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DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIU8 ZACHER
HERAUSGEGEBEN
VON
HUGO GERING UND FRIEDRICH KAUFFMANN
VIEllZIGSTEIl BAND
-2.
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HALLK A. «.
VERLAG DEU ÜUCHHANDLVHS'Ü DES WAISENHAUSES.
1 9 0 S.
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INHALT.
Seite
Untersuchuügen über die llildesagc. Von R. C. l5oer 1. 184. 292
Der oberdeutsche vierzeilige toteutanztext. Von \V. Felis e 67
Sophus Bugge. Von M. Olsen 129
Das nineudenkmal von Britsum in Friesland. Von S. Ihigge (y) 174
Die inschrift der spange Von Balingen. Von Th. v. (irii'nbcrger 2.")7
Hünen. Von Fr. Kau ff mann 27(j
Angargathungi. Von Fr. Kauffmaun 28(3
Studien zur altgernianisohen volkstraclit. Von Fr. Kauffniann 385
Die Schwelinsche liederhandschrift. Von E. K. Blüniml 404
Helmbreoht und seine haube. Von R. M. Mever 421
Bericht über die verhaudlungeu der germanistischen sectiou der 49. ver.sanimlung
deutscher Philologen und Schulmänner zu Basel. Von E. Geiger ... 93
Miscelleii.
Zu dem Dornholmischen ruuensteine von Vester-Marie VI. Von 11. Gering . 218
Zu Zeitschr. 39, 293fgg. Von G. Necke 1 - . . 219
Zum Willehalm des Ulrich von dem Türliu. Von E. Fetzet. . ' 220
Zwei bisher unbekannt gebliebene gedichte des Nürnberger meistersängers Aml>r.
Österreicher aus dem jähre 1562. Von M. Schneider . . . . . . . 347
Der angebliche /i-abfall im bayrischen. Von V. Moser 356
Der satzparallelismus in dem Opus imperfectum in Matthaeum. Von Th. Puas 359
Zu Zeitschr. 39, 308 fg. 322 fg. Von G. Necke 1 372
Zu Zeitschr. 40, 237. Von H. Fischer 373
Eine frage zu Völuspa 5, 1 — 4. Von K. Dyroff 430
Beschwörung gegen würmer. Von L. Schmidt 433
Zu Zeitschr. .39, 388. Von G. Ehrismann 433
Litteratuv.
Th. Irmisch, Beiträge zur schwarzburgischen heimatskunde; von G. EUinger 107
Alex, ßugge, Die Wikinger, übers, von H. Hungerland; von B. Kahle . 109
L. Wilser, Die Germanen; ders., Die herkunft der Bayern; von Fr. Kauffniann 119
C. Pfeiffer, Otfrid im gewande seiner zeit; von G. Ehrismann 120
G. Bötticher und K. Kinzel, Das Nibelungenlied im auszuge; von J. Schmedes 121
A. Götze, Die hochdeutschen drucker der refoimationszeit; von W. Lücke . 122
El Kayka, Kleist und die romantik; von R. M. Meyer 125
K. Klciiipaul, Das fremdwort im deutschon; von G. Ehrismann . . . . 12(5
A. Fries, Vergleichende Studien zu Hebbels fragmenten; von H. Krumm . 220
G. Drockstedt, Floovent- Studien; von II. Suchior 22.j
IV INHALT
Seite
Heinrich von Ficiberg hig. von AI. Beindt; von G. Kobeuhagen . . 228
W. Dilthey, Das erlcbnis und die dichtung; von Tb. A. Meyer 2iO
A. Johann son, Phonetfcs of the New High German language; von H. Kliughardt 243
M. Morris, Goethe - Studien ; von E. Sokolowsky 246
H. G. Graef, Goethe über seine dichtungen; von R.Sokolowsky 248
E. Martin, Der versbau des Heliand u. der altsächs. Genesis ; von Fr. Kauft mann 250
Die gedichte Oswalds von AVolk en stein, herausg. von J. Schatz; von
G. Ehrismann 251
H. Auz, Die lateinischen magierspiele; von G. Ehrismann 252
H. Herr mann, Studien zu Heines Romauzero; von E. M. Meyer 254
r. Herrmaun, Island in Vergangenheit und gegenwart; von H. Gering . . 374
F. Piquet, L'originalite de Gottfried de Strasbourg dans son poeme de Tristan
et Isolde; von K. Marold 377
W. Arndt, Die personennamen der deutschen Schauspiele des mittelalters ;
