetisch  schaffende  kraft  habe  diese 
dichtungen  geformt,  in  welchen  die  ganze  strenge  lobensanschauung 
der  Nordleute  und  ihr  tiefer  sittlicher  ernst  zum  ausdruck  komme.  Vieles 
in  diesen  noch  so  jungen  Untersuchungen  würden  tortgesetzte  forscliungcn 
vielleicht   umstossen    und   bei   seite   schieben,  aber   das   ergebnis  werdf 

ZKITSCHKIKT    K.     liKI.TsrllK    l'HIl.Ol.Oi  il  K.        Itl).     \  I.  10 


146  OLSKN  ' 

dennoch  bestehen  bleiben  —  viele  bausteine  könnten  fortgerollt  werden, 
ohne  jedoch  den  ganzen  grossen  bau  zum  wanken  zu  bringend 

In  seinem  vortrage  konnte  Bugge  mit  genugtuung  mitteilen,  dass 
sein  landsmaun  A.  Chr.  Bang  in  seiner  abhandlung:  Völuspaa  og  de 
sibyllinske  oraJder  (Forhandl.  i  Vidensk.  selsk.  i  Christiania  1879  nr.  9) 
in  verschiedenen  einzelheiten ,  die  den  Ursprung  der  norrönen  götter- 
lehre  beträfe,  zu  der  gleichen  ansieht  gelangt  sei. 

1881  sandte  Bugge  das  erste  heft  seiner  Studier  over  de  nordiske 
giide-  og  heltesagns  oprindelse,  Iste  rcekke  in  die  weit;  ein  jähr  darauf 
folgte  das  2.  heft,  und  ungefähr  gleichzeitig  erschien  auch  die  deutsche 
Übersetzung:  Studien  über  die  entstehung  der  nordischen  götter-  und 
helde7isagen,  übersetzt  von  0.  Brenner,  1.  reihe,  heft  1 — 2  (München 
1881—82,  s.  1  —  288).  1889  wurde  die  1.  reihe  der  Studier  abge- 
schlossen. In  diesen'^  sucht  Bugge  für  seine  ansieht  über  den  Ursprung 
der  norrönen  mythologie  den  beweis  zu  liefern.  Er  entfaltet  eine  er- 
staunliche gelehrsamkeit  und  einen  Scharfsinn  und  eine  combinations- 
gabe  sondergleichen.  Es  gelingt  ihm  auch  in  der  regel  nachzuweisen, 
dass  eine  uamenerkläriing  oder  eine  herübernahme  eines  klassisch - 
mythologischen  oder  christlichen  stojffes  möglich  ist.  Ist  damit  aber 
auch  die  Wahrheit  gefunden,  dasjenige  was  in  dem  einzelnen  falle  allein 
richtig  ist?  Man  hat  Bugge  nicht  ohne  grund  vorgeworfen,  dass  er 
über  das  mass  hinaus  mit  norrönen  mythologischen  namen  operiert,  in 
denen  er  umdeutungen  griechisch-römischer  und  christlicher  Wörter  er- 
blickt: denn  leider  ist  man  ja  auf  dem  gebiete  der  'Volksetymologien' 
wissenschaftlicher  controlle  noch  entzogen.  Bugges  betrachtung  dermythen 
und  sagen  entfernt  sich  auch  in  vielen  wichtigen  punkten  von  der  auf- 
fassung  dieser  Volksüberlieferungen,  die  neuerdings  in  der  religions-  und 
sagengeschichtlichen  forschung  geltend  gemacht  worden  ist.  Man  ver- 
misst  hier  oft  bei  Bugge  principielle  erörterungen ,  durch  welche  die 
ihn  bestimmenden  grundanschaiumgen  sich  rechtfertigen  Hessen.  Ferner 
ist  es,  im  ganzen  genommen,  für  Bugge  eigentümlich,  dass  er  in  der 
regel  nur  von  den  denkmälern  etwas  wissen  will,  deren  erhaltung  wir 
gewöhnlich  nur  einem  glücklichen  zufalle  verdanken.  Diese  sucht  er 
oft  so  eng  miteinander  zu  verknüpfen,  dass   in   der  kette  seiner  com- 

1)  Vgl.  das  refcrat  über  diesen  vertrag  in  Äftenhladet  (Christiania),  3.  nov., 
ur.  256. 

2)  Vgl.  auch  Bugges  vertrag  auf  der  2.  nordiscliou  philologenversammluug  in 
Christiania  (sonimer  1881):  Orn  cnkelte  nordiske  mytiiers  oprindelse  (Forhandl.  paa 
andet  filologmöde  1881,  Christ.  1883,  s.  218  —  238)  sowie:  Nogle  benicerkninger  om 
Sibijllinerne  og   Vöhispd  in  [Letterstedtska]  Nord,  tidskr.  IV  (1881)  s.  163  — 172. 


SOPHUS    BUGGE  147 

binationen  für  die  fülle  von  geistig-en  erzeugnissen,  die  uns  verloren 
gegangen  sind,  alier  sicher  einmal  existiert  haben  müssen,  nirgends  ein 
platz  bleibt.  Mit  der  phantasie  eines  diehters  vereinigt  Bngge  einzel- 
heiten  zu  einem  bilde.  Die  details  entbehren  gewöhnlich  nicht  der 
festen  unterläge,  sie  werden  kritisch  zurecht  gelegt  und  die  Unter- 
suchungen methodisch  eingeleitet;  aber  oft  hat  er  sich  eine  aufgäbe 
gestellt  ohne  daran  zu  denken,  dass  das  material  unzureichend  ist,  um 
sichere  ergebnisse  zu  ermöglichen.  So  kann  es  leicht  seiner  aufraerk- 
samkeit  entgehen,  dass  ei-,  um  ein  gesamtbild  zu  schaffen,  um  die 
richtigkeit  seiner  ansehauungen  zu  erweisen,  unbewusst  etwas  von  seinen 
eigenen  subjectiven  ideen  hinzufügt  und  dadurch  einer  Avillkürlichkeit 
sich  schuldig  macht.  Bei  der  abschätzung  der  argumente  berücksichtigt 
er  zuweilen  auch  melir  ihre  zahl  als  ihren  wert.  Er  unterliegt  dabei 
zu  leicht  der  dem  philologen  gefährlichen  Versuchung,  durch  ein  ein- 
zelnes, vielleicht  nicht  einmal  richtig  erklärtes  wort  eine  idee,  einen 
Vorgang  oder  ein  ganzes  Zeitalter  aufhellen  zu  wollen. 

Diese  einwendungen,  die  mit  grösserem  oder  geringerem  recht 
gegen  Bugges  ganze  wissenschaftliche  tätigkeit  erhoben  werden  können, 
sind  namentlich  bei  der  beurteilung  seiner  Studier  over  de  nordiske 
giide-og  heltesagns  oprindelse  geltend  gemacht  worden.  Bugges  forschun- 
gen  auf  diesem  gebiete  haben  auch  bedenken  rein  historischer  art 
hervorgerufen,  und  diesen  hat  Bugge  selbst  ein  aufmerksameres  ohr 
geliehen.  Sie  veranlassten  ihn  zu  Untersuchungen  über  Chronologie  und 
heimat  der  mythologischen  und  sagengeschichtlichen  quellen  und  trugen 
dazu  bei,  seinen  blick  für  die  entdeckung  neuer  culturströmungen  in 
der  wikingerzeit  und  noch  älteren  perioden  zu  schärfen.  Man  hat  gegen 
Bugge  eingewendet,  dass  die  wikingerzeit  allzu  kurz  gewesen  sei,  um 
in  dem  von  ihm  behaupteten  grade  das  geistige  leben  der  Nordleute 
umzugestalten.  798  zeigten  sich  die  wikinger  zum  ersten  male  an  den 
englischen  küsten  —  und  kaum  zwei  menschenalter  später  war  die 
mythologie  der  wikingerzeit  in  den  dichtungen  des  skalden  Bragi  Bod- 
dason,  die  nach  der  isländischen  tradition  der  ersten  hälfte  des  9.  Jahr- 
hunderts angehören,  vollständig  entwickelt.  Bugges  bedeutendster  gegner, 
Finnur  J(3nsson,  machte  darauf  aufmerksam \  dass  der  Inhalt  der 
ältesten  skaldendichtungen  Bugges  theorien  auf  das  entschiedenste  wider- 
spricht. 'Es  muss',  so  äusserte  er  sich,  'klar  und  unzweideutig  be- 
wiesen werden,  dass  die  ältesten  skaldischen  gedichte  unecht  sind,  d.  h. 
dem   10.  Jahrhundert  oder  einer  noch  späteren  zeit  entstammen',  — 'aber 

1)  Arkiv  f.  Moid.  (ilol.  VI  (1S90)  s.  121  -  Ifj-'r,  IX  (1893)  s.  1-22. 

10' 


148  OLSEN" 

dies',  fügt  er  hinzu,  'ist  meiner  meinung  nach  unmöglich'.  Vorher 
hatte  Bugge  seine  meinung  über  das  alter  der  ältesten  skaldeugedichte 
nur  als  eine  unbewiesene  behauptung  ausgesprochen  in  dem  gegen  Mogk 
(Beitr.  XII,  383  —  392)  gerichteten  aufsatze:  Der  gott  Bragi  in  den 
norrönen  f/edichten  (ebda.  XIII,  187  —  201),  woselbst  er  äussert:  'Die 
ansieht,  dass  die  dem  Bragi  Boddason  beigelegten  verse  der  ersten  hälfte 
des  9.  Jahrhunderts  angehören,  ist  mit  der  entwicklungsgescbichte  der 
norwegisch -isländischen  spräche,  poesie  und  mythologie  unvereinbar. 
Diese  verse  sind  vielmehr  in  dem  10.  Jahrhundert  verfasst'.  Jetzt  aber 
suchte  er,  um  Finnur  Jönssons  f orderung  nachzukommen,  seine  an- 
sieht über  Bragis  gedichte  (und  das  Ynglingatal)  zu  beweisen  in  den 
Bidrag  Hl  den  celdste  skcddedigtnings  kistorie  (Christ.  1894).  Sein  buch 
veranlasste  dann  Finnur  Jonsson  zu  einer  erwiderung:  De  celdste  skjalde 
og  deres  kvad  (Aarbeger  1895  s.  271—359),  worin  die  glaubwürdigkeit 
der  isländischen  tradition  aufs  neue  energisch  verfochten  wurde. 

So  gaben  Bugges  Studier  den  anlass  zu  einer  fruchtbaren  —  sach- 
lich geführten  —  discussion  über  die  ältesten  skaldendichtungen.  Er 
hielt  bis  zuletzt  an  der  meinung  fest,  dass  sowol  Bragis  gedichte  wie 
das  Ynglingatal  'unecht'  seien  und  aus  dem  10.  Jahrhundert  stammten, 
obgleich  diese  meinung  bei  den  fachgenossen  nur  wenig  Zustimmung  fand. 

Eine  fortsetzung  der  Studier  bilden  die  abhandlungen:  Iduns  cebler 
(Arkiv  V  [1888]  s.  1  —  45)  und  Sagnet  om  hvorledes  Sigvat  TordssÖn 
blev  skald  (ebda.  XIII  [1897]  s.  209  —  211),  sowie  die  Mlndre  bidrag 
tu  nordisk  mythologi  og  sagnhistorie.  I.  Finngälkn  (Aarbeger  1895 
s.  123  — 138),  in  denen  Bugge  widerum  westliche  einflüsse  auf  die 
mythologischen  und  sagenhistorischen  Vorstellungen  nachzuweisen  suchte. 

Von  grösserer  bedeutung  wurde  jedoch  die  beständig  fortgesetzte 
Vertiefung  in  die  alte  dichtung,  besonders  in  die  Eddalieder,  die  durch 
Bugges  mythologische  Studien  veranlasst  wurde.  So  veröffentlichte  er 
1883  —  86  Bcmcerkninger  til  norröne  digie  {Hyndluljöh  und  Rlgsjmla: 
Rettelser  til  Scemundar  Edda  efter  haandskrift;  Sendibltr;  En  pörhr 
Sjdreksson  tillagt  halvstrophe)  im  Arkiv  I,  249  —  265;  305  —  313; 
11,  116  —  123;  III,  96;  335  —  38;  und  1^)02  Nagle  steder  i  Eddadigtene 
\''hdsL.  XIX,  1  — 18).  Über  den  isländischen  dichter  Kormakr,  der 
nach  Bugges  ansieht  sehr  stark  von  irischen  einwirkungen  beeinflusst 
war,  schrieb  Bugge,  veranlasst  durch  Th.  Möbiur,'  ausgäbe  der  Kormaks 
saga  die  an  feinen  bemerkungen  und  scharfsinnigen  textbesserungen 
reiche  abhandlung  Om  versene  i  Kormaks  saga  (Aarb.  1889  s.  1  —  88). 
Endlich  sind  hier  noch  zu  erwähnen  die  wichtigen  beitrage  zur  geschichte 
der  nordischen  heldendichtung  in   Bugges  aufsätzen:    Oplysuinger  om. 


SOPHUS   BÜRGE  149 

Nordens  oldtld  kos  Jordanes  I.  Rosomonoriun  ijcns  (Arkiv  I  [1882] 
s.  1—21)  und:   Erpr  og  Eitül  {Yidensk.  selsk.  skrifter  1898,  II  nr.  5). 

Die  frage  nach  der  heimat  der  Eddalieder  ist  der  leitende 
gedanke  in  Bugges  Studier  over  de  nordiske  gnde-og  hellesayns  oprin- 
delse.  Anden  ra'kke  (Helge -digtene  i  den  celdre  Edda,  der  es  hjem  og 
forbindelser)  Kbh.  1S96,  355  s.,  einem  buche,  das  zu  seinen  merk- 
würdigsten und  am  meisten  charakteristischen  Schriften  gehört,  da  er 
sich  hier  zugleich  in  seiner  stärke  —  und  in  seiner  schwäche  offenbarte 
Er  führt  uns  an  den  nordischen  hof  des  königs  Sigtrjggr  in  Dublin, 
wo  wir  einem  westnorwegischen  dichter  begegnen,  der  zwischen  Iren, 
Angelsachsen  und  den  in  Northumberland  ansässigen  Dänen  herum- 
geschweift ist,  sich  von  der  dichtung  dieser  Völker  hat  befruchten  lassen 
und  aus  den  sagenstoffen  der  verschiedenen  länder  das  prachtvolle  erste 
lied  von  Helgi  Hundingsbani  zusammenschmiedete,  in  dem  der  kräftige 
pulsschlag  der  wikingerzeit  hörbar  klopft.  Bugge  hat  den  alten  dichter 
leibhaftig  vor  sich  gesehen,  und  der  eindruck  war  so  gewaltig,  dass 
er  für  ihn  zur  Wirklichkeit  wurde.  Von  den  Engländern  übernahmen 
die  Norweger  und  Dänen  die  sagen  von  den  Vglsungen,  die  auf  die 
Helgisagen  einfluss  übten.  Durch  die  Dänen  in  Northumberland  lernten 
die  Norweger  eine  dänische  dichtung  von  dem  Skjoldungenkönige  Helgi 
Halfdanarson  kennen,  der  in  den  zeiten  der  Völkerwanderung  die  süd- 
grenze der  Dänen  siegreich  gegen  die  'kriegerischen  Barden'  verteidigte. 
Hier  eröffnet  uns  Bugge  einen  weiten  ausblick  in  die  vorhistorische 
heldendichtung.  zugleich  aber  auch  einen  ausblick  in  das  historische 
raittelalter,  wo  die  milderen  Stimmungen  der  Volkslieder  den  düsteren 
ernst  der  heroischen  poesie  ablösen.  So  arbeitet  in  Helgedigfeite  der 
ideenreiche  und  schai-fsinnige  Sprachforscher  band  in  hand  mit  dem 
verständnisvollen,  von  dem  Inhalt  der  lieder  tief  ergriffenen,  weitschau- 
enden und  doch  einseitigen  sagen-  und  litteraturhistoriker. 

Im  Schlussabschnitte  des  werkes  äussert  Bugge:  'Ich  hoffe  künftig 
einmal  nachweisen  zu  können,  dass  mehrere  andere  Vglsungensagtii, 
die  in  der  Edda  und  der  Vglsungasaga  überliefert  sind,  ebenfalls  zuerst 
von  den  Nordleuten  im  westeu,  z.  t.  nach  dem  vorbilde  angelsächsischer 
dichtungen  geschaffen  wurden.  Besonders  werde  ich  versuchen  den 
beweis  zu  führen,  dass  das  älteste  norwegische  gediclit,  das  die  Vol- 
sungensage  erwähnt,  nämlich  das  lied  von  Vglundr,  nach  England  weist'. 
Leider  kam  Bugge  nicht  dazu,  diese  aufgäbe  völlig  zu  lösen;  teile  davon 

Ij  Für  die  engli.sclie  Übersetzung  dieses  buches:  The.  Iunne  of  llif  Eddie  pocms, 
Lund.  1899  (Grimm  library  XI)  ß(;Iiricb  Bugge  'a  now  intruduction  cuiicerning  old 
norse  mythology'. 


150  OLSEN- 

behandelte  er  in  dem  aufsatze:  The  Norse  lay  of  Wayla/u/  (Volimdar- 
kvipa)  and  its  relations  to  English  tradition  (Saga-book  of  the  Yiking 
club  II  [1901]  s.  271  —  312;  Bie  heimat  der  altnordischen  lieder  von 
den  Weisungen  und  den  Nibelungen  (Beitr.  z.  gesch.  der  deutschen  spr. 
u.  lit.  XXII  [1897]  s.  115  — 135,  und:  Bidrag  til  den  germanske  helte- 
digtnings  historie.  I.  Begyndelsen  af  Vqlsunga  saga  (Arkiv  XVII  [1901] 
s.  41^53). 

In  seinen  gegenschriften  gegen  Bugge  hat  Finnur  Junsson  bestimmt 
behauptet,  dass  der  verkehr  der  Nordleute  mit  der  keltischen  bevölke- 
rung  in  Irland  und  Schottland  für  das  geistige  leben  der  wikingerzeit 
im  allgemeinen  und  für  die  norröne  litteratur  im  besonderen  nur  von 
geringer  bedeutung  gewesen  sei.  Der  Untersuchung  dieser  frage  hat 
Bugge  eine  besondere  schrift  gewidmet:  Norsk  sagafortceUing  og  saga- 
skrivning  i  Irland.  Hier  hat  er  sich  auf  das  einzelne  gebiet  der  saga 
beschränkt,  eine  litteraturgattung,  die  Island  mit  Irland  gemein  hat. 
Bugges  söhn,  der  historiker  Alexander  Bugge  (der  in  den  letzten  jähren 
seinen  vater  bei  dessen  forschungen  auf  gebieten,  wo  ihre  Interessen 
sich  begegneten,  behilflich  war)  hatte  auf  eine  stelle  in  der  irischen 
sage  'über  den  kämpf  der  Iren  mit  den  fremden',  in  der  von  den 
'historikern  der  fremden'  gesprochen  wird,  aufmerksam  gemacht  und 
die  Vermutung  aufgestellt,  dass  der  irische  chronist  eine  in  norwegischer 
spräche  abgefasste  und  niedergeschriebene  erzählung  der  saga  von  der 
Brian-schlacht  (1014)  gekannt  habe.  Diese  beobachtungen  bildeten  den 
ausgangspunkt  für  Bugges  Untersuchungen,  von  denen  der  noch  nicht 
abgeschlossene  abschnitt:  BraaraUa-slaget  og  Brians -slaget^  besonders 
bemerkenswert  ist.  —  Als  Bugge  starb,  waren  von  dem  genannten  werke 
2  hefte  (s.  1  — 160)  als  beilagen  zu  (Norsk]  Histor.  tidsskrift  (1901  und 
1903)  erschienen;  und  binnen  kurzem  wird  auch  das  schlussheft  vor- 
liegen, das  Alex.  Bugge  aus  den  hinterlassenen  papieren  seines  vaters 
zusammengestellt  hat. 

Dass  Bugge  bei  seinen  Untersuchungen  über  die  entstehung  der 
nordischen  götter-  und  heldeusageu  seinen  blick  so  einseitig  nach  westen 
riciitete,  könnte  selbst  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  wikingerzeit, 
wie  er  behauptete,  früher  als   allgemein  angenommen  wird,  begonnen 

1)  Die  Populicr- iHdenskabeliye  foredruy ,  eflerladte  arbcider  of  Soplius  Bugge 
(Christian ia  1907)  enthalten  zwei  vortrage:  Braavalla - slaget  und  Nordboerne  i Irland, 
die  Bugge  1901  in  Schweden  hatte  halten  wollen.  Auch  die  abhandlung:  Nyere 
forskninger  om  Irlands  gamle  aandskidtur  og  digtning  i  dens  forhold  til  Norden 
ist  hier  wider  abgedruckt  (sie  erschien  zuerst  in  Christ,  vidensk.  selsk.  forhandl.  1891 
s.  21— 38). 


SOPHUS    BUGGK.  151 

liabe,  verwunderuug  erregen.  Die  archäologen  wussten  ju  von  römischen 
antiquitäten  aus  dem  älteren  eisenzeitalter  zu  erzählen,  die  auf  dem  boden 
Skandinaviens  gefunden  waren,  und  lateinische  Wörter  sind  von  den 
germanischen  Völkern  in  menge  aufgenommen;  sogar  in  den  nicht  sehr 
umfangreichen  urnordischen  runeninschriften  hat  Bugge  geglaubt  2  latei- 
nische lehnwörter  nachweisen  zu  können,  und  die  runenschrift  selbst  ist 
nach  der  übereinstimmenden  meinung  aller  von  Süden  her  gekommen. 
Müssen  wir  da  nicht  erwarten,  dass  auch  das  geistige  leben  des  Nordens 
—  cultus,  mythen  und  Sagendichtung  —  starke  beeinflussung  aus  dem 
Süden  erlitten  habe?  Bugges  einseitigkeit  —  und  dass  es  eine  gewisse 
einseitigkeit  war,  räumte  er  in  den  späteren  jähren  selber  ein  —  ist 
gegenwärtig  leicht  zu  verstehen.  Er  musste,  als  seine  neuen  ideen 
gegen  schluss  der  siebziger  jähre  sich  bildeten,  auf  zwei  fronten  kämpfen: 
gegen  diejenigen,  die  in  den  uns  überlieferten  Eddaliedern  noch  der 
wikingerzeit  vorausliegende  erzeugnisse  sahen,  und  gegen  die,  welche 
zugleich  behaupteten,  dass  der  inhalt  dieser  gedichte  nordischer  (oder 
gar  germanischer)  gemeinbesitz  sei.  Es  glückte  ihm  zu  beweisen,  dass 
die  Eddalieder  in  der  überlieferten  form  tatsächlich  aus  der  wikinger- 
zeit stammten  —  und  so  war  es  kein  wunder,  dass  er  dahin  geführt 
wurde,  allzu  einseitig  zu  betonen,  dass  auch  ihr  inhalt  erst  beim  auf- 
treten der  Nordleute  als  historische  Völker  sich  gestaltet  habe. 

Bugges  forschungen  über  den  Ursprung  der  eddischen  mythologie 
griffen  tief  ein  in  verschiedene  gebiete  der  nordischen  philologie.  Seine 
revolutionären  gedanken  forderten  zum  kämpfe  auf;  in  den  Werk- 
stätten der  einzelnen  forscher  wurden  waffen  gegen  ihn  geschmiedet, 
und  bald  war  der  streit  im  gange.  Dieser  wurde  von  Bugge  selbst 
ehrlich  und  ritterlich  geführt  —  was  man  leider  nicht  von  allen  seine n 
gegnern  sagen  kann  K  In  seinem  eigenen  lande  fanden  seine  theoricn 
allgemeine  Zustimmung  in  den  wissenschaftlichen  kreisen,  ebenso  in 
Schweden,  wo  er  infolge  an  ihn  ergangener  einladung  an  der  Univer- 
sität Uppsala  vortrage  über  die  norröne  mythologie  hielt;  aber  die  grosse 
menge  hier  zu  lande  schrie  auf  über  den  Landesverräter',  der  sich  an 
den  heiligtümern  der  nation  vergriffen  habe.  Alle  aber  worden  jetzt 
zugeben,  dass  Bugges  theorien  'durch  den  historischen  geist,  der  seine 
grundanschauung  beseelt'  (Moltke  Moe-')  von  dem  höchsten  wissenschaft- 

[1)  Es  geht  aber  docli  nicht  an,  diese  deswegen  vöUig  zu  ignürieien.  Nament- 
Uoii  durften  die  scharfen  angriffe^  Müllenhoffs  (im  5.  hde.  der  I)e«t>>chen  alturtiuns- 
kundo),  deren  ton  man  allerdings  nur  bedauern  kann,  m.  e.  nicht  unorwiihnt  bleiben, 
weil  duroii  sie  Bugges  theorien  in  iluen  grundfosten  erschüttert   wurden.^    11.  G.) 

2)  Sophus  Bugge  og  inytegran.<kningariie  lian.s.  Av  iloltke  Moe.  (N'orsku  lolke- 
skrifter  6.)  Christ.  1903. 


152  OLSEN  ' 

liehen  werte  sind.  Er  ist  der  erste,  der  die  norröne  mythen-  und  sagen- 
forschung  auf  festen  historisclien  boden  stellt,  indem  er  die  frage  auf- 
wirft: wann  in  der  geschichtlichen  entwicklung  der  nordischen  Völker 
ist  der  götterglaube  der  Eddalieder  entstanden?  Für  ihn  lag  vor  nun- 
mehr fast  einem  menschenalter  die  antwort  am  nächsten:  er  ist  das 
erzeugnis  der  wikingerzeit.  Jetzt  werden  wir,  wie  Bugge  selbst  in  den 
späteren  jähren,  etwas  anders  antworten,  dank  den  erfahrungen,  die 
durch  Bugges  Studier  und  die  forschungen,  zu  denen  sie  den  anstoss 
gaben,  gewonnen  sind.  Und  in  der  jüngsten  geschieh te  Norwegens  — 
wir  dürfen  auch  sagen:  des  Nordens  —  werden  Bugges  Studier  als  ein 
bedeutungsvolles  glied  in  dem  übergange  von  der  romantik  zum  realis- 
mus  anerkannt,  da  sie  für  das  historische  bewusstsein  die  notwendig- 
keit  einer  Wechselwirkung  zwischen  dem  ererbten  heimischen  und  dem 
neuen  fremden  klar  erwiesen  haben. 

"Wir  werden  noch  einmal  auf  Bugges  mythologische  forschungen 
zurückkommen  müssen.  Für  diese  und  vielleicht  in  noch  höherem  grade 
für  seine  runologischen  Studien  wurde  es  von  Wichtigkeit,  dass  er 
veranlasst  wurde  sich  in  die  etruskische  frage  und  die  vielen  anderen 
fragen,  die  er  damit  in  Verbindung  brachte,  zu  vertiefen. 

Auch  in  den  achtziger  jähren  und  später  setzte  Bugge  seine  viel- 
seitige productive  tätigkeit  als  Sprachforscher  fort^.  Namentlich  sind 
seine  nordischen  etymologien  scharfsinnig  und  treffend.  Dagegen  haben 
einzelne  seiner  arbeiten  über  die  lautlehre  allgemeine  Zustimmung  nicht 
gefunden,  so  seine  umfangreichen  Etymologischen  Studien  über  germa- 
nische lautrerschiehung  I  — III  (Beitr.  XII  [1887]  s.  399  —  430;  XIIl 
[1887]  s.  167 — 187;  311  —  339),   in  denen  er  nachzuweisen  versuchte, 

1)  Blandede  sproghistoriske  bidrag  I~II  (Arkiv  II  [1884-85]  s.  207— 53, 
287—89,  350  —  55);  Svensk  ordforskning  (ebda.  IV  [1887]  s.  115  —  40);  Ziir  alt- 
germanischen  Sprachgeschichte.  Oermanisch  ug  aus  uw  (Beitr.  XIII  [1888J  s.  504— 
15);  Etymologische  beitrage  (Bezzenbergers  Beitr.  XIV  [1888]  s.  57—79);  Vocalver- 
kürxung  im  altnordischefi  (Beitr.  XV  [1891 J  s.  391  —  401);  0}-d  og  ordoplgsninger 
efter  oj)tegnelser  af  S.  B.  (Norsk  ordbog  af  Hans  ßoss,  Chra.  1895,  s.  985  —  97); 
Oldnorske  samme^isretninger  paa-naiitr  (Sproglig-historiske  studier  tilegnede  C.  R. 
Unger,  Kra.  1896,  s.  12  —  29);  Qermanische  etymologien  (Beitr.  XXI  [1896]  s.  421— 
28);  Bemcerkninger  af  S.  B.  (Ordbog  över  Det  gamle  norske  sprog  af  J.  Fritzner, 
2.  udg.  Kra.  1896,  s.  1101  — 10);  Det  oldislandske  elliptiske  udtryk  solsetra,  sol- 
setruni  (Arkiv  XVI  s.  200  —  202);  Oldnorske  sa/mmensrntninger  ^^aa-uautr.  Kye 
bemcerkuinger  (ebda.  XXI  [1905]  s.  261  —  74);  Nogle  ord  med  p  af  förgermansk  gw 
/  fremlyd  (ebda.  XXII  [1905]  s.  127  —  32).  —  Beiträge  xiir  etymologischen  erläute- 
rung  der  albanesischen  spräche  (Bezzenbergers  Beiträge  XVIII  [1892]  s.  161 — 201). 


SOPHUS   BUG OK  153 

dass  das  Verneische  gesetz  luioh  im  anlaut  gewirkt  habe',  und  seine 
bemerkungen  über  die  /-epenthese  im  germanischen  in  den  Beiträgen 
xiir  vorgerrnanischeii  lauigesrhichte  I.  Zur  eriHiiteriing  des  germaimchcn 
ai  (Beitr.  XXIV  [1899J  s.  425  —  463). 

In  der  nordischen  etymologie  war  es  besonders  ein  gebiet,  das 
Bugge  mit  besonderer  verliebe  pflegte,  das  Studium  der  norwegischen 
Ortsnamen.  1878  wurde  durch  königljche  resolution  ein  ausschuss 
zur  revision  der  Schreibweise  der  eingetragenen  norwegischen  hofnamen 
eingesetzt  und  zum  mitgliede  dieses  ausschusses  neben  Oluf  Rygh  und 
Johan  Fritzner  auch  Bugge  ernannt.  Die  aufgäbe  des  ausscliusses 
bestand  im  wesentlichen  darin,  die  traditionelle  Orthographie  unserer 
hofnamen  auf  grund  der  gegenwärtigen  ausspräche  und  der  älteren 
Schreibweise  zu  prüfen.  Mit  Rygh  zusammen  sammelte  Bugge  material 
über  die  ausspräche  der  norwegischen  hofnamen  in  der  Volkssprache. 
Bugge  war  zwar  nicht  phonetiker  von  fach,  aber  sein  ohr  war  seit  der 
Studentenzeit,  in  der  er  bei  den  bauern  in  Telemarken  herumschweifte, 
um  lieder  und  sagen  aufzuzeichnen,  daran  gewöhnt,  in  grossen  zügen 
die  laute  der  norwegischen  mundarten  correct  aufzufassen,  und  seine 
sicheren  kenntnisse  in  der  norwegischen  Sprachgeschichte  setzten  ihn 
in  den  stand,  bei  der  fixierung  der  gesprochenen  Wörter  das  festzuhalten, 
was  in  dem  gegebenen  falle  das  wichtigste  war,  dasjenige,  was  für  die 
ermittekmg  der  ursprünglichen  altnorwegischen  formen  von  bedeutung 
war.  Der  bedeutendste  teil  der  von  diesem  ausschusse  zu  leistenden  arbeit 
wurde  jedoch  von  Rygh  ausgeführt,  der  es  übernahm  alle  quellensehriften 
aus  dem  mittelalter  und  eine  auswahl  solcher  Urkunden  aus  der  neueren 
zeit  durchzusehen,  in  denen  norwegische  hofnamen  erwähnt  werden.  Die 
ergebnisse  wurden  in  dem  für  die  norwegische  ortsnamenforschung  grund- 
legenden werke  mitgeteilt:  Norshe  gaardnavnc.  Oplysninger  saiidedc 
tu  tjriig  ved  luatril^clcns  revision  ndgivnc  med  tilfoiede  forldariiigcr  af 
').  Jlygti,  das  auf  staatliche  veranlassung  1897  zu  erscheinen  begann. 

Bugge  wurde  niemals  müde  die  Verdienste  seines  freundes  Rygh 
um  die  norwegische  ortsnamenforschung  hervorzuheben.  Vor  Rygh 
iiatte  bereits  P.  A.  Munch,  der  Verfasser  von  Historisli  - geognt /ist,-  be- 
skrivelse  over  kongeriget  Norge  i  iniddefatderrn  (Moss  1848),  sich  ver- 
schiedentlich mit  norwegischen  Ortsnamen  beschäftigt  und  manchen 
kühnen  streifzug  auf  das  gebiet  der  vorhistorischen  namengebung  unter- 
nommen.    Aber  Rygh  ist  der  erste,   der   die  Ortsnamen  unseres  hindes 

(1)  Dieser  beweis  ist  m.  e.  erbracht,  es  sei  denn,  das-s  man  die  ftymologische 
Identität  begriiflich  identischer  Wörter,  die  sich  nach  Bugges  theyrio  vereinigen  lassen, 
(z.  b.  ags.  sijt  und  ahd.  ruox)  leugnen  wollte.    H.  G.] 


154  OLSEN' 

systematisch  durchforscht  hat.  Er  fand  sich  zwischen  den  tausenden 
von  namen,  die  höfe  und  Ortschaften,  seen  und  üüsse,  raeerbusen,  inseln 
und  berge  führen,  schnell  zurecht,  er  ordnete  sie  nach  dem  Wortschatz, 
den  sie  enthalten,  und  lernte  schnell  ältere  und  jüngere  schichten  zu 
unterscheiden  und  trat  schliesslich  mit  seiner  arbeit  vor  die  öffentlich- 
keit, indem  er  uns  die  besiedlungsgeschichte  des  landes  gab,  'Norwegens 
landnämabök\  wie  Bugge  in  so  treffender  weise  sein  werk  benannte. 

Während  dieser  arbeit  stand  Bugge  treu  seinem  freunde  zur  seite, 
und  Eygh  konnte  bei  der  erklärung  der  norwegischen  Ortsnamen  be- 
ständig sich  der  förderung  erfreuen,  die  durch  Bugges  seltene  etymo- 
logische combinationsgabe  ihm  zu  teil  ward.  Rygh  war  der  unermüd- 
liche detailforscher,  der  scharfe  und  nüchterne  kritiker,  der  gewissen- 
haft die  einzelheiten  zu  einem  bilde  zusammenstellte;  Bugge  war  der 
mann  der  phantasievollen  combinationen,  für  den  eine  einzelheit  ein 
ganzes  fertiges  bild  aufrollen  konnte.  Eine  quelle  reicher  freude  wurde 
für  ihn  das  zuverlässige  material,  das  Rygh  ihm  für  seine  arbeit  bereit- 
gestellt hatte.  Die  Ortsnamen  setzten  Bugge  in  stand,  Verbindungen  mit 
den  culturländern  in  vorhistorischer  zeit  aufzuspüren  und  cultstätten 
der  heidnischen  götter  nachzuweisen.  Noch  weiter  zurück  in  die  Ver- 
gangenheit wurde  er  geführt,  wenn  Rygh  geographisch  zusammen- 
gehörende Ortsnamen  von  demselben  wortstamm,  aber  mit  verschiedenen 
ablautsstufen  auffand.  In  einer  gedächtnisrede  auf  Rygh^,  aus  der  ein 
kleiner  abschnitt,  der  auch  ausserhalb  Norwegens  Interesse  erwecken 
wird,  hier  mitgeteilt  werden  soll,  weist  er  auf  die  wichtigen  schluss- 
folgerungen  hin,  die  über  die  besiedelung  des  landes  aus  diesen  Ver- 
hältnissen gezogen  werden  können;  aber  er  findet  in  den  norwegischen 
Ortsnamen  nichts,  was  auf  eine  nichtnorwegische  vorhistorische  bevöl- 
kerung  hinweist: 

'Ein  hauptergebnis,  das  uns  aus  diesem  [RyghsJ  werke  überall 
entgegentritt,  ist  das,  dass  norwegisch  sprechende  menschen  seit  un- 
denklichen Zeiten  hier  gewohnt  haben.  Für  phantasien,  die  von  anderer 
Seite  ausgesprochen  sind,  dass  uns  nämlich  in  ganzen  reihen  von  west- 
norwegischen Ortsnamen  erinnerungen  an  die  ehemalige  existenz  einer 
fremdartigen  rasse  erhalten  seien,  ist  nicht  der  schatten  eines  bevveises 
vorhanden.' 

'Aus  den  von  Rygh  nachgewiesenen  bezieh ungen  zwischen  fluss- 
und  seenamen  lassen  sich  wichtige  Schlüsse  darüber  gewinnen,  wie  früh 
Norweger  auf  diesen  Aussen  und  seen  gerudert  haben.     Wenn  er  z.  b. 

1)  Abgedruckt  in  Afteuposten  (Christ.)  7.  febr.  1900  nr.  98. 


SOPHUS   BUGGE  155 

uns  darauf  aufmerksam  macht  [Norske  gaardtiaruc  I,  395],  dass  der 
fluss  Jlor.s,  nach  dem  die  Stadt  Mass  ihren  namen  hat,  durch  den  see 
MJcer fliesst,  und  dass  die  beiden  namen  Mjcer  und  Mors  etymo- 
logisch zusammengehören,  so  ist  dies  zugleich  ein  historisches  resultat. 
Denn  dieser  Zusammenhang  lehrt  uns,  dass  norwegisch  sprechende  leute 
lange  vor  Christi  geburt  diesem  see  und  diesem  fluss  ihre  namen  gaben. 
Ebenso  können  wir  mit  hilfe  derselben  methode  beweisen,  dass  zahl- 
reiche Ortsnamen  unseres  landes  aus  jenen  fernen  zeiten  und  von  dem 
Volke  stammen,  dessen  nachkommen  die  heute  lebenden  Norweger  sind.' 

0.  Rygh  konnte  von  den  hofnamen  der  17  norwegischen  ämter, 
für  die  er  so  reichhaltige  Sammlungen  angelegt  hatte,  nur  noch  etwa  den 
vierten  teil  selber  bearbeiten.  Aber  nach  seinem  tode  (1899)  wurde  die 
herausgäbe  der  Norske  gaardnavne  von  seinem  bruder  Karl  Rygh  in 
Verbindung  mit  A.  KjaM-  und  Am  und  B.  Larsen  fortgesetzt,  und  zwar 
unter  beständiger  mitwirkung  von  Bugge.  Die  6  bände,  die  nach  Kyghs 
tode  erschienen  sind,  wurden  sämtlich  von  Bugge  durchgesehen,  der 
eine  menge  wertvoller  etymologischer  bemerkuugen  hinzugefügt  hat. 
Es  zeugt  von  seinem  warmen  interesse  für  die  Ortsnamen,  dass  er  noch 
zu  der  zeit,  da  sein  Sehvermögen  so  erheblich  geschwächt  war,  jeden 
bogen  der  Norske  gaardnavne  sich  vorlesen  liess,  bevor  derselbe  in  die 
druckerei  gieng.  Ebenso  hat  er  für  das  posthume  werk  Ryghs:  Norske 
eivenavne  (Christ.  1904)  einen  wertvollen  beitrag-  geliefert. 

Auch  in  mehreren  eigenen  abhandlungen  hat  Bugge  die  erklärung 
nordischer  Ortsnamen  bedeutend  gefördert.  Sein  aufsatz  über  Häloga- 
land  ist  bereits  erwähnt,  in  seinen  JJidrag  tiJ  nordiske  riavnes  liistoric 
(Arkiv  VI  [1890J  s.  225  —  245)  hat  er  u.  a.  die  dänisclien  inselnamen 
Sjailland  und  Anholt  behandelt^;  in  band  VII  [1891]  s.  262  —  64 
derselben  zeitsciuift  schrieb  er  Oni  foraudriiig  af  genus  i  norske  steds- 
navne,  und  in  band  XX  [1904J  s.  883  —  58  die  scharfsinnigen  Bidrag 
tu  forklar ing  af  norske  stedsnavne,  worin  er  mit  hilfe  datierbarer  laut- 
übergänge  Ortsnamen  aus  vorhistorischer  zeit  zeitlich  zu  bestimmen  ver- 
sucht. Seine  letzte  arbeit  über  nordische  orts-(und  auch  personen-)  namen 
ist  der  aufsatz:  Foraiishudt  s,  isa-r  i  uavue{kxV\v  XXI  [1904]  s.  148—160). 

Sehr  bedeutend  waren  auch  Bugges  kenntnisse  auf  dem  gebiete 
der  nordischen  personennamen,  und  sowol  in  seinen  runologischen 
und  mythologisch -sagenhistorischen  arbeiten  wie  in  besonderen  abhand- 

1)  Verfclilt  ist  .seine  etymologischo  eikliirung  (le.s  volksnaiiifiis  Uaiicii  (Arkiv  \ 
[1&88J  s.  125—131.  —  Ein  brief  über  die  nordischen  vülkeinanicn  Ikm  .lurdanes  an 
L.  Fr.  Läffler  (der  daran  seine  eigenen  benierkungen  anktiiiplte)  ist  nueli  Uiiggos  tod 
in  der  schwedischen  Zeitschrift  Fornvänncn  (1907  s.  98—101,1  veröffentlicht  worden. 


156  OLSEN 

langen  hat  er  zahlreiche  beitrage  zur  erklärung  dieser  namen  geliefert. 
Schon  in  seiner  Studentenzeit  begann  er  eine  Sammlung  alter  westnor- 
discher Personennamen  anzulegen,  und  aus  dieser  zeit  stammt  auch  sein 
bereits  erwähnter  aufsatz:  Altnordische  namen  im  3.  bände  von  Kuhns 
Zeitschrift.  Aus  späterer  zeit  sind  hier  zu  erwähnen  seine  bemerkungen 
über  Oldsvenskc  navne  i  Rusland  (Arkiv  11  [1884]  s.  164  — 171),  die 
durch  Vilh.  Thomsens  bahnbrechendes  werk  über  die  gründung  des 
russischen  reiches  veranlasst  waren,  und  seine  erklärung  der  männUchen 
namen  auf  -pjö fr  [=  ags.^eo?^']  in  den  oben  bereits  besprochenen  Bidrag 
(Arkiv  VI),  Avorin  er  wider  seine  blicke  nach  westen  richtet  und  in 
jenen  namen  'sprechende  zeugen  für  die  Verbindung  der  Nordleute  mit 
dem  Westen'  findet. 

Die  achtziger  jähre  hindurch  und  bis  an  seinen  tod  setzte  Bugge 
auch  seine  runologischen  Studien  fort.  Eine  reihe  von  monographien 
über  einzelne  urnordische  Inschriften  wurde  durch  neue  runenfunde 
in  Norwegen  und  Schweden  veranlasste  Die  hauptarbeit  aus  dieser 
zeit  ist  jedoch  seine  grosse  ausgäbe:  Norges  indskrifter  med  de  celdre 
runer ^  von  der  1891  das  erste  heft  ausgegeben  und  1903  der  erste 
band  (458  selten)  abgeschlossen  wurde.  Als  herausgeber  von  runen- 
inschrif'ten  war  Bugge  von  äusserster  gewissenhaftigkeit.  Immer  und 
immer  wider  kehrte  er  zu  den  originalen  zurück  und  lebte  sich,  so  zu 
sagen,  in  jeden  runenstrich  und  jede  ritze  hinein,  sodass  seine  beschrei- 
bungen  der  Inschriften  mustergiltig  zu  nennen  sind.  Einen  treuen 
helfer  hatte  er  bei  dieser  beschäftigung  mit  den  norwegischen  runen- 
inschriften  in  Oluf  Rygh,  dessen  name  auch  auf  diesem  gebiete  mit 
dem  Bugges  unzertrennlich  verbunden  ist.  —  In  dieser  ausgäbe  hat 
Bugge  die  ergebnisse  lebenslänglichen  eingehenden  Studiums  der  ur- 
nordischen Inschriften  niedergelegt.  Sämtliche  norwegischen  Inschriften 
mit  den  älteren  ranen  (gegen  50)  sind  hier  ausführlich  beschrieben  und 
erklärt,  und  an  die  deutungen  knüpfen  sich  oft  lange  erörterungen  epi- 
graphischen, sprachliclien,  mythologischen  und  ethnologischen  Inhalts. 

Mitunter  sind  ganze  lange  abhandlungen  eingeschoben.  So  be- 
handelte er  in  einem  excurse  den  lautwert  der  rune  \  und  bekam  da- 
durch gelegenheit,  auch  altdeutsche  und  angelsächsische  runeninschriften 

1)  liunestenen  fra  Strand  i  Ryfylke  (Äarb.  1884  s.  81 — 96);  Runestenen  fra 
Opedal  i  Ilardanger  (Arkiv  VIII  [1891]  s.  1 — 33);  Fi/rnnga-indskriften  I— III {ehda. 
XIII  [1897]  s.  317  — 359;  XV  [1898]  s.  142  — 151;  XXII  [1905J  s.  1  — 23);  Runeind- 
skriften  paa  en  gtddmedaljnn  ftinden  i  Svarteborgs  sogn,  Bofmslen  (Svenska  forn- 
minnesföreuingens  üdskr.  XI  [1900J  s.  109 — 113);  En  nyfunnen  gotlandsk  runesten 
(ebda.  s.  114— 124);  Flistad - indskriften  (Arkiv  XVIII  [1901J  s.  1— 16). 


SOPHUS    BTJÖOF.  157 

eingehend  zu  behandeln,  deren  erkliirung  er  durch  zahlreiche  scharf- 
sinnige und  oft  schlagende  beraerkungen  förderte.  In  einem  anderen 
excurse  suchte  er  mit  glück  vermittelst  des  wortvorrats  des  gotlän- 
dischen  dialekts  den  nachweis  zu  führen,  dass  Gotland  in  vorhistorischer 
zeit  eine  gotische  bevölkerung  gehabt  habe. 

Leider  war  es  Bugge  nicht  vergönnt,  seine  runenausgabe  ab- 
geschlossen zu  sehen,  obwol  er  in  den  letzten  jähren  oft  lange  zeit 
ausschliesslich  mit  dieser  arbeit  sich  beschäftigte.  Das  erste  heft  des 
2.  bandes  erschien  1906;  hier  teilte  er  teils  einzelne  neue  Inschriften 
mit,  teils  gab  er  zahlreiche  'nachtrage  und  berichtigungen'  zu  den  früher 
herausgegebenen.  Über  den  einleituugsband  zu  dei  runenausgabe:  Eime- 
shiftens  oprindelse  og  celdßte  historie,  von  dem  er  nur  das  1.  heft 
vollenden  konnte,  wird  im  folgenden  noch  zu  handeln  sein. 

Über  seine  ersten  beitrage  zur  deutung  der  urnordischen  runen- 
inschriften  (1867)  schrieb  Bugge  im  folgenden  jähre  (Tidskr.  f.  philol. 
VIII,  853)  in  einer  antwort  auf  E.  Jessens  kritik:  'Ich  räiime  bereit- 
willig ein,  dass  ich  in  meinem  versuche  nicht  immer  vorsichtig  genug 
gewesen  bin,  dass  ich  nicht  genügend  hervorgehoben  habe,  was  be- 
wiesen und  was  nicht  bewiesen  ist  (und  dies  wird  wol  leider  in  der 
Zukunft  nicht  besser  werden,  denn  es  passiert  mir  oft,  wenn  ich  mich 
mit  unsicheren  Vermutungen  hervorwage,  dass  ich  es  versäume,  diese 
deutlich  als  solche  zu  bezeichnen).'  Es  wurde  tatsächlich,  um  Bugges 
werte  zu  widerholen,  'in  der  zukunft  nicht  besser'.  Ausser  vielen 
sicheren  resultaten,  die  für  immer  unverrückbar  stehn  bleiben  werden, 
enthalten  Bugges  runologische  arbeiten  zahlreiche  lockere  hypothesen 
und  einfalle,  die  er  häufig  durch  neue  und  wider  neue  ersetzt.  Dies 
konnte  aber  nicht  anders  sein  auf  einem  gebiete,  auf  dem  das  vorhan- 
dene material  so  überaus  dürftig  ist,  wenn  man,  wie  Bugge,  nach  dem 
oft  von  ihm  geäusserten  grundsatze  handelte:  'Eine  methodisch  durch- 
dachte deutung  ist  besser  als  gar  keine.'  Bugges  fachgenossen  werden 
ihm  sicherlich  sämtlich  für  die  vielen  Impulse  dankbar  sein,  die  er  auch 
durch  seine  gewagtesten  Vermutungen  ausgestreut  hat. 

Auch  eine  menge  von  Inschriften  mit  den  jüngeren  runon  hat 
Bugge  in  den  letzten  30  jähren  untersucht  und  gedeutet.  II her  die  In- 
schrift auf  dem  marmorlöwen  vom  Piraeus,  der  jetzt  vor  dem  arsenal 
in  Venedig  steht,  schrieb  er,  wie  erwähnt,  1.S75  eine  kurze  noti/,,  in 
der  er  nachwies,  dass  diese  Inschrift,  die  frühere  forscher  mit  dem 
norwegischen  wäringerhäuptling  und  späteren  könige  Haraldr  SigurAarson 
in  beziehung  gesetzt  hatten,  von  einem  Schweden,  wahrscheinlich  aus 
üpplami,   um   die  mitte  des    1  I.  jalirluinderts  eingeliauon  ist.      IM»?  war 


158  OLSEN 

Bugge  selbst  in  Venedig  und  untersuchte  die  inschrift  auf  dem  löwen, 
und  nach  seiner  rückkehr  hielt  er  einen  vortragt  darüber,  worin  er 
mitteilen  konnte,  dass  es  ihm  geglückt  sei,  sie  in  allem  wesentlichen 
zu  deuten.  Ändere  schwedische  denkmäler  behandelte  er  in  der  grossen 
arbeit  über  die  metrischen  runeuinschriften  Schwedens:  B/mi^erser  (An- 
tiqvar.  tidskr.  för  Sverige  X,  1  [1891],  442  s.),  die  er  zusammen  mit 
Erik  Brate  herausgab.  Ferner  sind  hier  zu  nennen  die  abhandlungen: 
Brousspänne  med  riuiinshrift  funnet  viel  Skahersjn  i.  SMine  (Svenska 
fornminnesfören.  tidskr.  X  [1897]  s.  17-  29),  in  gemeinschaft  mit 
B.  Salin  herausgegeben;  Runeindshrift  paa  en  stol  frei  Lillhärdal  (ebda. 
s.  30  —  37);  Ölands  runemdskrifter  (Aarb.  1900  s.  1  — 15)  und  Bc- 
mmyLni)iger  Hl  det  gammel-norfike  runedigt  (Smästykker  udg.  af  Sam- 
fund  til  udgivelse  af  gammel  nord.  lit.  nr.  4  [Kbhvn  1885]  s.  103  —  US).'-' 

Es  war  von  der  norwegischen  commission  zur  herausgäbe  der 
Instorischen  quellen  (Ben  norske  historiske  kildeskriftkommis.noii),  auf 
deren  kosten  auch  Norges  indskrifter  med  de  reldre  i'tmer  herausgegeben 
werden,  geplant,  dass  Bugge  im  verein  mit  0.  Rygh  auch  die  Veröffent- 
lichung einer  2.  serie  von  Norges  indskrifter  (Anden  afdeUng:  Norges 
indskrifter  med  de  yngre  runer)  besorgen  solle,  und  wichtige  vorarbeiten 
für  diese  ausgäbe  waren  von  den  beiden  männern  bereits  ausgeführt. 
Im  runeuarchiv  der  archäologischen  Sammlung  der  Universität  hat  Bugge 
deutungen  von  einer  grossen  anzahl  unserer  jüngeren  runeninschriften 
niedergelegt,  die  für  den  künftigen  herausgeber  dieser  Inschriften  von 
grossem  nutzen  sein  werden.  Bugge  selber  erlebte  jedoch  nur  das  er- 
scheinen von  zwei  dieser  inschriften.  1902  kam  das  1.  heft  der  2.  serie 
heraus,  in  welchem  er  eine  nur  in  abschritt  erhaltene  inschrift  behan- 
delte: Höne)i-rnnerne  fra  Ringerike  (mit  französischem  resume),  die 
nach  Bugge  von  einem  norwegischen  zuge  nach  Vinland  (Nordamerika) 
im  anfange  des  11.  Jahrhunderts  bericlitet,  und  1906  das  2.  heft:  Ru- 
nerne  paa  en  sölvring  fra  Senjen.  Schon  vorher  hatte  Bugge  (im  verein 
mit  K.  Kygh)  eine  weitere  inschrift  herausgegeben:  Et  henstykke  med 
runeskrift  fandet  i  Trondhjem  (Det  Kongl.  norske  vidensk.  selsk.  skrifter 
1901  nr.  4). 

Mit  Vorliebe  behandelte  Bugge  runeninschriften,  aus  deren  Inhalt 
oder   Schrift   historische   Schlussfolgerungen    zu    gewinnen   waren.     Die 

1)  Piranos-löven  i  Venedig  og  dens  indskrifter  (Populaer-videnskabelige  fore- 
drag  s.  98  —  109). 

2)  In  einem  briefe  an  die  Berliner  gesellschaft  für  anthropologie  (Veihandl. 
1899  s.  80— 81:  Germanen  auf  Kreta)  hat  Bugge  die  unochtheit  finor  auf  Kreta  ge- 
fundenen runeninschrift  bewiesen. 


SOPHUS    BTTOGE  159 

Honen -j-unen  interebsicrteii  ihn  daher  in  hohem  grade,  weil  sie  nach 
seiner  meinung  die  entdeekung  von  Nordamerika  durch  die  Norweger 
bezeugten.  Aber  auch  der  Charakter  der  schrift,  die  auf  diesem  denkmal 
benutzt  Avar,  w^ar  von  historischer  bedeutung,  da  es  derselbe  schrift- 
typus  ist,  der  auch  auf  dem  Rökstein  sicli  findet.  Dieser  schrifttypus 
hatte  sich  nach  Bugge  in  der  wikingerzeit  von  den  südschwedischen 
landschaften  an  der  Ostsee  nach  westen  ausgebreitet.  Nicht  bloss  in 
Norwegen,  sondern  auch  auf  der  insel  Man  findet  man  inschriften  mit 
einem  nahe  verwandten  typus,  und  diese  wurden  von  Bugge  in  einem 
besonderen  ai'tikel  behandelt:  Nonlishe  runcindsirifter  oy  hilleder  paa 
mindesincerker  paa  ocii  Man  (Aarb.  1899  s.  229  —  2()2).  Die  denk- 
mäler  von  Man  (zum  andenken  an  verstorbene  errichtete  steinkreuze) 
interessierten  Bugge  auch  durch  ihre  bildlichen  darstellungen,  in  denen 
er  belege  für  den  götterglauben  der  Nordleute  in  der  wikingerzeit  fand, 
und  die  genannte  abhandlung  wird  daher,  ebenso  wie  Eii  olddcmsk 
runeoptegnelse  i  England  (ebda.  s.  263  —  272),  wo  er  bekanntschaft  mit 
dem  Inhalt  der  prytnskvipa  bei  den  Dänen  in  England  nachweisen  will, 
ein  wichtiges  glied  in  Bugges  forschungen  über  den  Ursprung  des  nor- 
dischen geisteslebens  und  über  die  culturströmungen  in  der  wikingerzeit. 
Wir  haben  jetzt  (wenn  wir  die  besprechung  von  Bugges  Studien 
über  den  Ursprung  der  runenschrift  und  über  eine  einzelne  kleine  schrift 
über  nordische  mythologie  vorläufig  noch  aussetzen)  nur  noch  über  eine 
anzahl  zerstreuter  arbeiten  germanistischen  und  sprachwissenschaftlichen 
Inhalts  zu  berichten.  An  erster  stelle  sind  hier  seine  Studien  übei'  die 
Volkslieder  zu  erwähnen,  die  hauptsächlich  den  neunziger  jähren  an- 
gehören, nachdem  er  auf  diesem  gebiete  in  seinem  jüngeren  collegen, 
Professor  Moltke  Moe,  einen  würdigen  mitarboiter  gefunden  hatte.' 
Ferner  seine  Beowulfstudien-,  «ein  aufsatz  mythisch -sagengeschicht- 
lichen  inhalts"   und   seine    Bemcerkninger   Hl   Ostnordiska  och  laHiiska 

1)  Bidrarf  til  den  nordiske  balladeddgtiiings  historic.  J.  Marsk  ^ti[i-  II-  Holn- 
pirnes  (Det  phii.-lii.st.  samfunds  niindeskiift.  Kjöbeuliavn  1879,  s.  64  — 93);  llurprnn 
kraft  (Arkiv  VII  [1890]  s.  97  — 141;  forfattet  imder  medvirkniiig  af  Moltke  Moo); 
Kungssu7ien  av  Korigsland.  Eti  folkevise  fra  Telei/iarken  ved  S.  B.  og  Moltkr  Moe 
(Norge  U,  Kia.  1895,  s.  197  —  212);  Den  danske  v/sc  om  Qralver  kongcns  sön  i 
Sit  forhold  til  Wolfdietrich- sagnet  (Arkiv  XII  [1895]  s.  1  —  30>;  Torsiuscn  i  sin 
norskc  form  udgiret  .  .  .  af  S.B.  og  iV/oZ/Ä-e  3/oe  (Festskrift  til  hs.  maj.  kong  Oscar  II. 
ved  legjerings-jubilaet  deu  18.  Sept.  1897.    II.    D.  5.     Kra.  1897.    124  .s.). 

2)  Studien  über  das  J5eo<fM//epo.s  (Beitr.  XII  [1886  — 87|  s.  1  —  112,  :^<)0  — 75); 
Sagnet  om  röveren  ved  f/rdsien  og  en  episodr  i  det  ungdsnksiskv  digl  oin  Bemnilf 
(Dania  I  [1891]  .s.  233  — 36). 

3)  Mijthiske  sagn  ovi  llalixUoi  Srarte  og  Harald  Ifaarfagrc  (Arkiv  XVI  [1899J 
s.  1—37). 


160  OLSEN' 

medeltids - ordsjmlk  (Arkiv  X  [3894]  s.  82  — 114).  Endlich  die  nekro- 
loge  auf  C.  R.  Unger  (ebda.  XV  [lS9cS]  s.  94  —  99  und  Gustav  Storni 
(ebda.  XIX  [1903]  s.  377  —  384). 

Erst  als  Bugge  nach  der  ausgäbe  der  2  ersten  hefte  seiner  Studie?'  die 
bände  einigerinassen  frei  bekommen  hatte  (1881  —  82),  konnte  er  sich 
wider  "ernstlich  einem  gebiete  zuwenden,  das  schon  lange  sein  interesse 
in  anspruch  genommen  hatte,  der  rätselhaften  etruskischen  spräche, 
auf  die  in  der  mitte  der  siebziger  jähre  Corssen  die  aufmerksamkeit 
gelenkt  hatte.  Der  etruskischen  spräche  hat  Bugge  viel  von  seiner  zeit 
und  kraft  gewidmet^  —  allzu  viel,  meint  sein  College  und  mitarbeiter 
auf  diesem  felde,  professor  A.  Torp;  denn  die  etruskischen  Inschriften 
haben  seinem  Scharfsinne  getrotzt,  wie  sie  dem  seiner  Vorgänger  ge- 
trotzt haben.  Im  gegensatze  zu  der  verbreitetsten  auffassung  hat  Bugge 
fortwährend  —  unter  wechselnden  gesichtspunkten  —  an  dem  indo- 
germanischen Charakter  der  spräche  festgehalten.  Zuerst  nahm  er  an, 
dass  sie  mit  den  italischen  sprachen  oder  mit  diesen  und  dem  griechi- 
schen am  nächsten  verwandt  sei,  und  von  diesem  Standpunkte  aus  gibt 
er  in  seinen  Beiträgen  zur  erforschung  der  etrusldschen  spräche  I — III 
eine  menge  von  Worterklärungen  und  inschriftdeutungen.  Diese  alle 
musste  er  gänzlich  aufgeben,  als  er  später  zu  der  meinung  kam,  dass 
die  spräche  dem  armenischen  nahe  stehe.  In  dem  aufsatze  Etrusldsrh 
und  armenisch  deutet  er  eine  ganze  menge  von  etruskischen  Wörtern 
und  grammatischen  formen  durch  vergleich ung  mit  dieser  spräche.  Seine 
Zusammenstellungen  sind  oft  bestechend,  aber  man  muss  beachten ,  dass 
die  bedeutung  der  etruskischen  Wörter  oft  gänzlich  unbekannt  und  von 
Bugge  nur  aus  dem  zusammenhange  erschlossen  ist.  Überdies  hat  Bugge 
liein  äuge  dafür  gehabt,  dass  die  ähnlichkeit,  die  er  herausbekommt, 
allzu  gross  ist.  Wäre  sie  wirklich,  was  einzelne  Wörter  anbetrifft,  so 
unverkennbar,  so  wäre  es  unmöglich,  dass  die  masse  der  Wörter  uns 
völlig  unverständlich  bliebe.  Die  spräche  könnte  dann  nicht  so  un- 
durchsichtig sein,  wie  sie  es  tatsächlich  ist.  Bei  dieser  meinung  ist 
jedoch  Bugge    bis    an    seinen    tod    stehen  geblieben  2.     In    den    letzten 

1)  Beiträge  zur  erforschung  der  etruskischen  spräche  I.  (Etruskische  forschungen 
h.  4,  Stuttgart  1883),  //— /ü  (Bezzenbergers  beitrage  X,  XI  1885  —  86);  Der  Ur- 
sprung der  Etrtiskcr  durch  xivei  lemnische  inschriften  erläutert  (Clira.  Vid-Selsk. 
forhandl.  1886.  No.  6);  Etruskisch  und  armenisch.  Sprachvergleichende  forschungen. 
1.  reihe  (Universitäts-programm.    Chra.  1890). 

2)  A.  Torp  in  seiner  gedächtnisrede  auf  Bugge  in  der  Gesellsch.  der  wisseuscli. 
zu  Christiania,  abgedruckt  in  Morgenbladet  (Christ.)  12.  oct.  1907  nr.  580. 


SOPHÜS    BÜGÖE  161 

Jahren  beschäftigte  Bugge  sich  viel  mit  etruskisch  und  den  sprachen, 
die  er  damit  in  Verbindung  brachte:  armenisch \  lykisch,  hetitisch  (der 
spräche  der  landschaft  Arzawa-')  und  der  vorhistorischen  spräche  Griechen- 
lands Cpehisgisch").  Diese  sprachen  hielt  Bugge  für  eine  besondere 
gruppe  der  indogermanischen  familie,  die  er  die  'anatolische'  nannte. 

Im  frühjahr  1902  wurde  Bugges  Sehvermögen  so  sehr  geschwächt, 
ilass  er  auf  ärztlichen  befehl  weder  lesen  noch  schreiben  durfte.  Dies 
war  für  ihn  ein  harter  schlag.  Wenn  er  in  dieser  zeit  an  seine  wissen- 
schaftliche arbeit  dachte,  war  er,  wie  er  selbst  äusserte,  darüber  am 
meisten  betrübt,  dass  es  ihm  schwer  fallen  würde  ein  werk  zum  ab- 
schluss  zu  bringen,  das  ihn  viele  jähre  hindurch  stark  in  anspruch  ge- 
nommen hatte:  die  sprachlichen  Verhältnisse  in  Kleinasien  und  dem 
vorhistorischen  Griechenland. 

Schon  1892  hatte  Bugge  in  der  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Christiania  einen  vertrag  gehalten:  (hn  sproc/lifj  sammenhceng  ynellem 
navne,  der  kjendes  fra  Troja ,  og  armenisk'^.  Am  Schlüsse  der  neunziger 
jähre  begann  er  die  sprachlichen  Verhältnisse  in  Kleinasien  zu  unter- 
suchen, nachdem  Paul  Kretsch.mer  189t)  seine  'Einleitung  in  die 
geschichte  der  griechischen  spräche'  herausgegeben  hatte.  Dieses  buch 
gab  den  eigentlichen  anlass  zu  Bugges  Lyl.isclien  studien.  I.  II  (Vidensk. 
selsk.  skrifter  1S97,  11  nr.  7  und  1901,  II  nr.  4)^.  Kretschmer  hatte 
zu  beweisen  versucht,  teils  dass  die  alten  kleinasiatischen  sprachen  mit 
einander  verwandt  waren,  teils  dass  die  hauptmasse  derselben  von  den 
sprachen  der  Pluyger  und  Bithynier  gänzlich  verschieden  und  nicht 
indogermanisch  waren.  'Nach  meiner  ansieht',  äussert  Bugge,  'hat  er 
das  erstere  durch  eine  sorgfältige  und  lehrreiche  erörterung  erwiesen, 
das  letztere  dagegen  nicht.  Nach  meiner  ansieht  .  .  .  waren  die  ge- 
nannten kleinasiatischen  sprachen  sämtlich  indogermanisch  und  standen 
dem  armenischen  näher  als  irgend  einer  anderen  in  ausführlichen  denk- 
mälern  erhaltenen  indogermanischen  spräche.'     Der   hervorragende  und 

1)  Beiträge  xur  etymologischen  erläuteruny  der  armenischen  spräche  (Cliia. 
Vid. -selsk.  forhaudl.  1889,  Nr.  4);  zwei  aufsätze  mit  gleichem  titel  in  Kuhns  Zeit- 
schrift XXXII  [1891J  og  ludogerin.  forsch.  1  (1892);  Armen,  inagil  (Zeitschrift  für 
armenische  philoIogie  F,  1902). 

2)  Vgl.  B.s  Bemerkungen  zu  den  Arxawa-briefen  {Die  xicei  Arxan-a-briefc. 
Die  ältesten  Urkunden  in  indogermanischer  spräche  von  J.  A.  Knudtxon.  Mit  lir- 
nierlmngen  von  Sophus  Bugge  und  Alf  Torp,  Leipzig  1902,  s.  57—  107). 

■M  Vidensk.  selsk.  forliandi.  1892  s.  2:;. 

4)  Seine  übrigen  aibeiton  über  lykisch  .sind:  Znr  Xanthos-stele  { Festschrift 
für  Otto  Benndorf,  Wien  1898l  und:  Einige  xahliriirter  im  linkischen  (Indogenn. 
forschungen  X  [1899]). 

ZKITSCHHIKT    K.    ÜEUTSCHK    PHILOI.UOIK.        HD.    XI.  11 


i  62  OLSEN 

vielseitige  dänische  Sprachforscher  Holger  Pedersen  hat  sich  im 
wesentlichen  au  Bugge  angeschlossen,  und  auch  in  Deutschland  scheint 
jetzt  Bugges  raeinung  durchzudringen,  dass  das  lykische  eine  indo- 
germanische spräche  ist. 

Charakteristisch  für  Bugges  'anatolische'  Studien  ist  der  kleine 
aufsatz  über  Olympos ,  der  in  der  festschrift  für  Kern  (Album -Kern 
[Leiden  1903]  s.  105  — 107)  gedruckt  ist.  Er  sucht  hier  su  beweisen, 
dass  der  bergname  Olympos,  der  auch  in  appellativischer  Verwendung 
vorzukommen  scheint,  ein  nicht- griechisches  ('anatolisches')  wort  mit 
der  bedeutung  'bergrücken'  ist,  nahe  verwandt  mit  armen,  oln,  ^X.olunklf 
'rückgrat,  rücken'.  'Der  hier  behandelte  name',  so  schliesst  Bugge 
seinen  aufsatz,  'bildet  ein  einzelnes  glied  einer  langen  reihe  von  griechi- 
schen orts-  und  personennamen,  aus  denen  ich  folgere,  dass  in  Griechen- 
land einst  kleinasiatische  stamme  wohnten,  die  anatolische,  mit  dem 
armenischen  verwandte  sprachen  oder  dialekte  redeten  und  auf  die 
cultur  der  Griechen  einen  durchgreifenden  einfluss  übten'.  Ein  ganzes 
jähr  (1905  —  06)  war  Bugge  kurz  vor  seinem  tode  fast  ausschliesslich 
mit  sprachlichen  Studien  über  den  Ursprung  der  antiken  cultur  be- 
schäftigt. Hierbei  hatte  er  an  professor  A.  Torp  eine  unentbehrliche 
stütze.  Hoffentlich  wird  noch  verschiedenes  von  seinen  'anatolischen' 
Studien  herausgegeben  werden  können.  Leider  hat  er  sein  grosses  werk: 
ünyriechische  elemenie  im  grieckischen  nicht  mehr  vollenden  können, 
in  dem  er  'zahlreiche  spuren  von  der  spräche  und  cultur  dieser  Völker 
in  griechischen  orts-  und  personennamen,  mythen  und  mythischen 
namen,  bezeichnungen  von  gerätschaften,  pflanzen  usw.  nachzuweisen 
suchte,  ein  werk,  das  vielleicht  in  vielen  einzelheiten  fehlgreift,  so 
glänzend  und  scharfsinnig  die  Vermutungen  oft  auch  sind,  das  aber 
jedesfalls,  wenn  es  jetzt  nach  seinem  tode  herauskommt,  ausserordent- 
lich anregend  wirken  und  viele  neue  ausblicke  eröffnen  wird' (A.  Torp). 

Während  seiner  armenischen  Studien  war  Bugge  auch  darauf  auf- 
merksam geworden,  dass  mehrere  Wörter  in  der  gotischen  bibelüber- 
setzung,  die  in  den  übrigen  germanischen  sprachen  keine  entsprechungen 
finden  und  bisher  noch  nicht  in  befriedigender  weise  etymologisch  er- 
klärt waren,  sich  als  lehnworte  aus  dem  armenischen  deuten  Hessen. 
ITber  diese  Wörter  handelte  er  in  der  interessanten  abhandlang:  tJher 
den  ein/lufis  der  armcHischen  spräche  auf  die  gotische  {Indogermanische 
forschungen  V  [1895]  s.  168—179.  274). 

Ungefähr  gleichzeitig  entdeckte  Bugge,  dass  die  namen  derrunen 
liäufig  in  auffallender  weise  mit  den  armenischen  (und  georgischen)  buch- 
stabennamen   übereinstimmten.     Dies  führte    zu  einer    durchcrreifenden 


SOPHÜS    BrOGE  163 

iindening  seiner  anschauimgen  über  den  u  r  s  p  r  u  ii  g  d  e  ]•  r  u  n  e  n  - 
Schrift. 

In  dem  vorti'age,  den  er  über  diese  frage  187H  in  der  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  zu  Christiania  hielt,  hatte  er  die  folgende  meinung 
geltend  gemacht:  'Die  riinen  scheinen  ein  schriftsystem  zu  sein,  das 
im  ersten  vorchristlichen  jaiirhundert  bei  einem  südgermanischen  stamme 
nach  der  form  der  römischen  schrift  gebildet  wurde,  welche  die  Germanen 
von  einem  der  keltischen  stamme,  die  am  nordfusse  der  Alpen  w^ohnten, 
übernommen  haben'.  Aber  'es  wird  noch  lange  zeit  vergehen',  so 
endete  Bugges  kurzes  referat.  'ehe  ich  meine  meinung  über  den  Ur- 
sprung und  die  älteste  geschichte  der  runen  begründen  und  näher  ent- 
wickeln kann  ...  da  meine  Untersuchungen  von  einem  abschlusse  noch 
sehr  weit  entfernt  sind'. 

Später  wurde  die  frage  nach  dem  Ursprung  der  runenschrift  metho- 
disch und  mit  grosser  gründlichkeit  von  Wimmer  behandelt  (Aarb.  1-874; 
in  neuer  bearbeitung  unter  dem  titel:  'Die  runenschrift'  Berlin  1S87). 
Wimmer  nahm  Bugges  gedanken,  dass  die  Kelten  bei  der  aufnähme 
der  römischen  schrift  durcii  die  Germanen  die  vermittler  gewesen  seien, 
wider  auf,  aber  er  setzte  die  entstehung  der  runenschrift  in  eine  etwas 
spätere  zeit  und  betrachtete  das  lateinische  aiphabet  als  die  einzige  (juelle 
der  runenschrift. 

Durch  diese  auffassung  Wimmers,  die  als  'abschliessend'  bezeichnet 
wurde,  fand  sich  Bugge  nicht  befriedigt.  Aus  einer  1898  geschriebenen 
bemerkung  in  Norges  in<lskrifter  (I,  143)  sehen  wir,  dass  er  zu  der  er- 
kenntnis  gelangt  war,  dass  die  runenschrift  in  ihrer  ältesten  form  bei 
einem  gotischen  stamme  ausgebildet  wurde.  Er  entwickelte  dann 
seine  ansichten  ausführlicher  in  einem  aufsehen  erregenden  vortrage  auf 
der  5.  nordischen  philologenversammlung  in  Christiania  (189S):  'Das 
erste  germanische  volk,  das  die  runen  anwendete,  waren  die  Goten  im 
südöstlichen  Europa.  Von  ihnen  kam  die  runenschrift  zu  den  Nord- 
leuten und  unabhängig  davon  auf  anderem  wege  zu  den  westgermani- 
schen Völkern  auf  dem  festlande,  von  diesen  endlich  auch  zu  den  Angel- 
sachsen. Der  Gote,  der  den  runen  ihre  namen  gab,  hatte  griechische 
buchstabennamen  gekannt,  die  ihm  ein  keltisch  redender  mann  mit- 
geteilt hatte;  denn  der  name  der  6-rune,  herciia,  ist  eine  iibensetzung 
des  griechischen  namens  betn,  die  dadurch  veranla.sst  wurde,  dass  ein 
mit  betn  wesentlich  gleichlautendes  wort  in  den  keltischen  sprachen  die 
bedeutung  'birke'  hatte.  Die  runenschrift  stammt  z.  t.  von  den  lateini- 
schen, z.  t.  von  den  griechischen  buchstaben.  Sie  kam  bei  den  (ioten 
bald    nach    ihrem    zuge    nach    Kleinasien    im    Jahn-    LMiT    in    gehraucli; 

11' 


1 64  OLSKN 

gotische  runennamen  scheinen  nämlich  umdeutungen  fremder  buch- 
stal;)ennamen  7ai  sein,  welche  die  Goten  durch  christliche  Galater  und 
armenische  gefangene,  die  sie  auf  ihrem  kleinasiatischen  zuge  gefangen 
genommen  hatten,  kennen  lernten. 

Ein  kurzes  referat  über  diese  ansichten  hat  Bugge  in  dem  Vor- 
worte-zu  Otto  von  Friesens  schritt:  (hii  rimskriftens  hürk())i/st  (üp- 
sala  1-904)  mitgeteilt,  in  der  ebenfalls  mit  schwerwiegenden  gründen 
die  meinung  verfochten  wird,  dass  die  runen  teilweise  auf  griechische, 
teilweise  auf  lateinische  buchstaben  zurückzuführen  sind.  0.  v.  Friesen 
kam  —  was  die  detailfragen  betrifft  unabhängig  —  zu  wesentlich  den- 
selben resultaten,  die  Bugge  in  seinem  vortrage  mitgeteilt  hatte.  Ein 
besonderer  Vorzug  der  schritt  von  Friesens  ist  sein  offener  blick  für  die 
.historischen  Verhältnisse  in  den  ersten  Jahrhunderten  n.  Chr.;  er  stützt 
sich  übrigens  im  wesentlichen  auf  Bernhard  Salins  forschungen  in 
seinem  bekannten  buche  über  die  tier- Ornamentik,  durch  die  wir  eine 
culturströmung  kennen  lernen,  die  sich  —  nach  der  Chronologie  der 
schwedischen  archäologen  —  von  etwa  150  —  350  n.  Chr.  von  den  land- 
schaften  am  Schwarzen  meere  in  nordwestlicher  richtung  nach  den 
gebieten  an  der  Ostsee  und  den  skandinavischen  hindern  bewegte. 

Seine  auffassung  über  die  entstehung  der  runenschrift  begann  Bugge 
1905  in  einer  schritt:  Runesk7'iftens  oprindelscog  fBldste  historie  z\x  Qn\- 
wickeln,  die  die  einleitung  zu  seiner  ausgäbe  der  norwegischen  Inschriften 
mit  den  älteren  runen  bilden  soll.  Erst  das  erste  heft  (das  im  wesent- 
lichen nur  allgemeine  bemerkungen  und  eine  Untersuchung  über  die 
ältesten,  gotischen  formen  der  runennamen  enthält)  war,  als  der  tod  ihn 
abrief,  ausgegeben.  Es  ist  jedoch  zu  hoffen,  dass  die  arbeit  in  nicht 
zu  ferner  zeit  auf  grund  von  Bugges  aufzeichnungen  zum  abschluss  ge- 
bracht werden  kann.  Wie  aus  dem  titel  ersichtlich  ist,  war  es  Bugges 
absieht,  auch  die  älteste  geschichte  der  runenschrift  zu  schreiben,  in 
der  die  Wanderungen  der  Eruier  bei  ihm  eine  grosse  rolle  spielen. 
Als  eine  Vorarbeit  hierzu  darf  die  neue  Untersuchung  der  runeninschriften 
auf  goldenen  bracteaten  betrachtet  werden,  die  er  1906  veröffentlichte: 
Bidrag  til  tolkning  af  danske  og  tüdcls  sveiiske  indskrifter  med  den 
Irmgere  rcekkes  rnner,  navnlig 2)aa giddbracteater  {A'dYhA905  s.l41 — 328). 
Auch  hier  finden  sich,  wie  immer  in  Bugges  arbeiten,  viele  glänzende 
einzelheiten  zur  deutung  der  Inschriften.  Wenn  er  jedoch  hier  einen 
verständlichen  sinn  in  vielen  inschriften  findet,  die  er  in  seiner  ersten 
abhandlung  über  die  bracteaten  (1871)  für  sinnlos  erklärt  hatte,  so  ist 
er  freilich  weiter  gegangen,  als  dass  die  meisten  fachgenossen  ihm 
folgen  könnten,  und  die  meinung  über  die  biacteat- inschriften,   die   er 


SOPHÜS    Bt'GGE  165 

1871  aussprach,  dürfte  noch  in  allem  Avesentlichen  bei  den  gelehrten 
lue  herrschende  sein. 

Die  Studien  über  den  Ursprung  der  runenschrit't  bekamen  ferner 
in  (i6n  späteren  jähren  auch  bcdeutung  für  Bugges  auffassung  der 
norrönen  mythologie.  In  der  hauptsache  hielt  er  bis  an  seinen  tod 
an  den  theorien  fest,  die  er  in  den  Studier  verfochten  hatte.  Aber  sein 
blick  war  jetzt  auch  für  die  Verbindungen  geöffnet  worden,  die  seit 
den  ältesten  zeiteu  zwischen  den  Mittelmeerländcrn  und  Nordeuropn 
bestanden  haben.  In  der  kleinen  schritt:  Fricco,  J^rigg  und  FrlapOf< 
(Christ,  vidensk.  selsk.  forhandl.  1904  nr.  3)  suchte  er  zu  beweisen,  dass 
der  phallische  Freyscultus  in  vorhistorischer  zeit  von  der  vorgriechischen 
Verehrung  dos  Priapos  ausgegangen  war.  In  seinen  Vorlesungen  be- 
tonte er  in  den  letzten  jähren,  dass  sagen  und  mythen,  die  wir  aus 
der  norrönen  dichtung  kennen,  in  der  zeit  der  Völkerwanderung  von 
den  südlichen  germanischen  Völkern  übernommen  sein  könnten^  wie 
früher  Eugen  iMogk  nannte  auch  er  die  Eruier  als  die.  möglichen 
vormittler. 

Mitten  aus  seiner  i-astlosen  arbeit  heraus  wurde  Bugge  abgerufen, 
während  zahlreiche  neue  fragen  sich  ihm  aufdrängten.  Es  ist  tief  zu 
beklagen,  dass  ihm  nicht  mehr  vergönnt  ward,  die  neuen  gedanken  zu 
gestalten,  die  in  ihm  gärten,  besonders  die  Vermutungen  über  cultur- 
einwirkungen  von  siiden  her  in  den  zelten  der  Völkerwanderung  und 
noch  fridieren  perioden.  Wir  hätten  von  ihm  arbeiten  erwarten  dürfen, 
lue  nicht  weniger  bedeutungsvoll  gewurden  wären  als  seine  mythologi- 
schen Studien  am  anfange  der  achtziger  jähre.  Gerne  hätten  wir  ihn 
auch  selber  teilnehmen  sehen  an  der  sonderung  des  heimischen  erbes 
und  der  fremden  sagen-  und  mythenstoffe,  die  zu  verschiedener  zeit 
von  Süden  und  von  westen  her^  zum  Norden  gelangt  sind. 


Bugges  wissenschaftliche  tätigkeit  umspannt  die  lange  zeit  von 
.">.j  jähren.  Wir  haben  sein  productives  schatten  im  einzelnen  kennen  ge- 
lernt und  dabei  sowol  den  entwicklungsgang  seiner  Studien  angedeutet 
wie  aucii  die  hervorragende  bedeutung  seiner  forschungen  gewürdigt. 
Hervorzuheben  sind  besonders  seine  Eddaausgabe,  die  deutung  der  ur- 
iu:)rdischen  runeninsch ritten  und  seine  mythologischen  Stmlicr;  vielleicht 
wird  einmal  das  urteil  der  nachweit  auch  seinen  ,anatolischeir  forschungen 
denselben  platz  in  der  ersten  reihe  anweisen. 

Im  hinblick  auf  die  lange  reihe  von  abhandlungen  und  büchern, 
<lio  Bugge  liinterliess,  wird  man  iiiiwillkinlich  fragen:  Ceht  6in  leitonih-r 


166  OLSEN 

gedanke,  ein  alles  beherrschendes  streben  durch  sie  alle  hindurch  oder 
ist  es  nur  der  name  des  Verfassers,  der  sie  verbindet? 

Es  kann  nicht  geleugnet  werden,  dass  verschiedenes  in  Bugges 
forschungen  gänzlich  isoliert  dasteht.  Nicht  wenige  von  seinen  arbeiten 
sind  nur  dadurch  veranlasst,  dass  ein  rätselvoller  stoff,  auf  den  er  auf- 
merksam geworden  war,  ihn  anlockte.  Wir  müssen  uns  hierbei  jedoch 
daran-  erinnern,  dass  es  für  Bugge  so  zu  sagen  eine  naturnotwendig- 
keit  war,  häufig  die  objecte  seiner  forschung  zu  wechseln,  was  sein 
glänzendes  gedächtnis  ihm  gestattete.  Er  liebte  es,  gleichzeitig  mehrere 
eisen  im  feuer  zu  haben,  und  in  seinen  letzten  jähren,  als  sein  Seh- 
vermögen geschwächt  war  und  er  nicht  mehr  lesen  und  nur  mit  grosser 
mühe  schreiben  konnte,  beklagte  er  es  schmerzlich,  dass  er  dazu  nicht 
mehr  im  stände  war. 

Und  doch  kann  kein  zweifei  darüber  bestehen,  dass  Bugge  bei 
der  mehrzahl  seiner  arbeiten  —  mehr  oder  minder  bewusst  —  einem 
leitenden  gedanken  folgte  und  sich  zu  einer  gesamtanschauung  von  der 
geschichte  der  geistigen  erzeugnisse  der  menschheit  emporzuringen  suchte. 
Detailfragen  interessierten  Bugge  an  und  für  sich  wenig.  Er  betrachtete 
sie  stets  als  glieder  eines  grösseren  ganzen.  Aus  metrischen  einzel- 
heiten  zog  er  z.  b.  Schlüsse  über  das  alter  der  Eddalieder;  ein  name 
konnte  ein  Streiflicht  über  ganze  Jahrhunderte  werfen;  die  wechselnden 
formen  einer  rune  konnten  ihn  in  stand  setzen,  den  fahrten  der  wikinger 
von  land  zu  land  zu  folgen.  Das  centrale  in  Bugges  wissenschaftlicher 
begabung  war  seine  dichterische  phantasie.  Diese  machte  sich  im  laufe 
der  jähre  immer  mehr  geltend;  sie  konnte  ihn  auf  abwege  führen,  aber 
er  verlor  doch  selten  den  boden  unter  den  füssen.  Denn  Bugge  war 
zugleich  im  besitze  einer  sicher  fundierten  gelehrsamkeit,  eines  scharfen 
kritischen  blickes  und  einer  methodischen  begabung,  die  mehr  ange- 
boren als  durch  ausbildung  entwickelt  war;  die  unruhe  und  leichte 
bewegliehkeit  seiner  gedanken  verschafften  ihm  einen  reichtum  von 
erklärungsmöglichkeiten,  unter  denen  er  wählen  konnte;  dazu  kam  dann 
seine  merkwürdige  fähigkeit,  den  springenden  punkt  in  einer  frage  zu 
erfassen,  und  endlich  die  treffsicherheit  in  der  combination,  die  dem 
genie  eigentümlich  ist. 

Bugge  liebte  es,  sich  von  einer  frage  in  die  andere  zu  stürzen, 
die  anscheinend  mit  der  ersten  gar  nicht  in  Verbindung  stand.  Aber 
für  ihn,  auf  den  fragen  aus  den  entferntesten  gebieten,  die  sein  wissen 
beherrschte,  einstürmten,  und  dem  eine  phantasievolle  combinationsgabe 
überall  wege  und  ähnlichkeiten  offenbarte,  war  das  etwas  anderes. 
1896  formte  er  in   den   Schlussworten   seines   buches    über  die  Helgi- 


SOPHüS    BX-GGE  167 

lieder  seine  gesamtanschauuDg  von  der  ältebten  geschiclite  seines  Vater- 
landes in  die  geistvollen  siitze  und  fragen: 

'Ich  möchte  die  nordischen  colonien  auf  den  brittischen  inseln 
das  Äolien  des  Nordens  nennen. 

Island  war  das  lonien  des  Nordens.  Dort  wurde  der  Herodot 
des  Nordens  geboren. 

Ein  Attika  hat  das  nordische  altertuni  nie  besessen. 

Warum  wurde  Norwegen  nicht  das  Attika  des  Nordens'?  Etwa 
deswegen  nicht,  weil  der  Norden  nicht  seine  Perserkriege  hatte?' 

Es  ist  kein  zufall,  dass  sein  nächstes  grösseres  werk  (1897)  die 
LA^ki sehen  Studien  waren,  die  an  die  anfange  der  europäischen  cultur 
streiften. 

Die  entstehung  der  cultur  der  wikingorzeit  und  der  Ursprung  der 
antiken  cultur  waren  für  Bugge  parallele  fragen,  die  sich  gegenseitig  er- 
hellten. Die  grossen  Umschwungsperioden  in  der  geschichte  der  Völker  war 
dasjenige,  was  ihn  fesselte.  Er  war  nicht  blind  für  das  ruhige,  lang- 
same Wachstum  der  culturkeime  in  dem  heimischen  erdboden  —  seine 
Jugend  fiel  ja  in  die  romantische  periode  der  vergleichenden  sprach - 
und  mythenforschung  —  und  sich  hierin  zu  vertiefen,  übte  sicherlich 
zu  Zeiten  auf  ßugges  stimmungsvolles  gemüt  anziehungskraft  genug. 
Aber  erst  dann  war  er  ganz  er  selbst,  wenn  er  die  zeiten  im  leben 
der  Völker,  in  dem  reichsten  leben  seines  eigenen  volkes  mit  durch- 
leben durfte,  in  denen  die  culturströmung  breit  und  mächtig  von  Strand 
zu  Strand  sich  wälzte.  Dann  wird  er  tief  von  seinem  gegenstände 
ergriffen  und  der  dichter  und  der  forscher  sind  in  ihm  untrennbar  ver- 
bunden. Von  kleinen  detailfragen,  die  ein  altes  gedieht  hervorruft, 
erhebt  er  sich  zu  weiten  ausblicken  über  die  Verhältnisse  des  geistigen 
lebens  im  Norden:  'Das  bild,  mit  dem  das  lied  von  VQlundr  beginnt, 
weist  uns  in  ein  land,  in  dem  eines  tages  von  süden  her  nach  stürm 
und  wogendrang  plötzlich  und  überraschend  der  sommer  bei  dem  söhne 
des  nordens  einkehrt  mit  licht  und  wärme,  mit  duftendem  blumen- 
gerank  auf  grünen  wiesen,  mit  dem  brausenden  flügelschlag  der  vogel- 
schwärme über  den  freigewordenen  gewässern,  mit  dem  vollen  pulsschlage 
des  lebens.  Dies  bild  an  dem  eingange  zu  der  halle  unserer  alten  heroi- 
schen (liclituug  weist  rückwärts  auf  die  bedeutung,  die  die  wikingerzeit 
für  uns  hat.  Diese  zeit  war  für  unser  volk  der  erste  grosse  frühjahrs- 
anbruch'.  Und  soweit  sein  wissen  sich  erstreckte,  schufen  seine 
Phantasie  vollen  combinationen  leben;  gestalten  dämmerten  empor,  be- 
kamen form  und  färbe  und  traten  auf  den  Schauplatz  der  geschichte.  Es 
war  handlung.  spannende  handlung  in   Bugges  dramcii. 


16S  OLSEN, 

Weiter  und  weiter  wollte  er  schauen  über  die  geschicke  der  völker. 
Er  arbeitete  mit  begeisterung,  dieser  Ttoirizrjg  evd^ovöidttov,  und  keine 
mühe  war  dann  für  ihn  zu  gross.  Als  älterer  mann  erwarb  er  sich 
noch  gründliche  kenntnisse  in  den  keltischen  sprachen  und  im  armeni- 
schen, als  seine  Studien  dies  notwendig  machten.  In  den  letzten  jähren 
seines  lebens  arbeitete  er  rastlos  und  beinahe  gleichzeitig  an  der  'Ent- 
stehung der  runenschrift',  der  ßök  -  Inschrift  und  dem  'anatolischen' 
problem.  Er  war  ein  gigant  in  seinem  streben,  der  einen  berg  auf 
den  andern  türmte,  um  zu  weiten  ausblicken  zu  gelangen.  Und  er 
starb  glücklich  mitten  in  seinem  streben,  in  dem  festen  glauben  an 
seine  Wissenschaft,  der  er  gewissenhaft  und  selbstvergessen  sein  leben 
geweiht  hatte. 

"Wir  verweilen  aber  lieber  noch  bei  dem  menschen  Bugge.  Er 
war  ein  wahrhaft  edler  mensch,  von  lauterem  Charakter,  wahr  und 
offen  in  all  seinem  tun,  warmherzig  und  treu,  mild  gegen  andere,  aber 
strenge  in  den  anforderungen  an  sich  selber.  Er  war  herzlich  und 
entgegenkommend  gegen  alle;  im  umgang  mit  menschen  sah  er  nur 
auf  den  persönlichen  wert  des  betreffenden.  In  seiner  dankbarkeit 
konnte  er  rührend  sein;  er  erwartete  so  wenig  von  anderen,  er,  der 
selber  so  willig  gab  und  an  dem  wol  und  wehe  anderer  teil  nahm. 

Bugge  war  bescheiden  und  ohne  eitelkeit.  Er  erhielt  zahlreiche 
auszeichnungen,  aber  er  selbst  suchte  nicht  die  ehre.  Mehr  als  einmal 
setzte  er  sein  ansehen  aufs  spiel,  indem  er  kühne  hypothesen  aufstellte, 
von  den  er  wusste,  dass  sie  verfehlt  sein  konnten,  die  aber  vielleicht 
die  möglichkeit  boten,  anderen  zu  sicheren  ergebnissen  zu  verhelfen. 
Als  motte  auf  zwei  seiner  bücher  setzte  er  Jacob  Grimms  worte:  'Man 
darf  mitten  unter  dem  greifen  nach  der  neuen  frucht  auch  den  mut 
des  fehlen s  haben'. 

Ebenso  kühn  und  angriöslustig  wie  Bugge  in  seiner  forschung  war, 
ebenso  zurückhaltend  und  bescheiden  war  er  in  seinem  äusseren  auf- 
treten. Er  hatte  eine  scheu  davor,  sich  selbst,  wenn  auch  nur  im 
engsten  kreise,  zum  mittelpunkte  zu  machen.  Dennoch  war  er,  wo 
er  sich  zeigte,  durch  die  macht  seiner  starken  persönlichkeit  und  die 
würde,  die  ihn  niemals  verliess,  der  häuptling,  zu  dem  alle  empor- 
schauten. 

Öffentlich  trat  er  nicht  häuhg  auf.  Wenn  er  in  einem  seltenen 
falle  es  als  seine  pflicht  ansah,  das  wort  zu  ergreifen,  konnte  er  mit 
dem  ganzen  gewicht  seiner  persönlichkeit,  mit  seiner  ganzen  warmen 
beredsamkeit  sich  in  den  kämpf  stürzen.  Dann  konnte  seine  mahnende 
stimme  sich   bis  zum  pathos  erheben,   aber  sie  konnte  auch  gedämpft 


SOPHUS    BUG&F.  169 

von  einer  bescheidenen,  scherzhaft  ironischen,  aber  niemals  boshaften 
laune  zeugnis  ablegen. 

Am  besten  werden'  Bugges  zahlreiche  schüler  —  zu  denen  nicht 
wenige  Schweden  und  einzelne  Dänen  gehören  —  ihn  als  forscher  und 
als  mensch  in  seinen  Vorlesungen  kennen  gelernt  haben. 

Bugge  war  ein  ausgezeichneter  docent.  Während  seiner  langen 
Wirksamkeit  an  der  Universität  hat  er  fast  alle  disciplinen  innerhalb 
seines  eigentlichen  faches,  der  nordischen  philologie,  behandelt,  aber 
ausserdem  las  er  noch  über  gotisch,  angelsächsisch  (Böowulf),  germanische 
Sprachgeschichte,  Plautus,  italische  sprachen  und  sanskrit.  Namentlich 
ist  die  erklärung  der  eddischen  gedichte  allen  seinen  zuhörern  unver- 
gesslich.  Mit  seiner  schönen  klangvollen  stimme  trug  er  die  alten 
lieder  strophe  für  strophe  vor  und  knüpfte  seine  erklärungen  daran  an, 
die  ebenso  leichtverständlich  für  den  anfänger,  wie  für  die  weiter  vor- 
geschrittenen inhaltreich  und  anregend  waren.  Man  empfieng  den  starken 
eindruck,  dass  er  selber  von  der  freude  an  der  einfachen  Schönheit 
der  alten  litteratur  erfüllt  Avar  und  es  als  ein  stilles  glück  empfand, 
über  leben  und  dichten  ferner  zeiten  licht  verbreiten  zu  können.  Die 
gesiebte,  zugleich  die  eines  forschers  und  eines  dichters,  die  vor 
seinem  inneren  blicke  aufstiegen,  konnten  seinen  werten  glut  verleihen 
und  in  den  herzen  der  zuhörer  begeisterung  entzünden.  Aber  sein 
warmes  herz  konnte  auch  erzittern  bei  seinen  werten,  und  in  solchen 
augenblicken  lernten  die  schüler  ihren  grossen  lehrer  lieben  und  hoch- 
schätzen. Ks  ruhte  eine  feststimmung  über  dem  hörsaale,  wenn  Bugge 
sprach.  Alles  kleinliche  tagesgezänk  musste  aus  seinen  Vorlesungen 
verbannt  sein.  'Bugge  machte  die  Universität  zu  einem  heiligtum  für 
ims',  schrieb  einer  seiner  schüler  nach  seinem  tode. 

Bugge  war  nicht  blind  für  die  begrenztheit  seiner  begabung  und 
seine  einseitigkeit,  und  daher  ist  er  auch  niemals  bestrebt  gewesen, 
'schule  zu  machen'.  Er  freute  sich  im  gcgenteil,  wenn  seine  schüler 
ihre  eigenen  wege  gingen,  und  er  ermunterte  sie,  sich  mit  dem  Stand- 
punkt seiner  gegner  vertraut  zu  machen.  In  seinen  Vorlesungen  hat 
er  sogar  oft  mit  nachdruck  davor  gewarnt,  auf  seine  unsicheren  Ver- 
mutungen zu  bauen. 

Bugge,  dessen  blick  beständig  auf  neue  fragen  und  neue  aiil- 
gaben  gerichtet  war,  fühlte  sich  immer  zu  den  jungen  hingezogen,  die 
einmal  die  arbeit  aufnehmen  sollten,  Avenn  die  reihen  der  alten  sich 
lichteten.  Er  hegte  ein  warmes  Interesse  für  die  jungen,  am  meisten 
vielleicht  für  die  allerjüngsten.  Er  selber  bewahrte  seine  jugendliche 
frische  bis  ans  ende.     Sein  niemals   ruhender   und    empfänglicher   geist 


170  OLSEN 

nahm  eindrücke  von  allen  richtungen  auf,  auch  aus  dem  lager  der 
jüngsten.  Bezeichnend  ist  die  begeisterung  und  das  Verständnis,  das 
er  Karl  Verners  berühmter  abhandlung  entgegenbrachte.  Verner 
schreibt  selbst  hierüber  in  einem  briefe  an  seinen  vater  von  der  Kopen- 
hagener philologenversammliing  des  Jahres  1876  ' :  „Der  tüchtigste  Sprach- 
forscher hier  im  Norden  ist  ein  professor  Bugge  aus  Christiania:  er 
war  so  entzückt  über  meine  abhandlung,  dass  er  schon  am  nächsten 
tage,  nachdem  sie  nach  Christiania  gelangt  war,  an  der  Universität  Vor- 
lesungen darüber  hielt;  hier  unten  in  Kopenhagen  äusserte  er  zu  jedem 
einzelnen,  dass  meine  entdeckung  'eine  beispiellose  entdeckung'  sei." 
Diese  werte  Verners  sind  so  recht  geeignet,  Bugge  zu  charakterisieren, 
wie  er  im  kreise  der  fachgenossen  sich  bewegt  und  mit  der  Unmittel- 
barkeit, die  ihm  eigen  war  und  die  aller  herzen  gewann,  über  das, 
was  ihn  im  augenblicke  beschäftigte,  sich  äusserte,  mochten  es  eigene 
funde  oder  die  wissenschaftlichen  siege  von  anderen  sein.  Er  freute 
sich  innerlich  über  die  forschungen  anderer.  Alles  was  er  las  oder 
hörte,  nahm  er  mit  eifer  auf  und  schritt  kühn  vorwärts,  wenn  andere 
stehen  bleiben  mussten.  Niemals  hat  ihn  persönlicher  unwille  gehindert, 
den  Standpunkt  eines  gegners  zu  verstehen.  Er  war  strenge  gegen  sich 
selbst  und  konnte  scharf  und  unerbittlich  sich  selber  widerlegen,  wenn 
er  zu  richtigerer  erkenntnis  gelangt  war.  Sein  urteil  über  andere  war 
mild;  er  beschränkte  sich  gern  auf  bemerkungen,  wie  die:  'das  ist  ein 
autor,  von  dem  ich  wenig  gelernt  habe'.  Er  steht  da  als  ein  herr- 
liches beispiel,  wie  ein  forscher  nicht  bloss  menschlich,  sondern  auch 
in  seiner  Wissenschaft  sich  bereichert  und  zu  grösseren  höhen  empor- 
steigt, wenn  er  verständnisvoll  und  nachsichtig  gegen  andere  sich  erweist. 
Es  ist  mit  recht  von  Bugge  gesagt  worden,  dass  er  mit  verliebe 
solchen  problemen  und  aufgaben  sich  zuwandte,  an  denen  andere  sich 
versucht  hatten,  ohne  sie  bewältigen  zu  können.  Auf  die  urnordischen 
runeninschriften  fiel  durch  seine  forschungen  das  helle  tageslicht,  wo 
es  vor  ihm  nur  gedämmert  hatte.  Viele  von  seinen  arbeiten,  und 
darunter  einige  der  wichtigsten,  verdanken  ihre  entstehung  geradezu 
fremden  Impulsen.  1886  wurde  seine  auffassung  der  etruskischen  frage 
wesentlich  umgestaltet.  Die  veranlassung  dazu  gab  ein  brief  von  Vilh. 
Thomsen,  in  dem  dieser  über  die  verwandtschaftlichen  beziehungen  der 
etruskischen  spräche  sich  also  äusserte:  '[Ich  bin]  keineswegs  davon 
überzeugt,  dass  eine  nähere  Verwandtschaft  mit  den  italischen  sprachen 
besteht,  und  würde  weit  eher  an  das  armenische  oder  etwas  ähnliches 
denken'.     Hierzu  erklärt  Bugge  selbst:  'Die  hier  geäusserte  Vermutung 

1)  K.  Verner,  Afhandliuger  og  brave  s.  XLllI. 


SOPHUS    BUGGE  171 

von  einer  speciellen  Verwandtschaft  des  etruskischen  mit  dem  armeni- 
schen wirkte  auf  mich,  als  ich  dieselbe  las,  auj^enblicklich  ein; 
die  Wahrheit  dieser  annähme  wurde  mir  sogleich  einleuchtend '^ 

Ebenso  oft  aber  erfasste  ihn  plötzlich  ein  gedanke  ohne  nach- 
weisliche beeinflussung  von  aussen  her.  Und  war  ein  gedanke  erst  er- 
weckt, so  verfehlte  derselbe  nicht  einen  unauslöschlichen  eindruck  zu 
hinterlassen,  nn)chte  er  auch  wider  und  wider  als  unwahrscheinlich  ihn 
abweisen.  Er  tauchte  beständig  wider  auf  und  veranlasste  die  ver- 
schiedenartigsten combinationen,  je  nachdem  seine  arbeit  mit  den  jähren 
wechselte  und  das  material,  mit  dem  seine  gedanken  sich  beschäftigten, 
sich  verschob.  Und  der  gedanke  gewann  gestalt  und  färbe,  er  brannte 
sich  in  seine  dichterseele  ein,  und  der  stoff,  den  er  in  der  regel  schon 
im  voraus  beherrschte  oder  den  er  mit  seinem  unglaublichen  Spürsinn 
zusammen  brachte,  gruppierte  sich  von  selbst.  Bugge  erzählte,  dass  er 
selber  'in  schrecken  geriet',  als  er  die  einwirkungen  der  westlichen 
culturländer  auf  die  nordische  mythologie  entdeckte,  wodurch  sein 
nervensystem  eine  starke  afPection  erlitt.  Stets  gieng  Biiggc  mit  be- 
geisterung  an  eine  neue  arbeit;  der  silberhaarige  greis  konnte  mit  der 
optimistischen  unerschrockenheit  und  unerfahrenheit  eines  Jünglings  ein 
grosses  werk  nach  dem  andern  in  seinen  kühnen  planen  und  gedanken 
aufrichten.  'Woran  ich  auch  denken  mag,  stets  finde  ich  etwas  neues', 
mit  derartigen  werten  konnte;  in  solchen  augenblicken  seine  stille  freudc 
zum  ausdruck  kommen. 

Bugge  war  ein  wirklicher  dichter.  Im  familienkreise  und  im  kreise 
seiner  freunde  konnte  er  formvollendete,  bilderreiche  und  gedankenvolle 
dichtungen  schreiben.  Er  hatte  sinn  für  musik  und  maierei,  und  in 
seinen  jungen  tagen  hat  er  fleissig  gezeichnet.  Sein  kunstsinn  hat  sich 
auch  in  seinem  durchsichtigen  und  doch  auch  malerischen  prosastil 
deutlich  offenbart. 

Bugge  war  auch  nicht  bloss  der  für  die  Wissenschaft  warm  inter- 
essierte und  flei.ssige  forscher.  Seine  Vaterlandsliebe  äusserte  sich  in 
der  schönsten  weise  dadurch,  dass  er  dem  arbeitenden  volke  auf  allen 
gebieten  eine  innerliche  teilnähme  entgegenbrachte,  und  er  empfand 
eine  lebhafte  genugtuung  darüber,  dass  er  in  seinem  langen  leben  gc- 
legenheit  gehabt  hatte,  mit  leuten  aus  allen  ständen  und  gesellschafts- 
klassen  in  borühiHing  zu  kommen.  In  seinen  BnntdoniscritKlriiigcr  sagt 
er  .selbst:  'i^]s  kommt  mir  in  meinen  alten  tagen  so  vor,  als  hätte  ich 
eine  genauere  und  vollkommenere  kenntnis  unseres  volkes,  weil  ich 
in  meiner  jugend  so  viele  menschen  gekannt  habe,  die  antloren  lebens- 

1)  Vorn  Verfasser  des  nekrologs  gesperrt. 


172  OLSEN\ 

Stellungen  angehörten  als  die.  die  die  meinige  ward".  Diese  liebe  zu 
der  menschlichen  tätigkeit  auf  allen  gebieten,  die  er  in  seinem  aus- 
gedehnten Umgangskreise  reichlich  nähren  konnte,  bewahrte  er  sein 
ganzes  leben  hindurch.  Er  war  sich  auch  der  gefahr  bewusst,  die 
einem  kleinen  volke  dadurch  droht,  dass  die  geistige  cultur  die  mate- 
rielle in  schatten  stellt.  Als  er  in  seiner  rede  an  die  norwegischen 
Studenten,  die  an  seinem  70.  geburtstage  ihm  ihre  huldigung  darbrachten, 
ihnen  warm  ans  herz  legte,  den  'zusammenhält  im  Norden'  zu  wahren, 
wies  er  bestimmt  darauf  hin,  wie  wünschenswert  ein  zusammenschluss 
der  männer  des  praktischen  lebens  sei. 

Im  übrigen  trat  Bugge,  wie  schon  erwähnt,  nicht  oft  öffentlich 
auf;  es  geschah  nur,  wenn  irgend  eine  angelegenheit  ihn  besonders 
lebhaft  bewegte.  So  nahm  er  auch  1899  das  wort  zu  dem  norwegischen 
sprachstreite,  indem  er  die  sprachform  (rigsniaalet)  verteidigte,  in  der 
das  norwegische  geistesleben  seinen  vollendetsten  ausdruck  gefunden 
habe^.  An  der  politik  nahm  er  nicht  öffentlich  teil,  aber  er  war  sich 
wol  bewusst,  dass  auch  die  stille  arbeit  des  fleissigen  forschers  ein 
vermittelndes  band  zwischen  den  Völkern  sein  könne  und  solle: 

'Es  ist  die  grosse  aufgäbe  des  mannes  der  wissensciuift,  die  natio- 
nalen schranken  zu  durchbrechen,  die  Völker  einander  zu  nähern  und 
dazu  beizutragen,  dass  einmal  in  der  fernen  Zukunft,  so  Gott  will,  ein 
sicherer  friedenszustand  zwischen  den  nationen  bestehe! 

Aber  der  mann  der  Wissenschaft  muss  zugleich  seine  pflicht,  seine 
freude  und  seinen  lohn  darin  finden,  nach  kräften  die  entwicklung  des 
Volkes  zu  fördern,  dem  er  durch  geschlecht  und  geburt  angehört,  bei 
seinem  eigenen  volke  licht  zu  verbreiten.  Und  von  keinem  gilt  dies 
mehr  als  von  dem  erforscher  der  nationalen  geschichte.'^ 

Bugges  Jugend  fiel  in  eine  zeit,  als  der  gedanke  an  die  Zusammen- 
gehörigkeit der  nordischen  Völker  lebendig  war.  Er  konnte  in  seinen 
alten  tagen  aussprechen:  'Ich  habe  zunächst  und  vor  allem  mit  dem 
gedanken  an  mein  geliebtes  Vaterland  gearbeitet,  aber  mit  dem  bewusst- 
sein,  dass  ich,  wenn  ich  etwas  ausrichten  könnte,  zugleich  für  den 
ganzen  Norden  arbeitete.'  Bei  Bugge,  dem  impulsiven,  warmherzigen 
manne  der  tat,  setzte  sich  der  skandinavistische  gedanke  in  tätigkeit 
um.  Er  nahm  teil  an  der  gründung  des  Ärhiv  for  iiordisk  fdologi  und 
gehörte  zum  redactionscomite  dieser  Zeitschrift  sowol  wie  zu  dem  von 
Nordisk  tidsskrift  for  ßlologi.   Er  gehörte  auch  zu  den  begründern  der 

1)  Bugges  reden:  Oni  sprogstriden  und  Oni  samhold  i  Norden  smdi  ühgeArwGkt 
in  den  Populfcr-videnskabeligc  foredray. 

2)  Popidcer-videnskabelige  foredrag  s.  134. 


SOPHUS    BüfiGK  173 

nordischen  philologenversammlungen.  Von  diesen  her  wird  man  Bugges 
gedenken  als  eines  der  stärksten  glieder,  die  die  philologen  des  Nordens 
zu  einer  geistigen  kette  vereinten,  und  es  war  nach  der  aui'liisung  der 
Union  im  jähre  1905  nicht  minder  stark  als  zuvor. 

Bagges  tätigkeit  war  vornehmlichst  dem  Norden  gewidmet,  und 
auf  heimischem  boden  erreichte  er  als  forscher  die  höchsten  ziele.  Die 
meisten  jähre  seines  au  äusseren  begebenheiten  armen  lebens  verbrachte 
er  in  (Jhristiania.  Nach  dem  Studienaufenthalt  in  Berlin  und  Kopen- 
hagen hatte  er  den  plan  auch  England  zu  besuchen,  wo  sein  vater  seine 
ausbildung  empfangen  hatte.  Es  wurde  aber  nichts  daraus,  da  er  bald 
ilarauf  (1869)  sich  verheiratete.  Seine  frau  war  Karen  Sophie  Schrei- 
ner (eine  Schwester  des  klassischen  philologen,  rectors  E.  Schreiner), 
die  er  10  Jahre  überlebte.  Nur  ein  paar  kurze  reisen  haben  Bugge  über 
die  grenzen  des  Nordens  hinausgeführt;  die  längste  unternahm  er  1897, 
wo  er  Italien  besuchte  und  starke  eindrücke  von  volk  und  land  von 
dort  heimbrachte. 

Bugge  besass  ein  starkes  und  lebendiges  naturgefühl.  Aus  dem 
üden  sandte  ej-  begeisterte,  farbenprächtige  briefe  nach  hause.  Mit  der 
natur  seines  landes  war  er  innig  verwachsen.  Wenn  der  frühling  kam, 
sehnte  er  sich  hinaus  nach  dem  fichtenwalde  und  der  birkenhalde,  und 
um  Johann is  pflegte  er  die  hauptstadt  zu  verlassen  und  den  gebirgsort 
(Tönset  in  ()sterdalen)  aufzusuchen,  w^o  er  eine  reihe  von  Jahren  hin- 
durch seinen  Sommeraufenthalt  nahm.  So  auch  im  letzton  sonnuer. 
Anscheinend  munter  und  frisch  reiste  er  ende  Juni  von  Christiania  ab 
und  setzte  auf  dem  lande  seine  arbeit  über  den  Rökstein  fort,  die  er 
beinahe  zum  abschluss  brachte.  Noch  am  29.  Juni  schrieb  er  an  einen 
Jüngeren  mitarbeiten  'Beständig  erwachen  bei  mir  neue  Vermutungen 
über  ...  die  Rökinschrift'.  Aber  in  der  folgenden  nacht  ward  er  von 
einem  hirnschlage  getroffen,  der  nach  verlauf  einer  woche  den  tod  herbei- 
führte. Mit  wilden  feld-  und  gebirgsblumen  geschmückt  langte  sein 
sarg  in  Christiania  an,  wo  er  auf  kosten  des  Staates  beigesetzt  wurde 
—  die  höchste  ehre,  die  unser  land  einem  grossen  söhne  erweisen  kann. 

Bugges  narae  wird  in  seinem  vaterlande  und  überall,  wo  man  die 
denkmäler  nordischen  geisteslebens  erforscht,  niemals  vergessen  werden, 
seine  werke  werden  noch  für  lange  zeiten  ihren  einfluss  auf  nach- 
kommende geschlechter  ausüben.  Wir,  die  wir  ihn  kannten  und  ihm 
nahe  standen,  werden  ihm  für  immer  ein  treues  und  dankbares  an- 
denken  bewahren.  Füir  vrr6n  nu 

[(fdäir  jtfiin   Ixln. 

CIIKISTIA.NIA.  MAO.NliS    UlJiJiN. 


174 


DAS   EUNENDENKMAL   VON   BRITSUM  IN  FEIESLAND^ 

Der  gegenständ,  dessen  runen  hier  behandelt  werden  sollen,  wurde 
im  tebruar  1906  gefunden  und  kam  im  miirz  1900  in  das  friesische 
museum  zu  Leeuwarden. 

Er  wurde  in  der  grossen  Terp  zu  Britsum  7  kilometer  nördlich 
von  Leeuwarden,  ca.  lo  fuss  tief  in  der  erde  gefunden,  'dicht  bij  den 
weg  voor  de  woning  van  den  terpbaas';  ungefähr  50  schritte  im  nw. 
des  kirchturms  von  Britsum.  Es  ist  ein  hölzernes  Stäbchen,  12,5  cm 
lang.  Dies  Stäbchen  ist  viereckig  wie  ein  balken,  es  hat  zwei  breite 
und  zwei  schmale  selten.  Auf  den  beiden  breiten  selten  sind  runen 
eingeritzt.     Von  der  Inschrift  der  einen  seite  (II)  fehlt  rechts  ein  stück 


itil' 


Ia|11ia| 


^ir^i^: 


(auf  welchem  vielleicht  3  zeichen  gestanden  haben)  wahrscheinlich  da, 
wo  das  holz  vom  spaten  getroffen  und  zersplittert  worden  ist.  Sonst 
ist  der  gegenständ  vollständig  erhalten.     Die  form   sämtlicher  zeichen 

[1)  Die  vorstehende  abhandlung  wurde  mir  in  den  letzten  eigenhändigen  zeilen, 
die  ich  von  Sophus  Bugge  erhielt  (datiert  Tönset.  2. juli  1906)  —  die  grossen  un- 
gefügen buchstaben  verrieten  deutlich  die  traurige  abnähme  seiner  Sehkraft  —  für  die 
Zeitschrift  augeboten  und  selbstverständlich  mit  herzlichem  danke  augenommen.  Sie 
ist,  wie  mir  Bugges  langjähriger  treuer  helfer  und  mitarbeiter,  herr  universitäts- 
stipeudiat  Magnus  Olsen,  mitteilt,  gleich  nach  der  auffindung  der  ßritsumer  runen 
im  frühling  1906  in  deutscher  spräche  niedergeschrieben  worden  und  im  herbst  des- 
selben Jahres  noch  durch  einige  abschliessende  berichtigungen  und  nachtrage  ergänzt. 
Nur  ein  paar  kurze  notizen  auf  losen  blättern  waren  nacli  dem  tode  des  Verfassers  weiter 
auszuführen;  sie  sind  von  M.  Olsen  in  eckigen  klammorn  dem  texte  eingefügt.  Auch 
einige  verweise  (gleichfalls  in  eckigen  klammern)  rühren  von  M.  Olsen  her.  Sonst 
sind  von  ihm  in  dem  manuscripte  nur  solche  —  ganz  unbedeutende  —  änderungen 
vorgenommen,  die  sicher  dem  wünsche  des  Verfassers  entsprochen  hätten  (so  z.  b. 
s.  182  eine  berichtigung  von  Bugges  angaben  über  die  anzahl  der  striche  der  haupt- 
und  nebenstäbe).  Meine  eigene  tätigkeit  beschränkte  sich  auf  die  —  von  Bugge  selbst 
gewünschte  —  stilistische  nachbesserung  des  deutschen  ausdrucks.     H.  G.j 


DAS    RUNENDF.NKMAI.    VON    BRITSÜM    TN    FRIKSLAND  175 

ist  vollständig  sichei'.  Im  jähre  1905  wurde  auf  derselben  seite  der 
Terp  ein  stück  eines  schiffes  gefunden,  das  so  gross  als  'een  flinke 
friesche  praam'  war.  Dies  schift'  lag  ca.  60  schritte  im  nw.  des  kirch- 
turms.  Nur  wenige  meter  trennen  die  fundorte  beider  gegenstände  von- 
einander; es  fehlt  aber  ein  sicherer  beweis  dafür,  dass  eine  beziehung 
zwischen  dem  schiffe  und  dem  runenstäbchen  stattfinde. 

Herr  dr.  jur.  P.  C.  J.  A.  Boeles,  der  conservator  des  Leeuwardener 
museums,  hat  die  runeninschrift  in  der  schrift:  „De  Terp  te  Britsum 
eri  de  runen-inscriptie  (Overgedrukt  uit  het  'Bulletin  van  den  Neder- 
landschen  Oadheidkundigen  Bond')''  herausgegeben.  Vgl.  ferner  Boeles, 
„Een  nieuwe  runen-inscriptie,  gevonden  in  Frie.sland  (Overgedrukt  uit 
'De  Nederlandsche  Speclator",  190G,  Nr.  18)",  woselbst  auch  (s.  3)  ein 
brief  von  professor  L.  W  immer  über  die  runeninschrift  abgedruckt  ist. 
Den  sorgfältigen  angaben  des  herrn  Boeles  verdanke  ich  die  oben  wider- 
gegebenen mitteilungen.  Auch  die  meinem  aufsatze  beigefügte  Zeich- 
nung ist  seiner  schrift  entlehnt. 

Boeles  und  Winimor  heben  hervor,  dass  die  runenformen  mit 
denjenigen  der  magischen  Inschriften  auf  dem  Kragehuler  lanzenschaft 
(Fünen)  und  der  Lindholmer  schlänge  (Schonen)  besondere  ähnlichkeiten 
aufweisen,  und  sie  bezeichnen  die  Britsumer  Inschrift  als  eine  magische. 
Nach  Wimraer,  dem  Boeles  beistimmt,  haben  die  runen  des  Stäbchens 
keine  sprachliche  bedeutung.  Boeles  hält  es  nicht  für  unwahrschein- 
lich, dass  das  holzstäbchen  von  einem  dänischen  oder  schwedischen 
manne  nach  Friesland  gebracht  worden  ist. 

Auch  mir  scheint  die  Britsumer  Inschrift  magischen  Inhalt  zu 
Ilaben.  Ich  halte  jedoch,  im  gegensatz  zu  Wimraer  und  Boeles,  die 
Inschrift  für  friesisch  und  meine,  dass  die  runen  sprachliciie  bedeu- 
tung besitzen.     Im  folgenden  versuche  ich  diese  auffassung  zu  begründen. 

Die  Stäbe  der  runenzeichen  bestehen  seltener  aus  einfachen,  häu- 
tiger aus  mehreren  (parallel  laufenden)  strichen.  Darüber  wird  im  fol- 
genden näheres  mitgeteilt  werden.  Wo  ich  die  runen  widergebe,  wende 
ich  jedoch  aus  typographischen  rücksichten  runenzeichen  mit  einfachen 
strichen  an.     Die  runen  sind  die  der  älteren,  längeren  reihe. 

Diejenigen  runen,  welche  die  erste  zeile  der  Inschrift  bilden,  haben 
die  richtung  von  links  nach  rechts.  Ich  bezeichne  diese  reihe  als  l. 
Die  runen  der  seite  II  haben  die  richtung  von  rechts  nach  links.  Bei 
der  widergabe  der  runen  der  seite  II  wende  ich  aus  typographischen 
rücksichten  die  runen  nach  rechts.  Obgleich  die  lesung  von  I  an- 
fangen muss,  beginne  ich  die  »bnitung  mit  U.  weil  di(^  lesung  und 
dnutung  tiieser  seite  leichter  ist. 


1 76  BUGGK 

Die  zwei  letzten  runen  (II  7  —  8)  sind  M|  mi.  üass  dies  iiii 
ein  eigenes  wort  bildet,  ist  von  vorn  herein  wahrscheinlich,  weil  die 
vorausgehende  riine  M  <l  '^t-  In  mi  erkenne  ich  altfries.  iin  'mich'. 
Diese  deutung  liegt  sehr  nahe,  weil  es  gewöhnlich  ist,  dass  ein  beweg- 
licher gegenständ,  der  mit  einer  Inschrift  versehen  ist,  in  derselben  als 
'ich',  in  der  ersten  person  spricht.  Ich  führe  einige  beispiele  hierfür 
an.  Auf  einer  in  Northumberland  gefundenen  fibula  findet  sich  die 
luneninschrift;  gii(lr[i]d  mec  woiiift|e  telchfrith  luec  a[h]  'Gudrid 
mich  machte;  .Elchfrith  mich  besitzt'.  Ein  fingerring  hat  zum  teil  mit 
runen  die  angelsächsische  Inschrift:  iedred  mec  ah  eaiired  mec  agrof. 
Auch  in  nordischen  Inschriften.  So  mit  älteren  runen  auf  der  fibula 
von  Etelhem,  Gotland:  mk  mrla  wrta  'mich  Marila  verfertigte:  Auf 
einem  norwegischen  schilde  aus  dem  mittelalter:  kmiiiai*  g-aM*])!  mik 
hihi  a  mik  'Gunnarr  verfertigte  mich;  Helgi  besitzt  mich'.  Die  letzt- 
genannte Inschrift  hat,  wie  wir  sehen  werden,  dieselbe  Wortfolge  wie 
die  Britsamer. 

Wenn  mi  'mich'  bedeutet,  muss  dies  'mich'  das  object  eines 
vorausgehenden  verbs  sein. 

Dass  das  vorausgehende  wort  mit  II  2  anfängt,  wird  durch  das 
vor  dieser  rune  stehende  trennungszeichen  angedeutet. 

11  2  ist  ^  b.  II  3  hat  die  form  p.  Dies  zeichen  findet  sich  auch 
II  5  und  1  2.  Wimmer  liest  dies  zeichen  als  k  oder  vielleicht  als  f ;  Boeles 
als  k.  Ich  kann  weder  der  einen  noch  der  andern  lesung  beistimmen. 
Wo  die  runenzeichen  der  Britsamer  Inschrift  mit  den  in  andern  In- 
schriften vorkommenden  zeichen  wesentlich  übereinstimmen,  lassen  sich 
die  runenverbindungen  der  Britsumer  Inschrift  geradezu  aussprechen. 
So  13  —  13  iiiaberetdud  und  II  7  — 8  mi.  Die  Vermutung,  dass  p  k 
oder  f  bezeichne,  bildet  die  einzige  grundlage  für  die  annähme,  dass 
die  Inschrift  unaussprechbare  runenverbindungen  enthalten  sollte.  Da 
lum  k  und  f  in  den  mit  den  runen  der  längeren  reihe  geschriebenen 
inschriften  regelmässig  eine  andere  form  als  p  haben,  so  scheint  es  mir 
klar,  dass  p  weder  k  noch  f  bezeichnen  kann.  Man  muss  für  dies 
runenzeichen  vielmehr  eine  bedeutung  suchen,  bei  welcher  diejenigen 
Verbindungen,  in  denen  es  vorkommt,  sich  aussprechen  lassen,  d.  h.  p 
muss  ein  vocalzeichen  sein. 

11  4  liest  Boeles  als  u.  Wimmer  als  u  oder  r.  Das  zeichen  ist 
von  der  u-rune  I  12  darin  verschieden,  dass  der  seitenstab  unten  eine 
schräge  richtung  nach  innen  hat.  Ich  habe  daher  (unabhängig  von 
Wimmer)  für  II  4  die  lesung  als  r,  nicht  als  ii  angenommen.  II  2  —  6 
also  h*r*d,  und  nach  dem  vorher  bemerkten  muss  II  3  und  5,  das 


DAS    RUNEXDENKMAL    VüX    BRITSÜM    IN    FRIF.SLAND  177 

ich  vorläufig  durch  >■  widergegeben  habe,  ein  vocalzeichen  sein.  Den 
möglichen  Ursprung  des  Zeichens  II  3  und  5  werde  ich  erst  später  be- 
sprechen. Allein  der  sprachliche  Inhalt  der  Inschrift  zeigt  uns,  dass 
das  zeichen  einen  i-laut  oder  einen  e-laut,  der  von  den  durch  die 
i-unen  |  i  und  M  ^  bezeichneten  lauten  verschieden  ist,  bezeichnen  muss. 
ich  transscribiere  II  3  und  .ö  durch  i.   Vor  mi  lese  ich  also  II  2  —  6  hirid. 

Wir  haben  bereits  gesehen,  dass  in  diesem  worte  ein  verbum 
stecken  muss.  Ich  deute  es  als  präs.  .'>.  pers.  sing,  indic.  'trägt'.  Das 
i  der  ersten  silbe  ist  umlautsvocal.  Das  schliessende  d  bezeichnet  die 
Spirans  Ö;  im  altfries.  schreibt  man  th.  Die  entsprechende  altlVies.  form 
ist  berfh  'trägt'.  Die  in  der  Inschrift  vorkommende  form  ist  ursprüng- 
licher, sowol  durch  die  erhaltung  des  vocals  der  zweiten  silbe  als  durch 
den  uralaut  der  ersten  silbe.  In  beiden  hinsichten  steht  ihr  die  ags. 
form  biie/)  nahe. 

Vor  bind  ist  ein  trennungszeichen,  das  aus  7  punkten  besteht. 
Davor  muss  als  subject  ein  personenname,  der  name  des  besitzers,  am 
anfang  von  II  gestanden  haben,  allein  davon  ist  jetzt  nur  die  letzte 
rune  (11  1)  -f  ii  übrig.  Der  name  hat  aus  nicht  mehr  als  5  runen  be- 
standen; allein  es  ist  möglich,  dass  ihrer  weniger  waren.  Der  name 
hat  kein  merkmal  des  nominativs. 

Ich  lese  und  deute  also  II  so,  indem  ich  das  trennungszeichen 
zwischen   II    1    und  2  nicht  widergebe: 

^  *  *  *  11  birid   mi 
„N.  N.  trägt  mich." 

Die  endung  des  personennamens  stimmt  mit  der  eigentümlich- 
keit  des  altfries.  überein;  vgl.  z.  b.  /krn.  Das  schliessende  -//  zeigt 
(wie  auch  die  anderen  Wertformen  der  seite  11),  dass  die  spräche  der 
Inschrift  nicht  die  der  urnordischen  runeninschriften  sein  kann. 

Durch  die  Inschrift  der  seite  II  hai)en  wii'  die  folgenden  ergeb- 
nisse  gewonnen: 

1.  Die  spräche  der  inschrift  ist  altfriesisch,  nicht  nordisch. 

2.  Die  rune  p  bezeichnet  ein  kur/.es  /,  das  wol  einem  geschlossenen 
'   nahe  liegt.     Ich  transscribiere  i. 

3.  Die  rune  II  4  bezeichnet  r,  nicht   ii. 


Hieiiiarli   transscril)iei'e   ich  die   Inschrift  I: 

|>'iiii:ib4'retdud 
Als  das  erste  wort  von    I  trennte    ich    zuerst   I  —  4    |)iiii   ab    uml 
deutete   dies  als   acc.  sg.  ra.   'diesen'.      Allein   dabei   erweckt  4    -i   bc- 

ZKIT.SCHRIKT    F.     KKUTHCllH    PHII-Orj/ciK..        Hl).     VI..  1'2 


1 1 8  nuGOE, 

denken.  Denn  diese  rune  bezeichnet  in  II  ein  langes  7,  und  die  in- 
schrift  hat  sonst  für  kurzes  /  eine  andere  rune.  Eine  form  ^pinl  für 
'diesen'  würde  ich  nicht  sicher  erklären  können.  Daher  trenne  ich 
jetzt  als  das  erste  wort  I  1  —  3  |)in  ab.  Dies  deute  ich  als  den  acc. 
sg.  m.  des  demonstr.  pronomens,  'diesen".  Als  altfries.  tbrmen  finden 
sich  tili)!,,  thine,  then,  thene. 

II  4  i  deute  ich  als  ein  Substantiv  im  acc.  sg.  ra.  ~i  =  ags.  iw, 
eoiv,  eoh  m.  'eibe'. 

i  'eibe'  muss  dann  hier  das  eibene  Stäbchen  bezeichnen.  Ebenso 
bedeutet  altnorw.  ?/r  'eibe',  allein  auch  'bogen'  (eigentl.  eibener  bogen)'; 
askr  'esche',  auch  'lanze',  'kleines  schiff',  'kleines  gefäss'  (aus  eschen  holz). 

Als  das  dritte  wort  trenne  ich  I  5  a  ab.  Dies  deute  ich  als  ä 
'immer'.  Es  entspricht  dem  ags.  d  'immer'.  Im  altfries.  wird  *ä  durch 
7iä  'nimmer'  vorausgesetzt. 

Als  das  vierte  wort  trenne  ich  I  6  —  8  her  ab.  Boeles  hat  R.  8 
als  u  gelesen.  Allein  die  lesung  r  (welche  auch  Wimmer  vorschlägt) 
scheint  mir  sowol  der  runenform  als  des  sinnes  wegen  gesichert,  bei" 
deute  ich  als  imperat.  2.  pers.  sing,  'trage!'  II  2  —  6  bfrid  ist  das 
präs.  indic.  desselben  verbums.  In  runeninschriften  wird  der  leser  nicht 
selten  durch  einen  imperativ  angeredet.  Z.  b.  ral)u  riinaR  Brate  und 
Bugge,  Runverser  nr.  72. 

I>iii  i  'diese  eibe  (dies  eibene  Stäbchen)'  bezeichnet  den  gegen- 
ständ, auf  dem  die  runen  geschrieben  sind.  l)in  i  ist  das  object  des 
verbs  ber. 

Auf  die  deutung  von  piii  i  als  'diese  eibe  (dies  eibene  Stäbchen)' 
war  ich  gekommen,  als  ich  die  holzart  des  Stäbchens  noch  nicht  kannte. 
Später  teilte  mir  herr  dr.  Boeles  gütigst  mit,  dass  das  Stäbchen  wirk- 
lich aus  eibenholz  ist. 

Als  das  fünfte  wort  trenne  ich  I  9  — 10  et  ab.  et  ist  die  alt- 
fries. form,  welche  dem  altnord.  adv.  (und  präpos.)  at  entspricht.  Ich 
fasse  hier  et  als  'darin',  d.  h.  in  dem  mit  runen  beschriebenen  eibenen 
Stäbchen.  Ungefähr  in  derselben  weise  ist  ags.  cet  an  der  folgenden 
stelle  angewendet:  ic  ml  mt  fecunmi  wordum  secge  'ich  sage  jetzt  in 
wenigen  werten',  siehe  Bosworth- Toller,  et  steht  hier  als  adverb  ohne 
ein  davon  regiertos  wort,  wie  häutig  altnorw.  at. 

Das  sechste  und  letzte  wort  von  I  wird  von  11  — 13  gebildet: 
(lud.  Dies  ist  wol  jedesfaUs  (wie  professor  A.  Torp  meint)  eine  form, 
die  zu  dem  germ.  verbum  'taugen'  gehört. 

dud  ist  wahrscheinlich  s.  v.  a.  altfries.  iluged  'tugend'.  Für  das 
fehlen  des  y   in  dud  'tugend'    vgl.  im   folgenden   lid   'liegt',    welches 


DAS    RTJNKITOKNKMAI.    VON'    RRITSTT]M    IN    KRIKSLAXD  179 

jedoch  nicht  völlig  analog  ist.  Vgl.  auch  altsächs.  -  hüdig  =  -  hugdig. 
Man  sollte  für  dies  Substantiv  die  form  *dugud  erwarten.  Auch  in  den 
neufries.  mundartlichen  formen  findet  sich  ein  g.  , Tugend'  ist  wol 
hier  als  'wunderbare  eigenschaft'  aufzufassen,  wie  z.  b.  altschwed.  ^//^Ä^ 
'übernatürliche  kraft'  bedeuten  kann. 

^ach  dem  vorhergehenden  lese  ich  die  inschrift  I  mit  worttren- 
nung  folgend erraassen:  J)iii  i  a  ber  et  (lud.  Hierin  fehlt  ein  verbum, 
dessen  subject  das  Substantiv  (lud  ist  und  zu  dem  das  adverb  et  gehört. 
Dies  verbum  finde  ich  auf  der  einen  schmalen  seite  des  Stäbchens  ge- 
schrieben. Hier  sind  rechts  einige  zeichen  eingeritzt,  die  nicht  zu  den- 
jenigen runen  der  einen  breiten  seite,  die  durch  den  spaten  des  finders 
zerstört  wurden,  gehört  haben. 

Die  zeichen  der  schmalen  seite  sind  nicht  runen.  ISTach  der  Zeich- 
nung möchte  ich  vielmehr  lateinische  buchstaben  darin  sehen.  Ich 
lese:  LID,  nach  rechts  gewendet.  Diese  buchstaben  bilden  nach  meiner 
Vermutung  die  fortsetzung  der  inschrift  I. 

[Auch  auf  angelsächsischen  denkmälern  finden  sicii  bisweilen  runen 
und  lateinische  buchstaben  in  derselben  inschrift  oder  auf  demselben 
gegenständ  (Stephens,  Runic  monuments  I,  s.  453,  461).  Vgl.  auch 
S.  Bugge,  Aarböger  for  nordisk  oldkyndighed  1905,  s.  252.] 

lid  deute  ich  als  präs.  indic.  3.  pers.  sing,  'liegt'.  Dies  wird 
altfries.  /////  und  (igth  geschrieben.  In  lid  bezeichnet  das  lateinische  D 
die  Spirans  b,  die  in  der  inschrift  zweimal  durch  die  mit  einfachen 
striciien  geschriebene  rune  d  bezeichnet  ist. 

lid  'liegt'  ist  das  verbum  zum  subjecte  (lud.  Es  ist  hier  in 
übertragener  bedeutung  angewendet,  et  (lud  lid  'darin  liegt  fügend', 
d.  h.  darin  ist  wunderbare  kraft  enthalten  (oder  verborgen).  Vgl.  nhd. 
'der  fehler  liegt  aber  gewiss  nicUt  an  der  sache';  'da  liegt's'  (um  den 
kernpunkt  einer  sache  zu  bezeichnen):  Deutsches  wtb.  VI  1013  — 14. 

l>in  i  a  l)er  et  dud  LID 

Dies  denke  ich  mir  so  ausgesprochen: 
püi  '7  ü  berf 
et  düä  llh. 
Ich    übersetze:   'Trage  immer   diese  eibe  (d.  h.   dies    Stäbchen 
aus  eibenliolz)!    Darin  liegt  fügend  (d.  h.  darin  ist  wunderbare  kraft 
verborgen) '. 

Die  inschrift  besteht  aus  zwei  durch  allitteration  verbundenen 
rhythmischen  gliedern;  das  erste  ist:  />m  t  ü  her,  das  zweite  el  düd  liü. 
7  und  ü  bilden  mit  ei  allitteration.  Der  runenmeister  hat,  wie  es 
scheint,   den   schliiss   des   ersten    rhythmischen  gliedes   und  den  unlang 

12* 


1 80  BüGaK 

des  zweiten  dadurch  bezeichnen  wollen,  dass  er  er  und  o  im  gegen- 
satz  zu  den  umstehenden  runenzeichen  mit  einfachen   strichen  schrieb. 

Der  runenmeister  schreibt  zugleich  das  auslautende  cl,  das  spiran- 
tisch ausgesprochen  w^irde,  nur  mit  einfachen  strichen,  sowol  I  13  als 
II  6.  Dagegen  schreibt  er  die  rune  d,  wo  sie  das  anlautende  und 
wol  als  explosivlaut  gesprochene  d  bezeichnet,  mit  mehreren  strichen 
(die  hauptstäbe  mit  5  strichen,  die  mittelstäbe  mit  3  strichen). 

[Eine  ähnliche  differen zierung  findet  sich  in  der  Inschrift  mit 
runen  der  längeren  reihe  auf  einem  goldenen  brakteaten  aus  Overhorn- 
ba^k,  Jütland  (Stephens  nr.  28).  Hier  hat  nach  der  deutung  Magnus 
Olsens  (Aarböger  for  nordisk  oldkyndigiied  1907  s.  42fg.)  das  zeichen  |>, 
das  eine  differenzierung  von  ^  ist,  den  lautwert  J>,  während  die  rune  f> 
die  entsprechende  stimmhafte  spirans  d  bezeichnet.] 


In  keiner  anderen  Inschrift  habe  ich  das  runenzeichen  p  gefunden, 
welches  in  der  Britsumer  Inschrift  dreimal  vorkommt:  I  2,  II  3,  II  5. 
Ich  habe  dasselbe  durch  i  widergegeben.  Es  bezeichnet  nach  meiner 
Vermutung  ein  kurzes  /,  das  einem  geschlossenen  e  nahe  liegt.  Über 
die  eutstehung  des  Zeichens  kann  ich  nur  Vermutungen  äussern.  Viel- 
leicht ist  es  eine  differenzierung  von  |  i.  Der  an  |  i  gefügte  seiten- 
strich  ist  vielleicht  von  dem  mittelstrich  oben  in  [^  o  übertragen. 
Nach  einem  ähnlichen  prinzipe  scheint  angelsächs.  ^  ea  aus  M  e  und 
^  a  gebildet.  ^  Ob  p  als  das  runenzeichen  für  i  ein  in  Friesland  erfun- 
denes und  für  Friesland  eigentümliches  runenzeichen  gewesen  ist,  lässt 
sich  für  jetzt  nicht  entscheiden.     Ich  halte  dies  aber  für  wahrscheinlich. 

Auch  in  einer  mit  den  runen  der  längeren  reihe  geschriebenen 
Inschrift  eines  dänischen  brakteaten  findet  sich  ein  runenzeichen,  das 
einen  mittellaut  zwischen  i  und  e  bezeichnet;  siehe  Aarböger  1905 
s.  228 fg.  Allein  dies  zeichen  hat  zu  dem  zeichen  der  Britsumer 
Inschrift  keine  historische  beziehung. 

Die  runenschrift  von  Britsum  hat  ausser  dem  zeichen  für  i  andere 
weniger  hervortretende  eigentümlichkeiten,  die  sich  in  den  am  nächsten 
verwandten  runeninschriften  nicht  wiederfinden.  So  die  form  der  r-rune; 
ferner  das  aus  7  kleinen  strichen  bestehende  trennungszeichen. 


Schon  früher    sind  einige  runeninschriften   in  Friesland  gefunden 
woiden.    Bei  Ar  um  in  West- Friesland,  unweit  Harlingen  in  südöstlicher 

])  In  eirilaR  in   den   norwegischen   iuschriften   von   Vebhmgsnes  und  By  be- 
zeichnet ei  einen  kurzen,  aus  e  durch  den  eintluss  eines  folgenden  ^  umgelauteten  vocal. 


DAS    RrNENPENKMAL    VON    BRITSUM    IN    l-RrESLAND  181 

lichtimi;-,  wurde  ein  kleines  eibenes  schwer!  mit  einer  inschrit't  in 
riiuen  der  längeren  reihe  gefunden.  Diese  insehrift  ist  von  P.  C.  J.  A. 
Boeles  in  '71ste  verslag  der  handelingen  van  het  Friesch  genootschap 
te  Leeuwarden'  1898  —  99  s.  41tgg.  herausgegeben  worden,  später  von 
demselben  in  De  Vrije  Fries,  XX.  4e  reeks,  2e  deel,  atl.  2.  Die 
Ammer  runen  sind  wol  so  zu  lesen: 

M  M  fi  i  ^  f5^  M  F: 
('  (l  a    b  0  (l  a 

Ein  kleiner  strich,  der  von  der  mitte  des  oberen  seitenstriches 
der  letzten  rune  nach  oben  geht,  ist  wol  bedeutungslos. 

Nicht  weit  von  Harlingen  ist  ein  goldenes  medaillon  mit  In- 
schriften auf  beiden  selten  gefunden  worden.  Die  Inschriften  bestehen 
teils  aus  lateinischen  buchstabon ,  teils  aus  runen  der  älteren  reihe. 
Eine  Zeichnung  dieser  runeninschrift  findet  sich  bereits  bei  Stephens, 
Runic  monuments  II  s.  554fg.,  nr.  58.  Nach  der  genauen  kopie  bei 
Boeles  in  seiner  letztgenannten  abhandlung  sind  die  runen 

W  ^  M  ^^ 

h  a  (I  a  (nicht:  hama). 

Die  Arumer  Inschrift  und  die  Harlingener  Inschrift  weichen  u.  a. 
dadui'ch  von  der  Britsumer  Inschrift  ab,  dass  sie  specielle  berührungen 
mit  dei'  angelsächsischen  runenschrift  zeigen.  Die  Arumer  Inschrift 
hat  1^  o,  die  Harlingener  Inschrift  zweimal  ^i'  a  und  die  li-rune  mit 
zwei  mittelstrichen.  Die  Britsumer  Inschrift  hat  das  ältere  zeichen  |5 
für  a.  Auch  in  der  Arumer  Inschrift  bedeutet  fi  wahrscheinlich  a. 
Die  Inschriften  von  Arum  und  Harlingen  sind  daher  gewiss  jünger  als 
die  von  Britsum. 

Die  Arumer  Inschrift  enthält  vielleicht  einen  mannesnamen  Eda- 
l)(>(l(i ,  aus  '■^'Amldhoda,  dci'  mit  dem  namen  Aiithodo  (Cod.  Laur.  aus  dorn 
sten  jahrh.)  identisch  ist.  Allein  der  umstand,  dass  urgerm.  an  im  Altfries. 
zu  ä  wird,  erweckt  hiegegen  bedenken.  Denn  es  wäre  bedenklich,  die 
insehrift,  welche  *Eda-boda  enthielte,  irgend  einer  anglischen  mundart 
zuzuweisen.  Der  name  ist  daher  wol  eher  als  Edaboda  aufzufassen, 
dessen  vorderglied  mit  den  namen  auf  Ed-,  Id-  bei  Förstemann  zu- 
sammengehört, ('da  i  boda  gibt  gewiss  den  besitzer  des  oibcnen 
Schwertes  an. 

Es  ist  ni(;iit  zulällig,  dass  das  vVrumer  schwort  wie  das  Britsumer 
Stäbchen  aus  eibcnholz  ist.  Beide  sind  amuleto.  Dafür  ist  auch  die 
holzart  bedeutsam,  denn  oibonhol/  schützt  vor  ho.von  (E.  H.  Meyer, 
Mythologie  s.  8(5). 


182  BUCfOE 

Die  Britsumer  Inschrift  teilt  mit  der  Äriimer  Inschrift  einzelne 
andere  Übereinstimmungen,  die  kaum  zufällig  sind.  Die  seitenstriche 
der  b-rune  sind  in  beiden  voneinander  getrennt.  Beide  Inschriften 
haben  einmal  ein  trenn ungszeichen,  das  aus  vielen  kleinen  strichen 
besteht  (Britsum  aus  7,  Arum  aus  5). 

Das  kleine  Arumer  schwert  beweist,  das  die  Verbreitung  der  älteren 
runen  nach  Friesland  sich  nicht  nur  darauf  beschränkte,  dass  ein  ein- 
zelner mann,  von  dem  die  Britsumer  runen  herrühren,  die  kunst,  runen 
einzuritzen,  kannte. 

Das  Britsumer  denkmal  hat,  was  die  anbringung  der  runen  und 
die  weise,  in  welcher  diese  geritzt  sind,  anbetrifft,  viele  und  specieile 
Übereinstimmungen  mit  den  runendenkmälern  aus  Kragehul,  Fünen 
(einem  lanzenschafte  und  einem  messerhefte);  ferner  mit  der  beinernen 
schlänge  aus  dem  Lindholmer  moore.  Schonen;  endlich  mit  dem 
beinstücke  aus  Ödemotland  im  südwestlichen  Norwegen.^ 

Eine  wesentliche  Übereinstimmung  des  Britsumer  denkmals  mit 
den  runendenkmälern  von  Lindholm  und  Ödemotland  besteht  darin, 
dass  jenes  wie  diese  ein  amulet  ist  und  eben  durch  die  runen  zu 
einem  amulete  gemacht  wird. 

Ferner  stimmt  das  Britsumer  denkmal  mit  dem  Kragehuler  lanzen- 
schaft  und  mit  der  Lindholmer  schlänge  darin  überein,  dass  die  runen 
und  besonders  die  hauptstäbe  derselben  mit  mehreren  strichen  geschrieben 
sind.  In  der  Britsumer  Inschrift  sind  die  runen  (mit  einigen  oben 
genannten  ausnahmen)  mit  mehreren  strichen  geschrieben:  die  meisten 
hauptstäbe  mit  5  oder  6,  die  nebenstäbe  zum  teil  mit  wenigeren  strichen. 
Dadurch,  dass  die  runenzeichen  mit  mehreren  strichen  geschrieben 
sind,  soll  gewiss  die  magische  Wirkung  der  runen  verstärkt  werden. 
Auf  der  Lindholmer  schlänge  haben  die  runen  in  der  regel  3  striche, 
auf  dem  Kragehuler  lanzenschaft  2  —  4,  zuweilen  auch  nur  einen.  Der 
beinerne  gegenständ  von  Ödemotland  im  südlichen  Norwegen  ist  ein 
amulet,  das  dem  amulete  von  Lindholm  nahe  verwandt  ist  (Norges 
indskrifter  med  de  öoldre  runer  s.  268fg.).  Auf  dem  amulete  von  Ödemot- 
land sind  die  runen  mit  2  oder  8  strichen  geschrieben.  Diese  Inschrift, 
welche  eine  nachbildung  dänischer  Inschriften  ist,  stammt  wahrschein- 
lich aus  dem  ende  des  7ten  Jahrhunderts. 

1)  Ausgilben  dieser  denkmäler  finden  sich  u.  a.  an  folgenden  stellen:  Krage- 
huler lanzenschaft,  "Wimmer,  Runenschrift,  s.  124;  Kragehuler  messerheft, 
Stephens,  Runic  monuments  I,  s.  317;  Lindholm,  Stephens  I,  s.  219;  Ödemot- 
land, S.  ßugge,  Norges  indskrifter  med  de  seldre  runer,  s.  244. 


DAS    EUNENÜENKMAL    VON    }?KlTSUiM    IN    l'JUESLAND  183 

In  der  kirche  von  ürncs,  Sogn,  im  westlichen  Norwegen  ist 
neuerdings  eine  runeninschrift  gefunden  worden,  die  bei  der  bosprechung 
der  mit  mehreren  strichen  geschriebenen  magischen  runen  aufmerksam- 
keit  verdient.  Die  inschrift  ist  auf  einem  8 eckigen  nage!  aus  kieferholz 
eingeritzt.  Die  runen  sind  von  links  nach  rechts  geschrieben.  Nach 
den  runenformen  vermute  ich  am  ehesten,  dass  die  inschrift  aus  dem 
!i.  Jahrh.  stammt  und  heidnisch  ist. 

Die  Urneser  inschrift'  hat  zuerst 

niinYiA' 

u  i  i  u  in  i  R 

mit  einfachen  strichen.  D.  h.  „ich  weihe  (die  runen)  mir  (zum  vor- 
teil)." Dann  folgen  mit  doppelten  strichen  die  runen  T/kK^  (die  dritte 
rune  undeutlich).  Endlich  der  oberteil  der  nicht  vollstiindig  eingeritzten 
rune  Y-  Diese  runen  t  R  k :  m  bilden  kein  vollstiindig  geschriebenes 
wort:  t  ist  wol  der  anfangsbuchstabe  im  namen  des  runenmeisters  und 
-R  das  mcrkmal  des  norainativs. 

Die  anwondung  mehrerer  runonstriche  in  magischen  inschriften  ist 
also  eine  sitte,  die  sich  durch  viele  Jahrhunderte  und  in  vielen  germa- 
nischen landschaften  erhalten  hat. 

Für  die  Zeitbestimmung  der  Britsuraer  inschrift  muss  auf  die  ähn- 
lichkeiten,  welche  die  runenzeichen  derselben  mit  denen  der  Inschriften 
von  Kragehul  und  Lindholm  besitzen,  rücksicht  genoinmen  werden. 
Die  Britsumer  inschrift  muss  etwas  jünger  als  die  inschrift  des  Krage- 
huler  lanzenschaftes  sein.  Wenn  diese  und  die  Lindholmer  inschrift  aus 
dem  anfang  des  5.  Jahrhunderts  sind,  mag  die  Britsumer  inschrift  aus 
dem  6.  jahrh.  stammen.  Auch  in  der  ausführung  der  runen  hat  das 
Ivragehuler  raesserheft  mit  dem  Britsumer  denkmale  viele  ähnlichkeit. 
Bei  der  b-rune  sind  auf  dem  lüesserhefte,  wie  auf  dem  Britsumer  Stäb- 
chen (so  namentlich  in  11),  die  seitenstäbe  voneinander  entfernt.  Die 
Übereinstimmung,  dass  die  runengruppe  aber  sowol  auf  dem  Kragehuler 
messerhefte  als  auf  dem  Britsumer  Stäbchen  (I  5  —  8)  vorkommt,  halte 
ich  für  zufällig,  aber  gehört  in  diesen  zwei  inschriften  verschiedenen 
Wörtern  an!^ 

Die  erwähnten  Übereinstimmungen  der  Britsumer  inschrift  mit 
diinischeii   runcninschrifton  können  nicht  sämtlich  zufällig  sein,  sondern 

(1)  Diese  inschrift  behandelt  S.  Buggc  ausführlich  in  dem  jalnesbürichte  ('Aars- 
beretniDg')  von  4^'orüningon  til  norsko  fortidsinindcsmarkers  bevaring'   1!)07.] 

[2)  Über  die  inschrift  des  Kragehuler  niesserheftes  vgl.  S.  Bugge,  Aarböger 
100.-^,  s.  16öfgg.| 


1 84  BOEK 

müssen  auf  einen  gewissen  Zusammenhang  hinweisen.  Ich  erkläre  dies 
so:  der  Friese,  der  die  Britsumer  runen  eingeritzt  hat,  übte  eine  kunst, 
die  auf  diejenigen  männer,  von  welchen  die  Kragehuler  und  die  Lind- 
holmer  Inschriften  herrühren,  oder  auf  männer  desselben  kreises  zurück- 
geht. Die  deukmäler  von  Kragehul  und  Lindholm  rühren  von  edeln 
Erulern  her.  Die  runen  des  Kragehuler  lanzenschaftes  und  diejenigen 
der  Lindholmer  schlänge  sind  wahrscheinlich  von  demselben  manne  ge- 
schrieben. Diese  kunst  der  erulischen  runenmeister  ist  aus  den  land- 
schaften  am  Schwarzen  meere  nach  Dänemark  übertragen  worden.  Die 
kunst  des  friesischen  runenmeisters  von  Britsum  muss  aus  dem  nord- 
osten  übertragen  sein. 

CHRISTIANIA.  SOPHUS    BUGGE   (f). 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER  DIE  HILDESAGE. 

(Fortsetziiug  statt  schluss.) 
§  S.  Die  killadon. 
Zunächst  kommen  zwei  miteinander  nahe  verwandte  lieder,  'ßibold 
og  Guldborg'  und  'Hildebrand  og  Hilde'  in  betracht.  Auf  ihr  Ver- 
hältnis zu  der  Helgisage  hat  schon  Grundtvig,  DGF  II,  340  und  Isl. 
fornkv.  I,  129  aufmerksam  gemacht;  Bugge,  Helgedigtene  s.  283  f gg. 
führt  den  gedanken  aus.  Dieser  Zusammenhang  ist  unverkennbar;  allein 
dass  das  kein  grund  ist,  sie  mit  Panzer  von  unserer  betrachtung  aus- 
zuschliessen,  wurde  oben  gezeigt.  Ein  Verhältnis  zu  der  Helgisage 
schliesst  ein  Verhältnis  zu  der  Hildesage  nicht  aus,  jenes  lässt  eher 
von  vorn  herein  auch  dieses  vermuten.  Nur  dann  würden  die  bailaden 
für  unsere  Untersuchung  wertlos  sein,  wenn  ihre  völlige  abhängigkeit 
vetn  der  Helgisage  in  der  überlieferten  gestalt,  d.  h.  von  den  uns  be- 
kannten Helgiliedern  bewiesen  wäre.  Wo  das  nicht  der  fall  ist,  können 
sie  Zeugnisse  für  die  Hildesage  sein,  und  das  wäre  sogar  auch  dann 
noch  möglich,  wenn  sich  eine  secundäre  beeinflussung  durch  die  Helgi- 
lieder  nachweisen  Hesse.  Ähnliche  complicierte  Verhältnisse  gehören 
bei  den  Volksliedern  nicht  zu  den  Seltenheiten.  So  haben  die  lieder 
von  Dietrich  und  seinen  beiden,  die  aus  einem  niederdeutschen  ge- 
dichte  stammen  und  also  ihrem  Ursprünge  nach  von  der  l^ibreks  saga 
unabhängig  sind,  dennoch  im  laufe  der  zeit  eine  reihe  von  zügen  aus 
dieser  saga  aufgenommen  ^ 

J)  Für  den  nachweis  dieses  Verhältnisses  s.  Arkiv  24,  139  fgg. 


UNTEESUCHÜNGEN   DBFK    niE    HILDESAGE  185 

Die  grundlage  der  beiden  balladen  ist  dieselbe.  Unterschiede 
bestehen  in  der  darstellungsweise  und  in  bestimmten  teilen  des  Inhalts. 
'Hildebrand  og  Hilde'  legt  die  erziililung  der  begebenheiten  der  frau 
in  den  mund.  in  'Ribold  og  Guldborg'  erzählt  der  dichter.  Das  ist 
natürlicher  und  einfacher  und  gewiss  auch  ursprünglicher;  natüi-lich 
folgt  daraus  nicht,  dass  dieses  lied  in  jeder  hinsieht  über  jenes  hinaus- 
geht. Beiden  gedichten  gemeinsam  ist  folgende  erzähl ung:  Ribold 
(Hildebrand)  entführt  Guldborg  (Hilde);  der  vater,  —  in  der  Kibold- 
vise  auch  der  bräutigam^  —  setzt  dem  räuber  nach;  ihn  begleiten  die 
brüder  der  frau.  Ribold -Hildebrand  bittet  seine  geliebte,  seinen  namen 
nicht  zu  nennen,  was  auch  geschehen  möge.  Es  kommt  zum  kämpfe, 
in  dem  der  entführer  alle  gegner  bis  auf  den  jüngsten  bruder  erschlägt; 
dann  aber  sagt  Guldborg-Hilde:  'Ribold  (Hildebrand),  schone  meinen 
jüngsten  bruder.'  Durch  dieses  wort  ist  der  zauber,  der  den  beiden 
schützte,  gebrochen,  und  er  empfängt  eine  tödliche  wunde. 

Diese  erzählung  lässt  sich  vollständig  auf  die  form  der  Hildesage, 
die  in  der  Helgidichtung  erhalten  ist,  zurückführen.  Kein  zug  dieser 
sagenform  fehlt  dem  dänischen  liede.  Und  nicht  weniger  bedeutsam 
ist  es,  dass  hier  kein  einziger  zug  aus  der  nicht  von  der  Hildesage 
beeintlussten  Helgisage,  wie  sie  in  den  prosaquellen  vorliegt,  begegnet. 
Ribold- Hildebrand  entspricht  Hebinn-Helgi,  Guldborg-Hilde  entspricht 
Hild-Sigrün,  der  vater  entspricht  H»,)gni,  der  nebenbuhler  HQ?ibroddr, 
wie  ihn  die  poetischen  quellen  auffassen,  der  jüngste  bruder  Dagr.  Wir 
haben  es  mit  der  s.  43  als  H3  bezeichneten  Überlieferungsform  zu  tun-. 
Diese  ist,  wie  sich  uns  ergeben  hat,  ein  spross  von  SH2,  und  dem 
•  ■ntspricht,  dass  die  liebe  der  jungen  leute  das  treibende  motiv  ist. 
•lungere  eleniente  von  SH,  —  das  Hjac^ningavig  (SH3),  und  was  sich 
weiter  daran  knüpft,  —  sind  auch  nicht  vorhanden.  Auf  selbständiger 
entwicklung  im  balladenstil  beruht  namentlich  der  zug,  dass  der  jüng.stc 
bruder  nicht  wie  in   der  Helgipoesie  frieden   erhält   und  nachher  dem 

1)  Dieser  fehlt  nur  iu  vereinzelten  redactionen. 

2)  Wenn  'Hildebrand  und  Hilde'  keinen  nebenbuhler  kennt,  so  kann  man  ent- 
weder annehmen,  dass  die.ses  lied  von  einer  vorsion  stammt,  die  den  nebenbuhler 
noch  nicht  eingeführt  hatte,  oder  da.ss  das  lied  einen  nebenbuhler  verloren  hat,  was 
bei  der  untergeordneten  rolle  dieser  gestalt  und  der  kurzen  darstellung  unserer  licder 
leicht  möglich  ist.  Ich  halte  diese  auffassung  für  die  richtige,  da  die  beiden  balladen 
sehr  nahe  miteinander  verwandt  sind,  und  wir  unten  noch  einer  etwas  ferner  ab- 
stehenden ballade  begegnen  werden,  die  dennoch  den  nebenbuhler  schon  kennt-  |hn 
entgegengesetzten  fall  müsste  die  s.  -l'A  aufgestellte  reihenfolge  l'ür  die  aufnähme 
neuer  motive  geändert  werden;  der  söhn,  di-r  den  vater  rächt,  wäre  dann  ültor  als 
der  nebenbuhler.     Denn  den  söhn  kennt  aui.'ii  •llildebraud  und  llilde.'l 


180  ROEK 

Sieger,  der  ihm  das  leben  geschenkt,  die  treue  bricht,  sondern  dass 
Ribold  -  Hildebrand  durch  zauber  hiebfest  ist,  und  dass  der  zauber 
durch  die  nennung  des  namens  —  ein  mittel  gegen  unholde  —  ge- 
brochen wird.  Hier  muss  zwischen  der  bitte  und  der  anrufung  unter- 
schieden werden.  Dass  die  frau  ihren  geliebten  um  Schonung  ihres 
bruders  bittet,  auch  das  wird  zwar  in  anderen  quellen  nicht  mit- 
geteilt, aber  wenn  Dagr  frieden  erhält,  so  geschieht  das  doch  natür- 
licherweise in  erster  linie  um  der  Schwester  willen,  deren  teilname 
an  dem  Schicksal  ihrer  verwandten  übrigens  zur  genüge  aus  Sigrüns 
schmerz  über  den  tod  des  vaters  und  der  brüder  hervorgeht.  Also 
wird  schon  eine  stufe  der  dichtung,  die  älter  als  unsere  bailaden  ist, 
die  bitte  der  frau  für  den  bruder  gekannt  haben.  Diese  bitte  wurde 
durch  ihre  gewährung  verhängnisvoll;  die  gemeinsame  quelle  der  beiden 
bailaden  aber  hat  das  indirecte  Verhältnis  zwischen  der  bitte  und  dem 
tod  des  entführers  zu  einem  directen  Verhältnisse  gemacht  und  dem 
Worte  selbst  eine  Zauberkraft  beigelegt,  die  es  ursprünglich  nicht  besass. 
Die  balladen  und  die  Helgidichtung  weisen  zusammen  auf  eine  über- 
lieferuugsform  zurück,  in  der  die  frau,  obgleich  ihrem  geliebten  treu 
ergeben,  doch  von  ihren  verwandten  nicht  lassen  konntet  Das  ist  ein 
erster  schritt  auf  einem  wege,  der  später  zu  einer  völlig  entgegen- 
gesetzten auffassung  der  Verhältnisse  führt;  die  frau  ist  mit  gewalt  ent- 
führt worden  und  wählt  bewusst  die  partei  ihrer  verwandten  (§  9  fgg.). 

In  den  bisher  besprochenen  zügen  stimmen  die  balladen  nahezu 
vollständig  miteinander  überein.  Die  fortsetzung  der  erzählung  aber 
ist  in  beiden  liedern  so  grundverschieden,  dass  sie  hier  unmöglich  auf 
dieselbe  quelle  zurückgehen  können.  Das  deutet  darauf,  dass  der  tod 
des  entführers  den  schluss  der  alten  vise,  die  sowol  'Ribold  und 
Guldborg'  wie  'Hildebrand  und  Hilde'  zugrunde  liegt,  bildete.  Das 
ist  gar  nicht  auffällig;  was  weiter  folgt,  ist  nicht  nur  hier,  sondern 
aucli  in  der  Helgidichtung  nur  eine  weitere  consequenz  der  Situation, 
keineswegs  ein  unentbehrlicher  teil  der  fabel. 

Der  schluss  der  Riboldvise  ist  mit  dem  des  zweiten  Helgiliedes 
nahe  verwandt;  es  ist  sogar  nicht  unmöglich,  dass  er  auf  dieses  lied 
zurückgeht.  Wie  hier,  so  wird  dort  ein  totenritt  erzählt.  Der  schwer 
verwundete  Ribold  setzt  die  geliebte  zu  sieh   auf  das  pferd;    auf  dem 

1)  Ob  ein  dirccter  zusanuneuhang  mit  Hilds  —  ursprüuglich  aufricJitig  ge- 
meintem —  versöhnungsversueh  besteht,  bleibt  zweifelhaft,  da  das  fehlen  dieses  Ver- 
suchs bei  Saxo  U  auf  ein  jüngeres  alter  zu  deuten  scheint  (s.  10.  27).  Aber  jedes- 
falls  zeigt  dieser  versöhnungsversueh,  wie  nahe  der  gedanke  lag,  die  frau  sich  für 
vater  und  brüder  interessieren  zu  lassen. 


DNTERSUCHUNGKN    VHKH    DIK    IIILDESAGK  187 

wege  offenbart  er  ihr,  dass  er  zum  tode  verwundet  ist;  er  führt  sie 
nach  seiner  wohnung,  wo  sie  mit  ihm  stirbt.  Ich  sehe  in  diesem  ritt 
eine  populäre  Umbildung  davon,  dass  Helgi  zu  pferde  aus  Walh(,)ll 
zurückkehrt  und  darauf  Sigrün  in  seinem  grabhügel  umarmt.  "Wenn 
Sigrün  vor  schmerz  über  Helgis  tod  jung  stirbt,  so  steht  Guldborgs 
tod  zusammen  mit  Ribold  nicht  weit  ab;  hier  aber  kann  man  fragen, 
ob  nicht  die  Vorstellung  der  ballade  die  ursprünglichere  ist,  und 
ob  Sigrüns  sterben  vor  schmerz  nicht  eine  von  dem  aberglauben, 
dass  der  geschlechtliche  verkehr  mit  einem  toten  den  tod  bringt^, 
gereinigte  auffassung  repräsentiert.  Wenn  in  der  ballade  Ribold  seine 
geliebte  dem  bruder  anbietet,  so  ist  das  gewiss  ein  unter  dem  einfluss 
der  dichtung  von  Helgi  HJQrvar^sson  stehender  jüngerer  auswuchs  der 
Überlieferung.  Dass  der  schluss,  in  welchem  drei  leichen  zu  grabe 
getragen  werden,  und  die  einleitung,  in  der  Ribold  Guldborg  durch 
seinen  gesang  gewinnt,  aus  anderen  balladen  stammen,  hat  Olrik  in 
seinem  schönen  aufsatz  über  die  Riboldvise  (Danske  studier  1906 
s.  175.  177.  193.  201)  ausgeführt.  In  bezug  auf  den  zuletzt  genannten 
zug  wird  jedoch  später  noch  eine  andere  erklärung  zu  erwägen  sein. 
In  'Ilildebrand  und  Hilde'  fehlen  diese  einleitung  und  dieser  ausgang. 

Hier  ist  der  bruder,  nachdem  er  den  entführer  besiegt  hat,  herr 
der  Situation.  Er  schleppt  seine  Schwester,  nachdem  er  sie  an  sein 
pferd  gebunden,  durch  dornen  und  gestrüpp  heim  und  überlegt  nun 
mit  der  mutter,  wie  sie  zu  bestrafen  sei.  Das  mädchen  wird  an  eine 
königin  verkauft,  für  die  sie  arbeiten  muss.  Sie  muss  nähen  oder 
sticken;  in  einigen  Versionen  (s.  ABC)  wird  sie  auch  geschlagen. 
Unsere  bisherigen  erfahrungen  berechtigen  zu  der  Vermutung,  dass 
dieser  ausgang  der  geschichte  keineswegs  auf  freier  erfindung,  vielmehr 
wie  der  schluss  von  'Ribold  und  Guldborg'  auf  anlehnung  an  eine 
verwandte  version  der  Hildesage,  die  sich  bis  zu  dieser  consequenz 
entwickelt  hatte,  beruht.  Wenn  wir  im  weiteren  verlauf  unserer  Unter- 
suchung auf  eine  version  der  Hildesage  stossen  würden,  die  entweder 
auf  diesem  Standpunkte  stünde,  oder  sich  von  diesem  aus  Aveiter  ent- 
wickelt hätte,  so  würde  dadurch  der  beweis  für  die  richtigkeit  der  hier 
ausgesprochenen  Vermutung  erbracht  worden  sein.    Näheres  darüber  §  11. 

Auf  einer  jüngeren  berührung  beruht  es  gewiss,  dass  der  schluss 
des  liedes  von  Hildebrand  und  Hilde  in  einige  Versionen  der  Ribold- 
vise (dST)  aufgenommen  ist. 

Buggo  hat  (Helgedigtcno  s.  291  fgg.)  auf  eine  reihe  von  Über- 
einstimmungen   zwischen   l)oidon    l)allad('n,    namentlich    der    Riboldvise, 

1)  Das  bekannteste  beispiel  ist  Goethes  'Braut  von  Koiinth'  (U.U.). 


188  BOER 

und  der  Walthcrsaiie  hing-owiesen.  Wir  können  der  frage,  was  diese 
Übereinstimmungen  für  das  verwandtschaftsverhältnis  zwischen  den 
beiden  viser  und  der  Walthersage  beweisen,  nicht  aus  dem  wege  gehen. 
Unsere  analyse  der  viser  hat  nämlich  zu  dem  Schlüsse  geführt,  dass 
zwar  ein  genetisches  Verhältnis  zu  der  Walthersage  besteht,  dass  aber 
diese  Verwandtschaft  zeitlich  ziemlich  hoch  hinaufzurücken  ist,  und  dass 
die  viser  und  die  Helgidichtung  einander  näher  stehen  als  einer  dieser 
beiden  Überlieferungszweige  der  Walthersage  i.  Ich  werde  daher  auf 
die  von  Bugge  besprochenen  züge  eingehen  und  bespreche  sie  in  der 
von  Bugge  gewählten  reihenfolge  2. 

1.  Ribold  ist  ein  königssohn.  So  in  dA — Fsl);  in  dGH  ist  er 
der  söhn  eines  grafen;  die  übrigen  abschriften  enthalten  keine  ent- 
sprechende angäbe.  Also  ist  der  zug  in  der  Überlieferung  nur  spärlich 
belegte  Übrigens  ist  es  ganz  natürlich,  dass  der  held  eines  Volksliedes 
von  hoher  geburt  ist. 

2.  Ribold  diente  dem  könige.  Nur  in  dXO  s.  AB.  Der  zug  ist 
gewiss  unursprünglich.  Auch  in  der  Waltherdichtung  gehört  er  einem 
verhältnismässig  späten  entwicklungsstadium  an.  In  unserer  vise  aber 
stammt  er  aus  der  —  schwedischen  —  Helmerballade,  wo  er  zu  hause 
ist  (s.  s.  197). 

3.  Ribold  ist  nach  Bugge  in  einer  schwedischen,  mir  nicht  be- 
kannten, redaction  von  Jugend  an  mit  dem  mädchen  verlobt.  Das  ist 
mit  der  fabel  der  vise  in  offenbarem  widersprach,  und  dem  entspricht, 
dass  er  auch  in  der  Überlieferung  nicht  weiter  verbreitet  ist.    Auch  in 

1)  Die  bailaden  uud  die  Helgisage  stammen  zusammen  von  der  als  H3  be- 
zeichneten form,  während  die  gemeinsame  quelle  von  HS  und  der  Walthersage  weiter 
zurück,  in  der  als  H2a  bezeichneten  form,  die  weder  die  räche  durch  den  söhn  noch 
den  nebenbuhler  eingeführt  hatte,  zu  suchen  ist. 

2)  Ich  habe  das  mir  vorliegende  material  (Ribold  dA-0A*B*,  sA-D,  iA-C, 
Hildebrand  dA-1,  sA-C,  nA)  auf  diese  und  andere  fragen  hin  neu  geprüft.  Bugge 
erwähnt  nur  das  vorkommen  einzelner  züge  in  zufälligen  redactionen. 

3)  Hildebrand  ist  der  söhn  des  königs  von  England.  Dass  das  damit  zusammen- 
hängen sollte,  dass  in  der  englischen  bailade  (Earl  Brand)  das  mädchen  die  tochter  des 
königs  von  England  ist,  wie  Olrik  a.a.O.  s.2()6  annimmt,  erscheint  mir  zweifelhaft.  Dieser 
zug  steht  vielmehr  damit  auf  einer  liuie,  dass  sie  in  mehreren  dänischen  Versionen 
die  tochter  des  Dänenkönigs  ist.  Das  Volkslied  liebt  die  localisiorung  der  begeben- 
heiten  in  der  heimat;  so  ist  hier  das  mädchen  die  tochter  des  landosfürsten,  während 
der  räuber  ein  fremder  ist.  Darum  beweist  auch  Hildebrands  herkunft  aus  England 
kaum  etwas  für  die  heimat  des  liedes,  sondern  nur  dafür,  dass  der  phantasie  des 
dichters  und  seines  publicums  England  nahe  lag.  Es  Hessen  sicli  daraus  eher  chro- 
iinlogische  als  geographische  Schlüsse  ziehen,  indem  die  stelle  Verbindungen  mit 
Kngland  voraussetzt. 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIR    HTI.DESAOF,  189 

der  Waltherdichtung-  ist  die  verlolning  eine  junge  erfindung,  die  die  flucht 
erklären  soll.  Auf  einen  näheren  Zusammenhang  kann  man  gewiss  auf 
grund  dieses  zuges  nicht  schliessen. 

4.  Der  ritter  bittet  die  dame,  ihm  nach  einem  fernen  lande, 
worunter  sein  vaterland  zu  verstehen  ist,  zu  folgen.  Das  ist  aber  das 
hauptmotiv  der  Hildesage,  das  nur  in  dem  zweiten  teil  des  deutschen 
gedichtes,  wo  die  freiwillige  flucht  durch  einen  raub  gegen  ihren  willen 
ersetzt  worden  ist,  aber  in  dem  ersten  teil  dieses  gedichtes  ebensowenig 
wie  in  allen  anderen  Versionen  fehlt.  Eine  besondere  ähnlichkeit  mit 
der  Walthersage  besteht  darin  nicht.  Eher  ist  zu  den  am  meisten 
verbreiteten  Versionen  der  Walthersage  ein  gegensatz  vorhanden.  Denn 
hier  hält  auch  die  dame  sich  im  fremden  lande  auf,  während  Ribold 
wie  He^inn,  Helgi  und  ursprünglich  auch  Walther  seine  geliebte  aus 
dem  lande  des  vaters  entführt. 

5.  Der  ritter  bittet  die  dame  kostbarkeiten  mitzunehmen.  So  freilich 
nur  in  dCEKLMTlTZ,  woraus  der  zug  in  'Hildebrand  und  Hilde'  dA 
übergegangen  ist^.  Das  ist  wenigstens  eine  Übereinstimmung  mit  dei- 
Walthersage.  Zu  den  ältesten  Versionen  der  Hildesagc,  wo  Hec^inn  mit 
H^gni  befreundet  war,  gehört  dieser  zug  nicht,  aber  wie  leicht  er  sich 
an  den  raub  des  mädchens  anschliessen  konnte,  zeigt  der  Sorla  |)ättr, 
der  erzählt,  dass  Hehinn  dem  Schwiegervater  ein  schiff  entwendet  hat. 
Immerhin  ist  es  von  einiger  bedeutung,  dass  das  mädchen  selbst  die 
schätze  zusammengepackt  hat. 

H.  Dass  Ribold  und  Guldborg  auf  einem  pferde  reiten  (so  d  ADEX; 
in  dCFGHLMQRSTUYZA*  sA  iA-^  hebt  er  sie  aufs  pferd  oder  — 
dQSTUYZA*  —  aufsein  pferd;  in  sC  geht  er  selber  daneben),  während 
im  Waltharius  Walther  Hildegunde  auf  ein  pferd  hebt-^  hat  kaum  irgend 
welche  bedeutung.  Wichtiger -scheint  es  mir  —  was  ßugge  nicht  er- 
wähnt —  dass  überhaupt  geritten  wird.  Die  bailade  lässt  wie  die 
Walthersage  die  flucht  über  land  gehen,  während  sowol  in  der  Helgi- 
sage  wie  in  der  Hildesagc  der  Schauplatz  der  begebeniieiten  das  meer 
ist.    Darin  aber  spiegeln  sich  die  Verhältnisse  der  zeit  und  des  landes, 

1)  In  'Earl  Brand'  weist  das  mädchen  dem  liobhabei  ein  iitord  ilires  vatei-s 
zu.  .Yber  das  hängt  mit  der  von  ihm  aufgeworfenen  frage,  ob  er  neben  dem  pferde, 
auf  dem  sie  sitzt,  gehen  solle  (vgl.  sC),  zusammen,  und  iiat  daher  mit  dem  raube 
der  schätze  kaum  etwas  zu  scliaften. 

2)  In  den  meisten  fällen  ist  aus  dem  text  nirlit  zu  ersehen,  nh  das  paar  auf 
einem  oder  auf  zwei  pferden  sitzt. 

3)  Die  Walthariusstelle  ist  also  mit  der  grupjie  dCK  usw.,  nicht  mit  <iADKX 
zu  vergleichen. 


1 90  BOER 

WO  die  dichtuug  zu  hause  ist,  und  ferner  die  einfachen  Verhältnisse  der 
ballade  wider.  Ein  ritter,  der  ganz  allein  eine  dame  entführt,  wird 
voraussichtlich  zu  pferde  mit  ihr  entfliehen,  während  ein  wikingerhäupt- 
ling  eine  flotte  oder  ein  schiff  zu  seiner  disposition  hat^.  Mit  den  ein- 
fachen Verhältnissen  der  ballade  hängt  es  auch  zusammen,  dass  Ribold 
wie  Walther  von  keinem  genossen  begleitet  ist  und  also  allein  gegen 
eine  Übermacht  kämpfen  muss. 

7.  Dass  Ribold  aufbricht,  während  am  hofe  alle  schlafen,  wie 
Walther  in  Eckeharts  gedieht,  weiss  nur  Landstadt  33  (nach  Bugge); 
es  ist  also  ein  später  zug  ohne  wert,  der  aber  sehr  wol  spontan  ent- 
wickelt sein  kann,  denn  die  nacht  ist  ja  die  zur  flucht  geeignete  zeit 2. 

8.  Unterwegs  machen  die  jungen  leute  halt  um  auszuruhen.  Sie 
werden  dann  von  den  Verfolgern  überfallen.  Über  diesen  zug  ist  zu- 
nächst zu  sagen,  dass  er  für  die  Walthersage  nicht  charakteristisch  ist, 
denn  er  gehört  zu  der  alten  Hildesage,  von  der  sowol  die  Walthersage 
wie  unsere  ballade  stammen.  Über  seine  ursprünglichkeit  in  der  Ri- 
boldvise  aber  ist  zweifei  möglich.  Er  steht  in  dDKLMNPÜYY^0 
sABC.  Die  meisten  redactionen  aber  erzählen,  dass  Guldborg  während 
der  fahrt  sich  umsieht  und  bemerkt,  dass  die  feinde  nahen ^,  worauf 
der  held  sich  zum  kämpfe  rüstet.  Hingegen  ist  der  nächtliche  Überfall 
in  Hildebrand  und  Hilde  ein  stehender  zug  (nächtliche  ruhe  auf  dem 
wege  dA  sABC,  Überfall  im  schlafgemach  dBG,  dCD  erzählen  ähnlich 
wie  Ribold  og  Guldborg,  dass  Hildebrand  sich  umsieht  und  die  Verfolger 
bemerkt,  dEFHI  nA  kürzen  und  kommen  nicht  in  betracht).  Ich  glaube, 
daraus  schliessen  zu  müssen,  dass  die  ursprüngliche  Vorstellung  der  Ribold- 
vise  ist,  dass  Guldborg  die  Verfolger  erblickt,  dass  aber  eine  reihe  von  redac- 
tionen den  nächtlichen  Überfall  aus  der  Hildebrandvise  entlehnt  haben*; 

1)  In  dS  kommt  Eidebrand  über  das  meer,  in  iB  verfolgt  der  könig  den  räubei' 
über  see.  So  passt  die  localität  der  erzählung  sich  stets  von  neuem  den  localen  Vor- 
stellungen an. 

2)  In  Hildebrand  und  Hilde  dF  ist  der  könig  *  leding  als  das  paar  entflieht. 
Auch  hier  scheint  die  geringe  Verbreitung  des  zuges  zu  beweisen,  dass  eine  neuerung 
stattgefunden  hat,  freilich  wol  unter  dem  einüuss  der  bekanntesten  Version  der  Hildesage. 

.3)  So  auch  Earl  Brand.  —  Die  darst.ellung  von  iB  (12 — 1.3),  wo  Ribold  zu- 
erst den  vater  sieht,  und  dann  erzählt  wird,  dass  Guldborg  in  einem  türm  steht,  als 
der  vater  sich  nähert,  beruht  wol  auf  einer  mischung  der  beiden  voi-stellungen. 

4)  Etwas  anders  stellt  sich  Olrik  a.  a.  0.  s.  210  die  verwandtscliaftsverhältnisse 
dieser  gruppo  vor.  Er  glaubt,  die  gruppe  stamme  direct  von  einer  älteren  form  der 
Hildebrandvise  und  habe  der  Riboldvise  den  namen  Ribold  entlehnt.  Wir  treffen  also 
darin  zusammen,  dass  wir  beide  hier  eine  mischform  annehmen;  nur  ist  nach  Olriks 
ansieht  der  anteil  der  Hildebrandsvise  an  der  gnippe  grösser  als  nach  der  meinigen. 
Namentlich    muss  nach  Olrik  auch  die  erzählung  in  der  dritten  person  dieser  gruppe 


UXTERSüCHUNrTRX   ÜBER    DIE   HTLDESAGE  191 

umgekehrt  dürfte  die  darstellung  von  Hildebrand  dCD  aus  der  Ribold- 
vise  stammen  ^ 

Vergleicht  man  beide  Vorstellungen  miteinander,  so  muss  man 
der  vise  von  Hildebrand  und  Hilde,  da  sie  mit  der  Hildesage  überein- 
stimmt, die  Priorität  zugestehen-.  Hier  ist  der  Überfall  im  schlafgemaehe 
widerum  eine  Vereinfachung  der  in  dA  sABC  erhaltenen  ruhe  auf 
dem  Avege. 

9.  Anders  als  mit  dem  nächtlichen  Überfall  an  und  für  sich  ver- 
hält es  sich  mit  dem  zuge,  dass  der  ritter  seinen  köpf  in  den  schoss 
der  dame  legt,  und  dass  diese  ihn  weckt.  Hier  ist  wenigstens  eine 
mehr  als  ganz  gewöhnliche  Übereinstimmung  mit  Eckeharts  gedieht 
vorhanden.  Aber  nur  ein  teil  der  redactionen,  die  die  ruhe  auf  dem 
wege  mitteilen,  enthalten  diesen  zug;  von  den  jüngeren  Versionen  der 
mischgruppe  entbehren  ihn  zwar  nur  dD  sA,  aber  bei  'Hildebrand 
und  Hilde',  woher  die  nächtliche  ruhe  stammt,  ist  der  zug  nur  in  sB 
belegt.  Das  deutet  gewiss  auf  kein  hohes  alter.  Ob  er  aus  der  Walther- 
sage stammt,  darf,  da  er  hier  nur  Eckehart  bekannt  ist,  mit  recht  an- 
gezweifelt werden.  Wenigstens  ebenso  möglich  ist  es,  dass  er  aus  einem 
anderen  zweig  der  Überlieferung,  zu  dem  verwandte  erzählungen  wie 
die  von  Herburt  und  Hilde  in  der  l>i5rekssaga  gehören,  stammt,   und 

nicht  aus  der  Riholdvise,  wo  sie  zu  hause  ist,  sondern  aus  einer  verloren  gegangenen 
form  der  Hildebrandvise  stammen.     Vgl.  noch  s.  191  anm.  2. 

1)  Eine  selbständige  ändening  ist  es  hier  dann,  dass  nicht  die  trau  sondern 
der  mann  sich  umsieht  und  die  Verfolger  erblickt. 

2)  Nach  Olrik  a.  a.  o.  s.  210  wäre  der  nächtliche  kämpf  in  der  vise  nicht  ur- 
sprünglich sondern  in  eine  ältere  form  der  Hildebrandvise,  von  der  auch  ein  teil  der 
Riboldüberlieferung  stamme  (oben  s.  190  anm.  3),  secundär  eingeführt  worden.    Dazu  be- 

timmt  Olrik  wol  der  umstand,  dass  die  englische  ballade  Earl  Brand  in  diesem  punkte 
auf  der  seite  der  Riboldballade  stehf.  Aber  von  grösserer  bedeutung  erscheint  mir 
die  Übereinstimmung  der  Hildebrandvise  mit  der  alten  sage.  Denn  die  übereinstimmuug 
zwischen  'Ribold'  und  'Earl  Brand'  kann  eine  gemeinsame  iieuerung  sein.  Dass 
diese  beiden  balladen  'Hildebrand'  gegenüber  eine  gruppe  bilden,  wird  auch  durch 
gemeinsame  zusätze,  wie  den  empfang  bei  Ribolds  mutter  erwiesen.  Ich  kann  daher 
Olriks  Stammbaum,  der  'Earl  Brand',  'Ribold'  und  'Hildebrand'  für  drei  unabhängige 
sprossformen  einer  alten  Hildebrandvise  hält,  nicht  beistimmen,  sondern  gruppiere 
vielmehr,  von  einzelheiten  abgesehen,  wie  folgt: 

Ur- Hildebrand 

1  r 

Ur- Ribold  Hildebrand 


I  I 

Earl  Brand  Ribold 

Der  name  Earl  Brand,  eine  eiitstellung  aus  Ilildebraiid.  spriclit  niihi  dagegen, 
da  auch  nach  i  >lrik  Hildcbrand  die  ursprüuglicho  namonsforni  ist. 


1 92  BOER 

dass  er  von  hier  einerseits  in  Eckeharts  lateinisches  gedieht,  anderseits 
in  die  jüngere  gruppe  der  Riboldüberlieferung  übergegangen  ist. 

10.  Der  könig  wird  von  einer  person,  die  den  jungen  leuten  auf 
dem  wege  begegnet  ist,  gewarnt.  Das  hat  mit  der  entdeckung  der 
flucht  im  Waltharius,  womit  Bugge  diesen  bericht  vergleicht,  nicht  die 
entfernteste  ähnlichkeit.  Freilich  hier  wie  dort  erfährt  der  könig,  was 
geschehen  ist,  aber  das  war  die  unumgängliche  Voraussetzung  für  das, 
was  folgt;  das  geschieht  auch  in  der  Hildesage;  hätte  Hggni  nicht  er- 
fahren, dass  seine  tochter  entflohen  war,  wie  konnte  er  sie  dann  ver- 
folgen? Aber  während  in  der  vise  der  Verräter  absichtlich  zum  könige 
geht,  um  ihm  zu  berichten,  was  er  gesehen  hat,  und  diesen  beim  weine 
findet,  fragt  Attila  morgens  früh  nach  Walther  und  erfährt  von  diesem, 
dass  er  nicht  zu  finden  ist.  Dann  glaubt  der  könig,  der  held  werde 
noch  schlafen,  bis  es  sich  herausstellt,  dass  auch  Hildegunde  nicht  da 
ist.  Wo  hier  die  ähnlichkeit  zu  suchen  ist,  verstehe  ich  nicht.  Ich 
vermag  in  dem  Verräter  der  vise  nur  eine,  wenn  auch  vielleicht  unter 
dem  einfluss   einer  fremden  erzähkingi,    doch  der  hauptsache  nach  aus 

1)  S.  287  erkennt,  Bugge  nämlich  in  diesem  warner  den  Verräter  der  HagbarSs- 
sage  Bliudr  enn  bolvisi,  den  auch  das  zweite  Helgilied  kennt.  Wie  lässt  sich  das 
mit  der  annähme  eines  Zusammenhangs  mit  der  Walthersage  vereinigen?  —  Übrigens 
gestehe  ich,  dass  mir  auch  die  identifioation  mit  BHndr  enn  b^lvisi,  oder  wenigstens 
Bugges  argumentation  dafür,  nicht  sicher  scheint.  Sie  beruht  darauf,  dass  in  der 
englischen  ballade  der  Verräter  auld  earl  Hood  heisst,  während  OSinn  häufig  einen 
grossen  hut  trägt,  und  Blindr  enn  bQlvisi  vielfach  mit  OSinn  identificiert  wird.  Der  um- 
weg,  auf  dem  hier  das  resultat  erreicht  wird,  scheint  mir  zu  lang  und  zu  unsicher.  Das 
einzige,  was  für  die  genannte  Identität  sprechen  kann,  ist  die  von  Olrik  a.  a.  o.  s.  208  an- 
geführte Benedictvise,  deren  mit  dem  Verräter  unserer  vise  vollständig  pai'allele  ge- 
stalt  in  einer  norwegischen  abschrift  (nA)  Blindellolvigsen  heisst.  Aber  es  ist  auch 
möglich,  dass  der  Verräter  unserer  vise  in  der  norwegischen  Benedictvise  an  den 
Verräter  der  HagbarSssage  angelehnt  ist  und  dessen  namen  erhalten  hat.  Auf  jeden  fall 
ist  der  verräter  der  Riboldvise  verhältnismässig  jung;  der  Hildebrandvise  ist  er  un- 
bekannt, und  auch  die  bekannte  scene  des  zweiten  Helgiliedes  lässt  sich  füi'  ein  hohes 
alter  des  Verräters  nicht  anführen,  da  Helgis  Verkleidung  mit  Sigrüns  entführung 
nichts  zu  schaffen  hat,  sondern,  wenn  die  Strophen  überhaupt  zur  Helgidichtuug  ge- 
hören, seiner  Jugendzeit  angehört. 

Ebensowenig  überzeugend  scheint  mir  die  Zusammenstellung  des  zuges,  dass 
in  dB  (hinzuzufügen  sind  dEFGH)  Guldborg  gewaffnet  mit  Eibold  reitet,  damit,  dass 
»Sigrün  walküre  ist.  Der  zug  ist,  wie  schon  seine  geringe  Verbreitung  vermuten  lässt, 
in  der  ballade  nicht  echt;  er  deutet  auch  nicht  auf  ein  kriegerisches  wesen  der  heldin 
sondern  lässt  sich  als  eine  der  vielen  formen  der  Verkleidung,  die  eine  widererkennung 
verhindern  sollen,  erklären.  In  dl  versieht  Ribold  die  Guldborg  mit  sporen,  in  dN  sA 
zieht  er  ihr  fremde  kleider  an,  in  dKLPQRTUVZjE  wirft  er  ihr  einen  mantel  um, 
in  dS  setzt  er  ihr  seinen  hohen  hut  auf;  ein  schwert  und  einen  mantel  erwähnt  sC, 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBER    DIE   HILDESAGE  193 

der  Situation  entwickelte  gestalt  zu  sehen.  Daraus,  dass  der  könig  wie 
natürlich  erfuhr,  was  geschehen  war,  machte  die  für  die  bailaden  cha- 
racteristische  plastische  vorstellungsweise  eine  person  —  rig(m  groffue, 
en  trcsdsker  mand,  festemand,  liden  ainaadreng  usw.,  —  die  dem  könig 
die  nachricht  bringt. 

11.  Der  ritter  fordert  die  dame  auf,  sich  nicht  zu  fürchten.  Nur 
in  dB.     Übrigens  ganz  natürlich. 

12.  Der  ritter  bittet  die  dame,  den  zäum  des  pferdes  zu  halten. 
8o  dCE  —  I^E,  iC;  in  sA  schlägt  sie  die  bitte  ab;  eine  reminiscenz 
enthält  iA.  Der  zug  ist  wenigstens  in  mehreren  redactionen  belegt, 
und  die  Übereinstimmung  ist  nicht  ganz  bedeutungslos. 

13.  Nur  in  einer  jüngeren  englischen  version^  (nicht  in  'Earl 
Brand')  sucht  der  ritter,  als  er  angegriffen  wird,  eine  Zufluchtsstätte  in 
der  nähe  eine  felsens.     Eine  sehr  natürliche  verteidigungsstätte. 

14.  In  'Earl  Brand'  kämpft  der  ritter  gleichzeitig  immer  nur  mit 
»'■inem  angreifer.  Aus  den  skandinavischen  Versionen  lässt  sich  das  auf 
keinen  fall  ersehen,  wenn  es  auch  mitunter  heisst,  er  habe  zuerst  so 
viele,  darauf  so  viele  erschlagen.  Aber  auch  die  gliederung  der  kämpfer 
im  Waltharius  beruht  auf  einer  neuerung  (§  7)2.  Im  einzelnen  besteht 
auch  in  der  bailade  nicht  die  geringste  ähnlichkeit  mit  den  kämpfen 
im  Waltharius.  Bugge  weist  auf  die  zwölfzahl  der  Verfolger  hin  und 
meint,  auch  in  der  vise  drehe  die  zahl  sich  um  zwölf.  Auch  wenn 
das  richtig  wäre,  würden  zweifei  gestattet  sein;  tatsächlich  aber  sind  die 
zahlen  ganz  andere^.     Die  voneinander  stark  abweichenden  zahlen,  die 

'sabel  og  gehseng'  d0.  Derselben  vorstellungsreihe  gehört  es  an,  da.ss  or  sie  für  seine 
Schwester  (schweslertochter)  oder  seinen  hruder  ausgibt. 

1)  Mir  nicht  zugänglich. 

2)  Ich  leugne  nicht  die  mögliche  gleichheit  des  motivs  der  einzelkämpfe  in  'Earl 
Brand'  und  im  Waltharius.  Aber  da  'Earl  Brand'  in  der  tradition  der  bailade  hierin  ganz 
allein  steht,  ist  die  urspränglichkeit  des  zuges  nicht  anzuerkennen.  Und  da  das 
motiv  auch  sonst  verbreitet  ist,  hat  man  auch  keinen  grund  es  dem  einfluss  des 
Waltharius  (die  ältere  Walthariussage  kennt  es  nicht)  zuzuschreiben. 

3j  Ribold  tötet:  oheim,  vater,  (J  brüder  dA;  vater,  7  bmder,  11  Schwäger  dB; 

ater,  0  brüder,  bräutigam,  zuletzt  noch  den  7.  bruder,  der  ihn  verwundet  hat  dC; 
7  oheime,  bräutigam,  vater,  9  brüder  dD;  13  brüder,  vater,  11  brüder  {sie)  dE;  7  brüder, 
vater,  4  schwäger  dF;  her  Truid  (d.i.  der  vater)  und  vater (!),  biüderdO;  7  brüder, 
\  Schwäger,  vater  dH;  7  ritter,  3  brüder,  vater  dl;  30  ritter,  7  oheime,  vater  dK; 
11  Schwäger,  11  brüder,  bräutigam,  vater  dL;  30  ritter,  oheim,  vatur  dM;  brüder, 
7  brüder  (s/c),  noch  7  brüder,  vater  dN;  15  ritter,  50  reitor,  alle  brüder,  7  oheime 
d«»;    11  ritter,  7  oheime,  vater  dP;    4,  dann  5,  dann  den  grafen  nnd  alle,    dann  8, 

lann  9,  dann  den  könig  und  alle  dQR;  500  mann  dS;  vater,  18  hofmand  dT;  bräu- 
tigam,   vater,    11  schwäger,    11  brüder  dU;    11  ritter,    7  brüder,  vater  dV;    vater, 

ZKITSOHRIFT   K.    DKÜTSCHK   PHILOLOGIK.       BD.  XL.  13 


1 94  BOER 

in  der  fussnote  angegeben  sind,  zeigen,  dass  die  zahlen  in  der  vise 
überhaupt  keine  andere  bedeutung  haben  als  einen  kämpf  wider  eine 
Übermacht  zu  illustrieren.  Die  einzigen  personen,  die  nahezu  überall 
hervorgehoben  werden,  sind  der  vater  und  die  brüder;  bisweilen  wird 
der  bräutigam  hinzugefügt,  den  ja  die  einleitung  erwähnt,  einige  male 
oheime  und  der  graf  (d.  i.  der  Verräter). 

15.  In  einer  norwegischen  version^  versucht  Guldborg,  nachBugge, 
vergebens  des  ritters  wunden  zu  verbinden.  Der  zug  ist  gewiss  unecht. 
Aber  es  besteht  kaum  ein  grund,  ihn  damit  zusammenzustellen,  dass 
Hildegunde  die  wunden  der  kämpen  verbindet,  was  nicht  erfolglos  ist. 
Das  findet  sich  übrigens  auch  in  einer  version  der  Hildesage  (Kudruu). 

Sollen  wir  aus  diesen  beobachtungen  einen  schluss  ziehen,  so 
kann  er  nur  so  lauten,  dass  die  meisten  der  von  Bugge  angeführten 
Übereinstimmungen  durchaus  zufällig  sind.  Nur  sehr  vereinzelte  züge 
haben  vielleicht  einige  bedeutung:  dass  das  mädchen  schätze  zusammen- 
packt, dass  der  ritter  sein  haupt  in  den  schoss  des  mädchens  legt,  dass 
sie  ihn  weckt,  dass  sie  den  zügel  hält.  Wenn  das  nun  ursprüngliche  züge 
der  ballade  wären,  so  müsste  die  frage  erwogen  werden,  ob  daraus  auf 
ein  engeres  Verhältnis  zu  der  Walthersage  zu  schliessen  sei.  Dem  gegen- 
über würden  aber  die  bedeutenden  züge,  die  die  ballade  gegenüber  der 
Walthersage  mit  der  Helgisage  verbindet,  wie  der  tod  des  räubers  durch 
den  bruder  der  frau,  anzuführen  sein.  Man  würde  dann  schliessen 
müssen,  dass  die  ballade  auf  einer  contamination  zweier  einander  ein- 
mal nahe  stehenden  Versionen  der  Hildesage,  deren  eine  in  die  Helgi- 
sage ausmündet,  während  die  andere  sich  zur  Walthersage  entwickelte, 
beruhe.  Aber  nun  liegen  die  dinge  so,  dass  die  wenigen  züge,  die  auf 
ein  Verhältnis  zu  der  Walthersage  deuten  könnten,  in  der  ballade  nicht 
ursprünglich  sind,  sondern  nur  in  einigen,  zum  teil  in  ganz  wenigen 
Versionen  stehen  2.    Darum  müssen  wir  schliessen,  dass  diese  Versionen 

5  brüder  dX;  30,  40,  60  mann  dY;  500,  500,  bruder,  500,  vater  dZ;  'von  der  ersten 
schar',  30  mann,  7  brüder,  vater  dA*;  bruder  und  viele  mannen,  vater  und  viele 
mannen  sA;  alle  kämpen,  den  könig  sB;  7  brüder,  12000  ritter.  vater  sC;  vater, 
n  brüder  iA;  40  brüder,  vater,  mägar  iB;  liS,  könig  und  magar  iC.  —  Zählt  man 
zusammen,  so  kommen  die  folgenden  zahlen  heraus:  8.  19.  9.  18.  25.  12.  2-\-.  12. 
U.  38.  24.  32.  154-.  72-I-.  19.  26+.  500.  35.  19.  6.  130.  1502.  38-|-.  2+.  viele. 
12008.  12.  41+.  viele. 

1)  So  auch  Earl  Brand   str.  28. 

2)  Es  ist  gewiss  nicht  ohne  bedeutung,  dass  von  den  15  oben  besprochenen 
Zügen  nur  drei  (4.  10.  12)  in  der  von  Olrik  a.  a.  0.  s.  196  fg.  construiei'ten  urform  der 
Riboldvise  stehen.  Von  diesen  drei  sind,  vpie  oben  gezeigt  wurde,  zwei  (4.  10)  für 
eine  herleitung  der  vise  aus  der  "Walthersage  absolut  unbrauchbar. 


TNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    HILDESAGE  195 

in  einer  jungen  periode,  wol  im  14.  Jahrhundert  oder  noch  später  \ 
diese  züge  entweder  einem  liede  von  "Walther  oder  einem  anderen,  mit 
der  AValthersage  verwandten,  liede  entlehnt  haben.  Dieses  lied  kann 
ein  niedeideutsches  Volkslied  gewesen  sein,  das  auf  dem  in  der  tiöreks- 
saga  mitgeteilten  gedichte  von  Walther  beruhte. 

Für  den  Ursprung  der  ballade  hat  demnach  die  Walthersage  keine 
bedeutung.  Wol  stehen  beide  einander  genetisch  nahe.  Beide  stammen 
von  der  version  H2.  (s.  43),  in  der  der  Schwiegersohn  über  den  Schwieger- 
vater den  sieg  davonträgt.  Aber  die  ballade  hat  zusammen  mit  der 
Helgisage  noch  einen  weiteren  schritt  getan:  ein  nebenbuhler  ist  ein- 
geführt worden,  und  der  söhn  rächt  den  vater.  Also  ist  das  Verhältnis 
dei-  Überlieferungen  vorläufig  wie  folgt  festzustellen: 

in     =  SH2  (S.54) 

I         _  ■      ■  ■ 

H2a,  (sieg  des  Schwiegersohnes) 


1 

Walthersage 

1 
H2h  (nebenbuhler) 

1 
iJ3  (räche  durch  den  söhn) 

1 

HA 

(Helgis  rückkebr) 

1 
Grundlage  der  ballade 

1                                 1 
Ur-Ribold                     Hildebrand 

1                     1 
Eaii  Brand        Ribold 

Von  den  alten  uamen  der  Hildesage  hat  wenigstens  eine  der  beiden 
balladen  den  namen  der  frau  richtig  erhalten.  Es  liegt  gar  kein  grund 
vor,  diese  Übereinstimmung  mit  Panzer  (s.  175)  für  zufällig  zu  erklären ; 
vielmehr  liefert  die  erhaltene  namensform  einen  besonderen  beweis  da- 
für, dass  man  es  auf  dieser  stufe  der  Überlieferung  noch  mit  der  Hilde- 
sage zu  tun  hat.  Den  namen  des  vateis  hat  die  ballade  vergessen;  der 
könig  bleibt,  wie  in  so  vielen '  Volksliedern,  unbenannt.  Der  name 
Ilildebrand  ist  gewiss  im  anschluss  an  Hildr  eingeführt.  Die  vise  von 
llildebrand  und  Hilde  steht  also  in  dieser  beziehung  auf  einer  älteren 
.stufe  als  die  Riboldvise.  Über  die  namen  Ribold  und  Guldborg  lässt  sich 
nichts  sicheres  sagen.  Guldborg  schwebt  völlig  in  der  luft;  die  formen 
Krydenl)urg  dN,  Valborg  dP,  liten  Kerstin  sC,  Giötha- Lille  sD  tragen 
zur  erklärung  nichts  bei;  es  sind  willkürliche  änderungen.  Etwas  anders 
verhält  es  sich  mit  Ribold.  Dieser  heisst  in  dNPV  sA  Hildebrand,  Hille- 
brand,    in  dO  Jldebrand,    in    dQRH  Ridebrand,    in  dT  Jledt'rl)rand,  in 

])  Vgl.  Ülrik  a.a.O.  s.  202fg.,  der  nachweist,  dass  diu  hiiuiiIh-,  in  welcher 
erzählt  wird,  da.ss  Ribold  ein  künigssohu  war  (oben  nr.  l)  schon  aus  sprachlichen 
gründen  kaum  älter  als  da.s  15.  Jahrhundert  sein   kann. 

13' 


196  BOER, 

sB  Redebold,  in  dU  Rigebold,  dY  Baldrik,  d^  ßoldrik,  d0  kong 
Valdemor,  sC  kung  Yallemo.  Man  könnte  zu  der  annähme  versucht 
sein,  der  ritter  habe  auch  hier  ursprünglich  Hildebrand  geheissen  und 
die  übrigen  formen  seien  Übergangsformen,  die  am  ende  zu  Ribold 
geführt  haben.  Dem  steht  aber  gegenüber,  dass  die  redactionen,  die 
Rib(b)old  haben,  im  ganzen  die  besten  sind.  Da  die  vise  nun  auch 
sonst  in  einzelnen  redactionen  secundäre  einwirkungen  der  vise  von 
Hilde  und  Hildebrand  verrät,  liegt  die  erklärung  näher,  dass  der  name 
Hildebrand  in  dNPV  sA  aus  der  verwandten  vise  stammt,  und  dass 
die  übrigen  formen,  mit  ausnähme  von  der  willkürlichen  änderung 
Yaldemor,  Vallemo^  compromissformen  zwischen  Ribold  und  Hildebrand 
sind.  Der  name  Ribold  bleibt  dann  wie  Guldborg  unerklärt.  Aber 
das  ist  das  los  so  vieler  folkevisenamen. 

Die  Helmerballade. 

Zu  geböte  stehen  mir  sA  Arwidsson  1, 155;  s.B  Geijer  och  Afzelius 
1,264;  sC  ibid.  1,265.     Die  vollständigste  Überlieferung  bietet  A. 

Der  kern  der  erzählung  ist  derselbe  wie  der  der  beiden  oben  be- 
sprochenen bailaden.  Ohne  zweifei  ist  unser  lied  ein  dritter  spross  des- 
selben Stammes.  Heimer  schläft  bei  der  königstochter.  Der  könig  zieht 
ihn  zur  Verantwortung  und  wird  von  ihm  getötet.  Helmer  flieht;  er 
begegnet  den  söhnen  des  königs,  die  mit  ihm  kämpfen;  sechs  erschlägt 
er;  der  siebente  erhält  frieden,  aber  er  tötet  Helmer  verräterischer- 
weise. 

Eine  nähere  vergleichung  zeigt,  dass  die  beiden  früher  besprochenen 
bailaden  der  Helmervise  gegenüber  eine  gruppe  bilden  mit  gemeinsamen 
abweichungen  von  dem  originale.  Auch  die  Helmervise  hat  ihre  neue- 
rungen.  Solche  sind  es,  wenn  nicht  der  held  das  mädchen  entführt 
und  von  dem  vater  und  den  brüdern  verfolgt  wird,  sondern  im  palaste 
des  königs  das  mädchen  entehrt 2,  dann  den  könig  erschlägt,  und  erst 
darauf  —  allein  —  sich  auf  die  flucht  begibt,  wo  er  dann  den  brüdern 
begegnet.  Er  wird  also  Aveder  verfolgt  noch  überfallen.  Eine  dem  Ver- 
räter   der  Ribold  vise  ähnliche   gestalt   ist  schwach    entwickelt;    '■budef 

1)  Nach  Olrik  a.  a.  0.  s.  209  gehen  Valdemor,  Vallemo  durch  die  übergangs- 
foimen  Bald,  BallemaiiQ  aiif  Hildebrand  zurück. 

2)  Möglicherweise  besteht  ein  Zusammenhang  mit  der  ähnlichen  darstellung  in 
dBG  der  vise  von  Hildebrand  und  Hilde,  wo  die  jungen  leuto  im  schlafgemach  über- 
fallen werden.  Ein  solcher  Hesse  sich  durch  eine  secundäre  beeinflussuug  dieser 
redactionen  durch  die  Helmerballade  erklären. 


UNTERSUCHUNG KN    ÜBKR    DIR    HILDESAGE  197 

meldet  dem  könig,  dass  Helmer  seine  tochter  vergewaltigt.  Ein  vom 
vater  begünstigter  freier  fehlt  wie  in  der  vise  von  Hildebrand  und  Hilde; 
zur  erkliirung  vgl.  s.  185  und  anm.  2. 

Den  kämpf  und  die  darauf  folgenden  ereignisse  hat  unsere  bailade 
besser  als  die  beiden  anderen  erhalten.  Nicht  durch  Zauberkünste, 
sondern  durch  eigene  kraft  besiegt  Helmer  den  vater  und  die  brüder, 
und  der  jüngste  bruder  verdankt  seinen  sieg  nicht  einer  unvorsichtigen 
anrufung  des  beiden  durch  die  frau,  sondern  er  wird  besiegt  und  be- 
gnadigt, bricht  aber  seine  treue.  Wir  können  also  aus  den  drei  bailaden 
eine  Überlieferung  der  Hildesage  construieren,  die  im  zweiten  Helgiliede 
noch  treu  erhalten  ist:  flucht  und  Verfolgung,  tod  des  vaters,  des 
bräiitigams,  der  brüder,  mit  ausnähme  des  jüngsten,  dem  friede  gegeben 
wird,  und  der  später  den  Schwager  verräterischerweise  tötet. 

Die  vise  ist  ferner  in  neue  Verbindungen  eingetreten.  Dass  Helmer 
dem  könig  vierzig  wochen  und  drei  jähre  dient,  weiss  keine  andere 
aus  der  Hildesage  abgeleitete  Überlieferung.  Dieser  ziig  stammt  aus 
derselben  quelle,  die  auch  den  namen  des  beiden  hergegeben  hat,  aus 
fler  Hjalmarsage^  Auch  Hjälmarr  hatte  dorn  könig  lange  zeit  gedient, 
als  er  die  tochter  des  königs  zur  frau  begehrte,  ein  wünsch,  für  den 
er  mit  seinem  leben  büssen  musste.  Es  ist  kaum  ein  zufall,  dass  die 
Helmerballade  nahezu  ausschliesslich  in  schwedischen  Versionen  über- 
liefert ist,  wie  auch  die  Hjälmarsage  schwedischen  Ursprunges  ist. 

Der  letzte  teil  der  vise  schliesst  sich  an  die  Helgidichtung  an. 
Aber  auf  eine  andere  weise  als  Ribold  und  Guldborg,  und  das  ist  ein 
grund,  auch  diesen  ausgang  für  eine  jüngere  zutat  zu  halten.  Es  ist 
nicht  der  totenritt,  sondern  Sigrüns  begegnung  mit  dem  bruder,  die 
wir  hier  in  selbständiger  fortbildung  widerfinden.  Im  zweiten  Helgi- 
liede geht  Dagr  zu  Sigrün  und  teilt  ihr  zögernd  den  tod  des  geliebten 
mannes  mit.  In  der  bailade  kommt  der  bruder  gleichfalls  zu  der  frau; 
allein  er  prahlt  mit  seinem  sieg  und  zeigt  ihr  das  haupt  dos  geliebten. 
Im  zweiten  Helgiliede  antwortet  sie  auf  die  mitteilung  mit  einer  Ver- 
wünschung. Die  bailade  geht  weiter  und  berichtet,  dass  sie  ihn  durch- 
sticht. Dann  begräbt  sie  den  geliebten.  Eine  weitere  ausführung  dieses 
motivs  fehlt.  Die  Helmerballade  geht  also  zusammen  mit  den  beiden 
früher  besprochenen  liedern  auf  7/3  zurück.  Secundär  hat  sie,  unab- 
hängig von  den  beiden  anderen,  der  Helgidichtung  den  .schluss  entlehnt, 
der  Hjälmarsage  eine  motivierung  der  liebe  des  jungen  paares  und  den 
namen  des  helden. 

I)  Dass  der  /.ug  aus  unsoiei-  ballade  in  oiuigo  Versionen  der  vise  von  Hildc- 
braud  und  Hildo  übergegangcii  ist,  wurde  s.  188  bemerkt. 


1  '.)8  BOER , 

Die   Shetlandsballade. 

Hildina,  die  tochter  eines  norwegischen  königs,  wird  von  einem 
Orkneyjarl  entführt.  Der  vater  setzt  dem  paar  nach;  ihn  begleitet  ein 
von  ihm  vorgezogener  freier,  Hihigi.  Ein  Versöhnungsversuch,  auf  den 
der  vater  einzugehen  bereit  ist,  wird  durch  den  nebenbuhler  vereitelt. 
Im  kämpfe  wird  der  entführer  von  dem  nebenbuhler  erschlagen.  Hildina 
rächt  ihren  geliebten  an  dem  ihr  bestimmten  bräutigam;  den  vater  aber, 
der  den  frieden  gewollt  hat,  schont  sie. 

Dass  diese  erzählung  ein  zweig  der  Hildesage  ist,  lässt  sich,  v/enn 
man  die  entwickelung  dieser  sage  genau  betrachtet,  unmöglich  leugnen. 
Wir  wollen  versuchen,  die  in  der  bailade  erreichte  entwickelungsstufe 
der  sage  zu  bestimmen.  An  die  echte  Hildesage  erinnert  zunächst 
noch  der  name  der  heldin;  er  beweist,  dass  wir  es  hier  ebensowenig 
wie  bei  'Hildebraud  und  Hilde'  mit  einer  schon  zu  der  Helgisage  ge- 
hörenden Überlieferung  zu  tun  haben.  Dass  die  stufe  SH2,  von  der 
alle  bisher  besprochenen  Versionen  mit  ausnähme  von  Saxo  I  stammen, 
erreicht  ist,  geht  daraus  hervor,  dass  das  mädchen  dem  räuber  aus 
liebe  gefolgt  ist. 