0. Beckers, Das spiel von den zehn Jungfrauen \\m\ das Katharinenspiel;
von G. Ehrismann 380
0. Brenner, Die lautliclien und geschichtlichen gruudlagen unserer recht-
schreibung; von II. Wunderlich 383
A. Scheune rt, Der pantragismus als System der Weltanschauung und ästhetik
Fr. Hebbels; Frz. Zinkernagel, Die grundlagen der Hebbelschen tragödie:
E. A. Georgy. Die tragödie Fr. Hebbels nach ihrem Ideengehalt; von
H. Krumm 434
J. Schlemm, Wörterbuch zur Vorgeschichte; von Fr. Kau ff manu . . . . 452
E. Forrer, Eeallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen
altertümer; von Fr. Kauffmanu iöb
A. Kiekebusch, Der einfluss der römischen kultur auf die germanische im
Spiegel der hügelgräber des Niederrheins; von Fr. Kauft mann .... 45(1
A. Götze, Gotische schnallen; von Fr. Kauffmanu 459
R. Henning, Der heim von Baldenheim; von Fr. Kauffmanu 464
Kristnisaga, torvaldsjjättr, IsleifsJ^attr, Hungrvaka, herausg. von B. Kahle;
von A. Gebhardt 467
M. Nygaard, Norr0n syntax, von G. Neckel 473
A. Lüderitz, Die liebestheorie der Provencalen bei den minucsängeru der
Stauferzeit; von E. Wechssler 478
R. Jecht, Die Görlitzer handschrifteu des Sachsenspiegels; von G. Ehrismauu 484
E. Kegel, Die Verbreitung der mhd. erzählenden litteratur in Mittel- und
Niederdeutschland nachgewiesen auf grund von personennamen: von
G. Ehrismauu 485
E. Utitz, Wilh. Heinse und die ästhetik zur zeit der deutschen aufkläruug;
von Th. A. Meyer . 486
R. Laube, Rud. Hildebrand und seine schule; von J. Schmedes 487
J. Haussmann, Untersuchungen über spräche und stil des jungen Herder; von
R. M. Meyer 487
Verzeichnis der mitarbeitor und ihrer beitrage in band XXXI — XL .... 488
Neue erscheinungen 127. 255. 383. 505
Nachrichten 128. 256. 384. 509
Register von W. Beese 510
ÜNTEKSUCHÜNGEN ÜBER DIE HILÜESAGE.
§ 1. Eiuloiteiule beincrkungen.
Eine theorie über den Ursprung und die entwicklung der Hilde-
sage, die sich der Zustimmung der mehrzah! der forscher erfreut, gibt
es zur zeit wol nicht mehr. In weiten kreisen ist MüUenhoffs mythische
erklärung verbreitet, aber unter den fachgenossen begegnet sie vielfach
nur noch einem kopfschütteln, und unter ihren freunden sind nur noch
wenige, die sie in unveränderter gestalt annehmen. Vor einigen jähren
hat Panzer einen versuch gewagt, die Hildeforschung in neue bahnen
zu lenken. Aber so bedeutend die negativen resultate des scharfsinnigen
und gelehrten Werkes sein mögen, der positive teil des buches hat nur
wenig Zustimmung gefunden, und namentlich haben nicht viele sich
davon überzeugen lassen, dass der stoß', der der reichen tradition zu
gründe liegt, das Goldener märchen sei.
Auf eine ausführliche besprechung dieser und anderer theorien
lasse ich mich an dieser stelle nicht ein. "Was ich im einzelnen gegen
sie einzuwenden habe, wird im laufe dieser Untersuchung widerholt zur
spräche kommen. Principiell scheint mir ein fehler, an dem sie alle
leiden, ihr eklektisches verfahren zu sein. Es sieht oft so aus, als ob
die erklärung der sage der Untersuchung der quellen vorangehe. Von
einer quelle wird ausgegangen, daraus, und zum teil auch aus anderen
quellen, wird das als echt anerkannt, was man für die erklärung, die
man zu geben wünscht, brauchen kann; das übrige sind dann ent-
stellungen, die einzelnen Verfassern zur last fallen. Demgegenüber möchte
ich es unternehmen, zu versuchen, durch die historische methode zu
dem kern der sage durchzudringen.
Die historische methode fragt nicht in erster linie nach der für
einen erklärungsversuch brauchbarsten quelle, sondern nach dem Ver-
hältnis der quellen. Sie betrachtet die verschiedenen formen der Über-
lieferung wie die verschiedenen handschriften eines werkes. Zwar ist
sie sich bcwusst, dass sie es mit erzeugnissen zu tun hat, die nicht
aus einer gemeinsamen schriftlichen quelle stammen, aber sie verkennt
doch nicht die deutliche analogie zwischen schiiftlicher und mündlicher
ZEITSCHRIFT F. DF.DTSCHE PUILOLOGIK. BD. XI.. 1
Überlieferung. Auch hier gih. der satz, flass gemeinsame züge, sofern
kein zufall waltet, auf gemeinsamen Ursprung hinweisen. Und wenn
auch die raöglichkeit, dass contaminationen vorliegen, hier grösser ist
als dort, so gibt es doch dieselben mittel wie dort, um zwischen con- •
tamination und Verwandtschaft zu unterscheiden. Eine historisch -kritische
Untersuchung wird daher besonders ihre aufmerksamkeit der recon-
struction der Zwischenstufen, die zwischen den erhaltenen cjuellen die
bindeglieder sind, zuwenden. In einer der überlieferten formen wird
sie nicht schnell geneigt sein, die urform zu erblicken; nur dann wird
sie sich dazu entschliessen, wenn eine solche form einfacher als die
übrigen ist, und diese sich ohne zwang sämtlich aus ihr ableiten lassen.
Sie wird vielmehr durch die reconstruction dei' Zwischenstufen einen
Stammbaum der Überlieferungen zu gewinnen suchen, in dem die er-
haltenen quellen der regel nach, obgleich nicht ausnahmslos, als end-
punkte sich darstellen. So muss jede redaction etwas zu der geschichte
der sage, und wo möglich auch etwas zu der beurteilung ihrer ent-
stehung beitragen.
Freilich muss jede quelle einzeln betrachtet werden. Oft lässt
sich schon aus dem inhalt einer einzigen quelle ein stück geschichte
ablesen. Aber die bestätigung der auf diesem wege gewonnenen resultate
muss jedesmal durch die übrigen quellen gebracht werden, und die
analyse jeder neu in die Untersuchung hineingezogenen quelle muss zu
der bestimmung ihres Verhältnisses zu den übrigen und somit ihres
platzes in der reihe führen.
Bei der behandlung des hochdeutschen gedichtes führt unsere Unter-
suchung, die' die Stoffgeschichte zum gegenständ hat, in die kritik des
epos hinüber. Ich bin den hierhergehörigen fragen nicht aus dem wege
gegangen, habe aber aus gründen, die sich unten ergeben werden, auf
die besprechung mancher einzelfrage verzichtet. Weshalb ich Wilmanns'
resultate nicht accoptieren konnte, wird aus dem gang dieser Unter-
suchung klar werden. Methodisch scheint mir sein grundfeliler, dass
er zu frei mit dem stolfe schaltet und waltet. Wenn man nacli belieben
Strophen versetzt, eine willkürliche anzahl bearbeitungen annimmt und
über eine beliebige anzahl bearbeiter verfügt, so lässt sich jedes gedieht
wol in eine anzahl lesbarer stücke zerteilen. Freilich, die annähme
der Zusammenfassung mehrerer redactionen ist keine Ungeheuerlichkeit,
aber nur da, wo andeutungen über den inhalt solcher redactionen im
voraus gegeben sind, besteht einige aussiciit, darüber etw-as näheres zu
ermitteln. Das einzige kriterium, dass einige beliebige Strophen, in
einer gewissen reihenfolge gelesen, sich hübsch ausnehmen würden,
TTOTKRSUCHrNGEN THKR DIR TIILDF.SAOF. 3
genügt nicht, um die entstehiing der Küdrün aus einzelnen liedern zu
beweisen und den inlialt der quellenlieder zai bestimmen.