Ein  alter  zag,  der  bei  Snorri,  im  S(jrla  J)attr  und  in  der  Walther- 
sage  widerkehrt,  ist  der  Versöhnungsversuch  vor  dem  kämpfe.  Auf  die 
Seite  der  gruppe  JT,  sogar  H2h  (die  übrigen  balladen  und  die  Helgi- 
sage) stellt  sich  ferner  unsere  bailade  durch  die  einführung  des  neben- 
buhlers.  Mit  den  isländischen  traditionen  (Snorri  und  Sorla  J)ättr)  hat 
das  lied  ferner  die  localisierung  gemein,  denn  dass  der  räuber  ein 
Orkneyjarl  ist,  lässt  sich  davon,  dass  HQgni  Heöinn  bei  Häey  einholt, 
nicht  trennen.  Ich  glaube  nicht,  dass  dadurch  eine  nähere  Verwandt- 
schaft mit  diesen  Versionen  bewiesen  wird,  denn  die  einführung  des 
nebenbuhler«,  die  die  ballade  mit  der  gruppe  112  b  gemein  hat,  ist 
doch  für  die  structur  der  erzählung  wichtiger.  Man  hat  für  die  locali- 
sierung die  wähl  zwischen  zwei  erklärungen.  Entweder  kannte  schon 
die  Version  SH2,  von  der  die  ganze  gruppe  H  (Helgisage,  Walther- 
sage, balladen)  stammt,  dieses  local,  und  Avurde  dieses  in  den  übrigen 
Versionen  der  gruppe  H  durch  andere  combinationen  verdrängt,  oder 
—  und  das  ist  schon  jetzt  das  wahrscheinlichste  —  unsere  ballade  hat 
später  die  localisierung  auf  den  Orkneyjar  der  ihr  nahe  verwandten, 
am  meisten  verbreiteten  version  der  Hildesage  entlehnt.  Näheres  darüber 
unten. 

Starke  abweichungen  zeigt  der  zweite  teil  der  ballade.  Zunächst 
ist  ein  punkt  zu  besprechen,  der  auf  eine  der  gruppe  //  etwas  ferner 
stehende  quelle  zu  deuten  scheint.    Nicht  der  räuber,  sondern  die  ver- 


UNTERSCCHUNUBN    ÜBKR    IHK    HILnESAGE  199 

folger  siegen.  Der  sieg  des  räubers  aber  wurde  als  ein  grundlegender 
zug  der  gruppe  7/  erkannt.  Dass  er  sogar  älter  als  die  einführung  des 
nebenbuhlers  ist,  beAveist  die  Walthersage,  die  zwar  diesen  sieg  aber 
nicht  den  nebenbuhler  kennt.  Die  Shetlandsballade  aber  kennt  den  neben- 
buhler  und  nicht  den  sieg  des  räubers.  Nun  ist  es  weit  wahrschein- 
licher, dass  die  darstellung  dieser  ballade,  nach  der  der  räuber  besiegt 
wird,  durch  eine  neuerung  direct  aus  dem  alten  kämpfe,  in  dem  beide 
feinde  umkommen,  entstanden  ist,  als  dass  ihr  eine  form  zugrunde 
liegen  sollte,  die  gerade  das  umgekehrte,  —  den  sieg  des  räubers,  — 
erzählte.  Man  kann  nun  freilich  annehmen,  dass  der  Ursprung  der 
ballade  in  eine  zeit  zurückgeht,  in  der  die  motive  noch  nicht  gefestigt 
waren;  also:  eine  Variante  hätte  den  nebenbuhler  eingeführt  (so  die 
Shetlandsballade),  eine  andere  den  sieg  des  räubers  ("Walthersage),  aber 
auch  beide  motive  kämen  in  Verbindung  vor  (so  die  Helgisage  und 
die  übrigen  balladen,  wenigstens  die  Riboldvise).  Allein,  man  müsste 
dann  die  version  der  Helgisage  für  eine  alte  combination  aus  der 
Walthersage  und  einer  hypothetischen  quelle  der  Shetlandsballade  er- 
klären. Bei  dem  hohen  alter  der  Helgisage  und  der  Walthersage  ist 
das  durchaus  unwahrscheinlich.  Eine  weit  einfachere  erklärung  des 
tatsachenbestandes  liegt  auf  der  band.  Für  die  Shetlandsballade  ist  es 
fürwahr  nicht  notwendig,  eine  alte  einheitüche  quelle,  von  der  sonst 
keine  spur  nachgewiesen  werden  kann,  anzunehmen.  Wir  wurden  viel- 
mehr schon  oben  zu  dem  Schlüsse  geführt,  dass  sie  auf  einer  combi- 
nation einer  form  von  II 2  b  (Helgilieder  und  die  übrigen  balladen) 
und  SH  '1  oder  3  (Snorri  und  SQrla  |)ättr)  beruhen  muss.  Aus  jener 
stammt  ja  der  nebenbuhler,  aus  dieser  das  local.  Jetzt  können  wir 
hinzufügen:  aus  dieser  stammte  auch  der  alte  schluss,  nach  dem  der 
sieg  nicht  dem  räuber  zufällt.  Daraus  folgt  freilich  noch  nicht,  dass 
die  andere  partei  siegt,  aber  das  ist  so  wie  so  eine  neuerung  der  Shet- 
landsballade, die  auch  sonst  überaus  selbständig  zu  werke  gegangen  ist. 
Sie  macht  den  vater  friedfertig  und  erhebt  den  nebenbuhler  zu  dem 
eigentlichen  feinde  des  räubers;  sodann  dichtet  sie  hinzu,  dass  Hildina 
ihren  geliebten  rächt.  Dass  das  alles  auf  neudichtung  beruht,  braucht 
nicht  erst  erwiesen  zu  werden.  Keine  andeie  Überlieferung  der  Ililde- 
.-lage  weiss  von  diesen  dingen  auch  nur  das  geringste.  Zieht  man  die 
junge  Überlieferung  der  ballade  in  betracht,  so  nimmt  das  auch  gar 
nicht  wunder.  Eher  fällt  die  Zähigkeit  auf,  mit  der  sie  in  ihrem  ersten 
teil  eine  reihe  alter  züge  erhalten  hat.  Inwiefern  die  erwähnten  neue- 
1  ungen  auf  dem  einfluss  fremder  sagen  beruhen,  wird  sich  schwerlich 
entscheiden  lassen.    Die  Volksdichtung  wirft  am  ende  alles  durcheinander. 


200  BOER 

und  je  jünger  die  zeit  ist,  aus  der  die  quellen  stammen,  desto  trüber 
werden  diese  selbst.  Darum  ist  es  auch  so  gefährlich,  ältere  dichtungen 
aus  im  18.  Jahrhundert  zuerst  aufgeschriebenen  balladen  herleiten  zu 
wollen.  Den  ausgang  unserer  bailade  hat  man  wol  mit  dem  der 
Nibelungensage  verglichen.  Die  mögiichkeit  einer  beeinflussung  durch 
SignjTS  oder  eher  Gubrüns  räche  ist  nicht  ausgeschlossen,  aber  das  ist 
auch  alles,  was  sich  darüber  sagen  lässt. 

Die  Shetlandsballade  ist  demnach  eine  Schwesterballade  der  drei 
folkeviser  (Ribold;  Hildebrand  und  Hilde;  Helmer),  die  zunächst  unter 
den  einfluss  der  ihr  noch  nahestehenden  norwegisch -isländischen  form 
der  Hildesage  geraten  ist  und  sich  später  namentlich  in  ihrem  zweiten 
teil,  vielleicht  unter  dem  einfluss  fremder  sagen,  sehr  selbständig  ent- 
wickelt hat. 

Dass  die  Shetlandsballade  von  den  brittischen  inselu  stammt,  läßt 
sich  von  ihrer  localisierung  auf  den  Orkneyjar  nicht  trennen.  Diese 
aber  hängt,  wie  schon  widerholt  bemerkt  wurde,  mit  der  localisierung 
der  erzählung  Snorris  und  des  J)ättr  auf  jenen  inseln  zusammen.  Man 
kann  daraus  vielleicht  schliessen,  dass  die  formen  112  h  und  SH3  zu- 
sammen aus  Skandinavien  nach  den  brittischen  inseln  gewandert  und 
dort  localisiert  worden  sind.  Eine  aus  H2h  und  SH  3  combinierte 
form  blieb  dort  erhalten.  Ihre  Isolierung  ist  dann  unter  den  Ursachen 
ihrer  eigentümlichen  entwicklung  mitzuzählen.  Sie  verlor  den  Zusammen- 
hang mit  ihren  nächsten  verwandten.  Die  form  SH  3  aber  behielt  ein 
grösseres  Verbreitungsgebiet;  wir  finden  sie  in  jüngerer  entwicklung  an 
mehr  als  einem  orte  auf  Island  und  bei  Saxo  wider.  Die  form  H2 
aber  verbreitete  sich  mit  anderem  namen  (Walthersage  H2a)  namentlich 
über  Deutschland,  gelangte  aber  von  da  aus  auch  nach  England, 
während  H2h  am  reichsten  im  skandinavischen  Norden  blüht.  Nach 
ausweis  der  englischen  version  der  Riboldballade  war  sie  aber  auch  in 
Brittannien  bekannt.  Und  wie  wir  §  9fgg.  sehen  werden,  liegt  sie  der 
einzigen  deutschen  bearbeitung  des  Stoffes,  die  die  alten  namen  bewahrt, 
der  Küdrün,  zugrunde. 

Ehe  wir  von  der  Shetlandsballade  abschied  nehmen,  müssen  wir 
uns  mit  der  ansieht  Panzers,  der  sie  aus  dei'  Helmerballade  ableitet 
und  behauptet,  der  bruder  der  Helmervise  sei  in  der  Shetlandsballade 
unter  dem  einfluss  der  Riboldvise  durch  einen  nebenbuhler  ersetzt  worden, 
auseinander  setzen.  Die  absolute  willkürlichkeit  dieser  behauptung  ist 
augenscheinlich.  Eine  solche  entwicklung  ist  schon  deshalb  unmöglich, 
weil    dem    nebenbuhler    in    der   Riboldballade    keine    rolle    voii   irgend 


UNTEESUCHtJNGEN   ÜBER  DIE   HILDESAUE  201 

welcher  bedeutung  zufällt.  Genannt  wird  er  zwar,  aber  er  ist  so  sehr 
eine  nebenperson,  dass  unter  zwanzig  redactionen,  die  ihn  nennen,  es 
nur  vier  für  der  mühe  wert  erachtet  haben,  seinen  tod  mitzuteilen. 
Das  entspricht  noch  seiner  sccundären  rolle  in  der  Überlieferung;  er 
hat  überhaupt  nichts  anderes  zu  tun  als  der  vom  vater  gewollte  freier 
zu  sein.  Dass  er  in  dieser  rolle  zu  der  gemeinsamen  quelle  der 
vier  bailaden  gehört,  wurde  s.  185  anm.  2  ausgeführt,  und  die  Helgi- 
sage  bestätigt  es.  Die  Shetlandsballade  hat  ihn  zur  hauptperson  ent- 
wickelt. In  der  Riboldvise  hingegen,  die  hier  das  vorbild  abgegeben 
haben  soll,  ist  es  wie  in  der  Helmervise  der  bruder,  der  den  ent- 
führer  tötet. 

Auch  die  tlucht  des  paares,  die  Panzer  aus  der  Riboldvise  ableiten 
will,  gehört  zu  dem  alten  bestände  der  Überlieferung;  sie  ist  nur  in 
der  Helmervise  zu  einer  flucht  des  beiden,  den  die  geliebte  nicht  be- 
gleitet, entstellt.  Weshalb  muss  nun  eine  vise,  die  die  alte  Vorstellung 
bewahrt  hat,  von  einer  entstellten  form  stammen?  Von  einer  , heim- 
tückischen' tötung  des  beiden,  wovon  Panzer  s.  178  redet,  weiss  die 
Shetlandsballade  nichts;  in  der  darstellung  des  todes  des  liebhabers 
steht  sie  ganz  allein,  ohne  dass  die  Helmerballade  zu  ihrer  erklärung 
etwas  beisteuerte.  Darauf  folgt  dann  die  ähnlichkeit,  dass  der  sieger 
der  frau  den  köpf  seines  feindes  zeigt,  —  eine  bekannte  prahlerei,  die 
/..  b.  in  den  mordgeschichten  der  sqgur  widerholt  widerkehrt.  Wenn 
hier  ein  Zusammenhang  angenommen  werden  müsste,  so  wäre  noch 
zu  untersuchen,  auf  welcher  seite  das  prius  ist,  aber  wenn  man  in 
betracht  zieht,  dass  die  eine  bailade  auf  die  Shetlandsinseln,  die  andere 
nahezu  auf  schwedische  Überlieferung  beschränkt  ist,  so  wird  man  sich 
davor  hüten,  auf  diesen  vereinzelten  zug  viel  zu  bauen.  Dass  die  frau 
den  geliebten  rächt,  ist  eine  psychologische  schlussf olger ung,  wie  z.  b. 
die,  dass  der  söhn  den  vater  rächt;  in  dem  einen  liede  rächt  sie  den 
liebhaber  an  dem  bruder,  in  dem  anderen  an  dem  bräutigam;  in  dem 
einen  liede  dadurch,  dass  sie  den  mörder  durchsticht,  in  dem  anderen 
dadurch,  dass  sie  ihn  verbrennt.  Zum  schluss:  wenn  die  Shetlands- 
ballade weiter  nichts  wäre  als  eine  combination  aus  der  Helmervise 
und  der  Riboldvise,  wie  erklärt  Panzer  dann  die  alten  züge,  die  sie 
allein  bewahrt  hat:  den  raub  während  der  abwcsenheit  des  vaters, 
den  Versöhnungsversuch,  den  namen  liildina,  endUcli  die  Überein- 
stimmung mit  Snorri  und  dem  Snrlu  l)iittr  in  der  localisierung  auf  den 
Orkneyjar? 

Für  die  gesamte  bisher  besprochene  Überlieferung  ergibt  sich  der 
folgende  Stammbaum  (vgl.  s.  51.  (Xi.    I!»."»). 


202 


H  (Saxo  1) 
1 

SHl 

j 

Hl 

=  SH2 

1 

H2& 

SH3       ^ 

I'Hl 

1 
w 

H2h^ 

-"       r       Sairn  TT  =  SR  a 

! 
fH2 

1    •           1 

Waldere              SW 

HB           Slietlaiidsballade  SH5 

II                                   .1 
jftf4       grundlage                            SH  ö  (Snorii) 
(Helgi)     der  viser 

1                                   1 
Ur.  Hildebrand  Heliiierballade 

1                     1 
PW               FW 

(Pohl.  Version)     i 

FW  2 

(tS) 

1 

W 

hai 

1>H  + 

E 

(Ecke 

1                 1 
Ur.  Ribold   Hildebrand 
t)                1              1     lind  Hilde 
Earl  Braud    Ribold. 

Dil 

Waltherfr 

(1. 
aKiuei 

>te. 

§  9.    Die  hauptformeii  der  eiitniliruiigssage  in  Kiidrun. 

Die  sage,  die  wir  §  2  —  8  kennen  lernten,  ist  nicht,  wie  Panzer 
glaubt,  eine  von  Snorri  für  einen  bestimmten  zweck  zurechtgelegte 
erzählung,  sondern  eine  in  einer  grossen  anzahl  von  Varianten  weit 
verbreitete  sage,  zum  teil  an  HeÖins  namen,  zum  teil  an  andere  namen 
geknüpft,  aber  so  häufig  bezeugt  und  in  ihrer  entwicklung  so  durch- 
sichtig, dass  über  ihren  Inhalt  und  ihre  älteren  formen  kein  zweifei 
obwalten  kann.  Wenn  wir  nun  auf  ein  zugleich  junges  und  sehr  com- 
pliciertes  gedieht  stossen,  das  anerkanntermassen  von  fremden  Stoffen 
stark  beeinflusst  worden  ist,  so  ist  es  gewiss  ein  methodisches  verfahren, 
nicht  aus  diesem  gedichtc  einen  angeblich  alten  Inhalt  nach  eigenem 
gutdünken  durch  auswahl  zusammenzustellen  und  diesen  Inhalt  den 
älteren  ciuellen  aufzudrängen,  sondern  zunächst  zu  untersuchen,  ob  der 
iniuilt  dei-  älteren  und  zugleich  durchsichtigen  quellen  in  diesem  jungen 
gedichte  widerzufiuden  ist.  Das  wird  wenigstens  eine  berechtigte  for- 
derung  bleiben,  solange  man  annimmt,  dass  der  stotf  hier  und  dort 
derselbe  ist.  Wenn  das  gelingt,  ohne  der  Überlieferung  gewalt  an- 
zutun,  so  werden  wir  das  Küdrünproblem  als  gelöst  zu  betrachten 
das  recht  haben. 

Die  beiden  hauptabteilungen  von  Küdrün  bezeichne  ich  als  KI 
und  K II ;  dabei  wird  von  der  unserem  Stoffe  fremden  einleitung  ab- 
gesehen. Dass  zwischen  diesen  beiden  teilen  ein  nahes  Verhältnis 
besteht,  hat   man   lange   gesehen;   sogar  Panzer,  der  die  ableitung  aus 


UNTERSUCHüNCiEN    ÜBER    DIK    HILDKSAGK  203 

einer  entführungssage  leugnet,  tut  das  für  beide  teile  und  führt  seiner- 
seits beide  auf  eine  Überlieferung  zurück.  Die  verbreitetste  auffassung 
ist  wol  die,  dass  die  Küdrünsage  (KU)  eine  fortsetzung  der  Hildesage 
(KI)  sei,  die  sich  im  directen  anschluss  an  diese  entwickelt  aber  nie- 
mals selbständig  existiert  habe.  Wir  wollen  die  fabel  etwas  näher 
betrachten. 

Die  fabel  von  KU  ist,  wenigstens  in  ihrer  ersten  hälfte,  beim 
ersten  anblick  die  deutlichere.  Während  Hetele  nicht  zu  hause  ist, 
kommt  Hartmuot  und  raubt  seine  tochter.  Als  der  vater  das  vernimmt, 
eilt  er,  von  einem  von  ihm  begünstigten  bräutigam  begleitet,  dem 
läuber  nach;  er  holt  ihn  beim  Wülpensande  ein  und  wird  dort  er- 
schlagen. Es  ist  die  aus  dem  vorhergehenden  zur  gcniige  bekannte 
erzählung;  der  eingang  correspoudiert  mit  mehreren  skandinavischen 
Versionen,  in  denen  der  vater  gleichfalls  abwesend  ist,  als  die  tochter 
entführt  wird;  der  nebenbuhler  entspricht  Hobbroddr  und  dem  bräu- 
tigam der  Riboldvise  und  der  Shetlandsballade.  Der  tod  des  vaters 
ist  für  dieselbe  gruppe,  die  älteste  form  der  Walthersage  einbegriffen, 
charakteristisch. 

Weniger  einfach  als  dieser  teil  von  KII  ist  KI.  Die  vielen  personen, 
die  au  dem  raubzug  teilnehmen,  und  die  eigentümliche  Vorbereitung 
des  abenteuers  deuten  auf  eine  starke  und  widerholte  Überarbeitung. 
Wir  müssen  aber  vorläufig  alle  nebenpersonen  bei  seite  lassen  und 
uns  mit  Wate  beschäftigen,  der  bei  der  entführung  die  hauptperson 
ist,  der  das  Wagestück  vollbringt  und  den  kämpf  mit  dem  ihn  ver- 
folgenden Hagen  leitet.  Wenn  Wates  erstes  auftreten  an  Hagens  hol 
nicht  auf  moderner  ausführung  der  Situation  beruht,  • —  worauf  man 
bei  einem  gedichte  wie  Kiidrün  stets  gefasst  sein  muss,  —  so  steht 
der  eingang  der  geschichte  auf  einem  noch  altertümlicheren  Standpunkt 
als  der  von  KII.  Wate  kommt  nicht  in  Hagens  land,  während  dieser 
abwesend  ist,  sondern  er  besucht  ihn  selbst  und  schliesst  mit  ihm 
freundschaft.  In  einigen  einzelheiten  kann  man  züge  eines  bestimmten 
Zweiges  der  skandinavischen  tradition  widerfinden.  Der  scheinkampf 
zwischen  Wate  und  Hagen  kann  nämlich,  wenn  er  überhaupt  etwas 
berleutet,  nur  dem  dem  froundschaftsbündnis  vorangehenden  wettkampf 
der  beiden,  von  dem  der  Sorla  l»attr  berichtet,  gleich  gestellt  werden. 
Die  Kndrünstelle  würde  dann  beweisen,  dass  die  darstellung  des  l)ättr 
in  diesem  punkte  nicht  so  völlig  wertlos  ist,  als  man  auf  grund  des 
mangels  eines  entsprechenden  berichtes  in  anderen  (luellen  anzunehmen 
geneigt  wäre.  Für  einen  Zusammenhang  in  diesem  punkte  spricht  auch 
noch  eine  andere  übereiustimiuung  mit  ijcm  jiiittr,  nämlich  die  behand- 


204  BOEK 

lung,  die  die  alte  königin  erfährt.  In  dem  l'ättr  wird  sie  vor  den 
Steven  des  schiffes  gelegt  und  überfahren,  in  KI  werden  alle  die 
personen,  die  mit  Hilde  auf  das  schiff  gekommen  sind,  —  und  zu 
diesen  gehört  ja  auch  die  königin,  —  ins  wasser  gestossen-.  Die  auf- 
fassung  und  die  ausführung  des  motivs  ist  sehr  verschieden;  der  Pättr 
erklärt  die  rohe  behandlung  der  königin  secundär  aus  HeÖins  geistes- 
verwirruug,  KI  aus  der  notwendigkeit,  die  frauen  durch  eine  list  auf 
das  schiff  zu  locken  und  sich  der  mutter  zu  entledigen.  Aber  das 
resultat  ist  doch  auch  hier,  dass  die  königin  misshandelt  auf  dem 
strande  liegt,  während  der  räuber  mit  der  tochter  davonsegelt  2. 

Hagen  setzt  dem  entführer  nach  und  holt  ihn  bei  Waleis  ein, 
wo  es  zu  einem  kämpfe  kommt.  Hier  wird  die  darstellung  durch  die 
einführung  Heteles,  der  Wate  entgegengereist  ist  und  nun  am  kämpfe 
teil  nimmt,  äusserst  compliciert.  Ich  hoffe  §  10  den  nachweis  zu 
führen,  dass  diese  darstellung  durch  eine  contamination  mit  einer 
dritten  form  der  entführungssage  entstanden  ist.  Bis  hierher  lässt  es 
sich  nicht  leugnen,  dass  Wates  rolle  in  der  erzählung  dieselbe  ist,  die 
in  der  skandinavischen  quelle  Hebinn  zufällt.  Und  das  bleibt  so  nach 
Heteles  auftreten;  auch  im  kämpfe  ist  Wate  die  hauptperson.  Hier,  am 
entscheidenden  punkte  findet  nun  unsere  kritik  eine  stütze  an  dem  ein- 
zigen deutschen  Zeugnisse,  das  chronologisch  weit  über  Küdrün  hinaus- 
reicht, der  bekannten  stelle  aus  Lamprechts  Alexander,  die  in  der  8trass- 
burger  hs.  (ISoOfgg.)  wie  folgt  lautet: 

Von  ehieni  rol'/cigo  liorc  11  ir  s(/(jcn, 
der  üf  Widpimvcrde  gesrhach, 
—  dar  Hilden  vater  tot  lach'-^,  — 

1)  Freilich  sucht  der  dichter  uuch  seiner  gewohnheit  diesen  zug  zu  vertuschen, 
aber  der  zusamnieuhang  ist  doch  nicht  anders  zu  verstehen.  Str.  445,3  heisst  es:  die 
alten  küneginne  schiet  man  von  der  meide.  Man  ist  aber  schon  auf  dem  schiffe,  denn 
unmittelbar  darauf  heisst  es  445,  4  —  446, 2 :  üf  Sprüngen  die  da  ■  lägen.  .  .  .  üf 
xuhten  si  die  segele,  die  Hute  sahen  dax.  die  si  wx-  dem  scheffe  stiexen,  der  toart 
vil  manegrr  na%.  "Wenn  es  darauf  z.  4  heisst:  der  alten  Idmeginne  tvart  nach  ir 
vil  lieben  tochter  ande,  so  sieht  es  aus,  als  mache  der  dichtei-,  der  den  unhöfischen 
zug  nicht  zu  entfernen  vormochte,  einen  versuch,  die  aufmerksamkeit  auf  ein  see- 
lisches motiv,  den  schmerz  der  königin  über  den  verlust  der  tochter,  hinzulenken. 

2)  Über  eine  berührung  von  K  II  mit  dem  S^rla  |)iittr  s.  §  12. 

3)  Eine  unrichtige  interpunction  dieser  stelle  hat  vielfach  Verwirrung  und 
missverständnis  hervorgerufen.  So  glaubt  "Wilmanns ,  Entwicklung  der  Küdründichtung 
s.  234,  Hildens  vater  sei  eine  andere  person  als  Hagene,  Hagene  und  "Wate  seien 
im  kämpfe  umgekommen  und  feruer  noch  eine  dritte  person,  etwa  Hetele,  was  sich 
nicht  entscheiden  lasse,    da  ein  Tehler  in  der  übei'lieferung  vorliege.     Die  richtige 


TrNTRRSUCHTINGF.N   f RET?    DtE   HILDESAGK  205 

inxivischptt  Hagtnetf   inide    WatPii : 

der  ne  mohte  sich  hl  xö  niht  gegaten. 

Herwieh  unde  Wolfram 

ne  mohten  ime  n'nvit  gelich  stn: 

noh  nehein  man  ander: 

also  fref'lf'rh   (\.  fr  eislich)    ivas  Alexander: 

während  die  Vorauer  hs.  hat  (1321  fgg.): 

}nan  saghct  von  dem  sinrin, 
der  üf  Wolfenwerdc  gesrach, 
—  da  Hilden   rater  tot  lach,  — 
zewishen  Hagenen  nnde   Waten: 
sone  mnother  herxo  nieth  kute/t. 
iedoch  ne  mohte  nehein  sin: 
noch  Hereivtch  noch    Wolftvin\ 
der  der  ie  gevaht  volcnich, 
dem  chnnii/r  Alexander  gelich. 

"Wir  fragen  zunächst,  auf  welche  der  beiden  in  Ivfidrun  mitge- 
teilten kämpfe  zwischen  dem  vater  und  dem  entführer  diese  stelle  geht. 
Für  KI  sprechen  die  namen  Hagen  und  Hilde;  für  KIT  könnte  die 
localisierung  auf  dem  Wülpensande  zeugen,  und  mit  KU  ist  auch  der 
tod  des  vaters  in  Übereinstimmung.  Jedesfalls  wird  man  Lamprechts 
bericht  aus  dem  12.  Jahrhundert  eher  als  der  wunderlichen  combination 
des  jungen  gedichts  glauben  schenken  müssen.  Sieht  man  genau  zu, 
so  ist  die  wähl  zwischen  den  beiden  möglichen  auffassungen  nicht 
schwer.  Wenn  Lamprecht  von  KI  redet,  so  ergibt  es  sich,  dass  eine 
ältere  tradition  auch  KI  auf  dem  Wülpen werde  localisiert  hatte;  Waleis 
ist  dann  eine  ncuerung.  Ist  bei  Lamprecht  von  KII  die  rede,  so 
müsste  man  annehmen,  dass  auch  in  KII  die  namen  von  vater  und 
tochter  einmal  Hagen  und  Hilde  waren;  Hetele  und  Küdrun  sind  hier 
dann  neu  eingeführt  worden.  Sehen  wir  vorläufig  von  Hetele  ab,  so 
ist  es  eher  wahrscheinlich,  dass  ein  ortsname  wie  Waleis  —  ein  name 
aus  brittischen  roraanen,  der  damit  zusammenhängt,  dass  Hagen  in 
Irland  wohnt,  —  in  K I  neu  ist,  als  dass  der  name  Kiidnln  auf  freier 
erfinduiig  beruhen  soUte.  Dies  ist  um  so  unwahrscheinlicher,  als  auch 
eine   andere  siige.    dif  Xibelungensage,   jedoch  nur  in   fassuugen,   die 

Ulffassung  der  stelle  findet  sich  schon  bei  Hoffmann  und  ist  auch  von  Kloc,  Z.  Hildes. 
^.  49  ausgesprochen  worden. 

1)  Dass    Wolfwin    richtig,    Wolfr(H)i  ein    fehler   ist.    lehrt   der   reim    iu  lieidcii 
fassungeu. 


206  BOER 

unserem  dichter  nicht  bekannt  gewesen  sein  und  also  den  namen  nicht 
hergegeben  haben  können,  GuÖrün  in  Verbindung  mit  Hagen  kennt. 
Aber  auch  mit  Wate  wissen  wir,  wenn  Lamprechts  anspielung  auf  K  II 
gehen  sollte,  keinen  rat.  Denn  allerdings  kennt  K  II  in  der  vorliegenden 
fassung  Wate,  aber  in  einer  dem  berichte  Lamprechts  absolut  entgegen- 
gesetzten rolle;  während  er  bei  Lamprecht  der  feind  Hagens  ist,  steht 
er  in  KU  auf  der  seite  des  beleidigten  vaters.  Mau  versteht  nicht, 
weshalb  Wate,  wenn  er  früher  in  KU  der  räuber  war,  später  auf  die 
Seite  des  vaters  übergegangen  sein  und  als  feind  des  vaters  vollständig 
neuen  feinden  den  platz  geräumt  haben  sollte.  Auch  ist  es  nicht  zu 
verstehen,  wenn  von  anfang  an  sowol  KI  wie  KU  die  trias  Hagen - 
Wate-Hilde  gekannt  hätten,  aus  welchen  Ursachen  KU  später  die 
erzählung  an  ein  zweites  geschlecht  geknüpft  und  nicht  einen  einzigen 
von  den  alten  namen  erhalten  hatte. 

Also  redet  Lamprecht  von  K I.  Aber  dann  erfahren  wir  an  dieser 
stelle  nicht  nur,  dass  einmal  auch  KI  auf  dem  Wülpensande  localisiert 
war,  sondern  auch,  dass  der  ausgang  des  kampfes  in  Kudrun  eine 
neuerung  erfahren  hat.  Ursprünglich  wurde  Hagen  auf  dem  Wülpen- 
sande erschlagen  1;  in  dem  überlieferten  gedichte  wird  friede  ge- 
schlossen. Über  den  grund  dieser  neuerung  läßt  sich  eine  Vermutung 
aufstellen.  Eine  notwendige  folge  der  durchführung  der  erzählung 
durch  zwei  geschlechter  ist  sie  nicht.  Denn  auch  wenn  Hagen  gefallen 
war,  konnte  Hilde  wol  eine  tochter  gebären,  in  deren  leben  sich  die 
geschichte  der  mutter  widerholte.  Man  kann  hier  nun  von  'friedfertigen 
tendenzen  des  dichters'  reden,  aber  solange  die  dichter  uns  nicht 
besser  bekannt  sind,  ist  das  doch  nur  eine  phrase,  die  unsere  Unkenntnis 
verhüllen  soll.  Ich  glaube,  dass  der  friedensschluss  eine  folge  davon 
ist,  dass  bei  der  anläge  des  gedichtes  für  eine  räche  für  Hagen  kein 
platz  mehr  vorhanden  war.  Dass  KI  diese  räche  kannte,  werden  wir 
§  12  sehen;  wo  sie  fortfallen  musste,  lag  es  nahe,  zugleich  die  tat, 
die  gerächt  werden  musste,  zu  entfernen.  An  die  stelle  von  Hagens 
tod  trat  eine  Versöhnung. 

Ferner  belehrt  Lamprecht  uns  darüber,  das  Hetelo  in  KI  eine 
fremde  gestalt  ist.  Wenn,  wie  Küdrün  erzählt,  Wate  von  anfang  au 
nur  eiü  böte  Heteles  gewesen  wäre  und  dieser  vor  der  schlacht  sein 
beer  mit  dem  seines  dienstmanns  vereinigt  hätte,   so  könnte  der  zweck 

1)  Also  die  sagenform  der  Walthersage ,  der  Helgisage  und  der  balladeu,  uicht 
die  bei  Snorri  mitgeteilte,  wie  Wilmamis  auf  giimd  seiner  falschen  interpunctiou 
(oben  s.  204  anm.  3)  annimmt. 


ÜNTERSrCIIUNGF.X    €'BKR    DIE    lIILUESAfiK  207 

dieser  vereinigimf^  doch  nur  der  gewesen  sein,  zu  zeigen,  dass  Hetele 
die  iiaiiptperson  war,  und  die  poetische  logik  hätte  gefordert,  dass 
Hagen  von  Hetele  erschlagen  av  ürde.  Aber  von  Hetele  Aveiss  Lamprecht 
nichts;  er  redet  von  einem  kämpfe  zwischen  Hagen  und  Wate,  und 
in  diesem  kämpfe  wird  Hagen  erschlagend  Das  heer,  das  Wate  noch 
in  Küdrün  in  seinem  schifte  verborgen  hält,  ist  dasselbe,  wodurch 
ursprünglich  Hildes  vater  besiegt  wurde. 

Fragen  wir  nach  dem  Verhältnis  zwischen  KI  und  KU,  so  hat 
es  sich  ergeben,  dass  beide  an  demselben  orte  localisiert  waren.  Ferner, 
wenn  wir  von  den  namen  absehen,  dass  in  dem  bisher  besprochenen 
abschnitt  der  inhalt  der  beiden  erzählungen  nicht  nur  ujigefähr,  sondern 
in  hauptzügeu  vollständig  derselbe  ist.  In  beiden  wird  ein  mädchen 
geraubt  und  der  vater,  der  dem  räuber  nachsetzt,  auf  dem  Wiilpon- 
sande  von  dem  entführer  erschlagen.  Es  ist  wol  klar,  dass.  K II  unter 
solchen  umständen  nicht  als  eine  fortsetzung  sondern  als  eine  sehr 
nahe  Variante  von  KI  zu  betrachten  ist.  Es  kann  aus  diesen  gründen 
kaum  einem  zweifei  unterliegen,  dass  auch  in  KU  der  name  des  vaters 
einmal  Hagen  war-.  Hetele  kann  auf  keinen  fall  richtig  sein.  Freilich 
ist  es  uns  noch  nicht  klar  geworden,  woher  Hetele  in  unserem  gedichte 
stammt,  aber  dass  sein  name  der  eines  entführers,  nicht  der  des  vaters 
der  entführten  frau  ist,  wissen  wir  doch  aus  den  nordischen  quellen. 
Seine  rolle  in  K  II  muss  demnach  auf  einer  Übertragung  beruhen. 

Was  ist  nun  der  grund,  dass  zwei  Varianten  durch  eine  genea- 
logische Verbindung  aneinander  gereiht  worden  sind?  Die  vollständige 
Identität  der  erzählungen  ist  nicht  erkannt  oder  wenigstens  nicht  an- 
erkannt worden.  Der  grund  dafür  wird,  wie  so  häufig,  in  den  namen 
zu  suchen  sein. 

Für  verhältnismässig  alt  in  KU  halte  ich  den  namen  Küdrün. 
Auch  in  der  Nibelungensage  besteht  in  bezug  auf  den  namen  der 
IVau.  zu  der  Hagen  in  einem  Verwandtschaftsverhältnisse  steht,  dasselbe 

1)  Da.s.s  in  KI  Wate  die  stelle  des  liebliabers  einnimmt,  hat  schon  W.  Meyer, 
lifitr.  10,  528  richtig  gesehen. 

2)  Direote  rominiscenzen  daran  enthalten  drei  stellen  (1270.  1281.  1486).  wo 
Kudriln  dax  Ihujrmni  kütine  heisst.  Namentlich  1480  ist  beweiskräftig;  Küdrün, 
nach  ihrem  namen  befragt  sagt:  icli  Itelxe  Kudrüii  and  bin  dax  llayenen  künne. 
Dass  sie,  um  ihre  Identität  anzudeuten,  den  namen  des  grossvaters,  nicht  den  des 
vaters  nennen  sollte,  ist  unglaublich.  Dem  kann  man  nicht  entgegenhalten,  dass  der 
grossvater  der  berühmtere  sei.  denn  erstens  trifft  das  für  das  vorhegende  gedieht 
nicht  zu,  und  forner  ist  zwar  Hetele,  aber  nicht  Hagt'n  Iferwif,.  der  die  auskunft 
erhält,  bekannt. 


208  BOER 

schwanken  wie  hier^.  Neben  (Grrira-)hild  tritt  GuÖrün  auf.  Und  das 
verliältnis  ist  so,  dass  die  quellen  entweder  nur  Grimhild  oder  beide 
frauen  kennen,  wie  den  quellen  der  Hildesage  entweder  Hild  oder 
beide  trauen  bekannt  sind.  In  diesem  fall  ist  Grimhild  GuÖrüns  mutter. 
Aber  Hagen  ist  da,  wo  nur  Grimhild  bekannt  ist,  Grimhilds,  wo  beide 
bekannt  sind,  GuÖrüns  bruder. 

Der  name  des  räubers  ist  in  der  alten  Überlieferung  am  wenigsten 
constant.  In  einer  reihe  von  Varianten,  die  den  nanien  Hagen  richtig 
mitteilen,  trägt  der  räuber  verschiedene  namen.  In  der  Hildesage  be- 
gegneten wir  schon  Hebinn,  aber  auch  "Wate,  und  noch  anderen  namen 
werden  wir  begegnen;  in  der  Walthersage  Walther,  in  der  Helgisage 
Helgi;  —  aber  überall  ist  der  vater  Hagen. 

Etwas  fester  als  der  name  des  räubers,  aber  weniger  fest  als  der  des 
Vaters  ist  der  name  der  frau:  Hilde,  Sigrün,  Hildegunde  (ein  compositum 
mit  Hilde).  Es  ist  demnach  gar  nicht  auffällig,  wenn  in  einer  sagenform, 
wo  der  vater  Hagen  hiess,  die  tochter  und  der  räuber  andere  namen  trugen. 

Der  name  Küdrün  wird  nach  dem  oben  erörterten  in  KU  echt 
und  also  in  der  sage  verhältnismässig  alt  sein. 

Wenn  nun  in  KU  der  räuber  einen  der  in  Küdrun  überlieferten 
namen  trug,  —  wir  nehmen  vorläufig  an:  Hartmuot,  —  so  lauteten 
die  beiden  Varianten,  wie  folgt: 

KI:  Wate  raubt  Hagens  tochter  Hilde  und  besiegt  darauf  den 
vater  auf  dem  Wülpensande. 

KU:  Hartmuot  raubt  Hagens  tochter  Kndrün  und  besiegt  darauf 
den  vater  auf  dem  Wülpensande. 

Für  einen  dichter,  der  diese  beiden  erzählungen  kannte  und  sie 
zu  einer  fortlaufenden  geschichte  verbinden  wollte,  waren  genügende 
gründe  zu  einer  genealogischen  Verknüpfung  vorhanden.  Wenigstens 
wenn  ihm,  ähnlich  wie  den  nordischen  dichtem  der  Mbelungenpoesie, 
eine  genealogie  bekannt  war,  nach  der  Hilde  die  mutter  der  Küdrün 
war.  In  diesem  fall  konnte  er  den  schluss  ziehen,  dass  Küdrün  nicht 
Hagens  tochter  sondern  seine  enkelin  war.  Er  fasste  also  die  ent- 
führung  von  Hilde  und  von  Küdrun  als  zwei  abenteuer,  der  mutter 
und  der  tochter,  auf.  So  wurde  Küdrüns  entführung  zu  einem  aben- 
teuer in  der  zweiten  generation. 

Dass  nun  unser  dichter  tatsächlich  eine  genealogie  kannte,  nach 
der  Hilde  Küdrüns  mutter,  das  Verhältnis  der  beiden  frauen  zu  Hagen 

1)  Über  die  älmlichkeit  ia  diesem  punkte  mit  der  Nibelungensage  äussert  sich 
schon  Klee,  Z.  Eildesage  s.  50  fg.  Er  glaubt  aber,  GuSrün  sei  von  anfang  an  ein 
beiname  der  Hildr  gewesen. 


UNTERSUCHTTNGEN   ÜBER   DIE   HILDESAGE  209 

dagegen  schwankend  war,  darf  man  weiter  aus  dem  genealogischen 
resultate,  das  am  ende  bei  seinen  speculationen  herauskam,  schliessen. 
Denn  nach  seiner  combination  mussten  sich  die  Verhältnisse  von  K I 
wie  folgt  gestalten.  1.  Hilde  ist  Hagens  tochter.  2.  Küdrün  ist  also 
seine  enkelin.  Aus  K II  aber  ergab  sich  3.  Küdrün  ist  Hagens  tochter. 
4.  also  ist  Hild  seine  frau.  Von  diesen  vier  gliedern  konnte  er  1.2.4 
brauchen,  während  nur  8  bei  seite  geschoben  wurde.    Daraus  ergab  sich: 

Hild  I  ist  Hagens  frau  (nach  KU). 

Hild  II  ist  Hagens  tochter  (nach  K I). 

Küdrün  ist  Hagens  enkelin  (stammt  aus  KU,  ist  unter  dem  ein- 
fluss  der  Verbindung  mit  KI  um  eine  generation  verschoben). 

Das  ist  die  genealogie,  die  in  dem  überlieferten  gedichte  vorliegt. 

Das  gedieht  aber  macht  Hetele  zu  Küdrüns  vater.  Zugleich  führt 
es  andere  personen  ein,  unter  denen  Horant  eine  rolle  spielt,  die  der 
des  entführers  sehr  ähnlich  ist.  Wir  müssen,  ehe  wir  aus  unseren. bis- 
herigen resultaten  weitere  Schlüsse  ziehen,  diese  gestalten  näher  be- 
trachten. 

§  10.    Hörant. 

Panzer  hat  nachzuweisen  versucht,  dass  Hjarrandi,  der  von  Horant 
kaum  getrennt  werden  kann,  nur  ein  anderer  name  für  HeÖinn  sei, 
und  zwar  ein  beiname,  was  so  zu  verstehen  wäre,  dass  der  held  in 
einer  version  der  sage  die  beiden  namen  getragen  habe.  Panzers  be- 
weisführung  hat  zwar  für  mich  nichts  überzeugendes,  aber  die  frage, 
ob  *  Herrand  der  name  eines  beiden  unserer  erzählung  sein  kann,  ver- 
dient meines  erachtens  ernsthafte  erwägung. 

Wir  müssen  damit  anfangen,  die  Zeugnisse  richtig  zu  unter- 
scheiden und  darauf  achten,  dass  tatsächlich  in  keiner  einzigen  quelle 
Hebinn  und  Hjarrandi  für  identisch  gelten.  Im  Norden  gilt  Hjar- 
randi unbedingt  für  Heöins  vater.  Das  ist  nicht  eine  irrtümliche  an- 
sieht Snorris,  denn  der  Sgrla  {)ättr,  der  von  Snorri  ziemlich  weit  ab- 
steht, erzählt  dasselbe.  Und  ebenso  die  Ggngu-Hrölfs  saga  c.  17.  Was 
die  kenning  Hjai'randa  kurtS  'schild'  in  der  Ragnarsdräpa  betrifft,  so 
liaben  wir  schon  (s.  11  anm.  2)  gesehen,  dass  diese  nicht  im  gering- 
sten dazu  berechtigt,  HeÖinn  mit  Hjarrandi  zu  identificieren,  und 
ebensowenig  lässt  sich  ein  solcher  schluss  aus  der  bekannten  stelle 
in  RQgnvalds  Hättalykill  ziehen.  Nach  6inor  stropho  raubt  HeÖinn 
Hildr,  diese  reizt  die  krieger  auf,  sie  kämpfen  ohne  aufhören.  Das  ist 
ein  Zeugnis  für  die  sagenform  der  Ragnarsdriipa  und  Snorris.  üb  die 
folgende  Strophe  sich  gleichfalls  auf  die  Hildesage  bezieht,  das  ist  min- 

ZElTSCHRU-r    F.  DEÜTSCHK    PHILOLOOIK.       BD.   XL.  14 


210  BOER 

destens  sehr  zweifelhaft.  Sie  erwähnt  als  kämpfer  HQgni  und  Hjarrandi, 
dass  sie  gegeneinander  kämpfen,  steht  nicht  da;  als  dritten  kämpfer  aber 
fügt  sie  einen  gewissen  Harald  hinzu,  den  keine  version  der  Hildesage 
kennt.  Wenn  nun  in  der  Bravallaschlacht  neben  HeÖinn  ein  Harald 
genannt  wird,  so  muss  man  zunächst  fragen,  ob  tatsächlich  dieser  Harald 
der  von  ßggnvald  genannte  und  dieser  HeÖinn  der  Hebinn  der  Hilde- 
sage ist.  Leugnet  man  diese  Identität,  so  kann  man  mit  den  naraen 
bei  KQgnvaldr  nichts  anfangen;  gibt  man  sie  zu,  so  lässt  die  erwähnung 
Haralds  bei  KQgnvaldr  eher  vermuten,  dass  die  strophe  von  der  Bravalla- 
schlacht als  dass  sie  von  der  Hildesage  handle.  Auf  keinen  fall  geht 
es  an,  aus  diesem  nichtssagenden  zeugnis  abzuleiten,  Hjarrandi  müsse 
der  held  der  Hildesage  sein.  In  der  Bravallaschlacht  begegnen  übrigens 
alle  möglichen  beiden;  es  ist  sehr  wol  möglich,  dass  hier  in  irgend 
einer  version  neben  Hebinn  sein  vater  Hjarrandi  genannt  wurde;  daraus 
kann  KQgnvaldr  die  Verbindung  Harald -Hjarrandi  entlehnt  haben,  wenn 
die  Strophe  überhaupt  etwas  mehr  als  eine  willkürliche  aufzählung  von 
namen  ist.  Wenn  wir  erwägen,  dass  diese  strophe  für  die  hypothese, 
im  norden  seien  Hebinn  und  Hjarrandi  identisch  gewesen,  die  einzige 
stütze  ist,  so  sieht  es  für  diese  theorie  bedenklich  aus^.  • 

Daraus  folgt  nun  freilich  nicht,  dass  das  genealogische  Verhältnis 
zwischen  Hebinn  und  Hjarrandi,  das  die  nordischen  quellen  kennen, 
das  ursprüngliche  ist.  Die  beiden  der  dichtung  haben  der  regel  nach 
ursprünglich  keine  genealogie;  die  vorfahren  sind  hier  meist  jünger  als 
die  kinder.  Bei  Saxo  wird  Hebins  vater  ebensowenig  wie  HQgnis  vater, 
den  auch  Snorri  nicht  kennt,  genannt.  Es  wäre  möglich,  dass  Hebinn 
und  Hjarrandi  ursprünglich  beiden  verwandter  sagen  wären,  deren  Ver- 
hältnis zu  beurteilen  wäre,  wie  das  zwischen  Sigurbr  und  Sigmundr; 
vgl.  auch  die  auffassung  Hagens  als  eines  Hn?eflings  in  der  Nibelungen- 
sage (Unters,  über  die  NS  H,  199).  So  betrachtet,  würden  die  skandi- 
vischen  Zeugnisse  nicht  verbieten,  Hjarrandi  als  ursprünglich  mit  Hebinn 
identisch  aufzufassen,  aber  dann  nicht  als  einen  zweiten  namen  für 
eine  person  in  derselben  erzählung,  sondern  als  einen  doppelgänger 
Hebins  in  einer  verwandten  erzählung.  Es  kommt  nur  darauf  an,  ob 
die  übrigen  Zeugnisse  auf  ein  solches  Verhältnis  hinweisen.  Die  skandi- 
navischen Zeugnisse  widersprechen,  wie  gesagt,  einer  solchen  auffassung 
nicht,  aber  einen  beweis,  dass  sie  das  richtige  trifft,  gewähren  sie,  für 
sich  betrachtet,  auch  nicht. 

1)  Es  verdient  auch  beachtuag,  dass  Hjarrandi  ein  gebräuchlicher  maunes- 
name  ist,  z.  b.  Grettis  s.  c.   22. 


TJNTKHSUCHimöEN   ÜBER   DIE   HILDESAGE  211 

Die  nichtskandinavischen  quellen  fassen  Hjarrandi  positiv  als  einen 
Sänger  auf.  Wenn  das  Küdrünepos  hierfür  der  einzige  zeuge  wäre,  so 
läge  die  erklärung  auf  der  hand,  dass  dieses  amt  eine  junge  erfindung 
sei,  ja,  man  würde  mit  recht  an  jedem  zusammenhange  zwischen  Hjar- 
randi und  Hörant  zweifeln.  Aber  das  zeugnis  von  Deors  klage  fällt 
schwer  ins  gewicht.  Hier  ist  Heorrenda,  dessen  name  etymologisch 
vollständig  mit  Hjarrandi  übereinstimmt,  der  sänger  der  Heobeningas. 
Es  ist  nun  ein  leichtes,  daraus  ohne  weiteres  zu  schliessen,  dass 
Hjarrandi  notwendig  von  anfang  an  ein  sänger  gewesen  sein  müsse 
(nach  Deor  und  Küdrün),  dass  er  von  anfang  an  der  entführer  von 
Hagens  tochter  sein  müsse  (nach  Küdrün),  dass  er  von  anfang  an  zu 
dem  geschlechte  der  HjaÖningar  gehört  haben  müsse  (nach  der  skandi- 
navischen quelle),  und  also,  da  ursprünglich  doch  HeÖinn  und  nicht 
sein  vater  Hildr  entführt  hat,  mit  HeÖinn  zu  identificieren  sei.  Aber 
so  einfach  ist  die  sache  doch  nicht. 

Zunächst  ist  darauf  gewicht  zu  legen,  dass  die  nordischen  quellen 
von  dieser  Sängerschaft  nichts  wissen.  Denn  dass  in  der  jungen  Herraubs 
saga  ok  Bösa  von  einem  Hjarranda  IjöÖ  gesprochen  wird,  kann  doch 
nicht  als  ein  zeugnis  gelten:  es  kann  sehr  wol  eine  reminiscenz  an 
eine  erzählung  fremden  Ursprungs  sein.  Aber  auch  wenn  wir  dieses 
zeugnis  mitzählen,  so  gelangen  wir  nicht  weiter  als  dahin,  dass  Hjarrandi 
ein  sänger  war,  und  dass  er  nach  einer  jungen  hochdeutschen  quelle 
durch  seine  sangeskunst  für  seinen  herrn  eine  frau  erwarb.  Es  ist 
ein  allzu  eklektisches  verfahren,  zugleich  aus  ganz  anderen  quellen 
zu  schliessen,  dass  er  zu  der  familie  gehörte,  und  das  dann  wider  so 
zu  interpretieren,  dass  er  nicht  HeÖins  vater  sondern  HeÖinn  selbst  ge- 
wesen sei.  Keine  quelle,  die  Horants  gesangesknnst  erwähnt,  weiss 
etwas  von  seinem  genealogischen  Verhältnisse  zu  HeÖinn. 

Den  engen  Zusammenhang  zwischen  angelsächsischer  und  deutscher 
Überlieferung  lernten  wir  schon  bei  der  Walthersage  kennen.  Eine 
Übereinstimmung  zwischen  diesen  quellen  beweist  noch  nichts  für  die 
ursprüngliche  Vorstellung  der  sage.  Da  die  entwicklung  der  poesie  von 
den  einfachen  formen  zu  den  mehr  zusammengesetzten  fortschreitet, 
und  da  die  grosse  reihe  von  formen  der  Hildesage,  die  wir  schon 
kennen  lernten,  von  einem  solchen  sang  nichts  weiss i,  ist  es  gewiss 
überaus  gewagt,  auf  grund  der  stelle  in  D6ors  klage  Horants  gesang 
für  ein  ursprüngliches  dement  der  Hildesage  zu  erklären. 

Fragen  wir,  ob  das  motiv  des  sanges,  so  wie  Küdrün  es  mitteilt, 
in   der  Hildesage  am   platze    ist,    so    muss    die    antwort    lauten:    nein. 

1)  Über  ganz  vereinzelte  ausnahmen  (s.  60.  187)  vgl.  unten. 

14* 


212  BOER 

Schon  die  verschiedenen  entwicklungsphasen  der  erzählung  zeigen, 
dass  es  secundär  eingeführt  sein  rauss.  In  der  ältesten  sagenform,  wo 
Hagen  freiwillig  dem  freunde  seine  tochter  gibt,  ist  für  einen  solchen 
sang  überhaupt  kein  platz.  Auch  in  der  zweiten  form  (SH  1),  die  den 
kämpf  zwischen  Schwiegervater  und  Schwiegersohn  aus  dem  gewalt- 
samen raube  der  tochter  erklärt,  ist  das  motiv  noch  unmöglich.  Dann 
folgt  die  dritte  stufe  (SH2),  welche  die  entführung  aus  der  liebe  des 
jungen  paares  erklärt.  Erst  von  hier  an  konnte  ein  dichter  auf  den 
gedanksn  verfallen,  die  liebe  des  mädchens  aus  einer  durch  den  sang 
herbeigeführten  bezauberung  zu  erklären.  Zu  hause  ist  das  motiv  auch 
hier  nicht.  Seinen  platz  weist  Olrik  a.  a.  o.  s.  201  ihm,  gewiss  nicht 
ohne  grund,  in  den  liedern  vom  Halewijntypus  an.  Aus  diesem  typus 
sehen  wir  das  motiv  in  die  Keder  vom  Hildetypus,  welche  die  stufe, 
wo  die  leidenschaftliche  liebe  des  jungen  paares  das  treibende  motiv 
ist,  erreicht  haben,  übergehen;  denselben  sang  kennt  ja  auch  die  der 
Küdrun  so  nahe  stehende  Riboldvise  (s.  187).  Ähnliches  geschah  in 
der  polnischen  version  der  Walthersage.  Von  einem  directen  Zusammen- 
hang in  dem  sinn,  dass  der  sang  in  den  drei  gedichten  aus  einer  ge- 
meinsamen quelle  stammen  sollte,  kann  gar  nicht  die  rede  sein,  — 
dagegen  sprechen  schon  die  übrigen  Versionen  der  Walthersage;  eher 
könnte  man  an  eine  beeinflussung  der  polnischen  Walthersage  durch  die 
Horantsage  denken.  Aber  ob  man  eine  solche  beeinflussung  annimmt 
oder  nicht,  die  bedeutung  der  Riboldvise  und  der  polnischen  Walther- 
sage für  Horants  gesang  liegt  darin,  dass  sie  zeigen,  wie  zugänglich  das 
Stadium  SH  2  der  Hildesage  für 'den  gesang  als  erklärendes  motiv  ist. 
Die  natürlichste  Vorstellung  ist  nun  wol,  dass  ein  held,  der  solche 
mittel  anwendet,  um  eine  frau  zu  gewinnen,  sie  auch  für  sich  gewinnt. 
Daraus  darf  man  ohne  allzu  grosse  kühnheit  schliessen,  dass  einmal 
eine  Überlieferung  existiert  hat,  in  der  Horant,  oder  Herrand,  wie  er 
damals  eher  hiess,  Hilde  für  sich  entführt.  Die  sage  von  Heorrenda, 
wie  sie  dem  dichter  von  Deors  klage  bekannt  war  und  wie  sie  auch 
einem  bearbeiter  des  deutschen  gedichtes  noch  vorlag,  würde  dann 
schon  eine  längere  Vorgeschichte  haben;  sie  müsste  wol  aus  einer  con- 
tamination  entstanden  sein.  In  einer  von  zwei  nahe  verwandten  fassungen 
hiess  der  held  HeÖinn,  woraus  später  Hetele  ward.  Das  ist  die  aus 
den  nordischen  quellen  bekannte  fassung.  In  einer  anderen  hiess  er 
Herrand.  Diese  fassung  hatte,  wie  die  Riboldvise  und  die  polnische 
Walthersage,  secundär  das  motiv  aufgenommen,  dass  der  held  durch 
seinen  gesang  die  liebe  des  mädchens  gewinnt.  Das  war  auf  deutschem 
—  nach   dem  angelsächsischen  zeugnis  zu  urteilen,  norddeutschem  — 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    IIJLDESAGF,  213 

boden  geschehen.  Durch  eine  contamination  dieser  beiden  Varianten 
entstand  die  Vorstellung,  dass  Herrand  für  HeÖinn  durch  seinen  gesang 
die  braut  gewinnt.^  Ob  in  dieser  combination  das  motiv,  dass  durch 
boten  geworben  wird,  schon  von  anfang  an  auftrat,  ist  eine  frage  für 
sich.  Das  motiv  ist  in  den  entführungssagen  von  unserem  typus  nicht 
zu  hause  (§  13). 

Diese  combination  muss  schon  alt  sein,  denn  sie  liegt  schon  in 
Deors  klage  vor.  Wenn  Heorrenda  der  sänger  der  HeoÖeningas  ist, 
so  ist  er  1.  sänger,  2.  unfreier;  er  nimmt  also  dieselbe  stelle  ein  wie 
in  Küdrtin.  Die  Unfreiheit  ist  eine  folge  der  Vorstellung,  dass  er  für 
Heöinn  wirbt.  -  Im  skandinavischen  Norden  war  diese  Verbindung  nicht 
bekannt.  Dort  wurde  das  Verhältnis  Hjarrandis  zu  HeÖinn  anders  auf- 
gefasst.  Der  held  der  einen  Variante  wurde  zu  dem  vater  seines  doppel- 
gängers. 

Die  angeführten  data  sind  die  einzigen,  auf  grund  derer  die  frage 
beurteilt  werden  kann.  Aus  den  hoffnungslos  verwirrten  geographischen 
Verhältnissen  des  mittelhochdeutschen  gedichtes  lassen  sich  keine  Schlüsse 
ziehen;  übrigens  Hesse  sich  die  Verwirrung  zwischen  Hörants  und 
Heteles  gebieten  eben  so  gut  daraus  verstehen,  dass  jener  der  held  einer 
Variante,  als  dass  er  mit  Hetele  identisch  sei.  Und  vor  sagenconstruc- 
tioneu,  die  auf  etymologischen  erklärungen  der  namen  beruhen,  be- 
wahre uns  von  nun  an  der  hiramel.  Was  hift  es  denn,  zu  sagen,  dass 
hehinn  'pelzrock'  bedeutet  und  darum  notwendig  eine  bezeichnung  des 
verkleideten  Goldener  sein  müsse,  wenn  Hebin?i  ein  bekannter  mannes- 

1)  Wenn  Horant  str.  406  behauptet,  sein  herr  Hetele  singe  noch  viel  schöner 
als  er,  so  lässt  sich  daraus  natürlich  nicht  ableiten,  dass  auch  Hetele  in  einer  älteren 
Version  der  sage  ein  sänger  gewesen  sei.  Da  Horant  für  seinen  herrn  freit,  muss 
er  ihm  wol  alle  Vollkommenheiten  zugestehen,  namentlich  aber  die  kunst,  wodurch 
es  ihm  selber  gelungen  ist,  das  mädchen  zu  berücken. 

2)  Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  theoretisch  auch  eine  andere  entwicklung 
möglich  ist.  Unsere  darstell ung  geht  davon  aus,  dass  die  einführung  des  sanges 
älter  als  das  botenmotiv  ist;  sie  nimmt  ferner  eine  alte  combination  aus  zwei  Varianten 
an.  Es  Hesse  sich  auch  denken,  dass  Horant  der  einführung  des  botenmotivs  seine 
entstehung  verdankte.  Zuerst  wäre  in  die  Hildesage  ein  böte  aufgenommen;  dieser 
hätte  nach  einer  jüngeren  auffassung  durch  schönen  gesang  seinen  zweck  erreicht. 
Aber  dagegen  spricht  1.  dass  das  einem  fremden  stoffo  entlehnte  botenmotiv  kaum 
so  alt  sein  kann,  dass  es  schon  für  eine  in  Döors  klage  bezeugte  sageuforin  grund- 
legend gewesen  wäre,  2.  dass  man  dann  nicht  versteht,  wie  Hjarrandi  im  Norden 
zu  HeSins  vater  werden  konnte.  Das  ist  für  den  beiden  einer  Variante  gar  nicht  auf- 
fällig, aber  bei  einer  person,  die  von  anfang  an  eine  untergeordnete  Stellung  einnahm, 
dürfte  das  nicht  so  leicht  zu  erklären  sein.  So  weist  auch  die  nordische  Überliefe- 
rung auf  die  im  texte  gegebene  lösung  des  problems. 


214  BOER 

name  ist,  sowol  als  simplex^  wie  in  der  composition.  Wenn  es  freistehen 
soll,  auf  derartigen  gründen  eine  erklärimg  der  sage  aufzubauen,  was 
hat  man  denn  der  mythologischen  schule  noch  vorzuwerfen,  die  aus 
dem  namen  Hildr  auf  die  walkürennatur  der  heldin  schliesst  und  aus 
diesem  gründe  das  HjaÖningavlg  für  den  kern  der  erzählung  erklärt? 
Entweder  verwirft  man  solche  etymologische  erklärungsversuche,  oder 
man  glaubt  an  sie.  Aber  ich  kann  es  nicht  methodisch  finden,  eine 
namensform  für  absolut  beweiskräftig  anzusehen  und  zugleich  die  andere 
als  irrelevant  abzulehnen. 

§  11.    Die  hauptforineu  der  entführiingssa§re  in  Küdrün  (fortsetzung). 

Kehren  wir  zu  Küdrün  zurück,  so  ergibt  es  sich,  dass  der  haupt- 
bearbeiter  des  gedichtes  ein  compilator  paralleler  Überlieferungen  ge- 
wesen ist.  Es  wurde  §  9  gezeigt,  dass  er  zwei  Varianten,  KI  und  KU, 
aufeinander  folgen  liess  und  dabei  ein  genealogisches  Verhältnis  her- 
stellte. Wir  können  nun  weiter  constatieren,  dass  in  dem  als  KI  bezeich- 
neten abschnitte  schon  zwei  Varianten  verbunden  sind.  Wir  nennen  die 
neu  hinzutretende  Horantsage  Klb.     Die  drei  Varianten  lauten: 

KI:  Wate  entführt  Hagens  tochter  Hilde  und  tötet  den  ihn  ver- 
folgenden vater  auf  dem  Wülpensande. 

1)  Das  zu  leugnen  ist  ein  leichtes,  wenn  man  nur  dreistweg  die  Zeugnisse  für 
den  namen  für  Zeugnisse  für  die  Hildesage  erklärt.  So  leitet  Panzer  s.  438  aus  dem 
namen  von  Childeberts  des  zweiten  feldherrn  Chedinus  ohne  weiteres  bekanntschaft 
mit  der  sage  ab.  Zu  den  trägem  des  namens  gehört  auch  der  bruder  des  Helgi 
HJQrvarSsson.  Mit  recht  leugnet  Panzer  einen  Zusammenhang  zwischen  dieser  sage 
und  der  Hildesage.  Aber  willkürlich  ist  wider  der  schluss,  die  sage  von  Helgi 
habe  den  namen  HeSinn  der  Hildesage  entlehnt.  —  Über  den  inhalt  der  erzählung 
ist  zu  bemerken,  dass  er  von  der  Hildesage  absolut  verschieden  ist.  HeSinn  gelobt, 
nicht  die  tochter  seines  freundes,  sondern  die  frau  seines  bruders  zu  gewinnen, 
aber  er  tut  es  nicht  und  er  rächt  den  tod  seines  bruders.  Eine  gewisse  ähnlichkeit 
besteht  nur  in  der  Vorgeschichte,  wenn  man  sie  mit  der  verhältnismässig  jungen 
einleitung  der  erzählung  in  Scjrla^attr  vergleicht.  Sieht  man  aber  genauer  zu,  so  hat 
auch  diese  ähnlichkeit  nichts  zu  bedeuten.  Das  weib,  dem  HeSinn  in  der  H.  Hj.  im 
walde  begegnet,  ist  nicht  eine  eibin,  die  denen,  mit  denen  sie  in  berühning  kommt, 
verderben  bringt,  sondern  eine  fylgja  in  der  gestalt  einer  trQllkona.  die  er  zurück- 
weist und  die  eben  deshalb  ihm  verderblich  wird.  Übrigens  scheint  hier  etwas  nicht 
in  ordnimg  zu  sein.  Man  muss  fragen:  ist  die  tr^Ukona  HeSins  oder  Helgis  fylgja? 
Wer  seine  fylgja  zurückweist,  kommt  um.  Im  ersteren  fall  würde  man  also  einen 
für  Heöinn  tragischen  ablauf  vermuten.  Im  zweiten  fall  liesse  Helgis  darauf  folgender 
tod  vermuten,  dass  HeSinn  die  fylgja  angenommen  hätte.  Vielleicht  beruht  das 
zurückweisen  der  fylgja  auf  einem  missverständniss.  Auf  jeden  fall  besteht  die 
ähnlichkeit  mit  dem  SQrlajj.'vttr  lediglich  darin,  dass  beide  beiden  im  walde  einem 
mythischen  weiblichen  wesen  begegnen. 


UXTERSUCIIÜNGEN   ÜBEK    DIE    HILDERAGE  215 

Klb:  Horant  entführt  Hagens  tochter  Hilde  für  seinen  Herrn  Hetele. 

KU:  Hartmuot  entführt  Hagens  tochter  Küdrün  und  tötet  den  ihn 
verfolgenden  vater  auf  dem  Wülpensande. 

Daraus  macht  unser  compilator:  Wate  (KI)  und  Horant  (Klb) 
entführen  zusammen  Hagens  tochter  Hilde  (KI  und  Klb)  für  ihren  herrn 
Hetele  (Klb)  und  kämpfen  mit  ihm  (neuerung  für:  töten  ihn  KI)  in 
Waleis  (neuerung  für  Wülpensand  KI).  Heteles  (auf  grund  von  Klb) 
und  Hildes  (auf  grund  der  genealogie  Hilde -Küdrün)  tochter  Küdrün 
(KU)  wird  von  Hartmuot  entführt,  der  den  ihn  verfolgenden  vater  auf 
dem  Wülpensande  tötet  (KU). 

Wir  verstehen  jetzt,  warum  die  von  Wate  entführte  frau  in 
Heteles  arme  gelangt.  Es  ist  die  Verbindung  mit  der  Horantsage,  die 
Wate  zu  einem  dienstmann  Heteles  gemacht  hat.  Es  sieht  nicht  da- 
nach aus,  dass  KI  und  Klb  selbständig  miteinander  verbunden  ge- 
wesen waren,  ehe  die  combination  mit  KU  zustande  kam.  Wenn  der 
WidsIÖ  Wada  unmittelbar  hinter  Heoden  nennt,  so  darf  man  daraus 
einen  so  weit  reichenden  schluss  nicht  ziehen.  Ich  will  gewiss  dieses 
Zeugnis  nicht  beiseite  schieben.  Wer  sich  solche  freiheit  nimmt, 
ist  der  willkür  seiner  phantasie  preisgegeben.  Aber  man  darf  auch 
in  ein  zeugnis  nicht  mehr  hineininterpretieren,  als  daraus  gefolgert 
werden  kann.  Wenn  WIdsiÖ  die  beiden  helden  zusammen  erwähnt,  so 
wird  das  seinen  grund  haben.  Aber  gewiss  genügte  dazu  ein  geringer 
Zusammenhang,  und  der  bestand  schon  darin,  dass  beide  in  nahe  ver- 
wandten sagen  in  derselben  rolle  auftraten.  Wenn  nun  noch  hinzu- 
kam, dass  ihre  länder  nahe  beieinander  gelegen  waren  (§  17),  so  war 
wol  nicht  mehr  notwendig,  um  sie  in  einem  catalogisierenden  gedichte 
hintereinander  zu  erwähnen,  wie  ja  solche  Verhältnisse  auch  zu  der 
herstellung  eines  genealogischen  Zusammenhanges  genügen.  Die  an- 
nähme, dass  die  Verknüpfung  dei*  Watesage  und  der  Horant- Hetele- 
sage  schon  zu  der  zeit,  als  der  WidsiÖ  gedichtet  wurde,  so  weit  fort- 
geschritten war,  dass  Wate  wie  Horant  zu  einem  dienstmann  Heteles 
geworden  war,  scheint  mir  überaus  gewagt.  Dazu  kommt,  dass  noch 
bei  Lamprecht  die  Watesage  ohne  Horant  und  Hetele  bezeugt  ist. 
Anders  verhält  es  sich  mit  Horants  dienstbarkeit.  Diese  wird  ja  durch 
D6ors  klage  bezeugt,  und  wir  sind  deshalb  wol  genötigt,  sie  für  eine 
frühe  epoche  anzunehmen. 

Das  junge  alter  der  Verbindung  von  KI  mit  Klb  ergibt  sich 
übrigens  aus  der  composition  des  deutschen  gedichtes  mit  voller  Sicherheit. 
Von  einer  vernünftigen  vorteilung  der  rollen,  wie  sie  auf  die  dauer  von 
selbst  entsteht,  wenn  eine  zusammengesetzte  erzählung  zeit  genug  hat,  sich 


21 D  BOER 

ZU  consolidieren ,  ist  keine  spur  zu  entdecken.  Alles  steht  ganz  will- 
kürlich nebeneinander;  hier  ein  stück  von  KI,  da  ein  teil  von  Klb. 
Die  expedition  nach  Hagens  land  hat  zwei  anführer,  die  niemals  zu- 
sammenwirken, sondern  nacheinander  selbständig  auftreten,  ein  jeder, 
wie  es  scheint,  nach  seinem  eigenen  plane.  Damit  hängt  es  zusammen, 
dass  man  an  Hagens  hofe  auf  sehr  verschiedene  weise  sich  benimmt.  Wate 
ist  krieger,  Horant  ist  sänger.  Der  plan  der  entführung  scheint  einmal 
auf  Horants  gesangeskunst,  ein  andermal  auf  der  anwendung  offener 
gewalt  aufgebaut  zu  sein.    Am  ende  behält  die  gewalt  die  überhand. 

In  dem  schiffe  sind  krieger  versteckt.  Diese  bleiben  vorläufig  im 
hintergrund.  Ihr  führer  ist  Wate.  Bei  der  entführung  treten  sie  ans 
tagesHcht.  Aber  das  schiff  enthält  auch  waren  und  leute,  die  sich 
für  kauf  leute  ausgeben.  Diese  stehen  weder  unter  Wales,  noch  unter 
Horants,  sondern  unter  Fruotes  führung.  In  Hagens  land  angekommen, 
erzählen  die  fremden  bald,  dass  sie  aus  ihrem  lande  vertriebene 
krieger,  bald,  dass  sie  kaufleute  seien.  ^  Während  Wate  mit  Hagen 
freundschaft  schliesst,  was  ein  rest  der  alten  freundschaft  sein  kann 
(s.  203),  spricht  Horant  selten  oder  gar  nicht  mit  ihm,  sondern  er 
wendet  sich  direct  an  die  frauen,  die  er  namentlich  durch  seinen 
gesang  entzückt.  Das  scheint  auf  eine  version  zu  deuten,  in  der 
Hagen  verreist  war  wie  bei  Snorri.  Wate  hingegen  kommt  in  einem 
offenbar  jüngeren  auftritt  zu  den  frauen  und  ergötzt  sie  durch  die  ent- 
hüUung,  dass  er  von  ihnen  nichts  wissen  will.  Horant  entwirft  mit  den 
frauen  den  plan  zur  der  flucht,  aber  Wate  führt  ihn  aus  und  wendet 
sich  mit  der  bitte,  die  schiffe  zu  besehen,  an  Hagen 2,  —  ein  versuch, 

1)  Vgl.  "Wilmanns,  Entwicklung  der  Kudrundichtung  s.  42,  der  übrigens  aus 
diesen  Widersprüchen  ganz  andere  Schlüsse  zieht.  Er  glaubt,  in  einer  redaction 
seien  "Wate  und  Fruote,  in  einer  anderen  "Wate  und  Horant  aufgetreten.  Aber  nur 
"Wate  und  Horant  sind  aus  älteren  quellen  bekannt,  jener  tritt  selbständig  auf,  dieser 
als  HeÖins  sänger.  Fruote  ist  eine  jüngere  gestalt,  die  entweder  der  fertigen  dich- 
tung  K  I  +  Ib  +  II  oder  einer  der  redactionen  (I  oder  Ib)  angehören  muss.  Für 
letztere  alternative  spricht,  dass  schon  eine  redaction  der  vise  von  Hildebrand  und 
Hilde  (dE)  das  kaufmannsmotiv  kennt;  der  Verführer  gibt  sich  für  einen  kauf  mann 
aus,  aber  er  ist  der  söhn  dos  königs  von  England.  Die  redaction,  die  das  kauf- 
mannsmotiv aufgenomnjen  hatte,  muss  aber  Ib  gewesen  sein,  denn  in  Kl  ist 
für  dieses  motiv,  das  sich  mit  der  angäbe,  man  sei  aus.  seinem  lande  vortrieben, 
im  Widerspruch  befindet,  kein  platz.  Also  gehören  Horant  und  die  kaufleute  Ib 
an;  die  kaufleute  waren  in  dieser  redaction  secundär.  Über  den  namen  Fruote 
s.  unten. 

2)  Freilich  setzt  die  s.  204  besprochene  schmähliche  bohandluug  der  königin 
wol  ursprünglich  Hagens  abwesenheit  voraus;  aber  auch  in  K  I  wird  der  räuber  einen 
augenblick  abgewartet  haben,  wo  Hagen  nicht  zu  hause  war.    Dass  das  sich  mit  der 


UNTEHSUCHUNGEN   ÜBER   DIE   HILDESAGE  217 

diese  Vorstellung  mit  jener  zu  verbinden,  ist  Horants  entschluss,  sich 
an  Hagen  zu  wenden.  Die  elemente  von  KI  und  Klb  stehen  also  noch 
nahezu  unvermittelt  nebeneinander. 

Ob  Klb  auch  die  Verfolgung  enthielt,  oder  mit  der  entführung 
der  dame  schloss,  lässt  sich  nicht  sicher  sagen.  Deutliche  spuren  dieser 
redaction  sind  nach  der  flucht  nicht  vorhanden.  Sobald  man  von 
Irland  abgesegelt  ist,  ist  Horant  so  gut  wie  verschwunden.  Bei  dem 
folgenden  kämpfe  spielt  er  gar  keine  rolle.  Str.  488  ist  er  es  freilich, 
der  die  feindlichen  schiffe  zuerst  herankommen  sieht,  aber  er  bleibt 
untätig;  er  meldet  nicht  einmal,  was  er  gesehen  hat;  str.  489  lässt 
Morunc  es  durch  Irolt  dem  Hetele  mitteilen.  Dann  erfährt  man  von 
Horant  nichts  mehr;  es  wird  nicht  einmal  gesagt,  dass  er  am  kämpfe 
teilnimmt,  was  doch  sogar  von  nebenpersonen  wie  Irolt  erzählt  wird; 
nur  587  wird  sein  name  noch  genannt,  wo  er  Hilde  zu  ihrem  vater 
führt,  damit  sie  dessen  wunden  verbinde.  Unter  solchen  umständen  ist 
es  sehr  fraglich,  ob  auf  den  doppelten  friedensschluss  (524.  533)  einiger 
wert  zu  legen  ist,  und  ob  dieser  nicht  vielmehr  eine  folge  der  in  dem 
ganzen  epos  herrschenden  Verwirrung  und  Unklarheit  ist. 

Wenn  es  demnach  sehr  unsicher  ist,  ob  die  Hörantsage  mehr  als 
die  entführung  erzählt  hat,  so  ist  doch  gewiss  Heteles  teilnähme  am 
kämpfe  eine  folge  der  aufnähme  der  Hörantsage  in  KI.  Die  alte  Wate- 
sage, die,  wie  die  stelle  bei  Lamprecht  lehrt,  Hetele  überhaupt  nicht 
kannte,  kann  a  fortiori  von  seiner  teilnähme  an  dem  kämpfe  nichts  ge- 
wusst  haben.  Aber  Horant  entführte  eine  frau  für  seinen  herrn.  Wenn 
nun  darauf  nach  KI  ein  kämpf  mit  dem  vater  folgte,  so  fand  der  com- 
pilator,  dass  Hetele  auch  dabei  sein  musste.  Wie  er  Wate  zu  einem 
dienstmann  machte,  so  hat  er  Hetele  seiner  braut  entgegenreisen  und 
mitkämpfen  lassen. 

Die  beschreibung  der  schladit  hat  überhaupt  wenig  charakteristi- 
sches erhalten.  Der  alte  Versöhnungsversuch,  den  HeÖinn  macht,  ist 
verloren;  —  der  jüngere  durch  Hildr  war  wol  noch  nicht  in  die  zu 
gründe  liegende  tradition  eingeführt  worden.  Natürlich  wird  viel  ge- 
kämpft; am  ende  werden  Hagen  und  Hetele  verwundet,  eine  junge 
neuerung,  wie  wir  aus  der  Alexanderstelle  ersehen. 

Die  erzählung  ist  ferner  durch  eine  reihe  neuer  personen  be- 
reichert Von  diesen  wird  Fruote  auch  in  einer  alten  vorsion  der  sage 
(Saxo  II)  genannt.     Aber  die  einzige   Übereinstimmung  besteht  in  dem 

freundschaft  zwischen  Hagen  und  Wate  wol  verträgt,  lehrt  der  S(jrla[)attr,  mit 
dessen  darstellung  der  anfang  von  KI,  wie  oben  gezeigt  wurde,  grosse  ähnlich- 
keit  hat. 


218  GERING,    ZU  DEM  BOBNHOLMISCHEN  RUNENSTEINE  VON  VESTER-MARIE  VI 

namen,  die  rolle  ist  absolut  verschieden.  Frotho  ist  bei  Saxo  der  könig, 
der  die  streitenden  parteien  vor  seinen  richterstuhl  fordert;  Fruote  ist 
in  Küdrün  ein  vasall  Heteles,  der  seine  brautwerber  begleitet.  Die 
aufnähme  dieser  gestalt  lässt  sich  auch  in  beiden  quellen  auf  verschie- 
dene weise  erklären.  Saxo  erzählt  die  dänische  königsgeschichte;  alles, 
was  er  mitteilt,  geschieht  unter  der  regierung  eines  seiner  fürsten;  es 
ist  also  nichts  auffälliges  darin,  dass  auch  die  geschichte  von  Hqgni  und 
Heöinn  an  einen  könig  geknüpft  wird,  und  dass  dieser  einen,  freilich 
vergeblichen,  versuch  macht,  in  den  lauf  der  ereignisse  einzugreifen. 
In  der  mittelhochdeutschen  dichtung  dagegen  ist  Fruote  ein  typischer 
repräsentant  dänischen  wesens,  den  man  gern  erwähnt",  wo  von  Däne- 
mark die  rede  ist.  Dass  ihm  nun  auch  in  einer  erzählung,  die  sich 
zum  grossen  teil  in  Dänemark  abspielt,  und  in  deren  mittelpunkt  ein 
dänischer  könig  steht,  eine  rolle  zuerteilt  wurde,  nimmt  nicht  wunder. 
Chronologisch  ist  zu  bemerken,  dass  seine  aufnähme  mit  der  Verbindung 
Kl  +  Ib-fll  zusammenfallen  wird.  Denn  dadurch  wurde  Hetele  zu 
einem  dänischen  könige  (§  12),  was  für  Fruotes  aufnähme  doch  wol 
eine  Voraussetzung  ist.  Er  trat  nun  in  die  wol  etwas  ältere  (s.  216 
anm.)  rolle  des  führers  der  kaufleute  ein,  die  für  den  wegen  seiner 
freigebigkeit  berühmten  sagenkönig  trefflich  passte.  Das  ist  im  epos 
seine  älteste  rolle.  (Schluss  folgt). 

AMSTERDAM.  E.  C.  BOER. 


MISCELLEN. 

Zu  dem  Boruholmischen  runensteine  von  Vester- Marie  VI. 

(Wimmer,  De  danske  runemindesmcerkor  III,  305 fgg.). 

In  einem  kleinen  aufsatze  über  dänische  runensteine  (Nord,  tidsskr.  f.  filol., 
3.  r.  15, 148fgg.)  äussert  sich  Marius  Kristensen  sehr  unzufrieden  über  ein  paai- 
recensenten ,  die  von  Wimmers  deutung  des  VI.  steines  von  Vester- Marie  nicht  be- 
friedigt waren,  besonders  über  den  einen  (den  unterzeichneten),  der  es  gewagt  habe, 
in  der  inschrift  emendationen  vorzunehmen,  so  dass  ein  anderer  sinn  herauskomme 
und  'der  schönste  teil  von  Wimmers  erklärungsversuche  zerstört  werde'.  Nach  dieser 
einleitung  hätte  man  erwartet,  dass  Kristensen  Wimmers  deutung  in  jedem  einzelnen 
punkte  aufrecht  erhalten  und  sie  durch  neue  beweisgründe  stützen  werde.  Statt  dessen 
emendiert  auch  er  und  gelangt  ebenfalls  zu  einer  von  Wimmer  abweichenden  Über- 
setzung, ohne  dass  man  behaupten  könnte,  dass  seine  kritischen  bemnhungen  be- 
sonders glücklich  seien.  Es  scheint,  dass  nach  seiner  meinung  nur  Skandinaven  das 
recht  haben,  eine  von  Wimmer  abweichende  meinung  zu  äussern. 

Trotz  seiner  polemik  schliesst  er  sich  mir  (ohne  mich  zu  nennen)  und  Brate 
darin  an,  dass  er  in  trcbinu  das  part.  prt.  von  drepa  vermutet,  während  Winimer 
das  wort  für  den  genet.  eines  weiblichen  eigennamens  Tre-beina  erklärt  hatte.  Da- 
von wird  man  wol  endgiltig  abstand  nehmen  müssen.     Ich  ersehe  nämlich  (und  dies 


NECKEL,   ZU   ZEITSCHH.  39,  293  219 

ist  der  gmnd,  warum  ich  auf  die  Zeitschr.  38, 132  besprochene  inschrift  noch  einmal 
zurückkomme)  aus  dem  neuesten,  eben  erschienenen  hefte  des  grossen  schwedischen 
Ortsnamenbuches  (Ortnamnen  i  Älvsborgs  län  X,  201),  dass  träbena  in  Schweden  die 
bezeichnung  einer  (hand-)mühle'  mit  hölzerneu  füssen  war,  und  nach  einer  solchen 
mühle,  nicht  aber  nach  einer  vermeintlichen  menschlichen  Trcbeina,  sind  offenbar 
die  beiden  Bovnholmischen  höfe,  die  noch  heute  den  namen  Trcebenegaard  führen, 
benannt  worden. 

1)  Derartige  handmühlen  sind  bis  iu  die  neuere  zeit  im  norden  in  gebrauch 
gewesen ,  wie  man  z.  b.  ein  gut  erhaltenes  und  sehr  instructives  exemplar  nebst  lüSr 
und  mQndidl  in  dem  alten  schonischen  bauernhause,  das  im  garten  des  kulturhistori- 
schen museums  in  Lund  wider  aufgestellt  ist,  in  augenschein  nehmen  kann.  Bei- 
läufig sei  bemerkt,  dass  man  unter  den  in  den  eddi.schen  liedern  (Lokas. ;  Helgakv. 
Hund.  II;  Grottas.)  erwähnten  mühlen  sich  selbstverständlich  ebenfalls  handmühlen 
vorstellen  muss,  nicht  etwa  wasser-  oder  gar  Windmühlen,  von  denen  Detter-Heinzel 
in  ihrem  Eddacommentar  (s.  261)  phantasieren.  Es  ist  mir  daher  auch  unmöglich, 
der  von  Axel  Olrik  (Danmarks  heltedigtning  s.  284)  versuchten  natursymbolischen 
deutung  der  beiden  riesenmägde  Fenja  und  Menja ,  die  er  für  zwei  mühlenbäche  er- 
klärt, zuzustimmen;  er  hat  sich  zwar  nicht  verhehlt,  dass  dieser  annähme  kultur- 
geschichtliche bedenken  entgegenstehen,  sucht  aber  sich  und  den  leser  über  den 
anachronismus  hinwegzutäuschen. 

KIEL.  HUGO   GERING. 


Zu  Zeitschr.  39,  293 f?g. 

Bei  der  correctur  meines  aufsatzes  Zu  den  Eddaliedern  der  lücke  haben  sich 
mir  einige  nachtrage  ergeben,  die  ich  im  folgenden  vorlege. 

S.  294:  Dass  sich  im  Alten  Sigurdsliede  niemals  das  erste  oder  vierte  viertel 
des  helmings  syntaktisch  absondere,  ist,  wie  dem  leser  schon  bei  flüchtiger  nach- 
prüfung  auffallen  muss,  unzutreffend.  Es  gibt  im  Brot  zeilen,  die  viel  entschiedener 
auseinanderfallen  als  .<?ö/-(/  at  segja  eda  svd  lata.  Zur  entschuldigung  dieses  Versehens 
kann  ich  nur  auf  s.  293  n.  1  verweisen.  Der  kern  der  sache  wird  hierdurch  nicht  be- 
rührt. In  meinen  Beiträgen  zur  Eddaforschung,  die  voraussichtlich  im  laufe  dieses 
Jahres  bei  ßuhfus  iu  Dortmund  erscheinen,  sollen  die  gliederungsverhältnisse  des 
Alten  Sig.  genauer  erörtert  werden. 

S.  297  unten :  Die  zweiheit  der  mörder  bezeugen  im  NL  auch  die  xwen  am 
(13)  und  xuei  icildiu  stein  (921).     Vgl.  auch  NL  1040,  3. 

S.  304  nr.  1:  Vgl.  Beer,  Zeitschr.' 37,  342 fg. 

S.  311  z.  9  v.o.:  Der  gedanke  —  hunderte  haben  um  die  schöne  Jungfrau  ge- 
worben —  sieht  ganz  nach  dem  sagaschreiber  aus.  Eine  unwahrscheinliche  Vermutung 
bei  Boer  a.a.O.,  4G7fg. 

S.  312  n.  1:  Das  Grosse  Sigurdslied  übersieht  Boer  a.a.O.,  490  (§  34). 

S.  314  z.  11— 9  V.u.:  Doch  s.  Boer  a.  a.  o.  450  (die  mörder),  ferner  449.  457. 

S.  315  schluss  von  III:  Dersell)e  fehler  bei  Lichtenbergor,  Nibelungen  180 
('tu  m'annonces  de  tres  grands  forfaits'). 

S.  326  zu  .soene  6:  c.  29,  55fg.  <^  Sig.  sk.  10.  15.  Zu  scene  7:  c.  29,  70fg.  r^ 
c.  24,  27 fg.  und  c.  29,  27 fg.  (^  c.  41,  24  (Ghv.  16fg.). 

S.  328  zu  scene  9:  beziehungeu  zur  Sig.  sk.  werden  fein  beobachtet  von  Boer 
a.  a.  0.  451  oben. 

S.  329:  Die  beiden  scenen,  die  hier  als  einzige  zutaten  des  dichters  bezeichnet 
werden,   dürften  so  wenig  wie  die  andern  seine  freien   erfindungon  sein.     Ich  glaube, 


220  PETZET,    ZUM    WILLEHäLM    DES    ULRICH    VON    DEM    TÜRLIN 

wir  können  nachweisen,  w^o  seine  phantasie  angeknüpft  hat.  Die  eine  scene,  die  ge- 
spräche  über  Brynhiid,  scheint  umgebildet  aus  der  beratung  der  brüder  im  Alten 
und  Kurzen  liede.  Der  hauptauftritt  aber,  die  grosse  Zwiesprache  zwischen  Sigurd 
und  Brynhiid ,  ist  wol  angeregt  durch  das  Erweckungslied  (Sigrdrifumäl). 
Auch  dort  weckt  Sigurd  eine  schlafende,  und  wir  wissen,  dass  diese  Sigrdrifa  für 
unsern  dichter  identisch  mit  Brynhiid  war.  Erst  durch  anlehnung  an  die  scene  auf 
Hindarfjall  hat  Brynhilds  groll  gestalt  gewonnen,  und  auch  das  anbieten  des  ehe- 
bruchs  wird  von  dort  stammen,  dieses  motiv  ist  ein  indirectes  zeugnis  für  den  ver- 
lorenen schluss  des  Erweckungsliedes.  Übrigens  hat  der  dichter,  der  Sigrdiifa  und 
Brynhiid  identificierte ,  auch  die  werbungsfabel  mit  hineinspielen  lassen:  das  nach- 
einander von  Gunnar,  Hqgni  und  Sigurd  (s.  307)  ist  seinem  kerne  nach  entsprungen 
aus  dem  vergeblichen  versuch  Gunnars,  durch  die  flammen  zu  reiten,  und  Sigurds 
erfolg,  c.  27.  Dies  spricht  dafür,  dass  der  flammenritt  selbst  (s.  324)  im  Grossen 
liede  anders  —  wahrscheinlich  weit  kürzer  —  dargestellt  war  als  in  c.  27.  Das  fehlen 
des  wunderbaren  auftritts  wäre  dem  Charakter  des  denkmals  durchaus  gemäss.  Gleich- 
zeitig haben  wir  hier  eine  Instanz  gegen  die  Zugehörigkeit  von  c.  27  zum  Grossen 
liede.  Letzteres  verwertet  den  werbungsritt  der  forua  (c.  27)  ebenso  frei  wie  die 
fluss  -  senna  (s.  325)  und  wie  die  beratung  der  brüder  (s.  o.). 

BRESLAU.  GUSTAV  NECKEL. 


Zum  Willehalm  des  Ulrich  von  dem  Tiirlin. 

Im  besitze  des  antiquariats  von  Ludwig  Rosenthal  in  München  (Hildegardstr.  16) 
befindet  sich  ein  ziemlich  übel  mitgenommenes  pergamentblatt ,  das  einer  sonst  un- 
bekannten handschrift  des  AVillehalm  von  Ulrich  von  dem  Türlin  angehört  haben  muss. 
Es  hat  eine  grosse  von  33  x  24  cm  und  ist  zweispaltig  zu  je  42  zeilen  beschrieben, 
mit  abwechselnd  roten  und  blauen  initialen  beim  beginn  der  31  zeiligen  Strophen.  Die 
gotische  Schrift  gehört  dem  14.  Jahrhundert  an;  der  lautstand  ist  ausgeprägt  bayrisch. 
Den  Inhalt  bilden  die  verse  CCLXXV,  7  — CCLXXX,  19  des  gedichtes  (in  der  aus- 
gäbe von  S.  Singer,  Prag  1893,  s.  321  fgg.),  und  zwar  in  der  textredaction ,  wie  sie 
in  der  zweiten  bearbeitung  geschaffen  wurde.  Als  charakteristische  belege  dafür  führe 
ich  nur  zwei  stellen  an,  wo  das  Rosenthalsche  fragment  mit  den  handschriften  mo 
übereinstimmt;  es  liest  nämlich  CCLXXV,  24  angel  statt  etige  und  CCLXXVI,  31 
schaf  verlie  statt  sehaeper  He,  gesellt  sich  aber  auch  an  minder  bezeichnenden  stellen 
zu  der  IL  Untergruppe  der  IL  handschriftengruppe  der  zweiten  bearbeitung  des 
gedichtes  (vgl.  Singer  a.  a.  o.,  s.  Vlllfg.). 

MÜNCHEN.  ERICH  PETZET. 


LITTEEATUK. 


Dr.  Albert  Fries.    Vergleichende    Studien    zu   Hebbels    fragmenten    nebst 

miscellaneen  zu  seinen  werken  und  tagebüchern.    [Berliner  beitrage  zur 

germanischen  und  romanischen  philologie,  veröffentlicht  von  dr.  Emil  Ehering. 

XXIV.  Germanische  abteilung  nr.  11.]  Berlin,  E.  Ehering  1903.  59  s.    2,40m. 

Der  zweck  dieser  schrift  ist,    zu  prüfen,    ob  Hebbel,   den  man  gewöhnlich  als 

fremden    einflüssen   unzugänglich    charakterisiert,    mit    unserer    classischen    dichtung 

nicht  doch  in  engerem  zusammenhange  stehe,  als  man  anzunehmen  geneigt  ist.     Die 


KRUMM   ÜBER   FRIES,    HEBBEL  221 

belesenheit  und  der  fleiss  des  Verfassers  verdienen  aufrichtige  anerkennung,  trotzdem 
sind  die  einzelnen  resultate  der  Untersuchung  oft  recht  anfechtbar  und  ihr  gesamt- 
ergebnis  geringfügig.  "Wer  zuviel  beweisen  will,  schiesst  leicht  übers  ziel.  Selbst- 
verständlich hat  Hebbel  sich  an  den  grossen  dichtem,  welche  ihm  vorangiengen,  ent- 
wickelt, er  ist  in  ihrer  atmosphäre  gereift.  In  der  Wesselburencr  kirchspielvogtei 
seinen  weg  zu  den  höhen  der  Htteratur  im  dunkel  emportastend,  ist  er  noch  ganz  in 
ihrem  bann,  wenn  auch  damals  schon  kein  blosser  nachahmer.  Aber  auch  später 
berührt  er  sich  noch  vielfach  mit  ihnen,  meist  unbewusst,  da  es  ihm  nicht  darauf 
ankam,  in  gleichgiltigen  dingen,  gewissermassen  in  komma  und  punkt,  originell  zu 
sein.  Selbst  einzelne  bewussto  anlehnungen  an  sie  sind  nicht  zu  leugnen,  vor  allem 
in  seinen  epigrammen.  Wer  mit  Fries  alle  posten  auf  die  rechnung  setzen  will, 
kann  sie  leicht  in  die  höhe  treiben.  "Wer  jedoch  vorsichtig  zwischen  zufälligen  an- 
klängen oder  Übereinstimmungen,  die  nur  ein  pedant  vermeiden  wird,  und  fällen 
evidenter  beeinflussung  unterscheidet,  wird  sicherlich  keinen  grund  haben,  an  Kuno 
Fischers  ausspruch  irre  zu  werden,  daß  Hebbel  der  einzige  unter  unseren  nach- 
classikern  ist,  der  „ganz  aus  eigenen  mittein  lebt." 

Fries  bezeichnet  diese  Studien  als  eine  Sammlung  von  material,  als  Vorläufer 
eines  grösseren  werkes  über  denselben  gegenständ.  Es  wäre  dann  nur  zu  wünschen, 
dass  er  die  grenzlinie,  die  bei  einer  solchen  arbeit  innezuhalten  ist,  klarer  erkennen 
lernte.  Wenn  er  die  zu  widerholten  malen  von  ihm  selbst  geäusserten  zweifei  an 
der  richtigkeit  der  jetzigen  ergebnisse  seiner  forschung  noch  erheblich  verstärkt,  so 
kann  ein  sehr  interessantes  buch  entstehen ,  das  zu  unserer  kenntnis  der  fäden ,  die 
Hebbel  mit  anderen  dichtem  verknüpfen,  viel  beitragen  wird.  Von  dem  bis  jetzt  vor- 
liegenden kann  meines  erachtens  nur  ein  kleiner  teil  als  unbedingt  feststehend  be- 
trachtet werden.  Soweit  Hebbels  dramatische  fragmente  in  frage  kommen,  mit 
denen  Fries  sich  in  erster  linie  befasst,  so  ist  ganz  klar,  dass  sein  erster  ästhetisch 
ganz  wertloser  versuch  im  drama,  der  ,Mirandola',  wie  auch  der  'Vatermord'  (1830. 
1832)  in  der  spräche  eine  ungeschickte  karikierang  des  stiies  der  Schillerscheu 
Jugenddramen  verraten.  "Was  Fries  hierüber  beibringt  ist  sehr  lehrreich,  namentlich 
möchte  ich  die  feinen  stilistischen  bemerkungen  zum  'Mirandola'  (s.  22  —  26)  heraus- 
heben. Das  ist  freilich  alles  mit  bänden  zu  greifen,  immerhin  war  es  ein  verdienst, 
die  einzelnen  züge  aneinanderzureihen,  aus  denen  ein  gesamtbild  sich  ergibt.  Ob 
nicht  vieles,  das  als  bewusste  anlehnung  bezeichnet  ist,  besser  als  aus  dem  gedanken- 
und  empfmdungskreis  Schillers  dem  a^nfänger  unbewusst  angeflogen  zu  bezeichnen 
wäre,  muss  dagegen  mindestens  zweifelhaft  erscheinen.  Wenn  Hebbel  ferner  getadelt 
wird,  weil  er,  an  Schiller  herangebildet,  sehr  bald  nachher  strenge  kritik  an  dem 
meister  übte  (s.  2),  so  ist  seine  wunderbare,  mit  dem  gewöhnlichen  massstabe  kaum 
noch  zu  messende  entwicklung  ausser  acht  gelassen;  auch  ist  zu  beachten,  dass  der- 
artige aussprüche,  namentlich  in  den  briefen,  vom  augenblick  beeinflusst  sind  und  in 
späteren  aussprüchen  ihre  ergänzung  oder  correctur  erhalten.  (So  vorgleiche  man, 
was  Hebbel  über  die  , Jungfrau  von  Orleans"  an  Elise  Lensing  schreibt,  Briefe  hgb. 
von  R.  M.  Werner  I,  s.  145.  170.  215.)  —  Manches  in  den  'Dithmarschern'  (1840) 
erinnert  sicherlich  an  den  'Teil',  .schon  die  ähnlichkeit  des  themas  erkläii  das,  doch 
sind  unter  den  von  Fries  angeführten  stellen  die  beiden  von  ihm  durch  den  druck 
herausgehobenen  die  einzigen,  bei  denen  irgendwie  von  anlehnung  geredet  werden  darf 
(s.  8).  Die  Shakespearesche  färbung  der  reden  des  narren  —  Fries  erinnert  mit  recht  vor 
allem  an  den  narren  im  'Lear'  —  ist  im  allgemeinen  unleugbar,  doch  ist  es  dem  verf. 
schwerlich  geglückt,  dies  in  einzelheiten  nachzuweisen,    (lanz  abzuweisen  ist  die  neben- 


222  KRUMM 

einanderstelluDg  der  reden  des  Hans  Bahr  und  gewisser  worte  Hamlets  in  dem  ge- 
spräch  mit  den  totengräbern  (s.  11).  —  Dass  Hebbel  bei  seinem  Achilles-fragment  an 
Goethes  'Achilleis'  dachte,  ist  durch  nichts  erwiesen  (s.  15).  —  Lessingschen  einfluss 
in  der  epigrammatischen  Zuspitzung  des  dialogs  im  'Mirandola'  neben  demjenigen 
Schillers  anzunehmen,  halte  ich.  für  bedenklich.  Die  von  Fries  selbst  erwähnte  an- 
geborene neigung  Hebbels  zu  solcher  ausdrucksweise  spricht  dagegen.  Die  dort  (s.  16/17) 
angeführten  einzelheiten  sind  alle  abzulehnen,  glaube  ich;  vor  allem  aber  ist  es  mehr 
als  unwahrscheinlich,  dass  Hebbel  im  jähre  1830  bereits  Lessings  'Emilia  Galotti'  gekannt 
haben  .sollte.  Dass  Lessings  vorbild  für  die  ausbildung  der  Hebbelschen  prosa  von 
nicht  zu  unterschätzender  bedeutung  ist,  lässt  sich  noch  an  der  , Julia'  (1847)  nach- 
weisen; doch  möge  andererseits  nicht  vergessen  werden,  dass  er  sich  schon  im 
jähre  1838  in  München  bewusst  war,  in  einer  anderen  Sphäre  zu  walten,  und  in  einem 
briefe  erklärte,  dass  Lessing  sein  meister  nicht  sein  könne  noch  dürfe  (br.,  hg.  von 
R.  M.  Werner  I,  s.  370).  Leider  missversteht  Fries  den  dichter  im  innersten  kerne, 
wenn  er  bei  dieser  gelegenheit  meint,  er  habe  das  verstandesmässige  in  Lessing  deshalb 
so  sehr  gehasst,  weü  „der  wurm  der  reflexion  an  seinem  eigenen  schaffen  nagte." 
Das  widerspricht  den  tatsachen,  dem,  was  die  tagebücher  und  einwandfreie  Zeugnisse 
der  freunde  über  die  production  Hebbels  berichten.  —  Die  Übereinstimmungen  in  der 
'Schauspielerin'  mit  stellen  aus  dem  'Don  Carlos'  sind  von  vornherein  klar;  die 
damit  beabsichtigte  satirische  Wirkung  hätte  kräftiger  betont  werden  müssen  (s.  9/10). 
Sehr  fein  ist  der  nachweis  der  beziehungen  zwischen  Eugenie  und  Aurelie  in  Goethes 
'Wilhelm  Meister'  (s.  14).  —  Dass  Hebbel  die  namen  seiner  dramatischen  personen  viel- 
fach entlehnt,  kann  nicht  bestritten  werden.  Dass  der  name  Mirandola  aus  dem  'Don 
Carlos'  stammt,  ist  ebenso  klar,  wie  dass  in  dem  fragment  'Der  turmbau  zu  Babel' 
die  namen  Wachtel,  Zeisig  und  Schwalbe  aus  Körners  'Nachtwächter'  herüber- 
genoramen  sind.  Spätere  ausführungen  über  die  namen  bei  Hebbel  (s.  34 — 36)  sind 
dagegen  so  schlecht  begründet,  dass  der  Verfasser  sie  in  den  'Berichtigungen'  selbst 
zurücknimmt  (s.  59). 

An  die  Untersuchungen  über  die  fragmente  bei  Hebbel  in  ihren  beziehungen 
zu  den  classikern  reihen  sich  solche  über  die  fäden,  die  zwischen  den  vollendeten 
werken  und  den  tagebüchern  des  dichters  einerseits,  andererseits  zwischen  ihnen 
und  den  classikern  hin-  und  herlaufen.  Die  beziehungen  zwischen  den  dichtungen 
und  den  tagebüchern  sind  besonders  eng  und  vielseitig.  Vieles  ist  darüber  von 
Werner,  anderes  von  mir  in  unseren  ausgaben  der  tagebücher  zusammengetragen 
worden,  erschöpfend  lässt  sich  dies  nur  in  einem  umfangreichen  buche  behandeln. 
Fries  beschränkt  sich  auf  mehr  zufällige  hinweisungen  (s.  36  fg.),  die  immerhin  dankens- 
,wert  sind.  Zwischen  den  eintragungen  in  den  tagebüchern  und  ihrer  Verwendung  in 
Hebbels  dichtung  liegt  übrigens  sehr  oft  ein  langer  Zwischenraum ,  so  dass  jeder  ver- 
such, chronologische  Schlüsse  aus  den  daten  dieser  notizen  auf  die  entstehungszeit 
von  gedienten  zu  ziehen,  haltlos  ist  (s.  36).  Ohne  frage  ist  es  ferner  sehr  lohnend, 
die  aphorismen  der  tagebücher  zu  reihen  und  gruppen  zu  ordnen,  doch  darf  es 
keinesfalls  so  mechanisch  geschehen,  wie  s.  38 — 40.  Von  einem  einfluss  Hegels  in 
dem  sich  dabei  bekundenden  'hange  zum  kategorisieren '  kann  nicht  die  rede  sein;  mit 
ihm  hat  Hebbel  sicherlich  nichts  zu  tun,  es  sei  denn,  dass  sein  prosastil  durch  ihn  auf 
kurze  zeit  ungünstig  beeinflusst  wurde.  —  In  dem  nachweis  der  '  widerholungen  ein- 
zelner  mctive  und  Wendungen'  bietet  Fries  mancherlei  interessantes  (s,  33 fg.),  so  z.  b. 
die  erklärung  der  stelle  in  'Siegfrieds  tod'  H,  4,  1057  durch  eine  parallelstelle  aus 
dem  'Diamant',  doch  leider  auch  viel  gleichgiltiges  und  willkürliches.  Zu  diesem  teile 


ÜBKR    FRIES,    HBBBEL  223 

seiner  arbeit  wähle  ich  aus  der  fülle  meiner  notizen  folgende  heraus:  1.  Sehr  fein  ist 
die  erläuterung  einer  auffallenden  wendung  in  dem  fragment  'Der  dichter'  durch  ein 
wort  Napoleons  bei  seiner  rückkelir  von  Elba  (s.  37  anm.  1).  —  2.  Der  parallelismus 
membrorum  in  dem  mit  unrecht  beanstandeten  bau  des  gedichtes  'Das  mädchen  im 
kämpfe  mit  sich  selbst'  ist  Fries  nicht  aufgegangen.  Die  zwei  letzten  Strophen 
variieren  und  vertiefen  nur  das  in  den  beiden  ersten  angeschlagene  thema,  von  einem 
widerspiuch  kann  garnicht  die  rede  sein  (s.  38,  anm.  1).  —  3.  In  dem  gedieht  'Ein 
Spaziergang  in  Paris'  Byronschcn  eiufluss  wittern  zu  wollen,  ist  ungerechtfertigt  (s.  41). 
—  4.  Dass  Hebbels  tagebuchkritik  über  Wielands  'Oberon'  (bd.  TU  der  "Wernerschen 
ausgäbe,  s.  3j  sich  zu  Goethes  lobrede  auf  Wieland  in  der  freimaurerloge  in  bewussten 
gegensatz  stellt,  konnte  durch  den  hinweis  auf  eine  stelle  in  Hebbels  aufsatz  über 
den  Schiller-Körner-brief Wechsel  (Werner,  bd.  XL  s.  185)  bekräftigt  werden  (s.  42).  — 

5.  Zu  tagebuch  I,  s.  281  (ausg.  von  Werner),  war  nicht  der  brief  Goethes  an  Schiller 
vom  13.  august  1897,   sondern   der  au  Zelter  vom  4.  october  1831   heranzuziehen.  — 

6.  Auf  s.  43  werden  einzelne  der  nicht  gerade  seltenen  'ungenauigkeiten'  Hebbels 
gestreift;  an  einer  stelle,  in  dem  citat  aus  der  'Natürlichen  tochter',  liegt  nur  ein 
druckfehl  er  vor,  den  Werner  in  seiner  ausgäbe  auf  grund  der  handschrift  besserte. 

In  dem  nachweis  der  beziehungen  zwischen  einzelnen  stellen  der  dramen  und 
gedichte  Hebbels  und  ähnlichen  stellen  bei  den  classikern  geht  Fries  sicher  zu  weit. 
Zu  sehr  vielen  ausführungen ,  welche  ganz  übersehen,  dass  ein  dichter  des  neunzehnten 
Jahrhunderts,  der  sich  unserer  hochentwickelten,  aber  auch  vielfach  erstarrten  spräche 
bedient ,  doch  nur  in  seltenen  fällen  durch  die  prägung  neuer  Wendungen  sich  sprach- 
schöpferisch erweisen  kann,  werden  kenner  der  litteratur  den  köpf  schütteln,  fürchte 
ich.  Den  einen  schriftsteiler  zum  plagiator  des  andern  machen,  weil  er  ähnliche 
Situationen  mit  ähnlichen  oder  gar  gleichen  werten  bezeichnet,  ist  meines  erachtens 
in  unseren  tagen  nicht  angängig.  Der  Verfasser  hätte  wol  daran  getan,  vor  Ver- 
öffentlichung dieser  Untersuchungen  einen  passus  in  Hebbels  köstlicher  polemik  gegen 
Bodenstedt  noch  einmal  zu  lesen,  der  eine  Verwandtschaft  zwischen  einer  stelle  in 
Marlows  'Juden  von  Malta'  und  Shakespeares  'Romeo  und  Julia'  aufgespürt  zu  haben 
glaubte  (ed.  Werner  XII,  s.  285).  Natürlich  kann  ich  mich  hier  auf  einzelheiten 
nicht  einlassen,  es  muss  genügen,  diejenigen  von  Fries  herausgehobenen  Übereinstim- 
mungen zwischen  Hebbel  und  den  classikern  zu  bezeichnen,  die  auf  blossem  zufall 
nicht  beruhen  können;  es  sind  deren  nicht  eben  viele.  S.27:  'Die  nacht  der  nachte' 
(in  Schillers  'Klage  der  Ceres'),  zweimal  sowol  in  der  'Genoveva'  wie  im  'Gyges' 
verwandt.  —  S.  28.  Das  Shakcspearschc  fair  is  foul  and  foul  is  fair  (Macbeth)  kehrt 
wider  in  den  Worten  der  alten  Margarethe  in  'Genoveva'  v.  2750.  —  S.  30.  Der  'gold'ne 
stuhl  des  Vaters'  im  'Gyges'  stammt  sicherlich  aus  der  'Iphigenie'.  —  Ibidem:  Das  dort 
erwähnte  epigramm  VI,  s.  457  (Werner)  ist  nichts  als  eine  Umformung  von  Goethes 
73.  venetianischem.  Um  zu  zeigen,  dass  nicht  nur  vieles  zu  streichen,  senden  auch 
mancherlei  nachzutragen  ist,  füge  ich  hinzu,  dass  das  31.  epigramm  bei  Goethe  sich 
im  2.  acte  des  , Michel  Angela'  (Annunziata)  widerspiegelt  und  das  GO.  im  ersten 
litteraturbrief  Hebbels  (XII,  s.  127).  Eine  reihe  anderer  zusätze,  die  ich  machen  konnte, 
unterdrücke  ich,  um  die  besprechung  nicht  ungebührlich  auszudehnen.  —  Ibidem: 
l.essings  bekanntes  wort  in  der  'Emilia  Galotti'  „Wer  über  gewisse  dinge  nicht  den 
verstand  verliert  usw."  klingt  nach  aus  den  worten  der  Julia  (Werner  II,  178,  14).  — 
S.  31.  Eine  ganz  unleugbare  Übereinstimmung  besteht  zwischen  Hebbels  epigramm 
'  Diuhterloos'  und  Platens  'Schonung  und  nichtschonung".  Im  übrigen  ist  Fries  be- 
aüiiders  unglücklich  in  dem  hinweis  auf  panillelstellen  aus  i'laten.  Er  hätte  bedenken 


224  KRUMM    ÜBKR   FRIES,    HEBBEL 

sollen,  dass  Hebbel  diesen  dichter,  wie  nicht  nur  aus  tagebuchstellen,  sondern  vor 
allem  aus  dem  von  Werner  veröffentlichten  aufsatz  'Schöne  verse'  (XII,  s.  245 fg.) 
hervorgeht,  schroff  ablehnte.  Trotzdem  bleibt  noch  eine  andere  von  ihm  erwähnte 
ähnlichkeit  zwischen  einer  stelle  aus  Hebbels  'Prolog  zu  Goethes  hundertjähriger 
geburtstagsfeier'  und  Platens  'Prolog  an  Goethe'  mindestens  sehr  auffallend  (s.  32, 
anm.  1).  Die  zahlreichen  anderen  parallelen  bei  Fries  beweisen  nichts.  —  S.  43, 
anm.  3.  Selbstverständlich  lehnte  sich  Hebbel  in  der  Schlusszeile  seines  sonetts 
'an  eine  Römerin'  an  das  Mignoulied  an.  —  S.  45.  Zum  epigramm  'Richt- 
schnur', wird  mit  recht  an  Goethes  'Bilde,  Künstler,  rede  nicht'  erinnert.  — 
Ibidem:  Die  möglichkeit  der  anlehnung  in  'Michel  Angelo'  (A.  T)  an  Goethes  'Künst- 
lers apotheose'  ist  nicht  ganz  abzuweisen.  —  Zu  s.  47fg. :  Dass  Hebbel  sich  in  seinen 
opigrammen  vielfach  an  die  Xenien  anschloss,  dass  ihm  insbesondere  Schiller  als 
muster  vorschwebte,  ist  klar.  Auch  mehr  oder  weniger  unbewusste  anlehnungen 
liegen  vor,  so  in  dem  epigramm  'An  die  exacten'  an  Schillers  'An  die  astronomen' 
(48,  anm.  1).  Auch  die  beraerkung,  dass  er  gerne,  wie  Schiller,  das  epigramm  mit 
einer  indirecten  frage  einleite,  ist  zutreffend.  Als  einzige  bewusste,  schon  durch  den 
titel  verratene  anlehnung  bleibt  jedoch  nur  das  epigramm  Majestas  hominis  (bei  Schiller 
Majestas  populi,  übrig,  s.  49).  Dass  pentameter  wie  'Und  von  geschlecht  zu  geschlecht 
schlingt  sich  das  heilige  band'  Schillerisch  klingen,  kann  man  zugeben;  trotzdem 
sind  sie  Hebbels  geistiges  eigentum.  Schon  auf  s.  44  rügte  Fries  übrigens  mit  recht 
den  nicht  nur  gegen  die  strenge  Observanz  verstossenden ,  sondern  nicht  selten  un- 
gelenken bau  der  Hebbelschen  distichen.  Das  ist  charakteristisch  für  den  dichter, 
dem  nicht  nur  im  drama  das  'ringen  um  ausdruck  ausdruck  war'  (Über  den  stil  des 
dramas,  "Werner  XI,  73).  Jedesfalls  hielt  er  eigensinnig  an  solchen  metrischen  un- 
ebenheitesn  fest.  Der  von  Fries  verspottete  vers  (s.  44)  ist  freilich  in  Werners  aus- 
gäbe, soweit  ich  sehe,  ohne  grund  geändert;  in  C,  der  ausgäbe  von  1857,  lautet  er 
anders  und  glatter.  —  S.  51.  Der  Heinische  ton  in  dem  gedieht  'Hörn  und  flöte'  wird 
mit  recht  hervorgehoben.  —  Ibidem:  Aufrichtig  dankbar  bin  ich  Fries  für  die  er- 
klärung  einer  mir  früher  unverständlichen  anspielung  auf  Horaz  in  dem  fragment'Der 
dichter'.  —  S.  52/53.  Die  Verwandtschaft  zwischen  Hebbels  kunstauffassung  und  der 
in  Schillers  ästhetischen  Schriften  ausgesprochenen  wird  mit  nachdruck  betont.  Hier- 
über könnte  noch  vieles  nachgetragen  werden.  Hebbel  las  diese  schritten  widerholt 
mit  entzücken,  namentlich  die  'Briefe  über  die  ästhetische  erziehung  des  menschen' 
und  kannte  sie  genau.  Vieles  blieb  in  ihm  haften,  doch  war  er  reich  genug  auch 
ohne  das,  jedesfalls  sprach  er  nie  etwas  aus,  das  er  nicht  selbst  empfunden  und 
,  geistig  erlebt  hätte.  Abhängig  von  Schiller  wurde  er  nie.  —  S.  59  (berichtigungen) : 
Die  anlehnung  in  dem  epigramm  'Lorbeer  und  perrücke'  an  Goethes  elegie  'Hermann 
und  Dorothea'  kann  nicht  bestritten  werden.  —  Soweit  stimme  ich  zu,  alles  andere 
hierher  gehörige  kann  ich  nicht  unterschreiben. 

Das  namenregister  zu  Hebbels  tagebüchern  (s.  54 — 58)  ist  jetzt  durch  das  muster- 
giltige  von  Werner  seiner  ausgäbe  hinzugefügte  register  überholt.  Zu  s.  56  anm.  1 
bemerke  ich,  dass  Hebbel  Plato,  wie  aus  Werners  ausgäbe  der  Tagebücher  ersicht- 
lich, in  der  Übersetzung  von  Ast  las.  —  Aus  der  fülle  der  sonstigen  raudbemerkungen, 
die  ich  mir  zu  dieser  schritt  machte,  möchte  ich  zum  schluss  nur  noch  einiges  mit- 
teilen, was  mir  zweifelhaft  zu  machen  scheint,  ob  Fries  der  richtige  mann  ist,  um 
Hebbel  ästhetisch  zu  beurteilen,  was  immer  eine  gewisse  Wahlverwandtschaft  des 
ästhetischen  empfindens  voraussetzt.  Auf  s.  12  anm.  3  bemerkt  er,  dass  der  dichter 
in  den   'Fragmenten'  seinen  personen    oft  ganz  prosaische  ausdrücke  in  den  mund 


SUCfflER    ÜBKK    BPOrKSTEDT ,    I'LOOVENTSTUDIRN  225 

lege,  wie  z.  b.  'lächerlich',  'modoU'.  Er  entschuldigt  dies  damit,  dass  wir  hier 
Hebbel  gewissermassen  im  neglige  sehen.  Dem  widerspriciit  dann  freilich  später 
die  anm.  3  zu  s.  33,  wo  eine  später  noch  vervollständigte  reihe  von  prosaischen  Wen- 
dungen, namentlich  von  'entsetzlich  unpoetischen  fremd  Wörtern',  mit  denen  Hebbel 
seine  dichterische  dictiou  zu  verunzieren  pflege,  aus  seinen  vollendeten  werken  zu- 
sammengetragen wei'den.  Darunter  begegnen  wir  ausdrücken  wie  'guten  tag'  (zum 
überfluss  an  der  betreffenden  stelle  in  'Herodes  und  Mariamne'  ironisch  ge- 
braucht), 'musikant',  'bankett',  'tusch',  'posten',  'kalender'  u.  a.  Warum  Hebbel 
in  diesen  dingen  nicht  idealistisch  sein  wollte,  wanim  er  den  einfachen  sachstil  dem 
auf  dem  kothurn  einherwandelnden  'poetischen'  vorzog,  ist  Fries  ebenso  unklar 
geblieben  wie  R.  M.  Meyer,  der  ebenfalls  in  seiner  'Litteraturgeschichte  des  19.  Jahr- 
hunderts', von  einem  gelegentlichen  abgleiten  der  Hebbelschen  spräche  in  die  prosa 
i-edet.  Vielleicht  ist  Fries  in  diesem  punkte  von  Meyer  beeinflusst.  Hebbel  würde 
über  solche  kritiker  sicher  nur  gelächelt  haben.  —  An  derselben  stelle  tadelt  Fries  die 
anachronismen  bei  Hebbel.  Dass  auch  diese  beabsichtigt  sind,  geht  aus  einer  sehr 
charakteristischen  briefstelle  hervor  (An  die  prinzessin  Wittgenstein,  2.  dec.  1858. 
Briefwechsel,  hrg.  von  Bamberg,  II  s.  475).  —  Über  die  männlichen  vm-sschlüsse  im 
'Moloch'  bemerkt  der  Verfasser  sehr  fein,  dass  es  Hebbel  darum  zu  tun  gewesen  sei, 
den  eindruck  der  Starrheit  in  dieser  dichtung  schon  äusserlich  zu  erwecken,  s.  21.  -  Auch 
auf  die  ähnlich,  doch  keineswegs  aus  demselben  gründe  zu  erklärende  erscheinung 
in  der  'Genoveva'  verweist  er,  ohne  jedoch  näher  darauf  einzugehen,  was  im  an- 
schluss  an  eine  stelle  aus  Hebbels  brief  an  Elise  vom  13.  12.  1842  (bd.  II  ed.  AVerner, 
s.  159)  sehr  wol  möglich  gewesen  wäre.  Unerklärlich  ist  ferner,  wie  er  bei  v.  476 
und  922  des 'Moloch'  von  der  notwendigen  elision  des  e  reden  kann.  An  der  metri- 
schen glätte  Hess  es  Hebbel,  wenn  es  ihm  auf  das  charakteristische  ankam,  gerne 
fehlen.  —  Die  bemerkungen  über  die  monologe  in  den  dranien  sind  flach  wegen  ihrer 
allgemeinheit.  Hebbels  technik  in  dieser  beziehung  muss  sowol  aus  der  entwicklung 
seiner  dramatischen  eigenart  wie  aus  der  Verschiedenheit  der  stoffe,  die  er  behandelte, 
erläutert  werden.  Was  Fries  über  einen  angeblichen  eiufluss  Kleists  auf  Hebbel  in 
diesem  punkte  vorbringt,  schwebt  in  der  luft,  s.  31. 

Meine  ausführliche  besprechung  wird  dem  Verfasser  beweisen,  dass  ich  trotz 
der  bedenken,  die  ich  gegen  die  von  ihm  befolgte  methode  wie  gegen  seine  befähigung 
zur  ästhetischen  wertung  des  von  Hebbel  geleisteten  hege,  der  fortsetzung  seiner 
Studien  auf  diesem  gebiete  mit  Spannung  entgegensehe.  Etwas  mehr  kritische  vor- 
sieht im  einzelnen  und  etwas  weniger  Voreingenommenheit  in  der  anlegung  allge- 
meiner ästhetischer  massstäbe  ist  ihm  meines  erachtens  allerdings  dringend  anzuraten. 

KIEL.  H.    KRUMM. 

(iustav  IJrockstedt,  Floovent-studien.  Untersuchungen  zur  altfranzösischon  epik. 
Kiel.  Cordes  1907.     VIII,  164  s.     7  m.^ 

Diese  Flooventstudien ,  hervorgegangen  aus  einer  Kieler  doctorarbeit  von  1904, 
zerfallen  in  zwei  teile  betitelt  'Die  Überlieferung"  und  'Die  sage'. 

Im  ersten  teile  wird  mit  guter  litteraturkenntnis  das  Verhältnis  des  franzö- 
sischen Floovent  zu  den  italienischen  fas.sungen  erörtert.  Dabei  werden  vielfach  die 
französischen   und    die    italienischen   Versionen   des   Bueve  d'Hanstonc   herangezogen. 

1")  Seit  der  einsendung  meiner  anzeige  Csept.  1907)  sind  folgon<lo  bosprivhnngen 
im  druck  erschienen:  Zeitschr.  für  rom.  ph.  XXXII  s.  110  (Stirnining),  Literaturbl.  für 
L'erm.  u.  rom.  i)h.  1908  sp.  19  (Becker),  Deutsche  literaturzt^.  1908  sp.  362  (Voretzsch). 

ZKITSCHRIFT    K-   DEUTSCHK    PHILOLOGIE.       BD.   XL.  15 


220  RUCHIER 

Die  italienischen  romane  Fioravante  und  Buovo  d'Antona  haben  so  viel  gemeinsames, 
dass  der  eine  roman  den  andern  benutzt  haben,  ja  dass  beide  aus  der  band  des  selben 
Verfassers  hervorgegangen  sein  müssen.  Die  quelle  des  Buovo  d'Antona  ist  nicht 
die  anglonormannische,  sondern  die  continentale  fassung  des  französischen  Bueve  ge- 
wesen. Am  Schlüsse  seiner  erörterungen  stellt  Brockstedt  den  Inhalt  der  ursprüng- 
lichen Flooventdichtung,  also  der  gemeinsamen  quelle  der  uns  erhaltenen  fassungen,  her. 

Dieser  erste  teil  bewegt  sich  auf  wissenschaftlichem  boden,  seine  ergebnisse 
sind  im  allgemeinen  mit  guten  gründen  gestützt.  Doch  darf  einzelnes  angezweifelt 
werden.  So  soll  der  Italiener  für  den  Buovo  eine  französische  handschrift  (oder 
mehrere  handschriften)  benutzt  haben.  Ich  glaube,  dass  ein  indicium  auf  mündliche 
Vermittlung  hinweist:  die  ersetzung  des  französischen  namens  Josiane  durch  Drusiana. 
Die  lautähnlich keit  zwischen  dz  (geschrieben  y)  und  dr  ist  aus  dem  heutigen  Englisch 
bekannt,  aber  auch  sonst  anzutreffen.  Auch  gesprochenes  französisches  j  {dz)  konnte 
von  einem  Italiener  als  dr  gehört  werden,  während  ein  verlesen  von  geschriebenem  y 
als  dr  ganz  ausgeschlossen  ist. 

Im  zweiten  teile  glaubt  verf.  nachweisen  zu  können,  dass  enge  beziehungen 
der  Flooventfabel  zur  Siegfriedsage  bestehen,  be.sonders  zu  der  fassung  der  Siegfried- 
sage, die  allein  noch  in  einer  reihe  von  nordischen  quellen  erhalten  ist  und  die  er 
daher  kurz  als  Sigurdsage  bezeichnet. 

Dieser  nachweis  ist  m.  e.  misslungen.  Verf.  hat  es  beim  aufsuchen  überein- 
stimmender züge  an  der  nötigen  vorsieht  fehlen  lassen,  und  ich  halte  es  für  meine 
ptlicht,  ihm  hier  wenigstens  in  kürze  zu  zeigen,  weshalb  ich  seinen  folgerungen  nicht 
zustimmen  kann. 

Er  sagt  auf  s.  75  (ich  setze  den  absatz  cursiv) : 

„In  der  Sigurd-sage  tvird  erzählt,  tvie  der  heimatlose  held  nach  manchem 
ahenteuer  am  hofe  Ojiikis,  des  uaters  der  Gtidrtin  und  der  beiden  hriider  Ounnar 
und  Högni,  eine  freistatt  findet;  ivir  hören  von  seinen  viehrfachen  hegegnungen 
mit  der  Brynliild,  der  tochter  Biidlis,  einer  stolzen,  einsam  in  fester  bürg  hau- 
senden fürstin,  die  er  zuletzt  für  Gunnar,  den  ältesten  der  söhne  Gjukis,  be- 
zwingt; nachdem  dann  die  überivundene  Brynhild  sich  seinetwegen  mit  der  Gudrun 
tötlich  verfeindet  hat,  ivird  er  von  den  söhnen  Gjukis  verräterisch  ermordet.'' 

Brockstedt  fährt  fort:  „Zug  für  zug  entspricht  dieser  darstellung  die  erste 
hälfte  der  geschichte  des  aus  der  heimat  vertriebenen  Floovent —  die  geschichte  seiner 
ankunft  und  aufnähme  in  Ausai  bei  könig  Flore,  dem  vater  der  Florete  und  ihrer 
brüder,  Maudarans  und  Maudaires;  seiner  hegegnungen  mit  der  Maugalie,  der  einsam 
in  ihrer  bürg  Avenant  hausenden,  zuletzt  von  ihm  für  Flore  bezwungenen  tochter 
Galiens,  und  des  nach  dem  streit  der  fürstinnen  von  Flores  söhnen  an  ihm  be- 
gangenen Verrats.  Ist  nicht  könig  Flore  der  Gjuki,  Florete  die  Gudrun  der  nordischen 
■quellen?  Und  entspricht  nicht  ebenso  die  allein  in  ferner  bürg  lebende,  vom  beiden 
bei  seinem  letzten  besuch  für  einen  anderen  bezwungene,  dann  mit  Flores  tochter  in 
eifersucht  zusammenprallende  Maugalie  der  Brynhildsge.stalt?  Das  verräterpaar  — 
Maudarans  und  Maudaires  —  den  treulosen  Gjukisöhnen  Gunnar  und  Högni? 

Sigurd  erliegt  dem  gegen  ihn  gerichteten  anschlag.  Floovent  dagegen  rettet, 
wenn  auch  für  ihn  die  tat  der  brüder  nicht  ohne  folgen  bleibt,  doch  jedesfalls  das 
leben.     Das  ist  gewiss  ein  schwerwiegender  unterschied  der  beiden  fabeln." 

Also  erst  soll  die  Sigurdsage  zug  für  zug  einem  abschnitt  des  Floovent  ent- 
sprechen. Daim  aber  ist  die  ermordung  Sigurds  von  den  Übereinstimmungen  aus- 
zunehmen.    Auszunehmen    sind    aber    auch    .sämtliche    eigennamen,   von    denen   kein 


fBER    BROCK STF.DT,    FLOOVKNTSTUDIEN  227 

einziger  übereinstimmt.  Wir  müssen  aber  auch  die  allein  in  ferner  bürg  lebende 
Maugalie  (Margarite)  ausnehmen;  denn  sie  ist  sowenig  allein,  dass  sie  dreissig  junge 
mädchen  bei  sich  hat.  Endlich  wird  sie  vom  beiden  nicht  für  den  söhn  seines  könig- 
lichen beschützcrs  gewonnen,  auch  nicht  für  diesen,  obgleich  Brockstedt  sich  so  aus- 
drückt, sondern  Floovent  heiratet  sie  selbst. 

Was  bei  nüchterner  betrachtung  von  übereinstimmendem  bestehen  bleibt,  ist 
nur  dieses:  Ein  held  weilt  in  der  fremde  am  hofe  eines  königs.  üieser  hat  eine 
tochter,  die  den  beiden  liebt,  und  söhne,  die  ihn  hassen.  Von  da  aus  unternimmt 
der  held  einen  zug  gegen  eine  bürg,  in  der  eine  Jungfrau  wohnt,  die  ihn  gleichfalls 
liebt.  Er  nimmt  die  bürg  ein.  Alles  weitere  ist,  soviel  ich  sehe,  durch  die  Situation 
gegeben,  oder  gehört  zu  den  gemeinplätzen  der  altfranzösischen  epik.  Dass  zwei 
damen,  die  in  den  selben  mann  verliebt  sind,  hierüber  in  streit  geraten,  brauchte  doi- 
Flooveutdichter  nicht  erst  aus  einer  quelle  oder  Überlieferung  zu  schöpfen.  "Wenn 
man  genauer  zusieht,  schwindet  zwischen  Brynhild  und  Maugalie  jegliche  ähnlichkeit. 

Da  die  Brynhildsage  im  mittelpuukt  der  beweisführung  zii  stehen  scheint,  will 
ich  noch  eins  anfuhren.  In  den  Reali  di  Francia  stösst  der  auf  einem  unterirdischen 
gange  zur  bürg  der  trauen  vordringende  Fioravante  auf  eine  quelle.  '  Neben  dieser 
ist  die  eheiTie  statue  eines  königs,  der  ein  entblösstes  schwort  in  der  band  hält,  auf 
einem  marmorstein,  dessen  Inschrift  besagt,  dass  nur  der  beste  ritter  der  weit  der 
Statue  das  schwert  abnehmen  kann. 

Brockstedt  bemerkt  hierzu  (s.  129):  „Wen  erinnerte  die  unter  einem  Zauber- 
spruche in  scheinbarer  bewegungslosigkeit  daliegende,  bei  der  berührung  des  beiden 
aber  äusserungen  des  lebens  vollziehende  bronzefigur  des  Fior.  nicht  au  die  von 
Sigurd  in  den  banden  einer  tiefen  Verzauberung  angetroffene,  unter  seinen  bänden 
aber  zum  leben  erwachende  Brynhild?  Und  weist  nicht  auch  das  neben  der  bronze- 
statue  lagernde  „nackte  schwert"  {spada  nuda)  auf  die  Brynhildsage,  wo,  bei  dem 
zweiten  zusammentreffen  von  held  und  fürstin,  ein  „blosses  schwert  {svertli  nokkvit; 
Sig.  en  skaynma  str.  4)  die  auf  einem  lager  rahenden  scheidet?" 

Woraus  Brockstedt  schliesst,  dass  die  statue  nicht  steht,  sondern  liegt,  hat  er 
nicht  verraten.  Der  vergleich  mit  Brynhild  ist  so  weit  hergeholt  wie  möglich,  ist 
gänzlich  verfehlt.  In  der  tat  gehört  das  schwert,  das  nur  der  beste  ritter  der  weit, 
d.  h.  der  held  des  betr.  romans,  aus  einer  Umklammerung  lösen  kann,  zu  den  requi- 
siten  der  Arthurromane  und  ist  aus  ihnen  entlehnt. 

Nicht  besser  ist  was  auf  s.  13Q  über  das  „gestaltentauschmotiv "  der  Sigurd- 
sage  geäussert  wird. 

Der  verf.  schwelgt  geradezu  in  leichtfertigen  attributionen :  nach  s.  lö.ö.  159 
ist  von  dem  Flooventdichter  auch  die  Krönung  Ludwigs,  Gormund  und  Isembart,  Huon 
von  Bordeaux  usw.  verfasst. 

Anerkennung  verdient  seine  gelehrsamkeit  auf  dem  gebiete  der  märchenkuude; 
doch  bedarf  auch  was  er  hier  vorbringt  strenger  nachprüf ung,  an  der  er  selbst  es 
leider  hat  fehlen  lassen. 

Seine  chronologischen  schlu-ssfolgerungen  leiden  zuweilen  darunter,  dass  er  den 
berühmten  codex  Marcianus  XIII  mit  dem  poeten  Ciämpoli  um  1200  ansetzt.  Nach 
dem  sachkundigem  urteil  Guessards  ist  er  erst  in  der  ersten  liälfti'  des  XIV.  jahr- 
iiuuderts  geschrieben. 

hau.k  a.  s.  iikumann  svchikr. 


15" 


228  ROSENHAGEN 

Heinrich  Ton  Freiberg:.  Mit  einleituugen  über  stil,  spräche,  metrik,  quellen  und 
die  persönlichkeit  des  dichters.  Herausgegeben  von  dr.  Alois  Berndt.  Gedruckt 
mit  Unterstützung  der  Gesellschaft  zur  förderung  deutscher  Wissenschaft,  kunst 
und  litteratur  in  Böhmen.     Halle  a.  S.  1906.     12  m. 

In  einem  ansehnlichen  bände  vereinigt  erscheinen  hier  die  schritten  des  be- 
deutsamen nachzüglers  der  mittelhochdeutschen  ritterpoesie  Heinrich  von  Freiberg: 
die  di'ei  in  denen  er  sich  selber  nennt,  Tristan,  Die  legende  vom  heiligen  kreuze, 
Die  ritterfahrt  des  Johann  von  Michelsberg  und  das  gedieht,  welches  ihm  nunmehr 
sicher  zugehört,  der  schwank  vom  Schretel  und  wasserbär.  Die  ausgäbe  ist  durch 
langjährige,  eingehende  und  planmässige  Studien  vorbereitet  worden,  über  welche  uns 
die  208  selten  der  'einleituugen'  ausführlichen  bericht  erstatten. 

Die  texte  weichen  nicht  sehr  von  den  bisherigen  drucken  ab,  weil  der  Tristan, 
abgesehen  von  einem  kleinen  bruchstücke  {Wolfenbüttel,  vgl.  Zeitschr.  f.  d.  altert. 
XXXn,  93  —  95)  nur  in  zwei  hss.,  über  deren  bewertung  auch  der  erste  herausgeber, 
E.  Bechstein,  nicht  im  zweifei  war,  die  andern  stücke  nur  je  einmal  überliefert  sind. 
Man  muss  sie  genauer  nachprüfen  und  mit  den  sprachlichen  und  metrischen  Unter- 
suchungen des  Verfassers  vergleichen,  um  zu  sehen,  dass  jede  zeile  durchgearbeitet 
und  neu  hergestellt  ist.  Die  beurteilung  der  arbeit  wird  sich  daher  in  erster  linie 
mit  den  einleituugen  zu  beschäftigen  haben. 

Sie  sind  nicht  ganz  leicht  zu  lesen,  einmal  wegen  der  masse  des  Stoffes,  welcher 
gleichsam  in  einem  langen  corridor  magaziniert  ist,  so  dass  man  immer  zu  nahe  daran 
steht  —  darüber  nachher  —  und  wegen  der  Umständlichkeit  der  darstelluug:  die  arbeit 
hätte  sich  wol  durch  eine  straffere  redaction  wirksamer  gestalten  lassen,  z  b.  der  an 
sich  interessante  excurs  über  verschiedene  sprach-  und  wortformen  in  den  hss.  0 
und  F.  Man  muss  sich  daher  die  neu  gewonnenen  oder  gesicherten  tatsachen  nicht 
ohne  mühe  zusammen  suchen.     Das  wichtigste  ist  folgendes. 

1.  Der  schwank  vom  Schretel  ist  nun  mit  Sicherheit  als  werk  Heinrichs  an- 
zusehen. 

2.  Über  die  lebensverhältnisse  Heinrichs  und  seiner  familie  erhalten  wir 
genauere  angaben,  welche  geradezu  reizen  sie  in  der  phantasie  auszugestalten,  wo- 
vor der  besonnene  verf  sich  dui'chaus  zu  hüten  weiss.  Man  wusste,  vor  allem  auf 
grund  der  forschungen  von  W.  Toi  sc  her  (Mitt.  des  Vereins  für  geschichte  des  deut- 
schen in  Böhmen  15,  149fg.,  vgl.  R.  Bechstein,  Heinr.  v.  Freiberg  s.  XXIfg.  XXVII fgg.), 
dass  Heinrich  zu  einer  deutschen,  bürgerlichen,  aus  Freiberg  in  Sach.sen  stammenden 
familie  gehörte,  welche  bergwerke  auf  der  herrsch  aft  Deutsch -Brod  an  der  böhmisch - 
mährischen  grenze  besass.  Diese  herrschaft  gehörte  seit  1251  der  familie  der  Lichten- 
burger,  die  aus  der  Lausitz,  als  herren  von  Zittau,  stammten.  Ein  Lichtenburger 
ist  auch  Reimund,  der  vornehme  herr,  für  den  Heinr.  den  Tiüstan  gearbeitet  hat. 
Jetzt  erfahren  wir,  dass  die  vorfahren  Heinrichs  nicht  von  ihrer  heimat  gleich  nach 
Deutsch -Brod  übergesiedelt  sind,  sondern  vorher  in  angesehener  Stellung  in  Leit- 
meritz  gesessen  haben.  Wahrscheinlich  wird  gemacht,  dass  ein  Henricus  Curialis, 
der  als  ministerial  des  Lichtenbui'gers  1256,  1258,  1261  erwähnt  und  ein  Henricus 
de  Broda,  der  als  miles  des  bischofs  von  Olmütz  1266  genannt  wird,  unser  dichter 
ist;  ebenso  dass  wir  als  geburtsort  Leitmeritz  ansehen  dürfen,  wo  er  auch  seine  latei- 
nische bildung  auf  der  Stadtschule  erworben  haben  wird.  (Über  diese  schule  näheres 
s.  199.)  Auch  die  nachrichten  über  das  lange  bedeutsame  leben  Reimunds  von 
Lichtenburg  hat  der  verf.  neu  durchforscht.  Die  belege  gehen  von  1278  — 1329.  Aus 
V.  56  (mit  ebenso  viel  recht  könnte  man  den  Wortlaut  und  den  ton  der  ganzen  Widmung 


ÜBKR    IIEINK.  V.   KKE1BE1{(.1     KD.   BERNDT  229 

V.  53  —  84  lierauziehcu)  wird  gcschlosseu ,  dass  der  Tristan  noch  in  die  jüngeren 
jähre  Reimunds  gehört,  und  bereclinet,  dass  er  nicht  viel  später  als  1285  begonnen 
worden  ist.  Für  den  Michelsbergcr  ist  nichts  neues  zu  finden  gewesen.  Aus  deu 
beiden  uachiichtcn  über  dessen  ritterfahrt  nach  Frankreich,  deren  eine  sie 
zwischen  1293  und  129(3,  die  andre  sie  auf  1297  verlegt,  entnimmt  der  verf.  für  das 
gedieht  die  datieruugsgreuzen  1294  und  1300.  Die  zweite  dürfte  aus  vorsieht  zu  weit 
hinausgeschoben  sein.  Denn  mit  dem  verf.  werden  wir  gedieht  und  ereignis  als  zeit- 
lich -zusammengehörig  auffassen. 

3.  In  metrisch -technischer  hinsieht  steht  die  Legende  hinter  den  andern  ge- 
dichten  zurück,  das  Schretel  stimmt  mit  dem  Tristan  und  der  Ritterfahrt  darin 
überein.  Zeitlich  folgen  also:  Legende,  Tristan,  Ritterfahrt,  und  das  Schretel  geliört 
zeitlich  zu  den  beiden  letzten. 

4.  Für  den  Tristan  hat  Heinrich  keine  anderen  quellen  benutzt  als  Ulrich 
von  Tür  heim  und  Eilhard.  Gegen  Singer  (Zeitschr.  29,  73  —  87),  werden  die  selb- 
ständigen züge  bei  Heinrich,  aus  welchen  jener  auf  eine  dritte,  französische,  quelle 
schloss,  als  Heinrichs  eigene  erfindung  erklärt  (s.  169 — 177). 

Man  hätte  nur  gewünscht,  dass  auch  die  beweisführung  Singers  etwas  schärfer 
aufs  körn  genommen  worden  wäre.  Nur  um  das  natürliche  zu  vermeiden,  dass 
Heinrich  sich  seine  geschichte  auf  grund  der  bekannten  quellen  selber  zurecht- gelegt 
und  ein  wenig  ausgestaltet  hat,  müssen  hypothetische  mittelglieder  herangezogen 
werden,  vor  allen  Chrestiens  Tristan,  von  dessen  Inhalt  wir  gar  nichts  wissen.  Es 
wäre  dabei  dem  verf.  sehr  zu  nutzen  gekommen,  wenn  er  schon  den  2.  band  der 
ausgäbe  des  Tristan  von  Thoraas  von  Jos.  B edier  (Societe  des  Anciens  textes  franyais 
1905)  hätte  einsehen  können.  Er  würde  nicht  mehr  von  jener  vagen  'Berol-version' 
gesprochen  haben,  die  trotz  aller  scharfsinnigen  und  gelehrten  Untersuchungen  vor 
der  einfachen  frage:  „wie  soll  man  sich  das  im  einzelnen  vorstellen?"  immer  sich  in 
ein  wallendes,  nicht  still  haltendes  gebilde  auflöste.  Geradezu  erlösend  wirkt  der 
nachweis  Bediers,  dass  alle  litterarischeu  darstellungeu  des  Tristanstoffes  und  auch 
alle  anspielungen  darauf  auf  ein,  von  einem  manne  verfasstes  gedieht  zurückgehn. 
Es  ist  wie  das  wort,  das  man  auf  der  lippe  hat  und  nicht  articulieren  kann,  das  hier 
ausgesprochen  wird.  Auch  Bedier  gibt  Heinr.  nur  Eilh.  und  Ulrich  als  quellen  (s.  287  fg.). 
Er  bekämpft  dort  eine  andere  abhandlung,  in  welcher  für-  Tristans  Wahnsinn  auch 
eine  besondere,  Ulrich  und  Heinrich  gemeinsame  quelle  construiert  wird  (Lutoslawski, 
Romania  XV,  511)  Sehr  fein  cliaraktcrisiert  er  die  äusseriich  arithmetische  methode, 
alles  was  Ulr.  und  Heinr.  mehr  als  'Eilh.  haben,  einem  verlorenen  poeten  zuzu- 
schreiben. „Man  braucht  nur  noch  einen  buchstaben  mehr  dem  aiphabet  zu  ent- 
nehmen um  diesen  imaginären  dichter  zu  bezeichnen."  Merkwürdig  ist  es  dann  auch, 
dass  bei  solchen  constructionen  nur  x,  y,  z  phantasie  haben,  nie  die  uns  geschicht- 
lich bekannten  personen,  deren  bücher  wir  lesen. 

In  unserm  falle  waren  noch  die  folgerungen  zu  erwägen,  welche  die  annähme 
einer  dritten,  unbekannten,  französischen  quelle  notwendig  machen  würde.  Heinrich 
müs.sto  so  viel  französisch  gekonnt  haben,  dass  er  ein  ganzes  buch  in  dieser  spräche 
nicht  nur  lesen,  nicht  nur  übersetzen,  .sondern  so  frei  beherrschen  konnte,  dass  er 
nacli  belieben  einzelne  züge  —  nebensächlicher  art  dazu  —  sich  herausfischte.  Aber 
Konrad  von  Würzburg,  der  in  Strassburg  und  Basel  lebte,  konnte  das  nicht,  was  dem 
mann  aus  Deutsch -ßrod  eine  kleiuigkeit  war.  Es  bleibt  immer  noch  die  frage  offen, 
wie  viel  man  in  Deutschland  im  13.  Jahrhundert  französisch  hat  lesen  können,  was 
man  überhaupt   von  der    französischen    litteratur  wusste.     Die    fabelhaften   angaben, 


230  ROSENHAGEN 

welche  sehr  angesehene  dichter  über  ihre  quellen  machen  konnten,  lassen  diese 
kenntuisse  sehr  gering  erscheinen.  Jedenfalls  ist  es  unwahrscheinlich,  dass  Heinrich 
behauptet  hätte,  Thomas  von  Britanje  habe  in  lain partischer  %ungen  gesprochen, 
wenn  er  selber  französisch  gekonnt  und  französische  hücher  gelesen  hätte.  Auch  kom- 
men wir  bei  ihm  nicht  damit  aus,  dass  wir  einen  vermittelnden  Übersetzer  annehmen. 
Denn  er  wählt  ja  aus  und  ändert  doch  im  einzelnen  so  wenig,  dass  man  noch  im 
19.  jhdt.  die  lierkuuft  der  züge  aus  einer  bestimmten  quelle  hat  vermuten  können. 

Für  die  lampartische  zunye  lässt  sich  zur  erklärung  vermutungsweise .  vor- 
schlagen, H.  sei  in  Oberitalien  gewesen.  Das  wälsch,  was  er  persönlich  kennt,  würde 
dann  lalnpartisch  sein.  So  würde  sich  auch  die  auffällige  bezeichnung  2>otestat  er- 
klären (v.  3284.  3302),  welche  dem  beamten  gegeben  wird,  der  Isoldens  liinrichtung 
zu  besorgen  hat.  Das  wort  findet  sich  sonst  (nach  den  wbb.)  nur  bei  Thomasin  von 
Zirklaja  und.  Ulrich  von  Lichtenstein,  also  dichtem,  welche  Oberitalien  und  von  dort 
das  wort  jmtesfat  kennen.  Stimmt  das,  so  hat  Heinr.  es  angewandt,  um  seiner  er- 
zählung  wälsche  localfarbe  zu  geben,  um  sie  quellenechter  erscheinen  zu  lassen.  Die 
Vermutung  des  verf. ,  welcher  aus  v.  11  der  Eitterf.  schliesst,  Ileinr.  sei  in  fremden 
landen  gewesen,  würde  dadurch  bestimmtere  form  gewinnen. 

Mit  diesen  litteraturgeschichtlichen  ei'gebnissen  ist  der  Inhalt  der  einleitungen 
noch  nicht  erschöpft.  Es  steckt  eine  umfassende,  gründliche  und  gewissenhafte  arbeit 
darin;  kein  grammatiker,  metriker  oder  herausgeber  von  mhd.  texten  darf  sie  über- 
sehen. Was  ihnen  aber  im  ganzen  fehlt,  drückt  schon  der  mit  bedacht  gewählte 
plural  'einleitungen'  aus.  Eine  'einleitung'  wäre  besser  gewesen,  und  wenn  der 
verf.  sich  bescheidet,  einen  anfang  und  keinen  abschluss  gegeben  zu  haben,  so  möchte 
man  doch  wünschen,  dass  ein  gewisser  abschluss  erstrebt  worden  wäre,  so  nämlich, 
wie  ihn  der  ort,  au  dem  diese  Untersuchungen  abgedruckt  sind,  verlangt.  Die  texte 
sind  nicht  bloss  für  mhd.  Specialphilologen  gedruckt.  Was  für  jede  ausgäbe  mhd. 
denkmäler  gilt,  hat  hier  noch  eine  besondere  bedeutuug,  weil  diese  eine  materielle 
Unterstützung  darum  erhalten  hat,  dass  es  sich  um  ein  culturgeschiehtlich  wichtiges 
werk  aus  der  zeit  der  deutschen  colonisation  in  Böhmen  handelt.  Eine  solche  ein- 
leitung muss  klarstellen,  was  die  texte  geschichtlich  bedeuten,  und  da  es  litterarische 
werke  sind,  das  geben,  was  man  ausser  dem  texte  wissen  muss  oder  kann,  um  die 
darin  getane  literarische  leistung  zu  begreifen.  Hier  haben  wir  einzelabhandlungeu, 
die  gleich  ins  einzelne  gehen,  als  wenn  sie  in  einer  fachzeitschrift  ständen,  wo  der 
leser  bescheid  weiss.  Dass  die  absieht  gefehlt  hat,  aus  dem  einzelnen  zu  einer  Charak- 
teristik des  autors  sich  hinzuarbeiten,  spricht  sich  schon  in  der  reihenfolge  aus,  die 
vertauschbar  ist.  Anstatt:  stil,  spräche,  metrik,  wäre  der  umgekehrte  weg  frucht- 
barer gewesen.  Es  macht  den  eindruck,  als  ob  die  abhandlungen  einzeln  nacheinander 
entstanden  wären.  Dadurch  wird  auch  die  Übersicht  für  den  leser  schwierig.  W.  Fried- 
rich (Deutsche  literaturzeitung  1906,  1574)  vermisst  die  erörterung  der  frage,  „in- 
wieweit in  Heinrichs  spräche  schon  die  dehnung  rnhd.  kurzer  Stammsilben  ein- 
getreten war".  Die  frage  wird  aber  berührt,  jedoch  an  einer  stelle,  die  man  mühe  hat 
widerzufinden,  wenn  man  sie  nicht  gleich  beim  lesen  notiert  hat  (s.  129  — 1.30,  in 
der  metrik). 

Es  wäre  sicherer  gewesen,  wenn  durch  die  behandlung  der  metrik  dem  gram- 
matischen capitel  erst  die  grundlage  gegeben  worden  wäre  —  und  auch  festgestellt, 
was  unsicher  bleibt.  Indem  ich  auf  die  schon  erwähnte  besprechung  von  W.  Friedrich 
(Deutsche  literaturzeitung  1906,  1572  — 1577)  grade  für  diesen  punkt  verweise,  möchte 
ich  nur  folgendes  anmerken.     Es  musste  gesagt  werden,  wie  sich  H.s  vers'zu  dem 


t'BKR    HEINK.    V     FKKIBERG    Kl).     rJKKNDT  231 

nih'd.  reinipaarvers  im  allgemeinen  und  zu  dorn  Gottfrieds  im  besonderen  verhält.  Die 
antwort  auf  die  er.ste  frage  gibt  W.  Friedricli  (a.  a.  o.  1575)  wie  mir  scheint  richtig: 
es  ist,  mit  rücksicht  auf  das  vom  verf.  nicht  behandelte  Verhältnis  der  haupt-  und 
nebeuhebungen,  der  alte  reimvcrs.  Allerdings  entspricht  die  überwiegende  zahl  der 
verse  dem  Schema  XXXXXXXX,  aber  H.s  metrik  ist  im  ganzen  altertümlicher  als 
z.  b.  die  Konrads  von  AVürzburg.  Über  alle  dabei  in  frage  kommenden  dinge  werden 
die  genausten  statistischen  nachweise  gegeben  (s.  127  — 153),  aber  das  Verhältnis  zu 
Gottfried  wird  nicht  besondeis  vorgenommen.  Da  hätte  doch  das  mehrfach  erwähnte, 
bei  H.  so  häufige,  enjambement  einen  wink  geben  können.  Nehmen  wir  ein  be- 
sonders starkes  bcispiel:  snelch  riitcr  dd  den  andern  an  quam  und  er  in  geioäpent 
vant  XU  rosse  und  er  im  unerkant  /ras,  des  mochte  sin  kein  rät,  ern  müeste  — 
wem  (1606  — 1611)'.  Das  sind  kaum  noch  verse,  jedenfalls  keine  Gottfriedische.  Die 
kehrseite  oder  bcgleiterscheinung  des  enjambements,  die  syntaktische  zerreissung  des 
folgenden  verses,  ist  iu  ähnlicher  weise  bei  Heinr.  öfter  zu  beobachten  und  beweist 
eine  von  üottfr.  gnmdsätzlich  verschiedene  auffassung  vom  verse,  für  welche  der 
reim  als  marke  der  poetischen  redeform  voransteht,  der  rhythmus  des  verses  an 
zweiter  stelle  wirksam  ist  Ein  solcher  vers  ist  auch  mehr  episch  als  lyrisch.  So 
drückt  sich  ein  dichter  aus.  dem,  in  der  sache  deuthch  und  vollständig  zu  sein,  mehr 
Avert  ist,  als  durch  den  rhythmus  zu  wii-ken.  So  würde,  wenn  wir  für  Heiur.  ein 
Vorbild  zu  suchen  haben,  AYolfram  heranzuziehen  sein,  bei  dem  wir  recht  starke  fälle 
finden.  Wirklich  Gottfriedischen  klang  haben  nur  solche  verse,  wo  H.  ihn  auch 
stilistisch  und  inhaltlich  bewusst  nachahmt  (vgl.  unten). 

Sehr  gründlich,  und  mit  anlehnung  an  Zwierzina  vorsichtig  sondernd,  was  litte- 
j'arische  tradition,  was  wirklich  mundart  ist,  werden  die  erkennbaren  sprachlichen 
eigenheiten  erörtert  (III.  capitel).  Sie  werden  als  mitteldeutsch  erkannt.  Da  das  ein 
etwas  unbestimmter  begriff  ist,  so  hätte  man  gewünscht,  dass  der  verf.  mit  seiner 
keontnis  der  alten  Jitteratur  und  der  heutigen  mundarten  Deutschböhmeus  vorsucht 
hätte  genauer  zu  localisiereu.  Er  geht  darauf  nur  bei  einigen  kleinigkeiten  ein  (über- 
zeugend niht  eine  bunne  =  n.  e.  bone,  weniger  glücklich  der  ^ewf^e /e?re,  vgl.  unten). 
Vielleicht  hätte  der  wertschätz  noch  mehr  ergeben  als  die  anm.  s.  125  lehrt,  da  er  vieles 
enthält,  was  im  mhd.  selten  oder  gar  unbelegt  ist.  Die  schon  erwähnte  dehnung 
der  Stammsilben  musste  jedesfalls  in  diesem  cap.  besprochen  werden.  Sie  zeigt  sich 
doch  in  dem  reim  vcrsacjeten-.bägeteti  3177,  und  in  <\Qn\)Q\Ae\\  jagern: gewern  2^11, 
jegern  :  enp'ern  2381 ,  die  merkwürdig  dicht  aufeinander  folgen.  Diese  reime  müssen 
allerdings  mit  den  reimen  cer :  er  (s.  92)  zusammengestellt  werden.  Sie  sind  darnach 
einsilbig,  im  übrigen  schwierig  zu  beurteilen.  \\o\\  jagern  zwei  hebungen  trägt:  mit 
des  küniges  jagern,  ern  spreche  xu  den  jegern.  Wenigstens  ergibt  sich  daraus,  dass 
er,  her,  der,  ger  au  betonter  stelle  gedehnten  vocal  hatten,  und  darum  i\.\XG\\  ge^vern. 
Der  herausgeber  schreibt  im  text  jagern,  in  der  einleitung  ja^/tV»;  das  zweite  rich- 
tiger, wie  mir  scheint,  weil  wir  sonst  auf  einen  unmöglichen  rhythmus  kämen.  Ob 
dann  das  a  von  jagern  als  gedehnt  zu  fassen  ist,  bleibe  dahingestellt. 

Der  Wortschatz  ist  auch  von  stilistischer  bedeutung.  Die  frage  ist,  wie 
weit  bewegt  sich  H.  in  der  herkömmlichen  ausdrucksweise  des  höfischen  epos,  und 
wie  weit  braucht  er  werte,  die  ihm  aus  .seiner  mundart  geläufig  sind.  Die  sache  ver- 
dient eine  nachprüfung,  die  ziemlich  umständlich  ausfallen  dürfte.  I>.  beschäftigt 
sich   eingehender  nur  mit  den  Wörtern,   welche  in  der  volksepik  üblich  waren,   aber 

1)  Die  gesperrten  werter  sind  die  reime. 


232  KOSENllAGEX 

von  den  höfischen  dichtem  als  veraltet  gemieden  wurden  (s.  59  —  62),  und  findet,  dass 
H.  eine  reihe  solcher  wörter  unbedenklich  gebraucht.  Es  kommt  hier  dem  verf.  auf 
den  geschichtlichen  nachweis  an,  dass  IL  Zusammenhang  mit  der  volkstümlichen  dichtung 
zeigt,  und  nicht  darauf,  wie  er  die  von  dort  empfangenen  stilistischen  elemente  verwertet. 
Aber  klar  genug  zeigt  sich  darin  ein  gegensatz  zu  Gottfried,  und  das  hätte  den 
verf.  veranlassen  können,  das  Verhältnis  H.s  zu  ihm  im  zusammenhange  zu  unter- 
suchen. Die  tatsache,  dass  H.  ihn  genau  gekannt  und  nachgeahmt  hat,  bedarf  frei- 
lich keiner  erörterung  mehr,  aber  der  verf.  hätte  sich  etwas  bedenken  sollen,  ehe  er 
erklärte,  dass  „H.s  hauptwerk  im  ganzen  stilcharakter  die  nachahmung  Gottfrieds  ver- 
rät, so  dass  H.  mit  recht  als  derjenige  mhd.  dichter  genannt  werden  kann,  der  G.s 
wesen  und  dichten  wie  kein  andrer  erfasst  hat"  (s.  77).  Mit  recht?  Ich  wage  zu 
zweifeln,  vorausgesetzt,  dass  ich  die  worte  „wie  kein  andrer''  als  gradbezeichnung 
und  nicht  als  wirklichen  vergleich  richtig  auffasse.  Sie  sagen  doch,  nur  etwas  vor- 
sichtiger, dasselbe  wie  die  formal:  „brachte  den  unvollendeten  Tristan  im  stile  und 
geiste  Gottfrieds  zum  abschluss",  die  für  Heinrich  herkömmlich  gebraucht  wird, 
auch  in  sehr  ernsthaften  und  zuverlässigen  literaturgeschichten.  „Im  stile'',  viel- 
leicht, wenn  auch  mit  allerlei  einschränkungen  —  aber  im  geiste?  den  geist  müssen 
wir  endlich  einmal  streichen. 

Geist  kann  in  einem  solchen  falle  zweierlei  heissen:  erstens  die  art  und  weise, 
wie  der  dichter  die  dinge,  von  denen  er  redet,  ansieht,  fühlt,  auffasst,  kurz  was 
mau  auffassung  oder  auch  anschauung  nennt;  zweitens,  in  einem  engeren,  rein  littera- 
rischen sinne,  die  art  und  weise,  wie  er  den  «toff  aufasst,  was  er  daran  für  mitteilens- 
wert  hält,  wie  er  ihn  zu  einem  gegenständ  der  mitteilung  gestaltet,  ungefähr  das, 
was  man  als  'innere  form'  bezeichnet. 

Geist  in  dem  ersten  sinne  durchströmt,  durchglüht,  das  weiss  jeder,  Gottfrieds 
ganzes  gedieht.  Was  er  für  eine  Vorstellung  vom  voUkonunensten  manne,  von  der 
vollkommensten  frau  hat,  was  er  von  minne  und  knote,  von  eifersucht  und  hass  denkt, 
was  er  über  die  geschichte  seiner  drei  personen  urteilt  und  was  er  dabei  fühlt,  das 
sagt  er  so,  dass  darüber  ein  zweifei  nicht  bestehen  kann.  Fassen  wir  dem  gegen- 
über drei  stellen  aus  Heinr.  werk  ins  äuge,  welche  auch  der  verf.  heranzieht,  aber 
anders  beurteilt.  Zunächst  v.  694  fgg. :  Isolde  Weisshaud  den  bräutigam  erwartend. 
Der  verf.  findet  darin  eine  'reizvolle'  erzählung  von  dem  'jungfräulichen  betragen' 
des  mädchens.  Ich  kann  mir  nicht  denken,  dass  dies  urteil  von  dem  fühlen  eines 
heutigen  menschen  aus  gefällt  ist.  Denn  ich  glaube  nicht,  dass  wir  heute  diese  szene 
anders  vertragen  können  als  ein,  allerdings  anschaulich  erzähltes,  Sittenbild  einer  ver- 
gangenen zeit.  Geschickt  ist  es  von  H.,  dass  er  sich  bei  den  erwartungen  des  mäd- 
chens etwas  aufhält,  um  den  contrast  zu  dem,  was  wirklich  geschieht,  zu  steigern. 
Die  ausführung  im  einzelnen  aber  gestaltet  nicht  diesen  besonderen  fall  der  Isolde 
Weisshand  poetisch  aus,  sondern  schildert  einfach,  was  nach  der  auffassung,  in  und 
zwischen  welclier  H.  lebte,  für  guten  ton  gehalten  wurde.  Man  vergleiche  damit 
nun  die  stelle  von  streit  zwischen  schäm  und  liebe  (Gottfr.  11826  fgg.),  welche  auf 
Heinrich  hier  einfluss  gewonnen  haben  soll  (s.  25).  Von  diesem  einüuss  ist  aber 
nichts  zu  spüren.  Bei  Gottfried  bleibt  die  ganze  darstellung  in  rein  geistiger  Sphäre, 
er  hat  nur  mit  dem  seelischen  kämpf  zu  tun,  er  bewegt  sich  ausschliesslich  in  jener 
antithetischen  psychologie,  welche  ihn  und  seine  Vorgänger  als  neue  entdeckung  im 
geistigen  leben  über  alles  interessierte  und  tief  bewegte.  In  den  beiden  stücken  zeigt 
sich  nicht  nur  eine  verschiedene  auffassung  von  der  liebe,  sondern  sie  sind,  trotz 
der  ähnlichkeit  der  Situation,  eigentlich  unvergleichbar,  inoommcnsurabel,   ebenso  in- 


VBER    IIEINR.    V,   FKKIUKKU    KU.  BKK.NDT  233 

commensurabel  wie  die  beidon  autnrcn.'  Zweitens:  Kur  wen  als  klage  rede  an 
Tristans  leichiiam  (v.  6620 — 6650  sich,  iccrlt,  dix,  ist  dm  Inn,  usw.),  zu  welcher 
das  'absonderliche  ende'  der  dichtuug,  wie  B.  es  nennt  (v.  6847  if.)  hinzuzuziehen  ist 
(nu  dar,  ir  werldc  minner,  seilet  alle  in  disen  Spiegel  her  und  schouwet,  wie  in 
aller  vrist  hin  slichcnde  und  genclich  ist  die  wcrltliehe  minne/J.  Sehr  richtig  er- 
kennt der  verf.  hierin  das  wahre  gesicht  H.s  (s.  203).  Aber  ist  das  noch  das  'wesen' 
oder  der  'geist'  Gottfrieds?  Kein  wort  au  diesen  stellen,  wo  es  dieser  'geist'  eigent- 
lich forderte,  von  der  tragik  der  geschichte  Tristans,  des  traurigen,  in  welcher  lieb  und 
leid  untrennbar  verbunden  sind.  Es  ist  überhaupt  fraglich,  ob  wir  mit  dem  verf.  von 
einem  'doppelgesicht'  H.s  reden  dürlen,  Tristan  und  IsOt  sind  zwar  seine  heldeu,  er 
spricht  auch  im  tone  G.s  von  der  uot  und  allmacht  der  liebe,  aber  von  dem  innigen 
anteil,  den  jener  daran  nimmt,  von  dem  rastlosen  nachdenken  über  das  grosse  thema 
ist  nichts  zu  spüren.  Drittens:  E.s  eigener  nachruf  auf  Tristan  (v.  6414—6480). 
Hier  'klingt'  Heinrich  wirklich  im  eigentlichen  sinne  an  seines  meisters  wort 'an' (vgl. 
s.  27).  Die  strophcuartigen  absätze  (meist  8  zeilen,  einer  zu  10)  erinnern  an  G.s  Vier- 
zeiler, und  der  nach  reiinbedarf  variierte  refrain  bringt  in  G.s  werten  auch  sein  grund- 
thenia:  der  leit  in  liebe  des  tödes  not.  Wenn  man  aber  den  Inhalt  der  einzelnen 
absätze  sich  ansieht,  so  erscheint  der  refrain  nur  als  eine  formale,  sehr  geschickt 
contrastierend  ausgenützte  erinnerung.  Sonst  werden  hier  nur  die  äusseren  erleTDuisse 
Tristans,  vor  allem  seine  heldentaten  erzählt;  von  seiner  liebe  hört  man  nur, 
dass  er  mit  Isöt  unwissend  den  minnetrank  getrunken,  und  um  ihrer  minne  willen 
ritterliche  taten  getan  (v.  6455  —  6463).  Weder  hier  noch  anderswo  etwas  von 
dem  Tristan,  der  Gottfried  mehr  wert  ist  als  der  eisenklirrende,  immer  siegreiche, 
physische  ritter,  von  jenem  musterbild  geselliger  und  künstlerischer  ausbilduug! 
Grade  diese  stelle  zeigt,  dass  Heinrich  an  seinem  beiden  das  am  meisten  bewunderte, 
worauf  es  seinem  Vorgänger  am  wenigsten  ankam  (man  vgl.  bei  G.  den  kämpf  mit  dem 
drachen). 

Was  G.  als  dichter  geleistet  hat,  das  können  wir  jetzt  au  der  band  der  reeon- 
struction  des  gedichtes  von  Thomas  durch  J.  Bedier  besser  als  früher  beurteilen.  Er 
hat  eine  Originalität,  die  es  vor  ihm  bei  Veldeke  im  ansatz,  in  ähnlicher  weise  bei 
Hartniann ,  nach  ihm  kaum  wider  gegeben  hat.  Nicht  nur  die  ereignisse  sind  in  der- 
selben folge  geblieben,  sondern  die  roden  der  personen,  auch  die  gcdanken  des  autors 
sind  widerholt,  und  doch  ist  etwas  anderes,  etwas  eigenes  daraus  geworden,  weil  er 
die  ^vundorsame  geschichte  in  sein  für  feinheiten  geschultes  gefühl  aufgenommen,  mit 
seinem  beweglichen  denken  durcharbeitet  und  mit  seinem  spielenden  wort  leicht  und 
nüihlos  wider  erzählt  hat  (vgl.  die  zutreffende  Charakteristik  von  Bedier,  Thomas, 
K'uman  de  Tristan  II,  76  —  81).  Auch  wie  Heinrich  gearbeitet  hat,  vermögen 
wir  durch  den  vergleich  mit  seinen  quellen  zuerkennen.  Der  verf.  ist  auf  diese 
frage  nicht  eingegangen,  da  es  ihm  nur  darauf  ankam  zu  beweisen,  dass  Ulrich  und 
Eilhard  allein  seine  vorlagen  waren.  Wenn  nun  auch  das  wort  'dichterwerkstatt' 
allmählich  durch  täglichen  missbrauch  abgenutzt  i.st,  so  soll  man  doch  vor  keinem 
Worte  bange  sein  und  braucht  sich  auch  hier  nicht  zu  genieren,  den  bekannten  'oin- 
bück'  zu  tun.  Dann  wird  man  nicht  mehr  sagen,  dass  Ulrich  und  Eilhard  dio 
vorlagen  Heinrichs  gewesen  sind,  sondern:  die  vorläge  und  grundlage  gab  Ulrichs  fort- 
setzung  zu  Gottfried;  in  diese  hinein  hat  Heinrich  ein  grösseres  stück  gefügt,  in 
dem  alles,  was  von  haus  aus  zur  geschichte  Tristans  gehört,  aus  Eilhard  entnommen 

1)  Zu  vergleichen  ist  auch  das  citat  aus  Pseudo- Neidhart,  v.  3779 — .3782. 
Wolfram  riskiert  so  etwas  auch  einmal  an  bckauutor  stelle,  abur  Gottfried! 


234  ROSENHAGKX 

ist.  Aber  diese  ereignisse  sind  im  einzelnen  umgestaltet,  ausserdem  ist  ihre  reihen- 
folge  umgekehrt  und  sie  werden  in  einen  späteren  Zeitraum  von  Tristans  geschichte 
verlegt;  denn  bei  Eilhard  liegen  sie  vor  der  zeit,  welche  Heinrichs  fortsetzuug  umfasst. 
Der  anfang  dieses  Stückes,  in  welchem  Tristan  mit  Artus  und  den  tafelrundern  zu- 
sammengeführt wird,  ist  frei  aus  bekannten  motiven  der  Artusromane  componiert 
(vgl.  Berndt,  s.  74  —  76).  Dieses  stück  v.  1129  —  3675,  mehr  als  ein  drittel  des 
ganzen,  ist  also  in  composition  und  darstellung,  in  einigen  einzelheiten  auch  als 
erfmdung  eine  selbständige  leistung  des  dichters,  und  das  urteil  darüber,  was  er 
konnte,  wollte  und  mochte,  muss  darauf  in  erster  linie  sich  stützen.  Es  lautet  zu- 
nächst negativ:  H.  ist  nicht  von  Ulrich  zu  Eilhard  hinübergegangen,  weil  er  bei 
ihm  eine  richtigere  Überlieferung  zu  finden  glaubte,  auch  nicht  um  einen  befriedigen- 
deren Zusammenhang  zu  gewinnen.  Das  stück  kann  so,  wie  es  dasteht,  herausgenom- 
men werden,  ohne  dass  der  Zusammenhang  gestört  wird.  Tri.stan  geht  auf  die  jagd, 
damit  geht  es  an,  und  am  ende  heisst  es:  ei,  icax  tuot  nu  her  Tristan?  da  leerte 
er  aber  dräte  —  gein  Arundele.  Die  geschichte  mit  der  Is.  Weisshand  wird  dadurch 
so  auseinander  gerissen,  dass  die  nichtvollziehung  der  ehe  nochmals  erzählt  werden 
muss.  Heinrich  ist  allerdings  nicht  immer  so  unachtsam.  Er  erfindet  z.  b.  des  prag- 
matischen Zusammenhanges  wegen  die  Verwandtschaft  zwischen  Tristan  und  Gawan 
(woran  Singer,  Zeitschr.  29,  79  einen  gewissen  zweifei  zu  äusern  scheint).  Sie  nennen 
sich  nicht  bloss  f rinnt,  sondern  neve  (v.  2310,  2320,  2333).  Sogar  Marke  wird  als 
öhem  des  Artus  bezeichnet  (2442).  Andrerseits  scheut  H.  auch  eine  unwahrschein- 
lichkeit  nicht,  um  etwas,  was  er  vorhat,  anzubringen  (vgl.  Singer  a.a.O.  s.  81fg.). 

Positiv  erscheint  als  das  hauptmotiv  für  die  ganze  einfügung  die  absieht, 
T.ristan  mit  Artus  und  der  tafeirunde  zusammenzubringen,  wie  schon  von  Fr.  "Wie- 
gandt  (in  der  dissertation:  H.  v.  Treib,  in  s.  Verhältnis  zu  Eilhard  und  Ulrich,  Ro- 
stock 1879,  s.  21)  richtig  beobachtet  ist.  Übersehen  ist  aber  bisher,  dass  sich  darin, 
und  besonders  in  der  art  und  weise,  wie  nun  dies  ganze  stück  inhaltlich  zusammen- 
gesetzt ist,  die  schon  erwälinte,  von  Gottfried  abweichende  auffassung  des  beiden 
zeigt:  Tristan  soll  ebenso  einer  sein,  wie  Iwein,  Parzival,  Wigalois  und  all  die 
andern.  Damit  ist  aber  noch  nicht  alles  erklärt.  Das  erneute  'flagrant  delit'  (das 
deutsche  hat  noch  keine  kurze  formel  für  diese  sache),  die  Verurteilung,  die  rettung, 
das  widerholte  waldleben  bringen,  ausser  der  befreiung  Isoldens,  wie  H.  sie  hier  er- 
findet, keine  abenteuer  in  dem  bekannten  stil,  auch  trägt  H.  sie  nicht  etwa  nach, 
weil  sie  bei  G.  fehlen,  sondern  er  nimmt  sie,  weil  sie  ihm  zu  erzählen  geben.  Und 
das  ist  das  wesentliche.  H.  ist  erzähler  und  kein  schlechter.  Er  hat  eine  aus- 
gesprochen epische  phantasie.  Aus  angeborner  neigung  versenkt  er  sich  in  die 
begebenheiten ,  die  er  zu  erzählen  hat,  und  malt  und  bildet  sie  vor  seinem  inneren 
äuge  aus.  Die  formen  und  färben  dazu  nimmt  er  aus  der  weit,  die  er  aus  eigner 
anschauung  kennt;  man  vgl.  die  Vorbereitung  der  Isolde  Weisshand  auf  die  braut- 
nacht.  Er  hat  das  bestreben,  seine  Vorgänge  als  wirklich  erscheinen  zu  lassen,  ja  sie, 
soweit  es  geht,  in  einem  'wälschen'  lande  zu  localisieren,  man  vgl.  den  potestat, 
auch  die  welsche  mile  2100.  In  dieser  weise  ist  er  also  realist.  So  überrascht  er 
uns  mit  vielen  trefflich  gesehenen  einzelheiten.  Eine  ganze  reihe  von  beispielen  hat 
B.  gesammelt  (s.  26  —  29),  aber  nicht  bemerkt,  welcher  gegensatz  sich  damit  zwischen 
H.  und  G.  auf  tut.  Hier  die  ereignisfrohe  erzählung,  welche  geschehendes  veran- 
schaulicht, dort  jene  nachdenkliche,  innige,  lyrisch -musikalische  paraphrase  über  ein 
schon  vorhandenes  epos.  Das  geistige  leben  der  personen  kommt  bei  H.  nicht  gerade 
zu  kurz,  doch  nur  so  weit,  wie  er  es  begreift:  aber  es  wird  nur  erzählt.   Was  sie 


ÜBER    HEINR.   V.   FRKIRKRG    KD.  BERNDT  235 

im  herzen  haben,  spiechen  die  fieisonen  aus,  oder  der  dichter  berichtet  es,  aber  nur 
weil  es  mit  zu  dem  gehört,  was  geschieht. 

Die  langen,  aus  der  erzählung  sicli  ablösenden  beti'achtungen  G.'s  sind  ein  stück 
innerer  form  bei  ihm.  Sie  gehören  innig  zu  der  art,  wie  er  die  ganze  sache  in  sich 
aufgenommen  hat.  Es  ist  daher  unzutrel^'end,  wenn  B.  sagt  (s.  34):  „"Wie  sein  grosser 
Vorgänger  Gottfried  hat  auch  H.  seinem  werke  gedankcn  allgemeinen  gehalts  einge- 
streut und  so  das  erzählte  in  eine  höhere  Sphäre  gehoben."  Über  die  auffassung,  dass 
durch  eingestreute  Sentenzen  eine  erzählung  in  eine  höhere  Sphäre  erhoben  werde, 
soll  hier  nicht  gerechtet  werden.  Sie  ist  seit  beinahe  anderthalb  Jahrhunderten  erle- 
digt. Nur  so  viel  hier:  gibt  man  sie  für  Gottfried  zu.  dann  schlägt  man  ihn  als 
dichter  tot.  Heinrichs  Sentenzen  sind  dagegen  ganz  anderer  art.  "Wie  B.  gleich  darauf 
richtig  beobachtet,  geben  sie  sich  meist  als  spricliwort,  und,  wie  er  hätte  hinzufügen 
können ,  sie  sind  in  der  form  viel  kürzer  als  G.'s  reflexionen.  Sie  sind  nämlich  nicht 
aus  dem  ganzen  gedieht  erwachsen,  sondern  ein  element  volkstümlicher  erzählungs- 
weise ,  das  sich  an  gewissen  haltepunkten  und  Übergängen ,  wie  zum  atemholen  und 
umschauu,  einfindet.  Es  ist  nichts  beabsichtigtes,  hineingetanes,  kein  Streuzucker, 
sondern  etwas  natürliches  und  überall  zu  finden.'  Diese  reflexionen  sind  also  bei  H. 
schon  als  eine  eigenschaft  seines  stils  anzusehen. 

Ehe  ich  auf  diesen  eingehe,  möchte  ich  das  gegensätzliche  verhalten  der  beiden 
dichter  zu  den  dingen  an  einem  beispiel  noch  erläutern.  Der  verf.  schliesst  aus  den 
'kargen  versen',  die  H.  der  widerholten  seefahrt  widmet,  dass  das  meer  nicht  zu 
seinem  vorstellungskreise  gehörte  (s.  28).  Die  meisten  stellen  sagen  allerdings  nichts 
besonderes.  Nur  an  einer  stelle  gibt  er  eine  einzellieit,  die  auf  persönliche  anschau- 
ung  zu  deuten  scheint.  Tristan  und  Kaedin  kommen  an  die  see,  sie  sehen  einen 
marner  gen  in  raste  schiffen  her,  sin  rnoder  strichen  gar  gerade  (v.  4058.  40.59). 
Sie  erwarten  ihn,  er  bemerkt  sie  und  vuor  die  richte  gen  in  hni  (4063).  Sie  werden 
einig,  dass  er  sie  nach  Litan  fahren  soll,  und  sie  gehen  mit  ihren  pferden  und  son- 
stigem gepäck  aufs  schiff,  die  richte  alsani  an  einer  snnor  der  schifman  gein  Litan 
nior  (4093.  94).  Dreimal  wird  dasselbe  hervorgehoben,  zweimal  mit  demselben  aus- 
druck,  der  noch  durch  einen  für  diesen  fall  neu  gebildeten  vergleich  verstärkt  wird. 
Ich  kann  mir  nicht  denken,  dass  ein  binnenländer,  der  die  damalige  kahnfahrt  etwa 
auf  der  Moldau  und  Elbe,  meinetwegen  auch  auf  der  Donau  vor  äugen  hatte,  diesen 
treiTenden  ausdruck  für  ein  schiff  fand,  das  vom  Steuer  auf  einer  langen  strecke  (be- 
sonders im  zweiten  falle,  aber  auch  zuerst  ist  es  noch  weit  vom  ufer)  auf  einen  be- 
stimmten curs  gehalten  wird.  Umgekehrt  kann  man  sich  vorstellen,  dass  einem 
solchen  grade  dies  an  der  Schiffahrt  auf  freier  see  besonders  auffiel.  Ausserdem  würde 
grade  H.,  wenn  er  die  sache  nicht  gekannt  hätte,  einen  vergleich  vermieden,  oder 
i'inen  litterarisch  überlieferten  widerholt  haben.  Eine  solche  erinnerung  wüide  dann 
auch  zu  dem  vermuteten  aufenthalt  in  'Lamparten'  passen. 

Damit  vergleiche  man  die  geschichto  von  der  'rotte  und  der  harfe'  bei  Gott- 
fried. Darin  spielt  der  Wechsel  von  ebbe  und  Hut  eine  entscheidende  rolle.  Gandin, 
der  freche  räuber,  muss  mit  Isolde  am  strande  warten,  bis  die  flut  wider  aufläuft, 
weil  sein  schiff  bei  niedrigwas.ser  trocken  liegt.  Inzwischen  kommt  aber  Tristan,  als 
spielmann  veikleidct,  und  singt  zur  harfe  verschiedene  .stücke.  Darüber  wird  aber 
der  richtige  augenblick  zum  ein.steigen  versäumt;   das  wasser   ist  schon   so   hoch   ge- 

1)  Auch  als  be.sonders  deutsch  darf  man  diese  Verwendung  des  sprichwörtlichen 
ausdrucks  ansehen,  wenn  auch  z.  b.  der  hornux  niuox  diezen  usw.  im  Iwein  aus 
Chrestien  übernommen  ist. 


23l)  ROSKNlIAdEN 

stiegen,  dass  die  brücke,  die  vom  schiff  herübergelegt  ist,  soweit  unter  wasser  steht, 
dass  man  nur  zu  |)ferdc  hinüber  kann.  Gottfrieds  erzäliiung  ist  soweit  klar,  dass  das 
tatsächliche  darin  kaum  missveistanden  werden  kann.  Die  frage  ist  nur,  ob  er  selbst 
eine  anschauung  davon  gehabt  hat  und  nicht  nur  einfach  übersetzt  hat.  So  hat  er 
es  jedesfalls  mit  dem  werte  pont  gemacht,  das  im  afr.,  wie  im  neufr.  und  auch  das 
lat.  pons,  in  Verbindung  mit  schiffen  zwei  bedentungen  hatte:  'deck'  und  'landungs- 
brücke',  die  vom  schiff  zum  uf er  hinüber  gelegt  wird.  G.  übersetzte  dies  —  in  seiner 
vorläge'  vorauszusetzende  —  wort  mit  brücke  oder  schifbrncke.  V.  8701  bedeutet  es 
'deck',  -Tristan  schickt  seine  leute  hinunter,  damit  sie  nicht  gesehen  werden,  er  selbst 
und  einige  knehte  und  marncere  bleiben  ilf  der  brticke :  sur  le  pont^\  man  kann  hier 
G.s  Wortlaut  nur  verstehen,  wenn  mau  den  seiner  vorläge  reconstraiert;  weiter  heisst 
es  dann  vor  der  schiftür.  Welchem  frz.  werte  das  entspricht,  ist  mir  nicht  klar, 
noch  zweifelhafter,  was  G.  sich  dabei  gedacht  hat.  Ebenso  bin  ich  nicht  ganz  sicher, 
ob  er  an  unserer  stelle  (v.  13372,  75,  86)  das  wort  seht f brücken  und  brücken  wirk- 
lich in  dem  zweiten  sinne,  den  die  sache  hier  verlangt,  gebraucht  hat.  Immerhin  ist 
es  möglich,  wenn  wir  xer  schifbrucken  komen  in  und  füercn  in  so  auffassen,  wie 
wir  sagen  'zur  tür  hinein  kommen'.  Bedier  (Tristan  I,  173)  drückt  es,  als  überein- 
stimmenden bericht  Gottfrieds  und  der  saga  durch  passer  sur  le  pont  aus.  Unver- 
ständlich ist  es,  wie  Golther  in  den  noten  zu  8701  und  13372  brücke  oder  schifbr. 
als  „  ein  zum  beobachten  bestimmtes  gerüst  auf  dem  vorderen  halbdeck "  hat  erklären 
können,  was  sprachlich  und  sachlich  gleich  unmöglich  ist.  Ebenso  vermisse  ich  in 
dessen  noten  einen  deutlichen  hinweis  darauf,  dass  es  sich  hier  um  ebbe  und  üut 
handelt.  Gottfrieds  ausdrucksweise  ist  so  undeutlich,  dass  ein  binnendeutscher  leser 
nicht  gleich  dahinter  kommt.  Zunächst  13275—78:  (sie  wollen  im  zelte  sitzen) 
7inx  dax,.  mer  ickler  heme  und  der  kiel  gemenie  den  flux  und,  die  fliege,  wan  er  lue 
an  dem  griexe.  18275  und  13278  sind  deutlich,  und  der  dichter  hat  wol  eine  klare 
Vorstellung  dabei  gehabt.  Der  ausdruck  ist  zugleich  so  einfach  und  bestimmt,  dass 
er  wörtlich  übersetzt  sein  kann.  ^La  mer  revient'  sagt  mau  noch  heute  in  Frank- 
reich. Die  beiden  mittleren  verse  sind  aber  recht  unbestimmt  ausgedrückt,  der  kiel 
nimt  den  flux  uud  die  fliexe  soll  wol  heisseu  'das  schiff  wird  flott'.  Heisst  es  das 
aber?  Ich  v^rüsste  nicht,  dass  diese  wendung  im  deutschen  sonst  in  diesem  sinne 
gebraucht  wird:  sie  kann  den  sinn  gar  nicht  haben.  G.  scheint  also  einen  frz.  aus- 
druck, der  ihm  keine  klare  Vorstellung  gab,  einfach  übersetzt  zu  haben,  uud  gerade 
darum  fügte  er  noch  das  synonjaii  hinzu,  zum  fhox  die  fliexe,  was  aber  zur  folge 
hat,  dass  der  ausdruck  noch  unfester,  flüssiger  wird.  In  derselben  weise  heisst  es 
nachher  und  hete  sinen  flux  genotnen  v.  13331.  Am  deutlichsten  ist  die  Unklarheit 
bei  der  dritten  widerholung,  wo  der  zu  erschliessende  sinn  ein  andrer  ist:  nu  tvas 
diu  fliexe  tinde  der  flöx  vor  der  schifbrucken  also  gröx,  dass  nur  ein  sehr  hohes 
ross  über  die  brücke  ins  schiff  konnte.  "Wider  hier  das  der  bestimmten  sachbezeich- 
nung  ausweichende  sj-nonymeupaar,  nur  diesmal  flöx  statt  flux:  es  kommt  nicht  so 
drauf  an,  w^enn's  nur  fliesst.  Gemeint  ist  hier,  oder  w'ar  vielmehr  von  Thomas,  dass 
die  flut  so  mächtig  angewachsen  ist.  flux  oder  flöx  oder  fliexe  würde  hier  also  einen 
andern  sinn  haben,  als  vorher,  wenn  es  einen  bestimmten  sinn  hätte.  Gewiss  würde 
sich  aber  einer,  der  die  sache  kennt,  nicht  so  ausgedrückt  haben,  er  würde  unbedingt 
das  verb  fliessen  oder  ein  dazu  gehöriges  subst.  vermeiden.     Umgekehrt  ist  es  dem 

1)  Dieselbe,  im  uhd.  jedesfalls  falsche,  Übersetzung  fand  ich  in  der  zeitung  in 
einer  depesche  über  den  Untergang  des  dampfers  Sirio.  „Der  dampfer  S.  ist  —  in 
den  fluten  verschwunden,  während  sich  auf  der  brücke  noch  viele  reisende  befanden." 


VnV.Ti    HKINRICH    V.   FRRIBERG    KD.  BERNDT  237 

anwobner  des  Rhcinstronies  natürlich,  das  wachsen  des  wassers  mit  der  sichtbaren 
Strömung  des  flusses  zusammen  zu  denken.  Bei  Thomas  müssen  wir  hier  wol  ein 
dem  heutigen  'flot'  entsprechendes  wort  annehmend 

Vielleicht  steht  es  ähnlich  mit  der  einen  bedeutung  von  la  mer  an  der  bekannten 
stelle  (G.  11990 — 12014,  vgl.  H656fg.),  falls  damit  die  Seekrankheit  wirklich  gemeint 
ist,  was  sich  weder  aus  G.s  text  noch  aus  der  nachahmung  in  Chrestiens  Cliges  er- 
weisen lässt.  (Vgl.  G.  Paris,  Journal  des  savants  1902,  304 fg.,  Chrest.  Cliges  545  —  503.) 

Dass  G.  durch  blosses  übersetzen  es  erreicht,  dass  man  ihn  versteht,  ohne 
dass  er  sich  selbst  genau  versteht,  wird  niemand  wundern,  der  viel  mit  Schulausgaben 
frz.  oder  engl.  Schriftsteller  zu  tun  hat.  "Wie  oft  gibt  der  herausgeber,  anstatt  die 
Sache  zu  erklären ,  die  Übersetzung  aus  dem  grossen  Sachs.  Meist  genügt  das  in  der 
praxis,  aber  wenn  das  wort  mehrere  bedeutungen  hat  und  der  commentator  sich  in 
der  nummer  vergreift,  was  vorkommt,  dann  ist  es  schlimm.  So  ungewandt  ist  G. 
freilich  nicht:  er  ver.schleiert,  was  ihm  nicht  recht  klar  ist,  mit  seinen  schönen, 
schwebenden  worten. 

Heinrichs  arbeit  ist  also  von  der  seines  grossen  Vorgängers  im  wesen  ver- 
schieden. Aber  er  hat  dessen  werk  fortgesetzt,  und  wenn  er  damit  auch  einen  er- 
haltenen auftrag  erledigt,  so  bewundert  er  es  doch  und  kennt  es  gut.  Damit  ist  der 
Standpunkt  gegeben,  von  dem  man  versuchen  rauss,  H.s  stil  geschichtlich  zu  ver- 
stehn  und  nach  seinem  verdienst  zu  beurteilen.  Man  darf  nicht  doctrinär  die  anti- 
these  aufstellen:  ein  dichter  von  H.s  art  muss  sich  entweder  ganz  anders  ausdrücken 
als  Gottfr.,  oder  sein  stil  ist  eine  ganz  äusserliche  nachahmung,  die  zu  seiner  eigenen 
denkweise  nicht  passt.  Man  muss  das  gescliichtliche  Verhältnis  berücksichtigen,  in 
dem  er  zu  Gottfried  und  dessen  hervorragenden  Zeitgenossen  steht.  In  dem  stile, 
den  diese  geschaffen  haben,  musste  er  schreiben,  musste  er  denken,  wenn  er  über- 
haupt ein  solches  buch  machte.  Es  handelt  sich  daher  um  die  frage,  wie  er  die 
tradition  der  höfischen  epik  im  allgemeinen  und  Gottfrieds  im  besonderen  verwertet. 
Das  material  dazu  liefert  unser  buch  durch  eine  reiche  Sammlung  von  eigenheiten  des 
Stils  und  beziehungen  zu  früheren  dichtem.  Nur  als  frage  möchte  ich  hinstellen ,  ob 
die  Untersuchung  sich  nicht  etwas  weiter  hätte  ausdehnen  lassen,  vor  allem  auf 
Hartmann.  Allerdings  wäre  auch  dann  die  gefahr,  dass  etwas  als  Verwandtschaft  mit 
einem  einzelnen  dichter  aufgefasst  wird,  was  allgemein  gilt,  und  umgekehrt,  nicht 
vermieden  worden. 

Uns  fehlt  eine  genaue  gesamtdarstellung  des  epischen  stils  der  massgebenden  mhd. 
hauptwerke  nach  ihren  traditionellen  und  eigenen  momenten.  Der  stoff  liegt  verstreut 
in  zahllosen  einzeldarstellungen,  Sammlungen,  anmerkungen;  jeder,  der  sich  orientieren 
will,  muss  von  vorne  anfangen,  oder  auf  grund  allgemeiner  eindrücke  unsicher  urteilen. 
In  diesem  sinne  unsicher  und  vorläufig  ist  das,  was  hier  bemerkt  werden  kann.  Es 
war  bereits  bekannt,  dass  neben  Gottfr.  besonders  Wolfram  auf  H.s  stil  eingewirkt 
hat.    Bei  Berndt  finden  wir  nicht  nur  dafür  ausführlichere  bel^e,  sondern  es  werden 

1;  Sogar  U bland  i.st  es  ähnlich  gegangen  im  Blinden  könig:  Hoeh  auf  des 
meeres  hord,  vgl.  au  bord  de  la  mer.  Es  ist  keine  Übersetzung,  aber  eine  unbo- 
wusste  nachbiidung  des  frz.  ausdrucks.  Im  deutschen  hat  bord  nie  und  nirgends  den 
sinn  afcr  oder  rund,  aber  es  klingt  so  nordisch -seemässig.  Uiiland  liat  den  ausdruck 
erst  1814  nach  soiuem  aufenthalt  in  Paris  bei  der  Umarbeitung  des  gedichtes  hini'in- 
gebracht.  Ursprünglich  hatte  er  ttfcrhöh  oder  I,li/)/jcnliä/t'  im  reim  auf  srr.  —  Merk- 
würdigerweise spricht  aber  G.  Keller  in  der  eingangserzählung  zu  den  Züricher  luivclli'n 
vom  bord  eines  baches.    Wäre  das  ein  südwestlicher  Gallizismus? 


23S  ROSENHAGKN 

ähnlichkeiten  des  aiisdruckes  mit  andei'ii  dichteru,  besonders  seinem  Landsmann  Ulrich 
von  Eschenbach,  und  auch  starke  stilistische  einflüsse  des  volksepos  aufgezeigt.  Mau 
hat  darum  schon  früher  von  einem  'eklektischen'  stil  H.s  gesprochen.  Bechstein 
wollte  das  einschränken  in  dem  sinne,  dass  dieser  stil  'in  der  gesamtersch einung'  der 
Gottfrieds  sei  und  die  entlehnungen  aus  Wolfr.  'einzelheiten',  die  'das  ganze  würzen 
sollen'  (s.  Xlllfg.).  Gewürz  oder  nicht,  jedesfalls  kann  man  diese  behauptung  mit 
ebenso  viel  recht  ixnd  unrecht  umkehren.  Am  besten  geht  man  von  dem  grossen 
mittleren  stück  des  Tristan  aus,  welches  Heinrich  selbständig  compouiert  hat.  Aus 
diesem  heben  sich  etwa  ein  gutes  dutzend  von  stellen  heraus,  meist  von  einem 
grösseren  umfange,  welche  man  ohne  weiteres  als  gottfriedisch  in  gedanken,  ausdruck 
und  rhythmus  erkennt.  Die  stellen  sprechen  für  sich  selbst,  und  ich  zweifle  nicht, 
dass  auf  ihnen  das  herkömmliche  urteil  über  H.s  stil  beruht.  Aber  alles  übrige  ist 
weder  gottfriedisch  noch  wolframisch  noch  sonst  was,  sondern  einfach  epischer  reim- 
paarstil,  der  sich  ohne  kritische  Wertunterscheidung  unbefangen  an  der  gesamten 
traditiou  ausgebildet  hat.  Zu  diesei  gehören  auch  die  volksepen  (vgl.  bes.  s.  63).  Wir 
müssen  wol  besonders  das  Nibelungenlied  nennen,  und  uns  dabei  erinnern,  dass  für 
H.  dies  gar  nicht  eine  besondere  art  von  dichtung  war,  sondern  auch  zur  epischen 
ritterlichen  littei'atur  gehörte.  Tatsachen  der  hs.- Überlieferung  zeigen,  dass  für  die 
spätere  zeit  diese  gedichte  mit  den  'höfischen'  gleich  angesehen  wurden.  Aus  den 
nachweisen  von  Berndt  geht  hervor,  wie  unbefangen  H.  alles  aufnahm,  was  die  tra- 
dition  ihm  bot.  Gegenüber  dieser  einheitlichen  tradition ,  aus  der  er  ohne  zu  wählen 
schöpfte,  stehen  nicht  nur  die  gottfriedischen  stellen,  sondern  auch  andere.  Berndt 
beobachtet,  dass  stilistische  anklänge  an  "Wolfram  und  Wirnt  sich  besonders  da 
zeigen,  wo  sie  sachlich  als  vorbild  dienen.  Ähnlich,  wenn  auch  nicht  ganz  so,  ist 
es  mit .  den  erwähnten  stellen  nach  Gottfrieds  art.  Die  beziehuug  zum  vorbild  ist 
hier  inniger  und  zugleich  freier.  Inhaltlich  handelt  es  sich,  besonders  in  den  längereu 
Perioden,  um  darstellung  des  geistigen  wesens  oder  zustandes  der  personen.  Es  ist 
natürlich,  dass  er  dabei  an  Gottfr.  dachte.  Aber  der  ausdruck  trägt  diu-chaus  nicht 
den  Charakter  des  blossen  nachsprechens,  sondern  die  art,  wie  der  gedanke  angefasst 
und  entwickelt  ist,  und  dementsprechend  die  bildung  der  einheitlichen  perioden  ist  dem 
meister  abgelernt.  Mehr  das  'wie'  als  das  'was'.  Ein  kurzes  beispiel:  der  man 
gexam  dem  rocke  bax  —  v/'l  mere  danne  der  roo  dem  man  (G.  6574  fg.,  vgl.  nu 
was  dax  ros  gemannet  bax  ivenne  gerosset  u-as  der  man  H.  Tr.  1648  fg.).  Das  gilt 
für  seine  beziehungen  zu  andern  dichtem.  Das  zeugt  von  besonders  genauer  kenntnis 
und  guter  beherrschung  des  worts.  Dazu  noch  eine  beobachtung.  Jene  gottfriedischen 
stellen  unterscheiden  sich  von  ihrem  vorbilde  doch  etwas  im  ton :  sie  sind  mehr  logisch 
als  lyrisch -musikalisch;  und  im  umfange:  sie  sind  kürzer.  Dies  masshalten  spricht 
sehr  für  H.s  sprachlich  gebildeten  geschmack.  Um  so  mehr  lob  verdient  er  darin, 
weil  allerdings  an  diesen  stellen,  wo  der  dichter  mit  dessen  fertigem  werk  er  zu  tun 
hatte,  ein  vorbild  ihm  aufdrängte,  das  nicht  ganz  mit  seiner  persönlichen  anläge 
harmonierte.     Die  lag  mehr  nach  AVolfram  hinüber'. 

Gottfrieds  dichtung  hat  einen  grenzwert;  darüber  hinaus  gibt  es  nur  ver- 
gröberung und  verwässerung.  Man  sehe  Ulrich  von  Türheims  schwächliche  leistung, 
die  sich  allerdings  ganz  seinem  geiste  und  stil  nachquält.  H.s  verdienst  ist  es,  seinem 
machtvollen  vorbilde    gegenüber    die    eigene    art   behauptet    zu    haben.     Wir   dürfen 

1)  Um  H.  gegen  Wolfram  zu  unterscheiden,  vgl.  man  die  stelle  von  der 
eclypsie  Trist.  225  —  265  mit  denen,  in  welchen  AYolfram  vom  einfluss  des  Saturuus 
auf  die  krankheit  des  Amfortas  spricht  (Parz.  489,  24;  490,3;  492,  23;  789,  4). 


ÜBER    HRTXU.  V.  FREIBKRO    ED.  RERNDT  239 

sogar  au  ihm  riilitneu,  dass  er  mit  seiner  viel  geringeren  kraft  der  reflectierenden 
weise  Hartmamis  und  Gottfrieds,  dem  immerfort  in  die  gescliichte  hineinredenden 
lumior  AVolframs  gegenüber,  objectiv  eine  reinere  form  der  epik  darstellt.  Seiner 
Selbständigkeit  verdanken  wir  auch  den  reichtum  und  die  eigenart  seines  Wortschatzes, 
welcher  neben  den  realistischen  einzelheiten  sein  werk  uns  wertvoll  macht.  Für  den 
Tristanstoff  ist  er  freilich  von  geringer  bedeutung;  weder  als  quelle  für  die  alte  franz. 
dichtung,  noch  als  gestaltung  des  Stoffes  kommt  seine  fortsetzung  in  betracht.  Das 
ewige  darin  hat  ihn  nicht  ergriffen. 

Seine  anläge  und  sein  können  zeigt  sich  auch  in  der  Kitterfahrt.  Das  sach- 
liche Interesse  ist  ein  rein  sportliches  am  rittertum.  Im  übrigen  ist  es,  trotz  aller 
von  Berndt  hervorgehobenen  formalen  einzelheiten,  ein  stück  arbeit  von  der  grenze, 
wo  der  poet  verschämt  dem  lohnschreiber  die  feder  in  die  band  drückt.^  Aber  wider 
eine  gute  erzählung  ist  das  Schretel.  Was  hätte  Heinrich  geben  können,  wenn  er, 
wie  hier  ins  märcheu,  so  auch  den  griff  ins  leben  gewagt  hätte. 

Es  ist  hier  versucht  worden,  eine  antwort  auf  fragen  zu  finden,  welche  manche 
leser,  die  ich  der  vorliegenden  ausgäbe  auch  wünsche,  stellen  mögen.  Der  ver- 
such wäre  nicht  möglich  gewesen,  wenn  nicht  der  verf.  die  zuverlässigen  grundlagen 
dazu  geschaffen  hätte.  Es  ist  zu  wünschen,  dass  wir  durch  seine  gründliche  kenntnis 
und  seinen  unermüdlichen,  methodischen  fleiss  noch  mehr  aufschlüsse  über  die 
deutschböhmische  litteratur  des  ma.  erhalten.  Alles,  was  wir  darüber  erfahren  können, 
ist  wertvoll. 

Einige  kleinigkeiteu  zum  schluss.  In  der  Ritterf.  lese  ich  auf  dem  palimps. 
(bl.  90")  V.  5  am  ende  paris,  v.  7  se^,  v.  8  vri.  Ferner  steht  v.  256  in  der  hs.  schon 
künde  durch  rasur  aus  künden.,  v.  290  fehlt  /cart,  v.  277  druckte  v.  d.  Hagen  wallten 
(anst.  n-alhen).  So  steht  es  in  der  Berliner  abschrift  des  Pal.  germ.  .341  (Ms.  germ. 
fol.  455,  I),  das  richtige  ist  am  rande  mit  bleistift  bemerkt;  v.  d.  Hagen  hat  also  diese 
abschrift  benutzt,  v.  147  der  Agende  lewe'  ist  mir  sehr  zweifelhaft.  Die  hs.  hat  mit 
ihrem  ijinde  gineiule  'mit  aufgesperrtem  rächen'  gemeint.  Dann  hätte  sie  die  form 
ginde  ihrer  vorläge  missverstanden,  welche  die  nordböhmische  dialektform  gtn  für 
gen  gebraucht  haben  würde;  aber  1.  ist  Heinrichs  dialekt  'nordböhmisch'?  2.  ist 
gm  nordböhm.  schon  für  1300  belegt  oder  zu  erschliessen?  In  den  lesarten  aus  F 
kann  ich  kein  gm  finden.  Trist.  833  —  834  beweist  die  reimfolge  sm  :  schin  :  fiten  :  gen 
leider  nichts,  weil  H.  vier  gleiche  reime  nicht  vollkommen  vermeidet;  vgl.  5217  —  20, 
aber  auch  die  folge  Tristan:  gän :  sten : gm  (5443  —  46).  Aber  es  kommt  gar  nicht 
darauf  an,  ob  H.  in  diesen  formen  i  gesprochen,  sondern  ob  dies  in  einer  hs.  eines 
liöfischen  gedichtes  um  1300  schon  als  i  geschrieben  wurde,  sonst  konnte  der  Pal.  germ. 
es  nicht  miss verstehen.  Ich  bezweifle  das,  der  verf.  war  aber  den  beweis  schuldig.  Die 
Sache  bleibt  nicht  anders,  wenn  dies  ginde  die  form  einer  zwischen  H.  und  dem 
Palatinus  stehenden  h.s.  sein  soll.  Aber  was  soll  ein  'gehender  löwe'  heissen?  Wer, 
wie  es  den  meisten  lesern  gehen  wird,  die  abbildung  des  Michelsbergor  wappeus,  auf 
welche  sich  B.  beruft,  nicht  zu  .sehen  bekommt,  denkt  sich  einen  löwcn  darunter, 
der  auf  vier  beinen,  anstatt  wie  sonst  bei  diesen  tieren  in  statii  heraldico  üblich  ist, 
auf  zweien  aufi'echt  steht.  Wird  man  das  aber  einen  'gehenden'  löwen  nennenV 
Nach  heutigem  Sprachgebrauch  höchstens  einen  schreitenden,  vorausgesetzt,  dass 
einem  an  solchem  bilde  die  Stellung  der  bewegungsorgane  besondeis  auffällt,  die  nach 

1)  Die  rüstung  des  ritters  zum  kämpfe  ist  eine  sachliche  und  formale  nach- 
ahmung  Gottfrieds;  das  heisst  aber  nicht  den  'Stempel  Gottfriedschen  gei.stes'  tragen 
(vgl.  s.  73  f.).     Geist  ist  überhaupt  nicht  viel  darin. 


'-'40  TIT.   A.   MKYErj 

mittelalterliclier  art  kaum  anders  als  voneinander  gespreizt  dargestellt  werden  können. 
Das  verb  gän  heisst  auch  im  mhd.  immer  'sich  von  einem  punkte  zum  andern  be- 
wegen'. Man  könnte  an  den  gcnden  man  im  Iwein  (v.  5377)  denken,  den  truchsess, 
der  beim  kämpf  von  dem  löwen  angegriffen  wird.  Von  dem  ist  aber  gerade  gesagt, 
wohin  er  geht  (Iw.  5374).  Der  ginende  l.  dürfte  als  natürlicher  und  charakteristischer 
beizubehalten  sein ,  auch  wenn  er  auf  der  abbildung  das  maul  geschlossen  hat. 

HAMBURG.  G.  ROSENHAGEN. 


Wilhelm  Dilthey,  Das  erlebnis  und  die  d  ich  tun  g.  Lessing,  Goethe,  Novalis, 
Hölderhn.  Vier  aufsätze.  Leipzig,  B.  G.  Teubuer  1906.  IV,  405  s.  4,80  m 
geb.  5,60  m. 

Auf  das  drängen  \ind  unter  mitwirkung  einiger  junger  freunde  liat  Dilthey 
drei  alte,  längst  in  ihrer  bedeutung  gewürdigte  arbeiten  über  Lessing,  Goethe  und 
Novalis  zusammen  mit  einer  neuen  über  Hölderlin  veröffentlicht  unter  dem  titel:  Das 
erlebnis  und  die  dichtung.  So  ist  eine  gäbe  entstanden,  so  vollwertig  und  schön, 
wie  sie  nur  selten  den  freunden  ästhetischer  und  litterarischer  forschung  geboten 
wird.  An  beide  wendet  sich  das  buch.  Es  stellt  die  ästhetischen  principien  litterar- 
historischer  Untersuchung  fest  und  betätigt  sie  in  einer  tief  eindringenden  analyse 
hervorragender  dichtergestalten.  Den  kern  des  buches  bildet  die  abhandlung  über 
Goethe  und  die  dichterische  phantasie,  in  der  der  verschlungene  process  aufgedeckt 
wird,  in  welchem  sich  die  phantasie  des  dichters  mit  den  einwirkungen  der  umweit 
auseinandersetzt.  Mit  sicherem  bhck  findet  Dilthey  das  wesen  aller  kunst  heraus: 
sie  ist  darstellung  von  leben.  Jedes  echte  werk  der  dichtung  hebt  aus  dem  ausschnitt 
der  wirkHchkeit,  den  es  darstellt,  einen  zug  des  lebens  heraus,  der  so  vorher  nicht 
dagewesen  ist.  Der  ausgangspunkt  des  poetischen  Schaffens  ist  daher  immer  das 
erlebnis,  das  erfahrungsmässige  innewerden  eines  neuen  am  leben  und  des  weiteren 
die  besinuung  über  dieses  erlebnis,  in  der  es  gedeutet  und  gewürdigt  wird  mit  hilfe 
der  die  zeit  beherrschenden  ideen.  Je  nach  der  beschaffenheit  der  phantasiever- 
anlagung  des  dichtei-s  ist  aber  dieses  erleben  bald  mehr  nach  aussen  bald  mehr  nach 
innen  gerichtet.  Die  eine  gruppe  von  dichtem  lebt  in  den  personen  und  tatsachen 
der  äusseren  weit;  fremdes  leben  in  sich  zu  setzen,  es  innerlich  zu  verstehen,  zu 
geniessen  und  zu  gestalten  ist  ihr  ziel.  Die  andere  gruppe  bleibt  in  sich  selbst,  und 
was  die  weit  sie  lehrt,  möchte  sie  schliesslich  benutzen,  sich  selbst  zu  erhöhen  und 
zu  vertiefen  und  nur,  um  ihrer  vertieften  Innerlichkeit  ausdi'uck  zu  geben,  greifen  die 
dichter  dieser  gruppe  zu  den  tatsachen,  die  ihnen  die  äussere  weit  bietet.  Als  die 
beiden  grossen  repräsentanten  dieser  beiden  entgegengesetzten  typen  erscheinen 
Shakespeare  und  Goethe,  die  in  einer  bewundernswert  feinen  Charakteristik  einander 
gegenübergestellt  werden  in  der  Verschiedenheit  ihres  erlebens  und  gestaltens.  Der 
dichter  der  vertieften  innerlichkeit  hat  nun  aber  ein  viel  engeres  Verhältnis  zur 
ideenbewegung  der  zeit,  als  der  dichter  der  äusseren  weit.  Die  zeitideen  sind  ihm 
ein  mittel,  das  eigene  erlebnis  zur  zusammenhängenden  weltanschaming  zu  erheben. 
Sie  werden  von  ihm  nicht  angeeignet  oder  umgebildet  in  der  weise  eines  rein  logischen 
gedankenprozesses.  Vielmehr  ist  das  denken  bei  ihm  ganz  durchs  erleben  bestimmt. 
'Der  Idealismus  der  freiheit,  wie  ihn  Schiller  von  Kant  aufnahm,  klärte  ihm  doch 
nur  das  grosse  innere  erlebnis  auf,  in  welchem  seine  hohe  natur  im  conflict  mit  der 
weit  ihrer  würde  und  Souveränität  gewiss  wurde.'  Nur  sofern  des  dichters  Welt- 
anschauung   im    erlebnis    wurzelt,    hat    sie    poetischen    Charakter    und    ist    befähigt 


ÜBER    DILTHEY,    ERLEBNIS    UND    DICIITirN'G  241 

iugredieaz  in  seinem  Weltbild  zu  sein.  "Wie  in  diesen  Sätzen  Diltheys  die  grenze 
unverrückbar  bestimmt  ist,  wie  weit  philosophische  bestaudteile  in  der  poesie  poetisch 
zu  wirken  vermögen ,  so  ist  in  ihnen  überhaupt  die  feste  norm  für  jedi'  höhere 
litterarisclie  forschung  gegeben.  Diltheys  auffassung  von  den  aufgaben  litterarischt-r 
forschung  steht  in  einem  von  ihm  selbst  nicht  ausgesprochenen  gegensatz  zu  zwei 
einüussreichen  richtungen  der  litteraturgeschichtschreibung;  die  eine,  diejenige  von 
Scherer  und  seiner  schule,  schiebt  die  erklärung  der  dichterischen  persönlichkeit  und 
ihrer  producte  aus  der  ideenatmosphäre  der  zeit  beiseite;  sie  geht  fast  ganz  darin 
auf,  die  einzelnen  dichtungen  aus  bestimmten  geschehnissen  im  leben  des  dichtei\s 
abzuleiten  und  seine  abhängigkeit  in  motiven  und  sprachlichen  Wendungen  von  den 
Vorgängern  festzustellen.  Sie  bleibt  dafür  auch  an  der  oberüäche  und  ist  für  die 
deutsche  litteratur  besonders  ungenügend,  die,  wie  Dilthey  so  überzeugend  ausführt, 
aus  dem  schöpferischen  drang  entstanden  ist,  ein  neues  lebensideal  zu  gestalten,  und 
mithin  unverstanden  bleibt,  wenn  die  ideenbewegung  nicht  mitentwickelt  wird,  die  dieses 
schaffen  begleitet  hat.  Die  andere  wendet  wol  dieser  ideenbewegung  ihre  aufmerksamkeit 
zu ;  aber  sie  ist  direct  oder  indirect  von  dem  Hegeischen  gedanken  der  selbsthewegaing  der 
idee  beeinflusst.  Sie  lässt  die  ideen  mit  einer  in  ihnen  selbst  gelegenen  dialectik  sich 
entwickeln,  die  starke  bedingtheit  der  Weltanschauung  des  dichters  durch  das  individuelle 
erlebnis  bleibt  unberücksichtigt,  und  wo  sie  zu  augenscheinlich  ist,  als  dass  sie  über- 
sehen werden  könnte,  wird  sie  als  zuchtlosigkeit  subjectiver  Willkür  gebrandmarkt: 
so  etwa  hat  Haym  die  geschichte  der  romantischen  schule  geschrieben.  Man  sagt 
nicht  zu  viel,  wenn  man  versichert,  dass  der  neue  weg,  den  Dilthey  in  den  60er 
und  70er  jähren  mit  seinem  Novalis,  Lessing  und  Goethe  eingeschlagen  hat,  auf 
empfängliche  gemüter  wie  eine  Offenbarung  gewirkt  hat,  zumal  er  im  einklang  mit 
der  allgemeinen  richtung  der  zeit  war;  ungefähr  um  dieselbe  zeit  haben  in  der 
theologie  A.  Kitschi  und  A.  Harnack  begonnen,  die  religiöse  gedankenbildung  als 
ausdruck  des  individuellen  religiösen  erlebnisses  zu  verstehen,  statt  sie  mit  Baur 
fast  überpersönlich  aus  der  dialectik  des  religiösen  gedankens  abzuleiten. 