Wir gehen nun zu der Untersuchung der einzelnen quellen über.
§ 2. Die «larstelliing' der Siiorra Edda.
Ich bezeichne die Versionen der Hildesage im engeren sinne, näm-
lich alle diejenigen, in denen Hagen, Heöinn, Hild als hauptpersonen
auftreten, mit ausnähme der in der Küdrün erhaltenen Versionen mit dem
buchstaben H. Die sagenform der Snorra Edda wird durch SH ange-
deutet, während die verschiedenen entwicklungsstufen, die sich auf
grund von Snorris erzählung ei'kennen lassen, als SH 1. 2 usw. unter-
schieden werden. Die bezeichnung SH 1 bedeutet demnach lediglich die
älteste sagenform, die sich in Snorris darstellung erkennen lässt; ein
urteil über die frage, ob es möglich ist, mit hilfe anderer Versionen
eine noch ältere fassung zu erschliessen, ist darin nicht enthalten. Es
ist ferner denkbar, dass ein glied der reihe SH1.2 usw. sich mit einem
gliede einer anderen reihe, etwa PH 1. 2 usw. (den entwicklungsstufen
des SQrla I)ättr) als identisch ergeben wird.
He5inn erbeutet Hildr af herfangi, während Hogni zu einer
koniiii(insi('f)ia gereist ist. Hogni erfähi-t das und eilt dem räuber
nach. Bei den Orkneyjar holt er ihn ein. Hildr bietet ihrem vater
einen vergleich — nach r einen halsschmuek als sühngeld — an; falls
er darauf nicht eingehen wolle, sei Heöinn zum streite bereit. Hggni
antwortet unfreundlich. HeÖinn und HQgni bereiten sich zum kämpfe.
Noch einmal bietet Heöinn, diesmal in eigener person, viel gold als
busse. Aber Hogni hat schon sein schwert Däinsleif gezogen, und es
muss gekämpft werden. Das geschieht. Am abend kehren die könige
zu ihren schiffen zurück. In der nacht erweckt Hildr die gefallenen,
und am anderen morgen wird der kämpf erneuert. Das widerholt sich
täglich und wird so fortgehen bis an das ende der weit.
Diese erzählung zeigt die deutlichen merkmale einer langen ent-
wicklung. Es finden sich züge, die mit dem übrigen nur lose zu-
sammenhangen, andere, die einander widersprechen. Wir untersuchen
zuerst das Verhältnis des Hjaöningavig zu der entführungssage.
Drei auffassungen sind möglich. Entweder gehören diese beiden
elemente von anfang an zusammen, oder das Hjaöningavig ist der ent-
führungssage angehängt, oder diese ist secundär als oinleitung in die
sage von dem Hjaöningavig aufgenommen worden.
Die zuerstgenannte auffassung hat kaum mein- viele anhänger. Es
ist auch niciit zu ersehen, welcher notwendige Zusammenhang zwischen
1*
der entfübrung einer frau aus der macht ihres vaters und einem darauf-
folgenden kämpfe einerseits und der ewigen fortdauer dieses kampfes
andererseits vorhanden sein sollte. Um die notwendigkeit eines solchen
Zusammenhanges darzutim, muss man zu der mythologischen Interpre-
tation seine Zuflucht nehmen, indem man annimmt, die entführung sei
nur ein bildlicher ausdruck für ein unbekanntes ereignis, aus dem auf
natürlichem wege ein anderes, gleichfalls unbekanntes ereignis hervor-
gehe, das unter dem bilde eines ewigwährenden kampfes dargestellt sei.
Aber weder in der entführung an sich noch in ihrer darstellung findet
sich irgend etwas, das zu dem glauben an einen mythischen hinter-
grund berechtigt; die geschichte ist die erzählung einfacher menschlicher
handlungen. Allerdings ist das Hjahningavig mythisch, aber nicht in dem
sinne, dass es ein poetischer ausdruck für etwas anderes, etwas nicht
menschliches wäre, sondern einfach in dem sinne, dass es etwas über
den seelenglauben mitteilt. Die seelen gefallener krieger setzen in ge-
wissen fällen nach dem tode den kämpf fort. Diese Vorstellung ist so
verbreitet, dass war auf keinen fall berechtigt sind, ihr im vorliegenden
fall einen anderen hintergrund als sonst anzudichten, und dass eine
erklärung, die nur den zweck hat, sie zusammen mit dem raub der
Jungfrau auf eine naturmythische einheit zurückzuführen, nur eine er-
klärung pour le besoin de la cause heissen darf. Und wie der ewige
kämpf ohne entführung, so ist eine entführung ohne ewigen kämpf
häufig bezeugt.