Dilthey  hat  die  probe  auf  den  weii  seiner  methode  in  der  analyse  der  vier 
dichtergestalten  gemacht,  die  der  titel  nennt.  Da  diese  dichter  in  korzen  zeitlichen 
abständen  aufeinander  gefolgt  sind,  so  bekommen  wir  in  ihren  einzelbildern ,  die  mit 
einer  eindringenden  psychologie  und  mit  einer  staunenswerten  kenntnis  aller  ideengänge 
der  zeitgenössischen  philosophie  entworfen  sind,  zugleich  einen  grosszügigen  überblick 
über  die  treibenden  kräfte  der  entwicklung  unserer  litteratur  in  der  classischen  und 
romantischen  periode. 

Im  ersten  aufsatz  wird  uns  Lessing  als  persönlichkeit  vorgeführt,  die  in  eine 
engbrüstige  gedrückte  zeit  ein  männlicheres  kraftvolleres  Selbstgefühl  mitbrachte,  und 
dann  des  weiteren  gezeigt,  wie  dieses  Selbstgefühl  sich  kritisch  richtete  gegen  die 
mattigkeit  der  damaligen  poesie,  wie  es  seine  poetische  entfaltung  fand  in  den  eigenen 
dichtungen,  von  denen  die  Minna  und  Emilia  (leider  nicht  auch  der  Nathan)  in  zwei 
neueingefügten  abschnitten  eine  äusserst  feinsinnige  Würdigung  erfahren,  wie  es  sich 
die  volle  bewegungsfreiheit  erstritt  in  den  kämpfen  gegen  die  einengende  theologische 
bildung  der  zeit  und  endlich  sich  ausgestaltete  zu  einer  eigenartigen  dui'ch  Leibniz 
und  Spinoza  bedingten  Weltanschauung.  Die  abhandlung,  die  nach  Dauzel-Guhrauei-s 
biographie  und  Hoblers  scharfsinnigen  Lossingstudien  zuerst  ein  gesamtbild  Lessings 
entrollte,  ist  von  grundlegender  bedeutung  für  dit-  orkenntnis  Lessings  geworden  und 
hat  auch  durch  E.  Schmidts  umfassende  arbeit  nicht  an  wert  verloren.  Violleicht 
hätte  Lessings  bild   noch  schärfere  ujurisse  gewonnen,   wenn  neben  dun  fortschritteu, 

ZEITSCHRIiT    K.    DKUTSCHl;;    PHILOLOÜIE.       BD.   .XL.  lÜ 


242  TH.  A.  MEYER   ÜBER    ÜILTHEY ,    ERLEBNIS    UND    DICMtUNß 

die  er  gebracht,  auch  die  schwächen,  die  den  späteren  anlass  zum  hinausschreiten 
über  ihn  geboten  haben,  deutlicher  herausgestellt  worden  wären.  Auch  kommt 
ra.  e.  bei  Dilthey  der  erfolgreiche  kämpf  Leasings  gegen  die  cultur  Ludwigs  XIV. 
nicht  zu  seinem  recht,  gegen  die  er  die  Griechen  und  Shakespeare  aufgerufen  hat, 
wodurch  er  ebenso  wider  seinen  willen  die  stürm-  und  drangperiode  mitveraulasst 
hat,  wie  er  dadurch  einer  der  begründer  der  griechischen  renaissance  unserer  classiker 
geworden  ist. 

•  Die  abhandlung  über  Novalis  erschien  erstmals  in  einer  zeit ,  da  die  romantiker 
als  unklare  und  verworrene  köpfe  erschienen.  Dilthey  hat  das  verdienst,  mit  dieser 
auffassuug  gebrochen  zu  haben.  Er  hat  bei  Novalis  als  einem  der  führenden  geister 
zuerst  die  folgerichtigkeit  und  bedeutung  seiner  dichterischen  und  philosophischen 
conceptionen  nachgewiesen.  Wenn  auch  Haym  in  seiner  geschichte  der  romantischen 
schule  wider  zur  alten  anschauung  zurückgegangen  ist,  so  wird  heutzutage,  da  wir 
die  romantische  schule  nicht  mehr  mit  der  trüben  brille  des  doctrinären  liberalismus 
betrachten,  niemand  zweifelhaft  sein,  auf  welcher  seite  die  grössere  Unbefangenheit 
und  der  sicherere  blick  für  die  lebensarbeit  von  Novalis  zu  finden  ist. 

Die  kröne  von  Diltheys  aufsätzen  ist  der  neu  hinzugekommene  über  Hölderlin ; 
er  zeigt  ihn  auf  der  höhe  seines  litterarischen  Verständnisses,  wie  seiner  schrift- 
stellerischen meisterschaft.  Ein  warmer  ton  herzlicher  teilnähme  begleitet  den  ent- 
wicklungsgang  des  unglücklichen  dichters  von  seineu  anfangen  bis  zu  seinem  leidvoilen 
versinken  in  der  nacht  des  Wahnsinns.  Allenthalben  fäUt  auf  den  Zusammenhang, 
in  dem  bei  ihm  erleben,  aufnähme  der  zeitideen  und  dichterische  ausspräche  der 
persönlichkeit  steht,  neues  licht  und  wahre  muster  eines  feinfühligen  nachempfindens 
sind  die  Würdigungen  des  Hyperion,  des  Empedokles  und  der  lyrischen  gedichte. 
Von  den  geistigen  mächten  der  zeit,  die  auf  Hölderlin  bestimmend  gewirkt,  wird  der 
französischen  revolution  ein  besonders  starker  einfluss  zugemessen.  Und  in  der  tat 
galt  Hölderlins  liebe  dem  heroismus  der  tat;  aber  eine  stille  beschauhche  natur  ist 
er  trotz  alles  schwärmens  für  weltumgestaltendes  handeln  bei  jenem  edlen  enthusiasmus 
stehen  geblieben,  der  der  göttlichkeit  der  eigenen  natur  froh  zu  werden  sucht  im 
anschauen  der  strahlenden  lebensfülle  der  natur  und  der  erhabeuheit  edler  gesinuungeu ; 
er  ist  bei  allen  Veränderungen,  die  er  in  den  gegenständen  der  enthusiastischen  be- 
wunderung  vorgenommen  hat,  doch  nie  über  die  schöne  seele  Klopstocks  hinaus- 
gekommen und  diesen  beherrschenden  einfluss  Klopstocks  auf  ihn,  der  ihn  von  allen 
seinen  Zeitgenossen  so  sehr  unterscheidet  und  ihn  wie  den  nachzügler  einer  älteren 
generation  erscheinen  lässt,  finde  ich  bei  Dilthey  nicht  genügend  gewürdigt.  Glän- 
zend sind  die  vorwärtsweisenden  selten  seines  wesens  herausgestellt,  seine  Sehn- 
sucht in  unendliche  fernen  und  glückzustände  und  die  erfahi'ung  von  der  hoffnungs- 
losigkeit  seiner  ideale,  sowie  seine  versuche  in  der  form  weiterzugehen  zu  neuen 
möglichkeiten ,  die  ihn  zum  genossen  der  grossen  pessimisten  jener  tage  und 
weiterhin  zum  vorläuf'^r  Nietzsches  und  der  modernen  impressionistischen  dichter 
gemacht  haben. 

Mit  aufrichtiger  dankbarkeit  scheiden  wir  von  Diltheys  werk,  nur  das  eine  be- 
dauernd, dass  er  uns  statt  bruchstücken  nicht  ein  ganzes  beschert  hat.  Sein  werk 
erweckt  die  Sehnsucht,  dass  der  kommen  möge,  der  die  geschichte  unserer  grossen  litte- 
rarischen entwicklung  mit  derselben  kenntnis  der  geistigen  Strömungen,  mit  derselben 
feinfühligkeit  psychologischen  verstehens,  mit  derselben  Sicherheit  ästhetischen  Ver- 
ständnisses zu  schreiben  vermöchte.    Der  weg,  den  er  zu  gehen  hat,  ist  ihm  gezeigt. 

STUTTÖART.  THEODOR  A.  MEYER. 


KLINGHABDT    UBKR    .lOHAXNSOX ,    PHOKETICS    OF    THE    GERMAN    LANGUAGE  243 

Arwid  .lolianiison,  Phonetics  of  the  New  High  Gerinau  language.  Manchester, 
raliner,  Howe  &  Co.;  Leipzig,  Otto  HaiTasowitz  1906.     X,  91  ss.     3,50  m. 

Verf.  des  vorliegenden  buches  ist,  wenn  ich  recht  unterrichtet  bin,  trotz  seines 
schwedischen  namens  ein  baltisclier  Deutscher,  hat  längere  zeit  in  Deutschland  studiert, 
besonders  unter  E.  Sievers,  war  dann  sechs  jähre  lang  lector  des  deutschen  in  Upsala, 
wo  er  bereits  mehrfach  Vorlesungen  über  phonetik  hielt,  und  ist  jetzt  professor  für 
deutsche  spräche  und  litteratur  an  der  Victoria -Universität  in  Manchester. 

Unter  solchen  umständen  bedarf  es  kaum  der  erklärung,  dass  sein  buch  einen 
echt  wissenschaftlichen  charakter  trägt  und  enge  Vertrautheit  mit  der  massgebenden 
fachlitteratur  bekundet,  wenn  auch  das  fehlen  von  Passys  namen  im  litteratur- 
verzeichnis  starkes  kopfschütteln  hervorrufen  muss.  Dazu  ist  es  sehr  übersichtlich 
angelegt  und  reich,  vielleicht  bis  zur  Vollständigkeit,  mit  Wortlisten  ausgestattet,  wo 
solche  dui'ch  schwankende  buchstabenwerte  notwendig  werden.  Sie  werden  lesern 
mit  praktischen  bedürfuissen  ganz  besonders  wertvoll  sein. 

Wenn  ich  hiermit  aber  verschiedene  lesergruppen  unterscheide,  so  berühre  ich 
zugleich  einen  tiefgreifenden  mangel  dieses  buches.  Verf.  hat  sich  nämlich  bei  seiner 
darstellung  keinen  einheitlichen  leserkreis  vor  äugen  gehalten  und  sich  kein  einheit- 
liches ziel  gesetzt.  Einerseits  denkt  er  an  Studenten,  die  sich  mit  phonetik  als 
solcher  —  sei  es  als  Selbstzweck ,  sei  es  als  grundlage  für  Sprachstudien  verschiedener 
art  —  vertraut  machen  wollen.  Dann  ist  es  aber  doch  zweckwidrig,  ihnen  das  Ver- 
ständnis für  laute  und  articulatiouen  im  allgemeinen  an  der  band  einer  fremden  spräche 
erschhessen  zu  wollen,  in  der  ihnen  diese  so  gut  wie  jene  noch  sehr  mangelhaft  ge- 
läufig sind.  Auf  der  andern  seite  denkt  er  an  solche  Studenten,  deren  hauptabsicht 
ist,  sich  selbst  eine  correcte  ausspräche  des  deutschen  anzueignen,  damit  sie  künftigen 
Schülern  ein  gutes  Vorbild  sein  und  deren  ausspräche  wirksam  beeinflussen  können. 
In  diesem  falle  ist  es  wider  sehr  unzweckmässig  vom  verf.,  die  aufmerksamkeit  der 
jungen  leute  zu  zerstreuen  und  ihre  lernlust  unfehlbar  zu  ermüden,  indem  er  sie  in 
gleichniässiger  einförmigkeit  an  der  langen  kette  deutscher  laute  von  einem  zum 
andern  führt,  gleichviel  ob  sie  mit  den  entsprechenden  englischen  lauten  völlig  bezw. 
nahezu  identisch  sind,  oder  ob  sie  stark  abweichen.  Der  einzige  erfolgversprechende 
weg  war  doch,  laute  und  articulatiouen,  die  dem  englischen  und  dem  deutschen  ge- 
meinschaftlich sind,  eben  nur  ausreichend  zu  berühren,  damit  dem  lernenden  das 
allgemeine  phonetische  system  gegenwärtig  bleibt  oder  wird,  dagegen  mit  um  so 
grösserer  bi-eite  und  gründlichkeit  solche  deutsche  laute  und  articulationeu  zu  be* 
handeln,  die  der  Engländer  erst  zu  erfernen  hat,  zumal  solche,  die  er  mit  dem  ohr 
und  den  Sprechorganen  erfahrungsgemäss  schwer  erfasst,  also  z.  b.  deutsche  l  und  r 
aucli  deutsche  lange,  undiphthougierte  vocale  (dem  Südenglünder  sehr  schwierig).  Aus 
dem  vorliegenden  buche  aber  erfährt  man  schlechterdings  nicht,  welches  die  be- 
sonderen Schwierigkeiten  sind,  mit  denen  der  Engländer  bei  der  erlernung  der  deut- 
schen 'ausspräche'  (laute  und  articulationeu)  zu  ringen  hat.  Das  ist  bezeichnend  für 
den  Charakter  dieses  lehrbuches. 

Wenn  nun  professor  J.  übeihaupt  geneigt  ist,  den  bemerkungen  eines  Schul- 
mannes, der  sein  leben  lang  diesen  dingen  interesse  und  Studien  gewidmet  hat,  be- 
aciitung  zu  schenken,  dann  gestatte  ich  mir,  ihm  behufs  hebung  des  eben  gekenn- 
zeichneten mangels  seines  buches  folgenden  vorschlug  zu  machen.  Nach  erschöpfuug 
der  ersten  aufläge  zerlegt  er  sein  buch  in  zwei  teile:  1.  'Elemente  der  allgcmoineu 
phonetik',  dargestellt  an  den  lauten  und  articulationen  des  gemoinenglischen  und 
einiger  bekannter  dialekte   desselben   (u.  a.   solcher,    die  sieh   unter  den   höreru   von 


244  KLINGHAEDT 

prof.  J.  vertreten  zu  finden  pflegen).  2.  -Die  Schwierigkeiten  der  deutscheu  aussi)rache', 
dargestellt  unter  steter  anlehnung  an  die  'Eiern,  der  allgem.  phon.'. 

Und  nun  noch  ein  zweiter  methodischer  punkt.  Verf.  sagt  in  seinem  Vorwort 
(s.  ]Il):  -„my  objeet  is  only  to  give  the  basis  for  phonetieal  instruetion;  the  inter- 
pretation  is  left  altogether  to  the  teacher,  as  Phonetics  is  not  a  science  whicli  can 
or  should  be  learned  in  an  aiitodidactical  way.""  Verf.  kann  hier  mit  dem  aus- 
drucke teacher  nur  seine  coUegen  an  den  verschiedenen  englischen  Universitäten 
meinen.  Wie  denkt  er  sich  aber  deren  instruetion,  wenn  sein  buch  als  basis  dazu 
dienen  soll?  Werden  dieselben  den  in  letzterem  enthaltenen  Wissensstoff  noch  er- 
weitern? Das  kann  m.  e.  nicht  in  betracht  kommen.  Dann  bleibt  nur  übrig,  dass 
nach  der  absieht  von  prof.  J.  die  instruetion  des  teacher's,  in  der  praktischen  ein- 
übung  des  von  seinem  lehrbuche  dargebotenen  Wissensstoffes  durch  den  Universitäts- 
professor bestehen  soll.  Sehr  richtig!  denn  wie  in  der  schule  alles  wissen  über  die 
fremdsprache  keinen  wert  hat,  wenn  es  nicht  begleitet  ist  von  tüchtiger  fertigkeit  im 
gebrauch  derselben,  so  nützt  auch  auf  phonetischem  gebiete  das  schönste  theoretische 
wissen  über  laute  und  articulationen  schlechterdings  nichts,  falls  es  nicht  getragen 
wird  von  einer  entsprechenden  fertigkeit  im  hören,  sprechen  und  analysieren  der  zu 
den  lauten  gehörigen  articulationen  ^  Darf  aber  verf.  den  meisten  seiner  collegen  au 
den  englischen  Universitäten  zutrauen  oder  zumuten ,  dass  sie  sich  selbst  systematische 
übuugen  au  der  band  seines  lehrbuches  zusammenstellen  sollen  für  ihre  Studenten? 
Ich  möchte  es  bezweifeln.  Vielmehr,  wenn  es  ihm  wirklich  ernst  damit  ist,  dass  sein 
lehrbuch  nur  als  basis  for  phonetieal  instruetion  dienen  soll,  dann  wird  er  gut  tun, 
die  für  letztere  erforderlichen  systematischen  Übungen  zu  jedem  der  zwei  oben  von 
mir  vorgeschlagenen  getrennten  hilfsbücher  selbst  auszuarbeiten. 

Ein  ebenso  auffallender  wie  schwerwiegender  mangel  aber  des  vorliegenden 
haudbuchs  ist  der,  dass  verf.  wol  sorgsam  alle  articulationen  aufzählt,  deren  zunge, 
lippe  und  die  andern  Sprechorgane  fähig  sind,  ebenso  sämtliche  laute,  und  zu  jedem 
laute  angibt,  welche  eiustellung  der  verschiedenen  Sprechorgane  im  augenblick  seines 
anschlags  zu  beobachten  ist,  dagegen  es  consequent  unterlässt,  dem  lernenden  be- 
greiflich zu  machen,  warum  gerade  bei  dieser  eiustellung  der  Sprechorgane  jener 
laut  entsteht  und  warum  der  kundige  bei  jenem  laute  auf  ungefähr  diese  articulation 
schliessen  würde.  Ein  Student,  dem  keine  anderen  quellen  der  belehnmg  zur  Ver- 
fügung stehn,  wird  vorliegendes  handbuch  aus  den  bänden  legen  mit  einem  kopf- 
schütteln über  die  bizarre  regellosigkeit  der  Verbindung  zwischen  lauten  und  articu- 
lationen. §  15  lehrt  verf.,  dass  die  lippen  dreier  verschiedenen  einstelluugen  fähig  sind: 
schlitzförmige,  ovalgerundete,  passive,  gibt  aber  eben  weiter  nichts  als  das  tatsächliche. 
Hier  war  doch  vom  notwendigen  einfluss  dieser  lippeneiustellungen  auf  die  laute  zu 
sprechen:  in  jedem  hohlraume  wird  durch  eine  enge  runde  Öffnung  ein  geräusch 
musikalisch  vertieft,  ein  ton  verdunkelt,  durch  eine  enge  spaltförmigo  jenes  erhöht, 
dieser  heller  gestaltet;  eine  weite  Öffnung  hat  eine  mittlere  Wirkung.  Diesen  selben 
dreifachen  einfluss  müssen  natürlich  auch  die  angegebenen  drei  lippeneiustellungen 
auf  geräusche  und  töne  ausüben,  die  im  dahinter  liegenden  muud  -  hohlraume  aufireten 
(geflüsterte  und  stimmhafte  vocale).  Davon  sagt  verf.  aber  seinem  leser  kein  wort. 
In  den  §§  61  und  62  weist  er  darauf  hin,  dass  die  zunge  nach  hinten  und  hoch 
gezogen  sowie  nach  vorn   und  hoch  geschoben  werden  kann.    Wie  war  es  aber  nui' 

1)  Verf.  teilt  selbst  in  seiner  vorrede  (s.  II)  mit,  dass  an  seiner  Universität 
bei  der  prüfung  in  den  neueren  sprachen  oral  examination  verlangt  wird  nicht  nur 
iti  the  theory,  sondern  auch  in  the  practice  of  pronunciation. 


ÜBER   JOHAXXSON,    THONETICS    OF   THE    GERMAX    LAKGTTAGE  245 

möglich ,  den  Studenten  hier  nicht  darauf  aufmerksam  zu  machen ,  dass  jene  bewegung 
vergrösserung,  diese  Verkleinerung  des  mund-resonanzraums  zum  zwecke  hat  und 
dass  vergrössemng  desselben  zur  Vertiefung  geflüsterter,  Verdunkelung  stimmhafter 
vocalc  führen  muss.  Verkleinerung  aber  zur  erhöhuug  bezw.  erhellung?  und  dass  die 
Verschiedenheit  der  vocale  vorwiegend  auf  der  verschiedenen  grosse  des  zugehörigen 
mund-hohlraums  beruht?  —  In  §  21  und  22  erfährt  der  lernende,  dass  der  laut  x 
(ae/i-laut)  an  die  hinteren,  der  laut  q  (/cA-laut)  an  die  vorderen  vocale  gebunden  ist. 
Nun,  hier  war  doch  wahrlich  ebenfalls  eine  erklärung  des  warum'  geboten!  Ich 
brauche  nicht  erst  darauf  hinzuweisen,  dass  die  rückwärtige  läge  der  articulation  der 
hinteren  vocale  auch  die  rückwärtige  articulation  von  x  bedingt,  diese  letztere  aber 
anregung  der  resonanz  des  über  dem  straif  gespannten  velum  liegenden  hohlraums 
und  deren  einwirkimg  auf  die  mundresonanz  bewirkt,  während  die  nachbarschaft  vor- 
derer vocale  die  vordere  aiiiculation  von  q  veranlasst  und  bei  solcher  die  mitbetei- 
ligung  jenes  oberen  hohlraums  an  der  mundresonanz  ausgeschlossen  ist.  So  fehlt  es 
fast  überall  an  einer  erklärung  des  zwingenden  Zusammenhangs  zwischen  laut  und 
articulation. 

Nach  der  mehr  technischen  seite  der  lautdarstellung  hin  kann  ioh  nicht  vor- 
stehn,  warum  verf.  seine  lautzeichen  in  solchem  umfange  mit  diakritischen  zeichen 
geradezu  überschwemmt  hat:  ein  jedes  vocalzeichen  hat  deren  mindestens  zwei,  nicht 
wenige  drei,  und  eines  sogar  vier!  Als  beispiel  wähle  ich  nur  ein  bequem  zu  drucken- 
des wort  wie  /Äü-o-/3'-r-<?'r  (s.  .34),  und  kapitän  würde  er  khcrphifhe'^n  schreiben. 
Verf.  findet  es  nämlich  nötig,  jedes  deutsche  p  t  k  mit  nachfolgendem  li  zu  versehen, 
um  den  leser  immer  von  neuem  wider  zu  erinnern,  dass  unsere  tenues  aspiriert  sind: 
ausserdem  setzt  er  aber  unter  jedes  einzelne  p  t  ks  f  und  sogar  unter  jedes  h  einen 
punkt,  um  aufmerksam  zu  machen,  dass  diese  laute  stimmlos  sind.  Es  ist  wol  nicht 
ein  wort  zu  verlieren  über  das  unnötige  und  erschwerende  eines  solchen  Verfahrens. 

Die  Verwendung  der  Ziffern  '^  und  -  als  diakritische  zeichen  folgt  keinem  ein- 
heitlichen princip.  Es  ist  schon  störend,  dass  verf.  zwar  alle  consonanten  und  vocale 
immer  in  der  reihenfolge  von  hinten  nach  vorn  bespricht,  seine  zeichen  aber  für  den 
Velaren  und  den  palataleu  reibelaut  in  der  richtung  von  vorn  nach  hinten  beziffert 
(das  zeichen  für  den  «r7«-laut  erhält  also  die  ziffer '■).  Ebenso  zählt  })^  und  j)"^  von 
aussen  nach  innen.  Aber  noch  mehr  Unordnung  kommt  in  den  gebrauch  der  beiden 
Ziffern  dadurch ,  dass  dieselben  bei  den  vocalen  nicht  die  reihenfolge  der  articulations- 
stellen  angeben,  sondern  '  zeichen  für  enge,  und  -  zeichen  für  weite  ausspräche  ist. 
Die  folge  ist,  dass  der  mit  *  bezeichnete  vocal  im  diagramm  bald  vor  bald  hinter  den 
mit  -  bezeichneten  zu  stehen  kommt. 

Ähnliche  Unordnung  finden  wir  in  der  darstellung  der  gerollten  ?•  (s.  26  —  27). 
Da  heisst  es  zunächst  sehr  richtig:  In  forming  the  oral  trills  the  hrcath  causes  in 
trill  sonie  casily  flexible  part  of  the  mouth,  such  as  e.  g.  the  tip  of  the  longue  or 

the  Uvula Aecordingly  an  occlusion  takes  place,   and  as  on  account  of  its 

elasticity  the  trilling  tip  of  the  longue  or  the  trilling  uvula  reboundfi  into  its 
original  position,  the  occhisiofi  is  opcned  immediatehj  afterwards.  The  pecjiUar, 
rolling  character  of  the  trills  is  due  to  the  fact  that  the  breath  is  periodically 
interruptcd,  and  occlusion  and  opening  alternate  icith  each  othcr  several  times. 
Nichts  kann  richtiger  sein  als  dies.  Dazwischen  aber  lesen  wir  an  der  oben  mit 
punkten  bezeichneten  stelle:  this  trilling  nrgan  touchcs  another  pari,  opposite  to 
it,  in  mueti.  the  sanie  manncr  as  the  moving  drum  stick  produces  a  movoncnt  of 
the  drum-skin.     The  longue  touchcs  the  alreoli  aml  makcs  thei»   trill;   the   Kviila 


24B  SOKOLOWSKY 

acts  lipon  the  foramen  caecum.  Verf.  nimmt  also  an,  dass  bei  der  bildung  ge- 
rollter r  die  alveolen  und  das  das  foramen  caecum  umgebende  zungenfleisch  ganz 
lustig  mitrollen!  Ja,  wenn  nicht  alles  trügt,  nimmt  er  sogar  an,  dass  dieses  rollen 
der  alveolen  und  des  bezeichneten  teils  der  zungenoberfläche  für  die  gerollten  r  ganz 
ähnlich  tonquelle  sind,  wie  unter  dem  druck  des  trommelstocks  die  Vibrationen  der 
trommelmembran  für  den  trommelton  I 

Seltsamerweise  habe  ich,  so  sehr  ich  danach  gesucht  habe,  nirgends  eine  er- 
wähnung  des  deutschen  ungerollten  r  gefunden.  Gerade  aber  ungerolltes  r,  und 
zwar  ungerolltes  Zäpfchen -r,  scheint  mir  diejenige  form  unserer  deutschen  r  zu  sein, 
dif  aus  mehr  als  einem  gründe  ganz  ausschliesslich  dem  Engländer,  der  deutsch  lernt, 
zu  empfehlen  ist,  falls  er  nicht  als  Nordengiänder  schon  gerolltes  zungenspitz -r 
mitbringt. 

Hier  breche  ich  ab.  Aus  meinen  ausstellungen  dürfte  hervorgehn,  dass  phonetik 
wol  nicht  das  eigentliche  Studiengebiet  des  verf.s  bildet.  Um  so  mehr  ist  es  dankbar 
anzuerkennen,  dass  er,  die  unumgänglichkeit  phonetischer  Studien  für  seine  Studenten 
einsehend,  ihnen  nicht  nur  regelmässig  Vorlesungen  über  phonetik  hält,  sondern  sich 
auch  der  mühe  unterzogen  hat,  zu  ihrem  besten  ein  handbuch  auszuarbeiten,  das 
ihnen  trotz  aller  meiner  einwände  und  bedenken  ganz  gewiss  nicht  geringen  nutzen 
bringen  wird. 

RENDSBURG    (HOLSTEIN).  H.   KLINGHARDT. 


Max  Morris,   Goethe-studien.     2.  veränderte   aufläge.     2  bände.     Berlin,  Conrad 
Skopnik  1902.     VII,  340  u.  III,  297  s.     6  m. 

Als  Max  Morris'  Goethe-studien  zum  ersten  male  erschienen,  waren  die  mei- 
nungen  über  den  neuen  Goethe -interpreten  geteilt.  Die  einen  erkannten  darin  keine 
wertvolle  bereicherung  der  Goethe -litteratur,  andere  sprachen  vom  'Stempel  der  persön- 
lichkeit', der  den  aufsätzen  aufgeprägt  sei,  oder  suchten  den  Verfasser  durch  das  ver- 
langen nach  weiteren  proben  aufzumuntern.  Heute  nimmt  Morris  unter  den  Goethe - 
forschem  eine  geachtete  Stellung  ein,  und,  was  besonders  erfreulich  ist,  die  2.  aufl. 
seiner 'Studien'  beweist,  dass  er  beständig  gewachsen  ist  und  dass  sich  ihm  das  bild 
des  dichters  nach  den  verschiedensten  richtungen  hin  unablässig  erweitert  und  ver- 
tieft hat.  Durch  eine  grössere  reihe  von  neu  hinzugekommenen  aufsätzen  zeichnet 
sich  die  2.  aufl.  vor  der  ersten  aus.  Zum  teil  sind  diese  bereits  in  Zeitschriften,  z.  b. 
im  'Euphorion'  und  im  Goethe -Jahrbuch  erschienen,  zum  teil  handelt  es  sich  auch 
um  bisher  ungedruckte  arbeiten.  Der  erste  neue  aufsatz,  mit  dem  die  Sammlung  in 
ihrer  erweiterten  gestalt  beginnt,  behandelt  die  'form  des  ürfaust'.  Es  ist  nicht  gerade 
etwas  neues,  was  er  bietet.  Man  wird  zugeben,  dass  Goethe  vielleicht  auch  ohne  die 
kenntnis  des  dem  budenspiel  der  form  nach  verwandten  Puppenspiels  durch  seine  con- 
sequent  vorschreitende  ontwicklung  dazu  geführt  worden  wäre,  das  budenspiel  zur 
grundlage  eines  grossen  dramas  zu  machen.  Dem  Verfasser  kam  es  aber  darauf  an, 
nachzuweisen,  wann  und  aus  welchen  gründen  Goethe  im  'Urfaust'  von  der  form 
des  knittelverses  abgewichen  ist,  und  sein  resultat  ist:  „Goethe  behandelt  den  knittel- 
vers  als  die  grundlage,  in  der  inenschliche  art  und  empfindung  sich  ausdrückt.  Fällt 
sie  unter  das  niittelniveau,  so  tritt  prosa  ein;  erhebt  sie  sich  darüber,  so  erscheint 
je  nach  der  art  der  ausweichung  prosa,  freie  rhythmen  oder  die  an  der  grenze  des 
gesanges  stehende  lyrische  declamation."  Eine  interessante  Zusammenstellung  enthält 
4er  aufsatz  'Gemälde  und  bildwerko  im  Faust'.    Morris  untersucht  darin,  inwieweit 


ÜBKIJ    MOKRIS.    (iOKTHK- STUDIEN  247 

malerische  oder  plastische  darstcllungen  einzelne  partieen  oder  ganze  seenen  des 
'Faust'  beeinflusst  haben,  und  setzt  sich  dabei  mit  einer  reihe  neuerer  forscher  aus- 
einander. Dass  sich  der  prolog  im  himmel  auf  die  italienische  maierei  stützt,  dass 
wir  bei  dem  epilog  an  Murillosche  bilder  denken,  und  dass  sich  bei  dem  bild  im 
Zauberspiegel  der  hexenküche  die  erinnerung  an  Tizians  A^'enusbilder  einstellt,  ist 
jedem  geläufig.  Ein  hiuweis  wie  der  auf  Rombrandts  bekannte  Faust -radierung,  von 
der  freilich  nicht  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden  kann,  ob  sie  Goethe  schon  zur 
zeit  der  ersten  Faustdichtung  zu  gesicht  gekommen  war,  ist  in  unsern  tagen,  wo  sich 
Rembrandts  geburtstag  zum  300.  male  jährte,  besonders  interessant.  Es  ist  auch  durch- 
aus zutreffend,  wenn  der  Verfasser  bemerkt,  dass  das  dichterwort  auf  die  in  der  phan- 
tasie  des  lesers  bereit  liegenden  bildlichen  anschauungen  erweckend  wirke.  ,Je  ein- 
facher hier  das  erregende  wort  gehalten  ist,  je  weniger  es  mit  eigenen  mittein  den 
hoffnungslosen  Wettstreit  aufnimmt,  um  so  bereitwilliger  kommt  unser  verrat  von 
malerischen  phantasiebildern  in  fluss.  Diese  bauen  das  local,  schmücken  es  mit  glänz 
und  färbe  und  bevölkern  es  mit  anschaulichen  gestalten."  Aus  dem  Goethe -Jahrbuch 
XX  (1899)  ist  Morris'  aufsatz  über  'Faustmotive  in  Goethes  übriger  dichtung',  der 
auf  eine  anreguiig  Erich  Schmidts  zurückgeht,  bekannt.  Durch  die,  analogio  mit 
'Götter,  beiden  und  "Wieland '  sucht  er  nachzuweisen,  dass  die  conception,  vielleicht 
auch  sogar  schon  die  abfassung  der  ersten  "Wagnerscene  bereits  in  den  october-  1773 
fällt.  Prometheus  und  Hanswurst  hatte  jüngst  erst  Bielschowsky  wider  in  innigere 
beziehungen  gebracht  und  beide  dahin  gerückt,  wohin  sie  gehören,  nämlich  in  die 
nähe  des  Werther.  Morris  versucht  durch  die  ausführlichere  nebeneinauderstellung 
beider  den  genialen  Übermut  der  zwiefachen  selbstdarstellung  des  jungen  Goethe  in 
einem  anschauungsbilde  zu  vereinigen,  bei  dem  man  in  der  tat  'entzückt  zusammen- 
schaudert". Goethe  und  Gottfried  Keller  zu  vergleichen,  ist  neuerdings  recht  beliebt 
geworden.  Zuweilen  wird  Koller  dabei  bedenklich  überschätzt.  Morris  will  in  seinem 
aufsatz  über  'Hermann  und  Dorothea  und  das  Fähnlein  der  sieben  aufrechten'  nur 
zeigen,  wie  bei  beiden  dichtem  in  einem  besonderen  falle,  ohne  dass  der  jüngere 
darum  von  dem  älteren  abhienge,  eine  tiefe  innere  Verwandtschaft  im  ganzen  und  im 
einzelnen  besteht.  Das  ist  ihm  auch  geglückt,  wenngleich  der  aufsatz  als  solcher 
nicht  gerade  eine  förderung  der  Goethe -forschung  bedeutet.  Überrascht  dagegen 
wurde  man  und  wird  man  noch  heute  durch  die  zuerst  im  XVIII.  bände  des  Goethe - 
Jahrbuchs  (1897)  gegebene  erklämng  des  bisher  so  rätselvollen  gedichts:  'Fheh,  täub- 
chen,  flieh!'  Die  deutung  auf  Georg  Jacobi  und  seinen  nach  Herders  richtigem  aus- 
druck  'überschwemmt  zärtlichen  und  e"klen'  briefwechsel  mit  Gleim  lässt  sich  heute 
nicht  mehr  von  der  band  weisen.  Der  satirische  Charakter  des  gedichts  hätte  viel- 
leicht schon  von  vornherein  aus  der  äussern  form,  vor  allem  aus  dem  versma.ss  ge- 
schlossen werden  können.  Auffällig  bleibt  nur,  dass  Goethe  im  jähre  1827  die  autor- 
schaft  des  gedichts  nicht  mehr  für  sich  in  ansprach  nehmen  wollte.  Sollte  es  daher 
nicht  möglich  sein,  dass  es  eine  art  compagnie- arbeit  oder  gemeinsame  improvisation 
ist,  zumal  ja  auch  die  von  Morris  citierte  stelle  aus  'Dichtung  und  Wahrheit'  (28,281) 
mit  ihrer  bemerkung:  „Jene  briefe  und  gedichte,  worin  Glcim  und  Georg  Jacobi  .sich 
öffentlich  aneinander  erfreuten,  hatten  uns  zu  mancherlei  scherzen  gelegonheit 
gegeben"  darauf  hinzudeuten  scheint?  Neues  aus  handschriften  bietet  Morris  u.  a 
durch  zwei  briefe  Minchon  Herzliebs  an  Wielands  enkelinnen  "^'ilhelmino  und  Amalie 
Schorcht;  in  den  'miscellen'  gibt  er  manche  zutreffoi\de  bemerkung  zur  deutung  bozw. 
erläuterung  einzelner  stellen  aus  Goetlies  werken,  briefen  und  entwürfen. 

SIEOEN   I.  W.  RÜDOLK  SOKOLOWSKY, 


248  SOROLO"WSKY 

Hans  Oerhard  Oracf,  Goethe  über  seine  dich  tun  gen.  Yersiich  einer  Sammlung 
aller  iiusserungen  des  dichters  über  seine  poetischen  werke.  (Zweiter  teil:  Die 
dramatischen  dichtungen.)  Frankfurt  a.  M.,  Rütten  und  Loening  1903/4.  2  bände. 
XXII.  443  u.  VI,  643  s.  17  m. 
Dem  ersten  teile,  der  in  den  jähren  1901/2  erschien,  stellte  der  Verfasser  eine 
Goethisclie  und  eine  Schillersche  briefstelle  voran.  Beide  begegnen  sich  in  dem  ge- 
danken,  dass  man  kunstwerke  nur  verstehen  kann,  wenn  man  ihre  geschichte  kennt. 
Auf  wenige  andere  werke  trifft  das  in  dem  gleichen  grade  zu,  wie  eben  auf  die 
Goethis'chen,  sind  diese  doch  nicht  nur  in  ihrer  gesamtheit  der  Spiegel  eines  unver- 
gleichlichen lebens,  sondern  auch  im  einzelnen  bekenntnisse  und  Offenbarungen  einer 
äusserlich  und  innerlich  immer  vorwärts  strebenden  entwicklung.  Der  Verfasser  konnte 
sich  aber  auch  mit  recht  auf  Goethe  selbst  als  den  vater  seiner  ' Sammlung'  berufen, 
insofern  doch  auch  von  'Dichtung  und  Wahrheit'  der  eigentliche  zweck  ist,  das  orga- 
nische Wachstum,  die  genesis  des  dichters  darzustellen  und  die  entstehungs- 
geschichte  seiner  werke  zu  schreiben.  Hatte  er  nun  in  den  beiden  ersten  bänden  des 
ersten  teils  seine  aufgäbe  für  die  epischen  dichtungen  erfüllt,  so  soll  der  zweite  teil 
das  gleiche  für  Goethes  dramatische  dichtungen  tun.  Was  in  dem  ersten  und 
zweiten  bände  dieses  teiles  vorliegt,  umfasst  nach  alphabetischer  anordnung  die  drama- 
tischen dichtungen  und  entwürfe  bis  zu  den  'Geschwistern',  vor  allem  also  den' Faust'. 
Diegrundsätze,  nach  denen  der  Verfasser  verfährt,  sind  im  wesentlichen  die  näm- 
lichen wie  bei  dem  ersten  teile.  Anordnung  und  einrichtung  lassen  hinsichtlich  der  Über- 
sichtlichkeit kaum  etwas  zu  wünschen  übrig.  Innerhalb  der  einzelnen  dichtungen  wird 
streng  chronologisch  vorgegangen;  freilich  bot  natürlich  eine  genaue  datierung  in  vielen 
fällen  grosse  Schwierigkeiten,  der  Verfasser  verwahrt  sich  daher  mit  recht  bei  den  nicht 
von  Goethe  selbst  datierten  äusserungen  gegen  den  ansprach  absoluter  richtigkeit. 

Das  hauptinteresse  concentriert  sich  bei  den  beiden  vorliegenden  bänden  natür- 
lich um  den  'Faust'.  Otto  Pniowers  buch  'Goethes  Faust,  Zeugnisse  und  excurse  zu 
seiner  entstehungsgeschichte '  (1899)  und  Jakob  Minors  werk  'Goethes  Faust,  ent- 
stehungsgeschichte  und  erklärung'  (1901),  die  während  der  arbeit  erschienen ,  konnten 
noch  aiisgiebig  benutzt  werden.  Gewissenhaft  werden  die  abweichenden  meinimgen 
anderer  forscher  verzeichnet.  Zuweilen  fällt  auch  subjectiv  etwas  ab.  Goethe  äussert 
einmal  in  der  'Italienischen  reise'  (zweiter  römischer  auf  enthalt)  unter  dem  1.  märz 
1788:  „Zuerst  ward  der  plan  zu  'Faust'  gemacht,  und  ich  hoffe,  diese  Operation  soll 
mir  geglückt  sein."  Was  ist  hier  unter  dem  wort  'Operation'  zu  verstehen?  Möglich 
ist  es  ja,  dass  dieser  ausdruck  hier  mit  Graef  im  medicinisch- chirurgischen  sinne  zu 
verstehen  ist,  dass  der  'plan'  zu  'Faust'  sich  danach  in  erster  linie  auf  diejenigen 
teile  bezogen  habe,  wo  es  einzurenken,  zerreissungen  zu  heilen,  Verbindungen  her- 
zustellen galt.  Im  hinblick  auf  eine  Goethische  briefstelle  aus  dem  jähre  1798  er- 
scheint diese  deutung  jedoch  keineswegs  zwingend.  In  der  absieht,  seinen  'Faust' 
fertig  zu  machen,  schreibt  er  da  unter  dem  28.  april  an  Schiller,  freund  Meyer  werde 
es  für  keinen  raub  achten,  'zu  dieser  barbarischen  production'  Zeichnungen  zu  ver- 
fertigen: „"Wir  haben  den  gedanken,  die  umrisse  auf  graubraun  papier  drucken  zu 
lassen  und  sie  alsdenn  auszutuschen  und  mit  dem  pinsel  aufzuhöhen,  eine  Operation, 
die  vielleicht  nirgends  so  gut  und  wolfoil  als  hier  gemacht  werden  könnte."  Sollte 
es  sich  nicht  auch  an  jener  stelle  einfach  wie  hier  um  die  ausführung  eines  planes, 
höchstens  vielleicht  um  die  ändcrung  des  ursprünglichen  planes  handeln? 

Äusserst  wertvoll  ist  die  Zusammenstellung  aller  Goethischen  äusserungen  über 
einige  unbekannte  kleinere  dramatische  entwürfe  und  plane.     Zu  beginn  des  Jahres 


ÜBER    GRAEF,    GOETHE   ÜBER    REINE    DirilTÜNGEX  249 

1815  scheint  Goethe  sich  mit  dem  plane  einer  orientalischen  oper  getragen  zu  haben, 
deren  Schauplatz  Persien  sein  sollte.  Im  april  gibt  er  in  einem  briofe  an  B.  A.  Weber 
der  hofl'niing  aiisdruck,  den  entwurf  auf  einer  in  aussieht  genommenen  badereise  vor- 
bereiten zu  können.  Im  november  nennt  er  sie  'mährchen-  und  geisterhaft',  obwol 
alles  natiii'lich  zugehe.  Sie  sollte  auch  „heiter  werden  und  brillant,  wobei  es  nicht 
an  leidenschaft,  schmerz  und  Jammer  fehlen"  werde.  Diese  ausdrücke  treffen  nach 
Graef  nur  auf  das  1892  zuerst  aus  Goethes  nachlass  herausgegebene  opernfragment 
'Feradeddin  und  Kolaila'  zu. 

In  einer  tagobuch  -  notiz  vom  13.  fcbruar  1799  verzeichnet  Goethe  ein  abend- 
liches gespräch  mit  Schiller  über  theatralische  Unternehmungen,  den  'Gastfreien 
schmarutzer'  und  den  zweiten  teil  der  'Zauberflöte'.  Graef  schüesst  hieraus  auf  eine 
geplante  dichtung:  'Der  gastfreie  schmarutzer'  und  meint,  es  werde  sich  vielleicht 
doch  noch  einmal  in  Goethes  nachlass  ein  blatt  mit  ersten  flüchtigen  aufzeichnungen 
finden. 

In  der  frage,  ob  unter  dem  schäferspiel  'Amine',  das  Goethe  bekanntlich,  in 
zwei  briefen  an  seine  Schwester  von  1767  erwähnt,  nur  die  erste  fassung  der  'Laune 
des  verliebten'  oder  vielmehr  ein  selbständiges,  älteres  stück  zu  verstehen  ist,  ent- 
scheidet Graef  sich,  wie  mir  scheint,  mit  recht  im  gegensatz  zu  v.d.  Hellen,  Geiger, 
Minor  und  Bielschowsky  zu  der  letzteren  auffassung,  die  zuerst  H.  Roettoken  in  der 
Vierteljahrsschrift  für  litteraturgeschichte  (1890,  3,  184  — 190)  vertreten  hatte. 

Auf  dem  irrwege  dagegen  scheint  mir  Graef  in  einem  anderen  punkte  zu  sein. 
Wenn  nämlich  Goethe  in  der  'Campagne  in  Frankreich  1792'  wort-  und  buchstaben- 
getreu sagt:  „Die  'Unterhaltungen  der  ausgewanderten',  fragmentarischer  versuch, 
das  unvollendete  stück,  'Die  aufgeregten',  sind  oben  so  viel  bekenntnisse  dessen, 
was  damals  in  meinem  busen  vorgieng;  wie  auch  späterhin  'Hermann  und  Dorothea' 
noch  aus  derselbigen  quelle  flössen,  welche  denn  freilich  zuletzt  erstarrte",  —  so  be- 
deutet doch  die  von  Graef  verti'etene  Düntzersche  deutung,  als  ob  der  ausdruck  'frag- 
mentarischerversuch' nicht  auf  die  'Unterhaltungen  deutscher  ausgewanderten',  sondern 
auf  die  'Reise  der  söhne  Megaprazons'  zu  beziehen  sei,  nichts  als  einen  act  der  Will- 
kür, und  unter  dem  'unvollendeten  stück'  sind  doch  nach  der  form  des  satzes  auch 
nur  'Die  aufgeregten'  zu  verstehen.  Treffender  ist  es,  wenn  Graef  im  anschluss  an 
Goethes  Leipziger  brief  an  Schwester  Cornelia  vom  7.  december  1765  aus  den  werten: 
'versuch  einer  poetischen  ausarbeitung  ßelsazars'  folgert,  dass  die  vier  aufzüge  dieses 
entwurfs,  die  Goethe,  mehr  oder  weniger  fertig,  mit  nach  Leipzig  brachte,  nicht 
poetisch  ausgearbeitet,  sondern  in  prosa  geschrieben  waren. 

Eine  ausserordentlich  verlockende  aufgäbe  wäre  es,  näheres  über  Goethes 
' Caesar "- entwurf ,  der  bis  in  das  jähr  1773  zurückzureichen  scheint,  zu  eruieren, 
spielt  dieser  stoff  doch  noch  viej  später  in  Goethes  Unterredung  mit  Napoleon  eine  so 
hoch  interessante  rolle.  Sehr  dankenswert  ist  es  daher,  dass  Graef  alle  äusserungon 
über  Shakespeares  tragödio  in  chronologischer  Ordnung  zusammengestellt  und  auch  ein 
paar  bemcrkungen  über  den  geschichtlichen  Caesar  hinzugefügt  hat.  So  ist  das  Graef- 
scho  werk  auch  in  diesen  teilen  nicht  nur  ein  ungemein  wertvolles  hilfsmittel  für  die 
Goethe -forschung,  sondern  bietet  ihr  gleichzeitig  auch  eine  fülle  neuer  anregungon. 
Man  wird  an  ihm,  wenn  es  erst  vollendet  vorliegt,  einen  ähnlichen  schätz  haben  wie 
an  der  von  prof.  Köster  in  Leipzig  geplanten  Goethe- bibliographie.  deren  Zustande- 
kommen die  vorjährige  Versammlung  der  Goethe -gesellschaft  in  Weimar  infolge  der 
initiative  Erich  Schmidts  in  so  hoch  erfreulicher  weise  be.schlosscn  und  ermöglicht  hat. 

SIEGEN    I.  W.  RUDOLF  SOKOLOWSKY. 


250  KAUFFMAXN    ÜBER    MARTIN,    VKRSBAU    DES    HELIAND 

Ernst  Martin,  Der  versbau  des  Heliand  und  der  altsächsiscben  Genesis. 
Strassburg,  K.  J.  Trübner  1907.  XII,  80  s.  2,40  m.  ==  Quellen  und  forschungen, 
heft  100. 

Martin  legt  uns  die  allgemein  bekannte  und  leicht  zugängliche  abhandlung  von 
Schmeller  über  den  versbau  in  der  allittericrenden  poesie  der  Altsachsen  (Abhandl.  d. 
bayr.  akademie  1839)  mit  einigen  auslassungen  vor;  vgl.  s.  19  —  29.  Er  scheint  im 
gründe  der  ansieht  zu  sein,  die  theorien  Lachmanns,  Schmellers  und  Sievers'  seien 
identisch,  namentlich  fand  er  erscheinungsformen  der  Sieversschen  typen  in  den 
Schmellerschen  kadenzen,  wie  Martin  sie  nunmehr  auffasst. 

Er  will  aber  seine  ansichten  nur  mit  vorbehält  vortragen  (s.  18).  Ich  beziehe 
dies  namentlich  auf  seine  annähme  'gedehnter  kürzen',  über  die  der  leser  auf  s.  7 
anders  orientiert  wird  als  auf  s.  12.  13*.  Vorbehalte  müssen  aber  auch  da  gemacht 
werden,  wo  M.  sich  auf  Stichproben  beschränkt.  Dieses  verfahren  ist  im  interesse 
einer  wissenschaftlichen  beweisführung  zu  bedauern,  in  anbetracht  der  resultatlosig- 
keit  der  Martinschen  erörterungen  fällt  es  freilich  nicht  weiter  ins  gewicht.  Er  be- 
tont noch  einmal,  dass  die  silbenzahl  der  versfüsse  vom  verseingang  her  gegen  das 
versende  hin  abnehme  (vgl.  Sievers'  typus  B  und  C),  dass  die  unmittelbare  folge 
zweier  ikten  am  schluss  der  halbverse  ausgeschlossen  ist  und  dass  die  wortärmere 
Schlusskadenz  langsamer  vorgetragen  worden  sei,  als  die  vorhergehenden  versteile 
(s.  59  fg.  65). 

Des  weiteren  behauptet  M.,  es  stehe  jetzt  wol  bei  allen  an  der  forschung  be- 
teiligten fest,  dass  der  epische  halbvers  sich  in  vier  ver.sglieder  zerlegen  lasse;  dass 
von  diesen  vier  versgliedern  zwei  durch  'stärkere  ausspräche'  über  die  beiden  andern 
erhoben  werden,  sei  ein  weiterer  satz,  der  nicht  bestritten  werden  könne  (s.  2.  61fgg). 
Angesichts  der  grausamen  partie  auf  s.  53 fg.  wollen  wir  doch  daran  erinnern,  dass 
wir  ganz  anderer  meinung  sind  und  nicht  mit  Lachmann  den  versgebrauch  Otfrids 
im  wesentlichen  als  den  ursprünglich  germanischen  ansehen  (s.  71).  Die  Stellung  der 
beiden  höher  betonten  silben  habe  allerdings  erst  Sievers  genauer  bestimmt.  Martin 
gebraucht  daher  die  Sieverssche  typenterminologie.  Er  weiss  auch  geschickt  zu 
operieren,  um  seine  Vortragsweise  mit  der  von  Sievers  —  trotz  des  principiellen  Wider- 
spruchs auf  s.  6  —  in  einklang  zu  setzen :  die  schwellverse  seien  normalverse.  Den 
typen  könne  er  allerdings  doch  nur  einen  statistischen  wert  beilegen ,  den  er  übrigens 
durchaus  nicht  unterschätze  (s.  4);  ja  Martin  ist  sogar  zu  der  concession  bereit:  „Es 
scheint  mir  überhaupt  fraglich,  ob  der  rhythmus  die  zu  den  haupthebungen  hinzu- 
tretenden nebenhebungen  berücksichtigt  hat"  (s.  4)  —  danach  hätte  gerade  dieses 
100.  heft  der  Quellen  und  forschungen  nicht  veröffentlicht  zu  werden  brauchen. 
Interessant  ist  es  insofern,  als  es  den  redlichen  willen  eines  Veteranen  bekundet, 
die  Sprache  einer  jüngeren  generation  sprechen  zu  lernen.  Das  geht  nicht  ohne  künst- 
lichen zwang  (vgl.  z.  b  die  äusserungen  über  das  handschriftenverhältnis  s.  9fgg. 
oder  die  identificierung  von  irrationalem  rhythmus  [nach  Sievers]  mit  Scherers  wider- 

1)  Mein  Vorschlag,  Hei.  31.  5937  sei  alo-  statt  ällo-  zu  lesen,  wird  mit  der 
these  abgetan,  dem  widerspreche  „eine  in  allen  germanischen  sprachen  bezeugte 
Sprachregel";  richtig  sei  nur,  dass  allo-  gleichfalls  überliefert  sei  (Hei.  1979).  Dieser 
Sprachregel  ist  ein  besonderer  excurs  gewidmet:  Die  Vereinfachung  der  doppelliquidae 
im  ersten  teile  von  Zusammensetzungen  (s.  72fgg.);  er  gipfelt  in  dem  satz:  „Ich  bin 
seit  längerer  zeit  der  erscheinung  nachgegangen.  Doch  ist  das  material  so  weit- 
schichtig und  so  unfest,  dass  sich  schliesslich  nur  eine  unsichere  erklärung  ergeben 
hat."  Jener  'sprachregel'  ist  also  rasch  wider  das  lebeuslicht  ausgeblasen!  worden 
Uöd  meine  conjectui'  ist  immer  noch  möglich- 


KIIKISMANN    f-HKI?    OSWALD   VON   WOLKKNSTEIN   ED.   SrjIATZ  251 

streit  zwischen  idealem  und  realem  rhythmus  s.  08),  ist  aber  mehr  als  wir  bisher 
gerade  von  Martin  erwarten  durften.  Das  Ilildebrandslied  hält  er  z.  b.  noch  immev 
für  niederdeutsch  (s.  69). 

KIEL.  FRIEDRICH  KAUFi'MANN. 


Die  gedichto  Oswalds  von  "Wolkenstein,  herausgegeben  von  J.  Schatz.  Zweite 
verbesserte  ausgäbe  des  in  den  Publikationen  der  Gesellschaft  zur  herausgäbe  der 
dcnkmäler  der  tonkunst  in  Österreich  veröffentlichten  textes.  Göttingeu,  Vandon- 
hoeck  und  Ruprecht  1904.     312  s.    0  m. 

Es  ist  Schatz  sehr  zu  danken,  dass  er  der  grossen  Veröffentlichung  der  lieder 
und  melodien  des  "Wolkensteiners  nun  eine  einfache  textausgabe  hat  folgen  lassen.  Die- 
selbe enthält  nahezu  den  ersten  teil  jenes  friiheren  workcs,  aber  in  anderer,  für  philo- 
logische zwecke  übersichtlicherer  anordnung,  indem  nun  die  allgemeinen  erörterungen 
(lebensabriss  des  dichters,  Überlieferung,  textkritischo  grundsätze,  Orthographie  u.  a.) 
ganz  in  die  einleitung  (s.  1 — 58),  die  lesarten  aber  unter  den  text  gebracht  sind. 
Dieser  selbst  ist  in  seinem  Wortlaut  nicht  erheblich  geändert  worden ,  wozu  auch  kein 
grund  vorlag,  doch  \vurde  die  hs.  A  noch  mehr  berücksichtigt,  auch  sind  einige  eigene 
bessenmgen  sowie  solche  von  Behaghel  (Lit.  blatt  1903,  367  —  369)  und  "Wustmann 
(Anz.  f.  d.  altert.  29,  227 — 233)  aufgenommen.  Die  lesarten  wurden  durch  stärkere 
beiziehung  von  C  erweitert.  Über  die  behandlung  der  Orthographie  spricht  Seh.  in 
der  einleitung  s.  53  —  55.  Er  hat  eine  gewisse  normalisierung  befolgt,  weil  die  ein- 
zelnen Schreiber,  selbst  die  der  hs.  A,  unter  sich  abweichen.  Aber  der  grundsatz  der 
einheitsschreibung  ist  bei  handschriften  des  15.  jhs.,  zumal  bei  stark  mundartlich  ge- 
färbten, immer  ein  unvollkommener  ausgleich  und  kann  ohne  starke  Verletzung  der 
historisch  überlieferten  Schreibung  nicht  durchgeführt  werden.  So  wird  durchweg  ai 
für  altes  ei  gesetzt ,  aber  in  den  reimen  von  ei  auf  ai  wird  nur'  ei  geschrieben ,  was 
der  mundartlichen  ausspräche  und  dem  schreibgebrauch  der  zeit  widerspricht;  auch 
können  feinere  orthographische  unterschiede  wie  heilig  (57,  61.  s.  143  var.  61),  wo  ei 
wie  so  oft  in  baiiischen  handschriften,  die  sonst  ai  haben,  beibehalten  ist,  oder  wie 
die  nachklänge  des  consonantischen  anlautsgesetzes  in  A  (z.  b.  nicht  ieken  8,  25, 
austcrivelter  13,  28.  14,  44,  vgl.  auch  ersten  für  erst  den  2,  3;  die  assimilation 
enkagent  44,2),  nicht  recht  zur  geltung  kommen.  Jede  usuelle  Orthographie  ist  ein 
bestimmter  ausdruck  ihrer  zeit,  es  liegt  in  ihr  ein  kleines  stück  kulturgescliichto  und 
so  sollte  sie  bei  ausgaben  von  werken  des  14.  u.  15.  Jahrhunderts,  wenn  nicht  besondci'c 
gründe  dagegen  sprechen,  recht  weitgehend  gewahrt  werden.  AVolkensteins  hand- 
schriften gerade  aber  haben  noch  einen  besonders  intimen  wert,  da  sie  alle  eigentum 
der  familie  waren,  ja  A  und  B  sind  sogar  auf  den  wunsc'li  des  dichters  geschrieben 
worden  (s.33.  41).  Es  steckt  noch  etwas  von  seiner  persönlichkeit  in  diesen  folianton  und 
zu  seiner  knorrigen  eigenwilligkeit  pa.sst  auch  diese  tirolische  Orthographie  des  fi'uif- 
zehnten  Jahrhunderts.  Wenn  auch  eine  genaue  widorgabe  der  Schreibart  wol  untun- 
lich war,  so  hätte  von  ihrem  Charakter  vielleicht  doch  etwas  mehr  gerettet  werden 
können. 

In  der  interpunktion  weicht  die  neue  ausgäbe  von  der  älteren  mehrfadi  ab.  Oft 
sind  an  stelle  der  ausrufungszeichcn  andere  zeichen  gesetzt.  Dadurcli  wird  die  Über- 
sichtlichkeit geringer,  und  vor  allem:  die  erregung,  die  in  solchen  emphati.schen 
reden  liegt,  findet  auf  diese  weise  keinen  ausdmck  in  der  schrift,  die  damit,  anstatt 
auf  dramatische  lebendigkeit,  auf  einen  ruhigen  erzählertoa  gestimmt  ist.   44,2  wäre 


252  F.HRISMANN 

die  alte  Interpunktion,  konima  statt  punkt,  besser  geblieben;  7,  37.  56,  6  ist  das 
komnia  zu  streichen,  58,19  wäre  eines  nach  gaiss  angebracht,  13,42  ein  punkt.  In 
dem  Wechsel  nr.  14  sollten  die  einzelnen  reden  durch  auführungszeichen  kenntlich 
gemacht  sein. 

HEIDELBERG.  GUSTAV   EHRISÄUNN. 


Die  lateinischen  magier  spiele.  Untersuchungen  und  texte  zur  Vorgeschichte 
des.  deutschen  weihnachtsspiels.  Von  Heinrich  Anz.  Leipzig,  J.  C.  Hinrichssche 
buchhandlung  1905.     VIII,  163  s.     5,40  m. 

Ein  wichtiger  bestandteil  der  epiphanienliturgie  der  alten  kirche  war  die  oblatio 
ad  aram.  Da  die  erzählung  von  der  huldigung  der  drei  magier  die  festlection  für 
diesen  tag  bildete  (Matth.  2,1 — 12),  so  wurde  jene  Opferung  in  Zusammenhang  ge- 
bracht mit  der  gabendarbringung  der  magier.  Hierin  liegt  der  Ursprung  der  magier- 
spiele. Die  drei  opfernden  kleriker  führten  mit  den  opfergaben  eine  prozession  zum 
altar  aus,  wobei  bestimmte  antiphonen  gesungen  wurden.  Aus  diesen  antiphonen,  die 
zum  teil  umgearbeitet  wurden ,  erwuchs  der  ursprüngliche  text  des  magierspiels.  Dieses 
ist  also  liturgischen  Ursprungs.  —  Die  entwicklung  des  spieltextes  vollzieht  sich  in  drei 
stufen,  drei  typen,  die  eine  fortschreitende  erweiterung  darstellen;  diese  gruppenbildung 
ergibt  sich  auf  textkritischem  wege  durch  ausscheidung  gemeinschaftlicher  bestandteile. 

Diese  ergebnisse  der  vorliegenden  Untersuchung  bilden  einen  bedeutenden  erfolg 
in  der  forschung  über  das  geistliche  Schauspiel  des  mittelalters.  Mit  Scharfsinn  und  Sach- 
kenntnis arbeitet  der  Verfasser,  vielfach  angeregt  durch  persönliche  teilnähme  K.  Bur- 
dachs, kirchengeschichte ,  liturgie  und  altkirchliche  kunst  zur  auf  hellung  beiziehend. 

Die  drei  typen  stellen  eine  regelrechte  fortentwicklung  dar.  In  typus  1  treten 
als  Spielpersonen  nur  die  drei  magier  und  die  zwei  obstetrices,  diese  als  Sprecherinnen 
für  die  heilige  familie,  auf.  Typus  II  bringt  den  Herodes  dazu,  mit  typus  III  wird 
das  magierspiel  zum  Herodesspiel ,  indem  zunächst  die  ^erodesscene  durch  das  auf- 
treten der  schriftgelehrten  ausgedehnt  wird,  weiterhin  aber  sein-  bedeutende  erwei- 
terungen  stattfinden  durch  vergrösserung  der  botenrolle,  durch  einfügung  des  hirten- 
spiels  und  des  ludus  innocentium,  wodurch  schliesslich  ein  combinationstj-pus  IV 
entstanden  ist. 

Dass  die  entwicklung  von  einfachen  typen  zu  manigfaltigeren  aufgestiegen  ist, 
das  dürfte  nunmehr  festgestellt  sein.  Es  muss  aber,  wie  der  Verfasser  selbst  sagt, 
geradezu  wunder  nehmen,  „wie  verhältnismässig  gesetzmässig  der  entwicklungsgang 
verläuft"  (s.  112).  Vielleicht  sind  doch  mitunter  rückläufige  bewegungen  eingetreten 
und  die  combinationen  wären  also  doch  verwickelter. 

Auch  den  typus  I ,  das  einfachste  spiel  —  er  ist  im  texte  von  Rouen  am  reinsten 
überliefert  —  hält  der  verf.  schon  nicht  mehr  für  ursprünglich  (s.  21  fgg.),  die  krippen- 
scene  sei  eine  spätere  zufügung.  Sie  stammt,  wie  er  einwiesen  hat,  aus  dem  weih- 
nachtsspiel  und  ist  also  ein  in  die  epiphanienfeier  erst  später  eingetretener  fremder 
bestandteil.  In  dem  typus  I  ist  sie  aber  m.  e.  schon  von  anfang  an  aufgenommen  ge- 
wiesen, dieser  ist  eine  einheitliche  composition  (es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  „dass 
der  typus  I  tatsächlich  ein  einheitliches  werk  eines  geistlichen  dichters  ist",  sagt  der 
verf.  selbst  s.  120 fg.,  s.  dazu  auch  Koppen,  Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen 
weihnachtsspiele  s.  11  und  s.  14fg.).  Der  krippendialog  zwischen  magiern  imd  obstetrices 
gehört  in  den  Zusammenhang,  denn  jene  reden  das  Jesuskind  unmittelbar  in  directer 
rede  an,  so  muss  doch  auch  vorher  ein  empfang  der  huldigenden  von  selten  der  hei- 


ÜBER    ANZ,    niE    LATEIN.  MAGIKKSPIELE  253 

ligeu  familie  angedeutet  sein.  Dertypus  I  war  schon  von  vurnherein  grösser  angelegt. 
Die  oblationsworte  'Salve  jjr/'nceps  saeculonim'  usw.  sind  direct  an  das  Jesuskind 
gerichtet,  das  also  anwesend  gedacht  ist,  im  arm  seiner  muttor  oder  in  der  krippu 
(vgl.  s.  33).  Dies  setzt  eine  besondere  localisierung  voraus,  einen  besonderen  altar. 
Das  ist  nach  den  erläuterungen  des  textes  von  Rouen  das  altare  crucis,  auf 
welchem  vorher  ein  Marienbild  aufgestellt  wurde.  Der  kreuzaltar,  auch  altare  laicorum 
genannt,  steht  zwischen  chor  und  schiff  und  diente  der  laieugemeinde.  Diese  brachte 
also  hier  auch  das  opfer  dar  (Rouen:  'Inier hu  ßa?it  oblationes  a  Clero  et  Populo'). 
Typus  I  ist  also  von  anfang  an  darauf  berechnet,  dass  das  opfer  am  kreuzaltar  statt- 
findet, und  war  in  enger  Verbindung  mit  der  laienoblatiou  gedacht.  Erst  nachdem  diese 
vorüber  und  das  spiel  zu  ende  war,  wurde  dann  am  hauptaltar  im  chor  von  den 
priestern  allein  das  eigentliche  opfer  der  messe  dargebracht.  Hier  liegt  also  ein  schon 
reicher  ausgebildeter  typus  vor:  beziehungen  zu  Herodes  (Jerusalem),  krippenscene 
(Bethlehem) ;  der  stern  erscheint  demgemäss  zweimal  (iterum),  zweimaliger  sternengruss ; 
zwei  altare  (altare  majus  und  altare  crucis  vgl.  auch  Anz  s.  33),  also  zwei  Stationen. 
Den  einfachen  typus  enthält,  wie  Anz  s.  42  —  44  (auch  s.  59)  entwickelt,  der  text 
von  Limoges,  und  nur  dieser:  hier  keine  beziehungen  zu  Herodes  und  keine  krippen- 
scene-, der  stern  erscheint  nur  einmal,  damit  ist  nur  ein  sternengruss  vorhanden-,  nur 
ein  altar,  das  altare  majus;  die  handlung  spielt  sich  nur  im  chor  ab,  also  nur  eine 
Station,  keine  laienoblation ;  kein  dialüg,  nur  autiphonspiel. 

Ob  der  reichere  typus  mit  den  zwei  Stationen  eine  unmittelbare  Weiterbildung  des 
einstationigen  von  Limoges  ist?  Anz  lässt  die  frage  offen  (s.  59,  dazu  auch  s.  125). 
Dem  Verfasser  von  typus  I  kann  letzterer  vorgeschwebt  haben,  jedosfalls  ist  aber 
sein  werk  eine  durchaus  selbständige  Schöpfung.  Beide  arten  entwickelten  sich  dann 
unbeeinflusst  voneinander  weiter,  das  antiphonenspiel  durch  zusetzung  von  hymnen 
am  anfang  und  schluss  in  musikalisch -lyrischer  richtung,  der  schon  mit  dialogen  ver- 
sehene Spieltypus  in  dramatischer  richtung  zu  weiter  ausgebildeten  darstellungen.  Beide 
können  nebeneinander  im  gebrauch  gewesen  sein,  je  nachdem  die  feier  an  einem  oder 
zwei  altären  stattfand.  Von  dem  Vorhandensein  zweier  altäre  in  der  kirche  ist 
überhaupt  der  in  I  vorliegende  spieltypus  abhängig. 

Bei  der  entstehung  von  typus  II  (Anz,  s.  51fgg.)  dürfte  wol  stark  das  streben 
nach  stilistischem  parallelismus  mitgewirkt  haben.  Es  sollte  ein  aus  zwei  correspon- 
dierenden  teilen  bestehender  text  gebildet  werden.  So  erklären  sich  die  frei  geschaffenen 
teile  der  einschaltungen,  v.  9 — 16  (Anz  s.  131  fg.):  den  kern  bilden  die  aus  dem 
zweiten  teile  herübergenommenen  oblationsworte,  ausser  ihnen  haben  aber  auch  ein- 
zelne ausdrücke  der  sie  einleitenden  zeilen  lOfg.  ihre  entsprechung  in  der  zweiten 
hälfte,  nämlich  cum  niysticis  onuneribus ,  adorure  venimus,  de  terra  longinqua  in 
dona  ferentes  24,  adorare  venirnus  25,  Tharsis  et  Arabum  et  Saba  23.  Somit 
sind  die  beiden  teile  a  =  v.  1 — 18,  die  Herodesscene  enthaltend,  und  b  =  v.  19  —  33, 
krippenscene,  in  symmetrischem  auf  bau  gebildet:  1.  a  1 — 3  erster  sternengruss  = 
b  19 fg.  zweiter  sternengruss;  2.  a7 — 16  dialog  zwischen  Herodes  und  den  magieru 
und  dabei  die  oblationsworte  =  b  21 — 27  dialog  zwischen  den  magiern  und  den  obste- 
trices,  anschliessend  daran  die  oblationsworte  28 — 31;  3.  a  18  fg.  abschluss  von  teil  a, 
Ile  et  .  .  .  redeuntes  mihi  renuntiate  =  b  32fg. ,  abschluss  von  teil  b,  Ite  viam 
re/neantes  aliain,  nc  delatitres  tanti  regis  pu/iiendi  eritis.  Die  neu  zugefügten  ob- 
lationsworte des  ersten  teils  bilden  die  —  bekannte  —  Variation  derjenigen  dos  zweiten 
teils:  die  symboliüche  deutung  des  Weihrauchs  geht  hier  in  der  zweiten  formel  auf 
den  priester,  thurc  sacerdoteni,  statt  auf  den  wahrhaften  Gott,  tu  vcrc  Dens. 


254  R.M.MEYER    ÜBER    HKRRMANN.    HEINES    ROMANZERÖ 

Feine  und  lobenswert  vorsichtige  bemerkungen  macht  der  Verfasser  auch  be- 
züglich der  metrik  des  spiels  (s.  114 — 116.  123 fg.).  Die  jüngeren,  umfangreicheren 
stücke  haben  schwungvollere  formen,  auch  das  spricht  für  ihre  spätere  entstehung 
und  somit  für  ausdehnende  Vorwärtsbewegung  im  entwicklungsgang  des  spiels.  Die 
ersetzung  von  coruscat  durch  rutilat  im  typus  I  (s.  51.  121)  hängt  vielleicht  ebenfalls 
mit  rhythmischea  gründen  zusammen :  dadurch  entsprechen  sich  die  worte  des  ersten 
und  des  zweiten  magiers  rhythmisch  vollständig:  Stella  fülgore  nimio  rutilat  \ — 
Quae  II  regern  regiim  nätum  monst'^'at ,  während  eorüseat  statt  rutilat  aus  dem  be- 
tonungssystem  herausfällt. 

Als  heimat  des  spiels  nimmt  Anz,  im  gegensatz  zu  Wilhelm  Meyer,  Frank- 
reich —  nicht  Deutschland  —  an  (XL  Jahrhundert).  Und  bierfür  sprechen  in  der 
tat  die  anzeichen  auch  stärker. 

Abgeschlossen  wird  die  äusserst  wertvolle  abhandlung  durch  texte,  welche  die 
entstehung  der  drei  typen  veranschaulichen,  sowie  durch  abdrücke  und  erklärungen 
einiger  überlieferter  spiele. 

HEIDELBERG.  GUSTAV   EHRISMAXK. 

Helene  Herrmanu  (dr.  phil.),  Studien  zu  Heines  Romanzero.  Berlin,  "Weid- 
mann 1906.     VIII,  141  s.     4  m. 

Das  Interesse  dieser  wertvollen  studio  ist  vor  allem  auf  die  beiden  gebiete  ge- 
richtet, in  denen  Heine  so  unerschöpfUche  probleme  bietet:  zuerst  auf  das  psycholo- 
gische, dann  auf  das  stilistische.  Die  bemerkungen  zu  Heines  technik,  obwol  an 
zahl  geringer,  sind  doch  von  nicht  geringerer  bedeutung  als  die  zur  deutung  seines 
Wesens:  hinweise  auf  dreigliedrigkeit  der  gedichte  (s.  37.  90),  auf  tonmalerei  (s.  40. 
84)  und  'helldunkel"  (s.  109),  auf  farbenwirkungen  (s.  38).  Besonders  glücklich  ist 
die  aufnähme  von  vergleichen  durch  metapher  (s.  118.  136)  beobachtet  sowie  die 
'geste  des  Untergangs'  (s.  25  u.  ö.):  das  pathetische  arrangement  des  todes.  Es  wäre 
wichtig,  zu  prüfen,  wie  weit  diese  dramaturgische  manier  des  lyrikers  mit  der  tra- 
dition  des  dramas  —  und  der  wirkhchkeit  zusammenhängt.  Hatten  doch  vor  allem 
die  männer  der  französischen  revolution  den  'rühm  im  sterben'  obligatorisch  gemacht. 

Aber  vor  allem  richtet  sich  die  forschung  der  verf.  doch  auf  das  problem, 
wie  erlebnis  und  kunstwerk  bei  Heine  verwandt  sind  (bes.  s.  121).  Der  'Romanzero' 
hat  es  besonders  mit  dem  wideraufleben  von  jugendeindrücken  zu  tun:  katholischen 
(s.  26.  27)  und  vor  allem  jüdischen  (bes.  s.  43  fg.  89).  Uns  scheint  allerdings  dabei 
die  'biographische  methode'  gelegeutlich  überspannt.  In  noch  höherem  grade  gilt 
dies  von  dem  auf  puren  ganz  persönlicher  momente  in  'Firdusi'  und  den  'Spanischen 
Atriden';  der  hinweis  auf  den  *  Erb  folgekrieg'  und  auf  Heines  rachegefühl  (s.  114) 
scheint  mir  in  diese  gedichte  einen  klang  hineinzutragen,  der  zu  der  typischen  wähl 
der  beispiele  für  das  Schicksal  der  edlen  nicht  recht  passt.  Auch  die  an  sich  recht 
glücklichen  ausführungen  über  Heines  empfindlichen  genichsinn  (s.  91  anm.)  waren 
zur  erklärung  der  schlussworte  in  der  'Disputation'  kaum  erforderlich. 

Äusserst  sorgsam  werden  überall  gedichte  und  quelle  verglichen.  Für  die 
'Atriden'  ist  mir  aber  doch  ein  solches  mass  freier  erfindung  bedenklich:  sollte  nicht 
doch  noch  eine  übersehene  quelle  irgendwo  verborgen  rieseln? 

Zur  erklärung  einzelner  gedichte  Heines  hat  seit  Hesseis  schönem  buch  und 
Elsters  trefflicher  ausgäbe  keine  schrift  mehr  als  diese  geleistet,  gerade  weil  sie  nii-gends 
in  der  einzelheit  stecken  bleibt,  sondern  stets  zu  allgemeineren  anschauuugen  aufsteigt. 

BERLIN.  RICHARD    M.  MEYER. 


S"kÜK    KRSCHKINUNOKN  25i) 

NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Die  redaction  ist  bemüht,    für  alle  zur  bosprochunc:  geeigneten  werke  aus  dorn  gebiete  der  german. 

Philologie  sachkundige  reforonten   zu  gewinnen,   übernimmt  jedoch  keine  Verpflichtung,   unverlangt 

eingesendete  bücher  zu  recensieren.     Eine  zurücklief erung  der  recensions-exemplare  an 

die  herren  Verleger  findet  unter  keinen  umständen  statt.) 

Adams,  Arthur,  The  syatax  of  the  temporal  clause  in  old  english  prose.  [Yale  studies 
iu  euglish.  XXXII.]  New  York,  Henry  Holt  and  comp.  1907.  X,  245  s.  u.  9  tabellen. 

Eilhart  von  Oberge.  —  Gierach,  Erich,  Zur  spräche  von  Eilharts  Tristrant. 
Lautlehre,  formenlehre  und  Wortschatz  nach  den  reimen.  Mit  einem  anhang:  Zur 
literarischen  Stellung  Eilharts.  [Präger  deutsche  Studien  hrg.  von  Carl  von  Kraus 
und  August  Sauer.  IV.]     Prag,  Carl  Bellmaun  1908.  (X),  281  s.     6  kr. 

Festschrift  zur  49.  Versammlung  deutscher  phiiologen  und  schulmänner  in  Basel  im 
jähre  1907.     Basel  1907.     (Carl  Beck,  Leipzig.)     (VIII),  538  s.     15  m. 

Darin u.  a.:  G.  Binz,  Untersuchungen  zum  altengl.  sog.Crist.  —  W.  Brückner, 
Über  den  barditus.  —  Ä.  G essler,  Franz  Krutters  Bernauerdrama.  —  E.  Hoff- 
mann-Krayer,  Ferndissimilation  von  r  und  l  im  deutschen.  —  J.  Meyer, 
Wolfram  von  Eschenbach  und  einige  seiner  Zeitgenossen.  —  Th.  Plüss,  Das 
glftichuis  in  erzählender  dichtung. 

Froytag,  Gustav.  —  Mayrhofer,  Otto,  Gustav  Freytag  und  das  Junge  Deutschland. 
[Beiträge  zur  deutschen  litteratur- Wissenschaft  hrg.  von  E.  Elster.  L]  Marburg, 
Elwert  1907.     VIII,  50  s.     1,20  m. 

—  Ulrich,  Paul,  Gustav  Freytags  romantechnik.  [Beiträge  zur  deutschen  litteratur - 
Wissenschaft.  III.]     Marburg,  Elwert  1907.     VI,  135  s.     2,40  m. 

Oiniieken,  Jac.  van,  Principes  de  linguistique  psychologique.  [Bibliotheque  de  philo- 
Sophie  experimentale.  IV.]  Paris,  M.  Riviere  (Leipzig,  0.  Harrassowitz)  1907. 
Vin,  552  s.     10  m. 

Glossen.  —  Fasbender,  Joseph,  Die  Schlettstadter  Vergilglossen  und  ihre  ver- 
wandten.    [Strassburger  dissert.]     Strassburg  1907.     119  s. 

Goethe.  —  Wolff,  Eugen,  Der  junge  Goethe.  Goethes  gedichte  in  ihrer  geschichtl. 
entwicklung  herausgegeben  und  erläutert.  Oldenburg  und  Leipzig,  Schulzesche 
hofbuchhandlung  o.  j.     XII,  671  s.     7,50  m. 

Grägäs.  —  Merker,  Paul,  Das  strafrecht  der  altisländischen  Grägäs.  Altenburg 
1907.     98  s. 

Ileermann,  Johann.  —  Hitzeroth,  Carl,  Joh.  Heermann.  Ein  beitrag  zur  ge- 
schichte  der  geistlichen  lyrik  im  1l7.  Jahrhundert.  [Beiträge  zur  deutschen  litt.- 
wissensch.  IL]     Marburg,  Elwert  1907.     VIII,  184  s.      4  m. 

Hertz,  Wilh.,  Aus  dichtung  und  sage.  Vorträge  und  aufsätze  hrg.  von  K.  Voll- 
möller.     Stuttgart  und  Berlin,  Cotta  1907.     X,  219  s.     3  m. 

Kalff,  G. ,  Geschiedenis  der  nederlandsche  letterkunde.  3de  deel.  Groningen,  Wolters 
1907.     (VI),  580  s. 

Kleist,  Ileinr.  von.  —  Kaper,  Ernst,  Heinrich  von  Kleist:  Robert  Guiskard. 
[Kopenli.  dissert.]     Kcbenh.  og  Krist.,  Gyldendal  1908.     (VIII),  159  +  VII  s. 

Ludwig,  Otto.  —  Otto  Ludwig -Studien  von  Wilhelm  Schmidt-Oberlüssnitz. 
Band  1:  Die  Makkabäer.  Eine  uutersuchung  des  trauerspiels  und  seiner  uuge- 
druckten  vorarbeiten  nebst  einem  ausblick  auf  Zachar.  Werners  'Muttor  der 
Makkabäer'.     Leipzig,  Dioterich  1908.     XII,  143  s.     3,00  m. 

Ortnuiniicn  i  Älvsborgs  län  pä  ofl'cntligt  uppdrag  utgivna  av  Kuiigl.  urtnamnskommitcu. 
Del  10:  Redvägs  härad.     Stockholm,  Aktiebolagot  Ljus  1908.     (IVj,  288  s. 


256  NACHKICHTEN 

Oswald.  —  Der  Münchener  Oswald.  Text  und  abhandlung  von  Georg  Baesecke. 
[Germanist,  abhandlungen  .  .  .  hrg.  von  Fr.  Vogt.  28.]  Breslau,  Marcus  1907. 
XVIII,  445  s.     16  m. 

Pfaff,  Friedr.,  Der  minnesang  im  lande  Baden.  [Neujalirsblätter  der  badiscben  bi.stor. 
kommission,  neue  folge  11.]    Heidelberg,  Carl  Winter  1908.    XXIII,  71s.    1,20  m. 

Quellen  und  forschungen  zur  deutscheu  Volkskunde  hrg.  von  E.  K.  Blümml.  Band  I 
und  II.     Wien,  E.  Ludwig  1908.     (VI),  164  und  (IV),  63  s.     2  und  6  m. 

Inhalt:  Heitere  volksgesänge  aus  Tirol  (tisch-  und  geseUschaftsheder)  mit  sing- 
weisen im  Volke  gesammelt  und  zusammengestellt  von  Franz  Friedr.  Kohl.  — 
Bremberger-gedichte.     Ein  beitrag  zur  Bremberger  sage  von  Arthur  Kopp. 

Sclilenmi,  Julie,  Wörterbuch  zur  Vorgeschichte.  Ein  hilfsmittel  beim  Studium  vor- 
geschichtlicher altertümer  von  der  paläolithischen  zeit  bis  zum  anfange  der  pro- 
vinzial- römischen  kultur.     Berlin,  D.  Eeimer  1908.     XVI,  689  s.     geb.  20  m. 

Schmidt ,  P.  W.,  Die  sprachlaute  und  ihre  darstellung  in  einem  allgemeinen  linguisti- 
schen aiphabet.  [Separatabdruck  aus  'Anthropos',  bd.  II.]  Salzburg  1907.  IV, 
126  s.  und  1  tab. 

Schupp,  Joh.  Balthasar.  —  Lühmann,  Joh.,  J.  B.  Schupp.  Beiti'äge  zu  .seiner 
Würdigung.  [Beiträge  zur  deutschen  litt.-wissensch.  IV.]  Marbui'g,  El  wert  1907. 
VI,  106  s.     2  m. 

Thomseu,  Vilh.  og  Winimer,  Ludw.,  Bornholmsk  sproglsere.  (Ssertryk  af  Bornholmsk 
ordbog  af  J.  C.  S.  Espersen,  med  indledning  og  tillseg  udg.  af  det  Kgl.  danske 
videnskabernes  selskab.)    K0benhavn,  Bianco  Lunos  bogtrykkeri  1908.  (VI),  171  s. 

Waag,  Albert,  Bedeutungsentwicklung  unseres  Wortschatzes,  ein  blick  in  das  Seelen- 
leben der  Wörter.     2.  aufl.     Lahr,  Schauenburg  1908.     XVI,  183  s.    geb.  3,50  m. 

Wunderhoru.  —  Eieser,  Ferd.,  'Des  knaben  wunderhorn'  und  seine  quellen.  Ein 
beitrag  zur  geschichte  des  deutschen  Volksliedes  und  der  romautik.  Doiimund, 
Euhfus  1908.     XII,  560  s.     16  m. 


NACHRICHTEN. 

Am  11.  februar  verschied  zu  Freiburg  i.  Br.  der  ordentliche  honorarprofessor 
dr.  Elard  Hugo  Meyer  (geb.  zu  Bremen  6.  october  1837). 

Professor  dr.  K.  v.  Amira  in  München  wurde  zum  mitgliede.>  der  dänischen 
akademie  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen,  professor  dr.  Hermann  Paul  in  München 
zum  mitgliede  der  schwedischen  akademie  der  Wissenschaften  in  Upsala  und  professor 
dr.  Hugo  Gering  in  Kiel  zum  mitgliede  der  schwedischen  gesellschaft  der  Wissen- 
schaften in  Gotenburg  gewählt. 

Der  ausserordentl.  honorarprofessor  dr.  Karl  Drescher  in  Breslau  wurde  zum 
ausserordentl.  professor  ernannt;  der  privatdocent  dr.  Fr.  v.  d.  Leyen  in  München 
erhielt  titel  und  rang  eines  ausserordentl.  professors. 

Der  ausserordentl.  professor  dr.  Gustav  Binz  in  Basel  ist  zum  Stadtbibliothekar 
in  Mainz  ernannt  worden. 

Professor  dr.  Gustav  Eoethe  in  Berlin  wurde  der  titel  geheimer  regierungsrat, 
professor  dr.  E.  M.  Werner  in  Lemborg  der  titel  hofrat  verliehen. 

An  der  Universität  Halle  habilitierte  sich  dr.  Kurt  Jahn  für  germanische 
Philologie. 

Bachdrackerei  des  'Waisenbaases  in  Halle  a.  S. 


DIE  mSCHEIFT  DEE  SPANGE  VON  BALINGEN. 

Im  Sommer  1887  weilte  Sven  Söderberg  in  Stuttgart  und  unter- 
suchte in  der  k.  Staatssammlung  vaterländischer  altertümer  eine  von 
Kieger  am  ende  seines  artikels  über  die  Freilaubersheimer  spange  (Zeit- 
schrift 5,  381)  erwähnte,  dieser  Sammlung  gehörige  silberspange,  auf  deren 


/ 


rückseite  sich  angeblich  runen  befinden  sollten.   Diese  meinuug  Riegers 


't> 


erwies  sich  Söderberg,  der  vielmehr  nur  zubillige  ritze  feststellte,  als 
irrig,  dagegen  glückte  es  ihm  auf  der  rückseite  einer  anderen  fibel  dieser 
Sammlung  tatsächlich  eine  Inschrift  zu  entdecken,  deren  losung  und 
deutung  er  in  den  'Prähistorischeu  blättern'  hrg.  von  Julius  Naue,  2.  jg., 
München  1890,  s.  .'33  —  41  unter  dem  titel  'Eine  neuentdeckte  alleman- 
nische  runeninschrift',  gezeichnet  'Lund,  märz  1890'  veröffentlichte.  Es 
handelt  sich  um  eine  bei  Balingen  in  Württemberg,  Schwarzwaldkreis, 
gehobene  und  von  Ludwig  Mayer  in  seinem  'Beschreibenden  katalog 
der  k.  Staatssammlung',  1.  abtcil.:  die  reihengräberfundc,  Stuttgart  1883 
unter  nummor  5G7  behandelte,  goldene  gcwandnadelsclieibe  mit  silberner 

ZKITSCUIUFT   F.    UEÜTÖCHE   PHILOLOÜIE.      BD.    XL.  17 


258  V.   GRIENBERGER 

iinterplatte  von  42  mm  durchmesser,  deren  Vorderseite  Söderberg  s.  34 
nach  der  abbildung  Mayers  samt  dem  zugehörigen,  beschreibenden  texte 
des  katalüges  reproduciert. 

Von  der  inschrift  der  rückseite  gewahrte  Söderberg  bei  erster  be- 
sichtigung  ein  runisches  d  und  las,  als  die  platte  mit  wasser  gereinigt 

15  10  ^_^15 

war,  die  vollständige,  linksläufige  zeile,  die  er  a/lfdiiloamiluii^'C 
translitterierte  und  aus  der  er  in  der  begründeten  Voraussetzung,  dass 
zwischen  die  beiden  vocale  o  und  a  eine  wortgrenze  falle,  zunächst  einen 
Personennamen  im  dativ  *Amilunge  ausschied. 

Aus  diesem  dativ  ergab  sich  für  ihn  im  zusammenhange  damit, 
dass  der  vorhergehende,  auf  o  endigende  complex  dnio  ein  personen- 
name  im  norainativ  sein  könne,  der  schluss  auf  eine  jener  dedications- 
formeln,  die  Henning  für  die  beiden  Nordendorfer  spangen  und  die 
Spange  von  Ems  behauptet  hatte,  für  welche  ausserdem  die  urnord.  in- 
schrift des  Steines  von  Krogstad  nach  der  damals  vorliegenden  auffassung 
Bugges  in  der  Tidskrift  f.  phil.  og  paed.  8,  167  fgg.  (formuliert  s.  171/2) 
einen  beleg  darbiete.  Da  jedoch  der  complex  dnlo  kein  sprechbares 
wort  darstellt,  ergab  sich  für  Söderberg  die  annähme  graphischer  aus- 
lassung  der  inlautenden  vocale.  Als  volle  lesung  schlug  er  *Danilo 
vor,  was  sich  mit  rücksicht  auf  den  z.  j.  693  bezeugten,  westgotischen 
namen  Danila  um  so  mehr  empfahl,  als  ja  in  der  auslautsilbe  lo  das 
german.  deminutivsuffix  von  personnamen  -ilo  kaum  zu  verkennen  ist. 

In  die  auflösung  *danilo  amilunge  waren  aber  die  vor  dem  d 
stehenden  ruuen  noch  nicht  mit  einbezogen.  An  zweiter  stelle  der  zeile 
hatte  Söderberg  unter  'mehreren  strichen,  aus  denen  er  keine  bekannte 
runenform  habe  auffinden  können'  allein  einen  absteigenden  Schrägstrich, 
der  einem  h  oder  ii  angehören  könne,  als  wirklich  geritzt  anerkannt. 
Daran  knüpfte  nun  Bugge  noch  im  jähre  1887  die  Vermutung,  dass  an 
eben  dieser  stelle  ein  volles  h  zu  lesen  und  die  sich  demnach  ergebende 
buchstabenfolge  *ahlf  als  verkehrte  schreibang  für  -'Jialf-  zu  betrachten 
und  mit  dem  folgenden  dnlo  zu  einer  deminutivbildung  des  namens 
Halfdanr  zu  verbinden  sei. 

Söderberg  Hess  sich  von  dieser  Vermutung  gerne  überzeugen,  da 
sich,  wie  er  hinzufügt,  verkehrte  Schreibung  von  vocal  +  consonanz 
auch  bei  dem  namensteile  oivlpii-  für  ivolpu-  der  zwinge  von  Thorsbjeig 
nachweisen  lasse  und  der  einfache  personenname  Dam-  im  norden  nur 
selten,  dagegen  das  compositum  Halfdanr  ausserordentlich  häufig  sei. 

Da  es  ihm  aber  doch  keineswegs  entgicng,  dass  der  erste  teil  der 
vermuteten  namensform   ''Halfdanüo   nordisch   sei  —   deutsch  wäre  ja 


DIR   rXSCHRIFT   DER   SPANGE   VON   BALINGEN  259 

halb-  zu  erwarten  —  der  auslaut  des  suffixes  aber  nicht,  denn  dieser 
muss  beim  urnordischen  masculinum  der  ;<-declination  als  a  erscheinen, 
so  vermittelte  er  diese  Widersprüche  derart,  dass  er  die  form  als  deutsche 
derainutivbildung  des  aus  dem  nordischen  entlehnten  namens  Ilalf- 
dan()j  erklärte. 

Die  ruuentypen  der  Inschrift,  urteilte  Söderberg  des  weiteren,  seien 
die  allgemein  germanischen,  die  auf  dem  bracteaten  von  Vadstena  und 
in  der  mehrzahl  der  Inschriften  (der  urnordischen  und  deutschen,  hätte 
wol  gesagt  werden  müssen)  erschienen,  eine  ausnähme  bilde  nur  das 
iig,  das  hier  nicht  aus  zwei  gegeneinander  gekehrten  lc:<>  zusammen- 
gesetzt sei,  sondern  nur  den  zweiten  teil  des  vollständigen  Zeichens 
darstelle.  Das  Verhältnis  des  ng  von  Balingen  zu  dem  gewöhnlichen 
zeichen  könne  wegen  Unzulänglichkeit  des  bekannten  inschriftenmaterials 
nicht  näher  bestimmt  werden,  doch  sei  es  wahrscheinlich  nur  eine  Ver- 
einfachung der  vollen  rune.  An  eine  bewertung  der  einem  w^ende-/ü 
gleichen  letter  mit  nk  statt  ng  sei  nicht  zu  denken,  da  die  Inschrift 
vermutlich  älter  sei,  als  die  speciell  hochdeutschen  lautverschieb ungen. 
Genau  könne  das  alter  der  inschrift  indessen  weder  aus  ihren  schrift- 
noch  aus  ihren  sprachformen  ermittelt  werden.  Die  Balinger  fibel  stamme 
aus  einem  grabe,  aber  es  fehle  die  kenntnis,  ob  mit  ihr  andere  gegen- 
stände gefunden  worden  seien;  doch  kannten  wir  eine  grosse  anzahl  von 
goldfibeln  derselben  gattung:  scheibenförmig  mit  filigran  und  buntfarbigen 
steinen  geschmückt,  die  aus  gräborfunden  des  5.  und  6.  jhs.  herrührten. 
Da  nun  die  kleineren  formen  derselben,  w^ozu  auch  die  Balinger  spange 
geiiöre,  (mit  berufung  auf  Lindenschmit,  Handbuch  d.  deutscheu  alter- 
tumskunde  1,  445)  die  älteren  seien,  könnten  wir  diese  und  ihre  in- 
schrift in  eine  zeit  verlegen,  die  nicht  später  als  um  500  n.  Chr.  an- 
zusetzen sei. 

Der  publication  Söderbergs  ist  s.  35  eine  von  dem  herausgcber 
der  Prähistorischen  blätter  J.  Naue  selbständig,  ohne  beihilfe  Söderbergs 
ausgeführte  Zeichnung  beigegeben,  die  einen  querdurchmesser  von  41  mm 
(gegen  42  mm  des  originales)  besitzt  und  demnach  als  abbildung  in 
natürlicher  grosse  gelten  kann. 

Beachtenswert  ist  an  ihr  ausser  der  individuellen  auffassung  der 
runeu  zu  beginn  bis  exclusive  zum  d  und  am  ende  inclusive  vom  u 
an  noch  der  umstand,  dass  die  platte  an  der  einen  halbmondförmigen 
bruchsteile  oben,  rechts  vom  nadellager,  noch  nicht  die  besserung  mit 
2  eingekitteten  fragmenten  zeigt,  die  das  original  heute  hat,  sondern 
dass  an  ihr  beide  ausbruchsstellcn,  rechts  oben  wie  links  unten,  noch 
offen  sind.     Zum  zweiten  male  wurde  die  inschrift  von  G.  Stephens  ver- 

17* 


260  V.  GRIENBERGER 

öffentliclit,  in  dessen  nachgelassenem,  von  Söderberg  1901  zur  ausgäbe 
besorgten  vierten  bände  der  Old-Northern  Kunic  Monuments  sie  auf 
s.  64  —  66  behandelt  ist. 

Stephens  gewährt  eine  abbildung  der  Vorderseite  der  spange  ganz 
wie  Söderberg,  doch  eine  selbständige  von  Magnus  Petersen  ausgeführte 
Zeichnung  der  rückseite,  die  mit  44  mm  querdurchmesser  die  natürliche 
grosse,  etwas  überschreitet.  Nach  dieser  abbildung  wären  beide  bruch- 
steilen, gebessert,  was  dem  originale  nicht  entspricht  und  auch  nicht 
als  Vervollständigung  des  bildes  im  sinne  des  intact  gedachten  originales 
angesehen  werden  kann,  da  die  hinzugezeichneten  ausfüllungen  der 
beiden  bruchsteilen  mit  einem  schnurartigen  rand  versehen  sind,  von 
dem  weder  die  unversehrte  circumferenz  der  platte,  noch  die  beiden 
fragmente  der  einen  wirklichen  besserung  derselben  auch  nur  irgend 
eine  spur  zeigen. 

In  der  lesung  des  complexes  ^dnlocemilumj  entfernt  sich  Stephens 
nicht  wesentlich  von  Söderberg,  nur  dass  er  seinem  bekannten  trans- 
litterierungsschema  gemäss  die  a-rune  mit  cc  widergibt  und  das  mj- 
zeichen  zum  Schlüsse  als  k  auffasst,  das  aber  doch  den  lautwert  nk  oder 
ng  besitzen  soll.  Zu  beginn  liest  Stephens  anstelle  von  *ahlf  vielmehr 
cenpa^  beziehungsweise,  da  er  vor  dem  a  noch  ein  s  wahrzunehmen 
glaubt:  *sainpa^  was  die  dritte  sing,  praeteriti  des  verbums  an.  se/ida, 
ags.  sendan  'to  send'  sein  soll;  zu  ende  der  Inschrift  aber  nimmt  er 
entsprechend  seiner  und  Naues  abbildung  eine  einstabige  rune  i  gegen 
Söderbergs  e  an.  Daraus  ergibt  sich  für  Stephens  eine  'phrasierung 
*scB7i])a  DanUo  Mmilimiji:  'Danilo  sent  (this  brooch  to)  Amilung'. 

Dabei  ist  der  von  Söderberg  auf  ein  runisches  li  bezogene  Schräg- 
strich als  einem  n  angehörig  gefasst,  das  /  Söderbergs  als^  interpretiert 
und  das  zeichen  unmittelbar  voi-  d  als  ?/r- rune  erklärt,  deren  wert  nach 
Stephens  schema  als  a  bestimmt  wird. 

Da  Stei^hens  die  spange  durch  längere  zeit  in  Kopenhagen  hatte 
und  sie  ungleich  Söderberg,  der  sie  nur  einmal  untersuchte,  wiederholt 
beobachten  konnte,  war  es  geboten  seine  angaben  über  den  eingang  und 
schluss  der  Inschrift  nachzuprüfen  und  zwar  um  so  mehr,  als  auch  die 
Zeichnung  Naues  in  manchen  punkten  gegen  die  lesung  Söderbergs  spracb. 

Einer  von  mir  an  die  direction  der  k.  Staatssammlung  vaterländi- 
scher altertümer  in  Stuttgart  geleiteten  bitte  um  Vermittlung  einer  ge- 
nügenden Photographie  oder  eines  guttaporchaabdruckes  der  Inschrift, 
wurde  in  liberalster  weise  durch  Übersendung  des  Originals  entsprochen, 
die  mich  in  den  stand  setzte  die  legende  der  platte  vom  14.  bis  27.  januar 
d.  js.  wiederholt  mit  freiem  augo  und  mit  der  lupc  zu  prüfen  und  zwei 


DIR   INSCHRIFT    DER   SPANGE   VON    BALINUK.V  2Gl 

vergrösserto  pliotographischo  aufnahmen  (1 . 5  und  2 . 2)  anfertigen  zu 
lassen  ^ 

Die  ergebnisse  meiner  wiederliolten  bcobachtung  bei  verschiedener, 
natürlicher  und  künstlicher  beleuchtung  und  bei  verschiedenen  Stellungen 
der  platte  habe  ich  in  einem  Schlussprotokoll  zusammengefasst,  dessen 
text  ich  hierher  setze. 

Befund  über  die  Inschrift  der  gewandspange  von  Balingen  am 
26.  1.  08  vormittags  10  uhr  15  bis  12  uhr  30;  heller  tag,  wolkenlos, 
linkes  licht. 

Die  Inschrift  läuft  zwischen  zwei  concentrischen  kreisen  (3  und  4 
von  innen  gezählt)  von  rechts  nach  links.  Sie  beginnt  mit  einem  deut- 
lichen «:^,  dessen  aufrechte  hasta  gegen  die  rechte  untere  ecke  des 
nadellagers  convergiert.  Die  Zeichnung  von  Naue,  Prähistor.  bll.  1890 
s.  35,  gibt  die  Lagerung  der  haupthasta  des  a  unrichtig  an;  sie  ist  da- 
selbst zu  sehr  nach  links  abgerückt. 

Die  umrisse  des  a  schimmern  bei  binoculärem  sehen  mit  freiem 
äuge  als  helle  linien.  Unter  der  lupe  (lineare  vergrösserung  1  . 5)  ist 
sowohl  die  haupthasta,  die  sich  durch  eine  gewellte  partie  der  platte 
erstreckt,  sichtbar,  als  insbesondere  die  ansatzstücke  der  beiden  seiten- 
striche  deutlich.  Yor  dem  a  ist  keinerlei  letter  zu  sehen,  also  auch 
nicht  das  von  Stephens  behauptete  s.  Man  sieht  nur  einige  flache  Ver- 
tiefungen der  auch  an  dieser  stelle  gewellten  platte. 

Links  vom  a,  in  etwas  weiterer  distanz,  findet  sich  ein  vom 
oberen  kreise  absteigender  strich,  der  nicht  ganz  geradlinig  verläuft, 
sondern  die  form  einer  nach  rechts  offenen,  jedoch  sehr  flachen  curve 
besitzt.  Dieser  strich  reicht  nicht  ganz  bis  zur  grundlinie,  sondern 
zeigt  nur  etwa  Y^  der  höhe  der  übrigen  hasten.  Rechts  unten,  etwas 
vor  dem  endpunkte,  steigt  ein  kurzer  strich  im  spitzen  Avinkel  an,  der 
die  vorher  beschriebene  verticaFe  hasta  zwar  nicht  genau  zu  treuen 
scheint,  sich  ihr  aber  doch  sehr  stark  nähert. 

Links  oben,  nahe  dem  kopfpunkte  dieser  vorticalen  hasta,  der 
jedoch  nicht  berührt  wird,  sondern  durch  ein  kleines  spatium  getrennt 
bleibt,  steigt  ein  strich  im  spitzen  winkel  ab  (von  ein  wenig  grösserer 
länge,  als  der  unten  ansteigende),  der  sich  im  weiteren  als  vertical 
herabgeführte,  in  der  mitte  etwas  nach  rechts  ausbauchende  (flach- 
geknickte!)  linie  fortsetzt  und,  vom  unteien  viertel  an  nach  rechts  ab- 
brechend, sicii  gegen  die  grundlinie  wendet.  Die  configuration  dieser 
seitlichen  linicncombination  ist  bei  Stephens  ziemlich  richtig  dargestellt. 

1)  Vou  den  2  figuren  s.  257  entsinicht  dio  liuke  dor  kleinereu  aufnähme,  währoud 
die  rechte  eine  reduction  dor  größeren  ist. 


262  V.  GRIENBERGER 

Beim  binoculären  sehen  mit  freiem  äuge  schimmert  das  ganze 
zeichen  in  hellen  linien  und  sieht  an  der  flachen  knickungssteile  der 
zweiten,  seitlichen  Knie  wie  unterbrochen  aus. 

Gegen  die  erste  verticale  des  Zeichens  convergiert,  den  unteren 
seitlichen  aufstrich  berührend,  eine  von  unten  kommende  flache  furche; 
eine  gleiche  furche  schneidet,  gleichfalls  von  unten  kommend,  die 
beiden .  verticalen  linien.  Beide  furchen,  die  sich  unten  treffen,  er- 
innern mit  dem  einen  unteren  aufstriche  zusammen  an  die  gestalt  eines 
umgedrehten,  lateinischen  majuscel-A.  Diese  beiden  furchen  sind  aber 
zufällig  und  nicht  litteral. 

Grundstock  eines  runenzeichens  scheint  die  erstbeschriebene  ver- 
ticale zu  sein,  die  zusammen  mit  den  beiden  seitlichen  strichen  an 
den  enden  den  eindruck  einer  ags.  ^Ä-rune  1,  macht.  Dieses  zeichen  4^ 
erscheint  bekanntlich  auch,  mit  vocalisehem  lautwerte  i  (nach  Henning  e) 
auf  den  deutschen  spangen  von  Freilaubersheim  und  der  grösseren 
Spange  von  Nordendorf. 

Die  zweite,  gebrochene  verticale  an  diesem  zeichen  kann  man 
nicht  leicht  als  blosse  zufälHge  furche  in  der  platte  erklären,  da  sie 
deutlich  geritzt  zu  sein  scheint. 

Zwischen  diesem  ganzen  zeichen  und  dem  vorhergehendem  a  sehe 
ich  keinerlei  letter,  oder  teil  einer  solchen. 

Eine  links  vom  a  befindliche,  einem  gestreckten,  lateinischen  S 
ähnliche,  flache  curve,  dieselbe,  die  in  etwas  anderer  configuration 
Naue  darzustellen  scheint,  ist  eine  furche  in  der  platte  und  der  von 
Naue  gezeichnete  schräge,  von  links  unten  nach  rechts  oben  ansteigende 
querstrich,  etwas  über  der  langen  mittellinie  der  zeile,  den  ich  als 
dunklen  schatten  sehe,  dürfte  eine  Verfärbung  der  platte  sein.  Links 
von  der  gebrochenen,  bogenartigen  linie  steht  eine  kräftig  markierte, 
aufrechte  hasta,  die  ein  wenig  über  die  kopfhnie  emporragt.  Sie  trägt 
links  oben  einen  sehr  deutlichen  aufstrich  und  ebenso  rechts  oben, 
parallel  mit  dem  oberen  seitenstriche  des  vorbeschriebenen  Zeichens. 
Der  rechte  aufstrich  ist  indessen  minder  sicher  und  könnte  auch  als 
flache  rinne  in  der  platte  erklärt  werden,  wiewol  es  auffällig  wäre,  dass 
die  länge  dieser  rinne  auf  die  des  seitendetails  einer  letter  eingeschränkt 
wäre.  Unten  links  findet  sich  ein  deutlicher  geritzter  abstrich,  der 
über  die  grundlinie  hinausragt  und  vom  endpunkte  im  spitzen  winkel 
abbrechend  in  die  rechts-links  ansteigende  diagonale  des  folgenden  d 
übergeht,  wie  das  Naue  und  Stephens  ganz  richtig  gesehen  und  ab- 
gebildet haben. 


DIE    INSCIIKIFT    DKR    SPANGK    VON    BALINGKX  2()3 

IJuten  rechts  glaubt  mtin  zwischen  der  aufrechten  hasta  dieses 
Zeichens  und  dem  schrägen  abstrich  des  vorbeschriebenen  noch  einen 
zarten,  steil  angelehnten,  schiefen  strich  zu  sehen.  Derselbe  dürfte  aber, 
da  er  die  aufrechte  hasta  überschrägt  und  sich  jenseits  derselben  bis 
zum  köpfe  der  ersten  hasta  des  d^  ja  darüber  hinaus  fortsetzt,  nicht 
als  bestandteil  des  buchstabens  beabsichtigt  sein. 

Links  von  diesem  zeichen  und  mit  ihm  in  der  beschriebenen  art 
verbunden,  steht  ein  schönes  runisches  d:  |Xj,  dessen  diagonalen  die  kopf- 
und  fusspuukte  der  aufrechten  hasten  in  ganzer  Spannweite  verbinden. 

Es  folgt  weiter  nach  links  ein  runisches  n  mit  correcter,  linker 
Orientierung  )(.  Zwischen  dem  d  und  dem  ii  sieht  man  wieder  eine 
einem  gestrecktem  S  ähnliche  flache  furche.  Nach  dem  n  findet  sich 
ein  runisches  /,  dessen  aufrechte  hasta  nicht  ganz  senkrecht  orientiert 
ist,  sondern  sich  etwas  nach  links  neigt:  \.  Der  abstrich  des  /  berührt 
das  dach  des  folgenden  runischen  0:5^,  ja  scheint  es  sogar  zu  schneiden 
und  sich  in  den  körper  des  0  (obere  raute!)  hineinzuerstrecken  (auch 
von  Naue  und  Stephens  so  dargestellt!).  Das  steile  dach  des  0,  oben 
etwas  offen,  ragt  beiderseitig  über  die  ansatzpunkte  der  beine  vor.  Der 
kreuzungspunkt  der  beine  liegt  ungefähr  in  der  langen  mittellinie  der 
zeile.  Das  links  aufstehende  bein  ist  geschwungen,  das  rechte,  mehr 
geradlinig,  überschreitet  ein  wenig  die  grundlinie. 

Die  raute  des  0  wird  von  oben  rechts  her  von  einem  bündel 
flacher  rillen,  die  mit  dem  abstriche  des  l  parallel  sind,  getroffen  und 
gekreuzt.  Der  obere  abstrich  der  folgenden  rune  a  durchschneidet  die 
haupthasta  etwas  unter  der  kopflinie.  Ebenso  kreuzt  der  untere  ab- 
strich des  a  die  hasta,  so  dass  beide  ein  wenig  nach  lechts  vorragen. 
Die  ansatzpartien  der  beiden  abstriche  sind  kräftig,  die  unteren  par- 
tien  etwas  zarter  und  seichter. 

Die  erste  hasta  des  folgenden  runischen  7«,  die  sich  deutlich  aus 
zwei  aneinander  gestückelten  strichen  zusammensetzt,  überschreitet  so- 
wül  die  kopflinie  als  die  grundlinie.  Das  innere  kreuz  ist  klar  und 
scharf.  Allerdings  scheinen  die  beiden  ansatzpartien  der  links- rechts 
aufsteigenden  diagonale  niemals  gezogen  worden  zu  sein. 

Es  folgt  eine  vertical  orientierte,  sehr  weite  curve,  die  von  oben 
rechts  nach  unten  links  absteigt  und  im  oberen  teile  die  kopflinie 
überschreitet.  Sie  berührt  nicht  die  linke  hasta  des  /«,  sondern  lässt 
einen  verhältnismässig  weiten  Zwischenraum,  kann  aber  trotzdem  nicht 
anders,  denn  als  seitliche  curve  eines  mit  dem  m  ligiert  gedachten  u 
aufgefasst  werden.  Als  ^-rune  kann  man  die  curve  wegen  ihrer  ganzen 
conformation  nicht  betrachten. 


264  V.  GRIENBERGER 

Die  aufrechte  hasta  der  folgenden  Z-rune  ragt  etwas  über  die 
grundlinie  und  über  den  ansatzpunkt  des  seitlichen  abstriches  vor.  Das 
nächste  zeichen,  ein  runisches  u  ragt  gleichfalls  mit  beiden  hasten  über 
die  grundlinie  hinaus.  Die  seitliche  höhe  (Spannweite!)  der  curve  ist 
verhältnismässig  gering.  Innen,  von  der  mitte  der  curve  nach  unten 
erstreckt  sich  ein  senkrechter  strich  zur  grundlinie  und  aussen  findet 
sich,. von  ungefähr  derselben  höhe  ausgehend,  eine  bis  nahe  zur  grund- 
linie herabgeführte  weitere  curve,  so  dass  man  den  eindruck  hat,  als 
ob  in  das  u  noch  ein  zweites  kleineres  u  eingeschrieben  wäre.  Es  ist 
nicht  ganz  leicht  sich  vorzustellen,  in  welcher  weise  diese  beiden  über- 
flüssigen striche  beim  schreiben  des  u  im  wege  eines  blossen,  zwei- 
maligen, graphischen  fehlers  zu  stände  gekommen  seien,  da  die  mittlere 
curve  in  ihrem  oberen  und  unteren  teile  einheitlich  gezogen  aussieht. 
Doch  ist  es  möglich ,  dass  die  weitere  curve  der  ersten  anläge  des  tt 
angehöre,  der  innere  senkrechte  strich  ein  missglückter  versuch  sei, 
die  rune  zu  verschmälern  und  dass  demnach  die  mittlere  curve  zuletzt 
gezogen  und  als  endgültige  gestaltung  des  Zeichens  anzusehen  sei. 

Nach  dem  ii  folgt  im  oberen  zeilenraume,  in  ziemlich  larger 
distanz,  ein  nach  rechts  offener  haken  <,  der  jedoch  nicht  im  scharfen 
Winkel  gebildet  ist,  sondern  mehr  als  sanfte  curve  auftritt.  Kein  weiterer 
zu  diesem  haken  gehöriger  strich  ist  sichtbar;  der  innere  punkt  in  dem- 
selben, den  Söderberg  sah  und  den  auch  Naue  und  Stephens  darstellen, 
ist  lediglich  als  Vertiefung  oder  Verfärbung  der  platte  aufzufassen. 

Der  haken  ist  nicht  symmetrisch  ergänzt,  obwol  hierzu  der  platz 
ausreichte,  und  eine  ergänzung  augenscheinlich  auch  gar  nicht  angestrebt. 

Nach  dem  haken  findet  sich  eine  schief  von  links  nach  rechts 
ansteigende,  seichte  rinne  der  platte,  die  weit  über  die  kopflinie  hinaus- 
reicht und  nicht  geritzt  ist,  daher  auch  nicht  als  bestandteil  eines  buch- 
stabens  beansprucht  werden  kann.  Im  innersten  kreise  der  platte 
sieht  man  ein  ganzes  bündel  völlig  gleichgestalteter,  paralleler,  seichter 
rillen. 

Ganz  nahe  dem  rechteckigen  ausschnitte,  der  zur  Versenkung  des 
fusses  der  fülle  diente,  findet  sich  gleichfalls  eine  schräge,  flache  noch 
zartere  rinne,  der  man  so  wenig  wie  der  vorhergehenden  irgendwelche 
litterale  bedeutung  beizumessen  berechtigt  ist.  — 

Dieser  befund,  bei  dessen  abfassung  jede  rücksicht  auf  sprachliche 
deutungsmöglichkeiteu  auszuschliessen  war,  lehrt,  dass  dem  complexe 
dnlo  amula  drei,  oder  wenn  das  zweite  zeichen  eine  ligatur  wäre,  vier 
buchstaben  vorausgehen  und  dass  die  Inschrift  mit  dem  nach  dem  u 
im  oberen  zeilenraume  folgenden  haken  abgeschlossen  sei. 


DIK    INSCHRIFT    DER    SPANGE    VON    BALINGEN  2{\h 

Die  sprachliche  deutung  der  inschrift  wird  daran  festhalten  müssen, 
dass  zwischen  den  buchstaben  o  und  a  eine  wortgrenze  lige,  doch 
könnte  die  frage  erwogen  werden,  dass  der  haken  kein  buchstabe, 
sondern  ein  sclilusszeichen  sei,  wonach  man  sich  mit  dem  complexe 
amula  auseinanderzusetzen  hätte. 

Von  vornherein  stritte  dann  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass 
man  in  demselben  einen  fem.  personennamen  im  nom.  oder  dat.  zu  er- 
blicken hätte,  da  das  in  den  germ.  personennamen  so  sehr  häufige 
Clement  amala-  doch  ausserhalb  derselben  nicht  mehr  erreichbar  ist. 

Zweifellos  ist  der  namedes  ostgotischen  königshauses  der  Amali  aus 
dem  lebendigen  appellativum  geschöpft,  das  macht  ja  schon  der  voraus- 
zusetzende parallelismus  mit  dem  ein  bezeugtes  germ.  adj.  darstellenden 
namen  des  westgotischen  königshauses  in  der  notiz  bei  Jordanes  Get. 
ed.  Mommsen  64,  zeile  44fg.  Vesegothae  famüiae  BaWioruni,  Ostro- 
gotliae  praeclaris  Amalis  serviebant  wahrscheinlich,  aber  der  name  des 
Stammheros  dieses  ostgotischen  königshauses  ^v;?«/  a  quo  et  origo'Aiita- 
lorum  decurrit^  Jordanes  Get.  76,  17fg.,  der  den  singular  des  familien- 
namens  darstellt,  ist  doch  eigentlich  schon  kein  beweis  mehr  für  das 
appellativum  und  ebensowenig  wandal.  Fridamal,  Anthol.  lat.  ed.  Riese 
12  s.  257,  eine  pseudonymische  Umdrehung  von  *Amalafridus,  in  der 
sich  eine  deutliche  beziehung  auf  den  familienuamen,  doch  keine  solche 
für  die  appellativische  geltung  des  wertes  erkennen  lässt;  ja  selbst  die 
namen  des  ostgot.  königshauses  wie  Amala- frida,  -suintha^  -hcrga,  -ricns 
(a.  531  —  48),  Jordanes,  und  westgot.  Amalaricus  7'ex  a.  507  —  31,  Mon. 
germ.  bist,  legum  Sectio  1,  tom.  1,  dürften  eher  auf  der  basis  des  familien- 
namens,  als  auf  der  des  ursprünglichen  appellativums  ihre  erklärung 
finden.  Der  Wechsel  des  suffixvokales  ahd.  Amal  und  A)mil  charak- 
terisiert das  wort,  von  dem  man  annehmen  kann,  dass  es  ursprünglich 
gleich  Balthi  ein  beiwort  sei,  als  ein  solches  der  got.  kategorie  slahals, 
slalmh,  die  von  verben,  secundär  aber  auch  von  Substantiven  ausgeht 
und  mit  dem  begriffe  der  gcneigthcit  zu  etwas  verbunden  ist. 

Es  steht  nichts  dawider  got.  *amals,  *amuls  auf  grund  der  aisl. 
Wörter  a))if  m.  'vexation,  annoyance',  mod.  «Ö  vo^a  e-m  til  aaia  'to 
become  a  cause  of  vexation  to'  und  a77ia,  -ab  'to  vex,  annoy,  molest', 
mit  dem  dativ  der  person  ci'gi  skuluh  per  ama,  Cleasby-Vigfusson,  zu 
construieren  und  eine  bedeutung  nach  den  werten,  die  Fritzner  zum 
verbum  angibt:  1.  'bryde,  ulejlige,  forulempe',  2.  'fole,  vise  uvilje  mod 
en  eller  noget'  in  der  sphäre  der  psychischen  emotion,  des  ags.  eorre 
etwa,  zu  suchen. 


2(j()  V.  GRIENBERGKU 

Dieses  aclj.  möchte  man  auch  für  das  westgerm.  fordern,  da  die 
einfachen  namensformen  wie  langobard.  Amolus,  Brückner  s.  228,  ahd. 
Ämal,  Äimil,  Libri  confrat.  doch  avoI  nicht  aus  dem  got.  dynastieuamen 
entlehnt  sein  werden,  während  ja  allerdings  die  westgerm.  composita  mit 
av/al-,  insoferne  sie  das  appellativum  enthalten,  als  urgerman.  erb- 
formen erklärt  werden  können  und  Weiterbildungen  wie  Amilo,  Amulo, 
Äniela.,  Amulunc,  Libri  confrat,  insoweit  sie  blosse  ouomatologische 
derivate  sind,  für  gleichzeitige  lebendigkeit  eines  westgerm.  adjectivs 
amal  nichts  beweisen. 

* Aomdu  als  stf.  nominativ  ergäbe  mit  dem  vorhergehenden  masc. 
namen  diiJo  ein  paar  wie  etwa  auf  dem  steine  von  Berga  Fino  /  Sali- 
gastin,  als  stf.  dativ  aber  eine  widmungsformel  wie  alat.  Dindia 
MacoJnia  fdeai  dedit . . .  (cista  von  Praeueste)  und  man  könnte  in  diesem 
falle  raten,  dass  die  vor  dnlo  stehenden  runen  ein  verbum  des  schenkens 
enthielten. 

So  naheliegend  aber  die  auffassung  des  hakens  als  Schlusszeichen 
sei  und  so  sehr  sie  durch  die  ags.  Inschrift  auf  der  bodenplatte  des 
Braunschweiger  kästchens  empfohlen  werden  könnte,  die  am  ende  der 
beiden,  textlich  identischen  langzeilen  gleichfalls  einen  gegen  das 
schliessende  u  gekehrten  haken  im  oberen  zeilenraume  zeigt  und  so 
wenig  die  von  Söderberg  getroffene  Wertbestimmung  des  letzten  Zeichens 
der  Balinger  Inschrift  als  /ig  durch  ein  zweites  beispiel  gestützt  werden 
kann,  so  möchte  ich  doch  von  ihr  nicht  abgehen,  da  auf  dem  Braun- 
schweiger kästchen  die  nichtlitterale  bedeutung  des  hakens,  durch  bei- 
gesetzte ornamentale  halbkreise  |-j(  und  j^(^^  kenntlich  gemacht  wird, 
da  ich  ferner  ein  verbum  des  schenkens  aus  den  einleitenden  runen 
vor  dnlo  nicht  zu  gewinnen  vermag  und  das  princip  gelegentlicher 
sowol  als  typischer  Vereinfachung  von  buchstabenformen  in  der  runen- 
schrift  zur  genüge  bekannt  ist. 

Die  graphische  grundlage  der  glaublich  vereinfachten  ;«/-rune  von 
Balingen  kann  aber  selbstverständlich  nicht  die  im  mittleren  zeilenraume 
situierte,  geschlossene  raute  des  bracteaten  von  Vadstena  oder  des 
Steines  von  Opedal  $  sein  und  noch  weniger  das  stehende  rechteck  des 
Steines  von  Kylfver,  sondern  nur  eine  aufgelöste  form  dieses  buchstabens 
und  dann  widerum  nicht  die  in  der  horizontalen  mittellinie  geöffnete 
form  des  goldenen  hornos  von  Gallehus  0 ,  sondern  die  in  der  vertikalen 
geöffnete  und  zugleich  verschobene  des  hobeis  von  Vimose  <>,  die  sich 
so  sehr  mit  der  offenen  jära-nine  der  got.  und  urnord.  Inschriften  be- 
rührt. Wegen  der  position  des  einen  hakens  im  oberen  zeilenraume 
und   wegen  der  stilistisch   zu   fordernden  symmetrischen    lagerung  der 


DIE    INSCHRIFT    DEH    SPANGE    VON    BALINGEN  2Ü7 

beiden  teile  zur  langen  mittellinic  der  zeile  muss  man  annehmen,  dass 
die  vollständige  form  des  ng  im  deutschen  alphabete  der  Balinger  spange 
nicht  die  der  unverschobenen,  wenn  auch  geöffneten  raute  <>,  sondern 
mehr  eine  der  got.  und  urnord.  jia?'a-rune  nahestehende,  etwa  <>  gewesen 
sei  und  dass  dementsprechend  die  ^-rune  dieses  alphabetes  die  gerad- 
linige bildung  der  spange  von  Charnay  jJ  und  des  Kragehuler  lanzen- 
schaftes  V\  besessen  haben  werde,  denn  dass  beide  zeichen  im  alphabete 
formell  geschieden  gewesen  sein  müssen,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 

Wenn  nun  die  inschrift  von  Balingen  nur  den  oberen  und  äusseren 
teil  der  completen  ing-rwuQ  setzt,  so  kann  das  eine  graphische  Ver- 
einfachung sein,  denn  dieser  teil  ist  der  charakteristischere,  der  zugleich 
eine  ergänzung  der  vollen  form  in  der  Vorstellung  zulässt,  und  es  wäre 
diesbezüglich  an  das  vereinfachte  b  der  einen  Pallersdorfer  (Bezenyer) 
spange  b  zu  erinnern,  das  gleichfalls  nur  den  einen,  liier  unteren  bogen 
des  Seitendetails  der  vollständigen  rune  B  zum  graphischen  ausdrucke 
bringt,  oder  es  kann  die  orthographische  absieht  obwalten,  das  im.  aus- 
laute stehende  ng  vom  inlautenden  zu  scheiden. 

Das  auslautende  ifg  erfordert,  insofern  es  als  reine  volare  nasalis  iJg 
ohne  folgendes  g  gesprochen  wird,  nur  bildung  des  artikulationsver- 
schlusses  und  verklingen  der  nasalis  im  verschlusse  ohne  folgende, 
akustisch  sich  verratende  lösung,  während  im  inlaute,  sagen  wir  etwa 
in  der  genitivendung  -  miges  sowol  Verschlussbildung  als  Öffnung 
deutlich  werden,  die  der  nasalis  in  dieser  position  weitaus  mehr  als 
inlautendem,  sich  leicht  zur  folgenden  silbe  ordnendem  m  und  )i  {-umes, 
'Unes  wie  -u-mes^  -u-nes!)  den  Charakter  einer  geminata  aufprägen. 
Man  kann  sich  also  denken,  dass  der  verfertiger  der  inschrift  oder  auch 
schon  das  ihm  bekannte  aiphabet  der  verschiedenen  ausspräche  des  in- 
lautenden und  auslautenden  ng  durch  volle  und  vereinfachte  form  der 
i/TVy-rune  rechnung  trug. 

Im  sinne  dieser  betrachtung  ergibt  sich  ein  namenpaar  d)ilo 
amidung,  das  sich  als  masc.  personenname  mehr  patronymikon  6iner 
person  definieren  lässt. 

Hinsichtlich  der  auflösung  des  mit  ausgelassenen  mittelvokalen  ge- 
schriebenen namens  dnlo  kann  man  schwerlich  etwas  besseres  vorschlagen 
als  schon  Söderberg  gefunden  hat. 

Der  westgot.  name  eines  der  unterfertiger  der  Concilsacten  von 
Tolet  vom  jähre  693  Danila  comrs  subscripsi ,  Mon.  Oerm.  bist,  leguni 
Sectio  1,  tomus  1,  Hannoverae  1902,  486,35  muss  westgerm.  *'I)anilo 
lauten  und  ich  möchte  von  der  vocalisierung  des  complexes  dnlo  mit  a 
schon  deshalb  nicht  abgehen,  weil  die  kürzung  mit  rücksicht  auf  den 


2(j8  V.  (tRienbergeu 

rimennamen  des  d  :  got.  daax^  an.  dagr,  ags.  dreg,  ahd.  lac  getroffen  sein 
kann.  Dem  entsprechend  sind  andere  vocalisierungen  wie  etwa  ''D/niilo 
nach  westgot.  Dunila  conc.  Tolet.  638  —  53,  oder  '^Dinilo  nach  Ditia 
fem.  9  Po!.  R.,  Dinane  abl.  Pardessus  a.  711,  wenn  auch  an  sich  möglich, 
so  doch  minder  empfohlen. 

Auch  gegen  den  ansatz  von  i  in  der  suffixsilbe  wird  sich  füglich 
nichts  einwenden  lassen.  Der  vocal  der  schwachen  deminutiva  mit  l- 
suffis  wird  sicherlich  ursprünglich  vom  themavocal  bestimmt,  wie  got. 
inagula  neben  magus  lehrt,  aber  harnilo  zeigt  nicht  das  thematische  a 
des  neutrunis  baru  sondern  hellvocal,  der  aus  den  2"-stämmen  bezogen 
sein  oder  vielleicht  auch  auf  dem  mit  ä  ablautenden  e  der  a-reihe 
beruhen  kann.  Dieser  typus  der  deminutivbildung  von  barnilo,  ma- 
tvilo,  Merila  ist  in  den  personennamen  vorzugsweise  productiv,  und 
es  muss  daher  *Dcniilo  um  so  mehr  erwartet  werden,  als  das  zu  gründe 
liegende  primitiv  an.  Danr,  westgerm.  *Dcmi  ein  /-stamm  ist.  Auch 
Synkope  des  mittelvocales  wie  in  westfränk.  Wanla  fem.  9  Pol.  R.,  got. 
FrithJa  masc.  P.  VIU,  23,  ahd.  Eblo  P.  XYI,  487,  urnord.  Oula,  Fösla, 
an.  Atle  ist  als  spätere  erscheinung  für  die  spangeninschrift  von  Balingen 
auszuschliessen. 

In  ahd.  zeit  müsste  der  name  im  einklange  mit  Halbtene  Libri  con- 
frat,  mhd.  ein  Tene,  pl.  die  Tene  umlaut  besitzen  und  nach  analogie 
der  ahd.  deminutiva  Epilo^  Etxilo,  Nendilo,  üuenilo  als  *Temlo  auf- 
treten. Bei  Synkope  des  suffixvocales  ergäbe  sich  *Tenlo,  neualem. 
*Tenle,  was  sich  den  als  familiennamen  bewahrten  deminutiven  namen 
Eble,  Elxle  angliederte.  Doch  scheint  es  mir  auch  nicht  ausgeschlossen, 
dass  der  in  Libri  confrat.  mehrmals  begegnende,  auch  im  Wirt.  Urkunden- 
buch^  VI,  497  zum  jähre  ca.  803  — 17  bezeugte  name  Tcllo  mittels 
assimilation  von  nl  in  II  auf  *Temlo  zurückgehe. 

Ob  die  deminutivform  *DaniIa  aus  einfachem  *I)ani  oder  aus  einem 
compositum  mit  diesem  elemente  im  zweiten  teile  stamme,  könnte  wol 
gefragt,  aber  schwerlich  beantwortet  werden,  wie  es  ja  auch  nicht  zu 
entscheiden  ist,  ob  das  patronymikon  A))ndung  von  einem  einfachen 
Anml,  oder  einem  zusammengesetzten  vollnamen  mit  diesem  worte  im 
ersten  teile  ausgehe.  Auch  darüber,  ob  Ämulung  patronymikon  im 
engeren  sinne,  d.  h.  vom  Vatersnamen  des  *Danilo  aus  gebildet  sei,  oder 
schon  familienname,  der  an  einen  älteren  ascendenten  anknüpft,  wird 
man  sich  der  endgiltigen  ontscheidung  enthalten  müssen. 

Die  streng  patronymische  function  der  m^-ableitungen  tritt  uns 
in  der  gencalogie  des  königs  ^Epelwulf  entgegen ,  der  in  der  Parkerhs.  der 

1)  Stuttgart  1849  fg. 


DIE   INSCHRIFT   DER   SPANGE   VON    BALINGEN  269 

Chronik  (hg.  v.  Earle)  zum  jähre  855  durch  inclusive  32  vorfahren  auf 
Itermon  Hräjwaing  und  durch  inclusive  10  weitere  vorfahren  der 
ascendenz  Noe's  auf  Adam  zurückgefüiirt  wird,  so  dass,  da  wir  den 
vatcr  Itermons:  "^Hräpra  als  söhn  Noe's  aufzufassen  haben,  die  ge- 
samtzahl  der  vorfahren  JEpelwulfs  einschliesslich  Adam  43  beträgt.  In 
der  german.  reihe  dieses  Stammbaumes  geht  die  patronymische  bildung 
mit  hig  durch:  Ond  se  jEpcliculf  ivces  Ecgbrehting ,  Ecghnjlit  Ealh- 
munding,  Ealhmmid  Eafuig^  nur  bei  Ingild  unterbrochen,  für  den  zu- 
sammen mit  seinem  bruder  lue  der  ausdruck  Cenredes  suna,  nicht 
*Ce)iredingas  gewählt  ist.  Ebenso  finden  wir  rein  patronymische  Wir- 
kung bei  dem  namen  des  Friesenkönigs  Ein  Folcwahling  WidsiÖ  27, 
der  Beow.  1089  Folcivaldan  sunu  heisst,  so  wie  in  der  benennung  der 
söhne  des  Goatenkönigs  Hrchcl :  Higcldc  Hrcpling  und  Hcedcen  Hrep- 
ling  Beow.  1923,  2925,  aber  ebenda  1792  wird  der  Dänenkönig  Hröhgdr, 
söhn  des  Healfdcnc,  möglicherweise  nach  seinem  urgrossvater  Scgld 
Scefing,  sicherer  aber  aus  dem  namen  der  familie  der  Scyldingas  als 
gamela  Scgldhtg  bezeichnet,  woraus  sich  ergibt,  dass  die  combination 
dnlo  amulung  im  zweiten  gliede  auch  den  namen  der  sippe  enthalten 
kann.  Das  namenpaar  der  Baliuger  spange  fände  in  diesem  sinne  be- 
trachtet erwünschte  bestätigung  aus  den  Annales  Quedlinburgonses 
P.  Y  31,  wo  es  in  analoger  weise,  vom  Ostgotenkönige  heisst  Amulung 
Theoderic  dicitur,  j^roarifs  suks  Amal  vocahatur.  Der  singular  von 
Balingen  ist  in  diesem  falle,  den  ich  für  wahrscheinlich  erachte,  aus 
dem  plural  einer  familie  '* Ainidungos  geschöpft,  der  sich  den  als  Orts- 
namen fortlebenden  sippennameu  curiis  meus  Diiringas  'Tlieuringeu', 
in  Chisincas,  in  villa  Ailingas,  acl/iin  Heiingas  'Ailingen',  in  Stio- 
xaringas  'Alt-Steusslingen',  et  Cocalingas  .  .  .  similiter  Sechingas,  Fagi- 
mduincas,  Wirtemberg.  Urkundenbuch  I  aus  den  jähren  752 — 777 
anschliesst.  Als  sippen  bezeugt  sind  ausser  den  Helmingas,  HrepUngas, 
Scyldlngns^  Wagmundingas ^  Wglfingas  des  Beow.  u.  a.  die  bair.  Hähi- 
linga  der  Lex  Baiuuarior.,  sowie  die  langobard.  Gugingüs  in  der  ein- 
leitung  des  edictum  Hrotharit,  denn  die  pluralische  natur  dieser  form 
in  der  angäbe  fnit  j)rimus  rex  Agilmund  ex  genere  Gugingüs  wird  durch 
die  german.  plurale  in  den  folgenden  ausätzen  der  königsreihe  quarhis- 
decimus  Agilulf  Turingus  ex  genere  Anauuas  und  sejjtimusdccimns 
ego  in  Bei  nomine  qui  supra  Hrotharit  rex,  filius  Nandinig^,  ex  genere 
Harodos  erhärtet,  ihre  jedesfalls  nicht  im  engeren  sinne  patronymische 

1)  Die  Origo  gent.  Langob.  bietet  bierfür  Kanding  und  Nundincjns,  aber  die 
lesarten  des  Edictum  nandinig  und  nandoin  neben  nandig  und  nandinging  dürften 
eher  einen  vollnamon  ^Nandinig  empfohlen. 


270  V.  GRIENBERGER 

beschaffenheit  aus  dem  durchaus  anders  klingenden  namen  des  vaters 
in  Origo  gent.  Langob.  regem  nomine  Agilmund,  filium  Agio,  ex  genere 
Gugingus  erwiesen.  Die  nomiuative  der  familiennamen  genits  Gugingüs 
mit  lat.  -ils  =  -ös,  geiius  Anauua.s  mit  langobard.  -as  und  genus  Haro- 
dos^  vermutlich  gleichfalls  mit  langobard.  flexion  -os  au  stelle  des  späteren 
-as  stehen  im  lateinischen  in  der  art  eines  indeclinablen  citates,  an 
dessen  stelle  wir  in  correctem  latein  den  genitiv  ^genns  Ougingorum^ 
in  langobard.  fassung  *cuni  Ougingo  erwarten  müssten,  wobei  auf  die 
ags.  bindung  *cyn  Wcegmimdinga ,  die  sich  aus  Beow.  2813  — 14:  Jm 
eart  cndeldf  iisses  cynnes  Wccgmundinga  ergibt,  verwiesen  werden  mag. 
Daran  knüpfen  sich  die  genitivischen  familiennamen  Beoividf  Scyldinga, 
Hncef  Scyldinga  Beow.  53,  1069,  die  doch  für  das  namenpaar  von 
Balingen  ausser  spiel  bleiben,  da  hinter  Amtdung  kein  als  genitivflexion 
deutbarer  vocal  steht. 

Als  Personenname  mit  wechselndem  mittelvocal  a,  e,  u  ist  Amu- 
lung  in  späteren  quellen  mannigfach  bezeugt,  darunter  in  völlig  ein- 
stimmender form,  d.  h.  mit  mittlerem  u  und  auslaut  g  im  UOE,  II, 
124  z.  j.  1103,  latein.  flectiert  eundem  Amalungo  z.  j.  970  —  73  in  P. 
VIII,  624  Annalista  Saxo,  mit  auslautendem  c:Amahmc  in  Libri  con- 
frat.  II  502,  23.  Als  possessivischer  genitiv  erscheint  der  einzelname 
in  der  ortsbe7aQiG]inung  Ämcdimgesdorjjf  in  Thüringen  z.  j.  947,  Wenck, 
hess.  landesgesch.  III  Urkunde  nr.  30,  der  pluralische  familienname  ist 
in  dem  schweizerischen  Ortsnamen  Amlikon,  kanton  Thurgau,  Necrol. 
Germ.  tom.  1,  671,  fixiert. 

Ob  es  in  der  Umgebung  von  BaUngen,  in  alter  form  Balginga^ 
Wirtembg.  urk.  VI  öfter,  mitten  unter  den  zahlreichen  suebisch-alemann. 
Sippensiedlungen  auf  -ingen  jemals  einen  örtlichen  niederschlag  der 
familie  ^'Amidungos  gegeben  habe,  konnte  ich  nicht  feststellen;  aber 
ihre  engere  Stammeszugehörigkeit  dürfte  sich  ausmachen  lassen,  da  wir 
die  familie  zeitlich  vom  5.  jh.  her  proicieren  dürfen  und  die  örtliche 
läge  von  Balingen  am  fusse  des  Heuberges,  nahe  der  hohenzollerschen 
grenze,  im  württembergischen  schwarzwaldkreise,  jenes  gebiet  betrifft, 
worin  nach  den  von  Zeuss,  Die  Deutschen  1.  312  — 15,  gesammelten 
nachrichten  der  alten  geschichtschreiber  und  Chronisten  von  der  mitte 
des  4.  jhs.  an,  wahrscheinlich  aber  schon  unter  kaiser  Probus  276  —  282, 
die  Jnthfmgen  wohnten,  deren  name  nach  dem  jähre  430,  da  sie  von 
Aetius  entscheidend  niedergeworfen  worden,  nicht  mehr  besonders  ge- 
nannt wird. 

Dieser  stamm,  den  Ammianus  Marcellinus  17,  6  z.  j.  358:  Jiithungi, 
Alamannorum  pars,  Italicis  conter)ninans  traciibus . . .  Raetias  . . .  vasta- 


DIE   INSCHRIFT   DER   SPANGE   VOX   BALINGEN  271 

baut  in  den  neuen  westlichen  sitzen  an  der  seite  der  Alemannen  kennt, 
hat  etwa  100  jähre  früher  weiter  östlich,  am  nordufer  der  Donau,  ent- 
sprechend dem  heutigen  Niederüsterreich  gesessen,  denn  die  um  250 
zu  datierende  römische  Weltkarte  (Tabula  Peutingeriana)  verzeichnet  da- 
selbst von  Äd  ponie  hes  bis  Vhidohona  die  volksstämme  QVADI  und 
IVTVGI  durcheinandergeschrieben,  doch  in  einer  graphischen  dar- 
steliung,  die  keinen  zweifei  darüber  lässt,  dass  die  Juthungen  unmittel- 
bar am  ufer,  die  Quaden  aber  in  ihrem  rücken  wohnten.  Combinieren 
wir  die  von  Zeuss  s.  315  hervorgehobene  tatsache,  dass  nach  dem  jähre 
430  das  den  Alemannen  verbündete  volk  nicht  mehr  Juthimgi,  sondern 
Suevi,  Siiavi  heisst,  mit  dem  ethnologischen  merkmal,  das  uns  der  bei- 
name  der  '^  matres  Suebae  Eutlmngae  eines  Kölner  matronensteines  ^  an 
die  band  gibt,  so  ist  der  schluss  sehr  einfach,  dass  die  Juthungen  ein 
dem  suevischen  verbände  augehöriges  volk  gewesen  sein  müssen,  deren 
ursitze  irgendwo  im  bereiche  der  alten,  nördlichen  heimat  der  Sueven 
an  der  unteren  Elbe  und  Oder  gesucht  werden  müssen  In  diesen 
breiten  muss  denn  auch  der  volksname  *Dani-,  dessen  entstehung 
nach  Noreen^  in  den  beginn  des  1.  jhs.  u.  z.  hinaufreicht,  von  den 
Sueven  wie  von  den  Goten,  in  ihren  namensschatz  aufgenommen  wor- 
den sein. 

Was  die  runen  vor  dem  namenpaare  betrifft,  habe  ich  auf  grund 
meiner  vom  14.  bis  27.  januar  d.  js.  widerholten,  bei  zerstreutem  tages- 
licht,  bei  directer  sonnenbeleuchtung,  bei  künstlichem  lichte  (glühlarape), 
mit  freiem  äuge  und  mit  der  lupe  angestellten  beobachtungen  zusammen- 
fassend das  gesehen,  was  in  meinem  Schlussprotokoll  vom  26.  jan.  nieder- 
gelegt ist  und  was  auch  im  wesentlichen  die  beiden  Photographien,  i.  b. 
die  stärker  vergrösserte  zeigen.  Ich  konnte  nur  drei  buchstaben  fest- 
stellen, von  denen  der  erste  ein  sicheres  a  c\  ist,  der  zweite  einer, 
nicht  ganz  bis  zur  grundlinie  geführten  Ih-iunQ  \,  gleicht,  der  dritte 
sich  seinem  aussehen  nach  jener  rune  nähert,  die  im  alphabete  der 
Spange  von  Charnay  den  platz  der  urnord.  yr-rune:  Vadstena  Yj  ^Y^- 
fver  X.  einnimmt  und  mit  ihrem  doppelten  seitendctail  ^  als  symme- 
trische Vereinigung  der  beiden  urnord.  typen  erscheint. 

1)  Veröff.  Rhein.  Mus.  45,  G39:  der  name  Euthimgabus  ist  angeblich  zu  beginn 
nicht  intakt,  wie  denn  in  der  inschrift  [MATJIilBVS  -  SVEBIS  j  EVTIIVN- 
GABVS  I  [IJVLIVS  "  SECVNDVfS]  /  [IJVLI  -  PniLTATI  -  LIB  / 
[V]  ^  S  ^  L  ^  M  die  zeilenaufänge  von  1,  vermutlich  eine  ligatur  tnat,  3  und  4, 
je  ein  /,  5  V  ergänzt  werden  müssen.  Aber  die  zweite  zeile  kann  eingerückt  sein 
und  falls  sie  es  nicht  wäre,  wie  3  und  4  mit  einem  /begonnen  haben,  so  da.ss  wir 
hier  für  den  v.  n.  die  form  *  Jeuthungi  gewännen. 

2)  Vitra  fäderneslaud.s  namn :  'Nurdcn  1902'  s.  83. 


272  V.  GRIENBERGER 

Das  urteil  über  die  Sicherheit  des  rechten,  oberen  abstriches  an 
dieser  letter  schwankte,  noch  mehr  das  über  den  rechten  unteren, 
von  dem  ich  am  26.  die  raeinung  gewann,  dass  er,  wenn  überhaupt 
vorhanden,  so  doch  nicht  litteral  sei.  Dieses  schwanken,  das  ich  an 
mir  selbst  erfahren  habe,  drückt  sich  auch  ganz  genau  in  der  wider- 
gabe  der  rune  bei  Naue,  Söderberg,  Stephens  aus,  von  denen  der  erste 
beide  oberen  gabelstriche  sowie  den  linken  unteren  sah,  der  zweite  von 
rechten  gabelstrichen  überhaupt  nichts  bemerkte,  ganz  so  wie  ich  am 
14.  bloss  bie  beiden  linken  ^  gesehen  hatte,  der  dritte  zwei  untere 
gabeistriche,  aber  keine  oberen  anerkennen  wollte. 

Beirrt  wird  das  urteil  i.  b.  durch  den  vom  oberen  abstriche  des  \ 
zur  basis  herabgeführten  und  im  unteren  drittel  nach  rechts  umge- 
knickten strich,  der  keine  selbständige  rune  sein  kann  und  auch  als 
ligatur  mit  dem  t-  nicht  verständlich  wird.  Ich  bin  zu  der  ansieht  ge- 
kommen, dass  dieser  strich,  den  ich  weder  als  spätere  Verletzung,  noch 
als  besonderes  litterales  dement,  noch  als  trennungszeichen  zu  erklären 
vermag,  zwar  geritzt  aber  nicht  correct  sei;  ich  halte  es  für  möglich, 
dass  der  runenschreiber  zuerst  die  absieht  hatte  die  ^7^-rune  1»  niit  dem 
folgenden  zeichen  Y  zu  ligieren,  dass  also  der  senkrechte  teil  des  Striches 
als  die  zwischen  den  beiden  ansatzpunkten  der  gabeln  gelegene  hasten- 
partie  dieser  rune  und  der  nach  rechts  umgeknickte  als  rechter,  unterer 
abstrich  derselben  vermeint  war.  Gründe,  i.  b.  der  graphischen  deut- 
lichkeit  konnten  den  Schreiber  bestimmt  haben,  es  bei  dem  versuche 
einer  ligatur  bewenden  zu  lassen  und  für  die  beabsichtigte  rune  X  ^^ 
neuer  hasta  einzusetzen,  wobei  er  zugleich  die  möglichkeit  hatte,  den 
einmal  gezogenen,  auf  die  grundlinie  schief  einfallenden  teil  als  rechten, 
unteren  abstrich  gelten  zu  lassen. 

Denkbar  allerdings  wäre  es  auch,  dass  die  in  rede  stehende  dritte 
rune  der  inschrift  mit  bandartig  verbreiterter  haupthasta  beabsichtigt 
war.  Ähnliche  erscheinungen  der  graphischen  Stilistik  sind  ja  hinreichend 
bekannt.  So  besitzt  die  inschrift  des  beingerätes  von  Liudholm  durch- 
weg bandartig  verbreiterte  lottern,  deren  haupthasten  wie  seitenbalken 
sich  aus  je  3  parallelen  strichen  zusammensetzen;  so  wechselt  die  in- 
schrift des  lanzenschaftes  von  Kragelml  mit  bandartig  verbreiterten,  aus 
3  bis  4  parallelstrichen  bestehenden  und  einfach  linearen  elementeni  und 
bildet  die  einzelnen  runen  entweder  durchaus  verbreitert,  oder  durchaus 
einfach  linear,  oder  mit  verbreiterten  haupthasten  und  einfachem  seiten- 
detail;  so  waren  auf  dem  goldenen  hörne  von  Gallehus  die  ersten  vier 
Wörter  mit  bandartigen,    das  schliessende  verbum   iawiäo  mit   einfach 

1)  Hierzu  auuh  die  inschrift  des  Stäbchens  von  Britsum  oben  s.  174. 


DIE   INSCrraiFT   DER    SPANOE    VON    BALINGEN  273 

linearen  zeichen  dargestellt,  so  wechselt  auch  die  von  Magnus  Olsen  ^ 
veröffentlichte  inschrift  von  Maeshowo  nr.  22  mit  einfach  linearen  und 
bandartig  verbreiterten  runen. 

Man  hätte  dann  in  dem  falle  von  Balingen  eine  form  ^j[  zu 
postulieren,  die  aber  doch  durch  die  erkennbaren  linien  der  inschrift 
nicht  zur  vollen  Überzeugung  bewahrheitet  wird  und  gegen  die  man 
ja  auch  einwenden  kann,  dass  sie  in  ihrer  Umgebung  ganz  vereinzelt 
stünde,  während  bei  den  angeführten  beispielen  das  stilprincip  der 
bandartigen  Verbreiterung  entweder  überhaupt  bei  allen  lettern  durch- 
geführt ist,  oder  doch  wenigstens  durch  mehrfachen  Wechsel  mit  ein- 
fach linearen  zeichen  beglaubigt  wird. 

Dagegen  lässt  sich  die  annähme  einer  beabsichtigten  ligatur  aus 
der  tatsächlichen  ligatur  mu^  aus  der  unteren  Verbindung  der  rune  ^ 
mit  dem  folgenden  M.  aus  der  oberen  ineinanderschreibung  von  l  und  o 
bekräftigen  und  die  mangelnde  correctheit  mit  der  flüchtigkeit  zu- 
sammenbringen, die  sich  auch  in  der  bildung  der  ersten  hasta  des  ni 
aus  zwei  aneinandergestückelten  strichen,  in  dem  offenbleiben  der  liga- 
tur mu  am  kopfpunkte,  in  der  doppelten  besserung  der  curve  am 
zweiten  ii  zu  erkennen  gibt. 

Die  ganze  zeile  hat  keineswegs  die  ruhe  und  peinliche  Sauberkeit 
einer  sorgfältig  vorbereiteten  inschrift,  sondern  zeigt  die  merkraale 
cursiver  flüchtigkeit  und  legt  vermöge  ihrer  merkwürdigen  mischung 
von  eleganz  und  nachlässigkeit,  von  sicherer  Schriftbeherrschung  und 
sorgloser  ausführung  den  gedanken  nahe,  dass  sie  nicht  von  dem  auf 
bestellung  arbeitenden  goldschmied  gemacht,  sondern  von  dem  besitzer 
der  Spange  eingeritzt,  d.  h.  ein  runisches  autogramm  sei. 

Von  bedeutung  für  den  skizzierten,  allgemeinen  Charakter  der 
inschrift  ist  m.  e.  die  allerdings  sehr  viel  spätere  eines  silbernen  arra- 
ringes  von  Senjen^,  nicht  nur  wegen  der  gleichheit  des  materials, 
sondern  auch  wegen  ihrer  flüchtigkeit,  die  sich  ganz  ähnlich  in  der 
auslassung  eines  m  mit  folgendem  versuche  der  correctur,  in  nach- 
träglicher einzwängung  eines  aus  zwei  strichen  zusammengestückelten 
i,  in  der  correctur  der  conjunktion  in  {en)  zu  auk  ausdrückt  und  den 
gleichen  schluss  erlaubt,  dass  sie  nicht  vom  verfertiger  des  ringes, 
sondern  von  einem  späteren  besitzer  gelegentlich  eingegraben  sei. 

Zwischen  dem  a  des  eingangs  und  der  glaublichen  //A-rune,  die 
ich  einfach  mit  i  translitterieren  will,  ohne  mich  eines  der  von  Bugge 

1)  Trc  orknesko  runeindskrifter.     Christiania  1903. 

2)  Noiges  Indskrifter  med  de  yngre  Runor  IT  iidj,Mvne  af  S.  Bugge  og  M.  Ols^n. 
Kristiania  190G. 

ZEITSCHRIFT    F.  DEÜTSCHK    PHILOI.OOIE.       BD.   XL.  18 


274  V.  GRDENBERGER 

für  sie  verwandten  zeichen  e  oder  i  zu  bedienen,  konnte  ich  keinen 
buchstaben  entdecken,  obwol  die  distanz  so  weit  erscheint,  dass  man 
in  ihr  nach  einer  letter  sucht.  Diese  distanz  beträgt  nach  der  grösseren 
Photographie  gemessen  5  mm  oberer  weite,  während  die  distanzen  der 
übrigen  hastenköpfe  sich  zwischen  3  und  4  mm  bewegen.  Aber  5  mm 
ist  doch  auch  die  distanz  vom  köpfe  des  o  zu  dem  des  folgenden  a 
und  ebensoviel  beträgt  die  obere  weite  des  d.  Ausserdem,  wird  die 
distanz  der  beiden  zeichen  in  der  mittellinie  durch  die  gegeneinander 
gekehrten  seitenstriche  wesentlich  eingeschränkt,  nach  den  massen  der 
grösseren  Photographie  auf  etwa  3  mm,  so  dass  in  ihr  selbst  eine  ein- 
stabige  rune,  die  man  aber  doch  nicht  wahrnimmt,  ausser  Verhältnis 
zu  den  übrigen  buchstabeudistanzea  der  Inschrift  stünde. 

Man  erwartet  vor  dem  namenpaare  ein  verbum  des  besitzens. 
Der  zuständige  ausdruck  hierfür  ist  urnord.  aih  1.  und  3.  sing,  und 
2.  imperat.  des  bekannten  praeterito- praesens,  später  monophthongiert 
und  so  auch  ags.  dh^  got.  aih  und  aig ,  inf.  aigan^  ahd.  optat.  egi  in 
shegili  guot  Georgslied.  Dieses  verbum:  spange  von  Fonnäs  aih^  auf 
dem  bracteaten  55  von  Magiemose  mit  dem  persönl.  pronomen  ver- 
bunden Äihek^  auf  dem  bracteaten  17  anscheinend  mit  diesem  lautlich 
verschmolzen  und  so  wie  in  der  Balinger  Inschrift  mit  ih -rwwQ  ge- 
schrieben ^'l.Y  cLE^^i  ^^^g^i  Bidrag  1906  s.  88  (228),  führt  auf  unsere 
Inschrift  angewendet  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  rune  ^  hier  sowie  im 
alphabete  der  spange  von  Charnay,  wo  sie  den  platz  des  nord.  yr  ein- 
nimmt, als  Spirant  der  palatalen-velaren  artikulationslinie  zu  verstehen 
sei.  Im  falle  von  Balingen  können  wir  wegen  des  vorhergehenden  / 
auf  palatale  qualität  %  raten,  für  das  fupark  von  Charnay  werden  wir 
besser  tun  im  allgemeinen  den  lautwert  x,  velar  und  palatal,  anzu- 
nehmen. 

Die  Balinger  spange  scheint  mir  den  runologisch  bedeutsamen 
beweis  zu  liefern,  dass  dieselbe  rune  Y,  /k,  die  in  den  nord.  Inschriften 
den  lautwert  des  geschichtlich  aus  german.  tönendem  x  entwickelten  r 
vertritt,  in  den  deutschen  Inschriften  weder  diesen  noch  den  voraus- 
liegenden wert  besitzt,  sondern  zur  bezeichnung  jener  spirans  dient, 
die  sonst  sowohl  in  der  runenschrift  als  in  den  historischen  Ortho- 
graphien der  germ.  dialekte  mit  dem  eigentlichen  zeichen  des  reinen 
hauchlautes  h  H,  ausgedrückt  wurde. 

Der  gesamttext  unserer  Inschrift  *aih  d[a]n[i]lo  Amidung  '[dies] 
besitze  [ich]  Danilo  [der]  Amulung'  ist  eine  eigentumsmarke  und  ver- 
mutlich ein  autogramm  des  eigners,  der  sicherlich  ein  vornehmer  mann, 
suebisch-juthungischen   Stammes  war.     Dass   die  zeit  der  Inschrift  mit 


DIE   INSCIIHIFT    DER   SPANGE    VON   BALINGEN  275 

der  der  anfertignng  der  spange  nicht  notwendig  identisch  sein  müsse, 
braucht  nicht  besonders  betont  zu  werden.  Sie  kann  sicherlich  auch 
jünger  sein,  doch  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  ob  man  mit  der 
datierung  etwa  noch  in  das  erste  viertel  des  7.  jhs.  heraufzugehen  be- 
rechtigt sei. 

Wie  gewandspaugen  getragen  wurden  zeigt  die  von  Lindenschmit 
reproducierte  abbildung  aus  dem  Halberstädtischen  diptychon^:  Die 
bügeiförmigen  spangen  ruhen  auf  der  herald,  rechten  schulter  der  drei 
dargestellten  mäuner  und  verbinden  den  über  die  schulter  geschlagenen 
rückeuteil  mit  dem  Vorderteile  eines  die  volle  figur  deckenden,  weiten, 
ärmellosen  mantels,  unter  dem  man  rechts  den  mit  ärmel  versehenen 
leibrock  sieht,  während  der  linke  arm  vollständig  gedeckt  und  unfrei 
ist.  Auf  dem  bilde  des  bracteaten  28  von  Overhornböeck  findet  sich 
eine  kreuzförmige  spange  unterhalb  des  kinnes,  auf  dem  von  Broholm, 
Fünen  nr.  1,  eine  scheibenförmige  im  winkel  der  herald,  linken  schulter 
zum  halse,  ebenso  auf  dem  bracteaten  4  von  Bohuslän;  zwei  scheiben- 
förmige spangen  rechts  und  links  der  halsgrube,  beziehungsweise  auf 
dem  rechten  und  linken  Schlüsselbeine  aufruhend,  zeigt  der  bracteat  90 
von  Gettorf  2.  Die  Inschrift  der  Balinger  nadelscheibe  ist  auf  den  fertigen 
gegenständ  gesetzt;  sie  ist  in  das  vom  dritten  und  vierten  koncentrischen 
kreise  begrenzte  ringband  der  rückenplatte  eingetragen.  Aber  eine  In- 
schrift aufzunehmen  ist  keineswegs  der  eigentliche  zweck  dieser  kreise, 
die  vom  goldschmied  gezogen  w^urden,  bevor  er  die  vier  nietlöcher 
und  das  schmale  rechteck  für  den  fuss  des  Widerlagers  der  nadel 
ausschnitt  und  bevor  er  das  nadellager  auflötete,  denn  es  zeigt  sich 
ganz  deutlich,  dass  sie  zur  Orientierung  dieser  kleinarbeiten  an  der 
silbernen  unterplatte  der  spange  dienten  und  in  ihrem  Interesse  ent- 
worfen sind. 

Die  beiden  seitlichen  nietlöcher  sind  am  vierten  kreise  von  innen 
gerechnet  angebracht;  das  rechte  tangiert  den  kreis,  das  linke  wird  von 
ihm  halbiert.  Das  obere  nietloch  scheint  den  vierten  kreis  von  innen 
zu  berühren,  das  untere  steht  in  der  mitte  zwischen  dem  vierten  und 
fünften.  Das  nadellager  ist  auf  eine  wagrechte,  obere  sekante  von 
geringer  Spannweite  des  zweiten  kreises  aufgesetzt.  Es  besteht  aus  zwei 
aufgelöteten  laschen  aus  dem  metall  der  platte,  zwischen  die  die  feder 
der  nadel  verklemmt  wurde.  Sie  ist  noch  heute  als  massiver,  zusammen- 
gebackener eisenrostklumpon  vorhanden.    Der  schmale,  rechteckige  aus- 

1)  Handbuch  der  deutschen  altertum.skuDde.  I.    Braunschweig  1880  — 89,  s. -126. 

2)  Stei-liL-MS,  Run.  Mon.  II,  540.  519.  .521;   HI,  258. 

18* 


276 


KAUFFMANN 


schnitt  für  den  heute  alisgebrochenen  fuss  des  Widerlagers  erstreckt  sich 
vom  zweiten  inneren  kreise  bis  nalie  an  den  vierten  in  der  richtung 
des  unteren  nietloches.  Nach  der  Stellung  des  ausschnittes  zum  nadel- 
lager  darf  man  annehmen,  dass  die  nadel  von  der  mitte  der  Spiralfeder 
ausgieng,  um  in  das  Widerlager  einzuspielen,  ganz  so  wie  auf  der  von 
Lindenschmit  1,  439  abgebildeten  kentischen  goldfibel. 

Der  mittelpunkt  aller  kreise,  in  dem  der  eine  Schenkel  des  zirkeis 
fusste,  ist  noch  deutlich  sichtbar.  Die  aus  zwei  stücken  zusammen- 
gesetzte besserung  des  oberen  ausbruches  ist  offenbar  mit  den  original- 
fragmenten  gemacht,  an  der  reversseite  mit  gelber  kittmasse  und  einer 
bunten  scherbe  unterlegt.  Im  übrigen  zeigt  die  gegen  den  aus  gold 
gearbeiteten  Vorderteil  der  brosche  gekehrte  reversseite  eine  dicke  schiebt 
braunroter,  harter,  teigartig  aussehender  masse. 

CZERNOWITZ.  V.   GRIENBERGER. 


HÜNEN 


Für  ihre  nachbarn  haben  die  deutschen  stamme  volkstümliche 
namen  gebraucht.  So  heissen  in  ihrem  mund  die  an  der  deutschen 
ostgrenze  ansässigen  Lituslaven  seit  alters  Wenden  (Zeuss,  Die  Deutschen 
und  die  nachbarstämme  s.  67).  Die  an  der  südgrenze  und  an  der  west- 
grenze neben  ihnen  siedelnden  Keltenvölker  nannten  die  Germanen  der 
urzeit  *Walhös  (<  Volcae  Müllenhoff,  Deutsche  altertumskunde  2, 279fgg.). 
Es  ist  darum  keine  müssige  frage,  ob  denn  die  alten  Deutschen  für 
die  —  hier  friedlich,  dort  feindlich  —  so  nahe  mit  ihnen  verbundenen 
Römer  einen  heimischen  und  volkstümlichen  namen  nicht  geprägt 
haben  sollten? 

Diese  frage  ist  nicht  bloss  zu  bejahen,  sondern  auch  positiv  dahin 
zu  beantworten,  dass  die  Römer  in  den  ersten  Jahrhunderten  christ- 
licher Zeitrechnung  von  unsern  vorfahren  IMni  (>  Hüner,  Hünen)  ge- 
nannt worden  sind. 

Unsere  frage  ist  längst  gestellt  und  bejaht,  aber  in  anderem  sinn 
beantwortet  worden.  Zeuss  (a.  a.  o.  s.  68)  hielt  Walaha  für  die  den 
Deutschen  eigene  benennung  „der  Römer  und  ihrer  untergebenen." 
Müllenhoff  erklärte  zwar  (a.  a.  o.  s.  282),  die  Germanen  hätten  die 
Gallier    oder  Kelten  insgesamt  „Walche"    benannt,    fasste    aber  (a.  a.  o 


HÜNEN  277 

s.  279)  seine  totalansicht  in  den  satz  zusammen:  „der  Germane  begriff 
unter  Walh  plur.  Walhäs  oder  Walhos  ehedem  alle  seine  lateinisch  oder 
romanisch  und  keltisch  redenden  süd-  und  westnachbaren."  Plausibler 
ist  die  ausdrucksweise  Bremers  (Pauls  Grundriss  S'K  779):  „nach  den 
Volcnc  haben  die  Germanen  alle  Kelten  und  nachmals  alle  Romanen 
Walchen  >  Wälsche  genannt."  Noch  schärfer  betont  die  zeitstufen,  die 
wir  im  Sprachgebrauch  sondern  müssen,  R.  Much,  wenn  er  in  der 
zweiten  verbesserten  aufläge  seiner  trefflichen  Deutschen  Stammeskunde 
(s.  57)  sagt,  der  name  Walha  (anord.  Valir,  ags.  Wealas)  bezeichnete  ur- 
sprünglich „die  gesamtheit  der  Kelten,  dann  die  romanisierten  Kelten, 
schliesslich  auch  die  Romanen  selbst." 

Indem  ich  dieser  formulierung  beipflichte,  betone  ich,  dass  hier 
von  den  Romanen^  aber  nicht  von  den  alten  Römern  die  rede  ist 
und  folglich  die  frage  offen  bleibt,  welches  der  altheimische  name  gerade 
für  sie  gewesen  sein  möchte. 

Bei  den  Goten  wissen  wir  bescheid,  haben  sie  doch  das  fremdwort 
nationalisiert  (Ruma,  Rnntoiieis).  Als  occasionelle  erscheinung  mag 
dies  auch  in  Deutschland  vorgekommen  sein;  eine  form  wie  Rinnan^ 
ist  aber  nicht  usuell  geworden,  vielmehr  ist  das  fremdwort  in  der  doppel- 
form Romcnius - Romarius  (>  Roman,  Römer '■^)  in  umlauf  gelangt. 

Schon  in  der  Karolingerzeit  ist  für  die  Romanen  d.  h.  die  roma- 
nisierten Kelten  und  die  verwelschten  Römer  der  name  Walha  gebraucht 
worden  (Romani:  uiinlha,  in  Romana:  in  imnlhiim  Ahd.  gl.  3,  13,  3.  8). 
Die  geschichte  dieses  wortes  lehrt,  dass  es  im  altertum  von  den  Kelten 
ausgegangen  und  den  Kelten  vorbehalten  war.  Ags.  Wealas  bezieht  sich 
denn  auch  auf  die  keltischen  Walliser. 

Keltische,  genauer  gesprochen ,  belgische,  gallische  und  helvetische 
siedelungen  sind  nun  aber  auch  in  den  von  den  westdeutschen  und 
süddeutschen  Völkern  occupierten  landschaften  unter  den  fränkischen 
und  alemannischen  ansiedlern  aufgegangen.  Für  Südwestdeutschland 
ist  dies  jüngst  namentlich  von  E.  Fabricius  (Die  besitznahme  Badens 
durch  die  Römer,  1905)  bewiesen  worden.  Urkundliche  belege  liefern 
uns  in  erster  linie  die  mit  ivalh  gebildeten  orts-  und  personennamen. 
Unter  den  letzteren  ist  Walk,  Wal  hin.,  Walhisc  die  Übersetzung  von 
Galliis,  Gallira,  Galliens  (Socin,  Namenbuch  s.  554.  556.  216.  224fg. 

1)  Romani:   Waleha  Ahd.  gl.  3,  131,8  (==  ags.  Wealas). 

2)  A.  Socin,  Mittelhochdeutsches  namenbuch  s.  79.  160.  214.  Auch  im  ags. 
ist  Rum-  neben  Rom-  belegt,  wie  im  anord.  Rüm  neben  Rom, 

3)  Socin  a.a.O.  s.  555.    Ahd.  gl.  2,  20C,  16  u.  a. 


278  KAUFFMANN 

634).  In  unserem  Zusammenhang  sind  die  namen  Adalicalh ,  Ercanivalh 
einerseits  und  Halbwalh  andererseits  von  hervorragender  bedeutung,  da 
sie  den  gegensatz  deutscher  und  gallischer  nationaiität  klar  zum  aus- 
druok  bringen  und  doch  auch  die  tatsache  der  Völkermischung  nicht 
verkennen  lassen.  In  welcher  ausdehnung  Germanen  ihr  blut  mit  Galliern 
(Kelten)  im  verlauf  der  völkervs^anderung  vermischt  haben,  ersehen  wir  aus 
der  lehrreichen  Zusammenstellung  der  specialfälle  eines  Halhivalah  bei 
Socin  (a.  a.  o.  s.  215):  während  Adalwalh  und  Ercamvalh  die  reine,  durch 
connubium  nicht  gestörte  gallische  abstammung  betonen,  ist  Suäbalah 
halbschlächtig  und  bezeichnet  einen  Schwaben,  dem  gallisches  blut  in 
den  ädern  fliesst  usw. 

Für  die  Ortsnamen  genügt  es,  hier  einen  typischen  fall  zu  be- 
sprechen. Am  mittleren  Neckar  lag  bei  der  Enzmündung  ein  römisches 
kastell.  Rings  umher  gehörte  alles  land  dem  römischen  kaiser  und 
wurde  als  kaiserliche  domäne  verwaltet.  Auf  diesen  agri  decumates 
waren  Gallier  als  kolonen  angesessen  (Tacitus,  Germania  c.  29).  Es 
waren  vornehmlich  die  reste  der  helvetischen  Urbevölkerung;  wir  kennen 
zum  beispiel  Boier  in  Marbach  (CIL  XlII,  2  nr.  6448).  In  nächster  nähe 
von  ihnen  wurde  jenes  kastell  errichtet,  dessen  name  Wahlheim  (früher 
Walahheim)  etwa  so  viel  als  'Gallierdorf'  bedeutet^.  Die  bewohner 
dieses  dorfes  sind  offenbar  Walhen  (Kelten)  gewesen,  als  es  in  den  besitz- 
stand  der  das  Neckartal  kolonisierenden  Germanen  einbezogen  wurde. 
Das  kastell  (Der  obergermanisch -raetische  limes,  lief.  VIII  nr.  57)  war 
also  mit  der  zeit  zu  einem  Gallierdorf  und  später  zu  einem  deutschen 
dorf  ausgewachsen.  In  seiner  anläge  ist  Wahlheim  noch  heutigen  tages 
ganz  und  gar  durch  die  topographie  des  römischen  lagers  bedingt.  Die 
heutige  'haupt Strasse'  hat  (wie  in  Okarben)  ihren  namen  von  der  via 
pri?icipaUs  des  kastells,  wie  sie  denn  auch  in  ihrer  richtung  durch 
diese  hauptstrasse  des  kastells  bestimmt  worden  ist;  die  senkrecht  zu 
der  hauptstrasse  verlaufende  dorfstrasse  ist  zu  nicht  unwesentlichen 
teilen  die  alte  via  praetoria.  So  ist  das  kartenbild  dieses  alten  dorfes 
eines  der  anschaulichsten  beispiele  für  die  noch  nicht  genügend  ge- 
würdigte tatsache,  dass  die  geschichte  der  deutschen  'stadt'  von  den 
römischen  kastellen  und  lagerdörfern  auszugehen  hat. 

Der  allgemeine  deutsche  name  für  ein  römisches  (mit  mauern  um- 
gebenes, von  Strassen  durchzogenes)  kastell  ist  denn  auch  unser  -hurg'^. 

1)  Vgl.  Walahheim,  Walahdorf,  Walahon,  TFrt7a/<as<a<  u.  a.  bei  Forst em an n 
(Ortsnamen).  —  nux  gallica  >  walntiss  (Hoops,  Waldbäume  s.  577). 

2)  Soweit  nicht  castellum  zu  Kastei,   Kassel,  Kessel  geworden  ist;  vgl.  z.  b. 
den  gerade  in  unserem  Zusammenhang  höchst  bezeichnenden  Ortsnamen  Kesselstadt 


HÜNKN  279 

Dieser  terminiis  ist  als  benennung  der  deutschen  städte  (ursprüng- 
lich: befestigter  lagerstcädte)  massgebend  geworden;  allein  schon  ihre 
Stadtviertel,  ihre  quartiere  verraten  es,  dass  sie  aus  dem  römischen 
kastell  mit  seinen  durch  die  beiden  hauptstrassenzüge  bestimmten 
4  vierteln  erwuchsen.  Noch  führen  die  kastelle  das  wort  Jmrg  im  namen: 
ich  erinnere  an  Regensburg  (eastra  Regina),  Haselburg  (Limesblatt  145), 
Arnsburg,  Kapersburg,  Saalburg.  Ein  sehr  schönes  beispiel  besitzen 
wir  an  dem  paar  Obernburg  und  Niodernburg  {tan/  hie  locus  quam  ille  ex 
casiello  romaiio  uominaius  CIL  XIII,  2,  286).  Die  'hauptstrasse'  von 
Obernburg  ist  die  via  principalis  des  kastells,  die  'badgasse'  die  via 
praetoria  (ORL  lief.  XVIII  nr.  85  s.  10).  Die  dorfmauer  von  Niedern- 
burg  (flect.  -barg  >  -bcrg)  steht  zum  teil  auf  der  kastellmauer,  auch  hier 
folgt  die  'hauptstrasse'  der  römischen  via  principalis ,  'Kirchgasse'  und 
'Schulgasse'  entsprechen  der  via  praetot^ia  (ORL  lief.  III  nr.  84).  Auch 
der  plan  des  dorfes  Krotzenburg  ist  der  raumdisposition  des  römischen 
kastells  analog,  die  kastellmauer  ist  zum  teil  als  kirchhofsraauer  er- 
halten, die  'Kirchgasse'  ist  =  via  jrrincipalis,  die  'Breitegasse'-  un- 
gefähr =  via  2»'oetoria  (ORL  lief.  XX  nr.  23,  s.  3)^ 

Sehr  verbreitet  ist  der  volkstümliche  name  Alteburg  für  ein 
römisches  kastell.  Der  älteste,  mir  bekannt  gewordene  beleg  gehört 
dem  jähr  1178  an  (Korrespondenzblatt  des  gesamtvereins  der  deutschen 
geschichtsvereine  1856,  121.  123fg.).  Ich  erwähne  das  Kölner  kastell 
Alteburg:  auch  das  kastell  Niederberg  (bei  Ehrenbreitstein)  heisst  Alte- 
burg (ORL  lief.  XII  nr.  2");  kastell  Holzhausen  lebt  im  volksmund  als 
Alteburg  (ORL  lief.  XXII  nr.  6),  Heftrich  heisst  Alteburg  (ORL.  lief.  XXIH 
nr.  9)  ebenso  Zugmantel  ('auf  der  Alteburg')  und  Walldürn  (ORL lief.  XXI 
nr.  39);  in  Buch  nennt  maus  Alte  bürg  (ORL  lief.  X  nr.  67);  zum  schluss 
sei  erwähnt,  dass  auch  das  kastell  von  Cannstadt  nahe  bei  dem  heutigen 

(bei  Hanau):  qitl  vieiis  casiello  superstructus  est  ab  eoquc  nomen  accepit  (CUjI^UI^ 
2,  421).  Die  'Wilhelmstrasse'  entspricht  der  via  praetoria  ORL  lief .  X  nr.  24  s.  4.  — 
Auch  der  name  herberg  ei'scheint  als  Verdeutschung  von  lat.  castellum  z.  b.  in  Urspring 
ORL  lief.  XXIV  nr.  60»  s.  3.  —  Auf  den  uamen  'die  Weil'  (<  villa)  kann  hier  auch 
nicht  weiter  eingegangen  werden;  ich  bemerke  nur-  noch,  dass  aus  bürg  neuerdings 
schloss  geworden  ist,  vgl.  z.  b.  ORL  lief.  XIII  nr.  46  s.  11;  'schloss',  'schlösschen' 
auf  dem  fcztr^r- gewann  ORL  lief.  XI  nr.  51  s.  1.  2.  —  hurgi  (wachtürme)  bilden 
eine  gruppe  für  sich;  vgl.  Klio  7,  109 fgg. 

1)  Auch  in  Heddesdorf  (bei  Niederbieber)  folgt  der  römischen  ria  princi- 
palis der  heutige  strassenzug  'Hintere  Beringstrasse'  ORL  lief.  XIX  nr.  1  s.  5.  Ich 
empfehle  angelegentlich  das  Studium  der  dem  ORL  beigegebenen  terrainkarten  und 
verweise  im  vorübergehen  auf  die  läge  der  kircheu  z.  b.  in  den  kastelleu  Gunzen- 
hausen  und  Böhming  (ORL  Uef.  XXIX  nr.  71.  73»). 


280  -  KAUFFMANN 

flurnameii  'auf  der  Altenburg'  gestanden  hat  (ORL  lief.  XXVIII  nr.  59). 
Das  kastell  Köngen  liegt  auf  dem  , Burgfeld'  (genauer  'auf  der  Burg 
ob  dem  Altenberg'  ORL  lief.  XXX  nr.  60),  Heddernheim  'auf  dem  Burg- 
feld', Ruffenhofen  auf  der  flur  'Bürgfeld'  (ORL  lief.  IV  nr.  68).  Das 
alte  römische  kastell  Waldmössingen  (im  würterabergischen  oberamt 
Oberndorf)  steht  'auf  der  Burghalde'  (ORL  lief.  VI  nr.  61").  Denn  gar 
nicht  selten  nennt  das  volk  die  kastelle  schlechtweg  'bürg':  so  Langen- 
hain  ('die  bürg'  'auf  der  barg'  ORL  lief.  VIII  nr.  13),  Friedberg  ('auf 
der  bürg';  die  burgmauer  der  stadt  steht  auf  der  römischen  Umfassungs- 
mauer vgl.  Limesblatt  355 fgg.),  Heldenbergen  ('auf  der  bürg'  ORL  lief.  XIII 
nr.  25),  Marköbel  (ORL  lief.  III  nr.  21).  Die  kastelle  bei  Neckarburken 
führen  die  volkstümlichen  namen  'Burg'  {> Berk)  und  'Beiburg' ^  (ORL 
lief.  IX  nr.53  und  53 1);  vgl.  Benningen  ('Birk'  ORL  lief.  XVII  nr.  58), 
Unterböbingen  ('Bürgle'  ORL  lief.  I  nr.  65),  Murrhardt  ('Bürg'  ORL 
lief.  I  nr.44),  Welzheim  ('Bürg'  ORL  lief.  XXV  nr.  45),  Öhringen  ('Bürg' 
ORL  lief.  V  nr.  42). 

Genauer  werden  römische  baudenkmäler  nach  dem  jüngsten 
Sprachgebrauch  durch  das  bestimmungswort  Römer-  unterschieden 
(Römerbrunnen,  Römerecke,  Römergässchen,  im  Römer  a.  a.).  Eine 
ältere  schiebt  hebt  sich  durch  das  epitheton  heideii-  ab  (vgl.  heiden- 
grab,  heidenstrasse,  heidenweg  im  Dwb.);  es  sind  bei  den  ausgrabungen 
am  limes  römische  reste  zu  tage  gekommen  auf  örtlichkeiten,  die  den 
namen  heidenbühl,  heideneck,  heidenfeld,  heidekringen  und  ähnliche 
tragen;  'heidenkirche'  ist  eine  beliebte  bezeichnuug  für  eine  römische 
villa  (vgl.  ORLüef.  XXV  nr.  10  s.  10).  In  welch  prägnantem  sinn  die 
Römer  als  'beiden'  bezeichnet  wurden,  erfahren  wir  aus  dem  volks- 
tümlichen, nach  den  köpfen  römischer  Imperatoren  gebildeten  namen 
für  die  römischen  münzen,  die  'heidenköpfchen'  heissen,  während  die 
gallischen  münzen  bekanntlich  als  'regenbogenschüsselchen'  recipiert 
wurden. 

Die  älteste  benennung  der  an  den  deutschen  grenzen  tätigen  Römer 
ist  aber  wahrscheinlich  Hüni. 

Wir  begegnen  nämlich  römischen  kastellen  am  limes,  die  Hönehaus 
(CIL  XIII,  2,  256),  Hainhaus  oder  Hainhäusd  (CIL  XIII,  2,  258.  447 
ORL  lief.  IV  nr.  49.  V  nr.  47)  heissen.  Bei  Hausen  fand  man  reste  römischer 
befestigungen;    sie   heissen  Hunnenkixchhoi  (CIL  XIII,   2,  447).      Das 

1)  Vgl.  ORL  lief.  XYI  nr.  75.  —  Oberscheidental  steht  auf  'burgmauer' 
(ORL  lief.  VI  nr.  52).  —  Der  ältere  name  von  Osterburken  lautete  Burgheim 
(CIL  XIII,  2,275)  usw. 


HÜNEN  281 

hauptbeispiel  ist  aber  einerseits  das  wichtige  kastell  Butzbach,  das  im 
volksraund  unter  dem  namen  Hunneburg  oder  Jleunehurg  geht  (CIL 
XIII,  2,447.448.  ORLlief. I  nr.  14)  und  andererseits  eine  im  Taunus 
von  den  Römern  gebaute  Strasse,  die  nicht  bloss  als  'heidenstrasse' 
ijieidstross  a.  1486:  Korrespondenzblatt  des  gesamtvereins  1856,  125) 
sondern  namentlich  auch  als  IRüierstrasse  oder  HöTierstrasse  bekannt  ge- 
worden ist  (ORL  lief.  XXV  nr.  10  s.  2fg.);  eine  volkstümliche  Variante  ist 
mir  noch  in  der  bezeichnung  Hü?ierweg  (Westdeutsches  korrespondenz- 
blatt  1895,  99)  oder  fi«m«enpfad  begegnet  (ORL  lief.  XXVII  nr.  12 
s.  4).  Als  man  an  dieser  Römerstrasse  zu  graben  begann,  w^urden 
bei  ihr  drei  grosse  gebäude  festgestellt  —  ähnlich  den  horron  unserer 
limeskastelle  —  und  der  ort,  an  dem  sie  in  der  flur  liegen,  bewahrt 
gleichfalls  (in  der  nähe  von  Homburg  v.  d.  H.)  den  charakteristischen, 
aus  ahd.  HiDihurc,  ags.  Hinihurh  (Graff  IV,  960)  bekannten  namen 
Hf (h)iburg  {Jacohi^  Saalburg  s.  31.  Westdeutsches  korrespondenzblatt  1905, 
197  fgg.).  Aus  diesen  schönen  belegen  kann  nicht  wol  etwas  anderes  ge- 
schlossen werden,  als  dass  Huncn-  oder  HUnenhm-g  das  volkstümlich- 
deutsche wort  für  'Römerkasteir  und  Hunnenpfad  bezw.  Hüncrsh-asse 
die  schon  durch  das  römische  wort  'Strasse'  angedeutete  heimische  be- 
nennung  für  eine  Römerchaussee  gewiesen  ist^. 

Mit  den  fortschritten  des  mittelalterlichen  bauwesens  verlor  aber 
die  imponierende  technik  der  Romerbauten  ihren  nimbus.  Angesichts 
der  deutschen  bürgen  des  12.  jahrh.  mussten  die  seinerzeit  vorbildlichen 
leistungen  der  Römer  als  veraltet  erscheinen.  So  wurde  nunmehr  hüne 
das  epitheton  eindrucksvoll  primitiver  technik.  Es  ist  bekanntlich 
mit  der  zeit  überhaupt  auf  die  monumentalen  Überbleibsel  der  vorzeit 
übertragen  worden  (hünenbett,  hünengrab).  Vornehmlich  wurde  Hünen- 
burg oder  Hunenburg  auch  die  gebräuchlichste  niederdeutsche  bezeichnung 
für  unsere  sog.  sächsischen  bürgen,  die  gegenwärtig  in  dem  'Atlas  vor- 
geschichtlicher befestigungen  in  Niedersachsen'  bearbeitet  werden.  Neben 
dem  oft  sich  widerholenden  Hünenburg-  begegnet  auch  Hünschc  bürg 
(vgl.  z.  b.  Rubel,  Franken  s.  118.  119.  131).  Mit  den  Hunnen  haben 
diese  anlagen  nicht  das  mindeste  zu  schaffen;  meist  werden  es  mit  dem 
fränkischen  li)rus  zusammenhängende  fränkische  kastelle  (befestigte  euries 
oder  villae  nach  Rubel,  Franken  s.  14.  115.  137)  gewesen  sein  und 
so  erschiene  der  name  'Hünenburg'  noch  durchaus  sachgemäß. 

1)  Vgl.  Na.ssauische  annalen  XXXII  taf.  1.  —  Zu  heidenkirchc  vgl,  Hiiner- 
kiiche  Nass.  mitteil.  1902,  45. 

2)  Vgl.  auch  Hünengraben,  Hünstollen,  Ilünensaut,  Hüncnkanip  u.a. 


282  KAUFFMANN 

Anfänglich  waren  es  aber,  wie  ich  gezeigt  zu  haben  glaube,  Römer 
und  altrömische  gründungen,  die  das  epitheton  Huni  führten.  Unter 
den  Ortsnamen  sind  die  sprechendsten:  Husten  (a.  d.  Ruhr)  =  Heusden 
(an  der  Maas;  ferner  in  Limburg  und  Ostflandern).  Denn  diese  gehen 
auf  Hunsati  d.  h.  'römische  kolonisten'  zurück  (Förstemann,  Orts- 
namen s.  V.).  Ungefähr  gleichbedeutend  sind  die  zahlreichen  Hüningen 
(im  Oberelsass,  bei  Aachen  u.  a.);  denn  auch  sie  scheinen  ihren  namen 
den  römischen  gründern  zu  verdanken  (vgl.  Hiininga  bei  Förstemann^, 
wo  der  entsprechenden  gallischen  gründungen  des  namens  Walehinga 
zu  gedenken  wäre).  Sehr  interessant  ist  es,  dass  So  ein  (Namenbuch 
s.  350)  eine  familie  die  Hüningen  verzeichnen  oder  dass  er  in  Hüningen 
den  Personennamen  Swarxe  belegen  konnte  (a.  a.  o.  s.  443);  er  hat  selbst 
schon  richtig  bemerkt  (s.  457),  dass  dieser  name  von  der  färbe  der 
haare  hergenommen  ist. 

Einen  entscheidenden  beleg  dafür,  dass  Hünen,  Hüninge  von  haus 
aus  die  auf  deutschem  boden  sitzengebliebenen  schwarzhaarigen  Römer 
und  deren  abkömmlinge  bezeichnete,  hat  jetzt  K.  Schumacher  in  der 
(vom  Römisch -germanischen  centralmuseum  herausgegebenen)  Mainzer 
Zeitschrift  2,  15  beigebracht.  Er  handelt  hier  über  das  wichtige  problera, 
dass  die  gallo -römische  bevölkerung  Südwestdeutschlands  nach  dem  stürz 
des  römischen  reichs  auf  ihrer  schölle  unter  den  Germanen  der  völker- 
wanderungszeit  sitzengeblieben  ist;  noch  erinnern  nach  seinen  werten 
die  mit  -bürg  zusammengesetzten  Ortsnamen  an  die  alten  Römerkastelle 
und  Römersiedelungen.  Die  spuren  der  Römer  haben  sich  vor  allem 
auch  in  dem  somatischen  typus  der  heutigen  bevölkerung  jener  grenz- 
gegenden  aufzeigen  lassen,  wo  ausserordentlich  viele  menschen  von 
brünetter  hautfarbe  und  mit  dunkeln  äugen  und  haaren  wohnen.  Schu- 
macher fährt  fort:  „Als  ich  die  ausgrabung  der  römischen  kastelle  im 
badischen  Odenwald  begann,  fiel  mir  diese  erscheinung  sofort  auf.  Ein 
eingehenderes  Studium  der  geschichte  dieser  gegenden,  ihrer  bevölkerung 
und  erwerbsverhältnisse  usw.  überzeugte  mich,  dass  eine  ein  Wanderung 
und  mischung  der  bevölkerung  in  neuerer  zeit  vollständig  ausgeschlossen 
ist  und  dass  somit  tatsächlich  nachkommen  jener  gallisch -römischen 
grenzbevölkerung  anzunehmen  sind,  wie  es  G.  Wolff  auch  für  das  Main- 
tal und  die  Wetterau  nachgewiesen  hat.  In  einem  orte  wurde  sogar 
eine  solche  dunkelfarbige  familie  mit  dem  uznamen  Hennen  bezeichnet, 

1)  Ebenda  Huningicüari  (<  villa\  Huninghova  (dazu  So  ein,  Namenbuch 
s.  404),  Hunindorf  und  ähnliche.  Ich  mache  noch  auf  die  personennamen  Himine, 
Hununc  (Socin,  Namenbuch  s.  185)  aufmerksam;  dazu  gehört  wol  der  ortsname 
Eutigen;  bei  Hönningen  a.  Rh.  beginnt  der  Limes. 


HÜNEN  283 

was  in  jener  gegend  soviel  als  ILuiieu  bedeutet.  Hennenhäuser  [vgl, 
oben  s.  280  fg.  Ilainliaiiti]  heissen  dort  die  römischen  wachtürme  am 
grenzwall." 

Mit  einiger  Zuversicht  vermögen  wir  nunmehr  den  aus  dem  ags. 
als  Wealhhnn  und  dem  ahd.  als  Walahun  (Socin,  Namenbuch  s.  215) 
bekannten  personennamen  dahin  zu  deuten,  dass  er  im  gegensatz  zu 
Äepvlhün  —  Adalhim  so  viel  besagt  als  Galloromane  (wie  ags.  Rö9n- 
ivealh  'romanisierter  Kelte'). 

Nachdem  J.  Hoops  in  den  H.  Paul  als  festgabe  dargebrachten  Ger- 
manistischen abhaudlungen  (Strassburg  1902)  s.  167fgg.  die  etymologische 
bedeutung  des  altgerm.  wertes  hün  glücklich  festgestellt  und  erwiesen  hat, 
dass  es  'dunkel,  schwarz,  braun'  bedeutete  (s.  177 fgg.)',  ist  die  ältere 
ansieht  wider  zu  ehren  gekommen,  nach  der  die  Hünen  angehörige 
eines  fremden  volkes  bezeichneten,  mit  denen  die  Germanen  in  Deutsch- 
land zusammengetroffen  sind.  Finnen  können  dies,  wie  man  früher 
geglaubt  hat,  nicht  gewesen  sein,  weil  die  Finnen  hellfarbig  erscheinen 
wie  die  Germanen.  Kelten  können  es  ebensowenig  gewesen  sein,  weil 
die  Kelten  in  ihrer  somatischen  erscheinung  „den  Germanen  ähnlich, 
als  blond,  blauäugig,  weisshäutig  geschildert  werden "  (R.  Much,  Stamraes- 
kunde  s.  41).  Hunnen  und  Wenden  kommen  nicht  in  frage,  weil  jene 
germanischen  mit  Hunt  gebildeten  namen  früher  auftreten,  als  die  ge- 
nannten eindringlinge  (Müllenhoff,  Zs.f.d.a.  11,  284).  M.  Rieger  befand 
sich  mit  der  behauptung  Hünen  sei  der  volkstümliche  name  für  Finnen 
im  Irrtum;  er  wäre  ihm  entgangen,  wenn  er  zwei  von  ihm  erwähnte 
tatsachen  verfolgt  hätte  1)  dass  das  volk  den  hünen  „hier  und  da  die 
bauten  der  Römer  zuschreibt"  (Archiv  f.  hessische  geschichte  15,  4)  und 
dass  2)  altnord.  Hünaland  auf  A¥estdeutschland  bezogen  werden  müsse. 
Er  sagt  nur:  „es  bestand  die  annähme,  dass  in  "Westfalen  Hnnen  gewohnt 
hätten"  (a.  a.  o.  s.  5).  Während  nämlich  im  Nibelungenlied  die  alte 
Römerstadt  Xanten  (<  Ad  sanctos)  als  heimatsort  des  Sigfrid  belegt 
und  Niderkü/t  als  der  Schauplatz  der  Sigfridsage  ausgegeben  ist,  wird 
in  der  nordischen  Überlieferung  für  den  gleichen  sagenzug  der  ältere 
volkstümliche    Sprachgebrauch    bewahrt   und    als    des  beiden  heimat 

1)  Vgl.  Helm,  Beitr.  30,  328 fgg.  Es  liegt  in  personenuamon  wie  Hunarix 
vor,  die  nach  Fick  und  Much  von  gleichartigen  keltischen  bildungen  nicht  getrennt 
werden  dürfen,  in  orts-  und  flussnamen  wie  Hunaberg,  Hunaha  u.  a.  (Hoops  s.  178. 
Beitr.  30,  328).  Von  dieser  älteren  gruppe  sind  wol  die  «-stamme  zu  sondern.  Dass 
Iluni-  in  germanischen  personennamen  sich  auf  ein  fremdes  volii  beziehen  iiönne, 
hat  man  abgewiesen  (Hoops  s.  175);  aber  mit  unrecht,  wie  die  personennamen,  die 
ivinid-  oder  icalh  enthalten,  beweisen  (z.  b.  Winilharius - nutiimiuidus  Jordanes  250). 


284  KATTFFMANN 

Hünalnnd,  folglich  Sigurfir  w«  h?/nsJn  genannt i.  Angesichts  der  Überein- 
stimmung unserer  quellen  darf  man  kaum  von  einer  Verschiebung  in  der 
Sagengeographie  reden,  um  so  weniger  als  Hünaland  für  das  römische 
Germanien  eine  ebenso  einwandfreie  benennung  ist  wie  Niderlant 
[=  Oermanin  inferior).  Im  Rheinland  hatten  die  Römer  für  ihre 
legionen  auch  ein  bis  zur  Ruhr  und  zur  Sieg  sich  erstreckendes  rechts- 
rheinisches territorium  frei  gehalten  (Bonner  Jahrbücher  CXI,  291fgg.); 
soweit  Westfalen  vom  Lippeliraes  beherrscht  war  und  zur  römischen 
einflusssphäre  gehörte,  ist  die  bezeichnung  Hünaland  sogar  für  "West- 
falen geschichtlich  begründet  und  berechtigt  (Beitr.  9,  484).  Für  die 
entwicklungsformen  der  Nibelungensage  ist  es  denn  auch  von  grund- 
legender bedeutung  geworden ,  dass  sich  diese  hünischen  d.  h.  altrömischen 
striche  Nordwestdeutschlands  als  alter  Schauplatz  der  ereignisse  haben 
erweisen  lassen  (Boer,  Zeitschr.  38,  39fgg.).  Die  gleichung  Hünaland  = 
Niderlant  =  Germania  inferior  (als  römische  provinz)  erscheint  daher 
unanfechtbar.  Aus  ihr  folgt  aber  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit,  dass 
der  name  Hünaland  auch  der  ältesten  deutschen  Sigfridsage  ange- 
hört und  in  der  altnordischen  Überlieferung  getreu  bewahrt  worden  ist. 
Es  bedarf  jetzt  nur  noch  der  prüfung,  ob  mit  den  Hinnen  der  sage 
ursprünglich  die  bewohner  der  rheinischen,  ehemals  römischen  provinz 
gemeint  waren  und  ob  etwa  erst  seit  dem  10.  jahrh.  diese  Hinnen  vor 
den  Hunne?i  das  feld  haben  räumen  müssen.  Dadurch  könnte  die 
rätselhafte  Übertragung  der  Burgunderkatastrophe  nach  Pannonien  am 
ehesten  herbeigei'ührt  worden  sein  2. 

Denn  das  ist  der  spätere  Sprachgebrauch,  dass  die  in  Pannonien 
sitzenden  Ungarn  das  auszeichnende  attribut  'die  schwarzen'  an  sich 
gezogen  haben,  nachdem  in  den  Jahrhunderten  der  Völkerwanderung  die 
Hunnen  mit  demselben  werte  benannt  worden  waren  (Hoops  s.  179fg.). 
hnnisc  drnpo  (Ahd.  gl.  3,  91,  47)  wird  doch  wol  wie  mhd.  kmiiseJ/er 
ivin  den  Ungarwein  bezeichnen  (Zs.  f.  d.a.  23,  207;  Heyne,  Hausalter- 
tümer 2,  105;  dazu  Hoops  s.  178  gegen  Dwb.  4,  2,  513.  1291).  Damit 
nicht  genug.     Schliesslich  sind   auch   die  schwarzhaarigen  Wenden  an 

1)  Vgl.  beispielshalber  Husten  a.  d.  Ruhr  (oben  s.  282),  Hunenberg  bei  Cleve 
(Westd.  zeitschr.  14,  409)  oder  den  Tlunerbcrg  bei  Nijmegen  (Westd.  korrospondenz- 
blatt  1902,  46);  über  Hmifieeum  vgl.  Westd.  monatsschrift  6,  9;  über  Hunsrück  u.  a. 
Westd.  monatsschrift  5,  271  fg. 

2)  Pannonii:  Euni  Ahd.  gl.  2,  759,  7.  3,  610,  15.  25.  Dazu  müs-sen  die  höchst 
characteristischen  personennamen,  welche  die  erinnerung  an  die  Hunnenvernichtung  auf 
dem  Lechfeld  eingegeben  hat,  angezogen  werden:  Huninwe,  Huninflor  (zu  fleosan 
■verlieren),  Huninleit,  Rimintot  (Socin,  Namenbuch  s.  211). 


HÜNEN  285 

der  Elbe  'Hünen'  oder  'Hüuer'  genannt  worden:  in  der  Altmark  und 
nachbarschaft  gibt  es  Hünerdörfer;  in  ihnen  sind  von  den  Deutschen 
die  unterworfenen  Wenden  angesiedelt  worden  (22.  Jahresbericht  des 
altraärkischen  Vereins  für  vaterländische  geschichte  [1889]  s.  162). 

In  zeitlichen  abständen  haben  die  verschiedensten  volkstypen,  sofern 
sie  nur  durch  ihr  dunkles  gesiebt  und  ihre  schwarzen  haare  den  Ger- 
manen auffielen,  die  benennung  Huni^  Hiiinen  erhalten.  „Offenbar  sind 
diese  Huiti  nach  ort  und  zeit  ein  höchst  schwankender  begriff,  bald 
dachte  man  sich  Pannonier,  bald  Avaren,  bald  Wandalen  und  Slaven 
unter  ihnen"  (J.  Grimm,  Mythologie  s.  433).  Aber  vollkommen  deutlich 
tritt  in  unserer  Überlieferung  das  ergebnis  zu  tage,  dass  mit  diesem  namen 
die  Germanen  ehemals  auch  die  Römer  belegt  haben  und  dass  die  Römer 
die  ersten  gewesen  zu  sein  scheinen,  die  von  den  Germanen  iJz^/w  genannt 
wurden.  Will  man  vollends  die  heute  geläufige  bedeutung  von  'hüne' 
begreifen,  so  darf  man  keinesftUls  (wie  H.Paul  im  Deutschen  Wörterbuch) 
die  Hunnen  als  urbild  wählen i.  Dagegen,  dünkt  mich,  entspricht  es 
durchaus  der  eigenart  volkstümlichen  denkens,  wenn  sich  ihm  die 
riesenhafte  tatkraft  der  Römer  zu  dem  anschaulichen  bild  der  das  mensch- 
liche normalmass  gewaltig  überragenden  hünen  unserer  deutschen  volks- 
sagen  verdichtete.  Gut  würde  es  dazu  stimmen,  wenn,  wie  J.  Grimm 
(Mythologie  1,433.  3,151)  anzudeuten  scheint,  der  Niederrhein  und 
Westfalen  die  'hünen'  volkstümlicher  geschichtsüberlieferung  zu  dem 
bilde  der  heimischen  riesen  urageschaffen  hätten,  und  dieser  neuere 
Sprachgebrauch  aus  dem  alten  Hünaland  stammen  sollte. 

Nun  hatte  ich  mich  in  der  Festgabe  für  Sievers  (s.  153fgg.)  gegen 
die  alteingewurzelte  lehre  gewendet,  es  seien  im  Hildebrandslied  die 
Worte  Huneo  truhtin  (v.  35)  mit  'Hunnenfürst'  zu  übersetzen.  Ich  hatte 
vorgeschlagen,  hinter  dem  Ilimeo  truhtin  eher  den  oströmischen  kaiser 
als  den  Hunnenkönig  Attila  zu'  suchen.  Auch  meine  auffassung  von 
alter  Ilnn  (v.  39)  ging  dahin,  dass  Hildebrand  als  mit  byzantinischer 
pracht  (ckeisuringu)  geschmückter  feldherr  gezeichnet  sei  (s.  142).  Trotz 
allen  Widerspruchs,  dem  dieser  gedankengang  begegnet  ist  (vgl.  z.  b. 
Beitr.  26,  76),  muss  ich  im  wesentlichen  bei  ihm  verharren,  wenn  ich 
auch  zugestehe,  dass  meine  ausdrucksweise  nicht  einwandfrei  gewesen 
ist.      Ich    habe  nämlich  den  Irrtum  begangen,    den  römischen    kaiser 

1)  Hoops  s.  176 fg.;  minutum  tetrum  atqiie  exile  quasi  hominum  genus  Jor- 
danes  122.  Klu{,'0  (Et.  wb.  s.  v.  hünc)  ist  der  Wahrheit  näher  gekomnieii,  als  er  sich 
dahiu  aussprach:  „zweifellos  weist  das  norddeutsche  hüiie  vielmelir  auf  einen  germa- 
nischen volksstamm."  Vgl.  die  „Germanen'^  .  .  Huitni,  Antit/iti  Sfuoiics,  Bontctiuiri 
ßeda,  Hist.  eccles.  5,  9. 


286  KAUFFMANN 

nur  als  Byzantiner  zu  bezeichnen,  die  Wörter  Hiin,  Huneo  auf  die 
Balkanvölker  und  im  besondern  auf  die  Byzantiner  zu  beziehen.  Da- 
durch bin  ich  in  Widerspruch  mit  dem  volkstümlichen  deutschen 
Sprachgebrauch  geraten,  sehe  mich  also  veranlasst,  diesen  Widerspruch 
nunmehr  zu  beseitigen  und  im  einvernehmen  mit  unserer  heimischen 
Sprachüberlieferung  Huneo  truhtin  als  'römischer  kaiser'  und  alter 
Hun  als  'alter  Römer'  zu  interpretieren  (vgl.  die  persoaennamen  Althirn, 
AdalKun). 

Dass  in  jüngeren  Überlieferungen  die  Hunnen  Attilas  träger  der 
handlung  geworden  sind,  die  zuvor  den  'Hünen'  zukam,  ist  innerhalb 
der  Volksdichtung  die  selbstverständlichste  sache  von  der  weit.  Das 
kastell  Butzbach  haben  wir  unter  dem  namen  Heuneburg  kennen  ge- 
lernt (oben  s.  281).  Im  ORL  lief.  I  nr.  14  s.  1  lesen  wir  als  citat  aus 
einem  a.  1711  veröffentlichten  buch:  „Negst  vor  der  statt  gärten  an  der 
Giesser  landstrassen  ist  ein  ort,  annoch  die  Heuneburg  genannt,  all  wo 
man  das  alte  gemäuer,  als  ob  es  eine  bürg  gewesen,  sehen  kann  und 
die  ackerleute  öfters  alte  römische  münzen  finden  .  .  .  insgemein  wird 
dafür  gehalten,  dass  der  Hunnenkönig  Attila  einen  festen  ort  dahin 
solte  gebauet  haben." 

KIEL.  FRIEDEICH    KAUFFMANN. 


ANGAEGATHUNGI 

In  seiner  ausführlichen  erörterung  des  7.  capitels  von  Tacitus  Ger- 
mania erzählt  Müllen  hoff  (DA  4,  190),  anfangs  der  40ger  jähre  des 
19.  jahrh.  habe  G.  Waitz  von  ihm  den  deutschen  namen  für  den  taci- 
teischen  princeps  wissen  wollen:  „ich  wusste  ihm  darüber  keine  aus- 
kunft  zu  geben  und  weiss  es  auch  heute  nicht."  So  .aussichtslos,  wie 
man  danach  glauben  könnte,  scheinen  die  dinge  aber  doch  nicht  zu 
liegen.  Man  muss  nämlich  im  römischen  Sprachgebrauch  drei  klassen 
von  frhicipes  sondern. 

1.  kenneu  wir  iwincipes  als  gerichtsherren  der  pagi.  Sie  sind 
noch  für  die  alten  Sachsen  in  der  Vita  Lebuini  (MG  Script.  2,  361; 
MüUenhoff  DA  4,  195  fg.)  bezeugt:  singuMs  fagis  principes  ijraoerant 
singuU.    Damit  stimmt  die   aussage  Caesars:  pr/Hcipe-s  regionum  atque 


ANGARGATHUNGI  287 

pagorum  inter  suos  ins  dicunt  (de  bell.  gall.  6,  23)  und  die  angäbe  des 
Tacitus:  principes  qui  iura  per  pagos  vicosqtie  reddunt  (Germ.  c.  12; 
vgl.  Sybel,  Königtum ^  s.  72.  110.  80fg.  109).  In  diesem  falle  sind 
mit  den  pri7ici2)es  beamte  gemeint.  Ihre  altdeutsche  bezeiclmung  lebt 
in  unserem  nhd.  wort  'bürge'  fort;  dies  ist  das  nomen  agentis  zu 
'borgen'  (ahd.  borgan:  acht  auf  etwas  haben,  observare)  und  liegt  in 
den  altdeutschen  amtsbezeichnungen  ragi)iburgii,  heimburgo  (tribunus) 
artjyurgi  (magistratus  Ahd.  gl,  1, 207)  vor.  Die  definition  von  artpurgi 
gibt  Caesar:  magistratus  ac  priiidpes  in  amios  singulos  gentibus 
cognationibiisque  hmninuni  qtiique  una  coierunt  quantum  et  quo  loco 
visum  est  agri  attribuunt  atque  anno  post  alio  transire  cogunt  (de  bell, 
gall.  6, 22). 

2.  kennen  wir  principes  =  proceres  als  eine  höhere  rangklasse 
der  nobilität  (MüUenhoff  DA  4, 185fg);  sofern  ihre  mitglieder  den  titel 
^pjrinfipcs'  führen,  heissen  sie  and.  erlös ^  ags.  eorlas^  anord.  jarlar 
(MüUenhoö",  DA  4,188).  Dass  es  sich  bei  dieser  categorie  um  eine  ge- 
sellschaftlich höher  stehende  adelsklasse,  mit  selbständiger  titulatur 
handelt,  erhebt  der  von  Tacitus  (Germ.  c.  13)  gebrauchte  ausdruck 
principis  dignatio  über  jeden  zweifei;  zuerkannt  wird  diese  ehren- 
stellung  nur  in  dem  fall,  dass  insignis  nobilitas  oder  magna  patrnin 
merita  notorisch  sind;  vgl.  auch  Heusler,  Herrigs  archiv  116,  278.  280. 

3.  kennen  wir  innerhalb  der  civitas  einen  und  zwar  nur  einen 
princeps  civitatis^  der  Germ.  c.  10  neben  dem  rex  und  dem  sacerdos 
aufgeführt  ist.  Als  seine  epitheta  ornantia  deutet  Tacitus  (Germ.  c.  11) 
nobilitas  und  decus  bellorum  an;  er  ist  also  nicht  gerichtsherr  eines 
pagus,  sondern  die  leitende  (bewährte  und  erfahrene)  militärische  persön- 
lichkeit in  einer  altgermanischen  civitas  (got.  [n'uda)^  und  als  solche 
mit  einem  gemeingermanischen  worte  (got.  piudans)  benannt.  Der  p)ri7iceps 
civitatis  erscheint  aber  auch  unter  der  bezeichnung  dux  (Germ.  c.  7), 
denn  er  hat  die  führung,  sobald  die  civitas  unter  die  waffen  tritt. 
Die  stimm-  und  wehrfähigen  repräsentanten  einer  civitas  heissen  in 
der  spräche  unserer  alten  volksrechte  exercitus  oder  auf  altdeutsch  heri: 
der  genau  mit  dem  Taciteischen  princeps  civitatis  in  der  eigenschaft  eines 
dux  sich  deckende  altdeutsche  terminus  ist  also  unser  her\og  (and.  //rri- 
iogo)\  denn  dieses  wort  bedeutet  gerade  so  viel  als  „führer  der  wehr- 

1)  Vgl.  das  ags.  Sprichwort  in  Pauls  Grundr.  2*,  969.  —  Sehr  schon  iiat  neiier- 
diogs  V.  Domaszewski  den  su7nnms  tnagistralns  civitatis  Bataniriim  (CIL  XIII,  2 
nr.  8771)  als  princeps  civitatis  gedeutet  (CIL  XTII,  '2  \i.  619;  vgl.  Korieapondenzblatt 
der  AVestdeutschen  Zeitschr.  1904,  179fgg.). 


288  KADFFMANN 

männer  einer  civitas" ;  ein  älterer  ausdruck  für  den  princeps  civitatis 
als  dux  einer  militärisch  organisierten  civitas  scheint  übrigens  in  anord. 
dröttinn^  westgerm.  druhtin  —  ein  pendant  zu  anord.  ßjöpann,  westgerra. 
Peodan^  —  vorzuliegen.  Der  sache  nach  gibt  es  nur  einen  heritogo  und 
einen  druhtin^  wie  es  auch  nur  einen  princeps  civitatis  gibt;  seine 
Charge  kann  nicht  mit  mehreren  personen  besetzt  sein.  Der  princeps 
civitatis  gehörte  seiner  rangklasse  nach  wol  meist  dem  principat  an  [ubi 
qiiis  ex  principibus  in  concüio  dixit  se  duce?n  fore  Caesar,  de  bell, 
gall.  6,  23).  Aus  dieser  obersten  adelsschicht  wurde  derjenige  zum  dux 
(d.  h.  zum  militärischen  princeps  civitatis)  erwählt,  den  anerkannte 
militärische  tüchtigkeit  zu  diesem  amt  empfahl  (Germ.  c.  7).  Das 
klassische  beispiel  ist  Arminius  {dux  .  .  .  und,  wie  Segestes,  unus  prin- 
cipum  Florus  Hist.  Rom.  2,  30;  Sigimeri  principis  gentis  eius  filius 
Velleius  2,  118;  Müllenhoff  DA  4,  186).  Ausser  ihm  darf  aber  auch  der 
Canninefate  Brinno  genannt  werden,  dessen  wähl  von  Tacitus  sorgsam 
nach  ihren  Voraussetzungen  wie  nach  ihren  formalitäten  geschildert 
worden  ist:  erat  in  Canninefatibus  stolidae  audaciae  Brinno  clari- 
tate  natalium  insignis  .  .  .  iyipositus  scuto  more  gentis  et  sustinen- 
tium  umeris  vihratus  dux  eligitur  (Hist.  4, 15). 

Nicht  die  beamtenqualität  sondern,  die  gesellschaftliche  rang- 
stellung  sicherte  den  principes  bei  der  jährlichen  ackerverteilung  eine 
bevorzugung.  Den  principes  unserer  zweiten  gruppe,  dem  stände  der 
erlös  fiel  ohne  rücksicht  auf  ihre  eventuelle  function  als  gerichtsherrn 
der  pagi  dauernd  ein  grösserer  anteil  am  ackerlande  zu,  als  den  übrigen 
Volksgenossen.  So  schliesst  sich  wörtlich  genau  an  den  ausdruck 
principis  dignatio  (Germ.  c.  13)  die  vielerörterte  stelle  Germ.  c.  26:  (agros) 
.  .  .  inter  se  secundum  dignatione7?i  —  d.  i.  etwa  'standesgemäss'  — 
partiuntur.  Es  ist  lange  über  die  bedeutung  des  wortes  dignatio  ge- 
stritten worden  (vgl.  G.  Waitz,  Verfassungsgeschichte  1^,  119.  137. 
14ofg.  168fg.  198).  Die  meinungsverschiedenheiten  sind  aber  jetzt  be- 
hoben'^. Waitz  äusserte  sich  selbst  am  bestimmtesten  s.  273:  „Die  werte 
secundum  dignalionem  bezeichnen  richtig  verstanden  nur,  dass  bei  der 
ersten  ansiedelung  auf  würde  und  ansehen  bei  der  Verteilung  rücksicht 
genommen   ward;    statuiert  man   eine  jährliche    Verteilung,    so    werden 

1)  Wie  piudans  so  viel  bedeutet  als  princeps  einer  civitas,  so  bedeutet  druhtin 
von  haus  aus  so  viel  als  den  princeps  eines  exercitus,  einer  7nilitia. 

2)  Auf  die  missverständliche  auffassung  bei  F.  Seebohm,  The  english  Village 
Community  s.  342fgg.  gehe  ich  nicht  ein;  die  lesart  vicis  kommt  angesichts  der  neuer- 
dings bekannt  gewordenen  Germania -Codices,  die  unser  textkritisches  gescliäft  so  wesent- 
lich vereinfacht  haben,  nicht  mehr  in  frage. 


ANOARGATHrNGI  289 

sie  ergeben,  dass  einzelne,  die  fürsten,  grössere  anteile  empfingen." 
Müllenhoff  (DA  4,  369)  übersetzt:  „Sie  teilen  unter  sich  nach  ihrem 
ansehen"  und  fährt  fort:  „denn  wenn  auch  die  losteile  gleich  waren, 
so  ist  doch  damit  nicht  gesagt,  dass  jeder  gleich  viel  teile  erhielt:  an- 
gesehene familieu,  die  edeln  mögen  mehr  als  ein  losteil  erhalten  haben 
und  auch  eine  Zerlegung  der  hufe  ist  denkbar.  So  gab  es  vermögens- 
und  besitzunterschiede  schon  in  der  ältesten  zeit."  Hoops  (Waldbäume 
und  kulturpflanzen  s.  523)  hat  sich  auf  den  satz  beschränkt:  „das  acker- 
laud  wurde  nicht  von  der  bauernschaft  gemeinsam  bewirtschaftet,  son- 
dern unter  die  einzelnen  nach  ihrer  würde  —  so  ist  secundum  digna- 
tionem  doch  wol  zu  übersetzen  —  verteilt." 