Die zweite und dritte auffassung des Verhältnisses der beiden haupt-
elemente der erzählung stimmen untereinander darin überein, dass sie
die entführungssage und das HjaÖningavig in ihrem Ursprung vonein-
ander trennen 1. Für die weitere entwicklung der zusammengesetzten
sage und sogar für ihre entstehung ist es nicht von erheblicher be-
deutung, ob man die sache auf die eine oder auf die andere weise
formuliert. Denn beide erklärungen sagen doch aus, dass eine erzählung
von einer entführung und ein bericht von einem ewigen kämpfe secundär
zueinander in beziehung gesetzt worden sind. Aber ein unterschied be-
steht darin, dass die verschiedenen auffassungen den Schwerpunkt der
geschichte auf verschiedene selten legen. In dem einen falle ist die
Hildesage ihrem Ursprung nach eine sage von einem ewigen kämpfe,
in dem andern ist sie eine entführungssage. Die ansieht, dass das
HjaÖningavig der kern der erzählung sei, schliesst sich als neue Variante
1) Vou der möglickkeit, dass man eines der beiden elemente für spontan ohne
den einüuss einer fremden sage aus dem anderen entwickelt ansieht, wird hier ab-
gesehen.
UNTERSUCHUNGEN IBER DIR HILDESAGE
jener anderen an, die die ganze sage mythisch erklärt. Sie ist z. t. im
anschliiss an MüUenholf von W. Meyer, Beitr. 16, 516 fgg. aufgestellt
worden und wird in der hauptsacho auch von Sijmons, Grundr.2 III, 712
acceptiert. Ihre consequenz ist, dass alle redactionen der Hildesage
und derjenigen sagen, die nur Varianten von jener sind, sofern sie das
Hjaöningavig nicht enthalten, es verloren haben müssen. Denn das
HjaÖniugavig ist ja dieser ansieht nach der älteste teil der geschichte.
Daher die vielen versuche, spuren des endlosen kampfes in der deutschen
tradition nachzuweisen. Die verschiedenen zweige der Überlieferung
müssen sich in diesem falle zu einer zeit getrennt haben, als die ent-
führungssage sich schon mit dem älteren Hja^iningaol verbunden hatte,
denn die entführung finden wir überall belegt, ja, sie ist zu dem deut-
lichsten merkmal der Hildesage geworden. Wer diejenigen Versionen,
die von einem HjaÖningael nichts wissen, für Versionen der noch nicht
mit dem HjaÖningael verbundenen ontführungssage erklärt, begeht von
dem erwähnten Standpunkte aus eine inconsequenz, wenn er hier von
Versionen der Hildesage redet, denn dieser Standpunkt ist eben dadurch
charakterisiert, dass er die entführung für ein der Hildesage von hause
aus fremdes dement erklärt. Unverständlich bleibt es. denn auch, dass
in jenen Versionen ohne Hjabningaol dieselben namen auftreten, im
hochdeutschen gedichte Hagen, Hilde, Hetele, in der Helgisage und im
Waltharius Hagen, und hier wenigstens auch Hildegund. Dass die trias
von anfang an in zwei voneinander absolut unabhängigen sagen, die nur
zufällig später miteinander in Verbindung gesetzt wurden, in der rolle
der hauptpersonen auftreten könne, ist nicht anzunehmen. Die namen
gehören vielmehr entweder in die entführungssage oder in die sage von
dem Hjaöningavig. Wir müssen also, wenn die entführung secundär ist,
das HjaÖningavig hingegen die echte Hildesage repräsentiert, die con-
sequenz ziehen, dass eine reihe von Versionen das Hjabningavig ver-
loren habe.
Das ist nun allerdings a priori sehr wol möglich, aber ohne not-
wendigkeit wird man es doch lieber nicht annehmen. Und was nötigt
zu dieser annähme? Wenn man darüber einig ist, dass entführung und
HjaÖningael nicht von anfang an zusammengehören, also einmal mit-
einander verbunden worden sind, so kann man von vornherein nicht
wissen, wie alt diese Verbindung ist. Wenn nun eine solche Verbindung
in einer geographisch nahe zusammenhangenden gruppe von Über-
lieferungen, deren darstelkmg der ereignisse auch sonst viel gemein
hat, vorliegt, während sie in anderen quellen sich nicht vorfindet oder
daselbst höchstens unsichere spuren der Verbindung mit mühe nacli-
gewiesen werden können, so liegt für einen solchen tatsachenbestand
die erklärung auf der band, dass die in rede stehende Verbindung zu
der besonderen entwicklung jener gruppe von Überlieferungen gehört.
Ich halte diese' auffassung, zu der aus anderen gründen auch Panzer
sich bekennt, für die richtige und hoffe, dass ihre richtigkeit auch aus
unserer weiteren Untersuchung hervorgehen wird. Hier niuss uns die
frage beschäftigen, ob der secuudäre Charakter der Verbindung sich auch
in Snorris darstellung erkennen lässt.
Meiner ansieht nach ist ein zeichen der unvollkommenen Ver-
schmelzung der sage mit einem angehängten motiv in dem zug zu er-
blicken, dass die könige abends zu ihren schiffen zurückkehren, und
dass das HjaÖningavig erst am folgenden tage anhebt und auch später
bei tage .fortgesetzt wird. Andere erzählungen von dem ewigen kämpf
lassen ihn in der nacht stattfinden (eine reihe beispiele führt Panzer
s. 328 an). Das ist auch für einen geisterkampf die einzig mögliche
und natürliche auffassung. Ferner: an einem geisterkampf sind nur die
toten beteiligt. Wie reimt es sich damit zusammen, dass die könige
unversehrt am abend die walstatt verlassen und am folgenden tage
gleichfalls mitkämpfen?^ Ist etwa der verlauf der folgende: am ersten
tag ein kämpf, in dem viele beiden fallen; in der nacht die erweckung
der toten; am zweiten tag ein kämpf zwischen denjenigen beiden, die
am ersten tage mit dem leben davonkamen, an dem aber zugleich die
erweckten toten teilnehmen? Aber fielen denn am zweiten tage alle
beiden, oder kam auch diesmal eine gewisse anzahl, darunter etwa auch
die könige, mit dem leben davon? Man muss weiter fragen, ob denn
nicht ein augenblick kam, in dem die überlebenden des ewigen kampfes
müde wurden, und warum sie nicht in der nacht davonsegelten und
den toten ihr blutiges vergnügen Hessen. Nein, soviel ist klar: ein
geisterkampf kann nur zwischen toten gekämpft werden. Und dann
gibt es zwei möglichkeiten: entw^eder wird in einem fort gekämpft; die
toten stehen sofort wider auf, wie im Sorla |)ättr, und niemand kann
sich davonmachen, denn tatsächlich sind alle kämpfer tote, die nur
ein Scheinleben führen, oder es wird gekämpft, bis am ende des tages
niemand mehr lebt, wenigstens kein lebender mehr sich auf dem Schlacht-
feld befindet — was nicht in sich schliesst, dass nicht etwa sieger und
y
1) Darum lässt sich der geisterkampf vor den toren Roms, der gleichfalls erst
nach einer mehrtägigen schlaclit anhebt, nicht vergleichen, denn dieser kämpf beginnt,
nachdem die Schlacht zu ende ist. Snorils geister aber beginnen den kämpf zugleich
mit den lebenden am anfang des zweiten tages.
fNTRi.'srciiuNor.x vny.n nir. niMii-,SAfiR 7
Hüchtlinge das sclilachttbld verlassen können ' — und in der nacht setzen
die gefallenen ihren gespenstischen kämpf fort, was sich dann jede nacht
widerholt.