Man  hat  bei  der  lösung  dieses  Standes-  und  agrargeschichtlichen 
Problems  nicht  beachtet,  dass  die  unter  uns  allgemein  anerkannte  be- 
deutung  des  wortes  'dignatio'  (ehrenstellung)  auch  durch  den  deutschen 
Wortschatz  sichergestellt  werden  kann.  Aus  dem  satz:  quos  sorte  potes- 
taiis  excesserit  (Gregors  Cura  pastoralis)  erscheint  in  den  Ahd.  glossen 
(2,222,1)  das  verbum  dthan  und  zwar  perfektivisch  (furidihit)^,  wie 
denn  auch  das  part.  praet.  eine  Vorzugsstellung  zum  ausdruck  bringt 
(kidilan:  jjraecijnnis ,  perfecfus  Ahd.  gl.  1,  228,  28).  Im  selben  sinn 
kommt  and.  giikigan  neben  der  altern  und  isolierten  form  githungan 
vor  (thiorna  githigan  Hei.  253:  ivif  githungan  Hei.  319,  506);  dieses 
epitheton  ist  folglich  mit  'vornehm'  zu  übersetzen 2.  Als  vornehmer 
mann  erscheint  Thomas  im  Heiland  mit  den  prädikaten:  githungan  man, 
diiüiic  drohtines  thegan  (v.  3993  fg.)  wie  Enoch  in  der  altsächsischen 
Genesis  als  githungin  man  tris  endi  wordspäh  (v.  130).  Damit  steht 
ags.  ^pp/m^e7i  im  einklang  (Beow.  624.  1927  usw.);  wenigstens  schlägt 
diese  ältere,  anschaulichere  bedeutung  des  wortes  {=  noble)  durch  in 
belegen  wie  pe^en  •^epun-^en  (an  illustrious  ministre)  oder  ic  M 
^ep//n^}iesian  nemde  (I  have  named  the  most  distinguished:  Bosworth- 
Toller).  Nur  so  Avird  die  stelle  des  ags.  Johannesevangeliums  (ed.  Skeat 
188,  11)  verständlich,  wo  ^epyn^e  für  honour  steht. 

Ags.  ^epgn^e  hat  nun  aber  Brückner  in  dem  langobardischen 
wort  angargathungi  widererkannt  (Q.  F.  7 5,82) ^     Doch   übersetzte  er 

1)  Da.s  bei  Graff  5, 108  genannte  upardihit  beruht  auf  einem  lesefehler;  vgl. 
Ahd.  gl.  2,  172,74. 

2)  Die  Vorgeschichte  des  verbum  perfectivum  'gedeihen'  .scheint  .so  viel  zu  er- 
geben, dass  es  von  haus  aus  etwa  besagt  „sich  im  wolstand  befinden"  (vgl.  lit. 
tcnkü:  ich  habe  genug);  die  primäre  bedeutung  von  githungan  —  githigan  wäre 
danach  'wolhabend'  und  gathungi  könnte  mit  unserem  , wolstand'  synuuym  ge- 
wesen sein. 

3)  Zu  seinen  Schlussfolgerungen  vgl.  Si<!bs,  Zoitschr.  29,  405. 

ZFTr.SCHRlFT    K.     DKI'TSCIIK    J'HIU)1.(K;IK.        HD.   XI-.  19 


290  KAUFFMANN 

gathiingi  mit  'grosso'  und  das  compositum  mit  'ackergrösse'  oder  , grosse 
des  grundbesitzes'  und  stellte  eine  gleichung  mit  ,wergeld'  auf  (Q.  F.  75, 
135.  169.  181.  40.  202)1.  ich  kann  dem  nicht  zustimmen.  Die  be- 
legsteilen scheinen  mir  eine  abweichende  begriffsbestimmung  zu  recht- 
fertigen. 

Im  Ed.  Rothari  §  14  de  morih  heisst  es:  ingenuus  qualiter  in 
(Dujarfiatlmrigi  [id  est  secundum  qualitatera  personae]  ipsum  homicidium 
componat.  §  48  de  oculo  er  also:  si  quis  alii  oculuni  excusserit,  pro 
mortuum  adpretietur  qualiter  in  angargathnngi  id  est  secundum  qua- 
litatem  personae.  §  74:  ille  qui  eum  plagavit,  componat  qualiter  i^i 
angargathnngi  id  est  secundum  qualitatem  personae  (o/tou  egiIv  6f.ioio- 
Ttgooiono  M  G  Leg.  4,234).  Auch  in  den  glossaren  steht  derselbe  aus- 
druck,  aber  mit  abweichender  erklärung:  in  angargathiingin  id  est 
secundum  arbitriitm  regis  sicut  appraeciatum  fuerit  (1.  c.  651, 36);  in 
qargathugi  secundum  arbitrium  regis  sicut  appreciatus  fuit  iuxta  quali- 
tatem persone  (1.  c.  654,22).  Als  echt  und  zuverlässig  kann  nur  das 
lemma  secundum  (iuxta)  qualitaton  2Jerso7iae  gelten.  Daher  ist  durch- 
aus Meyer  beizupflichten,  der  gesehen  hat-,  dass  angargatJmngi  die 
'würde',  den  wert  einer  person  in  erster  linie  bezeichnet  und  mit  as. 
gltJiungan ,  ags.  ■^eJ>ungeH  zusammengehört.  Nicht  mehr  vermag  ich  ihm 
zu  folgen,  wenn  er  fortfährt:  „Da  nun  dieser  wert  auf  dem  grösseren 
oder  geringeren  reichtum  an  gras-  oder  ackerland  beruht,  so  fällt  der 
erste  bestandteil  zusammen  mit  ahd.  angar  und  das  ganze  bezeichnet 
somit  den  wert  einer  person,  insofern  dieser  auf  ihrem  grundbesitze 
beruht".  Schon  Osenbrüggen^  hatte  angargathungi  als  'das  wer- 
geld  des  getöteten'  gefasst,  aber  auch  darauf  hingewiesen,  dass  als 
Varianten  der  formel  secundum  (jualitatem  personae  die  werte  secundum 
gener ositatem  bezw.  secivndion  noljiliiatem  begegnen  (Ed.  Rothari 
75.  378).  Hier  erst  treffen  wir  die  mit  ags.  ^epyn^e  voll  überein- 
stimmende d.h.  die  ursprünglichere  bedeutung  von  angargathungi. 
Sie  ist  neuerdings  von  L.  M.  Hartmann  richtig  auf  'die  Vornehmheit 
der  sippe'  bezogen  worden:  „Der  langobardische  rechtsausdruck  für  den 
massstab  der  abschätzung  ist  in  angargathungi  d.  h.  eigentlich:  nach 
der  grosse  des  besitzos  (angers);    er  wird   schon  von  Rothari  übersetzt 

1)  Brunnor  Rechtsgeschichte  I,' 286 fg.  ist  geneigt,  dieser  combination  beizu- 
pflicliteu;  angargaüiungi  übersetzt  er  mit/augergrösse'. 

2)  Sprache  der  Langobarden  s.  278. 

3)  Das  strafrecht  der  Langobarden  s.  C2.  Ich  brauche  wol  kaum  einzu- 
wenden, dass  die  Langobarden  für  wergeld  ein  eigenes  wort  besassen:  Iskügoh.  tvergild, 
icidregild. 


ANGAKGATHUXGI  291 

secundum  qualitatem  pcrsonae,  so  dass  man  schliessen  kann,  dass  die 
grosse  des  Landbesitzes  und  die  wertung  der  person  zusammenfielen 
oder  vielmehr,  dass  schon  bei  der  landverteilung  die  vornehme 
abstammung  für  die  grosse  des  anteils  mitbestimmend  war"  i. 
Die  juristische  forme!  in  migargatkimgi  muss  aus  einer  Wirtschafts- 
ordnung abgeleitet  werden,  die  mit  der  von  Tacitus  (Germ.  c.  26)  ge- 
schilderten übereinstimmt;  durch  jene  kann  daher  diese  vielbehandelte 
Germaniastelle  ihre  erledigung  finden. 

Angar  bezeichnet  das  unter  kultur  genommene  land  und  ist  lat. 
nrva  gleichzusetzen  (arva:  angar  Ahd.gl.  1,  9,26.  2,830,18)^;  gathungi 
ist  dasselbe  wie  lat.  r//(7Wrtif/o  =  ehrenstellung;  das  compositum  angar- 
gathioigi  wäre  morphologisch  etwa  mit  ahd.  eregrehti  zu  vergleichen 
und  die  formel  in  angargathtmgi  folglich  zu  interpretieren  „nach 
massgabe  der  in  bezug  auf  die  ackerflur  geltenden  ehrenstellung".  Es 
ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  diese  anerkannte  und  standesgemässe 
ehrenstellung  der  principes  u.  a.  auch  in  ihrem  grösseren  wolstand  be- 
gründet war;  reichtum  und  besitz  dürfen  aber  neben  andiern  factoren 
aristokratischer  und  genealogischer  tradition  nicht  überschätzet  werden. 

1)  Geschichte  Italiens  im  niittelalter  II,  2,  10.  46. 

2)  lu  einem  Jandesteil ,  in  dem  der  gegensatz  zu  unfruchtbarem  moorboden  sich 
aufdrängt,  ist  ein  volksuame  wie  Angrivarii  wol  verständlich  (MüUenhoff,  D.  A.4,  424).  — 
Das  von  Tacitus  im  contrast  zu  arva  gebrauchte  wort  aycr  ist  nach  seinem  bedeutungs- 
gehalt  klar  definiert  durch  die  von  Seebohm,  Village  Community  s.  344  angezogene 
stelle:  ager  dictus  qui  a  divisoribus  agrorum  relictus  est  ad  pascendum 
communiter  vicinis  (Gromatici  veteres  ex  rescensione  C.  Lachmann  1,  369)  = 
anord.  f(dft'P\  zu  arra  cf.  Thesaurus  linguae  latinae  2,  731  (=  terra  quae  aratur  agri 
seminibus  apta). 

KFKL.  FRIEDIUCII    KAUFFMANN. 


19^ 


292  BOER 

UNTEESÜCHUNGEN  ÜBER  DIE  HILÜESAGE. 

(Scbluss.) 
§  12.    Weitere  alte  elemente  von  K  I  und  K  II. 

Es  ist  klar,  dass  in  K  II  für  Wate  überhaupt  kein  platz  ist.  Er 
ist  der  entführer  der  Jungfrau  aus  K  I;  durch  die  Verbindung  mit  K  Ib 
wurde  er  zu  einem  vasallen  Heteles,  und  als  in  K  II  Hetele  an  Hagens 
stelle  trat,  bekam  Wate  auch  hier  einen  platz,  und  zwar  auf  der  seite 
des  Vaters  der  entführten  Jungfrau,  also  eine  rolle,  die  seiner  ursprüng- 
lichen diametral  entgegengesetzt  ist.  Dasselbe  gilt  von  anderen  per- 
sonen,  die  in  K  II  auf  Heteles  seite  auftreten.  Horant  stammt  in  K  I 
aus  K  Ib,  in  K  II  aus  K  I  (+  Ib).  Auch  Fruote  tritt  in  Heteles  gefolge 
in  K  II  ein. 

Anders  verhält  es  sich  mit  solchen  gestalten,  die  in  K  II  zwar 
auf  Heteles  seite  auftreten,  aber  noch  nicht  in  K  I.  Wir  müssen  hier 
mit  der  möglichkeit  rechnen,  dass  sie  alle,  oder  dass  einige  von  ihnen 
von  anfang  an  zu  K  II  gehört  haben.  In  diesem  fall  ist  ihre  beziehung 
zu  Hetele  secundär;  sie  standen  dann  ursprünglich  in  derselben  bezie- 
hung zu  Hagen.  Endlich  ist  die  möglichkeit  zu  erwähnen,  dass  gestalten 
aus  K  I  nicht  in  Heteles  gefolge,  sondern  aus  einem  anderen  gründe 
in  K  II  übertragen  worden  sind,  und  auch  Übertragungen  von  K  II  in 
K  I  sind  nicht  ausgeschlossen. 

Eine  gestalt,  deren  Stellung  einer  näheren  Untersuchung  bedarf, 
ist  Herwig.  Ihm  fällt  die  rolle  des  von  dem  vater  begünstigten  neben- 
buhlers  zu.  Die  gestalt  ist  uns  schon  aus  älteren  fassungen  der  sage 
bekannt;  sie  entspricht  vollständig  dem  H^öbroddr  in  der  Helgisage 
und  dem  verlobten  der  Ribboldvise  und  der  Shetlandsballade.  Die  dar- 
stellung  unseres  gedichtes  weicht  zwar  in  einem  hauptpunkte  von  den 
übrigen  quellen  ab,  indem  auch  Küdrün  Herwig  vorzieht,  während 
Sigrün,  Guldborg  und  Hildina  den  entführer  lieben.  Aber  dass  hier 
neuerungen  vorliegen,  haben  auch  andere  schon  vermutet. ^  Es  sind 
andeutungen  vorhanden,  dass  Küdrün  dem  Hartmuot  nicht  so  abgeneigt 
war,  als  der  dichter  uns  glauben  machen  Avilj.  Zunächst  ist  auf  den 
wunderlichen  auftritt  hinzuweisen,  mit  dem  man  gar  nichts  anzufangen 
weiss,  wo  Hartmuot  als  ein  unbekannter  nach  Hegelingen  kommt  und 
heimlich  mit  Küdrün  redet  (620 fgg.),  und  wo  es  u.a.  heisst  (626,3): 
si  was  im  doch  gencedic,  der  er  im  herxcn  gerte.  Wie  ein  solcher 
auftritt    in    eine    Überlieferung,    in    der   Küdrün   von    anfang   an    sich 

1)  So  Wilmanns,  Entwicklung  usw.  s..  22G,  der  namentlich  Kiidrüns  Verhältnis 
zu  Herwig  ins  äuge  fasst.     Übrigens  geht  Wilmanns  auch  hier  ganz  andere  wege. 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    HII.DESAGE  293 

Hartmuot  gegenüber  abweisend  vorhalten  hätte,  aufgenommen  werden 
konnte,  ist  ganz  unverständlich.  Der  auftritt  verträgt  sich  auch  gar 
nicht  mit  dem  unmittelbar  vorhergehenden  abschnitt,  in  dem  Hartmuot 
durch  boten  wirbt  und  einen  korb  bekommt.  Aber  die  Werbung  durch 
boten  ist  eine  an  vielen  stellen  des  gedichtes  eingeführte,  aus  einem 
fremden  Überlieferungskreise  stammende  neuerung;  die  typische  form 
der  Hildesage  ist,  dass  der  freier,  wie  in  unserem  auftritt,  selber  sich 
einstellt.  Unser  auftritt  lässt  sich  demnach  nur  als  ein  durch  einen 
neuen  ausgang  (weigeruug,  obgleich  sie  ihm  gewogen  ist)  der  neuen 
Situation  angepasster  rest  einer  alten  eingangsscene  verstehen;  durch 
die  jüngere  botenscone  ist  er  völlig  sinnlos  geworden.^  Hartmuots 
heimlicher  besuch  bei  Kiidrün  muss  mit  der  stelle,  wo  er  seine  schiffe 
in  der  nähe  von  Hagens  bürg  verbirgt  (750  fg.)  zusammenhängen:  er 
lässt  seine  mannschaft  warten,  geht  selber  an  den  hof,  verführt  das 
mädchen,  führt  sie  zu  den  schiffen  und  segelt  davon.  Unser  dichter 
hat  die  beiden  stellen  voneinander  getrennt,  und  nun  bekommt'  das 
verbergen  der  schiffe  einen  neuen  zweck:  es  sollen  noch  einmal  boten 
um  Küdrün  anhalten  und  den  krieg  ansagen,  wenn  sie  ihm  nicht  ge- 
geben wird.  Das  ist  nach  allem,  was  Hartmuot  bisher  erfahren  hat, 
zum  mindesten  vollständig  überflüssig.  Die  scene  scheint  auch  noch 
jünger  zu  sein  als  der  gewiss  auch  nicht  alte  angriff  Hartmuots  auf 
Matelane;  wenigstens  könnte  man  es  sogar  dem  Küdründichtor  nicht 
zutrauen,  dass  er,  wenn  er  aus  einem  guss  arbeitete,  Küdrün,  nachdem 
der  krieg  ihr  formell  angekündigt  ist,  als  sie  die  feinde  sich  nahen 
sieht,  hätte  sagen  lassen  (777):  wol  mich!  du  kumet  Hetele,  min  herre.^ 
Übrigens  ist  auch  der  kriegerische  Überfall  eine  folge  der  neuerung, 
dass  Hartmuot  abgewiesen  wird.  Die  freundliche  behandlung,  die 
Küdrün  in  der  Normandie  von  Hartmuots  selten  erfährt,  könnte  man 
sonst  nicht  als  einen  beweis  für  Bin  zwischen  ihnen  bestehendes  liebes- 
verhältnis  gelten  lassen,  denn  sie  liesse  sich  auch  anders  erklären;  da 
aber  ein  solches  Verhältnis  aus  anderen  daten  erschlossen  werden  kann, 
ist   diese    behandlung    gewiss    als    eine    erinnerung    daran    aufzufassen. 

1)  Wilmanns  a.  a.  0.  s.  142  erklärt  die  scene  für  'eine  der  schlimmsten  partien' 
der  dichtung,  aber  nur  weil  sie  sich  mit  der  schablonenhaften  botenscene  nicht 
verträgt. 

2)  Dass  Küdrün  hoffte,  es  sei  Hetelo,  der  ihr  zur  hilfe  eilo,  steht  nicht  da. 
Sie  glaubt,  es  sei  Hetele;  dann  nimmt  man  dio  fremden  feldzeicheu  wahr,  und  man 
klagt:  ach  r/rözer  sivcere,  diu  hiute  hie  gcschihl!  uns  kument  griunne  geste.  Also 
wird  aus  den  feldzeicheu  geschlossen,  dass  feinde  sich  nahen,  was  man  doch  nach 
dem,  was  vorhergebt,  im  voraus  wissen  konnte. 


294  flOER 

Von  bedeutimg  ist  ferner  Küdriins  bitte  für  Hartmuot  (1485),  die 
weniger  auffällig  wäre,  wenn  er,  wie  dies  später  Ortrün  und  Gerlint 
tun,  sich  zu  ihr  geflüchtet  hätte,  als  da,  wo  er  mit  Wate  kämpft. 
Allerdings  ist  es  hier  Ortrün,  die  Kiidrün  bittet,  für  ihren  bruder  sich 
zu  verwenden;  aber  das  scheint  wiederum  ein  jüngerer  versuch  zu  sein 
Kiidrüns  betragen  zu  erklären,  denn  zweimal  stellt  sie  die  bitte,  zuerst 
1485  in  den  worten:  dax  wolte  ich  immer  dienen,  swer  mich  des 
getröste,  daz  er  Hartmuoten  mir  von  Waten  dem  alten  erlöste,  darauf 
1488  wie  folgt:  mich  bitent  vlixicUehe  hie  die  schämen  meide,  dax  man 
Hartmiiote7i  von  Waten  dem  alten  ilx  dem  strtte  scheide.  Diese  stelle 
gehört  mit  Ortrüns  bitte  zusammen;  die  zuerst  angeführte  enthält 
Küdrüns  ursprüngliche  bitte  und  bezeugt  wenigstens  ein  ganz  beson- 
deres Interesse  für  Hartmuots  geschick. 

Von  Herwig  wird  gesagt,  dass  er  sich  Küdrüns  gunst  erwirbt. 
Aber  die  tat,  durch  die  ihm  das  gelingt,  ist  eine  solche,  die  in  unserem 
gedichte  schablonenhaft  widerholt  wird,  und  etwas  charakteristisches 
ist  an  dieser  gefechtsscene  nicht.  Sie  ist  eine  deutliche  kopie  anderer 
ähnlicher  scenen  und  gehört  also  zu  dem  jüngeren  bestände  des  ge- 
dichtes.  Hingegen  lesen  wir  nach  der  ersten  Weigerung,  die  Herwig, 
wie  überhaupt  alle  freier  der  Küdrün,  sich  gefallen  lassen  muss,  dass 
der  vater  ihm  besonders  gewogen  ist  (636,  vgl.  auch  648,  wo  er  es 
dem  rate  schlechter  freunde  zuschreibt,  dass  er  seine  tochter  dem  beiden 
verweigert  hat).  Ein  umdichter  aber  hat  Herwigs  Verhältnis  zu  Küdrün 
so  in  den  Vordergrund  gerückt,  dass  sie  nicht  nur  den  wünsch,  ihn 
zum  mann  zu  bekommen,  zu  erkennen  gibt,  sondern  dass  sie  es  auch 
ist,  an  die  er  sich  str.  654  fgg.  wendet.  Wie  töricht  das  ist,  hat  man 
lange  gesehen  (s.  auch  Panzer  s.  244);  es  erklärt  sich  aber  aus  dem 
bestreben,  ein  unursprüugiiches  motiv  zu  einem  hauptmotiv  zu  erheben 
und  die  alte  auffassung  zurückzudrängen. 

Eine  verhältnismässig  alte  neuerang  ist  es  gewiss,  dass  Herwig 
auf  dem  Wülpensande  nicht  umkommt,  wie  der  bräutigam  in  anderen 
Versionen  (Helgisage,  Riboldvise).     Vgl.  s.  299. 

Was  ist  nun  von  jenem  Herewich,  den  Lamprecht  nennt,  zu 
denken?  Gehört  er  in  den  Zusammenhang  der  vorhergehenden  verse 
hinein?  Panzer,  darin  AVilmanns  folgend,  glaubt  (s.  185),  dass,  da 
Alexander  mit  mehr  als  einem  beiden  vergUchen  wird,  wir  es  hier  mit 
einer  neuen  vergleichung  und  also  auch  mit  einer  anderen  sage  zu  tun 
haben.  Aber  dagegen  ist  doch  zu  sagen,  dass  es  höchst  auffällig  wäre, 
wenn  hier  unmittelbar  nach  Hagen,  Hilde  und  Wate  ein  Herewich 
genannt  wäre,  der  mit  der  Hildesage   nichts  zu  tun  hatte.     Wer  das 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    IIILDESAGK  295 

annimmt,  kann  auch  annehmen,  tlass  die  orwähnuug  Wates  im  WldsiÖ 
unmittelbar  nacii  He?iinn  und  Hagen  auf  zufall  beruht.  Da  Panzer  dies 
tiir  absohlt  unmöglich  hält,  hätte  er  es  auch  mit  jener  stelle  etwas  ernster 
nehmen  sollen. i  Wenn  also  Herewich  mit  Hagen,  Hilde  und  Wate 
zusammengehört,  müssen  wir  schliessen,  dass  er  ursprünglich  nicht 
eine  gestalt  aus  K  H,  sondern  aus  K  I  ist.  Denn  von  K  I  handelt, 
wie  wir  gesehen  haben,  die  stelle  bei  Lamprecht.  Dieser  auf  keine 
weise  zu  umgehende  schluss  aber  hat  weitreichende  folgen.  Es  ergibt 
sich,  dass  auch  K  I  einen  mitbewerber,  und  zwar  einen  nebenbuhler 
Wates,  kannte;  Herwig  ist  der  von  Hagen  vorgezogene  nebenbuhler 
aus  K  I.  Also  stimmten  auch  in  diesem  punkte  K  I  und  K  H  mit- 
einander überein. 

Das  berechtigt  zu  der  frage,  ob  nicht  auch  KI  wie  KU  eine 
fortsetzung  kannte,  in  der  au  dem  entführer  räche  genommen  wurde. 
A  priori  lässt  sich  das  wol  vermuten.  Auch  die  nächsten  verwandten 
von  KI  und  KU,  die  Helgisage  und  die  viser  von  Ribold  und  von  Hilde- 
braud  und  Hilde,  kennen  eine  solche  fortsetzung.  Und  dass  sie  als  ein 
selbständiger  abschnitt  von  KI  in  unserem  gedichte  nicht  überliefert  ist, 
zeugt  nicht  dagegen.  Infolge  der  genealogischen  Verbindung  von  K I 
mit  KU  konnte  Hetele  der  räche  für  Hagen  nicht  zum  opfer  fallen; 
er  musste  am  leben  bleiben,  um  später  durch  den  entführer  seiner 
eigenen  tochter  erschlagen  zu  werden.  Wir  haben  schon  früher  bemerkt, 
dass  es  Avahrscheinlich  hiermit  zusammenhängt,  dass  auch  Hagen  in 
dem  kämpf  um  Hilde  nicht  mehr  umkommt.  Wir  werden  nun  unter- 
suchen müssen,  ob  nicht  mehrere  widerholungen  und  inconcinnitäten 
in  KU  darauf  beruhen,  dass  auch  die  räche  für  Hagen  aus  KI  in  KU 
aufgenommen  ist. 

1)  Der  parallelisnuis  in  der  Alexanderstelle  spricht  auch  eher  dafür,  dass  zwei, 
als  dass  drei  vorgleiclio  aufgestellt  werden.  Acht  Zeilen  handeln  von  dem  kämpfe 
auf  dem  Wülpen werde,  zehn  von  den  kämpfen  vor  Troja.  Macht  man  aus  jener 
stelle  zwei,  so  bleiben  für  jede  nur  vier  Zeilen  übrig,  gegenüber  zehn  für  die  dritte 
vergleichung.  Ferner  wird  beide  male  am  schluss  Alexander  genannt  (Voiauor  hs.) 
1327 fg.:  (ne  mohte  nechain  sin)  ....  der  der  ic  gevaht  volcwiclt ,  dem  vhunUjc 
Alexander  gelich,  ibid.  1337 fg.:  so  mala  under  in  allen  %ü  Alexander  niulit  gerallen. 
Aber  z.  1324  heisst  es  bloss:  so  ne  ntochter  herxo  nieth  knten  (besser  in  der  Strass- 
buiger  hs. :  der  ne  mohte  sich  hi  xo  nihl  yeijatcn).  Drittens:  an  beiden  stellen  \\\\\\ 
zuerst  von  dem  kämpfe,  der  mit  Alexanders  kämpfen  vorglichen  werden  soll,  im  all- 
gemeinen gehandelt  (1321  fgg.:  kämpf  auf  dem  Wülponworde,  wo  Hildes  vater  umkam, 
zwischen  Hagen  und  Wate;  1 329 fgg  :  kämpf  zwischen  tapfereu  beiden  in  den  liodorn 
von  den  Trojanern);  darauf  werden  einzelne  heldou  genannt  (132.') fgg.  Herewich, 
Wolfwin;  1333fgg.  Achilles,  Hector,  Paris,  Nestor).  Auch  dieser  parallelisnuis  geht 
verloren,  wenn  mau  z.  132D  —  28  von  1321 — 24  trennt. 


296  BOER 

Zunächst  hilft  Lamprecht  uns  noch  einen  schritt  weiter.  Wenn 
Herewich  zu  KI  gehört,  so  muss  dasselbe  für  den  neben  ihm  genannten 
Wolfwin^  gelten.  Es  ist  aber  kaum  möglich,  in  ihm  eine  andere  ge- 
stalt  zu  erkennen  als  den  söhn  Hagens,  der  in  Küdrün  als  Heteles  söhn 
Ortwin  auftritt.  Also  wusste  auch  K  I,  dass  Hagen  von  seinem  söhne 
Ortwin  oder  Wolfwin  gerächt  wurde. 

Kehren  wir  zu  der  überlieferten  gestalt  von  K II  zurück.  Küdrün 
ist  Hartmuot  gefolgt,  während  der  vater  abwesend  war.  Wir  erkennen 
die  zugrunde  liegende  sagenform  wider.  Es  ist  eine  form,  die  die  liebe 
der  jungen  leute  schon  kennt.  (Man  vergleiche  den  Standpunkt  der 
Horantsage.  Auch  KI  steht  nicht  weit  ab,  aber  diese  version  hat 
remiuiscenzen  an  die  alte  freundschaft  zwischen  dem  entführer  und 
dem  vater  erhalten.)  Es  ist  der  Standpunkt  SH  2 ,  den  die  version  H, 
namentlich  die  Helgisage  zur  äussersten  consequenz  ausbildet.  Diese 
liebe  ist  namentlich  da  ein  bedeutendes  motiv,  wo  die  tradition  einen 
nebenbuhler  eingeführt  hat.  Die  abneigung  gegen  den  freier,  der  ihr 
aufgedrängt  wird,  erhöht  die  gefühle  der  Jungfrau  für  den  von  ihr  ge- 
wählten liebhaber.  Nun  haben  wir  gesehen,  dass  Herwig  nicht  zu 
KU  gehört.  Aber  unser  gedieht  kennt  zwei  nebenbuhler  Hartmuots; 
neben  Herwig  tritt  Sigfrid  von  Morlant  auf.  Was  ist  der  Ursprung 
dieser  doppelten  nebenbuhlerschaft?  Man  kann  freilich  vermuten,  dass 
Heteles  ab  Wesenheit  von  hause  zu  der  zeit,  als  Küdrün  entführt  wurde, 
erklärt  werden  sollte,  dass  zu  diesem  zwecke  der  einfall  Sigfrids  von 
Morlant  in  Herwigs  land  ersonnen  wurde,  und  dass  dieser  einfall  wider 
daraus  erklärt  wurde,  dass  Herwig  der  begünstigte  freier  war.  Aber 
das  ist  doch  sehr  gesucht.  Sonst  wendet  sich  der  zorn  der  abgewiesenen 
freier  stets  gegen  den  vater,  und  warum  muss  nun  die  feindschaft  Sig- 
frids von  Morlant  schon  wider  darin  ihren  grund  haben,  dass  er  abge- 
wiesen worden  ist?  Man  kann  fragen,  ob  nicht  eher  beide  nebenbuhler 
der  älteren  tradition  angehören,  und  ob  nicht  unser  dichter  sich  ihr 
Verhältnis  so  gut  wie  möglich  zurechtgelegt  hat.  Da  wir  nun  in  Herwig 
den  vom  vater  begünstigten  freier  aus  KI  erkannt  haben,  lohnt  es  die 
mühe,  zu  untersuchen,  ob  nicht  Sigfrid  von  Morlant  die  ihm  ent- 
sprechende gestalt  aus  KU  ist^.     Das  scheint  in  der  tat  der  fall  zu  sein. 

1)  Dass  Wolfram  ein  fehler  ist,  wurde  schon  s.  205  anm.  bemerkt. 

2)  Morlant  lässt  sich  dem  Serkland  vergleichen,  woher  nach  dem  SQrla  \ik\iv 
HeSinn  stammt.  Es  hat  dann  eine  Verschiebung  der  localuamen  stattgefunden ,  indem 
das  land,  das  in  einer  redaction  die  heimat  des  entführers  war,  in  einer  anderen  zu 
der  heimat  des  nebenbuhlers  wurde.  Für  diese  erkläiuug  von  Morlant  spricht,  dass 
auch  KI  berühiungen  mit  dem  SQrla  J)a,ttr  aufweist  (oben  s.  203 fg.). 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER   DIE    HILDESAÖE  297 

Natürlich  musste  einer  von  beiden  in  unserem  gedichte  diese  rolle  auf- 
geben. Aber  davon  abgesehen  ist  Sigfrid  von  Morlant  eine  vollständig 
parallele  gestalt  zu  Herwig,  und  zwar  finden  sich  in  seiner  geschichte 
dieselben  zutaten,  die  auch  Herwigs  rolle  charakterisieren.  Sigfrid  von 
Morlant  ist  ein  nebenbuhler,  er  wirbt  um  Kudrun  und  wird  abgewiesen 
wie  Herwig,  er  will  sich  rächen  durch  einen  krieg,  —  diesmal  wider 
Herwig,  wodurch  Hetele  veranlasst  wird,  von  hause  abwesend  zu  sein, 
wie  es  die  alte  Situation  erforderte,  —  er  siegt  anfangs  wie  Herwig; 
dann  muss  er  freilich  besiegt  werden,  da  nur  ein  freier  angenommen 
werden  konnte,  aber  er  schliesst  einen  ehrenvollen  frieden,  und  von 
nun  an  tritt  er  neben  Herwich  auf,  erst  bei  der  Verfolgung  des  ent- 
führers,  darauf  als  helfer  bei  dem  rachezuge.  Vielleicht  darf  man  daraus 
schliessen,  dass  schon  vor  der  Verbindung  von  KI  und  KH  in  beiden 
redactionen  der  nebenbuhler  nicht  auf  dem  Wülpensande  fiel,  sondern 
mit  dem  leben  davon  kam  und  an  dem  rachezuge  teil  nahm^.  Das 
nähere  s.  299  und  §  16.  Zu  der  Vermutung,  dass  in  der  redactioii,  die 
Sigfrid  von  Morlant  kannte  2,  der  nebenbuhler  auch  die  Jungfrau  zur 
ehe  bekam,  gibt  die  Überlieferung  keine  veranlassung.  Man  würde  in 
diesem  fall  erwarten,  dass  Sigfrid  von  Morlant  in  dem  combinierten 
gedichte  eine  der  geraubten  Prinzessinnen  bekommen  hätte. 

Wir  sehen  hier,   wie  KII  sofort  mit  doppelter  redaction  anhebt. 

Darauf  erscheinen  zwei  fürsten,  Hartmuot  und  Ludwig,  und  rauben 
zwei  Prinzessinnen,  Kiidrün  und  Hildeburg.  Hildes  raub  war  schon  in 
der  ersten  hälfte  des  gedichtes  erzählt  worden.  Aber  KI  hatte  eine 
fortsetzung;  Hilde  wurde  später  zurückgeführt.  Der  räuber  in  KI  war 
"Wate,  aber  dieser  kam  in  dem  combinierten  gedichte  in  KII  auf  die 
Seite  des  vaters  zu  stehen.  Für  den  räuber  aus  KI  musste  demnach 
in  der  fortsetzung  ein  neuer  name  ersonnen  werden.  Dies  ist  Ludwig. 
Das  mädchen,  das  neben  Küdrün  auftritt,  bekam  einen  namen,  der  mit 
Hilde  zusammengesetzt  ist.     Aber  das  Interesse  concentriert  sich  nun 

1)  In  diesem  zusamnienhang  ist  an  die  Shetlandsballado  zu  oriiuicrn,  wo  der 
nebenbuhler  gleichfalls  den  Verführer  erschlägt  —  nicht  als  vorbild,  sondern  als  eine 
parollole. 

2)  Im  gründe  kann  mau  nicht  mit  Sicherheit  behauptou,  dass  der  nebenbuhler 
in  dieser  redaction  (K  IIj  Sigfrid  geheissen  haben  müsse.  Der  name  kann  auch  in 
dem  combinierten  gedichte  für  einen  anderen  namen  eingesetzt  worden  sein,  den  der 
conipilator  nicht  brauchen  konnte,  wenn  z.  b.  in  KII  der  nebenbuhler  denselben 
namen  wie  in  K I  trug,  und  er  die  beiden  gostalton  demnach  unterscheiden  wollte. 
Man  kann  also  nur  sagen,  dass  die  gestalt  Sigfrids  von  Morlant  eine  gestalt  aus 
KII  vertritt.  —  Besser  gesichert  ist  Morlant  (s.  296  anm.  2),  aber  widerum  nicht  als 
das  land  des  nebenbuhlers. 


298  BOER 

auf  eine  haiiptperson,  Küdrün.  Das  ist  natürlich,  denn  nur  eine  von 
beiden  kann  die  entführte  königstochter  sein;  Hildeburg  wird  zu  einer 
dame  aus  dem  gefolge,  wenn  auch  von  hoher  geburt^.  Es  gieng  nun 
natürlich  nicht  mehr  an,  dass  Ludwig  Hildeburg  raubte,  um  sie  zu 
heiraten;  es  trat  eine  Verschiebung  der  Verhältnisse  ein:  Hildeburg  trat 
zu  Kudrün  in  ein  enges  Verhältnis,  Ludwig  zu  Hartmuot;  er  wurde  zu 
seinem  vater  2. 

Es  herrscht  in  dem  gedichte  Unsicherheit  darüber,  wer  Hetele 
erschlagen  hat.  Str.  880  sagt,  dass  Ludwig  der  mörder  ist;  str.  1405 
erklärt  Hartmuot  für  schuldig,  weniger  deutlich  auch  str.  986 ^  Darin 
spiegeln  sich  die  alten  Verhältnisse  ab.  In  KI  erschlug  Wate,  an 
dessen  stelle  in  dem  zweiten  teil  des  epos  Ludwig  tritt,  Hagen;  in 
KU  fiel  Hagen  durch  Hartmuot.  Also  hat  sowol  Ludwig  wie  Hart- 
muot den  vater  der  frau  erschlagen.  (Das  epos  setzt,  wie  früher  nach- 
gewiesen worden  ist,  in  KU  Hetele  an  Hagens  stelle.)  Wenn  nun  am 
schluss  der  erzählung  Ludwig  getötet  wird,  so  beweist  das  wol,  dass 
in  K I  der  räuber  der  räche  für  den  vater  zum  opfer  fiel.  Wenn  dem- 
gegenüber Hartmuot  am  leben  bleibt,  so  darf  man  daraus  freilich  nicht 

1)  Das  gedieht  betont  noch  widerholt,  dass  auch  Hildeburg  eine  königstochter 
ist,  vgl.  namentlich  str.  1059.  1062  (oueh  trtioc  min  vater  kröne).  Auf  solchen  stellen 
beruht  die  jüngere  Vorgeschichte,  die  über  ihre  abkunft  ausfühi'lich  berichtet.  Hin- 
gegen kann  die  bezeielinung  diu  meit  lix,  Irlant,  Irrtche  (1267.  1339.  1650,  gegen- 
über Portugal  der  Vorgeschichte,  Galitzen  1009),  die  im  überlieferten  gedichte  bedeuten 
soll,  dass  sie,  wie  1009  aussagt,  mit  Hilde  aus  Irland  gekommen  war,  älter  als  die 
Vorgeschichte  sein  und  das  mädchen  als  Hagens  tochter  bezeichnen.  —  Älter  als  die 
Verlegung  von  Hagens  sitz  nach  Irland  (unten  s.  307)  ist  freilich  auch  diese  bezeich- 
nung  nicht. 

2)  Aus  diesen  Verhältnissen  ergibt  sich,  dass  Hildeburg  erst  später  aus  KU  in 
K  I  übei'geführt  worden  ist  (vgl.  die  vorige  anmerkung).  Denn  sio  hat  ihren  Ursprung 
in  der  Hilde  aus  K  I.  Zwei  erzählungen  von  der  rückführuug  einer  Jungfrau 
werden  zu  einer  erzählung  von  der  rückführung  zweier  frauen,  deren  eine  zwar  dem 
Ursprünge  nach  aber  nicht  mehr  in  unserem  gedichte  mit  Hilde  identisch  ist.  Aus 
der  gemeinsamen  rückführung  folgte,  dass  sie  auch  zusammen  geraubt  sein  mussten, 
aber  noch  nicht,  dass  nun  Hildeburg  auch  in  K I  auftreten  musste.  Es  war  einem 
jüngeren  bearbeiter,  der  nicht  mehr  wusste,  dass  Hildeburg  =  Hilde  war.  beschieden, 
sie  nun  auch  noch  einmal  zusammen  mit  Hilde  geraubt  werden  zu  lassen. 

3)  Hingegen  erklärt  str.  936  unumwunden  Hartmuot  für  den  entführet  der  frau, 
während  in  str.  1435  Ludwig  als  solcher  bezeichnet  wird.  Aus  diesem  scheinbaren 
Widerspruch  schliesst  Wiimanns,  dass  Ludwig  in  eine  andere  sage  gehöre.  Ein  wider- 
sprach, wie  der  zwischen  880  und  1405  ist  eigentlich  hier  nicht  vorhanden,  da  nach 
der  darstellung  des  gedichtes  die  beiden  beiden  zusammen  an  dem  raube  schuldig 
sind ,  aber  diese  gemeinscliaftliche  schuld  erklärt  sich  auf  dieselbe  weise  wie  der  oben 
genannte  Widerspruch,  nämlich  daraus,  dass  Ludwig  und  Hartmuot  die  räuber  aus 
zwei  Varianten  repräsentieren. 


UNTERSUCHUXQEX    ÜBKR    DIR    HILDESAGR  299 

schliessen,  dass  das  auch  die  Vorstellung  von  KU  war.  Es  kann  eine 
neuerung  eines  jüngeren  dichters  sein,  der  Hartmuot  für  seine  der 
Kudrün  bewiesene  treue  belohnen  und  Hildeburg  mit  einem  manne 
versehen  wolltet  Wenn  es  Herwig  ist,  der  Ludwig  tötet,  so  ist  das 
damit  in  Übereinstimmung,  dass  Herwig  der  bräutigam  aus  KI  ist,  wie 
Ludwig  den  räuber  aus  KI  vertritt.  Doch  wird  das  nicht  die  älteste 
Vorstellung  sein.  Nachdem  die  rückführung  der  Jungfrau  in  den  Vorder- 
grund getreten  war,  fiel  —  schon  vor  der  Verbindung  K I  +  II  —  dem 
bräutigam  die  rolle  zu,  die  ursprünglich  die  des  bruders  war.  Diesen 
kennen  wir  aus  der  Helgisage  und  den  balladcn  (Ribold,  Hildebrand 
und  Hilde),  und  dass  er  auch  in  KI  auftrat,  lehrt  die  gestalt  Ortwins, 
wenn  man  sie  mit  dem  von  Lamprecht  genannten  Wolfwin  zusammenhält. 
Sieht  man  genauer  zu,  so  bestehen  trotzdem  gründe,  Ortwin  nicht 
KI,  sondern  KIT  zuzuweisen.  Darauf,  dass  auch  KU  einen  bruder 
der  Jungfrau  kannte,  der  den  vater  rächte,  führt  schon  die  vergloichung 
zwischen  KI  und  KTI,  die  sich  auch  in  anderen  punkten  so  ähnlich 
sind.  Ferner  deutet  darauf  gerade  der  unterschied  zwischen  den  namens- 
formen Ortwin  und  Wolfwin.  Wenn  diese  die  form  aus  KI  war,  so 
dürfte  jene  KU  angehören.  Aber  noch  eine  andere  erwägung  ist  hier 
nicht  zu  umgehen.  Die  durchgehende  doppelheit  der  darstoUung  in  der 
zweiten  hälfte  des  gedichtes  und  die  eigentümliche  rolle  Sigfrids  von 
Morlant  verbürgen  zwar  mit  grosser  Sicherheit,  dass  die  fortsetzung  von 
KI  und  die  von  KU  zu  einer  erzählung  verbunden  worden  sind,  aber 
die  gestalt  Sigfrids  von  Morlant  an  sich  wäre  doch  dazu  geeignet, 
bedenken  zu  erregen.  Freilicji  ist  seine  rolle,  wie  s.  297  ausgeführt 
wurde,  der  rolle  Herwigs  sehr  ähnlich,  aber  seine  gestalt  ist  nur  schwach 
ausgebildet.  Fast  nichts  charakteristisches  wird  von  ihm  erzählt,  und 
die  stellen,  die  von  ihm  handeln,  machen  einen  jungen  eindruck.  Auf- 
fallend ist  es  auch,  dass  am  scMuss  des  gedichtes,  wo  wir  es  doch  zu- 
nächst mit  KU  zu  tun  haben,  Herwig,  der  bräutigam  aus  Kl,  nicht 
Sigfrid  von  Morlant,  der  bräutigam  aus  KU,  das  mädchen  gewinnt. 
Ich  erkläre  mir  diese  eigentümlichen  Verhältnisse  so,  dass  die  gestalt 
des  nebenbuhlers  in  K I  mehr  entwickelt  war  als  in  K II.  Hingegen 
trat  hier  der  bruder  mehr  in  den  Vordergrund.  Auffallend  is  das  nicht, 
da  auch  in  den  nächsten  verwandten  unserer  quellen  (der  Helgisage  und 
den  viser)  der  bräutigam  iiinter  dem  bruder  zurücksteht.  Der  Standpunkt 
von  KU  war  also  in  dieser  hinsieht  altertümliciier  als  der  von  KI; 
vielleicht  war   der  anteil   des   bräutigams   an   dem   racliezugo   noch   ein 

1)  Tatsächlich  ist  die  gefangennehnmng  naitinuots  .str.  149.3  nach  1492,  wo  es 
Herwig  uiclit  gelingt,  ihm  das  leben  zu  rotten,  absolut  unmöglich. 


300  BOER 

geringer  ^  Der  bearbeiter  des  gedichtes  konnte  von  den  beiden  brüdern 
nur  einen  brauchen,  er  wählte  die  am  deutlichsten  ausgeprägte  gestalt 
aus  KU,  Ortwin.  Die  nebenbuhler  nahm  er  beide  auf,  aber  die 
hauptroUe  fiel  hier  gleichfalls  der  am  deutlichsten  ausgeprägten  ge- 
stalt, d.  h.  der  aus  K  I,  zu.  Daher  tritt  denn  Herwig  wider  Ludwig, 
aber  nicht  Sigfrid  von  Morlant  sondern  zunächst  Ortwin,  —  dann  erst 
nach  jüngerer  Vorstellung  Wate.  —  wider  Hartmuot  auf.  Unter  solchen 
umständen  musste  es  auch  Herwig  sein^  der  am  ende  Küdrün  zur  frau 
bekam. 

Welches  ist  nun  der  Ursprung  von  Küdrüns  leidensgeschichte? 
Wer  die  entwicklung  der  Überlieferung  in  allen  ihren  Verzweigungen 
aufmerksam  verfolgt  hat,  wird  auch  bemerkt  haben,  dass  dieses  motiv 
der  sage,  und  besonders  jenem  zweige  der  traditiou,  der  mit  Küdrün 
am  nächsten  verwandt  ist,  nicht  fremd  ist.  Es  begegnet  in  der  ballade 
von  Hildebrand  und  Hilde,  die  selbst  ein  spross  der  Hildesage  ist,  und 
zwar  jenes  zweiges,  der  in  die  Helgisage  ausmündet  und  zu  der  auch 
unser  gedieht  gehört  {H3).  Aber  die  leidensgeschichte  hat  in  der 
ballade  eine  ganz  andere,  altertümlichere  gestalt  als  in  dem  deutschen 
epos.  Der  liebhaber  hat  das  mädchen  entführt  und  darauf  im  kämpf 
den  vater  und  die  brüder,  —  in  der  nahe  verwandten  Riboldvise  auch 
den  bräutigam,  —  erschlagen.  Der  jüngste  bruder  tötet  darauf  den 
liebhaber,  nachdem  das  mädchen  von  diesem  durch  ihre  bitten  die 
Schonung  des  bruders  erwirkt  hatte  2.  Dann  schleppt  er  sie  zu  der 
mutter,  wobei  die  dornen  am  wege  ihre  füsse,  ihre  brüst,  ihren  ganzen 
körper  verwunden,  und  bestimmt  mit  der  mutter  die  strafe.  Sie  wird 
eingesperrt  und  darauf  an  eine  fremde  königin  verkauft,  für  die  sie 
nähen  und  sticken  muss.  Diese  königin  ist  in  den  meisten  Versionen 
die  mutter  ihres  geliebten  (so  dAEF,  in  dB  ist  sie  seine  Schwester). 

1)  Man  könnte  vorsucht  sein,  aus  str.  1154 fg.,  wo  Ortwin  der  erste  der  boten 
ist  und  Herwig  sich  ihm  anschliesst,  zu  schliessen,  dass  noch  dem  dichter  dieses 
auftritts  der  bruder  wichtiger  als  der  bräutigam  erschien.  Aber  die  stelle  ist  jung 
und  die  botenscene  gehört,  wie  ^wir  §  16  sehen  werden,  K I  an.  Die  angezogenen 
Strophen,  die  eine  einleitung  der  botenscene  bilden,  werden  wol  erst  entstanden  sein, 
nachdem  die  combination  K  I  -j-  II  erfolgt  war. 

2)  "Wir  haben  schon  früher  (s.  185  fg.)  gesehen,  dass  das  ursprünglich  so  zu 
verstehen  ist,  dass  der  bruder  frieden  erhält,  dann  aber  dem  Schwager  die  treue 
bricht  (so  noch  in  der  Helgidichtung  und  in  der  Hclmorballade).  Hat  man  vielleicht 
darin ,  dass  Hartmuot  auf  KiidrCins  bitte  geschont  wird ,  eine  umgedeutete  reminiscenz 
an  den  frieden,  den  der  bruder  auf  die  bitte  der  Jungfrau  von  dem  liebhaber  erhält, 
zu  erblicken? 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBER    DIE    HILDESAGE  301 

sABC  erzählen  auch,  dass  sie  bei  der  arbeit  geschlagen  wird.  Alle 
wesentlichen  demente  von  Küdrüns  leiden  sind  also  vorhanden. 

In  dem  hochdeutschen  gedichte  sind  diese  motive  der  neuen 
Situation  entsprechend  verschoben.  Die  durchgreifendste  neuerung 
des  gedichtes  ist,  dass  Küdrün  nicht  mehr  freiwillig  Hartmuot  gefolgt 
ist;  der  bruder,  der  sie  zurückführt,  ist  von  dem  ihr  von  anfang  an 
bestimmten  briiutigam,  dem  sie  treu  geblieben  ist,  und  nach  dem  sie  sich 
sehnt,  begleitet.  Der  bruder  und  die  mutter  haben  also  keinen  grund, 
ihr  böses  zuzufügen.  Um  so  mehr  grund  hat  dazu  die  mutter  des  ent- 
führers,  von  dem  sie  nichts  wissen  will.  Diese  frau  erhält  die  rolle 
der  bösen  mutter.  Das  konnte  um  so  leichter  geschehen,  als  auch  in 
der  quelle,  die  durch  die  vise  repräsentiert  wird,  das  mädchen  einer 
fremden  fürstin,  die  sich  schliesslich  als  die  mutter  des  liebhabers  er- 
weist, dienen  muss.  Dass  diese  fürstin,  als  sie  vernimmt,  wer  das 
mädchen  ist,  das  ihr  dient,  sie  freundlich  behandelt,  war  natürlich  in 
dieser  form  unbrauchbar;  wir  werden  aber  sehen,  dass  auch  dieser  zug 
anderswo  Verwendung  gefunden  hat.  Da  Hartmuot  Küdrün  aufrichtig 
liebt,  konnte  der  zorn  des  bruders  nicht  auf  ihn  übertragen  werden; 
alle  bosheit  concentriert  sich  also  in  Gerlint.  Ferner  wird  die  Unter- 
scheidung zwischen  der  bösen  mutter,  die  das  mädchen  verkauft,  und 
der  fremden  fürstin,  der  sie  dient,  aufgehoben;  Hartmuots  mutter  ist  für 
Küdrün,  ohne  dass  sie  verkauft  wird,  eine  fremde  fürstin;  fremder  dienst 
ist  auch  Küdrüns  los;  in  Gerlint  fallen  die  böse  mutter  und  die  fremde 
fürstin,  für  die  sie  arbeiten  muss,  zusammen.  Die  freundliche  seite  der 
fremden  fürstin  hingegen,  die  das  arme  mädchen  bemitleidet  und  ihr 
leid  zu  lindern  strebt,  finden  wir  auf  die  leibliche  mutter  übertragen. 

Das  ist  das  resultat  der  Umarbeitung.  Diese  ist  aber  nicht  aus 
einem  guss,  sondern  schritt  für  schritt  entstanden.  Der  weg,  den  sie 
gegangen,  lässt  sich  an  mehreren  stellen,  die  deutliche  Übergangsstufen 
repräsentieren,  erkennen.  Wir  müssen  uns  zunächst  noch  einmal  die 
darstellung  der  vise  vergegenwärtigen.  Sie  weiss  von  einem  guten  Ver- 
hältnis der  Jungfrau  zu  dem  entführer  und  einem  schlechten  Verhältnis 
zu  der  Schwiegermutter.  Dieses  findet  darin  seine  erklärung,  dass  die 
Schwiegermutter  nicht  weiss,  wer  das  mädchen  ist,  und  das  ist  möglich, 
da  der  söhn  nicht  anwesend  ist;  —  der  schwager  hat  ihn  schon  früher 
erschlagen.  Die  reihenfolge  der  begebenheitcn  ist  nämlich  1.  entführung, 
2.  tod  des  liebhabers  und  rückführung  der  Jungfrau,  3.  schlechte  behand- 
lung  durch  die  Schwiegermutter  (au  die  sie  verkauft  war).  Für  eine 
bearbeitung,  die  mit  der  rückführung  schloss,  war  diese  reihenfolge 
nicht  brauchbar;  die  schlechte   bchiiiidhing   durcii    die   Schwiegermutter, 


302  BOER 

ursprünglich  eine  folge  der  von  der  eigenen  mutter  auferlegten  strafe, 
wurde  vor  die  rückführung  gestellt  und  fiel  nun  zeitlich  mit  der  guten 
behandlung  durch  den  entführer  zusammen.  Aber  dadurch  musste  die 
entschuldigung  der  schlechten  behandlung,  die  darin  bestand,  dass  die 
Schwiegermutter  die  Schwiegertochter  nicht  kennt,  hinfällig  werden,  und 
eine  neue  erklärung  tat  not.  Am  nächsten  lag  die,  dass  die  Schwieger- 
mutter sich  der  ehe  des  paares  widersetzt.  Tatsächlich  finden  sich  in 
Küdrün  sehr  deutliche  spuren  dieser  auffassung. 

1012.  13  kommt  Hartmuot  von  einer  reise  heim.  Küdrün  geht 
ihm  entgegen,  —  weshalb  tut  sie  das,  wenn  sie  nichts  von  ihm  wissen 
will?  —  und  beklagt  sich  über  die  schlechte  behandlung,  die  die  mutter 
ihr  widerfahren  lässt. 

1025  raten  die  freunde:  ex  Uep  oder  leit  siner  muoter  ivcere,  daz 
er  die  scha'nen  7neit  in  sinen  icillen  hrcchte,  sivä  mite  er  künde.  Also 
soll  Hartmuot  Küdrün  minnen  gegen  Gerlints  willen ^ 

1029  —  ;)1.  Hartmuot  schlägt  Küdrün  eine  Vereinigung  ohne 
officielle  eheschliessung  vor.  Diesem  wünsch  widersetzt  sie  sich:  andere 
fürsten  würden  sagen,  sie  sei  ein  kebsweib  in  Hartmuots  lande.  Man 
hat  darin  einen  beweis  von  Hartmuots  hoher  gesinnung  gesehen,  dass 
er  zwar  einen  augenblick  daran  denke,  sie  zu  vergewaltigen,  aber  sofort 
davon  absehe,  als  sie  ihm  zu  erkennen  gibt,  dass  solches  sich  nicht 
zieme.  Aber  es  ist  an  dieser  stelle  nicht  die  rede  davon,  dass  er  sie 
gegen  ihren  willen,  sondern  dass  er  sie  gegen  den  willen  anderer,  aber 
mit  ihrer  Zustimmung  besitzen  will.  Das  ist  zwar  aus  seinem  verschlag 
nicht  mehr  ersichtlich,  geht  aber  deutlich  aus  seiner  antwort  (1034) 
hervor:  wa%  ruohte  ich.,  tcax  si  tceten,  .  .  .  ohe  et  ez  iuch  eine,  vrouice^ 
diuhte  guot,  su  tvolte  ich  künic^  iverden  und  oiich  ir  kilnigiiine.  Die 
hoffnung,  Küdrün  werde  sich  ihm  ohne  weiteres  ergeben,  hat  doch 
keinen  sinn,  wo  Hartmuot  weiss,  dass  sie  nur  ihre  einwilligung  zu 
geben  hat,  um  seine  legitime  frau  zu  werden.  Zwar  ist  dann  wider 
z.  4  an  die  jüngere  auffassung  angepasst;  Küdrün  sagt:  sU  äne  sorge, 
daz  ich  iuch  immer  gerne  minne,  also  will  sie  ihn  nicht  lieben, 
wenigstens    wenn    man    die  stelle  in    Zusammenhang   mit    1032    liest ^. 

1)  Es  fällt  auf,  dass  AVilmauns,  dessen  buch  mit  einer  anführuiig  dieser  Strophe 
beginnt,  nicht  bemerkt  hat,  dass  sie  sich  mit  der  grossen  masse  gar  nicht  verträgt, 
und  ihr  s.  16  einen  platz  unmittelbar  nach  str.  1017,  wo  Gerlint  Küdrün  mit  hesernen 
zu  der  hochzeit  zwingen  will,  anweist. 

2)  "Was  bedeutet  es,  dass  Ilartmuot  durch  die  Vereinigung  mit  Küdiün  künic  zu 
werden  hofft  ?  Es  scheint  wol ,  dass  er  eine  solche  Verbindung  als  einen  act  der  Selb- 
ständigkeit aufiasst,  durch  den  er  sich  der  Vormundschaft  seiner  mutter  entziehen  würde. 

3)  Für  sich  betrachtet,  kann  sie  auch  das  umgekehrte  aussagen. 


TTNTERSUCmrXGEN    ÜBER    DIE    HILDESAGE  303 

Aber  das  ändert  daran  nichts,  dass  sie  lO'M)  nur  ilire  furcht  vor  der 
schände  seinem  willen  entgegengestellt  hat,  was  in  hinblick  auf  1031 
und  namentlich  auf  1025  nur  eine  deutung  zulässt. 

Demselben  gedanken  begegnen  wir  1040.  Küdrün  dankt  Ortrün 
dafür,  daz  ir  mich  so  gerne  gekrmnet  scehet  stän  bi  Ilartmaote  dem 
künege.  AVenn  Gerlint  dasselbe  wünscht  und  darum  Küdrün  verhasst 
ist,  welches  verdienst  erwirbt  sich  dann  Ortrun  dadurch,  dass  sie  die 
liebe  zwischen  Küdrün  und  Hartniuot  fördern  will?  Die  worte  erklären 
sich  aus  dem  Übergangsstadium,  in  dem  Gerlint  sich  der  ehe  widersetzt. 

Also  lassen  sich  folgende  stufen  unterscheiden: 

1.  die  Jungfrau  wird  von  einer  fremden  königin  misshandelt,  an 
die  sie  verkauft  worden  ist,  und  die,  Avas  sich  erst  später  herausstellt, 
die  mutter  des  geliebten  ist  (so  die  visc). 

2.  die  Jungfrau  wird  von  der  mutter  des  geliebten  misshandelt, 
die  sich  der  ehe  widersetzt  (str.  10 12  fg.   1025.  1029  —  ;U.  1040). 

3.  die  Jungfrau  wird  von  der  mutter  des  geliebten  misshandelt, 
die  sie  zu  der  ehe  mit  ihrem  söhn  zwingen  will.  8o  in  der  erhaltenen 
bearbeitung  der  Küdrün. 

Auch  die  dritte  stufe  ist  wol  nicht  ganz  einheitlich.  104;)  will 
Küdrün  Hartmuot  nicht  lieben.  Aber  was  sie  zurückhält,  ist  mehr  ein 
Pflichtgefühl  als  liebe  zu  Herwig.  Sie  will  dem  treu  bleiben,  dem  man 
mich  bevestenl  hät^  wenigstens  so  lange  er  lebt:  €%■  en.si  dax  er  sterbe, 
ich  gelige  nimmer  bi  recken  llbe.  Also  wenn  Herwig  stirbt,  wird  sie 
die  frage  anders  beurteilen.  An  jüngeren  stellen  verlangt  sie  nach 
Herwig  und  wünscht,  dass  er  sie  aus  der  gef  an  genschaft  erlöse  (1241. 
1246  u.  a.)i. 

Es  ist  an  der  zeit,  einem  möglichen  einwände  zu  begegnen.  Man 
kann  fragen,  ob  die  erklärung  eines  teils  unseres  epos  mit  hilfe  der 
Hildebrandsvise  nicht  an  demselben  fehler  leidet,  wie  z.  b.  die  erklärung 
eines  anderen  teils  aus  der  Shetlandsballade.  Gilt  nicht  auch  hier,  dass 
ein  Volkslied  ein  zu  unsicherer  boden  für  die  kritik  eines  älteren  ge- 
dichtes  in  einer  anderen  spräche  ist?  Darauf  antworte  ich:  Auch  wenn 
wir  ganz  davon  absehen,  dass  die  Hildebrandsvise  eine  weit  grössere 
Verbreitung  hat  als  die  Shetlandsballade,  so  ist  doch  zwischen  diesem 
und  jenem  verfahren  ein  sehr  bedeutender  unterschied  in  methodo- 
logischer   hinsieht.     Denn    nicht  aus    einer  beeinflussung    der  Kridn'in 

1)  Allerdings  wird  es  sich  später  ergeben,  dass  str.  1246  verliültnismässig  alt 
ist  und  zwar  älter  als  die  Verbindung  K  I  +  H.  Aber  dem  widei-sitricht  nicht,  dass 
sie  jünger  als  die  oben  besprochenen  stellen  sein  kann.  Die  neue  auffassuug  von 
Küdrüns  ciiarakter  ist  älter  als  die  Verbindung  K  I -|- II  (§10). 


304  BOER 

durch  die  vise  erkläre  ich  die  ähnlichkeiten  zwischen  beiden,  sondern 
aus  ihrer  nahen  Verwandtschaft,  die  sich  nicht  nur  hier,  sondern  durch- 
gehends  zeigt.  Küdrüns  leidensgeschichte  beruht  demnach  nicht  auf 
einer  contamination  mit  einer  fremden  erzählung,  sondern  auf  einer 
durchaus  natürlichen  entwioklung  innerhalb  der  Hildedichtung,  die  sich 
in  zwei  voneinander  unabhängigen  quellen  manifestiert.  Man  kann  also 
höchstens  fragen,  warum  die  Vorstellung,  die  die  vise  von  den  leiden 
der  Jungfrau  gibt,  für  die  ursprünglichere,  die  des  epos,  das  doch  viel- 
leicht etwas  älter  als  die  vise  ist,  für  die  abgeleitete  gelten  soll.  Die 
begründung  dieser  ansieht  aber  liegt  in  dem  Verhältnis  der  psycho- 
logischen motive.  Wenn  es  richtig  ist,  dass  ursprünglich  das  mädchen 
freiwillig  dem  entführer  gefolgt  ist,  und  dass  ihre  abneigung  gegen  ihn 
eine  neuerung  des  deutschen  gedichtes  ist,  so  muss  auch,  wenn  wir 
in  einer  fassung  lesen,  dass  sie  durch  ihre  eigenen  verwandten,  in  einer 
anderen,  dass  sie  durch  die  verwandten  des  entführers  misshandelt  wird, 
jene  Vorstellung  älter  sein  als  diese.  Denn  diese  neuerung  hängt  mit 
jener  direct  zusammen.  Wenn  die  misshandlung  durch  die  eigenen  ver- 
wandten noch  in  einer  anderen  bailade,  die  einen  anderen  stoff  be- 
handelte, überliefert  wäre,  so  könnte  man  die  frage  auf  werfen,  ob 
darin  etwa  ein  umgedeuteter  nachklang  der  Küdründichtung  zu  suchen 
sei;  aber  dies  ist  nicht  möglich,  wo  wir  es  in  einer  ballade  finden, 
die  gerade  die  alte  Hildesage  erzählt  und  in  der  diese  misshandlung 
in  dem,  was  vorhergeht,  ihre  psychologische  begründung  findet.  Also 
muss  die  rahmenerzählung  der  ballade,  die  den  schluss  der  ge- 
schieh te  mitteilt,  aus  einer  Hildedichtung  stammen,  die  diese  leiden 
enthielt,  und  diese  dichtung  muss  eine  directe  Vorstufe  von  Küdrün 
gewesen   sein  ^ 

Aus  dem  hier  gesagten  folgt  nicht,  dass  die  breite  ausführung  von 
Küdrüns  leiden  nicht  unter  dem  einfluss  anderer  weiter  abstehender  er- 
zählungen,  die  von  den  leiden  einer  frau  handeln,  zustande  gekommen  sein 
kann.  Wie  die  entführungssage  in  unserem  epos  nach  dem  vorbilde  von 
dichtungen,  die  die  werbungssage  erzählen,  ausgestaltet  ist,  so  sind  auch 
die  übrigen  teile  des  gedichtes  von  fremden  einflüssen  nicht  unberührt 
geblieben  (s.  §  18. 15).  Aber  für  den  Ursprung  der  motive  sind  solche 
secundäre  eintlüsse  ohne  bedeutung.     Und   der  Ursprung  dieses  motivs 

1)  Wir  finden  hier  bestätigt,  was  s.  187  vermutet  wurde,  dass  der  ausgang  der 
geschichte  in  der  Hildebrandballade  nicht  eine  erfindung  des  balladendichters  ist,  son- 
dern aus  einer  sehr  nahe  verwandten  Überlieferung  stammt.  Wie  die  Kiboldballade 
an  die  Helgidichtung ,  so  hat  die  Hildebrandballadc  sich  an  eine  ältere  gestalt  der 
Kiidrundichtung  angeschlossen. 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBER   DIE   IIILDESAGE  305 

sowie  der  meisten,   die  niclit  rein  äusserlich    angehängt  worden    sind, 
Jiegt  nicht  ausserhalb  des  Stoffes,  sondern  in  demselben. 

Wir  versuchen  jetzt,  die  drei  in  Küdrün  benutzten  formen  der 
Hildesage  in  unsere  genealogische  tabelle  einzureihen. 

Über  die  form  Klb,  die  ihrerseits  schon  früh  aus  zwei  Versionen 
(Hörant,  Hetele)  zusammengesetzt  worden  ist,  lässt  sich  nur  sagen,  dass 
sie  von  SH2  stammt.  Horant  weiss  die  liebe  des  mädchens  zu  erwerben. 
Dass  er  es  durch  seinen  gesang  tut,  ist  schon  eine  neuerung,  die  zwar 
in  unserer  Überlieferung  an  einzelnen  stellen  widerkehrt,  aber  zu  spo- 
radisch, um  den  schluss  auf  eine  nähere  Verwandtschaft  zuzulassen. 
Der  gesang  ist  kein  merkmal  einer  besonderen  gruppc,  sondern  nur 
einzelner  Versionen  (der  Riboldvise  und  einer  version  der  Walthersage). 
Sonst  sind  keine  andeutungen  vorhanden,  dass  Klb  einer  dieser  Über- 
lieferungen besonders  nahe  stehe.  Bei  dem  nahen  Verhältnis  der  Ver- 
sionen Kl  und  KU  zu  der  gruppe,  zu  der  auch  die  vise  gehört,  k-'önnto 
man  am  leichtesten  an  einen  Zusammenhang  mit  der  visc  denken,  aber 
beweisen  lässt  sich  dies  nicht.  Da  alles,  was  auf  die  flucht  folgt,  fehlt  oder 
wenigstens  nicht  widerzuerkennen  ist,  muss  eine  genauere  bestimmung 
dieser  version  unterbleiben.  Vielleicht  stand  sie  von  den  beiden  anderen, 
KI  und  KU,  nicht  weit  ab.  Mit  KU  hat  sie  gegenüber  KI  gemein, 
dass  sie  von  einem  freundschaftlichen  Verhältnis  zwischen  vater  und  lieb- 
haber  nichts  mehr  weiss.  Aber  das  kehrt  auch  in  ferner  abstehenden 
recensionen  (SH6)  wider,  während  KI  sich  hier  mit  PH  berührt. 

Um  so  besser  lässt  sich  die  Stellung  von  KI  und  KU  bestimmen. 
Beide  haben  die  ganze  entwicklung  von  H  bis  //o  durchgemacht.  Jede 
stufe  hat  ihre  merkmale  hinterlassen.  Wir  unterscheiden:  H:  Kampf 
zwischen  Schwiegervater  und  Schwiegersohn.  SHl  erkläi'ung  des  kampfes 
durch  die  entführung  der  tochter.  SH  2  {=Hl)  erkläiung  der  ent- 
führung  durch  die  liebe  des  jungen  paares,  112a.:  sieg  des  Schwieger- 
sohnes; /f  2b:  einführung  des  nebenbublers;  H'.->:  räche  durch  den  söhn. 
Erst  von  da  an  trennt  sich  die  Überlieferung  von  den  übrigen  zu  //:> 
gehörigen  Versionen  ab.  Also  sind  die  nächsten  verwandten  von  K I 
und  KU  die  Helgidichtung  und  die  balladcn.  Aüders  gesagt:  die  beiden 
gedichte,  die  in  Küdrün  miteinander  verbunden  sind,  stammen  beide 
von  einer  älteren  Hildedichtung,  aus  der  auch  das  zweite  Helgilied  und 
die  drei  bailaden  geflossen  sind.  Auf  deutschem  boden  ist  der  nächste 
verwandte  die  Walthersage.  Aber  diese  Verwandtschaft  liegt  weiter 
ziu'ück.  In  einzelnen,  geringen  zügen  lässt  sich  ein  Zusammenhang  mit 
einer  weiter  abstehenden  fassung  (Sorla  In'ittr,  s.  s.  208fg.  2i)())  constatioren, 

Z  KI  TSC  II  RITT    F.    DKUT.SCHK    I'IIILOI.OÜIK.       liD.   XI..  20 


306  BOER 

der    auf   einer   schwachen    contamination  mit  einer   vorstnfe   des  I)attr 
beruhen  muss^ 

Graphisch  lässt  sich  dieses  verliültnis  auf  die  foli^-ende  weise  aus- 
drüclcen  (vgl.  die  tabclle  s.  195)-. 

El  =  SH2 

I  I 

^2a  SH3     =     fHl 


W  n2h /  !'H2 

n  r  /  ...••••■■   I 

H3      Shetlaudsballade  fHS 


HA        Grundlage  Ur-K 

der  balladen      "j  j~ 

KI      KU 

Küdruii. 
Die  Versionen  EI  und  KU  haben  nach  ihrer  abzweigung  von 
dem  hauptstamme  noch  eine  gemeinsame  entwicklung  durchgemacht. 
Darauf  weisen  mehrere  gemeinschaftliche  neuerungen,  wie  die  rück- 
führung  der  frauen  und  auch  Küdrüns  leiden.  Dass  diese  leiden  sowol 
KI  wie  KU  bekannt  waren,  wird  §  16  erörtert  werden.  Zu  den  gemein- 
schaftlichen neuerungen  ist  auch  die  localisierung  des  kampfes  auf  dem 
Wülpensande,  die  bei  der  späteren  Verbindung  der  beiden  recensionen 
in  KI  wider  verloren  ging,  zu  zählend  Sonst  lässt  sich  aus  den  ver- 
worrenen localen  Vorstellungen  des  deutschen  gedichtes  nur  wenig 
schliesscn.  Aber  wenn  es  wahr  ist,  dass  der  Wülpensand  an  der  Scheide 
zu  suchen  ist,  so  deutet  das  darauf,  dass  die  localisierung  des  eutführers 

1)  Diese  contamination  muss  vor  der  Überführung  des  stoffes  nach  Deutsch- 
land stattgefunden  haben.  Über  die  wichtigen  Schlüsse  in  bezug  auf  das  alter  und 
die  heimat  von  Ur-K,  die  sich  daraus  schliessen  lassen,  s.  §  17. 

2)  Die  sccundären  beziehungen  zwischen  einzelnen  bailaden  und  anderen  fassungen 
der  Überlieferung  werden  auf  folgende  weise  am  besten  zum  ausdruck  gebracht: 

H3 

I  I  " 

i74 •  Grundlage  Ur-K 

(totenritt)  der  balladen  (einführung  von  Kudrüus  leiden) 


i  I I  I 

Ur- Hildebrand  Helmorballade  KI  K II 

\  ~  Y 

Ur-Ribold         Ilildebrand  Küdrün 


I  I 

Earl  Brand  Ribold 

3)  Diese  ncuerungon  berechtigen  zu  der  aufstoUung  von  Ur-K.     Von  anderen 

neuerungen,  die  sowol  KI  wie  KU,  aber  nach  ihrer  abzweigung  von  Ur-K  betroden 

haben,  wird  später  die  rede  sein. 


XmTERSUCHTJNGEN   ÜBER   DIE   IHLDESAGE  307 

in  der  Normandie  nicht  eine  junge  erfindung  ist.  Unser  gedieht  macht 
Hagen  zu  einem  könige  in  Irland,  was  reine  willkür  ist.  Wenn  aber 
in  KU  der  vater  in  Dänemark  regiert,  so  konnte  das  richtig  sein.  Er- 
innern wir  uns,  dass  auch  im  SQrla  fmttr  und  bei  Saxo  Hogni  in  Däne- 
mark regiert,  und  dass  er  bei  Snorri  von  seinem  lande  aus  nordwärts 
segelnd  nach  Norwegen  gelangt,  während  die  quellen  Heöiun  entweder 
aus  Norwegen  oder  aus  einem  unbekannten  lande  (Serkland  im  Sgrla 
|>uttr)  kommen  lassen,  so  werden  wir  schliessen  müssen,  dass  in  KI 
und  KU  der  vater,  d.  h.  Hagen,  in  Dänemark  regierte,  dass  der  ent- 
führer  in  der  Normandie  wohnte  und  auf  der  flucht  dahin  bei  dem 
Wülponsande  eingeholt  wurde.  Der  bearbeiter  unseres  gedichtes,  der 
den  vater  aus  KII  aus  früher  erörterten  gründen  Hetele  nannte,  hat 
nun  auch  die  consequenz  gezogen ,  dass  dieser  fürst  in  Dänemark  regierte. 
Für  Hagen  hat  er  ein  neues  reich  in  Irland  ersonnen.  Die  Versetzung 
Hagens  nach  Irland  und  die  Verlegung  des  kampfes  in  K I  nach  Waleis 
hängen  innig  zusammen  ^ 

§  13.    Werbunussagoii  und  deren  bedeutung'  für  Küdriln. 

Es  gibt  eine  klasse  von  litterarischen  Stoffen,  die  im  mittelalter 
seiir  verbreitet  war  und  in  ihrem  hauptmotiv,  der  entführung  einer 
Jungfrau,  mit  der  Hildesage  eine  grosse  ähnlichkeit  aufweist.  Zur  Unter- 
scheidung von  den  entführungssagen ,  die  durch  Hildesage,  Helgisage, 
Walthorsage  repräsentiert  werden,  und  den  rückführungssagen,  die  noch 
zur  spräche  kommen  werden,  wollen  wir  sie  als  'werbungssagen'  be- 
zeichnen. Auf  deutschem  boden  ist  der  bekannteste  Vertreter  des  tA'pus 
die  erzählung  von  Osantrix  brautfahrt,  die  ein  mittelhochdeutsches 
gedieht  an  könig  Rother  knüpft.  An  die  geschichte  von  Osantrix 
schliesst  sich  eine  ähnliche  erzählung  von  Attilas  braut  Werbung  an. 
Die  Überlieferung  führt  nach  der  weise  der  spielleute  die  erzählung 
durch  zwei  geschlechter,  ganz  in  derselben  weise,  in  der  die  entfüh- 
rungssage  in  der  Küdrün  widerholt  worden  ist. 

Das  Schema  der  werbungssage,  über  deren  Ursprung  und  Verbrei- 
tung wir  hier  nicht  zu  handeln  haben 2,  ist  folgendes:  ein  könig  besitzt 

1)  Ob  clie.se  änderungea  auf  dem  eintluss  der  Tristansage  beruhen,  —  aucli 
Isolde  stammt  aus  Irlant,  und  die  Werbung  um  Hilde  hat  grosse  ähnlichkeit  mit  der 
werijung  um  Kudrun  (Deutschbein,  Studien  z.  Sagcngesch.  Engl.  I,  170),  —  oder 
ob  die  wähl  des  landcs  vollständig  willkürlich  ist,  was  sehr  wol  möglich  ist,  ontschoido 
ich  nicht. 

2)  Buggc,  Helgedigtene  s.  252  fgg.  vergleicht  den  prosaischen  eingang  der  llel- 
gakv.  IljorvarSssonar  (vgl.  über  diesen  s.  311  anm.  3),  Von  den  übrigen  dort  ange- 
geführten Überlieferungen  kommt  namentlich  Fredegars  darstellung  (III,  17 — 19)   von 

2(J* 


308  BOEI? 

eine  schöne  tochter,  die  mit  grösster  Sorgfalt  gehütet  wird.  Freier 
werden  zurückgewiesen,  nicht  selten  sogar  strenge  bestraft.  Ein  anderer 
fürst  vernimmt  von  dieser  prinzessin  und  entschliesst  sich,  um  sie  an- 
zuhalten. Aber  seine  boten  werden  schmählich  behandelt  oder  gar  ins 
gefäugnis  geworfen.  Dann  fasst  der  fürst  den  entschluss,  andere  boten 
zu  senden  oder  selber  die  fahrt  zu  unternehmen.  Diesmal  reist  man 
unter  fremden  namen.  Man  will  versuchen,  sich  der  dame  durch  list 
zu  nähern  und  sie  wider  den  willen  ihres  vaters  zu  entführen.  Die 
eutführung  gelingt  entweder  durch  eine  einfache  list  oder  unter  gleich- 
zeitiger anwendung  von  gewalt.  Mitunter  findet  der  vater  der  prin- 
zessin bei  dieser  gelegenheit  den  tod,  oder  er  entkommt  mit  genauer 
not^.     Die  folge  der  entfübrung  kann  ein  langjähriger  krieg  sein. 

Obgleich  diese  erzählung  ihrem  Ursprung  und  ihrem  inhalte  nach 
von  der  entführungssage  grundverschieden  ist,  so  hat  die  ähnlichkeit, 
die  in  einem  bestimmten  punkte  besteht,  fi'üh  berührungen  der  beiden 
sagen  zur  folge  gehabt.  Das  product  dieser  berührungen  sind  misch- 
formen, die  in  der  litteratur  in  ziemlich  grosser  anzahl  vorliegen.  Wer 
das  historische  Verhältnis  der  sagen  verstehen  will,  muss  also  damit 
beginnen,  die  typen  genau  zu  unterscheiden.  Dies  ist  auch  gar  nicht 
schwer,  wenn  man  nur  nicht  von  offenbaren  mischformen,  sondern  von 
den  älteren,  reineren  formen  der  sage  ausgeht.  Schon  aus  der  ent- 
wicklung  der  Hildesage  ergibt  sich,  dass  sie  nicht  mit  den  werbungs- 
sagen  gleichen  Ursprunges  sein  kann.  Denn  die  entfübrung,  obgleich 
früh  zum  hauptmotiv  der  sage  erhoben,  ist  doch  nicht  das  ursprüng- 
lichste motiv  (§  5),  während  sich  eine  der  Hildesage  ähnliche  werbungs- 
sage  ohne  entfübrung  gar  nicht  denken  lässt.-  Aber  auch  die  zur  vollen 
entwicklung  gekommene  Hildesage  unterscheidet  sich  von  den  werbungs- 
sagen  so   deutlich,   dass  es  sogar  bei  den  mischformen  in  den  meisten 

Chlodwigs  brautfahrt  in  betracht.  Eine  reihe  von  beispielen  bietet  P.  Rajna,  Le 
origini  dell'  epopea  francese  s.  80  fgg. 

1)  Die  stelle  J'S  c.  3(5,  wo  Milias  von  Aspilian  einen  schlag  bekommt,  dass  er 
betäubt  zu  boden  sintt,  macht  den  eindruck  einer  neuerung  dafür,  dass  er  getötet 
wird.  Es  verdiezit  beachtung,  dass  in  einem  ganz  ähnlichen  auftritt,  —  nur  nicht  in 
dem  unmittelbaren  Zusammenhang  einer  brautwerbung,  —  Osantrix  von  Vildifer  er- 
schlagen wird  (c.  144).  An  beiden  stellen  erlösen  freunde,  die  unter  falschem  namen 
angekommen  sind,  den  im  gefäugnis  ihrer  harrenden  freund.  Die  zuletztgeuannte 
stelle  gehört  dem  bericht  von  einem  kriege  an,  der  eine  folge  einer  brautwerbung  ist. 

2)  Eine  werbungssage  ohne  entfühiimg,  —  einer  der  ausgangspunkte  der 
späteren  litterarischen  fassungcn,  —  ist  die  bei  Paulus  Diaconus  erzählte  brautfahrt 
Autharis,  aber  diese  hat  mit  der  Hildesage  auch  nicht  die  geringste  ähnlichkeit. 


rNTERSUCHUNGEN    ÜFiKI}    DIK    IIILDESAGK,  30'J 

fällen    wol    möglich    ist,    die    Zugehörigkeit   jedes    einzelnen    zuges    zu 
bestimmen.     Die  bedeutendsten  unterschiede  sind  die  folgenden: 

Die  Averbungssagen  erzählen  ausnahmslos  von  königen,  deren  hof- 
haltung  gern  ausführli*:h  beschrieben  wird  und  aucii  für  die  entwicklung 
der  begebenheiten  nicht  ohne  bedeutung  ist.  Die  Hildesage  hingegen 
handelt  ursprünglich  nur  von  wikingen  oder  von  heerkönigen;  wo  die 
gegner,  wie  in  der  Helgisage,  zu  königen  werden,  bleibt  doch  der 
äussere  glänz  etwas  nebensächliches. 

Die  werbungssagen  berichten  von  einer  prinzessin,  die  sorgfältig 
gehütet  wird,  und  der  man  sich  nur  nach  Überwindung  vielfacher 
hindernisse  nähern  kann.  Die  älteren  Versionen  der  Hildesage  Avissen 
davon  nichts. 

Damit  hängt  es  zusammen,  dass  in  den  vferbungssagen  der  vater 
das  mädchen  nicht  verheiraten  will.  In  der  Hildesage  fehlt  dieser  zug. 
Die  älteste  version  (Saxo  1)  weiss  sogar  noch,  dass  Heöinn  HQgnis 
tochter  mit  der  Zustimmung  des  vaters  erwirbt.  In  einer  jüngeren 
Version  (SQrla  I)ättr)  ist  der  vater  bereit,  die  tochter  dem  freunde  zu 
geben,  aber  dieser  zieht  es  vor,  sie  zu  rauben.  In  den  alten  Versionen 
entführt  der  liebhaber  das  mädchen,  ohne  zuvor  um  sie  angehalten  zu 
haben,  während  der  vater  abwesend  ist,  oder  wo  von  einer  Weigerung 
die  rede  ist,  ist  der  grund  dazu  nicht,  dass  der  vater  sie  überhaupt 
nicht  verheiraten  will,  sondern  dass  er  sie  einem  anderen  freier  be- 
stimmt hat.  Von  einer  vorausgehenden  Werbung  durch  boten,  die  zu 
dem  festen  bestände  der  werbungssage  gehört,  weiss  denn  auch  die 
Hildesage  nichts. 

Die  werbungssagen  lassen  den  abgewiesenen  könig  einen  plan 
schmieden,  um  durch  list  seinen  zweck  zu  erreichen.  Die  Vorbereitung 
und  ausführung  dieses  planes  wird  umständlich  erzählt.  Die  Hildesage 
weiss  weder  von  dieser  planlegung  noch  von  diesen  listen  etwas.  Der 
entführer  hat  keine  anderen  helfer  als  seine  kriegsgefährten,  die  erst 
bei  dem  späteren  gefecht  mit  dem  verfolgenden  vater  handelnd  auf- 
treten. Die  erzählung  beginnt  entweder  mit  der  freundschaft  der  könige, 
worauf  die  entführung  unmittelbar  folgt,  oder  sie  setzt  sofort  mit  der 
entführung  ein. 

In  den  werbungssagen  gehört  eine  Verfolgung,  die  ein  seiir  wesent- 
liches element  der  Hildesage  ist,  zu  den  ausnahmen.  Das  hängt  damit 
zusammen,  dass  bei  der  entführung  gewalt  und  list  zugleich  angewendet 
werden.  Der  kämpf  zwischen  beiden  parteien  findet  also  vor  der  ent- 
führung statt.  Dies  ist  z.  b.  in  der  erzählung  von  Melias  tochter  Oda 
der  fall.     AVenn   die  entführung,   wie  die   von  Osantrix'   tochter  Erka, 


310  BOER 

durch  list  allein  gelingt,  so  schliesst  sich  allerdings  eine  Verfolgung  an, 
aber  diese  führt  nicht  zu  einem  entscheidenden  kanipfe,  sondern  zu 
einer  belagerung,  aus  der  der  entführer  durch  zu  hilfe  eilende  Streitkräfte 
gerettet  wird.  Im  Rother  sind  die  gewalttaten  vor  der  entführung  zu 
kraftproben  und  dem  vater  gewährte  hilfeleistungen  umgemodelt;  die 
entführung  erfolgt  dann  während  der  abwesenlieit  des  vaters,  aber  eine 
Verfolgung  findet  nicht  statt;  statt  dessen  wird  die  geschichte  durch  eine 
neue  entführung  der  Jungfrau  weitergesponnen. 

Dem  entspricht;  dass  auch  die  gewaltige  schlacht  auf  der  heim- 
reise und  damit  der  erschütternde  ausgang  der  Hildesage,  dass  die 
gegner  einander  töten,  fehlt.  Die  jüngere  form  der  Hildesage,  die  nur 
den  tod  des  Schwiegervaters  kennt,  steht  der  werbungssage  insofern 
näher,  als  auch  hier  der  Schwiegervater  den  kürzeren  zieht,  aber  w^ie 
oben  gezeigt  wurde,  sind  die  umstände  ganz  anderer  art,  indem  der 
Schwiegervater  in  seinem  eigenen  palaste  erschlagen  wird  oder  vor  den 
feindlichen  gasten  fliehen  muss.  Und  der  zug,  der  in  der  Hildesage 
mit  der  besiegung  des  Schwiegervaters  sehr  früh  verbunden  w-urde,  dass 
der  söhn  den  vater  rächt,  fehlt  in  den  werbungssagen  vollständig.  Ebenso 
fehlt  die  rückführung  der  schw^ester  und  ihre  strafe  oder  belohnung. 
Einen  nebenbuhler  kennt  auch  die  erzählung  von  Erkas  entführung. 
Aber  seine  rolle  lässt  sich  mit  der  des  nebenbuhlers  der  Hildesage  nicht 
vergleichen.  Er  dient  nur  dazu,  um  Attilas  boten,  der  sich  in  Osan- 
trix'  vertrauen  eingeschlichen  hat,  eine  gelegenheit  zu  geben,  sich  mit 
der  königstochter  zu  unterhalten  und  unter  dem  scheine,  dass  er  die 
Sache  des  nebenbuhlers  führe,  seinem  herrn  zu  empfehlen. 

Auf  grund  dieser  vergleichung  kann  man  ruhig  sagen,  dass  die 
entführungssage  und  die  werbungssage  nichts  als  die  entführung  gemein 
haben,  und  dass  alle  weiteren  Übereinstimmungen,  die  sich  zwischen 
der  werbungssage  und  sehr  jungen  redactionen  der  Hildesage  finden, 
entweder  auf  zufall  oder  auf  entlehnung  beruhen. 

Solche  Übereinstimmungen  mit  werbungssagen  finden  sich  in  Küdriin 
in  ziemlich  grosser  anzahl.  Wie  sie  zu  beurteilen  sind,  ergibt  sich 
aus  dem  vorhergehenden.  Hier  befinde  ich  mich  in  grösserem  cinver- 
ständnis  mit  Panzer  als  bisher.  Panzer  glaubt,  eine  umfangreiche  be- 
nutzung  des  Rother  in  der  Küdrün  nachw^eisen  zu  können.  Der  beweis 
einer  directen  benutzung  scheint  mir  zwar  nicht  sicher  erbracht  zu  sein 
(vgl.  §  15),  aber  so  viel  lässt  sich  sagen,  dass  wo  in  der  Küdrün  züge 
auftreten,  die  nicht  zur  Hildesage  gehören,  aber  aus  dem  Rother  be- 
kannt sind,  diese,  wenn  auch  nicht  direct  aus  dem  Rother,  so  doch 
aus  einer  der  im  Rother  miteinander  verbundenen  sagen  stammen  müssen. 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBER   DIE    IIILDESACE  311 

Zur  Werbungssage  gcliört  jedesfalls,  dass  der  vatcr  seine  tochter  keinem 
freier  geben  will,  dass  Hetele  und  später  Hartmuot  durch  boten  werben, 
dass  sie  listen  ersinnen^,  um  ihren  zweck  zu  erreichen,  namentlich  dass 
man  sich  für  vertriebene  ausgibt.^  Hingegen  ist  Küdrüns  lachen  (1320), 
wenn  es  sich  mit  dem  verräterischen  lachen  der  frau  in  Rother,  wo- 
mit Panzer  es  zusammenstellt,  vergleichen  lässt,  nicht  auf  den  ein- 
fluss  der  werbuugssage  sondern  der  rückführungssage,  die  den  Inhalt 
der  zw-eiten  hälfte  des  Rother  bildet,  zurückzuführen. ^ 

1)  Die  listen  könneu  freilich  zum  teil  auch  aus  einem  anderen  typu.s,  der  lück- 
fühiungssage  (§  15)  stammen. 

2)  Panzer,  d«r  eine  tiefgehende  beeinflussung  des  gedieh tes  durch  den  Rother 
annimmt,  verfährt  incousequent,  wenn  er  züge,  die  zwar  im  Eother  und  in  der 
Küdrün,  nicht  aber  in  anderen  Versionen  der  Hildesage  begegnen,  dennoch  für  echte 
motive  der  Hildesage  erklärt.  So  urteilt  er  z.  b.  s.  278  über  die  angebliche  ächtung 
der  fremden  an  Hagens  hofe.  Dieses  urteil  hat  einzig  und  allein  darin  seinen  griuid, 
dass  Panzer  diesen  zug  für  seine  construction  der  sage  aus  dem  Goldener- märchen 
brauchen  kann.  (Die  behauptiing  s.  279,  dass  auch  Saxo  das  motiv  gekannt  haben 
müsse ,  ist  absolut  grundlos.)  Consequentorweise  sollte  er  diesen  zug  aus  dem  Rothor 
herleiten ,  wie  er  unmittelbar  vorher  das  kaufmannsmotiv  aus  der  Salomonsago  ableitet. 
Die  argujnentation,  die  fremden  müssen  'irgendwie  schon  in  der  Überlieferung,  wie 
sie  dem  dichter  zukam,  an  Hagens  hofe  ihre  anwesenheit  motiviert  haben'  (sie!), 
kann  doch  kein  beweis  für  die  echtheit  der  angeblichen  ächtung  sein.  Nach  unserer 
auffassung  gehört  "Wates  ankunft  bei  Hagen  und  sein  kriegerisches  benehmen  zwar 
zu  der  alten  Überlieferung  von  KI,  aber  die  angäbe,  er  sei  aus  seinem  lande  ver- 
trieben, zu  den  listen,  die  in  der  werbungssage  einen  festen  platz  haben.  Ob  sie 
schon  in  K  I  oder  erst  in  das  combinierte  gediclit  aufgenommen  ist,  lässt  sich,  ohne 
tiefer  auf  die  frage  einzugehen,  nicht  entscheiden. 

3)  Einen  abweichenden  typus  der  werbungssage  vertritt  die  prosaerzähluug,  die 
als  einleitung  zu  der  H.  Hj.  mitgeteilt  wird.  HJQrvarSr  wirbt  durch  boten  um  Sigrlinn, 
die  tochter  Sväfnis.  Auf  den  rat  Fräumars,  eines  vertrauten  des  königs,  wird  sie 
ihm  verweigert.  Dann  macht  HjorvarSr  sich  mit  seinem  beere  auf,  die  braut  zu  holen. 
Inzwischen  ist  ein  nebenbuhler,  Hrüömarr,  aufgetreten.  Dieser  verwüstet  das  laud 
(er  ist  also  gleichfalls  abgewiesen  worden).  Er  hat  König  Sväfnir  getötet.  HJQrvarÖr 
erbeutet  das  mädchen,  das  von  Fränmarr  in  adlergestalt  bewacht  wird,  und  zugleich 
Frünmars  tochter.  Nun  hat  er  für  sich  und  für  seinen  boten  eine  braut  erworben. 
Sein  söhn  tütet  später  Hroömarr  und  rächt  also  seinen  grossvater. 

Hier  finden  sich  zusammen  1.  eine  vergebliche  Werbung,  2  eine  darauf  folgende 
gewaltsame  entfühniug.  Aber  die  erzählung  ist  erweitert  durch  einen  nebenbuhler, 
der  den  vater  getötet,  aber  nicht  das  mädchen  entführt  hat,  und  sich  also  weder 
mit  dem  entführer  noch  dem  nebenbuhler  d^r  Ilildesago  vergleichen  lässt.  Eher  steht 
dieser  mit  Sigmunds  nebenbuhler  Lyngvi  auf  einer  liuio.  Darauf  deutet  auch  der  zug, 
dass  Svävas  sohu  seinen  grossvater  rächt  wie  der  söhn  der  Hjtjrdis.  (Ein  unterschied 
besteht  darin,  dass  HJQrvarÖr  nicht  wie  Sigmuodr  durch  den  nebenbuhler  fällt.)  Also 
würde  die  erzählung  eine  durch  den  oinfluss  der  Sigmundsage  erwoitortu  form  der 
werbungssage  sein.     Eine  unklare  rolle  spielt  Fränmarr;  am  meisten  ist  er  jedoch  dorn 


312  BOKR 

§  14.   Andere  inischformen. 

1.    Herbort  und    Hilde. 

Die  g^eschichte  ist  in  zwei  quellen,  der  PiÖreks  saga  und  dem 
Biterolf  überliefert.  Die  Überlieferung  der  saga  ist  die  ausführlichste 
und  verdient  auch  sonst  vor  der  Biterolfstelle  den  Vorzug.  Die  erzäh- 
lung  beruht  auf  einem  sehr  rohen  spiehuannsgedichte,  das  aus  ver- 
schiedenen bruchstücken  zusammengeleimt  war.  In  der  saga  geiiört 
sie  dem  zweiten  interpolator,  der  vielfach  schlechte  quellen  benutzt 
hat,  an.  Die  herkunft  der  einzelnen  züge  ist  ziemlich  leicht  zu  er- 
kennen. Es  ist  unverständlich,  wie  Panzer  auf  die  torheiten  dieser 
erzählung  seine  beweisführung,  dass  man  es  hier  und  anderswo  mit 
dem  Goldener- märchen  zu  tun  habe,  hat  stützen  können.  Schon  die 
namen  zeigen,  wie  sehr  der  stoff  von  überallher  zusammengesucht  ist. 
Herbort  muss  für  Dietrich  von  Bern,  seinen  oheim,  —  nb.!  durch 
seine  mutter  Isolde,  Dietrichs  Schwester!  —  um  Hilde,  die  tochter 
des  königs  Artus  von  Brittannien,  anhalten.  Herbort  hat  einen 
bruder  Tristram!  Nach  diesem  namenkatalog  wissen  wir,  was  wir  zu 
erwarten  haben.  Und  wie  mit  den  namen,  so  verhält  es  sich  mit  der 
darstellung.  Nichts  erscheint  zu  unbedeutend,  wenn  nur  spässe  ge- 
macht werden  können.  Für  den  geschmack  des  dichters  und  seines 
publicums  bezeichnend  ist  die  erzählung,  dass  Herbort,  als  die  Verfolger 
sich  nähern,  schnell  seine  dame  von  dem  rosse  hebt,  um  sie  zu  ent- 
ehren, damit  er  sich  nun  den  spass  erlauben  kann,  dem  anführ  er  der 
Verfolger,  der  zu  wissen  wünscht,  ob  die  dame  noch  Jungfer  ist,  zu 
antworten:  „als  heute  morgen  die  sonne  aufging,  war  sie  noch  Jungfer, 
aber  jetzt  ist  sie  meine  frau." 

Die  demente  der  geschichte  sind  die  folgenden:  1.  eine  einleitung 
c.  231  —  2.  Diese  soll  erklären,  wie  Herbort  zu  Dietrich  kommt. 
Mit  dem,  was  folgt,  steht  sie  in  keinem  Zusammenhang.  Herborts  brüder 
streiten  sich;  einer  erschlägt  den  andern  und  entflieht;  Herbort  bekommt 
die  schuld  und  muss  gleichfalls  fliehen;  er  geht  zu  Dietrich  von  Bern. 

2.  c.  233  —  7,  eine  werbungssage  im  stil  der  erzählung  von  Osan- 
trix'  brautfahrt.  Die  dame  gehört  zu  denen,  die  streng  gehütet  werden; 
Dietrich  vernimmt  von  ihrer  Schönheit  und  sendet  einen  boten,  um  sie 
zu  werben.  Hier  ist  die  erzählung  stark  zusammengezogen,  c.  233 — ivvird 

typischen  treuen  diener  ähnlich.  Die  zweizahl  der  frauen  mahnt  an  den  zweiten  teil 
dei'Küdrün,  aber  die  erzäblungen  stehen  einander  zu  fern ,  um  den  gedankon  an  einen 
Zusammenhang  aufkommen  zu  lassen. 

1)  Die  Herboitsriniur,  die  vielfach  als  eine  dritte  quelle  angeführt  werden, 
sind  von  der  l'iöreks  saga  absolut  abhängig  und  kommen  weiter  nicht  in  betracht. 


UNTKKSrcilUXCiKX    VHRU    DIK    HlT.DKSACiK  31 0 

der  aiitrag  unmittelbar  bei  dem  könig  vorgebracht.  Die  dem  typus  eigen- 
tümliche antwort  ist  eine  Weigerung,  worauf  dann  neue  boten  gesandt 
werden  oder  der  freier  selber  sich  auf  den  weg  begibt.  Aber  Herbort  soll 
es  auch  sein,  der  die  dame  entführt.  Darum  wird  die  antwort  gcmihlort: 
der  könig  schiebt  die  entscheidung  auf.  Von  c.  2.35  an  versucht  Ilor- 
bort  auf  listige  weise,  sich  der  königstochter  zu  nähern.  Hier  vertritt 
er  also  den  zweiten  boten,  dessen  zwecke  dem  könig  nicht  bekannt 
sind.  Das  muss  man  auch  darum  annehmen,  weil  es  absolut  unver- 
ständlich ist,  dass  er  von  dem  könig,  dem  seine  absiebten  bekannt  sind, 
zu  ihrem  speciellen  diener  bestellt  wird.  Nachdem  das  geschehen  ist, 
macht  er  die  sache  weiter  mit  ihr  ab. 

3.  Da  das  resultat  eine  entführung  ist,  findet  an  dieser  stelle  leicht 
eine  berührung  mit  den  entführungssagen  vom  Hildetypus  statt. 
c.  238—9  folgt  eine  solche  entführung  im  stil  der  Hildesage  und  zwar 
des  aus  der  Walthersage  bekannten  untertypus.  Der  held  reitet  allein 
mit  der  dame  fort,  er  wird  verfolgt  und  besiegt  die  verfolgen  -  Die 
feinde  sind  knechte;  der  vater  ist  nicht  dabei;  auch  das  stimmt  mit 
den  jüngeren  Versionen  der  Walthersage  überein. 

4.  Am  Schlüsse  ein  dement  der  Tristansage:  der  held,  der  um 
eine  frau  für  einen  anderen  werben  soll,  behält  sie  für  sich. 

Ein  Zeugnis  von  einiger  bedeutung  für  die  Hildesage  ist  also  die 
erzählung  von  Herbort  nicht.  Nur  ihr  dritter  teil  enthält  eine  schlechte 
Variante  von  jener.  Merkwürdig  ist  sie  aus  einem  anderen  gesichts- 
punkte.  Sie  zeigt  dieselbe  verquickung  des  Osantrixtypus  mit  der 
Hildesage,  die  auch  in  der  Ivüdrün  vorliegt,  und  zwar  in  ähnlicher 
weise.  Die  entführung  nebst  der  Verfolgung  wird  mit  einer  einleitung 
versehen,  die  dem  Osantrixtypus  entlehnt  ist.  Der  könig,  der  seine 
tochter  nicht  geben  will,  die  Werbung  durch  boten,  die  listige  weise, 
in  der  der  böte  sich  der  königstochter  nähert,  finden  sich  in  der  Her- 
borterzählung  wie  in  der  Küdrün.  Insofern  ist  unsere  erzählung  ein 
Vorläufer,  bis  zu  einem  gewissen  grade  vielleiciit  auch  ein  vorbild  des 
späteren  hochdeutschen  epos. 

Keineswegs  besser  i.st  die  darstellung,  die  der  Biterolf  von  Her- 
borts abeuteuer  gibt.  Insofern  ist  in  ihr  mehr  einheit,  als  sie  keine 
Werbung  durch  boten  enthält  luid  eine  enlfühiung  erzählt,  die  nur  aus 
der  Hildesage  und  der  Walthersage  combiniert  ist.  Aber  jede  Selb- 
ständigkeit geht  ihr  ab;  sogar  die  nanien  sind  der  hochdeutschen 
Küdrün  entlehnt.  Herbort  entführt  die  tochter  Ludwigs  aus  Ormanie;  das 
mädchen  heisst  (nb. !)  Hildeborg;  er  besiegt  die  Verfolger,  —  der  vater  und 
der  bruder  sind  im  gcgcnsatz  zu  der  saga  dabei;  —  darauf  überwindet 


314  BOER 

er  einen  rieson  und  kommt  endlich  nach  Bern.  Hier  geiit  unser  dichter 
auf  die  Waltiiersage  über,  indem  er  Dietrich  und  Hildebrand  die  rolle 
Günthers  und  Hagens  zuerteilt;  sie  versuchen  vergebens,  dem  durch- 
reisenden beiden  die  frau  zu  entreissen.  Die  combination  liegt  offen 
zu  tage.  Doch  zeigt  auch  diese  darstellung,  dass  dem  dichter  etwas 
davon  bekannt  war,  dass  Dietrich  die  Jungfrau  haben  sollte,  und  so 
weist  die  erzähl ung  auf  eine  sagenform,  die  von  der  darstellung  der 
saga  nicht  weit  abstand.^  Die  übrigen  namen  der  erzählung  waren 
unserem  dichter  entfallen;  er  hat  sie  der  Küdründichtung  entlehnt  und 
beweist  dadurch,  dass  zu  der  zeit,  als  der  ßiterolf  entstand,  die  Küdrün- 
fabel  schon  in  ihren  hauptzügen  fertig  war.  Ludwig  und  Hartmuot 
sind  schon  vater  und  söhn,  und  Hildeburg  wird  in  Zusammenhang  mit 
ihnen  genannt.  Natürlich  kann  man  nicht  behaupten,  dass  die  Küdrün 
in  der  uns  vorliegenden  form  schon  vorhanden  war;  Zusätze  von  geringerer 
bedeutung  können  jünger  sein. 

2.  Der  Apolloniusroman  der  I^iörekssaga. 

Diese  erzählung  enthält  nichts,  was  für  die  Hildesage  von  bedeu- 
tung wäre.  Wir  haben  es  wider  mit  einer  werbungssage  zu  tun. 
Zweimal  wird  der  antrag  ohne  erfolg  vorgebracht;  dann  wird  die  liebe 
der  dame  durch  einen  ring  gewonnen.  Sie  entbietet  darauf  den  ritter 
aus  seinem  lande  zu  sich;  er  kommt  mit  einigen  freunden  und  ent- 
führt sie,  nachdem  er  sich  als  frau  verkleidet  und  so  Zugang  zu  ihrem 
gemache  bekommen  hat  —  ein  u.  a.  aus  der  HagbarÖsage  bekanntes 
motiv  (vgl.  auch  Hugdietrichs  brautfahrt).  Von  einer  Verfolgung  ist 
nicht  die  rede;  über  frieden  wird  unterhandelt.  Inzwischen  stirbt  die 
frau.  Nur  die  entführung  erinnert  an  die  Hildesage,  aber  auch  diese 
entführung  gehört  eher  zu  dem  typus  der  werbungssagen;  die  ange- 
wendete list  besteht  in  der  Verkleidung. 

3.  Die  Sanisonerzählung  der  tiörekssaga. 

Diese  geschichte  ist  wol  ein  junger  spross  der  Hildesage.  Wie  in 
einigen  Versionen  derselben  befindet  sich  der  ritter  am  hofe  des  vaters. 
Dass  er  ihm  dient,  kann  man  versucht  sein,  mit  dem  gleichen  zug  der 
Helnierballade  in  Verbindung  zu  setzen;  nur  der  geographische  abstand 
und  die  herleitung  dieses  zuges  in  der  ballade  aus  der  Hjalmarsage 
erregen  bedenken.     Samson  bittet  nicht  um  die  band  der  königstochter, 

1)  Beer,  Beitr.  14,  540  glaubt,  die  f*iÖrekssaga  habe  die  erzähhiiig  an  den 
Dietrich cycl US  angeschweisst.  Aber  er  übersieht  den  bei  Bern  ausgefühlten  übeifall 
durch  Dietrich  und  Hildebrand  im  Biteiolf. 


UNTERSUCHUNG F.X    f'UEi;    OllO    IIILDKSAOK  S15 

sondern  er  liebt  sie  sehr  {Icggr  )niJda  ast  vtb  Ililldisvib  Inrls  dutlur)  und 
entführt  sie  ohne  einen  anderen  grund,  als  dass  er  sie  besitzen  will. 
Den  ihm  nachsetzenden  vater  tötet  er  im  Zweikampf.  Aus  der  wer- 
bungssage  stammt  die  beschreibung  des  Verhältnisses  des  vaters  zu  der 
tochter  [JarUrm  wiiii  hemü  mikit  oh  cdlt  borgarlii)  af  fegrh  ok  kitrteisl, 
milldi  oli  Hiilceti  oh  aU:,kouar  lisf),  ferner  die  üppige  hofiialtung  des 
fürsten,  vor  allem  aber  der  zug,  dass  das  mädcheu  in  einem  hohen 
türme  sitzt.  Die  erzählung  wird  ferner  fortgesetzt  in  einem  kämpf  mit 
dem  bruder  des  jarls,  wodurch  Samson  ein  königreich  erwirbt.  Viol- 
leicht sind  die  beiden  kämpfe  und  die  erwerbung  des  königtums  der 
kern  der  geschichto  —  Samson  ist  der  vater  Erminreks  und  Pettmars  — 
und  ist  die  entführungssage  später  angeliängt  worden. 

4.  Die  Hildesage  in  der  Oswaldlogende. 
Berger  hat  Beitr.  XI,  459  die  Vermutung  aufgestellt,  die  Hildesage 
sei  im  9.  Jahrhundert  in  England  in  die  Oswaldlegende  aufgenommen 
worden;  später  sei  diese  nach  Deutschland  gelangt  und  habe  unter  den 
bänden  der  spielleute  die  form  erhalten,  in  der  sie  vorliegt.  Damit 
würde  sich  die  form,  in  der  die  sage  hier  auftritt,  wol  in  Überein- 
stimmung bringen  lassen.  Es  ist  nämlich,  sofern  man  einen  Zusammen- 
hang zwischen  der  erweckung  der  toten  in  der  legende  und  der  Hilde- 
sage annimmt,  die  nordische  form,  und  zwar  SH3,  die  das  HjaÖningavig 
aufgenommen  hatte.  Dass  diese  nach  den  brittisciien  inseln  übergeführt 
worden  war,  hat  sich  uns  schon  aus  der  localisierung  auf  den  Orkneyjar 
und  aus  der  Shetlandsballade,  die  sich  mit  SH3  nahe  berührt,  ergeben. 
Aus  der  alten  Hildesage  stammt  es  auch,  dass  der  vater  den  Verführer 
bei  einer  insel  einholt.  Auf  deutschem  boden  hat  die  erzählung  später 
den  einfluss  derselben  quellen  erfahren,  durch  die  auch  die  Küdrün 
umgestaltet  worden  ist;  sie  hat,  nämlich  züge  der  werbungssage  auf- 
genommen. Hierher  gehört  der  zug,  den  Berger  (s.  451)  für  ein  altes 
element  der  Hildesage  ansieht,  dass  der  vater  die  tochter  niciit  heraus- 
geben will  und  alle  freier  tötet,  ferner  die  bei  der  cntfiihrung  ange- 
wendete list  (kaufmannsmotiv),  falls  diese  niclit  eher  aus  dem  §  15  zu 
besprechenden  typus  stammt.  Also  ist  auch  diese  sagenform  eine  misch- 
forni  aus  denselben  dementen  wie  die  Küdrün:  Hildosage,  werbungs- 
sage, vielleicht  sogar  auch  rückführungssage. 

§  15.     Riickfühniiij,'ssaf,'oii  und  deroii  bcdeuluiiR'  für  Küdniii. 

Viele    mittelaltcrliciie    romane    und    Volkslieder    erzählen    von   der 
rückführuug  einer    in   gefangenschaft  geratenen    oder  entflohenen    frau 


31ü  TiOKR 

oder  juiijifraii.  Die  bedeutuni;;  dieser  stoiBFe  für  die  cntwickhing  der 
Küdründichtung  wurde  schon  von  mehreren  forschern  erkannt;  am 
tiefsten  ist  in  den  letzten  jähren  Panzer  auf  die  hierhergehörigen  fragen 
eingegangen.  Dieser  gelehrte  leitet  die  rückführung  der  Kiidrün  voll- 
ständig aus  elementen  der  geschichte  des  Apollonius  von  Tyrus,  der 
Salomonsage  und  des  Sädeliliedes  ab.  Dass  ich  diesem  urteil  nicht  zu- 
stimmen kann,  ist  aus  §  12  klar  geworden.  Aber  ein  nahes  Verhältnis 
zu  einem  teil  dieser  quellen  lässt  sich  auch  meiner  ansieht  nach  nicht 
leugnen.  Eine  gegen  überstellung  der  beiden  Standpunkte  wird,  wie  ich 
hoffe,  zur  klärung  der  frage  etwas  beitragen.  Principiell  besteht  ein 
gegensatz,  der  sich  nicht  aus  der  weit  schaffen  lässt.  Während  Panzer 
glaubt,  dass  die  ganze  geschichte  aus  fetzen  von  anderen  erzählungen 
willkürlich  zusammengesetzt  sei,  habe  ich  zu  zeigen  versucht,  dass  der 
verlauf  der  erzählung  auf  der  inneren  entwicklung  des  Stoffes  beruht. 
Ich  glaube,  dass  darin  die  stärke  meiner  beweisführung  liegt.  Man 
sieht  nicht  ein,  wie  ein  dichter  auf  den  gedanken  verfallen  konnte,  an 
die  Hildesage,  in  der  das  mädchen  dem  entführer  freiwillig  folgt,  ohne 
grund  eine  fortsetziing  zu  knüpfen,  in  der  sie  ihm  abhold  ist,  ihrem 
bräutigam  dagegen  treu  bleibt  und  am  ende  aus  der  gefangenschaft 
erlöst  wird,  auch  wenn  eine  solche  erzählung  sich  aus  umgedeuteten 
motiven  aus  anderen  erzählungen  zusammensetzen  Hess.  Um  so  weniger 
versteht  man  das,  da  ja  auch  die  Vorgeschichte  geändert  und  die  frei- 
willige flucht  zu  einer  gewaltsamen  entführung  umgemodelt  werden 
musste.  Es  liegt  schon  deshalb  nahe,  die  rückführung  und  die  neue 
auffassung  von  Küdrüns  verhalten  dem  entführer  gegenüber  als  zwei 
aus  verschiedenen  zwecken  entsprungene  und  auch  wol  chronologisch 
getrennte  neuerungen  zu  betrachten.  Dabei  fällt  schwer  ins  gewicht, 
dass  die  Salomonsage,  auf  der  die  rückführung  zum  grossen  teil  be- 
ruhen soll,  die  neue  auffassung  von  Küdrüns  Charakter  nicht  veranlasst 
haben  kann,  da  sie  das  Verhältnis  der  frau  zu  dem  gatten  und  dem 
liebhaber  ebenso  darstellt  wie  es  die  alte  Hildesage  tat:  die  frau  ist 
dem  entführer  freundlich,  dem  gatten  feindlich  gesinnt.  Nun  lässt  es 
sich  aus  den  quellen  nachweisen,  dass  die  neue  auffassung  von  Küdrüns 
Verhältnis  zu  dem  liebhaber  nicht  zugleich  mit  der  fortsetzung,  die  die 
rückführung  erzählt,  entstanden,  sondern  jünger  als  diese  ist.  Eine 
ganze  reihe  von  Überlieferungen  kennt  die  räche  des  sohnes  für  den 
vater;  ein  teil  davon  erzählt  auch  die  rückführung  des  mädchens  und 
ihre  leiden,  aber  ihr  vcrliältnis  zu  dem  entführer  ist  noch  das  alte:  sie 
ist  ihm  freiwillig  gefolgt.  Erst  in  der  Küdrün  ist  dieses  Verhältnis  um- 
gekehrt, und  dementsprechend  sind  die  leidensgeschichte  und  die  rück- 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBER   DIE   HILBESAOE  317 

fährung  neu  gestaltet  worden.  Es  ist  demnach  nicht  ganz  richtig,  wenn 
Panzer  sagt  (s.  350),  es  sei  in  den  Zeugnissen  zur  Hildesage  nirgends 
auch  nur  eine  anspielung  auf  die  leiden  und  den  rachezug  zu  entdecken. 
Das  ist  nur  so  lange  wahr,  als  man  den  ganzen  §  6  und  8  besprochenen 
zweig  der  Überlieferung  einfach  ignoriert.  Aber  nur  auf  dieser  be- 
haupteten Unmöglichkeit,  die  rückführung  aus  der  inneren  entwicklung 
des  Stoffes  zu  erklären,  beruht  die  berechtigung  des  Versuchs,  sie  für 
ein  willkürliches  stück  auszugeben. 

Anderseits  ist,  wie  schon  gesagt,  eine  beziohung  der  Küdrün  zu 
einem  teil  der  von  Panzer  genannten  quellen  unverkennbar.  Aber  hier 
ist  zu  bemerken  1.  dass  dieses  Zugeständnis  ausdrücklich  nur  für  einen 
teil  dieser  quellen  gilt,  2.  dass  diese  beziehung  nach  unseren  früheren 
ausführungen  secundär  sein  muss,  3.  dass  auch  in  anderer  hinsieht  über 
die  art  dieser  beziehung  verschiedene  annahmen  möglich  sind. 

Zu  1.  Was  für  einen  Zusammenhang  mit  der  Historia  ApoUoni 
angeführt  wird,  scheint  mir  nichts  weniger  als  überzeugend.  Schon 
die  Situation  lässt  sich  in  beiden  romanen  gar  nicht  vergleichen. 
Während  Küdrün  von  einem  liebhaber  geraubt  worden  ist  und  von 
dessen  mutter  zur  ehe  mit  ihm  gedrängt  wird,  ist  Tharsia  von  ihrem 
vater  seinen  gastfreunden  übergeben,  diese  aber  wollen  das  raädchen 
töten  lassen,  und  es  gelangt  schliesslich  in  die  gewalt  eines  kupplers, 
der  ihre  Jungfräulichkeit  verkaufen  will.  Die  einzige  Übereinstimmung 
besteht  darin,  dass  die  Jungfernschaft  der  beiden  mädchen  bedroht  ist. 
Aber  schon  wenn  Stranguillio  und  Dionysias  mit  Ludwig  und  Görlint 
verglichen  werden,  so  trifft  das  nicht  länger  zu,  denn  nicht  Stranguillio 
und  Dionysias  bedrohen  die  Jungfräulichkeit  Tharsias,  sondern  der 
kuppler,  in  dessen  gewalt  sie  ohne  mitwissen  des  paares,  das  sie  ja  aus 
ganz  anderen  gründen  töten  lassen  wollte,  geraten  ist.  Die  Unzuläng- 
lichkeit dieser  vergleichung  zeigt  sich  aber  erst  recht,  wenn  man  die 
oinzelheiten  beobachtet,  die  als  stützen  für  den  Zusammenhang  ange- 
führt werden.  Dass  Tharsia  von  ihrem  vater  dem  böswilligen  ehepaar 
zur  erziehung  übergeben  worden  ist,  soll  der  grund  sein,  warum  Hart- 
muot,  dem  es  nicht  gelingt,  Küdrün  zur  einwilligung  in  die  ehe  mit 
ihm  zu  bewegen,  seine  mutter  bittet,  ihren  eintluss  anzuwenden,  und 
dabei  das  wort  xiehcn  benutzt.  Wenn  Gcrlint  eine  ivülphtiie  ge- 
nannt wird,  so  darf  das  nicht  eine  ganz  natürliche  bezeichnung  einer 
bösen  frau  sein,  sondern  es  muss  dadurch  veranlasst  sein,  dass  Diony- 
sias als  fterpriis  bezeichnet  wird.  Un:l  wenn  am  anfang  der  geschichte 
von  Tharsias  leiden  ein  sklave  damit  beauftragt  wiid.  das  mädchen  zu 
tiUiMi,  (h^ran  aber  durch  eine  schar  von  Seeräubern  verhimli'it  wird    dio 


318  noEK 

sie  rauben  und  darauf  einem  kuppler  verkaufen,  so  wird  es  'eine  genaue 
widerkehr  der  scene'  genannt,  wo  in  der  äussersten  not  Gerlint  Küdrün 
ermorden  lassen  will,  worauf  ein  nngeiriuiver  sich  zu  der  tat  anschickt, 
aber  davon  absieht,  als  Hartmuot,  durch  Küdrüns  angstgeschrei  auf- 
merksam gemacht,  ihn  bedroht.  Sogar  dass  in  beiden  erzählungen  die 
bösen  leute  bestraft  werden,  wird  eine  merkwürdige  Übereinstimmung 
genannt.  Dass  die  strafe  nicht  dieselbe  ist,  wird  einfach  ignoriert. 
Doch  "ist  der  unterschied  kein  geringer:  der  kuppler  wird  verbrannt, 
Dionysias  und  Stranguillio  werden  gesteinigt,  aber  Ludwig  wird  im 
kämpfe  erschlagen,  Gerlint  wird  enthauptet.  Wie  kann  Panzer  dieses 
Schicksal  (s.  357)  'identisch'  nennen? 

Zu  2.  Von  grösserer  bedeutung  scheint  mir  die  vergleichung 
einzelner  steilen  unseres  gedichtes  mit  der  Salomonsage  und  bis  zu 
einem  gewissen  grade  auch  mit  dem  Südeliliede  zn  sein.  Aber  diese 
beziehungen,  über  deren  nmfang  sich  freilich  streiten  lässt,  sind  secundär. 
Das  heisst:  das  gedieht,  das  die  rückführung  der  Schwester  und  braut 
erzählte,  ist  mit  fremden  zügen  ausgestattet  worden.  Einige  nähte 
werden  daraus  zu  erklären  sein.  Ich  wähle  ein  beispiel,  das  Panzer 
s.  384  bespricht.  Nach  der  widererkennungsscene  zwischen  den  ge- 
fangenen frauen  und  Herwig  und  Ortwin  fällt  es  auf,  dass  die  beiden 
beiden. die  frauen  nicht  gleich  mit  sich  führen,  sondern  sie  in  die  bürg 
zurücksenden  und  selbst  zu  ihren  mannen  zurückkehren.  Panzer  er- 
klärt dies  daraus,  dass  hier  an  eine  scene  aus  der  Salomonsage  ein 
auftritt  aus  dem  Apolloniusromane  sich  anschliesse.  Die  widererkennun;; 
stammt  nach  Panzer  aus  der  Salomonsage;  hier  aber  ist  die  frau  un- 
treu, und  sie  verrät  ihren  gemahl,  der  daraufgefangen  genommen  wird. 
Das  habe  der  Küdründichter  nicht  brauchen  können,  es  sei  ihm  aber 
auch  unmöglich  gewesen,  Herwig  und  Ortwin  die  frauen  einfach  mit- 
nehmen zu  lassen,  da  die  erzählung  dann  zu  ende  gewesen  wäre,  und 
noch  etwas  anderes,  und  zwar  eine  rückführung  im  stil  des  Apollonius 
von  Tyrus  sich  habe  anschliessen  müssen.  Diesen  combinationen  kann 
ich  nur  in  soweit  zustimmen,  als  auch  ich  glaube,  dass  die  begegnung 
mit  den  verwandten  und  die  gewaltsame  rückführung,  wie  sie  in  dem 
überlieferten  gedichte  erzählt  wird,  aus  verschiedenen  quellen  stammen. 
Auch  dass  erstere  scene  in  letzter  instanz  auf  die  Salomonsage  zurück- 
geht, kommt  mir  nicht  ganz  unwahrscheinlich  vor.  ^  Aber  die  rück- 
führung der  Schwester  ist  ein  alter  zug  der  Überlieferung.  Die  trennung, 
die  auf  die  erste  begegnung  folgt,  ist  also  die  folge  der  aufnähme  eines 

1)  Dass  eine  version  der  Salomonsage  nicht  ihre  directe  (jucUe  ist,  wird  unten 
s.  3.30  ausgeführt  werden ,  vgl.  auch  s.  320. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER   DIR   IHLDESAGR  319 

hctero2;enen  elemontes^  in  einen  festen  zusanimenliang,  also  einer  inter- 
polation,  und  sie  lässt  sich  auf  keine  weise  für  die  hypothese,  dass  die 
fremden  motive  zu  den  constituierenden  elementen  des  gedichtes  ge- 
hören, verwerten.'-  Die  bezeichnung  des  abschnittes  als  einer  interpola- 
tion  schliesst  natürlich  nicht  ein,  dass  nicht  auch  die  unmittelbar  vorher- 
gehenden und  folgenden  stellen  umgearbeitet  sein  können.  Das  nähere  §  16. 
Ähnlich  verhält  es  sich  mit  einzelbeiten  von  Küdrüns  leidens- 
geschichte.  Das  hauptmotiv  und  die  wesentlichsten  züge  waren  schon 
in  einer  lange  zurückliegenden  periode  vorhanden  (§  8),  und  dass  es 
die  mutter  des  entführers  war,  die  das  mädchen  misshandelt,  war  ebenso 
alt,  ja  älter,  als  dessen  Weigerung,  seine  frau  zu  w-erden  (s.  187.  300fgg.). 
Aber  einzelne  nebenmotive,  die  sich  zu  grosser  Selbständigkeit  entwickelt 
haben,  namentlich  das  wäschemotiv,  sind  später  hinzugekommen.  Da 
man  den  späteren  bearbeitern  des  gedichtes  kaum  eine  so  grosse  Selb- 
ständigkeit und  dichterische  phantasie  zutrauen  kann,  dass  sie  dieses 
motiv  selbst  ersonnen  hätten,  so  liegt  es  auf  der  band,  dass  einer' von 
ihnen  es  aus  irgend  einer  anderen  quelle  entlehnt  hat.  Wenn  nun  das 
motiv  in  einem  verbreiteten  volksliede  (dem  Südeliliede)  widerkehrt,  so 
spricht  jedesfalls  viel  für  die  ansieht,  dass  dieses  lied  die  quelle  des 
Wäschemotivs  gewesen  sei.  Bedenken  erregt  nur  das  geringe  alter  der 
handschriften  dieses  liedes.  Denn  Panzers  versuch,  die  bekannte  epi- 
sode  des  ersten  Gubrünliedes  aus  dem  Südeliliede  herzuleiten  und  daraus 
weiter  zu  beweisen,  dass  der  stoff  im  10.  Jahrhundert  in  Deutschland 
bekannt  gewesen  sei,  ist  nicht  als  gelungen  zu  betrachten.  Wenn  wir 
auch  von  dem  Inhalte  der  stelle,  der  mehr  als  eine  deutung  zulässt, 
absehen,  so  ist  doch  Finnur  Jonssons  frühe  datierung  des  gedichtes 
äusserst  subjectiv  und  gewiss  nicht  bewiesen,  während  Panzers  be- 
hauptung  (s.  411),  dass  das  gedieht  selbst  auf  den  deutschen  Ursprung 
seiner  erzählung  hinweise,  jeder 'stütze   entbehrt.  •''     Anderseits  beweist 

1)  Als  ein  heterogenes  dement  ist  die  sceue  auch  dann  zu  betrachten,  wenn 
<,'S  sich  später  herausstellen  sollte,  dass  es  an  der  überlieferten  stelle  direct  aus  einer 
anderen  rcdaction  als  die,  welche  diesem  hauptabschnitt  zu  gründe  liegt,  stammen 
sollte.     Vgl.  die  vorige  anmerkung. 

2)  Aus  der  bogegnung  mit  den  verwandten  lernen  wir  ferner  (vgl.  oben  s.  316), 
dass  als  die  sceno  zuerst  aufgenommen  wurde,  Herwig  und  Ortwin  schon  als  Kudruns 
freunde,  nicht  als  ihre  feinde,  sich  nahten.  Doim  wenn  damals  noch  zwischen 
Kudrün  und  ihren  verwandten  ein  unfreundliches  Verhältnis  bestanden  hätte,  würde 
wenigstens  die  Salomonsage,  die  ein  gleiches  verhilltnis  voraussetzt,  den  dichter  in 
dieser  auffassung  bestärkt  haben. 

3)  Dass  Iferborg  Iluua  drotnimj  ist,  l)odoutet  eben  so  wenig,  als  dass  ihre 
^ö\\ne  ßumian  laiids   fallen.      Soll  denn  jedes  gedieht,  das  die  Hunnen    nennt,    aus 


320  BOER 

die  junge  Überlieferung  des  Südeliliedes  nicht  seinen  späteren  Ursprung, 
und  die  möglichkeit,  dass  ein  bearbeiter  der  Küdrün  einer  redaction 
desselben  einzelne  züge  entlehnt  habe,  kann  man  nicht  ohne  weiteres 
von  der  hand  weisen.^ 

Zu  3.  Endlich  ist  noch  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  be- 
rühruugen  mit  fremden  stofFen  allerdings  auf  entlehnungen  in  der  Küdrün 
hinweisen  können,  aber  dass  daraus  nicht  folgt,  dass  ein  bearbeiter  des 
gedichtes  eine  bestimmte  redaction  der  Salomonsage  oder  des  Südeliliedes 
auswendig  kannte  oder  auf  seinem  Schreibtisch  vor  sich  liegen  hatte 
und  nun  aus  elementen  dieser  Schriften  planmässig  eine  neue  dichtung 
componierte.  -  Denn  wenigstens  die  Salomonsage,  und  wenn  wir  nach 
der  heutigen  Verbreitung  urteilen,  auch  das  Südelilied,  waren  in  weit 
auseinandergehenden  redactionen  sehr  verbreitet,  und  motive  der  ersteren 
sind  in  endloser  widerholung  in  eine  reihe  von  dichtungen  aufgenommen. 
Man  darf  also  diese  motive  ruhig  als  das  gemeingut  einer  grossen  menge 
von  dichtem  ansehen,  die  mit  stets  zunehmender  freiheit  und  ge- 
schmackslosigkeit  dieselben  motive  immer  von  neuem  benutzten,  wo  der 
Stoff  dazu  auch  nur  den  geringsten  anlass  bot.  Darum  braucht  man 
auch  nicht  anzunehmen,  dass  alle  züge,  die  aus  der  Salomonsage  stam- 
men oder  stammen  können,  auch  einmal  in  einer  version  dieser  sage 
beisammen  gestanden  haben,  ja,  es  lässt  sich  sogar  nicht  mit  einiger 
Sicherheit  behaupten,  dass  alle  diese  züge  von  einem  manne  aufgenommen 

Deutschland  stammen?  Und  waren  reisen  nach  dem  Süden  den  nordleuten  ud- 
hekannt?  Und  was  den  namen  Ojafkmg  betrifft,  der,  weil  er  an  Oibich  anklingt, 
nicht  im  Norden  gebildet  sein  darf,  ist  zunächst  zu  sagen,  dass  der  Zusammen- 
hang mit  Gibich  sehr  unsicher  ist,  ferner  dass  auch  Gjüki  doch  einmal  im  Norden 
*Gibnka  geheisseu  hat,  drittens  dass  namen  auf  -laug  gewiss  eher  nordisch  als 
deutsch  sind. 

Übrigens  bemerke  ich,  dass  ich  den  Zusammenhang  des  ersten  GuSninliedes 
mit  jüngerer  deutscher  poesie  nicht  bestreite.  Ich  brauche  nur  auf  meine  Unter- 
suchungen zur  Nibelungeusage  II,  45  anm.  2  zu  verweisen,  wo  ich  GuSrüns  weinen 
bei  der  bahre  mit  der  entsprechenden  stelle  des  N  L  zusammengestellt  habe.  Aber 
eben  das  ist  ein  argument  für  das  geringe  alter  der  GuÖr.  I.  Denn  die  ältere  deutsche 
Nibelungendichtung  kannte  diese  in  ihrem  tone  ganz  moderne  scene  noch  nicht. 
Stammt  das  gedieht  aus  dem  10.  Jahrhundert,  so  ist  das  motiv  aus  Skandinavien  nach 
Deutschland  gewandert.  Für  episoden  des  ersten  GuSrünliedes  wie  die  von  Herborg 
hat  aber  der  Zusammenhang  des  hauptstoffes  gav  keine  bedeutung.  Herborg  und  ihre 
leiden  sind  der  deutschen  dichtung  vollständig  unbekannt. 

1)  Eine  treffliche  bclegstoUe  für  den  typus  der  widergefundenen  schwcster  fülirt 
Deutschbein,  Studien  zur  sagengescb.    Engl.  I,  58  aus  Gottfried  von  Moiunouth  an. 

2)  Diese  bemerkuug  gilt  im  gleichen  grade  für  die  J^  13  besprochenen  berüh- 
rungcn  mit  dem  Rother. 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBER    DIE   HILDESAGE  321 

sind^.  Die  bestätigung  dieser  ansieht  wird  §  16  bringen.  Soviel  lässt 
sich  nur  sagen:  die  Kildrun  ist  durch  die  hände  einer  klasse  von  dichtem 
gegangen,  die  mit  motiven  der  Salomonsage  sehr  vertraut  waren  und, 
wie  sich  versteht,  das  gedieht,  das  dazu  an  vielen  stellen  die  gelegen- 
heit  bot,  mit  solchen  motiven  angeschwellt  haben 2. 

§  16.    Die  sogenannte  einheit  der  Küdiün. 

Ein  verdienst  von  Panzers  Untersuchung  ist  seine  polemik  gegen 
eine  kritik,  die,  von  zum  nicht  geringen  teil  ästhetischen  grundsätzen 
ausgehend,  ausschied,  was  ihr  nicht  gefiel,  und  glaubte,  dass  der  glatte 
text,  den  es  auf  diese  weise  herzustellen  gelang,  nun  auch  die  arbeit 
des  ursprünglichen  Küdründichters  sei.  Durch  stilistische  und  andere 
beobachtungen,  namentlich  auch  durch  den  nachweis,  dass  widerholt 
in  aufeinander  folgenden  'echten'  und  'unechten'  Strophen  dieselbe 
quelle  ohne  Unterbrechung  benutzt  worden  ist,  ist  es  Panzer  gelungen, 
die  MüUenhoffsche  kritik  ad  absurdum  zu  führen.  Er  selbst  stellt  dem- 
gegenüber die  theorie  auf,  das  gedieht  sei  die  arbeit  eines  dichters, 
dessen  quelle  zwar  den  rohstoff  zu  der  dichtung  lieferte,  der  aber  mit 
dieser  quelle  selbständig  geschaltet  und  gewaltet  und  daraus  eine  eigene 
composition  zusammengestellt  habe.  Die  Widersprüche  und  widerholungen, 
die  Unklarheiten  der  darstellung  seien  aus  der  eigentümlichen  Veran- 
lagung dieses  dichters  zu  erklären. 

So  verdienstlich  Panzers  kritik  der  hypothese  Müllenhoffs  ist,  legt 
er  dennoch  dieser  kritik  einen  zu  hohen  wert  bei,  wenn  er  s.  444 
glaubt,    dadurch   die  einheit  des  gedichtes  bewiesen  zu  haben.     Denn 

1)  Wie  die  junge  bearbeitung  der  entführungssage,  die  in  der  Küdmn  vorliegt, 
sich  sowol  mit  den  werbuugssagen  wie  mit  den  rückführungssagen  berührt,  so  weisen 
a,.jli  die  Vertreter  dieser  beiden  typen  ^untereinander  zahheiche  berührungen  auf.  Es 
lässt  sich  daher  nicht  immer  entscheiden,  ob  ein  motiv  in  der  Kiidrün  aus  dieser 
oder  aus  jener  quelle  stammt.  Das  kaufmannsmotiv  z.  b.  ist  in  der  Salomonsage  sehr 
verbreitet.  Aber  es  ist  nur  eine  form,  in  der  die  list,  durch  welche  der  gatte  oder 
der  freier  sich  zugang  zu  der  gesuchten  frau  verschafft,  zum  ausdmck  kommt.  In 
der  werbungssage  ist  es  also  am  platze,  wie  in  der  rückführungssago.  —  Wenn  wir, 
wie  oben  angedeutet  wurde,  davon  ausgehen,  dass  das  motiv  zu  dem  gemeingut  der 
Spielleute  geworden  war,  so  hat  übrigens  die  frage,  aus  welcher  quelle  es  in  die 
Küdrün  übergegangen  ist,  weiter  keine  bedeutuug. 

2)  Deutschbein  nimmt  a.  a.  0.  s.  54  auf  grund  ähnlicher  entlehuungen  aus  den- 
selben quellen  eine  gemeinsame  quelle  für  Rother  und  den  anglouormannischen  Hörn 
an.  Ein  solches  gedieht  kann  freilich  einem  oder  mohreruu  bearbeiteni  der  Küdrün 
wol  bekannt  gewesen  sein,  aber  alle  berühi-ungeu  mit  jenen  quellen  lassen  sich  daraus 
nicht  erklären,  da  die  eutlehnungen  in  der  Küdrün  nicht  von  einem  redactor  staiiimoii. 
Auch  stehen  Rother  und  Hörn  einander  näher  als  einer  von  diesen  der  Küdrün. 

ZEITSCUKUT    K.  DEÜTSfHK    PHILOLOOIK.       BD.  XL.  21 


322  BOER 

tatsächlich  ist  dadurch  mir  die  hinfälligkeit  einer  zufcälligen  hypothese 
bewiesen.  Es  wäre  sogar  denkbar,  dass  Müllenhoffs  princip  durch  Pan- 
zers beweisführung  unangetastet  bliebe.  Nicht  unmöglich  wäre  es 
nämlich,  aus  dem  gedichte  Strophen  und  strophengruppen  auszuscheiden, 
deren  Inhalt  nichts  altertümliches  enthält,  und  die  auf  keine  weise 
durch  die  benutzung  derselben  quelle  oder  durch  andere  kriterien  an 
die  übrigen  Strophen  gebunden  wären.  Auf  diese  weise  würde  man 
wideruiu  schichten  von  'echten'  und  'unechten'  Strophen  bekommen, 
die  nur  der  auswahl,  nicht  dem  principe  nach  von  Müllenhoffs  schichten 
unterschieden  wären. 

Aber  es  fragt  sich,  ob  man  es  auf  diese  weise  weit  bringen  würde. 
Allerdings  ist  es  im  voraus  wahrscheinlich,  dass  das  gedieht  Interpola- 
tionen in  diesem  sinn  enthält.  Das  lehrt  schon  die  einfache  betrachtung 
anderer  gedichte,  die  in  mehr  als  einer  handschrift  überliefert  sind. 
Aber  eine  solche  mechanische  ausscheidung  ist  nur  da  möglich,  wo 
zwar  Zusätze  aufgenommen  sind,  aber  der  alte  text  im  übrigen  treu 
erhalten  ist.  Sobald  eine  formelle  Überarbeitung  des  ganzen  gedichtes 
vorliegt,  gelangt  man  mit  der  ausscheidung  einzelner  teile  und  der 
Verbindung  der  übrigen  Strophen  nicht  zum  ziele.  Denn  auch  diese 
haben  die  Überarbeitung  erfahren  und  sind,  so  wie  sie  vorliegen,  für 
den  Zusammenhang  des  ganzen  gedichtet  worden.  Man  kann  dann 
nicht  von  'echten'  und  'unechten'  Strophen,  sondern  nur  von  älteren 
und  jüngeren  teilen  der  dichtung  reden.  Aber  in  einem  solchen  fall 
kann  doch  von  einer  einheit  der  dichtung,  wenn  darunter  nicht  bloss 
eine  formelle  einheit  sondern  auch  eine  einheit  der  composition  ver- 
standen wird,  nicht  die  rede  sein.  Meines  erachtens  kann  die  ant- 
wort  auf  die  frage  nach  der  einheit  in  diesem  sinue  nur  aus  der  stoif- 
geschichte  abgeleitet  werden.  Und  wenn  wir  diese  befragen,  so  liegt 
diese  antwort  in  den  vorhergehenden  ausführungen  bereits  eingeschlossen. 
Wir  haben  das  allmählige  wachsen  des  Stoffes  aus  geringen  anfangen 
bis  zu  den  verschiedenartigsten  und  corapliziertesten  gebilden  beobachten 
können.  Nirgends  ist  ein  sprung  geschehen;  überall  lässt  sich,  soweit 
die  quellen  reichen ,  entweder  eine  innere  entwickluug  oder  eine  grad- 
weise anpassung  an  fremde  stoffe  constatieren.  Wo  ist  die  band  des 
einen  dichters  zu  erkennen,  der  den  plan  fasste,  aus  einem  häufen  von 
motiven  eine  Küdründichtung  herzustellen?  Kann  man  doch  kaum 
sagen,  von  welchem  punkte  an  von  einer  Küdründichtung  die  rede  sein 
kann.  Am  ersten  ist  wol  die  Verbindung  von  KI  und  KII,  die  die 
wichtigsten  neueruugen  zur  folge  hatte  und  die  grundlage  unseres  epos 
wurde,  als  das    original    der  Küdrüu  zu  bezeichnen.     Aber  viel,  was 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    lULDESAGE  323 

für  unser  gedieht  eigentümlich  ist,  war  schon  in  einer  oder  mehreren 
der  zu  gründe  liegenden  dichtungen  vorhanden.  So  kannte  schon 
K  I  b  eine  Werbung  durch  einen  boten  (§  10),  sogar  das  kaufmanns- 
motiv  (s.  216  anm.  1),  hatte  also  bereits  den  einfluss  der  werbungssage, 
der  sich  in  unserem  gedichte  so  häufig  manifestiert,  erfahren.  In  der 
weiteren  entwicklung  der  dichtung  haben  wir  schon  widerholt  mehr 
als  eine  schiebt  unterschieden.  So  wurde  s.  294  darauf  hingewiesen, 
dass  Küdrün  str.  1485  aus  eigenem  antrieb,  str.  1488  aber,  nachdem 
Ortrüns  bitte  eingeführt  worden  war,  um  Ortrüns  willen  zu  gunsten 
Hartmuots  einschreitet;  s.  301  fg.  ergaben  sich  mehrere  stufen  in  Küdrüns 
Verhältnis  zu  Gerlint,  s.  318  fg.  haben  wir  gesehen,  dass  die  neue  auf- 
fassung  von  Küdrüns  Verhältnis  zu  Hartmuot  und  zu  Herwig  älter  ist 
als  die  aufnähme  gewisser  mit  der  Salomonsage  verwandter  motive;  an 
mehreren  stellen  wurde  der  Übergang  von  gestalten  von  KI  in  II 
(Wate,  Horant,  Fruot)  oder  umgekehrt  (Hildeburg)  constatiert.  Ich 
werde  nun  durch  ein  beispiei  dartun,  dass  auch  innerhalb  der  reihe 
verhältnismässig  junger  und  zum  teil  oder  ganz  fremder  motive  sich 
mehr  als  eine  schiebt  klar  unterscheiden  lässt. 

Str.  1165  fgg.  erzählen  die  begegnung  der  frauen  an  dem  strande 
mit  einem  engel  in  vogelgestalt,  der  ihnen  die  ankunft  der  retter  pro- 
phezeit. Küdrün  fragt  nach  ihrer  mutter  (1171),  nach  Ortwin  und  Her- 
wic  (1173),  nach  Irolt  und  MOrunc  (1175),  und  bekommt  den  bescheid, 
dass  alle  noch  leben,  und  das  die  beiden,  welche  die  erlösung  bringen, 
nahe  sind.  Dann  sagt  der  engel,  str.  1177,  er  müsse  nun  scheiden; 
es  sei  ihm  nicht  erlaubt  länger  zu  verweilen.  Damit  versehwindet  er 
1177,4.  Aber  Küdrün  will  noch  mehr  wissen  und  bittet  ihn,  obgleich 
er  schon  fort  ist,  zu  bleiben.  Der  vogel  kehrt  zurück  und  erzählt, 
darüber  befragt,  dass  auch  Horant  und  Wate  sich  bei  dem  beere  be- 
finden (1181  fgg.).  Widerum  will  der  engel  sich  entfernen,  aber  Küdrün 
rauss  noch  wissen,  wann  die  rettung  erwartet  werden  kann.  Der  engel 
sagt  dann  (str.  1185),  es  würden  am  folgenden  tage  boten  kommen; 
was  diese  sagen,  dürfe  sie  ruhig  glauben.  Dann  verschwindet  er 
wirklich. 

Dieses  widerholte  zurückkehren  des  engeis  ist  sehr  bedenklich, 
zumal  da  er  sich  schon  str.  1177  auf  seinen  'orden'  beruft,  und  nicht 
bloss  sich  zum  gehen  anschickt,  sondern  wirklich  auch  verschwindet. 
Er  muss  also,  wenn  Küdrün  ihn  bittet  zu  bleiben,  nicht  bleiben,  son- 
dern vielmehr  zurückkehren,  was  doch  gewiss  gegen  seinen  'orden'  ist^ 
Fragt  man,  weshalb  er  zurückkehrt,  so  hat  es  das  erste  mal  den  zweck 

1)  So  auch  Wiliiianns,  Entwicklung  usw.  s.  24. 

21* 


324  BOER 

zu  berichten,  dass  Horant  und  Wate  auch  dabei  sind,  das  zweite  mal, 
den  besuch  Herwigs  und  Ortwins  anzukündigen.  Dieser  besuch  nun 
stammt  nach  Panzer  aus  der  Salomonsage.  Es  fällt  aber  auf,  dass  die 
frauen  in  dem  gespräch  mit  den  beiden  beiden  sich  an  nichts  von  dem, 
was  der  engel  ihnen  gesagt  hat,  erinnern i,  im  gegenteil,  sie  können 
nicht  glauben,  dass  die  fremden  männer  ihre  verwandten  sein  sollten, 
und  erst  während  des  gespräches  mit  den  gasten  geht  ihnen  ein  licht  auf. 
Wie  sind  nun  diese  wunderlichen  Widersprüche  zu  erklären?  Nach 
meiner  ansieht  so:  die  älteste  schiebt  dieser  reihe  von  Zusätzen  ist  der 
erste  teil  der  begegnung  mit  dem  engel,  str.  1177  eingeschlossen 2. 
Daran  schloss  sich  str.  1266,  wo  die  frauen  ihre  wasche  vergessen  und 
sich  nach  hause  begeben.  Das  geht  aus  dem  Inhalt  der  strophe  noch 
klar  hervor.  Denn  wenn  Gerlint,  wie  hier  gesagt  wird,  gesehen  hat, 
daz  si  siuonden  rnüexic  da  nidene  üf  dem  sande,  so  müsste  sie,  wenn 
die  mitteilung  sich  auf  den  unmittelbar  vorhergehenden  auftritt  bezöge, 
auch  die  beiden  männer  gesehen  haben,  die  sich  lange  mit  ihnen  unter- 
halten haben,  und  von  denen  einer  sie  sogar  geküsst  hat^.  Dass  hin- 
gegen ein  gespräch  mit  einem  vogel  Gerlint  entgangen  ist,  fällt  nicht 
auf;  sie  hat  nur  gesehen,  dass  die  mädchen  nicht  fleissig  waren.  Die 
Ursache,  dass  Küdrün  die  wasche  liegen  lässt,  ist  also  in  der  vogel- 
prophezeiung,  nicht  in  der  begegnung  mit  den  verwandten  zu  suchen, 
und  es  ist  auch  keine  tat  des  Übermuts,  sondern  Küdrün  (wie  auch 
Hildeburg)  ist  von  diesem  gedanken  so  erfüllt,  dass  sie,  wie  die  strophe 
wörtlich  aussagt,  die  wasche  vergisst*.    Und  das  bestätigt  widerum  ihre 

1)  Anders  freilich,  als  sie  sie  kommen  sehen  (str.  1207  f gg.  und  in  einigen 
anderen  Strophen,  die  auf  die  ankündigung  der  boten  bezug  nehmen). 

2)  Auch  die  botschaft  des  engeis  hat  in  der  Salomonsage  eine  parallele  und 
wird  von  Panzer  (s.  478)  daraus  —  freilich  unter  mitwirkung  der  Eist.  Apoll.  —  ab- 
geleitet. 

3)  Wenn  Gerlint  str.  1276  sagt:  ir . .  .  koset  gegen  dbent  tcider  bcese  knehte, 
so  ist  das  ein  jüngerer  zusatz,  der  der  erwägung,  dass  Gerlint  auch  die  männer  ge- 
sehen haben  müsse,  entsprungen  ist,  aber  sich  mit  str.  1266  nicht  verträgt.  Hier 
zürnt  sie,  weil  ex  tvas  ir  an  ir  tcesche  leit  und  ande,  und  die  anrede  an  die  mädchen, 
die  dieser  motivierung  entspricht,  steht  nicht  1276,  sondern  1280:  Wä  sint  die 
sabene  min?  usw.  Die  ganze  stelle  1267 — 79  setzt  die  begegnung  mit  den  ver- 
wandten voraus  uud  ist  also  nicht  älter  als  diese.  (Älüllenhoff  streicht  nur  1274 — 9, 
und  Wilmanns  weist  diese  Strophen  einer  anderen  redaction  zu.) 

4)  Der  bearbeiter,  der  durch  den  einschub  der  begegnung  mit  den  freunden 
das  vergessen  der  wasche  zu  einer  folge  dieser  begegnung  machte,  hat  das  motiv 
nach  der  engelsbotschaft  widerholt:  1187  Si  wuoschen  deste  seiner  des  tages  daz  ge- 
tvaiit.  Darauf  wurden  sie  deswegen  von  G»h-lint  gescliolten  (str.  1275  fgg ).  Dass 
str.  1266,  uud  also  nieht  1187,  zu  dem  älteren  auftritt  gehört,  wurde  aum.  1  gezeigt. 


UNTERSUrnUNGEN    ÜRER    DIE    HILDESAGE  325 

entsehuldigung  gegenüber  Gerlint  str.  1281,  die  im  gegensatz  zu  1279 
gar  keine  hochmütigen  gedanken  laut  werden  lässt:  .  .  .  si  ivären  mir 
xe  sivccre.  beschomvet  ir  si  Himmer ^  dax  ist  mir  üf  min  triuive  vil 
immcere. 

Also  sind  der  älteste  teil  der  engelsbotschaft  und  das  wäschemotiv 
in  diesem  Zusammenhang  älter  als  die  begegnung  mit  den  verwandten  ^ 
Das  heisst:  ein  motiv,  das  Panzer  aus  der  Salomonsage  und  der  Hist. 
Appolloni,  und  ein  anderes,  das  er  aus  dem  Südeliliede  herleitet,  sind 
beide  älter  als  ein  anderes  motiv,  das  gleichfalls  aus  der  Salomonsage 
und  der  Hist.  Apolloni  stammen  soll.  Einen  besseren  beweis  dafür, 
dass  die  beeintlussung  durch  fremde  stoße,  da  wo  sie  anzunehmen  ist, 
allmählich  stattgefunden  hat,  und  der  schule,  nicht  einem  einzigen  dichter, 
der  im  voraus  den  plan  für  das  ganze  gedieht  gelegt  hätte,  angehört, 
gibt  es  wol  nicht. 

Nun  wurde  also  die  begegnung  mit  den  verwandten  aufgenommen. 
Woher  sie  direct  stammt,  ist  eine  frage  für  sich,  auf  die  ich  später 
eingehe.  Hier  sei  nur  bemerkt',  dass  es  in  gewissem  sinne  ein  mit  der 
engelsbotschaft  concurrierendes  motiv  ist,  das  wenigstens  so,  wie  es 
überliefert  ist,  denselben  zweck,  die  frauen  auf  das,  was  kommt,  vor- 
zubereiten, zu  verfolgen  scheint.  Man  kann  daher  die  frage  auf  werfen, 
ob  das  motiv  nicht  aus  einer  parallelen  redaction,  also  etwa,  —  falls 
die  engelsbotschaft  zu  KH  gehört,  —  aus  KI  stammen  kann.  Vor- 
läufig ist  darüber  nur  zu  sagen,  dass  in  diesem  fall  die  begegnung  mit 
den  verwandten  zwar  nicht  notwendig  in  der  dichtung  von  Küdrün, 
aber  doch  in  dem  gegebenen  Zusammenhang  jünger  als  die  botschaft 
des  engeis  sein  muss;  sie  ist  in  ein  fertiges  schoma,  das  diese  botschaft 
schon  enthielt,  aufgenommen  (das  nähere  s.  328  fgg.).  Übrigens  würde 
daraus  folgen,  dass  die  aufnähme  fremder  motivo  schon  in  den  einzelnen 
redactionen  KI  und  KU  bedeutende  fortschritte  gemacht  hatte.  Dass 
die  neuerungen  auch  später  fortgesetzt  wurden,  wird  sich  gleich  zeigen. 
"Widerum  ein  jüngerer  bearbeiter  fand,  dass  der  engel  davon,  dass 
Ortwin  und  Herwig  nahe  seien,  auch  etwas  sagen  musste,  und  er  Hess 
ihn  zu  diesem  zwecke  zurückkehren,  vergass  aber,  die  frauen  in  ihrem 
ge.spräche  mit  den  beiden  sich  der  werte  des  engeis  erinnern  zu  lassen, 
obgleich  er  oder  ein  nachfolger  von  ihm  einen  ganzen  auftritt  hinzu- 
dichtete, in  dem  sie  vor  den  boten  fliehen. 

1)  Das  verhältnismässig  junge  alter  der  begegtnmg  mit  den  verwandten  auf 
dem  strande,  ergibt  .sich  auch  aus  str.  14BG,  wo  Herwig  Küdrun,  die  doch  so  nahe 
ist,  dass  sie  sifh  mit  ihm  unterhalten  kann,  iiii.iit  widererkenut.  (Wilmauns  schreibt 
diese  Strophe  einer  kürzenden  bearbeitung  zu.j 


326  BOER 

Das  gespräch  mit  dem  engel  besteht  aus  drei  teilen.  Ob  es  drei 
oder  zwei  bearbeitern  zuzuschreiben  ist,  entscheide  ich  nicht.  Als 
Küdrün  den  engel  str.  1184  zum  zweiten  male  bittet,  zu  verweilen,  ist 
er  noch  nicht  verschwunden.  Es  ist  demnach  nicht  unmöglich,  dass 
beide  bitten  einen  Verfasser  haben.  Aber  wenn  der  auftritt  nicht  von 
drei  sondern  nur  von  zwei  dichtem  herrührt,  so  hat  der  zweite  alles 
gedichtet,  was  auf  str.  1177  folgte  Die  naht  liegt  nicht  hinter  str.  1183, 
sondern  hinter  1177.  Die  Strophen,  welche  berichten,  dass  auch  \Yate 
und  Horant  nahe  sind,  gehören  dem  jüngeren  dichter  an. 

Hier  stützt  nun  eines  unserer  resultate  ein  anderes.  Die  erste 
rede  des  engeis  erwähnt  nicht  nur  die  mutter,  den  bruder  und  den 
bräutigam,  sondern  auch  nebenpersonen,  trolt  und  Morunc.  Ein 
späterer  bearbeiter  fand,  dass  Wate  und  Horant,  die  Irolt  und  Morunc 
an  bedeutung  weit  überragen,  nicht  fehlen  durften.  Aber  was  ist  der 
grund,  dass  der  engel  sie  ursprünglich  nicht  nannte?  Die  erklärung 
gibt  §  12.  Wir  haben  dort  gesehen,  dass  sie  ursprünglich  in  KH 
nicht  zu  hause  sind.  Sie  sind  die  entführer  aus  KI  und  Klb.  Erst 
durch  die  genealogische  Verknüpfung  von  KI  und  b  mit  K II  entstand 
die  möglichkeit,  dass  sie  in  Heteles  gefolge,  zu  dem  Horant  schon  ge- 
hörte und  Wate  von  da  an  gezählt  wurde,  in  KU  ihren  einzug  halten 
konnten.  Die  möglichkeit  entstand  —  eine  notwendigkeit  war  nicht  da. 
Dass  es  geschehen  ist,  lehrt  das  überlieferte  gedieht;  wann  es  geschehen 
ist,  davon  könnten  wir  nichts  wissen,  wenn  die  engelsbotschaft  nicht 
wäre.  Sie  zeigt,  dass,  als  die  begegnung  mit  dem  engel  eingeführt 
wairde.  Wate  und  Horant  an  dem  zuge,  der  Heteles  tod  rächen  sollte, 
und  also  auch  wol  an  dem  zweiten  kämpf  auf  dem  Wülpensande,  der  in 
unserem  gedichte  zu  dem  einzigen  geworden  ist  (§  9),  nicht  beteiligt 
waren  2.  Ihre  alte  entführerrolle  war  noch  ihre  einzige.  Aber  zwischen 
dem  ältesten  teil  der  engelsbotschaft  und  deren  fortsetzung  liegt  die 
aufnähme  Wates  und  Horants  in  KU.     Der  dichter  dieser  fortsetzung 

1)  Auch  Schönbach,  Das  Christentum  s.  119,  trennt  str.  1178  — 1185  von 
1166  —  1177;  er  glaubt  auch  stilistische  unterschiede  zu  sehen.  Es  ist  bezeichnend, 
dass  beide  stellen  nach  Schönbach  unter  dem  einfluss  kirchlicher  Vorstellungen  von  der 
botschaft  des  erzengels  Gabriel  an  Maria  stehen.  Also  Hessen  sich  auch  hier  ein- 
ander nahe  verwandte  quellen  bei  verschiedenen  dichtem  constatieren.  Das  deutet 
von  neuem  darauf,  dass  die  scheinbaren  entlehnungen  nicht  aus  der  directen  bc- 
nutzung  einer  schritt,  sondern  aus  dem  einfluss  der  schule  zu  erklären  sind  (s.  320 fg.). 

2)  Übrigens  ist  der  chronologische  gewinn  aus  dieser  erkenntnis  kein  grosser, 
da,  wie  sich  später  ergeben  wird,  der  älteste  teil  der  begegnung  mit  dem  engel  älter 
als  die  vei'bindung  K  1  -)-  II  ist.  Aber  der  zweite  und  dritte  teil  gehören  dem  com- 
binierten  gedichte  an. 


UNTERSUCHUNGEN  ÜBER   DIE    HILDESAGK  327 

hielt  es  nun  für  notwendig,  ihre  ankimft  durch  eine  besondere  mitteilung 
der  Küdrün  ankündigen  zu  lassen.  So  bestätigt  die  scene  mit  dem 
engel  unsere  sagenkritik,  aber  diese  ihrerseits  beweist  die  richtigkeit 
der  teilung  dieses  auftritts. 

Was  hier  an  einem  beispiel  erläutert  worden  ist,  wird  sich  ver- 
mutlich an  mehreren  stellen  constatieren  lassen.  Doch  genügt  das  an- 
geführte,  um  zu  zeigen,  dass  die  einheit  der  Küdrün  ein  phantom  ist. 

Damit  ist  aber  die  frage  nach  der  composition  des  gedichtes  noch 
nicht  erledigt.  Und  es  fragt  sich,  ob  sie  mit  den  uns  zu  geböte  stehen- 
den mittein  je  zu  erledigen  sein  wird.  Freilich  ist  der  historische  weg 
der  einzige,  auf  dem  der  versuch  gemacht  werden  kann,  aber  zwischen 
den  älteren  quellen  und  unserem  epos  liegt  ein  abstand,  der  sich  nur 
zum  teil  überbrücken  lässt.  Die  frage,  wie  viel  zu  den  einzelnen  redac- 
tionen  KI  und  KU  gehört,  und  was  nach  der  Verbindung  hinzugefügt 
wurde,  wie  viele  bearbeiter  an  dem  gedichte  tätig  waren,  und  was  jeder 
von  ihnen  gedichtet  hat,  wird  nicht  so  bald  eine  befriedigende  Lösung 
finden.  Die  Verhältnisse  liegen  hier  viel  ungünstiger  als  bei  dem  Nibe- 
lungenliede, wo  nicht  wie  hier  der  ungefähre  Inhalt  der  quellenlieder, 
sondern  diese  selbst  in  einer  altnordischen  Überlieferung  erhalten  sind, 
und  wo  überdies  in  Grimhilds  hsevn  noch  ein  wichtiges  zeugnis  für  die 
älteste  Verbindung  bewahrt  ist.  Hier  wird  jeder  schritt,  den  die  for- 
sclumg  tut,  durch  Zeugnisse  begleitet.  Anders  bei  Küdrün.  Zwar 
fliessen  die  älteren  quellen  reichlicher  als  man  allgemein  annimmt,  und 
ihr  gegenseitiges  Verhältnis  sowie  ihr  Verhältnis  zu  Küdrün  lässt  sich 
genau  bestimmen;  mit  ihrer  hilfe  ist  es  auch  möglich,  aus  Küdrün  den 
ungefähren  Inhalt  zweier  quellenlieder  zu  abstrahieren,  aber  damit  sind 
wir  schon  auf  den  boden  der  hypothese  angelangt,  und  von  hier  zu 
dem  überlieferten  gedichte  führt  noch  ein  langer  weg.  Es  scheint  mir 
ein  aussichtsloses  unternehmen,  die  Strophen  der  Küdrün  auf  ver- 
schiedene häufen  zu  werfen,  und  eine  jede  diesem  oder  jenem  bearbeiter 
zuzuweisen,  um  so  aussichtsloser,  als  wir  nicht  wissen,  wie  alt  die 
frühste  zusammenfassende  bearbeitung  ist.  Dennoch  verhalten  sich  nicht 
alle  teile  des  gedichtes  diesen  fragen  gegenüber  auf  dieselbe  weise.  Am 
durchsichtigsten  erscheint  mir  der  oben  besprochene  auftritt  mit  dem 
engel  und  die  sich  daran  schlicssende  begegnung  mit  den  verwandten 
Str.  1165  —  1281.  Mit  diesem  abschnitt  wollen  Avir  die  probe  machen, 
wie  weit  die  Überlieferung  eine  beurteilung  jeder  einzelnen  strophe  zu- 
lässt;  abgesehen  von  dem  Interesse,  das  ohnehin  an  der  stelle  haftet, 
werden  wir  vielleicht  hier  auch  klar  darülicr  werden,  wo  die  grenzen 
zwischen  beweisführung  und  ungefährer  abschätzung  liegen. 


328  BOER 

Als  feststehend  betrachte  ich  die  s.  323  erreichten  resultate:  zum 
ältesten  bestände  des  abschnittes  gehört  der  erste  teil  der  engelsbot- 
schaft.  Daran  schloss  sich  str.  1266,  wo  die  fraiien  die  wasche  ver- 
gessen, dann  str.  1280,  die  frage  nach  der  wasche,  und  1281,  die  ent- 
schuldiguug.     1282  und  das  was,  folgt,  bleiben  ausser  betracht. 

Auch  in  dem  gespräche  mit  dem  bruder  und  dem  gatten,  lassen 
sich  ältere  und  jüngere  teile  unterscheiden.  Der  älteste  teil  der  be- 
gegnung  scheint  ohne  rücksicht  auf  die  scene  mit  dem  engel  gedichtet 
worden  zu  sein.  Denn  die  frauen  kennen  ja  die  fremden  nicht.  Aber 
ist  das  möglich,  wenn  der  auftritt  für  den  überlieferten  Zusammenhang 
gedichtet  wurde?  Mir  kommt  das  unwahrscheinlich  vor,  und  ich  möchte 
darum  eher  glauben,  dass  er  aus  einer  redaction  stammt,  die  die  engels- 
botschaft  nicht  enthielt.  "Wenn  das  richtig  ist,  so  werden  die  beiden 
auftritte  zwischen  KI  und  KU  zu  verteilen  sein,  und  die  Strophen, 
die  rücksicht  auf  den  anderen  auftritt  nehmen,  gehören  entweder  dem 
contaminator  oder  einem  noch  jüngeren  dichter  an. 

Der  ältere  teil  der  begegnung  scheint  mit  str.  1220  anzuheben. 
Herwig  begrüsst  die  frauen;  sie  sind  an  so  freundliche  anreden  nicht 
gewöhnt.  —  Was  vorausgieng,  können  wir  nicht  mehr  wissen;  was  in 
der  Überlieferung  vorausgeht,  ist  alles  jünger;  für  str.  1207 — 15  wird 
das  unmittelbar  daraus  klar,  dass  die  frauen  die  boten  erwarten;  über 
die  übrigen  Strophen  (vgl.  unten)  —  1221 — 23  führen  zu  der  wasche 
zurück  und  weisen  schon  dadurch  auf  die  andere  redaction;  unsere  scene 
wusste  von  der  wasche  nichts.  1224  schliesst  sich  an  1220:  die  fremden 
bitten  die  frauen,  ihre  fragen  zu  beantworten,  und  bieten  dafür  gold  an^. 
1225  enthält  die  richtige  antwort:  euer  gut  begehren  wir  nicht,  aber 
sagt  schnell,  was  ihr  zu  wissen  begehrt,  denn  ich  wünsche  nicht,  dass 
man  uns  bei  euch  sehe 2.  Nun  folgen  die  fragen.  1226:  Wem  gehört 
dieses  land?  1227  antwortet:  Hartmuot  und  Ludewig.  —  1228:  Wo 
halten  sich  die  beiden  auf?  —  1229:  Ich  verliess  sie  heute  morgen  in 
ihrer  bürg  (mit  4000  mann  gehört  schon  dem  Zeitalter  der  grossen 
zahlen  an  und  beweist  wol,  dass  die  stelle  wenigstens  formell  umge- 
arbeitet ist).     Darauf  folgt  1235^  die  frage,  ob   die  frauen   nichts  von 

1)  In  dem  anscbluss  von  str.  1224  an  1220  treffe  ich  zufällig  mit  Müllenhoff 
zusammen. 

2)  Derselbe  gedanke  wird  anders  gewendet  str.  1223:  hier  fürchtet  Küdmn, 
Gei'lint  werde  von  der  zinne  aus  sehen,  dass  sie  sich  mit  den  fremden  unterhalte. 
Diese  Strophe  hängt  mit  der  schon  s.  324  anm.  3  besprochenen  str.  1276  zusammen. 

3)  "Wenn  die  beiden  str.  1235  nach  Kudrun  fragen,  so  kann  diese  ihnen  nicht 
schon  123i    mitgeteilt  haben,   dass  die  fürsten  die  Hegelinge  fürchten.    Man  würde 


UNTERSUCHUNGEN    VRKR    niF,    UILnESAGE  329 

einem  hergesiude  wissen,  das  vor  vielen  jähren  iiierher  geführt  wurde. 
Es  war  eine  frau  dabei,  die  Küdriin  hiess^.  Küdrün  antwortet  in  zwei 
Strophen  1236.  1242:  ich  weiss  das  sehr  gut;  die  frauen  kamen  sehr 
unglücklich  hierher;  ich  selbst  bin  eine  von  denen,  die  gefangen  und 
über  das  meer  geschleppt  wurden.  Aber  Küdrün  sucht  ihr  vergebens; 
sie  ist  tot-.  —  Es  ist  unrichtig,  wenn  man  hier  von  einer  unedeln 
oder  nutzlosen  lüge  redet,  die  sich  für  Küdrün  nicht  gezieme.  "Wenn 
man  den  auftritt  für  sich  betrachtet,  und  dabei  sich  vorstellt,  dass 
Küdrün  die  ankunft  ihrer  verwandten  nicht  vermutet,  so  versteht  man, 
dass  die  frage  sie  in  hohem  grade  überrascht  haben  muss.  Sie  will 
darauf  gern  so  genau  wie  möglich  antworten,  aber  zu  sagen:  'Küdrün 
bin  ich',  ist  ihr  in  ihrer  gegenwärtigen  läge  einem  fremden  manne 
gegenüber  doch  unmöglich.  Deshalb  sagt  sie  zwar:  'ich  bin  eine  dieser 
frauen',  aber  über  Küdrün  weiss  sie  im  ersten  augenblick  nichts  anderes 
zu  sagen,  als  dass  sie  tot  sei.  —  1243:  Ortwin  und  Herwig  weinen, 
und  dadurch  wird  in  Küdrün  eine  ahnung  wach  (1244):  'w^ar  sie-  euch 
denn  so  lieb?'  Herwig  gibt  antwort  (1245):  'sie  war  nieine  braut; 
Ludwig  (also  KI)  hat  sie  mir  geraubt';  aber  noch  kann  Küdrün  nicht 
glauben,  dass  es  Herwig  ist,  der  vor  ihr  steht;  'ihr  wollt  mich  be- 
trügen', sagt  sie  (1246),  'wenn  Herwig  noch  lebte,  so  hätte  er  mich 
gewiss  erlöst'  ('also  wird  er  tot  sein'  ist  der  sinn  von  z.  2).  Durch 
diese  unwillkürliche  äusserung  hat  Küdrün,  die  str.  1242  sich  nicht 
nennen  wollte,  sich  verraten,  und  nun  ist  der  weg  zu  der  wider- 
erkennung  gebahnt;  1247  zeigt  Herwig  einen  ring  —  1248,  die  den 
ring  beschreibt,   wird  jünger  sein,  —  1249   lacht  sie   und   lässt   ihren 

dann  wenigstens  1235  eine  andere  wendung  erwarten.  Auf  1231  würde  lediglich  die 
frage  passen,  was  denn  der  grund  dieser  feindscliaft  der  Hegelinge  sei,  und  darauf 
müsste  Kudrüns  raub  ohne  directe  frage  erzählt  worden  sein.  Str.  1230  —  31  sind 
demnach  jünger.  Str.  1232 — 33  gehören  zu  einer  schiebt  von  Strophen,  die  Kudrüns 
leiden  hervorheben  (vgl.  s.  331);  ausserdem  ist  1232,4  nur  eine  widerholung  von  1224. 

1)  Die  frage  ist  tadellos.  Es  besteht  kein  grund,  die  Strophe  auszuscheiden 
oder  zu  emendieren,  bloss  weil  es  eine  Nibelungenstrophe  ist,  da  es  sich  nicht  be- 
weisen lässt,  dass  das  vorkommen  von  Nibelungenstrophcn  ein  kiüterium  der  uuecht- 
heit  ist.    Vgl.  s.  330  anm.  1. 

2)  Str.  1237— 1241  schweifen  vom  thema  ab.  Erst  sagt  Küdrün,  sie  habe  die 
frau,  die  die  fremden  suchen,  wol  gesehen,  und  der  dichter  illustriert  das  durch  die 
naseweise  erkläning,  dass  sie  es  selbst  sei.  Dann  vermutet  Herwig  auf  einmal,  die 
schöne  fremde  werde  Küdrün  sein.  Aber  Ortwin  glaubt  es  nicht.  Als  Küdrün  Ortwin 
sich  nennen  hört  (unrichtig,  denn  nur  Herwig  hat  Ortwins  namen  genannt),  wünscht 
sie  zu  wissen,  ob  das  ihr  bruder  ist.  Darum  fragt  sie  1241  —  nicht  nach  Ortwin, 
sondern  —  nach  Herwig!  —  1241,  4  ist  ausserdem  eine  widerholung  von  I24ü,  4. 


330  BOER 

ring  sehen;  1250.  51  freut  man  sich,  und  es  werden  küsse  ausgetauscht 
Das  scheint  der  älteste  teil  des  auftritts  zu  sein^. 

Als  einen  hauptgrund,  diesen  auftritt  einer  selbständigen  redaction 
zuzuweisen,  erkannten  wir  den  umstand,  dass  er  ohne  rücksicht  auf  die 
in  diesem  Zusammenhang  doch  ältere  engelsbotschaft  gedichtet  worden 
ist.  Der  auftritt  würde  dann  wol  K  I  angehören.  Dafür  spricht  auch 
der  umstand,  dass  Herwig  so  stark  in  den  Vordergrund  gerückt  ist; 
vgl.  auch  die  schon  s.  329  angeführte  str.  1245,  die  Ludwig  als  den 
räuber  bezeichnet. 

"Wenn  nun  der  auftritt  zu  einer  selbständigen  Variante  gehört,  so 
müssen  wir  weiter  fragen:  welches  war  in  diesem  quellenliede  seine 
Stellung?  Er  bildete  nicht  eine  fortsetzung,  sondern  eher  eine  art 
parallele  zu  der  engelsbotschaft  in  der  anderen  Variante.  Die  Über- 
lieferung nötigt  ferner  zu  der  frage,  auf  welche  weise  der  auftritt  in 
den  Zusammenhang  von  K  I  gebracht  war.  Denn  so,  wie  er  in  dem 
erhaltenen  gedichte  überliefert  ist,  kann  er  ursprünglich  nicht  dage- 
standen haben.  Die  lange  beratung,  ob  man  die  frauen  mitnehmen 
solle  oder  nicht,  kann  nicht  echt  sein;  sie  ist  eine  folge  der  aufnähme 
der  scene  in  einen  im  voraus  gegebenen  Zusammenhang.  "Wir  haben 
schon  s.  318 fg.  erwähnt,  dass  jene  beratung  damit  in  Verbindung  steht, 
dass  die  frauen  während  des  am  folgenden  tage  stattfindenden  kampfes  in 
der  bürg  sein  müssen.  In  einem  organisch  entwickelten,  nicht  durch  com- 
pilation  entstandenen  gedichte  wäre  derartiges  eine  Unmöglichkeit-.    Der 

1)  Die  verhältnismässig  grosse  deutliclikeit,  mit  der  diese  Strophen  sich  von 
den  übrigen  abheben,  könnte  die  Vermutung  erwecken,  dass  sie  auch  in  formeller 
hinsieht  ein  ganzes  bilden,  m.  a.  w.  dass  schon  das  quellengedicht,  in  dem  das  ge- 
spräch  diesen  inhalt  hatte,  in  Küdrüüstrophen  gedichtet  war.  Aber  dem  steht  gegen- 
über, dass  in  dem  grössten  teil  des  gedichtes  eine  solche  genaue  trennung  jüngeren 
und  älteren  gutes  nicht  möglich  ist.  Und  str.  1229  erkannten  wir  in  einer  strophe 
alten  inhaltes  doch  auch  einen  jungen  gedanken.  Ein  anderes  zeichen,  dass  auch 
hier  die  Verbindung  der  beiden  quellen  stattgefunden  hat,  ist  das  auftreten  zweier 
frauen.  Aus  diesen  gründen  möchte  ich  die  frage  nach  den  formellen  bearbeituugen 
vorläufig  offen  lassen.  Als  eine  möglichkeit,  die  erwägung  verdienen  dürfte,  nenne 
ich,  dass  die  quellenlieder  K  I  und  II  zwar  strophisch,  aber  nicht  in  Küdrünstrophen, 
sondern  etv/a  in  Nibelungenstrophen  gedichtet  gewesen  seien.  Daraus  Hesse  sich  z.  b. 
die  form  von  str.  1235  erklären.  Die  Küdrünstrophe  wäre  einem  wünsche  nach 
individualisierung  dos  gedichtes  auch  in  metrischer  hinsieht  entsprossen.  —  Natürlich 
würde  daraus  nicht  folgen,  dass  alle  oder  auch  nur  die  mehrzahl  der  Nibelungen- 
strophen in  Küdrün  alt  sind.     Näheres  über  die  Küdrünstrophe  §  17. 

2)  Freilich,  wenn  wir  die  begegnung  mit  den  verwandten  KI  zuweisen,  so  ist 
der  auftritt  auch  hier  einmal  ein  fremdes  element  gewesen,  wenigstens  wenn  wir 
seine  herleitung  aus  der  Salomonsage  (vgl.  s.  318  fg.)  zugeben.  Aber  eben  weil  er 
ein  ganz    fremdes  element  war,    lag  für  einen  bearbeiter   einer  einzelnen  redaction 


UNTERSUCHUNGEN   ÜBER   DIE   inLDESAGE  331 

einzig  mögliche  schluss,  wenn  die  begegnung  mit  den  verwandten  einer 
selbständigen  Variante  angehört,  ist  der,  dass  hier  die  trauen  nicht 
zurückkehrten,  dass  sie  also  während  des  folgenden  kampfes  sich  nicht 
in  der  bürg  aufhielten.    Was  dann?     Die  freunde  nahmen  sie  mit. 

"Wenn  das  richtig  ist,  so  würde  der  Inhalt  der  beiden  Varianten 
sicli  für  diesen  abschnitt  wie  folgt  bestimmen  lassen:  K  I  begegnung 
mit  den  verwandten,  die  die  trauen  gleich  mitnehmen,  darauf  räche  an 
dem  entführer.  K  II  wäsehemotiv,  engelsbotschaft,  rückkehr  der  mädchen 
in  die  bürg,  Görlints  drohung,  rückführung  durch  gewalt. 

Aber  wir  stehen  hier  an  der  äussersten  grenze  des  beweisbaren. 
Denn  dass  die  begegnung  mit  den  verwandton  nicht  ein  jüngerer  Zu- 
satz in  dem  combinierten  gedichte  K  I  +  II  ist,  sondern  schon  aus  KI 
stammt,  wird  zwar  durch  das  eigentümliche  Verhältnis  des  kerns  der 
scene  zu  der  engelsbotschaft  sehr  wahrscheinlich,  aber  ein  directes 
Zeugnis  dafür  fehlt,  und  so  bleibt  die  möglichkeit  einer  ganz  unver- 
muteten erklärung  des  auftritts  bestehen.  Es  ist  demnach  vorsichtig, 
aus  diesem  ergebnis  keine  weiteren  Schlüsse  zu  ziehen. 

Kehren  wir  zur  Untersuchung  des  einzelnen  zurück,  so  bleiben  in 
dem  abschnitt  1165—1281  noch  die  jüngeren  Strophen  zu  besprechen. 
Zum  teil  wurden  sie  oben  in  den  fussnoten  erörtert.  Sie  weisen  viel- 
fach untereinander  zeichen  der  Verwandtschaft  auf.  Eine  grosse  reihe 
handelt  von  der  w^äsche:  1187 — 92  widerholung  des  motivs,  dass  die 
frauen  langsam  waschen  und  deswegen  gescholten  werden  (siehe  s.  324 
anm.  4);  ferner  (1193 — 1204)  klagen  über  schlechte  behandlung,  nament- 
lich kälte  und  mangel  an  kleidern,  wovon  die  älteren  Strophen  nichts 
wissen;  1205fg.  handeln  wider  von  der  wasche;  1207  — 19  sehen  die 
frauen  die  boten,  laufen  fort,  reden  mit  ihnen  über  die  wasche,  dabei 
heben  sie  ihre  armut  und  die  kälte  hervor;  zu  diesem  gedankenkreise  ge- 
hören auch  1232 fg.,  wo  ihnen  ein  mantel  angeboten  wird,  den  sie  nicht 
annehmen  wollen,  1207 — 74,  wo  Küdrün  nicht  länger  waschen  wilH 
—  im  Widerspruch  mit  1266  ist  Hildeburg  fleissig  —  1275  —  79,  wo 
sie  deswegen  gescholten  wird,  dass  sie  mit  den  fremden  gesprochen  hat. 

keine  notwendigkeit  vor,  ihn  aufzunehmen.  Da  er  es  dennoch  tat,  müssen  wir,  so 
lange  die  tatsachen  nicht  zu  einem  entgegengesetzten  urteil  nötigen,  annehmen,  dass 
er  es  tun  konnte,  ohne  einen  allzu  grellen  widersprach  zu  schaffen,  üanz  anders 
stand  der  compilator  von  K  I  -f-  11  der  sache  gegenüber.  Er  fand  in  K  I  die  be- 
gegnung mit  den  verwandten,  in  KIT  die  gewaltsame  bofreiung  vor;  beides  musste 
mitgenommen  werden,  und  so  erfand  er  den  auswcg,  dass  die  frauen  in  die  bürg 
zurückgeschickt  werden. 

1)  Als  gruud  gibt  Küdnin  unrichtig  an,  da.ss  zwei  könige  sie  geküsst  haben. 
Nur  Herwig  hat  sie  geküsst. 


332  BOER 

Sodann  ist  auch  Ortwins  frage  nach  Kudrüns  kindern  als  ein  sich  an 
die  neue  Situation,  in  die  der  auftritt  aufgenommen  ist  (Kudrün  als 
Wäscherin),  anschliessender  einschub  zu  betrachten i. 

Für  eine  gewisse  anzahl  dieser  Strophen  lässt  sich  auch  das  chrono- 
logische Verhältnis  der  einen  zu  den  andern  bestimmen.  Nicht  älter  als  der 
dritte  abschnitt  der  engelsbotschaft  sind  str.  1207  bis  etwa  1210,  wo  die 
frauen  die  ihnen  angekündigten  boten  widerzuerkennen  glauben,  1206,  wo 
sie  nach  ihnen  aussehen,  1198,  wo  Kudrün  sich  auf  ihre  ankunft  freut; 
weniger  sicher  1198,  denn  die  z.  4  genannten  guoten  ritter  können  das 
beer  der  freunde  sein.  Es  verdient  beachtung,  dass  str.  1198  auch  den 
klaren  Zusammenhang  zwischen  1197  und  1199  unterbricht:  1197  klagt 
Hildeburg  nämlich,  dass  sie  umkommen  würden,  wenn  sie  barfuss  giengen, 
und  darauf  fordert  Kudrün  sie  str.  1199  auf,  zu  Gerlint  zu  gehen  und 
um  die  erlaubnis  zu  bitten,  schuhe  anzuziehen.  Da  nun  str.  1197.  1199, 
die  eine  zweite  wäschescene  voraussetzen  und  die  armut  der  frauen 
ganz  ausserordentlich  hervorheben,  gewiss  einer  jüngeren  Strophenschicht 
angehören,  so  ergibt  es  sich  von  neuem,  dass  auch  die  jungen  Strophen 
von  mehr  als  einem  dichter  herrühren  2. 


Die  Untersuchung  von  str.  1165  — 1281  führt  also  zu  ziemlich 
festen,  wenn  auch  nicht  in  jeder  hinsieht  sicheren  ergebnissen.  Wahr- 
scheinlich würden  auch  noch  einzelne  andere  auftritte  eine  ähnliche  Unter- 
suchung lohnen.  Aber  im  allgemeinen  scheint  es,  als  seien  durch  die 
Überarbeitungen  die  eigentümlichkeiten  der  alten  fassungen  bis  zu  dem 
grade  nivelliert  worden,  dass  eine  ausdehnuug  der  Untersuchung  in 
diesem  sinn  über  das  ganze  gedieht  kaum  erhebliche  erfolge  erwarten 
lassen  dürfte.  Vermutlich  waren  die  quellenlieder  verhältnismässig  kurz, 
und  ist  der  Wortlaut  zum  grössten  teil  der  der  jüngeren  dichter.    Wir 

1)  Panzer  (s.  406)  leitet  die  frage  aus  dem  Südeliliede  ab.  Die  ähnlichkeit  ist 
nur  eine  geringe.  Aber  auch,  weuu  diese  ableitung  richtig  wäre,  würde  daraus  nicht 
folgen,  dass  die  frage  nicht  jünger  als  der  kern  des  auftritts  sein  kann. 

2)  Erkennbare  schichten  sind  etwa: 

1.  Alte  KU  ohne  engelsbotschaft. 

2.  Jüngere  K II  mit  engelsbotschaft. 

3.  Verbindung  von  KU  mit  KI;  aufnähme  der  —  schon   in   K  I  vorhandenen  — 
begegnvmg  mit  den  verwandten.     Eine  reihe  von  verbindenden  Strophen. 

4.  Engere  ziisammeufassung  von  K  I  und  K  IL     Aufnahme  AVates  und  Hörauts  in 
K  II  usw. 

5.  Zweiter  und  dritter  teil  der  engelsbotschaft. 

6.  Strophen,  die  dai'auf  rücksicht  nehmen.     Ob  3  und  4,  .5  und  6  zusammenfallen, 
ist  schwer  zu  entscheiden.    "Wahrscheinlich  ist  es  nicht. 


UNTF.RSÜCIIUNGEN    ÜBER    DIE    HILOESAGE  333 

müssen  uns  also  hier  damit  bescheiden,  den  inhalt  der  quellen  und  die 
stofflichen  neuerungen  erkannt  zu  haben. 

§  17.    Der  lu-spruiijar  der  Hildesajre.    Geograpliisches  und  cliroiiolosrisclies. 

Unsere  Untersuchung  hat  bestätigt,  dass  der  grosse  complex  poeti- 
scher Überlieferungen,  die  den  raub  der  Hilde  erzählen  oder  denselben 
Stoff  mit  anderen  namen  behandeln,  in  einer  sehr  einfachen  erzählung 
seinen  grund  hat,  und  dass  die  Vielheit  der  traditionen  den  gewöhn- 
lichen mittein,  der  erklärung  unsicherer  oder  undeutlicher  züge,  der 
contamination  bezw.  Verbindung  des  vollständigen  Inhaltes  abweichender 
recensionen,  ihre  entstehung  verdankt.  In  einer  jüngeren  periode 
kommen  hinzu  anlehnung  an  fremde  erzählungen  oder  aufnähme  von 
elementen  aus  anderen  geschichten,  die  mit  der  sage  entweder  ver- 
wandt sind  oder  nur  eine  gewisse  zufällige  ähnlichkeit  haben  (Helgisage, 
werbungssage,  Salomonsage  u.  dgl.).  Es  sind  dieselben  sagenbildenden 
kräfte  dabei  tätig  gewesen,  die  wir  früher  bei  der  Untersuchung-  der 
Nibelungendichtung  erkannten. 

Nahezu  alle  Versionen  der  Hildesage  und  ihrer  sippe  haben  mit- 
einander den  raub  der  Jungfrau  gemein.  Dieser  raub  ist  das  haupt- 
thema,  um  welches  alles  übrige  sich  gruppiert. 

Bei  Saxo  aber  sind  wir  auf  eine  form  der  sage  gestossen,  die 
hinter  allen  übrigen  zurückliegt  und  uns  zeigt,  dass  auch  der  raub  der 
Jungfrau  einmal  ein  accessorisches  dement  gewesen  ist,  das,  wie  so 
viele  jüngeren  züge,  nur  dazu  dienen  rausste,  ein  älteres  dement,  die 
feindschaft  zwischen  Hagen  und  seinem  Schwiegersohn,  zu  erklären. 
Diese  feindschaft,  die  in  einem  gegenseitigen  totschlag  ihren  abschluss 
findet,  ist  der  ausgangspunkt  der  Hildesage. 

Die  sage  ist  also  eine  sage  vom  verwandtenmord.  "Wir  finden 
bestätigt,  was  ich  im  erstenbandejneiner  Nibelungenuntersuchungen  {§  4) 
angedeutet  und  kurz  ausgeführt  habe,  dass  die  Hildesage  ihrem  Ur- 
sprünge nach  eine  nahe  Variante  der  Nibdungensage  ist.  Beide  lassen 
sich  auf  folgendes  schema  zurückführen:  Hagen  ist  der  nächste  männ- 
liche verwandte  einer  Hild  (Grimhild)  genannten  frau.  Mit  dem  geraahl 
dieser  frau  kämpft  Hagen.  Der  ausgang  des  kampfes  ist  ein  tragischer. 
In  der  Nibelungensage  kämpft  Hagen  nacheinander  mit  zwei  Schwägern, 
den  einen  tötet  er;  von  dem  anderen  wird  er  getötete  In  der  Hilde- 
sage finden  wir  an  der  stelle  der  beiden  schwäger  6inen  Schwiegersohn, 
aber  Schwiegervater  und  Schwiegersohn  töten  sich  gegenseitig. 

1)  Freilich  gehört,  wie  ich  demnächst  zu  beweisen  hoffe,  die  verduppoluug  der 
Nibelungensage  eiuem  bedeutend  jüngeren  Zeitalter  an. 


334  BOER 

Diese  beiden  grundformen  stehen  einander  sowol  durch  den  inhalt 
als  durch  die  namen^  so  nahe,  dass  ein  zweifei  an  ihrem  gemeinschaft- 
lichen Ursprung  nicht  wol  möglich  ist.  Dass  es  gründe  gibt,  die  dar- 
stellung  der  Hildesage,  in  der  die  frau  des  feindes  Hagens  tochter  ist, 
für  die  ursprünglichere  zu  halten,  habe  ich  a.  a.  o.  s.  106  schon  aus- 
gesprochen. Dieses  Verhältnis  von  vater  und  tochter  ist  das  natürlichere; 
der  bruder  ist  nur  der  Stellvertreter  des  vaters.  Die  Untersuchung  der 
geschieh te  der  Hildesage  bestätigt  dieses  bis  dahin  vorläufige  resultat. 
Denn  ihre  breite  entwicklung  fällt  in  eine  ältere  periode.  Schon  im 
T.Jahrhundert  begegnen  wir  auf  dem  norddeutsch -angelsächsischen  ge- 
biete einem  sehr  entwickelten  spross  unserer  sage  (Waldere),  und  wenn 
es  erlaubt  ist,  an  die  echtheit  der  Ragnarsdräpa  zu  glauben,  so  hatte 
im  9.  Jahrhundert  die  Hildesage  in  Skandinavien  schon  einen  endpunkt 
erreicht.  Auch  das  Verhältnis  der  Hildesage  zu  der  Helgidichtung  weist 
für  jene  auf  ein  bedeutendes  alter.  Daraus  erklärt  es  sich  vielleicht 
auch,  dass  wir  aus  Skandinavien  kaum  eine  poetische  tradition  kennen, 
sondern  bloss  prosaische  berichte,  die  als  reminiscenzen  an  eine  unter- 
gegangene poesie  aufzufassen  sind;  nur  die  abgeleitete  Helgisage  ist 
poetisch  überliefert.  Die  Mbelungensage  hingegen  blüht  erst  in  einer 
jüngeren  periode  auf;  das  meiste,  was  wir  kennen,  stammt  frühestens 
aus  dem  10.  Jahrhundert  oder  einem  noch  jüngeren  Zeitalter.  Allerdings 
gibt  es  andeutungen,  dass  die  fabel  bedeutend  älter  ist,  aber  der  reich- 
tum  der  jüngeren  Überlieferung  scheint  doch  zu  erkennen  zu  geben, 
dass  auch  die  anfange  dieser  dichtung  jünger  als  die  der  Hildedich- 
tung sind. 

Das  gefühl  für  den  Zusammenhang  der  beiden  sagen  muss  früh 
verloren  gegangen  sein.  Denn  tatsächlich  haben  sie  nur  das  oben  auf- 
gestellte rohe  Schema  gemein.     Ich  muss  hier  noch  einmal  auf  meine 

1)  Noch  schlagender  würde  die  gleichheit  auch  in  den  nanien  sich  zeigen,  wenn 
es  erlaubt  wäre,  den  namen  GuSrun  und  ihre  eigenschaft  als  Hilds  tochter  für  die 
älteste  form  der  sage  zu  verwerten.  Aber  so  interessant  dieses  zeugnis  für  ein  Ver- 
hältnis zu  der  Nibelungensage  in  einer  weit  zurückliegeudeu  periode,  bevor  KI  und 
KU  entstanden,  ist,  so  geht  es  doch  nicht  an ,  daraus  zu  schliessen,  dass  die  doppel- 
heit  in  dem  namen  der  frau,  die  in  der  Nibelungensage  widerkehrt,  von  anfang  an 
in  der  Überlieferung  vorhanden  war.  (Freilich  muss  auch  die  Nibelungen  sage  einmal 
nur  einen  der  beiden  namen  gekannt  haben.)  Wenn  Hagens  tochter  schon  in  der 
ältesten  sagenfonn  wechselweise  Hild  und  GuÖrün  geheissen  hätte,  so  müssten  wir 
auch  in  anderen  Versionen  auf  spuren  dieser  doppelten  bezeichnung  stossen.  Bedenken 
wir,  dass  Ur-K,  die  quelle  von  KI  und  KU,  von  HS  stammt,  dass  aber  weder  die 
form  5^4,  noch  H,  noch  SH6,  noch  f'H4  den  namen  GuSrün  kennt,  so  müssen  wir 
wol  schliessen,  dass  der  name  in  der  Hildesage  nicht  älter  als  KU  ist.  —  Über 
die  consequenzen  für  die  goschichte  von  K  s.  unten  s.  338. 


UNTERSUCmiNGEN   ÜBER   DIE   HILDESAGE  335 

Nibelungenuntersuchungen  verweisen,  wo  (§  4)  betont  wurde,  dass  die 
grundlegenden  elemente  einer  sage  die  psychologischen  erklärungen  der 
geschehnisse  sind;  das  nackte  schema  ist  nur  ein  embryo.  Aber  in  den 
erklärungen  gehen  die  beiden  sagen  von  anfang  an  auseinander.  Während 
die  Nibelungensage  den  kämpf  aus  habsucht  erklärt  und  die  Charaktere 
durch  diese  erklärung  ihr  gepräge  erhalten,  gibt  erst  der  frauenraub 
der  Hildesage  ihren  eigentümlichen  Charakter.  Es  ist  dann  auch  ein 
reiner  zufall,  dass  Saxo,  freilich  in  Verbindung  mit  einer  jüngeren  Ver- 
sion, eine  redaction  erhalten  hat,  der  diese  erklärung  noch  fremd  ist. 
Sie  ist  ein  wertvolles  zeugnis,  ein  Schlüssel  zu  der  einsieht  in  die  ent- 
stehimg  der  sage. 

AVenn  in  der  "Walthersage,  die  auf  einer  schon  weit  fortgeschrit- 
tenen form  der  Hildesage  beruht,  Hagen  in  Frankenland  localisiert  und 
von  neuem  mit  dem  Nibelung  identificiert  wird,  so  haben  wir,  was 
schon  §  7  bemerkt  wurde,  aber  jetzt  noch  besser  verstanden  werden 
k-ann,  darin  nicht  eine  reminiscenz  an  die  ursprüngliche  Identität  der 
beiden  gestalten,  sondern  eine  neue  identificierung  auf  grund  der  namen- 
gleichheit  zu  erblicken  i. 

Fragen  wir  nach  der  heimat  der  sage,  so  kommen  neben  den 
ältesten  Zeugnissen  die  localisierungen  in  betracht.  Fest  steht  in  der 
tradition  eigentlich  nur  die  heimat  Hagens,  die  die  quellen  mit  grosser 
einstiramigkcit  nach  Dänemark  verlegen.  Dass  noch  die  quellenlieder 
der  Küdrün  KI  und  KU  ihn  dort  kannten,  wurde  oben  s.  307  aus- 
geführt. Die  jüngeren  quellen  versetzen  Hagen  genau  in  dieselben  orte, 
wo  er  auch  in  den  aufeinander  folgenden  fassungen  der  Nibelungensage 
wohnt.  Auch  hier  sind  noch  spuren  einer  localisierung  in  Dänemark, 
und  zwar  wie  bei  den  beiden  der  Hildesage  in  Jütland,  vorhanden 
(Unters.  NSI,  135),  bald  aber  treffen  wir  ihn  am  Niederrhein  und  später 
in  Worms,  und  so  ist  es  ihm  auch  in  der  Walthersage  ergangen,  die 
diese  beiden  localisierungen  kennt  (während  die  Küdrünquellen  Däne- 
mark beibehalten),  bis  er  zuletzt  durch  einen  unkundigen  bearbeiter  nach 
Irland  versetzt  wird. 

Über  Heöins  heimat  herrscht  keine  solche  einstimmigkeit.  Zunächst 
kommen   Snorri,  der  Norwegen  als  seine  heimat  angibt,    und  Widsiö, 

1)  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  ein  Zusammenhang  besteht  zwischen  der 
identificierung  Hagens  mit  dem  Nibelung  iu  der  "Walthersage  und  der  unten  näher 
zu  besprechenden  aufnähme  des  namens  Öuön'in  iu  K II,  die  gleichfalls  ein  nahes 
Verhältnis  oder  gar  die  identität  dieses  Hagen  mit  jenem  voraussetzt.  Dann  würde 
von  H2&  an  bis  zu  K  H  hinunter  der  zusammonhaog  der  beiden  gestalten  und  der 
beiden  sagen  aneriiaunt  gewesen  sein. 


336  BOER 

der  ihn  über  die  Glommas  regieren  lässt,  in  betracht.  Wenn  das  der 
volksstamm  ist,  nach  dem  der  Glommen  heisst,  so  weist  auch  dieses 
Zeugnis  nach  Norwegen.  Diese  localisierung  aber  lässt  sich  kaum  von 
der  des  kampfes  auf  den  Orkneyjar  trennen,  der,  wie  s.  200 fg.  aus- 
geführt wurde,  mit  der  Überführung  des  Stoffes  nach  England  zusammen- 
hängt und  ein  product  der  wikingerzeit  ist.  Die  localisierung  auf  dem 
Wülpensande  kann  nicht  älter  sein;  sie  ist  eher  etwas  jünger;  sie  hängt 
mit  deT  Übersiedelung  des  entführers  nach  der  Normandie  zusammen 
(s.  306)  und  stammt  deutlich  aus  der  Normannenzeit.  Es  scheint,  als 
hätten  wir  auch  hier,  wie  bei  der  Untersuchung  des  Inhaltes  der  sage, 
bei  Saxo  die  ursprünglichste  nachricht  zu  suchen.  Ein  Zusammenhang 
zwischen  dem  namen  des  beiden  und  dem  der  insel  Hithinsö  lässt  sich 
auf  keinen  fall  leugnen,  und  das  Verhältnis  der  quellen  scheint  darauf 
zu  deuten,  dass  dieser  Zusammenhang  nicht  secundär  ist.  Es  ist 
gar  nicht  unmöglich,  namentlich  wenn  wir  in  der  sage  nachklänge 
historischer  ereignisse  suchen  dürfen,  dass  die  insel  nach  dem  beiden 
benannt  worden  ist,  sei  es  nun,  weil  er  dort  geherrscht,  oder  weil  er 
dort  den  tod  gefunden  hat.  Saxos  localisierung  bestätigt  auch  der 
bericht  des  WidsiÖ,  dass  Wate,  der  als  ein  alter  doppelgänger  HeÖins 
auftritt,  über  die  Heisingas  regierte;  der  seeweg  von  Jütland  nach 
Helsingland  am  bottnischen  meerbusen  führt  ja  durch  die  Ostsee.  Auch 
Hagens  herrschaft  über  die  Holmryge  lässt  sich  damit  verbinden,  wenn 
die  Holmryge,  wie  ich  Unters.  NS  I,  135  wahrscheinlich  zu  machen  ver- 
sucht habe,  in  Dänemark  zu  suchen  sind^. 

So  führen  uns  die  ältesten  Zeugnisse  zu  den  Völkern  nördlich  und 
westlich  von  der  Ostsee  und  nach  HeÖinsey  als  dem  Schauplatz  des 
kampfes.  Chronologisch  weisen  sie  in  die  bewegte  zeit,  die  der  grün- 
dung  des  dänischen  königreiches  voranging.  Weiter  lässt  sich  die  sage 
nicht  zurückverfolgen.  Aber  sie  ist  auch  noch  so  einfach ,  dass  sie  keine 
lange  entwicklungsgeschichte  hinter  sich  haben  kann.  Somit  werden 
wir  auch  den  Ursprung  der  sage  auf  den  dänischen  inseln  zu  suchen 
haben.  Dort  stiessen  die  drei  Völker,  die  an  ihrer  ausbildung  gearbeitet 
haben,  Dänen,  Anglosachsen  und  Deutsche,  hart  aneinander;  von  dort 
konnten  die  beiden  hauptformen,  die  zu  der  Walthersage  und  später 
zu  Küdrün  führten,   leicht  zu  den  Deutschen  gelangen,   und  von  dort 

1)  Auch  mit  der  verbreiteten  aasicht,  dass  die  Holmryge  an  der  Weichsel- 
mündung  gewohnt  haben,  lässt  sich  der  kämpf  auf  ITeSinsey  vereinigen.  Aber  diese 
auffassung,  die  auch  gegen  sicli  hat,  dass  die  Weichsel -Rugier  keine  inselbewohner 
waren,  widerspricht  den  stets  widerkehrenden  berichten,  dass  Hagen  ein  könig  in 
Dänemark  war. 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    HILDES  ARE  337 

werden  auch  die  Angelsachsen  die  erste  künde  von  der  sage  bekommen 
liaben,  wenn  sie  auch  später  neue  formen  aus  Norddeutschland  (Walther- 
sage) und  Skandinavien  (SH3,  s.  200)  als  import  erhalten  haben.  Die 
berichte  über  die  Heisingas  und  die  Holmryge  gehen  über  die  skandi- 
navische tradition  hinaus  und  werden  auf  einer  aus  der  alten  heimat 
mitgebrachten  Überlieferung  beruhen. 

Über  die  heimat  der  einzelnen  redactionen,  namentlich  der  über- 
gangsstufen,  ist  noch  einiges,  zum  teil  nicht  unwichtiges,  hinzuzufügen. 

Skandinavisch  sind,  abgesehen  von  der  dänischen  grundform  H, 
die  ganze  reihen  SH  1 — 6,  1*111 — 4,  Hi — 4,  wie  ihre  endpunkte  SH  6, 
PH4,  H4:  beweisen.  Einzelne  Zwischenstufen  sind  auch  direct  auf 
skandinavischem  boden  belegt  oder  bezeugt;  so  SH4,  der  bei  Saxo 
überliefert  ist;  SH3,  der  ausgangspunkt  der  reihe  PH  ist;  H3  von 
dem  die  balladen  stammen.  Über  das  Verbreitungsgebiet  von  SH3  wurde 
s.  200  einiges  erörtert.  Eine  nähere  landschaftliche  bestimmung  wird 
unten  für  einzelne  stufen  die  betrachtung  von  Ur-K  ergeben.  Dass 
iJ2a,  und  also  auch  SH2,  von  dem  die  if- reihe  stammt,  noch  auf 
dänischem  boden  verbreitet  war,  bezeugt  die  deutsche  Walthersage,  die 
von  H2si  stammt  und  aus  geographischen  gründen  eher  aus  einer 
dänischen  als  etwa  aus  einer  norwegischen  quelle  abgeleitet  sein  kann. 
Die  entstehung  der  Walthersage  wird  demnach  mit  der  Überführung 
dieses  zweigs  von  Dänemark  nach  Norddeutschland  zusammenfallen. 
Auch  7/3  wird  noch  dänisch  gewesen  sein^  Darauf  deuten  zunächst 
die  dänischen  balladen,  mit  noch  grösserer  Sicherheit  aber  die  deutsche 
Küdrünüberlieferung,  die  von  HS  stammt,  und  nur  aus  Dänemark 
importiert  sein  kann  (vgl.  unten).  Daraus  ergibt  sich,  dass  die  beein- 
flussung  der  —  dänischen  —  Helgisage  durch  die  —  dänische  —  Hilde- 
sage auf  dänischem  boden  zustände  gekommen  ist. 

Weniger  unmittelbar  leuchtet  es  ein,  was  sich  jedoch  nicht  mehr 
umgehen  lässt,  dass  auch  Ur-K  noch  aus  Skandinavien  stammt.  Dafür 
sind  zunächst  die  berührungen  mit  dem  SQrla  |iattr  anzuführen.  Zwar 
Hesse  ein  teil  davon  —  Hagens  anfängliche  freundschaft  mit  dem  ent- 
führer  —  sich  als  altererbtes  gut  erklären,  aber  andere  züge,  die  miss- 
handlung  der  königin  in  KI  und  der  narae  Morlant  in  KU,  —  wenn 
letzterer  zug  nicht  zufällig  ist,  —  können  nur  auf  entlchnung  beruhen. 
Diese  aber  ist  nur  dann  möglich,  wenn  die  entlehnende  redaction  von  der, 

l)  Ihre  voistufe  //2b  wurde  nach  s.  200  nach  den  brittischen  inseln  übergeführt, 
wobei  sie  mit  der  form  SH  3  zusammentraf  und  die  grundlago  der  Shetlandsballade 
wurde. 

ZKITSCHKIFT    K.     DEDTSCHK    PIIILOI.OOIK.        BD.    XL.  22 


338  BOER 

aus  der  die  entlebniing  stattfindet,  nicht  landschaftlich  und  sprachlich  weit 
getrennt  ist.  Der  umstand,  dass  sowol  KI  wie  KU  solche  berührungen 
mit  PH2  aufweisen,  lässt  vermuten,  dass  es  XJr-K  war,  die  die  züge  auf- 
genommen hat.    KI  und  KII  haben  dann  beide  einzelnes  davon  bewahrt. 

Aber  auch  die  erste  differencierung  von  KI  und  KII  muss  noch 
auf  skandinavischem  boden  stattgefunden  haben.  Denn  nur  hier  oder 
im  dänisch-sächsischen  grenzgebiete  kann  der  name  GuÖrün  in  die 
Überlieferung  aufgenommen  sein.  Hier  herrscht  in  der  Nibelungen- 
sage wie  in  der  Hildesage  dieselbe  Unsicherheit  in  bezug  auf  den  namen 
der  frau,  die  Hagens  Schwester  resp.  tochter  war;  hier  war  die  grenz- 
linie,  südlich  von  der  man  nur  Hild  (Grimhild)  kannte,  während  nördlich 
davon  eine  tochter  dieser  Hild  bekannt  war,  die  Gubrün  hiess.  Wenn 
die  Spaltung  von  TJr-K  in  K I  und  K II  auf  deutschem  gebiete  zustande 
gekommen  wäre,  so  müsste  Ur-K  die  beiden  Vorstellungen,  dass  Hild 
und  dass  GuÖrün  Hagens  tochter  war,  nebeneinander  enthalten  haben, 
denn  GuÖrün  kann  in  Deutschland  nicht  in  die  tradition  aufgenommen 
sein,  da  sie  hier  ausserhalb  der  Hildesage  nicht  bekannt  ist^.  Aber 
die  beiden  abweichenden  Vorstellungen  können  unmöglich  in  einem  ge- 
dickte nebeneinander  bestanden  haben;  sie  müssen  Varianten  angehören-. 

Wenn  KI  und  KII  sich  noch  auf  dänischem  boden  oder  an  der 
dänisch -deutschen  grenze  voneinander  getrennt  haben,  so  müssen  die 
gemeinschaftlichen  neuerungen  von  KI  und  KII,  sofern  sie  wenigstens 
Ür-K    angehören '^    gleichfalls    vor    der   Überführung    des    stoJS"es    nach 

1)  über  die  naniensform  ist  zu  bemerken,  dass  das  k  sich  wie  das  k  von 
Kriemhild  aus  der  überfülirung  aus  einer  gegend,  wo  die  media  gesprochen  wurde, 
nach  einer  gegend,  wo  g  spirantisch  war  (Unters.  NSII,  108),  also  aus  dem  sächsi- 
schen nach  dem  fränkischen  erklärt.  Das  lange  u  der  ersten  silbe,  das  durch  die 
häufige  Schreibung  au  wol  gesichert  ist,  weist  gleichfalls,  hier  im  gegensatz  zu  der 
nordischen  auf  die  sächsische  form.  Die  Sachsen  haben  also,  als  sie  die  sagenform 
KII  kennen  lernten,  den  nordischen  namen  GuÖrün  in  den  sächsischen  lautstand  über- 
tragen. Dass  der  name  für  sie  etymologisch  durchsichtig  war,  nimmt  kein  wunder. 
Hingegen  haben  Franken  und  Oberdeutsche,  die  den  namen  mechanisch  übernahmen, 
ihn  nicht  in  ihren  lautstand  übertragen,  sondern  ihn  ihrer  ausspräche  angepasst. 

2)  Die  möglichkeit,  dass  die  aufnähme  des  namens  GuSrüu  in  die  Hildesage 
und  die  ähnlichkeit  in  diesem  punkte  mit  der  Nibelungensage  auf  einem  reinen  zufall 
beruhen  sollte,  ist  nicht  anzuerkennen,  um  so  weniger,  als  GuSrüu  in  Deutschland 
kein  gebräuchlicher  name  ist. 

3)  Es  lässt  sich  nämlich  denken,  dass  die  beiden  licder  nach  ihrer  trennung 
noch  gemeinsame  änderungen  erfahren  haben,  die  dann  als  secundäre  berührungen  zu 
bezeichnen  sind.  Diese  möglichkeit  besteht  zumal  dann,  wenn  K  I  und  K  II  eine  lange 
entwicklung  durchgemacht  haben  und  landscliafthch  nicht  weit  getrennt  waren.  Bei- 
spiele solcher  jüngeren  neueningen,  die  durch  beide  gedichte  durchgeführt  wurden, 
sind  tatsächlich  vorhanden,  vgl.  unten  im  texte. 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    WE    IIILDESAGE  339 

Deutschland  zu  stände  gekommen  sein.  Hierher  gehört  die  localisierung 
auf  dem  Wülpensaude.  Auttallig  ist  das  nicht.  Diese  localisierung  wurde 
s.  336  der  Norniaunenzeit  zugeschrieben;  zu  jener  zeit  aber  wird  eher 
ein  Däne  als  ein  Deutscher  von  kämpfen  zwischen  Dänen  des  mutter- 
landes  und  der  Normandie  gedichtet  haben.  Den  Deutschen,  die  vor 
beiden  zitterten,  war  kaum  der  unterschied  zwischen  beiden  bekannt. 
In  dieselbe  periode  fällt  noch  die  rückführung  der  frau,  die  auch  in 
einer  dänischen  ballade  (der  Hildebrandvise)  widerkehrt.  Anders  wird 
die  neue  auffassung  ihres  Verhältnisses  zu  dem  entfüiirer  zu  beurteilen 
sein.  Allerdings  ist  diese  auffassung  älter  als  die  neue  Verbindung  von 
von  KI  und  KlI;  in  beiden  quellenliedern  finden  sich  davon  deutliche 
spuren;  hier  zeugt  die  begegnung  mit  dem  engel,  dort  die  mit  den 
verwandten  dafür,  dass  die  frau  sich  zu  ihren  verwandten  zurück- 
sehnte. Aber  diese  auftritte  sind  junge  zusätze  in  den. quellenliedern, 
die  für  das  alter  der  neuen  auffassung  w^enig  beweisen.  Und  dem  steht 
gegenüber,  dass  von  dieser  auffassung  des  Charakters  der  frau  in  den 
skandinavischen  quellen,  auch  in  den  mit  Küdrün  am  nächsten  ver- 
wandten formen  (Helgisage  und  bailaden),  keine  spur  zu  entdecken  ist; 
nur  die  besorgnis  um  das  Schicksal  ihrer  verwandten  in  den  bailaden, 
die  trauer  über  ihren  tod  in.  der  Helgisage  wurden  oben  s.  186  als 
erste  schwache  ausätze  dazu  erkannt.  In  der  Küdrün  aber  sind  wir 
auf  deutliche  spuren  der  älteren  auffassung,  nach  der  die  frau  dem 
entführer  freiwillig  folgt,  gestossen^.  Zieht  man  nun  weiter  in  betracht, 
dass  KI  und  KII,  wenn  sie  noch  aus  der  dänischen  periode  stammen, 
eine  lange  entwicklung  durchgemacht  haben  müssen,  da  ihre  Verbindung 
kaum  älter  als  der  ausgang  des  12.  Jahrhunderts  ist,  so  werden  wir 
schliessen  müssen,  dass  die  neue  auffassung  des  Charakters  der  geraubten 
Jungfrau  verhältnismässig  spät,  vielleicht  nicht  lange  vor  der  Verbindung 
von  K  I  und  K II  auf  deutschem  boden  zu  stände  gekommen  sein  muss 
und  zu  gleicher  zeit  oder  kurz  nacheinander  in  beiden  (luellen  durch- 
geführt worden  ist.  Hier  haben  wir  es  also  mit  einem  fall  der  s.  338 
anm.  3  genannten  gemeinsamen  entwicklung  beider  quellen  nach  ihrer 
trennung  zu  tun.  —  Deutsch  sind  ferner  die  zutaten  aus  fremden  Sagen- 
kreisen, deren  aufnähme  schon  vor  der  Verbindung  von  KI  und  KII 
einen  anfang  nimmt. 

Die  heimat  von  Ur-K  ist  demnach  das  südliche  Dänemark.  Auch 
für  die  Verbreitungsgeschichte  der  skandinavischen  sagenformen  ist  dieses 

1)  Oben  s.  292fgg.  In  der  ersten  hälfte  des  gedichtes  steht  mit  klaren  worten, 
lass  Hilde  dem  entführer  freiwillig  folgt.  Aber  diese  stelle  ist  weniger  beweiskräftig, 
dii  sie  Klb  aii/,uf,'ohören  sohoint.    Hildo  hat  sich  durch  Hurants  gesang  berücken  lassen. 

22« 


340  BOER 

resultat  nicht  ohne  bedeutimg.  Der  SQrla|)ättr  gilt  neben  Snorris  er- 
zählimg  für  einen  repräsentanten  der  isländischen  tradition.  Es  ergibt 
sich  aber  aus  dem  Verhältnis  des  |)ättr  zur  Küdrün,  d.  h.  von  PH2  zu 
Ur-K,  dass  die  älteren  stufen  von  PH  nicht  auf  Island  entstanden  sein 
können,  sondern  bedeutend  älter  als  die  Überführung  des  Stoffes  nach 
Island  sind.  Wenn  die  süddänische  Ur-K  von  PH 2  beeinflusst  worden 
ist,  so  miiss  auch  PH  2  wenigstens  in  Dänemark  verbreitet  gewesen 
sein.  Und  da  PH2  von  SH3  stammt,  gilt  dasselbe  für  SH3.  Dass 
diese  form  sich  nach  den  brittischen  inseln  verbreitet  hatte,  wurde 
s.  200  gezeigt,  und  ihre  nachkommenschaft  lässt  vermuten,  dass  sie  auch 
in  Norwegen  bekannt  war.  Der  ausgangspunkt  dieser  Wanderung  aber 
wird  das  nördliche  Dänemark  gewesen  sein.  SH3  und  &H2  wären 
demnach  als  norddänische  sagenformen  den  süddänischen  i73  und  Ur-K 
gegenüberzustellen;  aus  der  nachbarschaft  erklärt  sich  die  beeinflussung 
von  Ur-K  durch  PH2^.  Etwas  später  als  SH  3  verbreitete  sich  auch 
PH2  in  nördlicher  richtung;  wir  kennen  nur  den  jüngsten  spross  PH4, 
der  im  14.  Jahrhundert  auf  Island  niedergeschrieben  wurde. 

Unter  diesen  umständen  ist  es  auch  gewiss  nicht  notwendig  an- 
zunehmen, dass  Saxo  seine  längere  darstellung  aus  einer  isländischen 
quelle  geschöpft  habe  (§5).  Saxo  II  ist  =  SH4,  steht  also  PH2,  die 
gleichfalls  direct  von  SH3  stammt,  noch  sehr  nahe.  Da  SH3  ein  grosses 
Verbreitungsgebiet  hat,  lässt  es  sich  nicht  genau  entscheiden,  wo  SH4 
enstanden  ist.  Aber  weiter  als  bis  zum  südlichen  Norwegen  braucht 
man  gewiss  nicht  zu  suchen;  es  ist  sehr  wol  möglich,  dass  auch  diese 
form  noch  im  nördlichen  Dänemark  verbreitet  war.  Isländisch  ist  die 
form  gewiss  nicht,  denn  sogar  SH6  ist,  wenn  wenigstens  die  tradition 
von  Bragi  die  Wahrheit  sagt,  noch  nicht  isländischen  Ursprunges.  Und 
zu  Saxos  Zeiten  und  lange  nachher  sind  auf  Island  SH6  und  PH4, 
nicht  aber  SH4  bezeugt. 

Über  das  alter  der  verschiedenen  entwicklungsstufen  der  sage  lässt 
sich  mit  grösserer  oder  geringerer  Sicherheit  einiges  sagen.  Mit  hilfe 
einiger  endpunkte,  deren  alter  ungefähr  bekannt  ist,  ist  es  möglich  für 
die  meisten  der  übrigen  Versionen  engere  oder  weitere  zeitgrenzen  auf- 
zustellen.    Wir  schliessen  damit  diese  Untersuchung. 


1)  Nur  um  einem  denkbaren  einwände  zu  begegnen,  bemerke  ich,  dass  ich  die 
frage  erwogen  habe,  ob  Ur-K  nicht  bei  dänischen  Wikingern  auf  den  brittischen  inseln 
entstanden  und  von  dort  nach  Deutschland  gelangt  sein  kann,  und  dass  eine  solche 
hypothese  mir  völlig  haltlos  erschienen  ist.  Das  auszuführen  würde  aber  einen 
grösseren  räum  erfordern,  als  die  sache  beanspruchen  kann. 


UNTERS ÜCUUNGEN   ÜBER   DIE   HILDESAGE  341 

Für  die  urform  H  wurde  s.  336  als  entsteh iingszcit  das  6.  Jahr- 
hundert vermutet.  Die  nächste  bekannte  stufe  ist  der  Waldere,  als 
dessen  entstehungszeit  man  das  7.  jaiirhundert  annimmt.  Das  zeugnis 
dieser  fragmente  gibt  für  die  ihnen  vorangehenden  formen  SEI.  SH2 
(=7/1).  //2  a.  W  einen  terminus  ad  quem  ab. 

Wir  dürfen  demnach  /Z'2a,  von  der  die  Helgisage,  die  balladen 
und  K  stammen,  unbedingt  an  den  anfang  des  7.  Jahrhunderts  stellen. 
Für  7/4  (sagenform  des  zweiten  Helgiliedes)  gilt  das  10.  Jahrhundert; 
die  form  //3  ist  demnach  gleichfalls  spätestens  ins  10.  Jahrhundert  zu 
stellen.     Über  Ur-K  vgl.  unten. 

In  den  reihen  SHl  — 6  und  I>H1  — 4  finden  SH  1.  2  an  der 
Waltliersage  einen  terminus  ad  quem;  jünger  als  der  anfang  des  7.  Jahr- 
hunderts sind  diese  sagenformen  nicht.  SH6  wird  durch  Bragis  alter 
bestimmt;  das  ergibt  also,  wenn  Bragis  gedichte  echt  sind,  das  9.,  auf 
keinen  fall  eine  spätere  zeit  als  das  10.  Jahrhundert.  Das  ist  zugleich 
ein  terminus  ad  quem  für  die  formen  SH3  —  5,  und  also  auch  für  I^Hl, 
die  =  SH3  ist.  Für  das  alter  von  &H2  gibt  die  von  ihr  beeinflusste 
Ur-K  (oder  KI  und  KU)  ein  zeugnis  ab;  die  form  ist  vielleicht  noch 
ins  10.  Jahrhundert  zu  setzen.      I*H4  stammt  aus  dem  14.  Jahrhundert. 

In  der  reihe,  die  zur  Küdrün  führt,  lassen  sich  die  Zwischen- 
stufen am  besten  von  den  endpunkten  aus  bestimmen.  Am  anfang  der 
reihe  steht  Ur-K,  die  von  H'i  (10.  jahrh.)  stammt.  Ein  grund,  diese 
Version  noch  in  dasselbe  Jahrhundert  zu  stellen,  ist  die  localisierung  auf 
dem  Wülpensande,  die  nach  s.  336  aus  der  Normannenzeit  stammt  und 
demnach  nicht  jünger  sein  kann.  Am  ende  der  entwicklung  steht  die 
handschriftliche  Überlieferung  des  gedichtes,  die  dem  16.  Jahrhundert 
angehört,  aber  nach  Bartsch  und  Zingerle  auf  eine  vorläge  aus  dem 
ende  des  18.  resp.  dem  anfang  des  14.  Jahrhunderts  hinweist.  Zwischen 
diesen  äussersten  punkten  wären  noch  das  alter  der  einzelnen  redactionen 
KI  und  KU,  das  ihrer  Verbindung  (Kl-f  II)  und  das  der  vorliegen- 
den recension  zu  bestimmen. 

Auf  letztere  frage  einzugehen,  liegt  dieser  Untersuchung  fern; 
wir  werden  sie  nur  zu  streifen  haben.  Wir  müssen  aber  die  frage 
stellen,  für  welche  fassung  jedes  der  allgemein  angewendeten  kriterien 
gültigkeit  hat.  Da  ist  das  Verhältnis  der  Küdrün  zum  Nibelungenlied, 
zum  Bitcrolf,  zum  Titurel  und  zur  Klage  ins  äuge  zu  fassen. 

Die  absolute  abhängigkeit  der  Küdrün  vom  Nibelungenliede  hat 
Kettner,  Zeitschrift  23,  145  fgg.  dargetan,  und  zwar  geht  aus  der 
benutzung  der  höfischen  scenen  hervor,  dass  es  die  junge  rczension 
NL  IV  (Untersuchungen  NSII,  156)  ist,  die  das  gedieht  beeintlusst  hat 


342  BOKR 

Damit  gewinnen  wir  das  jähr  1200  als  einen  terniiniis  a  quo.  Aber  dieser 
nachweis  hat  auch  nur  für  die  jüngste  redaction  der  Küdrün  bedeutung. 
Allerdings  lehrt  die  durchdringung  des  ganzen  gedichtes  mit  dementen 
des  NL,  dass  die  letzte  Umarbeitung  eine  sehr  durchgreifende  war,  aber 
es  sind  doch  keine  andeutungen  dafür  vorhanden ,  dass  schon  die  quellen- 
lieder  K I  und  II  oder  ihre  erste  Verbindung  K  I  +  II  den  einfluss  des 
NL  erfahren  hätten.  Und  wenn  das  geschehen  sein  sollte,  so  wäre  noch 
zu  erwägen,  ob  die  recension  des  NL,  die  auf  KI  -f-  II  eingewirkt  hätte, 
nicht  eher  etwa  NLII  gewesen  sein  sollte.  Eine  widerholte  beein- 
flussung  durch  dieselbe  quelle  ist  nicht  von  vorn  herein  ausgeschlossen 
(vgl.  s.  320  fg.  326  anm.  1).  Wir  können  also  aus  den  berührungen  mit 
dem  NL  nichts  weiter  schliessen,  als  dass  das  überlieferte  gedieht  nach 
1200  entstanden  sein  muss.  Das  schliesst  nicht  ein  zeitlich  nahes  Ver- 
hältnis zum  NL  ein;  das  gedieht  kann  sehr  wol  um  1230  oder  1240 
zu  stände  gekommen  sein.  Ohne  darauf  einzugehen,  bemerke  ich,  dass 
hier  Schönbachs  beweisführung  mir  überzeugend  vorkommt;  nur  da, 
wo  er  (s.  203)  dieses  urteil  auch  für  die  ältesten  teile  des  gedichtes 
gelten  lassen  will,  kann  ich  ihm  nicht  zustimmen  i. 

Yon  den  berührungen  mit  Biterolf  führe  ich  nur  die  oben  s.  3 13 fg. 
besprochene  stelle  an.  Wenn  die  meinungen  darüber  geteilt  sind,  welches 
der  beiden  gedichte  das  andere  benutzt  hat,  so  liegt  hier  doch  ganz 
gewiss  eine  stelle  vor,  wo  der  Küdrün  die  priorität  zukommt.  Denn 
für  die  Küdrün,  und  zwar  für  die  redaction  KI +  11  sind  die  namen 
Ludwig  und  Hildeburg  erfunden  worden.  Die  gestalten  stammen  freilich 
schon  aus  KI,  aber  hier  trugen  sie  andere  namen.  Die  recension 
KI +  11  muss  also  vorhanden  gewesen  sein,  als  die  Biterolfstelle  ent- 
stand. Freilich  ist  der  gewinn  kein  grosser,  wenn  wir  das  alter  der 
überlieferten  Biterolfrecension,  die  Jänicke  ca.  1210,  Holz  ca.  1240 
datiert,  in  betracht  ziehen. 

Etwas  sicherer  ist  die  auf  der  Titurelstrophe  fussende  Zeitbestim- 
mung. Dass  die  Strophe  eine  Variation  der  Küdrünstrophe  darstellt,  ist 
doch  wol  wahrscheinlich.  Und  dass  Wolfram  die  Strophe  nicht  aus 
unserem  gedichte  sondern  anderswoher  kennen  gelernt  habe,  was  Schön- 
bach für  möglich  hält,  ist  kaum  glaublich.      Schönbachs  ansieht  hängt 

1)  Wenn  Scbönbach  daselbst  behauptet,  uuv  ein  dichter,  dessen  Zeitalter  die 
höhe  der  höfischen  poesie,  epik  und  lyrik,  schon  zuriickgelegt  hatte,  habe  es  ver- 
mocht, eine  leidende  frau  in  den  mittelpunkt  einer  grossen  erzählung  zu  stellen,  so 
beruht  das  auf  einer  vorgefassten  meiuung  über  die  entwicklung  der  dichtung  und 
über  das,  was  ein  höhepuukt  heissen  darf.  Die  leidende  frau  finden  wir  schon  iu  der 
dänischen  zeit  der  stoffgeschichte. 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    HILDESAGE  343 

mit  der  theorie,  dass  die  Küdrünstrophe  ursprünglich  eine  lyrische 
Strophe  gewesen  sei,  zusammen,  wie  das  auch  von  der  Nibelungenstrophe 
behauptet  wird.  Für  diese  Strophe  aber  glaube  ich  den  Ursprung  aus 
der  Spielmannsdichtung  erwiesen  zu  haben  (Unters.  NS II,  llOfgg.),  und 
das  Verhältnis  der  Küdrünstrophe  zur  Nibelungenstrophe  liegt  offen  zu 
tage.  Es  wird  also  ein  bearbeiter  der  Küdrün  sein,  der  sie  aus  der 
Nibelungenstrophe  gebildet  luit^  Nimmt  man  also  einen  Zusammenhang 
zwischen  der  Titurelstrophe  und  der  Küdrünstrophe  an,  so  muss  man 
wol  schliessen,  dass  um  1215  eine  Küdründichtung  in  Küdrünstrophen 
existiert  hat.  Aber  diejenigen  forscher,  welche  diese  grenze  für  das 
überlieferte  gedieht  gelten  lassen  und  so  zu  einer  genauen  Zeitbestim- 
mung 1200  — 1215  (zwischen  Nibelungenlied  und  Titurel)  gelangen,  sind 
wol  im  unrecht.  Die  Wahrheit  ist,  dass  die  obere  grenze  für  eine  jüngere 
redaction  gilt  als  die  untere.  Unsere  Überlieferung  ist  jünger  als  1200, 
aber  eine  ältere  recension  ist  älter  als  1215.  Und  diese  kann,  wenn 
unsere  oben  s.  330  anm.  1  ausgesprochene  Vermutung,  dass  die  -quellen- 
lieder  noch  nicht  in  Küdrünstrophen  gedichtet  waren,  richtig  ist,  nur 
red.  K I  +  II  sein. 

Noch  etwas  weiter  zurück  führt  das  zeugnis  von  Klage  2206,  wo 
wie    in    Biterolf  Hildburc   von   Normandi    genannt  Avird^.      Wenn    die 

1)  Ihre  allmähliche  entstehung  lässt  sich  in  dem  gedichte  noch  deutlich  ver- 
folgen. Oben  s.  330  anm.  1  begegneten  wir  wenigstens  einer  Nibelungenstrophe,  die 
zu  dem  alten  bestände  gehört,  sogar  aus  einem  der  quellenlieder  zu  stammen  scheint. 
Ferner  ist  zu  fragen,  ob  nicht  eine  reihe  sogenannter  entstellungen  einfache  über- 
gangsformen  sind.  Es  begegnet  nämlich  eine  ganze  reihe  freilich  klingender,  aber  noch 
vierhebiger  Schlusszeilen,  die  entweder  gar  nicht  (wie  315.  335.  354.  378.  853  und 
viele  andere)  oder  nur  gewaltsam,  durch  die  überfährung  eines  Wortes,  das  metrisch 
und  syntaktisch  besser  in  der  vorletzten  halbzeile  stünde,  in  die  letzte  halbzeile  (wie 
397.  510.  724  u.  a.)  zu  fünfhebigen  umgemodelt  werden  können.  Daneben  begegnen 
auch  stumpf  ausgehende  Schlusszeilen,  die  fünfhebig  gelesen  werden  können  oder 
müssen,  wie  77.  287  u.a.  Es  scheint  mir  willküdich,  hier  überall  Verderbnisse  an- 
zunehmen oder  zu  glauben,  dem  dichter  sei  die  schwierige  stropho  nicht  gelungen. 
Ich  glaube  eher,  dass  aus  einem  schwanken  zwischen  vier-  und  fünfhobigem  ausgang, 

—  das  bei  der  Verschiedenheit  der  möglichen  betonung  sich  leicht  veretohen  lässt,  — 
und  zwischen  stumpfem  und  klingendem  ausgang,  —  das  sich  daraus  erklärt,  dass 
eine  vierhebige  klingend  ausgehende  zeile  auch  fünfhebig  stumpf  gelesen  werden  konnte, 

—  die  neue  regel  hervorgegangen  ist.  —  Die  vielen  Nibelungenstrophen  in  den  jüngeren 
teilen  des  gedichtes  stehen  ausserhalb  dieser  botrachtung;  sie  werden  mit  der  beein- 
flussung  der  letzten  redaction  des  gedichtes  durch  das  NL  zusammenhängen. 

2)  Es  fällt  auf,  dass  die  Klage  scheinbar  denselben  fehler  enthält  wie  die 
Biterolfstelle,  dass  Hildeburg  von  Normandi  genannt  wird.  Doch  darf  man  daraus 
auf  eine  von  Kudrüii  unabhängige  traditiou  nicht  schliessen.  Vielmehr  ist  die  stelle 
der  Klage  von  der  Küdrün,  die  Biterolfstelle  von  der  Klage  abhängig.    Die  Klage  sagt 


344  BOER 

zweite  rodaction  der  Klage  um  1185  entstanden  ist  (Untersuchungen 
NSII,  173),  so  werden  wir  zu  dem  Schlüsse  geführt,  dass  die  Verbin- 
dung KI +  11  nicht  jünger  als  ca.  1180  sein  kann. 

Freilich  verbietet,  wenn  wir  nur  diese  Zeugnisse  ins  äuge  fassen, 
nichts,  der  red.  KI +  11  ein  noch  höheres  alter  zuzugestehen.  Wenn 
die  wichtigen  gründe,  die  für  eine  späte  entstehungszeit  sprechen,  nur 
für  eine  jüngere  bearbeitung  als  KI +  11  gelten,  so  ist  für  diese  selbst 
nur  ein«  grenze  abwärts,  nicht  aufwärts  gegeben.  Die  christlichen  ele- 
mente,  die  sich  sogar  in  den  quellenliedern  finden  (vgl.  s.  326  anm.  1), 
beweisen  an  sich  noch  kein  junges  alter  i.  Aber  dass  die  redaction 
KI +  11  höher  hinaufzurücken  sei,  ist  doch  nicht  wahrscheinlich.  Denn 
die  entstehung  der  redaction  K I  +  11  deutet  auf  ein  erwachtes  starkes 
Interesse  für  den  stoff,  das  zu  neuen  bearbeitungen  führen  musste  und 
geführt  hat.  Man  wird  daher  den  abstand  zwischen  K I  +  II  und  den 
späteren  bearbeitungen  nicht  unnötigerweise  grösser  machen,  als  es  die 
data  erfordern.  Und  für  ein  höheres  alter  als  ca.  1180  spricht  keine 
einzige  tatsache.  Es  geht  nicht  an,  auf  einen  möglichen  paralleiismus 
mit  dem  Nibelungenliede  hinzuweisen,  dessen  quellenlieder  schon  um 
die  mitte  des  12.  Jahrhunderts  zu  einer  einheit  zusammeugefasst  wurden, 
denn  wer  kann  beweisen,  dass  ein  solcher  paralleiismus  mehr  als  ein 
hirngespinst  ist?  Die  Zusammenstellung  der  beiden  gedichte  als  einander 
ergänzender  Schwesterkunstwerke  hat  schon  unheil  genug  gestiftet.  Eher 
würde  die  vergleichung  mit  dem  Nibelungenliede  zu  einem  anderen 
Schlüsse  führen.  Wie  hier  eine  reihe  von  Umarbeitungen  von  ca.  1150 
an  schnell  aufeinander  gefolgt  sind  und  darauf  von  ca.  1200  an  die 
änderungen  nur  noch  einzelheiten  betreffen,  so  würde  der  analogieschluss 
nahe  hegen,  dass,  da  die  letzte  bearbeitung  der  Küdrün  mutmasslich 
zwischen  1230  und  1240  zu  stände  gekommen  ist,  die  eingehende  be- 
schäftigung  mit  dem  stotf  auch  um  ein  menschenalter  später  angefangen 
hat,  als  die  mit  dem  stoffe  der  Nibelunge. 

nicht,  dass  TTildeburg  die  tochter  Ludwigs  sei;  sie  berichtet  nur,  Hildoburg  sei  geborn 
von  Normandi.  Damit  kann  eine  tochter  dei'  aus  Küdriin  bokauuten  Hildeburg,  die 
ja  mit  Hartmuot  vermählt  wurde,  gemeint  sein;  sie  wird  ebenfalls  als  Jungfrau  be- 
zeichnet. Der  dichter  des  Biterolf  hat  diese  stelle  so  vorstanden,  als  sei  die  rede 
von  Küdrüns  gefährtin,  und  diese  hat  er  dann  zu  einer  tochter  Ludwigs  gemacht. 

1)  Eher  weisen  sie  auf  eine  ältere  zeit,  die  sich  von  der  kirche  noch  nicht 
emancipiert  hatte.  Ist  doch  das  12.  Jahrhundert  geradezu  eine  blütezeit  der  kirch- 
lichen litteratur.  —  Anders  steht  es  mit  den  ansichten  des  13.  Jahrhunderts  über  christ- 
liche dinge,  auf  welche  Schönbach  aufmerksam  macht.  Aber  dass  solche  in  den 
quellenliedern  oder  in  K  I  +  II  vorhanden  waren ,  müsste  erst  bewiesen  werden. 


UNTERSUCHUNGEN    ÜBEK    DIE    HILDESÄQE  345 

Auch  für  die  eutstehung  der  quellenlieder  K I  und  II  werden  wir 
uns  auf  einen  paraUelismus  mit  dem  Nibelungenliede  nicht  berufen 
können.  Die  Verhältnisse  liegen  hier  anders  als  dort.  Die  quellen  des 
Nibelungenliedes  sind  Varianten  eines  deutschen  gedichtes,  aber  Ur-K 
war  noch  dänisch,  und  KI  und  KII  sind  nicht  südlicher  als  an  der 
dänisch -deutschen  grenze  entstanden.  Das  legt  schon  die  Vermutung 
nahe,  dass  KI  und  KII  älter  als  QI II  des  NL  sein  werden.  Es  kommt 
hinzu,  dass  KI  und  KII,  wie  die  vielen  fremden  eleraente,  die  sie 
schon  vor  ihrer  widervereinigung  aufgenommen  haben,  dartun,  eine 
ziemlich  lange  entwicklung  durchgemacht  haben  und  gewiss  chronolo- 
gisch näher  bei  Ur-K  als  bei  KI-j-II  stehen.  Ich  stehe  daher  nicht 
an,  sie  noch  ins  11.  Jahrhundert  zu  stellen,  —  wie  weit  zurück,  wird 
sich  schwerlich  entscheiden  lassen.  Wenn  es  erlaubt  wäre,  die  von 
MüllenhofF,  Ztschr.  f.  d.  Alt.  12,  315fg.  angeführten  spärlichen  belege  für 
den  namen  Küdrün  als  Zeugnisse  für  KII  aufzufassen,  so  müsste  man 
sogar  ein  höheres  alter  annehmen,  aber  der  name  kann  gerade  so  gut 
aus  der  nordischen  Nibelungensage  wie  aus  der  dänisch -deutschen  KII 
nach  Süddeutschland  durchgesickert  sein '. 

Über  das  alter  von  Klb  lässt  sich  nur  sagen,  dass  nach  dem 
Zeugnis  von  Deors  Klage  seine  ersten  anfange  ins  7.  oder  8.  Jahrhundert 
hinaufreichen  müssen. 

Auf  die  frage  einzugehen,  wann  die  Überlieferung  nach  Süd- 
deutschland gekommen  ist,  und  in  welchem  dialect  KI  +  II  abgefasst 
war,  sehe  ich  in  diesem  Zusammenhang  keinen  grund.  Es  müssten 
dabei  ganz  andere  data  in  betracht  gezogen  werden,  als  sich  aus  unserer 
Untersuchung  ergeben  haben;  hier  wollte  ich  nur  aus  den  vorhergehen- 
den ausführungen  die  chronologischen  und  geographischen  Schlüsse 
ziehen. 

Diese  aber  lassen  sich  zusammen  mit  den  Verwandtschaftsverhält- 
nissen in  folgendem  Stammbaum  ausdrücken  (vgl.  die  tabellen  s.  202.  306): 

1)  Aus  der  erwähnung  "Wadas  im  WidsiS,  worüber  s.  215  zu  vergleichen  ist, 
dai-f  man  gewiss  nicht  auf  das  Vorhandensein  von  Ur-K  und  dessen  Spaltung  in  K  I 
und  II  .schlicssen.  Denn  wenn  dadurch  auch  bezeugt  ist,  dass  Wate  früh  als  ilagens 
gogner  auftrat,  so  folgt  daraus  nicht,  dass  er  schon  in  die  tradition,  die  zu  K  I  führte, 
aufgenommen  war,  viel  weniger,  dass  KII  sich  von  dieser  tradition  abgezweigt  hätte. 
Eine  solche  annähme  würde  auch  allen  unseren  übrigen  chronologischen  resultaten 
widersprechen.  Aus  der  auffassung  der  Wikinger  als  Sarazenen ,  die  aus  der  bezeichnung 
Serkland-Mörlant  hervorgeht  (s.  29G  anm.  2),  lassen  sich  kaum  sichere  chronologische 
Schlüsse  ziehen.  Diese  auffassung  findet  sich  auch  anderswo  (Deutüchbein  a.  a.  o. 
s.  17fg.);  sie  ist  aber  wol  vom  10.  Jahrhundert  an  möglich.  Und  ültor  i.stUr-K  kiiiini, 
und  KII,  wo  diese  auffassung  belegt  ist,  gewiss  nicht. 


346 


BOER,    UNTERSUCHUNGEN    ÜBER    DIE    HILDESAGE 


g^tq 


,W 


Ol      £ 


!-rd-5.'|;K 


tq— Ö — 's-M—     W 

rf^        CO         &-tN2        g^ 

&"  cl. 


AMSTERDAM 


R.  C.  BOER. 


SCIINKIDKK,    AMBROSUIS    ÖSTERREIfllEK  347 

MISCELLEN. 

Zwei  bisher  uul)elcaimtg^cbliel>ene  gediclile  des  Nürnberger  meistei'sUngers 
Ambrosius  (*)slerreifher  aus  dem  jähre  1562. 

Vou  dem  Nürnberger  meistersänger  Ambrosius  Österreicher  erwähnt 
K.  Goedeke,  Grundriss  zur  geschichte  der  deutscheu  dichtung- II 260  n.  41a— f  sechs 
üeder  (vgl.  Ph.  "Wackernagel,  Bibliographie  zur  geschichte  des  deutschen  kirchenlieds 
im  XVI.  Jahrhundert  541,  593,  595,  596;  derselbe.  Das  deutsche  kirchenlied  III 
n.  119Ö,  1197,  1198)  und  Schnorr  von  Carolsfeld,  Katalog  der  handschrifteu  der 
königl.  bibliothek  zu  Dresden  II  (1883)  p.  416,  418,  421,  490.  500  einige  andere 
aus  M.  5  nr.  9  s.  325  fg. ,  aus  M.  6  fol.  108  (aus  dem  jähre  1560),  fol.  109  (a.  d.  j.  1565), 
fol.  112  —  135,  aus  M.  8  fol.  76,  aus  M.  191  fol.  257  (a.  d.  j.  1564),  aus  M.  210 
(a.  d.  j.  1566)^  Jedoch  habe  ich  in  einem  sammelband  der  herzoglichen  gymnasial- 
bibliothek  zu  Gotha  (Alte  bibl.  nr.  1342;  8=  jetzt  Phil.  Bibl.  p.  379)  noch  zwei  bis- 
her unbekannte  gedichte  desselben  dichters  aus  dem  jähre  1562  gefunden,  die 
hier  veröffentlicht  werden  sollen. 

Von  diesen  gedichten  Österreichers  ist  besonders  das  erste  wegen  seiner 
Schilderung  eines  im  jähre  1561  in  Nürnberg  von  den  messerschmieden  auf- 
geführten Schwerttanzes  von  kulturhistorischer  bedeutung. 

Über  den  so  interessanten  schwerttanz,  der  nach  Tacitus  (Germ.  c.  24)  eine 
altgermanische  sitte  war  (vgl.  Simrock,  Deutsche  mythol.*  p.  276,  326;  K.  MüUenhoff, 
Deutsche  altertumskunde  IV  351,  573),  hat  MüUenhoff  erschöpfend  in  den  „Festgaben 
für  G.  Homeyer  zum  28.  VIII.  1871"  (Berlin,  AVeidmann)  s.  111  — 147  gehandelt  und 
in  der  ^  Zeitschrift  füi-  das  deutsche  altertum  und  deutsche  litteratur "  XVIII  p.  9  fg. 
und  XX  p.  lOfgg.  dankenswerte  nachtrage  hinzugefügt.  Vom  XV.  bis  ins  XVII.  Jahr- 
hundert hinein  ist  der  schwerttanz  in  den  verschiedensten  städten  geübt  worden-,  in 
Braunschweig  (1443),  in  Köln  (1487),  in  Ulm  (1551),  in  Hildesheim  (1583),  in 
Ditmarschen  (s.  Festg.  p.  129),  im  Hessischen  (s.  Wiuckelmann,  Beschreibung  der 
fürstentümer  Hessen  und  Hersfeld  1697  p.  373 fgg.  =  bei  MüUenhoff,  Festg.  p.  123fgg. 
und  bei  H.  Habbicht,  Thüringer  monatsbl.  XV  1907  s,  4  fgg.),  in  den  Henne  bergischen 
ämtern  Fischberg  und  Kalten -Nordheim  noch  1625  (s.  E.  Koch,  Thüringer  monats- 
blätter  XIV  1906  s.  33  fgg.),  auch  in  Thüringen  bis  zum  jähre  1651  (s.  meinen 
aufsatz  in  den  Thüringer  monatsblättern  XVI  1908  s.  18 fg.).  In  Nürnberg  sollen 
seit  1350  oder  1351  schwerttänze  gehalten  worden  sein  (s.  Kleine  geschichte  des  Nürn- 
bergischen schönbartlaufens ,  Altorf  i761);  und  Siebenkaes  (Materialien  zur  Nürnbergi- 
schen geschichte  III  p.  197  1794)  gibt  von  1490—1600  im  ganzen  14  jähre  an,  in 
denen  ein  solcher  tanz  der  messe r schmiede  daselbst  stattgefunden  habe''.  Eine 
kurze  aus  46  versen  bestehende  beschreibung  des  schwerttanzes  der  messorer 

1)  Letzteres  hat  die  Überschrift:  Ambrosius  Österreicher,  purger  und 
poet  zu  nurm  Berg  von  Metablasmus.  Historia  des  Edlen  und  Streitbaren  beiden 
und  Ritters  Achilli,  Welcher  aus  Egibten  Burtig  Sechzehen  Ritterlicher  und  un- 
menschlicher Thatengeubet,  auch  "Wasser  und  landt  Erstritten  hat.  Anno  1566.  (117blatt.) 

2)  MüUenhoff,  Festg.  p.  146  sagt:  „Der  schwerttanz,  wie  er  seit  dem  XV.  Jahr- 
hundert in  fast  allen  germanischen  ländern  getanzt  wurde,  ist  nach  aUon  merkmalen 
mit  dem  von  Tacitus  beschriebeneu  so  sehr  derselbe,  dass  wir,  obgleich  uachrichteu 
über  ihn  für  einen  Zeitraum  von  mehr  als  dreizehn  Jahrhunderten  fohlen,  eine  un- 
unterbrochene oder  doch  nie  ganz  unterbrochene  Überlieferung  von  der  urzeit  bis  auf 
die  gegenwart  für  ihn  annehmen  müssen". 

3)  Niimlich  luden  jähren:  1490,  1197,  1511,  1516,  1518,  1.537,  1539,  1540, 
1546,  1558,  1560,  15G1,  1570,  1600. 


348  SCHNEIDER 

ZU  Nürnberg  im  jähre  1540  verdanken  -wir  H.  Sachs,  gedichtet  16.  VII.  1560 
(=  Keller  und  Götze  XXIII  s.  183 fg.);  eine  umfangreiche  poetische  Schilderung  des 
Schwerttanzes  vom  3.  febr.  1600  von  einem  Hans  Weber  befindet  sich  handschriftlich 
und  noch  unediert  in  der  Nürnberger  Stadtbibliothek  (s.  MüUenhoff,  Festg.  120). 

Zu  unsern  kulturhistorischen  quellen  über  die  Nürnberger  schwerttänze 
der  messer schmiede  gesellt  sich  hiermit  das  bisher  unbekannt  gebliebene  gedieht 
des  meistersängers  Ambrosius  Österreicher,  der  uns  in  382  versen  den  1561  von 
den  messerern  veranstalteten  schwerttanz  ausführlicher  beschreibt,  indem  der  dichter 
fingiert,  er  habe  als  kleiner  knabe  (v.  326)  demselben  zugeschaut  und  durch  befragen 
eines  alten  mannes  (v.  65,  216)  und  einiger  anderer  leute  (v.  232,  249,  322,  330) 
erfahren,  was  es  für  eine  bewandtnis  mit  diesem  tanze  habe. 

"Wir  erfahren,  dass  am  sonntag  Estomihi  16.  februar  1561  (v.  1—4)  und  am 
darauf  folgenden  montag  (v.  239 fg.,  318;  vgl.  auch  H.  Sachs  s.  183,  6  an  gaüeti 
montag  vor  fasnacht  und  p.  184,3  gestert)\  die  messerer  (v.  72,  245,  290,  292, 
330),  zu  denen  nach  H.Sachs  183,32  „auch  die  zum  handwerk  helffen  thüen, 
Schlewffer  und  Klingen -scJunit'-'  gehören  und  denen  wegen  einer  .^löblichen  tkat" 
(V.  78  —  92)  von  des  kaisers  majestät  (v.  84)  das  privileg  zur  aufführung  eines  schwert- 
tanzes  verliehen'  und  speciell  vom  ehrbaren  und  weisen  rat  der  stadt  (v.  73 fg.,  367 fgg., 
378)  die  erlaubnis  erteilt  war,  ihren  tanz  aufführten.  Mit  gezückten  Schwertern 
(s.  V.  116,  135,  H.  Sachs  p.  183,  14  und  MüUenhoff,  Altertumskunde  IV  573)  in  den 
bänden,  dolch  und  waidmesser  an  der  seite  (v.  133),  schön  gekleidet  (v.  104,  293  u.  ö.) 
in  einem  weissen  kittel  (v.  120,  126)  ^  das  barret  auf  dem  köpfe  (v.  227)  ziehen  die 
messerer  (bei  H.  Sachs  183, 16  sind  es  431  f echter!)  unter  zulauf  von  tausenden  von 
menschen  (v.  60),  begleitet  von  einer  schar  berittener  söldner,  die  ihnen  der  rat  zum 
abhalten  des  drängenden  volks  gestellt  hat  (v.  93 fgg.)  zur  stadt  hinaus  zum  hause 
des  ersten  ratsherrn  (v.  109),  des  alten  herrn  Imhoff  (v.  36,  229)*,  vor  dessen  haus 
auch  die  übrigen  meister  schon  versammelt  sind  (v.  119).  Der  tanz  mit  allen  seinen 
verschiedenen  teuren,  unter  denen  1)  v.  145  der  Hupfauf  (ein  tanz  im  dreischritt 
[tripudium] ,  vgl.  Grimms  Wörterbuch  IV  2  p.  1952),  2)  v.  151  die  Brücke  (s.  H.  Sachs 
183,  21:  schlössen  darnach  eine  lange  prüecken,  mit  den  schivertern  hart  aneinander), 

1)  Auch  in  Hessen  und  Thüringen  sind  die  schwerttänze  nur  in  der  fasten - 
zeit  abgehalten  worden  (vgl.  Habbicht  a.  a.  o.  s.  5  und  Schneider  a.a.O.). 

2)  Bei  einem  aufruhr  i.  j.  1349  sollen  die  messerschmiedo  (und  die  metzger) 
dem  i-ate  treu  beigestanden  haben  und  deshalb  vom  kaiser  Karl  IV.  dies  privileg  er- 
halten haben  (s.  MüUenhoff,  Festg.  p.  119).  Wenn  Ambrosius  Österreicher  v.  85  sagt, 
dass  das  handwerk  der  messerschmiede  ,,alle  jähr"  diesen  tanz  halten  dürfte,  so 
steht  das  nicht  in  Widerspruch  mit  den  angaben  von  H.  Sachs  p.  184,  6fg.:  Und 
halteti  den  schwertanx  vürivar  „fast  almal  über  sieben  j'ar'-  und  von  Siobenkaes 
yfast  alle  sieben  Jahr",  wenn  man  annimmt,  dass  er  ihnen  zwar  alle  jähre  zuhalten 
erlaubt  war.  aber  in  Wahrheit  —  der  kosten  wegen  —  nur  ungefähr  aUe  sieben  jähre 
ausgeführt  wurde  (vgl,  oben  anm.  3). 

3)  Das  weisse  hemd  der  schwerttänzer  ist  auch  für  Hessen,  Ulm,  Breslau  usw. 
bezeugt  (MüUenhoff,  Festg.  p  126).  Österieichor  nennt  es  ,Jiartxkittel  weiss",  ein 
wort,  das  sonst  nirgends  vorkommt  (Grimms  wöiterbuch  IV,  2  p.  522,  vgl.  hartz- 
kappe);  auch  sonst  gebraucht  der  dichter  nicht  nachweisbare  werte:  v.  1.S4 
Waidtier  (^waidmesser),  v.  191  Tusseeke  (=  eine  waffe  zum  stoss),  v.  244  Weittor  ff 
(=  weiter  platz,  ==weitfcld),  v.  262  Göckelman  (=  Gökelhahn). 

4)  Wie  der  zusatz  ^ alter  herr"  ergibt,  kann  1561  kein  anderer  als  Johann  II. 
Imhoff,  aus  dem  „altadligen  tournior-  und  stiftsmässigen  ratsgeschlecht  der  Imhoff 
zu  Nürnberg",  der  gemahl  der  Felicitas  Pirkheimor,  der  Schwiegersohn  des  hoch- 
berühmten Willibald  Pirkheimers,  gemeint  sein  (vgl.  Witt,  Nürnberg.  Gelehrtea- 
lexicon  II  231). 


AMBROSIUS    ÖSTERREICHER  349 

3)  V.  165,  177,  299  die  bildung  der  rose*,  4)  das  Parat  am  ende  des  kampfes  (219, 
273),  5)  V.  211fgg.  die  köpfungstour-,  6)  die  kämpfe  auch  mit  anderen  waffen 
{191  —  193)"  und  mit  Stangen  (v.  199)  hervorzuheben  sind,  wird  von  v.  136fgg.  be- 
schrieben und  zwar  zunächst  der  der  meister  (130  —  230),  sodann  der  der  meisters- 
söhne  und  lehrjungen  (235  —  284)*  vor  dem  hause  des  ersten  bürgermeisters;  kurz 
wird  der  in  der  Stadt  vor  den  häusern  der  vier  ältesten  ratsherren''  (251  fg.)  ausge- 
führte erwähnt.  Damit  schliessen  die  festlichkeiten  des  ersten  tages.  Am  zweiten 
festtage  findet  eine  Wiederholung  der  tanze  auf  dem  „herrenmarkt"*  (v.  239 fgg.)  statt 
und  zwar  wieder  der  meister  (v.  285  —  313),  dann  der  knaben  (v.  314 fgg.);  den  be- 
schluss  der  feier  bildet  das  feierliche  abholen  der  Jungfrauen  (v.  330  fgg.)  zum  tanze, 
der  am  „  Fortenbach  "  (v.  349  fgg.)  stattfindet. 

Manches  von  H.  Sachs,  der  ja  nur  den  zweiten  festtag  beschreibt,  wird  durch 
die  Schilderung  Österreichers  erst  ins  rechte  licht  gerückt;  dass  letzterer  aber  seinen 
grossen  landsmann  und  Zeitgenossen  nachgeahmt  hat,  ergibt  sich  aus  dem  ganz  ähn- 
lichen eingang  und  namentlich  schluss,  aber  auch  aus  folgenden  parallelen:  v.  IBe^ 
H.  Sachs  p.  183,7;  v.  65  <^  183,  28;  v.  104  (293)  <^  183, 11;  v.  116<v- 183, 14;  v.  151  ^ 
183,21;  V.  181(^183,20;  v.  189  tv;  183,  23;  v.  236(^-183,32;  v.  304(^183,23. 

Das  zweite  hier  veröffentlichte  gedieht  ist  ein  geistliches,  zur  zeit  der 
pestilenz  zu  singendes  lied  wnd  besteht  aus  zwölf  zehnzeiligen  Strophen;  deren 
reimschema:  abahccdeed  ist.  A.  Fischer,  Kirchenliederlexicon,  kennt  es  ebensowenig 
als  Goedeke  und  Wackernagel. 

Die  Interpunktion ,  die  im  ersten  gedichte  gänzlich,  im.  zweiten  zum  teil  fehlt, 
habe  ich  des  besseren  Verständnisses  halber  eingesetzt. 

I. 
S.  1.  Der  Schwerdttantz: 

Mit  was  zier  und 

Tapfferkeit  derselbige  im  ein- 

und  sechtzigsten  Jahr,  den  XVI.  Fe- 

hruarii,  in  der  löblichen  reichstat  Nürmberg 

daselbst  auss  vergunst  eins  Erbarn  wey- 

sen  Raths  einem  löblichen  Hand- 

werck  zugelassen,  und  gehalten 

worden  ist.  In  Reim  verfas-     * 

set,  und  kurtzweilig  zu 

,    lesen. 

[titelvignette.] ' 

1562. 

1)  Diesen  terminus  technicus  für  die  rosetteoförmig  zusammengehaltenen  Schwer- 
ter, auf  die  dann  einer  oder,  wenn  jnehrere  loscn  gebildet  waren,  mehrere  fechter  stiegen 
(v.  167,  300)  bezeugt  auch  Olaus  Magnus  (1555)  bei  MülIenhofT,  Festg.  p.  122):  sese 
—  in  modutn  figurae  hexagoni  fmgendi  subiciunt ,  quam  rosavi  dicunt. 

2)  Vgl.  MüllenhofY  a.  a.  o.  XVIIl,  11;  XX,  18:  „Hervorzuheben  ist  die  köp- 
fungstour, bei  der  der  hals  des  vortänzers  so  dicht  von  Schwertern  umkreist  wird,  dass 
es  aussah,  als  sollte  er  von  allen  seiten  her  abgeschnitten  werden  (s.  v.  212!). 

3)  Vgl.  H.  Sachs  p.  183,28:  in  allen  tvcrn. 

4)  Vgl.  H.  Sachs  p.  183,32:  und  ir  siicn. 

5)  Vgl.  dagegen  H.  Sachs  p.  184,5:    Vür  den  heusern  der  sieben-  Herrn.' 

6)  Dieser  wird  noch  v.  7,  240,  319  erwähnt  und  286,  309,  324  markt,  315 
platz  genannt. 

7)  Auf  einem  von  zwei  bäumen  bestandenen  hügeligen  platze  kämpfen  zwei 
mit  einer  Sturmhaube  versehene  und  sonst  gewappnete  Streiter  miteinander,  von  denen 


350 


SCHNEIDER 


S.  2.  Als  tausent  und  fünff hundert  Jar 
Ein  und  sechtzig  die  Jarzal  war 
Den  sechtzehenden  Februari 
Am  Sontag  genandt  Esto  mihi, 
"War  mir  mein  weil  daheim  so  lang;     [5] 
Deshalb  ich  mir  fürnam  ein  gang 
Zu  gehn  am  Herren  Marckt  hinfür, 
Und  als-  ich  nah  kam  für  mein  thür, 
Da  sah  ich  von  gemeinem  hauffen 
Ein  auft'rur  und  ein  gross  zulauffen     [10] 
Von  Buben,  Mayden,  Mann  und  frawen; 
Ich  war  vernarrt  und  thet  zuschawen, 
Gedacht  (hilff  Gott!),  was  will  da  wern; 
Dasselbig  möcht  ich  wissen  gern, 
Mein    hertz  vor   schrecken    thet   er- 
kalten.    [15] 
Da  sah  ich  erst  von  jung  und  alten 
Ein  gross  zulauffen,  von  arm  undreychen; 
Ich  het  nie  gesehen  dessgeleichen. 
Was  doch  wolt  werden,  west  ich  nit; 
Ich  nam  mein  Rock  und  lieffauch  mit;  [20] 
In  beide  Hend  thet  ich  in  fassen. 
Und  als  ich  kam  in  die  Korgassen  \ 
Lieff  als  Gsind  Sanct  Loreutzen  zu 
Mit  grosser  ungestüm  und  unrhu. 
Vor  mir  lieffen  viel  grober  Knollen,    [25] 
Da  fiel  ich  über  ein  Eissschrollen, 
Das  ich  mich  streckt,  so  lang  ich  was. 
Und  mir  auch  blutet  Mund  und  Nass; 

S.  3.  Ich  schemet  mich,   wurd  zu  unrhu. 

Da  spottet  mein  als  Volck  dazu,         [30] 

Und  musten  all  des  possens  lachen; 

Ich  nam  mich  nicht  sehr  an  der  Sachen, 

Wischt  wider  auff  behend  und  jach 

Und  lieff  den  andern  Leuten  nach. 

Als  ich  kam  durch  die  gassen  nauss  [35] 

Fürs  alten  Herren  im  Hof  hauss, 

Da  mocht  ich  die  leut  sehen  besser: 

Das  volck  het  auffgestelt  viel  Fesser, 

Und  Bretter  oben  drauff  gelegt; 

Die  gassen  war  gar  eng  versteckt,      [40] 

Yederman  dadurch  lauffen  was; 

Must  gehen  zwischen  zwey  grosse  Vass, 

Das  war  eng  wie  ein  Kornfurch, 

Und  als  ich  musste  kriechen  durch. 


Wollt  ich   mich   schnell    zwingen  durchs 

mittel,     [45] 
Riss  ich  ein  gross  loch  durch  mein  kittel, 
Der  mir  an  einem  raiff  behing, 
Und  als  viel  Volckes  durchhin  gieng. 
Kundt  ich  nit  kommen  von  dem  Fass, 
Das  Volck    beim    loch    sich    samlen 

was,     [50] 
Yeder  wolt  sein  zum  ersten  drauss 
Und  drenget  sich  mit  gewalt  hiuauss, 
Ketten  mich  schier  am  fass  erdrückt, 
Kaum  ich  mich  der  onmacht  erquickt; 
Und  als  ich  nauss  kam  auf  den  platz,  [55] 
Sah  ich  viel  Volcks  stehn  im  geschwatz; 
Ich  stellet  mich  auch  untern  hauffen,  S.  4. 

Do  ward  noch  erst  ein  gross  zulauffen 
In  kurtzer  zeyt  der  Vöicker  scharen 
Etlich  tausent  sich  samien  waren,       [60] 
Von  reich  und  armen,  alt  und  jungen. 
Und  als  sie  in  einander  drungen. 
Stund  ich  bey  einer  gantzen  stund. 
Das  ich  kein  Gschicht  vernemen  kund; 
Neben  mir  stund  ein  alter  Man,  [65] 

Denselben  sprach  ich  freuntlich  an: 
Mein   freund,   sprach   ich,   verzeucht   mir 

das, 
Köndt  ir  mich  nicht  berichten,  was 
Doch  allhie  wil  für  wunder  wern, 
Dasselbig  möcht  ich  wissen  gern.        [70] 
Der  alt  sprach  zu  mir  on  finantz: 
Die  Messerer  werdn  habn  ein  tantz, 
Ist  in  erlaubt  in  dieser  Stadt 
Von  eim  Erbaren  weysen  Rath. 
Ich  sprach:  warumb  die  Messerer      [75] 
Und  sonst  kein  ander  Haudwerck  mehr? 
Er  sprach:  das  löblich  Handwerck  hat 
Begangen  ein  löbliche  that; 
Darumb  sie  haben  solch  freyheit 
In  dieser  Stadt  vor  langer  zeyt  [80] 

Erworben  mit  seiner  ankunfft 
In  der  Erbaren  Meyster  zunfft 
Mit  Privilogio  und  gnad 
Von  Keyserlicher  Mayestat, 
Den  tautz  zu  halten  alle  jar;  [85]  S.  5. 

Und  noch  ein  merers  auch  fürwar 


jeder  ein  langes  breites  schwort  mit  beiden  bänden  erfasst  hat,   der  eine  zum  stoss, 
der  andere  zum  hieb.     Neben  ihnen  liegt  ein  zu  bodcn  gefallener  kämpfer. 
1)  Nicht  sicher,  ob  Koryassen  oder  Kotgassen  zu  lesen  ist. 


AMBROSnJS    OSTEKREICHKR 


351 


Hin  ist  gegeben  allen  sander, 
Das  einer  sowohl  als  der  ander 
Darff  fürn  ein  Königliche  Krön 
Der  löblichen  that  zu  dencken  dron    [90] 
Ihren  Jünglingen  und  Nachkommen; 
Die  froyheit  haben  sie  die  frommen, 
lu  dem  sah  ich  unter  den  leuten 
Auff  gewalting  hohen  Rossen  reytten 
Etlich  Menner  wie  die  ausslender.       |95] 
Ich  fraget:  wer  sind  diese  Mender? 
Er  sprach:  es  sind  Söldner  darneben, 
Sind  in  zu  ehren  zugegeben, 
Das  sie  das  Volck  treiben  in  zäum, 
Das  sie  am  tantzen  haben  räum.       [100] 
Als  er  das  redt,  da  hört  ich  frey 
Trummen  und  der  Trommeten  gschray; 
Nach  diesen  tautzt  hernach  fürwar 
Ein  wol  kleidt  ordentliche  Schar, 
Geziert  mit  varben  mancher  band,    [105] 
Von  samniat  und  seydn  war  ir  gewant; 
Die  Söldner  sprengten  untert  Jeut, 
Machten  ein  platz,  lang,   breit  und  weyt 
Für  den  Ehrnuesten  Herren  hauss 
Im  Hof,  welcher  selbs  sah  herauss  [110] 
Mit  grosser  meng  volcks  überal; 
Bei  ihm  stund  offen  Kammern  und  Sal, 
Dadurch  viel  Erbar  leut  aussgutzten. 
Da  kam  die  Schar  der  wolgeputzten, 
Ein  yeder  trug  zu  seinem  standt       [115] 
Ein  glitzernd  schwerdt  und  schön  gewand; 
Als  sie  auff  den  platz  theten  neben 
Und  ich  sie  besser  kondte  sehen, 
Ein  yeder  gab  den  Meistern  preiss, 
Yeder  hett  ein  Hartzkittel  weiss  •     [1,20] 
Von  Barchant  und  von  Leinwat  klar, 
Der  j'eder  schön  verbremet  war 
Mit  Borten,  leisten  mancherley, 
Etlich  waren  geboschelt  frey 
Mit  mancher  färb  von  guter  Seyden,  [125] 
Die  Kittel  waren  weiss  wie  Kreyden, 
Hetten  darüber  vorn  und  hinten 
Von  mancher  färb  schön  seyden  pinten; 
Yeder  trug  auch  mit  gantzem  fleiss 
Auff  scim  Paret  ein  Federn  weiss,    [130] 
Waren  geziert  mit  flinder  und  gold. 
War  anzusehen  lieblich  und  hold; 
Viel  theten  an  der  seyten  tragen 
Dolchn  und  Waidner  mit  silber  bschlagou, 


Die     Sonn     schein     in     die     Schwerdter 
glantz;     [135] 
Nach  dem  hub  sich  frey  an  der  Tantz, 
Der  stund  gar  wol  an  alt  und  jungen. 
Vornher  erbare  Meyster  Sprüngen 
Nach  art  und  sitten  gleich  der  Gschlechter, 
Mitten  in  Rayen  tratten  Fechter,       [140] 
Die  den  Tantz  orndten  umb  und  umben,     S.  7. 
Gar  tapffer  schlug  man  in  die  Trummen; 
Yetzt  tantztens  hin,  dann  tantztens  her. 
Den  rayen  fürtens  über  quer, 
Etwan  thetens  den  Hupauff  springen,  [145] 
Dann    schlossens    zsam    der    schwerdter 

klingen ; 
Yetzt  schluffens  dadurch  darnach  dort 
Und  namen  ein  mancherley  ort, 
Darnach  hubens  die  Schwerter  hoch. 
Der  gantze  Rayen  durchbin  kroch ;    [150] 
Nach  diesem  machten  sie  ein  Brücken, 
Brauchten  viel  Kunst  von  f reyen  stucken ; 
Denn  theilten  sich  in  zwo  parthey 
Und  Sprüngen  gegn  einander  frey 
Mit  auffgereckten  schwerdtern  glantz  [155] 
Und  Sprüngen  gleichwol  iren  Tantz; 
Geschwind  sie  den  rey  umbher  fürten; 
Wann  dann  die  Schwerdt  einander  rurten, 
So  klapperet  es  unter  in  allen 
Gleich  sam  der  Himel  ein  wolt  fallen,  [160] 
Wiewol  das  gsicht  es  lustig  macht 
Als  gar  ein  ernstliche  Feldschlacht. 
Doch  erschrack  ich  und  wurd  gantz  rot. 
Dacht,  sie  schlf.gn  all  einander  ztod. 
Denn  schlossens  Rosen  alle  sander,  [165] 
Giengen  allwegen  zwo  gen  ander, 
Darauff  stigen  gar  gschwinde  Fechter, 
Ein  yeglicher  wolt  sein  ein  rechter, 
Droeten  einander  ernstlich,  S.  8. 

Einer  mit  schlegn,  der  ander  mitstich,  [170] 
Traffen  einander  nach  irm  packt 
Tapffer  auff  die  köpff,  das  es  knackt, 
Einer  wurd  geschinitzet  auff"  den  giel. 
Das  im  die  Schlappen  ins  kot  fiel. 
Als  nun  das  fechten  het  ein  end,      [175] 
Sprüngen  die  Fechter  rab  behend. 
Fürten  die  Rosen  auss  einander, 
Das  wider  ein  Ray  wurd  allsander. 
Als  nun  der  tantz  sich  enden  wolt 
l'nd  man  den  Ray  beschliessen  solt,  [18Ü| 


352 


Triebens  viel  stück,  die  ich  nit  waiss, 
Darnach  machteus  ein  weyten  kreiss, 
Stellten  sich  gegn  einander  frey; 
Do  sah  man  mitten  in  dem  Ray 
Gar    manchen    künstling    Fechter    sprin- 
gen,    [185] 
Die  auffschwungen  der  schwerdter  klingen, 
Machten  ir  possn  mid  legten  nider, 
Kürtzliph  thetens  auffheben  wider; 
Gegen  einander  trat  par  und  par, 
Schlugn  frey  dapffer  zusammen  dar    [I90j 
Mit  Tussecken  und  Helleparten, 
Davon  fielen  trümmer  und  scharten; 
Dort  tratten  zwen  zusam  mit  säbeln 
Theten  umb  den   puckl   einander  -webeln. 
Dort  traff  einer  ein  auff  die  faust,    [195] 
Der  ander  auff  dem  grind  im  laust; 

S.  9.  Etlicher  wurd  gschmitzt  auff  die  Stirn, 
Das  im  der  schwinde]  kam  ins  Hirn, 
Ihr  zwen  kamen  mit  kurtzen  Stangen, 
Kondten  einander  listig  fangen,         [200] 
Dieser  thet  gen  für  das  Gsess  stopffen, 
Jener  thet  in  ine  seyten  proffen. 
Das  er  daumelt,  fiel  schir  in  dreck; 
Nach  dem  giengen  sie  alle  weck, 
Das  der  platz  wurd  gar  öd  allein.     [205] 
Do  trat  einr  frey  tapffer  hinein. 
Des  kleidung  war  viel  kostens  werd, 
Trug  in  der  Hand   ein  zitterut  schwerdt, 
Macht  geschwind  possen  hin  und  wider, 
Tetzt    für    er    auff,    denn    schlug    er 

nider,     [210] 
Dann  macht  er  umb  den  Hals  ein  leyden, 
Sam  wolt  er  im  den  selbs  abschneyden, 
Bog  darnach  zsam  beid  ort  der  klingen. 
Meisterlich  kundt  er  dardurch  springen. 
Des  ich  mich  nit  gnug  wundern  kundt.  [215] 
Ich  fragt  den  Mann,  der  nebn  mir  stund; 
Lieber,  wie  stellt  sich  der  so  rauch? 
Er  sprach:  es  ist  der  Fechter  brauch. 
Das  ein  Meister  schlegt  das  Parat, 
Sobald  das  fechten  ein  end  hat,       [220] 
Und  das  ist  der  beschluss  der  kunst, 
Daraus  entspringt  gross  lob  und  gunst; 
Ich  sprach:  die  kunst  gar  wol  er  kan. 
Als  das  Parat  ein  end  gewan, 

S.  10,  Tratten  ir  etlich  in  den  Ray  [225J 

Inn  aller  erbarkeit  gantz  frey. 


Zogn  ire  Pirret  ab,  damit 

Neigten  sich  nach  höfflichem  sit 

Gegen  dem  alten  Herrn  im  Hof, 

Gar  viel  volcks  von  dem  hauffen  lof,  [230] 

Der  wincket  in  mit  dauck  herauss. 

Ich  fragt  ein,  ob  der  Tantz  wer  auss. 

Der  antwort:  ja  aber  yedoch 

"Werden  auch  n acher  kummen  noch 

Der  Erbarn  Meyster  lehre  Knaben,  [23.5] 

Ihr  viel  auch  Sön  darunter  haben. 

Die  auch  auff  die  weiss  werden  halten 

Ein  solchen  Tantz  gleich  wie  die  alten. 

Und  morgen  werden  sie  allsander 

AmHerrenmarckttantzenmiteinander;[240] 

Die  Herrschafft  hat  vor  etlich  tagen 

Ihn  zu  ehrn  schrancken  lan  auffschlageu, 

Das  sie  vom  Volck  bleibn  unbedreugt, 

Ihr  weittorff  haben  ungeengt. 

Als  nu  die  Messerer  wegdrungen,     [245] 

Hett  ich  nur  achtung  auff  die  jungen. 

Waiss  nit,  wo  die  alten  hinkamen. 

Ich  hetts  verlorn  allesamen. 

Doch  fragt  ich,  wo  sie  hin  wern  kommen? 

Einer  antwort:  ich  hab  vernommen,  [250] 

Sie  werden  tantzen  in  der  Stadt 

Für  den  vier  Eltesten  im  Rath. 

In  diesem  hört  ich  gleich  ein  Trummen,       S. 

Bald  drauff  theten  die  knabeu  kommen 

Und  hielten  auch  frey  ireu  tantz       [255] 

Nach  meisterlicher  observantz; 

Fingen  all  sach  klüglichen  an. 

Gleich  wie  die  alten  betten  than; 

Und  unter  diesen  jungen  allen 

Thetn  mir  zwen  kleiner  Puben  gfaUen,  [260] 

Den  stund  all  ir  sach  wercklich  an 

Gleich  wie  zwen  kleiner  Göckelman, 

Mit  schwingen,  springen  und  mit  fechten 

Thetens  bevor  sunst  allen  schlechten; 

An  einem  grossen  kam  der  klein      [265] 

Und  wuscht  im  bhend  nauss  durch  die  beiu; 

Auch  kundt  er  soviel  pösslein  machen, 

Das  yederman  sein  hett  zu  lachen. 

Als  nun  der  Tantz  het  auch  ein  endt, 

Da  trat  einer  herfür  behend,  [270] 

Ein  schöner  Knab  im  roten  kleid. 

Der  kund  auch  der  Fechtmeister  bscheid. 

Der  thets  Parat  fein  höflich  schlagen. 

Ich  sah  in  zu  und  streckt  mein  kragen, 


AMBROSIUS    ÖSTERREICHER 


353 


Er  war  der  künstlichst  unter  in  allen,  [275] 
Ich  hett  ob  im  ein  gross  gefallen: 
Meisterlich  er  sich  stellen  kund, 
Ernstlich,  höflich,  hurtig  und  rund 
"War  er  mit  fechten  und  auch  springen, 
Das  schwerdtlein  kund   er  lustig  schwin- 
gen.    [280] 

S.  12.  Als  nun  gar  ein  end  hett  ir  sach, 

Tantztens  den  alten  gmachsam  nach; 
Alles  volck  gieng  mit  in  davon, 
Da  ward  ich  auch  mein  weg  heim  gon. 
Zu  morgens  frü,  da  es  vier  schlug,  [285] 
Gmachsam  am  marckt  ich  fürhin  zug, 
Des  Tantz  het  ich  lust  in  gedancken; 
Ich  setzt  mich  oben  auff  die  schrancken ; 
Sas  schier  dorauff  zwo  gantzer  stund, 
Kein  Messerers  tantz  ich  sehen  kund.  [290] 
Nach  kurzem  kam  gezogen  her 
Das  löblich  Handwerck  der  Messrer, 
"Wol  klaidt  mit  ordentlicher  Schar, 
AVie  dann  vorigs  tags  geschehen  war; 
Doch  fachten  yetzund  mehr  partey :  [295] 
Etlich  alt  erbar  Meyster  frey 
Tratten  tapffer  gen  ander  her, 
Gleichsam  es  in  lauter  ernst  wer; 
Als  sie  die  Rosen  schliessen  gundten, 
Stiegen  darauff  viel  freyer  künden    [300] 
Von  erbarn  Meistern  und  Gesellen, 
Kondten  sich  tapffer  ernstlich  stellen; 
Doch  unter  disen  allen  sander 
Fachten  zwen  geschickte  mit  einander. 
Die  rissen  einander  zu  poden,  [305] 

Damit  das  fechten  gwan  ein  knoden; 
Die  Rathsherren  theten  zuschawen, 
Stunden  oben  bey  unser  Frawen 

S.  13.  Gegen  dem  Marckt  auff  einen  gang; 
Dem    gfiel     ir    weiss    wol ,    und   nit 

lang    [310] 
Machten  sie  des  tantz  gar  ein  end, 
Neigten  sich  vor  den  Herren  bhend, 
Und  tantzten  widerumb  darvon. 
Der  knaben  tantz  fing  sich  erst  an, 
Den  sah  ich,  der  platz  wurd  beengt,  [315] 
Das  volck  mich  weit  hinunter  drangt. 
Ich  gieng  darvon  und  dacht  mit  fug: 
Ich  sah  mirs  heut  und  gestern  gnug; 
Und  gieng  an  Herren  Marckt  hiuauff, 
Nit  waiss  ich,  wenn  sie  hörton  auff.  [.320] 

ZKITSCHRIFT    >'.    UKDTSCHK    PHII.OLOCIIK.       BD. 


Bey  einem  guten  Gselln  ich  stund, 

Vom  tantz  zu  reden  mit  im  bgund; 

Als  ich  bey  im  stund  ein  gut  weil. 

Das  Volck  lieff  übern  marckt  mit  eyl. 

Alles  gegu  Sanct  Lorentzen  zu.         [325] 

Ich  lieff  mit  als  ein  kleiner  pub 

Und  wolt  auch  sehen  diesen  strauss. 

Das  volck  stellt  sich  fürs  Stromers  hauss. 

Ich  fraget:  was  thun  hie  die  leut? 

Do  sagt  man  mir:  zwo  Messrers  Breut  [330] 

Werden  do  aussgehii  beide  sander. 

Ich  sagt:  wie  so  zwo  mit  einander? 

Man  sagt:  die  Meister  on  verdriessen 

Und  die  Gselln  eine  haben  müssen. 

In  kurtzen  öffnet  man  das  hauss,      [335] 

Die  zwo  Breut  füret  man  herauss; 

Die  ein  zwen  Menner  füren  theten,  S.  14. 

Die  ander  het  zwen  Gselln  neben  ir  tretten, 

Welche  sich  züchtig  kundten  stellen 

Und  warn  fein  hurtige  Gsellen.         [340] 

Die  Breut  hettn  auff  der  Gschlechter  Krön, 

Waren  zierlich  und  wolanthau. 

Schön  auff  der  Gschlechter  art  geputzt, 

Eine  lechelt,  die  ander  schmutzt; 

Nach  in  giengen  die  Gselln  allsandt,    [345] 

Ein  yeder  fürt  an  seiner  band 

Ein  Junckfraw  wol  geputzt  und  zart, 

Schön  und  nach  bürgerlicher  art; 

Yegkliche  Junckfraw  zu  dem  tantz 

Het  iten  fürer  gebn  ein  Krantz.        [350] 

Wo  sie  hin  giengen,  lieff  ich  nach; 

Sie  giengen  ein  zum  Fortenbach, 

Da  hub  sich  der  Tantz  züchtig  an. 

Gar  höflich  sprangen  Weib  und  Man, 

Dergleich    die   Gsellen    und    Junck- 

frawen.     [355] 
Mein  herz  frewt  sich  den  tantz  zu  schawen, 
Mich  daucht,  es  wereu  lauter  Engel, 
Vor  ihm  her  tantzet  ein  Vorhengel. 
Es  gieng  frey  zu  nach  art  der  Gschlechter, 
Höflich   Sprung  mancher   freyer  Fech- 
ter.    [3ßO] 
Ich  sah  ein  Rayen  oder  drey 
Und  het  mein  schir  vergessn  darbey; 
Ich  gieng  heimwartz,  gedacht  bei  mii": 
Das  ist  ein  Holdselige  zier, 
Lieblich  zu  sehen  Mann  und  Frawen,  [365]  S.  15. 
Ein  .schöner  spectackel  zu  schawen; 
XL.  23 


354 


Wol  thut  ein  Erbar  weyser  Rath, 
Der  seiner  Gmein  in  dieser  Stadt 
Vergunt  und  erlaubt  solch  freyheit, 
Das  doch  zugeht  mit  einigkeyt  [370] 

Und  die  Gemein  durch  liebe  brunst 
Gwint  zu  ihr  Herrschaft  lieb  und  gunst, 
Und  wirdt  ir  auch  zu  aller  zeit 
Mit  dienst  sein  gutwillig  bereit 
Ghorsam,  friedlich  und  unteilhan,     [375] 
Wirdt  ir  allzeyt  trewlich  beystan 


Von  wegen  der  freyheit  und  gnad, 
Die  in  vergünt  ein  weyser  Rath; 
Daraus  entspringt  dann  alles  guts, 
Fried,  einigkeit,  gemeiner  nutz,         [380] 
Wohlfart,  heyl  und  glück  auch  zugleich, 
So  spricht  Ambrosius  Österreich. 

Getruckt  zu  Strassburg,  im 
Jahr  1562. 


S.  1. 


II. 

Ein  new  christlich 
Lied  zur  Zeit  der  Pestlentz  zu  sing- 
en, darinn  man  Gott  ernstlich  bey  seiner 
zusag  vermanen,  und  von  hertzen  anruffen 
und  bitten  sei,  das  er  die  fürgeuommene  manigfaltige 
plagen,  die  yetzt  vor  äugen  als  Pestilentz,  Krieg  und 
Thew^re  zeyt,  damit  er  uns  ernstlich  und  schröcklich 
umb  imser  sünden  viller  straffen  wil,  abwenden, 
und  uns  sein  Götliche  gnad  verleihen  wöll. 
Es  möchte  auch  wol  in  Kirchen,  und  in 
eim  yeden  Hauss  teglich  gesungen 
werden,  auff  das  uns  Gott  dest 
ehe  erhören  und  von  seinem 
zorn  lassen  wolt. 

Sing  mich  frölich  im  Thon  der  not, 
Der  Thöricht  spricht  es  ist  kein  Gott. 

Du  Haussvater  kauff  mich  mit  ehren, 
Lass  mich  dein  Haussgsind  fleissig  leren. 

Das  sie  mich  teglich  im  Hauss  singen, 
Und  lass  mich  Gott  zu  lob  erklingen. 

So  wirstu  bald  erfarn  than, 

Das  dir  kein  plag  nicht  schaden  kan. 
1562. 


S.  2. 


1. 
HERR  Gott  im  himel  starcker  Gott, 

Erschiöcklich  ist  dein  Name. 
All  Creaturen  in  der  noth, 

Dich  förchten  allesamme. 
Von  der  Krafft  deines  antlitz  werdt, 

Deins  zorens  droen  uns  beschwert. 
Unleidlich  ist  dein  zoren. 

Wir  haben  all  gesündigt  seer. 
Über  die  zai  des  Sands  am  Meer, 

Lass  uns  nicht  sein  verloren. 


Wir  waren  Gottloss  allesandt, 

Unsre  Sünde  erscheinen 
Vor  uns,  die  wir  getrieben  handt, 

Wir  wichen  all  von  deinen 
Helling  geboten  allezeit. 

Du  weist  unser  gebrechlichkeit. 
Wir  kunten  nicht  erfüllen 

Auch  unsre  Eltern  deine  recht, 
Die  durch  Moisen  deinen  knecht 

Uns  gabst  nach  deinem  willen. 


I 


AMBROSIüS    ÖSTERREICHER 


355 


3. 

Unserm  Erlöser  deinen  Son, 

Unter  das  Gsetz  hast  geben, 
S.  3.  Das  er  würd  unser  Mitler  schon, 

Brecht  uns  zum  Ewigen  leben. 
Wir  sein  undankbar  Herz  vor  dir, 

Kein  bussvertigkeit  wirken  wir, 
Ein  Schatz  wir  gsamelt  haben. 

Deines  zorens  zu  deim  Gericht, 
0  HErr  unsre  Sund  rechne  nicht. 

Mit  Gnad  thu  uns  begaben. 


0  Gott  Vater,  seer  haben  wir 

Gesündigt  in  dem  Himel. 
Wir  sein  dein  nicht  wirdig  vor  dir, 

Ach  vergib  uns  das  übel. 
Wir  Schemen  uns,  zu  dir  hinauff 

Unsre  äugen  zu  heben  auff, 
Erzörnt  habn  wir  dich  seere. 

Drumb  ist  auff  uns  der  zoren  dein, 
Lass  an  uns  nicht  verloren  sein, 

Deines  Sons  leyden  schwere. 


Dein  ungnad  schickstu  mit  begir 

Durch  böse  Engel  schwere, 
Hunger  und  Theurung  sehen  wir 

Vor  unsern  äugen  here. 
Des  brotes  vorraht  nimbstu  geschwind 
S.  4.       Auff  die  Vertilgung  unsrer  kind 
Umb  die  undankbarkeite. 

Deines  Worts  Hunger  du  uns  geist, 
Unsre  kind  bleiben  ungespei.st 

Von  wegn  unsrer  bossheite. 

6. 
0  Herr,  der  ungläubigen  Schwerdt 

Thustu  über  uns  senden. 
Fewr  hat  unsre  Vhesten  verzert, 

Unsre  Freund  on  abwenden. 
Werden  nun  zu  der  Wurme  speiss. 

Sehen  wir  gantz  betiiibter  weiss. 
Auch  mit  newen  Kranckhuiten 

Hastu  uns  heimgsucht  und  geplagt. 
Das  uns  die  gantze  Welt  versagt, 

Zu  helffen  zu  den  zes-iton. 


Mehr  Pestilentz  trifft  yetzt  uns  an. 

Das  wir  mit  äugen  sehen. 
Dann  zur  zeyt  unsrer  Eltern  schon 

Von  Anfang  ist  geschehen. 
Du  hast  all  plag  auff  uns  gefürt, 

Wie  den  tag  deiner  räch  gebürt; 
Du  aber,  unser  Gotte, 

Bist  unser  hilff  und  Zuversicht, 
Der  uns  allzeit  sein  Hilff  verspricht,     S.  5. 

Hilff  uns  aus  aller  note. 


Du  hast  uns  heissen  bekeren, 

Durch  deinr  Propheten  trewen. 
So  woUestu  uns  erhören. 

Sobald  wir  zu  dir  schreyen; 
Yetzt  schreyen  wir,  erhör  uns  HErr, 

Mit  deiner  hilff  sey  du  nicht  verr, 
Zu  dir  allein  wir  schreyen. 

Sey  uns  barmhertzig  und  gnedig. 
Aus  dieser  noth  uns  erledig, 

Wölst  uns  all  Sund  verzeyhen. 


Beker  uns  HErr,  wir  wern  bekert, 

Wir  thun  bussvertigkeite. 
Lass  uns  bey  dir  werden  erhört, 

Und  lass  uns  allozeyte 
Kommen  zu  dem  Gnadenstul  dein, 

Dein  Barmhertzigkeit  nemen  ein. 
Die  du  uns  hast  bereite. 

Von  anfang  auss  der  gute  dein 
Gib  uns  glauben  das  wir  allein. 

Dir  gfalleu  allezeyte. 

10.  S.  6. 

Schenck  uns  ein  recht  Christliche  lieb 

Den  Nechsten  zu  beweisen. 
Dein  zorn  und  ungnad  uns  nicht  gib. 

Das  wir  dich  ewig  preysen 
Und  deinem  Keych  nach  wohnen  bey; 

Beliüt  uns  vor  schaden  alierloy. 
Gib  uns  das  teglich  Brote, 

Mit  deinem  Woit  uns  alle  speiss, 
Mit  deinem  Brunn  trenck  uns  mit  fleiss, 

Hilff  uns  aus  aller  nota. 
23* 


356 


11. 
Du  König  der  König,  Herr  aller  Herrn. 

Gib  uns  gedult  und  tröste. 
Dein  heyligen  Namen  zu  ehrn 

Und  lass  uns  wem  erloste, 
Von  aller  kranckheit  mancherley 

Leib  und  Seel  wolstu  machen  frey, 
Du  starcker  Gott  und  Vater. 

Du  bist  ja  aller  armen  Gott, 
Gib  gnad,  zu  halten  dein  Gebot, 

Du  gütiger  Wolthater. 


12. 
Verleyh  uns  gnad  durch  Jesum  Christ, 

Deinen  eynigen  Sune. 
Das  wir  dein  Gebot  alle  frist 

Nach  deinem  willen  thune.  S.  7. 

Verzeich  uns  unser  missethat. 

Die  dich  schwerlich  erzörnet  hat, 
Durch  das  Leyden  und  Sterben 

Des  allerUebsten  Sones  dein, 
Mit  seinem  Blut  wasch  uns  gantz  rein. 

Das  wir  dein  Reych  erwerben. 


AMEN. 

Gemacht  durch  Ämbrosmm  Österreicher. 

Gedruckt  zu  Nürmberg 

Durch  Nicolaum 

Knorrn. 


Der  angebliche  w- aMail  im  bayrischen. 

"Weit  verbreitet  scheint  die  ansieht  zu  sein,  dass  im  bayrischen  (bezw.  im  ober- 
deutschen) ein  auslautendes  n  der  endsilbe  -en  abgefallen  ist.  So  meint  Behaghel 
(grundr.  I- §  100,  4),  es  sei  hier  „nach  stammschliessendem  labialen ,  dentalen,  guttu- 
ralen nasal  das  n  abgefallen".  Er  sieht  hierin  die  ursprünglichen  Verhältnisse, 
wonach  „bei  auf  nasal  auslautenden  wurzeln  das  n  der  endung  lautgesetzlich  abge- 
fallen "  wäre.  An  ihn  schliest  sich  wol  Paul  mit  seiner  uotiz  Mhd.  gramm."  §  155 
anm.  8.  Aber  auch  bei  Brenner  lese  ich  beispielsweise  in  seinem  büchlein  „Mund- 
arten und  Schriftsprache  in  Bayern"  (s.  56):  „Die  abwerf ung  des  n  [in  der  schrift]  wird 
überall  übersehen.  . .  .  Man  hatte  eben  für  den  nasallaut  a,  e  kein  besonderes  zeichen". 
Der  Urheber  des  Irrtums  scheint  Weinhold  zu  sein.  In  seiner  Bayrischen  grammatik  heisst 
es  (§  167) :  „ . . .  Über  den  durch  näselung  veranlassten  abfall  von  n  in  den  heutigen 
dialekten  ist  zu  bemerken :  ...  In  einigen  bayrischen  gegenden  südlich  der  Donau 
bleibt  nach  vokalen,  nach  m,  n,  f  und  den  gutturalen  das  e  der  endung:  baue^  schaue, 
neme,  nenne,  käfe  [sie!],  merke,  trücktie  [sie!],  mache.  In  der  Oberpfalz  nach 
vokalen,  w,  «,  h  Schni.  §  583 fg.".  Vergleichen  wir  nun  die  stelle  bei  Scbnieller,  so 
finden  wir  bei  ihm  die  sache  weit  vorsichtiger  ausgedrückt:  „582;/.  Von  der  endsilbe 
en  wird  blos  9  ausgesprochen....  583.  Dieses  geschieht  blos  nach  vokalen  oder 
nach  ch,  f,  h,  j,  k,  w,  n,  ng  in  der  östlichen  hälfte  [des  königreichs]  südlich  der 
Donau:  baud',  schreyd'.,  smga~  (usw.)  . . .  584.  Bios  nach  vokalen  oder  nach  h,  m 
und  n  in  der  östlichen  hälfte  nördUch  der  Donau."  Es  ist  also  hier  von  einem  ab- 
fall von  n  keine  rede.  Wie  man  sich  diesen  denkt,  kann  aus  den  drei  ersten  citaten 
entnommen  weiden.  Danach  hätten  im  bayrischen  bestimmte  konsonanten  im  stamm- 
auslaut,  —  auf  deren  unrichtige  angäbe  komme  ich  noch  zurück,  —  über  das 
endungs-e  hinweg  (!)  den  abfall  des  n  bewirkt,  das  aber  nun  in  den  auslaut  ge- 
tretene e  wäre  infolge  seines  nasalklangs  erhalten  geblieben.  Nun  ist  phonetisch  recht 
merkwürdig,  wie  über  das  zwischen  liegende  e  hin  der  stammkonsonant  eine  solche 
Wirkung  verursacht  haben   soll,  noch  merkwürdiger  steht  es  aber  um  die  erhaltung 


W -ABFALL    IM    BAYRISCirEN"  357 

des  c,  denn  erstens  sind  die  beispielo  ans  der  altern  litteratur  zalilreicli  genug,  um 
darziitun,  dass  in  den  in  betracht  kommenden  fällen  das  e  geschwunden  ist,  dann 
aber  liefert  doch  die  lebende  ma.  den  besten  beweis:  es  heisst  z.  b.  der  inf.  '•kummq^ 
siyq^  kqffa'  usw.,  aber  'sey  (<i  sehen),  Idm  (<C  heben),  strqin  (<istrUen).  Hier 
kann  doch  unmöglich  im  gleichen  fall  (infin.)  einmal  n  in  Verlust  geraten  sein  und 
sich  e  erhalten  haben,  das  anderemal  aber  das  c  ausgefallen  sein,  —  denn  das  setzt 
doch  die  assimilation  und  metatheso  voraus,  —  während  das  n  erhalten  blieb. 
Nun  soll  sich  aber  gar  in  den  ersten  fällen  das  e  im  unmittelbaren  auslaut  bis  heute 
gehalten  haben  und  das  im  oberdeutschen!  Dagegen  spricht  schon  die  angäbe 
Behaghels  (a.  a.  o.  §  70,  4),  dass  selbst  in  mitteldeutschen  maa.  ein  solches  e  teilweise 
geschwunden  ist.  Hat  man  sich  —  jedesfails  durch  die  scheinbare  analogie  mit  dem 
md.  —  zu  jener  falschen  annähme  des  /«-abfalls  verleiten  lassen,  so  hätte  gerade 
dieser  umstand  die  Unrichtigkeit  ergeben  müssen.  Die  beruf ung  auf  die  nasalierung 
erklärt  dabei  gar  nichts,  denn  diese  wäre  ja  auch  md.  vorhanden  gewesen.  Dann  ist 
sie  überhaupt  nur  eine  scheinbare.  Dass  Seh.  eine  solche  annahm,  —  man  beachte 
übrigens,  dass  die  kopfangabe  kein  ~  enthält,  sondern  nur  die  beispiele  es  bieten,  — 
ist  bei  der  damaligen  Unkenntnis  der  phonetik  nur  begreiflich,  W.  hat  sie  ja  tat- 
sächlich für  den  gegenwärtigen  dialekt  fallen  lassen  (er  denkt  blos  an  eine  nach- 
wirkung);  dagegen  hat  sie  Brenner  wider  angegeben.  Es  handelt  sich  aber  hier 
lediglich  um  die  tatsache,  dass  der  Oberdeutsche  und  besonders  der  Altbayer,  wie 
er  überhaupt  die  Sprechmuskulatur  nur  lässig  anspannt,  nie  einen  festen  nasen- 
vei-schluss  bildet,  weshalb  bei  ihm  jeder  vokal  eine  leicht  nasale  färbung  besitzt. 
Damit  fällt  aber  auch  Weinhold.s  anschauuug,  dass  eine  nasale  nachwirkung  den  vokal 
gehalten  habe. 

Was  aber  nun  den  in  frage  stehenden  vokal  betrifft,  so  setzt  ihn  Seh.  als  9 
an,  das  nach  der  am  eingange  seines  buches  gemachten  angäbe  den  „dumpfen  vokal- 
laut"  bezeichnen  soll,  „der  in  gewöhnlicher  hochdeutscher  ausspräche  in  endsilben 
gehört  wird".  Nun  ist  das  freilich  recht  unbestimmt;  schwerlich  hat  er  sonantisches 
n  dabei  im  sinn  gehabt,  wodurch  er  der  lösung  sehr  nahe  gekommen  wäre,  sondern 
er  wird  wol  die  bühnendeutsche  ausspräche  gemeint  haben.  Richtig  ist  dies  für  den 
vorliegenden  fall  ja  nicht,  aber  W.  ist  dem  laut  mit  der  bezeichnung  e  nicht  näher 
gekommen.  Für  das  alem.,  wo  der  klang  in  der  mitte  zwischen  e  und  a  liegt,  könnte 
man  eventuell  im  zweifei  sein,  in  Altbayern  ist  die  a- färbe  unzweifelhaft:  es  ist  ein 
sehr  helles  <{,  für  mein  ohr  ist  dasselbe  mit  dem  von  Seh.  als  d  bezeichneten  laut 
(=  mhd.  Sekundärumlaut)  so  gut  wie  identisch,  wie  auch  mit  dem  zweiten  bestand- 
teil  der  aus  mhd.  ei,  ie,  uo^  üe  entstandenen  diphthonge  (denen  Seh.  gleichfalls  das 
zeichen  a  gibt).  Es  käme  somit  noch  ein  umstand  in  frage,  wie  der  Übergang  von 
e  in  q  zu  stände  gekommen  ist,  der  dem  stark  geschlo-ssenen  e  des  st.  nom.  sg.  fem. 
der  adj.,  dem  einzig  erhaltenen  aaslauts-c,  gerade  entgegengesetzt  ist. 

Der  .Sachverhalt  ist  vielmehr  ein  viel  einfacherer:  e  der  endsilben  en  ist  in 
allen  fällen  geschwunden,  dann  trat  im  bayrischen  eine  Spaltung  ein,  indem  n  durch 
gewisse  konsonanten  gehalten  wurde,  meist  infolge  von  assimilation,  während  es  in 
den  Übrigen  fällen  über  n  >  q  wurde.  Das  ist  auch  phonetisch  die  einzig  denkbare 
möglichkeit,  da  doch  der  Übergang  zum  vokal  durch  das  aufgeben  des  dentalen  ver- 
schlusses gerade  im  auslaut  und  zumal  in  den  betreffenden  Verbindungen  ein  höchst 
natürlicher  ist. 

Der  Vorgang  findet  übrigens  seine  parallele  (ohne  rücksicht  auf  den  vorher- 
gehenden laut),  bei  den  endsilben  -er  und  -cl:  jene  geht  über  r  in  das  nämliche  « 


,358  MOSER,   «-ABFALL    IM   BAYRISCHEN 

Über,  diese  wird  über  |>«^.  Im  letztern  falle  hat  schon  W.  die  „  mouillierung "  er- 
kannt (§  158);  bei  r  spricht  er  zwar  von  einer  „auflösung  a"  (§  162),  im  nächsten 
augenblick  ist  aber  wider  vom  ,  abfall  des  r "  die  rede ;  hier  kann  man  sich  überhaupt 
kein  bild  machen,  wie  er  sich  die  Sache  gedacht  hat. 

Was  nun  die  Stellung  anlangt,  in  der  w  vokalisiert  wurde ,  so  sind  schon  Sch.'s 
angaben  nicht  ganz  genau,  "W.  hat  dann  noch  das  seinige  getan,  die  sache  fehlerhaft 
zu  gestalten ,  und  Behaghel  hat  die  Verhältnisse  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt.  Es 
tritt  nach  ihm  (a.a.O.),  wie  schon  erwähnt,  der  „?i- abfall "  „  nach  stammschliesendem 
labialen,,  deutalen,  gutturalen  nasal"  ein;  abgesehen  davon,  dass  die  angäbe  sehr 
summarisch  ist,  da  die  ziemlich  starken  differenzen  zwischen  nord-  und  mittelbayrisch 
nicht  auseinander  gehalten  sind,  greift  er  mit  seiner  formel  beliebige  fälle  heraus,  die 
für  das  eine  gebiet  zu  viel,  fürs  andere  zu  wenig  sind;  wie  unter  die  drei  zuge- 
hörigen beispiele  aber  der  Infinitiv  ,fi7ida',  der  überhaupt  nicht  bayrisch  ist,  kommt, 
verstehe  ich  eigentlich  nicht,  nd  fungiert  hier  offenbar  als  „dentaler  nasal".  Dagegen 
will  W.  für  Ober -Niederbayern  Sch.'s  „cA,  h,  &,  n^'"  unter  dem  begriff  „gutturale" 
zusammenfassen,  wobei  er  übersieht,  dass  g  nicht  hierher  fällt.  Ich  setze  die  Ver- 
hältnisse meiner  heimat,  Oberbayern,  her,  für  die  ich  wenigstens  keine  einfache  formel 
finden  kann:  1.  Das  n  erscheint  als  cj  nach  vokalen  (srqiq),  wozu  auch  die  fälle  mit 
dem  ursprünglichen  übergangslaut  y  gehören  (mqq)^  nach  den  nasalen  (kummq,  Unq), 
nach  den  gutturalen,  ausgenommen  p  (meqkq<imerkeu,  mq/q^  siyq,  tvingq<it('inkenj, 
endlich  nach  f  (kqffq,  slupfq).  2.  in  den  übrigen  fällen  ist  n  ganz  oder  teilweise 
erhalten:  Erhalten  ist  es  als  konsonant  bei  dn,  tu,  wenn  dem  dental  vokal  oder 
vokalisierte  liquide  vorhergeht  {la-n  ■<.  laden ,  tre-n<i  treten);  geht  aber  ein  konsonant 
voraus,  so  ist  n  sonautisch  (findn).  Ferner  ist  es  sonant  nach  s  (ts^  ks)  und  .s  fti) 
(bqisn^  'drqtsn,  tcqksn,  toasn,  Iqtsn).  Assimiliert  hat  es  sich  in  pn^pm  (Hepni), 
bn^m  (hem  ■<  heben) ,■  gn  >  ng  >  p  (sqy).  Gemischt  sind  die  Verhältnisse,  wo 
normal -mhd.  tv  und  h  nach  vokal  steht:  Es  heisst  '•saurf  =  schouwen ,  aber  ^bauq, 
ruq  •<  ruon  <  ruowen;  ebenso  'sp-y'  aber  tvqixq  <  wichen  =  wVien,  trüq  =  triihe(n). 

Wie  nun  die  von  W.  augeführten  reimbelege  aus  der  älteren  zeit  zu  erklären 
sind,  ist  eine  andere  frage.  Möglich  dass  einige  formen  überhaupt  nicht  hierher  fallen, 
z.  b.  dass  , geselle'  (dat.  sg.),  das  er  dreimal  aus  dem  WG.  belegt,  eine  fälschlich 
oder  aus  reimzwang  gebildete  starke  form  ist.  Sonst  sind  mit  ausnähme  von  'manne' 
(dat.pl.,  2xHelbl.),  ^gewinne''  (inf.,  Dietr.  fl.),  'gimne'  (inf.,  Helbl.  u.  Dietr.  fl.), 
'■starche'  (schw.  dat.  sg.,  Wigam.)  die  formen  jedesfalls  nicht  bayrisch,  sondern  alem. 

Den  Vorgang  -en>  n>  n>  q  (ü)  wird  man  aber  nicht  auf  das  bayrische  be- 
schränken dürfen,  die  entsprechende  durchlaufende  erscheinuug  im  alem.  -  seh  wäb.  wird, 
wie  schon  angedeutet,  auf  die  gleiche  weise  ihre  orklärung  finden,  ja  vielleicht  ist  diese 
auch  auf  teile  des  westlichen  Mitteldeutschland  (z.  b.  Pfalz)  auszudehnen.  Sicher  er- 
scheint mir,  das  diese  «-vokalisierung  nicht  mit  dem  ostmd.  w- abfall  zusammen- 
geworfen werden  darf. 

1)  Hieher  darf  man  natürlich  nicht,  wie  W.  (§  158)  in  anschluss  an  Seh.  (523) 
getan  liat,  fällle  wie  ,k(dwqi,  neben  ,kqiwi'  ziehen  und  glauben,  dass  es  sich  hier 
um  ablautendes  suffix  (ala:  ila)  handle,  dazu  wäre  deun  doch  schon  der  volle  vokal 
in  der  nebensilbe  zu  auffallend,  im  ersteren  fall  liegt  vielmehr  suffix-?««  zugrunde, 
also  mhd.  ,*Ä;aZ6?^«)'  nicht  ,*kalbal(e),  denn  dass  man  es  hier  mit  zwei  verschiedenen 
Suffixen  zu  tun  hat,  lehrt  schon  der  ganz  feste  geschlechtsunterschied  in  parallelen 
von  der  art  ,'d-IAsi'  aber  ^s-Lisqi,  ,'dd  Sepi'  aber  ^s-Sepqi'. 

MÜNCHEN.  VIRGIL    MOSER. 


PAAS,    DER   SATZPARALLELISMUS    IN    DEM    OPUS   IMPERFECTUM    IN   MATTIUEUM  359 

Der  Satzparallelisimis  in  dem  Opns  imperfectum  in  Matthaeuin. 

Die  mannigfachen,  zum  teil  sehr  eingehenden  studieu,  welche  theologische 
und  philologische  fachgelehrte  in  den  beiden  letzton  Jahrzehnten  dem  Opus  imper- 
fectum in  Matthaeum  gewidmet  haben,  beweisen  zur  genüge,  dass  es  sich  um  ein 
werk  aus  der  alten  zeit  der  kirche  handelt,  welches,  wenn  auch  nur  fragmentarisch 
erhalten,  doch  wegen  seines  Inhaltes  als  ein  höchst  beachtenswerter  commentar  zum 
Matthaeusevangelium  zu  betrachten  ist. 

Aber  auch  in  formeller  hinsieht  verdient  diese  schrift  eingehend  gewürdigt 
zu  werden,  da  sie  uns  wertvolle  beitrage  zu  dem  capitel  über  die  rhythmische  prosa 
liefert.  Der  Verfasser  derselben,  der  zwar  nicht  undeutlich  die  absieht  kundgibt,  sich 
an  die  breiten  schichten  des  volkes  zu  wenden  und  darum  in  der  lateinischen  vulgär - 
Sprache  zu  schreiben,  hat  doch  die  mittel  der  profanen  rhetorik  in  ausgiebigem  masse 
angewandt  und  in  grossen  teilen  seiner  ausführungen  sich  eines  erhabenen  stiles  und 
einer  kunstmässigen  spräche  bedient. 

Insbesondere  hat  der  satzparallelismus  in  dem  Op.  imperf.  eine  sehr  reiche  Ver- 
wendung gefunden.  Durch  das  ganze  werk  zerstreut,  sind  kleinere  und  grössere  ge- 
dankenverbindungen  durch  diesen  parallelismus  der  form  widergegeben,  und  zwar 
teils  mit  gleichzeitiger  Verwertung  des  reims,  teils  ohne  denselben.  Diese  rhetorischen 
figuren  beleben  und  schmücken  die  prosa  in  ausserordentlichem  masse  und  tragen 
nicht  wenig  dazu  bei,  die  lectüro  des  commentars  angenehm  und  geuussreich  zu  ge- 
stalten. Es  dürfte  daher  von  Interesse  sein,  diese  parallelismen  in  geordneter  weise 
zusammenzustellen. 

Bona  sua  debent  cotitcmnere, 

Stent  Abraham  terram  suam  contempsit, 

et  parentes  suos  carnales  dimittere, 

sicut  Ute  cognationem  suam  dimisit  (col.  613)'. 
Lsaac  war  in  allem  ein  vorbild  des  erlösers.     Dieser  wurde  geboren 

per  virginetn^  ille  de  anu,  ambo  extra  spem  naturae. 

nie  postquam  mater  ejus  pai-ere  posse  ccssaverat, 

iste  priusquam  mater  ejus  parere  posse  inciperet. 

Sed  ille  de  nnicida  ideo  iam  deßetente, 

iste  autem  de  virgine  iticorrupta: 

quia  ille  lsaac  filios  fuerat  generaturus  in  lege  corrumpenda, 

iste  autem  in  gratia  permansura  (col.  613). 
Die  weisen  aus  dem  morgenlande  kamen   mit  ihren  schätzen  au    die    krippe 
des  erlösers: 

Veneru7it  autem  ad  Judicium  gentium  et  (ul  prasjudicium  Jiuiaeorum, 

illorum  fidem  prophetantes  futuram, 

et  illorum  incredulitatem  condemnantes  praesentem  (col.  636  sq.). 
Der  neugeborene  heiland  flieht  vor  dem  könige  Herodes  nach  Ägypten: 

Ut  populus^  qiii  ante  fuerat  persecutur  poptdi  primogcniti, 

postea  fieret  custos  unigeniti  Filii. 

Ut  qni  Uli  populo  violenter  düininati  sunt, 

isti  cum  devotione  servirent. 

Ut  iam  non  irent  ad  mare  rubrum  demergendi, 

sed  vocarentur  ad  aquas  baptismatis  vivißcandi  (col.  643). 

1)  Ich  eitlere  nach  Migne,  Patr.  gr.  tom  LVI. 


360  PAAS 

Den  giausamen  befehl,  in  Bethlehem  alle  kinder  im  alter  von  zwei  jähren  und 
darunter  zu  töten,  gab  der  könig  Herodes,  nachdem  er  bei  sich  selbst  etwa  folgendes 
erwogen  hatte: 

Quis  est  puer  ille, 

qui  antequam  nascatur  in  terra, 

tarn  apparet  in  coelo? 

Necdum  se  ipsum  ostendit 

et  iam  omnes  cum  quaerunt. 

Et  necdum  terremmi  popukim  habet 

et  iam  militiae  caelestes  stellarum  Uli  ministrant, 

Quis  est  ille, 

qui  antequam  mecum  pugnet,  iam  me  vincit: 

antequam  vüieat,  regnat: 

atitequam  regnet,  iam  dominatur? 

Quid  putas  facturus  est  ille  homo  in  rcgno  meo,  si  creverit? 

Ego  et  dona  hominihus  spargo  et  gladium  porto, 

ut  qui  non  timet,  vel  diligat; 
qui  non  diligit,  vel  timeat. 

Ille  nee  populum  habet  nee  divitias  congregavit  : 

et  quomodo  sine  aiiro  diligitur 
et  sine  ferro  timetur?  (col.  643). 
In  Matth.  2, 18  (Vox  in  Rama  audita  est,  ploratus  et  ululatus  multus)  bezeichnet 
fletus  das  weinen  der  kinder  und  tdtdatus  das  wehklagen  der  mütter. 

Plorabant  enim  parvuli,  quia  separabantur  a  matribus: 

ululabant  matres,  quia  desolabantur  a  filiis 

et  quasi  viscera  earum  separabantur  ab  eis  (col.  645). 
Der  könig  Herodes  Hess  seine  drei  eigenen  söhne  töten. 

Viscera  sua  laniabat  in  filiis 

et  dolorem  corum  non  sensit, 

ut quemadmodum  parvuli  mortem  suamnon  senserunt propler  infantiam, 

sie  et  ille  dolorem  viscerum  suorwn  non  sensit  propter  insaniam{Go\.(j-ib) . 

Veyiit  Johannes  quasi  magni  regis  praeparator  ßdelis. 

Qualis  rex, 

talis  et  nuntius  regis: 

natus  ex  gratia, 

non  ex  natura. 

Sieut  Christi  eonceptionen  ante  angelus  nuntiavit,  sie  et  istius. 

Sicut  illius  nomen,  antequam  conciperetur ,  auditttm  est,  sie  et  istius. 

Sicut  illius  potestas,  antequam  nasceretur,  ostensa  est, 

sie  et  istius  virtus,  antequam  nasceretur,  manifestata  est   (col.  646). 

Hypocritae  pulehritudineni  sanctitatis  ostendebant  in  vulto 
et  venenum  ?nalitiae  portabant  in  corde  (col.  651). 

Die  Juden  haben  keinen  grund,  sich  auf  ihre  abstammung  von  Abraham  etwas 
einzubilden  (Matth.  3,9): 

Quid  enim  prodest  ei,  quem  sordidant  mores,  generatio  clara? 
Aut  quid  nocet  Uli  generatio  vilis,  quem  mores  adornant? 
Ipse  se  vacuum  ab  otmiibtts  bonis  actibus  ostendit, 


DER    SÄTZPARALI.EMSMUS    IN    DKM    API'S    IMPERFECTIIM    IN    MATTHAEUM  3G1 

qui  gloriatur  in  patribus. 

Quid  profuit   Cham,  quod  filius  fuit  Noe? 

Nonne  separatus  de  medio  filiorum? 

Qui  seciüidum  carnem  frater  natus  fuerat, 

seeundum  animum  factus  est  servus. 

Nee  familia  eius  sancta  pokiit  defendere  impios  mores. 

Aut  quid  nocuit  Abrahae,  quod  pntrem  habuit  Thare  luteorum  deorum 

cultorem  ? 
Nonne  separatus  a  genere  suo  positus  est  in  caput  ßdelium, 
ut  iam  non  diceretur  filius  peccatorum 
sed  pater  sanctoriitn? 
Nee  potuerunt  gloriam  eius  sordidare  paterni  errores  (col.  651). 

Jeiunavit  ergo  quadraginta  diebus  propter  duas  causas  : 

pritnutn  ut  nobis  adversus  tentationes  ieiunandi  daret  exemplum, 

dc/ndc  ut  quadragesimi  jejtmii  nosiri  poneret  mensuram  (col.  664). 
Der  grund,  weshalb  nach  dem  ausspräche  Christi:  Wer  sich  selbst  erhöht,  der 
wird  erniedrigt  werden,  auf  die  Selbstüberhebung  der  fall  in  die  tiefe  folgt,  ist  klar: 

Quoniam  omnis  qui  confidens  est  inoperibus  suis  et  gloriatur,  securusest; 

qui  autem  seeurus  est,  non  timet; 

et  qui  non  timet,  nee  cavet; 

qui  autem  non  cavet,  quando  non  sperat, 

supplantattir  a  diabolo  et  deicitur  (col.  670). 
Der  autor  ist  der  irrigen  auffassung,  dass  die  gültigkeit  und  Wirksamkeit  der  taufo 
durch  die  rechtgläubigkeit  des  Spenders  bedingt  sei.    Darum  ist  die  von  den  haeretikern 
gespendete  taufe  ungültig  und  die  widerholung  derselben   uQunigänglich   notwendig: 

Ubi  est  fides,  illie  est  ecclesia; 

ubi  ecclesia,  ibi  saccrdos; 

ubi  sacerdos,  ibi  baptismum; 

ubi  baptismicm,  ibi  Ghristianus. 

Ubi  autem  fides  non  est,  ibi  nee  ecclesia  est; 

ubi  ecclesia  non  est,  nee  sacerdos  est; 

ubi  sacerdos  non  est,  nee  baptismum; 

ubi  baptismum  non  est,  nee  Christianus  fit  aliquis. 

Quid  ergo  reprehendit  quasi  seeundum  baptismum, 

qui  non  intellegit,  quod  est  primtmi?  (col.  673). 
Als  Christus  am  galiläischen  meere  die  beiden  brüder  Simon  und  Andreas  sah, 
sprach  er  zu  ihnen:  Folget  mir  nach,  und  ich  will  euch  zu  menschenlischeru  machen 
(Matth.  4,19): 

Quid  eni)H?     Tibi  minora  repromittit? 

Num  non,  sibene  conversatus  fueria,  regnum  eoeleste  tibi  promittit? 

Num  non  vitam  acternam? 

Num  non  angelicam  naturam? 

Num  non  haereditatem  secum? 

Et  quare  non  sequeris  eum? 

Sciebant  enim,  quam  pretiosa  est  anima  hominis, 

quam  grata  est  apud  Detcm  salus  ipsius, 
^  quania  mcrccs  est  Ii07ninc7n  acdificarc  seeundum  Deuiu. 


362  PA AS 

Später  fand  Christus  zwei  andere  brüder,  die  söhne  des  Zebedaeus,   Jacobus 
und  Johannes  (Matth.  4,21): 

Erant  enim  habitatione  eives, 

dilectione  concordes, 

arte  officii  j}ares, 

fraternitatis  ptetate  conjuncli  (col.  675). 
Das  evangelium  ist  die  frohe  botschaft : 

Bona  auteni  hoininibiis  nuntiantur, 

quando  promittitur  eis  beatitudo  coelestis, 

peccatorum  remissio, 

adoptio  filiorurn, 

mortuorum  resurrectio 

et  immortalitas  vitae, 

haereditas  regni  coelestis 

et  possessio  gloriae  sempiternae, 

societas  angelorum 

et  communicatio  Spiritus 

et  fraternitas  Christi 

et  paternitas  Dei  (col.  678). 
Ein  gerechter  zorn  ist  die  Ursache  einer  guten  zueht : 

Nam  si  ira  non  fuerit, 

nee  doctrina  profieit, 

nee  jiidicia  stant, 

nee  crimina  compescuntur  (col.  690).  ■ 

Perfecti  esiote,  ut 

et  amicos  diligatis  propter  peccatum  vitanduni 
et  inimicos  propter  Justitiam  habendam  (col.  703). 
Die    stelle  Luc.  6,37,38  gibt  dem  Verfasser  des  Op.  impf,  veranlassung  zu 
folgender  bemerkung: 

Et  quis  sit  nie,  qui  nee  judicat : 

quis  autem,  qui  judicat  quidem  et  non  condemnat: 

et  quis  est,  qui  condemnat  quidem  et  tatnen  dimittit: 

et  quis  est,  qui  dat,  exposuimus  tibi. 

Et  quoniani  superf.ua  quidem  mensura  datur  ei,  qui  nee  judicat  : 

eommota  autem  ei,  qui  judicat  quidem,  non  autem  condemnat: 

bona  autem  ei,  qui  condemnat,  sed  dimittit. 

Quoniam  sicut  major  est  super flua  mensura ,  quam  eommota, 

et  eommota  major  est,  quam  bona  et  justa: 

sie  perfectior  est  ille,  qui  nee  judicat, 

quam  ille,  qui  judicat  et  non  condemnat, 

et  ille ,  qui  judicat  et  noti  condemnat, 

melior  est  illo,  qui  condemnat  et  dimittit  (col.  726). 

Qui  se  non  abstinet  a  caedibus, 
quomodo  potest  abstinere  se  ab  ira? 
Qui  non  se  abstinet  a  fornicatione, 
quomodo  se  abstinet  a  concupiscentia? 
Qui  non  se  abstinet  a  peijicrio, 


DKR    SATZPARALI.KLISMIS    IN    HKM    lilTS    IMI'KHIKCTL'M    IN    MATTUAEUM  363 

quomodo  sc  abstineat  a  juramento  ? 
Qui  alios  fcrirc  non  cessat, 
quomodo  sc  praebeat  feriendum? 
Qui  nee  amicuni  suum  sincere  diligit, 
quomodo  diligat  inimicum?  (col.  729 sq.). 
Die  vernunftlosen  geschöpfe  hat  Gott  bei  der  erschaffung   mit  waffen  so  aus- 
gerüstet, dass  sie  sich  gegen  feindliche  angriffe  schützen  und  verteidigen  können: 
Älios  enitn  munirit  veloci  pedwti  cursu, 
alios  arniavit  tmr/uibus, 
alios  velocibus  pentiis, 
alios  deiitibus, 
alios  cornibus: 

homincm  autem  sohim  sie  disposuit, 
ut  virtus  illius  sit  ipse  (col.  730). 

Nullius  passionis  abstinentia  sie  sandificat  eorpus, 

quotuodo  abstitientia  harum, 

ut  sit  homo  castus, 

ut  sit  j'ejunus, 

ut  sit  in  vigiliis  perseverans. 

Et  nulla  illarum  passionum  sie  coinquinat  corpus, 

quomodo  passiones  istae, 

ut  sit  homo  aut  forniearius, 

aut  epulator, 

aut  deditus  soymio  (col.  734). 

Qui  vult  esse  christianus  verus, 

non  solu7n  non  oceidat,  sed  nee  irascatur  sine  causa : 

non  solum  non  perjuret,  sed  nee  juret: 

non  solum  non  fornicetur,  sed  nee  usque  ad  oculiim  concupiseat : 

non  solum  twn  pereidiat,  sed  nee  percussus  repereutiat  : 

non  solum  aliena  non  tollat,  sed  etiam  eogenti  dimittat : 

non  solum  amicos  sincere  diligat^  sed  etiam  inimicos. 

Eleemosynas  non  faciat  eoram  hominibus: 

orationibus  instet  intrans  in  eubiculum  suum: 

jejunia  celehret  non  cum  trist äia : 

nonjudicet  fratrem  suum peceantetu ,  sedsuae  inßnnitatis  consideratione 

igiwscat : 

non  det  sanetum  canibus  ncque  margaritas  suas  mittat  ante  porcos. 

I'etat,  qtiaerat^  pulset  et  accipiet  (col.  743). 
Über  das  Schicksal  des  ägyptischen  Josef  sagt  der  autor: 

Numquid  non  est  manifestata  innocentia  ejus? 

numquid  non  multipliciter  coronata  est  castitas  ejus? 

Qui  quasi  maleßcus  in  carcere  fuerat, 

quasi  proplicta  cducUis  est  (col.  760). 
Er  legt  im  anschluss  an  Matth.  11,27  Christus  die  werte  in  den  mund: 

Mihi  traditi  sunt  servi  et  reges, 

ut  nee  servi  in  suo  servitio  erubescant, 

sed  in  me  Domino  glorientur : 


364  PAAS 

et  reges  non  in  sua  potestate  extollanticr, 
sed  mihi  genua  curvent  (col.  778). 
Der  feindselige  gegeusatz  zwischen   Christus  und  dem   teufel   kommt   in    den 
Worten  zum  ausdruck: 

nie  praedieat  fornicationen,  ego  castitatem. 
Et  ideo  repellit  ille  castos  et  congregat  lascivos: 
ego  autem  repello  lascivos  et  congrego  castos. 
Ille  doeet  discordiam.,  ego  pacem. 
Ille  seditionarios  congregat  et  turbatos: 
ego  autem  unanimes  et  mansuetos  (col.  786). 
In   bezog  auf  das  verhalten  der  schriftgelehrten  und  pharisäer,    welche    von 
Christus  ein  wunderzeichen  fordern,   ehe  sie  sich  zum  glauben  au  ihn  entschiiessen 
wollen  (Matth.  12,  39),  sagt  der  Verfasser: 
Sicut  semper  discere, 
Signum  est  nihil  posse  proßcere  : 
sie  Signum  semper  petere, 

testimonium  est  nunquam  velle  credere  (col.  787). 
Die  frage  des  reichen  Jünglings:  Guter  meister,  was  muss  ich  gutes  tun,   um 
das  ewige  leben   zu   erlangen  (Matth.  19,  16)  charakterisiert  treffend  die  gewohnheit 
des  jüdischen  volkes: 

Semper  Judaei  interrogaiores  Dei  fiierunt  et  non  obauditores: 
laudatores  sanctorum  et  non  imitatores: 
auditores  legis  et  non  factores : 

semper  discentes  et  numquam  ad  seientiam  veritatis  pervenientes: 
gloriantes    in   lege  et  per  praevaricatiotieri  legis   Dominum  Deum 

inhonorantes  (col.  806). 
Die  Sünde  des  neides  schadet  nur  der  neidischen  person   selbst,    nicht  der- 
jenigen, auf  welche  der  neid  sich  richtet: 

Ipse  vituperabilis  invenitur  de  sua  invidia, 
ille  autem  laudabilis  deinonstratur  de  sua  virtiite  (col.  847). 
Das  gleichnis  vom  königlichen  gastmahle,  welches  Matthaeus  22,  Ifgg.  erwähnt, 
deutet  auf  die  gesaratheit  der  Weissagungen  hin,  welche  die  propheten  des  Ä.  B.  über 
den  zukünftigen  Messias  gaben: 

Qui  autem  manducat  de  spirituali  convivio, 

impletur  spiritu, 

dilatatur  sensibns, 

nutritur  in  veritate^ 

pingueseit  in  ßde, 

et  sie  ingreditur  ad  interiora  voluntatis  Dei 

et  manens  in  eis  acquirit  sibi  vitam  aetcrna»/. 

Qui  autem  ab  hoc  convivio  verbi  longe  fiierit  factus, 

evacuatur  spiritu, 

angustatur  sensibus, 

deficit  a  veritate, 

distillat  a  fiele, 

et  sie  egrediens  ah  otnnibus  voluntatihus  Dei  ad  inferiora 

novissime  cadit  in  mortem  (col.  860). 


DER    SATZPARALLELISMUS    IN    DEM    OPUS    IMPERFECTUM    IN    MATTHAEUM  3G5 

Quando  coepit  hoc  convivium  praeparari? 

Ä  tempore  Most,  quando  lex  Doniini  data   est  irreprehensibilis ,   con- 

vertens  animas: 
quando  testimonium  Domini  fidele  datwn  est,  sapien- 

tiam  praestans  parvulis: 
quando  justitiae  Domini  rectae  laetificantes  corda : 
([uando  praeceptimi  Dominilucidimi,  illuminans  oculos : 
quando  ti)iior  Domini  sanctus  permanet  in  saeculum 

saeculi: 
quando  judicia  Domini  vera^  justificata  in  semetipsa : 
quando  ex  decem  speciebus  confectus  est  cibus  decalogi 
salutaris  (col.  861). 
Das  bild  gottes  im  menschen  spiegelt  sich  wider  in  der  lauterkeit  und  reinheit 
seines  gewissens. 

Ideoque  illibatam  Deo  semper  imaginem  suam  reddam,us: 

non  superbiae  fastu  tumidam, 

non  iracundiae  livore  marcidam, 

non  avaritiae  facibus  succensam, 

non  gulae  illecebris  deditam, 

non  hypocrisis  duplicitate  contectam, 

non  luxuriae  sordibtis  attaminatam, 

non  elationis  protensione  levem, 

non  vinolentiae  tabe  amentem,, 

non  dissidio  mutuae  caritatis  extorrem, 

non  dctraetionis  mordicitate  pestiferam, 

non  mtdtiloquii  vanitate  inanem, 

sed  caritate  perspictiam, 

fide  et  spe  certissimam, 

patientiae  virtute  fortissimam, 

humilitate  tranquillam, 

castitate  purpuream, 

parcimonia  sobriam, 

tranq  uillitate  jucundam, 

hospitalitate  devotam  (col.  868). 

Quotiescumque  enitn  aspicimus  multiformes  species  reriini, 

audimus  varios  sonos  vocuni, 

odoramus  diver sas  fragrationes  odorum, 

gustamus  innumerabiles  suavitates  gustuum, 

palpamus  qualitates  rerum  innumeras^ 

de  opcribus  potentiae  et  sapientiae  Dei  dijudicaiiius, 

td  cognoscuvtiis  et  colantus  ejusdem  creationis  auctnrem  (col.  870). 

Item  qui  putat, 

incantationes  aliquid  posse, 

ant  auguria  aliquid  intellegere 

aut  divinationes  aliquid  nuntiare, 

non  nie  in  Iota  uninia  diligil  Demn  (col.  874). 


366  PAAS 

Zu  dem  hochzeitsmahle  waren  zwar  die  Juden  der  zeit  nach   zuerst  berufen, 
aber  die  beiden  sind  ihnen  in  der  erlangung  der  platze  zuvorgekommen: 
Uli  enim  ad  prandium  medioere  invitati  sunt^ 
isti  autem  ad  coenam  magnam. 
niorum  invitatores  prophetae  fuerunt, 
istortim  autem  ipse  filius,  qui  erat  causa  convivii. 
lllorum  delectio  apud  Beum  ex  patribus  erat, 
istorum  autem  ex  fide  ipsorimi  (col. 


Der  Verfasser  tadelt  die  sitte  derjenigen,  welche  über  den  gräbern  der  ver- 
storbenen prächtige  kapeilen  errichten,  in  der  absieht,  dadurch  ihren  uameu  berühmt 
zu  machen: 

Dicebant  enim  apud  se: 

Si  bene  feeerimus  pauperibus,  quis  illtid  videt? 

Et  si  viderint,  non  multi  vident; 

et  si  multi  viderint,  pro  tempore  vident. 

Transit  enim  tempus, 

et  transit  cum  tempore  benefacti  memoria. 

*  * 

* 

0  insipiens  homo ,  quid  tibi  prodest  post  mortem  isla  tnemoria, 

si,  tibi  es,  torqueris 

et.,  ubi  non  es,  laudaris?  (col.  886). 

In  ergreifenden  werten  umschreibt  der  Verfasser  des  Op.  impf,  den  weheruf 
Christi:  Jerusalem,  Jerusalem,  das  du  die  propheten  mordest  und  steinigest  die, 
welche  zu  dir  gesandt  worden  usw.  (Matth.  23,  37). 

Misi  ad  te  Isaiam,  et  serrasti  eum; 

misi  ad  te  Jeretniam.,  et  lapidasti  eum; 

misi  Exechielem,  et  tr actum,  super  lapides  excerebrasti  eum. 

Quomodo  sanaberis,  quae  nullum  ad  te  medicum  venire  permittis? 

Quomodo  curabo  infirmitatevi  tuam,  quae  omnem  medicinam  conculcas? 

Sanetis  meis  non  peperci,  ut  tibi  parcerem  peceatrici. 

lllorum  vitani  neglexi,  ne  tuam  mortem,  viderem. 

Omnes  medici  spirituales  in  te  defecerunt,  et  tu  ciirata  non  es. 

Insanabalis  est  passio  tua;  vicit  enim  artem  divinam. 

Si  de  mortetua  gavisus  fuissem,  numquam  ad  te  misissem  prophetas. 

Siteperdere  voluissem,  nuinquam  adteego  ipse  venissem  (col.  895). 

Omnibus  enim  laborantibus  dulcis  est  finis. 

Viator  libenter  interrogat,  ubi  est  mansio; 

mercenarius  frequenter  eomputat,  quando  annus  completur, 

agricola  semper  tempus  mcssis  exspectat; 

negotiator  die  ac  nocte  thecae  suae  discutit  rationem; 

mulier  praegnans  semper  de  decimo  mense  cogitat; 

sie  et  servi  Bei  libenter  de  consummatione  saeculi  requirunt  (col.  900). 

Quemadmodum  si  quis  in  campo  quodatn  tabernaculo  circumdatus  sit, 
si  aliqua  surrexerit  tempestas  ventorum, 
sonum  quidem  tempestatis  audit, 
vexationes  silvarum  videt, 


DER    SATZPARALLELIRMDR    IN    DEM    OPUS    IMPERFECTÜM    IN    MATTHAEDM  367 

ipse  autem  flatum  non  sentit: 

sie  qui  intra  justitiam  sedet  inclusus, 

quando  mundus  eoncutitur, 

rumores  turhationum  audit, 

saeciilariutn  miserias  aspicit, 

ipsuni  auteyn  concussio  mundi  non  movet  (col.  903). 

Die  Worte  Matth.  24,9  sind  bildlich  aufzufassen: 

Quando  haec  omnia  coeperunt  fieri  contra  eeclesiam  Christi,   id  est, 

quando  coepertmt  esse  dogmata  falsa  quasi  pseudochristi, 

quando  coeperunt  auditiones  fieri, 

quando  coepit  insurgere  Jiaeresis  super  haeresim  et  episcopatus  super 

episcopatum, 
quando  facta  est  fames  verbi  in  populo  christiano, 
quando  comprehenderutit  eos  pestilentiae  vitiorum  nmltorum, 
quando  facti  sunt  eis  terrae  motus  turbationum  de  rebus  divinis: 
tunc  traditi  sunt  patres  nostri  in  multas  tribulationes  persecutionum 

in  toto  mundo 
et  occisi  sunt  et  quidem  odio  habiti  sunt  omnibus  gentibus,   id  est, 

Omnibus  haeresibus  (col.  904). 

Legt  man  die  stelle  24,17:  Wer  auf  dem  dache  ist,  der  steige  nicht  herab, 
um  etwas  aus  seinem  hause  zu  holen,  im  allegorischen  sinne  aus,  so  ergibt  sich 
der  gedanke:  "Wer  auf  dem  dache  ist,  d.  h.  der  in  rebus  spiritualibes  vivens,  soll 
nicht  hinabsteigen  ad  aliquas  res  carnales,  ut  desideret  aliquid,  quod  est  corporale. 
Sonst  wird  der  greuel  der  Verwüstung  ihn  erfassen.  Denn  alle  Christen,  welche 
verloren  gehen,  verscherzen  ihr  eigenes  heil  propter  aliquam  corporaleni  causam 
constitutani  deorsum : 

Alii  propter  avaritiam, 

ut  ne  perdant  quod  habent 

aut  inveniant  quod  non  habent: 

alii  pereunt  propter  gulam  paupertate  coacti: 

alii  propter  uxores  aut  propter  maritos: 

alii  propter  alias  causas  carnales  (col.  910). 

Ein  vergleich  zwischen  dem  furchtbaren  Schicksal,  welchem  die  stadt  Sodoma 
anheimfiel,  und  der  grossen  trübsaf,  die  beim  ende  der  weit  hereinbrechen  wird 
(Matth.  24,21),  ergibt  folgendes  bild: 

Illic  fuit  adversus  peecatores  justa  Dei  vindicta, 

hie  autem  erit  adversus  sanctos  crudelis  diaboli  violentia. 

Quanto  ergo  pretiosior  anima  quam  corpus, 

tanto  miserabilior  perditio  animaruni  quam  corporuvi. 

Illic  perditis  iniquis  cimserunt  justi: 

hie  autem  punitis  aut  fugatis  justis  iniqui  gaudebunt  (col.  913). 

Die  falschen  propheten,  welche  unmittelbar  vor  dem  ende  der  weit  auftreten, 
um  die  menschen  in  Irrtum  und  zum  abfall  von  Christus  zu  führen,  werden  zum 
scheine  da.sselbe  tun,  was  die  gläubigen  in  Wahrheit  üben: 

N^am  et  castitati  student, 

et  jejunia  celebrant, 


368  PAAS 

et  eleemosynas  faciunt, 

et  omnem  eeclesiasticum  canonem  supplent  (col.  916). 

Ideo  vigilare  debet  et  claudere  omnes  istos  introitus: 

OS  quidem  narrationibus  sanctis, 

aures  auditionibus  pns, 

oculos  eonsideraiione  mirandorum  opencm  Dci, 

tnentetn  cogitationibus  oeeupare  coelestibus. 

Non  enim  sufficit,  ut  non  loquatur 

vel  audiat, 

vel  videat, 

vel  eogitet  mala  (col.  925). 

Nach  ansiebt  des  Verfassers  betrügen  die  menschen  sich  alle  gegenseitig: 
Alii  fingunt  se  justos,  cum  sint  iniqtii\ 
alii  humiliant  se  ut  peccatores ,  cum  sint  sancti; 
alii  auteln  turpes  actus  suos  usque  ad  mortem  abscondtmt, 
ainplius  homines  erubescentes,  quam  Deum  timentes^ 
et  semper  sunt  in  vulnere,  dum  pro  tempore  nolunt  apparere  vtdnerati 

(col.  929). 

Durch  die  eifrige  lectüre  der  hl.  schrift  wird  die  fügend  des  glaubens  vermehrt: 
Paulatim  enim  de  die  in  diem  timor  Domini  generatitr, 
sensiis  ejus  illuminatur, 
seientia  ejus  crescit, 
confirmatur  in  fide, 
exeitatur  ad  desiderium  regni  coelestis, 
apprehendit  cum  zelus  antiquorum  sanctorum,  quos  legit, 
exeitatur  et  ipse  jilerumque  ad  easdem  virtutes  (col.  938). 

Mit  lücksicht  auf  Matth.  25, 32:  Christus  wird  im  Weltgerichte  die  Völker 
voneinander  scheiden,  wie  ein  hirt  die  schafe  von  den  bocken  scheidet,  sagt  der 
autor: 

Oves  Stint  homines  justi, 

propter  mansuetudinem ,  quia  ipsi  neminem  laedunt, 

propter  patientiam,  quin  cum  ab  aliis  laesi  fuerint,  sustinent. 

Et  sicut  oves,  quando  ligantur,  aut  tacent  atit  in  simplicitate  balant: 

sie  et  sancti  cum  laeduntur,  aut  tacent  aut  certe  in  benignitate  probati 

preces  transmittunt  ad  Deum. 

Et  sicut  Ovis  ad  mortem  ducitur  et  non  clamat; 

vita  ejus  tollitur  et  mansuetudo  ejus  non  itmmitatur: 

sie  et  sancti  maledieuntur  ei  non  remaledicunt; 

percutiuntur  et  non  repercutiunt ; 

bona  eorum  diripiuntur,  et  Uli  non  contradieunt ; 

dolorem  sentiunt  et  clamorem  non  emittunt. 

Et  quid  opus  est  clamoribus, 

cum  nie,  qui  nocet,  non  miseretur,  etiamsi  clamaveris? 

nie  autem,  qui  misericors  est,  miseretur,  etiamsi  non  clamaveris, 

audit  et  videt  (col.  942). 


UER    SATZPARALl^ELISMUS    IN    DEM    OPUS    IMPERFECTUM    IN"    MATTHAEUM  369 

Diejenigen,  welche  mit  irdischen  gütern  reich  gesegnet  sind,  sind  die  geistig 
ärmsten;  denn  bei  dem  überfluss  an  äusseren  dingen  findet  sich  meistens  ein  mangel 
au  innerer  Vollkommenheit: 

Sunt  peregrini  corde, 

sunt  debiles  animo, 

sunt  mente  caeci, 

inobedientia  surdi, 

et  ceteris  passionibus  spiritualibus  aegrotantes, 

quoriim  animae  omneni  escam  spiritualem  abominantur  (col.  946). 

E.  Norden  hat  bereits  in  seinem  ausgezeichneten  buche:  Die  antike  kunstprosa 
vom  VI.  Jahrhundert  v.  Chi\  bis  in  die  zeit  der  renaissance,  Leipzig  1898,  nach- 
gewiesen, dass  iu  der  alten  zeit  der  kirche  die  grossen  christlichen  prediger  des 
Orients  sowol,  wie  des  occidents  die  mittel  äusserer  rhetorik  in  ausgedehntem  masse 
zur  anweudung  gebracht  haben.  Er  kommt  in  seinen  Untersuchungen  über  die  littera- 
rischen erzeugnisse  des  abendlandes  zu  dem  ergebnis:  „Die  Signatur  des  stils  der 
christlichen  predigt  in  lateinischer  spräche  ist  der  antithetische  satzparallelismus  mit 
homoioteleuton"^  Diese  christlichen  predigten,  die  er  in  einem  höheren  sinne  hym- 
nen  nennt,  sind  „zwar  civiv  ^^jqov,  aber  nicht  «Vfi;  ^i'^iaoö",  und  das  ö/^otor^AfvTov 
wird  „nie  willkürlich  gesetzt,  sondern  bleibt  den  stellen  des  höchsten  pathos  vor^ 
behalten". - 

Auch  der  unbekannte  Verfasser  des  Op.  impf,  hat  sich  dieser  art  des  stils 
(parallele  glieder  des  satzes  mit  endreim)  in  seiner  schrift  bedient.  Sind  die  bei- 
spiele,  die  man  aus  derselben  beibringen  kann,  auch  nicht  so  zahlreich,  wie  bei 
anderen  lateinischen  autoren,  etwa  Cyprian  und  Augustinus,  welche  iu  ihren  werken 
diesen  stil  in  einem  sehr  umfangreichen  masse  angewandt  haben, ^  so  können  doch 
immerhin  die  folgenden  angegeben  werden. 

Isaac  ein  vorbild  Christi: 

Sieut  nie  ligna  portavit,  tibi  ficerat  incendendus; 

Sic  et  iste  lignum  portavit,  tibi  ficerat  crucifigendus  (col.  613). 

Zara,  ein  söhn  des  Judas,  war  ein  typus  des  heidnischen  volkes: 

Dum  enim  per  Christi  sanguinem  regenerandus  prophetixabatur, 
cocco  dominici  sanguinis  signabatur  (col.  615). 

Zur  zeit  des  Aram  hatten  sich  die  Israeliten  in  Ägypten   bedeutend  vermehrt: 
Multiplicatio  eoruni  xelabilis  facta  erat  in  oculis  Aegyptiorum 
et  irritatio  erat  facta  ipsorum  (col.  616). 

Ntmc  autem  qui  divitias  eligunt  et  non  mores, 

pulchritudinem  et  non  fidem, 

et  quod  in  meretricibus  solet  quaeri, 

hoc  in  conjugibus  Optant, 

propterea  non  generant  filios  subditos  vel  sibi  vel  Deo, 

sed  contumaces  et  contra  se  et  contra  Deum, 

ut  filii  eorum  nofi  sint  fnictus  justae  conjunctionis  eoruni, 

sed  poena  condigna  irreligiös itatis  ipsortim  (col.  619  sq.). 

1)  S.  562fgg.     S.  616fg. 

2)  a.  a.  0.,  s.  847. 

3)  a.  a.  0.,  s.  618fgg. 

ZKITSCURIFT    K-   DEUTSCHK   PHILOLOOIB.       BD.   XL.  24 


370  PAAS 

Salomon  und  Roboam  sind  ein  vorbild  Christi  und  des  christlichen  volkes: 
Salomon  in  mysterio  populi  fuit  christiani  bene  rncipientis  : 
Roboam  autem  in  mysterio  populi  male  finientes  (col.  621). 

Zu  Matth.  1,22:  Dies  alles  aber  ist  geschehen  usw.  fragt  der  autor:  Quid 
totum?  und  gibt  sich  dann  selbst  die  antwort: 

Ut  virgo  propinquo  suo  desponsaretur, 

ut  casta  servaretur, 

ut  angelus  per  somnium  Joseph  loqueretur, 

ut  sponsam  eam  aceipere  jtiberetur, 

ut  piieri  nomen  Jesus  vocaretur, 

ut  virgo  miindi  Salvatorcm  generaret  (col.  634). 

Von  dem  nährvater  Christi,  dem  hl.  Josef,  wird  gesagt: 
Ipsos  denique  magos  vidit  adorantes, 
et  divina  dona  eorum  praesentantes  (cel.  635). 

Um  die  heuchele!  des  königs  Herodes  (Matth.  2,  7. 8)  zu  geisseb,  hebt  der 
Verfasser  hervor: 

Devotionem  promittebat, 

qui  gladium  aeuebat 

et  malitiam  cordis  sui  humilitatis  colore  depingebat  (col.  641). 

Würden  wol  die  weisen  aus  dem  Morgenlande  das  kind  in  der  krippe,  welches 
(seiner  menschlichen  natur  nach)  die  ehrfurchtsvolle  anbetung  nicht  erkannte,  an- 
gebetet haben,  wenn  sie  nicht  geglaubt  hätten,  dass  etwas  göttliches  in  ihm  ver- 
borgen sei? 

Ergo  non  pueritiae  dettilerunt  honorem  nihil  intellegenti, 

sed  divinitati  ejus  omnia  cognoscenti  (col.  642). 

Sieiit  enini  aurum  vel  argcntum  cotnbustis  in  fornace  sordibus  colatur, 
sie  homo  in  fornacem  tentationis  missus   depositis  peccatis  sancti- 

ficatur  (col.  661). 

Waxum  hat  Christus  nicht  von  einer  vi7-go  simplex,  sondern  von  einer  virgo 
desponsata  geboren  werden  wollen? 

Ideo  desponsata  intravit  domum  Joseph, 
ut  dum  maritalis  coneeptio  aestiniatur, 
unigeniti  Dei  nativitas  non  cognoscatur? .{col.  ßQA). 

Von  den  beiden  brüdern  Simon  Petrus  und  Andreas,  die  am  galiläischeu  meere 
von   Christus   zu   aposteln    berufen    wurden,    wird    gesagt:    mittentes    rete    in   mare 
(Matth.  4, 18),  damit  durch  das  gewerbe,  welches  sie  ausübten,  ihre  zukünftige  er- 
habene würde  bereits  im  voraus  angedeutet  würde: 
Ut  intelleg amtis ,  quia 

non  solum  ista  secunda  piscatio  spirittialis  a  Deo  eis  erat  donata, 
sed  etiatn   prima   illa    corporalis    Dei  Providentia    in   eis   fuerat 

ordinata  (col.  674). 

Der  Zorn  ist  die  ui-sache  des  mordes.    Nimm  den  zorn  hinweg,  und  der  mord 

unterbleibt: 

Nani  si  concedatur  licentia  irascendi, 
datur  et  causa  homicidii  faciendi  (col.  689). 


DER   SATZPARALLELISMUS    IN    DEM    OPUS    IMPERFECTUM    IX    MATTHAEUM  371 

Nech  Luc.  7,21  wirkte  Christus  in  der  stunde,  als  die  beiden  von  Johannes, 
dem  täufer,  entsandten  jünger  bei  ihm  eintrafen,  viele  heilwunder.  Die  geheilten 
aber  sprachen  ihm  laut  ihren  dank  aus;  einige  sagten:  So  etwas  haben  wir  in  Israel 
niemals  gesehen;  andere  erklärten:  Gott  hat  sein  volk  heimgesucht;  wider  andere 
riefen:  Ehre  sei  Gott,  der  solche  macht  dem  menschen  gegeben  hat.  Darum  gab 
Christus  den  Jüngern  auf  ihre  frage:  Bist  du  es,  der  da  kommen  soll,  oder  sollen 
wir  auf  einen  andern  warten,  zur  antwort:  Gehet  hin  und  verkündet  dem  Johannes, 
was  ihr  gesehen  und  gehört  habt. 

Sic  ergo  discipuli  et  oculis  et  auribus  pascebantur, 

mirabilia  sanitatuni  videntes, 

gratias  agentiiim  voces  aiidientes, 

aut  certe  mirabilia  ejus  videntes, 

et  doctrinam  ejus  audientes, 

aut  eerte  sanitates  infirmorum  videntes, 

et  confessiones  eiecto?-um  daemonum  audientes  (col.  773). 

Christus  sagt^(Matth.  11,27):  Omnia  mihi  tradita  sunt  a  Patre  tneo.  Leben 
und  tod,  reichtum  und  armut  sind  in  seine  band  gelegt: 

Usqite  nunc  enim  paupertas  blasphemare  cogebat, 
furtum  committere  suadebat; 
divitiae  autem  inßabant, 

nocendi  virtutem  praestabant  (col.  778). 

« 

Quäle  praemium  detur, 

in  potestate  est  munerantis; 

qualem  autem  exitum  hdbeat  uniimquodque  certamen, 

non  est  in  potestate  certantis  (col.  827). 

Als  Christus  seinen  feierlichen  einzug  in  Jerusalem  hielt  und  dort  im  tempel 
aus  dem  munde  der  kinder  sein  lob  erscholl,  wurden  die  hobenpriester  und  ältesten 
des  Volkes  von  neid  n,nd  eifersucht  erfüllt. 

Qui  ingrediebatur  ut  homo,  laudabatur  ut  Deus. 

Qui  celabatur  in  carne,  demonstrabatur  in  voce. 

Quem  malitia  saeerdotum  quasi  honiinem  blasphemabat, 

hunc  innocentia  pa/rvulorum  quasi  Deum  exaltabat. 

Quantum  autem  ille  "glorificabatur, 

tantiini  sucerdotes  invidia  torquebantur, 

et  illius  honor  Ulis  fiebat  in  tormentum. 

Sic  enim  est  res, 

ut  quando  boni  in  sua  virtute  laudantur, 

mali  autem  in  sua  invidia  crucianiur  (col.  847). 

Matth.  25,24:  Der  faule  knecht  beschuldigt  seinen  herrn  der  härte,  um  .seine 
trägheit  zu  entschuldigen: 

Si  igitur  etiam  in  gentibus  scminavit  gratiam  suam, 

ex  quibus  malus  justitiae  colligitur  fructus: 

qitomodo  in  te  metit,  quod  non  seminavit, 

quem  quasi  aratro  spirituali  crucis  suae  verho  aravit, 

quem  doctrina  justitiae  seminavit, 

quem  Spiritu  saucto  irrigacit?  (col.  937). 

24* 


372  NECKEL,   ZU   ZEITSCIfR.  39,   308.    322 

Aus  allen  diesen  beispielen,  welche  hinsichtlich  der  zahl,  sowie  des  baues  der 
einzelnen  parallelen  glieder  eine  reiche  mannigfaltigkeit  darbieten,  gewinnt  man  den 
eindruck,  dass  der  autor  des  Op.  impf,  mit  den  gesetzen  und  regeln,  welche  während 
der  verflosseneu  Jahrhunderte  über  den  satzparallelismus  der  form  in  der  kunstprosa 
sich  ausgebildet  hatten,  wol  vertraut  war  und  sie  praktisch  anzuwenden  verstand. 
So  wird  das  bereits  durch  andere  gründe  gewonnene  und  sicher  gestellte  urteil,  dass 
er  als  stillst  eine  sehr  gewandte  persönlichkeit  war,  auch  auf  diesem  wege  von 
neuem  bestätigt. 

CREFELD.  UR.    THEODOR   PAAS. 


Zu  Zeitschr.  39,  308  fg.  322  fg.  ^ 

Die  hier  vorgenommene  Scheidung  innerhalb  des  c.  26  wird  durch  folgende 
Überlegung  bestätigt.  Wenn  der  dichter  des  Grossen  Sigurdsliedes  aus  seiner  deutschen 
quelle  den  pakt  aufnahm,  den  Sigurd  mit  den  Giukungen  in  betreff  ihrer  Schwester 
schliesst  (s.  324  fg.),  so  konnte  er  ein  unverhülltes  anbieten  der  tochter,  wie  es 
c.  26,44fgg.  erzählt  wird,  nicht  gebrauchen.  Letztere  scene  stammt  also  aus  dem 
andern  text,  dem  Alten  liede.  Wol  aber  lag  es  für  den  dichter  des  Grossen  liedes 
nahe,  diese  scene  auszubilden  in  eine  form,  in  der  sie  sich  als  eine  blosse  ermun- 
terung  Sigurds  zur  Werbung  um  GuSrun  darstellt.    Diese  form  liegt  c.  26,20  —  35  vor. 

Das  Traumlied  von  c..25  ist  ein  litterarischer  ableger  der  Sig.  ra. 
Golther  nannte  die  scene  zwischeÄ  Brynhild  und  GuSrün  c.  25 ,  39  fgg.  eine  art  vor- 
wegnähme des  Zankes  der  königinnen.  Aber  nicht  die  senna  selbst  (c.  28,1  — 16)  ist 
hier  nachgeahmt,  sondern  das  in  der  saga  folgende  gespräch  (c.  28,  26  —  78),  das  ich 
i8.  325  als  eine  vom  dichter  des  Grossen  Sigurdsliedes  herrührende  Umbildung  der 
senna  erklärt  habe. 

Gleich  die  einleitende  frage  ist  hier  und  dort  ganz  dieselbe.  Wie  GuSrun  in 
c.  28  beginnt:  Ver  kät,  Brynhildr!  .  .  .  hvat  stendr  per  fyrir  ganini?  so  an  der 
früheren  stelle  Brynhild :  Hvi  megi  Jjer  eigi  gledi  bella?  ger  .eigi  ßat!  skemtum  oss 
allar  saman!  ....  Die  rollen  sind  einfach  vertauscht.  Auch  der  männervergleich, 
den  Brynhild  nun  vorschlägt  imd  der  auf  die  erzählung  von  Sigurd  hinausläuft,  ist 
im  Grossen  liede  deutlich  vorgebildet  (c.  28,  45  —  60).  Auch  dort  preist  Brynhild  den 
Sigurd  (str.  24).  Endlich  die  traumdeutung  führt  einfach  das  aus,  was  in  c.  28  GuSrüu 
über  das  weissagen   der  Brynhild  äussert:   Langt  ser  hugr  pinn  um  fram  (z.  78). 

Es  ist  nicht  recht  klar,  worauf  sich  diese  äusserung  bezieht.  In  dem,  was 
unmittelbar  vorangeht,  scheint  sie  keine  rechtfertigung  zu  finden.  Vielleicht  gehört 
sie  z.  71  fg:  er  af  per  rennr^  mantu  iSrax.  Dann  wäre  GuÖrüns  bemerkung  im 
original  höhnisch  gemeint  gewesen.  Das  würde  nicht  bloss  gut  in  den  Zusammenhang 
passen  —  seit  z.  65  ist  GuSrün  gereizt,  weil  Biynhild  ihre  kindliche  pietät  verletzt 
hat  (bezeichnend  für  den  dichter!)  — ,  es  würde  sich  auch  gut  damit  vertragen,  dass 
der  dichter  des  Trauniliedes  den  gedanken  aufgriff  und  neu  motivierte.  Weder  er 
noch  der  sagaschreiber  scheinen  die  äusserung  verstanden  zu  haben.  Letzterer 
brachte  sie  deshalb  als  losgerissene  einzelheit  am  ende  des  dialogs. 

In  ihrer  traumdeutung  erwähnt  Brynhild  auch  die  Grimhild  und  ihren  ge- 
dächtnislöschenden trank.  Das  beruht  nicht  nur  offenbar  auf  dem  Grossen  liede  (Heusler, 
Germanist,  abh.  für  H.  Paul  46),  sondern  widerum  eben  auf  unserm  c,  28,   wo  Bryn- 

1)  Fortsetzung  von  Zeitschr.  40,  219  fg. 


FISCHER,   ZU   ZEITSGIIR.   40,  237  373 

hild  der  Grimhild  grollt  wegen  des  grünt  qI  (c.  28,  64,  vgl.  e.  25,76:  ...  miqS^  er 
qllum  oss  keinr  i  mikit  strid). 

Es  ist  unverkennbar,  dass  der  Verfasser  des  Traumliedes  von  der  absieht  ge- 
leitet gewesen  ist,  gewisse  für  ihn  gegebene  motive  so  oder  so  in  seinem  werke 
unterzubringen.  Er  verdoppelte  den  träum  der  GuSrun,  lediglich  weil  er  den  aus 
Deutschland  importierten  falkentraum  verwerten  wollte'.  Und  wie  seltsam  berührt 
es,  wenn  GuSn'ui,  die  in  der  absieht  kommt,  sich  ihre  träume  deuten  zu  lassen,  erst 
in  eine  lange  Unterhaltung  verwickelt  wird,  die  mit  den  träumen  wenig  —  auf  den 
ersten  blick  gar  nichts  —  zu  schaffen  hat.  Brynhild  beschränkt  sich  nicht  auf  die 
traumdeutung,  sondern  fügt  etwas  über  Grimhild  ein,  was  widerum  nicht  zur 
Sache  gehört. 

Wir  verstehn  diesen  aufbau  des  gedichts,  wenn  wir  auf  seine  quellen  blicken. 
Das  meiste  stammt,  wie  gesagt,  aus  dem  teil  der  Sig.  m.,  der  in  c.  28  nacherzählt 
ist.  Die  zweite  hauptquelle  ist  die  GuSrün  IL  was  ich  in  der  erwähnten  arbeit  nach- 
zuweisen hoffe. 

Bemerkenswert  ist  bei  diesem  fall,  dass  sich  hier  das  abhängigkeitsverhältnis 
zweier  denkmäler,  wie  mir  scheint,  zur  evidenz  dartun  lässt,  von  denen  uns  keins 
im  original  vorliegt. 

1)  Abweichend  von  Heusler  (a.  a.  o.  40  fgg.)  u.  a.  glaube  ich,  dass  das  gedieht 
von  anfaug  an  beide  träume  enthielt.  lu  meinen  Beiträgen  zur  Eddaforschung  wird 
diese  auffassung  begründet. 

BRESLAU.  G.  NECKEL. 


Zu  Zeitschr.  40,  237. 

Wenn  Uhland  im  „Blinden  König"  Hocli  auf  des  meeres  bord  schreibt,  so  hat 
Kosenhagen  a.a.O.  wol  nicht  unrecht,  wenn  er  darin  etwas  „nordisch -seemä-ssiges" 
findet.  Aber  unrecht  hat  er  in  anderem.  Erstens  hat  Uhlands  Pariser  aufenthalt  mit 
der  lesart  gewiss  gar  nichts  zu  tun ;  denn  so  viel  französisch  hat  er  schon  vorher  ge- 
konnt, und  es  ist  doch  an  der  stelle  vor  allem  an  das  niederdeutsch -nautische  bord 
zu  denken.  Zweitens  ist  der  satz  falsch:  „Im  deutschen  hat  bord  nie  und  nirgends 
den  sinn  ufer  oder  rand."-  Dass  es  den  sinn  „raud"  ursprünglich  hat,  steht  im 
Kluge.  Aber  auch  in  den  heutigen  südwestdeutschen  mundartcn  ist  b.  (hochdeutsch 
bort)  weit  vei breitet:  Schweiz,  idiotikon  4,  1627  fgg.  =  rand,  fluss-,  seeufer  u.  dgl. 
(nebst  20  compositionen);  mein  Schwäbisches  Wörterbuch  1,  1299  ^=  ufer  eines  flusses, 
bachs,  grabens;  Martin -Lienhart,  ELsäss.  Wörterbuch  2,84  (port,  nicht  etwa  j)ör  ge- 
sprochen) =  abhang,  rain,  ufer.  Für  das  ufer  eines  baches  braucht  es  neben  G.  Keller 
auch  mein  vater :  An  des  baches  verblühten  borden  (J.  G.  Fischer,  Gedichte  1854,  s.  120). 
Von  einem  ,gallizismus"  ist  nicht  die  rede. 

TÜBINGEN.  HERMANN    FISCHER. 


374 


LITTERATUR 

Paul  Herrmann,  Island  in  Vergangenheit  und  gegenwa'rt.  Reiseerinneiungen. 
Leipzig,  W.  Engelmauu  1907.  2  bde.  XH,  367  und  VI,  316  s.  Mit  116  ab- 
bildungen  im  text,  2  titelbildern  und  1  Übersichtskarte.     15  m. 

Paul  Hernnann,  gymnasialprofessor  in  Torgau,  bekannt  als  Übersetzer  des 
Saxo  gramiuaticus  und  als  verfasset  von  zwei  populären  handbüchern  der  germani- 
schen und  nordischen  mythologie,  hat  sich  im  sommer  1904  zwei  monate  lang  (vom 
4.  juni  bis  zum  9.  august)  in  Island  aufgehalten  und  legt  bereits  jetzt,  was  ihm  so 
leicht  keiner  nachmachen  wird,  ein  2 bändiges  reisewerk  vor.  Man  darf  ihm  nach- 
rühmen, dass  er  für  seine  reise  umsichtig  und  sorgfältig  sich  vorbereitet  hatte ,  indem 
er  bemüht  gewesen  war,  über  die  politische  und  culturelle  geschichte  des  landes, 
seine  natürliche  beschaffenheit  und  seine  wirtschaftlichen  zustände,  nicht  minder  aber 
auch  über  seine  spräche  und  litteratur  durch  das  studium  der  einschlägigen  werke, 
deren  zahl  nicht  gering  ist,  sich  zu  unterrichten. 

Sein  buch  zerfällt,  wie  der  titel  andeutet,  in  zwei  teile.  Den  grösseren  räum 
beansprucht  der  eigentliche  reisebericht,  da  der  Verfasser  sich  nicht  darauf  beschränkte, 
die  von  allen  touristen  befahrene  strecke  von  Eeykjavik  nach  der  alten  thingstätte 
und  den  weltberühmten  springquellen  in  augenschein  zu  nehmen  und  zu  beschreiben, 
sondern  auch  an  der  unwirtlichen,  durch  reissende  gletscherströme  gefährdeten  süd- 
küste  entlang,  die  vor  ihm  noch  kein  deutscher  reisender  beti'oten  hatte,  vou  einem 
umsichtigen  führer  geleitet,  seinen  weg  nahm,  um  über  die  südabhänge  des  Vatnajökull 
hinweg  den  Djüpivogur  zu  erreichen,  von  wo  aus  dann  der  ritt  in  nnw.  richtung 
durch  die  JökuldalsheiSr  und  im  tale  der  dem  AxarfjörSr  zuströmenden  Jökulsa  mit 
ihrem  grossartigen  Wasserfalle  (Dettifoss)  fortgesetzt  wurde,  bis  man  bei  Hüsavik  die 
küste  des  Eismeers  erreichte  und  nun  im  weiten  bogen,  um  das  Myvata  herum,  nach 
Akureyri  am  EyjafjörÖr,  dem  Zielpunkte  der  reise,  gelangte.  Er  weiss  mit  lebendiger 
anschaulichkeit,  die  dem  trefflichen  werke  von  Kälund  (das  ihn  an  stelle  des  noch 
nicht  vorhandenen  reisehandbuches  auf  seinem  ritt  begleitete)  abgeht,  zu  schildern 
und  von  der  durchzogeneu  landschaft  dem  leser  ein  greifbares  bild  zu  geben,  dessen 
eindruck  durch  die  beigegebenen  illustrationen  (guten  reproductionen  wolgelungener 
Photographien)  noch  verstärkt  wird.  Besonderes  Interesse  wendet  der  verf.  den  statten 
zu,  an  denen  von  den  altisländischen  sagas  berichtete  denkwürdige  ereignisse  sich  ab- 
spielten, namentlich  den  aus  der  Njäla  bekannten  gehöften  BergJ)örshväll  und  Hliöarendi 
und  ihrer  näheren  Umgebung,  und  er  flicht  längere  auszüge  aus  diesen  berichten  in 
seine  erzählung  ein,  um  auch  seine  leser*  für  diese  jedem  Isländer  teuren  erinnerungen 
zu  interessieren.  Dass  hierbei  neue,  für  die  Wissenschaft  fruchtbare  ergebnisse  sich 
herausstellen  würden,  war  nicht  zu  erwarten,  und  wenn  er  hier  und  da  betont,  dass 
der  sagaschreiber  infolge  ungenügender  kenntnis  des  lokals  irrtümliche  angaben  ge- 
macht hat  oder  dass  die  ströme  in  der  Rangärvallasysla  durch  Veränderung  ihres 
laufes  die  landschaft  im  südon  des  I'rihyrningr  nicht  unbedeutend  umgestaltet  ha!)en, 
so  sind  das  dinge,  die  in  der  Arbok  des  Fornleif af elag ,  bei  Kälund,  Finnur  Jonsson  u.  a. 
längst  festgestellt  waren.    Aber  die  aus  zuverlässigen  quellen  und  eigener  anschauung 

1)  H.  hofft,  wie  es  scheint,  ein  grosses  publikum  zu  finden  und  darunter  auch 
leute,  die  sich  über  die  quartanerbildung  nicht  erhoben  haben.  Denn  band  I  s.  32 
lesen  wir  die  belehrung,  dass  ein  gewisser  Tacitus  'der  bedeutendste  geschichts- 
schreiber  der  nachaugusteischen  zeit'  gewesen  sei! 


ÜBER  HERHMANN,    ISLAND  375 

geschöpften ,  überall  von  guter  beobachtungsgabe  und  gesundem  urteil  zeugenden  mit- 
teilungen  über  das  heutige  Island,  die  handeis-,  Verkehrs-  und  erwerbsverhältnisse, 
das  Schulwesen',  die  vielversprechenden  anfange  neuisländischer  inusik,  sculptur  und 
Schauspielkunst  usw.  begrüsst  man  mit  aufrichtigem  danke,  und  zahlreiche  praktische 
winke  und  ratschlage  werden  reisende,  die  nach  dem  verf.  die  alte  Isafold  besuchen, 
mit  vorteil  benutzen.  * 

Der  zw^eite  teil  des  buches,  die  eingeschobenen  capitel  historischen,  geographi- 
schen und  naturwissenschaftlichen  Inhalts,  sind  nur  als  mehr  oder  minder  geschickte, 
aber  unselbständige  coni))ilationen  zu  bezeichnen,  in  denen  die  benutzten  werke  allzu 
reichlich  und  allzu  oft  wörtlich  ausgeschrieben  sind  (die  gänsefüsschen,  die  diese  ent- 
lehnungen  andeuten  sollen,  hätten  um  ein  beträchtliches  vermehrt  werden  können). 
Im  2.  capitel  (bd.  I  s.  90fgg.)  sind  sogar  aus  der  LandfneSissaga  Islands  von  forvaldur 
Thoroddsen  auch  die  bibliographischen  hinweise  auf  die  von  dem  trefflichen  isländi- 
schen geologen  in  langer,  mühseliger  arbeit  durchforschte,  z.  t.  schwer  erreichbare 
litteratur  in  den  fussnoteu  reproduciert. 

Eine  nicht  ganz  unbeträchtliche  anzahl  von  versehen  und  flüchtigkeiten  wollen 
wir  dem  Verfasser ,  dem  sein  mit  arbeit  gesegneter  beruf  zu  litterarischer  beschäftigung 
wenig  zeit  übrig  lässt,  minder  hoch  anrechnen.  Es  ist  ihm  z.  b.  passiert,  dass  er  einen 
isländischen  vogel,  den  seepapagei  (lundi),  den  er  bd.  I  s.  35  nach  seiner  zoologischen 
quelle  ganz  richtig  beschreibt  und  benennt-,  auf  s.  181  zu  einem  fische  macht,  weil 
er  der  falschen  Übersetzung  eines  (nicht  erwähnten!)  gewährsmannes^  allzu  vertrauens- 
selig gefolgt  ist.  Hätte  er  etwas  minder  eilfertig  gearbeitet,  so  wäre  ihm  auch  wol 
nicht  die  kühne  behauptung  entschlüpft  (I,  30),  dass  Pytheas  von  Massilia  die  erste 
nordpolexpedition  unternahm,  oder  (1,89)  die  befremdende  mitteilung,  Arngrimur 
Jonsson  habe  als  erster  'erwiesen',  dass  der  Verfasser  der  Eddalieder  nicht  Saemundr, 
sondern  Snorri  wäre  (bd.  II  s.  37  zeigt  er  sich  ja  besser  unterrichtet);  er  hätte  sich  viel- 
leicht auch  gesagt,  dass  das  citat  aus  der  Maria  Stuart  (I,  23)  an  jener  stelle  gänzlich 
deplaciert  ist.  Bd.  I  s.  29  lesen  wir:  'Hier  (auf  Häey)  fand  einst  einer  der  bedeutendsten 
wikingerkämpfe  statt'  —  als  wenn  es  um  ein  historisch  festgelegtes  ereignis  des  9.  jahrh. 
sich  handelte!  Ebenda  s.  152  werden  als  zeugen  für  den  stand  der  Chirurgie  im  nor- 
dischen altertum  die  Hrölfs  saga  Gautrekssonar,  die  Sturlaugs  saga  imd  die  V(jlsunga 

1)  Der  klage,  dass  die  ehrwürdige  lateinschule  zu  Reykjavik  durch  die  Um- 
gestaltung des  lehrplans  aus  einer  heimstätte  humanistischer  bildung  zu  einer  nur  die 
praktischen  bedürfnisse  anerkennenden  und  berücksichtigenden  modernen  'normal- 
anstalt'  herabgesunken  ist,  kann  man  nur  aus  vollem  herzen  sich  anschliesscn.  Das 
beispiel  des  norwegischen  radikalismus  ist  leider  auch  hier  massgebend  gewesen,  der 
durch  die  Verbannung  des  griechischen  aus  den  höheren  schulen  ebenso  kulturfeind- 
lich sich  erweist  wie  durch  .sein  bestreben,  die  litteratursprache,  in  der  grosso  dichter 
unsterbliche  mcistorwerke  schufen,  durch  ein  destillat  aus  den  rohen  bauerndialekten 
zu  ersetzen.  Es  war  die  höchste  zeit  — und  hoffentlich  noch  nicht  zu  spät!  —  dass 
Björnstjerne  Björnson  sein  zorniges:  Quousqtie  tandein!  erschallen  lioss:  trifft  man 
doch  Ijereits  auch  in  wissenschaftlichen  Zeitschriften  aufsätze,  die  in  dem  nirgends 
gesprochenen  kunstjargon  geschrieben  sind,  was  mau  nur  als  groben  unfug  be- 
zeichnen kann. 

2)  Vgl.  die  interessanten  mitteilungen  über  den  fang  dieses  vogels  auf  den 
Fferöer  bei  Hammershaimb,  Fairosk  anthologi  I  (Kl)h.  1891)  s.  XXXfg. 

3)  Rud.  Kügtl,  Lit-gesch.  I,  57.  Auf  einen  zweiten  Übersetzungsfehler  dieses 
gelehrten,  den  Herrmann  ihm  ebenfalls  auf  treu  und  glauben  nachschreibt  (berin 
' bäronfleisch ' ! !) ,  hat  bereits  Andr.  Heuslor  (Anz.  f.  d.  alt.  22,  244)  aufmerksam 
gemacht. 


376  GERING   ÜBER   HERRMANN,   ISLAND 

saga  citiert!  —  Der  berühmte  erfinder  des  lichtheil  Verfahrens,  Fiusen,  war  nicht,  wie 
bd.  I  s.  151  angegeben  wird  ein  Isländer,  sondern  ein  Faeringer  (wenn  auch  aus  isländi- 
dischem  geschlechte).  —  Zu  der  behauptung  (I,  190):  'Roggen  (rugr)  wird  öfter  in  den 
Edden  und  sagas  erwähnt'  inuss  ich  ein  grosses  fragezeichen  machen.  In  der  Lieder - 
Edda  kommt,  das  wort  jedesfalls  nicht  vor,  und  in  der  Snorra  Edda  (II,  493)  nur  in  einer 
nafnaj)ula,  die  die  suös  heiti  zusammenstellt,  was  für  isländischen  roggenbau  ebenso 
wenig  beweisend  ist  wie  die  erwähnung  von  roggenmehl  in  einer  visa  der  Bjarnar  saga 
Hitdoelakappa  (str.  14*):  alle  andern  belege  für  rugr  und  seine  composita,  die  bei 
Fritzner  und  Gu5br.  Vigfüsson  sich  finden,  stammen,  wenn  man  von  der  Lakningabok 
absieht,  die  bekanntlich  kein  originalwerk  ist,  ausschliesslich  aus  norwegischen  quellen. 
—  Die  angäbe,  dass  Island,  fjos  aus  fe-hüs  entstanden  sei  (I,  218)  ist  ohne  zweifei 
unrichtig  (vgl.  Noreen,  Altisl.  gramm.'  §  111)  und  überaus  seltsam  die  meinung  (I,  268), 
dass  die  ausspräche  des  rn  und  U  als  ddn  und  dal,  die  schon  im  15.  jahrh.  sich 
nachweisen  lässt  (Noreen,  Grundr.  P.  583)  'historisch  nicht  berechtigt'  sei.  —  Bd.  I 
s.  237  sagt  der  verf.:  'Der  Königsspiegel  ist  die  älteste  cetologie,  die  wir  haben'; 
dieser  ausspruch  (vermutlich  veranlasst  durch  den  titel  von  Konr.  Maurers  bekannter 
abhandlung,  Zeitschr.  4,  8lfgg.)  muss  doch  notwendigerweise  bei  unkundigen  die 
meinung  erwecken ,  dass  in  der  Konungsskuggsjä  von  weiter  nichts  als  von  walen  die 
rede  sei;  wenn  ebenda  angegeben  ist,  dass  häslieröingr  (==  häkerling,  häkarl)  das 
'seekalb'  bezeichne,  so  ist  das  nur  ein  aus  "Weinholds  Altnordischem  leben  herüber- 
genommener, vermutlich  durch  wörtliche  Übersetzung  des  dän.  havkalv  (einer  volks- 
etymologischen umdeutuug  von  altn.  hä-karl)  entstandener  Irrtum,  da  jene  isländischen 
Wörter  nur  verschiedene  namen  einer  haifischart  (squalus  carcharias)  sind.  —  Bd.  I 
s.  286  lesen  wir,  dass  Snorri  Sturluson,  'einer  der  grössten  männer  aller  zeiten'(!) 
zweimal  gesetzsprecher,  'd.  h.  präsident  des  freistaates'  gewesen  sei,  was  zu  ganz 
falschen  Vorstellungen  anlass  geben  könnte,  da  gerade  das  die  charakteristische  eigen- 
tümlichkeit  des  isländischen  Staatswesens  war,  dass  eine  centralgewalt  mit  executiven 
befugnissen  nicht  existierte  und  (wie  s.  108  ganz  richtig  bemerkt  ist)  die  functionen 
des  iQgsQgumaSr  sich  im  wesentlichen  darauf  beschränkten,  während  des  althings  vor- 
trage über  das  geltende  recht  zu  halten  und  in  strittigen  fällen  gutachten  zu  erteilen.  — 
Dass  das  wort  godi  (got.  gudja)  ursprünglich  einen  'besprecher'  oder  'zauberer'  be- 
zeichnet habe  (I,  102)  dürfte  schwerlich  zu  erweisen  sein.  —  Bei  der  beschreibung 
eines  flügelaltars  in  der  kirche  zu  BessastaSir  (I,  331)  äussert  H.  sein  erstaunen,  dass 
'bei  den  seitenbildern  sogar  die  rückseite  auch  bemalt  ist",  scheint  also  nicht  zu 
wissen,  dass  dies  bei  triptychen  geradezu  die  regel  bildet.  Die  von  ihm  selbst  mit 
bedauern  eingestandene  Unkenntnis  des  Schachspiels  (I,  365)  bekundet  er  dadurch,  dass 
er  die  figur  der  riddari  durch  'soldat'  statt  durch  ' Springer'  verdeutscht.  —  Finnur 
Magnussen  (Finn  Magnusen)  erhält  bd.  I  s.  340  das  ehrende  prädikat:  'der  berühmte 
Sammler  isländischer  handschrifteu',  auf  das  Arni  allein  gerechten  anspruch  hat, 
während  die  bescheidenen  Verdienste  von  Finnur,  der  allerdings  auch  handschriften 
sammelte,  auf  einem  ganz  anderen  gebiete  liegen.  —  Dass  SkarpheSinn  auf  seiner 
nase  eine  'warze'  hatte  (bd.  II  s.  60)  wird  in  der  Njala  nicht  berichtet,  denn  die  von 
Möbius  im  Glossar  gegebene  erklärung  von  lidr  ist  unrichtig  (s.  Fritzner  s.  v.  und 
Kälund  zu  Laxd.  c.  63, 12).  —  Auffallend  ist  auch  die  Sorglosigkeit,  mit  der  H.  über 
die  nordischen  genusregeln  sich  hinwegsetzt:  'später  zog  man  in  den  wiking'  (1,85), 
'in  dem  sogenannten  vertief'  (I,  244),  'der  bür'  (I,  313),  'eine  abschritt  des  Land- 
nämabök'il,  S27),  'an  der  prestasköli'  (11,36),  'der  läla  SncBfelV  (II,  172),  'in  der 
DyngjufjöW  (II,  178),  auf  der  Hrafnasker  (II,  235)  usw.     Ärgerlich  endlich  ist  es, 


MAROLD    ÜBER   PIQUET,   GOTTFRIKD   DE    STRASBOURG  377 

dass  der  verf.  die  bd.  I  s.  VII  aufgestellte  regel  für  die  worttrounung,  die  so  allgemein 
ausgesprochen  falsch  ist,  in  den  ersten  11  bogen  (später  hat  ihm  wol  ein  isländischer 
freund  den  star  gestochen)  mit  pedantischer  consequenz  strengstens  befolgt:  landl- 
ceknir(\)^  forum  -  aÖr  {\)^  Hjeradsv  -  atn  {\)  usw.  usw. 

Auch  über  den  deutschen  ausdruck  ist  verschiedentlich  klage  zu  führen:  vgl. 
z.  b.  1,259:  'man  schloss  gemäss  des  berichtes  alter  leute,  dass  dies  Egils  ge- 
beine  wären';  I,  268:  'um  eben  der  Schwierigkeit  der  ausspräche  wegen';  I,  313: 
'die  alten  Deutschen  pflegten  unter  dem  boden  höhlen  zu  öffnen';  I,  322:  'die 
kühe  stehen  zuweilen  im  winter  unter  oder  neben  der  baSstofa,  um  die  wärme  auf- 
zufangen'; I,  345:  '1608  wurden  die  noch  stehenden  Speicher  .  .  abgebrochen  oder 
eingelegt  (?);  I,  365:  'eine  Zeitschrift.  .  die  er  ausschliesslich  allein  schrieb'; 
II,  44:  'ein  tal  von  völlig  alpinenhaftem  charakter';  u.  a.  m.  Als  unzulässige 
connivenz  an  die  nordische  gepflogenheit  muss  es  bezeichnet  werden,  wenn  ein 
Deutscher  von  Südjütland  statt  von  Schleswig  spricht  (bd.  II  s.  254). 

Die  correctur  ist,  obgleich  H.  durch  einen  hilfsbereiten  collegeu  unterstützt 
wurde,  recht  mangelhaft  ausgeführt.  Ich  halte  mich  nicht  bei  den  harmloseren 
druckfehlern  auf,  die  jeder  leser  selbst  berichtigt,  sondern  verzeichne  nur  die  schlim- 
meren und  sinnstörenden:  band  I  s.  42'°  lies  unterseeischen  st.  unterirdischen;  48" 
braunkohlenablagerungen  st.  braunkohlablagerungen;  74^-  zu  ross  st.  zu  fuss;  98-"  im 
sogenannten  Julianehaabs-distrikt;  150^  leberbandwurms  st.  lederband wurms;  154*^ 
isländische  st.  griechische;  band  IT  s.  12'^  königsspiegel  st.  königsspiel;  37*'  Ver- 
gessenheit st.  Vergangenheit;  54*'  rollt  st.  sollt;  99"  zu  zeiten  st.  zuweilen.  Be- 
sonders häufig  sind  nordische  Wörter  verunstaltet  (wobei  ich  von  den  unzähligen  ver- 
gessenen oder  falsch  gesetzten  accenten  sowie  von  der  Verwechslung  zwischen  (/  und  d 
ganz  absehe):  band  I  s.  47 "  lies  lagttagelser  st.  Jagttagelser  (ebenso  II,  69^);  48® 
Borgarhraun  st.  -hrann;  176"  Al{)ingishiis  st.  Alpingis-  (das  cursive  p  in  der  ver- 
wendeten Schrift  sieht  allerdings,  weil  die  hasta  nach  oben  übermässig  verlängert  ist, 
einem  ^  verzweifelt  ähnlich);  215*"  Fjdrhorg  st.  Fiaar-;  236*  Föstbr.  st.  Fröstbr.; 
236'-  veidarfceri  st.  -fj'feri;  268'^  jeg  skil  st.  jey  skild;  279'  Prr/;lastraumiir  st. 
-stramur  (übernommen  aus  Kälund  II,  413!);  band  II  s.  46"  Pörsimrk  st.  Pörsmörk] 
59'^  u.  ö.  Bergjjöra  st.  -p6ra\  123**  Syshtmadr  st.  Sylumadr\  131'^^  smorrebrod 
st.  smörbrod;  164'"  Pvottdreyjar  st.  Pvottdr-\  240*^  HallormsstaSaskogur  st.  Hallorm- 
stadak6gur\  251  -  stofmin  st.  siofmim;  252'^  bnkasafn  st.  bökarsafn;  261 '  Minningarrit 
st.  Mmmgarrit;  271'"  Pormödseyrr  st.  -err  usw.  usw.  Hübsch  ist  es  auch  nicht, 
dass  der  name  des  von  H.  häufig  citierten  und  um  Island  wolverdienten  Wiener  Schrift- 
stellers J.  C.  PoestioD  consequeut  falsch  geschrieben  wird:  denn  jedermann,  nicht 
bloss  ein  Goethe,  hat  das  recht,  die  respectierung  seines  ererbten  hantgemäl  zu  fordern 
(vgl.  auch  I,  72  u.  ö.  Howel  st.  Howell). 

KIEL.  HUGO   GERING. 


Piquet,  F.  (professeur  ä  la  facultö  des  lettres  de  l'universite  de  Lille),  L'origiualite 
de  Gottfried  de  Strasbourg  dans  son  porme  de  Tristan  ot  Isolde. 
Etüde  de  litterature  comparee.  Lille  1905  (Travaux  et  momoires  de 
l'universite  de  Lille.    Nouvello  Serie  I.    Droit- Lettres.  —  Fascicule  5).    380  s.  8"'. 

1)   Vgl.  DLZ   1906  d.  24.  februar  (E.  Martin),  Rovue  critiquo  1906  d.  23.  juli 
(E.Henry  Bloch),   Herrigs  Archiv  N  S.  XVII   (1906)  s.  195—199  (M.  J.  Mjnckwitz). 


378  MAROLD 

Wenn  E.  Kölbing  in  seiner  „Tristrams  Saga"  s.  CXLVIII  die  ansieht  aus- 
sprach, dass  seine  Untersuchung  dazu  dienen  werde,  „derneigung,  denjenigen  unserer 
mittelhochdeutschen  dichter,  welche  nach  französischen  quellen  gearbeitet  haben, 
diesen  gegenüber  eine  übergrosse  fülle  von  subjectivität  und  selbständigem  urteil  zu 
vindicieren,  ein  für  allemal  ein  ende  zu  machen",  so  schoss  dieses  urteil  doch  wol 
über  das  ziel  hinaus  und  blieb  daher  nicht  unwidersprochen  (vgl.  E.  Bechstein,  Gott- 
frieds von  Strassburg  Tristan^  s.  XLII).  Seine  grundlegenden  quellenuntcrsuchungen, 
die  zum  ersten  male  unwiderleglich  dargetan  haben,  dass  Gottfried  „peinlich  genau" 
nach  dem  französischen  Thomasgedichte  gearbeitet  habe,  schliessen  an  sich  eine  ge- 
wisse Selbständigkeit,  die  auch  über  stilistische  unterschiede  hinausgeht,  nicht  aus. 
Auf  der  grundlage  dieser  und  anderer  Untersuchungen  deutscher  und  französischer 
Tristanforscher  war  erst  die  arbeit  J.  Bediers  möglich,  der  1902  als  ersten  band  von 
nr.  46  der  Societe  des  anciens  textes  fran<,-ais  seine  inhaltliche  reconstruction  des 
roman  de  Tristan  par  Thomas  unter  eiufügung  der  erhaltenen  Thomasfragmente  ver- 
öffentlichte, dem  dann  1905  der  zweite  band,  die  einleitung,  folgte,  die  mit  grosser 
Vollständigkeit  und  feinsinnigem  urteil  die  Tristanfrage  ihrem  gesamten  umfange  nach 
kritisch  beleuchtet  und  zu  eineiu  vorläufigen  abschluss  gebracht  hat.  In  einem  be- 
sonderen capitel  hat  er  auch  die  frage  gestreift,  wie  weit  Gottfried  original  genannt 
werden  kann,  aber  p.  80  sich  beschieden:  „C'est  aux  critiques  de  Gottfried  de  le 
tenter,  si  notre  reconstruction  du  Tristan  de  Thomas  leur  offre  pour  la  premiere  fois, 
comme  nous  l'esperons,  une  base  solide".  Dieser  aufgäbe  hat  sich  F.  Piquet  in  der 
vorliegenden  preisgekrönten  Schrift,  die  er  J.  Bedier  widmet,  mit  einer  hingebung  und 
einer  schärfe  des  Urteils  unterzogen,  die  das  werk  zu  einer  der  bedeutendsten  ger- 
manistischen arbeiten  der  letzten  zeit  machen.  Das  buch  ist  auch  insofern  beachtens- 
wert (ebenso  wie  Bediers  Thomas),  als  es  uns  zeigt,  dass  es  in  wissenschaftlichen 
fragen  keine  nationalen  unterschiede  gibt  und  geben  sollte.  Schon  durch  seine  Etüde 
sur  Hartmann  d'Aue  (1898)  hatte  der  Verfasser  sein  geschick  bekundet,  sich  liebevoll 
in  einen  dichter  unserer  nation  zu  versenken,  seine  abhängigkeit  von  französischen 
Vorbildern  und  seine  künstlerische  Selbständigkeit  scharfsinnig  abzuwägen  und  die 
letztere  zu  einem  gesamtbilde  zu  vereinigen,  wie  wir  sie  bis  dahin  —  trotz  Schön- 
bachs wertvollem  buche  über  Hartmann  von  Aue  —  noch  nicht  hatten.  Dass  man 
in  Frankreich  auch  andere  meinungen  über  das  Verhältnis  unserer  mittelhochdeutschen 
dichter  zu  ihren  französischen  vorlagen  hegt,  zeigt  das  1901  erschienene  buch  von 
.1.  Firmery,  Notes  critiques  sur  quelques  traductions  aliemands  de  poemes  franpais  au 
moyen  äge,  das  sich  in  seinem  dritten  ca|)itel  auch  mit  Gottfried  beschäftigt  und  ihn 
auf  grund  von  einzelnen  wörtlichen  anklängen  p.  120  als  einen  sklavischen  Übersetzer 
bezeichnet,  der  von  Thomas  und  Chretien  so  genau  wie  möglich  abhängt.  Piquet 
citiert  diesen  seinen  landsmann  einmal  en  passant,  ohne  jedoch  gelegenheit  zu  nehmen, 
seinen  prinzipiell  verschiedenen  Standpunkt  Gottfrieds  dichtung  gegenüber  besonders 
zu  betonen:  sein  buch  spricht  ihn  vernehmlich  genug  aus. 

Nachdem  P.  in  einer  einleitung  seine  kritischen  grundsätze  dargelegt  hat,  geht 
er  mit  grosser  besonnenheit  auf  dem  vorgezeichneton  wege  auf  sein  ziel  los.  Er 
vergleicht  mit  senipulöser  geuauigkeit  die  3144  erhaltenen  verse  der  Thomasfragmente, 
allerdings  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  fragmente  ein  und  demselben  gedichte 
oder  gar  derselben  redaction  angehört  haben,  mit  den  entsprechenden  teilen  der  Saga, 
um  dann  die  gewonnenen  rosultate  für  die  vergloichung  der  Saga  mit  Gottfried  ver- 
werten zu  können.  Eine  ebenso  oxacte  vergleichung  zwischen  142  Thomasversen  mit 
den   entsprechenden  Gottfriedisclien   versen  ist  besonders  instructiv   für  die  richtige 


ÜBER   PIQUET,    GOTTFRIED    DE   STRASBOURG  379 

ästhetische  Würdigung  Gottfrieds,  weil  einige  grundzüge  seiner  genialen  dichterischen 
Persönlichkeit  schon  hier  zum  ausdruck  kommen.  Die  Saga  mnss  also  neben  den  ge- 
ringen festen  des  Thomasgedichtes  die  eigentliche  gmndlago  der  vorgleichung  Gott- 
frieds mit  seiner  vorläge  abgeben.  In  dem  folgenden  hauptteile  des  buches,  der  ab- 
schnitt für  abschnitt  (nach  Bechsteins  capiteleinteilung) ,  fast  vers  für  vers  diese 
vergleichuug  durchführt,  wird  nur  gelegentlich  in  zweifelhaften  fällen  der  Sir  Tristrem 
(noch  seltener  die  folie  Tristan  und  der  prosaroman)  herangezogen. 

Dass  P.  zur  feststellung  der  dichterischen  persönlichkeit  Gottfrieds  und  zur 
Charakteristik  seines  Schaffens  auf  die  partieen  besonders  hinweist,  in  denen  wir 
notwendig  sein  geistiges  eigentum  sehen  müssen,  lag  in  der  natur  der  ganzen  frage: 
also  auf  den  prolog,  die  litterarischo  stelle  in  der  Schilderung  der  schwertleite,  in  der 
allegorischen  dcutung  der  minnegrotte  und  in  allen  den  kürzeren  oder  längeren  stellen, 
in  denen  er  offen  seine  persönliche  meinung  ausspricht  oder  gegen  die  Überlieferung 
polemisiert.  Hier  freilich  werden  wir  schon  vorsichtiger  sein  müssen,  wenn  wir  z.  b. 
sehen,  wie  Gottfried  in  der  bekannten  kritik  seines  gewährsmannes  Thomas  (v.  146 fgg.) 
einfach  eine  stelle  übertragen  hat,  in  der  Thomas  fast  dasselbe  von  seinem  Vorgänger 
Breri  sagt  (vgl.  J.  Bedier,  Lo  Roman  de  Tristan  I  p.  377  v.  2116  —  2123  und  dazu 
II  p.  38j.  Doch  P.  geht  recht  vorsichtig  zu  werke;  er  scheidet  p.  7 fg.  die  stellen, 
wo  Gottfried  sich  auf  dax.  nirere  beruft  und  durch  die  Saga  und  Sir  Tristrem  con- 
trolliert  werden  kann ,  von  denen ,  wo  die  Saga  und  Sir  Tristrem  schweigen.  Freilich 
eine  andere  frage  ist  es,  ob  wir  dem  Verfasser  in  seiner  identifLcierung  von  S  (Saga)  und 
und  T  (Thomas)  werden  überall  folgen  können.  Wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass 
die  fragmente  des  Thomasgedichtes,  die  sich  mit  S  vergleichen  lassen,  vorwiegend 
wenig  haudlung,  dagegen  viel  reflexion,  dialoge  und  monologe  enthalten  und  Sir 
Tristrem  nur  einen  balladenartigen  auszug  aus  der  ganzen  handlung  gibt.  AVir  können 
daher  doch  kein  für  alle  fälle  sicheres  urteil  darüber  abgeben,  wie  in  bezug  auf  die 
reihenfolge  der  ereignisse  das  Verhältnis  zwischen  S  und  T  war,  selbst  wenn  wir 
zugeben,  dass  die  junge  handschrift,  in  der  uns  S  überliefert  ist,  im  wesentlichen 
die  arbeit  des  mönchs  Robert  repräsentiert.  Ob  also  z.  b.  auch  die  allegorische 
deutung  der  kleider  der  jungen  ritter  in  spe,  wie  sie  Gottfried  4553 fgg.  unter  be- 
rufung  auf  dax  mcere  gibt  und  die  in  S  nicht  steht,  trotzdem  auf  T  zurückzuführen 
sein  wird,  wie  Heinzel  wollte,  oder  nicht,  ist  kaum  zu  entscheiden.  Ebenso  ist  auch 
inbetreff  der  Umstellungen  einzelner  handlungen  oder  reden,  wie  sie  in  Gottfrieds 
gedieht  gegenüber  der  Saga  mehrfach  sich  zeigen,  durchaus  noch  nicht  entschieden, 
dass  wir  hierin  selbständige  änderungeu  Gottfrieds  vor  uns  sehen  und  nicht  vielmehr, 
wie  Kölbing  wollte,  spuren  einer  anderen  redaction  von  T,  die  Gottfried  vorlag. 

P.  ist  allerdings  nicht  bestrebt,  wichtige  abweichungen  Gottfrieds  von  S  ihm 
allein  zuzuschreiben.  In  der  berühmten  stelle  73 15 fgg.,  die  die  erzählung  von  der 
fahrt  Tri.stans  nach  Irland,  um  seine  wunde  heilen  zu  la.ssen,  enthält,  rechnet  er 
durchaus  mit  dem  factor,  dass  S  verstümmelt  den  text  von  T  widergibt.  Er  setzt 
sich  mit  Kölbing  und  mit  Bedier  in  der  frage  auseinander,  ob  T  den  Tristrem  itdok 
u-äne  oder  mit  bestimmt  ausgesprochener  absieht  nach  Irland  hat  fahren  lassen.  Der 
beweis,  dass  S  und  Sir  Tristrem  (vgl.  v.  1162  to  wil)  trotz  der  kürze  doch  spuren 
der  zweiten  auffassung  von  Tristans  fahrt  zeigen,  scheint  mir  durchaus  gelungen  zu 
sein;  aber  das  bedenken,  ob  wir  wirklich  gezwungen  sind,  S  und  iSir  Tristrem  auf 
dieselbe  redaction  von  T  zurückzuführen,  wie  Gottfried,  ist  doch  noch  nicht  beseitigt. 

Auf  s.  250  bespricht  P.  die  beiden  stellen  13781  —  13816  und  13817-13856, 
wo  einmal  zweifei  und  argwöhn  in  der  liebe  verwünscht  werden  und  dann  ohne  ver- 


380  EHRISMÄNN 

mittlung  das  gegenteil  ausgeführt  wird.  In  meiner  Tristanausgabe  s.  LVI  habe  ich 
die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  wir  es  hier  mit  einer  doppelten  recension  Gott- 
frieds selbst  zu  tun  haben',  uud  die  ausführungen  Piquets  bestärken  mich  nur  darin, 
zumal  der  zweite  gedanke  mit  einer  andern  originalen  partie  Gottfrieds  v.  13053 fgg. 
inhaltlich  sich  berührt;  zu  beachten  ist  auch,  dass  13817  — 13856  in  der  Münchener 
Tristanhs.  fehlen.  Dass  aber  v.  15 181  fg.,  wie  Piquet  s.  261  nr.  2  vermutet,  unecht 
sein  sollen,  vermag  ich  nicht  einzusehen;  dass  Tristan  von  Brangäne  bereits  auf  das 
gestreute  mehl  aufmerksam  gemacht  ist,  genügte  doch  noch  nicht  unter  allen  um- 
ständen Tristan ,  diese  list  zu  schänden  zu  machen ,  es  musste  sicher  auch  darauf  hin- 
gewiesen werden,  dass  er  für  den  gewagten  sprung  noch  die  genügende  beleuchtung 
hatte,  um  die  entfernung  abschätzen  zu  können;  dass  ferner  v.  15 140 fgg.  das  licht 
verhangen  ist,  steht  dem  Inhalte  jener  fraglichen  verse  auch  nicht  im  wege. 

Es  ist  sicher  richtig,  dass,  wie  P.  s.  279  ausführt,  weder  S  noch  Sir  Tristrem 
eine  genaue  beschreibung  der  minnegrotte  geben,  aber  S  enthält  doch  cap.  LXIV 
die  grundlinien  der  beschreibung.  "Wenn  sich  also  Gottfried  v.  16707  auf  dax  mcBre 
beruft,  so  können  wir  schon  annehmen,  T  habe  die  wesentlichsten  züge  dieses  liebes- 
paradieses  ihm  bereits  zur  Verfügung  gestellt.  Trotzdem  enthält  sicher  diese  scene  sehr 
viel  eigenes  von  Gottfried,  vor  allem  die  allegorische  deutung  mit  ihrem  rein  persön- 
lichen ton  und  dem  selbstbekentnis,  die  übrigens  wider  in  der  Münchenor  Tristanhs. 
fehlt  (16905  — 17142);  vgl.  s.  LVfg.  meiner  Tristanausgabe  über  die  Kicken  dieser  hs. 

Ein  paar  kleine  versehen  sind  noch  stehen  geblieben,  von  denen  ich  die 
wesentlichsten  berichtige:  S.  164  z.  7  ist  7235  statt  7335  zu  lesen,  s.  197  nr.  1  ist 
als  fünfte  stelle,  wo  Paranis  vorkommt,  noch  10708  hinzuzufügen,  s.  265  z.  2  rauss 
15660  statt  15560  stehen,  s.  287  ist  durch  eine  merkwürdige  ideenassociation  aus 
Bl.  von  Steinahe  ein  Bl.  von  Steinbach  geworden,  s.  298 fgg.  ist  überall  huote  statt 
huot  zu  lesen. 

Das  buch  als  ganzes  ist  eine  hervorragende  erscheinung,  ein  schönes  denkmal 
für  unseren  Gottfried.  Der  letzte  teil,  der  Gottfried  als  mensch  und  dichter  charak- 
terisiert, vereinigt  die  durch  mühsame  einzeluntersuchung  gewonnenen  steinchen  zu 
einem  glänzenden  mosaikbilde,  aus  dem  uns  in  ermangelung  der  kenntnis  von  den 
äusseren  lebensumständen  des  dichters  nun  ein  bild  des  inneren  menschen  entgegen- 
strahlt, wie  wir  es  uns  glänzender  bisher  nicht  vorstellen  konnten.  P.  ist  selbst  er- 
staunt über  dies  bild:  „de  l'epreuve  ä  laquelle  nous  l'avons  soamise,  la  gloire  de 
Gottfried  sort  plus  rayonnante". 

1)  Ich  benutze  hier  die  gelegenheit,  einen  störenden  druckfehler  auf  jener  seite 
zu  verbessern:  Z.  12  v.  u.  ist  ein  „nicht"  zwischen  „überhaupt"  und  „vor"  ein- 
zuschieben. —  S.  201  ist  huote  für  das  unberechtigte  not  einzusetzen  (v.  14420). 

KÖNIGSBERG   I.  PR.  K.  MAROLD. 


Die    Personennamen    der    deutschen    Schauspiele    des    mittelalters    von 

Wilhelm  Arndt.  Germanistische  abhandlungen ,  23.  heft.    Breslau,  M.  u.  H.  Marcus 

1904.     X,  113  s.    8».     3,60  m. 
Das  spiel  von   den  zehn  Jungfrauen  uud  das  Katharinenspiel,  untersucht 

und  herausgegeben  von  Otto  Beckers.     Germanistische  abhandlungen,  24.  heft. 

Breslau,  M.  u.  H.  Marcus  1905.     VIII,  158  s.     8°.     5  m. 

Arndt  hat  das  material   tleissig  gesammelt,   auch   belege  für  das  vorkommen 
seltenerer  uamen  aus  andern  mhd.  diclitungen  und  aus  geschichtsquellen  beigebracht, 


ÜBER   ARNDT   UND   BECKERS  381 

aber  über  eine  statistische  aufzählung  mit  etymologischen  erklärungen  und  erklärungs- 
versuchen  ist  er  nicht  hinausgekommen.  Er  ist  zu  sehr  an  der  rein  sprachlichen  seite 
der  aufgäbe  haften  geblieben  und  gibt  z.  b.  etymologien  von  so  bekannten  namen  wie 
Franciscus,  Cunrat,  Eberhart  und  dgl.  Das  thema  konnte  aber  zu  einem  kulturbild 
erweitert  werden,  wobei  allerdings  die  Untersuchung  auf  einen  viel  breiteren  boden 
hätte  gestellt  werden  müssen. 

Das  spiel  von  den  zehn  Jungfrauen  ist  in  zwei  handschriften  auf  uns 
gekommen,  der  Mühlhauser  (A)  und  der  Darmsüidter  (B).  Beide  gehen  auf  eine  ge- 
meinsame quelle  zurück.  B  ist  eine  ziemlich  starke  Umarbeitung,  die  hauptsächlich 
durch  ausmalung  ergreifender  scenen  vielfach  erweitert  ist.  Da  aber  in  A  ebenfalls  die 
Überlieferung  oft  fehlerhaft  ist,  so  blieb  für  die  kritik  ziemlich  viel  Spielraum.  Beckers 
hat  die  aufgäbe  der  texther.stellung  mit  geschick  gelöst.  Die  Zusätze  von  B  verraten 
sich  in  vielen  fällen  schon  äusserlich  durch  massenhaft  gleiche  bindungen  {gen '.ge- 
sehen-.sen)  als  unecht,  anderes  aber  liegt,  besonders  bei  A,  verdeckter. 

Die  beurteilung  der  einschaltungen  wie  die  textkritischen  fragen  überhaupt 
fallen  den  beiden  ersten  capiteln  zu  (I.  Die  Überlieferung,  s.  1 — 22,  IL  Die  behand- 
lung  des  Stoffes,  s.  23  —  37,  wo  auch  die  beschreibuug  der  handschriften  und  ihrer 
spräche  |A  thüringisch,  B  oberhessisch  mit  resten  des  thüringischeu  Originals]). 
Das  dritte  capitel  enthält  „die  entwickluugsgeschichte  des  zehnjungfrauenspiels"  (s.  38 
bis  44).  Unabhängig  ist  es  von  dem  altfranz.  Sponsus.  Der  grundstock  ist  hergestellt 
aus  dem  text  der  evangelien,  aus  anderen  versen  der  Bibel,  aus  antiphonen  und 
wenigen  hymnen.  Für  das  zu  gründe  liegende  lateinische  spiel  will  der  Verfasser  zwei 
entwicklungsstufen  annehmen  und  rechnet  unter  die  zutaten  der  zweiten  stufe  be- 
sonders zwei  hymnen.  Das  würde  also  zwei  redactionen  voraussetzen.  Aber  beweis- 
gründe  sind  dafür  nicht  vorzubringen,  vielmehr  gehören  solche  lyrisch  gehobene  ein- 
lagen  zu  dem  wesen  dieser  späteren  lateinischen  spiele,  wie  denn  auch  schon  der  nah- 
verwandte Benedictbeurer  Ludus  paschalis  durch  pathetische  stellen  ausgeschmückt 
ist  (vgl.  W.  Meyer,  Fragm.  Bur.  s.  65fgg.). 

Im  vierten  capitel,  „das  zehnjuugfrauenspiel  und  die  tradition  des  geistlichen 
Schauspiels"  (s.  45  —  95),  werden  die  berührungen  mit  anderen  spielen  aufgedeckt. 
Verwandtschaft,  teilweise  unmittelbare  benutzung,  lässt  sich  erweisen  für  das  Kün- 
zelsauer  fronleichnamsspiel,  das  Juttaspiel,  den  Ludus  Mariae  Magdalenae  in  gaudio 
(Erlauer  spiele  IV),  das  Alsfelder  passionsspiel,  die  Frankfurter  und  Inusbrucker 
spiele.  —  Die  Stimmung,  aus  welcher  das  lateinische  spiel  mit  der  idee  'bereit  sein 
ist  alles'  hervorgieng,  findet  der  Verfasser  in  jener  starken  religiösen  bewegung, 
welche  1260  von  Umbrien  aus  die  gläubigen  des  mittleren  und  oberen  Italiens  in 
ihrer  seelenangst  zur  exstase  hinriss  und  deren  sittlicher  grundgedanke  das  gefühl 
der  Sündhaftigkeit,  das  bedürfnis  der  busse  war.  Auch  nach  Deutschland,  aber  nur 
nach  den  oberen  landen,  hat  diese  erregung,  ein  verlauf  der  späteren  geisselfahrten, 
übergegriffen.  So  wäre  allerdings  hiermit  ein  günstiger  boden  gegeben  gewesen  für 
die  entstehung  eines  bussspiels.  Aber  diese  epidemie  war,  wie  auch  dio  von  1349, 
nur  akut  Am  ende  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  wo  der  Verfasser  dio  entstehung 
des  lateinischen  spiels  ansetzt,  konnte  diese  plötzliche  erscheinung  nicht  mehr  auf  die 
dichterische  hervorbringungskraft  anregend  einwirken.  Zu  der  auffassung  dieser  zeit 
gehört  aber  doch  das  thema  von  der  bereitschaft  und  in  der  zwoiti'u  hülfto  dos  Jahr- 
hunderts wird  darum  wol  das  lateinische  original  entstanden  sein. 

Unter  der  metrik  (s.  5fgg.)  hat  der  Verfasser  nur  den  reimgebrauch  beobachtet. 
Aber  in  der  wähl  der  rhythmen  gerade  zeigt  sich  die  stärke  des  dichters,   durch  die 


382  WUNDERLICH   ÜBEK   BRENNER,   DIE   ORUNDLAGEN   UNSERER   RECHTSCHREIBUNa 

künstlerisclie  form  zu  wirken.  Nach  der  Stimmung  wechselt  der  rhythmus.  Easch 
bewegt  durch  viele  Senkungen  sind  z.  b.  die  leichtsinnigen,  zum  vergnügen  auffor- 
dernden reden  der  törichten  Jungfrauen  v.  73fgg.,  dazu  im  gegensatz  stehen  die 
ernsten,  angstvollen  mahnungen  zum  wacbseiu,  v.  117fgg.,  getragen  in  langsamem 
tempo  mit  wenig  Senkungen.  Zu  leidenschaftlicher  erregung  steigert  sich  der  aus- 
dnick  in  den  zwischen  kurzen  und  langen  versen  an-  und  abschwellenden  klagen  der 
fatuae  bes.  v.  421 — 502;  die  reden  der  do?ninica  persona,  einfach  und  würdevoll  in 
der  Sprache,  haben  dagegen  gleichmässige ,  wenig  bewegte  rhythmische  formen  (die 
abschreiber  haben  hier  öfter  längere  versa  gesetzt,  die  sofort  durch  ihre  stilwidrigkeit 
aus  dem  rhythmischen  Schema  herausfallen,  so  A  238.  248.  274  und  wahrscheinlich 
auch  250,  B  201).  In  der  declamation  und  der  sprachmelodik  muss  eine  solche  ab- 
wechslung  wirksam  zur  geltung  gekommen  sein. 

Kürzer  ist,  seiner  geringeren  bedeutung  entsprechend,  das  Katharinenspiel  be- 
handelt. Auch  hier  verdient  die  herstellung  des  textes  alles  lob,  zumal  mehrere 
schwierige  entstellungen  in  der  handschrift  vorliegen. 

HEIDELBERG.  G.  EHRISMANN. 


Die  lautlichen  und  geschichtlichen  grundlagen  unserer  rechtschrei- 
bung  von  0.  Brenuer.     Leipzig,  B.  G.  Teubner  1902.     11,  68  s. 

Das  büchlein  ist  aus  vortragen  erwachsen,  die  den  teilnehmern  der  Würzburger 
ferienkurse  das  Verständnis  erschliessen  sollten  für  die  bedingungen,  unter  denen  ein 
Schriftsystem  sich  entwickelt,  und  für  die  Grundlagen,  auf  denen  unsere  deutsche 
rechtschreibung  beruht.  Daraus  ist,  wie  begreiflich,  eine  Verurteilung  des  heutigen 
Systems  gefolgert  worden,  doch  hebt  der  verf.  ausdräcklich  hervor,  dass  er  niemand 
veranlassen  wolle,  „an  der  nun  neu  gewonnenen  reichsorthographie  zu  bessern",  sie 
möge  „  fortbestehen  bis  alle  massgebenden  kreise  von  ihrer  Unzulänglichkeit  überzeugt 
sein  werden  und  eine  wirklich  befriedigende,  moderne  Schreibung  fertig  vorbereitet 
zur  Verfügung  steht". 

Wir  haben  also  zwei  richtungen,  in  denen  die  darstellung  sich  bewegt,  eine 
didaktische  und  eine  polemische.  Die  ausführuugen,  die  der  belehrung  und  aufklärung 
dienen,  sind  in  mustergültiger  knapper  form  dargeboten,  nichts  ist  unterlassen,  was 
das  Verständnis  erleichtern  könnte.  Die  physiologische  erklärung  bereitet  den  boden 
vor,  auf  dem  die  historische  Würdigung  nachpflügt.  Vielleicht  dass  dann  und  wann 
in  dem  bestreben  knapper  Zusammenfassung  eine  einzelheit  abgestreift  wurde,  die  für 
die  Zeichnung  hätte  bestimmend  sein  können.  Auch  des  eindrucks  kann  man  sich 
nicht  erwehren,  dass  die  polemische  richtung  auf  die  auswahl  der  vorzuführenden 
tatsachen  zu  sehr  drückte. 

Und  wenn  sich  dann  aus  der  darstellung  der  geschichtlichen  grundlagen  der 
deutschen  rechtschreibung  das  gleiche  ergebnis  herausschält,  das  die  geschichtliche 
betrachtung  unserer  spräche  überhaupt  erzielt,  dass  willkür  und  inconsequenz  in  allem 
gewordenen  mitsprechen,  so  ist  dies  kein  genügender  anlass,  gerade  das  schriftsystein 
von  den  Schicksalen  ausnehmen  zu  wollen,  die  es  mit  anderen  richtungen  des  sprach- 
lebens  teilt. 

Die  allgenieingültigkeit  als  wichtigste  eigenschaft  einer  Orthographie  bringt  auch 
in  diese  frage,  wie  Brenner  richtig  anerkennt,  das  konservative  moment  herein;  gegen 
dieses  kann  wol  nur  unter  dem  gesichtspunkt  der  technischen  Schwierigkeiten  ange- 
kämpft werden,  die  das  erlernen  des  Systems  in  der  Volksschule  bereitet.     Durch  die 


NEDK    KRSOriKINTJNGEN  383 

didaktischen  zwecke  der  vortrage  ist  diese  seite  der  bevreisfühning  naturgemäss  zumck- 
gedrängt.  Immerhin  kommt  sie  zur  geltmig  in  der  dritten  von  Brenners  schluss- 
forderuugen  (keine  lautverbindivngen ,  wo  einfache  laute  vorUegen,  kein  seh,  ng,  ch 
s.  61).  Ob  dem  obersten  grundsatz,  den  er  aufstellt  „für  jeden  laut  ist  ein  zeichen 
zu  wählen,  das  den  verschiedenen  gleichwertigen  aussprachsformen  des  deutschen 
Sprachgebietes  in  gleichem  inasse  gerecht  wird  "  (s.  60)  schon  jetzt  nachgegeben  werden 
kann,  scheint  mir  fraglich.  Der  verf.  täuscht  sich  gelegentlich  (vgl.  s.  83  zu  „m" 
und  ..2")  über  die  tatsächlichen  Verhältnisse  norddeutscher  ausspräche.  Durch  tat- 
sächliche gegensätze  in  der  landschaftlichen  ausspräche  würde  auch  die  durchfühning 
des  zweiten  grundsatzes  (nicht  mehrere  zeichen  für  einen  laut)  erschwert,  während 
der  fünfte  grundsatz  (länge-  oder  kürzebezeichnung  nur  in  den  nötigsten  fällen  und 
jedesfalls  entweder  nur  die  länge-  oder  nur  die  kürzebezeichnung)  sich  schon 
in  der  heutigen  rechtschreibung  ohne  Schwierigkeit  hätte  durchführen  lassen. 

HALENSEE.  HERMANN   WUNDERLICH. 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Die  redaction  ist  bemüht,  für  alle  zur  besprechnng  geeigneten  werke  aus  dem  gebiete  der  german. 

Philologie  sachkundige  refercnten  zu  gewinnen ,   übernimmt  jedoch  keine  Verpflichtung ,   unverlangt 

eingesendete  bücher  zu  recensieren.     Eine  zurücklief erung  der  rocensions-exemplare  an 

die  herren  Verleger  findet  unter  keinen  umständen  statt.) 

Forrer,  Robert,  Reallexikon  der  prähistorischen,  klassischen  und  frühchristlichen 
altertümer.     Mit  3000  abbildimgen.     Stuttgart,  W.  Spemann  (1908).    Till,  943  s. 

Haskell,  Juliana,  Bayard  Taylors  translation  of  Goethe's  Paust.  New  York,  Columbia 
University  Press  1908.     XI,  110  s. 

Helhiuist,  Elof,  Nägra  anmärkningar  om  de  nordiska  verben  med  media -geminata. 
[Güteborgs  högskolas  arskrift  1908.  H.]     Göteborg  1908.     51  s. 

Mildebrath,  Berthold,  Die  deutschen  -avanturiers'  des  18.  Jahrhunderts.  [Würz- 
burger di.ssert.]     Gräfenhainichen ,  C.  Schulze  &  Co.  1907.     (IV),  147  s. 

Sachs,  Haus.  —  Geiger,  Eugen,  Hans  Sachs  als  dichter  in  seinen  fabeln  und 
schwanken.    [Progr.  des  gyninasiums  zu  Burgdorf  in  der  Schweiz  1908.]    VI.  53  s. 

Schissel  von  Fieschenberg,  Otmar,  Das  adjektiv  als  epitheton  im  liebesliede  des 
zwölften  Jahrhunderts.  Leipzig,  E.  Avenarius  1908.  XIII,  144  ß.  (=Teutöuia. 
Arbeiten  zur  germanischen  philologie  hrg.  von  "W.  Uhl.    11.  heft). 

Schönbaeh,  Anton  E.,  Studien  zur  erzählungsliteratur  des  mittelalters.  Siebenter 
teil:  Über  Caesarius  von  Heisterbach  II.  S.  A.  aus  den  Sitzungsberichten  der 
kais.  akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.  Phiios.-histor.  klasse,  bd.  CLIX. 
Wien  1908.     51  s. 

Untersucbun«-en  und  quellen  zur  germanischeu  und  romanischen  philologie,  Johann 
von  Kelle  dargebracht  von  seinen  kollegen  und  Schülern.  1.  teil.  Mit  Unter- 
stützung der  Gesellschaft  zur  förderung  deutscher  Wissenschaft,  kunst  und  literatur 
in  Böhmen.  [Prager  Studien  herausgegeben  von  Carl  von  Kraus  und  Augu.st 
Sauer.  VIII.] 

Darin  u.a.:  E.  Berneker,  Weihen.  —  Fr.  v.  d.  Leyen,  Der  gefesselte  un- 
hold. —  J.  .lanko,  Zum  lautwort  des  gotischen  h.  —  W.  Meyor-Lübke,  Ger- 
manisch-romani.sche  Wortbeziehungen.  —  A.  Pogatscher,  Zur  behandlung  von 
lat.   XI   in  altenglischen   lehuwörtern.   —    W.  Keller,  Über  die  akzent»^   ii>   <1.m. 


384  NACFTRICHTEN 

angelsächsischen  handschriften.  —  V.  E.  Mourek,  Zur  syntax  des  konjunctivs 
im  Beowulf.  —  "W.  Wilmanns,  Zur  althochdeutschen  declination  und  Wort- 
bildung. —  E.  Stein mey er,  Isidor  und  Fragmenta  theotisca.  —  J.  Schatz, 
Zur  spräche  der  Wessobrunner  denkmäler.  —  E.  Sie  vers,  Zur-  älteren  Judith. — 
C.  V.  Kraus,  Die  ursprüngliche  sprachform  von  Veldekes  Eneide.  —  R.  Much, 
Zur  EigsJ)ula.  —  P.  Lessiak,  Der  vocalismus  der  tonsilbeu  in  den  deutschen 
uamen  der  ältesten  kärntnischen  Urkunden.  —  E.  Martin,  Zur  geschichte  der 
tiersage  im  mittelalter.  —  A.  "Wallner,  Kerling  und  Spervogel.  —  S.  Singer, 
Literarhistorische  misceüen.  —  G.  Ehrismann,  Die  treue  in  Hartmanns  Armem 
Heinrich. —  J.  Seemüller,  Zur  poesie  Neidharts. —  E.  Schröder,  Der  dichter 
der  Guten  frau.  —  V.  Junk,  Eine  historische  anspielung  in  Rudolfs  Wilhelm.  — 
W.  Foerster  und  K.  Burdach,  Die  Nikolsburger  Bispelhandschrift.  —  A.  Leitz- 
mann,  Zu  den  Kitzinger  fragmeaten  der  Schlacht  von  Alischanz.  —  J.  Bolte, 
Zehn  meisterlieder  Michael  Beheims.  —  E.  Priebsch,  Die  grundfabel  und  ent- 
wicklungsgeschichte  der  dichtung  vom  bruder  Rausch.  —  A.  Bernt,  Ein  beitrag 
zu  mittelalterlichen  Vokabularien.  —  M.  H.  Jellinek,  Zur  geschichte  der  agglu- 
tinationstheorie.  —  H.  Tschinkel,  Der  geuitiv  in  der  Gottscheer  mundart.  — 
G.  Roethe,  Regelmässige  satz-  und  Sinneseinschnitte  in  mittelhochdeutschen 
Strophen.  —  H.  Lambel,  Ein  bruchstück  einer  deutschen  predigt  Bertholds  von 
Regensburg.  —  K.  Zwierzina,  Bemerkungen  zur  Überlieferung  des  ältesten 
textes  der  Georgslegende.  —  A.  Sauer,  Aus  Jacob  Grimms  briefwechsel  mit 
slavischen  gelehrten. 
Vollmer,  Hans,  Ein  deutsches  Adambuch.  Nach  einer  ungedruckten  haudschrift 
der  Hamburger  stadtbibliothek  aus  dem  XV.  Jahrhundert.  Mit  zwei  illustrations- 
proben.     Hamburg,  Gelehrtenschule  des  Johanneums  1908.     51  s. 


NACHRICHTEN. 

Der  ausserordentl .  prof.  dr.  Max  frhr.  von  "Waldberg  (Heidelberg)  ist  zum 
ordentl.  honorarprofessor  ernannt. 

Es  habilitierten  sich:  in  Zürich  für  germ.  philol.  dr.  Rudolf  Pestalozzi, 
in  Wien  für  neuere  deutsche  litteraturgeschichte  dr.  Eduard  Castle,  für  dasselbe 
fach  in  Bonn:  dr.  C.  Enders. 


Der  internationale  congress  für  historische  Wissenschaften  wird 
vom  6.  — 12.  august  d.  j.  in  Berlin  tagen.  Die  anmeldung  zur  teilnähme  und  die 
einsendung  des  mitgliedsbeitrages  (20  m.)  wird  bis  zum  31.  juli  an  den  scliatzmeister 
des  congresses,  herru  geh.  kommerzienrat  Leopold  Koppel,  Berlin  NW.  7,  Pariser 
platz  6,  erbeten. 

Vorträge  haben  u.  a.  die  folgenden  herren  angemeldet:  für  die  allgemeinen 
Versammlungen  Pio  Rajna-Florenz  (Storia  ed  epopea)  und  Alexander  Bugge- 
Christiania  (Ursprung  und  glaubwürdigkeit  der  isländischen  saga),  für  die  4.  section 
(Kultur-  und  geistesgeschichte  des  mittelalters  und  der  neuzeit)  J.  Minor-Wien, 
A.  Olrik-Kopenhagen,    E.  Schröder-Göttingen. 


Buchdruckerei  des  Wmseiihausos  in  Halle  a.  S. 


STUDIEN  ZUE  ALTGERMANISCHEN  VOLKSTEACHT. 

In  den  sammlungsräumen  unserer  vaterländischen  altertumsmuseen 
trifft  man  das  von  Lindenschmit  reconstruierte,  in  der  Werkstatt  des 
Römiscli- germanischen  centralmuseuras  zu  Mainz  hergestellte  modell  eines 
Franken  d.  h.  eines  deutschen  wehrmannes  der  völkerwanderungszeit. 
Es  ist  zu  wünschen,  dass  diese  wolgelungene  und  sachverständige  nach- 
bildung  des  kostüms  und  der  trachtgemässen  ausrüstung  unter  uns 
populär  werde.  Sie  weicht  allerdings  zum  teil  von  den  volkstypen,  die 
wir  aus  der  archäologischen  litteratur  kennen  lernen,  nicht  unerheblich 
ab.  Während  die  nordischen  gelehrten  den  Germanen  jener  epoche  ein 
langes  von  den  hüften  bis  auf  die  füsse  reichendes  beinkleid  geben  ^, 
zeigt  der  „Franke"  eine  von  den  hüften  bis  zum  knie  reichende  „bruch" 
und  unterhalb  des  nackten  knies^  die  von  den  füssen  bis  über  die 
waden  herauf  mit  bändern  umwickelten  „hosen".  Ich  möchte  im  folgen- 
den diesen  widersprach  mit  hilfe  der  archäologischen  und  sprachlichen 
materialien  aufzulösen  versuchen^. 

Aus  der  vorgeschichtlichen  bronzezeit  besitzen  wir,  was  uns  in  den 
eichsärgen  des  nordens  von  den  trachtstücken  der  verstorbenen  erhalten 
geblieben  ist^.    Für  die  jüngeren  perioden  sind  die  kleidungsstücke  der 

1)  S.  Müller,  Nordische  altertumskunde  2,  129.  0.  ^lontclius,  Kultur- 
geschichte Schwedens  (Leipzig  1906)  s.  175. 

2)  „Das  nackte  knie  gehört  zur  Germanentracht  der  völkerwanderungszeit" 
M.  Heyne,  Körperpflege  und  kleidung  bei  den  Deutschen  von  den  ältesten  geschicht- 
lichen Zeiten  bis  zum  16.  jahrh.  (Leipzig  1903)  s.  259.  282. 

3)  Zur  geschichte  der  altgermanischen  tracht  sind  die  ausführungeu  Wein- 
holds  (Die  deutschen  frauen  2^  218fgg.)  und  Müllenhoffs  (Zs.f.d.a.  10,  550fgg.  = 
Deutsche  altertumskunde  4,  569 fgg.)  nicht  zu  übeisehon.  Ferner  ist  zu  verweisen 
auf  E.  Saglio,  Les  bracae  et  les  hosae.     Revue  celtique  XI  (1890),  33 fgg. 

4)  Vilh.  Boye,  Fund  af  Egekister  fra  Brouzealderon  i  Danmark.  Kjobenhavn 
1896;  vgl.  die  ausserdänischen  funde  s.  170fgg.  W.  Splieth,  Inventar  der  bronze- 
alterfunde  aus  Schleswig -Holstein  s.  21.  R.  ßeltz,  Die  Vorgeschichte  von  Mecklen- 
burg s.  39fg.  61.  Jahresschrift  für  die  Vorgeschichte  der  säclisiscli- thüringischen 
länder  1,  39  fgg.  Zur  webetechnik  ist  zu  vergleichen  G.  J.  Karl  in,  Nägra  under- 
sökuingar  om  den  förhistoriska  textilkonsten  i  norden.  Studier  tillägnado  0.  Moutelius 
(1903)  s.  189  fgg. 

ZEITSCHKIFT    F.  DEUTSCHK    PHILOLOGIK.       BD.  XL.  25 


386  KATJFFMANN 

aus  unseren  deutschen  mooren  gehobenen  leichen  zu  verwertend  Von 
zweifelhafterem  ergebnis  ist  für  unser  problem  die  nach  typen  der 
hellenistischen  skulptur  und  der  Schaubühne  stilisierte  monumentale 
Überlieferung  des  klassischen  altertums.  Brauchbarer  sind  einzelne  an- 
gaben der  römisch -griechischen  autoren.  Eine  wesentliche  ergänzung 
dieser  der  natur  der  sache  nach  fragmentarischen  Überlieferung  verdanken 
wir  allein  dem  altgermanischen  Sprachschatz-,  sodann  der  trachten- 
forsch ung  des  mittelalters  und  der  neiizeit. 

In  den  prähistorischen  Zeiträumen  stellt  sich  uns  die  altgermanische 
landestracht  an  der  westlichen  Ostseeküste  um  das  jähr  1000  v.  Chr. 
folgendermassen  dar:  eine  rundliche,  aus  einer  art  filz  hergestellte  kopf- 
bedeckung  der  männer  war  ihre  —  auch  auf  den  ostgermanischen 
„gesichtsurnen"  widerkehrende  —  „haube";  dies  Avort  ist  uralt,  denn 
es  steht  im  ablaut  zu  haupt  (vgl.  Sturmhaube,  pickelhaube).  Um  die 
schultern  wurde  ein  dicker  lodenmantel  getragen  (got.  hahds^  anord. 
hqkidl,  ags.  hacele,  ahd.  hackid):,  darunter  sass  der  schurzartige  wollene 
leibrock,  der  gern  farbig  gestreift  genommen  wurde  (anord.  .s/i/ÄTiy«,  ags. 
scicciti^^  sciccels^  ahd.  scercho^  mhd.  schechi)'^.  Die  hauptstücke  der 
frauentracht  bildeten  eine  mit  arm  ein  versehene,  eng  an  den  oberleib 
sich  schmiegende  jacke  (anord.  smokkr,  ags.  smocc^  ahd.  smoccko)  und 
der  dazu  gehörende  lange,  schwere  frauenrock.  Dazu  kam  für  männer 
und  weiber  ein  paar  mit  stoff  gefütterter  lederschuhe  (and.  ahd.  gisLuhi\ 
ags.  ^esccp).  Sie  waren  wol  nicht  alltäglich,  denn  einzelne  leichen  scheinen 
mit  blossen  füssen  beigesetzt  worden  zu  sein;  andere  bestattungen  wiesen 
noch  lederreste  auf,  die  als  fragmeute  einer  sohle  und  eines  riemen- 
werks  bestimmt  werden  konnten;  vereinzelt  ist  der  fand  des  Vorderteils 
eines  wollenen  schuhes  geblieben.  Boye  bemerkt  zusammenfassend:  det 
synes  i  det  hele,  at  fodbeklsedningen  har  bestaaet  af  laedersandaler  med 
remme  og  indenfor  disse  af  toibevikling,  medens  der  er  sandsynlighed 
for,  at  man  ogsaa  har  benyttet  toisko  indenfor  sandalerne  (s.  161)'^ 

1. 
Unklar  ist  die  in   den   prähistorischen   eichsärgen  gefundene  und 
von  Boye  so  genannte  „toibevikling"  geblieben.     Er  sagt  a.a.O.:  „der 

1)  J.  Mestorf ,  Moorleichen.  44.  bericht  des  Schleswig -Holsteinischen  museums 
vaterländischer  altertümer  (Kiel  1907)  s.  14fgg. 

2)  Vgl.  z.  b.  L.  Stroebe,  Die  altengl.  klcideraanien.     Diss.,  Heidelberg  1904. 

3)  Wackernagel,  Kl.  sehr.  1,  40fg. 

4)  Über  prähistorische  Stiefel,  die  andern  kulturkreisen  angehören,  vgl.  Jahres- 
schrift für  die  Vorgeschichte  der  sächs.  -  thüring.  länder,  bd.  6  (1907)  nebst  taf.  XVI. 


STUDIEN    ZUR    ALTGERMANISCHEX    VOLKSTRACHT  387 

var  om  hver  at'  ligets  fodder  i  Muldbjerg-kisten  viklet  et  toistykke 
(taf.  IV  fig.  4.  5),  som  vistnok  oprindelig  have  haft  anden  bestemmelse. . . 
fodderne  paa  liget  i  kisten  Trindhoi  A  liave  vistnok  virret  oniviklede 
med  to  striraler  uldtoi,  som  oprindelig  have  udgjort  eet  stykke  (taf.  XX 
fig.  4.  5),  der  vel  fra  forste  fivrd  har  vtiuet  benyttet  paa  anden  maade." 
Es  sind  wollene  läppen,  die  meines  eraclitens  dazu  dienten,  die  füsse 
und  beine  bis  zu  den  knieen  herauf  zu  verhüllen.  Boye  hat  diese 
läppen  (s.  84  und  s.  90)  genauer  beschrieben:  „to  toistykke  vacvede  af 
faareuld,  hvori  hjortehaar  ere  ret  rigelig  ispundne,  de  ere  hver  0,52  m 
lange,  paa  det  bredeste  0,18  m  brede,  og  have  veevekaut  paa  de  tre 
sider";  „fodderne  syntes  at  iiave  vivret  oniviklede  med  to  strimler 
uldtoi,  de  ere  naesten  rectangulaire,  hvoraf  det  ene  er  0,867  m  lang  og 
0,0S7  — 0.105  m  bredt,  det  andet  0,89  m  lang  og  0,075  —  0,091  m  bredt: 
de  have  udgjort  eet  stykke,  det  ene  af  dem  har  i  den  ene  ende  en 
bort."  Diese  tücher  waren  also  dazu  bestimmt,  gesehen  zu  werden; 
mit  ihnen  werden  die  Unterschenkel  bekleidet  worden  sein;  es-  fehlen 
nur  die  schmäleren  wollen-  oder  lederstreifen  mit  denen  diese  „hosen" 
festgeschnürt  werden  mussten.  Aber  gerade  solche  reifen-,  ring-  oder 
spiralförmig  umlaufenden  schnürbänder  kennen  wir  aus  unserem  alt- 
germanischen Wortschatz:  ^ot  raips  :  anonl.  ript,  ags.  riß,  ahd.  reft  bezw. 
ags.  huiirift  (tibialis),  ahd.  peinrcffa  (Heyne  a.  a.  o.  s.  253,  Stroebe 
s.  12.  53),  genauer  chniunß  Ahd.  gl.  2,  871,  55  (synonym  mit  duahillä). 
Diese  hosentracht,  bestehend  aus  w'ollenen  tüchern  als  wadenbinden 
und  ringförmig  umlaufenden  schnürbändern,  hat  sich  offenbar  sehr  lange 
in  Deutschland  erhalten.  Recht  gut  kennen  wir  sie  noch  aus  den  früh- 
geschichtlichen Zeiten.  Paulus  Diaconus  bemerkt,  die  Langobarden  hätten 
ihre  „hosen"  mit  weissen  bändern  verschnürt  {a  suris  inferkis  cau- 
didis  iitcbcuitur  fascco/is);  fügt  jedoch  hinzu,  diese  altmodische  kleidung 
sei  unter  dem  einfluss  der  römischen  modo  von  den  Langobarden,  wenn 
sie  sich  zu  pferd  setzten,  mit  gamaschen  vertauscht  worden  {postea  vero 
coeperunt  osis  uti,  siqjer  quas  eqiiitwites  tuhriKjos  birreos  nnttebant 
1,  24.  4,  22).  An  beiden  stellen  ist  von  den  langobardischen  hosen  die 
rede;  aus  der  zweiten  scheint  sich  zu  ergeben,  dass  die  Langobarden 
auch  die  wollenen  gamaschen  hosen  nannten,  nachdem  das  alte  wort 
für  das  neumodische  kleidungsstück  frei  geworden  war^  In  Deutsch- 
land ist  es  mit  der  hose  ebenso  gegangen:  als  die  fusslappen  von  den 
Strümpfen  verdrängt  wurden,  ging  auf  diese  der  alte  name  über;  fortan 
verstand  man  unter  einem  paar   hosen   ein  paar  strumpfe,   hosenbendel 

1)  La   guetre,    qu'   ou   a    nommo    lause   ou    lioHscmi  Revue  (■elti<iuo   XI,  40; 
J.  Grimm  (GDS  s.  482)  hat  fälschlich  die  brach  herangezogen. 

25* 


388  KAUFFMANN 

oder  hosennestel  Aviirde  die  bezeicbnung  für  das  Strumpfband  und  bosen- 
stricker  ist  so  viel  wie  unser  Strumpfwirker  (vgl.  Dwb.)^  Andernorts 
ist  der  erneuerung  der  tracht  eine  erneuerung  des  spracbgebraucbs  ge- 
folgt. Die  römiscbeu  gamascben,  von  denen  unsere  wollenen  strumpfe 
abstammen 2,  sind  nicbt  mebr  zum  umlegen,  sondern  zum  überstreifen 
eingerichtet;  darum  nannten  die  Angelsachsen  diese  ärmelförrnigen ,  römi- 
schen Wadenstrümpfe  strcqnilas  i=tubrugi,  hibroces)  d.  h.  Überzüge  und 
dieses  wort  ist  gerade  auch  als  englische  Übersetzung  der  langobar- 
dischen  üibrugi  belegt  (Stroebe  s.  64,  Heyne  s.  261). 

Aus  der  Veränderung  der  langobardischen  reitertracht  oder  reiter- 
uniform wird  das  altmodische  kleidungsstück  deutlich,  das  auch  jenes  volk 
mit  dem  gemeingermanischen  worte  hosae  bezeichnet  hatte.  Gemeingerma- 
nisch waren  aber  auch  jene  fasciolae^  mit  denen  man  nach  den  werten 
des  Paulus  Diaconus  die  Unterschenkel  verschnürte,  denn  das  lango- 
bardische  wort  dafür  ist  ivintingas  (Brückner,  Sprache  der  Langobarden 
s.  69.  185.  180)  und  auch  dieser  terminus  technicus  ist  gemeingermanisch; 
vgl.  ahd.  ivinüuga  (fasciolae,  fasciales  Ahd.  gl.  3,  273,  58.  618,8.  619,  23. 
620,  26.  623,  22.  624,  5.  722,  36  u.  ö.),  sowie  anord.  vindingr  („strim- 
mel  af  det  slags  hvormed  man  omviklede  la?ggen  fra  kn^ieet  til  an- 
kelen"  Fritzner)  und  ags.  ivynhie-^,  ivgnc;^  (Stroebe  s.  68  fg.)  =  and. 
vunning,  windhig  (Gallee,  And.  wb.  s.  386).  Das  wort  hat  sich  auch 
im  französischen  erhalten  (afranz.  gulnche  band,  schildband;  s'agiiinclier 
[in  neufrz.  mundarten]  sich  mit  bändern  schmücken ,  vgl.  Körting,  Lat.- 
roraan.  wb.  nr.  10400,  dazu  Ahd.  gl.  3,  11,  8). 

Gemeingermanisch  ist  also  die  bekleidung  der  Unterschenkel  mit 
hose  und  ivinding. 

Die  verschnürung  der  hosen  darf  man  aber  nicht  mit  den  schuh- 
riemen  verwechseln.  Diese  werden  durch  Paulus  Diaconus  {calcei... 
altcrnatim  laqueis  corrigiarum  reianti  4,  22)  und  Einhard  {fasciolh 
crura  et  jjcdes  calciamentis  constringebant  Vita  Karoli  23)  von  jener 
unterschieden.  Erst  der  mönch  von  St.  Gallen  spricht  von  langen,  die 
hosen  vorn  und  hinten  kreuzenden  schuhnesteln  (1,  34)^.  In  der  völker- 
wanderungszeit  hatten  die  schuhe  noch  ihre  eigene  und  die  wadenbinden 
ihre    besondere    verschnürung.      Das    haben    wir    auch    aus    den   grab- 

1)  Auch  für  die  langen  beinkleider  hat  sich  das  wort  „hose"  zäh  erhalten; 
ein  interessantes  überlebsel  ist  namentlich  der  ausdruck  ,, ein  paar  hosen",  der  die 
alte,  aber  nicht  mehr  die  moderne  hosentracht  deckt. 

2)  Müllenhoff,  DA  4,  294.  570. 

3)  corrigid  Cff77"5re :  hosanestiha  Ahd.  gl.  1,  305,  11  u.  a. 


STUDIEN    ZUlf    ALTGEKMASISCIIEN    VOLKSTRACHT  389 

fiindcn  der  völkerwanderungszeit  erfahrend  Beispielshalber  wurden  in 
den  Alemannengräbern  von  Schretzheim  bei  den  schuhen  zwei  schnallen 
mit  zum  teil  noch  erhaltenen  lederriemen  gefunden,  dagegen  zwei 
riemenzungen  bei  den  Unterschenkeln  oder  an  den  waden-.  In  den 
Baierngräberu  von  Reichenhall  traf  man  bei  den  knöcheln  kleine  be- 
schläge  mit  viereckigen  ausschnitten,  bei  den  waden  riemenzunge  nebst 
schnalle  (Chlingensperg  s.  121,  taf.  XXVI)  oder  schnallenwerk  bei  den 
füssen  und  riemenzunge  bei  den  Unterschenkeln  (ebenda  s.  127,  taf.  XXXI). 
Die  schuhe  der  üamendorfer  moorleiche  sind  an  dem  gitterartig  durch- 
brochenen Oberleder  auf  dem  fuss  mit  lederriemen  geschnürt;  ausser- 
dem hatte  der  mann  aber  zwei  wollene  „fussbinden",  richtiger  waden- 
bindcn,  denn  diese  10  cm  breiten  bänder  sind  1,05  m  lang  und  an 
beiden  seiten  mit  webekanten  versehen.  Während  die  moorleiche  von 
Rendswühren  eine  „fussknöchelbinde"  von  behaartem  feil  ergab,  die  mit 
ledernen  riemen  kreuzweise  zusammengeschnürt  ist,  wurden  bei  der 
moorleiche  von  Bernuthsfeld  (kreis  Auricli)  wider  14  cm  breite  wollene 
wadenbinden  mit  webekanten  gefunden  in  stücken  von  1,60  und  2,10 
bezw.  1,65  und  1,27  m  länge  (Mestorf,  42.  bericht  s.  10.  12.  18;  ferner 
44.  bericht  s.  36). 

Die  altgermanischen  „hosen"  waren  noch  keine  ärmelförmigen 
strumpfe,  sondern  aus  losen  läppen  gebildete  unterschenkelhüllen,  die 
sich  hülsen-  oder  schotenförmig  ausnahmen.  Es  begegnet  noch  nhd. 
bei  pflanzen  der  ausdruck  hose  im  sinn  von  hülse  (Dwb.  4,  2,  1840. 
1843)  und  dieser  Sprachgebrauch  ist  schon  ags.  belegbar ^.  Got.  skau- 
(luniips  skohe  {vöv  if.idvva  ziov  v/roör^udccov  Mc.  1,  7,  Luc.  3,  16)  be- 
zeichnet also  nicht  den  schuhriemen,  sondern  das  wadenband,  das  um  die 
(gleich  einer  schote  den  Unterschenkel  verhüllende)  hose  geschnürt  wurde 
(—  CcoaTccQia  yoTd^r/.d  Mülleuhoff,  Germ,  antiqua  p.  169?).  Dass  die  hose 
skcuida  genannt  werden  konnte',  ist  durchaus  nicht  verwunderlich;  be- 
deutet doch  srJwtc  (:  anord.  skaiipcr  scheide)  im  etymologischen  Verhältnis 
nichts  weiter  als  eine  schutzdecke ^    Von  haus  aus  wird   also   die  hose 

1)  Lindcnscbmit,  Handbuch  s.  344 fg.;  vgl.  s.  279 fg.  304fgg. 

2)  .1.  Ilarbauer,  Katalog  der  merowingischen  altertümer  von  Schretzheim, 
progr.  Diilingen  1901,  s.  21  fg.  —  Aus  dem  langobaidischen  gräberfeld  von  Castel 
Trosino  wäre  zu  erwähnen:  puntale  di  una  cintura . .  con  resti  aderenti  de  tessuto  di 
Uno  (Monumenti  antichi  XII,  305,  5.  333  fg.). 

3)  hosa  :  glumula,  siliqua  (d.  i.  hülse,  schote)  bei  Stroebe  s.  37fg.  Vgl.  übrigens 
auch  struntpf:  Strunk  :  sticnipf;  faser  :  mhd.  cr.sc. 

4)  Vgl.  griech.  azi)TOff,  IdX.  scutam:  g\\ac\\.  oy.vXov\  man  ist  fast  versucht,  noch 
engere  etymologische  Verwandtschaft  zwischen  schote  und  hose  zu  vermuten  {slc-:h- 
wie  gviQch.  axviog:  haut).    Widerholt  ist  aber  unser   „hose"   als  keltisches  lehnwort 


390  KAUFFMANN 

kaum  etwas  anderes  gewesen  sein,  denn  ein  im  nordischen  klima  nicht 
wol  zu  entbehrender  primitiver  kleiner  schutzmantel  für  die  blossen  beine 
(vgl.  ahd.  heinberga  Ahd.  gl.  3,  632.  637;  ags.  bänbeo?'^,  scecmc-^ebeor^). 

Hier  greift  nun  aber  eine  bemerkenswerte  Variante  der  landestracht 
ein;  denn  die  „beinberge"  ist  aus  leder  (Heyne  s.  261.  286) i.  Über 
diese  lederne  schutzhose,  die  zum  unterschied  von  der  w^ollenen  oder 
leinenen  hose^  ein  uniformstück  der  berittenen  wehrmänner  gewesen 
sein  dürfte,  sind  wir  genauer  unterrichtet.  In  diesem  fall  sind  die  hosen 
nicht  mit  unsern  strumpfen,  sondern  mit  unsern  lederstiefeln  zu  ver- 
gleichen. Hierüber  werden  uns  die  grabfunde  schwerlich  viel  verraten, 
weil  die  lederwaren  bis  auf  kümmerliche,  meist  unbestimmbare  reste 
vom  zahn  der  zeit  zerfressen  worden  sind.  Aber  der  wertschätz  ist 
hier  durchaus  entscheidend;  ich  erinnere  an  anord.  sJ,in7ihosur  =  lepr- 
hosw\  ags.  le^erhosa,  ahd.  lederhosa  >  mnd.  lerse,  holländ.  laars^. 

Nehmen  wir  nun  auf  grund  von  anord.  sldnnJiosur  usw.  an,  es  sei 
sitte  gewesen,  diese  lederhosen  (d.  h.  lederne  wadenbinden)  auf  die  art 
zu  tragen,  dass  wie  beim  römischen  pero,  dem  soldatenstiefel  aus  un- 
gegerbtem  leder*,  die  rauchseite  mit  der  natürlichen  behaarung  sichtbar 
blieb  und  nach  aussen  gekehrt  war'"',  so  wird  verständlich,  wie  man 
dazu  gelangen  konnte,  nicht  bloss  die  „rauhen"  Unterschenkel  des 
germanischen  reiters,  sondern  auch  die  mit  gröberen  haaren  besetzten 
Unterschenkel  seines  pferdes  oder  gar  die  rauch  bewachsenen  Unter- 
schenkel der  Vögel  mit  demselben  werte  „hosen"  zu  benennen'". 

Diese  bemerkung  enthält  in  der  tat  mehr  als  eine  naheliegende 
combination.  Wissen  wir  doch,  dass  im  5.  jahrh.  die  „lederhosen"  der 
Goten,  von  den  füssen  bis  über  die  waden  reichend,  aus  einer  pferde- 
haut  geschnitten  waren.  Ich  hebe  die  klassische  stelle  des  Sidonius 
Apollinaris  (Carm.  7,  452fgg.)  aus: 

aufgefasst  worden:  Mtillenhoff.  DA  4,  294,  Heyne  s.  260;  vgl.  Schrader,  Real- 
lexikon s.  380 fg.  (zu  kelt.  *lätro  gehört  ahd.  luclra  windeln). 

1)  Ags.  bdnbcor^  =  scinhosa  (lat.  oerea)  =  scecmc^cbeo)-^]  ahd.  jjeiajjcrffa  vel 
ledirhosa  Ahd.  gl.  1,  401, 13. 

2)  Vgl.  uva'ivQi'Scig  ot  fxtv  kivüg,  ot  ^t  a/.vTivag  Agathias  2,  5  (dazu  unten  s.  400). 

3)  Heyne  s.  261.     Stroebc  s.  37. 

4)  Ags.  ruh,  henwdn^  Stroebe  s.  57.  Den  röuiischen  soldatenstiefel  haben 
übrigens  die  vornehmen  Burgunder  frühzeitig  übernommen:  jjcf/es  primi  2)eronc 
saetoso  talos  adusqiie  vinciebcmtiir,  genua  crura  suraeque  sine  teyminc  Sidonius 
Apollinaris,  Epist.  4,  20  (Mon.  Germ.  Hist.  Auct.  antiq.  VIII,  70,  16;  vgl.  Marquart, 
Privatleben  der  Römer  II-,  590  fg.). 

.5)  \g\.  Heyne  s.  264  (von  den  schuhen). 
6)  Adelung  und  Dwb.  s.  v. 


STUDIKN    ZUR    ALTGERMANISCHEX   VOLKSTRACHT  391 

luce  noKi  vetcrum  coettis  de  more  Octarum 
contiahitiir;  stat  pn'sca  cauiis  virklisque  senectus 
consiliis;  sqnaJent  vestes  ac  sordida  imtcro 
lintea  p/>iguesctmt  tergo,  nee  längere  possunt 
altatae  aiiram  pell  es  ac  popUte  nudo 
pe7'onem  ixniper  nodiis  suspendit  equin/im^. 
Nim    klärt   sich    aber    auch    eine    andere    lebhaft    erörterte    stelle 
vollends  auf-. 

Als  Alboin  zu  dem  Gepidenkönig  Turisind  gekommen  war,  dessen 
söhn  Turismod  er  im  kämpf  getötet  hatte,  musste  er  sich  und  seine 
landsleute  von  dem  zweiten  söhn  des  Gepidenköuigs  mit  den  werten 
höhnen  hören:  fetilae  sunt  eqiiae  qua.s  siniiUdis  (Langobardos  iniuriis 
lacessere  coepit,  asserens  eos,  qui  a  suris  inferius  candidis  utebantur 
fasceolis,  equabus  quibus  crure  tenus  pedes  albi  sunt  similes  esse.  Paulus 
Diaconus  1,  24).  Auf  den  höhnischen  ausdruck  von  den  „gestiefelten 
Stuten"  replicierte  einer  der  anwesenden  Langobarden:  perge  in  cam- 
pitni  As  fehl  ihiq/ie  proruJ  dubio  poteris  experiri,  quam  validae  istae 
quas  equas  nominas  praevalent  calcitarc,  ubi  sie  tui  dispersa  sunt  ossa 
germani^  queniadniodum  vilis  iumenti  in  niediis  pralis. 

Etwas  wie  jener  pero  equimis  (des  Sidonius  Apollinaris)  liegt  offen- 
bar der  metapher  zu  gründe,  wenn  zwischen  den  von  weissen  bändern 
umschnürten  rauhen  „lederhosen"  und  den  „hosen"  der  Langobarden- 
oder Gepidenstuten  ein  vergleich  gezogen  worden  ist.  Der  beruht  wol 
auf  einem  auffälligen  uniformabzeichen  der  berittenen  Langobarden,  die 
festsitzende  (aus  einer  pferdehaut  geschnittene?)  rauhe  lederhosen  trugen, 
sie  aber  mit  weissen  (wollenen  oder  leinenen)  bändern  umschnürten 
{ivintingas  oben  s.  088).  Lederhosen  kannte  man  vielleicht  bei  allen 
Germanen,  denn  ags.  ahd.  hosa  hat  auch  die  bedeutung  von  „stiefel"^ 
und  ledrein  hos  ist  noch  im  'mhd.  mit  „stiefel"  synonym^;  vgl.  auch 
Italien,  iisatto  (stiefel)''.  Keineswegs  haben  aber  die  Germanen  ins- 
gesamt ihre  lederhosen  aus  pferdehäuten  geschnitten;  wir  wissen  dies 
nur  von  den  Goten  und  müssen  es  wol  für  die  Langobarden  ersciiliessen; 
bei  den  Gepiden  scheint  solches  nicht  der  brauch  gewesen  zu  sein,  wie 

1)  MGH.  Auct.  antiq.  Viri,  214;  vgl.  L.  Schmidt,  Geschichte  der  deutschen 
stumme  1,  288.  302 fg. 

2)  Siovers,  Beitr.  16,  363 fg. 

3)  caliga,  calicjida  Strocbe  s.  37  (dazu  btsthom  s.  37.  42);  .\hd.  ^;1.  1,  7-15,  58. 

4)  Es  ist  die  bekloidung  vom  kaüchol  bis  unter  das  knie  gemeint;  vgl.  Seh  nie  II  er, 
Bavr.  wörterb.  1-,  1180. 

.'))  </«osrt  wie  französ.  houseaux  (hohe  gamaschon);  Körting,  Lat.-romani- 
:5cin.'&  wörterb.  nr.  1631;  vgl.  Revue  celtique  XI,  *10. 


392  KAÜFFMANN 

es  auch  andernorts  nicht  sitte  war.  Wir  kennen  eine  lederhose  von 
der  Rendswührener  moorleiche:  „eine  fussknöchelbinde  von  behaartem 
feil  mit  ledernen  riemen  kreuzweise  zusammengeschnürt;"  leider  ist  in 
dem  fundbericht  nicht  gesagt,  von  welchem  tier  das  feil  stammte,  aber 
landesüblich  waren  schuhe  aus  rindsleder  (innen  behaart),  also  werden 
wol  auch  die  hosen  daraus  geschnitten  worden  sein-.  Daneben  ist  aller- 
dings die  bockshaut  zu  berücksichtigen,  wie  das  volkstümlich  gewordene 
plattdeutsche  wort  für  unsere  moderne  hose  beweist:  bul;se  ist  aus  "^ buck- 
hose (wie  Urse  aus  lederhose)  hervorgegangen  und  ein  kontinentales 
gegenstück  zu  engl,  hucksldns  (vgl.  anord.  hukkskinnshosa,  geitskinns- 
hosa)-.  Trugen  die  Gepiden  rinds-  oder  bocklederne  wadenbinden,  so 
war  der  höhn  auf  die  rossledernen  Langobarden  um  so  wirksamer;  aber 
möge  es  sich  damit  verhalten  wie  es  wolle,  eine  auffällige,  nachbar- 
liche neckereien  herausfordernde  besonderheit  der  Langobarden  waren 
ihre  über  die  pelzhosen  gebundenen  weissen  schnüre. 

Dieses  uniformstück  brachte  einen  losen  muud  darauf,  den  un- 
beliebten nachbarn  nicht  etwa  bloss  seiner  behaarten  beine  wegen  als 
rauhbein  (im  buchstäblichen  sinn  des  wertes) ^^,  sondern,  weil  die  stuten 
auch  bis  an  die  waden  herauf  weiss  sind,  als  „stutenfüssler"  dem  spott 
und  höhn  preis  zu  geben.  Der  boshafte  witz  mag  zugleich  theriomorphe 
Volksvorstellungen  als  bundesgenossen  wachgerufen  und  dadurch  nur 
um  so  drastischer  gewirkt  haben  ^. 

Gerade  in  diese  richtung  weist  der  Spottname  Sinfjqili  der  skan- 
dinavischen Welsungendichtung,  denn  ihm  liegt  höchst  wahrscheinlich 
ein  höhnischer  tiervergleich  zu  gründe  und  den  bringt  uns  die  dich- 
terische Überlieferung  durch  das  werwolfsmärchen  nahe.  Steckt  etwa  in 
Sin-  ein  heiti  für  wolf?  Der  Weisung  mochte  als  „wolfsfüssler"  durch 
das  epitheton  *fitü-  :fetul  geschmäht  worden  sein. 

Paulus  Diaconus  hat  in  einem  bekannten  gedieht  den  Dänen  Sigifrid 
mit  den  bocken  verglichen  ^  So  verfiel  der  Gepide  darauf,  dem  Lango- 
barden mit  den  stuten  zu  kommen,  vielleicht  auch  deswegen,  weil  man 

1)  Mestorf,  42.  bericht  s.  18;  vgl.  s.  13.  22.  24. 

2)  Falk-Torp,  Norwegisch -dänisches  etymologisches  'Wörterbuch  1,  115. 

3)  Ich  erinnere  an  den  personennamen  Raiichfiiss. 

4)  Vgl.  z.  b.  ziegenfüssler  Dwb.  8,  264.  Namentlich  aber  wird  man  das  alte 
fränkische  Schimpfwort  „weisse  stute"  in  criunerung  bringen  müssen  (Jordan  in 
Herrigs  archiv  118,  86);  auch  wird  ahd.  tnerhin  siin  (Ahd.  gl.  1,  402,  48)  zu  berück- 
sichtigen sein. 

5)  Sit  licet  hirsutus  hirtisque  simillimus  hircis 
iurcKfue  det  hedis  imperitetque  cajjri.s 

(MöH.  Poetae  latini  aevi  Carolini  1,  52). 


STUDIEN    ZUR   ALTGERMAXISCHEN    VOLKSTRACHT  393 

unter  den  Gepiden  gern  die  gelegeuheit  benützte,  auf  eine  lieblings- 
passion  der  Langobarden  als  pferdeliebhaber  zu  sticheln'.  Der  Lango- 
barde  war  jedoch  dem  Streitgespräch  gewachsen  und  erinnerte  seinen 
gegner  an  die  schmerzhafte  stosskraft,  mit  der  von  seinen  kameraden, 
den  „stutenfüsslern",  die  Gepiden  auf  dem  Schlachtfeld  niedergetreten 
worden  sind. 

Weil  nicht  bloss  die  rauhe  behaarung,  sondern  auch  die  färben  der 
untern  extremitäten  übereinstimmten,  war  der  wortwitz  nicht  allzuweit 
hergeholt.  Der  augenschein  tat  jedermann  kund,  dass  die  hosen  der 
Langobarden  den  „hosen"  ihrer  stufen  zum  verwechseln  ähnlich  sahen. 
Das  epitheton  fctihis  wurde  sonst  nur  von  personen  gebraucht,  die 
pelzhosen  um  die  Unterschenkel  trugen;  wegen  ihrer  weissen  waden- 
bänder  mussten  sichs  die  Langobarden  gefallen  lassen,  dass  das  epitheton 
fctilus  mit  equae  verbunden  ihnen  zum  schimpf  gewendet  ward. 

Weisse  schnürbänder  um  die  waden  kannte  man  bei  den  Gepiden 
nicht,  wol  aber  trugen  sie  wie  vermutlich  alle  Germanen  pelzhosen. 
Denn  gerade  die  Gepiden  haben  uns  ihr  volkstümliches  wort  für  dieses 
trachtstück  aufbewahrt.  Allerdings  ist  dieses  gepidische  wort  fetilus 
oder  fetilis  bisher  nicht  richtig  verstanden  worden. 

Es  war  ein  Irrtum,  fetihts  mit  lat.  petÜHs  zu  identificieren,  weil 
die  beiden  termini  in  unserer  Überlieferung  einander  begegneten.  Das 
geschah  aber  nicht  aus  gründen  etymologischer  Verwandtschaft.  Denn 
lat.  petilus  gehört  einer  ganz  anderen  bedeutungssphäre  an  als  gepid. 
fetilus.  petÜKS  bedeutet  „dünn,  schmächtig'".  Aber  im  spätem  latein 
wurde  dieses  adjectiv  ein  kavalleristischer  sportausdruck  und  bezeichnete 
pferde  mit  eleganter,  dünner  fessel,  vornehmlich  dann,  wenn  diese 
weiss  behaart  war 2.  Das  durch  gepid.  feiil/isf-is)  bezeugte  altgermanische 
wort  fordert  aber  durchaus  nicht  die  Vorstellung  weisser  färbe,  wie  lat. 
petilus.  „Weiss"  ist  in  unserer  geschichte  nur  ein  langobardischer 
specialfall,  der  die  Übertragung  des  wertes  fetilus  auf  die  stufen  recht- 
fertigt. Entscheidend  sind  dabei  die  hochdeutschen  composita  fixxelbnin, 
fixxilvech  (Heyne  s.  239  fg.,  244).  Mit  fizxil  —  fetil  ist  überhaupt 
keine  färbe  angedeutet;  erst  durch  Verbindung  mit  einer  farbenbezeich- 
nung  wie  brün  oder  fech  kann  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  bunt- 
heit  durch  den  gegensatz  heller  und  dunkler  behaarung  erzeugt  war, 
eine  ahd.  satzformel  fixxilrech  ros  ungefähr  das  gleiche  besagen  wie 
das  lateinische  lemma  pelili  dicwttur  qui  j/edes  aWos  luihent   Ahd.  gl. 

Ij  L.  nartmann,  Geschichte  Italiens  im  niittolalter  II,  2,  J7  nebst  anm. 
2)  pelilus  equus  qui  habet  alboa  pciles  Corp.  gloss.  lat.  7,  82.     Walde,  Lat. 
etymologisches  Wörterbuch  s.  v. 


394  KAÜFFMANN 

3,  367,  38.  201,  45.  79,  3.  Vermutlich  ist  also  eine  sprachliche  glei- 
chung  zwischen  lat.  petilus  und  ahd.  fixxil  dadurch  zu  stand  gekommen, 
dass  ein  römischer  sportausdruck  durch  einen  altdeutschen  sportausdruck 
widergegeben  werden  konnte.  Bei  den  Germanen  war  es  aber  nicht 
die  schmächtigkeit  der  fessel,  sondern  deren  ähnlichkeit  mit  einem  auf- 
fälligen bestandteil  ihrer  reiteruniform,  was  den  kavalleristischen  ge- 
brauch des  Wortes  ß/xxil  rechtfertigte.  Genau  so,  wie  wir  noch  heute 
von  der"  „hose"  eines  pferdes  sprechen  hören,  ist,  denke  ich,  das  wort 
„fessel"  aus  der  terminologie  unserer  alten  Volkstracht  entlehnt.  Es  be- 
zeichnete zum  unterschied  von  der  wollenen  hose  eine  art  pelzmantel 
für  die  Unterschenkel  der  männer,  eine  pelzhose,  eventuell  sogar  einen 
pelzstiefeU.  Denn  das  altgermanische  wort  '^fetil  deckt  sich  buchstäb- 
lich und  sachlich  aufs  genaueste  mit  griech.  7ii8iXov  (fussbokleidung) 
und  steht  zu  lat.  'pedulia  (gamaschen^)  in  allerengster  Verwandtschaft. 
Ist  nun  aber  die  gleichung  gepid.  fetil^  resp.  and.  fitil^  ahd.  fixxü  = 
griech.  7rldtlov  unanfechtbar,  so  darf  der  etymolog  lat.  jj^dulia  dazu 
stellen,  muss  aber  auf  lat.  'petilus  endgültig  verzichten.  Das  hat  sich 
im  gründe  schon  aus  den  früheren  erörterungen  ergeben  2.  Sievers 
meinte  allerdings,  gepid.  fetil  sei  eine  mischform,  die  in  Oberitalien 
aufgekommen  sein  könntet  Brückner  hielt  fetil  für  ein  altes  leimwort 
—  wie  der  „unverschobene"  dental  beweise  — ,  „das  dann  im  spätlatein 
Oberitaliens  mit  dem  ähnliches  bedeutenden  lat.  petilus  eine  mischform 
einging,  wobei  das  deutsche  wort  für  den  consonantischen  anlaut,  das 
lateinische  aber  für  den  voealismus  massgebend  wurde''".  Kögel  wollte 
sogar  fitiluot  von  fixxUvecJ/,  trennen,  weil  nur  dieses  sich  mit  *pcd- 
verbinden  lasse-'.  Alle  diese  unwahrscheinlichen  forderungen  —  vgl. 
noch  Kluge  in  Pauls  Grundr.  1-,  342  —  werden  durch  meinen  verschlag 
entbehrlich.  Es  convergieren  die  belege  auf  fixxil  als  ein  synonymen 
von  „hose"  mit  dem  bedeutungsunterschied,  dass  hose  aus  wolle,  ßxxil 
aus  pelz  besteht;  occasionell  sind  beide  termini  auf  die  pferde  übertragen 
worden;  der  sportausdruck  fetilus  hat  den  ursprünglichsten  sinn  des  letz- 
teren wertes  getreulich  bewahrt.    Neund.  /?//  ist  in  Übereinstimmung  mit 

1)  Diese  letztere  bedeutmig  bat  das  compositum  ags.  /?/^//ü7a  (Aiiglia  VllI, 
449),  and.  fitiluot  (Ahd.  gl.  2,717,44.  Wadstein,  Altsächs.  sprachdenkm.  s.  109,10)-, 
es  muss  etwa  mit  „gestiefelter  fuss"  übersetzt  werden. 

2)  >  ital.  j}cdule  (socken);  entlehnt  ist  and.  })edcla  (soccka)  Pauls  grundr.  1 '',  342. 

3)  Kögel,  Litteraturgeschichte  1,2,  200  fg. 

4)  Beitr.  16,364. 

5)  Sprache  der  Langobarden  s.  166.  —  Der  Übersetzer  des  Paulus  Diaconus 
(Geschichtschreiber  der  deutschen  vorzeit)  ist  daher  kaum  zu  tadeln,  wenn  er  in 
fetilus  eine  „vulgäre"  form  für  petilus  sah. 


STUDIEN    ZUK    ALTGEIJMANISCIIEN    VOLKSTRACHT  395 

Schweiz.  fisJd  (Idiot.  1,  1080)  der  „liinterbug  der  pferde  mit  dem  köten- 
haar^'\  nhd.  fessel  bezeichnet  den  von  der  köte  bis  zur  kröne  des  hufes 
reichenden  teil  des  pferdefusses  und  hat  die  Variante  fissel  neben  sich, 
■wie  mhd.  vixxel  —  vexxel  als  durch  suffixablaut  determinirlc  doppel- 
formen neben  einander  bestehen.  Da  nun  in  der  Volkstracht  die  „tessel" 
als  ein  breites  band  um  die  Unterschenkel  gelegt  wurde,  steht  nichts 
im  wege  die  ablautsform  *fah'la  >  ahd.  faxil^  ags.  fefel^  anord.  fetill 
band,  schwertfcssel  (vgl.  afranz.  (juinche  oben  s.  388)  bezw.  mhd.  fexxer, 
nd.  fetet\  ndl.  veter^  ags.  feto}\  anord.  fjqturr  (fussfessel,  Schnürriemen) 
unter  ein  und  dasselbe  etymon  zu  stellen-.  Es  ist  von  den  band-  oder 
streifenförmigen  fusslappen  auszugehen,  die,  wenn  sie  nicht  aus  Woll- 
stoff gewebt,  sondern  aus  einer  tierhaut  geschnitten  waren,  fixxil  (band- 
förmige fussbekleiduug)  genannt  worden  sind. 

In  diesen  Zusammenhang  gehört  meines  erachtens  auch  der  ahd.  per- 
sonenname  SlntarfixxÄlo :  ich  verstehe  ihn  als  Übernamen  eines  bairischen 
mannes,  der,  wie  die  Langobarden  bei  den  Gepiden  durch  ihre  weissen 
hosen  oder  schnürbänder,  bei  seinen  landsleuten  durch  seine  tuflstein- 
gelben  pelzhosen  aufgefallen  sein  mochte  (Hoitr.  IG,  36(),  über  unter  vgl. 
Dwb.  s.  V.).  Gerade  im  bairischen  Sprachgebiet  iiat  sich  das  wort  fixxel  — 
fexxel  im  volkstümlichen  Sprachschatz  bis  auf  den  heutigen  tag  erhalten 
>pfösel.  Ein  interessantes  überlebsei.  Denn  das  wort  bezeichnet  jetzt 
den  Wandlungen  der  tracht  sich  anschmiegend'^',  die  dort  landesüblichen, 
die  kniee  frei  lassenden  Wadenstrümpfe,  „hosen"  oder  halbstrümpfe  (ohne 
sohle),  die  über  den  waden  bis  zu  den  knöcholn  sitzen.  Man  hat  an- 
lässlich dieses  trachtstückes  schon  früher  an  die  „hosen"  der  Lango- 
barden erinnert.  „Die  bei  den  Langobarden  vor  ihrem  einzug  nach 
Italien    getragenen    Wadenstrümpfe    von    weisser    färbe    scheinen    den 

1)  Niedere!.  Jahrbuch  32, 14;  hier  ist  bereits  auf  and.  fdilnot  bezug  genommen. 
Zu  nd.  fitl  gehört  engl,  fetlock  (köte  des  pferdes),  mengl.  ftllcik,  mhd.  fiKKelach^ 
Schweiz,  fisloch:  diese  ableitung  liegt  Ahd.  gl.  2,  709,  .5  vor,  wo  fnxelac  überliefert 
ist,  ich  betrachte  diese  form  als  Umschrift  eines  älteren  fixxelax,  vgl.  das  lemma 
albis  maculis  bicolor  (Aeneis  5,  .oGfj).  Für  ein  ahd.  adj.  fiXKÜ  „geflockt"  linde  ich 
sou.st  keinen  beleg.  —  Vgl.  jetzt  auch  "Weigauds  Deutsches  Wörterbuch  l'^,  523. 

2)  Ich  verweise  auf  Zoitschr.  24,  124  fg.,  insbesondere  auf  Falk-Torp,  Norweg.- 
dänisches  etymologisches  Wörterbuch  1,225  (tjeire).  209  fg.  (fed),  glaube  aber,  dass 
die  Sippe  von  nhd.  ßtxe  aus  dem  spiel  gelassen  worden  muss,  weil  ihre  bedoutung 
gar  zu  weit  abführt;  über  ags.  fetdhiU  vgl.  Studier  tiUägnado  0.  Montelius  s.  IMfg. 

3)  Ich  erinnere  an  den  bedeutuiigswandcl,  den  das  wort  „socke"  durchgemacht 
hat;  bedeutete  es  doch  anfänglich  nicht  wollene  strüm|)fo,  sondern  leder- oder  holz - 
schuhe  (Mon.  Germ.  Hist.  Scipt.  rer.  Merovingicaruin  3,111,3;  dieser  bek'g  feiilt  boi 
Heyne  s.  265  fg.). 


396  KAUFFMAISN 

weissleincueii    faltigen    beinhöseln    in   Steiermark    (pfoesseln)    geähnelt 
zu  haben" ^ 

2. 

Während  hose  und  fissel  sich  auf  die  woll-  oder  pelzbekleidung 
der  Unterschenkel  beziehen,  ist  bruch  das  alte  wort  für  ein  die  Ober- 
schenkel schamhaft  verhüllendes  kleidungsstück  (vgl.  ahd.  dcohbroh). 
Der  gleiche  sprachliche  ausdruck  ist  noch  heute  volkstümlich:  hrudch 
ist  in  der  Schweiz  für  die  Verhüllung  der  schamgegend-  und  der  Ober- 
schenkel allgemein  gebräuchlich  (soweit  sie  nicht  auf  die  bedeutung 
„badehose"  eingeschränkt  worden  ist^).  Genau  so  verhält  es  sich  mit 
dem  entsprechenden  gallischen  wort  braca,  das  von  Isidor  folgender- 
massen  definiert  wird:  hracae  quod  sint  breves  et  verecunda  corporis  iis 
velentur  (Orig.  19,22,29)^.  Am  ursprünglichsten  scheint  dieser  gallische 
ausdruck  sich  bei  den  kleinen  kindern  erhalten  zu  haben:  französ.  hr'aie, 
span.-portug.  hroga  heissen  „wdndeln"°. 

Heyne  hat  den  Sachverhalt  freilich  ganz  anders  beurteilt.  Er 
sagt  (s.  260):  „die  form  der  bruch  zeigt  eine  fortschreitende  Verkürzung; 
ursprünglich  den  Oberschenkel  bis  in  die  gegend  des  knies  mit  be- 
deckend, schrumpft  sie  zur  blossen,  vom  rocke  völlig  verhüllten  und 
daher  auch  auf  den  darstellungen  gewöhnlich  unsichtbaren  hüft-  und 
lendenbekleidung  ein,  in  dem  masse,  als  ein  anderes  beinkleid,  die 
liose,  diese  von  unten  herauf,  an  ausdehnung  gewinnt.  Diese  hose  ist 
ursprünglich  nur  strumpfartige  hülle  der  Unterschenkel". 

Dass  unsere  lange  hose  nicht  durch  Verlängerung  der  unterschenkel- 
hose entstanden  sein  kann,  ergibt  sich  aus  meinem  nachweis,  dass  die 
hose  nicht  strumpf  artig,  sondern  schotenartig  gewesen  ist.  Dass  die 
bruch  nicht  verkürzt  worden,  sondern  schon  im  altertum  ein  schamtuch 
gewesen  ist,  wird  durch  meine  belege  zusammen  mit  ahd.  i^v^oÄ,  ags.  brec 
—  femoralia^\  ags.  brec,  engl,  breech,  ndl.  iror^/.- =  steiss ^,  unwiderleg- 
lich dargetan  (vgl.  engl,  breeches :  troiisers).    Dieses  primitive  bekleidungs- 

1)  M.  V.  Chlingensperg,  Das  gräberfeld  von  Reiclienhall  s.  88.  99  anm.  Im 
übrigen  vgl.  über  die  pfösseln  Schmeller  1 -,  442;  nach  hos{e)  scheint  die  kurzform  pfos 
gebildet  worden  zu  sein  (Frommanns  Zeitschr.  f.  niundarteu  3,  90.  4,  331). 

2)  bruch  oder  färtüch  umb  die  schäm  Dwb.  2,410. 

3)  Schweiz.  Idiotikon  5,  382fgg. ;  Äose  =- strumpf  2,  1688 f gg. 

4)  Thesaurus  liuguae  latinae  2,2154. 

5)  Körting,  Lat.  -  romanisches  Wörterbuch  nr.  1531. 

6)  Stroebe  s.  22;  ebenso  altdän.  brog  (femorale).  Vgl.  übrigens  zu  bruch  als 
..Schamkleidung"  Heyne  s.  282.  Beweiskräftig  ist  schon  die  glossierung  von /zwiiare 
durch  pruoh  einerseits  und  lentifano  andererseits  (Ahd.  gl.  1,629,22.  636,29). 

7)  Muoh,  Zs.  f.  d.  a.  42,170;  vgl.  Müllonhoff,  DA  4,294. 


STUDIEN    ZUK    ALTGKRMANISCHEN    VOLKSTRACHT  397 

Stück  ist  nacli  dem  muster  einer  neu  aufkommenden  mode  verlängert 
worden,  denn  in  den  nordischen,  englischen,  friesischen  und  deutschen 
idiomeu  bezeichnet  brok — bruoh  übereinstimmend  eine  über  die  Ober- 
schenkel bis  zu  den  knieen  reichende  hülle,  eine  sogenannte  kniehose^. 

Diese  Verlängerung  kam  vermutlich  durch  einwirkimg  ausländischer 
mode  auf.  Das  neumodische  kleidungsstück  —  die  „kniehose",  an  stelle 
des  primitiven  „schamtuches"  —  wurde  aber  von  den  Germanen  nicht 
mit  seinem  ausländischen ,  sondern  mit  dem  altheimischen  namen  be- 
nannt {hi'Rcis :  pruokJuni  Ahd.  gl.  1,  660,  37),  der  eine  in  der  geschichte 
altgermanischer  tracht  keineswegs  vereinzelt  dastehende  bedeutungsver- 
änderung  erfahren  hat. 

So  stellt  sich  mir  das  neuerdings  widerholt  besprochene  Verhältnis 
von  gall.  braca :  germ.  b7'ök  dar. 

Während  man  es  früher  als  die  selbstverständlichste  these  hinnahm, 
dass  die  germ.  brök  die  gall.  bräca  sei  (MüUenhoff,  DA  4,  294),  ist 
neuerdings  von  Schrader  und  Much-  eine  umkehrung  des  Verfahrens 
beantragt  und  gall.  bfäca  aus  urgerm.  *bräLa  abgeleitet  worden. 
Heyne  allerdings  blieb  dabei,  dass  der  gemeingermanische  name  für 
das  beinkleid  nicht  als  germanischen  Ursprungs  angesehen  werden  dürfe, 
sondern  die  Übernahme  eines  keltischen  bräca.,  bräcca  darstelle;  die 
umgekehrte  annähme,  dass  das  wort  deutschen  Ursprungs  und  in  das 
keltische  gedrungen  sei,  habe  keine  Wahrscheinlichkeit  für  sich  (Körper- 
pflege und  kleidung  s.  260). 

Ich  glaube,  dass  man  die  von  mir  ins  äuge  gefasste  gallische  mode 
von  dem  gallischen  und  germanischen  wort  trennen  und  gallisch  bräca 
mit  germ.  brök  für  urverwandt  ausgeben  muss^.  Als  älteste  bedeutung 
dieser  urverwandten  Wörter  halte  ich  für  beide  kulturgebiete  „scham- 
tuch"  fest.  Nun  ist  aber  bei  den  Galliern  eine  von  bräca  lautlich 
differenzierte    form   bracca  belegt^.     Ich   vermute,   dass  diese  lautliche 

1)  Vgl.  Dwb.  s.  V.  hose.,  unter  ahd.  chnehosa  ist  aber  noch  der  alte  wadenstrumpf 
verstanden  (Dwb.  s.  v.  Kniehose). 

2)  Much  berief  sich  im  Correspondenzblatt  d.  deutschen  gesellsch.  für  anthro- 
pologie  1904,  135  fg.  darauf,  dass  idg.  ä  zu  beginn  der  Römerzeit  in  Deutschland 
noch  erhalten  gewesen  sei,  wird  aber  jetzt  vermutlich  nach  den  ausgezeichneten  be- 
merkungen  von  Collitz  (The  Journal  of  english  and  germanic  philology  6, 253  fgg.) 
nicht  mehr  darauf  zurückkommen. 

.3j  Mit  um  so  besserem  grund  als  lat.  siiffrayo  dazu  gehört  (0.  Schrader, 
Keallexikon  s.  379  fg.,  Sprachvergleichung  und  urgeschiclite  2^,  2G8rg.,  Zeitschr.  f.  d. 
wortforsch.  1,  239:  „ein  zweifei,  dass  altgall.  bnlca  im  germanischen  wurzelt,  ist 
also  nicht  mehr  gestattet"),     braca  =  braga? 

4)  Holder,  Altceltischer  Sprachschatz  s.  v. 


398  KAUFFMANN 

differenzierung  einer  differenzierung  des  kleidungsstückes  entspricht: 
dann  würde  gall.  bräca  wie  germ.  hrök  das  schamtuch,  gall.  hracca  die 
verlängerte  oberschenkelbedeckung,  die  kniehose  bezeichnen.  Wie  bei 
Galliern  sowol  braca  als  bracca^  so  ist  auch  unter  den  Germanen,  nachdem 
sie  die  gallische  kniehose  übernommen  hatten,  sowol  das  neuere  wort 
bracka  als  das  ältere  brök  für  das  veränderte  kleidungsstück  üblich  ge- 
worden ^.  Neben  dem  allgemeinen  Sprachgebrauch  brök  —  bräca  besteht 
nämlich  auch  auf  germ.  Sprachgebiet  eine  lokale  abweichung,  auf  die  man 
bisher  nicht  genügend  geachtet  zu  haben  scheint.  Für  die  kniehosen 
existiert  neben  brek  auch  ags.  braccas^  adän.  brakkcr^  aschwed.  brackor. 
Es  ist  höchst  unwahrscheinlich,  wenn  wir  der  gall.  braccae  gedenken, 
dass  auf  Seiten  der  Germanen  damit  eine  ablautsform  zu  brök  ans  licht 
komme,  denn  die  doppelconsooanz  bliebe  selbst  bei  dieser  annähme 
durchaus  rätselhaft.  Andererseits  scheint  bei  den  Iren  die  grundform 
^bracca  in  abgang  gekommen  zu  sein;  altirisch  bröc  wird  jetzt  von  den 
sachverständigen  einmütig  als  skandinavisches  lehnwort  betrachtet-. 

In  der  germanischen  «-reihe  (ags.  braccas^  adän.  brakkcr^  aschwed. 
brackor-^)  wird  man  das  gallische  lehnwort  anerkennen  müssen'^.  Dieser 
sprachliche  import  ist  es  nun  aber,  der  uns  nahe  legt,  an  eine  Wand- 
lung der  hosenmode  bei  den  vorgeschichtlichen  Germanen  zu  denken 
und  auch  ihr  neues  hosenmuster  (an  stelle  des  primitiven  schamtuches) 
auf  die,  geraume  zeit  für  sie  vorbildlich  gewesene,  gallische  sitte  zurück- 
zuführen. Das  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als  das  gallische  wort  und 
die  gallische  hose  nicht  bloss  nach  Deutschland  sondern  auch  nach 
Italien  eingeführt  wurde,  wo  sowol  bräca  als  bracca  aufnähme  in  den 
lateinischen  wertschätz  gefunden  haben. 

Für  altgerra.  brok  darf  zunächst  nicht  mit  der  bedeutung  „knie- 
hose" gerechnet  werden,  weil  die  etymologische  bedeutung  und  der 
neuere  volkstümliche  Sprachgebrauch  auf  ein  primitiveres  kleidungsstück 
weisen.  Auch  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  eichsärge  der  nordischen 
bronzezeit  noch  keine  spur  einer  solchen  oberschenkelbekleidung  geliefert 
haben  5,  während  die  Gallier  ihre  kniehose  frühzeitig  —  nach  dem 
Zeugnis   des  Polybios  mindestens  seit  dem   3.  jahrb.  v,  Chr.  —  im  ge- 

1)  Ich  erinnere  an  die  gescliichte  des  wertes  hose. 

2)  Kuhns  Zeitschr.  30,81  fgg.    Windisoh,  Irische  texte  (1905)  s.  362.  .533.  534. 

3)  Falk-Torp,  Norweg.- dänisches  etymologisches  Wörterbuch  1,104. 

4)  ßQKxy.ai :  aYysua  dapü^toat  nccQu  KikroTg  Hcsychius  (Thes.  linguae  latinac 
2,2154).  —  Euss.  braki  hat  auch  0.  Schrader  auf  eine  form  bracca  zurückgeführt 
(Reallexikon  s.  381). 

5)  Montelius,  Kulturgeschichte  Schwedens  s.  93. 


STUDIEN    ZUR    ALTGKRMANISCHKN    VOLKSTRACHT  399 

brauch  hatten  i.  In  diesem  stück  war  die  männertracht  noch  dieselbe  wie 
die  weibertracht:  Itneis  fe))U)mlibus-,  quae  /isqiie  ad  geniia  et  poplites 
veniunt,  vercnda  celautur  et  stiperior  pars  sub  umbüico  vehementer 
astringitur,  i(t  ...diani  si  lapsi  fiterint  et  femora  rerelavcrint,  non  pateat 
quod  opertiim  est . .  .  vocaturqne  hoc  genus  vestimenti  . .  graece  ^eQia/.€lf], 
a  nostiis  feminaliavel  bracac  usqiie  ad  geniia  pertingentes  {JLieronjmus, 
Epist.64  bei  Migue,  Patrol.  Ser.  Lat.  XXII,  618).  Schon  im  jähr  70  n.  Chr. 
zeigte  sich  in  Italien  Caecina  mit  gallischen  kniehosen  angetan'^;  spätestens 
zur  zeit  Trajans  wurde  sie  hier  allgemeiner  üblich,  denn  auf  der  Trajan- 
Stäule  gehört  die  kniehose  zur  uniform  der  auxilien  und  dasselbe  gilt 
für  die  bilderchronik  der  Marcussäule;  auch  hier  unterscheiden  sich 
die  peregrinen  Soldaten  durch  „die  nie  fehlenden  kurzen  hosen"  ^  Mass- 
gebend sind  aber  für  diese  tracht  nicht  die  Germanen  gewesen,  sondern 
nach  übereinstimmender  aussage  unserer  gewährsmänner:  GaJlia  bracata. 
Nirgends  werden  in  der  historischen  litteratur  die  kniehosen  den  Ger- 
manen zugeschrieben,  sondern  wo  von  Germanen  und  Galliern  m\  ein 
und  derselben  stelle  die  rede  ist,  werden  die  bracae  gallicae  mit  bedacht 
hervorgehoben  l  Früher  als  in  Italien  scheint  die  gallische  kniehose 
in  Deutschland  allerdings  in  aufnähme  gekommen  zu  sein.  Wahr- 
scheinlich gehören  sie  zu  dem  gallischen  Import  der  La-Tenezeit.  Der 
hauptbeleg  hierfür  ist  der  silberkessel  aus  Gundestrup  (Jütland):  die 
männlichen  personen,  die  zu  fuss  gehen,  zeigen  hier  alle  die  eng  an- 
liegenden gallischen  kniehosen  vgl.  Nordiske  fortidsminder  I,  46  fg. 
und  die  abbildungen  auf  taf.  6.  7.  9.  11.  12'^.  Ebenfalls  in  Jütland,  in 
dem  moor  bei  Moeslund  (ksp.  Bording),  Avurde  ein  gewand  von  gewebtem 
wollenzeug  gefunden,  bestehend  aus  jacke  und  hose  in  einem  stück 
1,10  m  lang^.  Hier  haben  wir  also  die  kurze  hose  als  kniehose  in 
natura  zusammen  mit  dem  enganliegenden  leibrock,  den  wir  aus  den 
reliefs  des  Gundestruper  silberkessels  gleichfalls  kennen  (Nord,  fortids- 
minder I  taf.  6.  10). 

1)  uvuh'QtStg  der  Beigen  und  Gallier  bezeugen  Strabo  (bezw.  Posidonius)  und 
Diodor  (leg  Ixilvoi  ßody.ug  nQoaiiyoQtvovaw):  MüUenhoff  DA  4,294. 

2)  (feminalia)  femoralia :  linpruah  Ahd.  gl.  1,279,51;  vgl  273,20. 

3)  hracas,  barbarum  tegmen,  indutus  iacitus,  Histor.  2,  20;  vgl.  dazu  Revue 
celtique  XI,  36. 

4j  Marcussäule,  Textband  s.  45.  4G.  68. 

5)  Vopiscu.s,  Aurelianus  34,  2. 

6)  Es  beruht  auf  einem  Irrtum,  wenn  der  beaibeitei  s.  47  bemerkt:  de  gallisko 
braccae  gik  halt  ned  til  skoen.  —  Vgl.  auch  den  mann  mit  der  kniehose  auf  dem 
glasbecher  Nord,  fortidsm.  I,  7  taf.  1 . 

7)  Mestorf  s.  24. 


400  KAUFFMANN 

Aufs  schönste  steht  damit  die"  monumentale  Überlieferung  in 
einklang. 

L.  Lindenschmit  hat  zuerst  in  der  \Yestd.  zeitschr.  18,  396  taf.  12 
ein  Steinrelief  aus  dem  Eömisch-germanischen  centralmuseum  in  Mainz 
veröffentlicht,  das  neuerdings  auch  von  P.  v.  Bienkowski^  und  in  den 
Altertümern  unserer  heidnischen  vorzeit  (5,  82  fgg.)  abgebildet  und  ein- 
gehender behandelt  wurde.  Es  stellt  eine  barbarenfrau  dar,  eine  Ger- 
manin. Den  körper  bedeckt  ein  enganliegendes,  diagonal -gestreiftes 
gewand,  bestehend  aus  jacke^  und  hose,  und  zwar  endete,  nach  dem 
verstümmelten  bilde  zu  urteilen,  die  jacke  vermutlich  in  eine  kniehose. 
Wie  bei  den  Galliern  war  also  auch  bei  den  Germauen  die  Unterklei- 
dung für  männer  und  weiber  dieselbe. 

Mit  diesem  archäologischen  befund  kommt  die  litterarische  Über- 
lieferung überein. 

Tacitus  bemerkt  (Germ.  c.  17):  nee  alins  feniinis  quam  viris  hahi- 
ius  nisi  quod  feminae  saepias  lineis  mnictihus  velantiir  .  .  .  locu- 
pletissimi  veste  distingimntur  non  fluitante  sicut  Sarmatae  ac  Parthi 
sed  stricta  et  singulos  artus  exprimente^.  Hierzu  hat  schon  Müllen- 
hoff  (DA  2,  295)  einmal  an  die  vestis  stricta  der  Germanen  Südfrank- 
reichs erinnert,  die  Sidonius  Apollinaris  mit  ausdrücklichem  zusatz: 
genuet  .  .  sine  tegmine  hervorhob  (Epist.  4,  20)  und  zum  anderen  an  die 
von  Agathias  (2,  5)  geschilderte  fränkische  tracht,  zu  der  —  widerum 
wie  bei  den  Galliern  (s.  o.  s.  398  fg.)  —  kniehosen  entweder  aus  leder  oder 
aus  leinenzeug  (cfr.  Tacitus)  gehörten:  yvixvol  rd  öregva  elol  /mI  tu 
vuJTa  fiiXQ'^  "^^S  ÖG(f'Vog,  hxavd-a  da  dva^oQiöag  ol  fxiv  Xivccg,  ol  de  y.ai 
a/.vTivag  dia'CcüvvvfXEvoi  rolg  oy.sXeoL  7tEQLaixTtio%ovTaL^.  Spätestens  in 
der  Völkerwanderungszeit  war  also  unter  uns  die  kurze  leder-  oder 
zeughose  nationalisiert  und  mit  dem  altheimischen  werte  hrök  oder  mit 
dem  fremdwort  hracka  benannt. 

unter  den  kleiderresten  aus  dem  moor  von  Daetgen  (ksp.  Nortorf, 
Schleswig -Holstein)  wurde  einbeinkleid  von  braunem  wollköper  gehoben: 
es  ist  eine  kniehose  ^ 

1)  Beiträge  zur  alten  geschichte  (Festschr.  f.  0.  Hirschfeld.  Berlin  1903) 
s.  350  fgg. 

2)  Eine  neuere  enganliegende  ärmeljacko  ist  wie  got.  paida  (ags.  päd,  and.  peda, 
ahd.  pheit)  verrät,  gleichfalls  ausländischen  Ursprungs  (Heyne  s.  255),  doch  beachte 
MüUenhoff  DA  4,  575. 

3)  Von  MüUenhoff  (DA  4,294)  auf  „eine  art  kurzer  hose"  gedeutet. 

4)  periseelides :  nechala  ^  hosten  Ahd.  gl.  1,362,10.  ristüla  2,159,27. 

5)  Mestorf  s.  19.  22. 


STUDIEN    ZUR    ALTGERMANISCHEN    VOLKSTRACHT  401 


Die  jüngste  errungenschaft  der  Germanen  ist  schliesslich  die 
lange  hose^. 

Nächst  dem  gallischen  Import  war  für  die  Germanen  die  im 
3.  jahrh.  beginnende  zufuhr  aus  den  Pontusländern  von  der  allergrössten 
bedeutung.  Sie  ist  neuerdinds  gerade  auch  für  die  geschichte  der  alt- 
germanischen tracht  nach  gebühr  gewürdigt  worden-.  So  dürfen  wir 
es  nunmehr  wagen,  auch  die  lange  hose  aus  Südosteuropa  herzuleiten, 
ohne  befürchten  zu  müssen,  dass  diese  hypothese  ungeprüft  von  vorn- 
herein abgelehnt  werde. 

Wenn  wir  in  dem  katalog  der  langobardischen  könige  und  herzöge 
von  Benevent  lesen,  dass  der  könig  Adebald  (616  —  626)  zuerst  lange 
hosen  getragen  habe  (Adebaldus  crinitus  .  .  .  priraum  calciavit  osam 
particam^),  so  fertigt  Heyne  (s.  261)  diese  notiz  mit  der  fussnote  ab: 
,,Die  gelehrsamkeit  des  Schreibers  bringt  die  hose  mit  parthischer  tracht 
zusammen".  Wir  andern  sehen  hier  keinen  anlass  zur  Ironie,  sondern 
gedenken  der  werte  des  Tacitus,  der  die  weite  lange  hose  —  im  gegen- 
satz  zur  enganliegenden  kniehose  der  Germanen  —  als  vestis  fltritans 
der  Sarmaten  und  der  Parther  kannte  (Germ.  c.  17).  Lucan  war  der 
erste,  der  die  Germanen  und  zwar  zunächst  die  Vangionen  als  träger 
dieses  altorientalischen kleidungsstückes^ bezeichnete:  qui te  Iuris  imitan- 
fur,  Sarmata ,  bracis  V(üig/ones{de  hello  civili  [ed.  Hosius  1905]  1,431). 
Damit  ist  aber  für  die  Germanen  des  mutterlandes  noch  nichts  ent- 
schieden. 

Unter  den  monumenten  ist  in  erster  linie  die  ^larcussäule  zu  be- 
rücksichtigen; im  textband  der  publikation  hat  E.  Petersen  (s.  47.  48)  die 
lange  hose  der  Skythen  und  Sarmaten  besprochen.  Auf  ihren  dar- 
stellungen  ist  an  den  langen  hosen  der  Nichtrömer  zu  erkennen  (s.  71). 
Vereinzelt  tragen  sie  aber  auch  schon  die  equites  singulares,  die  nicht 
mehr  bloss  mit  der  gallischen  kurzen,  sondern  auch  schon  mit  der 
langen  parthischen  hose  bekleidet  erscheinen  (s.  74);  auch  einzelne 
römische    legionäre    sind   mit  ihr    angetan  (s.  66).     Von   den    barbaren 

1)  Heyne  setzte  sich  mit  unserer  Überlieferung  in  offenen  widersprach,  wenn 
er  s.  259  fg.  sagte,  die  langhose  müsse  als  unsere  älteste  geschichtliche  form  angesehen 
■werden. 

2)  Vgl.  B.  Salin,  Die  altgermanische  tierornamentik.  Stuckholm  1904. 
K.  Henning,  Der  heim  von  Baldenheim.  Stra.ssbarg  19Ü7.  A.  Götze,  Gotische 
schnallen.    Berlin  (1907). 

3)  Scriptores  rer.  Langobard.  s.  491. 

4)  Herodot  7,  Gl.     Ovid,  Trist,  ö,  7,  49;  vgl.  Müllenhoff,  DA  4,  .^)70fg. 

ZK1T^CHHI1T    K.     tiEUTSCHK    I'HILOLOGIE.        IIU.    XL.  -t» 


402  KAUFFMANN 

sind  es  namentlich  die  Völker  an  der  unteren  Donau,  zu  deren  national- 
tracht  die  weiten  langen  hosen  gehören:  zu  sehen  sind  sie  sowol  auf 
dem  monument  von  Adamklissi^  als  auf  der  Trajanssäule.  Die  süd- 
östlichen nachbarn  der  Germanen  haben  bis  auf  die  knöchel  reichende 
hosen  an-.  Dieselbe  tracht  hat  auch  der  pannonischeKelte  angenommen^; 
unter  dieser  bevölkeriing  fallen  namentlich  die  in  dem  vergrösserten  Ger- 
manien, sitzen  gebliebenen  Cotini  auf,  die  man  in  der  69.  scene  der 
Marcussäule  widererkennen  wollte^.  Es  ist  also  nicht  zu  verwundern,  dass 
das  gleiche  kleidungsstück  auch  zu  den  im  Südosten  angesiedelten,  den 
Sarmaten  und  Kelten  verbündeten  Germanen,  den  Quaden  und  Marko- 
mannen, gelangte,  die  auf  der  Marcussäule  dargestellt  sind;  ihre  langen 
hosen  sind  um  die  schuhe  herum  zusammengeschnürt^.  Es  ist  jedoch 
bemerkenswert,  dass  angehörige  dieser  Germanenstämme  der  südostmark 
auf  der  Trajanssäule  in  niedrigen  halbschuhen  noch  mit  enganliegenden 
beinkleidern  stehen,  während  die  Daker  durch  weite  hosen  von  ihnen 
unterschieden  sind^.  Aber  auf  taf.  73  scene  263  stechen  drei  besonders 
stattliche,  hohe  gestalten  bärtiger  barbaren  hervor;  diese  männer  tragen 
halbschuhe  (mit  deutlich  zu  erkennenden  schuhriemen)  und  lange  faltige 
beinkleider,  die  unten  in  die  schuhe  gesteckt  und  in  der  taille  durch 
den  vorn  mit  einer  schnalle  versehenen  leibriemen  gegürtet  sind  (bal- 
teum  ipruahhah  Ahd.  gl.  1,273,20).  Furtwängler  und  Cichorius  halten 
sie  für  Germanen'^.  Es  scheint,  dass  Furtwängler  recht  hatte,  wenn 
er  auf  diesen  bilderchroniken  bei  denjenigen  barbaren,  die  lange,  enge 
hosen  tragen,  zunächst  immer  an  Germanen  denken  wollte^;  die  lange 
weite  hose  haben  sie  mit  ihren  nachbarn  gemein,  werden  sie  von  ihnen 
bezogen,  dann  aber  mit  der  zeit  an  stelle  ihrer  enganliegenden  tracht 
nationalisiert  haben.  Zweifelhaft  ist  die  auf  einem  römischen  denkstein 
des  Mainzer  museums  (abgebildet  in  den  Altert,  uns.  heidn.  vorz.  I,  XI,  6, 2) 
widergegebene  figur,  aber  sicher  gemanisch  ist  die  enge,  mit  rautenmuster 
versehene,  lange  hose  des  bekannten  figürchens  des  Britischen  museums^, 

1)  Furtwängler,  Intermezzi  s.  49fgg. 

2)  Daker  mit  langen  faltigen   beinkleidern  (Trajanssäule   ed.  Cichorius  taf.  15. 
19  u.  ö.). 

3)  Furtwängler  s.  75. 

4)  Textband  s.  120. 

5)  Textband  s.  47. 

6)  Trajanssäule  taf.  21  scene  68. 

7)  Intermezzi  s.  71.     Trajanssäule  bd.  3,  144.  148.  150. 

8)  Intermezzi  s.  72  fg. 

9)  Bienkowski  in  der  Festschrift  für  Ilirschfeld  s.  351.  352.    Altert,  unserer 
heidn.  vorzeit  5,  83. 


STUDIKN    ZUR    ALTGERMANISCHKN    VOLKSTRACHT 


403 


das  nach  der  haartiacht  sogar  auf  einen  der  nach  Südosten  sich  aus- 
breitenden Sueben  bezogen  Averden  darf.  Lange  hosen  trägt  auch  die 
Gerraauin  und  der  Germane  auf  zwei  münzen  des  Domitian,  die  in  ver- 
grossortem  raassstab  in  den  Alt.  uns.  heidn.  vorz.  5,  86  bequem  zugänglich 
gemacht  worden  sind^  Doch  ist  auf  die  münzen  kein  verlass,  denn 
ihre  reliefs  scheinen  einem  ideaicostüni  der  älteren  Skulpturen  und  der 
bühne  gefolgt  zu  sein  und  die  nationaltrachten  vernachlässigt  zu  haben-. 
In  der  römischen  kaiserzeit  und  in  der  völkerwanderungszeit  ist  die 
lange  hose  auch  bloss  für  Kolonialgermanen  —  namentlich  im  Südwesten 
und  Südosten'^  —  nicht  für  die  Germanen  des  mutterlandes  belegbar. 
Als  beutestücke^,  oder  wol  eher  unter  den  verraten  eines  händlers,  sind 
zwei  lange  hosen  aus  dem  Thorsberger  moor  ans  licht  gekommen  (Heyne 
s.  259):  dieser  grossartige  fund  brachte  bekanntlich  eine  Sammlung 
ausländischer,  ihrem  stil  nach  auf  den  Südosten  Europas  hinweisender 
erzeugnisse. 

Der  älteste  beleg  für  lange  hosen  im  nördlichen  Deutschland  bleibt 
daher  die  Damendorfer  moorleiche;  über  ihre  zeitstellung  lässt  sich  leider 
genaueres  nichts  mehr  ausmachen^. 

Zum  schluss  sei  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  lange  hose 
noch  heutigen  tags  nicht  allgemein  in  Deutschland  getragen  und  noch 
nicht  recht  volkstümlich  unter  uns  geworden  ist.  Darum  gibt  es  auch 
keinen  durchgehenden,  volkstümlichen  namen  für  sie  (über  buxe  vgl. 
oben  s.  392)6. 

1)  Die  niünzlegenden  lauten:   Germania  subacta  . .  und  Germania  capta. 

2)  Vgl.  Revue  celtique  XI,  35.  P.  Bienkowski,  De  simulacris  barbararum 
gentium  apud  Romanos.     Cracoviae  1900. 

3)  Die  Wandalen  hielten  in  Afrika  darauf,  dass  ihre  nationaltraeht  sie  von  den 
„Römern"  unterscheide  (Migne,  Patrol.  ser.  lat.  58,  204.  Martroye,  Genseric  s.  283. 
309 fgg.).  Die  Langobarden  trugen  anfänghch  in  Italien  noch  die  bnah  (Paul.  Diac. 
5,  38);  vgl.  Revue  celtique  XI,  3&fg. 

4)  S.  Müller,  Nord,  altertumskunde  2,  144:  „die.se  funde  enthalten  kampf- 
beute." Lindenschmit,  Handbuch  s.  338 fg.  Zur  webetechuik  vgl.  Studier  tilläguade 
0.  Montelius  (1903)  s.  206. 

5)  Mestorf,  42.  bericht  s.  12.     44.  bericht  s.  I9fg. 

6)  Zu  anord.  leistabrokr  vgl.  Pauls  grundr.  3*,  440  (zu  ags.  Ui-shosu?  Stroebe 
s.  37  fg.;  vgl.  oben  s.  391);  anord.  liosa  definiert  Fritzner  (s.v.):  oprindelig  et 
klaedningsstykke  som  tjente  til  benets  bediekning  fra  risten  til  kuivet  (niellem  kistr 
[=  sockej  og  brok). 

KIEL.  FRIKORICU    K.\UFFMANX. 


404  BLÜMML 

DIE  SCHWELINSCHE  LIEDEEHANDSCHEIET. 

Die  königliche,  öffentliche  bibliothek  in  Stuttgart  bewahrt  unter  der 
Signatur  Poet,  et  phil.  0.  43  eine  bisher  nicht  beachtete  iiederhandschrift 
in  S*^*  aus  der  ersten  hälfte  des  17.  Jahrhunderts  auf,  die  für  die  ge- 
schichte  des  deutschen  volks-  und  gesellschaftsliedes  nicht  ohne  wert  ist. 

Die  Seiten  1  — 113,  von  einer  band  geschrieben,  sind  unter  der 
aufschrift:  „Lieder  Buoch  darinen  vihl  schöner  außerJößner  lustiger 
vnnd  kurzweiliger  Lieder  xue  fmde?i  sein,  zueßameu  geschriben  durch 
Nm^cissum  Schivehlen.  Anno  1611"  zusammengefasst,  während  die 
s.  114 — 149  einer  anderen  band  angehören  und  s.  114  die  bemerkung 
„Nachvolgende  Lieder  xuscmimengeschrihen  durch  Johann  Friderieh 
ScMcehlen,  phil.  stud.  Anno  1658"  aufweist.  Am  Schlüsse  des  lieder- 
buches  findet  sich  ein  register,  das  von  der  ersten  band  geschrieben 
ist,  jedoch  auch  eintragungen  der  zweiten,  jüngeren  band  aufweist. 
Vorne  am  deckel  findet  sich  als  Ex  libris  ein  wappen  mit  der  Überschrift: 
Mich  begnüget  \  Wie  es  Gott  füget. 

Über  die  beiden  Schreiber  der  handschrift  war  nicht  viel  zu  er- 
mitteln. Von  Narcissus  Schwelin  erschien  1660  zu  Stuttgart  eine 
„Würtembergische  kleine  Chronica"  in  druck.  Johann  Friderieh 
Schwelin,  Stuttgardianus  ist  unterm  10.  märz  1654  unter  den  „Alumni 
Bebenhusani"  in  der  matrikel  der  Universität  Tübingen  nachweisbar. 

Ihre  liederhandschrift,  die,  da  ja  beide  Stuttgarter  oder  mindestens 
in  Stuttgart  ansässig  waren,  ein  bild  des  württembergischen  liederwesens 
in  der  ersten  hälfte  des  17.  Jahrhunderts  bietet,  ist  auch  insoferne  inter- 
essant, als  sie  eine  grosse  anzahl  volks-  und  gesellschaftslieder  enthält, 
die  bisher  nicht  bekannt  waren.  ^ 


1. 


[1]      1.  "Wie  werd  ich  mich  von  düi  schaiden, 
meins  herzen  frewd  vnnd  zier, 
all  kurzweil  wirdt  mir  verlaiden, 
wann  du  nicht  werst  bey  mir; 
souil  mir  wil  gebüren, 
von  herzen  lieb  ich  dich, 
ach,  trewste  dienerin  mein, 
der  maiste  thail  meins  herzen 
soll  dir  geschenckhet  sein. 


2.  Im  innersten  theil  meins  herzen 
empfünd  ich.  solche  pein, 
auch  nit  den  grüngsten  schmerzen 
leid  ich  von  wegen  dein; 
die  lieb,  die  ich  jez  trage, 
kompt  auß  dem  herzen  rein, 
ach,  trewste  dienerin  mein, 
der  maiste  thail  meins  herzen 
soll  dir  geschenckhet  sein. 


1)  Betreffs  des  abdrucks  der  einzelnen  texte  habe  ich  mich  der  von  A.  Kopp 
durchgeführten  methode  angeschlossen.  Zu  bemerken  wäre  niu-,  dass  ich  für  hds.  h 
=  ch,  da  die  Schreibung  h  nicht  folgerichtig  durchgeführt  ist,  sondern  mit  ch  wechselt, 
stets  ch  setzte,  dass  ich,  da  in  der  hds.  zu  viele  Unregelmässigkeiten  unterlaufen, 
ausser  den  Strophenanfängen  alles  klein  schrieb,  jedoch  den  Wechsel  zwischen  ne 
und  uo  {thuet  und  thtto)^  der  sich  ziemlich  häufig  findet,  beibehielt. 


DIE    SCinVELINSCIIE    LIKDERHANDSCHKIFT 


405 


3.  Ach,  thet  dir  mein  lieb  gfallen 
vnnd  wölst  sy  zahlen  mir, 
begehrt  vor  andrem  allen 
nichts  liebers  ich  von  dir, 
nur  dz  du  mich  wölst  lieben 


in  zucht  vnd  bständigkeit, 
ach,  trewste  dienerin  mein, 
so  wolt  ich  in  zucht  vnnd  ehren 
dein  trewster  diener  sein. 


1.  Lieblich  im  schlaff  ein  traiun  ich  het, 
wie  mein  feins  lieb  stund  vor  mein  beth, 
bloß  wie  sy  gott  geschaffen; 

dz  edle  büld  sprach,  so  du  wilt, 
so  will  ich  bey  dir  schlaffen. 

2.  Ynnd  ich  alsbald  anttwortet  ihr, 
also  laß  ich  dich  nit  von  mir, 

[3j  mecht  [3J  dann  von  dir  bekommen 
ein  schmezelein,  so  kreuch  herein 
vnnd  biß  mir  gott  willkommen. 

3.  Darauf  sprach  sy  mit  freundtlichkeit, 
zue  dienen  dir ,  bin  ich  bereit, 

doch  wil  ich  dich  nit  kißen, 

du  wölst  dann  sein  der  liebste  mein, 

dz  will  ich  von  dir  wißen. 

Akrostichon :  Ludwig. 


4.  Welchs  ich  in  frewd  ganz  herzigelich 
dir  inn  die  hand  hinein  versprich, 
hierait  sey  dir  geschworen, 

bey  meinem  ayd  in  ewigkeit 
hab  ich  dich  außerkoren. 

5.  Inns  beth  zue  mir  mit  frewd  hinein 
sprang  bald  dz  herzig  engelein, 

huob  freundtlich  an  zue  lachen; 
der  edle  schaz  gab  mir  ein  schmaz, 
dz  ich  bald  thet  erwachen. 

<■>.  Gar  bald,  da  ich  erwachet  recht,       [4J 
ich  aun  mein  schaz  vnnd  traunri  gedächt, 
ward  mir  aber  entzogen;, 
da  sprach  mein  herz,  bey  dißem  scherz 
hat  mich  der  schlaff  betrogen. 


Im  thon:  ach, 

1.  Bey  dir  inn  allen  ehren 
möcht  ich  nun  stettig  sein 
vnnd  solts  gleich  ewig  wehren, 
geb  ich  den  willen  drein; 
solchs  red  ich  recht  ohn  scherzen 
vonn  ganzen  griind  meins  herzen, 
herzliebs  jungkfrewelein. 

2.  Ach,  thuo  dich  doch  auch  kehr 
[5]  mit  [5]  deiner  lieb  gehn  mir, 

so  soll  sich  alsdann  mehren 
mein  lieb  auch  gegen  dir, 
will  daruon  nimmer  laßen, 
dich  stets  inn  mein  herz  faßen, 
0,  du  mein  höchste  ziehr. 

3.  Recht  schön  bistu  geziehret 
mit  tugent  ganz  vnnd  gar, 
darneben  auch  wol  gformieret, 
hast  zway  schön  aüglein  klar; 

0,  wann  ich  die  selb  thue  sehen, 
thuns  mich  herzlich  erfrewen, 
dan  ich  nimbs  stettigs  war. 


höchster  schaz  auf  erden. 

4.  IJey  leib,  laß  dich  nicht  wenden 
von  mir,  ach  herzigs  herz, 
solt  ich  dz  selb  empfinden, 
brecht  mir  gar  grollen  schmerz; 
bey  rechter  lieb  thuo  bleiben, 
laß  [6]  dich  auch  nichts  abtreiben 
vnd  dir  nit  sein  ein  scherz. 

5.  Allein  will  ich  dich  pitten, 
du  zarts  junckhfrewelein, 
thuo  dein  herz  auch  außschitten 
gehn  mir,  wie  ich  dz  mein, 
dann  du  darffst  kcckhlich  trawon 
vnnd  gwißhch  auf  mich  bawen, 
du  herzigs  mundelein. 

6.  Reichthumb  thue  nicht  anschawen, 
dann  ich  hab  solbigs  nicht, 
muest  gott  allein  vertrawen, 
weil  er  all  ding  anrieht; 
solt  mich  darumb  nicht  hallen 
vnnd  von  doßwegen  laßen, 
wie  es  sonnst  gmeinelich  gschicht. 


[6] 


406 


[7]      7.  AUso  ^vill  ich  beschließen 
diß  liedlein  also  klein, 
ich  hoff,  ich  werds  genießen, 
weil  ichs  so  trewlich  mein, 
Akrostiehon:  Barbara. 


wann  wir  liommen  zuesammcn: 
ade  inn  Gottes  nammen, 
der  helff  vnns  beeden  fein. 


1.        Soldat. 
Mein  gott.vnnd  beer,  nun  stehe  mir  bey, 
weil  ich  jez  muoß  von  hinen 
inns  vungerland  nach  ritterschafft, 
hilff  gott,  dz  mirs  gelinge, 
ich  bitt  dich  auß  meins  herzengrund, 
du  weist  mir  gnad  verleichen, 
dz  ich  treff  ein  glückhseelige  stund, 
dz  sich  mein  lieb  mög  frewen. 

[8]      2.        Jungfraw. 

Ach,  liebster  schaz,  sprach  sie,  mein  lieb, 

was  trawrest  du  so  sehre, 

ich  wil  dir  geben  ein  gueten  rath, 

folg  du  nur  meiner  lehre, 

was  ich  dir  gönne,  dz  weiß  gott  wol, 

er  kent  all  mein  gedanckhen, 

du  zeuchst  von  mir  vnnd  lest  mich  hier, 

dz  thutt  mein  herze  krenckbeu. 

3.  Soldat. 

Ziech  ich  von  dir  vnnd  laß  dich  hier, 
thue  du  darumb  nit  zagen, 
ich  muoß  jezund  ins  vnngerland. 
mich  mit  dem  feinde  schlagen; 
darein  zeucht  mancher  stolzer  hold 
vnnd  thuet  nach  ehren  streben, 
also  will  ich  es  wagen  auch, 
verleicht  mir  gott  dz  leben. 

4.  Junckhfraw. 

Ach  gott,  ach  gott,  wo  soll  ich  nun, 
[9]  mein  junges  herz  hinkehren, 

weil  mich  mein  lieb  verlaßen  will, 
mein  trawren  thuet  sich  mehren; 
waß  hülfft  mich  dann  die  große  lieb, 
die  ich  zu  dir  getragen, 
weil  du  jezt  zeuchst  ins  vnngerland, 
wilt  leib  vnnd  leben  wagen. 

5.  Soldat. 

Ich  ziech  dahin,  gott  geb  mir  glückh 
vnnd  hoff,  was  zu  erwerben, 
ich  förchte  nicht  deß  feindes  tückh, 
gott  lest  mich  nit  verderben, 


er  waiß,  dz  ich  dich  herzlich  mein 
vnnd  kan  es  doch  nit  wenden, 
weil  es  dann  nit  kan  anders  sein, 
so  will  ich  es  vollenden. 

6.  Junckhfraw. 

Kan  es  dan  jezt  nit  anders  sein, 

so  wöll  dich  gott  geleiten 

vnnd  [10]  gebe  meinen  willen  drein,  [10] 

gott  stehe  auf  beeden  selten. 

bitt  du  für  mich,  wie  ich  für  dicli, 

er  würdt  dich  nit  verlaßen, 

denckh,  was  du  hast  verheißen  mir, 

nun  ziech  hin  deine  Straßen. 

7.  Behüet    dich    Gott,     mein    taußent 

schaz, 
auf  weegen  vnnd  auf  Straßen, 
frölich  biß  auf  denn  musterplaz 
vnnd  auch  in  wehr  vnnd  waffen 
vnnd  andre  frombe  kriegsleüth  guett, 
die  da  ir  leben  wagen, 
ja,  die  da  wagen  leib  vnnd  bluott, 
damit  sie  nit  verzagen. 

8.  Noch  eins  kompt  mir  jezt  inn  mein 

sün, 
mein  höchster  schaz  auf  erden, 
weil  du  jezunder  zeuchst  dahin, 
fiehr  nit  ein  gottril]loß  leben  [11] 

vnnd  hüet  dich  vor  der  trunckhenheit, 
bringt  manchen  vmb  sein  leben, 
daran  gedenckh  zue  aller  zeit, 
so  würdt  dir  gott  glückh  geben. 

9.  Soldat. 

Ade  zue  taußent  gueter  nacht, 
hieran  will  ich  gedenckhen, 
bewahr  dich  gott  mit  seiner  macht, 
jeziind  muoß  ich  mich  lenckhen 
zum  thor  hinauß  ins  vnngerland 
mit  anderen  kriegsieüthen, 
alda  wir  sein  von  gott  gesandt, 
er  wöll  vnnß  helffen  streitten. 


DIE    SCinVELINSCHE    UKDERHANDSCHRIFT 


407 


10.         Juncklifraw. 
Nun  helff  dir  gott  zuc  aller  stund, 
sprach  die  liebste  alleine, 
der  liebe  gott  spar  dich  gesund, 
er  weiß,  dz  ich  dich  meine 
12]  vnnd  andre  [12]  frombe  kriegsleüth, 
die  dir  da  helffen  streitten, 
wöll  gott  bewahren  in  dem  streitt 
vnd  sie  alle  gelaiten. 

2,  5  hds.  weist.  —  2.  7  Iids.  von  mir  von 


11.  "Wer    war,    der    vnns    diß    licdlein 
sang, 
er  meint  sein  Hob  von  herzen, 
ein  freyer  soldat  ist  ers  genant, 
hierauß  treibt  er  kein  scherze; 
kriegsleüth  seind  im  von  herzen  lieb 
vor  anderen  auf  dißer  erden 
vnnd  auch  darzue  die  liebste  sein, 
gott  geh  ir  langes  leben. 


[13]      1.  Mancher  nach  reichthumb  freyet, 
welchs  in  hernach  offt  reyet, 
wan  dz  guett  ist  verzehret, 
hat  all  lieb  aufgehöret. 

2.  Manchem  thuet  auch  gefallen 
Schönheit  vor  andrem  allen, 
solch  lieb  aber  nicht  bestehet, 
weil  Schönheit  bald  vergehet. 


3.  Drumb  will  ich  solehs  verachten, 
allein  nach  frömbkeit  trachten, 
reichtumb,  Schönheit  ohn  maßen 

will  ich  ganz  fahren  laßen. 

4.  AVürdt  mir  aber  frömbkeit  geben, 
reichtumb  vnnd  schön  darneben, 
thue  ich  mit  warheit  sagen, 

ich  volts  auch  nit  abschlagen. 


I»i   latdenhuch  des  Rudenius  1600  (Radecke,   Vierteljahrsschrift  für  musik- 
irissenschaft  VIL  326  nr.  242). 

G.  Nach  euch,  hertzliebstes  Liebelein,  |  sehnet  sich  immerzue  |  all  zeit  dz  trawrig 
herze  mein  ...     Ü  str.  auf  s.  14  — 17,  —  Akrostichon:  Narcissus. 


7. 


'18]      1.  Mein  lust  tregt  mich  zuc  singen 
ein  liedlein  dir  zur  ehr, 
ob  mir  drob  kündt  gelingen 
dein  liebe  desto  mehr, 
dz  ich  dein  huld  bekeme, 
darnach  ich  ring  allein, 
welchs  mir  wer  sehr  bequeme, 
zarts  schöns  junckfrewelein. 

2.  .Vn  dich  so  offt  ich  denckhe, 
wie  offt  die  stunde  schlecht, 
mein  herz  ich  offt  drob  krenckhe, 
wan  es  an  dich  gedächt, 

dz  ich  all  zeit  muoß  bleiben, 
herzlieb,  so  weit  von  dir, 
all  laid  wolt  ich  vertreiben, 
wan  du  werst  noch  bey  mir. 

3.  Recht  wie  die  turteltaubeu 
lieben  irn  gesellen  fein, 

wann  maus  in  wegg  thuet  rauben, 
[19]  ir  leb[19Jtag  trawrig  sein. 


thun  doch  bißweillen  lachen 
in  irem  großen  schmerz, 
sehn  bald  sawr  in  die  Sachen, 
es  geht  in  nicht  von  herz. 

4.  Gleich  also  auf  die  maßen 
muoß  ich  bekennen  dir, 

wan  ich  reitt  auf  der  Straßen, 
geht  es  auch  so  mit  mir, 
kann  nimmer  lustig  werden, 
ob  ich  schon  lach  bißweil, 
sey,  wo  ich  well  auf  erden, 
im  sün  stetts  zue  dir  eyl. 

5.  Red  ich  mit  mein  gesellen, 
so  red  ich  stetts  von  dir, 

mein  reden  thue  ich  stellen 
von  dir,  o  höchste  ziohr; 
schlaff  ich,  .so  kompt  mir  füre 
im  schlaff  dein  schön  gesiebt, 
wach  ich,  alßdann  ich  spühre, 
dz  es  ist  ein  gedieht. 


[201 


408 


6.  Eß  ich  spatt  oder  morgen, 
so  schmekht  mir  doch  kein  biß 
vor  vihlen  schwehren  sorgen, 
wann  ich  die  malzeit  iß; 
trinckh  ich,  so  trinckh  ich  gerne 
auf  dein  gesundheit  auß, 
denckh  dann,  ach,  wie  so  ferne, 
dz  geht  zum  herzen  auß. 

7.  Tanz  ich  gleich  einen  rayen 
mit  andern  junckfrawn  fein, 
will  michs  doch  nit  erfrewen, 
spring  nimmer  frölich  drein, 

5, 2  hds.  statt  stetts. 


1.  Tüeff  in  dem  vnngerlande 
lag  ich  junger  tronieter, 
vihl  gfahr  hab  ich  außgstanden 
|:  von  dem  türekischen  beer.  :| 

2.  Noch  ließ  ich  offt  erklingen 
der  mein  trometen  schall, 
die  hört  man  lustig  singen 
|:  vber  berg  vnnd  tüeffe  thal.  :| 

[22]      3.  Nun  machet  ich  besunder 
ein  schöne  melodey 
vnnd  hab  die  bracht  besunder 
|:gehn  München  in  die  statt  frey.  :| 

4.  Vnnd  thet  dieselbig  schenckhen 
einer  jungkfrawen  zart, 
mein  darbey  zue  gedenckhen, 
|:  sy  ist  von  edler  art.  :| 

5.  Cupido  hat  mich  gschoßen 
vnnd  mir  mein  herz  verwundt, 
ich  hab  sy  eingeschloßen 
|:  in  meines  herzen  grund.  :| 

6.  Laider  so  miest  ich  sterben 
von  wegen  ehren  fromb, 
also  müest  ich  verderben, 
|:wo  ich  dich  nit  bekom[b].  :| 


weill  ich  dich  nit  mit  schallen, 
mit  deinem  ehrenkranz, 
vor  andren  jungkfrawn  allen 
mag  fiehren  an  den  tanz. 

8.  Ach  gott,  thuo  doch  bald  wenden 
mein  herz  vol  trawrn  vnnd  laid,  [21] 

laß  trawrn  vnnd  laid  sich  enden, 
verkhers  in  stette  frewd; 
schickh  mich  bald  hin  in  frewden 
zu  der,  daruon  ich  sing, 
dz  ich  frey  sey  von  leiden, 
die  frewd  mit  rhuom  herr  spring. 
7,  2  hds.  junckfraw.  —  Akrostichon :  Margreta. 

8. 

7.  "Wie  Piranius  thuet  lieben  [23] 
Thisbe,  die  wolgethon, 
also  thue  ich  mich  ieben, 
|:  wo  ich  ir  dienen  kan.  :| 

8.  Ich  blaße  ir  zue  ehren 
vihl  manchen  schönen  tanz, 
wie  man  thuet  täglich  hören, 
j:  in  ehren  steht  vnd  ganz.  :| 

9.  Mein  zungen  sy  regieret 
auf  der  trometen  thon 
vnnd  mir  dieselbig  führet, 
|:  dz  nicht  bald  immer  kan.  :| 

10.  Die  lieb  hat  vberwunden 
dz  junge  herze  mein, 
jez  vnnd  zue  allen  stunden, 
|:  so  bleib  ich  ewig  dein.  :| 

11.  Thue  dich  nicht  von  mir  w^enden,   [24] 
dz  ist  mein  höchste  pitt, 
dein  bin  ich  biß  ans  ende, 
|:  laß  dich  verfiehren  nicht.  ;| 

12.  Wann  du  dz  lied  hörst  singen, 
so  gedenckhe,  dz  mich 
die  lieb  darzuo  thuot  zwingen, 
gott  well  behüeten  dich. 


10, 1  hds.  hab. 

9.  Ein  now  schüzenlied,   so  ich  selb  gemacht.     A.  1612:    Ein  schüz  nach  sein 
belieben,  |  gieng  zue  dem  schießen  auß  ...     10  str.  auf  s.  25 — 29. 

10. 
[30]  Ein  schön,  newes  lied.     In  aigner  melodey. 


1.  Die  sonn  scheint  auf  den  harten  frost, 
der  früeling  bringt  vnnß  guete  post, 
frisch  auf,  frisch  auf,  frisch  auf; 


man  hört  die  drumen  schlagen, 
es  geht  an  allen  orthen  au, 
zue  waßer  vnnd  zue  land. 


DIK    SCH-WELINSCHE    LIEDERHANDSCHRIFT 


40Ü 


2.  Vorhanden  ist  die  zeit  einmal 
man  würbt  Soldaten  vberal, 
frisch  auf,  frisch  anf,  frisch  auf, 
man  fierth  durch  alle  landt 
Munition  vnnd  prouiant, 

darzue  vihl  newe  münz. 

3.  Auf  gott  hab  ich  mein  sach  gcricht, 
der  würdt  euch  auch  verlaßen  nicht, 
frisch  auf,  frisch  auf,  frisch  auf, 

wol  inn  dz  vnngerland, 

ist  manchem  ki'iegsman  wol  bekandt, 

hie  bleib  ich  länger  nit. 

4.  Wie  würdt  es  aber  gschehen  mir, 
mein  höchster  schaz  vnnd  schönste  zir, 
frisch  aixf,  frisch  auf,  frisch  auf, 

mit  mannheit,  gueth  vnnd  ehr 
will  ich  bald  wider  kommen  her, 
mach  dir  die  weil  nit  lang. 

5.  An  statt  deiner  schönen  gstalt 
mein  apfelgrawes  pferdt  ich  halt, 
frisch  auf,  frisch  auf,  frisch  auf, 
es  geht  mit  mir  inn  todt 

vnnd  tregt  mich  offt  auß  mancher  noth 
durch  dein  großmüetigkeit. 


6.  Für  deinen  sießen  rotten  mund 
gieß  ich  die  bleyin  küglein  rund, 
frisch  auf,  frisch  auf,  frisch  auf, 
für  deine  fingerlein 

inn  meine  bände  sinckhen  nein 
der  degen  vnnd  pistol. 

7.  Nun  mag  es  gehn,  wie  gott  es  will, 
mein  leben  steht  inn  gottes  zill, 

frisch  auf,  frisch  auf,  frisch  auf, 

mit  gottes  hülff  vnnd  [33J  crafft  33J 

sez  ich  inn  ehr  vnnd  ritterschafft 

mein  junges  leben  dahin. 

8.  Nach  dißem  trunckh  zue  gueter  nacht, 
sey  dir  mein  lieber  schaz  gebracht, 
frisch  auf,  frisch  auf,  frisch  auf, 

bey  dißem  ringelein 

wirstu  ein  weil  gedenckhen  mein, 

biß  ich  widr  komb  zue  dir. 

9.  Ade,  stell  mir  dz  weinen  ein, 
es  kan  vnnd  mag  nit  änderst  sein, 
frisch  auf,  frisch  auf,  frisch  auf, 
zue  tausent  gueter  nacht; 

schaiden  hat  mich  bald  weinen  gmacht, 
ade,  ich  schaid  von  dir. 


2,5  hds.  munontion.  —  8,1  icä?-e  besser:  noch  dießer. 

Hilarius  Lustig  nr.  40  (Meusebach  -  Hayn  s.  11);  danach  Hoff  mann  von 
Fallersieben,  Oesellschaßslieder  II,  45  nr.  285  (13  Strophen). 

11.  Ein  new  lied:  Khein  frewd  ohn  laid,  |  ein  Sprichwort  ist  .  .  .  !)  str.  auf 
s.  34  —  S8.  —  Akrosticl(on:  Katharina.  —  Hilarius  Lustig  nr.  166  (Meusebach- 
Hayn  s.  17). 

12.  Auf  allen  selten  |  hab  ich  zue  streitten  |  in  lieb  vnnd  laid  .  .  .  S  str.  auf 
s.  39  —  42. 

13.  Euch,  herzigs  lieb,  |  wilf  ich  zue  ehren,  |  auß  liebestrib,  |  ohn  allß  be- 
schwehren  ...     7  str.  auf  s.  43  —  46.  —  Akrostichon :  Euphrosina. 


14.  Ein  maistergesang :   Ein  junger  man,  der  namb  ein  weib, 
holdseelig  von  leib  ...    3  str.  auf  s.  47  —  51. 


gar  schön  vnnd 


15. 


1.  Es  sas  ein  vöglein 
im  grüenen  büschlein, 
es  .sang  so  süeße 
ohn  allß  verdrieße; 
mit  hüpfen ,  mit  danzen ,  mit  springen 
thot  sich  dasselb  vöglein 
jezt  hin,  jezt  her  in  seinem  singen. 


2.  Diß  vögelein 
welches  ich  hie  maine, 
thet  mir  gefallen 
fürn  vöglein  allen; 

sein  schnäbloin,  sein  züngloin,  sein  liülßlcin 
war  abgericht  artlich  vnnd  fein, 
es  köndt  nit  lieblicher  sein. 


410 

3,  Het  ich  diß  vöglein 
in  nieinera  häußlein, 
[53]  ich  wolt  es  sezen, 
solt  mich  ergözen, 


vihl  kurzweil,  vihl  frewde,  vihl  wohue 
solt  mir  es  geben  mit  seinem  thone, 
ich  wolts  auch  warten  schone. 


16. 


[54]      1.  In  trawern  muoß  ich  leben, 
betrüebt  ist  mir  mein  hertz, 
die  lieb,  so  frewdt  thuet  geben, 
mir  nur"  vervrsacht  schmertz. 
indem  daß  ich  hier  liebe 
vnd  darff  es  melden  nicht, 
wie  hoch  mich  thuet  betrüeben 
dein  holtseeliges  gesiebt. 

2.  "Wolt  gott,  du  möchtest  wißen 
die  große  lieb  vnnd  guust, 
deren  ich  mich  beflißen, 
zu  tragen  in  gedult; 
obschon  selbige  vergebens 
solches  geschehen  thuet, 
soll  doch  die  zeit  meins  lebens 
wehren  mein  trewer  muth. 

3.  Ruhe  thet  ich  offt  begehren 
dem  großen  schmertzen  mein, 
doch  weil  dir  geschieht  zue  ehren, 
sols  mir  auch  augenehm  sein; 

[55]  mein  hertz  ist  schon  gewöhnet, 
in  pein  zue  vben  sich, 
darin  niemahl  vorschonet 
die  große  liebe  hat  mich. 

2,  2  besser  huldt.  —  4,  5  hds.  retten 


4.  Gedult  thuet  mich  ernohren, 
hoffuung  mein  trost  thuet  sein, 
du  aber  auß  beschweren 

mich  erfetten  kanst  allein; 
wie  kanstus  aber  ratten, 
wenß  ihr  nit  sagen  thue, 
ach,  schweigen  ist  mein  schade 
vnd  hindert  meine  rueh. 

5.  Solts  ich  dan  offenbaren, 
ach  mein,  es  schicket  sich  nicht, 
kein  mensch  sols  erfahren, 
waraui  mein  sinn  ist  gericht, 
heimlich  so  will  ich  füehren 
mein  lieb  wol  in  der  still, 

an  äugen  kan  man  spüren, 
waß  der  mund  reden  will. 

6.  Ade,  mein  einiges  leben, 
diß  lied  nim  du  in  acht, 

dir  hah  ich  es  ergeben 

vnd  dir  zue  ehren  gemacht. 

Gott  wol  dich  stehts  bewahren 

vor  vnglückh,  pein  vnd  schmertz, 

für  vnfah!  vnd  gefahren 

wünsch  dir  ein  trewes  hertz. 

—  "5,2  hds.  schickets.  —  6,7  gefahre. 


[56] 


17.  Ach,  waß  vor  klag  [  füehr  ich  alltag  |  vnd  lall  es  doch  nit  scheinen  .  .  . 
9  str.  auf  s.  56  —  60.  —  Paul  von  der  Aelst  1602  nr.  29  (Ho  ff  mann  von  F., 
Weim.  Jb.  IT  [1855]  327). 


18.  Soll    den  Venus    ein    göttin 
21  Str.  auf  s.  61—66. 

[66]      1.  Der  monschein  ist  verblichen, 
die  finstere  nacht  ist  gewichen, 
stehe  auf,  du  edle  morgenröth, 
zu  dir  all  mein  vertrawen  steht. 

2.  Dein  vorbott,  der  klein  Lucifer, 
fehrt  albereit  im  himmel  her, 
er  hat  die  wolckhen  vfgeschloßen, 
die  erd  mit  seinem  tauw  begoßen. 


sein,    I  die    so    quelet    das    hertze   mein  . 


19. 


3.  Phoebus,  dein  vorbott  wol  geziert, 
hat  schon  sein  weeglein  angefüehrt, 
der  sonnen  pferdt  seind  angespandt, 
die  zeit  ist  da,  fahr  du  von  dann. 

4.  Fahr  hin  für  das  Schlafkämmerlein,  [67] 
da  ligt  die  allerliebste  mein, 

meld  an,  Orian,  waß  ich  dir  sag, 

mein  dienst,  meingruoß,  einen  gueten  tag. 


»I 


DIK    SCmVELINSCHE    LIKDEHHANDSCIIIIIFT 


411 


5.  Du  solt  sie  fein  zichtig  weckhen, 
solt  dir  mein  große  lieb  entdeckben, 
solt  sagen,  wie  ich  die  gantze  nacht 
in  (jual  vnd  schwere  pein  zubracbt. 

().  Man  sagt,  das  dein  liecbt  alles  sieht, 
so  ist  dir  [djeun  verborgen  nicht, 
zue  stehen  in  dem  hertzen  mein, 
dz  ich  der  einig  diener  dein. 


7.  Begrüeß  vor  mich  ihr  äuglin  klar, 
ihr  helßelein  weiß,  ihr  adeliches  haar, 
vmbfahe  für  mich  ihren  rotten  mund 
vnd  trückhs,  o,  wo  ihre  brüstlein  rund. 

8.  Fahr  hin,  du  edle  morgenröth, 
zu  dir  al  mein  vertrawen  steht, 

fahr  hin,  fahr  hin,  mehr  bitt  ich  nicht, 
allein  fahr  vnd  niin  mich  mit. 


[68] 


5,2  kds.  entdenckhen.  —  besser:  solt  ir. 

20.  Höre  an,  menschliche  creatur,  |  ein   vnerforschlichs  miracul  .  .  .    <S  str. 
auf  s.  68 —  71. 

21.  "\Van  ich  hertzlieb  thuc  gedenckhen,  |  mein  hertz,  dz  thut  sich  krenckhcn  .  . . 
5  str.  auf  s.  72 fg. 

22.  In  schwerer  lieb  breu  ich  |  vnud  muß  verzagen  ...    10  str.  auf  s.  74 — 76. 


23. 


[77]      1.  Ellendtlich  mein  blüende  zeitt 
ich  verzehren  muoß, 
ach,  wie  mein  hertz  in  großer  pein 
seüffzot  mit  verdruoß, 
klaget  sehr,  ie  lenger  ie  mehr, 
seinen  pein  vnd  schmertzen. 

2.  Lustig  ich  nit  werden  kan 
nun  vnd  nimmermehr, 

dz  macht  allein  der  alte  man, 
darum b  bitt  ich  sehr, 
ach,  lieber  gott,  schickh  nur  den  todt, 
der  in  thuet  abfordern. 

3.  Jung  bey  jung  vnd  alt  bej-  alt 
reimbt  sich  eben  recht, 

wan  es  wer  in  meinem  gewalt, 
daß  ich  tauschen  mecht, 
wolt  ich  den  greiß,  vn  alles  geheiß, 
vor  ein  jungen  geben. 

4.  Seültzen  vnd  klagen  bringt  große  pein 
in  mein  junges  hertz 

vnd  wird  hinfort  dz  leben  mein 
[78]  hefftig  sehr  verletzt, 

weil  ich  nit  kan,  deß  alten  man 
frey  vnd  ledig  werden. 


5.  Es  wer  nun  aber  die  rechte  zeit, 
sag  ich  auß  hertzengrund, 

welches  mir  geb  ergötzligkeit 
jetz  zue  diser  stundt, 
dan  ich  mit  lust  an  meine  brüst 
hertzlich  mir  thue  winschen. 

6.  Ach,  wie  ist  mir  in  schwere  pein 
ietz  zu  dißer  zeit, 

weil  mir  dz  nit  werden  kan, 
was  mir  im  hertzen  leith, 
welches  mein  leid  in  gefährligkeüt 
leüchtlich  mecht  vei'kehren. 

7.  Bey  mir  kein  frewdt  ich  spüren  kan, 
noch  habe  [ich]  gedult, 

daß  macht  allein  der  alte  man, 
der  mich  vnuerschuld 
quellet  sehr,  ie  lenger  ie  mehr, 
wehe  der  pein  vnd  schmertzen. 

8.  Ach  todt,  wo  bleibestu  doch  so  lang, 
kom  du  doch  hieher, 

nim  den  alten  vnd  mach  in  kranukh, 

dz  ist  mein  begehr, 

füehr  in  forth  an  sein  ordt, 

ein  junger  ist  mir  lieber. 


1,  6  Jids.  seinem. 

Ulla r ins  Lustig  nr.  160  und  Fl.  bl.  aus  VüiU  (Meusebacli- Ifaijn  s.  13); 
danach  Hoff  mann  von  Faller  sieben ,  Oesellschaftslteder  II,  132  nr.  326  /.'i  s/rophrn : 
CS  fehlen  unsere  str.  4.  6.   7). 


412 


BLÜMML 


24. 


[79]      1.  Groß  noth  vnd  angst  leid  ich  ietzund, 
kein  wortt  kan  reden  mehr  mein  mund, 
weil  ich  von  meinem  liebelein 
muoß  gscheiden  vud  beraubet  sein. 

2.  Eurialus,  sag  ich  für  wahr, 
werdt  komen  offt  in  groß  gefahr, 
Lucretia  bracht  mich  in  noth, 
zuletzt  auch  schier  in  bittern  todt. 

3.  Dannoch  ist  diser  alles  klein 
gegen  der  ohnaussprechliche  pein, 
so  ich  in  meinem  hertzen  trag, 
vor  schmertze'n  nimmer  leben  mag. 

4.  Bin  ich  hie  oder  änderst  wo, 
dein  geist  mir  stettigs  lauffet  nach, 
thut  mir  auf  meinem  fuoß  nachschleichen, 
ich  kan  im  gewißlich  nit  entweichen. 

5.  Wan  ich  deß  nachts  lig  in  der  rueh 
vnd  thue  mein  schläfferige  äuglein  zue, 
so  thustu  dannoch  bey  mir  stehen 
vnd  machst,  dz  ich  nit  schlaffen  kan. 

[80]      6.  Wan  ich  wider  vfstehen  thuo, 
so  hab  ich  gwißlich  wenig  rueh, 
ach  liebelein,  ach  mein  trewes  hertz, 
waß  leid  ich  deinethalben  für  schniertz. 

1,3  hds.  liebenlein.  —  5,3  lies:  stan 


7.  In  summa,  wo  ich  gehe  hin, 
ligstu  mir  stettigs  in  dem  sinn* 
dz  macht  allein  dein  trewes  hertz, 
dz  ich  muß  leiden  solchen  schmertz. 

8.  Wie  manchen  drenen  thust  mir  auß- 
preßen, 

wie  kan  ich  imer  dein  vergeßen, 
solt  ich  nit  heylen  vnd  nit  weinen, 
mein  hertz  dz  müeste  sein  von  steinen. 

9.  Nun  leid  ich  solches  mit  gedult, 
dieweil  ich  spür  der  liebe  huld 
von  dir,  mein  liebsten  hertzelein, 
köndt  ich  nur  stettigs  bey  dir  sein. 

10.  Wann  ich  mein  leib  vnd  auch  mein 
leben 

vor  dich  solt  in  den  todt  dargeben, 
wie  lieb  wers  mir,  wans  gott  nur  wolt, 
dz  ich  beut  für  dich  sterben  solt. 


11.    Ade,    mein    schätz,    lieb    du    nur 
mich 
von  hertzen  grund,  wie  ich  lieb  dich, 
weich  ich  von  dir,  weich  gott  von  mir, 
ein    solchs    trews     hertz     trag    ich    zue 
dir. 


25. 


[81]  1.  Weil  ich  ietzund  von  hier  muß, 
ist  mir,  wiß  gott,  ein  schwere  buoß, 
mein  hertz  ist  schwer  vnd  krenckhet  sich 

sehr, 
ach  gott,  mein  schmoiiz  vnd  vnmuoth  wehr. 

2.  Wie  köndt  ich  doch  nun  frewlich  sein, 
wan  ich  hertzlieb  muß  von  dir  sein, 

all  lust  vnd  frewdt  so  lang  ich  meid, 
biß  wir  zusamen  kommen  beyd. 

3.  All  mein  geblüet  verendert  sich, 
wan  ich  hertzlieb  muß  laßen  dich, 
kein  seytenspil  mich  frewen  wil, 

dz  macht,  daß  A'enus  ist  souil. 

4.  Kein  mensch  auf  erden  beschreiben  kan, 
waß  für  ein  sorg  ich  für  dich  han, 
ach,  höchste  zier,  wie  gehet  es  dir, 

so  denckh  ich  immer  für  vnd  für. 
3,  4  Ms.  deß. 


5.  In    summa,     woh    zwey    hertzlein 

seindt, 
die  sich  lieben  ohn  falschen  schein, 
kein  größer  leid  bringt  ie  die  zeit, 
dann  wan  sie  von  ein  ander  seindt. 

6.  Kein  stund  vergeht,  ja  kein  minut,  [82J 
mein  hertz  an  dich  gedenckhen  thut, 

so  große  begir  trag  ich  zue  dir, 
kein  falsche  red,  dz  glaub  du  mir. 

7.  Jedoch  bitt  ich,  trag  nur  gedult, 
halt  mich,  hertzlieb,  in  deiner  huld, 
bleib  bstendiglich ,  daß  bitt  ich  dich, 
rewen  wirdts  weder  mich  noch  dich. 

8.  Doch  hab  ich  disen  besten  trost, 
der  mich  auß  trawrigkeit  erlöst, 

kom  widerumb,  schier  spricht  sie  zu  mir, 
so  denckh  ich  immer  für  vnd  für. 


DIE    SCHWELINSCHE    LIEDERHANDSCHHIFT 


413 


26. 


1.  Ach,  thiebewolckhen,  bitters  scheiden, 
warum  verbirgst  den  Sonnenschein 

vnd  bringst  dardurch   in  uoth  vnd  leiden 
daß  hochbetrüebte  hertze  mein, 
ade,  mein  schätz,  ich  scheide  mit  schmertz, 
laß  euch  zum  pfandt  mein  getrewes  hertz. 

2.  Ach  neidigs  glückh,  kanst  dann  nit 

leiden, 
daß  trewe  hertzen  sein  content, 
sonder  durch  dz  [83]  hochbetriiebtes  schei- 
den 
zue  berauben  ihres  contentament, 
ade,  mein  schätz,  ich  scheide  mit  schmertz, 
laß  euch  zue  pfandt  mein  getrewes  hertz. 

3.  Mit  seüffzen  ich  die  lufft  erfülle 
vnd  klag  dem  echo  meine  noth, 

27.  Amor 


kein  mittel  find,  mein  klag  zu  stillen, 
biß  mich  hinnimpt  der  bitter  todt. 
ade,  mein  schätz,  ich  scheide  mit  schmertz, 
laß  euch  zue  pfandt  mein  getrewes  hei-tz. 

4.  Zu  sterben  ich  bin  resoluirt, 
thue  auch  dasselb  mit  höchster  frewd, 
wan  ich  nur  in  ewer  gedächtnul'  losirt 
vnd  ihr  mein  trewes  hertz  bleibt. 

ade,  mein  schätz,  ich  scheide  mit  schmertz, 
laß  euch  zimi  pfandt  mein  getrewes  hertz. 

5.  Pittendt,  dz  glückh  wolt  mir  vergönnen, 
daß  ich  doch  nochmals  vor  mein  end, 
ewer  trewes  hertz  möge  sehen  vnd  können, 
so  sterb  ich,  doch  bin  vol  content. 

ade,  mein  schätz,  ich  scheide  mit  schmertz. 


laß  euch  zue  pfandt  mein  getrewes  hertz. 
dein    pfeil   fast  quelet  mich,  |  bin  gantz   malat,    kein  hülff  mehr 


sich 


10  str.  auf  s.  84  —  87. 

28.  Weil  er  vnnß  niit  Venus  flammenbrunst  endtzündt, 
namen,  ist  ein  kindt  ...    6  str.  auf  s.  87 fg. 

29. 


der  klein  Cupido  mit 


1.  Lustig  will  ich  sein, 
bewahr  dich  gott,  hertz -liebelein, 
ietzund  zeuch  ich  darvon, 

waß  gibt  [89]  man  mir  zu  lohn, 
waß  hab  ich  doch  darvon, 
frisch,  fromb  ist  nun  ietzund 
der  mein  beste  reichtumb. 

2.  Vber  daß  meer  gehet  es  darvon 
ohn  alle  müeh, 

es  sey  spatt  oder  früe 
mit  lust  fahr  ich  dahin, 
hab  ich  schon  kein  gewin, 
iedoch,  schöns  lieb, 
hast  mir  mein  hertz  so  gar  betrüebt. 
3,  4  hds.  krenckt. 

1.  Barbarisch  seindt  deine  thaten, 
Cupito,  kleines  kindt, 
wie  hastu  mich  verrathen, 
gentzlich  gemaclit  so  blindt, 
daß  ich  allein  thue  lieben, 
daß  mir  nit  werden  kan, 
wie  thustu  mich  betrüeben, 
erst  geht  mein  Jammer  an. 


3.  Wan  ich  gedenckh, 
hertzlieber  schätz, 

die  hinfart  dein 

wird  mir  mein  hertz  sehr  krencken, 

wer  wird  dan  trösten  mich, 

wan  ich  so  trawriglich, 

schöns  lieb,  muß  meiden  dich. 

4.  Ade  zu  guetter  nacht, 

scheiden  hat  mir  baldt  trawren  gebracht, 

het  ich  es  nit  gedacht, 

ietzund  so  muß  es  sein, 

bewahr  dich  gott  allein, 

mit  lüst  vnd  früst 

ich  mich  auf  dise  reille  rüst. 


30. 


2.  AlLß  ich  offtraals  gedenckhe 
an  deine  tyrranei, 
tiiustu  mein  hertz  sehr  krenckheu, 
maeh.st  alten  scbmertzon  now, 
ir,  götter,  hört  mein  klagen 
vnd  uimpt  daß  wol  in  acht, 
wie  hart  man  mich  thuet  plagen 
allein  dunii   Venus  macht. 


414 


3.  Recht  göttlich  ist  ihr  wesen, 
die  mich  sehr  krenckhet  hartt, 
Cupito,  thue  geneßen 
mein  hertz,  nim  es  in  acht; 
laß  dir  Cupito  machen 
ein  pfeil  von  gleichem  stahl, 
das  die  sehr  schwere  Sachen 
ein  endt  nemmen  einmahl. 

[91J      4.  Betracht  Amor  mein  leiden, 
dz  junge  leben  mein 
vergeht  gantz  vngescheiden 
vnd  kan  nit  änderst  sein; 
in  trawren  thue  ich  leben 
alhie  in  diser  weit, 
thue  mich  auch  darein  ergeben, 
weils  gott  also  gefeit. 

5.  Allein  tröst  ich  mich  deßen, 
sonst  wer  ich  schon  im  grab, 
du  wilt  mein  nit  vergeßen, 
wie  trewlich  ich  dich  lieb  hab, 
Akrostichon :  Barbai'a. 

1.  0,  ihr  holdseelige  äuglin, 
waß  hab  ich  euch  gethon, 
daß  ihr  mich  thuet  berauben 
deß  aller  best,  ich  hon. 

2.  Ach,  wer  ich  blindt  geboren, 
thet  euch  gesehen  nit, 

so  hett  ich  nit  verlohren 

mein  gesiebt  vnd  frewliches  gemüth. 

3.  Ewer  äugen,  die  seindt  stralle, 
schießen  ein  schmertzliches  fewr, 

1, 1  hds.  holtzseelige.  —  2,  2 


du  wirst  michs  laßen  genießen 
vnd  lohnen  meinen  dienst, 
es  solle  mich  nit  verdrießen, 
wie  seltzam  er  gleich  ist. 

6.  Reiß  doch  aus  meinem  hertzen 
dein  vergifften  pfeil, 

lindere  du  mir  mein  schmertzen, 
trif  sie  in  gleicher  eyll, 
so  wirstu  mich  erretten 
auß  aller  meiner  gefahr, 
auß  allen  meinen  nöthen, 
sonsten  stehe  icJi  in  gefahr. 

7.  Ade,  ade,  vor  schmertzen 
ich  nimer  singen  kan, 

dan  mein  trawriges  hertze 
ist  gantz  gezindet  an, 
diß  liedlein  thue  ich  schenckhen 
der  hertzallerliebsten  mein 
vnd  gib  ihr  zu  gedenckhen, 
wie  mir  offtmals  muß  sein. 


31. 

sie  liebet  mir  im  hertze, 
darumb  zall  ichs  so  tewr. 

4.  Ewre  äugen,  die  seindt  hotten, 
die  man  schickt  auß  nach  lieb, 
dan  sie  einmahl  gerathen, 
findt  man  nicht  eher  dieb. 

5.  Ach,  soll  ich  aber  wenden 
meine  äugen  von  euch  ab, 
ewer  angesicht  entfliehen, 
weil  ich  deß  leben  hab? 

lids.  auch  .  .  .  mit. 


32. 


1.  Habt  angericht  jamer  vnnd  noth, 
seyt  schuldig  an  meim  todt, 

seyt  schuldig  an  meim  jungen  leben, 
dz  ich  mich  muoß  ins  eilend  geben, 
dz  waiß  der  liebe  gott. 

2.  Ewer  herz  eyßen  thuet  sein, 
[94]  darzue  von  hartem  stein, 

wolt  gott,  dz  ir  mein  eilend  wist, 
ehe     dz     der     todt     mein     herz     zer- 
bricht, 
so  kem  ich  ab  der  pein. 


[92] 


[93] 


3.  Habt  euch  so  hoch  verpflicht, 
mich  zu  uei  laßen  nicht, 

wolt  mir  beystehn  biß  an  mein  end 
vnnd  ganz  nit  sein  von  mir  zertrent, 
0  wehe,  dz  halt  ir  nicht. 

4.  Khein  zung  aussprechen  mag, 
wie  ir  an  jhenem  tag 

müest  rechenschafft  geben  vorm  jüngsten 

gericht, 
0  wehe,  dz  denckht  ir  warlich  nicht, 
ach  gott,  der  großen  clag. 


DIE    SCHWKl.INSCllE    LIEDERIIANnSCHRIFT 


415 


[95] 


5.  Mein  herz  ist  mir  verwandt:, 
wolt,  dz  ich  sterben  kundt, 
wünsch  meiner  seel  ofFtnial  den  todt, 
ach,    grüeß    euch    gott    schöns  mündlein 

rott 
jez  vnnd  zue  aller  stundt. 

().  Wann  man  mich  legt  ins  grah, 
koinb  ich  der  marter  ab, 
1,5  hds.  waist. 


im  grab  wolt  ich  vihl  lieber  ligen, 
dann  dz  ich  euch  vmbsonst  solt  lieben 
vnnd  bey  euch  sein  schabab. 

7.  Will  bschhoßen  meinen  muotli, 
wies  turteltiiublein  thuot, 
will  nenimen  ein  frölichen  syn 
vnnd  [96]  fahren  mit  ins  eilend  hin, 
verlaß  mein  höchstes  guoth. 


f9G] 


33.  Icli  lieb,  wo  ich  nur  thue  hingehen,  |  pfleg  aber  zu  changieren  geschwindt .  . . 
5  Sir.  auf  s.  96—98. 

34.  Ein  Caualirer,  so  recht  tbuet  lieben,  |  den  mag  khein  vnglückh  betrüeben  .  . . 
S  s/r.  auf  s.  99  —  103. 

35.  Pein,  angst  vnd   große  schmertz  (  mich  queleii,    betrüebten,  ängsten  sehr 
mein  hertz  ...    5  str.  auf  s.  103  — 105. 

36.  Amoris  hoffhaltuug:  Amor,  dz  schnöde  kiud,  |  ist  bey  mir  eingezogen  .  .  . 
4  Str.  auf  s.  105  —  107.       . 

37.    (Fragment). 


[10S|      1.  Soll  ich  nicht  klagen  Vber  dich, 
das  du  so  trostloß  last  mich, 
du  weist,  das  ich  mit  hertz  vnd  sin 
dir  biß  in  den  todt  ergeben  bin. 


38.    We 
[110]      1.  Es  ist  ein  thierlein  auf  der  weit, 
hält  sich  gar  gern  zun  weiberu, 
wie  wohl  es  ihnen  nicht  gefeilt, 
khans  doch  khein  mensch  vertreiben; 
es  beißt  vnd  sticht  vnd  hülfft  doch  nicht, 
wann  man  sich  schon  thuet  reiben, 
es  ist  ein  floh,  des  sein  nit  froh 
die  jungen  vnd  allte  weihen, 
ein  floh,  ein  floh,  ein  floh, 
er  beist  vnd  sticht,  er  zwickht  vnd  bickht, 
er   stupCft    vnd    hupfTt,    er   kreucht   vnd 

weicht, 
er  kitzelt  vnd  bitzelt,  er  krabelt  vnd  zabelt, 
die  mägdlein  vnd  die  weiber 
nit  sicher  vor  ilini  bleiben. 

[111]      2.  Die  weiber  haben  große  pein 
von  flöhen  vber  dmaßen, 
bey  ihnen  findt  man  groß  vnd  klein, 
khein  rhuo  sie  ihnen  laßen, 
im  hembd  vnd  klaid  thuns  ihnen  laid, 
im  haulj  vnd  auf  der  gaßen. 


2.  Ich  ruffe  dicli  an,   mein  aufendhalt, 
durch  berg  vnd  thal  in  dißen  waldt, 
erbarm  dich  des  klageus  mein, 

aber  du  thust  vnbarmherzig  sein. 

iberlied. 

im  beltz  vnd  rockh  sitzt  mancher  schockh 
vnd  plagens  auf  der  straßen. 
ein  floh,  ein  floh,  ein  floh  etc. 

3.  Wan  dweiber  in  die  kürchen  gehn 
oder  zur  gastung  wollen, 
so  thun  sie  vor  für's  fenster  stehn 
vnd  fangen  manchen  gsellen, 
mit  großem  Heiß  auf  manche  weiß 
den  flöhen  sie  nachstellen 
vnd  wann  sies  dann  erhaschet  han, 
so  thun  sies  waidlich  knellen. 
ein  floh,  ein  floh,  ein  floh  etc. 

3.  Vnd  wann  sie  wollen  schlaffen  gehn, 
für's  licht  sie  stehn  von  stunden, 
die  flöh  zue  suchen  hebens  an 
vnd  fischen  oben  vnd  vndeu, 
sie  suchen  auß  wol  nach  der  pauß 
all  falten  vnd  all  schrunden, 
so  lang  biß  sie  mit  großer  niüohe 
die  flöh  haben  gefunden, 
ein  lloii,  (;in  floh,  ein  floh  etc. 


112] 


[113] 


416 


Zuerst  1618  in  Erasnms  Widmanns  Xeuer  musicalischer  kurtxweil  als 
nr.  VITI:  danach  bei  Hoffmann  von  Fallersleben  11,227  nr.  375.  —  Auch  im 
liederquodlibet  „Neicer  Grillen  Schivarm"  1620  venvendet  (Hoffmann  v.'F.,  Weim. 
Jb.  in  fl855],  132  nr.  63). 


:ii8] 


n.  Theil. 

39.    Der  Königin  Cliristinae  in  Schweden  einzug  zue  Rom. 
Im  thon:   Vom  himmel  hoch,  da  komb  ich  her. 


[119] 


1.  Von  niderland,  da  komb  ich  her, 
gar  vihl  bring  ich  der  newen  mehr, 
der  newen  mehr  bring  ich  so  vihl, 
davon  ich  singen  vnd  sagen  will. 

2.  Es  hat  die  Schwedin  hochgeboren 
das  Lutherthumb  in  grund  verschworen, 
deß  iiabsts  lehr  dunckhet  sie  so  fein, 
daß  sie  auch  will  guet  päbstisch  sein. 

3.  Sie  hält  den  pabst  für  ihren  gott, 
der  würdt  sie  füehren  auß  aller  noth, 
er  würdt  ihr  heylandt  selber  sein, 
in  die  engelburg  auch  nemmeu  ein. 

4.  Der  pabst  bringt  ihr  vihl  herrligkeit, 
will  sie  nicht  laßen  in  lieb  vnd  leid 
vnnd  soll  in  seinem  himmelreich 
mit  ihm  thun  leben  ewigUch. 

5.  So  merckhet  nun  das  zeichen  recht, 
den  chrysam  an  der  Stirnen  sclilecht, 
der  lutherischen  ketzerey 
ist  sie  dardurch  gantz  worden  frey. 

6.  Deß  last  vnß  pabstler  frölich  sein 
vnd  drauff  gehn  zum  küehlen  wein, 
dieweil  des  pabstes  kürch  sich  nehrt 
vnd  ihm  ein  liebes  kind  verehrt. 

7.  Merckh  auf  mein  hertz  vnd  sich  dorthin, 
wer  hat  ein  solchen  munder[nj  syn, 
wer  legt  sich  zue  pabst  essel  nein? 
es  mag  wohl  die  Christina  sein. 

8.  Biß  willkommen,  du  edler  gast, 
das  pabstumb  nicht  verschmähet  hast 

10,  4  hds.  schwäge. 

Christina  von  Schiveden  (1626 — 1680)  kam  von  Holland  über  Tirol,  rvn  sie 
XU  Innsbruck  öffentlich  xum  katholischen  glauben  übertrat  (3.  novemher  1655),  am 
19.  december  1655  nach  Rom,  ivo  sie  von  jjapst  Alexander  VII.,  der  ihr  xu  ehren 
eine  reihe  von  festlichkeiten  gab,  königlich  empfangen  ivurde.  Unser  lied  spiegelt 
die  erste  xeit  ihres  römischen  aufenthaltes  tvider,  über  den  man  besonders 
W.  H.  Grauert,  Christina,  königin  von  Schweden  und  ihr  ho  f.  II  {Bonn  1842) 
86fgg.;  95fgg.  vergleiche. 


vnd  kombst  vom  lutherthumb  zu  mir, 
wie  soll  ich  immer  danckhen  dir. 

9.  Was  ist  das  für  ein  Wunderding,       [120] 
deß  Luthers  lehr  haltst  so  gering, 
die  doch  dein  vatter  allezeit 
verfochten  hat  mit  krieg  vnnd  streit. 

10.  Wer  dz  welschland  vihlmahl  so  weit, 
mit  gold  vnd  edelgstein  bereit, 
so  wers  dem  pabst  doch  vihl  zu  gring, 
wanns  Luthers  lehr  im  schwänge  ging. 

11.  Mit  samet  vnd  seiden  rein 
beklaidet  er  seins  glaubens  schein, 
macht  sie  zue  götzendiener  gleich 
vnd  das  soll  sein  ihr  himmelreich. 

12.  Dir  pabst  es  durchauß  wohlgefält, 
wann  mann  die  warheit  nur  verhält, 
wie  aller  weit  macht,  ehr  vnd  guet 
für  gott  nichts  gült,  nichts  hülfft,  nochthuet. 

13.  Christina,  liebes  schwesterlein, 
mach  dir  ein  rein  sanffts  bethelein, 
zu  ruhen  ins  pabst  hertzensschrein, 
daß  er  nimmer  vergesse  dein. 

14.  Davon  er  allzeit  frölich  sey,  [121] 
so  oift  ein  freßfest  komp  herbey, 
zue  singen  mit  Christina  schon 
mit  hertzens  lust  der  Schweden  thon. 

15.  Lob,  ehr  sey  gott  im  höchsten  thron, 
der  vnß  schenckht  seinen  einigen  söhn 
vnd  seine  kürch  doch  noch  erhält, 
wann  schon  ein  königin  abfält. 


DIE    SCHWEUNSCHK    LIEDERHANDSCHRIFT 


41' 


40.  Veuus   vnd   ihr  kleiner  solin 
s.  121  fy. 

1231      1.  Dort  oben  auff  dem  berge, 
da  steth  ein  hohes  hauß, 
da  reitten  alle  morgen 
elif  schöner  reitter  rauß. 
der  ein,  der  beist  hanß  dölpel, 
sew  michel,  veit  schnitzler, 
steifälin  peltz,  hanßiin  peltz, 
michel  pfeiffer,  caspar  hammer, 
^imma  kegel,  veit  tobel, 
sein  brueder  der  hanß  fridel 
mit  seinem  langen  stiffel; 
von  der  lump,  pump,  pump,  [tump, 
dieselbige  redliche  leüth 
lindet  mann  weit  vnd  breitt. 

2.  Dort  oben  auff  dem  berge 
im  selben  hohen  hauß 
spacieren  alle  morgen 
elff  schöner  frawlin  raus, 
die  ein,  die  heist  mist  tilga, 
Itraun  graita,  küehe  barbla, 
notzer  bella,  dut  apio, 


sprachen   zu  dem   Coridou 


7  str.  auf 


41. 


blatter  anna,  schnitzis  elßa, 
grälla  graita,  ihr  Schwester 
clarcusta,  breitschmusa 
mit  ihrem  grossa  buesa, 
von  der  lump,  pump,  pump,  jmmp, 
dieselbige  redliche  leüth 
findet  mann  weit  vnd  breitt. 
3.  Auff  disem  hohen  berge 
leben  sie  wohl  vnd  fein, 
die  ein  wibt  Schleyer  vnd  sergen, 
geht  mit  dem  mann  zu  wein, 
die  ander  kan  wohl  grasa, 
kühe  melckha,  wohl  mista, 
rüben  graba,  wüst  kocha, 
übel  betha,  windel  wascha, 
ayer  bacha,  vihl  fressa, 
wohl  claffa,  nichts  schaffa, 
kocht  suppa  im  sewhafen. 
von  der  lump,  pump,  pump,  pump, 
dieselbige  redliche  leüth 
findet  mann  weit  vnd  breitt. 


[124] 


42. 


1.  Dort  oben  auf  dem  berge, 
da  geht  ein  hirschlein  jung, 
wann  ich  dasselbige  lagen  soll, 
so  würdt  mein  hertz  gesundt; 
ich  will  das  lagen  nicht  vndeiiahn, 
biß  ich  dasselb  würdt  gfangen  han, 
sondern  jag  tag  vnd  nacht  biß  mirß, 
biß  das  schöne  hirschelein 
von  mir  würdt  gfangen  sein. 

3.  Als  Venus  auf  ihrm  wagen 
gehn  himmel  fuhr  daher, 
gar  schön  vnd  herlich  ihr  strahlen 
schos  auff  erden  hin  vnd  her; 
ein  dapfer  jäger  gieng  spacieren. 
mit  listen  in  sein  netz  zu  führen 
zarte  schöne  hirschelein, 
die  auf  grüener  baide  sein 
vnd  im  walde  vberall 
zu  finden  ohne  zahl. 

3,  3  hds.  vernemmen. 

Hilarins  TAistig  nr.  S7  (Mevsehnch 

ZKITSCURIFT    F.    DEUTSCHE    miLOLOOIK.       UD.  X 


3.  Als  der  Jäger  in  wald  kommen, 
da  vihl  der  hirschlein  sein, 
bald  in  seinem  sinn  vernommen, 
wie  eins  im  netze  hieng, 
das  war  das  schöne  hirschelein. 
lieblich  vnd  schön  formieret  fein, 
darauff  sich  der  iäger  spitzt 
vnd  in  seinem  sinne  sitzt, 
0,  du  zartes  hirschelein, 
du  must  gefangen  sein. 

4.  Ach,  wie  gar  sehr  betrübet 
war  doch  das  hirschelein, 
als  es  sah,  das  sein  zarter  leib 
so  must  gefangen  sein; 
aber  der  iäger  war  geschwind 
gegen  dem  hirschlein  gar  entzündt, 
dz  ers  muste  nemme[n]  bald, 
mit  sich  füehren  aus  dem  wald 
vnd  lassen  ohn  falschen  schein 
sein  liebstes  hiischlein  sein. 

Hau»  •■'■  ^^'■ 
CL.  '  27 


[12.51 


DIK    SCHWKLINsrilK    I.IKDKKIIANDSCIIKIFT 


419 


IHC 


17.  Doch  will  ich  es  befehlen  gott, 
der  würdt  ansehen  mein  große  notii, 
villeicht  ist  mir  von  ihm  beschehrt, 
eh  das  ich  stirb,  ein  jüngling  wertli. 

18.  Eh  ich  "will  sterben  ohn  einen  mann, 
will  eh  se[l]bst  einen  sprechen  au, 

er  sey  krumb,  lahm,  stumm  oder  blind, 
ich  muß  ein  haben,  wo  ich  ihn  find. 


[138] 


19.  Wann  ich  gar  kein  bekommen  kan, 
so  zeuch  ich  mit  einem  Soldaten  darvon 
vnd  solt  ich  den  packh  tragen  zu  feld 
vnd  alle  nacht  schlaffen  im  zeit. 

20.  Als  ich  die  wort  von  ihr  verstund, 
das  lachen  ich  nicht  mehr  halten  kundt, 
daß  sich  die  jungckfrawen  schämen  sehr, 
gieng  da  darvon  vml  redt  nichft|  mehr. 


47.  Relation,  relation  |  von  Fillis  und  von  Coridon  ...  6  str.  auf  s.  ISO  fg.  — 
Zuerst  in  den  Waldlkderleiri  des  Joh.  Hcrni.  Schein  1(>26:  Hilarius  Lustty  nr.  182 
iMrusebaeh-Hayn  s.  20). 

18. 

4.  Jederman  in  fragen  thct, 


1.  Es  gieng  guet  fischer  auß. 
eß  gieng  guet  fischer  auß, 
wolt  fischen  auf  der  biückh(>n, 
wolt  anglen  mit  der  muckhcn, 
daß  er  komm  wider  nach  hauß. 

2.  Da  kam  ein  loser  bue 
vnd  sah  dem  fischer  zue, 
wolt  ihm  ein  bossen  reissen, 
thät  ihm  in  lägel  scheisseu 
vnd  macht  ihn  wider  zue. 

?>.  Vnd  da  dz  fischen  war  auß 
vnd  da  dz  fischen  war  auß, 
sein  lägel  nam  er  hinder  sich, 
sein  lägel  nam  er  über  sich 
vnd  ging  damit  nach  hauß. 

4,  5  hds.  grath.  —  6, 2  hds.  blindt, 


waß  er  gefangen  hat; 
er  sprach,  ich  hab  guet  bachen  fisch 
vnd  alles,  was  ich  hab  erwisclit, 
darzue  kein  bösen  grätli. 

5.  Vnd  da  er  kam  nach  hauß, 
sein  lägel  lert  er  auß, 

daß  vnter  kehrt  er  über  sich, 
daß  ober  kehrt  er  vnder  sichj 
da  fiel  der  dreckh  lierauß. 

6.  Das  dich  potz  schlapperment, 
het  mich  das  fischen  blendt, 

hab  gemeint,  ich  hab  gut  bachen  fisch, 
hab  ich  darfür  ein  dreckh  erwischt, 
darzu  zwo  beschissen  händ. 


49.  Es  gieng  ein  schäffer  vndern  bäumen  |  vnd  lägte  sich  in  schatten  hin  .  .  . 
.'/  str.  auf  s.  13s  — 140.  —  Hilarius  Lustig  nr.  5  (Meusehach- Haijn  s.  13).  Clodins 
s.  30  nr.  25  (Niessen,  Vierteljahrsschr.  f.  musikir.  VII,  638). 

50.  Luch  doch,  wie  der  hänßlen  dorten  |  mit  des  schulteß  graite  koßt  .  .  . 
3  str.  auf  s.  141.  —  Hilarius  Lustig  nr.  147  ( Meusehach  -  Ha  ijn  s.  20). 

.01.  Sag  mir  her,  du  wac^her  mägdelein,  |  wie  komm  in  dein  vatters  hauß  .  .  . 
;.-;  str.  auf  s.  142  —  144.  —  Vgl.  L.  Vhland  II,  678  fg.  nr.  258  (nach  Melchior 
Francl:  1621);  Erk-Böhme,  Deutseher  liederhort  H  (1803),  281  f gg.  nr.  460'^'  (mit 
ireiferer  lit.). 

.')2.  .Tungfraw,  wie  ich  vermeine,  |  so  habt  ihr  gar  ein  kleine  ...  .9  str.  auf 
s.  145  fg. 

r.3.  Phillis  saß  auf  einem  bödgen,  |  Coridon  pfiff  auf  dem  tlädgen  ...  .9  str. 
an f  s.  147  — 149.  —  Venusgürtlein  1650  s.  119  fgg.  (ed.  Waldberg  s.85fgg.);  ver- 
f isser  ist   Gabriel   Voigtltinder  1650  iWuldhcrg  s.  XXVUI.  nr.  59). 

27* 


420 


BLUMML,    UIK    SCHWEMNSCHK    LIEDERHANDSCHRIFT 


Eegis 

Ach,  trüebe  wolcklieü,  bitters  scheiden 
Ach,  waß  vor  klag  füehr  ich  all  tag 
Amor,  das  schnöde  kind,  ist  bey  mir 

eingezogen 

Amor,  dein  pfeil  fast  quelet  mich  . 
Auf  allem  selten  hab  ich  zue  streiften 
Barbarisch  seindt  deine  thaten      .     . 

Bey  dir  inn  allen  ehren 

Der  nionschein  ist  verblichen  .  .  . 
Die  sonn  scheint  auf  den  harten  frost 
Dort  oben  auf  dem   berge,   da  geht 

ein  hirschlein  jung 

Dort  oben  auff  dem  berge,  da  steth 

ein  hohes  hauli 

Ein  caualirer,  so  recht  thuet  lieben 
Ein  junger  man,  der  namb  ein  weib 
Ein  schüz  nach  sein  belieben  .  .  . 
Ellendtlich  mein  blüende  zeitt  .  . 
Es  gieng  ein  schäffer  vndern  bäumen 
Es  gieng  guet  fischer  auß  .... 
Es  ist  ein  thierlein  auf  der  weit 
Es  sas  ein  vöglein  im  grüenen  büsch- 

lein 

Es  war  einmahl  ein  jungckfraw  zart 
Euch,  herzigs  lieb,  will  ich  zue  ehren 

Groß  noth  vnd  angst  leid  ich  ietzuud 

Habt  angericht  janier  vund  noth  .  . 
Höre  an,  menschliche  creatur  .  .  . 
Ich  lieb,  wo  ich  nur  thue  hingehen 
Ich  stundt  lieimlich  an  einem  orth  . 
In  schwerer  lieb  bren  ich  vnnd  muß 
verzagen    


ter  der  anfange. 

Nr. 

26 
17 


3ö 
27 
12 

:50 

3 

19 

10 

42 


41 

34 

14 

9 

23 

49 
48 
38 

15 
44 
13 

24 

32 
20 
33 
46 

22 


In  trawern  muoß  ich  leben      .     .     . 

.Tungfi'aw  morgenseegen 

Jungfraw,  wie  ich  vermeine  .  .  . 
Kein  frewd  ohn  laid ,  ein  Sprichwort  i.<5t 
Lieblich  im  schlaff  ein  träum  ich  hot 
Liebster  nachbar,  komm  herfür  .  . 
Luch  doch,  wie  der  hänßleu  dorten 
Lustig  will  ich  sein ,  bewahr  dich  gott 

hertzliebelein 

Mancher  nach  reichthumb  freyet 
Mein  gott  vnnd  beer,  nun  stehe  mir 

bey 

Mein  lust  tregt  mich  zue  singen  .  . 
Nach  euch,  hertzliebstes  liebelein  . 
0,  ihr  holtseelige  äuglin  .  .  .  . 
Pein,  angst  vnd  große  schmertz  mich 

quelen    . 

Phillis  saß  auf  einem  bödgen  .  .  . 
Relation,  relation,  von  Fillis  vnd  von 

Coridon 

Sag  mir  her,   du  wackher  mägdelein 
Soll  den  Venus  ein  göttin  sein     . 
Soll  ich  nicht  klagen  vber  dich    . 

Tüeff  in  dem  Vnngerlande  .  .  . 
Venus  vnd  ihr  kleiner  söhn  .  . 
Von  Niderlaud,  da  komb  ich  her 
AVan  ich  hertzlieb  thue  ged*enckhen 
Weil  icli  ietzund  von  hier  muß  .  . 
Weil  er  vnnß  mit  Venus  flammen- 

bruust  endtzündt     

Wie  werd  ich  mich  von  dür  schaiden 


Nr. 

16 

45 

52 

11 

o 

43 
50 

29 


6 
31 

35 
53 

47 
51 

18 
37 

8 

40 
39 

21 
25 

28 
1 


Nr. 


Verzeichnis  der  töne. 

Ach,  höchster  schaz  auf  erden 3 

Vom  himmel  hoch,  da  korab  ich  her 39 

Wohl  dem,  der  seine  tage 43 


E.  K.  BLUMML. 


K.  M.  MKYKR,    IICLMBKIXIIT    UM)    SKINK    HAUBE  421 

HELxMBKECHT  UND  SEINE  HAUBE. 

Unzweifelhaft  ist  man  in  der  unmittelbaren  biographischen  aus- 
luitziing  dichterischer  angaben  früher  viel  zu  weit  gegangen;  die  ge- 
fahren eines  solchen  Verfahrens  habe  ich  selbst  (im  Goethejahrbuch  1907) 
zu  illustrieren  versucht,  indem  ich  zur  probe  ein  leben  Goethes  „aus 
den  quellen"  skizzierte.  Aber  noch  allgemeiner  muss  die  frage  auf- 
geworfen werden,  wie  weit  die  litteratur  eines  bestimmten  Zeitalters  als 
Spiegel  ihrer  kultur  betrachtet  werden  darf  (Archiv  f.  kulturgesch.  III,  2, 
s.  289,  vgl.  0.  Schrader,  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte,  3.  aufl. 
s.  215).  Die  homerischen  gedichte  sind  ja  auch  für  diese  frage  das 
grosse  paradigma;  zumal  an  den  waffen  hat  man  die  bedenklichkeit  der 
kulturhistorisch  wichtigsten  angaben  und  Schilderungen  festgestellt. 
Verkehrt  doch  nach  Goethes  wort  alle  poesie  in  anachronismen! 

Es  war  also  berechtigt  und  notwendig,  dass  eine  reaction  gegen 
jene  directe  ausmünzung  dichterischer  angaben  folgte.  Sie  ist  vorzugs- 
weise von  Schönbach  eingeleitet  worden  und  hieng  mit  seiner  er- 
neuten prüfung  dichterischer  eigentumsfragen  eng  zusammen:  wie  vor 
ihm  besonders  Kelle,  neigt  er  dazu,  die  Originalität  der  altdeutschen 
dichter  recht  gering  einzuschätzen  und  mehr  tradition  als  erfindung  an- 
zunehmen. Aber  nun  ist  allmählich  diese  richtung  nicht  nur  sehr  weit 
getrieben  worden,  sondern  dadurch  auch  oft  in  selbstvernein ung  um- 
geschlagen. Denn  indem  man  von  allen  quellen,  aus  denen  die  dich- 
terische kunst  gespeist  werden  kann,  die  wichtigste  fast  ganz  verschloss: 
die  darstellung  der  Wirklichkeit,  gelangte  man  aus  lauter  furcht,  die 
Selbständigkeit  unserei-  alten  raeister  zu  überschätzen,  dazu,  ihnen  die 
unwahrscheinlichste  erfindungskraft  zuzutrauen.  Wenn  man  einem  pre- 
diger  wie  Berthold,  einem  erbaulichen  dichter  wie  Ezzo  fast  alle  Ori- 
ginalität raubt,  so  könnte  immer  noch  in  ihrer  übersetzungs-  und 
anpassungskunst  ein  bedeutendes  talent  stecken,  wenn  auch  nicht  mehr, 
als  man  der  zeit  zumuten  darf.  Nun  aber  bestreiten  kritiker  von  solcher 
bedeutung  wie  Braune  und  Panzer  für  den  Meier  Helmbrecht  fast 
alle  reelle  grundlage:  im  wesentlichen  aus  Neidhart  soll  er  eine  frei- 
erfundene fabel  herausgesponnen  haben.  Und  Seemüller  (in  den  Unter- 
suchungen und  quellen  J.  Kelle  dargebracht)  sieht  wideruni  in  Neidharts 
dichtung  sehr  wenig  abspiegelung  wirklicher  Verhältnisse:  das  meiste  fasst 
er  als  stilistische  kunst,  als  freie  Umbildung  herkömmlicher  typen  auf. 

So  hat  die  scheu,  den  diciitern  eine  originelle  erfassung  des 
wirklichen  lebens  zu  glauben,  zu  der  neigung  geführt,  ihnen  oinf 
rein  von  buch  zu  buch   schwebende  artistenkunst  zuzuschreiben;    und 


422  E.  M,  MKYKK 

diese  neigung  widerum  hat  das  ergebnis,  dass  man  Neidhart  von  Reuen- 
tal oder  Wernher  dem  gärtner  eine  gäbe  der  erfindung  an  abenteuern 
und  gestalten  zutraut,  wie  sie  historisch  vor  Dante  schlechterdings 
nirgends  bezeugt  ist!  Ja  nicht  einmal  Dante  hiitte  seine  gestalten  so 
aus  freier  band  geformt  Avie  Wernher,  wenn  er  die  figur  des  üppigen 
jungen  bauern,  der  es  den  rittcrn  gleich  tun  will,  aus  Neidhart  ge- 
nommen und  der  wirlvlichkeit  nur  etwa  die  bestrafung  eines  bäuerlichen 
räubers  abgelauscht  hätte  (Braune,  Beitr.  82,  557). 

Denn  man  bedenke  doch  nur,  was  der  Meier  Helmbrecht  ausser 
diesen  elementen  noch  enthält!  Ich  bin  der  ansieht,  dass  Panzer  zu 
weit  geht,  wenn  er  (Beitr.  27,  109,  vgl.  einleitung  zu  seiner  ausgäbe, 
s.  XV)  sagt,  dass  der  dichter  zwei  lieder  Neidharts  (Haupt  27,  15  fg. 
und  86,  .')  fg.)  „zeile  für  zeile"  aufgenommen  habe.  Zumal  in  dem 
sommerlied  stimmt  doch  eigentlich  nur  das  motiv,  kaum  je  der  aus- 
druck;  und  Übereinstimmungen  wie  Helmbrecht  v.  226  7nin  irüle  mich 
hinz  hove  treit  mit  Neidhart  27,  23  <Mn  miiot  dich  allex  von  mir  (reit 
sind  eben  bei  dieser  gleichheit  des  motivs  kaum  zu  vermeiden.  (Mir 
kommt  eben  Deissmanns  schönes,  auch  methodisch  wichtiges  werk 
„Licht  von  osten"  in  die  bände:  man  sehe  nur  s.  223 fg.,  mit  welcher 
notwendigkeit  eine  Individualität  wie  der  apostel  Paulus  sich  typischer 
ausdrücke  bedient,  die  wir,  handelte  es  sich  um  zwei  mhd.  dichtungen, 
wahrscheinlich  als  „entlehnungen"  buchen  würden!)  Aber  gesteht  man 
ihm  sogar  die  völlige  aufsaugung  dieser  beiden  gedichte  zu  und  nimmt 
man  ferner  eine  reihe  von  anderen  stellen  (bei  Panzer  a.  a.  o.  s.  111) 
als  reminiscenzen  —  was  die  meisten  gewiss  auch  sind  — ,  wie  viel 
bleibt  noch  als  erfindung  übrig!  Welch  ein  genialer  einfall  wäre  das, 
einen  der  beliebigen  ^penxelcere  Neidharts  mit  der  frei  erdichteten 
gestalt  des  Lemberslint  zu  gruppieren,  die  nach  einem  riter  begehrende 
meit  in  Gotelint  umzudichten,  die  ja  gar  keinen  ritter  freit,  und  vor 
allem  die  köstliche  kontrastfigur  des  vaters  hinzuzuschaffen !  Wo  ist 
ein  analogon  zu  solcher  gestaltungskraft  und  vor  allem  solcher  er- 
find ungsgabe  in  mittelalterlicher  dichtung?  Auch  bei  Neidhart  nicht, 
wenn  selbst  er  keine  beobachtung,  sondern  bloss  stilisierte  phantasie 
gäbe;  höchstens  etwa  im  Mauricius  von  Craün,  wenn  man  oben  da  an 
freie  erfindung  glauben  dürfte! 

Mir  scheint  die  annähme,  dass  tatsächlich  ein  junger  bauer  aus 
der  gegend  zwischen  Hohenstein  und  Haldenberg  (denn  an  der  ur- 
sprünglichkeit der  lokalisierung  in  A  kann  man  nach  Panzer,  einl. 
8.71;  Beitr.  27,  90  fg.  nicht  füglich  mehr  zweifeln)  ungefähr  diese 
abenteuer  erlebt  habe,  viel  einfacher  und  natürlicher;  und  nichts  scheint 


HKLMBKECHT    UM)    SEINK    IIAURF  423 

sie  mir  zu  widerlegen  —  auch  Braunes  scharfsinnige  prüt'ung  der 
berühmten  haube  (Beitr.  32,  555)  nicht.  Erst  recht  aber  nicht  die  be- 
trachtung,  wie  genau  Hehubrecht  der  junge  zu  den  üppigen  bauern 
Neidiiarts  passt.  Denn  sie  erklärt  sich  doch  mindestens  so  einfach  wie 
durch  die  annähme  rein  litterarischer  nachbildung  durch  die  gemein- 
samer abbildung  des  realen  lebens!  Xeidhart  und  Wernher  kannten 
dieselben  bauern  derselben  epoche,  und  der  sog.  Seifrit  Helbling  hat 
sie  auch  noch  gekannt.  Der  typus  war  vorhanden,  wie  der  des  Werther 
vor  Jerusalems  sell)stmord;  und  nun  kam  ein  dichter,  der  die  schon 
skizzierte  gestalt  zu  voller  lebenswahrheit,  zu  vollem  relief  ausarbeitete 

—  unzweit'elhat't  von  Xeidhart  beeinflusst  wie  Goethe  von  Rousseau  — , 
aber  doch  wohl  auch  von  neuen  aufregenden  tatsachen  wie  der  dichter 
des  „Werther"  von  jenem  ausgang  eines  ihm  persönlich  bekannten 
mannes. 

Die  Sache  lüge  ja  ganz  sicher,  wenn  man  Wernhers  Versicherung 
trauen  dürfte,  er  habe  die  sache  mit  eigenen  äugen  gesehen  (v.  8). 
Hiergegen  hat  Panzer  (Beitr.  27,  89)  eingewandt,  streng  genommen 
Aviderspreche  schon  r.  1638:  der  sage  ex  der  es  scehe.  Das  kann  ich 
nicht  gelten  lassen:  \ver  versichert,  augenzeuge  einer  geschichte  zusein, 
übernimmt  noch  nicht  die  Verpflichtung,  alle  figuren  auf  schritt  und 
tritt  begleitet  zu  haben,  wie  Spitteler  in  seiner  erziihlung  „Konrad 
der  leutnant"  es  einmal  ganz  ausnahmsweise  tun  will.  Wie  sollte  der 
berichterstatter  auch  gerade  zugegen  gewe.sen  sein,  als  man  Gotelint 
fand?  wozu  noch  die  euphemistische  absieht  der  stelle  kommt. 

Diese  betrachtung  würde  auch  gegen  Panzers  weiteres  argument 
kraft  haben:  da  beträchtliche  und  nicht  unwichtige  stücke  der  erzählung 
unserem  dichter  durch  directe  litterarische  entlehnung  zugekommen 
seien,  hätten  wir  die  gewissheit,  dass  zum  mindesten  nicht  alles  im 
gedieht  historisches  geschehniss  sein  kann.  Der  dichter  könnte,  Avas  er 
nicht  genau  wusste,  nach  litterarischen  (|uellen  ergänzt  haben.  Tat- 
•sächlich  aber  dienen  die  stellen  aus  Xeidhart  nur  dem  ausdruck,  dem 
ausmalen  der  Situation,  sie  könnten  alle  —  selbst  die  von   dei-  haube! 

—  auf  dem  älteren  dichter -beruhen  und  die  geschehnisse  könnten  des- 
halb doch  .so  historisch  sein  wie  etwa  die  in  phrasen  aus  antiken 
bistorikern  von  dem  andern  Xeidhart  dargestellten  taten  unserer  fürsten. 

Auch  würde  ich  die  möglichkeit  von  Interpolationen  nicht  so  un- 
bedingt ablehnen  wie  Panzer  (Beitr.  27,  99).  Ist  der  schluss  zwingend, 
dass  A  die  verse  hinzugedichtet  haben  müsste,  die  in  der  vorläge 
felileu'.-'  Panzer  hält  ja  selbst  (s.  92)  Zwischenstufen  Viir  denkbar, 
und  'liese  könnten  den  interpolatoren  gchr.|(!n.     Zwiir  die  von   ihm  so 


124  R-  M.  METEK 

fein  ausgesonderten  verse  (v.  20  — 130)  scheint  Braune  (32,559)  für 
einen  zusatz  des  dichters  selbst  zu  halten ;  aber  immerhin  würden  auch 
sie  die  möglichkeit  von  erweiterungen  beweisen. 

Einen  zwingenden  grund,  an  der  aussage  Wernhers  zu  zweifeln, 
sehe  ich  also  nicht.  Panzer  bestreitet  (Einl.  s.  XI)  auch  seinen  geist- 
lichen stand  —  auch  dies,  wie  mir  scheint,  nicht  unumstösslich.  Sollte 
ein  dichter  sich  in  die  seele  eines  alten  bauern  nicht  so  weit  herein- 
y ersetzen  können,  um  ihn  sprechen  zu  lassen,  er  gebe  keinem  pf äffen 
mehr  als  ihm  zukommt?  Avobei  ich  mit  der  etwaigen  authenticität  der 
äusserung  gar  nicht  rechnen  will.  Und  ein  ausfall  auf  die  nennen 
wäre  schliesslich  auch  in  geistlichem  mund  nicht  so  undenkbar  (und 
erst  recht. nicht  der  spott  auf  die  bigotte  alte,  v.  124fg.);  aber  dass 
V.  113 — 116  in«  B  fehlen,  gibt  trotz  Panzers  erklärung  von  A  aus 
(27, 100)  doch  zu  denken.  Solche  moralischen  einreden  des  dichters 
sind  nicht  ganz  in  seinem  stil  und  der  text  fliesst  in  B  besser:  ich 
möchte  hier  doch  eine  Interpolation  annehmen.  —  Wiire  der  dichter 
geistlicher  —  und  wir  werden  noch  eine  spur  finden,  die  dahinweisen 
könnte  — ,  so  wäre  es  recht  wahrscheinlich,  dass  er  als  klostergärtner 
und  terminant  Helmbrechts  Schicksal  gesehen,  d.  h.  miterlebt  hätte. 
Aber  ein  fahrender  (Einl.  s.  XII)  könnte  das  auch;  nur  schwerlich  einer, 
der  (nach  Panzer  a.  a.  o.)  an  den  höfen  des  adels  seine  kunst  übte. 
Ist  aber  der  'strafprediger,  der  den  adel  von  heute  schilt,  dort  wirk- 
lich so  viel  wahrscheinlicher  als  der  bauernspötter  Neidhart  unter  den 
bauern? 

Widersprüche  schätzt  man  heut  nicht  mehr  so  hoch  ein  wie  früher. 
Dass  der  alte  Helmbrecht  plötzlich  (v.  1715  —  20,  vgl.  Panzer  27,100) 
bei  hof  gedient  haben  soll,  würde  gegen  seine  historische  existenz 
noch  nichts  beweisen,  wenn  man  selbst  hier  nicht  ebenfalls  eine  inter- 
polation  annimmt:  einem  leser  (oder  dem  dichter  selbst)  könnten  be- 
denken gekommen  sein,  woher  der  alte  bauer  eigentlich  die  höfischen 
Sitten  so  genau  kennt,  und  er  hätte  die  ungeschickte  motivierung  ein- 
geschoben wie  Goethe  in  Schillers  Lager  die  verse: 

Ein  hauptmann,  den  ein  andrer  erstach, 
Liess  mir  ein  paar  glückliche  wiirfel  nach. 

Zieht  doch  auch  Braune  aus  dichterischen  „Unstimmigkeiten" 
keinen  andern  schluss,  als  dass  der  dichter  sein  werk  selbst  erweitert  habe. 

Dennoch  wj]l  ich  die  Versicherung  Wernhers,  er  habe  die  ge- 
schichte  mit  angesehen,  nicht  höher  bewerten  als  die  bekannten  quellen- 
angaben  vieler  mhd.  dichter.  Wenn  er  nichts  selbst  miterlebt  hat, 
kann  er  immer  noch  einen  wirklichen  roraan  in  verse  gebracht  haben. 


HELMBRKCHT    UND    SEINE    HAUBE  425 

Gewiss  mit  anlehuung  an  Ncidliart  und  auch,  wie  Panzer  (33, 391  fg.) 
so  hübsch  gezeigt  hat,  mit  eintlechtung  von  anekdoten.  die  Hingst  um- 
liefen; aber  wer  hat  je  gedacht,  dass  die  begegnungen  zwischen  vater 
und  Sühn  auf  actenmässiger  grundlage  beruhten?  Die  historische  grund- 
lage  behaupten  wir  für  die  entscheidenden  momente:  Helmbrechts 
lossage  vom  Vaterhaus,  sein  räuberleben,  Gotelints  Schicksal,  das  ende 
der  räuber;  natürlich  aber  nicht  für  die  reden,  die  ja  sogar  antike 
historiker  als  freies  mittel,  Stimmung  und  Situation  zu  veranschaulichen 
benutzten. 

Aber  die  haube? 

Ist  sie  doch  nacii  Braunes  durchaus  wahrscheinlicher  annähme 
.,die  keimzelle  der  ganzen  conception'".  Ereilich,  wie  ich  glaube,  nur 
in  dem  sinn,  dass  sie  dem  dichter  das  Sinnbild  für  Heinibrechts  hoch- 
mut  und  fall  ward,  dass  au  ihr  (nach  Goethes  terminologie)  sich  ihm 
der  Stoff  „krystallisierte" ;  was  wider  geistlicher  art  zu  operieren  ent- 
spräche, aber  freilich  nicht  nur  solcher,  vielmehr  auch  recht  volks- 
tümlicher. Man  denke  nur  etwa  an  die  bedeutung  von  Frideruns 
Spiegel  für  Xeidhart  —  mag  er  nun  (wie  Seemüller  will)  überhaupt 
nur  symbolische  geltung  haben,  oder  reelle  und  symbolische. 

Aber  eben  um  dieser  tiefen  bedeutung  der  kappe  willen  fällt  es 
uns  schwer,  sie  für  ein  lediglich  litterarisches  product  zu  halten.  Man 
ermesse  auch  hier  den  abstand  z »vischen  vorbild  und  nachahmung! 
Xeidhart  erzählt  (86,  7  fg.)  von  Hildemars  haube,  auf  die  man  kunstvoll 
Vögel  gestickt  hat;  er  verwünscht  alle,  die  an  dem  kunstwerk  teil  haben 
und  freut  sich  auf  den  augenblick,  wo  man  sie  ihm  zerreissen  wird, 
dass  die  vögel  „wegfliegen".  Diese  züge  hat  Wernher  unzweifelhaft 
benutzt  (vgl.  Panzer,  Beitr.  27,110);  aber  was  hat  er  sonst  noch  alles 
aus  der  mutze  gemacht!  Sie  gibt  ihm  gelegenheit,  in  der  nonne  einen 
typus  des  allgemeinen  Sittenverfalls  zu  zeichnen  und  noch  origineller 
in  Helmbrechts  mutter  und  Schwester  zärtlich  in  den  hübschen  jungen 
verliebte  „weibchen".  Er  weiss  sie  ferner,  wie  schon  erwähnt,  sym- 
bolisch zu  nutzen:  was  der  scherge  noch  Hess,  vernichtet  der  hass  der 
landleute,  wie  Helmbrechts  leben  —  so  seine  haube  (v.  1879fg.,  vgl. 
Braune  32,558).  Andererseits  aber  steht  die  haube  doch  nicht  ver- 
einzelt da:  die  ganze  ausstattung  des  jungen  Meiers  (v.  155fg.)  ist  in 
entsprechendem  glänz  gehalten;  man  darf  über  der  berühmten  kopf- 
bedeckung  ivarkus,  hosen  und  spargolzru  nicht  vergessen.  Gerade  hier 
ruft  ja  Wernher  (v.  217)  Neidhart  an,  was  doch  wol  für  sein  gutes 
gewissen  spricht;  er  nimmt  eben  seinen  lielden  als  einen  geistesver- 
wandten der  bauern  Neidharts,  aber  benutzt  er  auch  tjetmgeniii  Jdeil 


426  R.  M.  MK.YER 

—  er  hat  doch  Ilildeniar  nicht  auszuziehen  braucheu,   um  Holmbrecht 
zu  bekleiden! 

Und  sogar  die  haubo  —  stammt  sie  wirklich  ganz  aus  Hildomars 
nachlass? 

Dass  hie  ein  loc,  dort  ein  flec  von  Hildemars  locken  und  seiner 
haubo  aufgesetzt  sind,  ist  nicht  zu  bezweifeln.  Aber  solche  prunk- 
stücke  gibt  es  nicht  nur  bei  dem  von  Riuwental. 

Braune  meint  (s.  555),  dass  Alwin  Schultz  (Höf.  loben  1,241) 
Uelmbrechts  haube  allzu  vertrauensvoll  in  die  Wirklichkeit  übersetze. 
Indessen,  dass  sie  möglich  war,  zeigt  doch  vielleicht  gegen  seinen 
Widerspruch  Panzers  Zeichnung  (Beitr.  27,  105).  Manche  gestickte 
stola  trägt  auf  engem  räum  bilder  von  vergleichbarem  umfang;  nur 
muss  man  freilich  des  dichters  paraphrase  nicht  mit  allen  einzelhciten 
in  die  nadeltechnik  übersetzen  wollen.  Aber  die  i/öf</cstaldc)i  viere 
könnten  wol  im  stil  der  teppiche  von  Bayeux  (Schultz  a.a.O.  s.  153)  auf 
einem  engen  feld,  etwa  in  der  grosse  von  kartenkönigen,  räum  finden; 
wie  denn  Alwin  Schulz  (a.a.O.)  mehr  dergleichen  wunder  der  Stickerei 
aus  museen  und  gedichten  anführt.  Sicher  betont  Braune  (s.  555)  mit 
vollem  recht,  dass  Wernhers  satirisches  epos  die  höfische  erzählungs- 
poesie  zum  hintergrunde  habe.  In  der  berühmten  räuberhochzeit 
(v.  1483  fg.)  halte  ich  etwa  die  schlingreime  (v.  1503) 

Nu  sul  wir  Gotelinde 

geben  Leinerslinde 

und  sulen  Lemberslinde 

geben  Gotelinde 
für  eine  travestie  von  Gottfrieds  berühmten  versen 

ein  man,  ein  wip,  ein  wip,  ein  mau  — 

Tristan,  Isolt,  Isolt,  Tristan 
und  gleich  der  antang  des  gedichtes  kann  parodistisch  aufgefasst  werden. 
Doch  sehe  ich  nicht,  wie  gerade  die  aristie  der  haube  so  gedeutet 
werden  könnte.  Humoristische  absieht  gestehe  ich  für  sie  sicherlich  zu : 
der  dichter  verspottet  die  prunksucht  der  bauern  in  übertreibender 
weise,  wie  es  etwa  Musculus  in  seinem  „Hosenteufel''  bei  der  Schil- 
derung der  Pluderhosen  treibt:  was  die  Wirklichkeit  andeutet,  wächst 
in  der  beschreibung  zu  „grotesker  phantasie"  (Braune  a.a.O.)  aus. 
Wenn  der  brave  hofprediger  erklärt:  ,,dass  jetzund  der  junge  leut 
schier  mit  ihren  hosen  allein  das  geld  aus  dem  lande  brengen,  das  ein 
junger  rotzlöffel  mehr  ein  jar  zu  hosen  muss  haben,  als  sein  grossvater 
für  all  seine  kleidung",  so  werden  wir  das  gewiss  nicht  wörtlich  nehmen; 
aber  dass  der  unfug  der  pluderhosen  tatsächlich  bestand  und  in  bedenk- 
lichem umfang  bestand,  das  dürfen  wir  doch  gerade  aus  solchen  über- 


uELMBnEcni  UND  seinf;  hacbe  427 

treibungen  herauslesen!  Oder  wenn  ein  moderner  elicniann  klagt,  die 
fraiien  trügen  auf  dem  liut  ganze  gemiisebeete  —  ist  das  nur  groteske 
phantasie  oder  nicht  viohnelir  hyperbolische  wirkiichkeitsabspiegehmg? 
Dass  nun  aber  Avirklich  die  hauben  der  bauern  prunkstücke  waren, 
ist  ja  schon  durch  Hildemar  bezeugt.  Sie  ahmten  eben  auch  hierin  den 
luxus  der  vornehmen  stände  nach;  wie  denn  die  hauben,  wenigstens 
der  bäuerinnen,  noch  heut  in  manchen  gegenden  der  kostbarste  teil  der 
ganzen  tracht  sind.  Und  einmal  sind  sie  das  auch  bei  den  männern 
gewesen:  musste  ja  schon  die  mitra,  eigentlich  eine  kronenartig  ver- 
zierte haube,  dazu  reizen.  Eine  solche  prachtmütze  ist  das  hauptstück 
im  ornat  des  dogen  von  Venedig.  Eine  solche  prachthaube  erhält  auch 
in  unserer  littcratur  ein  könig  zum  geschenk.  nämlich  Walgunt  im 
"Wolfdictrich  (D.  Heldenbuch  III,  177,  66fg.)  Allerdings  wird  von  ihr  nur 
kurz  gesprochen;  doch  immerhin  waren  an  ihr  wunder  äne  -.al  ge- 
wirkt. (Ich  bemerke  beiläufig,  nicht  um  damit  Braunes  argumentation 
zu  schwächen,  dass  die  dichtung  auf  die  haube  nicht  zurückkommt; 
dagegen  hat  W.  Hertz  es  in  seiner  umdichtung  „Wolfdietrichs  braut- 
fahrt''  aus   dem   stärkeren  modernen  gefühl   der  poetischen  concinnität 

heraus  getan: 

das  ding  sieht  aus,  ich  glaube, 
beinah  wie  eine  narrcnhaube, 

ruft  der  über  die  schone  Hildegunt  aufgeklärte  könig  wütend  aus.) 
Dafür  steht  aber  in  der  nähe  der  ivo/  gexierfot  hübe  ein  anderes  pracht- 
werk der  Stickerei:  die  tischdecke  (a.a.O.  str.  60fg.).  Auf  sie  hat  in 
diesem  Zusammenhang  schon  Alwin  Schultz  (a.  a.  o.  s.  158,2)  hin- 
gewiesen. Wie  Hehnbrechts  haube  nach  Braunes  „erster  fassung" 
(Beitr.  32,  558)  oder  wie  die  Hildomars  ist  das  laken  mit  vögeln  voll- 
bestickt: 

Siteche  uudc  zisol,  droschel  und  nahti-gal, 
daz  was  an  den  enden  gezieret  hin  ze  tal. 
anderhalp  der  grife  und  euch  der  adelar 
zu  vorderst  zer  gesihte  daz  man  sin  najnic  war. 

Anderhalb  der  valke  also  er  danneu  Üügo 
und  daz  gefügele  schune  vor  im  liin  züge 

worauf  allerdings  auch  anderes  getier  folgt. 

Gewiss,  ein  tischtuch  ist  keine  haube;  aber  müssen  wir  uns  diese 
nicht  ähnlich  verziert  denken?  Denn  Hugdietrich  lehrt  ja  (str.  85)  all- 
gemein dar  itf  eniicerfen  beidin   will  inulc  xain. 

Solche  beschreibungen  künstlicher  werke  liebt  ja  die  volkstümliche 
poesie;  schon  deshalb  darf  man  gerade  hier  schwerlich  mit  Braune 
paroflie   höfischer  epik   annehmen.      Volkstümliche  poesie  aber  hat  sie 


•128  R.  M.  MEYER 

allzeit  geliebt.  Und  man  könnte  in  ihr  ein  sehr  berühmtes  Vorbild  für 
Wernhc]'  neben  der  haube  Hildemars  heranziehen:  mimlicli  den  schild 
des  Acliilles.  Er  enthält  (Ilias  18,  48,>fg.)  gerade,  was  Wernhers 
Schöpfung  vor  der  Neidharts  voraus  hat:  den  krieg,  und  am  ende  den 
tanz  zur  nuisik,  bei  dem  jüngling  und  Jungfrau  wie  bei  Wernher 
(v.  95fg.)  in  „bunter  reihe"  sich  an  den  bänden  halten.  Man  könnte 
sagen:  der  dichter  habe  lediglich  die  antiken  kriege  in  deutsche  (oder 
eingedeutschte)  heJdensage  übersetzt.  Dabei  könnte  Virgils  nachahmung 
(vgl.  Heinz  e,Virgils  epische  technik  s.  391)  geholfen  haben:  zwar  nicht  die 
des  Schildes  (Aen.  8,  626 fg.),  aber  die  der  bilder  im  tempel  zu  Karthago 
(1,  466 fg.),  die  wenigstens  scenen  des  troischen  krieges  (vgl.  Helmbr. 
V.  45 fg.)  darstellen.  Wäre  dieser  gang  nicht  denkbar?  Die  wolverzierte 
haube  war  gegeben  —  wie  ich  annehme  als  historische  tatsache;  und 
sie  forderte  zu  einer  breiten  Schilderung  heraus  nicht  bloss  durch  Neid- 
liarts  beispiel,  sondern  weil  man  wirklich  die  kopfbedeckung  gern  künst- 
lich bildete  und  sich  an  der  Schilderung  sogar  übertreibend  freute. 
(Man  vergleiche  für  die  Wechselbeziehung  zwischen  bildender  kunst  und 
beschreibung  von  kunstwerken  G.  Freytags  aufsatz  über  Otto  Ludwig.) 
So  ist  z.  b.  auch  der  heim  Laurins  (ed.  Müllen h off -Roediger 
V.  215  fg.)  mit  einer  kröne  geschmückt  und  auf  dieser 

sungen  wol  die  vögele, 
in  allen  den  gebferen, 
sam  sie  lebende  vpferen. 

Da  hätte  denn  der  dichter,  um  die  symbolische  haube  würdig 
auszustatten,  bei  gefeierten  beschreibungen  des  altertums  eine  anleihe 
gemacht.  Seit  Edward  Schroed er  die  antike  reminiscenz  beim  wilden 
Alexander  aufgedeckt  hat,  klingt  das  nicht  mehr  so  undenkbar  wie 
sonst;  aber  freilich  müsste  dann  gewiss  Wernher  der  gärtner  ein 
kleriker  sein. 

Indes,  hierauf  lege  ich  wenig  gewicht.  Und  ohne  antike  irgend- 
wie vermittelte  Vorbilder  konnte  der  dichter  bildercyclen  von  der  art 
der  Runkelsteiner  Wandgemälde  auf  die  wunderhaube  werfen.  Denn 
auch  in  diesen  folgen  auf  typische  heldengruppen  kriegsbilder,  jagd- 
bilder  {^.beidiu  ivilt  unde  xam'''')  die  tanzenden:  ie  xivischen  xivein 
vieidcn  (jie  ein  knahe  der  ir  hcende  vic.  Das  ist  ein  fester  ikono- 
graphischer  kanon,  der  im  palazzo  Schifannoia  zu  Ferrara  ganz  ähnlich 
gilt  wie  im  schloss  Runkelstein  und  auf  urzeitliche  Vorbilder  zurück- 
geht (Ed.  Meyer,  Anthropologie  s.  211);  und  Wernher  brauchte  nur 
den  gedanken  auszumalen:  „die  haube  Avar  von  höfischen  biJderu 
bedeckt". 


lIEl.MBRKrilT    UNO    SKINK    HAUBE  429 

Aber  ganz  sollte  mau  die  frage  des  antiken  ointlusses  nicht  aus- 
schliessen.  Schon  vor  jähren  habe  icli  mir  zu  Iwein  v.  65 fg.  Virgil 
Aen.  6, 692fg.  notiert,  ohne  leugnen  zu  wollen,  dass  eine  solche  auf- 
teilung  auf  verschiedene  höfische  beschäftigungen  auch  zwei  höfischen 
dichtem  unabliängig  auffallen  kann;  was  z.  b.  Laurin  (v.  1018  fg.)  be- 
weist, ja  eigentlich  schon  der  sprach  von  den  Idisen!  (Vgl.  übrigens 
für  die  Virgilstelle  Sibourg,  Arch.  f.  rel.  wiss.  S,  .')96.)  Für  Wernher 
(v.  45  fg.)  könnte  auch  Veldeke  (schon  v.  160 fg.)  als  vermittler  genügen. 
Jedesfalls  wäre  es  möglich,  dass  noch  in  manchem  fall  sich,  wo  Avir 
jetzt  zwischen  zwei  mhd.  dichtungen  unmittelbare  beziehungen  an- 
nehmen, später  eine  „gemeinsame  quelle"  ergibt. 

Doch  ich  lenke  von  solchen  allgemeineren  betrachtungcn  widei' 
zurück  zu  Helmbrecht  und  seiner  haube.  In  folgenden  sätzen  möchte 
ich  meine  ergebnisse  zusammenfassen: 

1.  Der  geschichte  von  Meier  Helmbrecht  liegt  ein  wirkliches  er- 
lebnis  zu  gründe,  das  im  wesentlichen  historisch  genau  widergegeben  ist. 

2.  Auch  die  haube  des  jungen  bauern  hat  in  dieser  wahren  ge- 
schichte eine  rolle  gespielt. 

8.  Der  dichter,  wahrscheinlich  ein  kleriker,  kannte  die  Vorgänge 
überwiegend  aus  eigener  anschauung. 

4.  Bei  seiner  darstellung  hat  er  neben  moralisierenden  betrach- 
tungcn auch  satirische  anspielungen  auf  die  höfische  dichtung  eingestreut. 
(Wahrscheinlich  schien  diese  ihm  für  die  bauern,  die  sie  auch  kennen 
lernten,  verderblich,  wie  der  Amadis  dem  Cervantes.) 

5.  Die  Schilderung  der  haube  übertreibt  deren  pracht  in  satirischer 
weise,  doch  auf  grund  tatsächlicher  unterläge  und  in  dem  rainnen 
älterer  analoger  beschreibungen. 

6.  Die  benutzung  Neidharts  ist  nicht  lediglich  auf  litterarische 
Ursachen  zurückzuführen,  sondern  auch  auf  die  tatsächliche  Überein- 
stimmung   der   geschilderten    Verhältnisse.      Es    gab    mehr    als    einen 

Hildemar: 

ja  hilt  vil  daz  Marhvelt 
solher  zügelbrechen. 

Helmbrechts  haube  scheint  so  vielfachen  zerptlückens  nicht  wert 
zu  sein.  Aber  es  handelt  sich  eben  um  methodische  fragen  von  be- 
deutung.  Gewiss  sind  Panzer  und  Braune  auf  gut  methodischem 
wege  zu  ihren  urteilen  gekommen.  Aber  ich  hoffe  die  bedenklichen 
consequenzen  dieser  methode  gezeigt  zu  haben:  die  „antibiograpliische" 
deutung  droht  antipsychologisch  zu  werden. 


430  DYROFF 

Ich  glaube,  wir  müssen  in  der  interpretatiou  der  dicliteraussagen 
wider  etwas  conservativer  werden.  Ich  möchte  an  eine  analogie  aus  der  ge- 
schichtswissenschaft  erinnern.  Mit  durchaus  methodischen  kriterien  hatte 
man  eine  unzahl  von  Urkunden  für  unecht  erklärt.  Da  bewies  Ficker, 
dass  eine  Urkunde  echt  sein  kann  trotz  falscher  ausstellungsangabe; 
trotzdem  im  anfang  ein  bischof  als  lebend  erwähnt,  am  ende  aber  sein 
nachfolger  genannt  wird;  ja  trotz  der  Unterschriften  verstorbener 
(R.  Rosen mund.  Die  fortschritte  der  diploniatik  seit  Mabillon,  s.  86). 
Die  methode  corrigierte  sich  selbst,  indem  sie  immer  genauer  auf  den 
einzelfall  einging.  "  Ich  glaube,  wenn  die  geschichte  der  mhd.  litteratur 
immer  sorgfältiger  individualisiert,  werden  auch  hier  zahlreiche  scheinbar 
unlösliche  Widersprüche  aufgeklärt  werden,  viel  schwerere  als  die,  um 
derentwillen  der  lebensvollsten  dichtung  unserer  ersten  blütezeit  alle 
kulturhistorische  bedeutung  abgesprochen  werden  soll! 

BI'^RLIN.  lUClIAKD  .M.  MEYER. 


MISCELLEN. 

Eine  fra^e  zu  ViJhispa  J>,  1 — 4. 

(Söl  varj)  sunnan  usw.). 

In  dem  vierten  vers  dieser  vielbehandelten  und  wie  es  scheint,  immer  uoch 
nicht  genügend  aufgeklärten  halbstrophe  hat  die  hs.  R  him  iodyr  (H  of  ioSiir).  Das 
fasste  man'  als  'himmelsrosse'  (nach  früheren  Lüning  140),  'himmlische  Zugtiere' 
(Lüning  575,  Dietrich,  Lesebuch,  2.  aufl.,  s.  himiniodyr)^  oder  man  verstand,  mit  den 
alten  abschreibern  (s.  Bugge  an  der  gleich  zu  citiereuden  stelle)  ^iodyr  'himmlische  ross- 
tore'  (Dietrich  s.idffyr).  Dafür  hat  Bugge  in  seiner  Eddaausgabe  von  1867  (Norr<xn 
Fornkvsedi)  s.  1,  nach  dem  Vorgang  von  N.  M.  Petersen  ChiminjaÖar')  und  schon 
von  papierhandschriften  (s.  Bugge  388),  die  lesung  hhninfödur  im  sinne  von  'himmels- 
rand'  {sMn.  jatiarr,  ags.  eodor)  vorgeschlagen  und  diese  Vermutung  hat  solchen  anklang 
gefunden,  dass  man  himiniodyr  in  einigen  der  neueren  Wörterbücher  gar  nicht  mehr 
findet-  und  die  neueren  erklärungsversuche  nur  die  lesung  'himmelsrand'  ins  äuge 
fassen^,  von  rossen  oder  toren  aber  nicht  mehr  reden. 

"Weder  Petersen  (Nordisk  mythologi,  18ö3,  s.  72  anm.)  noch  Bugge  geben  sich 
viel  mühe,  den  wert  ihrer  Verbesserung  deutlich  zumachen.     Petersen  legt  überhaupt 

1)  Vgl.  zur  lesung  und  auffassung  die  note  in  Hildebrands  2.  aufläge. 

2)  Bei  Vigfusson  (1874)  steht  unter  himinjödurr :  'This,  no  doubt,  is  the 
correot  form,  not  himin-j6-dyr  or  himin-jö-dur.'  J.  Pritzner,  Ordbog  (1886)  hat 
nur  himinjöburr,  ähnlich  H.  Gering  1896  im  (Uossar  der  ausgäbe  von  Hildebrand  in 
der  Bibl.  d.  alt.  deutsch,  litteratur- denkm.  Das  Wörterbuch  von  Gering  in  Zachers 
handbibl.  (1903)  verzeichnet  himen-jo-dyrr  und  himen-jqporr. 

3)  So  im  commentar  (1903)  der  ausgäbe  von  Detter  und  Heinzel,  ferner  Hoffory, 
AVadsteiu,  Gebhardt  (s.  im  folgenden).  Müllenhoff  (s.  die  im  text  citierte  steile)  nimmt 
anscheinend  an  den  älteren  lesarten  und  erklärungen  keinen  principicllen  anstoss. 


ZUR   VÖLUSPA  431 

keinen  wert  darauf'  und  Buggc  betrachtet  sie  olVenbar  als  unmittelbar  cinlcuebtend'. 
Ich  gebe  zunächst  gern  zu  —  worauf  ich  hernach  zurückkommen  werde  — ,  dass  die 
neue  lesung  -jöSur  gegenüber  dem  alten  -J'idyr  formell  etwas  bestechendes  hat,  aber 
die  eigentliche,  die  sachliche  Schwierigkeit  der  stelle  wird  dadurch  nicht  beseitigt. 
Xoch  immer  gelten  die  'sarkastischen'-'  werte  Mülleuhoffs  (Deutsche  altertums- 
kunde  5  (1883),  91):  "Neuerdings  hat  man  herausgefunden,  dass  die  sonne  mit  der 
rechten  hand  am  rande  des  himmels  umher  langte  ....  "Warum  sie  überhaupt  so 
hantieren  niuss,  hat  man  bisher  uns  noch  nicht  gesagt'.  Die  erklärung  von  Hoffory 
(Sitzuugsber.  d.  akad.  zu  Berlin  1885,  551) ',  der  an  die  nordische  mitternachtssonno 
denkt,  hat  daran  nichts  geändert,  und  es  ist  schwer  zu  begreifen,  wie  ihm  Detter 
und  Heinzel  in  ihrer  ausgäbe  2,  13  (1903,  ebenso  Detter  in  den  Sitzungsberichten  der 
"Wiener  akad.  140  (1899),  nr.  5,  15)  zustimmen  konnten;  der  ganze  sinn  und  zu- 
sammeniiang  der  stelle  verlangt  klärlich,  dass  von  der  gewöhnlichen  allerweltssonne, 
nicht  von  einer  besonderen  sonne  und  ihren  seltsamen  erscheinungen  die  rede  ist. 
Der  versuch  von  Wadstein  im  Arkiv  för  nord.  filologi  15  (1899),  158  hat  zwei 
punkte  richtig  gestellt,  die  ich  hernach  hervorzuheben  habe,  aber  auch  er  hat  dem 
ausdruck,  dass  sich  die  sonne  von  süden  her  zur  rechten  hand  'über  den  himmels- 
rand'  wirft,  keinen  genügenden  sinn  unterzulegen  vermocht,  ganz  abgesehen  davon, 
dass  die  worte  simii  mdna  nicht  in  der  weise  betont  werden  können,  wie  "Wadstein 
will,  so  dass  sie  nämlich  den  eigentlichen  sinn  der  halbstrophe  trügen.  Schon  die 
woitstellung  an  sich  scheint  mir  eine  solche  auffassung  zu  widerlegen. 

Diese  ganze  neuere  entwicklung  der  erklärung  unserer  stelle  war  mir  unbekannt, 
als  ich  neulich  zum  zweck  einer  litterarischen  vergleichuug  die  weltschöpfung  der 
Völuspä  wider  einmal  nachschlug.  Ich  las  die  stelle  in  den  mir  zur  hand  stehenden 
ausgaben  von  Lüning  (1859)  und  Dietrich  (1864),  und  es  schien  mir  völlig  natürlich, 
bei  den  'Zugtieren  des  himmels',  um  die  die  sonne  'werfen'  sollte,  an  den  tierkreis 
zu  denken.     Ich  übersetzte  also  ohne  viel  federlesens  folgendermassen : 

'Die  sonne  schwang  sich  von  süden, 

die  gesellin  des  mondes, 

zur  rechten  hand 

um  die  hinimelstiere', 
und  ich  glaubte  das  auch  vollständig  zu  verstehen,  denn  mir  schwebte  etwas  von  der 
alten   und  trivialen  astronomischen  Weisheit   in   gedanken,    die    ich  mir    alsbald  aus 
Plinins,  Nat.  hi.st.  2  §32  (cap.  8)  zu  klarem  bewusstsein  brachte: 

omnium  autem  errautium  sidenim  meatus,  interque  ea  solis  et  lunae, 
contrariuin  mundo  ['himmelsgcwölbe'J  agerc  cursum,  id  est  laevom  illo 
semper  in  dexterani  |  von  ost  nach  west]  praecipiti. 

Und  so  war  ja  der  gedanke^und  die  au.sdrucksweise  des  nordischen  dichters 
völlig  vei-ständlich :  durch  sunnan  (man  kann  wol  auch  'im  süden'  übersetzen)  war 
die  Orientierung  nach  süden  für  den  ausdruck  'rechts'  gegeben,  und  wenn  sich  nun 
die  sonne  von   oder  im   süden  zur    rechten    hand,    in   derselben   richtung  wie  da.s 

Ij  Nach  Petei-sen  71  wäre  'himmelstor' =  osten. 

2)  In  Aarb0ger  for  nord.  oldk.  1869,  247  gibt  Bugge  nachweise  über  inthvr, 
ifiiliir  im  älteren  dänischen  und  schwedischen. 

3)  Hoffory  553,  "Wadstein  (an  dei'  gleich  zu  uitierenden  stelle). 

\)  Auch  in  seinen  'Eddastudien',  die  mir  nicht  zu  geböte  stehen ,  indes^M-n  lin 
blussiT  abdriii-k  zu  sein  scheinen. 


432  DYROFF,  ZUR  VÖLUSPA 

binunelsgewölbe,  um  die  ukliptik  schwang,  so  war  das  eben  die  verkehrte  weit,  die 
sonne  wusste  nicht,  wo  sie  ihre  säle  hatte.  Auch  durch  den  zusatz  sinni  mäna  'die 
weggesellin  des  mondes'  war  oben  darauf  hingewiesen,  dass  von  der  ekliptik,  der 
Jahresbahn  der  sonne,  die  rede  war  und  nicht  von  dem  tagbogen,  der  bahn,  die  die 
sonne  den  tag  über  am  himmel  beschreibt;  denn  die  mondbahn  fällt  ja  ungefähr  mit 
der  ekliptik  zusammen,  während  die  beiden,  sonne  und  mond,  im  andern  sinne  nicht 
leicht  gesellen  heissen  können,  da  die  sonne  bei  tag,  der  mond  bei  nacht  fährt ^.  Und 
sogleich  benützte  ich  diese  einsieht,  um  im  gegensatz  zu  Dietrich  die  worte  stiörnur 
Jmt  nc  vissu,  hvar  ßar  stadi  dttu  aus  der  Strophe  hinauszuweisen,  während  sich 
muiri  Jmt  ne  vissi,  hvat  kann  megins  ätti  als  der  naturgemässe  abschluss  der  stroi)he 
präsentierte. 

Indessen,  trotzdem  ich  glaubte,  den  sinn  der  stelle  richtig  erfasst  zu  haben, 
war  mir  der  ausdruck  himin-vidyr,  für  den  bei  meiner  auf fassung  der  sinn  'himmels- 
tiere' wütischenswert  war,  philologisch  nicht  recht  geheuer,  und  indem  ich  mich 
über  ihn  unterrichten  wollte,  kam  ich  dazu,  mir  die  litteratur  unserer  stelle  vorzu- 
führen. Da  lernte  ich,  dass  mir  bereits  Wadstein  (s.  s.  431),  unter  der  billigung  von 
Gebhardt  (s.  uote  1  dieser  seite) ,  darin  vorausgegangen  war,  varp  intransitiv  zu  fassen 
und  hendi  inni  hmgri  als  adverbialen  zusatz-,  nicht,  nach  der  gewöhnlichen  con- 
struction  von  vcrpa^  als  objekt  anzusehen.  Dagegen  konnte  ich  an  meiner  gesamt- 
auffassung  nicht  iri-e  werden,  sie  schien  mir  vielmehr  einen  klaren  sinn  in  die  stelle 
zu  bringen,  und  deshalb  habe  ich  Veranlassung  genommen,  sie  hier  den  germanisten 
vorzulegen.  Dass  nun  dem  dichter  dieser  strophe  eine  gewisse  gelehrte  kenntnis  von 
der  ekliptik  zugesprochen  werden  muss,  kann  mich,  bei  dem  an  sich  deutlichen  Wort- 
laut, nicht  weiter  stören,  doch  vermeide  ich  es,  irgendwie  folgerungen  aus  diesem 
punkt  zu  ziehen. 

Ich  habe  nun  schon  vorhin  bemerkt  (s.  430) ,  dass  auch  für  mich  die  lesung 
Bugges  etwas  bestechendes  hat,  indem  sie  die  etwas  seltsame  Zusammensetzung  'ross- 
tier' durch  eine  einfache  wendung  aus  der  weit  schafft.  Auch  scheint  schon  der  Ver- 
fasser des  Hrafnagaldr  (25,  2)  so  gelesen  zu  haben.  Und  hier  knüpfe  ich  nun  meine 
frage  an,  die  näher  zu  verfolgen  mir  nicht  meines  amtes  zu  sein  scheint:  ags.  eorfor 
bedeutet  zunächst  'gehege',  'zäun'  und  dann  'haus'  und  diese  bedeutung  'gehege', 
'einfassung'  für  iar^arr  findet  sich  auch  im  nordischen^;  kann  nun  'himmelsgehege', 
'himmelszaun'  ein  ausdruck  für  die  ekliptik  sein"*'?  und  können  vielleicht  auch  die 
salir^  der  sonne,  das  'tnegin  des  mondes  und  die  staSir  der  sterne  als  astronomische 
termini  technici  gefasst  werden? 

1)  Vgl.  hierzu  A.  Gebhardt  in  den  'Beiträgen'  von  Paul  und  Braune  24,412. 
Müllenhoffs  Skrupel  bei  Hoffoiy  553  unten.  Zur  sache:  z.  b.  Firmicus  Maternus  ed. 
Kroll  1,  10,  5.  2,  1,  1. 

2)  Detter  (in  den  Wiener  sitzungsber.  und  in  der  ausgäbe)  citiert  Lokas.  61. 

3)  S.  Vigfusson  und  vgl.  Detters  und  Heinzeis  ausgäbe  2,  13  (zu  5,  4).  Eodor 
lieisst  auch  'region,  zone'.     Beachte  altn.  .solar -iaSarr. 

4)  Darf  man  dazu  an  lat.  circiilus  erinnern  (Plin.  2  §  30.  32  usw.)? 

5)  Oly.oi  heissen  die  tierkreisbilder  in  der  griechischen  astrologie  (BoU ,  Sphaera 
203.  333). 

MÜNCHEN.  KARL   DYROFF. 


SCHMIDT.  BESCHWÖRUNG  GEGKN  WÜRMKK  —  KIIRISMaNN,  ZU  ZEITSCHR.  39,  388  433 

Bescliwörimg  gegen  wUniier. 

-j-  In  nomine  patris  et  filii  et  Spiritus  sancti  ameu.  y  Der  heilige  berre  sonte 
Job  lag  in  der  stroze,  do  uu  dy  worme  und  dy  made  aßen,  dry  worme  wiz,  dry 
grüne,  dry  rod,  dy  worme  sind  alle  tod,  dy  sin  gebeiu  brachen,  syn  fleisch  allin  und 
.sin  blud  sugiu.  Daz  gebite  ich  dy  worm  by  rechteme  gehorsam  und  by  banne  by 
dem  heiligen  hern  sente  Johanne,  by  alle  den  heiligen  ewangelisten ,  by  myncr  vrowen 
sente  Marien,  by  denie  heiligen  sente  Job,  by  dem  heiligen  hern  sente  Jacob,  by 
deme  heiligen  sente  Paule,  by  deme  getruwen  hern  sende  Niclauwese,  by  dem  hei- 
ligen geboruen  den  niyn  vrowe  saucta  Maria  trüg  au  urme  arme,  f  Nu  gebite  ich 
dy  worm  blutiude  by  deme  heiligen  grabe,  by  deme  grüulichin  donrestage*,  by  deme 
heiligen  lichname  und  by  der  obirsten  toyfe.  Amen,  f  Hy  buze  ich  dir  aber  eyns  f 
hy  buze  dir  myn  vrowe  sancta  Maria  amen  ■]•  des  wißen  wormes  •)■  des  swarczen 
wormes  f  des  grauwin  wormis  f  des  grünen  wormis  t  des  horwormes*  j  des 
qwasen-^  wormis  f  des  bozen  wormis  f  des  farnen  f  der  fennen  f  der  lichten  y 
der  sürin  y  der  festiln  y  des  ußeweideningen  wormes  -|-  des  ineweideningen  wor- 
mes -j-  der  sebin  und  sebinczig  sind  -j-  des  gosterlichen  wormis  y  buze  dir  got 
Jhesus  Christus  unser  herre  und  myn  vrowe  sancta  Maria  amen.  Dese  worme  dy 
sint  tod  also  gewiz,  also  daz  heilige  pater  noster,  waz  ist  daz  got  unser  herre  larte 
syne  iungern  uf  der  erdin  amen,  f  Desyme  worme  sy  also  leide  zcü  desime  gebeyne 
zcü  brechine,  zcü  desime  fleische  zcü  eßine,  desime  blute  zcü  sügene,  also  deme 
tuvele  waz  do  myn  vrowe  sente  Maria  des  heiligen  Cristus  genas  amen.  Also  leide 
sy  deme  worme  als  deme  tuvele  waz ,  do  got  Jhesus  Christus  dy  kelle  zcübrach  und 
ome  nam  syne  macht.  Also  sy  dir  worm  huto  benomen  alle  din  kraft  und  macht 
amen,  f 

Vorstehende  beschwörung  befindet  sich  aufgezeichnet  am  s'chluss  der  hand- 
schrift  M  21"  (Schwäbisches  landrecht)  der  Kgl.  öff.  bibliothek  zu  Dresden  von  einer 
band  des  ausgehenden  14.  oder  beginnenden  15.  Jahrhunderts.  Vgl.  dazu  Grimm, 
Deutsche  mythologie,  4.  ausg.,  bd.  III  (Berlin  1878),  s.  492 fgg.  (bes.  500  ur.  XXVIII). 

1)  In  der  handschr.  donreslaye.  2)  Regenwurms.  3)  quilt  böse? 

DRESDEN.  LUDWIG    SCHMIDT. 


Zu  Zeitschr.  39,  388. 
In  meiner  besprechung  von  "W.  Meyers  Fragmenta  Burana  in  dieser  Zeitschrift 
36,  396  —  408  ist  betreffs  des  dreiteiligen  strophenbaus  in  der  mhd.  lyrik  gesagt:  „das 
französische  princip  der  dreiteiligkeit  gelangte  zur  herrschaft,  das  der  lateinischen 
lyrik  fremd  ist"  (36,  401).  Dieser  in  seiner  sprachlichen  abfassung  wol  leicht  miss- 
zuverstehende satz  ist  von  B.  Lundius  in  seiner  ergebnisreichen  abhandluug  „Deutsche 
Vagantenlieder  in  den  Carmina  Burana "  in  dieser  Zeitschr.  39,  388  dahin  aufgefasst 
worden,  dass  „die  methode  des  dreiteiligen  strophenbaus  der  lateinischen  kunst  des 
12.  und  13.  Jahrhunderts"  fremd  gewesen  sei.  Es  ist  aber  dort  vom  princip  die 
rede.  Gemeint  ist:  die  dreiteiligkeit  als  princip,  als  grundgesetz,  als  eine  für  das 
wesen  des  mittellateinischen  strophenbaus  charakteristische  form,  als  eine  dem  poeti- 
schen und  musikalischen  empfinden  der  lateinischen  dichter  vorzugsweise  entsprechende 
ausdrucksform ,  sei  der  lateinischen  lyrik  des  mittelalters  fremd  gewesen;  nicht  als 
methodo,  in  sofern  darunter  verstanden  wird  eine  bestimmte  arboitsweise,  näm- 
lich die  anwendung  der  dreifachen  gliederung  in    gewissen  fällen.     Bei  abfassung 

ZElTSCHÄttT    V.    DEUT8CUK    PHILOLOGIE.       BD.   XL.  28 


434  KRUMM 

jenes  artikels  habe  ich  mir  selbst  eine  veihe  von  lateinischen  liedern  mit  dreiteiligen 
Strophen  angestrichen.  Aber  diese  anwendung  der  dreiteiiigkeit  war  in  der  lateinischen 
dichtung  des  mittelajters  niemals  ein  grundgesetz  gewesen,  hingegen  in  der  proven- 
Äalischen  und  altfranzösischen  und  darauf  in  der  höfischen  mittelhochdeutschen  lyrik 
ist  sie  BÄ  von  aufang  au  gewesen  und  dauernd  geblieben. 

HEIDELBERG.  G.    EHRISMANN. 


LITTEEATUE. 

Zur  neuesten  Hol)l)el-litteratur. 

1.  Der    pantragismus    als    System     der    Weltanschauung    und    ästhetik 

Friedrich  Hebbels,  dargestellt  von  Arno  Scheunert.  Beiträge  zur  ästhetik, 
herausgegeben  von  Theodor  Lipps  und  Rieliard  Maria  Werner.  VIII.  Ham- 
burg und  Leipzig,  vorlag  von  Leopold  Voss  1903.    330  s.    11  m. 

2.  Die  grundlagen  der  Hebbelschen  tragödie  von  Franz  Zinkeruag'el.    Berhn, 

druck  und  vorlag  von  Georg  Reimer  1904.     187  s.     8  m. 

3.  Die    tragödie    Friedrich    Hebbels    nach    ihrem    Ideengehalt    von    Ernst 

August  (xcorg-y.     Leipzig,  Eduard  Avenarius  1904.     334  s.     3,75  m. 

Über  keinen  deutschen  dichter  des  neunzehnten  Jahrhunderts  wird  in  unseren 
tagen  soviel  geschrieben,  wie  über  den  lange  ungebührlich  vernachlässigten  Hebbel. 
Leider  entspricht  der  innere  wert  dieser  stark  anschwellenden  litteratur  meines  er- 
achtens  bis  jetzt  keineswegs  ihrem  umfang.  Hebbels  begriff  des  tragischen  und  die 
verleiblichung  desselben  in  seinen  dramen  sollte  nur  darstellen,  wer  den  menschen 
wie  den  dichter  ergründet  hat  und  im  denken  und  fühlen  ihm  nicht  allzu  fern  steht. 
Das  compendienartige  aufzählen  der  verstreuten  reflexionen  Hebbels  über  die  einschlä- 
gigen fragen  fördert  wenig.  Das  nörgeln  und  mäkeln  an  einer  so  geschlossenen  per- 
sönhchkeit,  wie  die  seinige,  die  das  mass  der  dinge,  in  sich  selbst  trägt,  in  ihrer 
totalität  begriffen,  nicht  kleinmeisterlich  bekrittelt  werden  darf,  ist  mindestens  un- 
fruchtbar, ihre  aburteilung  nach  einem  codex,  den  sie  selbst  nicht  anerkennen  würde, 
zwecklos.  Notwendig  ist  ferner,  dass  der  beurteiler  Hebbels  die  künstlerische  faser 
in  seinem  Organismus  nicht  entbehrt.  Hebbel  ist  allerdings  denker  wie  dichter,  doch 
der  nüssversteht  ihn,  der  das  dichterische  nicht  als  das  ursprüngliche,  primäre  in  ihm 
erkennt.  Die  ehrfurcht  vor  seiner  geistigen  grosse  berechtigt  noch  nicht  zu  dem  ver- 
such einer  grundlegenden  und  wegzeigenden  arbeit  über  seine  auffassung  des  tragischen. 
"Wen  seine  tragödien  als  kunstwerke  nicht  befriedigen,  sollte  mit  seiner  tragischen 
theorie  sich  überhaupt  nicht  befassen,  denn  sie  ist  eins  mit  seinem  schaffen.  Den 
oft  hervorgehobenen  brucli  zwischen  erkennen  und  vollbringen  bei  Hebbel  wird  nach 
meiner  Überzeugung  nur.  der  flüchtige  betrachter  wahrnehmen,  nicht,  wer  sich  ihm 
nahe  genug  gestellt  hat.  Freilich  genügen  die  begeisterung  für  den  dichter  und  das 
gläubige  vertrauen  zu  seiner  menschlichen  artung  ebensowenig  für  die  ausführung 
der  schwierigen,  bis  jetzt  ungelösten  aufgäbe.  Phrasenhafte  bewunderung  wird  einem 
Hebbel,  der,  wie  selten  ein  künstler,  sich  klar  über  seine  ziele  und  die  zu  ihrer  er- 
reichung  einzuschlagenden  wege  war,  noch  weniger  gerecht  als  rein  verstandesmässige 
Zerlegung.  —  Diese  einleitenden  allgemeinen  bemerkungen  erklären,  warum  ich  mich 
den  drei  büchern  gegenüber,  die  ich  aneinander  abwägen  möchte,  im  wesentlichen 
auf  einen  negativen  Standpunkt  stellen  muss.     Zu  speciellem   übergehend,  werde  ich 


i'BKR  heubkl-utteratiik  435 

gelegenheit  haben,  diesen  Standpunkt  näher  zu  begründen,  sowie  auch  andererseits 
herauszuheben,  inwieweit  jedes,  wenn  auch  im  kerne  unzulänglich,  trotzdem  als  eine 
bereicherung  unserer  erkenntnis  Hebbels  zu  betrachten  ist. 

Scheunerts  buch  ist  das  anspruchsvollste,  aber  auch  das  verfehlteste  nnter  den 
dreien.  Mit  grossem  fleiss  ist  aus  Hebbels  werken,  tagebüchern  und  briefen  seine 
gedankeuwelt  zusammengesetzt  und  ihre  einheitlichkeit  nachgewiesen ,  die  übrigens 
ernstlich  kaum  mehr  angezweifelt  wird.  Leider  jedoch  hat  Scheunert  als  philo- 
soph  keine  ahnung  von  der  Intuition  des  künstlers,  die  sich  ebenso  naturgemäss 
in  die  form  des  aphorismus  kleidet,  wie  das  abstrakte  denken  in  die  der  abhand- 
lung.  Er  selbst  citiert,  freilich  ohne  zu  ahnen,  dass  er  sein  eigenes  verfahren  damit 
verurteilt,  auf  s.  98  die  stelle  aus  Hebbels  Müncheuer  tagebuch,  die  diesen  unter- 
schied hell  beleuchtet.  Auf  s.  327  spricht  er,  in  Übereinstimmung  mit  Alfred  Neumann 
davon,  dass  Hebbels  „System"  intuitiv  durch  dichterische  einbildungskraft  erworben  sei, 
ohne,  wie  es  scheint,  zu  merken,  dass  in  den  werten  intuitiv  und  System  ein  nicht  aus- 
zugleichender Widerspruch  liegt.  Auf  s.  329  wird  Hebbel  dann  wider  ein  „construierender 
phiiusoph"  genannt.  Eine  naive  bestätiguug  dafür,  dass  Scheunert  seine  aufgäbe  über- 
haupt nicht  lösen  konnte,  sehe  ich  unter  anderem  auch  in  dem  charakteristischen 
bekenntnis,  dass  er  in  den  bruckstücken  der  Hebbelschen  doctordissertation  für  die 
Universität  Erlangen,  wie  sie  sein  Pariser  tagebuch  bietet,  mehr  klarheit  erkennt  als 
in  seinen  übrigen  äusserungen  (s.  7).  Es  scheint  ihm  nicht  aufgegangen  zu  sein,  dass 
das  denken  eines  künstlers,  besser  seine  von  dem  in  seinen  werken  widergespiegelten 
Weltbilde  unzertrennliche  lebensanschauung,  jedem  System  abhold  ist.  Hebbels  apbo- 
rismen  sind  erzeugnisse  des  moments,  als  solche  nur  eine  seite  des  objectes  blitz- 
artig beleuchtend,  der  ergänzung  nicht  nur  fähig,  sondern  geradezu  bedüi'ftig,  bis- 
weilen nur  fragen,  die  er  an  sich  selbst  stellt,  keine  antworten.  Wer  dies  aus  dem 
äuge  lässt  und  „hilfsconstructionen"  anlegt,  wo  der  künstler  nicht  schematisch  genug 
gewesen  ist,  karikiert,  vielleicht  ohne  es  zu  wollen.  Dass  Hebbel  sich  in  dem  hier 
entworfenen  bilde  selbst  „wiedererkennen"  würde,  wie  der  Verfasser  in  dem  vorwort 
hofft,  ist  ganz  ausgeschlossen. 

Trotz  dieses  grundmangels,  aus  dem  sich  die  vielen  schiefen  und  entstellenden 
urteile  des  buches  sämtlich  ableiten  lassen,  ist  es  nicht  ohne  vordienst.  Als  den  wert- 
vollsten teil  der  Scheunertschen  Untersuchungen  betrachte  ich  den  bündigen  nachweis, 
dass  Hebbels  denken,  wenn  auch  zum  teil  in  die  wissenschaftliche  terminologie  der 
seine  zeit  beherrschenden  absoluten  philosophie  gekleidet,  trotzdem  in  seinem  gehalte 
lu'sprünglich  ist.  Hegel,  der  seinen  stij  während  einer  bestimmten  periode  höchst 
ungünstig  beeiuflusste,  lernte  er  erst  in  Kopenhagen  kennen  (1842  —  43),  als  seine 
Weltanschauung  längst  die  feste  form  erhalten  hatte.  Aber  auch  Solger  und  Schelling, 
die  ihn  schon  während  der  Münchencr  jähre  beeinüussten,  verdankt  er  nicht  allzuviel. 
Am  auffallendsten  trifft  er  noch  mit  Solger  zusammen,  selbst  in  der  forniulierung 
der  für  seine  dramen  grundlegenden  idee  des  „dualismus".  Im  ganzen  durfte  Hebbel 
jedoch  in  einem  briefe  an  Arnold  Rüge  aus  dem  Jahre  1852  (R.  M.  Werners  ausgäbe 
der  briefe,  bd.  V,  s.  42)  mit  recht  sagen:  „Ich  habe  seit  meinem  22.  jähre,  wo  ich 
den  gelehrten  weg  einschlug  und  alle  bis  dahin  versäumten  Stationen  nachholte,  nicht 
eine  einzige  wirklich  neue  idee  gewonnen.  Alles,  was  ich  schon  mehr  oder  weniger 
dunkel  ahnte,  ist  in  mir  nur  weiter  entwickelt  und  links  und  rechts  bestätigt  oder 
bestritten  worden."  So  möchte  ich  die  beiden  anhänge  des  buches :  1.  Ausschließlich 
dichterische  entwicklung  Hebbels.  2.  Seine  Verwandtschaft  mit  Solger  und  dem  späteren 
Schelling  (s.  287—324)   als   besonders  interessant  und   lolirreich  herausheben,   wenn 

28* 


436  KRUMM 

ich  mich  auch  keineswegs  mit  allem  dort  ausgeführten  identificieren  will.  Übergehen 
doch  z.  b.  die  darlegungen  über  die  drei  von  Hebbel  selbst  in  seinem  schaffen  unter- 
schiedenen perioden  das  wesentliche;  ganz  irreführend  ist  ferner  die  behauptung,  dass 
die  „individuelle  durchsichtigkeit"  in  seinen  späteren  dramen  auf  kosten  der  „ideellen"' 
gewachsen  sei  (s.  290fg.,  294).  Vor  allem  aber  protestiere  ich  dagegen,  dass  Scheuuert 
Hebbel  widerholt  den  ,. dichter  der  absoluten  philosophie"  nennt,  dass  er  seine  au- 
slebten als  vom  geiste  der  absoluten  philosophie  getragen  bezeichnet.  Hier  fehlt  es 
ihm  an  dem  richtigen  Verständnis  des  von  dem  dichter  gewollten  und  geleisteten. 
Mit  der  philosophie  des  absoluten  berührt  Hebbel  sich  nur  formell.  Nicht  an  ihr, 
sondern  an  Schopenhauer  muss  ihn  messen,  wer  den  kern  seiner  lebensauffassung 
herausschälen  will,  der  nicht,  wie  Scheuuert  gleich  in  der  einleitung  (s.  1)  meint,  ein 
„transscendent- ethischer'',  sondern  ein  pessimistischer  in  dem  seit  Schopenhauer  ge- 
bräuchlichen sinne  des  Wortes  ist.  Was  der  Verfasser  über  Hebbels  innere  beziehungen 
zu  Schopenhauer  vorbringt  (s.  27,  72  und  73),  dringt  keineswegs  in  die  tiefe. 

Doch  hiermit  haben  wir  bereits  den  punkt  berührt,  an  dem  die  kritik  des 
Scheunertschen  buches  vor  allem  einsetzen  muss.  Als  besonders  glücklieh  ist  sicher- 
lich die  prägung  des  wertes  „pantragismus''  zu  betrachten,  so  glücklich,  dass  jeder 
zukünftige  darstelier  der  Hehbelschen  Weltanschauung  es  adoptieren  wird,  freilich 
nicht  ohne  sich  mit  Scheuuert  gründlich  über  die  bedeutung  desselben  auseinander- 
zusetzen. Gewiss  ist,  dass  das  weltall,  das  leben  der  natur  und  der  menschen  Hebbel 
nur  tragische  bilder  enthüllt,  und  dass  auf  diesem  gründe,  den  zu  schaun  und  dar- 
zustellen er  stark  genug  war,  sich  seine  tragödie  aufbaut.  Alles  individuelle  ist  nach 
ihm  der  gesamtheit  gegenüber  masslos.  Aus  dem  ursprünglichen  nexus  herausgerissen, 
muss  das  besondere  für  seine  Verwegenheit  büssen,  es  ringt  mit  den  kräften  des  alls, 
bis  sie  es  wider  einsaugen.  Diesen  ewigen,  endlosen  kämpf  stellt  seine  tragödie  dar, 
in  dem  zusammenfallen  des  notwendigen  mit  dem  sittlichen  liegt  ihre  stärke. 
Unter  dem  begriffe  der  schuld  muss  Hebbel  demnach  etwas  ganz  anderes  verstehen 
als  die  zum  teil  jetzt  noch  herrschende,  gerade  durch  seine  tragödie  endgültig  zu 
überwindende  ästhetik.  Die  Versöhnung  innerhalb  des  tragischen  kreises  ist  ihm 
undenkbar,  sie  liegt  für  sein  äuge  in  dem  aufgehen  des  engeren  kreises  in  einem 
weiteren,  wodurch  der  „getrübte  sonnenspiegel"  wider  glatt  und  eben  wird.  Ist  das 
so  schwerverständlich,  dass  es  langatmiger  Umschreibungen  und  erläuterungen  bedarf? 
Wenn  die  Hebbelsche  tragödie  sich  von  der  Shakespearischen  durch  die  starke  be- 
tonung  des  typischen  gegenüber  dem  individuellen,  des  weltgesetzes  gegenüber  dem 
einzelwillen  abhebt,  so  tritt  sie  dafür  der  griechischen,  trotz  der  veränderten 
modernen  Voraussetzungen ,  innerlich  um  so  näher.  Selbstverständlich  kann  der  dichter, 
wenn  er  sich  über  den  tragischen  kanon,  der  ihm  vorschwebte,  äussert,  der  längst 
gestempelten  werte:  schuld  und  Versöhnung  nicht  entraten,  aber  nur  kurzsichtig- 
keit wird  ihm  mit  Scheuuert  deswegen  den  Vorwurf  der  Ungeschicklichkeit  machen 
(s.  137).  Welche  begriffe  er  mit  beiden  worten  verbunden  wissen  will,  ist  dem  ver- 
ständnisvollen leser,  dem  es  nicht  bloss  auf  das,  was  Hebbel  „dialektisches  geklapper" 
nennen  würde,  ankommt,  vollkommen  klar.  Unklar  dagegen  bleibt,  was  Scheuuert 
unter  „ pantragismus "  versteht.  Im  allgemeinen  scheint  er  dem  worte  einen  ethi- 
schen sinn  unterzulegen,  darunter  die  „  selbstcorrectur'^  des  einzelnen  durch  das 
allgemeine,  von  der  Hebbel  in  einem  briefe  an  Uechtritz  spricht,  zu  begreifen.  So- 
weit ist  ihm  unbedingt  beizupflichten,  wenn  es  auch  an  gelegentlichen  entstellungen 
und  missverständnissen  nicht  fehlt,  die  hauptsäclilich  dann  unangenehm  hervortreten, 
wenn  an  die  stelle    der  von   Hebbel    gewählten   worte    die   spräche   der  schule,    die 


ÜBEK    HEBBEL -LITTERATUR  437 

philosophische  terminologio  tritt.  Jedesfalls  klingt  Scheunerts  Vorwurf,  dass  Hebbel 
„ein  mann  mit  einer  schweren  zunge"  sei  (s.  142),  fast  komisch,  wenn  man  seine 
eigene  formulierung  des  grundgedankens  der  Hebbelschen  üsthetik  oder  gar  seine 
defiuition  des  Hebbelschen  dramas  liest  (s.  10  und  s.  50).  Au  anderen  stellen  aber  ver- 
steht er  etwas  wesentlich  anderes,  ein  ästhetisches  moment,  darunter,  indem  er 
das  jeden  künstler  charakterisierende  symbolische  verfahren  als  ein  Unterscheidungs- 
merkmal gerade  des  Hebbelschen  Schaffens  heraushebt.  Daraus  entspringt  eine  Ver- 
zerrung der  geistigen  physiognomie  des  dichters,  die  zu  energischer  abwehr  heraus- 
fordert. Alle  die  einschlägigen  stellen  anzuführen,  ist  überflüssig,  es  genügt,  zur 
kennzeichinmg  des  seltsamen  Irrtums  auf  die  „symbolische"  motivierung  der  handlung 
und  der  Charaktere  in  der  „Maria  Magdalena-  hinzuweisen,  die  an  gewaltsamkeit  der 
interpretierung  fast  das  unmögliche  leistet  (s.  107—128). 

Noch  verhängnisvoller  als  die  Unklarheit  über  den  mit  dem  werte  „pantra- 
gismus"  zu  verbindenden  begriff  ist  des  Verfassers  mangelndes  Verständnis  für  die  art, 
wie  sich  die  Weltanschauung  eines  dichters  in  ein  kunstwerk  umsetzt.  Zwar  weist 
Scheunert  unter  berufung  auf  Solgers  Vorlesungen  über  ästhetik  selbst  den  Vorwurf 
zurück,  dass  Hebbel  ein  reflexionsdichter  gewesen  (anm.  zu  s.  97),  aber  im  texte 
spricht  er  von  dem  pantragismus,  als  „dem  Schema  seines  denkens''.  Was  nützt  es 
ferner,  von  dem  „einschnappen  seines  geistes  in  die  pantragistische  Intuition"  (s.  98) 
zu  redend  Diese  unübeibrückbaren  Widersprüche  erklären  sich  nur  aus  der  Unfähig- 
keit, den  Vorgang  des  dichterischen  Schaffens  nachzuempfinden.  Hebbels  phiiosophie 
war  keine  ergrübelte,  sondern  eine  erlebte.  Aus  seiner  persönlichkeit  und  seinen 
lebenskämpfen  sich  emporringend,  setzte  sie  sich  von  selb.st  in  bilder  um,  Sobald  der 
Schaffensdrang  ihn  erfüllte,  was  freilich  nicht  ausschliesst,  dass  er  in  den  pausen  der 
production  eine  sehr  bewusste  kritik  an  den  Schöpfungen  seiner  phantasie  üben  konnte. 
Da  uns  die  Zeugnisse  der  tagebücher  und  vertrauter  freunde  hierüber  vorliegen,  ist 
es  an  der  zeit,  das  „  construieren "  seiner  werke  ein  für  allemal  als  unsinnig  abzu- 
lehnen. Die  anschauung,  die  das  für  das  gewöhnliche  äuge  gespaltene,  den  „dualis- 
mus"  der  weit,  zur  höheren  einheit  zusammenschliesst,  brauchte  Hebbel  nicht  zu 
construieren,  sie  war  für  ihn  wie  für  jeden  künstler,  der  des  namens  würdig  ist, 
von  selbst  da,  wie  sie  auch  für  denjenigen,  der,  ohne  selbst  künstler  zu  sein,  nach 
Hebbels  schönem  wort  „genial  im  geniessen"  ist,  Vorbedingung  des  kunstgenusses  ist. 
Scheunert  dagegen  stellt  sich  den  dichter  gewissermassen  als  märtyrer,  als  Sklaven 
der  ihn  beherrschenden  pantragistischen  idee  vor,  der  auf  ein  „tragisieren  der  weit 
in  bausch  und  bogen  ä  tout  prix"  hinstrebt  (s.  72),  dessen  tragische  gestalten  „pfropf- 
reiser  auf  dem  bäume  seiner  metaphysisch -ethischen  erkenntnis"  sind  (s.  219).  Mir 
will  vielmehr  vorkommen,  als  ob  der  kritiker  diesem  für  Hebbel  supponierten  Schick- 
sal selbst  verfallen  sei.  Wenigstens  kommt  er  in  dem  bemühen,  die  reiche  weit 
des  Hebbelschen  .Schaffens  in  die  von  ihm  geprägte  formel  hineinzuzwängen,  zu  den 
wunderlichsten  resultaten,  die  jeden  nicht  voreingenommenen  stutzig  gemacht  hätten. 

Um  Scheunert  in  allen  punkten  zu  widerlegen,  müsste  ein  ebenso  umfangreiches 
buch,  wie  das  seinige,  ge.schrieben  werden;  wenige  andoutungen  müssen  genügen.  Dass 
der  Philosoph  die  bedeutung  und  die  tragweite  von  tagebuch-  und  briefstellen,  die 
er  zur  erläuterung  der  tragischen  theorie  Hebbels  heranzieht,  öfters  falsch  abschätzt, 
ist  aus  seinem  ganzen  buche  ersichtlich,  doch  tritt  es  besonders  auffallend  in  dem 
abschnitt:  „der  pantragismus  als  norm  für  Hebbels  gesamtes  denken"  (s.  7G  — 100) 
hervor.  Die  apefcus  und  andeutenden  striche  der  tagebücher  werden  als  verstandes- 
mässig  erklügelte   philosopheme  aufgefasst,  die  dramenembryonen,  an  denen  sie  be- 


438  KRUMM 

sonders  reich  sind,  erscheinen  Scheunert  als  verrannte  siüiationen,  an  denen  die  pan- 
tragistische  auffassung  Hebbels  zu  tage  tritt.  Von  den  jeweiligen  seelischen  kämpfen 
und  Stimmungen,  die  sich  in  ihnen  und  mehr  noch  in  den  citierten  briefstellen  spiegeln, 
ist  nirgends  die  rede,  selbst  das  satirisch -humoristische  wird  ernsthaft  ausgelegt.  Um 
doch  ein  beispiel  zu  geben,  verweise  ich  auf  die  allerdings  in  einem  späteren  ab- 
schnitte des  nicht  gerade  übersichtlich  geordneten  buches  enthaltenen  bemerkungen 
über  die  tagebuch-  und  briefstellen  zu  dem  dramenfragment  „Zu  irgend  einer  zeit" 
(173 fg.),  sowie  auf  die  Interpretation  einer  stelle  aus  einem  KTopenhagener  briefe  an 
Elise  (s.  179).  Am  meisten  fordert  diese  jedesfalls  nichts  weniger  als  künstlerische 
betrachtungsweise  natürlich  zum  widersprach  heraus,  sobald  sie,  über  die  allgemeine 
theorie  hinausgehend,  auf  einzelne  dramen  des  dichters  oder  gar  auf  seine  lyrik  ange- 
wandt wird.  Auf  die  wunderliche  decomposition  der  handlung  und  der  Charaktere  der 
„Maria  Magdalena"  wurde  bereits  hingewiesen.  "Wie  kommt  Scheunert  überhaupt  dazu, 
den  pantragismus  im  wesentlichen  nur  an  dieser  bürgerlichen  tragödie  nachzuweisen? 
Die  entwicklung  des  tragikers  von  der  „Judith"  bis  zu  den  „Nibelungen'-  legt  er 
nirgends  klar  dar,  tragische  meister werke  wie  „Herodes  und  Mariamne  ",  „Gyges  und 
sein  ring ",  selbst  „  Agnes  Bernauer "  und  die  „  Nibelungen  "  werden  höchstens  flüchtig 
gestreift.  Ein  gerechtes  und  erschöpfendes  urteil  kann  so  nicht  gewonnen  werden. 
"Wenn  Scheunert  sich  auf  Volkelts  „ästhetik  des  tragischen"  beruft,  indem  er  das  von 
Hebbel  wirklich  dargestellte  im  gegensatz  zu  dem  gewollten  unzulänglich  findet,  so 
ist  zu  erwidern,  dass  das  cum  grano  salis  höchstens  von  den  tragödien  der  ersten 
periode  gilt,  Wer  für  die  klärung  und  Vollendung  Hebbels  zur  zeit  seiner  mensch- 
lichen und  künstlerischen  reife  kein  äuge  hat,  ist  schwerlich  berufen,  über  ihn  zu 
richten.  —  Mit  recht  wird  hervorgehoben,  dass  Hebbels  komödie  als  die  ergänzung, 
richtiger  wol  als  das  kehrbild  seiner  tragödie  aufzufassen  ist,  doch  sieht  man  sich  ver- 
gebens nach  einer  tieferdringenden  analyse  des  „Diamant"  oder  des  „Rubin"  um,  die 
diese  auffassung  zu  erläutern  unternähme.  Diese  versuche  des  dichters  im  poeti- 
schen lustspiel,  nicht  historischen,  wie  auf  s.  186  zu  lesen  ist  (der  Irrtum  erklärt 
sich  daraus,  dass  das  versehen  in  den  nur  abschriftlich  vorhandenen  briefeu  Hebbels 
an  Palleske  von  R.  M.  "Werner  weder  im  ersten  bände  seiner  „Nachlese"  zum  brief- 
wechsel  noch  Inder  historisch -kritischen  ausgäbe  getilgt  wurde),  verdienten  sicherlich 
eine  eingehende  Würdigung.  Statt  dessen  begnügt  sich  Scheunert  mit  einer  kahlen 
Zusammenstellung  der  theoretischen  ausführungen  des  dichters  über  die  komödie,  wo- 
bei er  übrigens  sich  einer  ähnlichen  Ungerechtigkeit  schuldig  macht,  wie  bei  der  aus- 
schliessung  der  späteren  tragödien  aus  dem  kreise  seiner  betrachtung.  Oder  ist  es 
etwa  zu  billigen,  wenn  er  auf  s.  192  von  der  unbeholfenheit  der  Hebbelschen  definition 
des  komischen  spricht,  mit  beziehung  auf  seinen  Jugendaufsatz  über  Körner  und  Kleist 
für  den  „wissenschaftlichen  verein"  der  Hamburger  gymnasiasten,  den  Hebbel  schrieb, 
als  er  eine  klare  erkenntnis  des  komischen  weder  hatte  noch  haben  konnte  (1835)? 
Auch  sonst  fehlt  es  nicht  an  missverständnissen,  worunter  ich  die  gediftelte  erklärung 
eines  sonnenklaren  ausspruches  über  Kleists  „Zerbrochnen  krug"  heraushebe  (s.  187). 
"Was  über  die  komischen  demente  in  Hebbels  tragödien  gesagt  wird,  genügt  nicht. 
Besonders  unglücklich  gewählt  ist  das  aus  der  „Maria  Magdalena"  angeführte  beispiel. 
"Wer  wissen  will,  was  „tragischer  humor"  bei  Hebbel  ist  —  denn  so  sollte  man  es 
correcter  bezeichnen  — ,  den  mag  man  etwa  auf  Artaxerxes  in  „Herodes  utid  Mariamne", 
auf  Knippeldollinger  und  Theobald  in  „Agnes  JJornauer",  auf  die  Bechlarener  cpisode 
in  den  „Nibelungen"  verweisen.  —  Am  meisten  befriedigen  die  ausführungen  über 
die  tragikomödie   und  die  analysc    des   „Trauerspiel  in  Sicilien".     Hebbel  selbst  er- 


ÜBER    HKBBEL-LITTKRATUH  439 

kannte,  dass  das  werk  ein  gränzprodukt  sei.  Jedesfalls  ist  es  unter  seinen  Schöpfungen 
ein  unicuni,  eine  art  von  poetischem  aphorismus,  fast  mehr  epigramm  als  drama, 
so  dass  das  „hineingrübeln  in  die  Schöpfung",  wie  Scheunert  es  nennt,  hier  wenig- 
stens nicht  ganz  von  der  hand  zu  weisen  ist.  Tatsächlich  kommt  es  in  diesem  falle 
vor  allem  auf  die  doutung  des  lätsels,  auf  die  beantwortung  der  frage:  Qu'est-ce  que 
cela  prouve?  an.  Es  ist  folglich  kein  wunder,  dass  Scheunert,  der  den  künstler 
Hebbel  so  arg  misskennt,  sich  in  diesem  falle  als  recht  scharfsichtig  erweist.  Freilich, 
Angiolina  ein  „inferiores  geschöpf"  und  Sebastiane  einen  „trottel''  zu  nennen,  ist 
doch  wol  nicht  angänglich,  und  den  greis  Gregorio  für  die  unpoetischesto,  aber 
menschlich  glaubhafteste  der  figuren  des  dramatikers  zu  erklären  (s.  219),  erscheint 
selbst  bei  diesem  einseitigen  beurteiler  kaum  glaublich.  Zum  schluss  meint  er,  dass 
Hebbels  tragikomödie  ein  unbewusster  protest  des  dichters  gegen  die  Starrheit  und 
enge  seiner  tragischen  theorie  sei.  Einem  nüchternen  betrachter  wird  sie  wol  nur 
als  ein  vemnglücktes  experimeut  erscheinen ,  aus  dem  weitere  Schlüsse  nicht  zu  ziehen 
sind.  Freilich  fügt  Scheunert  hinzu,  dass  in  seiner  tragödie  „das  verstandesmässige  im 
widerstreit  mit  unserem  gefühl  liege"  (s.  215  fgg.),  wobei  ein  Seitenblick  auf  den  letzten 
akt  der  „Agnes  Bemauer"  geworfen  wird.  Doch  dem  darf  man  entgegenhalten,  dass 
der  „realismus",  auf  dem  Hebbels  tragödie  fusst,  d.  h.  weiter  nichts  als  die  furchtlose 
darstellung  des  Verhältnisses  der  individuen  zum  weltganzen,  allerdings  wesentlich 
stärkere  und  vorurteilsfreiere  betrachter  voraussetzt,  als  Scheunert  zu  sein  scheint.  — 
Ganz  versagt  die  ..selbstgeschliffene  brille  des  pantragismus "  —  es  sei  mir  gestattet, 
diesen  von  Scheunert  auf  Hebbel  gemünzten  ausdruck  auf  ihn  selbst  anzuwenden  — 
bei  der  betrachtung  der  lyrik.  Schon  in  der  anmerkung  zu  s.  210  hatte  er  auf  ein- 
zelne lyrische  Schöpfungen  des  dichters  hingewiesen,  wie  „das  opfer  des  frühlings" 
und  ..das  geheimnis  der  Schönheit  ■',  bei  denen  die  leser  unmöglich  auf  die  von  Hebbel 
hineingelegte  deutung  kommen  können;  ich  glaube  kaum,  dass  feinsinnige  leser  sich 
ihm  auschliessen  werden.  In  dem  „lyrik  und  musik''  überschrieben en  abschnitte  sucht 
er  dann  nachzuweisen,  dass  Hebbels  einseitig  auf  das  drama  zuge.schnittenes  „System" 
sich  für  die  lyrik  nicht  fruchtbar  machen  Hess,  mit  anderen  werten,  dass  er  kein 
lyriker  war.  Sollte  Eduard  Mörike  es  nicht  besser  gewusst  haben?  Hier  ist  Scheunert 
sogar  in  der  Zusammenstellung  des  theoretischen  recht  lückenhaft.  Ausser  vielen  tage- 
bucheintragungen  .sind  wichtige  stellen  in  Hebbels  briefen,  namentlich  an  Elise,  ferner 
die  schönen  aufsätze  über  die  lyrik  Pichlers  und  Reinholds  sowie  Dingelstedts  und 
manches  andere  nicht  berücksichtigt.  Übrigens  häufen  sich  in  diesem  capitel  die 
missverständnisse  derartig,  dass  auf  einzelnes  nicht  mehr  eingegangen  werden  kann. 
Überall  tritt  Scheunerts  „intimität  mit  dem  absoluten",  die  er  in  Hebbels  formschönen 
und  gedankentiefen  sonetten  entdeckt  haben  will,  scharf  hervor.  "Weim  selbst  in  so 
selbstverständliche  begriffe  wie  stoff  und  form  der  lyrik  allerhand  hineingeheimnist 
wird,  so  muss  Unklarheit  die  fol^e  sein.  Es  genügt,  auf  die  deutung  hinzuweisen, 
die  Hebbels  äusserungen  über  den  reim  gegeben  wird  (s.  237  fg.).  Dass  in  dem  ab- 
schnitt: lyrischer  humor  Hebbel  mit  unrecht  der  inconsequenz  oder  Zweideutigkeit  in 
der  beurteilung  Heines  geziehen  wird,  möge  noch  erwähnt  werden;  dio  stelle  im 
Münchener  tagebuch  bezieht  .sich  auf  die  „Neuen  gedichte",  die  besprechung  im 
.„Hamburgischen  correspendenten '^  galt  dem  „Buch  der  lieder".  —  Scheunerts  be- 
leuchtung  der  ausführungen  Hebbels  über  die  entstehung  der  spräche  und  über  die 
künstlerische  tütigkeit  kann  ich  leider  mit  rücksicht  auf  den  räum  nur  kurz  berühren, 
obgleich  sich  gerade  an  ihr  der  grundmangel  des  buches  am  ülierzeugendsten  auf- 
zeigen lässt.     Die  Verworrenheit,  die  sich  daraus  ergeben  muss,  dass  die  sog.  pan- 


440  KRU.MM 

tragistische  betrachtungsweise  auf  jeden  von  Hebbel  geprägten  gedanken  angewandt 
und  zu  dem  ende  seineu  einfachen  worten  gewalt  angetan  wird,  springt  hier  noch 
mehr  in  die  äugen  als  in  dem  capitel  über  die  lyrik.  Wie  recht  hatte  der  dichter 
doch,  in  seinem  vorwort  zur  ..Maria Magdalena"  vor  den  „wechselbälgen"  zu  warnen, 
die  derjenige  erzeugt,  welcher  ..die  Unschuld  des  wertes  nicht  respectiert" !  Es  klingt 
fast  wie  unbeabsichtigte  selbstverspottung,  wenn  Scheueii  sich  auf  s.  242,  mit  hin- 
weis  auf  den  doppelsinn  der  Hebbelschen  Sätze,  wegen  seines  Verfahrens  rechtfertigt. 
Man  muss  freilieh  zugeben,  dass  Hebbel,  ohne  sich  dessen  immer  bewusst  zu  sein, 
bisweilen  die  neiguug  hatte,  gewöhnliches  und  leichtverständliches  durch  den  ausdruck 
zu  steigern,  was  im  letzten  gründe  mit  seiner  pathetischen  natur  zusammenhängt, 
und  dadurch  den  sinn  seiner  worte  in  einzelnen  fällen  umschleierte.  So  mache  ich 
mich  keineswegs  anheischig,  in  aUen  punkten  genau  widergebeu  zu  können,  was  er 
über  den  unendlich  schwierigen  sprachbildungsprocess  in  dem  aufsatz:  „Über  den  stil 
des  dramas"  festzustellen  wünschte.  Ganz  klar  sind  mir  aber  wenigstens  die  beiden 
begriffe:  relation  und  dar  Stellung,  von  denen  man  auszugehen  hätte,  um  den 
formalen  gegensatz  zwischen  Schiller  und  Hebbel  scharf  zu  markieren,  über  den 
Scheunert  an  einer  anderen  stelle  seines  buches  (s.  8)  sehr  verständig,  wenn  auch 
nichts  weniger  als  erschöpfend  sich  äussert.  Doch,  wie  wenig  einwandfrei  die  be- 
merkungen  Hebbels  über  die  spräche  in  bezug  auf  ihre  klarheit  im  einzelnen  auch 
sein  mögen,  so  viel  ist  sicher,  dass  sie  durch  den  versuch  einer  ..pautragi'stischen" 
deutung  nur  noch  unklarer,  ja  geradezu  unverständlich  geworden  sind,  wenn  auch 
andererseits  zugegeben  werden  soll,  dass  der  ausgangspunkt  des  philosophen  diesmal 
der  richtige  ist,  und  er  Kant  mit  fug  und  recht  gegen  die  missdeutung  Hebbels  in 
seinem  kritischen  feuilleton  über  die  „deutsche  spräche"  von  A.  Schleicher  in  schütz 
nimmt.  Auf  diesem  f elde  war  der  künstler  eben  nicht  so  zu  hause ,  wie  auf  dem  der 
lyrik,  wo  wirklich  berufene  kritiker  ihm  schwerlich  ein  falsches  wort  nachweisen 
werden.  —  Dass  Scheunert  die  künstlerische  tätigkeit,  wie  Hebbel  sie  auffasste,  nicht 
ergründen  kann,  ist  nach  dem  gesagten  nicht  verwunderlich.  Das  wesen  des  genies 
ist  ihm  so  wenig  aufgegangen,  wie  der  begriff  der  „naivität"  im  sinne  der  Hebbel- 
schen abhandlung:  Wie  verhalten  sich  im  dichten  kraft  und  erkenntnis  zu  einander? 
Das  dialektische  jonglieren  mit  der  .,inneren  form  "  und  dem  „befreienden  der  inneren 
form"  (s.  267 fg.)  bringt  uns  keinen  schritt  näher  an  die  erkenntnis  heran,  zumal  da 
im  verlauf  desselben  der  fast  proteisch  schillernde  begriff  des  Scheuuertschen  pan- 
tragismus  sich  zum  dritten  male  zu  häuten  beginnt.  Im  einverständnis  mit  Poppe, 
den  Scheunert  bekämpft,  (Fr.  Hebbel  und  sein  drama,  Palaestra  VHI)  sind  mir  die 
allerdings  nur  für  den  eingeweihten  mit  dem  gefühl  ganz  auszuschöpfenden  bekennt- 
nisse  Hebbels  über  das  tiefste  geheimnis  aller  kunst,  in  ihrem  naheliegenden 
sinne,  ohne  jede  deutelung,  weit  mehr  als  „emphatische  phrasen"  (s.  270),  die 
Interpretation  Scheunerts.  dagegen  ist  mir  im  eigentlichsten  wortverstande  ein  buch  mit 
sieben  siegeln.  Was  soll  es  denn  heissen,  wenn  auf  s.  267  gesagt  wird,  dass  die 
ästhetische  oder  innere  form  „bewegung  des  Inhaltes  zum  ethischen  ideal,  zur  ethi- 
schen form"  ist,  oder  wenn  auf  s.  282  folgendermassen  orakelt  wird:  „die  innere  form 
ist  lediglich  durch  die  symbolisierende  betrachtungsweise  zu  stände  gekommen  und, 
vom  Standpunkt  dieser  aus,  universales  weltgestaltungsprincip;  von  einer  objektiv, 
realiter  vorhandenen  inneren  form  aber  kann  nicht  geredet  werden"  (!)?  Was  nach 
Hebbel  unbcwusst  in  jedem  genialen  kunstwerk  in  die  erscheinung  tritt,  das  wird  bei 
Scheunert  etwas  bewusstconstruiertes,  worin  er  dann  ein  charakteristisches  merkmal 
gerade  der  Hebbelschen  kunst  erblicken  möchte.    Diese  Selbsttäuschung  kann  garnicht 


ÜBER    HEBBEL -LITTERATUR  441 

scharf  genug  bekämpft  werden.  Solange  Scheunert  sich  auf  die  katalogisierung  und 
registrierung  des  Hebbelscheu  denkens  über  die  kunst  beschränkt,  gewisserniassen  an 
seiner  band  einherwandelt,  kann  man  ihm  zustimmen;  sobald  er  es  iu  die  von  ihm 
selbst  ersonnenen  logischen  fesseln  einschnürt,  wird  alles  auf  den  köpf  gestellt. 

Noch  ein  anderer  Irrtum  Scheuncrts  muss  beleuchtet  werden.  Da  Hebbels  leben 
und  dichten  iu  selten  inniger  beziehuug  zu  einander  stehen ,  so  begreift  man ,  warum 
der  mensch  von  ihm  fast  noch  mehr  karikiert  werden  musste,  als  der  dichter.  Beide 
waren  im  letzten  gründe  Scheunert  unsympathisch,  da  er  garnichts  verwandtos  in  sich 
fühlte.  AYariim  er  sich  dann  überhaupt  mit  ihnen  befassto,  ist  schwer  zu  sagen. 
Davon,  dass  Hebbel  von  anfang  an  bemüht  war,  sich  in  strenge  Selbstzucht  zu 
nehmen,  um  auch  sein  leben  „zum  kunstwerk  zu  adeln-,  hat  Scheunert  keine  klare 
Vorstellung,  noch  weniger  gibt  er  zu,  dass  sein  kämpf  schliesslich  sieggekrönt  war. 
Und  doch  ist  gerade  diese  erkenntnis  die  schönste  frucht  eines  innigen  versenkens  in 
sein  wesen  und  schaffen.  Freilich  setzt  das  etwas  w;ahlverwandtschaft  von  selten  des 
beurteilenden  und  vor  allem  Verständnis  für  die  seelische  entwicklung  eines  specifisch 
künstlerischen  menschen,  wie  Hebbel  es  war,  voraus;  an  beidem  gebricht  es 
Scheunert.  Sein  bild  der  Hebbelschen  Persönlichkeit,  die  ihm  eigentlich  nur  unheim- 
lich ist,  schwankt  haltlos  zwischen  extremen  hin  und  her,  deren  gemeinsame 
Wurzel  ihm  verborgen  bleibt.  „Opferwillige,  hilfsbereite  freundschaft,  schonende 
herzensgute,  eine  fast  weihevolle  auffassung  von  der  dem  sittlichen  ideal  dienenden 
und  diesem  sich  unterordnenden  bestimmuug  seines  lebens  "  (s.  285)  wird  unvermittelt 
neben  sein  ., trotziges  aufbäumen  gegen  das  bezwingen  seiner  selbst"  oder  sein  „des- 
potisches beherrschen  der  fügsamen-  gestellt.  Bald  klagt  Scheunert  Hebbel  an,  ja 
verurteilt  ihn,  obgleich  er  es  auf  s.  83  leugnet,  bald  mindert  er,  wahrscheinlich  durch 
fremden  einfluss  veranlasst  (vgl.  vorwort  s.  VIII)  den  herben  tadel  wider  herab  oder 
nimmt  ihn  ganz  zurück.  Als  ..geistiges  band "  zwischen  den  an  und  für  sich  unver- 
einbaren zügen  stellt  er  widerum  den  ..pantragismus"  hin.  Hebbel  soll  „sein  System 
gelebt",  sich  „als  den  repräseutanten  der  weltseele"  gefühlt,  sich  „mit  dem  nimbus 
einer  sittlichen  macht"  umkleidet  haben  (s.  83).  Das  Verhältnis  zwischen  leben  und 
schaffen  ist  bei  ihm,  bei  dem  künstler  überhaupt,  genau  umgekehrt.  Wie  gerade  er 
das  leben  durch  die  „idec",  d.  h.  durch  die  art,  wie  er  es  darstellte,  bezwang,  habe 
ich  an  einem  andern  ort,  in  dem  vertrag:  Hebbel  als  tragiker,  gehalten  auf  der 
■18.  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  zu  Hamburg  (Xeue  Jahr- 
bücher für  das  classische  altertum,  geschichte,  deutsche  litteratur  und  pädagogik, 
bd.  XVII,  heft  4)  ausgeführt,  auf  den  ich  verweise.  Scheunerts  auffassung  ist  noch 
diejenige  des  im  feuer  des  Umgangs  mit  Hebbel  versengten  Emil  Kuh,  der  sicherlich 
nicht,  wie  jener  meint,  das  Charakterbild  des  freundes  „geglättet  und  beschönigt" 
hat.  Wer  ernstlich  glaubt,  dass  es  diesem  dichter  „au  dem  princip  der  liebe"  ge- 
fehlt habe,  und  zu  dem  ende  sich  -gar  auf  den  confusen  brief  eines  herzlich  unbedeu- 
tenden menschen  (Brami  von  Braunthal)  stützt  (s.  7),  den  Bamberg  gewiss  nur  der 
curiosität  halber  im  zweiten  bände  des  briefwechsels  mitteilte,  ist  meines  erachtens 
aus  dem  vorhof  nicht  in  das  „  allerheiligste "  dieser  menschenseele  eingedrungen. 
Nachdem  der  ganze  reichtum  von  Hebbels  Innenleben  in  tagebüchern  und  briefeu 
jetzt  vor  uns  ausgebreitet  liegt,  erscheint  eine, solche  behauptung  fast  unbegreiflich, 
doch  wir  erinnern  uns  daran,  dass  Scheunert  sich  auch  unfähig  zeigte,  Hebbels  lyrik 
zu  erfassen.  Von  solchen  Voraussetzungen  ausgehend,  stellt  er  selbstverständlich  die 
zum  teil  sehr  heiklen  und  complicierten  beziehungen  Hebbels  zu  den  menschen,  mit 
denen  das  geschick  ihn  zusammenführte,  von  allem  zu  Kuh  und  Elise  Lonsiug,  durch- 


442  KKDMM 

aus  schief  dar.  Sie  soll  er  kaltblütig  der  pantragistisdien  idee,  die  ihn  beherrschte, 
dem  „Schema"  geopfert  haben;  von  einem  versuch  des  nachweises  der  psycholo- 
gischen uotweudigkeit  der  Zerwürfnisse  und  des  bruches  mit  ihnen  findet  man  keine 
spur.  Auf  s.  284  zieht  Scheuert  eine  parallele  zwischen  Hebbel  und  Bismarck ,  aller- 
dings nur  um  Hebbel  herabzusetzen.  Sie  ist  in  der  tat  sehr  fruchtbar,  wenn  man  den 
grundlegenden  unterschied  zwischen  einem  manu  der  tat  und  einem  künstler  nicht 
aus  den  äugen  verliert.  Beides  waren  echt  norddeutsche,  sich  selbst  stark  betonende 
willensmenschen.  "Wer  die  einheit  des  Hebbelschen  Charakters  herausfühlt,  den  grund, 
aus  dem  seine  grosse  hervorwächst,  klar  erkennt,  wird  gerade  durch  diese  paralleli- 
sierung  zu  wesentlich  anderen  resultaten  kommen  wie  Scheunert. 


Ganz  anders  muss  das  urteil  über  das  Zinkernagelsche  buch  ausfallen.  Soweit 
es  sich  um  die  verstandesmässige  erfassung  des  neuen,  epochemachenden  in 
Hebbels  tragödie  handelt,  gibt  es  wichtige,  wolbegründete  aufschlüsse.  Um  so  be- 
dauerlicher ist,  dass  auch  er  nicht  im  stände  war,  ein  von  Vorurteilen  ungetrübtes 
bild  der  persönlichkeit  des  dichters  zu  entwerfen,  die  er  mit  viel  zu  finsteren  färben 
malt,  um  sie  mit  seiner  tragischen  theorie  in  angebhch  besseren  einklang  zu  setzen, 
und  dass  er  in  der  erkenntnis  des  von  ihm  auf  ästhetischem  gebiet  geleisteten  viel- 
fach ganz  versagt.  Beides  ist  darauf  zurückzuführen,  dass  er,  wenn  auch  in  weit 
geringerem  masse  als  Scheunert,  den  unterschied  zwischen  philosophie  und  künst- 
lerischer production  nicht  gebührend  berücksichtigt.  Im  übrigen  muss  dankbar  aner- 
kannt werden,  dass  diese  Untersuchung  soweit  dringt,  als  der  spürende  verstand,  dem 
in  ästhetischen  fragen  das  letzte  wort  allerdings  nicht  zustehen  darf,  dringen  kann. 

Schon  die  Charakterisierung  der  Hebbel -litteratur  in  dem  umfangreichen  „Vor- 
wort" (V — XXXIII)  zeugt  von  Zinkernagels  festem  und  klarem  urteil.  Kuhs  biographie 
überschätzt  er  zwar,  obgleich  er  ihre  enge  und  befangenheit  nicht  leugnet.  Ihre 
hauptschwäche,  dass  sie  dem  menschen  und  dem  kiinstler  nicht  voll  gerecht  wird, 
blieb  ihm  wol  deswegen  verborgen,  weil  man  von  ihm  selbst  ähnliches  sagen  muss. 
Dagegen  sind  die  aufsätze  und  bücher  von  CoUin,  Neuniann,  J.  Krumm,  Böhring, 
Poppe,  Georgy,  Waetzoldt  sehr  richtig  beurteilt.  Scharf,  aber  gerecht,  äussert  er 
sich  über  Scheujiert,  vor  allem  verweise  ich  auf  die  geistreiche  Interpretation  einer 
von  jenem  missverstandenen  stelle  aus  dem  Vorwort  zur  Maria  Magdalena  (s.  XXIV 
und  s.  113/14  anm.).  Mit  der  deutung,  die  er,  gegen  Scheunert  polemisierend,  auf 
s.  XXIII  dem  auch  in  meiner  obenstehenden  kritik  erwähnten  briefe  Braunthals  gibt, 
bin  ich  dagegen  nichts  weniger  als  einverstanden.  Sie  beruht  auf  einer  verkennung 
Hebbels,  dem  es  auch  nach  Zinkernagel  an  dem  „princip  der  liebe"  gefehlt  haben  soll. 

Die  einteiluug  des  Stoffes  muss  im  ganzen  als  sehr  gelungen  und  lichtvoll  be- 
zeichnet werden.  Zunächst  werden  die  entwicklungsphasen  der  vorhebbelschen  tragödie, 
die  Griechen,  Shakespeare,  unsere  klassiker  gestreift,  im  anschluss  an  Goethes  auf- 
satz  „Shakespeare  und  kein  ende",  sowie  an  Schillers  ästhetische  Schriften  und  briefe. 
Besonders  erfreulich  ist,  dass  Zinkernagel  die  kritik,  die  Hebbel  an  seinem  autipoden 
Schiller  übt,  als  subjectiv  notwendig  begreift,  ohne  sich  damit  auf  seinen  Standpunkt 
zu  stellen.  Die  aus  dem  geisto  der  romantik  geborene  tragödie  Kleists  scheint  mir 
dagegen  zu  kurz  zu  kommen,  auch  vermisse  ich  eine  Charakteristik  Grillparzers.  — 
Von  diesem  hintergrunde  hebt  sich  dann  die  Hebbelsche  tragödie  bedeutsam  ab. 

Es  wäre  zweifellos  richtiger  gewesen,  auf  diese  „einleituug'-  das  zweite  und 
dritte  capitel:  Hebbels  Weltanschauung  und  Hebbels   dramatische   theorie  unmittelbar 


ÜBER    HKBBEL-LITTEHATUR  443 

folgea  zu  lassen,  das  zunächst  eingeschobene  capitel:  Hebbels  Persönlichkeit  zerreisst 
den  Zusammenhang.  Freilich  soll  es  den  grund  zu  diesen  capiteln  legen,  was  doch 
nur  in  sehr  beschränktem  niasse  der  fall  ist.  Am  liebsten  würde  ich  es  in  dem 
buche  ganz  entbehren.  Es  ist  augenscheinlich,  dass  die  erkenntnis  der  theorie. Hebbels 
bei  Zinkernagel  der  erkenntnis  seiner  persönlichkeit  vorangegangen  ist,  ja  diese  be- 
stimmt hat.  Der  umgekehrte  weg  hätte  ihn  voraussichtlich  vor  den  schweren  irr- 
tümern  bewahrt,  in  die  er  verfällt.  Dem  kenner  des  dichters,  der  sich  in  langjährigem 
ringen  ihn  ganz  zu  eigen  gemacht  hat,  kann  Zinkeruagels  darstellung,  wenn  sie  auch 
die  grundzüge  richtig  tiüift,  doch  nur  als  karrikatur  erscheinen.  Da  wird  bezweifelt, 
dass  es  Hebbel  gelungen  sei,  den  fluch  der  armut  innerlieh  zu  überwinden;  ich  sehe 
gerade  darin,  dass  er  diesen  sieg  errang,  den  unfehlbarsten  beweis  seiner  geistigen 
grosse.  Viel  schlimmer  ist,  dass  Zinkernagel  Hebbel  nindweg  das  sittliche  gefühl 
abspricht,  wahrscheinlich  weil  ihm  dies  moment,  mit  unrecht  freilich,  aus  seiner 
tragischen  theorie  ausgeschaltet  scheint.  Auf  s.  28  stossen  wir  sogar  auf  den  satz, 
dass  in  seinen  tagebüchern  „keine  spuren  wirklicher  selbsterziehung,  aufrichtiger 
selbstprüfuDg,  wahrer  sittlicher  arbeit"  zu  üoden  seien.  Sollten  nicht  viele  mit  mir 
der  meinung  sein,  dass  etwas  rührenderes,  den  eigenen  willen  stählcnderes  kaum 
denkbar  ist  als  der  einblick  in  die  ihm  durch  das  leben  so  erschwei'te  arbeit  an 
seiner  sittlichen  Vervollkommnung,  den  die  tagebücher  verstatten?  Am  herbsten 
klingt  Zinkernagels  Verurteilung  von  Hebbels  Sinnlichkeit,  die  ihn  keineswegs  in  dem 
masse  beherrschte,  wie  es  oft  genug  angenommen  wird.  Vor  allem  gründet  sich  der 
tadel  natürlich  auf  Hebbels  verhalten  zu  Elise.  Auch  Ziukernagel  hat  nicht  psycho- 
logischen Scharfblick  und  billigkeit  genug,  um,  wie  Hebbel  es  bald  nach  dem  bruche 
mit  der  freundin  von  dem,  der  hierüber  richten  wolle,  fordert,  '„zwischen  frei  ge- 
wählten und  aufgedrungenen  Verhältnissen"  zu  scheiden  (tgb.  vom  20.  jan.  1847).  "Wer 
nun  gar  den  blick  auf  die  zweite  sonnige  hälfte  seines  lebens  richtet,  wird  diesem 
urteil  erst  recht  nicht  beipflichten.  In  aller  litteratur  wird  uns  kaum  wider  ein  auf 
so  menschlich -edler  grundlage  ruhendes  eheliches  glück  offenbart,  wie  das,  welches 
ihn  im  bunde  mit  Christine  beseligte,  was  auch  zugleich  am  besten  beweist,  wie 
recht  er  daran  tat,  die  morschen  fesseln  zu  zerreissen.  Nicht  ohne  einen  beigeschmack 
von  gelehrtenhochmut  ist  ferner  die  auffassung,  dass  „seine  intuitive  geistesveranlagung" 
Hebbel  von  anfang  an  „der  unentbehrlichen  grundlage  zu  einem  ruliigen  gesicherten 
Verhältnis  zu  den  dingen,  einer  durch  schwere  sittlichende  arbeit  schrittweise  er- 
rungenen bildung"  beraubt  habe  (s.  32).  Gewiss  fühlte  der  dichter,  dass  sein  wissen 
lückenhaft  war  und  bleiben  musste,  doch  hätte  er  diesen  satz  nie  unterschrieben. 
Diese  bildung  konnte  er  sich  nicht  erwerben  und  brauchte  er  sich  nicht  zu  erwerben, 
weil  er  eben  der  intuitive  geist  war,  als  den  ihn  Zinkernagel  selbst  mit  vollem  recht 
bezeichnet. 

Auch  in  dem  capitel  übei'  Hebbels  Weltanschauung  nennt  Zinkernagel  den 
mangel  an  sittlichem  gefühl  „die  Achillesferse  seiner  natur-  (s.  37)  uüd  sucht  daraus 
zu  folgern,  dass  der  pessimismus  und  nicht  die  sich  vielfach  mit  ihm  berührende 
versöhnlichere  christliche  Weltanschauung  aus  der  wurzel  seiner  erkenntnis  des  „dualis- 
mus"  in  den  dingen  hervorwachsen  musste.  Dass  Hebbels  Weltanschauung  eine  pessi- 
mistische ist,  will  ich  nicht  leugnen,  wenn  ich  auch  den  einfachen  ausdruck  n-alistisch 
für  bezeichnender  halte.  Zinkernagels  schluss  fehlt  es  aber  jedenfalls  au  bündigkeit, 
da  seine  Voraussetzung  willkürlich  ist.  Steht  doch  der  angebliche  mangel  des  dichters 
an  sittlichem  gefühl  im  schärfsten  Widerspruch  zu  den  späteren  ausführungen  Zinker- 
nagels, welche  dartuu,   dass   für  ihn   notwendigkeit  und  Sittlichkeit  eins  war.    Es  ist 


444  KRÜMM 

auch  nicht  richtig,  dass  er  in  dem  ewigen  kämpf  des  einzelnen  mit  dem  Universum 
endgültig  resigniert,  auf  den  sieg  verzichtet  habe.  Auch  diese  behauptung  wird  in 
dem  buche  selbst  an  anderer  stelle  widerlegt.  Wie  ist  Hebbels  freudige  hingäbe  an 
das  leben,  seine  zuversichtliche  tapferkeit,  die  Zinkernagel  nicht  leugnen  kann,  mit 
seinem  theoretischen  pessimismus  zu  reimen?  Ein  versuch  der  erklärung  wird  kaum 
gemacht.  In  dem  capitel  über  die  tragische  theorie  des  dichters  spricht  Zinkernagel 
offen  aus,  dass  es  seiner  tragischen  lebensauffassung  keineswegs  an  dem  begriff  der 
Versöhnung  fehle,  wenn  diese  auch  über  den  kreis  des  einzelschicksals  weit  hinaus- 
rage. Wie  paart  sich  dieser  Versöhnungsbegriff  mit  dem  „hymnus  auf  die  allgewalt 
der  notwendigkeit,  die  in  ungehemmtem  siegeszug  der  ewigkeit  zueilend  alles  indi- 
viduelle leben  in  den  staub  tritt  und  vernichtet"?  (s.  89).  Auf  diese  frage  gibt 
Zinkernagel  keine  befriedigende  antwort.  Ich  glaube,  dass  diese  Widersprüche  über- 
haupt nur  für  den  verstand,  nicht  für  das  gefühl  bestehen.  Die  grossen  Hebbelschen 
tragödien  a\is  seiner  letzten  zeit  hinterlassen  in  dem  Zuschauer  sicher  einen  erhebenden 
und  befreienden  eindruck,  nicht  einen  niederwuehtenden  und  zermalmenden ,  wie  etwa 
die  lektüre  Schopenhauers.  Hebbels  tragödie  mahnt,  trotz  aller  furchtbarkeit,  zur 
ergreifung  des  lebens,  Schopenhauer  zur  Verneinung  des  lebens,  zur  welttlucht.  Der 
gcgensatz  erklärt  sich  aus  dem  gegensatze  zwischen  der  schöpferischen  kunst  und  der 
speculation,  prägt  sich  auch  auf  das  deutlichste  in  den  diametral  entgegengesetzten 
persönlichkeiten  der  beiden  in  theoretischer  erkenntnis  so  nahe  verwandten  männer 
aus.  Selbstverständlich  kann  ich  dies  hier  nur  fixieren,  ohne  es  zu  begründen. 
Zinkernagel  ist  es  jedesfalls  nicht  gelungen,  das  scheinbar  widersprechende  in  Hebbels 
theorie  und  kunst  in  der  höheren  einheit  des  menschen  zu  binden.  Seine  sonst  treff- 
lichen ausführungen  dringen  in  das  letzte  geheimnis  der  Hebbelschen  kunst  nicht  ein, 
weil  er  nicht  in  echt  künstlerischem  geiste  ihr  nachzuempfinden  vermag. 

Ähnliches  gilt  auch  für  das  dritte,  bei  weitem  wertvollste  capitel:  Hebbels 
dramatische  theorie.  Wenn  man  von  den  oben  berührten  punkten  absieht,  ist  es 
musterhaft  klar  und  löst  restlos  das  bis  dahin  nie  ganz  entzifferte  rätsei.  Wer  es 
gelesen  hat,  wird  den  keim-  und  kernpunkt  der  Hebbelschen  tragödie  ebensowenig 
verkennen  können,  wie  ihr  ziel,  die  „Schönheit  nach  der  dissonanz".  Ziukernagel  sieht 
auch  richtig,  dass  für  die  veranschaulichung  des  unendlichen  an  der  singulären  cr- 
scheinung  das  „problematische"  charakteristisch  sein  inuss,  wenn  er  auch  die  werte 
Kuno  Fischers  über  Hebbel,  die  schwerlich  mehr  als  eine  geistreiche  hypeibel  sind, 
nicht  ohne  einschränkung  eitleren  durfte  (s.  84).  Energisch  abzuweisen  ist  dagegen 
der  ..negierende  Charakter"  der  Hebbelschen  tragödie,  da  es  dem  tragiker  nur  auf 
das  „binden  und  knebeln  der  menschlichen  kräfte"  ankomme  (s.  102).  Noch  weniger 
kann  ich  mich  mit  der  bezeichnung  des  dichters  als  des  „grossen  tragikers  der  theorie" 
befreunden,  dessen  tragödie  der  „ausfluss  seiner  allerindividuellsten  lebensstimmung" 
sein  soll.  Nicht,  weil  er  ein  solches  leben  führte,  dichtete  er  so;  weil  er  so  dichtete, 
dichten  musste,  empfand  er  den  inneren  Widerspruch  des  lebens  so  tief,  aus  seiner 
diehtung  schöpfte  er  aber  auch  die  kraft,  ihn  furchtlos  anzuschauen  und  zu  über- 
winden. Man  sieht  leicht,  dass  diese  Irrtümer  mit  den  oben  gekennzeichneten  eng 
verkettet  sind^ 

1)  Nicht  unterlassen  möchte  ich  auf  die  sehr  störende  falsche  lesung:  prater- 
fresser  für  poetenfresser  s.  81  hinzuweisen.  Das  versehen  stammt  aus  Werners 
au.sgabe  der  nachlese  der  briefe,  ist  aber  jetzt  in  der  historisch -kritischen  ausgäbe 
verbessert. 


t'BKR    HERBEI, -LITTKJ;aTÜR  445 

Am  wenigsten  befriedigt  das  vierte  capitel:  Hebbels  dramatische  production. 
Dass  sein  schaffen  nicht  von  seinem  denken  diktiert  ist,  räumt  Zinkernagel  allerdings 
ein.  fügt  aber  sofort  hinzu,  dass  es  keine  bewusstere  production  geben  könne  als  die 
seiuige.  Meiner  meinung  nach  hebt  der  zusatz  die  einriiunning  vollständig  wider 
auf.  Die  wunderliche  Vorstellung,  die  in  dem  satze  gi|)felt:  „dem  stroni  seiner  poesie 
stellt  sich  sein  kunstdenken  als  ein  wehr  gegenüber,  das  nichts  hindurchlässt,  was 
sich  nicht  einfügt  in  die  grossen  formen  seiner  theorie"  (s.  119)  halte  ich  für  mindestens 
ebenso  verfehlt  wie  das  Scheunertsche  „einschnappen  des  geistes  in  die  pantragistische 
Intuition''.  Bei  Hebbel  waren,  soweit  ich  sehe,  je  länger  er  schuf,  desto  mehr  er- 
kennen und  schaffen  eins.  Wie  erklärt  sich  sonst  die  von  ihm  selbst  und  allen  ihm 
nahestehenden  bezeugte  fast  nachtwandlerische  art  der  production,  die  alles  schema- 
tische verschmähend,  ruckweise  sich  vollzog V  Man  kann  ohne  Übertreibung  sagen, 
dass  Zinkernagels  auffassung  nicht  einmal  mit  den  über  die  entstehung  der  dramen  uns 
überlieferten  daten  in  einklang  zu  bringen  ist.  Die  an  dem  oben  angegebenen  orte 
herangezogene  tagebuchaufzeichnung  beweist  keineswegs,  was  sie  beweisen  soll.  Über 
das  wachsen  der  Hebbels  schaffen  zu  gründe  liegenden  allgemeinen  tragischen  Idee, 
auch  über  die  specielle  nuancierung,  die  ihr  vor  dem  aufzeichnen  eines  neuen  stoffes 
in  seinem  hirn  gegeben  wurde,  sind  wir  recht  genau  orientiert,  die  zeugung  selbst 
bleibt  ein  mysterium.  "Wenn  aber,  nach  Zinkernagels  eigenen  werten,  der  beurteilende 
zunächst  mit  des  dichters  augo  sehen  soll,  so  muss  verlangt  werden,  dass  er  über 
diesen  wichtigsten  punkt  nichts  aussagt,  was  Hebbels  bekenntnissen  schnurstracks 
zuwiderläuft.  Mit  der  haltlosen  behauptung  eines  Zwiespaltes  zwiscJien  seiner  theorie 
und  seiner  praxis  sollte  die  ernsthafte  äthetische  kritik  ein  für  allemal  brechen.  Auf- 
fallend ist,  dass  Zinkernagel,  wenn  er  in  seiner  analyse  der  dramen  auch -nirgends 
besonders  tief  eindringt,  sich  trotzdem  von  dem  mächtigen  leben,  das  sie  durchpulst, 
zu  widerholten  malen  tief  ergriffen  zeigt  (vgl.  vor  allem  s.  149/50  fgg.).  In  der 
Schlussbetrachtung  freilich  versteigt  er  sich  dann  wider  zu  der  behauptung,  zu  einem 
grossen  dichtei-  fehle  Hebbel  noch  viel,  und  es  sei  an  und  für  sich  ein  zweckloses 
unternehmen,  unserem  theaterpublicum  das  interesse  an  seinen  Schöpfungen  auf- 
zwingen zu  wollen  (s.  187).  Derartige  Schwankungen  wären  unerklärlich,  wenn  man 
nicht  schon  von  anfang  an  erkannt  hätte,  dass  Zinkernagel  eigentlich  nur  Hebbels 
tragische  theorie  interessiert.  Wäre  er  von  seinen  werken  und  der  in  ihnen  wider- 
gestrahlten persönlichkeit  ausgegangen  und  hätte  die  erkenntnis  der  theorie  als  reife 
frucht  der  liebevollen  beschäftigung  mit  beiden  gepflückt,  so  hätte  er  ganz  anders 
geurteilt.  Übrigens  ist  seine  auffassung  praktisch  schon  längst  widerlegt.  Wer  auch 
nur  einer  der  mustergiltigen  und  erfolgreichen  aufführungen ,  die  Hebbels  tragödien 
in  den  letzten  Jahren  auf  allen  grösseren  bühnen ,  namentlich  im  Hamburger  deutschen 
schauspielliaus  unter  Alfred  von  Bergers  genialer  regio,  dem  publicum  vermittelten, 
beigewohnt  hat,  wird  über  das  oben  citierte  nur  lächeln  können.  Doch  man  soll  sich 
die  freude  an  der  für  das  Verständnis  des  denkers  Hebbel  so  förderlichen  arbeit  da- 
durch nicht  trüben  lassen,  dass  der  Verfasser  dem  zweiten  teil  seiner  aufgäbe  nicht 
gewachsen  war.  Das  im  besten  sinne  moderne,  d.  h.  unserem  auf  naturwissen- 
schaftlicher gmndlage  fassenden  jetzigen  zeitbewu-sstsein  entsprechende  in  Hebbels 
tragik  hat  er  klar  umrissen;  dies  ergebnis  der  forschung  wird  auch  der  freudig  be- 
grüssen,  der  sich  zu  scharfem  protest  gegen  seine  Wertung  des  dichters  gezwungen 
sieht.  —  Unter  meinen  zahlreichen  randglossen  zu  diesem  teile  der  ausführungen 
Zinkernagels  sollen  folgende  nicht  unterdrückt  werden.  Wie  ist  es  möglich,  in  der 
Skizze    des    Genovevadramas,    welche  das  Münchener  tagebuch   enthält,    das  haupt- 


446  KRUMM 

verdienst  dieser  an  schonen  und  lebensvollen  momentan  so  überreichen  dichtung,  die 
zugleich  eine  der  grossen  beichten  der  weltlitteratur  ist,  zu  sehen?  (s.  131).  —  Auf 
s.  158  nennt  Zinke-rnagel  die  widerbolung  einer  und  derselben  Situation  in  „Herodes 
und  Mariamue"  ein  „muttermal"  Hebbelscher  poesie;  ich  sehe  mit  dem  dichter  darin 
eine  charakteristische  Schönheit.  —  Die  in  dieser-  tragödie  zurückgedrängten  .,histori- 
schen  momente"  sollen  in  der  „Agnes  Bernauer"  breiter  entfaltet  sein,  mir  scheint 
das  gegenteil  richtig.  Was  ferner  über  die  „innere  conception"  des  letzteren  werkes 
ausgeführt  ist,  gilt  nach  meiner  meinung  für  jede  grosse,  ewige  dichtung,  die  des 
symbolischen  niemals  entraten  kann.  Über  das  problem  der  Bernauerin  setzt  Zinker- 
nagel, im  anschiuss  an  den  bekannten  brief  von  Gervinus  an  Hebbel,  mit  recht  aus- 
einander, dass  dieser  für  die  kunst  nicht  andere  gesetze  anerkennen  konnte,  als  sie 
sich  in  der  geschichte  nachweisen  lassen.  Das  würde  gegen  den  realismus  seiner 
tragik  Verstössen  haben.  Auch  hebe  er  richtig  hervor,  dass  der  dichter  damals  der 
weit,  die  sich  ihm  tatsächlich  zum  kreise  gerundet  hatte,  ohne  eine  spur  von  gereizt- 
lieit  und  Verstimmung  gegenüberstand,  dass  er  folglich  stark  genug  war,  das  herbste 
menschenschicksal  und  die  reizvollste  Idylle  hart  nebeneinander  zu  rücken.  Wenn  dem 
so  ist,  so  ist  der  tadel  der  gewaltigen  schlussscene  des  fünften  aktes,  in  dem  Zinkei'- 
nagel  mit  Scheunert  zusammentrifft,  ganz  unangebracht.  Wer  es  mit  Hebbel  verschmäht, 
sich  aus  der  weit,  wie  sie  ist,  in  ideale  träume  zu  flüchten,  muss  auch  stark  genug 
sein,  die  consequenzen  zu  ertragen.  Auch  ist  herzog  Ernst  doch  keineswegs  der 
Sieger.  Er  bezahlt  die  schwerste  Pflichterfüllung  seines  lebens  mit  dem  freiwilligen 
aufgeben  seiner  irdischen  machtstellung,  dass  „grosse  rad"  rollt  über  ihn  dahin  wie 
über  sein  opfer,  er  musste  handeln,  wie  sie  leiden,  wir  fragen  vergebens,  warum. 
(Vgl.  s.  164/65.)  —  Bei  gelegenheit  des  „Gyges"  wird  von  dem  „uhrwerkmässigen" 
Hebbelscher  dramatik  gesprochen.  Hebbels  dramen  sind,  wenn  man  ein  von  ihm 
selbst  auf  Lessing  geprägtes  wort  umdreht,  weiten,  keine  lüiren.  Doch  gebe  ich  zu, 
dass  auf  keins  seiner  stücke  der  ausdruck  sich  vielleicht  mit  mehr  recht  anwenden 
liesse  als  gerade  auf  diese  meist  über  gebühr  gelobte  tragödie,  deren  handlung  und 
menschen  für  mich,  trotz  aller  aufgebotenen  kunst,  etwas  fremdartiges  behalten.  — 
Sehr  erfreulich  ist,  dass  die  bedeutung  des  Hebbelschen  „Demetrius"  von  Zinkernagel 
voll  gewürdigt  wird.  Auch'  ich  stelle  ihn  zu  seinen  höchsten  Schöpfungen  und  be- 
greife nicht,  dass  man  ein  erlahmen  der  kräfte  in  ihm  hat  spüren  wollen.  Das  auf 
s.  183  gesagte  unterschreibe  ich  wörtlich. 


Georgys  buch  unterscheidet  sich  in  nichts  weniger  als  allem  von  den  beiden 
soeben  charakterisierten.  Es  wird  von  einem  warmen  hauche  der  liebe  zu  Hebbel, 
dem  menschen  wie  dem  dichter,  durchweht.  Auch  wendet  sich  der  Verfasser  an  einen 
breiteren  leserkreis,  er  möchte  dem  deutschen  volko  einen  seiner  grössten  künst- 
lerischen genien  näher  bringen,  dazu  beitragen,  dass  Hebbels  gestalt  aus  den  „schuft - 
und  nebelmassen",  die  sie  zum  teil  noch  verhüllen,  in  siegreichem  glänze  emporsteige. 
Das  unternehmen  ist  sicherlich  dankenswert  und  zeitgemäss.  Beklagenswert  ist  nur, 
dass  Georgys  ausführungen ,  trotz  seiner  unverkennbar  feinen  ästhetischen  anschauung, 
nicht  selten  verworren  sind,  was  schon  in  dem  schwülstigen,  manchmal  geradezu  un- 
leidlichen stil  deutlich  genug  hervortritt.  Über  die  idee  des  tragischen  bei  Hebbel 
bringt  das  buch  nur  zum  Schlüsse  einige  zusammenfassende  bemerkungen  (s.  319  fg!), 
die  mit  recht  als  „rohe  bleistiftskizze"  bezeichnet  sind.  Jedenfalls  hätten  sie  der  be- 
sprechung  der  dramen   vorangehen    müssen,    denn    es    ist  wahr,  was    Georgy  sagt: 


ÜBKR    HEBBKX-UTTERATÜK  447 

„"Was  Hebbel  bietet,  ist  eine  vollständige  Weltanschauung  auf  der  grundlage  der  idee 
des  tragischen".  Sehr  erfreulicli  ist  ohne  zweifei,  dass  Georgy  dem  lebenswerk 
dieses  künstlers  die  ehrfurtht  weist,  die  es  beanspruchen  darf.  Er  fühlt,  dass  sein 
schaffen  aus  einem  grossen,  warmen  herzen  unmittelbar  sicii  losringt,  dass  es 
aus  dem  leben  kommt  und  zum  leben  führt.  Auch  übersieht  er  niciit,  dass  Hebbel 
die  idee  des  tragischen,  die  ihm  früh  aufging,  immer  freier,  immer  geläuterter  von 
den  schlacken  des  persönlichen  gestaltete,  wobei  auch  auf  seine  lyrik,  als  auf  die 
reinste  quelle  für  die  erschöpf ung  seines  wesens,  verwiesen  wird.  Die  entwicklung, 
die  von  den  Griechen  über  Shakespeare  zu  Hebbel  führt,  ist  ebenfalls  mit  einigen 
strichen  scharf  gezeichnet.  Die  Schillersche  tragödie,  auch  diejenige  Kleists,  der 
noch  das  moment  der  idee  gefehlt  habe  (s.  325),  d.  h.  wol  die  geschlossene  persön- 
lichkeit, die  Hebbel  auszeichnet,  wird  richtig  gewürdigt.  Doch  sind  das  alles, 
namentlich  im  vergleich  zu  den  hierauf  bezüglichen  ausführungen  bei  Zinkernagel, 
nur  ansätze  und  konturen,  zu  dürftig,  um  nachhaltig  zu  wirken. 

So  bleiben  die  ausführlichen  analysen  der  sieben  grossen  tragödien  Hebbels  das 
allein  wertvolle  in  Georgys  buch.  Diese  enthalten,  neben  allerhand  abstrusem  imd 
ungeniesliarem,  soviel  des  neuen,  warm  und  tief  empfundenen,  dass  kein  leser  es 
unbefriedigt  aus  der  band  legen  wird,  wenn  er  sich  nicht  durch  die  krause  form,  in 
der  der  gedanke  sich  oft  mehr  verhüllt  als  darlegt,  vorzeitig  abschrecken  lässt.  Auf 
einen  das  ganze  durchziehenden  grundmangel  muss  ich  allerdings  sofort  aufmerksam 
machen.  Georgy  möchte  die  idee  eines  jeden  dieser  kunstwerke  herausschälen.  Mit 
recht  bekämpft  er  zwar  die  auffassung,  an  der,  wie  wir  sahen,  Zinkernagel  leider 
noch  festhält,  dass  diese  tragödien  der  idee  wegen  entstanden  seien  (s.  IX  des  Vor- 
worts). Auch  ist  ihm  unbedingt  zuzugeben ,  dass,  was  dem  gemüt  entquillt,  deswegen 
nicht  ideenlos  zu  sein  braucht.  Doch,  wenn  denn  auch  eine  unteilbare  idee  des 
tragischen  Hebbels  schaffen  zu  gründe  lag,  so  ist  doch  nichts  falscher,  als  in  jedem 
besonderen  falle  nach  einer  specialidee  zu  spähen,  „die  sich  in  einen  ausdruck  von 
schlagender  kürze"  fassen  lassen  müsse  (s.  X).  Dass  die  einzelnen  tragödien  nur 
ausstrahlungen  einer  centralsonne  sind,  hat  Georgy  nicht  beachtet.  Freilich  ist  es 
unleugbar,  dass  für  Hebbel,  mehr  als  für  jeden  anderen  dramatiker  der  weltlitteratur, 
wenn  man  etwa  von  Iljsen  absieht,  jedes  drama  eine  total ität  war,  dass  er,  im 
schroffsten  gegensatz  zu  Shakespeare,  keinem  gliede  desselben  eine  allzu  üppige  aus- 
dehnung  gestattete.  Trotzdem  muss  derjenige  scheitern,  der  diese  lebendigen  Organis- 
men auf  eine  den  sinn  entziffernde  formel  reducieren  will.  Georgy  spürt  bisweilen, 
dass  er  auf  falscher  fährte  ist.  So  gibt  er  zu,  dass  die  idee  der  individuellen  mass- 
losigkeit,  die  er  für  die  der  „Maria  Magdalena"  erklärt,  eigentlich  die  allgemeine 
idee  der  Hebbelschen  tragödie  sei  (s.  168).  Und  ist  die  idee  des  opferns,  der  beugung 
des  einzelwesens  unter  die  gesamtheit  („Agnes  Rernauer")  etwas  anderes  als  der 
keinipunkt  seiner  gesamten  weltanschauungV  Auch  kann  Georgy  sich  ja  keineswegs 
verhehlen,  dass,  wenn  er  jede  tragi^die  in  das  enge  gefäss  einer  besonderen  idee  zu 
pressen  sucht,  er  sich  zuweilen  mit  Hebbel  selbst  in  gegen.satz  stellt,  der  in  seinem 
tagebuch  oder  in  briefen  bisweilen  auch  von  in  seinen  dramen  sich  offenbarenden 
ideen  spricht,  allerdings  in  anderem  sinne,  als  es  in  diesem  buche  geschieht.  Am 
klaffencjsten  zeigt  sich  dieser  Widerspruch  zwischen  dem  dichter  und  seinem  Kritiker  bei 
der  besprechung  der  „Genoveva".  Freilich  setzt  dieser  sich  darüber  hinwog,  indem  er 
Hebbels  unbewusstes  schaffen,  das  Scheunert  und  Zinkernagel  leugnen,  .seinerseits 
so  stark  betont,  dass  er  des  dichters  aussprüchen  über  die  absiebten,  die  ihn  bei 
dem   entwürfe  der  tragödien   leiteten,   von   vornherein   misstraut,  ihnen   getli.ssentiich 


448  KRUMM 

widerspricht.  Ich  denke,  es  wird  wol  doch  dabei  bleiben,  dass  Hebbel,  wie  der  un- 
erbittlichste, auch  der  scharfsichtigste  und  gerechteste  richter  seines  Schaffens  war. 
Bisweilen  führt  das  difteln  und  zwängen  zu  ganz  absonderlichen  resultaten.  Wenn 
Georgj^  sich  in  die  Nibelungentrilogie,  an  der  Hebbel  sieben  jähre  arbeitete,  seiner- 
seits sieben  jähre  versenkt,  um  schliesslich  die  idee:  ..durch  dienen  zum  werden" 
in  ihr  verkörpert  zu  finden,  so  kann  man  sich  kaum  erv^ehren,  an  das  paiiuriunt 
montes  zu  denken.  Mit  vollster  berechtigung  hat  ferner  schon  Zinkernagel  (s.  XXIX 
seines  Vorworts)  ausgesprochen,  dass  die  von  Georgy  gefundenen  sonderideen  der 
Hebbelschen  tragödien,  die  des  handelns  in  der  Judith,  der  reinen  anscliauung  in  der 
Genoveva,  der  individuellen  masslosigkeit  in  der  Maria  Magdalena  usw.,  ebensogut 
auf  die  eine  wie  auf  die  andere  passen.  Wir  befinden  uns  unzweifelhaft  auf  dem 
gebiete  subjectiver  willkür.  So  dürfte  es  geraten  sein ,  Georgy  nur  dann  mit  vorsieht 
zu  folgen,  wenn  er  sich  mit  Hebbel  in  Übereinstimmung  befindet.  Überhaupt  werden 
auf  diesem  wege  schwerlich  viele  ihm  folgen  wollen.  Freilich  kann  er  sich  auf  einst- 
mals berühmte  dickleibige  commentare  zum  Shakespeare  berufen,  wie  auf  den  von 
Ulrici,  die  eine  ähnliche  arbeit  mit  pedantischer  gründlichkeit  zu  leisten  versuchten. 
Dass  derartiges  veraltet  und  überholt  ist,  wird  jedoch  kaum  bestritten  werden. 

Trotzdem  kann  Georgy  namentlich  solchen,  die  Hebbel  noch  ferner  stehen, 
fruchtbare  anregungen  geben.  Eine  kurze  musterung  seiner  analysen  der  einzelnen 
dramen  wird  zeigen,  wie  oft  ich  mich  ihm  auschliessen  kann,  und  zugleich  auch  ge- 
legenheit  bieten,  einzelne  seiner  anschauungen  zu  widerlegen. 

Judith.  Dass  diese  tragödie  das  handeln  der  menschen  in  seiner  „irdischen 
besch wertheit"  darstelle,  ist  Georgy  nicht  gelungen  nachzuweisen;  er  legt  auf  ein 
untergeordnetes  oder  begleitendes  moment,  das  Hebbel  selbst  im  tagebuch  mit  den 
Worten  „in  der  Judith  zeichne  ich  die  tat  eines  weibes,  also  den  ärgsten  kontrast,  dies 
wollen  und  nichtkönnen,  dies  tun,  was  doch  kein  handeln  ist"  allerdings  noch  vor 
der  ausführung  des  dramas,  andeutet,  zu  viel  gewicht.  Die  behauptung,  dass,  wie 
Judith,  nicht  weib  und  nicht  Jungfrau,  jeder  von  uns  ethisch,  nicht  psysisch  betrachtet, 
vor  einer  handlung  stehe  (s.  30)  ist  nichts  als  phrase.  Gewiss  ahnt  Georgy  die  tiefe 
der  tragischen  grundidee  Hebbels,  die  auch  schon  der  „Judith"  zu  gründe  liegt  — 
(..der  handelnde  ist  immer  schuldig'-;  „leiden  und  tun  sind  für  den  inneren  menschen 
keine  gegensätze",  s.  32  u.  34)  — ,  ist  aber  weit  entfernt  davon,  sie  plastisch  zu  for- 
mulieren. —  Mit  recht  verteidigt  er  die  rodomontaden  des  Holofernes  gegen  den  öfters 
erhobenen  Vorwurf  der  Unwahrheit  und  Übertreibung  (s.  16 — 17),  wogegen  er  des  dichters 
strenges  wort,  dass  durch  die  von  ihm  gewählte  motivierung  Judith  ihre  symbolische 
bedeutung  verliere  und  zu  der  „exegese  eines  dunklen  menscheucharakters  herab- 
sinke", keineswegs  zu  entkräften  vermag.  Auch  sieht  er  nicht,  dass  Hebbel  in  dem 
scenisch  so  wirksamen  fünften  akte  schuld  und  Vergeltung,  und  zwar  in  dem  her- 
gebrachten sinne  der  worte,  noch  stark  betont  und  dadurch  fremde  elemente  in  seine 
tragödie  hinüberleitet,  die  er  bei  grösserer  künstlerischer  reife  später  ausschied. 

Genoveva.  Es  muss  Georgy  zugegeben  werden,  dass  die  idee,  welche  Hebbel 
nachträglich  selbst  dieser  seiner  zweiten  tragödie  unterlegte,  die  der  „genugtuuug  durch 
heilige"  überhaupt  keine  tragische  idee  ist.  Aber  auch  die  idee  der  „reinen  anschau- 
uüg",  woran  es  Siegfried,  Golo,  ja  auch  Genoveva  fehlen  soll,  ist  so  unglücklich  und 
gequält  wie  nur  möglich.  Um  sie  im  einzelnen  zu  begründen,  geht  Georgy  sogar  so 
weit,  in  dem  mangel  an  erkenntnis  des  sie  bedrohenden  feindes  bei  Genoveva  eine 
schuld  zu  sehen,  für  die  sie  büssen  muss  (s.  60),  wie  Gervinus  in  seinem  Shakespeare - 
commentar  eine  schuld  Duncans  und  Banquos  in  ihrem  mangel  an  besounenheit  sehen 


DBEK    HKBBEL-LTTTRRATUR  449 

wollte.  "Wie  konnte  er,  um  seine  haltlose  „idee"  zu  stützen,  sich  so  in  gegensatz 
zu  Hebbels  auffassung  des  tragischen  setzen?  Leuchtet  doch  diese  aus  der  Genoveva 
bereits  weit  klarer  hervor  als  aus  der  ersten  tragödie!  —  Scharfsinnig  wird  s.  56 
begründet,  warum  das  episodische  für  dies  werk  notwendig  war.  Selbst  schein- 
bar sehr  fernliegende  einschiebsei,  wie  die  scene,  in  der  der  Jude  gesteinigt  wird, 
stehen  tatsächlich  in  enger  Verbindung  mit  der  entwicklung  der  handlung  und  der 
Charaktere.  Das  überwuchern  dos  monologischen  hätte  dagegen  aus  der  fieberhaften 
erregung  Hebbels,  dessen  eigene  Stimmungen  in  jener  trüben,  leidenschaftlichen  zeit 
denen  des  Golo  durchaus  glichen,  abgeleitet  werden  müssen,  während  Georgy  merk- 
würdigerweise diese  inneren  beziehungen  ganz  abzuleugnen  sucht  (s.  57).  Audi  der 
legendenhafte  charakter  des  Stückes  wird  nicht  gebührend  herausgehoben.  Er  erfordert 
die  perspective  auf  eine  Vergeltung  im  jenseits,  die  übrigens  in  Hebbels  reinsten 
Schöpfungen  widerkehrt,  wenn  sie  auch  in  ihnen  unendlich  harmonischer  ausklingt. 
Dass  das  später  hinzugefügte  „nachspiel  zur  Genoveva"  besser  ungeschrieben  ge- 
blieben wäre,  wie  Georgy  auf  s.  100  ausführt,  ist  übrigens  auch  meine  meinung. 

Maria  Magdalena.  Die  in  ihr  widergespiegelte  idee  der  „individuellen  mass- 
losigkeit"  ist  wenigstens  geistreich  durchgeführt.  In  bezug  auf  den  fall  Klaras  wird 
Hebbels  motivierung  aus  dem  charakter  der  tischlerstochter  glänzend  gerechtfertigt. 
Fraglich  ist  nur,  ob  nicht  trotzdem  für  unser  gefüht  so  viel  verletzendes  zurück- 
bleibt, dass  die  aus  einem  solchen  ausgangspunkt  fliessende  handlung  nicht  so  zu  er- 
schüttern vermag,  wie  es  in  Hebbels  späteren  tragödien  der  fall  ist.  Letzteres  ist 
unbedingt  nieine  Überzeugung.  Zur  erklärung  des  factums  soll  man  freilich  nicht, 
wie  Zinkernagel,  Hebbel  mangel  an  sittlichem  gefühl  zur  last  legen,  es  genügt  zu 
sagen,  dass  er,  als  er  dies  werk  schuf,  durch  das  Verhältnis  zu  Elise  mehr  als  je 
vorher  gedrückt  wurde.  Erst  nachdem  er  sich  aus  den  ketten  schwerster  persönlicher 
Unfreiheit  gelöst  hatte,  vermochte  er  das  tragische  schlackenlos  zu  gestalten.  Das 
nimmt  der  „Maria  Magdalena"  nichts  von  ihrer  monumentalen  bedeutung,  hindert 
aber  allerdings,  sie,  wie  noch  oft  geschieht,  auf  kosten  der  späteren  Schöpfungen 
herauszustreichen.  —  Meisterhaft  ist  Georgys  entwicklung  der  Charaktere  dieser  bürger- 
lichen tragödie.  Namentlich,  dass  alle  von  ihrem  Standpunkt  aus  recht  haben,  wird 
treffend  ausgeführt.  Freilich  gilt  das  nicht  nur  von  ihr,  sondern  von  Hebbels  tragödie 
überhaupt,  wenn  es  auch  nirgends  wider  so  herb  und  schroff  hervortreten  mag  wie  hier. 

Die  grosse  Kicke,  welche  „Maria  Magdalena"  von  „Herodes  und  Mariamne" 
scheidet,  füllt  Georgy  nicht  aus  Das  ist  bedauerlich,  denn  gerade  die  analyse  der 
-Julia"  kann  veranschaulichen,  wie  krank  Hebbels  geistiger  Organismus  vor  dem  bunde 
mit  Christine  war,  und  wodurch  er  genas.  Auch  die  fragmente  sind  mit  unrecht  aus 
dem  kreise  der  betrachtung  ausgeschlossen. 

Herodes  und  Mariamne  —  die  tragödie  der  innerlichkeit.  Jedenfalls  deckt 
sich  diese  gewiss  fruchtbare  idee  nur  mit  einem  teil  der  tragödie.  Diese  ist  viel  um- 
fassender, die  erste  reine  Verkörperung  des  nach  Hebbel  das  ganze  leben  durchziehenden 
dualismus.  Unleugbar  hat  Georgy  dieses  in  manchem  betracht  an  die  spitze  von 
Hebbels  tragischem  schaffen  zu  stellende  schöne  werk  warm  und  tief  charakterisiert. 
Die  exposition  des  ersten  aktes,  welche  die  weltereignisse  so  ungemein  geschickt  mit 
den  Vorgängen  im  hause  des  Herodes  verflicht,  wird  nach  gebühr  herausgehoben. 
Fein  ist  auch  der  nach  weis,  wie  der  vor  der  eigentlichen  liandlung  liegende  tod  des 
Aristobulos  dieselbe  bis  ans  ende  bestimmt  und  beherrscht.  Sehr  gut  beobachtet  ist 
ferner,  dass  des  Herodes  übermass  an  sinnlicher  liebe  zu  seinem  weibe  mit  der  den 
ganzen  menschen  verzehrenden  staatsmännischen  und  kriegerischen  tätigkeit  nicht  nur 

ZUTSCHKIFT    K.   DEUTSCHE    PHILOLOOIK.       BD.   XL.  29 


4f)0  KRU>ra 

vereinbar,  sondern  aus  ihr  unmittelbar  abzuleiten  ist  (s.  156).  Energisch  wird  auch 
der  törichte  einwand  widerlegt,  dass  Mariamne  dem  Herodes  oiTener  entgegentreten 
musste,  wenn  sie  ihn  liebte  (s.  208).  Sie  handelt,  wie  die  von  dem  geliebten  manne 
unverstandene,  vereinsamte  frau  handeln  muss.  Bei  der  Interpretation  der  scene 
zwisclien  Mariamne  und  Titus  (V,  6)  erinnert  Georgy  an  Antigene,  auch  ich  wüsste 
eine  scene  von  gleicher  erhabenheit  in  der  gesamten  modernen  tragödie  kaum  nach- 
zuweisen (s.  191).  Dagegen  vermisse  ich  eine  erklärung  des  auffallenden  Verhaltens 
des  Herodes  bei  seiner  zweiten  rückkehr  (IV,  8),  wo  gerade  auf  dem  höhepunkte  der 
Situation  das  menschliche  hinter  dem  staatsmännischen  auf  kurze  zeit  zurückzutreten 
scheint.  Diese  plötzliche  starre  kälte,  hinter  der  die  glut  der  leidenschaft  sich  birgt, 
um  bald  um  so  ungestümer  hervorzubrechen ,  scheint  mir  für  Hebbel  als  nordischen 
menschen  charakteristisch.  Derartige  momente,  in  denen  die  mächtig  flutende  hand- 
lung  sich  plötzlich  zu  stauen  beginnt,  findet  der  tiefer  dringende  blick  in  allen  seinen 
tragödien.  . 

Agnes  Bernauer.  Die  diesem  drama  von  Georgy  zugrunde  gelegte  idee  des 
Opfers,  der  beugung  des  einzelwesens  unter  die  gesamtheit  ist,  wie  bereits  oben  er- 
wähnt, die  der  Hebbelschen  tragödie  überhaupt.  Es  kann  sonst  nicht  bestritten  werden, 
dass  sie  bis  in  die  einzelheiten  geschickt  und  mit  feinstem  Verständnis  für  die  ab- 
siebten des  dichters  verfolgt  ist.  Georgy  erkennt,  dass  alle  bedeutenderen  träger  der 
handlung  opfern  müssen,  der  alte  Bernauer,  Theobald,  Agnes,  herzog  Ernst,  aber 
auch  Albrecht,  der,  was  man  übersehen  zu  haben  scheint,  seinerseits  das  grösste  opfer 
bringt,  indem  er  auf  die  räche  verzichtet.  Folglich  verteidigt  er  den  tieferschütternden, 
aber  eben  so  sehr  reinigenden  und  erhebenden  fünften  akt  gegen  die  missdeutungen  der 
kritiker.  Dass  reichsacht  und  kirchenbanu  nicht  das  mindeste  zur  inneren  lösung  des 
conflictes  beitragen,  nur  die  unantastbare  macht  der  Ordnung  gegenüber  der  auf  ihr 
natürliches  recht  pochenden  leidenschaft  äusserlich  symbolisieren,  wird  nachdrücklich 
betont.  Auch  nimmt  er  den  tragiker  in  schütz  gegen  diejenigen,  welche  noch  immer 
glauben,  er  habe  seine  von  wärmstem  leben  durchpulsten  gestalten  kalten  blutes  der 
staatsraison  preisgegeben,  dem  Staate  für  alle  zeiten  das  recht  zuschreiben  wollen,  über 
das  edel -menschliche  hinweg  zu  schreiten,  sobald  das  gemeinwol  es  erheischt. 
Gerade  dieser  auf  eine  so  scharfe  schneide  gestellten  tragödie  fehlt  es  nicht  an  dem 
ausblick  in  höhere,  reinere  Sphären,  in  zeiten,  die  das  trotz  wechselnder  formen  ewige 
gesetz  der  Wertlosigkeit  des  einzelnen  gegenüber  der  gesamtheit  nicht  mehr  mit  so 
grausigen  opfern  besiegeln  werden.  "Was  sich  uns  staubgeborenen  nicht  entwirrt,  löst 
sieh  in  himmlischen  akkorden.  "Wie  wolfeil  ist  es  doch  zu  sagen:  Herzog  Albrecht 
musste  auf  dem  schlachtfelde  sterben !  Eine  solche  capitulation  vor  der  Sentimen- 
talität wäre  alles  andere,  nur  nicht  in  Hebbels  sinn  gewesen,  sie  hätte  seinem  drama 
die  spitze  abgebrochen.  Der  dichter  wollte  in  seiner  Agnes  die  tragische  Stellung  des 
schönen  in  seiner  reinen  erscheinungsform  gegenüber  der  weit  darstellen.  Das  weist 
Georgy  mit  berechtigtem  spott  gegen  eine  philiströse  auffassung  des  tragischen  über- 
zeugend nach.  Auch  sonst  verdient  die  analyse  des  dramas  uneingeschränktes  lob, 
wie  die  des  „Herodes'^  Liebevoll  wird  das  kerndeutsche  in  Hebbel,  das  gerade  in 
diesem  „deutschen"  trauerspiel  herrlich  sich  offenbart,  beleuchtet.  Besonderer  er- 
wähnung  wert  sind  noch  die  von  tiefem  gefühl   und  feinem    Verständnis    zeugenden 

bemerkungen  Georgys  über  den  vierten  akt  des  dramas,   in  dem  er  mit  recht  den 

„gleichungspunkf'  der  tragödie  sieht  (s.  534  fg.). 

Gyges  und  sein  ring.     Hebl)el  schreibt  an  Friedrich  von  Uechtritz,  dass  die 

dee  der  sitte   als  die   alles  bedingende  und   bindende   ihm   zu   eigener  Überraschung 


ÜBER    IIKBREI,  -  UTTEPATnn  451 

nach  dem  abschluss  seiner  arbeit  aus  diesem  werte  aufgetaucht  sei.  Somit  befindet 
sich  Georgy  diesmal  im  schönsten  einverstündnis  mit  ihm.  Doch  der  dichter  spricht 
in  dem  briefe  nur  von  einem  „ideenhintergrunde",  der  das  bild  perspectivisch  ab- 
schliesse.  Georgy  macht  daraus  das  centrum,  um  das  er  die  porsonen  und  ihr 
Schicksal  herum  gruppiert,  wobei  eine  gewisse  nüoliternheit  der  betrachtung  auffällt, 
die  gerade  diesem  drama,  über  das  ein  mystischer  regenbogen  gespannt  ist,  nicht  ge- 
recht wird.  Jedesfalls  tritt  nur  die  Stellung  des  Kandaules,  den  Georgy  eingehend 
und  treffend  charakterisiert,  zu  diesem  ideencentrum  deutlich  hervor,  in  seiner  doppelten 
eigenschaft  als  gemahl  der  Rhodope  und  als  vielgeschäftiger,  freventlicher  neuerer  in 
den  versuchen,  die  lydischen  brauche  zu  reformieren.  Inwiefern  das  verhalten  Rho- 
dopes  oder  gar  des  Gyges  von  ihrer  auffassung  der  sitte  abhängt,  bleibt  trotz  der 
ausfühningen  auf  s.  267  fg.  im  dunkeln.  Es  würde  mich  zu  weit  führen ,  wenn  ich 
meine  auffassung  derjenigen  Georgys  entgegenstellen  wollte;  es  muss  genügen,  dass 
ich  sie  als  zu  eng  und  den  vollen  gehalt  des  dramas  nicht  ausschöpfend  bezeichne, 
was  übrigens  zu  dem  wolverstandenen  inhalt  der  obigen  briefstelle  nicht  in  wider- 
sprach steht.  Unter  den  feinsinnigen  bemerkuugen,  an  denen  auch  diese  analyse 
sonst  nicht  gerade  arm  ist,  ragen  besonders  diejenigen  über  das  rhythmisch -gedämpfte 
des  Schmerzes  und  der  leidenschaft  in  dieser  tragödie,  sowie  über  den  für  die  hand- 
lung  entbehrlichen,  aus  dem  gesamtgemälde  aber  überhaupt  nicht  wegzudenkenden  ring 
iervor  (s.  268;  s.  282).  —  Das  wort  „hermenwächter"  in  v.  358  wird  auf  s.  278/79 
jedesfalls  falsch  gedeutet;  es  soll  dadurch  doch  nur  der  in  den  äugen  der  Lyder  sünd- 
hafte tatenlose  müssiggang  des  königs  bezeichnet  werden. 

Die  Nibelungen.  (Idee:  durch  dienen  ziim  werden).  An  diesem  beispiel 
lässt  sich,  wie  bereits  fmher  angedeutet,  am  klarsten  nachweisen,  wie  weriig  bei  dem 
spüren  nach  Specialideen  der  Hebbelschen  dramen  herauskommt.  Man  wird  Georgy 
zugeben  müssen,  dass  der  gegensatz  und  feindliche  zusammenstoss  zwischen  heiden- 
tum  und  Christentum  eine  tragische  idee  nicht  ist;  es  ist  nur  der  hintergruud,  von  dem 
sich  das  gemälde  abhebt.  Auch  leugne  ich  nicht,  dass  die  durchführung  der  einmal  auf- 
gestellten idee  geistvoll  ist,  soweit  sie  überhaupt  möglich  war.  Dass  Hagen,  dessen 
Weltanschauung  freilich  mit  unrecht  „religiös"  genannt  wird  (s.  290)  zum  tragischen 
ende  prädestiniert  ist,  weil  er  einer  dem  Untergänge  geweihten  weit  mit  ganzer  kraft 
dient,  dass  er  im  dienen  nicht  wird,  auch  Siegfried  nicht,  weil  sein  naives  helden- 
tum  nichts  weiss  von  sich  und  der  weit,  dass  im  gegensatz  zu  ihnen  Diet- 
rich dem  weltenplane  dient  und  bis  zum  schluss  im  dienen  wächst  und  wird, 
ist  fein  beobachtet.  Lobenswert  ist  auch  die  verständnisvolle  betonung  des  mensch- 
lichen in  Dietrich  wie  in  Etzel,  die  viele  beurteiler  kalt  und  schablonenhaft  gefunden 
haben.  Was  soll  es  aber  heissen,  wenn  daraus,  dass  die  in  ihrem  tiefsten  empfinden 
tötlich  getroffene  Kriemhild  nicht  „dient",  eine  Verschuldung  ihrerseits  abgeleitet 
wird?  (s.  298 fg.).  Das  ist  mir  ganz  unverständlich.  Georgy  hätte  bedenken  müssen, 
dass  Hebbel  in  der  zunächst  ungedrackt  gebliebenen  vorrede  zu  der  trilogie  aus- 
drücklich davor  warnt,  in  dem  drama  etwas  anderes  zu  suchen  als  —  der  nibelunge 
not.  In  dem  Stoffe,  der  handlung  wie  den  menschen,  lag  das  in  seinem  sinn  tragische. 
"Weil  hier  sich  „schuld  in  schuld  so  fest  verbissen"  hatte,  da.ss  niemand  den  kuäucl 
lösen  konnte,  weil  alle  recht  hatten,  Hagen  sowol  wie  Kriemhild,  weil  die  dämonische 
Verkettung  zwischen  mensch  und  Schicksal  bis  zur  entsetzlichen  schlusskatastropho 
durch  die  eigenart  der  menschen,  nur  durch  sie,  bedingt  war,  schien  Hebbel  seine  all- 
gemeine tragische  idee  in  dem  mittelalterlichen  epos  verleiblicht,  in  dessen  Schöpfer 
er  den  grossen  dramatiker  zu  erkennen  glaubte.     Deshalb  wurde  er  der  „dolmetsch" 

29* 


452  kätjffmann 

der  stammelnden  germanischen  weit  und  fügte  mit  aufbietung  seiner  reifen  kunst  die 
zerstreuten  epischen  züge  zu  einer  tragischen  kette.  Mehr  braucht  zum  Verständnis 
des  gewaltigen  werkes  nicht  gesagt  zu  werden.  Höchstens  wäre  noch  hinzuzufügen, 
worauf  Georgy  gelegenthch  hindeutet,  dass  ähnliche  conflicte  unter  anderen,  ge- 
mässigteren  formen  widerkeliren  können,  sobald  eine  ,, weitenwende",  wie  eben  jener 
kämpf  zwischen  heidentum  und  Christentum,  die  geister  scheidet.  Selbst  dieser 
tragödie  fehlt  es  somit  nicht  an  der  „modernität"  im  besten  sinne  des  wortes.  Der 
dichter  mutet  uns ,  obgleich  er  sich  vor  einer  abschwächung  des  mythischen  ängstlich 
hütet,  keine  Sympathie  mit  übernatürlichen  erscheinungsformen  der  leidenschaft  zu, 
(die  für  immer  versunken  sind)  was  Ibsen  in  seinen  Flaermaendene  paa  Helgeland  ohne 
frage  tut. 

KIEL.  H.    KRUMM. 


Schlemm,  Julie,  Wörterbuch  zur  Vorgeschichte.  Ein  hilfsmittel  beim  Studium 
vorgeschichtlicher  altertümer  von  der  paläolithischeu  zeit  bis  zum  anfange  der 
provinzial- römischen  kultur  mit  nahezu  2000  abbildungen.  Berlin,  D.  Reimer 
(E.  Vohsen)  1908.     XVI,  689  s.     Geb.  20  m. 

Dank  der  einsieht  arbeitsfreudiger  gelehrter  ist  in  der  jüngsten  zeit  ein  ent- 
scheidender Umschwung  der  methode  etymologisch  -  historischer  forschung  eingetreten. 
Früher  beschränkte  sich  das  etymologische  geschäft  auf  rein  formale,  lautgeschicht- 
liche principien.  Jetzt  aber  sollte  man  in  unsern  hörsälen  und  seminarien  von  eherneu 
tafeln  das  kenuwort  Jacob  Grimms  leuchten  lassen :  „Sprachforschung,  der  ich  anhänge 
und  von  der  ich  ausgehe,  hat  mich  doch  nie  in  der  weise  befriedigen  können,  dass 
ich  nicht  immer  gern  von  den  Wörtern  zu  den  Sachen  gelaugt  wäre."  Wie  ein  von 
Schattenbildern  bevölkerter  räum  gähnen  uns  die  lexikalischen  hilfsmittel  an,  deren 
wir  uns  bei  dem  etymologischen  verfahren  zu  bedienen  pflegen.  Da  wird  mit  den 
Wörtern  umgesprungen,  als  beständen  sie  aus  nichts  weiter  denn  aus  ihren  grammati- 
schen formen  oder  gar  nur  aus  ihren  lettern;  dass  die  Wörter  nur  ausdrucksformen 
von  Sachen  oder  beziehungen  sind,  wird  uns  in  der  mehrzahl  der  fälle  gar  nicht  be- 
wusst;  geschweige  denn,  dass  der  durchschnittslexikograph  das  bedürfnis  verspürte, 
sich  mit  etwas  anderem  als  mit  etymologischen  wortgleichungen,  mit  belegstellen  und 
mit  freikonstruierten  schematen  der  bedeutungsentwicklung  zu  befassen.  In  dieser 
dürftigen  einseitigkeit  enthüllt  sich  uns  die  erschreckende  rückständigkeit  unserer 
wörterbucharbeit;  der  lexikograph  glaubt  seine  Schuldigkeit  getan  zu  haben,  wenn  er 
den  Sprachgebrauch  an  belegserien  veranschaulicht  und  etymologische  entsprechungen 
aus  näher  oder  entfernter  verwandten  Idiomen  ebenso  aneinanderreiht.  Wer  fragt 
ernsthaft  danach,  was  denn  die  Wörter  als  ausdrücke  für  sachen  bedeuten  und  wie 
sie  unserer  anschauung  näher  gebracht  werden  können"? 

Rühmliche  ausnahmen  bilden  die  vorbildhchen  arbeiten  eines  Meringer  und 
Hoops.  Namentlich  J.  Hoops  hat  durch  die  „AValdbäume"  und  die  in  den  Anglisti- 
schen forschungen  niedergelegten  specialarbeiten  seiner  schüler  bahn  gebrochen 
und  eine  Verbindung  zwischen  germanistischer  wort-  und  sachforschuug  auf  einzel- 
sprachlichem gebiet  hergestellt,  die  sich  bewährt  hat  und  die  älteren  etymologischen, 
rein  formalistischen  arbeiten  für  uns  mit  der  zeit  ungeniessbar  machen  wird. 

Wenn  es  des  deutscheu  philologen  höchste  aufgäbe  ist,  der  geschichte  unseres 
Volkes  das  bett  von  der  spräche  her  aufzuschütten,  muss  er  in  ganz  anderem  umfang, 
als  die  rein   linguistischen   Strömungen   es  gestatteten,    mit   den   realieu    unseres  ge- 


ÜBER   JULIK    SCHLEMM.    WÖRTERJiUClI    ZUK    VORGESCHICIITK  453 

schichtlichen  lebens  vertraut  gemacht  werden.  "Wie  soll  der  pliilologe,  dem  die 
deutschen  altertümer  itnter  sieben  siegeln  versiegelt  sind,  eine  anschauliche  erkonntnis 
dos  deutscheu  altertums  aus  der  alten  deutschen  spräche  gewinnen?  Es  bleibt  bloss 
der  ausweg,  dass  das  linguistische  Studium  des  philologen  durch  archäologische  for- 
schuugen  ergänzt  werde,  damit  er  seiner  wissenschaftlichen  aufgäbe  herr  zu  worden 
und  die  Sprachüberlieferung  in  ihrer  totalität  zu  bewältigen  lerne.  Wie  der  gang 
der  dinge  im  jüngsten  decennium  gezeigt  hat,  muss  der  philologe  in  erster  linio  mit 
der  sogenannten  präliistorischen  archäologie  schritt  halten  und  sein  positives  wissen 
dadurch  bereichern,  dass  er  sich  aneigne,  was  durch  die  Wissenschaft  des  Spatens 
ans  licht  gebracht  und  den  philologisch -historischen  kombinationen  zugänglich  gemacht 
worden  ist.  Es  muss  daiiin  kommen,  dass  auch  der  philologe  wie  der  künstler  — 
nach  einem  treifenden  ausspruch  Rudolf  Hildebrands  —  nicht  mehr  bloss  in  werten, 
sondern  in  sachen  denke:  dann  erst  wird  die  deutscho  philologie  zur  altertumswissen- 
schaft  werden  und  im  stände  sein,  der  geschieh te  unseres  volks  das  bett  von  der 
spräche  her  stärker  aufzuschütten.  Falls  die  zeichen  der  zeit  nicht  trügen,  scheinen 
sich  solche  hoffnungen  fortan  nicht  mehr  als  chimären  abweisen  zu  lassen.  Der 
plan  eines  grossen  Sammelwerks  Monuvienta  artisOermaniap,  ist  bereits  zu  einer  öffent- 
lichen angelegenheit  geworden  und  wir  haben  vernommen,  dass  endlich  auch  unserer 
vaterländischen  kunst  die  stunde  der  erlösung  geschlagen  hat.  Insbesondere  muss  dafür 
gewirkt  werden ,  dass  bei  dieser  gelegenheit  diekleinkunst  des  deutschen  alter- 
tums nicht  zu  kurz  komme  und  dass  zum  mindesten  ein  erschöpfender  generalkatalog 
unserer  vaterländischen  altertümer  in  angriff  genommen  werde.  Denn  es  gebricht  in 
Deutschland  sogar  an  den  selbstverständlichsten  und  unentbehrlichsten  hilfsmitteln 
archäologischer  forschung  auf  heimischem  feld.  Wir  besitzen  zwar  vaterländische 
altertumsmuseen ,  aber  es  gehört  zu  den  ausnahmen ,  wenn  ein  einigermassen  auf  die 
cinzelbestände  eingehender  katalog  verfasst  worden  ist.  Wir  hegen  darum  die  be- 
stimmte erwartung,  dass  diesem  beschämenden  zustand  durch  die  Monuthenta  artis 
Germaniao  baldigst  ein  ende  gemacht  werde. 

Inzwischen  kann  das  „Wörterbuch  zur  Vorgeschichte"  als  notdürftiger  ersatz 
dienen.  Julie  Schlemm  hat  aber  leider  vor  den  denkmälern  des  römischen  kultur- 
cinflusses  halt  gemacht'  und  nur  ein  bruchstück  unserer  prähistorischen  archäologie 
geliefert.  Doch  sollen  wir  auch  diesen  torso  mit  dank  entgegennehmen,  weil  es  darauf 
ankommt,  dass  von  Sachkennern  die  archäologischen  materialien  endlich  den  philulogcn 
so  bequem  wie  möglich  handgreiflich  gemacht  werden. 

Über  die  Sachkenntnis  der  Verfasserin  des  vorliegenden  Wörterbuchs  kann  kein 
zweifei  bestehen.  In  langjähriger  erfahrung  an  den  Berliner  Sammlungen  hat  sie,  wie 
ihre  nicht  gerade  schönen  aber  doch  charakteristischen  Zeichnungen  verraten ,  ihr  äuge 
auf  die  wesentlichen  merkmale  der  form  einzustellen  gelernt  und  dass  sie  ihrem 
Wörterbuch  nahezu  2000  umrisszeichuungen  beigegeben  hat,  ist  besondorn  dankes  wert. 
Weniger  befriedigt  mich  der  wörterbuchtext.  Die  Stichwörter,  unter  die  die  emzel- 
dinge  katalogisiert  wurden,  hemmen  nicht  selten  unser  Orientierungsvermögen:  es  ist 
aber  den  fatalsten  übelständen  von  der  Verfasserin  dadurch  abgeholfen  worden,  dass 
sie  auf  s.  677fgg.  ein  register  beigegeben  hat,  das  jeder,  der  mit  dem  wörterbuchc 
arbeiten  will,  am  zweckmässigsten  zuallererst  befragen  sollte;  hier  (indet  er  z.  b.  unter 
dem  Stichwort  „Schwerter"  die  vielen   stellen  vereinigt,   auf  die  von   der   verfa.sserin 

1)  Weshalb  die  gesteckte  grenze  bei  schere,  schild,  sporn  u.  a.  überschritten, 
ein  artikel  „fibel  mit  umgeschlagenem  fuss"  (s.  031)  und  sogar  .."in  artikol  „schläfon- 
ringe"  (s.  521)  aufgenommen  wurde,  vermag  ich  nicht  zu  sagen. 


454  KAUFFMANN 

die  archäologischen  einzelfornien  der  Schwerter  verzettelt  worden  sind^  Im  übrigen 
ist  das  , Wörterbuch"  technisch  so  disponiert,  dass  die  Verfasserin  zuerst  die  bunt- 
seheckige  terminologie  eines  archäologischen  typus  verzeichnet,  darauf  folgt  eine  ana- 
lytische beschreibung  oder  eine  begriffliche  definition,  welche  die  meinungsverschieden- 
heit  beteiligter  forscher  zu  berücksichtigen  gestattet.  Am  schluss  des  einzelnen  Wörter- 
buchartikels folgen  die  rubriken,  in  denen  über  die  Zeitbestimmung,  die  fundorte  und 
die  litteratur  auskunft  gegeben  wird.  In  den  litteraturberichten  macht  sich  zu  meinem 
leidwesen  der  übelstand  bemerkbar,  dass  die  älteren  publikationen  weit  ausgiebiger 
als  die  neuesten  f unde  citiert  wurden ;  die  f orderung  ist  nicht  unbillig ,  dass  der  neueste 
stand  der  dinge  zur  geltung  komme  und  dass  solch  wichtige  werke,  wie  Montelius 
Kulturgeschichte  Schwedens  (190G)  oder  auch  Willers  Bronzeeimer  (1901/1907)  oder 
Quillings  Nauheimer  funde  (1903)  —  die  durchaus  nicht  bloss  typen  der  provincial- 
römischen  kultur  behandeln  —  nach  gebühr  hätten  genannt  werden  sollen:  auch  die 
grabfelder  der  älteren  eisenzeit  in  Mecklenburg  von  Beltz  (Jahrbücher  d.  Vereins  f. 
mecklenburgische  geschichte  1906)  scheinen  unberücksichtigt  geblieben  zu  sein-;  aus 
der  Specialliteratur  könnten  natürlich  weit  mehr  nachtrage  geliefert  werden;  ich  ver- 
misse namentlich  reichlichere  hinweise  (vgl.  s.  313)  auf  die  Jahresschrift  für  die  vor 
geschichte  der  sächsisch-thüringischen  länder^.  Ein  anderer  recht  ärgerlicher  übel- 
stand ist  es,  dass  die  abbildungen  nicht  lokalisiert  worden  sind;  es  musste  bei 
jeder  einzelnen  figur  angegeben  werden,  wo  der  abgebildete  gegenständ  gefunden  worden 
ist,  oder  wenigstens,  wenn  die  fundorte  nicht  ermittelt  werden  konnten,  wo  er  auf- 
bewahrt wird;  so  wie  sie  von  Schlemm  veröffentlicht  sind,  machen  die  stücke  einen 
vaterlandslosen  eindruck,  der  das  gesamtbild  um  seine  besten  Wirkungen  bringt.  Ein- 
zelne artikel  sind  völlig  ungenügend,  z.  b.  „Depotfunde"  (s.  91,  wo  man  über  eine 
reiche  fundserie  nicht  einmal  die  zugänglichste  litteratur  verzeichnet  findet)  oder  „Feuer- 
stein-dolche"  (s.  99fg.,  vgl.  s.  318fgg. :  hier  sind  diese  technisch  bewundernswerten 
erzeugnisse  nach  ihrer  Verbreitung  nicht  genügend  mit  den  werten  „vornehmlich  in 
Scandiuavien"  bestimmt;  dazu  fehlt  die  hauptstelle,  wo  S.  Müller  über  sie  gehandelt 
hat:  Nord,  fortidsminder  1,  125  fgg.);  zu  den  bronzenadeln  mit  schräg  abwärts  durch- 
bohrtem kugelkopf  wäre  Kossinna,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1902,  195  zu  eitleren  gewesen, 
derselbe  spricht  am  gleichen  ort  über  manschetten-armhänder  (vgl.  Schlemm  s.  385 fg.); 
der  artikel  „Hängegefässe"  (s.  222  fgg.,  dazu  s.  178  fgg.)  muss  auf  gmnd  der  ausfüh- 
rungen  von  Neergaard  (Nord,  fortidsminder  1,  69 fgg.)  neu  bearbeitet  werden;  hätte 
die  verf.  diese  grundlegende  arbeit  gewürdigt,  würde  sie  wol  auch  die  gelegenheit 
ergriffen  haben,  einen  selbständigen  artikel  über  die  geschichte,  die  technik  und  den 
Stil  des  Ornaments  der  bronzezeit  eingeschaltet  haben;  es  ist  in  dem  artikel  „Bronze- 
zeit" (s.  69)  sogar  versäumt  worden,  anzudeuten,  dass  die  gliederung  dieser  periode 
auf  grund  der  Ornamente  vorgenommen  zu  werden  pflegt;  bei  den  für  die  norddeutsche 
Steinzeit  diQ  bedeutung  eines  leitfossils  besitzenden  kragenüaschen  (s.  156  fg.)  fehlt  u.  a. 
(vgl.  Schlemm  s.  582)  ein  hin  weis  auf  Boehlau-Gilsa,  Neolithische  denkmäler  aus 
Hessen  (1898);   bei  den  Gesichtsurnen  (s.  173 fgg.)  vermisse  ich  die  Verwertung  der 

1)  In  einzelfällen  versagt  auch  das  register;  z.  b.  die  steinzeitlichen  mulden- 
gräber  kann  man  nur  zufällig  auf  s.  254  auffinden. 

2)  Schon  in  bibliographischer  hinsieht  ist  das  s.  XI fgg.  aufgestellte  Verzeichnis 
vielfach  ungenau  und  durch  störende  druckfehler  entstellt. 

3)  Ich  erinnere  beispielshalber  an  die  interessanten  grabhäuser  im  Leubinger 
und  Helmsdorfer  hügel  oder  an  die  „schwertstäbe"  (bd.  IV,  taf.  II fgg.),  die  s.  546 fg. 
nachzutragen  sind. 


ÜBER    FOHRER,    RKALLEXIKON    DER    l'RAIllSTOR.    ALTERTÜMER  455 

in  den  Nachrichten  über  deutsche  altertumsfunde  1904,  s.  51  fgg.  besprochenen 
stücke;  unter  den  giirteln  (s.  197 fg.)  fehlen  die  sog.  holsteinischen  cxemplare.  die 
J.  Mestorf  in  den  Mitteilungen  des  anthropol.  Vereins  mustergültig  bearbeitet  hat';  die 
liünenbetten  (s.  255 fg.)  sind  am  schönsten  in  Madsens  Gravhoje  zur  darstellung  ge- 
bracht worden^;  unter  den  belegen  für  die  steinzoitliche  keramik  fehlen  die  aus  den 
abfallhaufen  bekannten,  in  ähnlicher  form  in  Süd-  und  "Westdeutschland  widerkehren- 
deu  typen  mit  spitz  zuhiufondcm  boden  (vgl.  Schlemm  s.  410,  566);  der  grosse  silber- 
kessel  von  Gundestrup  (s.  280  fg.)  hat  eine  des  ausserordentlichen  fundes  würdige  dar- 
stellung in  den  Nord,  fortidsminder  (1,  95  fgg.)  gefunden;  unter  „trinkhorn"  (s.  623 fg.) 
wird  als  Zeitbestimmung  „Uallstaltzeit"  angegeben  und  nur  das  irdene  trinkhorn  auf- 
geführt: es  wäre  zu  wünschen  gewesen,  dass  zum  mindesten  auch  das  kuhhom  (Boye, 
Egekister  s.  120)  aufnähme  gefunden  hätte;  aber  weit  bedauerlicher  ist  die  lücke,  die 
dadurch  in  dem  AVorterbuch  zur  Vorgeschichte  klaift,  dass  die  altgermanische  Volks- 
tracht keine  berücksichtigung,  ja  dass  nicht  einmal  „Wolle"  und  „Leinwand"  eine  be- 
sprechuug  gefunden  haben.  Unter  der  Voraussetzung  des  anerkenntnisses,  dass  die 
Wörterbuchartikel  der  Verfasserin  erheblich  ergänzt  werden  müssen ,  mögen  sie  fleissiger 
benutzung  empfohlen  bleiben,  bis  sie  durch  eine  erschöpfendere  publikation  ersetzt  sind. 

1)  Vgl.  dazu  Beltz  in  den  Mecklenbnrgischon  Jahrbüchern  71,  81  fg. 

2)  Dieses  werk  citiert  Schlemm  erst  s.  340  fg.  unter  dem  Stichwort  Megalith -griiber. 

KIEL.  FRIEDRICH   KAUFFMANN. 


Forrer,  Robert,  Keallexikon  der  prähistorischen,  klassischen  un-d  früh- 
christlichen altertümer.  Mit  3000  abbildungen.  Berlin -Stuttgart,  W.  Spe- 
mann  s.  a.  (1908).     VIII,  943  s.     Geb.  28  m. 

Dieses  werk  ist  auf  die  bedürfnisse  und  den  geschmack  der  allzuvielen  ein- 
gerichtet, die  hier  wie  in  einem  sog.  Warenhaus  alle  möglichen  antiquitäten  beisammen 
finden,  die  irgendwie  zum  gesprächsthema  werden  könnten.  Der  verf.  hat  versucht,  in 
diesem  lexikon  eine  Verschmelzung  vorzunehmen,  wie  sie  bis  jetzt  noch  bei  keinem, 
verwandten  unternehmen  vollzogen  worden  ist ...  „die  prähistorischen  altertümer  habe 
icli  durch  metall-  und  Steinzeit  zurück  bis  in  die  tertiärzeit  verfolgt,  den  klassischen, 
griechischen  und  römischen  altertümern  die  frühchristlichen  und  die  der  völker- 
wanderangszeit  angereiht  und  selbst  die  ägyptischen  und  assyrischen  soweit  als  ver- 
gleichsmaterial  herangezogen,  als  ich  es  für  notwendig  und  tunlich  erkannte".  An- 
gesichts der  früheren  Icistungen  des  Verfassers'  wird  man  eine  ernste  wissenscliaftliche 
formulierung  der  einzelnen  artikel  seines  Reallexikons  erwarten.  Wir  hatten  daher 
zu  prüfen,  wie  es  sich  mit  den  auf  die  deutsche  altertumskunde  entfallenden  Stich- 
wörtern verhält.  Sie  sind  nicht  gering  an  zahl,  aber,  was  die  Illustrationen  betrifft, 
nicht  so  begünstigt,  wie  etwa  die  der  griechischen  kunstgeschichte  angehörenden  ab- 
teilungen.  Ein  besonderer  übelstand  sind  im  text  die  mit  wenig  ausnahmen  (vgl. 
„Dörfer")  unzulänglichen  Htteraturangaben  und  die  empfindhche  Zurücksetzung  der 
heimatlif-hen  belege  hinter  die  der  klassischen  oder  der  keltischen  volker  (vgl.  z.  b. 
unter  „aexte"  oder  „tempel"  oder  „nordische  bronzezeit"  oder  „reihcngräber").  Im 
einzelnen  stösst  man  hier  und  da  auf  beachtenswerte  neue  kombinationen,  so  z.  b, 
vermutet  Forrer  (s.v.  „armbänder  und  -ringe"),  dass  das  verschwinden  der  armringe 

1)  Vgl.  z.  b.  die  artikel  „Achenheim"  oder  „Odilienberg"  oder  „Hockergräber" 
oder  -Münzen"  oder  auch  taf.  63. 


456  KA.UFFMANN 

aus  der  Volkstracht,  wie  es  seit  der  La  Tene-zeit  beobachtet  werden  kann,  mit  der 
Verwendung  des  armringes  als  geld  in  ursächlichem  Zusammenhang  stehe  (s.  41); 
aber  das  norddeutsche  und  skandinavische  fundgebiet  ist  so  stiefmütterlich  behandelt 
(vgl.  z.  b.  „bernstein",  „filigran"  u.a.),  dass  der.germanist  nicht  um  sich  beraten  zu 
lassen,  sondern  nur  zur  Vervollständigung  seiner  hilfsmittel  dieses  Forrerscbe  nach- 
schlageAA'erk  berücksichtigen  wird. 

KIEL.  FRIEDRICH   KAUFFMANN. 


Kiekebnscli,  Albert,  Der  einfluss  der  römischen  kultur  auf  die  germani- 
sche im  Spiegel  der  hügelgräber  des  Niederrheins.  Nebst  einem  au- 
hang':  Die  absolute  Chronologie  der  augenfibel.  Stuttgart  1908,  vorlag  von  Strecker 
&  Schröder.  92  s.  2,70  m.  (=Studien  und  forschungen  zur  menschen- 
und  Völkerkunde  unter  wissenschaftlicher  leitung  von  Georg  Buschan  III). 
Die  hügelgräber  des  Niederrheins,  die  in  dieser  Berliner  dissertation  behandelt 
werden,  liegen  in  den  regierungsbezirken  Düsseldorf  und  Köln.  Der  verf.  nennt 
s.  32fgg.  1.  das  gräberfeld  bei  Duisburg  (von  Grossenbaum  bis  zur  Ruhr),  2.  Marxloh 
(kr.  Ruhrort),  3.  kloster  Hamborn  (kr.  Ruhrort),  4.  Golzheimer  beide  (kr.  Düsseldorf), 
5.  kr.  Düsseldorf,  6.  kr.  Mühlheim  a.  Rh.  (Dünnwald,  Delbrück,  Thuru,  Heumar, 
Leidenhausen,  "Wahn  bei  Scheuerbusch),  7.  kr.  Solingen  (Morsbroich,  Schlebuscher 
beide),  8.  kr.  Sieg  (Troisdorf,  Altenrath,  Schreck,  Niederpleiss,  Lohmar,  Siegburg), 
9.  kr.  Rees  (Emmerich),  10.  kr.  Gladbach  (Rheindahlen),  11.  kr.  Geldern  (Calbeck), 
12.  kr.  Cleve  (Uedem,  Pfalzdorf).  Diese  begräbnisplätze  zerfallen  in  zwei  gruppen: 
1 — 9  sind  rechtsrheinisch,  10 — 12  linksrheinisch.^  Nun  behauptet  K.  in  dem 
rechtsrheinischen  der  hauptsache  nach  zwischen  Sieg  und  Ruhr  sich  erstreckenden 
hügelgräbergebiet  hätten  Germanen  gewohnt  (s.  56).  „Das  land  rechts  vom  Nieder- 
rhein (von  Rheinbrohl  bis  zum  Bataverlande)  war  bekanntlich  trotz  aller  expeditionen 
niemals  unbestritten  römischer  besitz.  Die  kastelle  an  der  Lippe  waren  doch  nur 
einzelne  punkte  mitten  im  feindlichen  lande  und  auch  sie  konnten  in  den  jähren  9 — 15 
n.  Chr.  nicht  gehalten  werden.  Die  Germanen  rechts  vom  Niederrhein  waren  also 
frei"  (s.  65).  Ich  muss  diese  behauptung  ablehnen,  denn  das  rechtsrheinische  land 
zwischen  Sieg  und  fossa  Dntsiana  gehörte  den  niederrheinischen  legionen  und  diese 
haben  eifersüchtig  darüber  gewacht,  da.ss  es  nicht  wider  von  Germanen  besiedelt 
werde,  seitdem  es  den  Sugambrern,  Marsern  und  Brukterern  (a.  16,  Ann.  2,  25)  kon- 
fisciert  worden  war.  Ansiedelungen  fremder  national ität  wurden  hier  nicht  geduldet, 
so  begehrlich  auch  die  äugen  der  benachbarten  Germanen  auf  diesem  transrhenanischen 
confinium  der  Römer  nahten.  Es  meldeten  sich  Friesen :  Verritus  und  Malorix  machten 
mit  ihrer  gefolgschaft  auf  den  „herrenlosen"  ländereien  am  Rheinufer  halt,  bauten 
sich  an  und  wichen  nicht,  als  der  römische  kommandant  mit  Waffengewalt  drohte. 
Sie  beriefen  sich  auf  ihre  gutrömische  gesinnung,  reisten  nach  Rom,  um  persönlich 
bei  kaiser  Nero  vorstellig  zu  werden.  Der  kaiser  verlieh  den  beiden  Friesen fürsten 
das  römische  bürgerrecht,  befahl  ihnen  aber,  die  domäne  zu  verlassen;  die  Weisung 
fruchtete  zunächst  nichts;  erst  einer  berittenen  römischen  polizeiabteilung,  die  auf 
die  unerwünschten  kolonisten  einhieb,  gelang  es,  dem  kaiserlichen  befehl  gehorsam 
zu  verschaffen  (Ann.  13,  54).    Als  die  Friesen  abgezogen  waren,  erschienen  Amsiwarier 

1)  Unter  den  litteraturangaben  vermisse  ich:  F.  Janssen,  Gedenkteekenen  der 
Germanen  en  Romeinen  an  den  linker  oever  van  den  Neder-Rijn.     Utrecht  1836. 


ÜBER  KIEKEBUSCn,    DER  EINFLUSS  DER  RÖMISCHEN  KULTUR  AUF  DIE  GERMANISCHE  457 

unter  dem  alten  recken  Boiocalus.  Im  rechtsrheinischen  Ödland  der  legionen  lagen 
die  äcker  brach,  die  er  suchte.  Der  römische  Statthalter  erklärte  sich  zwar  bereit, 
ihm  einen  gutsbezirk  anzuweisen,  damit  wollte  er  sich  nicht  zufrieden  geben  und 
•j;edachte  durch  Widerspenstigkeit  seine  weitergehenden  forderungen  durchzusetzen. 
Das  ende  war,  dass  die  heimatlosen  Amsiwarier  mit  Waffengewalt  zu  den  Chatten 
verjagt  wiu'den  (Ann.  13,  .15.  50).  Nach  dem  jähr  70  hat  eine  grosse  römische  militär- 
ziegelei  auf  diesem  rechtsrheinischen  Ödland  gelegen,  alle  datierbaren  ziegel  gehören  in 
die  zeit  von  a.  89 — 105  n.  Chr.  (Bonn,  jahrb.  CXI,  291  fgg.).  Mit  der  behauptung 
des  verf.,  rechtsrheinisch  zwischen  Sieg  und  fossa  Drusiana  hätten  Germanen  und 
zwar  freie  Germanen  in  der  frühen  römischen  kaiserzeit  gesiedelt,  ist  es  demnach 
übel  bestellte  Die  aus  den  hügelgräbern  jenes  tcrritoriums  gehobenen  fundstückc 
waren  von  römischen  münzen  begleitet  und  verraten  auch  sonst  so  klare  römische 
beziehungen,  dass  K.  die  gräber  bis  tief  in  die  römische  kaiserzeit,  bis  ins  2.  jh.  n.  Chr. 
geb.  hinabreichen  lässt  (s.  49  fgg.,  vgl.  s.  62  fg.).  Die  hinterlassenschaft  der  gräber  ist 
nun  aber  so  dürftig  und  armselig,  unterscheidet  sich  so  völlig  von  den  bekaimten 
Germanengräbern  ebenderselben  epoche,  dass  man  wol  nur  an  eine  ärmliche  sklaven- 
und  kolonenbevölkeruug  linksrheinischer  (kolonialgermanischer V)  herkunft  denken  darf. 
Ganz  abenteuerlich  sind  des  verf.  argumente,  durch  die  er  den  terminus  a  quo  der 
hügelgräber  ins  8.  vorchristliche  jh.,  in  die  Hallstattzeit  zurückzudatieren  unternimmt. 
Diese  Kheingermanen  (nördlich  der  Sieg)  sollen  auf  der  stufe  der  Hallstattkultur  stehen 
geblieben  sein  (s.  63).  Solch  beispiellose  rückständigkeit  einer  germanischen  bevölke- 
rung  unmittelbar  an  der  römischen  grenze  steht  in  absolutem  gegeusatz  zu  der  be- 
kannten tatsache,  dass  die  am  römischen  grenzsaum  siedelnden  Germanen  fortgeschrittener 
in  ihrer  kultur  waren,  als  die  Germanen  des  binnenlandes -.  Dafür  liegen  nicht  bloss 
litterarische,  sondern  auch  archäologische  beweisstücke  vor.  Aber  K.  bleibt  dabei: 
„von  einer  einwirkung  Roms  auf  die  freien  Germanen  am  Niederrhein  kann  nicht  die 
rede  sein.  Dafür  sind  uns  die  hügelgräber  beredtes  zeugnis.  Wol  waren  römische 
münzen  und  einzelne  römische  gerate  im  besitze  der  Germanen;  wol  benutzten  diese 
während  der  mittleren  kaiserzeit  sogar  römische  terrasigillatagefässe  als  graburnen. 
Ich  habe  nicht  ein  einziges  germanisches  gefäss  aus  niederrheinischen  hügelgräbern 
ausfindig  machen  können,  das  auch  nur  eine  spur  von  römischem  einfluss  verriete" 
(s.  <>5).  Eben  auf  grund  dei-  keraniik  führt  unser  autor  die  hügelgräber  teilweise  bis 
in  die  Hallstattzeit  zurück:  er  will  bewiesen  haben,  „daß  die  träger  der  hügelgräber- 
kultur  auch  zur-  kaiserzeit  in  der  keramik  noch  auf  der  stufe  der  Hallstattkultur 
.standen"  (s.  45).  Solche  absonderlichkeiten  mutet  uns  ein  autor  zu,  der  sich  zu  der 
lehre  bekennt:  „der  wert  der  tongefässe  beruhe  geradezu  auf  der  Zerbrechlichkeit  des 
materials.  Durch  eine  münze  wird  uns  immer  nur  der  terminus  post  quem  angegeben; 
sirherer  i.st  schon  eine  fibel.  Wo  aber  wäre  der  topf  oder  die  schale  oder  sonst  ein 
stück  des  täglichen  gebrauchsgesclTirres,  das  ein  Jahrzehnt  oder  gar  zwei  Jahrzehnte 
überdauert  hätte"  (s.  36).     Auch   fügt  der  verf.  ausdrücklich   bei,  dass  wir  es  zwar 

1)  „Das  zurückgehen  der  Römer  am  Niederrhein  ist  kein  vollkommenes  ge- 
wesen. Dass  auch  nach  Nero  keine  änderung  eingetreten  ist,  hat  jetzt  Lebner  dar- 
getan. Die  Römer  liaben  in  der  üavischen  zeit  am  Niederrhein  auf  dem  rechten  ufer 
dos  flusses  eine  grosse  militärische  centralziegelei  besessen.  Das  setzt  voraus,  dass 
auch  in  Untergermanien  der  fluss  wenigstens  stellenweise  überschritten  war"  Korne- 
mann,  Klio  7  (1907),  82.  Vgl.  schon  Koenen,  Bonn.  Jahrb.  85,  150:  „Die  Römer 
müssen  in  näherer  beziehung  zu  der  rechtsrheinischen  bevölkcrung  gestanden  haben." 

2)  Koenen  dachte  deshalb  wol  an  die  aus  dem  inneren  zugewanderten  Tenc- 
terer  und  üsipier  (Bonn,  jahrb.  85,  150). 


458  K.VUI'FMAN.N 

iu  den  gräbeni  mit  gefässen  zu  tun  haben,  die  dem  täglichen  gebrauch  entzogen 
worden  sind,  die  sich  jedoch  „sicher"  recht  wenig  von  den  täglichen  gebrauchsgefassen 
unterschieden  haben. 

Als  seine  aufgäbe  betrachtete  es  K.,  material  für  die  schon  von  Drageudorf 
gestellte  frage  zu  sammeln,  von  wann  an  man  etwa  bei  den  freien  Germanen  am 
untern  Rhein,  die  der  römischen  grenze  so  nahe  wohnten,  römischen  einüuss  im  ein- 
heimischen handwerk  nachweisen  könne  (s.  4).  Den  römischen  einfluss  bezieht  der 
autor  nicht  auf  den  Import  römischer  waren,  sondern  auf  den  Umschwung  der  hei- 
mischen technik  (s.  7 fg.);  er  will  ausmachen,  seit  wann  z.  b.  die  altgermanische  keramik 
römischen  mustern  gefolgt  ist  —  wie  das  beiwort  „römisch"  gemeint  sei,  wird  von 
ihm  s.  6fgg.,  19  fg.  erläutert  —  er  unterscheidet  eine  frühe  kaiserzeit  (13  v.  Chr.  bis 
70  n.Chr.)  von  einer  mittleren  (83  —  200  n.  Chr.)  und  späten  kaiserzeit  (250  —  400 
u.  Chr.)  und  ist  zu  dem  längst  feststehenden  negativen  ergebnis  gelangt,  dass  in  den 
ersten  beiden  Jahrhunderten  der  römischen  kaiserzeit  das  heimische  handwerk  und 
die  heimische  lebensart  noch  nicht  von  den  römischen  uachbarn  determiniert  worden 
ist.  Wie  sich  der  römische  handel  erst  seit  dem  ende  des  2.  jh.  im  deutschen  binnenland 
ausdehnt  (s.  9fgg.),  so  lässt  sich  auch  erst  in  der  spätem  kaiserzeit  die  einwirkuug 
römischer  arbeit  auf  germanische  technik  mit  sichei'heit  beobachten.  Eine  klare  Vor- 
stellung vom  Verhältnis  beider  kulturen  zueinander  ermöglichen  uns  nur'  die  archäo- 
logischen funde  (bei  den  lateinischen  lehnwörtern  mahnt  K.  zur  vorsieht,  s.  llfgg.) 
und  sie  ergeben  für  die  beiden  ersten  nachchristlichen  Jahrhunderte,  dass  provincial- 
römische  kultur  am  Rhein  „eigentlich  einheimische  La  Tene-kultur  ist,  umgestaltet 
und  beeinflusst  durch  italisch -römische  zufuhr"  (s.  19  fg.).  Nicht  anders  präsentiert 
sich  uns  zu  jener  zeit  das  archäologische  feld  der  Germanen.  „Sonderbar  ist  nun 
aber,  dass  wir  fast  in  ganz  Deutschland  La  Tene-kultur  finden,  aber  nicht  da,  wo 
wir  zuallererst  La  Tene-kultur  erwarten  müssten  —  am  Niederrhein"  (s.  28).  K.  löst 
dies  rätsei  folgendermassen  auf:  „die  bewohuer  des  Niederrheins  (zunächst  ganz  gleich- 
gültig, ob  Germanen  oder  nicht)  blieben  vielleicht  von  dem  einfluss  der  benachbarten 
La  Tene-kultur  völlig  unberührt.  Sie  entwickelten  ihre  seit  der  Hallstattzeit  her  über- 
kommenen typen  langsam  weiter,  waren  aber  im  ganzen  auf  dem  stände  der  alten 
technik  stehen  geblieben  bis  hinein  in  die  römische  kaiserzeit"  (s.  30).  Noch  einmal 
widerholt  der  verf.  die  bemerkung,  dass  die  hügelgräber  des  Niederrheins  von  diesen 
einflüssen  „fast  völlig"  unberührt  geblieben  seien  (s.  46),  dann  wendet  er  sich  zu  dem 
nachweis,  dass  trotzdem  auch  am  Niederrhein  beziehungen  zur  La  Töne -kultur  be- 
stehen und  fährt  wörtlich  fort:  „unzweifelhaft  sichere  zeugen  der  La  Tene-zeit  sind 
auch  die  hohen,  eiförmigen,  cj^lindrischen  topfe"  (s.  47).  Ein  gedankengang,  der  sich 
von  dem  satz:  „die  hügelgräber  blieben  von  der  La  Tene-kultur  völlig  unberührt" 
zu  der  einschränkung  „fast  völlig"  und  schliesslich  zu  dem  satz  bewegt,  die  La  Tene- 
zeit  sei  in  den  hügelgräbern  durch  unzweifelhaft  sichere  zeugen  vertreten! 

So  ungefähr  nehmen  sich  die  prämissen  aus,  mit  deren  hilfe  K.  schliesst,  dass 
die  Germanen  schon  im  8.  jh.  v.  Chr.  die  rechte  uferstrecke  des  Niederrheins  erreicht 
haben  (s.  5.5fgg.).  Es  wäre  wol  die  möglichkeit  vorhanden,  dass  Kelten  während  der 
jüngeren  Hallstattzeit  am  Niederrhein  gesessen  hätten  (s.  57),  aber  weil  sich  aus  der 
betrachtung  der  funde  des  Trevererlands  wie  auch  anderer  nachbargebiete  ergibt  — 
was  der  verf.  in  einer  nachfolgenden  arbeit  beweisen  will  —  dass  sich  die  nieder- 
rheinische bevölkerung  der  jüngeren  Hallstattzeit  von  den  Kelten  jener  gegendea 
wesentlich  unterscheidet,  haben  die  Germanen  seit  dem  8.  vorchristlichen  Jahrhundert 
bereits  am  Niederrhein  gesessen  (s.  58).     Dass  nun  speciell  die  begräbnisse,  deren 


ÜBER    GÖTZE.    GOTISCHE    SCHNALLEN  459 

reste  in  den  niederrheinischen  hügelgräbern  bewahrt  sind,  germanischer  herkunft  sind, 
wird  folgendermassen  aus  den  angaben  des  Tacitiis  im  27.  capitel  der  Germania  „be- 
wiesen":  funcnmi  mala  ambitio  —  schlichter  und  einfacher  konnte  die  bestattung 
in  der  tat  kaum  ausgeführt  werden;  id  soluni  observatur,  ui  co7-pora  clarorum  virorutu 
ccrtis  lignis  crementur  —  in  den  bügeln  sind  eiche,  buche,  kiefer  und  wachholder 
bezeugt;  striiem  rogi  nee  vestihus  nee  odoribiis  ciivmlant  —  ganz  fehlen  die  bei- 
gaben auch  hier  nicht;  sua  cuhßie  arma,  quorundcnn  icjni  et  eqims  adicitur —  „es 
ist  dies  die  einzige  bemerkung,  die  mit  deu  fundumständen  in  Widerspruch  steht"; 
sepulcrum  cespes  erigit  —  zur  Römerzeit  legten  die  Germanen  in  allen  gegenden 
Deutschlands  flachgräber  an,  nur  nicht  am  Niederrhein  „und  gerade  das  ist  mir  ein 
sicherer  beweis  dafür,  dass  Tacitus  bei  seiner  Schilderung  nur  die  niederrheinischen 
hügelgräber  im  sinne  gehabt  haben  kann"  (s.  63).  Dabei  hat  K.  nicht  einmal  sich  um 
die  frage  bemüht,  wie  weit  wir  es  am  Niederrhein  mit  natürlichen  sandhügeln,  in 
denen  die  verbrannten  gebeine  beigesetzt  wurden,  zu  tun  haben  (vgl.  Bonn.  Jahrb. 52, 182). 
In  einem  anhang:  „Die  absolute  Chronologie  der  augenfibel"  (s.  68fgg.)  nimmt 
K.  bezug  auf  funde  von  Neuss,  llofheim,  Haltern,  Urmitz,  Anderaach  u.  a.  „Da  es 
uns  gelingt,  den  hauptentwicklungsstufen  ihren  platz  in  den  einzelnen  Jahrzehnten 
(des  1.  nachchristl.  jahrh.)  anzuweisen,  so  sollen  uns  die  zwischenformen  wenig  stören" 
(s.  73),  „auf  jeden  fall  ist  uns  diu'ch  eine  augenfibel  ein  sicherer  terminus  post  <|uem 
gegeben"  (s.  75).  „Die  nur  in  der  südlichsten  reihe  des  Darzauer  friedhofs  auftreten- 
den augenfibeln  gehören  den  beiden  ersten  nachchristlichen  Jahrzehnten  an.  So  dürfen 
wir  feststellen,  dass  auf  dem  Darzauer  begräbnisplatze  etwa  vom  beginn  unserer  Zeit- 
rechnung an  bis  etwa  200  n.  Chr.  begraben  worden  ist . . .  Der  friedhof  gehörte  einer 
gemeinschaft,  die  der  bevölkerungsstärko  eines  heutigen  stattlichen  dprfes  von  min- 
destens 800  seelon  entspricht"  (s.  79fg.). 

KIEL.  FKIEDRICH   KAUFFMANN. 


Götze,  A.,  Germanische  funde  aus  der  völkerwanderungszeit:  Gotische  schnallen. 
Berlin,  E.  Wasmuth  s.  a.    35  s.,  15  tafeln.    4". 

Der  um  die  deutsche  altertumsforschung,  namentlich  um  die  prähistorie  Mittel- 
Niitschlands  eifrig  und  erfolgreich  sich  bemühende  Verfasser  greift  mit  seiner  neuesten 
(  iblikation  in  ein  gebiet,  dass  dem  forscher  die  lockendsten  probleme  stellt.  Der 
märchenhafte  reichtum,  der  unsere  ,, Völkerwanderung",  die  deutsche  heldenzeit  könig- 
lich schmückt,  liegt  als  ein  ruhender  schätz  in  deu  altertumsmuseen  und  in  der  fach- 
litteratur  begraben.  Es  ist  höchste  zeit,  dass  er  als  werbendes  kapital  unter  uns  in 
Umlauf  gesetzt  werde  und  unser  geschichtliches  denken  belebe  und  befruchte.  Ver- 
fasser und  Verleger  gebührt  darum  dank  dafür,  dass  sie  eine  serie  bemerkenswerter 
erzeugnisse  des  altgermanischen  kunstgewerbes  in  ansprechender  form  weiteren  kreisen 
zugänglich  gemacht  haben. 

Es  gibt  kein  altgermanisches  wort  für  die  gürtelschnalle.  Der  bemerkens- 
werteste sprachliche  ausdruck  ist  mhd.  nhd.  rinicc,  denn  er  kann  nach  seinem  alter 
genau  bestimmt  werden,  geht  er  doch  auf  eine  y-ableitung  von  ring  zurück  und  hat 
durch  die  westgermanische  consonantendehnung  seine  heutige  lautgestalt  enii)fangeD 
(Paul,  Beitr.  7,  138).  Das  Schmuckstück  ist  also  nicht  gemeingermanisch,  sondern  ei"st 
westgermanisch.  Seine  sprachliche  bezeichnung  verrät  uns,  dass  es  als  neuerung  zu  den- 
"VS'estgermanen  gelangte  und  unter  ihnen  als  aus  dem  „  ring "  differenziert  aufgefasst 
wurde.    Damit  stehen  die  altertumsfunde  im  schönsten  einklang;  die  älteste  schnallen- 


460  KAUiTMANN 

form,  die  wir  auf  dem  archäologischen  feld  der  Germanen  finden,  ist  nichts  weiter  als 
ein  ring,  an  dem  ein  beweglicher  kurzer  dorn  sitzt;  diese  ringspange  (vgl.  auch 
Salin,  Tierornamentik  s.  330)  ist  als  gallischer  Import  mit  den  sog.  Spät-La  Tene- 
sachen  zu  uns  gelangt.  Sehr  schnell  hat  die  Gürtelschnalle  (oder  der  gürtelring) 
in  der  römischen  periode  altgermanischen  lebens  den  älteren  gürtel  haken  verdrängt. 
Seit  der  römischen  zeit  gehört  die  schnalle  zu  den  unentbehrlichen  Schmucksachen 
der  bewohner  Deutschlands  und  tritt  massenhaft  auf  den  urnenfeldern  zutage.  In  der 
römischen  zeit  verschwand  aber  auch,  die  ringform  und  unser  heutiger  schnallen - 
typus  bürgerte  sich  ein.  Beachtung  verdient  namentlich,  dass  jetzt  an  die  schnalle 
eine  gürtclplatte  angegliedert  wurde.  Fortan  ist  die  schnalle  zweiteilig,  be- 
steht aus  dem  schnallenbügel  mit  dorn  und  der  schnallenplatte.  Man  übersieht  die 
tj'pologische  entwicklung  sehr  anschaulich  bei  Salin,  Tierornamentik  s.  111  fgg.  Die 
schnallenplatte  ist  es  nun  hauptsächlich,  die  unser  interesse  beschäftigt,  denn  ihre 
Zierformen  sind  so  mannigfach  und  so  leicht  dem  Wechsel  der  mode  unterworfen, 
dass  mau  von  ihr  allein  schon  das  alter  der  Schmuckstücke  ablesen  kann.  Anfänglich 
ist  die  schnallenplatte  rundlich -oval  mit  einem  durchmesser  nicht  grösser  als  der 
ovale  oder  eckige  schnallenbügel.  Eine  neue  reihe  wird  durch  viereckige  schnalleu- 
platten  gebildet.  Sie  zeigen  die  tendenz  einer  unverhältnismässigen  vergrösserung  des 
plattenrechtecks.  Von  zwischenformen  sehen  wir  in  diesem  Zusammenhang  ab,  weil 
Götze  sich  nur  mit  schnallen  beschäftigt,  die  dem  zuletzt  von  uns  erwähnten  ent- 
wicklungsstadium  angehören.  „Die  schnallen  mit  viereckigem  beschläg  trifft  man  auf 
dem  ganzen  gebiet  während  der  ganzen  dauer  der  völkerwanderuugszeit "  (Salin  a.  a.  o. 
s.  113).  Um  sie  zeitlich  zu  ordnen,  empfiehlt  sich  die  analytische  betrachtung  der 
ornamentalen  decoration,  die  sich  auf  der  platte  entfaltet.  Geometrische  muster  sind 
in  kerbschnittmanier  auf  das  metall  übertragen  worden  (vgl.  die  provinzialrömische 
schnalle  bei  Salin  s.  167  fig.  398);  in  einem  späteren  Stadium  schafit  sich  hier  unsere 
charakteristische  tierornamentik  räum. 

Die  von  Götze  behandelten  schnallen  gehören  der  periode  des  geometrischen 
Ornaments  au.  Auf  ihnen  meldet  sich  die  tierornamentik  zum  teil  an  der  vom  bügel 
abgekehrten  Schmalseite  der  schnallenplatte,  allgemein  jedoch  auf  dem  am  bügel 
sitzenden  schnallendorn,  dessen  köpf  als  tierkopf  modelliert  worden  ist.  Götze  hat 
dieses  als  stilmerkmal  vorzüglich  geeignete  detail  nach  gebühr  hervorgehoben,  aber 
mich  nicht  davon  überzeugt,  dass  die  augenbrauenwülste  am  schnallendoru  als  ein 
speziell  gotisches  element  anzusehen  seien.  Immerhin  erkennen  wir  am  tierornament, 
dass  das  von  Götze  ausgebreitete  material  in  der  tat  eine  geschlossene,  stilgeschicht- 
lich bedingte  gruppe  bildet.  Ihrer  zeitstellung  nach  gehört  sie  also  in  die  frühperiode 
der  altgermanischen  tieroi'namentik  oder  anders  ausgedrückt  in  die  ersten  Jahrhunderte 
der  sog.  Völkerwanderungsperiode. 

Das  absehen  Götzes  ist  nun  aber  vornehmlich  darauf  gerichtet,  die  kleinen 
kunstwerke,  die  er  in  wolgelungenen  abbildungen  vorführt,  nicht  bloss  zu  datieren, 
sondern  auch  zu  lokalisieren.  Er  sagt  s.  35:  „Man  hat  sich  bisher  im  allgemeinen 
mit  wenigen  ausnahmen  gescheut,  der  frage  des  Zusammenhanges  zwischen  den  funden 
der  Völkerwanderungszeit  und  den  deutschen  stammen  näher  zu  treten.  In  der  tat 
liegen  auf  diesem  gebiete  nicht  geringe  Schwierigkeiten  vor,  die  durch  die  besonderen 
Verhältnisse  dieser  epoche  mit  ihrem  hin  und  her  und  durcheinander  verursacht  sind 
und  derartige  erörterungen  werden  meist  nur  zu  einem  geringeren  oder  grösseren  grade 
der  Wahrscheinlichkeit  führen.  Ich  hoffe  aber  gezeigt  zu  haben,  dass  man  imstande 
ist,  bei  beschränkung  auf  geeignete  fundgruppen  gewisse  resultate  zu  erzielen." 


ÜKKR    GÖTZE,    GOTISCHE    SCHNALLEN  4G1 

Diesen  schwerwiegenden  satz  werden  wir  sorgsam  nachzuprüfen  haben  und 
wenn  ich  das  resultat  meiner  nachprüfung  vorweg  nehmen  soll,  muss  ich  gestehen, 
dass  es  meines  erachtens  dem  Verfasser  nicht  gelungen  ist,  die  von  ihm  gesammelten 
schnallen  insgesamt  als  gotische  gegen  wolbegründeto  zweifei  sicher  zu  stellen. 

Dass  Götze  eine  „geeignete  fundgruppe"  gewählt  hat,  soll  nicht  geleugnet 
werden.  Hat  es  sich  doch  gezeigt,  dass  die  gürtelschnalle,  ein  bevorzugtes  stück  der 
altgermanischen  Volkstracht,  bei  den  Burgundern  zu  einem  Stammesmerkmal  ge- 
worden war.  Bei  Salin  (Tieroruamentik  s.  113,  vgl.  fig.  G64  s.  308)  ist  als  fig.  301 
eine  schnalle  abgebildet,  die  in  Balme  (Dep.  Haute  Savoie)  gefunden,  auf  der  un- 
gefüg(Mi  sehnallenplatte  Daniel  in  der  löwengrube  darstellt  und  das  bild  mit  einer 
deutenden  lateinischen  legende  versehen  hat.  Lindenschmit  hat  in  den  Altertümern 
unserer  heidnischen  vorzeit  solche  schnallen  aus  dem  burgundischen  friedhof  von 
Severy  ("Waadt),  aus  den  burgundischen  gräbern  bei  Echadans  (Waadt)  und  aus  den 
burgundischen  gräbern  bei  Aruex  (Waadtj  veröffentlicht  (bd.  III  heft  3,  taf.  6,  1.  2.  3). 
Neuerdings  ist  in  der  Revue  archoologiquo  40  (1902)  s.  350fgg.  ein  aufsatz  erschienen 
(Etudes  sur  les  agrafes  de  ceinturon  bourgondes  ä  inscriptions) ,  in  dem  nach  den 
fundorten  dargetan  wurde,  dass  jenes  recht  häufig  widerkehrende  motiv  bei  der  be- 
völkerung  des  alten  Burgund  bevorzugt  worden  ist  und  ausserdem  nur  noch  zu  den 
Westgoten  gelangt  zu  sein  scheint.  Will  man  das  siedelungsgebiet  der  nach  der 
Sapaudia  verpflanzten  burgundischen  volksteile  umgrenzen,  so  gibt  es  wol  kaum  ein 
zuverlässigeres  fundstück;  denn  diese  eigentümlichen  —  auch  als  amulette  dienenden 
—  gürtelschnallen  kommen  zutage,  sagt  der  Verfasser,  u  peu  pres  aux  pays,  oü  les 
Boui-gondes  furent  etablis  par  concession  imperial  de  Valentinien  III  avec  Geneve 
comme  centre  et  d'oii  ils  rayonnurent  peu  ä  peu  au  sud  et  au  nord. 

Nach  diesem  vorzüglichen  beispiel  der  burgundischen  gürtelschnallen,  die  Götze 
zu  erwähnen  keine  Ursache  hatte,  darf  man  es  wagen,  unseren  grossen  Vorrat  au 
gürtelschnallen  der  völkerwanderungszeit  auf  die  altgermanischen  volksstämme  zu 
verteilen  und  dadurch  einzelheiten  ihrer  Volkstracht  zur  anschauung  zu  bringen.  Dank 
der  bedeutenden  nekropolen,  die  in  Italien  aufgedeckt  worden  sind,  wollen  wir  mit  Götze 
jetzt  auch  von  langobardischen  schnallen  reden;  ihren  typus  bildet  er  auf  s.  29  ab. 
Als  fränkisch  (oder  vielmehr  merowingisch)  wird  man  die  von  Götzes.  21  — 26  (vgl. 
s.  23  anm.2)  behandelten  cloisonnierten^  schnallen  und  sodann  auch  die  grossen  eisen- 
schnallen mit  silbei-tauschierung  bezeichnen  dürfen,  die  massenhaft  vorkommen  (vgl. 
z.  b.  Salin,  Tierornamentik  s.  116).  Dass  die  von  Götze  herausgegriffenen  schnallen- 
typen den  Goten  eigentümlich  gewesen  seien,  wird  also  zweifelhaft.  Götze  will  an 
wenigen  belegstücken  sogar  Ostgoten  und  Westgoten  unterscheiden  können.  Die  von 
ihm  als  typus  B,  Ba  und  Bb  bezeichneten  italienischen  muster  beansprucht  er  für 
die  ostgotische  Volkstracht  (s.  30)  und  lässt  sie  auf  italienischem  boden  um  520  ent- 
stehen (s.  33).  Es  handelt  sich  um  italienische  fundorte.  Sie  haben  eine  klasse  von 
schnallen  geliefert  mit  viereckiger  platte,  die  aus  zwei  teilen  zusammengesetzt  einen 
kräftig  gegossenen  rahmen  aufweist  und  in  diesem  rahmen  ein  untergelegtes  dünnes 
blech,  das  den  hintergrund  der  rahmenöffnung  darstellt  und  in  den  ecken  und  der 
mitte  auf  fünf  zellen  mit  .stein  oder  glas  in  freier  fassung  besetzt  ist  (Götze  s.  5); 
vgl.  die  abbildungen  taf.  III,  1.  2.  IV,  2.  4;  dazu  taf.  VIII,  1.  XII.  Halten  wir  uns 
an  die  fundberichte,   so   ergibt  sich,   dass   dieser  schnallentypus  quellenkritisch  nicht 

1 )  Denn  sie  sind  keineswegs  bloss  auf  westgotischem  siedelungsgebiet  gefunden 
und   auf  den   plünderungszug  der  Merowinger  (s.  34fg.)  wird   man  besser  verzichten. 


462  KADPFMANN 

süfoit  für  die  Üstgoten  reserviert  werden  kann.  Es  gehört  dazu  die  von  Götze  s.  8 
fig.  7  abgebildete  sclinalle  aixs  Belluno  (Oberitalieu);  mit  ihr  zusammen  soll  ein  gold- 
kreuz gol'undeu  worden  sein;  dieser  umstand  würde  allein  schon  genügen,  um  die 
schnalle  den  Ostgoten  streitig  zu  machen  und  den  fand  als  langobardisch  zu  definieren. 
Götze  meint  zwar,  jene  fundnotiz  berechtige  -  zu  zweifeln;  möge  es  sich  damit  ver- 
halten wie  es  wolle,  jedenfalls  ist  durch  diese  bemerkung  die  Unsicherheit  bezüglich 
jenes  bcispiels  nicht  beseitigt  worden.  Nun  ist  aber  auch  Ascoli-Piceno  (Götze  s.  5fg.) 
ein  bekannter  langobardischer  fundort  und  es  wird  schwer  sein ,  dort  ostgotisches  von 
langobardischem  auszusondern.  Was  aber  die  hauptsacho  ist,  ich  bestreite,  dass  die 
hier  in  rede  stehende  schnalleuform  geeignet  sei  als  Stammesmerkmal  zu  dienen,  weil 
sie  in  ihren  stilistischen  grundverhältnissen  provinzialrömisch  ist  (Alt.  uns.  heidn. 
vorz.  IV,  57,  2)  und  als  import  bis  nach  Schleswig  gelangte  (Nydam  vgl.  Engelhardt 
taf.  5,  26).  Mich  dünkt,  Götze  hätte  gut  daran  getan,  wenn  er  sein  material  auf  die 
gürtelschnallen  mit  entwickelter  ,,  tierornamentik ''  reduciert  hätte.  Von  „  provinzial- 
romischer"  technik  sind  die  auf  taf.  I  und  II  abgebildeten  stücke  so  stark  beeinflusst, 
dass  sie  für  deutsche  Volksgruppen  nicht  viel  besagen  können.  Eine  stilistische  son- 
derart  macht  sich  erst  auf  taf.  V — XI  bemerkbar  und  sie  allein  verspricht  ein  einiger- 
massen  gesichertes  ergebnis.  Das  problem  knüpft  sich  hier  an  gürtelschnallen,  die 
mit  vogelköpfeu  versehen  sind  und  sicher  zu  dem  völkischen  besitz  der  Germanen 
gehören,  auch  wenn  sie  dieses  modell  nicht  geschaffen,  sondern  ein  fremdes  modell 
nationalisiert  und  in  ihr  vermögen  aufgenommen  haben  sollten.  Es  müssen  dabei 
zwei  gruppen  unterschieden  werden.  Die  eine  ist  i^präsentiert  bei  Götze  auf  taf.  VIII 
bis  XI  und  durch  fig.  14.  15  (s.  16):  in  dieser  gruppe  besitzt  die  schnalle  eine  recht- 
eckige platte  mit  jenen  erwähnten  „provinzialrömischeu  "  Ornamenten  \  am  bügel  macht 
sich  ein  tierornament  bemerkbar  —  worauf  ich  aber  hier  kein  gewicht  lege  — ,  das 
neue  ist,  dass  an  der  hinteren  Schmalseite  der  platte,  mit  dieser  in  ein  stück  ge- 
gossen, ein  grosser  adlerkopf  aufsitzt  mit  breitem  trapezförmigem  oder  rechteckigem 
(kragenartigem)  hals,  vgl.  Götze  s.  14fgg  :  „ein  teil  dieser  schnallen  ist  bis  in  die 
details  einander  so  gleich,  dass  man  in  Versuchung  kommt,  ihre  herstellung  in  einer 
und  derselben  werkstätte  anzunehmen."  Salin  hat  diese  schnallenserie  auch  schon 
berücksichtigt  (Tierornamentik  s.  197);  sie  empfahl  sich  ihm  durch  den  stilisierten 
„vogelkopf  von  runder  form  mit  geschlossenem  Schnabel  und  äuge  mitten  im  köpf". 
Er  ist  mit  verschwindender  ausnähme  nach  Salin  nur  auf  dem  südgermanischen  gebiet 
belegbar  und  beispielshalber  von  Salin  an  einer  aus  der  Krim  stammenden  gürtel- 
schnalle  aufgezeigt  worden.  Sie  kehrt  bei  Götze  auf  s.  16  unter  nr.  29  wider;  dazu 
stellt  er  vier  im  Museum  für  Völkerkunde  zu  Berlin  aufbewahrte  schnallen  [die  eine 
(taf.  VIII,  2)  und  die  andere  (taf.  IX)  aus  Kertsch,  zwei  gleiche  südrussische  exem- 
plare  aus  Gursuff*  (taf.  X)],  derselben  gruppe  gehört  eine  ebenfalls  aus  der  Krim 
stammende,  in  der  collection  John  Evans  befindliche  schnalle  an  (fig.  15  bei  Götze 
s.  16)  und  ein  weiteres  stück,  das  am  ufer  des  Dnjepr  in  der  nähe  des  Schwarzen 
meeres  gefunden  wurde.  Pompös  wirkt  das  leise  modificierte  exemplar  von  Nikopol 
(taf.  XI),  das  sich  jetzt  in  Deutschland  in  Privatbesitz  befindet,  schliesslich  hat  das 
südrussische  gräberfeld  von  Suuk-Su-  vier  belege  geliefert  (vgl.  den  eingehenden 
boricht  bei  Götze  s.  ISfgg.).  Diese  zwölf  schnallen  haben  ein  streng  abgeschlossenes 
Verbreitungsgebiet  und  können  nicht  anders  denn  als  krimgotisch  ausgegeben  werden. 
„Gotisch"    schlechtweg  dürfen   sie   nicht  genannt  werden,  weil  sie  datiert  sind,   und 

1)  „Ornamente,  die  von  der  antiken  kunst  übernommen  sind"  sagt  Götze  s.  31. 

2)  Unweit  Yalta  in  der  Krim. 


ÜBKR    GÜTZK.    GOTISnHF,    SCHNAU-KN  463 

zwar  auf  grund  der  sie  begleitenden  münzen  ins  6.  bis  7.  jh.  gehören.  Leider  ist 
nun  Götze  der  sonstigen  Verbreitung  dieses  sehuallontypus  niclit  nacligegangen.  Dass 
seine  verwandten  nicht  auf  Südrussland  beschränkt  sind,  sagt  uns  Salin,  der  (a.a.O. 
s.  197  flg.  47S)  aus  dem  Turiner  nuiseuni  eine  kleine  schnalle  publiciert,  bei  der  unser 
vogelkopf  durch  ein  eharnier  unmittelbar  an  den  schnalionbügcl  angesetzt  erscheint. 
Dieses  beispiel  scheint  zu  verraten ,  dass  die  schnallen  der  Krimgoten  eine  complicierte 
Sonderbildung  darstellen,  die  aus  primitiven  vogelschnallen  hervorgegangen  ist.  Viel- 
leicht ist  die  Vermutung  zulässig,  dass  diese  vogelkopfschnalle  anrdnglich  irgendwo 
—  nicht  in  der  Krim,  denn  dort  fehlen  die  unentwickelteren  gebilde  —  aus  einer  com- 
binatiou  mit  der  vogelfibel  entstand,  dass  man,  um  ihre  entstehungsgeschichte  zu 
verfolgen,  von  dem  selbständigen,  als  provinzialrömische  scheibenfibel  dienenden  vogel 
ausgehen  muss  (vgl.  z.  b.  Alt.  uns.  heidn.  vorz.  I,  8,8.  12,  7;  II,  7,4). 

Um  nun  zur  zweiten  gruppe  der  von  Götze  erörterten  schnallen  mit  mehreren 
vogelköpfen  zu  gelangen,  erinnern  wir  uns  widerum  der  fibeln,  und  zwar  der- 
jenigen, die  auf  ihrer  kopfplatte  vogelköpfe  mit  ausgeprägten  schnäbeln  (statt  der 
traditionellen  runden  knöpfe)  sitzen  haben.  Diese  fibeln  sind  von  Salin  (Tiorornamentik 
s.  28)  belegt  worden  aus  Südrussland  (Kertsch),  aus  Ungarn,  aus  Süddeutschland  und 
aus  der  Schweiz  (vgl.  fig.  60,  61  s.  29;  fig.  81,  82  s.  36;  fig.  120  s.  55;  fig.  468  s.  194; 
ein  degeneriertes  exemplar  aus  Ostpreussen  gibt  er  als  fig.  123  s.  56).  Hildobrand 
(Spännets  Historia  s.  224 fg.)  dachte  an  Burgund  oder  die  Normandie  als  Ursprungsland; 
es  ist  aber  wahrscheinlicher,  dass  sich  diese  übel  von  Südrussland  her  über  den  ganzen 
südgermanischen  kulturkreis  verbreitet  hat.  An  einem  eigentümlichen  und  ein- 
facheren südrussischen  schnallentypus,  den  Götze  s.  32fg.  behandelt,  erscheinen 
diese  vogelköpfe;  drei  bronzene  exemplare  aus  Kertsch  und  Gursuff  hat  Götze  als 
üg.  29  —  31  nach  den  originalen  des  Berliner  museums  publiciert.  Wie  verhalten  sich 
nun  dazu  die  gürtelscbnallen,  bei  denen  diese  von  fibeln  her  wolbekannten  vogelköpfe 
auf  der  Schmalseite  der  schnallenplatte  angebracht  wurden?  Vergleicht  man  bei 
Götze  taf.  V.  VI,  1.2.4  und  VII  (degeneiiert),  so  wird  man  von  vornherein  sich  überzeugen, 
dass  eine  so  geringe  an  zahl  von  belegen  nicht  ausreicht,  um  auf  die  Volkstracht  irgend 
eines  germanischen  Stammes  Schlüsse  zu  ziehen.  Götze  fasst  die  genannten  gürtel- 
scbnallen als  italienischen  typus  Bb  zusammen;  die  fundorte  der  einzelnen  exemplare 
sind,  so  weit  bekannt,  Norcia  und  Spoleto;  ausserhalb  Italiens  ist  nichts  entsprechendes 
gefunden  worden.  Leider  ist  nicht  bekannt,  mit  was  für  gegenständen  zusammen 
diese  interessanten  trachtstücke  auftauchten;  darum  ist  es  uns  auch  nicht  verwehrt, 
bei  ihnen  auf  ostgotische  oder  langobardische  herkunft  zu  raten.  "Wenn  aber  Götze 
gerade  ostgotische  herkunft  dadurch  einleuchtender  machen  wollte,  dass  er  diese 
italienischen  vogelkopfschnalleu,  die  in  Südrussland  bislang  nicht  gefunden  worden 
sind,  mit  dem  südrussischen  typus  in  geschichtlichen  Zusammenhang  bringt,  so  habe 
ich  schon  angedeutet,  dass  dieses  verfahren  dadurch  beeinträchtigt  wird,  dass  die 
italienischen  exemplare  nicht  sowol  auf  die  südrussischen  schnallen,  als  auch  auf  die 
ihnen  im  stil  weit  näher  stehenden  vogolkopff ibeln  bezogen  werden  können.  Den 
stilunterschied  zwischen  seinen  „ostgotischen  "  und  südrussischen  schnallen  hat  Götze 
natürlic-fa  selbst  nach  gebühr  betont  (s.  32):  „während  es  in  Russland  ein  einziger 
grosser  köpf  ist,  der  auf  unnatürlich  breitem  halse  sitzt,  ragen  bei  den  italienischen 
zwei  oder  drei  köpfe  auf  langen  hülsen  hervor."  Dazu  kommt  eine  clironologische 
Schwierigkeit.  Mindestens  ein  teil  der  russi.schen  schnallen  mit  gro.ssem  „adlerkopf 
ist  jünger  als  die  italienischen  typen  (s.  33).  Ich  glaube  danim,  dass  man  günstigsten 
falls  mit  dem  beschränkten  material  zu  dem  immer  noch  anfochtbaren   satz  gelangen 


40)4  KAUFFMANN 

kaun,  den  Götze  (a.  a.  o.)  ausspricht:  „Dass  bei  den  italienischen  schnallen  kein 
import  aus  Russland  vorliegen  kann,  wurde  dargelegt;  es  sind  eben  erzeugnisse  ita- 
lienischen bodens,  aber  von  unverkennbarere?'.-')  Verwandtschaft  mit  den  ostgotischen  (?) 
schnallen  Russlands." 

Fasse  ich  das  gesamtergebnis  der  Götzesohen  publikatiou  zusammen,  so  bleibt 
bestehen,  dass  eine  reihe  südrussischer  gürtelschnallen  künftig  als  „krimgotisch''  (nicht 
als  ostgotisch  ^)  bezeichnet  werden  darf.  Die  italienischen  und  französischen  exem- 
plare  als  bestandteile  ostgotischer  bezw.  westgotischer  Volkstracht  anzusehen,  ge- 
stattet die  geringe  zahl  der  belege  und  des  Verfassers  argumentation  vorerst  noch 
nicht.  Trotzdem  also  Götze  in  der  hauptsache  sein  ziel  nicht  erreichte,  bleibt  die 
dankbare  anerkennung  der  rein  descriptiven  teile  seines  Werkes  unvermindert.  Möge 
er  fortfahren  und  aus  den  südrussischen  neuerwerbungen  des  Berliner  museums  oder 
aus  dessen  sonstigen  reichen  beständen  oder  gar  aus  unzugänglichen  privatsammlungen 
das  uns  philologen  unentbehrliche  und  für  die  völkerwanderungszeit  besonders  will- 
kommene anschauungsmaterial  binnen  kürzester  frist  vermehren.  Die  leiter  unserer 
museen  haben  nicht  bloss  die  püicht,  die  ihnen  unterstellten  Sammlungen  zu  ver- 
grössern,  sondern  auch  das  einlaufende  fundmaterial  schleunigst  zu  publicieren. 

1)  „Bei  den  südrussischen  funden  östlich  vom  Dnjestr  kann  man  sichei-  sein, 
die  hinterlasseuschaft  von  Ostgoten  vor  sich  zu  haben"  (Götze  s.  30 fg.)  —  im  6.  jh. 
sollte  man  aber  in  diesen  landen  nicht  mehr  von  Ostgoten  reden,  sondern  den  sprach- 
charakter  des  krimgotischen  und  die  zeitlich  vorhergehenden  grossen  Völkerverschie- 
bungen berücksichtigen. 

KIEL.  FRIEDRICH    KAUFFMANN. 


Henning,  Rudolf,  Der  heim  von  Baldenheim  und  die  verwandten  helme 
des  frühen  mittelalters.  Mit  10  tafeln  und  36  abbildungen  im  text.  Strass- 
burg,  K.  J.  Trübner  1907.    91  s. 

Bei  dem  elsässischen  dorfe  Baldenheim  (etwa  8  km  östlich  von  Schlettstadt) 
wurde  im  winter  1900/01  ein  alemannisches  reihengräberfeld  des  6. —  8.  jh.  angeschnitten 
und  bei  dieser  gelegenheit  im  Februar  1902  ein  heim  herausgebracht.  Im  winter 
1902/03  wurden  die  grabungen  fortgesetzt.  Eine  Übersicht  über  die  fundumstände 
und  fundergebnisse  gibt  Henning  s.  2fgg.  Das  am  reichsten  ausgestattete  grab  wird 
durch  seine  beigaben  auf  taf.  5  veranschaulicht.  Über  das  helmgrab  sind  leider  keine 
genauen  fundangaben  vorhanden;  es  scheint  einen  ringpanzer  (oder  eine  halsberge?) 
geliefert  zu  haben  und  vielleicht  dürfen  auch  die  auf  taf.  7  abgebildeten ,  von  Henning 
erst  im  Februar  1903  herausgeholten  gegenstände  derselben  bestattung  zugewiesen 
werden.  Wir  sehen  ein  typisehes  reihengrab  vor  uns,  das  mit  einiger  Wahrschein- 
lichkeit als  reitergrab  bezeichnet  werden  darf.  Ungewöhnlich  bei  der  grabausstattung 
ist  nur  der  reiterhelm. '  Er  wird  von  Henning  eingehend  beschrieben  und  auf 
taf.  1 — 3  abgebildet;  ich  füge  hinzu,  dass  der  heim  auch  in  den  Altertümern  unserer 
heidnischen  vorzeit,  bd.  .5,  191  fgg.,  taf.  35  veröffentlicht  und  besprochen  ist,  sowie 
daß  er  in  Strassburg  in  der  Sammlung  des  Vereines  zur  erhaltung  geschichtlicber 
denkmäler  im  Elsass  aufbewahrt  wird.  Die  helmkappc  ist  ziemlich  gut  erhalten,  die 
wangenlappen  sind  erst  nachträglich  mit  leder  an  dem  heim  befestigt  worden.  Un- 
beschädigt muss  er  sich  mit  seiner  reichen  silber-  und  goldverzierung  ganz  prächtig 
ausgenommen  haben.     Seine  technische  analyse  ergab,  dass  er  aus  nicht  weniger  als 

1)  Über  den  römischen  reiterhelm  vgl.  Alt.  uns.  heidn.  vorz.  5,  121  fg. 


ÜBKR    HF.NNING,    DER    IIEI.M    VON    HAI.DKN'irKIM  465 

20  einzelteilen  zusammengenietet,  die  tonstniktiun  also  ziemlich  kompliziert  ist.  Es 
ist  ein  spangenhelm.  Das  gerüst  bildet  ein  Hpangoiigefüge.  Zwischen  den  6  Spangen 
sitzen  ovale  platten,  die  am  untern  rand  ein  stirnreif  einfasst,  in  den  die  Verzierungen 
eingepresst  sind  (vgl.  Alt.  uns.  heidn.  vorz.  5,  192);  ziemlich  gut  sind  die  wangen- 
klappeu  erhalten,  die  möglicherweise  einst  in  Scharnieren  (?  Henning  s.  79)  hingen; 
randlöcher  dienten  anscheinend  zur  befestigung  eines  ringartigen  panzerzeugs,  einer 
halsberge  (Henning  s.  76 fg.).  Innen  war  der  heim  mit  leder  gefüttert.  Auf  dem 
Scheitel  ist  eine  Vorrichtung  angebracht,  um  einen  helmbusch  aufzustecken.  "Wollen 
wir  das  ganze  kunstwerk  wissenschaftlich  l)curteilen,  so  ist  von  dem  Ornament  auf 
dem  stirnreif  auszugehen ;  Henning  hat  es  (s.  20fgg.)in  seine  hauptsächlichen  bestand- 
teile  aufgelöst.  Es  wechseln  runde  medaillons  mit  schräg  gestellten  Vierecken.  In 
dem  einen  medaillon  ist  eine  lebhaft  nach  rechts  ausschreitende  geflügelte  figur  von 
zwei  vierfüsslern  begleitet,  zu  erkennen:  eine  A'^ictoria  oder  ein  Amor  mit  dem  hasen 
und  dem  jagenden  hund ' ;  im  übriiien  ist  eine  löwenjagdszene  nachgewiesen  (Henning' 
s.  29fgg. );  vorherrschend  ist  ein  antikes,  abei'  niciit  mehr  klassisches  pUanzenornament, 
durch  stilisierte  palmen  und  ranken  eingegeben.  Um  die  herkunft  des  heims  zu  be- 
stimmen, sind  durch  diese  orientalischen  oder  „byzantinischen"  Stilmerkmale  wich- 
tige fingerzeige  gewonnen  (Henning  s.  51  fg.),  näheres  muss  auf  vergleichendem  wege 
festgestellt  werden.  Zu  dem  zweck  verzeichnet  Henning,  was  ihm  von  helmen  der 
Völkerwanderungszeit  bekannt  geworden  ist.  Eine  überraschende  ähnliclikeit  zeigt  ein 
aus  sechs  spangen  gebildeter  heim  von  Vid  (St.  Veit)  in  Dalmatien  (Henning  s.  86). 
L.  Lindenschmit  äusserte  die  Vermutung,  solche  spangenhelme  seien  aus  einer  und 
derselben  kleinasiatischen  waffenfabrik  hervorgegangen.  Henning  denkt  gleichfalls  an 
orientalisch -byzantinischen  ursprungsort  (s.  öS),  meint  aber  vom  norden  des  Schwarzen 
meors  her  hätten  die  den  Persern  nahe  verwandten  Skythen  die  vermittler  abgegeben 
(s.  '){));  die  Alemannen  Süddeutschlands  hätten  den  spangenhelm  von  den  orientali- 
schen kriegern  übernommen,  die  mit  diesem  heim  geschirmt  bis  nach  Westeuropa 
auf  ihren  flinken  rossen  gestreift  sind.  Er  erinnert  im  Schlusswort  an  das  Schicksal 
der  im  europäischen  Westen  endenden  Alanen,  von  denen  er  nicht  bezweifelt,  dass  sie 
mannigfache  orientalische  einflüsse  vermittelt  haben  und  schliesst  unter  berufung  auf 
den  von  Salin  behandelten  südrussischen  Import  (s.  88)  mit  dem  satz,  bei  dem  wir 
vorerst  stehen  zu  bleiben  haben:  „die  grosse  und  eigentlich  populäre  Verbreitung  der 
orientalischen  motive  hat  sich  während  der  völkerwanderungszeit  allem  anschein  nach 
in  zahllosen  ädern  in  direkter  richtung  vollzogen"  (s.  91).  Über  den  Zusammen- 
hang der  kunstgewerblichen  erzeugnisse  unserer  sog.  völkerwanderungszeit  mit  den 
küsteuläudern  des  Schwarzen  meers  besteht  in  der  tat  heute  keine  meiiuiiigsverschie- 
deuheit  inehr^  Ich  begrüsse  es  mit  genugtuung,  dass  Henning  die  meist  unter  ge- 
bühr geringgeschätzten  Alanen  und  lazygen  als  die  gesuchten  und  geschätzten  ver- 
bündeten der  Germanen  höher  go wertet  hat  (s.  5()fg.).  Die  mitarbeit  dieser  eranischen 
Skythenvölker  darf  bei  den  heldentaten  der  Germanen  in  keinem  abschnitt  jener  grossen 
geschichtlichen  periode  übersehen  werden;  als  unmittelbare  nachbarn  unserer  nation 
im  Südosten  haben  sie  gewiss  die  deutsche  Vorgeschichte  nicht  unwesentlich  gefördert, 

1)  Der  gleiche  Stempel  kehrt  auf  dem  raiidstück  der  hintern  rechten  helni- 
seito  wider.  Ausserdem  glaubt  Henning  eine  rciterligur  und  in  den  zwickein  zwei 
stilisierte  tierfiguren  zu  erkennen;  doch  sind  .seine  ausführungou  auf  s.  29  fg.  zu  berück- 
sichtigen. 

2)  Kenntnisreich  streift  Henning  auch  das  schwierige  problem  des  sog.  byzan- 
tinischen Stils  (vgl.  s.  56). 

ZKITSCHRIFT    F.  DRÜTSCHE    PHILOLOOIK.       BD.  XL.  30 


400  KAUFFMANN'  ÜBER  HRNNING  ,  DER  HELM  VON  BALDENHKIM 

da  die  beziehungen  der  Germanen  zw  ihren  orientalischen  nachbarn  sieh  immer  intimer 
gestaltet  haben  (vgl.  Henning  s.  86fgg.) 

Henning  hat  sich  nun  aber  diirch  die  vorliegende  piiblikation  auch  das  ver- 
dienst erworben,  die  geschichte  des  heims  und  seine  Verbreitung  unter  den  Germanen 
aufgehellt  zu  haben.  Ausser  1.  dem  Baldenheimer  exemplar  sind  folgende  belege 
heranzuziehen: 

2.  heim  aus  der  Eremitage  in  St.  Petersburg  (Alt.  uns.  heidn.  vorz.  3, 10,  5, 1) 
dessen  fundort  leider  nicht  näher  bestimmt  werden  kann,  als  daß  er  aus 
Frankreich  zu  stammen  scheint;  abbild.  bei  Henning  taf.  10,  5;  vgl.  dazu  s.  89. 

3.  heim  aus  der  nähe  von  Vezeronce  (Dep.  Isere) ,  abbild.  bei  Henning  taf.  9,  1 . 

4.  heim  von  Monte  Pagano  (östlich  von  Teramo  an  der  küste  des  Adriatischen 
meeres),  vgl.  Jahrb.  d.  kgl.  preuss.  kunstsammlungen  24  (1903)  208  fgg.; 
abbild.  bei  Henning  taf.  9,  2. 

5.  heim  von  Gültlingen  (0. -a.  Nagold,  "Württemberg)  aus  einem  alemannischen 
reihengräberfeld  (vgl.  Alt.  uns.  heidn.  vorz.  .5,  11.  12);  abbild.  bei  Henning 
taf.  10,  7. 

6.  heim  von  Gammertingen  (bei  Sigmaringen,  Hohenzollern)  aus  einem  reihen- 
gräberfeld: vgl.  die  wichtige  publikatien  von  Gröbbels,  Der  reihengräberfund 
von  Gammertingen  (München  1905);  abbild.  bei  Henning  taf.  10,6. 

7.  8.  zwei  helme  aus  Vid  (bei  Metkovic  im  südlichen  Dalmatien);  vgl.  Jahrb.  d. 
k.  k.  zentral kommission  1  (1903)  251  fgg.,  abbild.  bei  Henning  taf.  9, 4.  10,9. 
9.  heim  von  Chalons  s.  Saone;  abbild.  bei  Henning  taf.  10,  8. 
10.  helmfragment  (wangenklappe)  von  Szentes  bei  Hampel,  Altertümer  des 
frühen  mittelalters  in  Ungarn,  taf.  453  (fehlt  bei  Henning). 
Zwei  in  England  zutag  gekommene  helme  sind  von  Henning  s.  Tlfg.  (und  Alt. 
uns.  heidn.  vorz.  5,  193)  verzeichnet;  nicht  berücksichtigt  hat  er  den  Wormser  und 
die  beiden  spätrömischen  am  Lech  in  Pfersee  (bei  Augsburg)  gefundenen  eisernen  mit 
silberblech  überzogenen  helme,  die  jüngst  (Alt.  uns.  heidn.  vorz.  5,  222fgg.,  taf.  41) 
veröffentlicht  wurden.^  Sie  sind  als  Übergangsformen  zu  dem  von  Henning  s.  63  be- 
handelten helme  von  Kertsch"  willkommen.  Wesentlich  verschieden  von  diesen  süd- 
germanischen helmen  sind  die  nordgermanischen,  wenn  wir  die  berühmte  gesichts- 
maske  von  Thorsberg  (bei  Schleswig)  verallgemeinern  dürfen  (auch  bei  Henning  s.  69 
abgebildet;  vgl.  s.  80,  89- — 90).  Aber  auch  die  im  vorstehenden  aufgezählten  helme 
verglichen  mit  den  helmen  römischer  legionäre  oder  römischer  reifer  (Alt.  uns.  heidn. 
vorz.  5,  114  fgg.)  repräsentieren  einen  sonst  unbekannten  helmtypus  des  völkerwande- 
rungsgebiets  (Henning  s.  13).  Charakteristisch  ist  nicht  bloss  ihre  vorwiegend  konische 
form,  sondern  auch  die  eigenartige  combination  der  ovalen  helmblätter  mit  den  sie 
umfassenden  Spangen  (s.  58).  Die  älteren  massiven  helme  stehen  dazu  in  ausge- 
sprochenem gegensatz;  vgl.  z.  b.  die  in  der  Nicderlausitz  und  in  Mecklenburg  ge- 
fundenen exemplare  (Alt.  uns.  heidn.  vorz.  1,  XI,  1.  2).  Ähnlicher  sind  die  auf  der 
Trajanssäule  dargestellten  helme  römischer  auxiliartruppen  (Henning  s.  58 fgg.),  aber 
Henning  erachtet  die  unterschiede  für  so  beträchtlich,  dass  eine  direkte  Verwandtschaft 
anzunehmen  ihm  nicht  statthaft  erscheint  (s.  72 fg.),  während  ein  assyrischer  oder 
sassanidischer  heim  des  5.  nachchristlichen  jahrh.  den  deutscheu  helmen  der  völker- 
wanderungszeit  recht  nahe  kommt  (s.  74fgg.).     Hier  war  aber  namentlich  das  reiter- 

1)  Vgl.  dazu  Westdeutsches  korrespondenzblatt  1906,  65  fgg. 

2)  Eine  genauere  Untersuchung  verdienten  auch  die  in  Hagenow  (Meeklenburg) 
gefundenen  hclmteilc,  die  ich  im  Schweriner  museum  gesehen  habe. 


GEFtHARDT    ÜBER    UrNGRVAKA    KD.    KAHI.K  467 

bild  aus  dem  goldfund  von  Nagy-Szent-Miklos'  anzuziehen.  Aus  der  lokalen  mittel- 
europäischen tradition  sind  jene  typen  keinesfalls  erklärbar  (s.  80);  am  ehesten  wäre  noch 
die  bekannte  nachricht  der  Vita  Severini  (c.  8)  zu  verwerten,  aus  der  wir  dem  Süd- 
osten enstammende  metallarbeiter  (barbaricarii)  in  den  diensten  der  Germanen  kennen 
lernen;  so  haben  barbarensklaven  der  rugischen  königin  Giso  ihre  zierraten  angefertigt 
(Henning  s.  82).  Henning  zieht  es  aber,  wie  erwähnt,  vor,  an  eine  entlehnung  des 
reiterhehns  von  den  orientalischen  bundesgenossen  der  Germanen  zu  denken  (s.  84). 
Wenn  ich  aixch  diesen  ausweg  für  problematisch  halte,  so  hindert  mich  das  nicht, 
dankbar  die  musterhafte  Untersuchung  anzuerkennen .  die  Henning  seinen  fundstücken 
hat  zuteil  werden  lassen. 

1)  Vgl.  Tlampel,  Altt^rtümer  des   frühen  Mittelalters  in  Ungarn  1,211  fg.  taf. 
292.  2,405. 

KIEL.  FRIEDRICH   KAUFFMANN. 


Altnordische  sagabibliothek  herausgegeben  von  Gustav  Cedorsehiöld,  Hugo 
(ierina:  und  Eugen  Mo^k.  11.  bd.  Kristnisaga  fattr  t*orvalds  ens  viSfqrla 
Pattr  Isleifs  biskups  Gizurarsonar  Huugrvaka  herausgegeben  von 
B.  Kahle.  Halle  a.  S.,  verlag  von  Max  Niemeyor  190.5.  XXXV,  144  s.  8".  5  m. 
Wir  sind  gewohnt,  den  namen  Kahle  in  Verbindung  mit  der  nordischen  spräche 
und  litteratur  im  dieuste  des  Christentums  zu  hören,  und  so  war  er  denn  auch  der 
berufenste  dazu,  für  die  deutschen  leser  die  vorliegenden  kurzen  sagastücke  heraus- 
zugeben, die  uns  von  der  ersten  christlichen  mission  auf  Island,  von  der 'endlichen 
einfühnang  des  Christentums  und  von  dem  leben  der  ersten  bischöfe  auf  der  insel 
berichten.  Bisher  waren  wir  auf  die  wenig  zugängliche  Sammlung  Biskupasögur  und 
auf  ein  paar  einzelausgabeu  angewiesen.  Im  vorliegenden  bände  sind  vereinigt: 
1.  die  Kristnisaga  d.  h.  die  historische  erzählung  von  der  mission  und  Christianisie- 
rung Islands,  2.  der  fättr  forvalds  ens  vi5forla  d.  i.  die  lebensbeschreibung  forvalds 
des  bereisten,  der  bei  der  bekehrung  der  ersten  Isländer  eine  grosse  rolle  gespielt 
hat,  .3.  der  kurze  t'ättr  Lsleifs  biskups  Gizurarsonar,  der  einzelne  begebenheiten  dieses 
ersten  isländischen  bischofs  berichtet  und  endlich  die  Hungrvaka,  die  in  biographi- 
schem rahmen  die  gründung  des  bistums  Skälaholt  und  die  geschiebte  seiner  ereten 
fünf  bischöfe  (von  10.56  — 1176)  behandelt  und  ihren  namen  'Hungerweckerin'  dem 
wünsche  ihres  unbekannten  Verfassers  verdankt,  es  möchte  den  lesern  die  lust  nach 
mehr  erweckt  werden. 

Die  einrichtuug  der  ausgäbe  schliesst  sich  ganz  an  die  früheren  bände  der 
sagabibliothek  an:  vorauf  geht  eine  einleitung,  in  der  über  Inhalt,  stil,  mutmasslichen 
Verfasser  und  quellen,  Überlieferung  und  ausgaben  der  texte  berichtet  und  das  Ver- 
hältnis der  einzelnen  hss.  untereinander  untersucht  wird,  letzteres  bei  Hungrvaka  ab- 
gekürzt unter  berufung  auf  des  hrsgbrs.  eingehende  Untersuchung  Afnf.  20,  228  fgg. 
Dann  folgt  der  abdruck  des  textes  mit  zahlreichen  anmerkungen  grammatischen, 
lexikalischen,  geographischen,  personal-  und  kultiirhistorischen  Inhalts,  und  den 
schluss  bilden  register  und  Zeittafeln. 

Einleitung,  textabdruck  und  anmerkungen  sind  in  gleichem  masse  sorgfältig, 
gewissenhaft  und  gründlich  ausgearbeitet,  insbesondere  wird  man  allem  znstimmen 
können,  was  der  herausgeber  in  der  einleitung  ausführt,  teils  im  anschhuss  an  frühere 
forschungen,   teils  im  gegensatze  zu  ihnen,  teils  völlig  selbständig. 

30« 


4()8  GERHARDT 

Natürlich  wird  mau  gelegentlich  in  kleinigkeiten  anderer  meinung  sein  können, 
und  ebenso  selbstverständlich  ist  es  auch,  dass  einem  bei  der  herausgäbe  und  er- 
klärung  von  120  selten  text  hier  oder  dort  etwas  entgehen  kann.  Es  sollen  also  die 
folgenden  bemerkungen  nicht  den  Charakter  von  ausstellungen  tragen,  sondern  von 
Zusätzen  und  änderungsvorschlägen. 

Ob  Kahles  gründe  stichhaltig  sind,  die  aufzählung  der  häuptlinge  in  Kr.  1,6 
als  interpoliert  anzusehen,  die  auf  Island  lebten  und  herrschten,  als  die  bekehrung 
der  insel  zum  Christentum  einsetzte,  ist  mir  doch  noch  zweifelhaft.  Freilich  ist  es 
'feststehender  sagabrauch,  dass  nur  solche  personen  eingeführt  werden,  die  später 
irgendwie  in  der  erzähluug  vorkommen'.  Allein  hier  liegt  die  sache  so,  dass  wir  es 
mit  einer  saga  zu  tun  haben,  in  der  der  stoff  nach  Kahles  eigener  angäbe  streng 
chronologisch  geordnet  ist.  Und  da  kann  doch  leicht  eine  ausnähme  von  jenem 
brauche  platz  greifen,  um  den  lescr  gleich  von  aufang  an  ins  richtige  Zeitgefühl  zu 
versetzen. 

Wenn  der  herausgeber  s.  VI  sagt,  in  der  Kr.  kommen  alliterationen  nur  selten 
vor,  so  hat  er  vollständig  recht.  Ich  möchte  aber  noch  weiter  gehen  als  er  und  von 
den  fünfen  die  er  anführt,  dreie  als  für  die  beurteilung  der  spräche  des  Verfassers 
belanglos  ausscheiden,  denn  botii  ok  banni  hlijda,  Iqnduni  eSa  laustim  auvuvi, 
landi  ok   lausum  eyri  sind  feststehende  juristische  formein. 

Zu  den  Wendungen,  die  Kahle  s.  XVII  aufführt  als  beweis  dafür,  dass  der  I'or- 
valds  J)ättr  aus  einer  lateinischen  quelle  geflossen  ist,  kann  vielleicht  noch  hinzu- 
gefügt werden:  pessi  müldagi  .  . .  mun  2)f6fa  sannindi  (c.  2,  9). 

Auch  kann  ich  mich  der  Vermutung  nicht  erwehren,  dass  ebenso  Hv.  3,7 
friSadi  fyrir  qndudiim  mögiicherv/eise  auf  eine  wenduug  wie  absoliitionem  hnpetravit 
pro  mortuo  einer  lateinischen  vorläge  zurückgehen  kann.  Nach  meinem  Sprachgefühl 
müsste  es  sonst  heissen  fyrir  enum  qnduiitini  oder  fyrir  konungi  qtiduöiim.  Auch 
kann  ich  tatsächlich  kein  beispiel  finden,  wo  bei  derartigem  gebrauch  des  part.  praet. 
nicht  ein  Substantiv  oder  pronomen  dabei  steht,  wenn  ich  auch  nicht  beweisen  kann, 
dass  es  keines  gibt. 

Von  stehen  gebliebeneu  druckfehlern  will  ich  zweie  anführen,  den  einen  weil 
er  einen  eigeunamen  betrifft:  s.  120  anm.  spalte  a  z.  1  lies  Boer  statt  Ba;r,  deu  andern 
weil  er  gar  zu  drollig  ist:  anm.  zu  s.  115  z.  4.  f):  Pdll  prestr  Sqlvason  ör  Reyl-jahnlt 
war  verheiratet  mit  forbJQrg  Bjarnadöttir,  deren  Schwester  Helga  den  bischof  ßrandr 
zur  frau  hatte. 

Die  anmerkuugeu,  die  den  text  begleiten,  sind  besonders  in  personalgeschicht- 
licher beziehung  ganz  vorzüglich.  Es  ist  ihnen  sehr  zugute  gekommen,  dass  der 
herausgeber  die  Sammlungen  Geriugs  hierzu  benutzen  konnte,  wie  er  uns  s.  37  mit- 
teilt. Nicht  eine  person  kommt  in  den  texten  vor,  zu  der  nicht  in  den  anmei'kungen 
gesagt  wäre,  ob  und  wo  sie  sonst  in  der  sagalitteratur  genannt  ist,  so  dass  also  mit 
hilfe  des  am  Schlüsse  beigegebenen  registers  die  anmerkungen  dieser  ausgäbe  als 
personenregesten  auch  für  die  übrige  sagalitteratur  benutzt  werden  können,  soweit  es 
sich  um  personen  handelt,  die  in  der  bekehrungsgeschichte  Islands  überhaupt  vor- 
kommen. 

Ebenso  reich  sind  die  anmerkungen  an  willkommenen  aufschlüssen  über  realien, 
soweit  sich  bei  der  lesung  der  texte  fragen  darüber  ergeben  können.  So  werden  wir 
z.  b.  unterrichtet  über  den  platz  der  fenster  im  aisl.  bau,  über  teppiche,  über  allerlei 
aberglauben  usw.,  alles  mit  hinweis  auf  die  einschlägige  litteratur. 


ÜBKR    HUiNGRVAKA    KD.    KAIILK  469 

Über  eine  stelle,  wo  geldverhältnisse  in.  e.  nicht  richtig  orkliirt  sind,  vgl. 
weiter  unten. 

Auch  die  geographischen  aumerkungen  sind  sehr  sorgfältig  ausgearbeitet.  Allein 
sie  nehmen  deswegen  auch  einen  ganz  unverhältnismässig  breiten  räum  ein,  ganz 
abgesehen  davon,  dass  es  immer  auf  einen  circulus  vitiosus  herauskommt,  örtlich- 
keiteu  nur  nach  ihrer  läge  zu  anderen,  gleichfalls  wenig  bekannten  zu  bestimmen. 
Ich  sollte  meinen,  es  wäre  einfacher,  solchen  sagaausgahen  wenigstens  für  den  haupt- 
schauplatz,  Island,  eine  karte  beizugeben,  auf  der  alle  in  der  saga  vorkommenden 
örtlichkeiteu  verzeichnet  sind,  andere  nur  insoweit  als  man  ihrer  zur  allgemeinen 
Orientierung  bedarf,  vielleicht  in  der  weise,  dass  die  namen  in  zwei  verschiedeneu 
Schriftgattungen  eingetragen  wären,  je  nachdem  sie  im  texte  vorkommen  oder  nicht. 

In  grammatischer  und  lexikalischer  hinsieht  sind  die  anmerkungen  viel  knapper, 
als  wir  bisher  in  der  sagabibliothek  gewohnt  waren,  wo  allerdings  bisweilen  des  guten 
zu  viel  geschehen  war.  Aber  gerade  in  diesem  bände,  der  vielleicht  mehr  als  andere 
von  nichtgermanisten  gelesen  wird,  hätte  vielleicht  etwas  mehr  geboten  werden  dürfen. 
So  hätte  m.  e.  Kr.  kap.  2,  1  mei)  ßrettünda  mann  erklärt  werden  können,  denn  er- 
fahrungsgemäss  schwindet  das  Verständnis  gerade  für  solche  zahlbezeichnungen  zu- 
sehends, so  dass  viele  m.pr.m.  als  selbviei'zehut  statt  selbdreizehiit  auffassen. 

Da  gerade  die  hier  herausgegebenen  bekehrungsgeschichten  in  hervorragendem 
masse  von  der  einführung  süd-  und  westeuropäischer  kulturbegriffe  auf  Island  handeln, 
hätten  vielleicht  auch  dahin  gehörige  lehnwörter  in  der  anm.  zu  derjenigen  stelle 
erklärt  werden  können  an  der  sie  zum  ersten  mal  vorkommen,  so  Kr.  2,9  primsigna. 

Ebenso  wäre  es  vielleicht  am  platze  gewesen  zu  erklären,  was  Isl.  j).  13,  nach- 
dem die  wähl  Isleifs  zum  bischof  erzählt  ist,  zu  verstehen  ist  unter  den  werten  ok 
für  bann  lifan  ok  kom  /H,  nämlich:  er  reiste  zum  empfang  der  weihe  nach  dem 
festland  und  kam  darauf  wider  zurück,  denn  dieser  gebrauch  von  ütan  und  lit  ist 
nicht  so  ohne  weiteres  verständlich,  wenn  m.an  nicht  darauf  aufmerksam  gemacht 
wird,  dass  bei  diesem  nt  und  /'dan  selbst  für  den  Isländer  immer  noch  Norwegen  der 
feste  punkt  ist,  von  dem  aus  gerechnet  wird. 

Doch  wird  es  ja  hier  auch  meist  auf  rein  persönliches  empfinden  ankommen, 
was  erklärt  werden  soll  und  was  nicht. 

Die  verwickelten  familienverhältnisse,  die  durch  Gizurs  des  weissen  drei  eben 
und  durch  eine  verwandtenehe  seines  sohnes  Ketill  entstanden  sind  —  Hv.  2.  3.  4  — 
sucht  Kahle  durch  eine  anm.  klarer  zu  machen,  die  aber  infolge  eines  (druck-?)  Ver- 
sehens die  Verwirrung  nur  noch  vermehrt.  Wenn  die  frau  des  Ketill  Gizurarson, 
I'orkatla  Skaptadottir,  die  tochter  des  Skapti  I'oroddsson  war,  also  des  bruders  der 
zweiten  f'ordis,  die  Gizurr  als  dritte  frau  hatte,  so  hat  also  dieser  söhn  Gizurs  von 
der  ersten  I'ordis,  seiner  zweiten  frau,  die  nichte  der  dritten  frau  —  nicht  der 
zweiten  —  seines  vaters  geheiratet. 

An  manchen  stellen  wird  es  wol  gefühlssache  sein,  ob  man  sich  für  Kahles 
erklärung  oder  für  eine  andere  entscheidet.  So  z.  b.  wenn  K.  zu  Hv.  7,  7  c7igi  efni 
eru  d  pvi  at  biöjax,  unclan  guSs  bardaga  erklärt  ,,es  ist  unziemlich,  sich  frei  zu 
beten  von  der  durch  gott  auferlegten  prüfung-^,  wo  ich  lieber  übersetzen  möchte  „es 
ist  ja  doch  nicht  möglich  sich  .  .  .  freizubeten-,  oder  auch  „es  hat  keinen  zweck  .  .  .". 
Eine  Übersetzung  von  efni,  die  sich  mit  Kahles  erklärung  deckte,  finde  ich  auch  in 
keinem  Wörterbuch. 

Ebenso  ist  es  manchmal  auch  gefühlssache,  für  welche  von  verschiedenen  les- 
aiten  man  sich  entscheidet,  so  z.  b.  ob  man   Hv.  7,5   sich  mit  Guölirand  Vigfu.sson 


470  GEBHARDT 

für  die  lesart  von  AM.  205  sott  elnadi  d  hendr  Gix,uri  bisktipi  entscheidet ,  oder  mit 
Kahle  für  das  anadi  der  anderen  hss.  Afnf.  20,235  —  245  erklärt  Kahle  selbst  an 
nicht  weniger  als  fünfzehn  stellen  die  lesart  von  205  für  besser,  trotzdem  die  beiden 
anderen  alten  hss.  eine  andere  unter  sich  übereinstimmende  aufweisen.  Und  nach 
GuSbrand  Vigfüssons  wb.  ist  sott  elnadi  eine  besonders  gebräuchliche  Wortverbindung. 

Gelegentlich  läuft  jedoch  auch  eine  kleine  Verwechslung  unter,  so  wenn  anm. 
zu  Kr.  Strophe  1  häS  mit  „hass"  statt  mit  „höhn"  erklärt  wird. 

"Woher  die  erklämng  von  mentir  s.  .35  z.  13  als  „geeignet"  stammt,  weiss  ich 
nicht  und  meine,  wir  können  auch  hier  bei  der  bisher  üblichen   „männlich"   bleiben. 

Nicht  recht  klar  ist  mir,  warum  der  herausgeber  anm.  zu  s.  13  z.  8.  9  (Kr.  13,2) 
sich  so  unbestimmt  ausdrückt  'KoenugarSr  muss  im  südlichen  Russland  in  der  Dnjepr- 
gegend  gelegen  haben',  wo  doch  in  dem  an  anderer  stelle  von  Kahle  citierteu  büch- 
lein  von  "Wilh.  Thomsen,  Der  Ursprung  der  Russischen  Staates,  s.  14  klipp  und  klar 
gesagt  ist  'der  altnordische  name  von  Kijew  war  KoenugarSr'  und  in  einer  anmerkung 
vermutet  wird,  dieser  name  sei  'umgeformt  nach  dem  altnordischen  kce/na,  eine 
art  boof?'* 

Wenn  der  herausgeber  im  register  aus  dieser  ortlichkeit  einen  K(X7iugar()r 
enn  eystri  macht,  so  ist  das  ein  versehen,  denn  an  der  stelle  steht  ja  gar  nichts  von 
enn  eystri.  Es  heisst  dort  peir  föru  bddir  saman  .  .  .  üt  i  Jörsalahehn  ok  pu^ati 
til  Miklagards  ok  svd  til  Koinugards  et  eystra  eptir  Nepr.  Es  bedeutet  aber  et 
eystra  nichts  weiter  als  auf  dem  östlichen  oder  östlicheren  wege.  Hiermit  zu  ver- 
gleichen wäre  z.  b.  die  stelle  Kr.  8,6:  Pangbrandr  for  et  sydra  padan  vestr  'Dank- 
brand reiste  aus  den  Ostfjorden  auf  dem  südlich(er)en  wege  nach  "Westisland',  d.  h. 
er  benutzte  nicht  den  "Vatnajökulsveg  (noch  den  sich  später  damit  vereinigenden 
Arnarfellsveg) ,  sondern  er  reiste  die  küste  entlang  am  südfusse  des  "Vatnajökuls  vorbei 
(vgl.  eine  karte  von  Island).  Nun  wage  ich  freilich  nicht  zu  entscheiden,  ob  Kr.  8,  ü 
et  eystra  eptir  Nepr  zusammengehört  in  der  bedeutung  'auf  dem  östlichen  wege, 
nämlich  über  das  Schwarze  meer  und  den  Dnjepr  hinauf ',  also  im  gegensatze  zu  einem 
anderen,  weiter  westlich  gelegenen  weg,  auf  dem  man  gleichfalls  von  Konstautinopel 
nach  Kijew  gelangen  konnte,  also  etwa  im  gegensatz  zum  landweg.  Oder  aber  ob 
et  eystra  sich  auf  den  ganzen  satzteil  von  Jorsalakeini  —  eptir  Nepr  bezieht.  Mau 
kannte  nämlich  verschiedene  wege  nach  Jerusalem ,  von  denen  eben  der  östliche  über 
Konstautinopel  und  durch  Russland  führte,  d.  h.  durch  diejenigen  länder,  die  gelegent- 
lich unter  dem  namen  Äustrvegr  zusammengefasst  wurden  (vgl.  Fritzner  s.  v. 
austrvegry  eystri). 

AnderS'  als  Kahle  verstehe  ich  z,  b.  die  hilfsmittel  zur  Umrechnung  der  busse 
in  deutsche  werte,  die  sich  flafliSi  Mässon  von  t'orgils  Oddoson  geben  lässt.  Kr.  18,  11: 
kann  (HafliSi)  gerdi  LX  himdrada  VI  alna  aura  vqruvirSs  fjär,  Ivka  i  gulli  eda 
brendu  silfri  eda  soemiligum  gripuni,  was  ich  so  übersetze:  er  bestimmte  sechzig 
grosshundert  einheiten  zu  sechs  eilen  handelsmässigen  vadmels,  zu  entrichten  in  gold, 
gereinigtem  silber  oder  vvertgegenständen.  Kahle  berechnet  nun  diese  summe  unter 
berufung  auf  Einsen,  Register  zu  Gragäs  (Skälaholtsb.)  s.  711  und  V.  GuSmumlsson 
in  Pauls  grundriss  III-,  473  (und  folgende  selten,  müssen  wir  zusetzen)  auf  32400  m. 
Ich  komme  nach  "V".  G.  —  Einsen  ist  mir  nicht  zugänglich  —  auf  eine  summe  die  zwar 
in  anbetracht  des  damaligen  hohen  geldwerts  auch  noch  hoch  genug  ist  für  eine  blosse 
Verstümmelung,  aber  doch  viel  kleiner  als  diejenige  die  Kahle  berechnet,  nämlich  auf 

1)  Neuerdings  ist  zu  diesem  namen  zu  vergleichen  Mikkola.  Afnf.  23,  279 fg. 
(Correcturnote.) 


ÜBER    HUNGRVAKA    ED.    KAHLE  471 

4500  m.  v.o.  sagt  s.  47.5  ausdriicklich ,  einhundert  eilen  oder  eine  kuii  habe  dem 
■werte  von  zehn  heutigen  dänischen  krönen  entsprochen.  Nun  wird  aber  die  summe 
festgesetzt  60  x  120  x  6  eilen  =  6  x  GO  grosshundert  eilen  =  360  hUjildi,  also  = 
3000  krönen  =  4050  m ,  wenn  wir  den  kurs  =  8  :  9  annciimen'.  "Weiter  unten  in 
•seiner  aum.  gibt  Kahle  11,15  m.  als  den  wert  einer  kuh  an,  was  wol  auf  einem  etwas 
niedrigeren  kurs  beruht,  wenn  es  nicht  ein  druckfehler  für  11,25  ist.  Unter  Zugrunde- 
legung dieses  wertes  käme  man  doch  auf  4014  m.,  aber  nicht  auf  32400.  M.  a.  w. 
Kahle  meint,  die  benenuung  aurar  gehe  auf  einheiten  in  silber,  die  den  achtfachen 
wert  derer  iu  vadmel  hatten.  Aber  gerade  der  zusatz  vqruvirds  fjür  sagt  m.  e. 
deutlich,  dass  die  gewöhnliche  rechnuug  nach  eilen  handolsmässigen  vadmels  gemeint 
war,  deren  ein  (gross -)huudert  einem  Imgüdi  gleich  kam,  und  nicht  aurar  silbers. 
Auch  Björn  Magnussen  Olsen,  auf  den  sich  Kahle  für  seine  zweifellos  richtige  Ver- 
mutung beruft,  dass  statt  LX  wol  XL  zu  lesen  ist,  denn  die  Sturlunga  gibt  an  80 
hundert  öre  von  drei  eilen,  auch  Olsen  scheint  gerechnet  zu  haben  wie  ich,  wie 
mir  aus  folgendem  hei-vorzugehcn  scheint.  An  der  citierten  stelle  Aarboger  1893 
s.  272  anm.  weist  er  darauf  hin,  dass  später  (Sturl.  I  c.  32,  s.  82)  von  Sturla  tvau 
hundrud  hundrada  verlangt  wird  unter  ausdrücklicher  berufung  auf  das  beispiel 
Hafli^is,  und  fährt  dann  so  fort:  med  ,.tvau  hundruS  hundraSa-'  menes  naturligvis 
240x120  rt/e«,  hvilket  er  det  stamme  som  LXXX  hiindraöa  ßriggia  ulna  aura  og 
„XL  hundraSa  d  dlna  aura"  (240x  120=80xr20x3-=40x  120x6).'^ 

Dass  aber  an  unserer  stelle  nicht  silber -öre,  sondern  waren -öre  gemeint  sind, 
geht  auch  hervor  aus  einer  anderen  —  allerdings  von  Kalile  nicht  citierten  —  stelle 
des  gleichen  forschers,  auf  dessen  arbeit  im  Grundriss  Kahle  sich  beruft.  Yaltyr 
GuSmundsson  sagt  Germ.  al>hh.  zum  70.  geburtstag  Konrad  von  Maurers  s.  542  „In 
der  Sturlungasaga  sind  geldsummen  niemals  in  .silber  angegeben,  sondern  stets  in 
Zwanzigern  oder  hunderten  von  verdaurar ^  teils  ohne  weitere  erklärung,  teils  mit  der 
angäbe  „in  ören  von  drei  eilen-'.  Da  nun  die  Sturlunga  mit  ihren  80  öre  von  3  eilen 
das  gleiche  meint  wie  Kr.  mit  ihren  40  (XL  zu  lesen  statt  der  LX  der  hs) ,  so  müssen 
W'ir  die  rechnung  der  Sturlunga  naeh  verSaurar  auch  in  unserem  texte  statt  Kahles 
berechnung  nach  aurar  silfrs  annehmen.  Und  dass  der  verfieyrir  zur  sagazeit  == 
sechs  eilen  vadmel  war,  sagt  Y.  G.  ausser  a.  a.  o.  im  Grundriss  auch  Germ, 
abhh.  s.  538. 

Gegenüber  der  Unsicherheit  mit  der  iu  den  wbb.,  auch  dem  von  Fritzner,  be- 
zeichnungen  wie  vqruvirdr  usw.  erklärt  sind,  dürfte  die  länge  der  vorstehenden  aus- 
einandersetzung  dadurch  entschuldigt  werden,  dass  wir  aus  der  vergleichung  unserer 
stelle  mit  der  parallelstelle  in  Sturl.  und   unter  berücksichtigung  des  Sprachgebrauchs 

1)  Diese  summe  ergibt  sich  nach  dem  für  die  zeit  ums  jähr  1000  gültigen 
Wertverhältnis  für  silber  zu  rerfiaurar  =1 -.S.  Etwas  anders  wird  der  wert,  wenn 
wir  das  für  das  strittige  jähr  112,0  anzusetzende  Verhältnis  von  l:?*/-..  annehmen, 
nämlich  '  ,5  mehr,  also  3840  krönen  =^  4320  m.  Bei  der  knappheit  und  unzugänglich- 
keit der  einschlägigen  litteratur  war  auch  der  referent  lange  unsicher  in  seinen  an- 
sichten,  hat  dann  mit  dem  verf.  und  mit  Valtyr  GuSmundsson  darüber  verschiedene 
briefe  gewechselt.  Der  letztere  herr  hat  dann  irisbes.  durch  postkarte  vom  10.  12.  1906 
die  richtigkeit  der  ansieht  des  rcferenden  l)Gstätigt,  dass  es  sich  nicht  um  silberöre, 
sondern  um  wertöre  handelt,  und  auf  das  richtigere  Verhältnis  von  1  :  7 '/..  hingewiesen. 
Man  kann  die  summe  auch  so  berechnen:  60 X  120=^7200  öre  von  0  eilen  vadmel. 
dieses  dividiert  durch  7',2  (Verhältnis  zu  silber  von  vadmel)  =  960  ««rr/r  .s///V.s-,  und 
da  der  silberöre  4  dänischen  krönen,  und  die  dänische  kröne  1  "^  mark  entspricht,  so 
rechnen  wir  weiter:  960x4x  1 '/g  =  .3840x9  :  8  =  4320  m.  Hoftentlich  ersciu^nt  die 
Grundriss*  HI,  s.  473  anm.  angekündigte  Untersuchung  recht  bald. 


472  NECKEL 

der  Sturl.  endgiltig  feststellen  könuen:  aurar  vqrnvirhs  fjär  sind  dasselbe  wie  verdaurar 
und  a\so  =  aurar  varfmdls. 

Dieses  beispiel  mag  auch  zum  beweise  dafür  dienen,  wie  schwer  es  oft  ist, 
das  richtige  darzustellen,  und  dass  wir  es  also  einem  herausgeber  nicht  übel  anrechnen 
dürfen,  wenn  er  dann  oder  wann  irrt.  Wir  schnessen  daher  diese  anzeige  mit  dem 
dank  an  den  herausgeber,  dass  er  diese  quellen  für  eine  in  ihrer  art  einzig  dastehende 
Christianisierungsgeschichte  in  einer  so  sorgfältigen  ausgäbe  nicht  nur  den  germanisten, 
sondern  vor  allem  auch  den  Staats-  und  kirehenhistorikern  so  bequem  zugänglich  ge- 
macht und  ihr  Verständnis  so  sehr  erleichtert  hat. 

ERLANGEN.  AUGUST  GEBHARUT. 


M.  Nyijaard,  Norron  Syntax.     Kristiania,  Aschehoug  &  Co.  1905.     391s. 

Seit  -M.  Nygaard  vor  40  jähren  die  beiden  hefte  seiner  syntax  der  Eddasprache 
ausgehen  liess,  ist  er  fast  der  einzige  arbeiter  in  altn.  syntax  geblieben.  Unbestritten 
ist  er  die  erste  autorität  auf  diesem  gebiete.  Was  er  mit  vorliegendem  bände  den 
germanisten  beschert,  ist  der  gesamtertrag  seiner  wissenschaftlichen  lebensarheit,  der 
endgültige  niederschlag  jahrzehntelanger  beschäftigung  und  erwäguug,  ein  werk  mit 
einer  fülle  sorgsam  geordneten  materials,  reich  an  wertvollen  aufschlüssen ,  klaren 
formulierungen  und  Unterscheidungen.  In  zwangloser  capitelfolge  gibt  der  verf.  seine 
beobachtungen  über  die  Satzteile  und  ihre  'auslassung',  das  substantivum,  das  adjec- 
tivum,  die  congruenz,  die  casus;  die  Verbformen  (reflexives  verbum,  passivum,  Zeit- 
formen, niodi  in  hauptsätzen,  infinite  formen);  die  nebensätze,  die  modi  und  die 
tempora  in  nebensätzen;  das  reflexive  pronomen;  wort-  und  satzstellung.  Wie  man 
sieht,  eine  disposition,  die  keinen  anspruch  auf  systematische  erschöpf ung  des  gegen- 
ständes macht.  Mit  den  herkömmlichen  kategorien  vor  äugen  hat  der  verf.  gesammelt 
und  auch  bei  wachsendem  material  keinen  grund  gefunden,  die  bequeme  und  über- 
sichtliche anordnung  zu  verlassen.  Die  Originalität  und  consequenz  eines  forschers 
wie  Behaghel  ist  nicht  seine  sache.  Näher  steht  er,  dem  äussern  Schema  nach,  der 
losen  fügung  von  Pauls  paragraphen  über  mhd.  syntax.  Pauls  darstellung  ist  ein 
beispiel  dafür,  wie  hinter  einer  anspruchslosen  aussenseite  feines  und  sachgemässes 
urteil  sich  entfalten  kann.  Gleiches  lob  verdient  Nygaards  werk  nicht  ohne  weiteres. 
Für  ihn  ist  die  disposition  nicht  bloss  die  form,  in  der  er  seine  ergebnisse  mitteilt, 
sie  ist  die  grundlage  seines  ganzen  arbeitens  gewesen,  sie  hängt  für  ihn  mit  dem 
w'esen  der  sache  unauflöslich  zusammen.  Während  die  neuere  forschung  widerholt 
darauf  hingewiesen  hat,  dass  die  gesichtspunkte  für  die  syntax  einer  spräche  aus  der 
Sprache  selbst  herauswachsen  müssen,  trägt  Nygaard  die  gesichtspunkte  von  aussen 
herzu.  Bei  diesem  verfahren  rückt  ein  teil  der  syntaktischen  phänomene  in  eine 
schai'fe  beleuchtung,  die  sie  dem  fernstehenden  auffassbar  und  lernbar  macht.  Ein 
anderer  teil  bleibt  im  dunkeln:  solche  dinge,  für  die  das  vorbild ,  die  lateinische  gram- 
matik,  kein  korrelat  liefert.  Und  auch  jener  beleuchtete  teil  bietet  dem  eigentlichen 
erkenntnistriebe  wenig  nahrung  —  steine  mit  brot  vermischt.  Es  läuft  schliesslich 
auf  eine  übersichtliche  materialsammlung  hinaus.  Wie  viel  geistige  arbeit  auch  in 
dieser  steckt,  wie  viel  logische  schärfe  daraus  hervorblitzt,  welche  woltuende  stoff- 
freude  darin  lebendig  ist  —  das  alles  muss  dankbar  anerkannt  werden.  Der  hohr 
autzungswert  steht  ausser  allem  zweifei;  neben  Lund  und  den  wörterbüchein  tliesst 
uns  fortan  eine  neue  quelle,  in  den  meisten  punkten  brauchbarer  ais  sie  beide.  Und 
indem  manches  hier  behandelt  wird,  was  vorher  niemals  oder  oberflächlicher  erörtert 


TBER    NYGAAHD.    N'ORR0N    SYNTAX  473 

wordeu  war,  ergibt  sich  oiue  erhebliche  bereicherung  unserer  bekanntscliaft  mit  alt- 
nordischer Syntax.  Der  verf.  sagt  in  der  vorrede,  er  habe  trotz  einzelner  vorarbeiten 
anderer  überall  von  vorne  angefangen.  Wir  müssen  ihm  dafür  dank  wissen ;  übrigens 
wie  bezeichnend  für  die  gegenwärtige  höhe  der  syntaktischen  forschung,  namentlich  auf 
nordischem  gebiet!  Wirkliche  theoretische  erkenntnis,  auf  der  man  weiterbauen  könnte, 
wie  in  der  laut-  und  formenlehre,  gibt  es  hier  noch  kaum.  Um  so  freudiger  ist 
die  ausführlichkeit  der  behandlung  zu  begrüsseu,  die  der  verf.  glaubt  rechtfertigen 
zu  müssen. 

Man  mag  sogar  bedauern,  dass  das  buch  nicht  noch  stärker  ausgefallen  ist. 
Es  behandelt  eigentlich  nur  die  syntaktischen  haupterscheinuugen  der  aisl.  prosa  (die 
es  freilich  auch  aus  der  poesie  belegt).  Allerdings  lässt  sich  über  die  abweichungen 
des  anorw.  einstweilen  wol  kaum  mehr  sagen,  als  der  verf.  in  einer  dankenswerten 
fussuote  s.  4  zusammenstellt.  Aber  die  eigenheiten  der  poetischen  spräche  hätten  mehr 
berücksichtigung  verdient  als  die  summarischen  angaben  s.  3.  Es  ist  ganz  sicher,  dass 
die  poetischen  freiheiten  zum  grossen  teil  altertiimlichkeiteu  sind.  Auch  die  freiere 
Wortstellung  ist  in  ihrem  kerne  ein  survival  (vgl.  Brugmann ,  K.  vgl.  gramm.  G32).  Mögen 
sich  auch  in  unserer  Überlieferung  —  abgesehen  von  den  urnord.  Inschriften  —  keine 
syntaktischen  periodeu  unterscheiden  lassen,  so  wäre  eine  historische  behandlung 
mancher  erscheinungen  doch  sehr  wol  möglich  gewesen,  auch  ohne  berücksichtigung 
der  verwandten  sprachen.  Dass  letztere  ganz  jenseits  seines  forschungsfeldes  liegen, 
daraus  darf  man  dem  verf.  natürlich  keinen  vorwurf  machen;  die  syntax  der  einzel- 
sp.rache  braucht  nicht  der  vergleichenden  germanischen  syntax  —  die  Behaghel  in 
aussieht  gestellt  hat  —  vorzugreifen.  Und  doch:  wie  viel  kann  ein  vergleichender 
blick  auch  den  syntaktiker  der  einzelsprache  lehren!  Die  got.  und,  westgerm.  cnt- 
sprechungen  liefern  z.  b.  sofort  den  richtigen  gesichtspunkt  für  die  an.  relativkonstruk- 
tionen,  die  freilich  wol  auch  auf  grund  des  nordischen  raaterials  allein  hätten  sach- 
gemässer  dargestellt  werden  können  (s.  2.56  —  265).  Ich  darf  hierfär  auf  meine  Schrift 
über  die  altgerm.  relativsätzc  verweisen,  besonders  auf  die  ausführungen  daselbst 
<.  23fgg.  92fgg. 

Um  mein  allgemeines  urteil  zu  begründen  und  den  fernerstehenden  den  cliarakter 
des  Werkes  anschaulich  zu  machen,  gehe  ich  auf  einen  abschnitt,  den  über  das 
passivum,  näher  ein. 

Ö.  174  beginnt  die  darstellung  mit  einer  allgemeinen  Übersicht,  welche  erklärt, 
das  passive  Verhältnis  werde  ausgedrückt  a)  durch  Verbindung  des  part.  perf.  mit 
vera^  b)  durch  Verbindung  desselben  part.  mit  venia ^  c)  durch  unpersönliche  akti- 
vische Wendungen,  d)  durch  die  reflexive  verbform.  Die  vier  typen  unterscheiden 
sich  nach  Nygaard  in  erster  linie  durch  ihre  fundorte.  Über  c)  wird  jedoch  gesagt, 
hier  trete  das  Subjekt  in  den  hintergrund,  und  das  hauptgewicht  falle  dadurch  auf 
die  handlung  und  ihr  Verhältnis  zu  <lem  gegenstände,  auf  den  sie  wirkt.  Bei  a)  steht 
die  bemerkimg:  'die  Zusammensetzungen  mit  er  und  rar  bezeichnen  ursprünglich  den 
zustand,  in  dem  infolge  einer  vorausgehenden  tätigkeit  etwas  in  der  gegenwart  ist 
oder  in  der  Vergangenheit  war  (oder  subjektlos:  einen  zustand  in  gegenwart  und  Ver- 
gangenheit). Aber  sie  gehen  über  zur  bezeichnung  einerseits  des  in  der  gegenwart 
oder  Vergangenheit  abge.schlossenen  oder  vergangenen,  dessen,  was  getan  worden  ist 
oder  war  (perf.  und  plusq.  pass.);  andererseits  zur  bezeichnung  dafür,  dass  etwas  getan 
wird  oder  wurde,  geschieht  oder  geschah  (praes.  und  imperf.  pass.).'  Diese  cntwicklung. 
beruht  auf  der  unbewiesenen  annähme,  dass  das  part.  perf.  von  hause  aus  die  ab- 
geschlossene  handlung    bezeichne.     Offenbar    hing  es  seit  alters  allein   von  der  be- 


474  >'£CKEL 

dentung  des  verbums  und  vom  Zusammenhang  ab,  ob  die  Verbindung  des  participiums 
mit  Vera  eine  ablaufende  oder  eine  abgelaufene  handlung  bezeichnete,  und  in  sehr 
vielen  fällen  konnte  vom  einen  so  wenig  wie  vom  andern  die  rede  sein.  Nygaards  rein- 
liche sonderung  von  praes.  und  perf. ,  imperf.  und  plusq.  trägt  in  die  dinge  etwas  hinein, 
wovon  das  Sprachgefühl  der  alten  nordländer  gewiss  ebenso  wenig  wusste  wie  das 
eines  modernen  lesers,  der  den  texten  ohne  vorzeitige  reüexion  gegenübergetreten  ist; 
die  aumerkung  s.  177  ist  wichtiger  als  der  text.  Dagegen  besteht  ohne  zweifei  ein 
unterschied  zwischen  er  {rar)  gengit  und  verirr  (ran)')  gcugit.  Verda  bezeichnet  den 
übei'gang  in  einen  zustand  oder  zu  einer  tätigkeit.  Diese  Überzeugung  gewinnt  man 
aus  dem  umgang  mit  jedem  beliebigen  altgerm.  dialekt;  noch  in  der  heutigen  nord- 
deutschen Umgangssprache  sagt  man:  es  wird  regnen ,  es  /ntrdc  weh  tun  =  es  beginnt 
zu  regnen,  es  (die  wunde)  begann  zu  schmerzen.  An.  verfia  ekki  fundnir  hat  den 
sinn  'das  finden  tritt  nicht  ein',  varS  heldr  sid  gengit  tä  häniessu  (Ol.  h.  c.  107): 
mau  kam  "ziemlich  spät  dazu,  zur  messe  zu  gehn.  Oft  nimmt  der  ausdruck  futurischon 
sinn  an;  die  ingressive  wendung  zeigt  ja  einen  verbalinhalt  von  derselben  Seite,  von 
der  wir  ihn  sehen,  sobald  er  in  der  zukunft  gedacht  wird.  Herdaklett  drcp  ek  per 
hdlsi  af^  ok  vcrtJr  pd  pinu  fjnrvi  farit!  droht  {)6rr  Lok.  57.  Die  Vatnsdo^la  erwähnt 
c.  23:  Hrömundr  hinn  Iialti,  er  siSr  verSr  getit.  Dieses  futurische  verria  ist  übrigens 
sehr  alt  und  gemeingermanisch:  für  das  got.  s.  Erdmann -Mensing  1,87,  ahd.  belege 
in  stattlicher  anzahl  bei  Grimm,  Gr.  4,  13 fg.  Man  hat  dieses  futurum  nicht  immer 
richtig  gewürdigt,  weil  werden  in  dieser  funktion  mit  dem  futurischen  praesens  anderer 
verba  gleichartig  zu  sein  schien.  Aber  das  ist  eine  schematische  auffassuug.  So 
führt  auch  Nygaard  (s.  183)  den  satz  ef  pü  ferr  eigi  dian,  pd  verSr  Jxit  ßinn  bani 
als  beispiel  für  das  futurische  praesens  im  nachsatz  an.  Es  liegt  aber  ein  wirkliches 
futurum  vor;  der  nachsatz  ist  gegenüber  dem  Vordersatz  ausdrücklich  als  zukünftig 
charakterisiert  (was  bei  den  andern  belegen  Nygaards  nicht  der  fall  ist).  Wie  dieser 
satz  illustriert,  stehen  viele  substantiva  und  adjectiva  ganz  parallel  mit  den  verbal- 
nomina.  Das  angeführte  beispiel  (Vertreter  eines  häufigen  typus)  ist  gleichwertig  mit 
got.  jainar  wairpip  {:=  earca)  grets  jah  krusts  tunpitve  (Gab. -Loebe  Gram.  149), 
mhd.  du  ioirst  ein  sehoene  ivijp.  Mit  adjektiven:  svqrt  verSa  sölskin  (Vsp.)  mik 
veixtu  verba  vergjarnasta,  ef  ek  ek  med  per  i  jqtunteima  (\)X.)  u.  ä. ,  got.  bairhtai 
aairjiiß  =  (favfowd^^ata&i,  nhd.  das  wird  scldinim.  Ein  mit  iverden  gebildetes  fut.  act. 
kennt  nur  das  hd.,  und  zwar  erst  seit  dem  späteren  mittelalter.  Dafür  haben  wir 
im  an.  ein  verSa  c.  inf.  in  der  bedeutung  'müssen'.  Dieser  gebrauch  hat  als  der  ur- 
sprünglichere zu  gelten.  Es  ist  nämlich  seit  alters  für  das  verbum  iverden^  wie  für 
andere  hilfsverba,  charakteristisch,  dass  es  das  Subjekt  nicht  als  frei  handelnd,  sondern 
als  in  eine  handlung  hineingezogen,  in  einen  zustand  versetzt  werdend  erscheinen 
lässt.  Vgl.  Erdmann,  Unters.  1,  226.  Man  sieht  das  z.  b.  an  ausdrücken  wie  hann 
vard  sottdauSr,  verSa  ßess  visir,  verda  at  gjalti.  Diese  eigeutümlichkeit  tritt  unter 
andern!  auch  hervor  bei  der  sog.  passivumschreibung.  Sie  erklärt  aber  auch  die 
grosse  Vorliebe,  womit  das  an.  sich  des  verbums  re/vl'a  zur  bildung  unpersönlicher 
konstruktionen  bedient.  Ein  typischer  fall  dieser  art  verbirgt  sich  bei  Nygaard  unter 
den  übrigen  belegen:  honum  vard  litit  upp  til  hlidarinnar.  Der  sinn  ist:  sein  blick 
verirrte  sich  hinauf  zur  halde  (dagegen:  hann  leit  upp  =  er  sah  hinauf).  Ebenso 
Nj.  84,  9.  VqIs  7,  15  (wo  eine  unnachahmliche  humoristische  feinheit  vorhegt). 
Ähnlich  Freyju  varS  gengit  til  steinsins,  Sgrla  {)  c.  1;  hmiuni  verSr  pangat  gengit 
er  Dofri  sat,  Ftb.  1,  ."iG5.  Etwas  anders  ist  eigi  mun  lokit  rer^a  vcrkinu  Sn.  E. 
(F.  J.)  43.     Die  impersonalia  mit  vera  verhalten  sich  entsprechend.     Pvi  var  d  legi 


ÜBER  NYGAARD,  NORRON  SYNTAX  475 

)nvr  litt  stei/ct  etit  soll  besagen:  mir  war  keine  möglichkeit  geboten,  gebratenes  zu 
essen.  Ebenso  nihd.  des  ivas  mir  vil  ungeddlit  =  das  war  mir  nicht  eingefallen 
(Paul  §  200).  Für  diese  Wendungen  ist  man  bei  Nygaard  auf  unzureichende  belege 
angewiesen,  die  in  ganz  anderm  Zusammenhang  auftreten  (s.  7).  Und  doch  figurieren 
bei  ihm  selbst  aktivische  Impersonalia  in  dorn  abschnitt  über  das  passiv.  "Was  für 
ein  schöner  Übergang  hätte  sich  da  herstellen  lassen,  innerhalb  des  begriffes 
'passiv'  selbst.  Aber  wir  müssen  erkennen,  dass  dieser  begriff  im  an.  wie  in 
andern  sprachen  überhaupt  von  übel  ist.  "Was  Nygaard  'passiv'  nennt,  war 
im  an.  keine  selbständige  kategorie.  Jeder  der  vier  fälle  hat  nähere  verwandte  als 
die  lindern  drei.  Ist  das  part.  in  Verbindung  mit  rcra  und  vcröa  von  anderen  nomina 
in  derselben  Verbindung  verschieden,  so  ist  jedenfalls  zu  untersuchen,  inwiefern 
das  gilt.  Venia  muss  ausser  mit  vcra  auch  mit  mimu  und  skidx  zusammengestellt 
werden,  nicht  bloss  weil  dies  die  eigentlichen  verba  für  das  futurum  sind  —  Nygaard 
handelt  darüber  eingehend  und  lehrreich  s.  191 — 196  —  sondern  weil  sie  ebenso  wie 
veri^a  mit  adjcctiveu  verbunden  werden:  hverr  nmn  mir  pd  trnr,  ef  faSirinn  bregöx? 
(Hallfr.  c.  4);  skultt  ver  ßd  sdttir,  ef  ßii  kemr  ferdinni  fram  (ebd.  6).  Solche  fälle 
erscheinen  bei  Nygaard  unter  dem  für  das  nachschlagen  nicht  unpraktischen,  aber 
unhistorischen  und  unbedingt  verwerflichen  Stichwort  'auslassung'  (s.  25 fg.).  Munu 
insbesondere  begegnet  sich  ferner  mit  vei-tfa  in  der  bezeichnung  des  vermutlich 
vorgehenden,  eine  uüance,  die  sich  auf  derselben  grundlage  entwickelt  hat  wie  bei 
nhd.  werden  in  Sätzen  wie  er  uird  krank  sein.  Über  munu  in  dieser  funktion 
lumdelt  Nygaard  s.  195;  was  rerda  betrifft,  so  findet  sich  einiges  material  bei  Bugge 
Fkv.  401 ,  Fiitzner  3,  913a.  Bei  Nygaard  ist  hiei  eine  lücke,  wie  er  überhaupt  die 
seltener  belegten  erscheinungen  hier  und  da  stiefmütterlich  behandelt.  Das  hängt 
offenbar  mit  der  abwesenheit  der  historischen  fragestellung  zusammen.  So  hat  er 
sich  z.  b.  ein  hochinteressantes  petrefakt  entgehen  lassen  in  dem  satze  des  Brot.  5, 1 : 
Soltin  varii  Siyurffr.  '"V^'erden'  mit  dem  part.  perf.  intransitiver  verben  findet  sich 
nicht  eben  spärlich  jenseits  der  Nordsee  bei  Engländern  und  Sachsen:  [ja  neard 
(ifeallen  Jxi'S  folces  ealdor,  Byrthn.202,  Beow.  1234,  as.  Gen.  313,  die  lleliandstellen 
bei  Behaghel,  Syntax  des  Heliand  ISSfg. 

Die  principielle  Wahrheit,  die  ich  im  äuge  habe,  ist  diese:  Wir  haben  nicht 
von  solchen  unpsychologischen  Sammelnamen  wie  passiv  auszugehen ,  sondern  von 
den  funktionen  der  sprai-helemente.  Die  gruppen,  zu  denen  letztere  zusammentreten, 
müssen  nach  ihrer  ähnlichkeit  und  Verschiedenheit  aneinander  gemessen  werden,  i.  a. 
so,  dass  jede  ausdrucksform  zuerst  mit  den  nächst  verwandten  zusammengestellt  wird. 
Es  ist  klar,  dass  bei  diesem  verfahren  solche  elemente,  die  in  sehr  viele  gruppen 
eingehn,  mit  lexikalischer  belegfülle  sich  vordrängen.  Das  entspricht  aber  genau 
dem  sprachleben  selbst,  den  machtverhältnissen  innerhalb  des  sprachgef ülils ,  dessen 
Verzweigungen  aufzudecken,  dessen -möglichkeiten  nachzuempfinden  die  erste  aufgäbe 
aller  syntaktischen  forschung  ist. 

Ähnliches,  wie  eben  über  das  passiv  angedeutet,  Hesse  sich  über  perf.  und 
plusq.  sagen.  Das  wertvollste,  was  Nygaard  hii  rüber  lehrt,  findet  sich  in  anm.  3 
auf  s.  190  (der  vergleich  mit  einem  ausdruck  wie  Itefir  sni'd  af  mvr  srcirna  cida, 
ejiga  efnda). 

Äusserst  dankenswert  sind  die  genauen  beobachtungen  über  wort-  und  satzstellung 
s.  343  —  391.  Eine  bemerkung  über  solche  gruppen  wie  einerseits  In'r  u  landi,  anderer- 
seits dt  Jjar,  restr  ßar.  vestan  paÖan.,  nordr  pangal  hätte  sie  noch  vervollständigt. 
Auch   vermisst  man  den  bei  Falk-Torp,  Dansk-norskeus  syutax  321  erwähnten  fall: 


476  NECKEL 

[xit  hlägir  niilc ,  ef  pü  kemr  u  braut,  at  pu  munt  liefna  vär.  Er  ist  auch  mhd., 
s.  Paul  Mhd.  gr.  §376,  3b.  Für  verfehlt  halte  ich  die  auffassung.  dass  zwischen 
haupt-  und  nebensatz  ein  prinzipieller  unterschied  in  der  Wortstellung  nicht  bestehe. 
Man  hat  bei  Nygaard  den  eindruck,  als  schiebe  er  alles,  was  hierher' gehört,  geflissent- 
lich in  den  hintergrund,  weil  er  es  für  irreführenden  schein  hält.  Das  unanfechtbarste 
argument  für  die  Sonderstellung  des  nebeusatzes  liefern  die  fragekonstruktionen:  hverr 
er  ßessi  maÖr?  gegenüber  kann  spyrr,  hverr  ßessi  maör  er.  Im  hauptsatz  steht 
das  verbum  an  erster  oder  zweiter  stelle,  im  nebensatz  an  zweiter  oder  dritter  (man 
vergleiche  die  bündige  regel  bei  Heinzel,  Beschr.  191  note,  wo  aber  auch  von  einem 
unterschiede  nichts  erwähnt  wird).  Sehr  zu  beachten  ist  Falk-Torp  294fgg.  Solche 
kurzen  sätze  wie  die  dort  angeführten  [kona  er  Oyöa  heitir^  segja  hvar  komit  rar) 
stellen  den  ältesten  typus  von  nebensätzen  dar.  In  ihm  ist  die  endstellung  des  verbums 
sicherlich  urgermanisch.  Ä.uch  im  ahd.  haben  kurze  nebensätze  in  der  regel  das  ver- 
bum am  ende:  dax^  imo  nahesta  uuas  bei  Notk.,  s.  Keis,  Zfdph.  33,  339 fg.  343.  347. 

Übrigens  erlauben  Nygaard?  Zusammenstellungen,  eingehend  und  zuverlässig, 
wie  sie  sind,  bereits  mehr  als  einen  vergleichenden  schluss  auf  die  vorhistorischen 
Stadien  der  germ.  dialekte.  Er  konstatiert  z.  b.,  dass  verbalformen  wie  er,  rar,  mun, 
hefir,  hafda  oft  an  die  spitze  treten  (s.  349).  Ganz  ähnliches  gilt  für  das  ahd.  und 
ae.  (Eeiss  a.a.  o.  228 fg.).  Gegenüber  dem  normalen  typus  hafdi  hann  drepit  niart  fölk^ 
vär  um  peir  heygöir  steht  ein  anderer:  vdru  settir  baidasteinar,  dieser  ist  aber  fast 
nur  bei  vera,  nicht  bei  andern  hilfsverben  belegt  (s.  358  fg.).  Etwa  derselbe  zustand 
liegt  im  ahd.  vor  (Reis  231  fgg.).  Ungetrennte  folge  der  beiden  verbteile  scheint  auch 
hier  ganz  überwiegend  bei  'sein'  (und  'werden')  vorzukommen,  die  möglichkeit  la- 
teinischen einÜusses  auf  die  ahd.  worlfolge  ist  also  wenigstens  in  diesem  punkte  gewiss 
abzulehnen.  Endlich  geht  aus  Nygaards  darstellung  s.  358  hervor,  dass  Prädikats- 
nomen und  Objekt  nur  dann  zwischen  hilfsverb  und  verbalnomen  treten,  wenn  sie 
die  länge  etwa  eines  mittellangen  wertes  nicht  überschreiten.  Entsprechendes  im 
ahd.  Kasus  mit  praeposition,  überhaupt  längere  grappen  stehen  auch  hier  mit 
Vorliebe  nach.  Die  von  Reis  aao.  235  angeführten  fälle  werden  durch  die  nordische 
parellele  el'klärt. 

Von  höchstem  sprachgeschichtlichem  Interesse  sind  Nygaards  Sammlungen  über 
die  trennuDg  von  präposition  und  kasus.  "Ist  eine  präp.  mit  kasus  an  ein  verb  in 
zusammengesetzter  form  geknüpft,  so  tritt  oft  die  präp.  vor  das  part.  oder  den  inf. 
und  der  kasus  dahinter",  z.  b.  rar  mikit  til  aflat  pessar  veixlu,  munu  ver  frd  hverfa 
änni  (s.  358anm.,  vgl.  362).  Es  ist  klar,  dass  til  und  af  hier  eher  adverbien  als 
Präpositionen  zu  nennen  sind:  til  afla,  frd  hverfa  sind  verbalkomposita  wie  nhd. 
abioenden  w.  dgl.,  die  ebenfalls  das  adverb  vorangehen  lassen  im  part. ,  im  inf.  — 
drittens  im  nebensatz.  Auch  der  dritte  fall  stimmt  zum  nordischen  (Nygaard,  der 
für  die  sonderart  der  nebensätze,  wie  gesagt,  kein  äuge  hat,  gibt  nur  zwei  belege, 
und  zwar  in  einer  fussnote,  s.  379):  ür  pat  er  af  stöS  eü>-imt,  er  fyrir  skulu  vera 
ferdinni,  pieim  er  i  koma  heiminn  (Qrv.  Leiden  31"),  peir  es  ftjr  norpan  vqro  Ayja- 
fiqrj}  (Ari  Lib.  c.  5),  unz  fyr  utan  kom  dsa  garöa  {\>r.)  Die  abweichung  des  an. 
vom  nhd.  besteht  nur  darin,  dass  das  an.  die  uralte  doppelte  affinität  der  adverbia 
—  nomen  und  verbum  —  noch  weit  deutlicher  zeigt.  Übrigens  stehen  neben  den 
erwähnten  typen  die  kürzeren  is  er  yfir  kemr,  frd  hverfa,  til  aflat,  ohne  kasuelle 
ergänzung,  diese  also  dem  modernen  deutschen  Sprachgefühl  congnient.  Vergleichen 
wir  das  finite  verbum  im  hauptsatz,  so  ist  auch  hier  die  verbalkomposition  unveikcnn- 
bar,  aber  es  besteht  ein  bezeichnender  unterschied  in  der  Stellung:  pd  ä/cJ  d  pqgn  d 


t'UET?    NYGAARn,     NORRON    SYNTAX  477 

hqfdingjana  —  man  vergleiche  Nygaard  s.  22(§28);  die  eingestreuten  [lart.  und  Inf. 
zeigen  mit  einer  ausnähme  das  adv.  vorangestellt.  Diese  einsichten,  zu  denen  uns 
Nygaard  den  weg  ebnet,  führen  uns  dem  Verständnis  der  sog.  trennbaren  vorbal- 
komposition  ein  gutes  stück  näher.  Selbstverstiindlicli  sind  bei  beurteilung  dieser 
Verhältnisse  auch  typen  wie  i'it  gekh  Sigiiri)r.  iif  sprang  der  iruho  sdr,  ferner  skiili 
sd  er  hdskarlar  srdfii  t  (neben  hriinnr  er  speiet  oh  manvit  er  i  fdlgit,  Nygaard 
374  f.)  in  anschlag  zu  bringen.  — 

S.  222f.  handelt  eine  anmerkung  kurz  über  die  Umschreibung  der  verbalformen 
mit  ^wflf;  "besonders  in  verneinenden  sätzen",  heisst  es  hier  (s.  schon  Fritzner  ],  580). 
Die  von  Gering  im  Vollst,  wb.  36Uf.  gesammelten  eddischen  beleg(!  erheben  es  über 
jeden  zweifei,  dass  für  die  ältere  zeit  statt  'besonders'  sogar  'regelmässig'  gesagt 
werden  darf.  Aus  den  Edd.  min.  ist  hinzuzufügen  Ketill  und  Framarr  6,  1:  Oöin 
hlnta  g(>ri)a  ek  aldrigi.  VqIs.  4,  8  (Ran.)  deutet  wol  auf  poetische  quello.  Vigfusson 
führt  225a  mehrere  stellen  aus  gesetzen  an.  Diese  an.  regel  wird  bei  der  erkläruug 
lies  engl,  he  did  not  conie  nicht  zu  übersehen  sein. 

S.  201  wird  der  imperativ  mit  dem  auffordernden  konjunktiv  parallelisiert.  Die 
2.  person  imper.  aber  wird  als  der  allgemeine  ausdruck  bezeichnet  nicht  bloss  für  die 
auffoiderung,  sondern  auch  für  den  wünsch.  In  den  belegen  sähe  man  beide  fälle 
lieber  gesondert.  Zum  optativischen  imperativ  gehören  uhd.  lebe  wol,  komm  gesund 
-.urück,  lat.  salve,  valc,  gr.fnowao,  an.  sit  heil,  /)•«  (Vols.  24),  huifl  er  allir  heilir 
i  /ia?<5f?"  (Herv.-lied  29).  Im  an.  ist  ein  besonderer  fall  dadurch  entstanden,  dass  der 
wünsch  auch  an  eine  in  der  Vergangenheit  liegende  handluug  des  angeredeten  ge- 
knüpft werden  konnte.  So:  kompü  heill,  Herlinnf  hafid  heilir  scetxk!  skjöttu  allra 
manna  heilastr!  mcel  manna  hcilastr!  gefjjü  allra  drengja  heilastr!  (nachdem  der 
angeredete  einen  schuss  getan,  gesprochen,  ein  geschenk  gegeben  hat;  lIHj.31,  Edd. 
min.  133,  Oisl.  c.  20,  Heiöarv.  c.  3(3,  Gautrekss.  ed.  Ranisch  s.  39).  Eine  nicht  unpassende 
bezeichnung  für  diese  ausdrucksweise  wäre  imperativus  perfecti.  Auf  i\\m  beruhen 
indirekte  wünsche  wie  Oisli  biör  kann  mcela  allra  manna  armustan  (Gisl.  c.  2),  baff 
haini  vel  kominn  (Gautr.  s.  7,  s.  41).  Vgl.  ßann  bäffu  fglki  frmji^tan  verSa  (HHu.  1,  2), 
konungr  baÜ  hana  rel  Ufa,  gr.  i()owaO-cci  rivi  ifodCuv  'jem.  lebewol  sagen'.  Weitere 
belege  bieten  Detter-Heinzel,  Edda  2,  201  fg. 

Nirgends  behandelt  finde  ich  den  eigentümlichen  gebrauch  von  hrar  -^-  'dass 
da",  z.  b.  Brynhildr  sd,  hvar  maSr  störr  stötl  viff  eik  eina  {B.aUss.M).  Dieser  ziem- 
lich häufige  fall  hat  englische  und  hochdeutsche  gegenstücke:  Mhd.  wb.  3,  517  a, 
Lexer3,621,  Bosworth -Toller  371  a,  me.  tho  u-as  I  ivar,  /eher  that  ther  sat  a  quene 
(Chaucer,  Parlcmeut  of  foules  298),  ne.  see  ivherr  he  Stands  (Dickens).  Nicht  bloss 
bei  '.sehen"  und  ähnlichen  verben:  mhd.  ern  mochte  wä  diu  wirtin  sax  (Farz.  131, 1), 
ne.  7  have  heard,  where .  ..  (Shakespeare,  Caesar  1,  2,  58),  an.  ovist  er  at  vita,  hvar 
ncinlr  sitja  u  ßeti  fgrir  ('ob  da  nicht',  Häv.).  Der  ausgangspunkt  ist  wol  bei  dem 
verbum  'sehen'  zu  suchen.  H()fuölausn  3,  7:  en  Viffrir  sd,  hvar  valr  of  Id  scheint 
zu  bedeuten  "V.  sah  dorthin,  wo...".  Deutlich  empfindet  man  diese  ursprüngliche 
bedeutung  noch  beim  heutigen  englischen  imperativ  (vgl.  Hym.  12,1). 

Von  den  mancherlei  einzelheiten,  in  denen  ich  glaube  von  Nygaard  abweichen 
zu  müssen,  ziehe  ich  es  vor,  keine  zu  erwähnen.  Es  liefe  meistens  darauf  hinaus, 
dass  psychologische  gesichtspunkte  gegen  logisch -grammatische  ausgespielt  würden. 

Der  verf.  sagt  in  der  vorrede:  "Det  skulde  vu-re  mig  kjit-rt,  om  saa  andre 
vilde  fortsiftte:  fuldsticndiggjere ,  hvad  der  er  ufuldstiundigt,  og  rette,  hvad  der  er 
feilagtigt."     Mochte  dieser  wünsch   in   dem  sinne   in   erfülluug  gehn,    dass  Nygaards 


47S  \VF,rirssT,Ei? 

Xoiron  Syutax  ein  lebhafteres  bemühen  als  bisher  auf  nordischem  gebiete  anregt  und 
dass  das  wertvolle  material,  welches  das  buch  der  vergleichenden  forsch uug  bietet, 
recht  bald  fruchtbar  gemacht  wird. 


Anna  Lüderitz ,  Die  liebestheorie  der  rroven9alen  bei  den  minnesingern 
der  Stauferzeit.  Eine  litterarhistorische  Untersuchung.  J.  Schick  und  M. 
von  Waldberg,  Litterarhistorische  forschungen  XXIX.  heft.  Berlin  und  Ijcipzig 
Emil  Felber  1904,  8»  136  s. 

Diese  aibeit,  deren  erster  teil  schon  1902  als  Berliner  dissertation  erschienen 
ist,  nimmt  ein  thema  wider  auf,  das  zuerst  1880  von  Ferdinand  Michel  (Heinrich 
von  Morungen  und  die  troubadours  QF  XXXYIII)  behandelt  worden  ist.  Der  vorliegende 
versuch,  dem  neben  den  forschungen  von  Burdach,  "Wilmanns  u.  a.  besonders  die 
wertvollen  anmerkungen  Schönbachs  zu  den  ältesten  minnesingern  (Wiener  sitzber.  1899) 
zugute  gekommen  sind,  lässt  erkennen,  wie  viel  weiter  wir  in  dem  letzten  viertel- 
jahrhundert  gelangt  sind,  aber  zeigt  uns  zugleich,  wie  viel  noch  zu  tun  bleibt.  Und 
zwar  ist  für  den  deutschen  minnesang,  ähnlich  wie  für  den  italienischen,  sehr  viel 
mehr  geleistet  worden  als  für  die  gemeinsame  grundlage.  den  provenzalischen. 

Wie  für  die  gesamte  mittelalterliche  kultur,  liegt  auch  hier  die  eigentümliche 
Schwierigkeit  darin,  dass  sich  bildungselemente  von  dreierlei  herkunft  zu  merkwürdigen 
mischungen  verschmolzen  haben:  einheimische  zum  teil  in  altgermanische  zeit  zurück- 
reichende Vorstellungen  mit  der  gedankenweit  der  kirche  und  der  kirchlichen  Wissen- 
schaft einerseits  und  den  direkt  oder  indirekt  aufgenommenen  naehwirkungeu  des 
römertums  und  der  antike.  Die  Verfasserin  hat  in  dankenswerter  weise  auf  solche 
mischungen  wiederholt  hingewiesen  (so  s.  68.  102.  103  u.  a.).  Für  den  deutschen 
minnesang  wird  die  läge  dadurch  noch  verwickelter,  dass  es  sich  selten  feststellen 
lässt,  ob  der  Deutsche  seine  kenntnisse  durch  Vermittlung  eines  Provenzalen  oder 
durch  eigene  bekanntschaft  erlangt  hat.  Verf.  nimmt  an,  die  spräche  des  lehenrechts 
im  frauendienst  stamme  aus  einheimischem  rechtsbrauch  (s.  32),  auch  die  kenntnisse 
geistlicher  litteratur  seien  wol  meist  selbsterworbene  (s.  93),  dagegen  sei  es  zweifel- 
haft, ob  die  minnesinger,  wie  Schöubaeh  annehme,  selber  aus  Ovid  schöpften  (s.  74 
und  anm.  98).  Es  ist  misslich,  solche  allgemeine  behauptungen  aufzustellen.  Hierbleibt 
jeder  dichter  und  jedes  gedieht  für  sich  zu  untersuchen.  Bei  der  eigentlich  pro- 
venzalisierenden  gruppe  von  Hausen  und  Gutenburg  bis  Hohenburg  und  Botenlauben 
dürfte  entlehnung  wahrscheinlicher  sein ,  für  die  mehr  selbständigen  dichter  wie 
Hartmann  und  Waither  ist  eigene  kenntnis  der  fraglichen  drei  gebiete,  auch  Ovids, 
von  vornherein  durchaus  möglich.  Endlich  kompliziert  sich  besonders  für  die  späteren 
minnesinger  die  forschung  dadurch ,  dass  ungewiss  ist,  ob  sie  überhaupt  provenzalische 
oder  französische  muster  gekannt,  oder  nicht  vielmehr  sich  an  den  älteren  deutschen 
Vorbildern  geschult  haben  (Burdach,  Reinmar  und  Walther  s.  52). 

Es  gehörte  einiger  mut  dazu,  in  einem  büchlein  von  nur  122  s.  text  den  pro- 
venzalischen und  deutschen  minnesang  vergleichend  zu  behandeln.  Doch  wissen  wir 
der  Verfasserin  dank  für  die  im  ganzen  zutreffende  Orientierung,  worin  sie  eine  grosse, 
freilich  für  das  thema  noch  nicht  ausreichende  belesenheit  und  gutes  urteil  bekundet, 
auch  in  manchen  punkten  die  forschung  wirklich  gefördert  hat.  Meines  erachtens 
wäre  es  nötig  gewesen,  die  verschiedenen  gedankeukreise  des  minnesangs  schai'f  aus- 
oinanderzuiialten  und  u\  jedem  die  wesentlichen  gedanken  zu  trennen,  dafür  zunächst 


tnv.n  ANNA  i.ünKmiz.  tue  i.iEHF.sTiiKomK  dkk  provenzalen  479 

von  der  persönlichen  eigenart  der  einzelnen  dichter  mehr  abzusehen.  Bevor  man 
daran  denken  kann,  jedem  das  seine  abzugrenzen,  muss  es  die  erste  aufgäbe  sein, 
das  allen  mehr  oder  weniger  gemeinsame  gut  nach  bedeutung  und  herkunft  zu  sichten 
und  zu  sondern.  Bei  diesem  verfahren  wäre  mehr  einheit  und  klarheit  in  die  dar- 
stelluug  gekommen. 

Mit  diesem  mangcl  der  anläge  hängt  es  zusammen,  dass  die  disposition  des 
buehes  zu  wenig  der  sache  angemessen  ist.  Nach  einer  einleitung  von  9  selten  folgt 
1.  Die  minne  in  ihren  äusseren  erscheinungsformen:  frauendienst,  httote  und  tougen 
»i/'inie,  dienstverhältnis,  Werbung  (s.  10  —  68);  II.  die  minne  in  ihren  physischen  er- 
scheinungsformen: wesen  und  Wirkung,  Ursprung  und  entstehung  (s.  68 — 110). 
III.  Ulrich  von  Liechtensteins  frauendienst  und  die  letzten  spuren  der  liebesdoktrin 
(s.  110 — 122).  Diese  anordnung  ist  so  wenig  zweckentsprechend,  dass  ich  sie  im 
folgenden  verlassen  muss,  um  nicht,  wie  die  Verfasserin,  auf  dieselben  dinge  immer 
wider  zui'ückzukommen. 

Als  thema  des  buehes  wird  widorholt  die  liebestheorie  oder  'liebesdoktrin'  be- 
zeichnet und  die  belege  meist  aus  den  älteren  dichtem,  teilweise  auch  aus  Andreas 
Capellanus  entnommen:  dabei  ist  nicht  beachtet,  dass  die  den  liedern  zugrundeliegenden 
anschauungen  über  minne  etwas  anderes  sind,  als  die  Systeme  späterer  theoretiker 
wie  Andreas,  Matfre  Ermengau  oder  Francesco  Barberino.  Beide?  ist  scharf  zu 
scheiden.  Nicht  als  ob  ich  diese  letzteren  überhaupt  als  quellen  ausschliessen  wollte, 
aber  jedenfalls  durfte  Andreas  für  die  anfange  des  deutschen  minnesanges  nicht  hei'an- 
gezogen  werden  (s.  45.  72  und  sonst). 

Die  älteste  liebeslyrik  auf  deutschem  wie  französischem  boden  war  die  der  niai- 
tänze,  worin  der  'sommerdienst'  oder  die  'maibuhlschaft'  (s.  33.  121)  die  tanz-  und 
liebeslust  besungen  wurden.  G.  Paris  hat  bekanntlich  die  prov.  frz.  maitanzlieder  von 
antiken  Venusfesten  herleiten  wollen.  Ich  habe  (Vollmöllers  Jb.  V,  II  .392  —  394)  zu 
zeigen  versucht,  dass  altgermanische  maibräuche  zugrunde  liegen  imd  sich  daraus  die 
vielen  merkwürdigen  Übereinstimmungen  hier  und  dort  erklären.  Hier  zeigt  sich  verf. 
nicht  genügend  unterrichtet,  sie  kennt  u.  a.  nicht  das  treffliche  buch  von  Bielschowsky 
über  Neidhart.  Richtig  erkannt  ist,  dass  der  Gilos  (s.  17.  18 — 21),  der  den  Deutschen 
fehlt,  im  hohen  minnelied  der  Provenzalen  keine  stelle  hat.  Aber  es  wird  zuviel  be- 
hauptet, wenn  s.  20  gesagt  wird,  er  komme  darin  nie  vor:  siehe  Jaufre  Rudel  ed. 
Stimming  s.  48;  Bernhard  von  Ventadorn  MW  I,  19;  Peire  Vidal,  ed.  Bartsch  s.  47. 
Die  person  des  Gilos  übrigens  wird  verständlich,  wenn  wir  erwägen,  dass  es  in  den 
älteren  texten  stets  ein  alter  ehemann  ist,  der  seine  junge  frau  nicht  zum  maitanz 
gehen  lassen  will  und  daher  verwünscht  wird,  nicht  anders  als  die  mutter  in  den 
deutschen  reihen,  wenn  sie  ihrer  tochter  tanz  und  liebschaft  verbietet.  Wie  die 
tochter  unter  dem  mundium,  der  huote  der  mutter,  so  stand  nach  mittelalterlichem 
recht,  die  frau  unter  der  huote  des^eheherrn  (scnlior).  Nur  weil  der  Gilos  eine  durch 
volksbrauch  typische  figur  war,  konnten  die  höfischen  dichter  es  wagen,  ihn  mit  so 
grimmigem  spott  zu  verfolgen. 

Über  die  liebeslyrik  der  vaganten  bemerkt  verf.  in  anni.99,  dass  sie  nicht  als 
quelle  des  höfischen  minnesangs  anzusehen  sei,  wie  vor  kurzem  wider  W.  Meyer - 
Speyer  in  seineu  Fragmenta  Burana  annahm:  denn  die  fraglichen  lieder  „gehören 
dem  gebiet  der  niederen  minne  an."  Wol  abi-r  sollen  die  ritterlichen  liebeslieder 
des  Kürenberg  und  seines  kreises  durch  das  vorbild  der  vaganten  hervorgerufen  sein 
(s.  2.  11.  47).  Dieser  als  selb.stverständlich  vorgetragenen,  aber  nicht  bewiesenen 
these  kann  ich  nicht  zustimmen.    Die  lii'beslieder  der  vaganten  scheiden  sich  in  zwei 


480  WF/HSSI,F,T? 

unverkennbar  abweichende  gruppen.  Die  eine,  welche  die  deutschen  Strophen  und 
einen  teil  der  lateinischen  umfasst,  haben  zum  thema  naive  liebes-  und  lebenslust: 
es  sind  mailieder  und  ich  halte  den  beweis  durch  Burdach  für  erbracht,  dass  die 
deutschen  Strophen  die  Vorbilder  der  lateinischen  gewesen  siad.  Die  andere  gruppe 
sind  nachdichtungen  nach  antiken  mustern ,  besonders  Ovid ,  meist  gesucht  iind  schwülstig, 
worin  die  liebesbegierde  sich  nicht  derb  und  ursprünglich,  sondern  lasziv  und  frivol 
ausspricht.  A"üu  solcher  frivolität  ist  in  der  ritterlichen  liebeslyrik  keine  spur  zu 
entdecken.  Vielmehr  entwickelte  sich  diese,  als  eine  spezifisch  ritterliche  standes- 
poesie  höfischer  kreise,  im  anschluss  an  die  gnomik  der  fahrenden  (siehe  die  gnomischen 
liederanfänge),  an  epische  raotive  und  an  die  maitanzlieder.  Romanischen  einfluss  auf 
die  Kürenbergschule  anzunehmen,  dazu  haben  wir  trotz  Jeanroy  keinen  grund.  Auch 
in  Frankreich  finden  wir  vor  dem  minnesang  spuren  einer  ähnlichen  ritterlichen  lyrik, 
aber  mit  dieser  verglichen  erweist  sich  die  deutsche  als  zweifellos  selbständig  und 
ästhetisch  .wertvoller. 

Sehr  stark  haben  den  eigentlichen  minnesang,  nach  der  verf.  Ovids  verschiedene 
dichtungen  beeinflusst  (s.  i).  14.  15.  21.  2.5.  G8— 71.  74.  102,  anm.  98).  „Was  die  trou- 
badours  bei  Ovid  anzog,  war  die  analyse  der  empfindungen  und  die  glühende  Schil- 
derung der  liebesschmerzen"  {s.  69).  Der  Wächter  im  tagelied  stammt  schwerlich  aus 
Ovid,  wie  s.  15  behauptet  wird,  sondern  aus  dem  gegebenen  milieu:  weckte  die  mai- 
buhlen der  vogel  im  gezweig,  so  den  ritter  und  die  Schlossherrin  der  hornruf  des 
türm  Wächters.  S.  25  spricht  verf.  ihr  erstaunen  aus ,  dass  als  verstecknamen  Monjoi, 
Bei  Vezer  u.  a.  gewählt  worden  seien,  und  nicht  Flora,  Phyllis,  Byblis  und  andere 
antike  namen  und  gibt  eine  mir  unverständliche  erklärung.  Soviel  ich  sehe,  beschränkt 
sich  die  einwirkung  Ovids  auf  Übernahme  einiger  motive:  kriegsdieust  der  miune, 
liebeswunde,  liebeskrankheit,  liebeswahnsinn  u.  a.  Hier  aber  mögen  zum  teil  auch 
die  lateinischen  dichter  des  mittelalters  als  vermittler  gedient  oder  durch  ihr  beispiel 
zur  lektüre  Ovids  angeregt  haben. 

Das  buch  beginnt  mit  einer  kurzen  Charakterisierung  der  ritterlichen  lyriker 
nach  art  des  Kürenberg.  Meinloh  und  Dietmar,  die  beiden  burggrafen  von  Regensburg  und 
ein  teil  der.  anonymen  lieder,  auch  die  Wechsel  Reimars  werden  dazu  gerechnet  (s.  55). 
,.Noch  fehlt  die  ritterliche  galanterie  des  mannes  und  das  Selbstgefühl  der  frau''  (s.  1). 
Wollen  wir  die  unterscheidenden  merkmale  des  eigentlichen  minnesangs  oder  der  lieder 
der  hohen  miune,  genauer  augeben,  so  finden  wir,  dass  in  diesen  ein  dreifaches  thema 
behandelt  wird:  das  lob  der  herrin,  das  recht  der  minne  oder  der  frauendienst,  und 
die  Philosophie  der  minne  oder  die  spirituelle  liebe.  Das  erste  thema  ist  als  tendenz  dieser 
panegyrischen  lyrik  wirksam,  das  zweite  bietet  den  formalisnius  der  einzelnen  lieder 
wie  der  ganzen  cyklen,  das  dritte  bedeutet  den  eigentlichen  gehalt,  dasjenige,  wo- 
durch der  minnesang  so  tiefe  und  nachhaltige  Wirkung  geübt  hat.  —  Von  allem  diesem 
ist  bei  den  ritterlichen  lyrikern  noch  nichts  zu  finden,  ausgenommen  Meinloh,  der 
wie  Reinmar  in  alter  und  neuer  weise  gedichtet  und  zwei  echte  und  rechte  preislieder 
auf  die  herrin  geschaffen  hat  (11,1  und  15,  1).  —  Mit  dem  maitanzlied  teilt  die 
ritterliche  lyrik  die  huote  (s.  13  — 16.  18.  21  —  23),  die  in  den  höfischen  kreisen 
wesentlich  strenger  war.  Verf.  trennt  sie  mit  recht  von  dem  motiv  der  merkcere  und 
bezeichnet  sie  als  einheimisch.  Unrichtig  aber  ist,  wenn  verf,  (s.  14)  sagt,  nur  an 
zwei  stellen  im  prov.  sei  von  frauenhut  die  rede.  Ich  kann  vier  weitere  gedichte 
nachweisen,  wo  von  den  fjuirhaitz  oder  gardadnrs  die  rede  ist:  die  tenzoue  MG.  697,  G; 
Marcabru  Gr.  293,  2  und  293,  29;  vgl.  H.  Suchier,  Jahrbuch  XIV,  279);  Bernart  von 
Venzac,  Gr.  323,  5  (Zenker,  Peire  d'Alvernhe  s.  143).     Diese  huote  der  frau  ist,  wie 


ÜBER   ANNA    LÜDERITZ,    IHK    UEBERTKEORIK    IiKI!    PROVENZALEN  481 

verf.  bemerkt,  noch  ein  merkinal  älterer  gesellschaftlieher  zustünde.  Der  eigentliche 
höfische  niinnesang  hat  geselligen  verkehr  beider  geschlechter  zur  Voraussetzung. 
Ein  ergänzender  begriff  zur  huote  ist  die  loitgen  minno^  das  celar  der  Provenzalen: 
man  soll  sich  nicht  seiner  erfolge  rühmen  (s.  23  —  20).  Im  gedankenkreis  der  hohen 
ininne  uud  ihrer  liebesklagen  hat  diese  forderuug  keinen  platz,  da  es  hier  nichts  zu 
vorheimlichen  gibt;  wol  aber  im  ritterlichen  liebeslied,  das  ungescheut  den  ?«/«Äei'a«5', 
das  halsen  trittte)i  blgelegen  als  oft  erreichtes  ziel  der  Werbung  ausspricht.  Das 
helen- celar  war  eine  gebotene  rücksicht  gegen  die  adeligen  trauen  und  mädchen,  die 
nicht  blossgestellt  werden  durften.  Meinlohs  die  mcgede  in  dem  lande,  sicrr  der 
line  gctvan  und  Kürenbergs  aller  tnbc  /rüniic  diu  gel  noch  mcgetin  setzen  solche 
Verhältnisse  voraus.  Das  erstere  dieser  lieder  geht  nicht  auf  ein  mädchen  niederen 
Standes,  wie  verf.  s.  11  annimmt.  In  den  gedankenkreis  dieser  ritterlichen  lyrik  ge- 
hört wol  auch  die  durch  mehrere  texte  für  Frankreich  und  Deutschland  bezeugte  sitte 
der  sogenannten  probenächte  (s.  5G),  wo  dem  liebhaber  liebesgenuss  versagt  war  und  das 
paar  nur  in  heimlicher  Zwiesprache  beisammen  war,  mit  dem  heute  noch  gepflegten 
fensterin  zusammenzustellen.  Redegeselle  hiess,  wenn  ich  recht  sehe,  ein  solcher 
liebhaber,  und  das  afrz.  parlar  und  aprov.  cosselhar  hat  denselben  sinn  bekommen. 

Die  eigentlichen  minnesinger  der  Stauferzeit,  genauer  die  Sänger  der  hohen 
minne,  werden  von  der  verf.  in  zwei  gruppen  geteilt  (s.  3).  Einmal  die  provenzalisieren- 
den  nachahmer,  „durchweg  fürstliche,  meist  staufische  mini.sterialen"  adeliger  abkunft: 
Hausen,  Gutenburg,  Feuis,  ßugge  (ob  nicht  zur  zweiten  gruppe  gehörig'?),  Ilorheim, 
Rute,  Bligger,  Adelnburg,  Johannsdorf,  markgraf  von  Hohenburg,-  Otto  von  Boten- 
lauben, Hiltbolt  von  Schwangau  und  vielleicht  noch  Leiningen.  Mit  den  jähren  1170 
und  1190  will  verf.  diese  schule  begrenzen:  ich  bezweifle,  ob  sich  solche- dinge  so 
genau  datieren  lassen,  und  glaube  nicht,  dass  mit  Barbarossas  tod  diese  schule  plötz- 
lich erloschen  sein  soll.  Zu  der  zweiten  gruppe,  den  selbständigen  nachahmern,  die 
den  fremden  einfluss  überwinden,  rechnet  verf.  Veldeke,  Reinmar,  Hartmann  und 
Walther  mit  seiner  schule:  es  sind  'durchweg'  fahrende  ritterlichen  Standes  (s.  2 — 3). 
Wir  fragen:  wo  bleibt  Morungen?  und  sind  erstaunt,  Veldeke,  Reinmar  in  der  zweiten 
gruppe  zu  finden.  Schwerlieh  führt  es  ans  ziel,  bei  diesen  dichtem  stets  ein  zu- 
sammenfallen von  sozialer  läge  und  kunstrichtung  anzunehmen  und  darauf  zwei  gruppen 
zu  begründen:  das  heisst  zu  sehr  schematisieren.  Scheiden  können  wir,  wo  uns  sonst 
nichts  bekannt  ist,  nur  auf  gmnd  der  anschauungen  vom  leben  überhaupt  und  von 
liebe  im  besondern:  das  ist  neben  dem  stil  das  einzige,  was  wir  aus  den  liedern 
sicheres  entnehmen  können. 

Verf.  ist  es  nicht  entgangen,  dass  sich  die  lieder  der  hohen  minne  bei  den 
Provenzalen  als  loblieder  und  die  troubadours  als  lobdichter  charakterisieren  lassen 
(s.  27.  29.  31.  37.  38).  Mit  dieser  richtigen  erkenntnis  setzt  sich  verf.  in  Widerspruch 
zu  s.  10,  12,  13,  27,  WO  noch  von  der  angeblichen  „sitte  fürstlicher  trauen"  ge- 
sprochen wird,  „einen  liebhaber  zu  nehmen."  Ich  habe  nie  an  einen  solchen  'vor- 
schriftsmä-ssigen  liebhaber'  glauben  wollen  und  inzwischen  eine  erdrückende  menge 
belege  aus  den  liedern  selbst  gesammelt,  dafür  dass  der  troubadour  als  preisdichter 
im  dienst  einer  fürstin  ihre  Vorzüge  be.sang,  den  eindruck  ihres  liebenswürdigen 
Wesens  schilderte  und  durch  die  stets  widerholte  klage  über  ihre  grausamkeit  indirekt 
ihie  sittsamkeit  ins  licht  stellte.  Verf.  gibt  den  panegyrischen  zweck  und  Ursprung 
der  ganzen  gattung  für  Südfrankreich  zu,  bestreitet  es  aber  für  die  vornehmen  herrn 
in  Nordfrankreich  und  Deutschland  (s.  30).  Ich  weiss  nicht  mit  welchen  gründen. 
Auch   in  Deutschland   finde   ich  dieselben  prhliet  und  auch  für  Südfrank reith  kann 

ZEITSCHRIFT    F.    HEDTSCHK   PHII.OLOOIE.       HD.    XL.  .'51 


482  WKCHSSI.Kl! 

icli  das  ausiiüitideii  in  das  lub  des  gauzeii  weiblicheu  gesublechts  belogen.  Meines 
oiachtens  Ivann  man  den  ganzen  iniunesang  nur  als  panegyrische  gattuug  geschicht- 
iicli  verstehen.  —  Der  Inuxemjier-lrmxenjador  wird  s.  16  — 18  als  Schmeichler  und 
rivale  riclitig  erklärt.  Der  troubadour  als  lobdichter  konnte  wo!  dazu  kommen  die 
rivalen  und  neidischen  höflinge  im  vergleich  zu  sich  selber,  dem  echten  lanxciflor. 
als  falsche  Imizengicrs  zu  bezeichnen. 

S.  31  —  44  wird  vom  frauendienst  und  minnerecht  eingehend  gehandelt.  Dabei 
üLuft  widerholt  (s.  41  zweimal  und  43)  die  irrige  Übersetzung  'skTave'  für  eiyenmann 
unter.  Sklaven  im  antiken  sinne  kennt  das  germanische  recht  nicht,  auch  der  iiörige 
oder  leibeigene  hat  wesentlich  bessere  Stellung.  Prov.  serf  bedeutet  eigenmanu  oder 
knecht,  seine  bedeutung  ist  nicht  die  des  lat.  seri^im.  Die  erörterungen  über  dieses 
kapitel  sind  leider  durch  die  unglückliche  dispositiou  sehr  zerstückelt,  man  be- 
kommt nicht  den  eindrack  eines  durcJiaus  einheitlichen  formalismus,  der  doch  zu- 
grunde lie^t.  S.  10  und  13  wird  die  Vermutung  ausgesi)rochen,  dass  in  Deutschland 
und  auch  in  Südfrankreich  eliemiiuner  ihre  ehefrauen  besungen  hätten.  Die  als  be- 
weis beigebrachte  tenzone  MG  097  behandelt  aber  nur  die  frage,  ob  ein  liebhaber 
vorziehen  würde,  buhle  {dnitx)  oder  gatto  {ynaritx)  seiner  herrin  zu  werden.  Dazu 
möchte  ich  bemerken,  dass  frauendienst  und  ehe  sich  prinzipiell  ausschliessen :  ersterer 
besteht  in  tatsächlicher  oder  fictiver  Unterordnung  des  mannes  unter  die  herrin,  die 
ehe  hat  zur  rechtlichen  folge,  dass  der  eheherr  befiehlt.  Die  für  Deutschland  heran- 
gezogene totenklage  Reinmars  auf  herzog  Leopold  beweist  nichts  für  die  ehe  als  'ritter- 
lichen minnedienst',  sondern  bewegt  sich  in  der  Situation  und  den  typischen  ausdrücken 
einer  maibuhl^chaft:  die  herzogin  klagt  zu  frühlingsanfang  um  den  verlust  ihres 
geliebten. 

Der  gedankenkreis  der  philosophie  der  minne  oder  si)irituellen  liebe  ist  von 
verf.  mehr  als  in  früheren  arbeiten  berücksichtigt  worden.  Die  Verwandtschaft  zwischen 
raystik  und  minnesang  wird  angedeutet  (s.  68.  74.  'Jl.  101.  103.  108),  entlehnungen 
aus  geistlicher  litteratur  besprochen  (s.  68.  93.  97.  98),  auch  auf  das  Verhältnis  zur 
kirche  eingegangen  (s.  DOfgg.).  Schönbachs  identifizierung  der  hohen  minne  und  der 
christlichen  chan'tas  wird  mit  grund  abgelehnt  (s.  95— 96).  Gewiss  bleibt  reinni 
minne  „auch  in  sublimiertester  form"  geschlechtsliebe  und  damit  das  gerade  gegen- 
teil  der  asketischen,  weltverneinenden  c/iaritas  als  der  liebe  zu  Gott  und  dem  nächsten 
lim  Gottes  willen.  Aber  ein  Zusammenhang  ist  unleugbar  vorhanden.  Ich  glaube, 
es  lässt  sich  nachweisen,  dass  die  troubadoui's  und  minnesinger  nach  dem  vorbild  der 
charitas  ihre  hohe  minne  zur  kardinaltugeud  umgeschaffen  haben,  die  den  mann 
adelt  und  alle  anderen  fugenden  nach  sich  zieht.  Die  ekstase  des  minnenden,  das 
gebundensein  der  sinne,  die  todessehnsucht,  die  Seligkeit  der  minngedanken,  die 
liebe  zu  einer  mit  äugen  nie  gesehenen  herrin  haben  ihre  zeitgeschichtliche  parallele 
in  der  nur  wenig  älteren ,  damals  eben  voll  erblühten  niystik  eines  Bernhard  von 
Clairvaux  und  Hugo  von  St.  Victor.  Vielleicht  liesse  sich  zeigen,  dass  in  ihren  we,sent- 
lichen  zügen  die  philosophie  der  minne,  die  psychologie  sowol  wie  die  ethik  und 
dialektik  aus  der  kirchenlehre  stammte.  In  dieser  aberwirkten,  vermöge  ilires  eklek- 
tischen cliarakters,  elemente  verschiedener  herkunft  zusammen,  auch  reminiscenzen 
an  Plato  und  mehr  noch  an  Aristoteles.  S.  104  anm.  130  handelt  verf.  von  den  „äugen 
des  herzens.^'  Schultz-Gora  hat  in  Gröbers  Ztschr.  XXIX,  1905,  s.  337  —  40  frz.  u. 
])rov.  beispiele  dafür  zusammengestellt  und  die  frage  nacli  der  quelle  dieser  „inte- 
ressanten metapher"  aufgeworfen,  sich  aber  begnügt,  kiichlichen  Ursprung  zu  vei'- 
niuton.     Sclion  frülxT  liabon  darüber  gehandelt:  Bock  (^ F.  XXTTT,  35  anm. ;  Burdaeh, 


ÜBER    ANNA    LriiKK'lT/. ,    DIK    I.IKISKSTHK0IJI1-;    IIKU    I'l.'OVKNZAUON  ~IH','> 

Keiumar  und  Walthor  1  Ifi :  Wilinaiiiis.  Loben  Walthers  s.  VJ2  und  372  (anin.  L'OO) ;  l 'bland 
schritten  V,  s.  161.  Den  ocitl/  carnalcs  werden  die  oc/tli  cordis  gegenübergestellt: 
durch  sie  schaut  mau  Gott  in  der  mystischen  ekstase;  die  beiden  worte  besagen  dasselbe 
wie  VISUS  eorporeus  und  intiiitus  spin'iitolis.  Als  drittes  werden  gelegentlich  auch  die 
oculi  ratwnis  unterschieden.  Vgl.  Hugo  von  St.  Victoi',  De  arca  Nor  morali  IV,  c.  9: 
Istuvi  mundum  vident  oculi  carnis,  illum  mundtoii  intrinseciis  eontemplanfur  ocaiU 
cnrdis.  Ders. :  De  sacramentis  1,  X,  c.  2.  —  Bernhard  von  Clairvaux,  De  gradibus 
hitmilitatis  VI,  19;  VilL  23.  Ders.,  De  conversinnc  XlII,  25;  XVII,  30.  — 
Ferner  Carmina  Burana  57,  1  und  161,2.  —  Bernhard  von  Ventadorn:  Tobler,  Berl. 
sitzber.  1885,  942;  Folquot  von  Marselha:  Bartscih  ehrest.«  136.  Vgl.  Platons  Gast- 
mahl cap.  34,  wo  Sokrates  im  gespräch  mit  Alkibiades  sagt:  r/  toi  t»]^  (^invotm;  iUlng 
uo/irjui   div  ßXtnav,  orav  i)  tüv  uu/unTOv  rfjg  t\xufjg  li'jynv  hu/noffK 

S.  31  und  36  wird  als  unterschied  des  prov.  und  deutschen  miuesangs  angegeben, 
dass  im  letztei'en  „nicht  körperliche  reize  und  gesellige  taleute,  sondern  moralische  Vor- 
züge gepriesen  werden."  Das  ist  in  dieser  allgemeinheit  jedesfalls  unzutreffend.  PreU  r 
ralor  (rühm  und  trefflichkeit)  lautet  die  gebräuchlichste  formel  der  troubadours,  güete 
linde  schoenc  die  der  Deutschen.  Scn  e  conoissensa ,  doctrlna,  raxo,  inex,nru ,  cortexia 
sind  die  meist  geprieseneu  innereu  Vorzüge.  Valor  fasst  alle  zusammen;  diesem  steht 
wol  am  nächsten  der  begriff  ucrdekcit.  Allerdings  hat  bei  den  Deutschen  das  höfische 
niinneleben  die  gedanken  der  religiös -sittlichen  lebensauffassung  des  Christentums  nicht 
so  verdrängt  wie  in  der  Provence.  Die  riickkehr  zum  Christentum  der  kirche  lässt 
sicli  deutlich  bei  Hartmann  wahrnehmen,  dem  die  hohe  minne  immer  im  gründe  fremd 
geblieben  ist.  Seine  Sonderstellung  wird  s.  40.  60.  86,  diejenige  Walthers  41.  42.  62. 
(>5.  87.  88  besprochen.  Doch  sind  diese  kurzen  bemerkuugen  kaum  genügend:  auch 
ist  die  litteratur  hier  zu  wenig  benutzt.  Von  Walther  wird  s.  18  und  26  behauptet, 
er  „habe  nie  eine  fürstliche  gönnerin  besungen."  Mag  sein,  dass  er  in  einigen  liedern 
die  herrin  fingiert  hat,  so  liegen  doch  besonders  aus  seiner  älteren  epoche  eine  reihe 
lieder  vor,  die  ganz  in  der  art  der  prov.  pauegyrik  gehalten  sind. 

Von  dem  nordfranzösischen  mimiesang  hat  verf.  eine  neue,  aber  kaum  haltbare 
auffassung.  S.  30.  45  und  anm.  62  ist  die  rede  von  einem  ..Widerspruch,  den  die 
höfische  miune  in  Nordfrankreich  fand."  S.  9  und  55  wird  von  'nordfranzösischer 
frauenverachtung'  gesprochen.  S.  72  wird  behauptet,  im  norden  habe  juan  die  cortoisie 
zur  Voraussetzung  und  bedingung  der  minne  gemacht,  im  Süden  habe  man  jene  als  folge 
von  dieser  aufgefasst.  Auch  diesen  gegensatz  hat  erst  verf.  entdeckt  (vgl.  Peirol. 
Bartsch,  ehrest.''  153.  No  s'eschai  d'oii/e  savai,  li  vcnga  tan  d'onors  que  d'amor 
senta  dolors.)  Soviel  ich  die  frz.  trovedors  kenne,  sind  sie  unselbständige  und  oft  platte 
nachahmer  der  Provenzalen.  Nur  im  epos,  so  im  Erec  und  Yrain  Crostiens,  zeigen 
sich  abweichungen,  gelegentlich  ein  leiser  Widerspruch  gegen  die  hohe  minne  der 
troubadours,  die  im  Laucelot  ihren  klassischen  ausdruck  gefunden  hat. 

Gegen  "Wackernagel  und  Gaston  Paris  nimmt  verf.  nur  geringe  einwirkung  des 
nordfrz.  minnesaugs  auf  den  deutschen  an  (s.  3.  8.  30.  50.  55.  64.  86)  besonders  bei 
Veldeke,  Reinmar  (?)  und  Walthor  (?).  AVichtiger  war  nach  verf.  die  bekanntschaft  mit 
den  franz.  ritterepen  (s.  117.  119  und  sonst),  in  denen  Schildes  amt,  um  mit  Wolfram 
zu  reden,  vor  minnesang  ging.  Ulrich  von  Liechtenstein  setzt  sich  nicht  das  lob  der 
herrin  zur  aufgäbe,  sondern  ritterliche  taten  auf  touruierfahrten  besteht  er  der  herrin 
zu  ehion.    Die  alte  ritterliche  lebensanschauung  hat  dem  minne.sang  des  frauendienstes 

1)  Diese  fragen  und  verwandtes  hoffe  ich  i)ald  in  grösserem  Zusammenhang 
des  nähen-n  erörhMMi  zu  können. 

31* 


481  EHRISHIANK    i''BF.I{    .TECHT,    GÖRLITZRR    HSS.    DES    SACHSENSPIEGELS 

wol  iniiiier  als  etwas  fremdes  einpfuiidea.  Treffend  liat  Burdacli  (Leben  Walters  I, 
s.  12fgg.)  geschildert,  wie  am  Thüringer  hofe  Wolfram  der  ritter  und  AValtlier  der 
Sänger  als  Vertreter  zweier  verschiedener  lebensauschauungen  einander  gegenübertraten. 
Ein  alter  noch  weit  verbreiteter  Irrtum,  dem  sich  auch  verf.  anschliesst,  will,  dass 
der  rainnesang  ritterliche  dichtung  sei.  Das  studium  der  texte  zeigt  aber,  dass  der 
grossen  mehrzahl  der  troubadours  aller  ritterliche  geist  fremd  ist.  Nur  einige  wenige 
suchen  das  ältere  lebensideal  des  rittertums  mit  dem  jüngeren  der  hohen  minne  zu 
vereinigen,  indem  sie  die  ritterscbaft  in  den  dienst  der  herrin  stellen.  Dies  ist  aucii 
die  auffassung  im  höfischen  epos  geworden.  (Ich  habe  davon  in  kürze  gehandelt  Zs. 
f.  franz.  spr.  1902,  s.  187  anm.) 

S.  7  wird  von  Hausen  gesagt,  „er  zählte  im  jähre  1186  höchstens  3.5  jähre, 
war  also  für  ein  liebesverhältnis,  wie  es  der  miimesang  voraussetzt,  keineswegs  zu 
alt."  Hier  liricht  die  alte  irrtümliche  Vorstellung  durch,  als  ob  nur  die  Jugendzeit 
eines  Sängers  die  zeit  seines  minnesangs  gewesen  sein  könne.  Verf.  vergisst,  dass 
der  minnesang  weit  mehr  beruf ssache  war,  als  spontanes  Selbstbekenntnis.  Walther 
und  Reinmar  versichern  widerholt,  dass  sie  in  diesem  beruf  alt  und  grau  geworden 
seien.  Hohes  alter  hinderte  den  sänger  nicht  an  der  ausübuug  seiner  kunst,  wol 
aber  hat  sich  mancher,  wie  Hartmann  und  Walther,  später  von  der  weltlichen  minne 
zur  himmlischen  gewendet,  um  für  sein  Seelenheil  nach  dem  tode  zu  sorgen. 

Gutenburg  in  seinem  leich  vergleicht  (MF.  76,  24)  seine  herrin  mit  der  fronen 
de  la  Roschi  Mse.     Verf.  (anm.  104,  s.  36.  79)  bemerkt,  nirgends  diesen  namen  ge- 
funden zu  haben.     Er  steht  in  einer  erweiterung  des  Prosatristan   (L0seth,    s.  266 
unten):    Dort  kommt  Saphar,  bruder  des  Palamedes,   nach  Roche  Bise  und  besiegt 
dort  Margot  le  roux,   der  ein  fräulein  bei  sich  im  zeit  zurückhält.     Es  darf  vermutet 
werden,  dass  in  dieser  aus  dem  13.  jh.  stammenden  kompilatiou  vielleicht  ein  litter- 
roman  benutzt  ist.  den  Gutenburg  gekannt  hat.  —  S.  46.  wird  eine  inhaltlich  wichtige 
tenzone  Bernhards   von  Ventadorn   mit  einem  Peire  besprochen,   in   dem   man  friiher 
mit  unrecht  Peire  d'Alvernhe  sehen  wollte.     So  auch  noch  verf.  Zenker  s.  2  —  3,  139 
hat  gezeigt,  dass   diese  attributiou  unbegründet  war.     S.  50,  zeile  7  lies  anm.  78.  — 
S.  78  unter  der  mitte  lies:  contral  ven.  —  S.  104,  zeile  8  lies:  129.  —  S.  110  mitte 
ies:  137.  —  S.  102  oben  hören  wir  von  einer  „psychologischen  erklärung  der  verliebung, 
die  romanischer  provenienz  sein  dürfte."     Der  lobenswerte  eifer,  mit  dem  sich  die 
gelehrte    autorin    in    ihr   thema  versenkt    hat,    entschuldigt  wol  diesen  interessanten 
neologismus. 

MARBURG  A.  L.  EDUARD  WErHSSLER. 


tiber  die  in  Görlitz  vorhandenen  Handschriften  des  Sachsenspiegels  und  ver- 
wandter rechtsquellen.  Von  professor  dr.  R.  Jecht.  Aus  den  Veröffentlichungen 
der  Oberlausitzischen  gesollschaft  der  Wissenschaften:  Neues  Lausitzisches  magazin, 
82.  bd.  1906,  s.  223  bis  264  und  S.  A.     Mit  8  tafeln. 

Die  rechtsgeschichte  von  Görlitz  kann  schon  von  der  entstehung  der  stadt  an. 
um  das  jähr  1200,  beobachtet  werden.  Wie  die  meisten  städte  der  Lausitz  und 
Schlesiens  war  auch  Görlitz  mit  dem  rechte  von  Magdeburg  bewidmet.  Noch  heut- 
zutage ist  uns  eine  fortlaufende  reihe  von  quellen  erhalten,  welche  die  entwicklung 
ihrer  rechtsverhältnisse  verfolgen  lassen,  und  es  ist  ein  dankenswertes  unternehmen 
J(*clits,  dieselben  zusammengestellt  zu  haben.  Im  ganzen  sind  sechzehn  stücke  beschrie- 
ben, davon  zwei,  deren  originale  verloren  gingen,  nur  noch  in  abdrucken  vorlianden, 


KIIinsMANN  ÜliKH  KKGBl..  VKÜBIiBlTUNCi    II.  Mlll).  LITT.  IN  MITTKL-  U.  NIKDF.K-nKUTSCIIl.AM)        185 

(1.  Urkunde  von  loOo,  III.  rechtsstatut  vou  1304),  die  orhalteiien  grösstenteils  im 
(iörlitzcr  ratsarehiv,  einige  auch  in  der  bibliothek  der  Oberlausitzer  gesellschaft  der 
Wissenschaften  aufbewahrt  sind.  Die  erhaltenen  reciitsquellen  sind:  das  stadtbuch, 
angelegt  im  jähr  1305  (nr.  II),  das  bekannte,  von  Homeyer  herausgegebene  Görlitzer 
rechtsbuch  (nr.  IV,  vom  anfaug  des  14.  jhs.),  die  grosse  handschrift  des  Sachsen- 
spiegels (nr.  V,  ende  des  14.  jhs.).  zwei  spätere  Sachsenspiegelhandsciiriften,  von  1464 
und  1470  (nr.  XIII  und  XIV),  Glosse  und  landrecht  zum  Sachsenspiegel  (nr.  XII, 
zweiteu  hälfte  des  14.  jhs.),  eine  hs.  von  Nikolaus  Wurms  Blume  des  Sachsenspiegels 
(nr.  VI,  aus  der  mitte  des  15.  jhs.),  die  Blume  von  Magdeburg  (nr.  VII,  einzige  hs., 
um  1400);  ausserdem  ein  Schlüssel  des  landrechts  (nr.  VIII,  nntte  des  15.  jhs.),  eine 
Kegelsamnilung  (nr.  IX,  15.  Jh.),  Kircheiirocht  und  regelsammlung  (nr.  X,  von  1465). 
ein  Schwabenspiegel  (nr.  XI,  vou  1449),  Schöppenrecht  (nr.  XV,  mitte  des  15.  jhs.), 
ixechtsbuch  nach  distiuctioneu  (nr.  XVI,  abschrift  einer  hs.  des  14.  15.  jhs.,  aus  dem 
17.  Jh.).  —  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  bilderhandschriften  (nr.  V.  VI.  VII), 
aus  welchen  auf  den  beigegebenen  tafeln  proben  mitgeteilt  sind.  Die  illustrationen 
tragen  den  charakter  der  s[)äteren  Sachsenspiegelmalerei,  das  heisst  sie  gehören  zum 
decorativen  stil  und  sind  in  ihrer  technik  als  buchschmuck  auf  künstlerische  Wirkung 
berechnet,  während  die  bilder  der  älteren  handschriften  in  ihrer  einfachen  aber  deut- 
lichen ausführung  mit  der  ausdrucksvollen  Symbolik  und  gebärdensprache  den  j)rak- 
tischen  zweck  haben,  den  text  zu  erläutern  (vgl.  v.  Amira,  Die  Dresdener  bilder- 
liaudschrift  des  Sachsenspiegels  I,  1,  31  fgg.).  Besonders  die  bilder  der  grossen  Görlitzer 
Sachsenspiegelhandschrift  scheinen  nach  dem  beispiel  auf  taf.  I  sehr  farbenprächtig 
■  zu  sein. 

HEIDELBERG.  G.    EHRISMANX. 

Die  Verbreitung  der  mittelhochdeutschen  erzählenden  litteratur  in 
Mittel-  und  Niederdeutschland,  nachgewiesen  auf  grund  von  personen- 
namen  von  Ernst  Kegel.  Halle.  Max  Niemeyer  1905.  X,  140  s.  8".  4,.50  m. 
Hermaea  bd.  III. 

An  der  band  der  personennamen  sucht  der  Verfasser  die  Verbreitung  der  mittel- 
hochdeutschen höfischen  epen  im  westlichen  Niederdeutschland  —  bis  etwa  an  die 
Elbe  —  und  in  Böhmen  nachzuweisen.  Als  muster  lag  ihm  besondeis  Panzers  arbeit 
•Personennamen  aus  dem  höfischen  epos  in  Baiorn'  (Philol.  Studien,  festgabe  für 
Sievers,  s.  205  —  220)  vor.  Die  aus  einer  reichen  histoi'ischen  und  philologischen 
litteratur  geschöpfte  ausbeute  ist  nicht  unbeträchtlich  und  zeigt,  dass  man  an  dem 
romantischen  spiel  der  ritterdichtung  auch  in  Niederdeutschland  gefallen  fand,  denn, 
mochte  diese  auch  dem  innersten  weseu  dos  sächsischen  Stammes  immer  etwas  fremdes 
sein,  so  stammte  sie  doch  aus  Frankreich  und  aus  dorn  Oberdeutschen  und  gehörte 
zur  aristokratischen  mode.  Und  so«  scheint  es  in  manchen  gegenden.  jedesfalls  in 
einzelnen  familieu,  geradezu  mode  gewesen  zu  sein,  mit  höfischen  namen  sich  bezw. 
seine  kiuder  zu  schmücken.  Denn  zur  ziermode  gehören  gewiss,  wenigstens  vom 
14.  jh.  ab,  diese  feinen  namen,  von  der  ethischen  bedeutung  eines  symbols  (vgl.  bes. 
Heliand  216  fgg.,  und  Kauffmanu,  Baldor  s.  liiS;  Kegel  s.  4  fgg.),  die  in  älterer 
zeit  und  wol  noch  lauge  beim  volke  dem  namen  beigelegt  wurde,  tragen  sie  nichts 
mehr  in  sich.  Der  romantische  klang  war  es,  der  bestach,  wenn  einer  sein  kind 
Gramotlanz  oder  Lunete  nannte. 

Für  die  frage,  wie  weit  die  höfischen  epen  in  den  betrelVenden  gebieten  Ver- 
breitung gefunden   haben,   können   die   einzelnen  namen    nur  mit  vorsieht   benutzt 


186  lU.  MBYEK    CB£K    UTITZ,    HEINSE 

werden.  Der  Verfasser  hat  solche  auch  iu  anerkennenswerter  weise  walten  lassen,  wie 
denn  seine  ganze  arbeit  einen  schätzenswerten  beitiag  für  das  gebiet  der  geographi- 
schen namenkunde  bietet.  Und  doch  scheint  er  mir  der  beweiskraft  der  nanien  noch 
zu  viel  gewicht  beigelegt  zu  haben.  So  fallen  alle  jene  Parzifal  und  Tnstan  weg  (vgl. 
übrigens  s.  112),  die  schon  familiennameu  geworden  sind,  und  auch  sonst  mag  ohne 
unmittelbaren  eintluss  der  hochdeutschen  dichtung  ein  höfischer  nanie  aus  irgend- 
einem andern  gründe  in  einem  bestimmten  kreise  beliebt  worden  sein  ('tradition  und 
modc',  Panzer  a.  a.  o.  s.  220).  Besonders  aber  für  genauere  zeitliche  und  örtliche 
bestiinmungen  reicht  das  material  nicht  aus.  Ganz  schwach  sind  die  beziehungen  zu 
Wolframs  Willehalm:  die  Wilhelm,  Renward,  Alize  hält  der  Verfasser  selbst  für 
wenig  brauchbar.  Vivianus  ist  dadurch  verdächtig,  dass  er  schon  1186  und  1197  be- 
legt ist  (s.  91  fg.,  V.  ist  ein  in  romanischen  länderu  nicht  selten  belegter  name)  und 
somit  wird  man  auch  auf  eine  örtliche  Verbreitung  des  romans  aus  den  erhaltenen 
namen  teine  Schlüsse  ziehen  können.  Dann  auch  l'arzival  selbst:  während  in  Böhmen 
nur  die  formen  mit  a  vorkommen,  sind  in  iSTiederdeutschland  die  mit  e,  Pcrcevul, 
Pcrseval,  auch  Perchecal  u.  a ,  häufiger.  Nun  hat  zwar  auch  Berthold  v.  Holle 
im  Demantin  1207  Perxcval  (s.  69  anm.  1),  aber  das  e  deutet  doch  entschieden  auf 
rumänischen  bezw.  niederländischen  (vgl.  ndl.  Perchevael)  Ursprung  hin,  so  dass  man 
diesen,  wie  vielleicht  auch  andere  fälle,  doch  nicht  unbedingt  für  hochdeutschen  ein- 
tluss in  anspruch  nehmen  darf.  Im  gegenteil,  es  scheint  dies  auf  bekanntschaft  mit 
der  französischen  Artusdichtuug  hinzuweisen.  Und  es  ist  auch  gar  nicht  unwahr- 
scheinlich ,  dass  französische  romane  schon  vor  Hartmann  an  niederdeutschen  höieu 
gelesen  ■«-urdeu.  War  doch  Heinrichs  des  Löwen  gemahlin  die  tochter  der  gefeierten" 
gönnerin  der  poeten,  Eleonore  von  Poitou. 

HEIDELBERG.  G.    ElIKISMANN. 


lltnil  Utitz,  dr.,  J.  J.  Wilhelm  Heinse  und  die  ästhetik  zur  zeit  der  dcut- 
scbeu  aufklärung.  Eine  problemgeschichtliche  Studie.  Halle  a.  S.  1906. 
VI,  96  s.     2,60  m. 

Utitz  beklagt  in  der  einleitung  seiner  abhandlung,  dass  Heinse  in  den  ästheti- 
schen werken  unserer  tage  so  v^^enig  berücksichtiguug  finde;  ich  fürchte,  dass  auch 
Utitz'  gewissenhafte  arbeit  daran  wenig  ändern  wird.  Wie  im  voraus  zu  erwarten 
war,  kommt  nicht  aUziiviel  dabei  heraus,  wenn  Heinse  auf  seine  leistungeu  iu  der 
theoretischen  ästhetik  durchforscht  wird.  Die  ästhetische  formulierung  seiner  au- 
schauungen  weicht  nicht  wesentlich  ab  von  den  ästhetischen  theorien  jener  tage,  wie 
Utitz  selbst  darlegt.  Heinses  Verdienste  liegen  auf  dem  feld  der  angewandten  ästhetik. 
in  seinem  kämpf  gegen  den  klassizismus  zu  gunsten  einer  freien  natui'nachahmung 
und  einer  im  geist  jedes  volks  begründeten  nationalen  kunst,  in  seiner  Wertschätzung 
der  färbe  gegenüber  ihrer  missachtung  durch  Wiukelmaun.  in  seinem  einti'eten  für 
die  berechtigung  der  landschaftsmalerei ,  in  seiner  erkenntnis  von  der  bedeutung  der 
künstlerischen  persönlichkeit  für  das  kunstwerk  und  in  seiner  bewundernden  aner- 
kennung  von  Glucks  reformatorischem  wii'ken  in  der  musik.  Natürlich  spricht  Utitz 
von  alledem;  aber  da  er  lediglich  die  nackten  theoretischen  .sätze  aus  Hein.ses  Schriften 
aushebt  und  nirgends  ausführt,  welche  praktische  an  Wendung  land  welche  ausdehnung 
Heinse  diesen  erkenntnissen  im  widerstreit  mit  den  ästhetischen  meinungen  seiner  zeit 
gegeben  hat,  so  erscheint  Heinse  für  den  leser  von  Utitz'  schrift  unbedeutender,  als 
er  es  in  Wirklichkeit   war.      [Jnd  dann,  wie  kann   man   Heinses  ästhetik   behandeln, 


SCHMEDli«  f  LiEI!   l.AUBE,   KUH.  IIILÜKIJIJANI)      -   U.  M.  MKVKK  ÜHKK  IIAU.SSMANN.    IIKUDKl;         4S7 

uiiuo  das  verbültuiö,  in  welchem  bei  iiiin  seiiüuheit  und  Sittlichkeit  steht,  ausführ- 
licher zu  entwickeln"?  Das  wäre  der  punkt  gewesen,  an  welchem  der  persönliche 
Untergrund  seiner  ästhetischen  Überzeugung  zu  tage  getreten  und  an  seiner  auffassuug 
der  Schönheit  auch  das  zur  geltung  gekommen  wäre,  was  er  mehr  gefühlt,  als  in 
klaren  werten  auszusprechen  vermocht  hat.  Sucht  man  über  diese  wichtigste  seite 
seiner  ästhetik,  die  freilich  nicht  mit  einem  einfachen  citieren  von  ein  paar  Sätzen  zu 
erledigen  gewesen  wäre,  bei  dem  Verfasser  aufschluss,  so  lässt  er  uns  vollständig  im 
stich.  Mit  der  allgemeinen  und  in  ihrer  allgemeinheit  zum  mindesten  schiefen  be- 
morkung,  dass  sich  Heiuse  und  Schiller  „in  einem  sehr  wichtigen  punkt.  in  dem 
gedanken  einer  ästhetischen  erziehuug  der  menschheit  und  im  betonen  der  ethischen 
Wirkung  des  schönen  berühren-,  ist  nichts  gesagt.  Der  arbeit  fehlt,  was  ihren 
krönenden  abschluss  hätte  bilden  sollen. 

STUTTGART.  THEODOR    A.    MEYKK. 


Kudulf  ilildebrand  und  seine  schule.  Ein  beitrag  zur  geschichto  des  deutsch- 
sprachlichen Unterrichts  in  der  2.  hälfte  des  19.  Jahrhunderts.  Von  dr.  pliil. 
Riehard  Laube.     Leipzig,  Brandstetter  1<)03.     XV,  136  s. 

Der  Verfasser  des  vorliegenden  buches  hebt  in  den  Vorbemerkungen  selbst  her- 
vor, dass  und  warum  er  nicht  den  anspruch  erhebe,  sein  thema  erschöpft  zu  haben, 
sondern  dass  seine  abhandlung  nach  einer  einführang  in  die  lehre  Hildebrands  vom 
deutschen  Sprachunterricht  lediglich  die  hauptströme  des  einüusses  aufzeigen  wolle, 
den  diese  lehre  geübt  habe.  So  gibt  denn  der  erste  teil  der  schrift  eine  darstellung 
der  lehre  Hiidebrands  im  umriss,  gegen  die  ich  nichts  einzuwenden  habe.  Der  viel 
umfangreichere  zweite  teil  handelt  von  Hildebrands  einfluss  auf  den  deutschen  Unter- 
richt. In  wie  weit  der  verf.  mit  dem  recht  liat,  was  er  hier  über  die  starke  Wirkung 
beibringt,  die  Hildebrands  lehren  auf  den  Unterricht  in  Volksschulen  geübt  haben, 
kann  ich  nicht  beurteilen.  Das  aber  behaupte  ich  sehr  entschieden,  dass  L.  die  be- 
deutung  dieser  lehren  für  die  gestaltung  des  deutschen  Unterrichts  an  höheren  schulen 
allzu  hoch  anschlägt.  Es  geht  ihm  wie  auch  andern  anhängcrn  des  Leipziger  germa- 
nisten.  Hört  man  sie  über  dies  thema  reden ,  so  sollte  man  glauben ,  es  habe  vor 
Hildebrand  überhaupt  keinen  anständigen  deutschen  Unterricht  an  gymnasien  gegeben. 
So  liegt  aber  die  Sache  in  Wirklichkeit  doch  nicht.  Gewiss  hat  Hildebrand  sehr  an- 
regend gewirkt,  aber  auch  vor  ihm  hat  es  nicht  an  Ichrern  des  deutschen  gefehlt,  die 
ihren  Schülern  etwas  tüchtiges  für  das  leben  mitzugeben  hatten.  Dass  die  Über- 
schätzung Hildebrands  und  die  versuche  dieses  und  jenes  Jüngers,  die  winke  und  an- 
reguugen  des  meisters  zum  .System  zu  gestalten,  zu  wunderlichen  missbildungen  aulass 
gegeben  haben,  kann  man,  wie  mir  scheint,  eben  aus  Laubes  darstellung  lernen. 

FRANKFURT    A.  M.  .  •].    SCHMKDES. 

•lotiaiiiies  Haiissiiiaiin,  Untersuchungen  über  spräche  und  stil  des  jungen 
Herder.     Leipzig,  Fock  1907.     XII,  114  s.     2,50  m. 

Für  die  individuelle  Stilbeschreibung  hat  sich  bei  der  Jugendlichkeit  dieser  bc- 
niühungen  in  Deutschland  glücklicherweise  noch  kein  Schema  festgesetzt.  So  führt 
IL  denn  auch  Längins  von  ihm  dankbar  genannte,  aber  auch  gelegentlich  ln-riiii- 
tigte  arl)eit  selbständig  fort.  Er  hätte  von  einem  der  feinsten  Stilbeobachter  unserer 
zeit,  von  A.  Fries,  noch  manches  li'rnen  können;  doch  folilt  dessen  naine  in) 
litteraturverzeichnis. 


■188  VERZEICHNIS    DEK    MITAKBEITEK    UND    IHKEK    liEITKÄüE 

Pie  Untersuchung  versteht  es,  wichtiges  und  unwichtiges,  charakteristisches 
und  allgemeines  zu.  scheiden  —  das  beste  lob ,  das  eine  solche  Studie  sich  verdienen 
kann;  die  anordnuug  dagegen  könnte  wol  noch  schärfer  und  übersichtlicher  sein. 
Aber  einzelheiten  wie  die  reflexive  construction  (s.  9) ,  der  adjectivische  gebrauch  der 
participia  (s.  16  anm.),  die  Verwendung  der  noniina  agentis  (s.  20;  H.  sagt  'nomina 
actoris'),  die  weglassung  des  artikels  (s.  47),  gallicismen  (s.  15.  53)  kommen  gut 
heraus.  Die  'peremptorische  form  des  Widerspruchs'  (s.  63)  mit  ihrem  vernichtenden 
dilemma  („menschen  die  inniges  gefühl  für  die  musik  haben,  ihr  werdet  meiner  er- 
fahrung  beistimmen  oder  ihr  seid  garnicht  zum  gefühl  derselben  geschaffen'-)  und  die 
discursortsche  redeweise  (s.  69)  werden  in  ihrer  psychologischen  begründung  aufgezeigt 
und  in  dieser  ,,  Schreibart  der  gebärden  und  der  reflexboweguugen "  (s.  25)  wird 
Herders  rhetorische  lebhaftigkeit  wie  in  der  dürftigkeit  seiner  bilder  (s.  29fg.  108  fg.) 
sein  undichterisches  material  gut  beleuchtet. 

BERLIN.  KICUAKD    M.    MEYEi;. 


VEKZEICHNIS 

DER  MITARBEITER   UND   IHRER  BEITRÄGE  IX   BAND  XXXI  —  XL  DIESER  ZEITSCHRIFT. 

Althof,  Herrn,  (dr.  prof.  in  AVeimar  f):  Zur  Würdigung  der  Walthariushandschrifteu. 
XXXII,  173. 
Zum  Waltharius.    XXXIII,  349.  437. 
Über  das  Verhältnis  der  innd.  Übersetzung  des  Lippifloriums  zu  den  verschiedeneu 

lesarten  der  Originaldichtung.    XXXIV,  1. 
Über  einige  namen  im  AValtharius.    XXXIV,  365. 

Anzeige  von:    Fr.   Norden,  Le  chant  de  Walther.    XXXIIl,  540.    —    Franz 
Linnig,  Walther  von  Aquitanien.    XXXIIl,  543. 
Areiis,  Eduard  (dr.  in  Aachen):  Anzeige  von:  V.  E.  Mourek,  Zur  syutax  des  ahd. 

Tatian.    XXXI,  135. 
Bahder,  Karl  v.   (dr.  prof.   in   Leipzig):    Anzeige   von:   Paul  0.  Kern,  Das  starke 

verb  bei  Grimmeishausen.    XXXII,  106. 
Beliasrhel,  Otto  (dr.  prof.  geh.  hofrat  in  Giessen):  Ich  habe  geschlafen.  XXXIl.  64. 

Zur  flexiou  des  gotischen  adjectivs.    XXXVI,  236. 
Berger,  Arnold  E.  (dr.  prof.  in  Darmstadt):  Anzeige  von:  E.  Thiele,  Luthers  sprich- 
wörtersammlung.    XXXV,  413. —  M.Luther,  Vermischte  Schriften  weltlichen 
inhalts,  hrg.  von  R.  Neubauer.    XXXV,  418. 
Bei-nhardt,  Ernst  (dr.   prof.  in  Erfurt  r):   Zum  Willehalm  Wolframs  von  Eschen- 
bach.   XXXII,  36. 
Über  (hi  und  ir  bei .  Wolf lam ,  Hartmaun  und  Gottfried  und  über  tu  und  ms  in 

den  entsprechenden  altfranz.  gedichteu.   XXX,  368. 
Beiträge  zur  mhd.  syntax.    XXXV,  145.  343. 

Anzeige  von:  .lohanna  M.  N.   Noordewier,  Bijdrage   tot  de   beordeeling   vau 
den  Willehalm.    XXXIV,  542. 
Biese,  Alfred   (dr.   prof.  gymnasialdirector  in  Neuwied):    Anzeige   von:    E.   Elster, 

Prinzipien  der  litteraturwissenschaft.    XXXI,  237. 
Binz,  Gustav  (dr.  prof.  stadtbibliothekar  in  Mainz):  Ein  Basler  fastnachtspiel  aus  dem 
15.  jahrh.   XXXII,  58. 
Etymologien.    XXXVIII,  369. 


VERZEICHNIS    nER    MIT.UUiElTKi;    IM)    ini;l.K    HKITI.'Äl.i;  489 

Anzeige  vuu:  Fr.  Seiler,   Die  ontwicklung  der  duutselien  kultur  im  Spiegel  des 
deutschon    lelinworts.     XXXIV,    70.     XXXIX,    517.    —    Erik    Björkman, 
Scandinavian  loan-words  ia  Middlo  EnglLsb.    XXXV,  06.    XXXVI  ^  502.   — 
A.  J.  Baruouw,  Textkrit.  Untersuchungen  nach  dem  gebrauch  des  bestimmten 
artikels  und  des   schwachen  adjcctivs  in  der  altengl.  poesie.  XXXVI,  26Ö.  — 
H.  S.  Mac  Gilli vry,  The  inlluence  of  christianity  ou  the  vocabulary  of  Old- 
English.    XXXVI,   493.    —    M.  Trautmann,   Bonner   beitrage   zur  anglistik, 
9 — 11.     XXXVI,    505.    548.    —    E.  Krämer,    Die    altenglischen    metra   des 
Boethius.    XXXVI,  518.   —  Emily  Howard  Foley,    The  languago   of  the 
gospel  of  S.  Matthew.    XXXVI,  521.  —  L.  F.  Anderson,  The  Anglosaxon 
scop.  XXXVll,  110.—  M.  Trautmaun,  Finn  und  Hildebrand.  XXXVII,  .529. 
Blcy,  A.  (dr.  prof.  in  Gent):  Zur  entstehung  der  jüngeren  lslendingab(Jk.  XXXIl,  33Ü. 
Hle\er.  Jacob  (dr.  in  Sopron):  Zu  Fischarts  Flöhhaz,    XXXIV,  132. 
Kliimml,  E.  K.  (in  Wien):  Die  Schwelinsche  liederhand-schrift.    XL,  404. 
Hoor,  R.  C.  (dr.  prof.  in  Amsterdam):  Die  handschriftliche  Überlieferung  der  Grettis- 
saga.    XXXI,  40. 
Kritische  und  exegetische  bemerkuugeu  su  skaldenstro[)hen.    XXXI,  1 11. 
Wanderer  und  Seefahrer.    XXXV,  1. 
Sigrdrifumäl  und  HelreiS.    XXXV,  289. 

Über  die  quelle  von  c.  26  —  29  der  Vglsunga  saga.    XXXV,  464. 
Kritik  der  Voluspä.    XXXVI,  289. 
Untersuchungen    über    den    Ursprung    und    die    entwicklung   der    Nibelungcnsage. 

XXXVll,  289.  438.    XXXVIII,  39. 
Untersuchungen  über  die  Hildesage.    XL,  1.  184.  292. 

Anzeige  von:  H.  Bertelsen,    Om  Didrik  af  Berns  sagas   opriudeligo  skikkelse, 
omarbejdelsc  og  händskrifter.    XXXVll,  126. 
BohiU'uberger,  Karl  (dr.  prof.  in  Tübingen):  Anzeige  von:  E.H.Meyer,  Badisches 

Volksleben  im  19.  jahrh.    XXXVI,  279. 
Bolte,  Johannes  (dr.  prof.  in  Berlin):  Die  historia  von  Sancto.    XXXII,  349. 
Anzeige  von:  Konr.  Richter,  Der  deutsche  S.Christoph.    XXXIII,  269. 
Braun,  W.  (director  in  Mailand):  Die  Mailänder  blätter  der  Skeireins.    XXXI,  429. 
Brückner,  Willi,  (dr.  prof.  in  Basel):  Zur  ütteneinteilung  des  Heliand.  XXXV,  .533. 
Anzeige  von:  Alfr.  Schacr,  Die  altdeutschen  fechter  und  spielleute.  XXXV,  125. 
Briihn,   Ewald    (dr.    gymnasialdirector    in    Frankfurt   a.  M.):    Anzeige    von:    Paul 
Knauth,   Goethes  spräche  und  stil  im  alter.    XXXI,  413.   —   H.  G.  Graf, 
Goethe  über  seine  dichtungen.    XXXV,  127. 
Bruinicr,  J.  W.  (dr.   in   Anklam):    Untersuchungen   zur  entwicklungsgeschichto  des 

vMikssohauspiels  von  dr.  Faust.    XXXI,  60.  194. 
Buclihol/.,   Richard  (dr.  in  Altena):    Zur   strophenfulge    in   Ezzos    gesaug  von    den 

wundern  Christi.    XXXIU,  141. 
Buc^ge,  Soplius  (dr.  prof.  iu  Christiania  j):  Das  runendeukmal  von  Britsum  in  Fries- 
land.   XL,  171. 
Uiirdach,  K(»iirad  (dr.  jjnjf.  in  Berlin):  Zu  Zsciir.  30,  5.58fg.    XXXII,  139. 
Bucrircl  (■oodnin,  II.  K.  H.  (dr.  lector  in  Upsala):  Die  Zeitschrift  für  schwedische 

mundarten  und  Volkskunde.    XXXVll,  399. 
ricuien,  Otto  (dr.  lic.  in  Zwickau):  Anzeige  von:  Huldr.  Zwingli,  Von  freiheit  der 
spei-sen,    hrg.   von    0.   Walther;     Job.    Vogelgesang    (Cochlaeus),    Ein 


-188 


VEr;ZKiaiMs  uki; 


II    IHKEK    llUTRAüE 


Die  uiitersuchuiig  verste' '  und  unwichtiges,   charakteristisches 

imd  allgemeines  zu  scheiden  -  i«"»«  pine  solcho  studio  bich  verdienen 

kann;    die  anordnaug  dagegen    kuui  ■■  '         :   übersichtlicher  sein. 

Aber  einzelheiten  wie  die  reflexive  l   ;   ;   a /■  ..tivischc  gebrauch  der 

participia  (s.  16  aum.),  die  verwendun/der  oomina  agentis  (s.  20;  H.  sagt  'nomina 

actoris'),    die   weglassung   des   u     '    '         '"  .":.  ismen  (s.  15.  53)    kommen   gut 

heraus.     Die  'peremptorische  f  <•*  '»3)  mit  ihrem  vernichtende 

dilemma  (., menschen  die  innig-'  -    ■■  ■'■■■■■■  ihr  werdft  meiner  e 

fahrung  beistimmen  oder  ihr  sc  ^...i.;..  -  .  ..  ^  : .  .:   i  r--iLen  geschaffen-)  und  ( 
discursoftsche  redeweise  (s.  69)  werdeim  ihrer  psychologischen  begnindung  aufgez« 

imd    in    dieser    ..8chi>                                        '  "'     '        .      cen-   (s.  25)  v 

Herders  rhetorische  L  r  (V_»'.»fg.  KJf 
sein  undichterisches  niatenal  gut  beloihtet. 

BERLIN.  LUllAKll    M      yiFAt 


s  Lippifloriams  su  den  vo 

XXXIII.  5H> 
E.  Moarek,  Zur  ^^ 
Anc«ige  von:  Paal  O.  Ket 


•hl.i 


vp:keichnis 

DEi;  MITAKBKITKK    UM»    lHHEIi    HEITlUE  IX    BAND  XXXI  — XI.  DIK^EK  ZEIT: 

Althof,  Herrn,  (dr.  prof.  in  Weimar  r:  Zur  würdigang  der  Walthariushand 
XXXIT,  173. 
Zum  Waltharius.    XXXIII,  3JH, 
Über  das  Verhältnis  der  mnd.  iit 

lesarten  der  originaldich*- 
Über  einige  uamen  im  AVa 
Anzeige  von:    Fr.   Norden,    1. 
Linnig,  Walther  von  Aijuit.ii 
Areiis,  Eduard  (dr.  in  Aachen):  Aitdge  von:  V 

Tatian.    XXXI,  135. 
Bahder,  Karl  v.  (dr.  jirof.   in   Leips;] 
verb  bei  Grimmeishausen.    X  X 
Behajrhel,  Otto  (dr.  prof.  geh.  Ii'f| 

Zur  flexion  des  gotischen  a; 
Berger,  Arnold  E.  (dr.  prof.  in  Imi' 
Wörtersammlung.    XXXV,  11 
Inhalts,  hrg.  von  K.  Neuba 
Bernhardt,  Ernst  (dr.   pi  r   in  V 
bach.   XXXII,  3(5. 
Über  du  und  ir  bei  Woina:;:,  jiitinaiiii  u 
den  entsprechenden  altfrauz.  -sdichten. 
Beiträge  zur  mhd.  syntax.    XXJ,  145.  343. 
Anzeige  von:  .lohanua  M.   N.  v  nr.t ,) ..  «jer, 
den  Willehalm.    XXXIV,  51 
Biese,  Alfred  (dr.  prof.  gj-jni: 

Prinzipien  der  litteratur,.  a.x 

Binz,  Gustav  (dr.  prof.  stadtbibiiotkar  in  Mainz;:  Ein  Basler 
15.  jahrh.    XXXI 1,  58. 
Etymologien.   XXXVIII,  :;(;i.. 


n):  I-h  hab. 
XXVI,  2, 


Wiü.K.-iIni    W.,1l 
1    UU'J    l 


Bijdi 


VKHZKirii.Ms  hki;  mitaühkitku   r.Mi  iui;kic  ükituam,  IUI 

zähk'udeu  litteratur  iu  Mittel-  uud  Nicdordcutschlaud,  iiacligcwiesoii  auf  gruiid 
vuH  personeiiuaincn.    XL,  485. 

Klliiijror,  (Jeorg  (dr.  piof.  in  Berlin):  Anzeige  von:  A.  Eloessor,  Die  älteste  Über- 
setzung Molierescher  lustspiele.  XXXI,  558.  —  Alb.  Köster,  Der  dichter  der 
Geharnschtcn  Venus.  XXXI,  559.  —  K.  Borinski,  Balthasar  Gracian  uud 
die  hoflitteratur  iu  Deutschland.  XXXII,  128.  —  M.  Kuben  soll  n.  Griechische 
epigramine  und  andere  kleine  dichtungen  des  lü.  und  17.  jahrhs.  XXX 11,  129.  — 
Arvedc  Barino,  Növroses;  E.  T.  A.  Hoff  manns  musikal.  Schriften  hrg.  von 
H.  vom  Ende;  E.  T.  A.  Hoffmanus  sänitl.  werke  hrg.  von  E.  Griesebach. 
XXXIU,  550.  —  F.  Poland,  Reuchlins  Verdeutschung  der  1.  Olynth,  rede 
des  Demustbenes.  XXXVIIl,  262.  —  Erich  Urban,  Owonus  und  die  deut- 
schen epigraniniatiker  des  17.  jahrhs.:  Rieh.  Levy,  Martial  vuid  die  deutsche 
epigraniniatik  des  17.  jahrhs.  XXXVIII,  282.  —  l'hil.  v.  Zeson,  Asiatische 
Roscnmnd  hrg.  von  M.  II.  .Icllinck.  XXXVlli,  280.  —  K.  Ilandwerck, 
Gellerts  älteste  fabeln;  .lohs.  Cuym,  Gellerts  lustspiele.  XXXVIII,  372.  — 
K.  Jahn,  Immermanns  Merlin.  XXXVIII,  375.  —  Th.  Irmisch,  Beiträge 
zur  schwarzburgischen  Volkskunde.   XL,  107. 

Eiiders,  Karl  (dr.  privatdoceut  in  Bonn):   Bibliograpliisch- textkritische  Studien  über 
Joh.  Chr.  Günther.    XXXVI,  474. 
Güntheriana.   XXXIX,  179. 

Eiifflert,   Anton   (dr.   prof.   in   München):    J.  Eugerds  Übersetzung  von  .1.  Aurpachs 
Udac  Auacreouticorum.   XXXIV,  375. 
Zu  Fischarts  bilderreimeu.   XXXV,  534.    XXXVI,  390.  487. 
Bernhard  Schmidt  und  .lohann  Fischart.   XXXVIII,  244. 

Entmann,  3Iartin  (dr.  prof.  in  Strassburg  j):  Anzeige  von:  E.  Martin  und  11.  Licn- 
hart,  Wörterbuch  der  elsässischen  mundarten.    XXXV,  421. 

Euling-.  Karl  (dr.  iu  Königsberg  i.  Pr.):  Zu  Johann  Oldekop.  XXXV,  80. 

Fehse.  AVilh.  (dr.  in  Burg):  Der  oberdeutsche  vierzeilige  totentanztext.  XL,  ()7. 

Fester,  ßicliard  (dr.  prof.  in  Halle):  Anzeige  von:  H.  Düntzer,  Goethe,  Karl 
August  und  Ottokar  Lorenz.  XXXIII ,  498. 

Fisclier,  Herrn,  v.  (dr.  prof.  in  Tübingen):  Zu  Z.schr.  31,421.    XXXU,  142. 
Zu  Zschr.  40,237.    XL,  373. 
Anzeige  von:  Ernst  Müller,  Regesten  zu  Schillers  leben  und  werken.  XXXIV,  84. 

Föi*ster,  Max  (dr.  prof.  in  Würzburg):  Anzeige  von:  B.  teu  Bi'ink,  Geschichte  der 
englischen  litteratur  I-  (hrg.  von  A.  B  ran  dl).  XXXII,  402, 

Franck,  Johannes  (dr.  prof.  in  Bonn):  Anzeige  von:  ll.J.  E.  Endei»ols,  Het  deco- 
ratief  en  de  opvoering  van  het  mnl.  drama,  volgens  de  ninl.  tooneelstukken. 
XXXVII,  283.  —  P.  H.  van  Moerkerken,  De  satire  in  de  nederlandsche 
kunst  der  middeleeuwen.   X-XXVII,  530. 

Franz.  Willi,  (dr.  prof.  in  Tübingen):  Anzeige  von:  F.  Reeder,  Die  länülie  bei  den 
Angelsachsen.   XXXII,  504. 

Friedrich,  W.  (dr.  prof.  in  Darmstadt):  Die  tlexion  des  hauptworts  iu  den  heutigen 
deutschen  mundarten.  XXXU,  484.    XXXIII,  45. 

(•ebhardt,  Aug.  (dr.  prof.  in  Erlangen):  Ein  angoblich  gotisches  aiphabet.  XXXII,  504. 

Anzeige   von:    (irettissaga  ed.    K.  C.    Boer.    XXXVI,   560.    —    Nordiska    studier 

tillegnade  Adolf  Noreen.   XXXVil,  275.   —   U.  .losperson,   Lehrbuch  der 

|)honetik;  ders.,  Phonetische  grundfragon.  XXXVIII,  4<i7.  —  Kristni  saga  etc. 

ed.  n.  Kahle.  XL,  4G7.. 


492  VKKZEKIIMS    DEH    MITAURKITER    TM)    IIIKK.I;    KEITKÄGK 

Geiger,  Emil  (dr.  in  Wobion,  Äargau):   Bericht  über  die  Verhandlungen    der  germa- 
nistischen section  der  40.  Versammlung  deutscher  philologca  und  sciuilmänner 
zu  T3asel.  XL,  93. 
(icigt'r,  Ludw.  (dr.  prof.  in  Berlin):  Just.  Kerners  briefwechsel  mit  Varnhagen   von 
Ense.  XXXI,  371. 

Zu  Goethes  Clavigo.  XXXII,  14], 

Litterarische  nachlese  zum  Goethetage.  XXXII,  404.  537. 

Anzeige  von:  Th.  Kern  er  und  E.  Müller,  Just.  Kerners  briefwechsel  jnit  seinen 
freunden.   XXXI,  2.51. 
fiering,  Hugo  (dr.   prof.  geh.  regieruug.srat  in   Kiel):    Notiz   (zu   Vokmdarkv.  JÜ^. 
XXXL  427. 

Zum  Clermonter  runenkästchen.  XXXIII,  140. 

Zu  Zschr.  33.  140.  XXXIII,  287. 

Zur  altsächsischen  Genesis.  XXXIII,  433. 

Zu  HovaniQl  str.  100.  XXXIV,  133. 

Die  rhythmik  der  IjöSahättr.    XXXIV,  102.  4.04.    XXXV,  420. 

Nene  Schriften  zur  runenkunde  (L.  AVimmer,  De  danske  runomindesm?crker; 
ders.,  S0nderjyllands  runemindesmsorker;  S.  Bugge,  Norges  indskrifter  med 
de  seldre  runer;  ders.,  Norges  indskrifter  med  de  yngre  runer;  Sv.  Söderberg, 
Ölands  ruoinskrifter;  G.  Stephens,  The  oldnorthern  runic  monumeuts  IV). 
XXXVIII.  124. 

Zu  den  Hugsvinnsmäl.   XXXIX,  238. 

Zu  dem  Bornholniischen  runensteine  von  Vester-Marie  Vi.    XL,  218. 

Anzeige  von:  F.  Holthausen,  Die  altenglischen  Waldere-bruchstücke.  XXXIII, 
139.  —  E.  D.  Schönfeld,  Der  isländische  bauernhof  und  sein   betrieb  zur 
sagazeit.    XXXVI,   286.   —  Paul  Herrmann,   Island   in   Vergangenheit  und 
gegenwart.   XL,  374. 
Golther,  Wolfgaug  (dr.  prof.  in  Rostock):  Wilhelm  Hertz.  XXXIV,  396. 

Konrad  Maurer.   XXXV,  59. 

Briefe  von  Wilhelm  und  Jacob  Grimm.    XXXIX,  227. 

Anzeige  von:  A.  F.  Schönbach,  Die  anfange  des  deutschen  minnesangs.  XXXI, 

510. —  E.  Stilgcbauer,  Geschichte  des  minnesangs.  XXXT,  512.—  E.  Lemcke. 

Textkritische  Untersuchungen  zu  den  liedern  Heinrichs  von  Morungen.  XXXI, 

513.  —   0.  Rössner,  Untersuchungen    zu  Heinrich  von    Morungen.    XXXI, 

513.    —    R.   Tombo,   Ossian  in   Germany.    XXXV,  285.    —    K.   Burdach, 

Walther  von  der  Vogehveide  I.    XXXV,  567.   —  H.  Altliof,   Das  Walthari- 

lied  Ekkehards  I.  von  S.  Gallen.   XXXVIII,  421. 

('Omlmult,  W.  F.  (dr.  in  Amsterdam):  Die  fränkischen  psalmenfragmente.  XXXVlf,  2!>. 

(wottlicb,  Theod.   (dr.  in  Wien):   Zimmernsche  handschriften  in  Wien.  XXXI,  303. 

(iötze,  Alfr.  (dr.  privatdocent  in  Freiburg  i.  Br.):   Ein  sendbrief  Eberlins  von  Güuz- 

burg.  XXXVI,  145. 

Urban  Rhegius  als  Satiriker.   XXXVII,  6(5. 

.Vom  pfründmarkt  der  curtisanen.  XXXVII,  193. 
(ioetze,  Edm.  (dr.  prof.  hofrat  in  Dresden):  Zu  Goedekes  Grundriss  II,  335.  XXXI,  483. 
Grienberger ,  Theod.  v.  (dr.  piof.  in  Czernowitz):  Zu  den  Merseburger  Zaubersprüchen. 
XXXI,  139. 

Neue  beitrage  zur  runenlohro.  XXXII,  289.    XXXIX,  .50. 

Die  inschrift  der  spange  von  Balingen.  XL,  257. 


VER7,EirilXI><    PER    MITARBEITER    ÜNP    IHRER    BEITRÄGE  493 

Anzeige  vou:  E.  Wadstein,  The  Clerinout,  lunio  casket;  ders.,  Et  engelskt  foruminne 
frän  700-talot;  Ä.S.  Xapier,  The  Franks  casket;  "W.  ViT-tor,  Das  ags.  runon- 
kästchen  von  Auzon.  XXX II I,  409.  —  S.  Bugge,  Schriften  zur  runenkunde. 
XXXIII,  561.—  W.  Meyer-Lübke,  Romanische  nanienstudien.  XXXVII,  541. 

lljisrcii.  Paul  (dr.  in  Lübeck):  Wolfram  und  Kiot.  XXXVIII,  1.  198. 

Ilash.-itreu,  .lustus  (dr.  privatdocent  in  Bonn):  Anzeige  von:  Friedrich  der  grosse. 
De  la  litterature  allcmaude,  hrg.  von  L.  Geiger;  Justus  Moser,  Über  die 
deutsche  spräche  und  litteratur,  hrg.  von  C.  Schüddekopf.    XXXV,  259. 

llaufTen,    Adolf   (dr.   prof.    in    Prag):    Zu    den    reimdichtungen    des   Johannes    Nas. 
XXXVI,  154.  445. 
Anzeige  von:  Gurt  Blanckenburg.  Studien  über  die  spräche  Abrahams  a  S.  Clara. 

XXXIII,  267.  —  Eob.  Petsch,  Neue  beitrage  zur  kenntnis  des  volksrätseis. 

XXXIV,  89.  —  Job.  Schwarzenberg,  Das  büchleiu  vom  zutrinken,  hrg. 
von  W.  Scheel;  Joh.  Fischart,  Das  glückhafte  schiff  von  Zürich,  hrg.  von 
G.  Baesecke.  XXXV,  553.  —  K.  Hedicke,  Caspar  Scheits  Frölich  hcim- 
fart.  XXXVIII,  263. 

II«'riu'r,  Jose|>]i   (kaplan   in   Eom):    Die  Ochsenfurter  fragmente  der  Alexandreis  des 

Ulricli  von  Eschenbaeh.   XXXVII,  348.    XXXVIII,  298. 
Helm,    Karl    (dr.    prof.    in    Giessen):    Die    entstehungszoit    von    AVolframs    Titurol. 

XXXV,  196. 

Hoyinaim,  James  (dr.  in  Berlin):  Über  causalen  ausdruck  in  Minnesangs  frühlinc-. 
XXXV,  380. 

Hirt,  Herrn,  (dr.  prof.  in  Leipzig):  Anzeige  von:  "Wilh.  Luft,  Studien  zu  den  ältesten 
germanischen  alphabeton.  XXXI,  419.  —  R.  Meringer,  Etymologien  zum 
geflochtenen  haus.  XXXI,  504.  —  Rieh.  Löwe,  Die  ethnische  und  sprach- 
liche gliederung  der  Germanen.  XXXII,  .502.  —  N.  van  Wijk,  Der  nominale 
genetiv  sing,  im  indogermanischen  in  seinem  Verhältnis  zum  nominativ.  XXXVII, 
261.  —  Joh.  Steyrer,  Der  Ursprung  und  das  Wachstum  der  spräche  indo- 
germanischer Eiu-opäer;  B.  Delbrück.  Einleitung  in  das  Studium  der  indo- 
germanischen sprachen'.    XXXVIII,  405. 

Holstein,  Hugo  (dr.  prof.  geh.  regierungsrat  in  Halle  f):  Anzeige  von:  Joh.  Hübner, 
Christliche  comoedia  ed.  Fr.  Brachmann.  XXXII,  556.  —  Joannes  Nicolai 
Secundus,  Basia  ed.  G.  Ellinger.  XXXII,  381.  —  Georg.  Macropedius, 
Rebelles  und  Aluta  ed.  J.  Bolte.  XXXII,  380.  —  Helius  Eobanus  Hesse, 
Noriberga  illustrata  ed.  Jos.  Neff.  XXXII,  .379.  — -  G.  C.  Knod,  Deutsche 
Studenten  in  Bologna.   XXXII,  376.  —  Lippiflorium  ed.  li.  Althof.  XXXIII. 

265.  —  K.  Blüm  lein.  Die  Floia  und  andere  maccaroniscbe  gedichte.  XXXII  I, 

266.  —  Frid.  Dedekindus,  Grobianus  ed.  AI.  Bömer.  XXXVI.  567.  — 
Veterator  und  Advocatus  ed.  Joh.  Bolte.   XXXA'I,  568. 

Holthauseii,  Fcrd.  (dr.  prof.  in  Kiel):  Zum  ahd.  Heinrichsliode.    XXXV,  89.  XXXV 1, 
4S:!. 
Zu  den  altmittel-  und  altniedcrfränkischen  denkmälern.    XXXVI,  482. 
Zur  quelle  von  Oynewulfs  Elene.     XXXVH,  1—19. 
Beiträge  zur  crklärung  des  altenglischen  epos  (zum  Beowulf-  und  Fiunsburgfragm.). 

XXXVIL  113. 
Zwei  segen.    XXXVIII,  306. 
•Iiieobs,  Ed.  (dr.  archivrat  in  Wernigerode):  Ein  altdeut.scher  neujalirswinis'-h  mit  .Inr 
ursprünglichen  singweiso.    XXXII,  1. 


■i94  VKKZKICHXIÄ    OEK    MITAKBEITKU    UNI)    IIIK'Elt    BEITRÄGE 

Jaekel,  Hu^'o  (in  Breslau):  Zur  iriesischen  volksepik.    XXXVII,  433. 

Die  altfriesischen  verse  vom  hüte  des  abba.    XXXIX,  1. 

Anzeige  von:  W.  Heuser,  Altfriesisches  lesebuch.    XXXVIII,  250. 
Jakob,  Theod.  (di-.  prof.  in  Döbeln):  Über  das  genus  des  part.  praet.    XXXI,  3.ö9. 
Jaiit/en,  Herrn,  (dr.  director  der  Köuigin  Luise -Schule  in  Königsberg  i.  Pr.):  I'ntei- 
suchungen  über  die  Kreuzfahrt  Ludwigs  des  frommen.    XXXVI,  1. 

Anzeige  von  Carl  Behrens,  Christ.  Dietr.  Grabbe.    XXXVII,  429. 
Jellinek,  Max  Herrn,  (dr.  prof.  in  Wien):  Zu  Wulfila  (Luc.  1,  10).    XXXL  138. 

Theobald  Hocks  spräche  und  heimat   XXXIII,  84. 

Zu  Theobald  Hock.    XXXIV,  413. 

Richard  Heinzel.    XXXVII,  506. 

Anzeige  von:  George  Hempl,  German  orthography  and  phouology.    XXXI,  231. 

—  Theob.  Hock,  Schönes  blumenfeld  hrg.  von  M.  Koch.  XXXII,  392.  — 
F.  Holthausen,  Altsächsisches  elementarbnch.  XXXII,  520.  —  Alb.  Polzin, 
Studien  zur  geschichte  des  deminutivums  im  deutschen.  XXXV,  140.  — 
Justus  Georg  Schottelins,  Friedens  sieg  hrg.  von  Koldewey.  XXXV,  141. 

—  W.  Brückner,  Der  Helianddichter  ein  laie.  XXXVI,  535.  —  Heliand 
nebst  den  bruchstücken  der  altsächs.  Genesis,  hrg.  von  M.  Heyne.  XXX VIII, 
41G.  —  Klara  Hechtenberg,  Fremdwörter  des  17.  jahrhs.    XXXVIII,  543. 

Jellin^haiis,    Herni.    (dr.    progymn. -  diioktor    a.    d.    in    Osnabrück):     Anzeige    von: 
W.  G.  Searle,  Ouomasticon  Anglosaxonicum.    XXXI,  556. 

.Mriezek,  Otto  Liutpold  (dr.  prof.  in  Münster):  Erklärung.    XXXII,  566. 

Anzeige  von:  Jak.  Jakobsen,  Det  norr0ne  sprog  pä  Shetland;  drs.,  The  dialect 
and  place  names  of  Shetland.  XXXI,  402.  —  E.  H.  Meyer,  Deutsche  Volks- 
kunde. XXXI,  .502.  —  Flöres  saga  ed.  E.  K  öl  hing;  Ivens  saga  ed.  E.  Kölbing. 
XXXII,  259. 

Johansson,  K.  F.   (dr.   prof.   in   Upsala):   Über  altisl.   eW/-,  ags.   /-ded  'feuer'   usw. 

XXXI,  285. 

Jönsson,  Finnur  (dr.  prof.  in  Kopenhagen):  Anzeige  von:  Konr.  Gislason,  Efterladte 
skrifter.  XXXI,  407.  —  K.  Mortensen,  Studier  over  asldre  dansk  versbygning. 
XXXIV,  96.  —  F.  Detter  und  ß.  Heinzel,  Sfemundar  Edda.    XXXVI,  254. 
R.  Meissner,  Die  Strengleikar.    XXXVI,  258. 
Kahle,  Bernh.  (dr.  prof.  in  Heidelberg):  Zu  Sigrdrifmntil  11.    XXXVIII,  515. 

Anzeige  von:  A.  Heusler  und  W.  Rani  seh,   Eddica  minora.    XXX  VI,  .521.  — 
Alex.  Bugge,  Die  wikinger.    XL,  109. 
Kamniel,  Willibald  (dr.  in  Prag):  Modusgebrauch  im  mhd.  XXX VI,  86. 

Zur  Überlieferung  zweier  Heliandstellen.    XXXVIII,  514. 
Kanllnmnn,  Friedr.  (dr.  prof.  in  Kiel):  Germani.    Eine  erläuterung  zu  Tacitus  Germ, 
c.  2.    XXXI,  1. 
Zur  geschichte  der  Sigfridsage.    XXXI,  5. 
Ein  gotischer  göttername?    XXXI,  138. 
Beiträge  zur  quellenkritik   der  gotischen    bibelüborsetzung.    XXXI,  178.    XXXTI, 

305.    XXXV,  433. 
Zur   deutschen  altertumskunde  aus    aulass  des   Opus    iinperfectum.    XXXI,  451. 

XXXn,  464. 
Hexe.    XXXI,  497. 
Das  Kei'onische   glo.ssar,   seine  Stellung  in   der  geschichte  der  alul.   oi-thographie. 

XXXII,  14.5 


VERZRICHXIS    nEi;    .MITARI^KITKK    l'.Vn    IIIUKH    lü'.lTRÄOE  495 

Dio  jüugei",  voriiehiiilich  im  Heliaml.    XXXII,  250. 

/'/:A^2///*AAOJi,' gotico.    XXXIII,   1. 

Muspilli.  XXXIII.  5. 

Citharoedus.    XXXIV,  56U. 

Zu  »ioethes  gesprächen.    XXXV,  90. 

Zur  frage  nach  den  quellen  des  Opus  impei'fectum  XXXV,  48.'?. 

Ilansa.    XXXVIII,  238. 

Mercurius  Cinibnanus.    XXXVUI.  28!>. 

Gotisch  haij)im.    XXX VIII,  433. 

Zur  frage  nach  der  altersbestimmung  der  dialektgrenzeu  unter  liezugnalnne  auf  den 
obergermanisch -raetischen  limes  des  Römerreiches.    XXXIX,  145. 

Zur  goschiehte  des  niedersächsischen  bauernhauses.    XXXIX,  282. 

Hünen.    XL,  276. 

Angargathungi.    XL,  286. 

Studien  zur  altgermanischen  volkstraciit.    XL,  385. 

Anzeige  von:  E.  Siecke,  Die  urreligion  der  Indogermanen.  XXXI,  137.  — 
Ulfilas  hrg.  von  .M.  Heine  und  F.  Wrede''.  XXXI,  90.  —  W.  Streitberg, 
Gotisches  elementarbuch.  XXXI,  96.  —  Sophus  Müller,  Nordische  alter- 
tumskunde  XXXI,  386.  XXXII,  72.  —  C.  Kraus,  Heinr.  von  Veldeke  und 
die  mhd.  dichtersprache.  XXXII.  91.  —  0.  v.  Friesen,  Om  de  germanska 
mediageminatorna  med  särskild  häosyn  tili  de  nordiska  spräken  XXXII,  255. 
—  0.  Bremer,  Zur  lautschrift;  E.  Maurmann,  Grammatik  der  mundart  von 
Mühlheim  a.  d.  Ruhr;  0.  Heilig,  Grammatik  der  ostfränki-schen  mundart  des 
Taubergrundes.     XXXII.    256.    —    0.   L.   Jiriczek,     Deutsche    heldensagen. 

XXXII,  371.  —  P.  Piper,  Die  altsächsische  bibeldichtung.  XXXTI,  509.  — 
S.  Singer,  Die  mhd.  Schriftsprache.  XXXIII,  123.  —  Frdr.  Scholz,  Ge- 
schichte der  deutschen  Schriftsprache  in  Augsburg.  XXXIII,  238.  —  J.  Kohler, 
Die  Carolina  und  ihre  Vorgängerinnen.  XXXIII,  239.  —  Th.  Siebs.  Deutsche 
bühnensprache.    XXXIII,  240.  —  Hugo  Hoffmann,  Die  .schlesische  mundart. 

XXXIII,  241.—  K.  Much,  Der  germanische  himmelsgott.  XXXIII,  248.  — 
A.  Tille,  Yule  and  christmas.  XXXIII,  251.  —  E.  Sievers,  Studien  zur 
hebräischen  raetrik.  XXXIII,  485.  —  J.  H.  Gallee,  Altsächsische  Sprach- 
denkmäler; E.  Wadsteiu,  Kleinere  altsächsische  Sprachdenkmäler.  XXXIII, 
495.  —  Rud.  ßaier,  Briefe  aus  der  frühzeit  der  deutschen  jthilologie  an 
G.  F.  Benecke.    XXXIV,  400.  —  K.  MüUenhoff,  Deutsche  altertumskunde.  IV. 

XXXIV,  405.  —  Fr.  Kauffmann,  Aus  der  schule  des  "NVulfila;  ders.,  Haider. 
XXXIV,  515. —  Ad.  Wuttke,  Der  deutsche  volksaberglaube  der  gegenwart^ 
(big.  von  E.  H.  Meyer).  XXXV,  90.  —  E.  Hoffmaun-Krayer,  Die  Volks- 
kunde als  Wissenschaft.  XXXV,  94.  —  Rieh.  Andree,  Braunschweigische 
Volkskunde.  XXXV,  95.  —  Paul  Herrmann,  Deutsche  mythologie.  XXXV, 
101.  —  "Wilh.  Meyer  (aus  Speyer),  Der  gelegenheitsdichter  Venantius  Fortu- 
natus.  XXXV,  124.  —  A.  Olrik,  Raguarok.  XXXV,  402.  —  Frdr.  Gotthelf. 
Das  deutsche  altertum  in  den  anschauungen  des  16.  und  17.  jahrhs.  XXXV, 
407.  —  P.  D.  Chantepie  de  la  Saussaye,  The  religion  of  the  Teutons. 
XXXVI,  133.  —  H.  Osthoff,  Etymologi.sche  parerga.  XXXVI,  395.  — 
Tlioologia  deutsch  ed.  Frz.  Pfeiffer.  XXXVI,  412.  —  Albr.  Dioterich, 
L'bor  wesen  und  ziele  der  Volkskunde;  Heim.  Usener,  ('ber  vergleichende 
Sitten-  und  rechtsgeschichte;  K.  Rcuschel.  Vdlkskundliclio  streifzüge.  XXXVI. 


496  VKRZRICirNIS    der    MITARUKITEK    tINl)    IHRER    BEITRÄGE 

412.  —  E.  Betlige,  Ergebnisse  und  fortschritte  der  germauistischou  Wissen- 
schaft im,  letzten  vierteljahrhundert.  XXXVI,  508.  —  0.  Beliaghel,  Der 
Heliand  und  die  altsächs.  Genesis.  XXXVI,  517.  —  A.  So  ein,  Mhd.  namen- 
buch.    XXXVI,  531.  —  A.  Engl  er  t.  Die  rhythmik  Fischarts.    XXXVI,  533. 

—  C.  Kraus,  Metrische  Untersuchungen  über  Eeinbots  Georg.  XXXVI,  552.  — 
B.  Salin,  Die  altgerinanische  tierornamentik.  XXX VII,  264.  —  K.  Held- 
niann.  Die  Rolandsbilder  Deutschlands.  XXXVIII,  278.  —  Jobs  Hoops. 
Waldbäume  und  kulturpflanzen  im  german.  altertum.  XXXVIII,  529.  — 
E.  H.  Meyer,  Mythologie  der  Germanen.  XXXVIII,  539.  —  Paul  Herr- 
mann, Nordische  mythologie.  XXXVIII,  545.  —  Andr.  Heusler,  Lied  und 
epos  in  germanischer  Sagendichtung.  XXXVIII,  546.  —  Wilh.  Hertz,  Ge- 
sammelte abhandlungen ,  hrg.  von  Frdr.  v.  d.  Leyen.  XXXVIII,  548.  — 
W.  Wundt,  Völkerpsychologie  II.  XXXVIH,  558.  —  D.  Detlefsen,  Die 
entdeckung  des  genn.  nordens  im  altertum.  XXXIX,  136.  —  0.  Scbrader, 
Totenhochzeit.  XXXIX,  138.  —  P.  Drechsler,  Sitte,  brauch  und  Volks- 
glaube in  Schlesien.  XXXIX,  139.  —  M.  Cornelii  Frontonis  aliorumque 
reliquiae  quae  codice  Vaticano  5750  rescripto  continentur.  XXXIX,  238.  — 
Jos.  Hampel,  Altertümer  des  frühen  mittelalters  in  Ungarn.    XXXIX,  519. 

—  L.  Wilser,  Die  Germanen;  ders..  Die  herkunft  der  Baiern.  XL,  119.  — 
E.  Martin,  Der  versbau  der  Heliand  und  der  altsächs.  Genesis.  XL,  250.  — 
Julie  Schlemm,  "Wörterbuch  zur  Vorgeschichte.  XL,  452.  —  Rob.  Forrer, 
Reallexikon  der  prähistorischen,  klassischen  und  frühchristlichen  altertümer. 
XL,  455.  —  Alb.  Kiekebusch,  Der  einfluss  der  römischen  kultiir  auf  die 
germanische  im  Spiegel  der  hügelgräber  des  Niederrheins.  XL,  456.  —  A.  Götze, 
Gotische  schnallen.  XL,  459.  —  Rud.  Henning,  Der  heim  von  Baldenheim. 
XL,  464. 

Kaweran,  Gust.  (dr.  prof.  ober-konsistorialrat  in  Berlin):  Getan  hette  =  r\\GbX  da- 
gewesen wäre.    XXXII,  563. 

Kettner,  Emil  (dr.  prof.  in  Mühlhausen):  Die  einheit  des  Alphartliedes.    XXXI,  24. 
Das  Verhältnis  des  Alphartliedes  zu  den  gedichten  von  Wolfdietrich.   XXXI,  327. 
Zu  den  handschriftenverhältnissen  des  Nibelungenliedes.    XXXIV,  311. 
Anzeige  von:  W.  Wilma  uns.  Der  Untergang  der  Nibelungen  in  alter  sage  und 
dichtung.    XXXVI,  526. 

Klin!>-Iiardt,  Heriii.  (dr.  prof.  in  Rendsburg) :  Anzeige  von:  A.  Johannson,  Phonetics 
of  the  New  High  German  language.  XL,  243. 

Killte,  Friedr.  (dr.  prof.  geh.  hofrat  in  Freiburg  i.  Br,):  Zur  namenkunde*  XXXI,  499. 
Anzeige  von:  Mart.  Luthers  werke  (krit.  gesamtausgabe).    XXXII,  387. 

Knepper,  Jos.  (dr.  in  Bitsch,  Lothr.  f):  Eine  alte  Verdeutschung  lateinischer  Sprich- 
wörter.   XXXVI,  128.  387. 

Kock,  E.  Albin  (dr.  prof.  in  Lund):  Zur  Chronologie  der  gotischen  brechung.  XXXIV,  45. 

Köhler,  Waltlier  (dr.  prof.  in  Giessen):  Anzeige  von:  Thomas  Murner,  An  den 
adel  deutscher  nation,  hrg.  von  E,  Voss.  XXXII,  100.  —  E.  Kück,  Die 
Schriften  Hartmuths  von  Cronberg.  XXXII,  103.  —  Rud.  Wolkan,  Die  lieder 
der  Wiedertäufer.    XXXVIII,  270. 

König,  Haus  (dr.  in  Hecklingen):  Pamphilus  Gengenbach  als  Verfasser  der  Toten- 
fresser und  der  Novella.    XXXVII,  40.  207. 

Kopp,  Arthur  (dr.  prof.  bibliothekar  in  Berlin):  Das  akrostichon  als  kritisches  hilfs- 
mittel.   XXXII,  212. 


VERZEICHNIS    DER    .MITARHEITER    UNI)    IHRER    BEITRÄGE^  497 

Noch  einige  akrosticha.    XXXllI,  282. 

Die  liederhandschrift  vom  jähre  156S  (Berlin  Mgf.  752).    XXXV,  507. 
Die  Darmstädtor  handschrift  nr.  1213.    XXXVII,  .^.09. 

Ein  liederbuch  aus  dorn  jähre  1650  (Berlin  L.  impr.  8°.  246).    XXXIX,  208. 
Bibliographi.sches  zu  .Job.  Chr.  Günthers  gedichteu.    XXXIX,  225. 
Koppitz,  Alfr,  (dr.  in  Wien):  Gotische  Wortstellung.    XXXII,  433.    XXXIII,  7. 
Kraus,  Carl   v.  (dr.  prof.  in   Prag):    Anzeige    von:    M.  Enneccerus,    Die    ältesten 

deutschen  Sprachdenkmäler.    XXXI,  555. 
Krauss,  Rud.  (dr.  arcbivrat  in  Stuttgart):   Anzeige  von:   Ludw.  Uhlands  gediohte 

hsg.  von  E.  Schmidt  und  Jul.  Hartmann.    XXXII,  113. 
Kruinin,  Herin.  (prof.  in   Kiel):   Zur  neuesten   Ilehhel-litteratur  (Arno  Scheuert, 
Der  pantragismus  als  System    der  Weltanschauung  und  ästhetik   Fr.  Hebbels; 
Franz  Zinkernagel,  Die  grundlagen  der  Ilebbelschen  tragödie;  E.  A.  Georgy, 
Die  tragödie  Fr.  Hebbels  nach  ihrem  ideengehalt).    XL,  434. 
Anzeige  von:   Fr.  Hebbels  sämtl.   werke,  hrg.   von  R.   M.  Werner.    XXXIII, 
256.   XXXVI,  244.    XXXVII,   561.   —  A.  Fries,  Vergleichende  Studien  zu 
Hebbels  fragmenten.    XL,  220. 
KüliI,  (iust.  (dr.  in  Berlin  f):  Anzeige  von:  Rieb.  Heinzel,  Beschreibung  des  geist- 
lichen Schauspiels  im  deutschen  mittelalter.    XXXII,  382. 
Landau,  Marcus  (dr.  in  Wien):  Anzeige  von:  Jak.  Gerzon,  Die  jüdisch  -  deutsche 

spräche;  L.  Sainean,  Essai  sur  le  judeo-alleniand.    XXXVI,  262. 
Lehmann,  Karl   (dr.  prof.  in  Rostock):  Sachsenspiegel  I,   35  und    das   altnordische 

Schatzregal.    XXXIX,  273. 
Leitzmann,  Alb.  (dr.  prof.  in  Jena):  Bemerkungen  zu  Kisteners  Jakobsbrüdern.  XXXII, 
422.  557. 
Antwort.    XXXVI,  570. 

Anzeige  von:  Alb.  Nolte,  Der  eingang  des  Parzival.  XXXV,  129.  —  Wolframs 
von  Eschenbach  Parzival  und  Titurel,  hrg.  von  E.  Martin.  XXXV,  237. 
XXXVI,  427.  —  Ant.  Beck,  Die  Amberger  Parzivalfragmente  und  ihre 
Berliner  und  Aspersdorfer  ergänzungen.  XXXV,  244.  —  K.  Ph.  Moritz, 
Reisen  eines  Deutschen  in  England,  hrg.  von  0.  zur  Linde.  XXXVI,  423. 
von  der  Leyen,  Friedr.  (dr.  prof.  in  München):  Über  einige  bisher  unbekannte  latei- 
nische fassungen  von  predigten  des  meisters  Eckehart.  XXXVIII,  177.  334. 
Liliencron,  Rochus  freiherr  v.  (dr.  wirkl.   geheimrat  in  Berlin):   Zum   altdeutschen 

neujahrswunsch.    XXXII,  287. 
Loewe,  Rieh.  (dr.  docent  in  Berlin):  Richard  Bethge.    XXXVI,  116. 
Lücke ,  Wilh.  (dr.  in  Burg) :  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  germ.  section  der  47.  Ver- 
sammlung deutscher  Philologen  und  schuLmänner  in  Halle  a.  S.   XXXVI,  119. 
Anzeige  von:  A.Götze,  Die  hochdeutschen  drucker  der  reformationszeit.    XL,  122. 
Lundiu.s,  Bernh.  (dr.  in  Hambiti-g):  Deutsche  vagantenlieder  in  den  Carminu  Burana. 

XXXIX,  330. 
Macliule,  Paul  (dr.  prof.  realgymnasial -director  in  Forst):  Zur  einleitung  des  Gregorius 
Hartmanns  von  Aue.    XXXII,  192. 
Zu  Piccolomini  v.  197.    XXXIIl,  280. 
llartmanns  kreuzlieder  und  MF  206,  10  —  19.    XXXV,  396. 
Marold,  Karl  (dr.  prof.  in  Königsberg  i.  Pr.):  Oskar  Schade.    XXXIX,  493. 

Anzeige  von:  F.  Piquet,  L'originalito  de  Gottfried  de  Strasbourg  daus  son  potiuie 
de  Tristan  et  Isolde.    XL,  377. 

ZEITSCHRIFT    F.  DEUTSCHE   PHII.OLOOIK.       BD.  XL.  32 


498  VKKZKICIINIS    DEK    WITAKBEITER    UND    IHKER    BEITRÄGE 

3Iartiii,  Ernst   (di'.  prof.  In   Strassburg) :   Erwiderang.    XXXV,  242.    XXXVl,  569. 
Matthias,  Ernst  (dr.  iirof.  in  Burg  f):  Deiitsclies    Wörterbuch    der   briider  Grimm. 

XXXVI ,  233. 
Matz,    Elsa    (dr.    in    laerlin  -  Schöueberg):     Anzeige    von:    Wilh.    Stümbke,    Das 

scliniückende  beiwort  in  Otfrids  Evangelienbuch.    XXXVIII.  417. 
Manrer,  Konr.  v.  (dr.  prof.  geh.  rat  in  München  f):  Anzeige  von:   Gnll-T'oris  saga 

ed.  Kr.  Kälund.    XXXI,  505. 
Mayer,  Chr.  A.  (dr.  in  Brühl):  Über  das  lied  vom  hürnen  Seyfrid.    XXXV,  47.  204. 
Meier,  John  (dr.  prof.  in  Basel):  Anzeige  von:   Paul  Hörn,  Die  deutsche  soldaten- 

sprache.    XXXII,  115.  —  Fr.  M.  Böhnie,  Deutsches  kiuderlied  und  kinderspiel. 

XXXIII,  274.  —  Gertrud  Züricher,  Kinderlied  und  kinderspiel  im  kanton 
Bern.  XXXIV,  110.  —  A.  Tobler,  Das  Volkslied  im  Appenzeller  lande. 
XXXVIII,  544. 

Mensiug,    Otto    (dr.    privatdocent    in    Kiel):    Beiträge    zur    niederdeutschen    syntax. 

XXXIV,  505. 

Anzeige  von:  Ad.  Meyer,  Formenlehre  und  syntax  des  französischen  und  deutschen 
tätigkeitswortes.  XXXI,  234.  —  0.  Behaghel,  Die  syntax  des  Heliand. 
XXXII,  77.  —  M.  Evers,  Deutsche  sprach-  und  litteraturgeschichte  im  ab- 
riss.  XXXII,  123.  —  P.  Wessel,  Mhd.  lesehuch;  ders.,  Geschichte  der 
deutschen  dichtung;  Heliand  übersetzt  und  erläutert  von  .1,  Seiler.  XXXIV, 
63.  —  0.  Behaghel,  Der  gebrauch  der  Zeitformen  im  konjuktivischen  neben- 
satz  des  deutschen.  XXXV,  224.  —  Th.  Vernaleken,  Deutsche  sprachrichtig- 
keiten  und  Spracherkenntnisse;  L.  Sütterlin,  Die  deutsche  spräche  der  gegen- 
wart.  XXXVI,  139.  —  C.  Fr.  Müller,  Der  Mecklenburger  volksmund  in 
Fritz  Reuters  Schriften;  ders..  Zur  spräche  Fritz  Reuters.  XXXVI,  415.  — 
0.  AVeise,  Syntax  der  Altenburger  mundart.  XXXVI,  499.  —  Starr  W. 
Cutting,  The  modern  German  relatives  das  and  /ras  in  clauses  dependant 
upon  substantivized  adjectives.  XXXVI,  501. 
Meyer,  Rieh.  M.  (dr.  prof.  in  Berlin):  Über  den  begriff  des   wunders  in   der  Edda. 

XXXI,  315. 

Eine  oceanische  Velundarkvißa.    XXXII.  137. 

Ikonische  uiythen.    XXXVIII,  166. 

Helmbrecht  und  seine  haube.    XL,  421. 

Anzeige  von:  AI.  Ehrenfeld,  Studien  zur  theorie  des  reims.  XXXI,  235.  — 
Ad.  Bartels,  Die  deutsche  dichtung  der  gegenwart.  XXXIl,  111.  —  Fest- 
schrift des  Freien  deutschen  hochstifts  zu  Goethes  150.  geburtstagsfeier.  XXXII, 
126.  —  Br.  Liebich,  Die  Wortfamilien  der  lebenden  hochdeutschen  spräche. 

XXXII,  413.  —  Rob.  F.  Arnold,   Geschichte  der  deutschen  Polenlitteratur. 

XXXIII,  279.  —   Alb.   Waag,  Bedeutungsentwicklung  unseres  Wortschatzes. 

XXXIV,  88.  —  Ewald  A.  Boucke,  "Wort  und  bedeutung  in  Goethes  spräche. 
XXXIV,  112.  —  W,  Deetjen,  Immermanns  Kaiser  Friedrich  der  zweite. 
XXXIV,  411.  —  P.  Nerrlich,  Jean  Pauls  briefwechsel  mit  seiner  frau  und 
Christ.  Otto.  XXXV,  565.  —  B.  Patzak,  Hebbels  e])igranime.  XXXV,  570. 
—  A.  K.  T.  Tielo,  Die  dichtungen  des  grafen  Moritz  v.  Strachwitz.  XXXVI, 
135.  —  R.  Unger,  Platen  in  seinem  Verhältnis  zu  Goethe.  XXXVI,  414.  — 
G.  Dehlinger,  Deutsche  scherflein  zum  Sprachschatze.  XXXVI,  498.  — 
Festgabe  für  die  13.  hauptversammlung  des  Allg.  deutschen  Sprachvereins  zu 
Breslau.    XXXVI,  430.  —  Fi-,  AVeidling.   Drei   deutsche  Psychedichtungen. 


VKKZyirUNlS     DKIC    MITA  UliKlTKl;     UNIl    IIIKKK    1JK1TKAC4K  499 

XXXVI,  430.  —  F.  Melchior,   Heines  Verhältnis  zu  Byron.    XXXVI,  430. 

—  Emma  Graf,  Rahel  Varnbagen  und  die  romantik.  XXXVI,  422.  —  Tienri 
Schoen,  Le  theutre  Alsacieu.  XXXVI,  534.  —  W.  Pfeiffer,  Über  Fouques 
Undine.  XXXVI,  564.  —  A.  Kost  er,  Der  brief  Wechsel  zwischen  Th.  Storni 
und  G.  Keller.    XXXVI,  564.  —  H.  Stiimcko,  Hohenzollernfürsten  im  drania. 

XXXVI,  566.  —  A.  Fries,  Plateaforschungen.  XXXVII,  272.  —  K.  Marbe, 
Über  den  rhythmus  der  prosa.  XXXVII,  282.  —  J.  Czerny,  Hippel  und 
Jean  Paul.  XXXVII,  28G.  —  P.  Landau,  K.  v.  Holteis  romane.  XXXVII, 
430.  —  Fr.  M.  Kirch  eisen.  Die  geschichte  des  litterar.  porträts.  XXXVII, 
540.  —  AV.  Deetjen,  Immermanns  Jugenddramen.  XXXVIII,  286.  — 
B.  R.  Abeken,  Goethe  in  meinem  leben.  XXXVIII,  374.  —  John  Brinck- 
manns  nachla.ss,  hrg.  von  A.  Römer.  XXXVIII,  381.  —  H.  Win  ekler. 
Die  Weltanschauung  des  alten  Orients;  A.  Wünsche,  Die  sagen  vom  lebens- 
wasser.  XXXVIII,  396.  —  A.  W.  Fischer,  Über  die  volkstümlichen  elemente 
in  Heines  dichtungen.  XXXVIII,  404.  —  H.  Tardel,  Der  arme  Heinrich  in 
der  neueren  dichtung.  XXXVIII,  557.  —  Fr.  Strich,  Franz  Grillparzers 
ästhetik.  XXXVIII,  568. —  R.  Pissiu,  Otto  Heinr.  graf  v.  Loebeu,  sein  leben 
und  seine  werke;  Gedichte  von  Otto  graf  v.  Loeben,  hrg.  von  R.  Pissin. 
XXXVni,  569.  —  A.  Bielschowsky,  Friederike  und  Lili.    XXX VIH,  570. 

—  W.  A.  Braun,  Types  of  weitschmerz  in  German  poetiy.  XXXIX,  100.  — 
H.  W.  Thayer,  Laur.  Sterne  in  Germany.  XXXIX,  142.  —  E.  Kayka, 
Kleist  und  die  romantik.  XL,  125.  —  Helene  Herrmanü,  Studien  zu  Heines 
Romanzero.  XL,  254.  —  Joh.  Haussmann,  Untersuchungen  über  spräche 
und  Stil  des  jungen  Herder.    XL,  487. 

Meyer,  Th.   A.   (dr.   prof.   in  Stuttgart):    Anzeige   von:    Hub.   Roetteken,    Poetik. 
XXXV,  562.  —  L.  Goldstein,  Moses  Mendelssohn  und  die  deutsche  ästhetik. 

XXXVII.  527.  —  K.  Zwymann,  Ästhetik  der  lyrik.  XXXVUI,  261.  — 
W.  Dilthey,  Das  erlebnis  und  die  dichtung.  XL,  240.  —  Emil  Utitz, 
"Wilh.  lleinsc  und  die  ästhetik  zur  zeit  der  deutsclien  aufklärung.    XL,  496. 

Moser,  Virgil  (dr.  in  München):   Der  angebliche  »-abfall   im   bayrischen.    XL,  356. 
Michels,  Viotor  (dr.  prof.  in  Jena):   Anzeige  von:  Herrn.  Paul,   Deutsches  Wörter- 
buch. XXXI,  280.  —  Alois  Walde,  Die  german.  auslautgesetze.  XXXIV,  114. 
Müller,  C.  Fr.  (dr.  prof.  in  Kiel):   Anzeige  von:  Reuters  werke,  hrg.   von  Wilh. 

Seelmann.    XXXIX,  241. 
Xebert,  Reinh.   (dr.   in  Naumburg):  Untersuchungen   über   die  entstehuugszeit  und 
den  dialekt  der  predigten  des  Nikolaus  von  Strassburg.    XXXIII,  456. 
Die  Heidelberger  handschrift  641   und  die  S.  Florianer   handschrift   XI  284  der 

predigten  des  Nikolaus  von  Strassburg.    XXX IV,  13. 
Eine  alemannische  fronleichnapispredigt.    XXXIV,  50. 
Eine  mhd.  Übersetzung  des  Lebens  der  väter.    XXXV,  371. 
Xeckel,  Gust.  (dr.  in  Breslau):   Zur  V^lsunga  saga  und  den  Eddaliodern   der  lü<.ke. 
XXXVn,  19. 
Zu  den  Eddaliedern  der  lücke.    XXX IX,  293. 
Zu  Zschr.  .39,  293  ff.    XL,  290. 
Zu  Zschr.  39,  308  fg.  322  fg.    XL,  372. 
Anzeige  vun:  M.  Nygaard,  Norron  syntax.    XL,  472. 
Nestle,  Eberh,  (dr.  [iiof.  in  MaidbronnV.  Ein  angeblidi  gotisches  aiphalx't  von  1539. 
XXXI I.  140. 

:V2' 


500  VKRZEICHNIS    DER   MITARBEITER   UND   IHRER   BEITRÄ&E 

OWeuberg',   Herrn,  (dr.  prof.  iu  GöttiDgea):    Anzeige   von:  G.  v.  d.  Gabuleiitz,   Die 
Sprachwissenschaft-,  hrg.  von  Albr.  graf  v.  d.  Schulen  bürg.    XXXIV,  107. 

Olsen,  3Iag-nus  (prof.  in  Christiauia) :  Sophus  Bugge.    XL,  129. 

Paas,  Theod.   (dr.  iu  Crefeld):   Der  satzparallelismus   in  dem   Opus   imperfectum   in 
Matthaeuni.    XL,  359. 

Fislauder,  Hug-o  (dr.  in  Helsingfors) :  Anzeige  von:  E.  Steinmeyer  und  E.  Sievers, 
Die  altliochdeutschen  glossen.    III.  IV.    XXXV,  230. 

Panzer,  Friedr.  (dr.  prof.  in  Frankfurt  a.  M.):  Beiträge  zur  kritik  und  erklärung  der 
Gudrun.    XXXIV,  425.    XXXV,  28. 
Zum  Meier  Helmbrecht.    XXXVIII,  516. 

Anzeige  von:  F.  Piquet,  Etüde  sur  Hartmann  d'Aue.  XXXI,  520.  —  E.  Meyer, 
Die  gereiinteu  liebesbriefe  des  deutschen  mittelalters.  XXXII,  549.  —  K.  Zwier- 
zina',  Beobachtungen  zum  reimgebrauch  Hartmanns  und  Wolframs.  XXXIII. 
123.  ^  S.  Singer,  Bemerkungen  zu  Wolframs  Parzival.  XXXIII,  138.  — 
A.  Kopp,  Deutsches  volks-  und  studentenlied  in  vorklassischer  zeit;  J.  W.  Brui- 
nier,  Das  deutsche  Volkslied.  XXXIV,  100.  —  KunzKistener,  Die  Jakobs- 
brüder, hrg.  von  K.  Euling.  XXXIV,  74.  —  K.  Gent  her,  Studien  zum  lieder- 
buch  der  Klara  Hätzlerin.  XXXIV,  97.  —  W.  Braune,  Die  handschriften- 
verhältnisse  des  Nibelungenliedes.    XXXIV,  529.   —  Kudrun  ed.  E.  Martin. 

XXXV,  245.  —  Siegm.  Benedict,  Die  Gudrunsage  in  der  neueren  deutschen 
litteratur.  XXXV,  247.  —  Heinr.  May,  Die  behandlungen  der  sage  von 
Eginhard  und  Emma.  XXXV,  407.  —  G.  F.  Benecke,  Wörterbuch  zu  Hart- 
manns Iwein  ^,  hrg.  von  C.  Borchling.  XXXV,  412.  —  Max  Sydow,  ßur- 
kart  von  Hohenfels  und  seine  lieder.  XXXVI,  277.  —  K.  Euling,  Studien 
über  Heinr.  Kaufringer.    XXXVI,  410.   —   Gudrun  übersetzt  von  E.  Martin. 

XXXVI,  511.  —  W.  Vogt,  Die  wortwiederholung  ein  stilmittel  in  Ortnit, 
Wolfdietrich  A,  Orendel,  Oswald  und  Salman  und  Morolf.  XXXVIII,  551.  — 
.1.  Wiegaud,  Stilistische  Untersuchungen  zum  König  Rother.  XXXVIII,  555. 
—  Friedlich  von  Schwaben,  hrg.  von  M.  H.  Jellinek;  Die  Melker  handschrift, 
hrg.  von  A.  Leitzmann.    XXXIX,  511. 

Pariser,  Ludw.  (dr.  in  München):  Anzeige  von:  Angel us  Silesius,  Heilige  seelen- 

lust,  hrg.  von  G.  Ellinger.    XXXV,  .559. 
Pautscli,  Oswald  (dr.  iu  Leobschütz):  Bruchstück  einer  Margarethenlegende.  XXXVHI, 

242. 
Petersen,  Jul.  (dr.  in  München):   Anzeige  von:  L.  Bellermann,  Schillers  dramen. 

XXXVIII,  424. 

Petscli,  Rol),  (dr.  prof.  in  Heidelberg):  Zu  Schillers  Freigeisterei  der  leidenschaft. 
XXXVI,  485. 
Anzeige  von:  G.  Witkowski,  Das  deutsche  drama  des  19.  jahrhs.    XXXIX,  266. 
l'etzet,  Erich   (dr.   bibl.  -  Sekretär  in  München):   Bruchstücke   einer  handschrift  des 
jüngeren  Titurel.    XXXVI,  433. 
Die  Coblenzer  fragmente  des  Lohengrin.    XXXIX,  230. 
Zum  Willehalm  des  Ulrich  von  dem  Tüi'lin.    XL,  220. 
Plumhoff,  A.  L.   (dr.   in   Hamburg):  Beiträge  zu   den  quellen  Otfrids.    XXXI,  464. 

xxxn,  12! 

Priebscli,  Rob.  (dr.  prof.  in  London):   Aus  deutschen  handschriften  der  Königl.  bib- 
liothek  in  Brüssel.    XXXV,  362.    XXX VI,  58.  371.    XXX VIII,  301.  43G. 

XXXIX,  156. 


VERZEICHNIS    DEIv'    MITAWBEITIIR    UMi    IIIIJEK    LiEITKÄfiK  501 

Prorliiiow,  Georg  (dr.  in  Marburg):  ilhd.  Silvesterlegenden  und  ilire  iiuolleii.  XXXIII, 
145. 

Roliiiio,  Paul  (dr.  prof.  iu  Halle):  Anzeige  von:  Lex  Salica  ed.  J.  Fr.  ßelirond. 
XXXIII,  241. 

Reis,  Hans  (dr.  in  Mainz):  Über  alid.  Wortfolge.    XXXIII,  212.  330. 

Anzeige  von:  M.  ,T.  van  der  Meer,  Gotische  casussyntaxis.    XXXV,  120. 

Köliru'lit,  Reinh.  (dr.  [troL  in  Berlin  f):  Die  Jerusalem  fahrt  Joachim  Rieters  au.s 
Nürnberg  (1608—10).    XXXI,  lüO. 

Roscnliag'eii ,  Criist.  (dr.  in  Hamburg):  Anzeige  von:  E.  Kettner,  Die  österreichische 
Nibelungendiehtung.  XXXI,  243.  —  Rieh.  Henczynski,  Das  leben  des  heil. 
Alexius  von  Konrad  von  Würzburg.  XXXI,  5G0.  —  K.  Gusinde,  Neidhart 
mit  dem  veilcheu.  XXXIII,  262.  —  Jansen  Enikcls  werke,  hrg.  von  Phil. 
Strauch.  XXXIII,  505.  —  M.  Gorges,  Mhd.  dichtungen.  XXXV.  419.  — 
Francis  E.  Sandbach,  The  Nibelungenlied  and  Gudrun  in  England  and 
America.  XXXVI,  551.  —  Fr.  Wilhelm,  Die  geschichte  der  handschriftl. 
Überlieferung  von  Strickers  Karl.  XXXVIII,  .540.  —  Heinr.  von  Freiberg 
hsg.  von  A.  Bern  dt.    XL,  228. 

Riibeusohn,  M.  (dr.  in  Berlin):  Zu  Weckherlins  poetischen  Übersetzungen  aus  dem 
griechischen.    XXXII,  244. 

Rug:e,  Sophus  (dr.  prof.  in  Dresden  f):  Die  quellen  von  Fischarts  EhL-zuchtbüchlcin. 
XXXIII.  284. 

Saraii,  Franz  (dr.  prof.  iu  Halle):  Anzeige  von:  C.  Kraus,  Das  sogenannte  2.  büchlciu 
und  Hartmanns  werke.    XXXII,  384. 

Sarrazin,  Gregor  (dr.  prof.  in  Breslau):  Anzeige  von:  R.  Simous,  Cynewulfs  wert- 
schätz. XXXII,  .547.  —  J.  Ernst  Wülfing,  Die  syntax  in  den  werken 
Alfreds  des  grossen.    XXXVL  518. 

Schachner.  Heinr.  (in  Kremsmünster):  Das  Dorotheaspiel.    XXXV,  157. 

Sehaer,  A.  (dr.  in  Strassburg):  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  germanist.  section 
der  46.  Versammlung  deutscher  philologen  und  schulmännci'  zu  Stra.ssburg. 
XXXIII,  421. 

Schatz,  Joh.  (dr.  prof.  in  Lemberg):  Anzeige  von:  Alfr.  Bass,  Deutsche  Sprach- 
inseln in  Südtirol  und  Oberitalien.    XXXIV,  73. 

Scheel,  Willy  (dr.  in  Steglitz):  Anzeige  von:  Br.  Arndt,  Der  Übergang  vom  mhd. 
zum  nhd.  in  der  spräche  der  Breslauer  kanzlei.    XXXI,  514. 

Schiflniann,  Kour.  (dr.  in  Urfahr):  Neue  predigthandschriften.    XXXIV,  127. 
Zur  keuntnis  der  althochdeutschen  litteratur.    XXXV,  86. 

Schläger,  (i.  (dr.  in  Oborsteiu  a.  N.):  Anzeige  von:  C.  Voretzsoh,  Epische  Studien. 
XXXVII,  410. 

Schlösser,  Rud.  (dr.  prof.  in  J?na):  Anzeige  von:  F.  C.  Neuberin,  Ein  deutsches 
Vorspiel,  hrg.  von  Arth.  Richter.  XXXI,  554.  —  Br.  Golz,  PfalzgriUin 
Genovefa  in  der  deutschen  dichtung.  XXXIII,  272.  —  James  T.  Hatfield, 
The  earliest  poems  of  Wilh.  Müller.  XXXIII,  279.  —  L.  Roustan,  Leuau 
et  .son  temps.  XXXIII,  489.  —  Heinr.  v.  Kleist,  Michael  Kohlhaas.  hrg. 
von  E.  Wolff.    XXXV,  560. 

Schuicdes,  J.  (dr.  in  Frankfurt  a.  M.):  Anzeige  vun:  .1.  Grundmanu,  Die  googra- 
jjhischeu  und  völkerkundlichen  quellen  und  auschauuugon  in  Herders  Ideen 
zur  geschichte  der  meuschheit.  XXXIII,  488.  —  Kurt  Richter,  Ferd. 
Freiligrath   als   Übersetzer.    XXXIII,  503.   —    A.  Bankwitz,    Die   religiöse 


502  VEKZEICtrMS    1>EH    MITAKBEITKR    UND    IHREK    BEITRÄ(4F. 

lyrik  der  Annette  v.  Droste  -  Hülshoff.    XXXIII,  513.   —   G.  Bötticher  und 
K.  Kiuzel,  Das  Nibelungenlied  im  auszuge.    XL.  121.    —    R.  Laube,  Rud. 
Hildebraud  und  seine  schule.    XL,  487. 
Sclimidt,  Ludw.  (dr.  bibliothckar  in  Dresden):  Besghwörung  gegen  würmer.  XL,  433. 
Sehneider,  Max  (dr.  prof.  in  Gotha):  Eine  gleichzeitige  lebensbeschreibung  des  dichter» 
Huldreich  Buchner.    XXXVIH,  359. 
Zwei  bisher  unbekannt  gebliebene  gedichte    des  Nürnberger  meistersängerb  Am- 
brosius  Österreicher.    XL,  347. 
Schöne,  Alfr.  (dr.  prof.  geh.  regierungsrat  iu  Kiel):  Antwort.    XXXll,  284. 

Zur  Lessinglitteratur  (E.  Consentius,  Freygeister,  naturalisten ,  atheistcn,  ein 
aufsatz  Lessings  im  Wahrsager;  ders. ,  Die  Wahrsager.  Zur  Charakteristik  von 
Myhus  und  Lessing;  K.  Borinski^  Lessing).  XXXII,  528. 
Anzeige  von:  Jenny  v.  Gerstenbergk,  Ottilie  v.  Goethe  und  ihre  söhne  Walthcr 
und  AVolf.  XXXIII,  406.  —  E.  Consentius,  Lessing  und  die  Vossische 
Zeitung.  XXXV,  255. 
Schoof,  Wilh,  (dr.  in  Minden):  Briefwechsel  der  brüder  Grimm  mit  Ernst  v.  d.  Mals- 

burg.    XXXVI,  173. 
Schröder,  Heinr.  (dr.  in  Kiel):  Schüttelformen.    XXXVII,  256. 
Nhd.  j^uter  'truthahn'.    XXXVII,  259. 
Nhd.  nd.  schuft,  nl.  schoß  ' Schurke'.    XXXVII,  260. 
Beiträge  zur  deutschen  Wortforschung.    XXXVII,  393.    XXXVIII ,  518. 
Anzeige  von:  Lee  Milton  Hollander,  Prefixal  s  in  Germania.    XXXIX,  267. 
Schultz,  Franz  (dr.  privatdocent  in  Bonn):  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  ger- 
manistischen   section    der   48.  Versammlung    deutscher   philologeu    und  Schul- 
männer zu  Hamburg.    XXXVIII,  110. 
Seedorf,  Henry   (dr.  prof.  stadtbibliothekar  in  Bremen):  Bericht  über  die  Verhand- 
lungen der  germanist.  section  der  45.  Versammlung  deutscher  philologeu  und 
Schulmänner  zu  Bremen.    XXXII,  130. 
Seiler,  Friedr.  (dr.  prof.  gymn.-director  iu  Luckau):  Anzeige  von:  M.  Heyne,  Rudlieb. 
XXXI,  422.    —    M.  Heyne,    Altdeutsch -lateinische    spielmannsgedichte    des 
lO.jahrhs.   XXXIII,  ui 
Seiler,  .Joh.  (dr.  prof.  in  Bielefeld):  Anzeige  von:  R.  E.  Ottmann,  Das  Alexanderlied 

des  pfaffen  Lamprecht.    XXXI,  509. 
Sijmons,  Barend  (dr.  prof.  in  Groningen):  Das  niederdeutsche  lied  von  könig  Ermeu- 

richs  tod  und  die  eddischen  Ha"m|)esm()l.    XXXVIH,  145. 
SokoloM'sky,  Rud.  (dr.  iu  Altena):  Die  ersten  versuche  einer  nachahmuug  des  alt- 
deutschen minnesangs  in  der  neueren  deutschen  litteratur.    XXXV,  71. 
Klopstock,  Gleim  und.  die  Anakreontiker  als  nachdichter  des  altdeutschen  minne- 
sangs.  XXXV,  212. 
Anzeige  von:  Max  Morris,  Goethe -Studien.  XL,  240.  —  H.  G.  Graef,  Goethe 
über  seine  dichtungen.    IL    XL,  248. 
Sprenger,  Rob.  (dr.  prof.  in  Northeim  f):  Zum  pfaö'eu  Amis.   XXXIII,  570. 
Zu  V.  d.  Hagens  Gesamtabenteuer.   XXXIV,  561. 
Der  diebsfinger.   XXXIV,  562. 
Zu  Max  V.  Schenkendorfs  gedichten.    XXXVI,  236. 
Zu  Konrads  von  Würzburg  Engelhard.    XXXVI,  472. 
Zu  Bellermanns  ausgäbe  von  Schillers  werken.    XXXVI,  484. 


VKnzKii'iiN'iN  i>i:u  MiTAiüiKiTii;   KMi  iiii;i:i;  kkitkäi.k  50il 

Steig,  Reinh.  (dr.  prof.  iu  Friedenau):  Zu  don  klüiucien  scluiftou  der  biüder  Uriiiiiu. 
XXXI,  165.    XXXIV,  550. 
Auzeige  von:  Joh.  Kauftl,  Ludw.  Tiecks  Geuoveva.    XXXTV,  108. 

Steiiihaiiseu,  Georg  (dr.  prof.  Stadtbibliotbekar  in  Cassel):  Anzeige  vun:  Gust. 
Freytag,  Vermischte  aufsätze,  hrg.  von  E.  Elster.  XXXVI,  495.  —  Klara 
Ilechtenberg,  Der  briefstil  im  17.  jahrh.   XXXVI,  497. 

Stiefel,  Arth.  Ludw.  (dr.  prof.  in  .München):  Eine  quelle  Niclas  Prauns.  XXXÜ,  473. 
Ein  unbekanntes  scliwaukbuch  des  lü.  jahrhs.    XXXV,  81. 
Zu  den  quellen  Heinr.  Kaufriugers.    XXXA',  492. 

Anzeige  von:  K.  Drescher,   Das  gemerkbüchlein  des  Hans  Sachs;  ders.,   Nürn- 
berger nieistersingerprotokolle  von  1575 — 1689.    XXXII,  .554. 
Stolzenbxu'g ,  Hans  (dr.  in  Hamburg):  Die  übereetzungstechnik  des  "VVulfila.  XXXVII. 
145.  352. 
Anzeige  von:  Herrn.  Jantzon,  Gotische  Sprachdenkmäler  und  grammatik.  XXXVIII, 
414. 
Stosch,  Johannes  (dr.  prof.  in  Greifswald):  Zu  Steinmar.    XXXII,  138. 
Strauch,  Phil.  (dr.  prof.  iu  Halle):  Zur  Gottesfreund -frage.    XXXIV,  235. 

Anzeige  von:    K.  Rieder,    Der   gottesfreund    vom  Oberland   eine    erfindung   dos 
Strassburger  Johanniterbruders  Nikolaus  von  Löwen.    XXXIX,  101. 
Streitberg,  Wilh.  (dr.  prof.  in  Münster):  Berichtigung  zu  Zschr.  32,  .j20.  XXXllI,  143. 
Suehier,  Herni.  (dr.  prof.  geh.  regiorungsrat  in  Halle):  Anzeige  von:  .1.  Zimmcrli. 
Die  deutsch  -  französische    Sprachgrenze  in  der  Schweiz;    H.  Morf,  Deutsche 
und  Romanen  in  der  Schweiz;  Tappolet,  Über  den  stand'  der  mundarteu  in 
der  deutschen  und  französischen  Schweiz.    XXXV,  142.   —   G.  Brockstedt, 
Floüvent- Studien.    XL,  225. 
Sütterlin,  Ludw.  (dr.  prof.  in  Heidelberg):  Auzeige  von:    H.  Hirt,  Der  indogerma- 
nische ablaut.    XXXIV,  408.  —  R.  Meringer,  Indogermanische  Sprachwissen- 
schaft. XXXVI,  545.  —  E.  Brandstetter,  Der  genetiv  der  Luzerner  mund- 
aii.  XXXVII,  273.  —  J.  v.  Rozwadowski,  Wortbildung  und  Weltbedeutung. 
XXX VIII,  .5.50. 

Tedsen,  Jul.  (dr.  in  Boldixum  auf  Föhr):   Der  lautstand  der  föhringischen  niundart. 

XXXVlll,  468.    XXXIX.  13. 
Trautmann,  Beiubold  (dr.  privatdocent  in  Göttingen):  Zur  gotischen  bibolübersetzung. 

XXXVII,  253. 

€hl,  Wilh.  (dr.  prof.  in  Königsberg  i.  Pr.):  Auzeige  von:  Frdr.  v.  d.  Leyeu,  Des 
armen  Haitman  Rede  vom  glouven;  ders.,  Kleine  beitrüge  zur  deutschen  litte- 
raturgeschichte  des  11.  und  12.  jahrhs.  XXXII,  263.  —  .1.  Seemüller,  Stu- 
dien zu  den  Ursprüngen  der  altdeutschen  historiographie.  XXXIII,  242.  — 
G.  Steiuhauseu,  Deutsche  privatbriefe  des  mittelalters.  XXXIll,  390.  — 
Laurin  und  der  kleine  iiosengarten,  hsg.  von  G.  Hulz.  XXXV,  248.  — 
Jul.  Freund,  Huttens  Vadiscus  und  seine  quelle,  XXXV'III,  266.  —  Ad. 
Kaiser,  die  fastnachtspielo  von  der  Actio  de  sponsu.  XXXVIII,  272.  — 
Alb.  Heintze,  Die  deutschen  familiennamen.  XXXVIII.  280.  —  Hoff  mann 
von  Fallersleben,  Unsere   volkstümlichen  lieder*,   hsg.  von    K.  II.  Prahl. 

XXXVIII.  376.  —   A.  Kippen berg,  Die  sage  vom  herzog  von  Luxemburg: 
<J.  Höfer,    Die    Rudolstüdter    lestspielo    aus    den    jähren    1665  —  67    und    ihr 


504  VERZKICUMS    DEIJ    miTAKBElTEK    U-NIJ    IHKEK    BEITKÄüE 

dichter;  Fr.  Schultze,  Die  gräfin  Dolores;  E.  Reclam,  Joh.  Beoj.  Micliaelis; 

"W.  Pautenius,  Das  inittelalter  iu  Leonh.  Wächters  (Veit  Webers)  romaneii; 

G.  Nieuiauu,  Die  dialogliteratur  der  reformationszeit.    XXXVIII,  401. 
Vogt,  Friedr.  (dr.  prof.  geh.  regierungsrat  in  Marburg):  Karl  AVeiuhold.  XXXI V,  137. 
Wadsteiii,  Elis  (dr.  prof.  in  Gotenburg):  Zum  Clermonter  runenkästohen,  XXXIV,  127. 
Wahl,  Adalb.   (dr.  prof.  in  Hamburg):   Anzeige  von:   0.  Vogt,  Der  Goldene  spicgel 

und  Wielands  politische  ausichten.    XXXVII,  427. 
Walluer,  Anton  (dr.  prof.  in  Graz):  Zwei  Tristanstellen.    XXXIX,  223. 
Wechssler,  Ed.  (dr.  prof.  in  Marburg):  Anzeige  von:   Anna  Lüderitz:  Die  licbes- 

theorie  der  Proven^alen  bei  den  minnesingern  der  Stauferzeit.  XL,  478. 
Wilken,  Ernst  (dr.  in  Greifswald):  Zur  erklärung  der  V^luspä.  XXXIII,  289. 
Witkowski,- Georg  (dr.  prof.  in  Leipzig):  Anzeige  von:  Franz  Thalmayr,  Goethe  und 

das  klassische  altertum.    XXXI,  412.  —  W.  Dorn,  Benj.  Neukirch,  sein  leben 

und  seine  werke.    XXXI,  415.  —   G.  Minde-Pouet,  Heinr.  v.  Kleist,  seine 

spräche  und  sein  stil.  XXXI,  416.  —  Fr.  Zarncke,  Goetheschriften.   XXXI, 

417.  —  Paul  Zimmermann,  Fr.  Wilh.  Zachariae  in  Braunschweig.    XXXI, 

418.  —   E.  Schröder,  Th.  Carlyles  abhandlung  über  Goethes  Faust.    XXXI, 

419.  —  Felicie  Ewart,  Goethes  vater.  XXXIII,  280.  —  M.  Herrniaun,  Jahr- 
marktsfest zu  Plundersweüern.  XXXIII,  530.  —  F.Zöllner,  Einrichtung  und 
Verfassung  der  Fruchtbringenden  gesellschaft.  XXXIV,  81.  —  K.  H.  vonStock- 
mayer.  Das  deutsche  Soldatenstück  des  18.  jahrhs.  XXXIV,  82.  —  U.  Gaede, 
Schillers  abhandlung  Über  naive  und  seDtimentalische  dichtung.  XXXIV,  86. 
—  A.  Leitzmann,  Briefwechsel  zwischen  Karoline  v.  Humboldt,  Rabel  und 
Varnhagen;  Wilh.  V.  Humboldt,  Sechs  ungedruckte  aufsätze  über  das  klassi- 
sche altertum,  hrg.  von  A.  Leitzmann.  XXXIV,  87.  —  E.Herz,  Englische 
Schauspieler  und  englisches  Schauspiel  zur  zeit  Shakespeares  in  Deutschland. 
XXXVI,  562.  —  Veit  Valentin,  Die  klassische  Walpurgisnacht.  XXXVII,  262. 

Wolff,  Eugen  (dr.  prof.  in  Kiel):  Anzeige  von:  Gust.  Waniek,  Gottsched.  XXXI,  112. 

Wunderlich,  Herrn,  (dr.  prof.  bibliothekar  in  Berlin):  Anzeige  von:  Star  W.  Cut- 
ting.  Der  conjunctiv  bei  Hartmann  von  Aue.  XXXI,  410.  —  Th.  Matthias, 
Sprachleben  und  Sprachschäden.  XXXI,  516.  —  W.  Wilmauns,  Deutsche 
grammatik.  I-.  XXXIII,  529.  —  Ferd.  Detter,  Deutsches  Wörterbuch; 
A.  Braun,  Deutscher  Sprachschatz.  XXXIV,  68.  —  Rud.  Lehmann,  Der 
deutsche  Unterricht.  XXXIV,  95.  —  Alb.  Ölinger,  Deutsche  grammatik,  hrg. 
von  AV.  Scheel.  XXXV,  5,56.  —  M.  Höfler,  Deutsches  krankheitsnamenbuch. 
XXXVI,  253.  —  0.  Brenner,  Die  lautlichen  und  geschichtlichen  grundlagcn 
unserer  rechtschreibung.    XL,  382. 

Zupitza,  Ernst  (dr.  prof.  in  Greifswald):  Anzeige  von:  M.  Freudenborger,  Beiträge 
zur  naturgeschichte  der  spräche.    XXXII,  546. 


NEUE   ERSCHEINUNGEN  505 

NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

(Die  rodactioii  ist  bemülit ,   für  allo  zur  bosprochuni,'  geeisiieton  werko  aus  iloiii  gobieto  dor  gorm.iii. 

phiiologrie  sachkundipe  rcfercnten  zu  gewinnen,   übernimmt  jedoch   koino  Verpflichtung,   unverlangt 

eingesendete  bücher  zu  recensioren.    Eine  zurücklieferung  der  rocensions-exomplaro  an 

die  lierroii  vorloger  findet  unter  keinen  umständen  statt.) 

Afliaudliiiger,  sproglige  og  historiske,  viede  Sophus  Bugges  miade.  Kristiania, 
H.  Aschehoug  &  co.  1908.     (VIII),  294  s. 

Darin  u.  a.:  Haakon  Sclietelig,  Fjergepengeu ;  spor  av  en  grrcsk  giavskik  i 
Norge.  —  Magnus  Olsen,  Runestenen  ved  Oddeiues  kirke.  —  Karl  Aubcit. 
Navnet  'Alf  i  Odderska?i' '  i  folkevisen  om  Iiolnigangen  paa  Sams0.  —  Am  und 
B.  Larseu,  Om  'blote'  og  'haarde'  konsouanter  i  uorsk.  —  Halvdan  Kolil, 
Henrik  Wergeland  og  den  norske  folkearven.  —  Ose.  Alb.  Johnsen,  Norskc 
geistliges  og  kirkelige  institutioners  bogsamliuger  i  den  senere  raiddelalder.  — 
P.  L.  Stavneni,  Overnaturlige  vaesener  og  Symbolik  i  Henrik  Ibsens  'Peer 
Gynt'.  —  K.  Kygh,  Lidt  om  personlige  tiliiavne  i  Norge  og  paa  Island  i  for- 
tideu.  —  Olai  Skulerud,  Nogle  bem;vrkninger  om  Oredialekten  i  Dalarne.  — 
Hjalmar  Falk,  Til  Fenresmyten.  —  Yngvar  Nielsen,  Den  ganile  hadeland- 
ringerikske  kongejt't  og  Snefridsagnet. —  Alexander  Bugge,  The  earliest  guilds 
of  Nortbmen  in  England,  Norway  and  Denniarl;.  —  Marius  Hiegstad,  Fleirtal 
av  dei  personlige  ])ionomen  i  nynorsk.  —  Konrad  Nielsen,  En  gruppe  ur- 
nordiske  laanord  i  lappisk.  —  Moltke  Moe,  Limbus  puerorum,  et  par  vers  av 
Draumkvcvdet.  —  Rikard  Berge  og  Moltke  Moe,  Finnkongjens  dotter,  eventyr 
fraa  Telemarti.  —  Axel  Olrik,  Starkaddigtniugens  udspring.  —  To  ungdomsbreve 
IVa  Sophus  Bugge  [til  prof.  L.  C.  M.  AubertJ.  —  Magnus  Olsen,  Fortegnelso 
over  Sophus  Bugges  trykte  arbeider. 

Beiträge  zum  Wörterbuch  der  deutschen  rechtssprache.  Richard  Schröder  zum 
70.  geburtstage  gewidmet  von  freunden  und  mitarbeiteru.  Weimar,  Böhlau  1908. 
VIII  s.  +  184  sp.     4  m. 

Benz,  K.,  Märchendichtung  der  Romantiker.  Mit  einer  Vorgeschichte.  Gotha, 
F.  A.  Perthes  1908.     262  s.     5  m. 

Bi'owulf.  Mit  ausführlichem  glossar  hrg.  von  M.  Heyne.  8.  autl.  besorgt  von  Lewin 
L.  Schücking.     Paderborn,  F.  Schöningh  1908.     XII,  31.")  s.     ö  m. 

Biuz,  Oust.,  Die  deutschen  handschriften  der  öffentl.  bibliothek  der  uuiv.  Basel. 
Leipzig,  Beck  1908.    XI,  437  s.    2.5  m. 

Bohn,  Emil,  Die  nationalhymnen  der  europäischen  Völker.  [Wort  und  brauch,  volks- 
kundl.  arbeiten  .  .  hrg.  von  Th.  Siebs  und  Max  Hippe.  IV.]  Breslau,  M.  &  H. 
Marcus  1908.     (IV),  75  s.     2,40  m. 

Bruinier,  J.  W.,  Das  deutsche  Volkslied.    Leipzig,  Teubner  1908.    151  s.  geb.  1,25  m. 

Bugge,  Sophus,  Populaer-videnSkabelige  foredrag.  Efterladte  arbeider.  Kristiania, 
IT.  Aschehoug  &  co.  1907.     (IV),  144  s. 

Inhalt:  Nyere  forskninger  om  Irlands  gamle  aandskultur  og  digtning  i  deiis 
forhold  til  norden.  —  Braavalla - slaget  —  Nordboerne  i  Irland.  —  Pinvus-lovcn 
i  Venedig  og  dens  indskrifter.  —  Om  sprogstriden.  —  Samhokl  i  norden.  — 
Mindeord  om  P.  A.  Munch. 

Christus  und  Die  minnende  sceie,  zwei  spätmhd.  gedichte  (im  auhang  ein  prosa- 
disput  verwandton  Inhalts).  Untersuchungen  und  te.\te  hrg.  von  Romuald  Banz. 
[Germanist,  abhandlungen  . .  hrg.  von  Fr.  Vogt.  XXTX.]  Breslau,  M.  ä:  H.  Marcus 
1908.    XVIII,  388  s.  und  9  taO".     15  m. 


506  -VEÜK    ERSCHEINUNGEN 

Edda  SaRiinmdar.  —  Neckel,  Gust.,  Beiträge  zur  Eddaforschuug  mit  cxkurbcn  zur 
hcldtnsage.     Dortmund,  Ruhfus  1908.     Vni,  512  s. 

Eichciidorff,  Jos.  Irhr.  von,  Sämtliche  werke.  Histor. - krit.  ausgäbe  iu  Verbindung 
mit  Fhil.  Aug.  Becker  hrg.  von  Willi.  Kosch  uud  Aug.  Sauer.  11.  band: 
Tagebücher.  Regensburg,  J.  Habbel  o.  j.  XVI,  426  s.,  3  porträts  u.  1  Stammtafel. 
[Die  ausgäbe  ist  auf  12  bände  ä  2,50  m.  berechnet.] 

—  Erdmauu,  Jul.,    Eichendorffs  historische  trauerspiele.     Halle,  Nieraeyer  1U08. 

XII,  123  s. 

Fischer,  Herrn.,  Grundzüge  der  deutschen  altertumskunde.  [Wissenschaft  uud  bildung  . . 
hrg.  von  Paul  Herre.  XL.]  Leipzig,  Quelle  uud  Meyer  1908.  VI,  135  s. 
geb.   1,25  m. 

FöstbrteÖra  saga.  —  Hofker,  C.  F.,  De  Föstbrceöra  saga.  [Amsterdamer  dissert.] 
Groningen,  M.  de  Waal  1908.     XII,  141  s. 

(iroethe.  —  Goethe  über  seine  dichtungen.  Versuch  einer  Sammlung  aller  äusscruugeu 
des  dichters  über  seine  poetischen  werke  von  dr.  Hans  Gerhard  Graf.  IL  teil: 
Die  dramatischen  dichtungen.  4.  band  (des  ganzen  werkes  0.  band).  Frank- 
furt a.  M.,  Rütten  &  Loening  1908.     VIII,  711  s.     20  m. 

—  Jahn,  Kurt,  Goethes  Dichtimg  imd  Wahrheit.    Vorgeschichte,  cntstehung,  kritik. 

analyse.     Hallo,  Niemeyer  1908.     VII,  382  s. 
(irabbe.  —  Nieten,  0.,  Chr.  D.  Grabbe.     Sein  leben  und  seine  werke.     Dortmund. 

Fr.  W.  Ruhfuss  1908.     VIII,  456  s.     10  m.     (=  Schriften  der  literarhistorischen 

gesellschaft  Bonn  hrg.  von  B.  Litzmann.  IV). 
Grau,  Gust.,   Quellen  uud  Verwandtschaften   der  älteren  germanischen  darstelluugen 

des  jüngsten  gerichtes.    [Studien  zur  engl,  philo!,  hrg.  von  L.  Morsbach.   XXX1.| 

Halle,  Niemeyer  1908.     XIII,  288  s.     10  m. 
Orimni.  —  Stell,  Adolf,    Dorothea  Grimm,    die  mutter  der  brüder  Grimm.     Zu 

ihrem  andenken  an  ihrem  100jährigen  todestag  (27.  mai  1908).    2.  aufi.     Kassel, 

Gebr.  Gotthelft  in  comm.  1908.     20  s.  und  4  abbild.     0,50  m. 
Grimmelshauseu.  —  ßloedau,  C.  A.  v.,   Grimmeishausens  Simplicissimus  und  seine 

Vorgänger.     Beiträge    zur    romantechnik    des    17.  jhs.     fPalaestra  .  .  hrg.    von 

A.  Brandl,  G.  Roethe  und  E.  Schmidt.  LI.]     Berlin,  Mayer  &  Müller  1908. 

VI,  145  s.     4  m. 
Habel,  Ed^riii,  Der  deutsche  Cornutus.  1.    Berlin,  Mayer  &  Müller  1908.    63  s.    2  ni. 
Hake,  Vor  der,  I.  A.,  De  aanspreekvormen  in't  nederlandsch.    Utrecht,  P.  den  Boer 

1908.     VIII,  240  s. 
Hebbt'l.  —  Alber ts,  Wilh.,  Hebbels  Stellung  zu  Shakespeare.     Berlin,  A.  Duncker 

1908.     78  s.     2  m. 
Heiligenleben.  —  Zoepf,  Ludw. ,  Das  Heiligen -leben  im  10.  jahrh.     [Beiträge  zur 

kulturgesch.   des  mittelalters  und  der  renaissauce  hrg.   W.   Goetz.   1.]     Leipzig 

und  Berlin,  Teubner  1908.     VI,  250  s.     8  m. 
Heine,  Heinrich.  —  Mücke,  Georg,  Heinrich  Heines  beziehuugen  zum  deutschen 

inittelalter.      [Forschungen    zur    neueren    lit.-gesch.    hrg.    von    Frz.    Muncker. 

XXXIV.]     Berlin,  Alex.  Duncker  1908.     VIII,  167  s.     J,50  m. 
Heinricli  von  Mügeln,  Der  meide  kränz,  herausg.  und  eingeleitet  von  Willy  Jahr. 

[Leipz.  dissert.]     Borna- Leipzig  1908.     136  s. 
Heinrichs,  Karl,  Studien  über  die  namengebung  im  deutschen  seit  dem  anfaug  des 

16.  Jahrhunderts.     Quellen  und  forschungen  .  .  hrg.  von  A.  Brandl,  E.  Martin. 

E.  Schmidt.   CIL]     Strassburg,  Ti-übner  1908.     XV,  510  s.     14  m. 


XEÜK    ERsrilKlNUXGKN  ."lOl 

Heintzc,  Alb.,  Die  deutschen  familiennameu,  gebchichtlith,  geogiaphibcü,  sprachlich. 

3.  aufl.  hrg.  von  P.  Cascoibi.     Halle,  Waisenhaus   1908.     VIII,  280  s.     7  ni. 
Heldmanii.  Karl,  Mittelalterliche  velksspiele.     Halle,  Heudel  JüOS.     57  s.     1  in. 
Hellwig:,  Alb.,  Verbrecheu  uud  aberglaube.    Skizzen  aus  der  volkskundlichen  krimiua- 

listik.    [Aus  natur  und  geistesweit  ur.  212.]    Leipzig,  Teubner  1908.    VIII,  139  s. 

geb.  1,25  m. 
Helwigs  Märe  vom  heil,  kreuz,   nach  der  einzigen  handschril't  zum  ersten  nialo  hrg. 

von   Paul    Hey  manu.      [Palaestra    LXXV.]      l]erlin,    Mayer    &    Müller    1908. 

VT,  170  s.     5,.'30  m. 
Hernianssoii ,  Ilalldör,  Bihliugraphy  of  the  leelaudic  sagas  and  minor  tales.   [A.  u.  d.  t.: 

Islandica.     An  annual  relating  to  Iceland  and  the  Piske  Icelandic  coUectiou   in 

Cornell   university  libraiy,  ed   by   George  William  Harris.   Vol.  I.]     Ithaca, 

New  York,  Cornell  university  library  1908.    (XIV),  126  s.     1  doli. 
Heusler,  .iiidr..   Die  gelehrte  Urgeschichte  im  altisläodi.schen  Schrifttum.     [Abh.  der 

kgl.  prcus.s.  akad.  der  wissensch.J     Berlin  1908.     102  s.     4". 
Hoeber,  Karl,  Beiträge  zur  kenntnis  des  Sprachgebrauchs  im  volksliedc  des  14.  uud 

15.  jhs.     [Acta  germanica  .  .  hrg.   von   K.  Henning.   VII,   l.J     Berlin,  Mayer  k 

Müller  1908.     (VIII),  129  s.     4  m. 
Hofstaetter,  W.,  Das  deutsche  museum  (1776  — 1788)  und  das  Neue  deutsche  museum 

(1789 — 1791).     Ein  beitrag  zur  geschichte  der  deutschen  Zeitschriften  im  18.  jh. 

Leipzig,   K.  Voigtländer   1908.     [=  Probefahrten  hrg.  von   A.  Köster,  band  12.] 

VI,  237  s.     6  m. 

Iiiielmauu,  Rudolf,  Wanderer  und  Seefahrer  im  rahmen  der  altepglischen  Odoakcr- 

diehtung.     Berlin,  Jul.  Springer  1908.     91  s. 
'lakobseu,  Jakob,  Etymologisk  ordbog  over  det  norrone  sprog  pä  Shetlaud.    Udgivet 

pä  Carlsbcrgfondets  bekostning.     1.  htefte;  ä  —  gopn.     240  s. 
Jüschkc,  Erich,  Lateinisch  -  romanisches  fremdwörterbuch  der  schlesischen  mundart. 

[Wort  und  brauch.  II]    Breslau,  M.  &  H.Marcus  1908.    XVI,  160s.    5,60  m. 

Kluge,  Friedr.,  Bunte  blätter,  kulturgeschichtli(;he  vortrage  und  aufsätze.    Freiburg  i.  B., 

J.  Bielefeld  1908.    (VIII),  213  s.     6  in. 
Kock,   Axel,  Um  spräkets  förändring.     Aiidra  u])plagaii.     Göteborg,   Wettergren  & 

Kerber  1908.     (VI).  197  s. 
Kohl,  Frz.  Friedr.,  Die  Tiroler  baueruhochzeit.     Sitten,    brauche,   siirüche,  lieder 

und  tanze  mit  singweisen.     [Quellen  und  forschuugen  zur  deutscheu  Volkskunde, 

hsg.  von  E.  K.  Blümml.    HL]     Wien,  Rud.  Ludwig  1908.     X,  282  s.     9  m. 
Kralik,  Rieh,  v..  Zur  nordgornianischen  sageugeschichte.    [Quellen  und  forschungen  .  . 

hrg.  von  E.  K.  Blümml.    IV.]     Wien,  Rud.  Ludwig  1908.     121  s.     4,80  m. 

Lederer,  Max,  Die  gestalt  der  uaturkinder  im   18.  jahrh.     Progr.  der  k.  k.  staats- 

obcriealschule  in  Bielitz  1908.     53  s. 
Lehmann,  Rudolf,  Deutsche  poetik.     München,  IL  Beck  1908.     X,264.s.     geb.  Ü  m. 
Leppmann,  Frz.,  Kater  Murr  und  seine  sippe.     Von  der  roniantik  bis  Scheffel  und 

0.  Keller.     München,  C.H.Beck  1908.     (VI),  86  s.     geb.  2  m^ 

Njäla.  —  Brenuu-Njäls  saga  (Njäla)  hrg.  von  Fiuuur  Jonsson.  [Altuord.  saga- 
bibUothek  XHL]    Halle,  Niemeyer  1908.     XLVI,  452  s.     12  m. 

(►pus  hnperfectiiin. —  Paas,  Th.,  Das  Opus  imperfeitum  in  .Mattliammi.  Tübingen, 
l-aiii)p  1908.     XVII,  295  s.     5  m. 


508  XEUK   EKSCHEINÜNGEN 

(U'dbok  öfver  Svcnska  spi'äket  utgifven  af  Svenska  akadeniicn.    Haftet  3G.    Boträffa  — 

bevan  (sp.  2081^2240);  haftet  37.    Darwinist  — dekorativ  (sp.  385  — 544).    Luud, 

Gleerup  (Leipzig,  Nils  Pelirssou)  1908.     ä  1,50  kr. 
Oi'tnainiieii  i  Alvborgs  län,  pä  offentligt  uppdrag  utgiviia  av  kungl.  ortuamuskoinmitteu. 

Del  XIII:  Vättle  bärad.     Stockholm,  Aktiebolaget  Ljiis  1908.     (IV),  134  s. 
Östergreii,  Olof,  Stilistik  spräkvetenskap.     Stockholm,  P.  A.  Norstedt  »Jy:  söuer  1908. 

(VIII),  125  s.     2,75  kr. 
Ostfricsland.  —  Die  niederdeutschen  rechtsquellen  Ostfrieslonds  hrg.  von  C.  Boich- 

ling.     Band  I.     Die  rechte    der   einzel-laudschaften.     [Quellen    zur   geschichtc 

Ostfrieslands  L]    Aurich,  A.  H.  f.  Duukmann  1908.    CXL,  282  s.  und  1  taf.   8  m. 
Paliidait,  J.,  En  overgangsgruppe  i  nordeuropansk  digtniug  omkring  aar  1700.  [Kopenli. 

univ.  progr.]     Kjbhvn  1908.     40  s. 
Paul,  Hermann,  Deutsches  Wörterbuch.     2.  vermehrte  aufl.     Halle,   Niemeyer  1908. 

VHI,  690  s. 

Relmi,  H.  S.,  Deutsche  Volksfeste  und  volkssitten.     Leipzig,   Teubner  1908.     118  s. 

geb.  1,25  m. 
Reichert,  Herrn,,  Die  deutschen  familiennamen  nach  Breslauer  quellen  des  13.  und 

13.  jhs.    |\Vort  und  brauch  I.]    Breslau,  M.  &  H.  Marcus  1908.  IX,  192  s.   6,40  in. 

Sahr,  Julius.  Das  deutsche  Volkslied.    I.  IL    Leipzig.  Goeschen  1908.    135  und  110  s. 
Scliiepek,  Jos.,  Der  satzbau  der  Egerländer  niundart.    2.  teil.     [A.  u.  d.  t. :  Beiträge 

zur  kenntnis  böhmischer  mundarten  .  .  hrg.  von  Hans  Lambel  L]    Prag,  J.  G.  Calvc 

in  comm.  1908.     s.  207  — 610. 
Schönl)aeh,  Anton  E.,  Mitteilungen  aus  altdeutschen  handschrifteu.  X.    Die  Regcns- 

burger  Klarissenregel.    | Sitzungsberichte  der  Kais.  akad.  der  wiss.  in  "Wien,  philos.- 

hist.  kl.  CLX.l     Wien,  Alfred  Holder  1908.     (II),  68  s. 
Scliroeder,  Otto.  Vom  papiernen  stil.     7.  aufl.     Leipzig  und   Berlin,   Teubner  J908. 

Vni,  102  s.     2,40  m. 
Settes'ast,  Franz,  Die  Sachsenkriege  des  französischen  volksepos  auf  ihre  geschichtl. 

quellen  untersucht.     Leipzig,  0.  Harrassowitz  1908.     VII,  71  s.    2  m. 
Skaldenpoesie.  —  Den  norsk-islandske  skjaldedigtniug  udgiven  af  kommissionen  for 

det  Arnaniagnjx-anske  legat  ved  Finnur  Jonssou.    A.  Tekst  efter  handskrifterne. 

B.  Rettet  tekst  med  tolkning.     Kobenhavu   og  Kristiania,   Gyldendal  1908.     187 

und  177  s. 

Die  ersten  beiden  mit  Sehnsucht  erwarteten  hefte  eines  neuen  kritischen 

Corpus  scaldicum,  nach  dessen  Vollendung  der  herausgeber  auch  ein  Wörterbuch, 

einen  Sveinbjörn  Egilsson  redivivus,  zu  bearbeiten  gedenkt. 
Sütterlin,  L.,  Die  lehre  von  der  lautbildung.    Mit  zahlreichen  abbildungen.    [Wissen- 
schaft und  bildung.  LX.]    Leipzig,  Quelle  &  Meyer  1908.    VIIL  183  s.    geb.  1,25  m. 
Tannhäuser.  —  Elster,   E. ,  Taunhäuser   in    geschichtc,    suge    und   dichtung.     Ein 

Vortrag.     Bromborg,  R.  Fromm  1908.     II,  25  s. 
Teutonia.     Handbuch  der  german.  filologie  hrg.  von  Alfr.   von  Saiten,  bearb.  von 

•Rob.  Douffet.    Heft  3:  Über  deutsche  Wortforschung  und  wortkunde.    Leipzig, 

Verlag  Deutsche  zukunft  1907.     IX,  215  s.     3,60  m. 
Texte,  Deutsclie  des  Mittelalters  hrsg.  von  der  Kgl.  Preuss.  Akademie  der  Wissen- 
schaften bd.  XIII:   Der  grosse  Alexander  aus  der  Wernigeroder  hand.schrifi, 

lirg.  von   Gustav  Guth.     Mit    2  tafeln  in  lichtdru(;k.     Berlin,   Weidmanoscbe 

Buchhandlung  1908.    XII,  102  s,    4  m. 


NACH  RICHTEN  509 

Tlieopiiilus,  inittelniederdeutsches  ilraiuu  in  drei  ta«sungcu  lug.  vou  Kob.  i'otsch. 
Heidelberg,  Winter  1908.     X,  103  s. 

Tsehiiikcl,  Haus,  Grammatik  der  Gottscheer  miiudart.  .Mit  untorstützuug  der  Ge- 
sellschaft zur  förderung  deutscher  Wissenschaft,  kuust  und  literatur  in  Böhmen. 
Halle,  Nieuieyer  1908.     XVI,  320  s.  und  1  karte.     8  m. 

Ulli,  Willi.,  Winileod.  [Teutonia  .  .  hrg.  von  W.  Uhl.  V.]  Leipzig,  E.  Avenarius 
1908.     VIII,  427  s. 

l'invertli,  Wolf  v.,  Die  schlesische  arundart,  in  ihren  lautverhältnissen  grainniatisch 
und  geographisch  dargestellt.  [Wort  und  brauch.  III. J  Breslau,  M.  &  H.  Marcus 
1908.     XVI,  94  s.  und  2  karten.     3,60  m. 

VeröHeiitlicIiung'en  der  Gutenberg- gesellschaft.  V.  VI.  VII.  Mainz  1908.  (VIII), 
235  s.  4»  und  14  taff. 

Inhalt:  Edw.  Schröder,  Das  Mainzer  fragment  vom  Weltgericht,  ein  aus- 
schnitt aus  dem  deutscheu  Sibyllenbuche.  —  Gottfr.  Zedier,  Die  42zeilige 
bibeltype  im  Schöfferschen  Missale  Moguntinum  vou  1493.  —  Ad.  Tronnier, 
Die  missaldrucke  Peter  Schöffers  und  seines  sohnes  Johann.  —  Wilh.  Velke, 
Zu  den  bücheranzeigen  Peter  Schöffers. 

Waltliarius.  —  Ekkehards  Waltharius.  Ein  kommentar  von  .1.  \V.  Beck.  Groningen, 
Xoordhoff  1908.     (VIII),  XXVIII,  172  s.     geb.  3,50  m. 

AVelgaud,  Fr.  L.  K,,  Deutsches  Wörterbuch.  5.  auü.  bearb.  von  K.  v.  Bahdor 
H.  Hirt  und  K.  Kant.  4.  lieferung  (frau  —  grille),  sp.  577  —  768.  Giessen^ 
Töpelmann  1908.     1,60  m. 

Wielaiid.  —  Ideler,  E.,  Zur  Sprache  Wielands.  Sprachliche  Untersuchungen  inr 
anschluss  an  Wielands  Übersetzung  der  briefe  Ciceros.  Berlin,  Meyer  &  Müller 
1908.     121  s. 

Whnmer,  Ludv.  F.  A.,  De  danske  runemindesmserker  undersogte  og  tolkede,  af- 
bildningerne  udforte  af  J.  Magnus  Petersen.  Forste  binds  forste  afdeling: 
Almindelig  indledning.     Kobenh.,  Gyldendal  1908.    19 -j- CXCV  s.  fol. 

Wiillila.  —  Die  gotische  Bibel  lirg.  von  Wilh.  Streitberg.  1.  teil:  Der  gotische 
text  und  seine  griech.  vorläge  mit  einleitung,  lesarten  und  f|uellenüachweisen  sowie 
den  kleineren  denkmälern  als  anhang.     Heidelberg,  Winter  1908.    XLVI,  484  s. 


NACHRICHTEN. 


Am  28.  februar  1908  verstarb,  wa.s  wir  nachträglich  berichten,  zu  Graz  der 
bibliothekar  a.  d.  dr.  Adalbert  Jeitteles  (geb.  zu  Wien  20.  august  1831);  am 
18.  august  zu  Breslau  prof.  dr.  Albert  Gombert. 

Der  ausserordentliche  professor  dr.  0.  Jiriczek  in  Münster  i.st  zum  Ordinarius 
ernannt  worden;  der  privatdocent  dr.  August  Gebhardt  in  Erlangen  wurde  zum 
ausserordentl.  professor  befördert. 

Der  ausserordentl.  professor  dr.  Max  Rödiger  in  Berlin  erhielt  den  charakter 
als  geb.  regierungsrat. 


510 


1.    SACHREGISTER 


I.    SACHREGISTER. 


adel  vgl.  angargathurrgi. 

aestiietik  vgl.  Heinse. 

altertumskunde :  s.  452  fgg. ;  hügelgräber 
der  Römerzeit  am  Niederrhein  s.  456  fgg.; 
römischer  einfluss  im  germanischen  hand- 
werk  s.  158  fg. ;  germanische  gürtel- 
schnallen  s.  459  fgg.,  helme  bei  den 
Germanen  s.  464  fgg.;  altgermanische 
Volkstracht  s.  385 fgg.,  die  hose  s.  386 fgg., 
die  „  teibevikling "  der  vorgeschicht- 
lichen zeit  ist  die  hose  s.  386  fgg.,  die 
langobardische  reitgamasche  s.  387  fg., 
die  schuhriemen  s.  388  fg. ,  die  beinberge 
s.  390,  die  Verspottung  der  Langobarden 
am  Gepidenhofe  s.  391  fgg.,  „fetilus" 
bei  den  Gepiden  und  die  „fessel"  des 
pferdes  s.  393fgg.,  Sintarfizzilo  s.  395 fg.. 
die  bruch  s.  396  fgg. ,  gallisch  braca  und 
german.  hrok  s.  397  fg.,  die  monumen- 
tale und  die  literarische  überliefenxng 
s.  400,  die  lange  hose  s.  401. 

altnordisch:  syntaktischer  gebrauch  des 
passivs  s.  473  fgg.,  wort-  und  satz- 
stellung  s.  475  fg. ,  trennung  von  prä- 
position  und  kasus  s.  476  fg.,  utnschrei- 
bung  von  verbalformen  mit  goro  s.  477, 
imperativ  s.  477,  hvar  s.  477. 

angargathungi:   principes  pagi  s.  286  fg., 

proceres    s.  287,    principes    civitatis   s. 

'  287 fg.,  bedeutuug  von  'secundum  digna- 

tionem'  s.  288 fgg.,  das  langobardische 

'  angargathungi "  gleich  dignatio  s.  289  fg. 

Balingen,  spange  von:  vgl.  ruuen. 

bayrisch  vgl.  lautlehre. 

beschwörungsformel  gegen  würmer  s.  433. 

Bugge,  Sophus:  lebensbeschreib.  s.  i29fgg, 

Carmina  Burana  s.  433  fg. ,  s.  479  fg. 

dnicker,  hochdeutsche  der  reformations- 
zeit  s.  122  fg. 

Edda:  vgl.  altnordisch;  Snorra  Edda  vgl. 
Hildesage;  die  lieder  der  lücke  s.  219  fg.; 
VQluspä  5,  1 — 4  s.  430  fgg.;  Vnlsunga- 
saga  c.  26  s.  372,  das  Traumlied  von 
c.  25  s.  372  fg. 

npos:  Verbreitung  der  mhd.  höfischen  epen 
in  Niederdeiitschland  s.  185  fg. 


etymologie:  Verbindung  mit  der  archäo- 
logie  s.  452  fg. 

Floovent  s.  225  fgg. 

folkeviser  vgl.  Hildesage. 

Freiberg,  Heinrich  von:  s.  228  fgg.,  quellen 
des  Tristan  s.  229  fg.,  s.  232  fgg. ,  metrik 
s.  230  fg.,  sprachliche  eigenheiten  s.  231, 
Stil  s.  231  fgg.,  s.  237  fgg.,  Verhältnis 
zu  Gottfried  s.  232  fgg. 

friesisch  vgl.  runen. 

Genesis,  altsächsische  s.  250. 

Goethe  s.  246  fg.,  s.  248  fg. 

Gottfried  von  Strassbui-g:  vgl.  Freiberg: 
Tristan  und  Isolde,  abhängigkeit  von 
den  französischen  quellen  s.  377  fgg. 

Gudrun  vgl.  Hildesage. 

Hebbel:  abhängigkeit  von  den  deutscheu 
klassikern  s.  220 fgg.;  berührungen  mit 
der  Philosophie  seiner  zeit  s.  435  fg., 
seine  Weltanschauung  als  'pantragis- 
mus'  bezeichnet  s,  436  fgg.,  s.  444,  H. 
als  mensch  s.  441,  s.  443  fg.,  drama- 
tische Produktion  s.  445  fg. ,  s.  447,  .Ju- 
dith s.  448,  Genoveva  s.  448  fg.,  Maria 
Magdalena  s.  449,  Herodes  und  Mari- 
amne  s.  449  fg.,  Agnes  Bernaner  s.  450  fg., 
Nibelungen  s.  451  fg. 

Heine:  Romanzero  s.  254. 

Heinrich:  vgl.  Freiberg. 

Heinse:  aesthetische  Schriften  s.  486  fg. 

Helgisage  s.  31  fgg. 

Heliand:  metrik  s.  250  fg. 

Helmbrecht:  abhängigkeit  von  Neidhart 
s.  422  fg.,  Verhältnis  zum  wirklichen 
leben  der  zeit  s.  422  fgg. ,  stand  des 
dichters  s.  424,  die  haube  lediglich  lite- 
rarisches produkt  oder  der  Wirklichkeit 
entnommen  s.  425,  antiker  einfluss  bei 
der  Schilderung  der  haube  s.  428  fg. 

Herder  s.  487  fg. 

Hildesage:  methode  der  Untersuchung  s. 
1  fg. ,  die  Snorra  Edda  s.  3  fgg. ,  Ver- 
hältnis zwischen  entführung  und  HjaÖ- 
ningavig  s.  3  fgg. ,  das  HjaSningavig  in 
der  Snorra  Edda  s.  6  fgg. ,  Hildr  in  der 
Snorra  Edda  s.  7 fgg.,  die  entwicklungs- 


I.   SAOHRBGISTKK 


511 


stufen  der  sage  in  der  Snorra  Edda 
s.  10  fg.,  die  Ragnaisdrapa  s.  llfg. ,  der 
SQrla  {)attr  s.  12fgg. ,  die  entwickluugs- 
reihe  iu  dem  Sorla  |)ättr  s.  19,  Saxo  s. 
20  fgg. .  Stellung  der  Saxoversion  unter 
den  übrigen  sagenformen  ?.  26  fgg., 
Saxo  I  die  älteste  sagen  form  s.  29, 
Schema  der  entwicklungsreihe  s.  30,  s. 
202,  die  gestalt  der  sage  in  der  Tlelgi- 
sage  s.  31  fgg.,  die  kritik  der  Helgisage 
s.  32fgg. ,  entwicklungsstufe  der  Hilde- 
sage zur  zeit  der  lostrennung  der  in 
derHelgisage  vorliegenden  form  s.40fgg., 
einreihung  dieser  form  unter  die  übrigen 
s.  43,  s.  202,  die  Walthersage  s.  43  fgg., 
liagen  mit  dem  Nibeluug  identifiziert 
s.  ö4  fgg.,  s.  335,  Stammbaum  der  Wal- 
thersage  s.  66,  die  balladen  von  Ribold 
og  Guldborg  und  von  Ilildebrand  og 
Hilde  s.  184  fgg. .  beziehungen  der  bal- 
laden zur  "Walthersage  s.  187  fgg. .  ein- 
reihung der  balladen  in  den  Stammbaum 
der  Hildesage  s.  195,  s.  202,  die  Hel- 
merballade  s.  196  fg. ,  die  Shetlands- 
ballade  s.  198  fgg.,  beziehungen  der  Shet- 
landsballade  zur  Helnier-  und  Ribold- 
ballade  s.  200  fgg.,  Stammbaum  der  Über- 
lieferung s.  202,  die  entführungssage 
in  der  Küdrün  s.  202  fgg.,  s.  214  fgg., 
I^mprechts  Alexander  v.  1830  fgg.  der 
Strassburger  hs.  und  v.  1321  fgg.  der 
Vorauer  hs.  s.  204  fgg. ,  s.  294  fg. ,  Hö- 
rant  s.  209  fgg.,  Wate  s.  292,  Herwig 
s.  292  fgg.,  Hartmuots  Werbung  s.  292  fg., 
Sigfrid  von  Morlant  s.  296  fg. ,  Ludwig 
und  Hildeburg  s.  297  fgg.,  Ortwin  s. 
299  fg.,  Kfidrüns  leidensgeschichte  s. 
s.  300  fgg.,  s.  319  fg.,  Verhältnis  der  in 
der  Küdrün  vorliegenden  sagenform  zu 
den  übrigen  s.  305  fgg.,  andere  wer- 
bungssagen  in  ihren  beziehungen  zur 
Küdrün  s.  307  fgg.,  die  sage  von  Herbort 
und,  Hilde  s.  312  fgg. ,  der  ApoUonius- 
roman  s.  314,  s.316fg. ,  die  Samson- 
erzählung  s.  314fg. ,  die  Oswaldlegende 
s.  315,  die  rückfiihrungssagen  und  ihre 
bedeutuug  für  die  Kudrun  s.  315  fgg., 
die    SalomoiisaKe    und    da.s    Sü'lelilied 


s.  316  fgg. ,  die  einhoit  der  Küdrün  s. 
321  fgg.,  s.  327  fgg.,  die  engelsbotschaft 
s.  323  fgg.,  kritik  der  Strophen  1165  — 
1281  s.  327  fgg. ,  der  Ursprung  der  Hilde- 
.sage  s.  333  fgg.,  lokalisierung  der  sage 
s.  335  fgg.,  die  heimat  der  einzelnen 
redaktionen  s.  337  fgg. ,  ihre  entstehungs- 
zeit  s.  341  fgg.,  Stammbaum  der  sage 
s.  346. 

höfische  dichtung  vgl.epos;  vgl.  minnesang. 

Hünen:  die  Rümer  als  Hünen  bezeichnet 
s.  276  fgg.,  s.  280  fgg.,  s.  285,  WaUia 
als  bezeichnung  der  Kelten  s.  277  fgg., 
das  römische  kastell  als  Ursprung  der 
deutschen  stadtanlage  s.  278  fgg. ,  die 
Römer  als  'beiden'  bezeichnet,  die  lie- 
zeichnung  der  Römer  als  'Hünen'  in 
oi'tsnamen  erhalten  s.  280  fg.,  Römer- 
siedlungen auf  germanischem  boden 
s.  282,  Hünaland  s.  283  fg.,  spätere  an - 
Wendung  des  Hünennamens  auf  die 
Ungarn  und  Wenden  s.  284  fg.,  das 
Hildebrandslied  s.  285  fg. 

Irmisch,  Thilo  s.  107  fg. 

Island  s.  374 fgg.,  s.  467 fgg. 

Kleidung  vgl.  altertumskuude. 

Kleist,  Heinr.  v.  s.  125 fgg. 

Küdrün  vgl.  llildesage. 

Lamprecht:  Alexander  vgl.  Hildesage. 

lautlehre:  «-abfall  im  bayrischen  s.356fgg. 

liederhandschriften:  die  Schwelinsche  hs. 
zu  Stuttgart  s.  404  fgg. 

Meier  Helmbrecht  s.  421  fgg. 

meistersänger  vgl.  Oesterreichei. 

metrik:  der  dreiteilige  strophenbau  in  lat. 
dichtungen  des  12.  und  13.  jhs.  s.  433  fg. 

minnesang:  beziehungen  des  deutschen 
minnesangs  zur  Provence  s.  478  fgg., 
480 fgg.,  beziehungen  zu  den  vaganten- 
liedern  s.  479 fg.,  zu  Ovid  s.  480. 

Nibelungenlied  s.  121. 

Nibelungensage  vgl.  llildesage,  vgl.  Sieg- 
friedsage. 

Niederdeutschland  vgl.  epos. 

Oesterroicher,  Ambrosius:  zwei  gedichte 
s.  347  fgg. 

Opus  imperfectuin  in  Müttliafimi :  satz- 
parallelismus  s.  359  fgg. 


512 


II.    VERZKICUNIS    DKR    BKSPROCHKNKN    STRLLEN 


III.    WORTREGISTER 


Oswald  vgl.  "Wolkenstein. 

Otfrid  s.  120. 

phonetik:  mbd.  s.  243  fgg. 

Provence  vgl.  minnesang. 

rechtsgeschicbte  vgl.  augargathungi ,   vgl. 

Sachsenspiegel, 
reforniationszeit  vgl.  drucker. 
romantik  s.  125  fg. 
Römer:  vgl.  Hünen;  vgl.  altertumskunde; 

behauptung  des  rechten  ufers  am  Nieder- 

ihein  s.  456 fg. 
runen:  denkmal  von  Britsum  in  Friesland 

s.  174 fgg.,  bedeutung  der  rune  p  s.  177. 

s.  180,  friesische  runenfunde  s.  ISOfgg., 

beziehung    zu    nordischen    runendenk- 

mälern  s.  182  fgg. ;    der  Bornholmische 

runenstein     von     Vester- Marie    VI    s. 

218 fg.;    die    spange    von    Balingen    s. 

257 fgg.,    die     deutung    Söderhergs    s. 

259fgg.,    die    deutung    von    Stephens 

s.    259fg.,     neue     lesiing     s.    261  fgg., 

deutung  s.  265  fgg. 
Sachsenspiegel  s.  484 fg. 
Saxo  vgl.  Hildesage. 
Schauspiel:    weihnachtsspiele    s.  252 fgg. ; 

das    spiel     von     den    zehn    Jungfrauen 

s.  380  fgg. 
Schwelinsche  liederhandschrift  s.  404fgg. 


schwerttanz  s.  347  fgg. 

Siegfriedsage:  beziehungen  zur  Floovent- 
fabel  s.  226  fg. 

Stilistik  vgl.  Opus  iinperfectum. 

Syntax  vgl.  altnordisch. 

Totentanz:  der  oberdeutsche  vierzeilige 
text  s.  67  fgg. ,  handschriftenverzeichnis 
s.  68,  Docens  text  s.  69  fgg. ,  die  hs. 
H.^  s.  71  fgg. ,  Verhältnis  des  lat.  textes 
zum  deutschen  s.  74  fgg. ,  die  Verwandt- 
schaftsverhältnisse der  übrigen  hss.  und 
der  Baseler  text  s.  SOfgg.,  deutscher 
text  mit  Varianten  s.  83  fgg. ,  der  lat. 
text  s.  90  fgg. 

trachtenkunde  vgl.  altertumskunde. 

Türlin,  Ulrich  von:  Willehalm  s.  220. 

Verfassung  vgl.  augargathungi. 

Völkerkunde  vgl.  altertumskunde:  vgl. 
schwerttanz. 

V(jlsungasaga  vgl.  Edda. 

"Walthersage  vgl.  Hildesage. 

weihnachtsspiel  s.  252  fgg. 

Wernher  vgl.  Helmbrecht. 

Wikinger  s.  109  fgg. 

Willehalm  vgl.  Tüiiin. 

Wolkenstein,  Oswald  von,  s.  251  fg. 

Würmer  vgl.  beschwörung. 

I'iSrekssaga  vgl.  Hildesage. 


IL     VERZEICHNIS  DER  BESPROCHENEN  STELLEN. 


Edda,  Voluspä  5,  1—4  s.  430 fgg. 
Heinrich  von  Freiberg,  Ritterfahrt: 
v.  5.  7.  8.   147.  256.  277.  290 
s.  239. 
Hildebrandslied  v.  35  und  39  s.  285  fg. 


Lamprecht,   Alexander:   Strassburger  hs. 
V.  1830 fgg.,  s.  204 fgg., 

Yorauer  hs.  v.  1321  s.  205  fgg. 
Paulus  Diaconus  I,  24  s.  391  fg. 
Tacitus,  Germania,  c.  26  s.  288 fgg. 


in.     WORTREGISTER. 


Althochdeutsch. 

dihan  s.  280. 

Laugobardiscli. 

augargathungi  s.  286 fgg.,  s.  289 fg. 

Lateinisch. 

dignatio  s.  288  fgg. 


Neuliochdeutscli, 

bord  s.  373. 

fessel  (=fussgelenk  des  pferdes) 

s.  393  fgg. 
gedeihen  s.  289. 


Buchdrackerei  de$  Waiseühaases  in  Halle  a.  S. 


PF 
3003 
Z35 
Bd./,0 


Zeitschrift  für  deutsche 
Philologie 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


REINFCRCEO   (INOmcl 


ipiiiil 

m 


■M 


ÜMlill 


ij^r^^"*-"^^  'PNl  Mk 


■^■M-m 


vii: 


m'm: 


tr^ 


^     SB|. 


m  a§ 


.«1^«» 


%Ää*- 


■4»...;..^;