Dass die könige abends zu ihren schiften gehen, lässt sich also
mit dem Hjaöningavig nicht in Übereinstimmung bringen. Es deutet
auf einen anderen ausgang. Dieser lässt sich mit einiger Wahrschein-
lichkeit construieren. Das ende kann nicht gewesen sein, dass beide
davonsegeln. Ihre heftige feindschaft hat sich im vorhergehenden zu
klar manifestiert, und, was fast noch mehr bedeutet: die aufnähme des
HjaÖningavig lässt sich nur daraus erklären, dass dieser kämpf als der
heftigste angesehen wurde, der jemals gekämpft worden war. Er wurde
also am zweiten tag fortgesetzt. Und das, was voihergeht, sowie die
neue fortsetzung deutet unmittelbar auf einen tragischen ausgang. So
scheint Suorris erzählung sogar ohne die heranziehung verwandter Über-
lieferungen auf einen zweitägigen kämpf zu deuten, an dessen ende beide
beiden fallen. Der dichter, der das HjaÖningavig hinzufügte, Hess die
nächtliche ruhe am ende des ersten tages bestehen, sah sich aber da-
durch genötigt, den ewigwährenden nächtlichen kämpf durch einen kämpf
bei tage zu ersetzen und daran tote und lebende zusammen teilnehmen
zu lassen. (Über das HjaÖningael im SQrla pättr s. § 4.)
Der zug, dass Hildr die toten erweckt, ist keineswegs ein not-
wendiges Clement des HjaÖningael. Er kann sogar nicht von anfang
an dazu gehört haben, da Hildr selbst nicht zu der sage vom ewigen
kämpfe sondern zu der entführungssage gehört- Andere erzählungen
von dem ewigen kämpfe schreiben ihn auch nicht der Zauberkraft eines
weibes sondern dem furor belli, der die beiden erfasst hat und sie
auch nach dem tode nicht loslässt, zu. Zu vergleichen ist die wut des
StarkaÖr im zweiten Helgiliede. dessen körper fortkämpft, nachdem der
köpf vom rümpfe geti-ennt worden ist-\ Hilds beziehung zu dem
HjaÖningavig ist demnach secundär^. Die entvvicklung dieser beziehung
1) Das geschieht natiuiiuh iu allen erzählungen, wu f'.ne partei den sieg davon-
trägt und den besiegten feind verfolgt.
2) Man ist natürlich gar nicht dazu berechtigt, au.s ihrem nanien — wie viele
frauen heissen nicht Hildr! — einen entgegengesetzten schluss zu ziehen.
.3) Über das Verhältnis dieses zugs zum HjaÖningavig vgl. § 6.
4) Ich tretfe darin mit Panzer (s. 329) zusammen. Aber au die n<jt\vendigkeit der
annähme eines keltischen einflus.ses glaube ich nicht, da in der sage alle Voraus-
setzungen, die zu der Verbindung der Hildr mit dem Hja(5ningael führen konnton,
vorhanden waren. Ein fremder einfluss müsste demnach aus schlagenden Überein-
stimmungen in einzelheiten bewiesen werden. Solche aber vermisse ich in Panzers
ausführung (s. 330). — Die frage, ob das HjaÖningavig si^lhst aus oim-r keltisch.Mi
kann man sich auf verschiedene weise vorstellen. Es miiss zwischen der
erweckung der toten zum erneuten kämpfe durch Hildr und ihrem ver-
geblichen versuch, eine Versöhnung zu bewirken, ein Zusammenhang
bestehen. Um so deutlicher wird das, Avenn wir in der ßagnarsdräpa
lesen, dass dieser versuch nicht ernstlich gemeint war, dass Hildr viel-
mehr den kämpf wünschte. Das erwecken der toten, d. i. das wünschen
des fortgesetzten kampfes könnte die consequenz davon sein , dass Hildr
überhaupt den kämpf wünscht. Dieser wünsch hängt widerum mit
ihrer walkürennatur zusammen. Die frau, die zum kämpfe aufreizt, ist
natürlich als walküre aufgefasst worden. Man könnte sich demnach die
folgende entwicklung vorstellen: zunächst wurde Hildr als walküre
aufgefasst; daran schloss sich die Vorstellung, dass sie die krieger
zum kämpfe reizt; endlich sah man in ihr auch die Urheberin des
Hjaöningavig.
Aber auch die umgekehrte entwicklung lässt sich denken. Ge-
geben war einerseits das Hjaöningavig, anderseits Hildr, die beim
kämpfe zugegen war und um deretwillen gekämpft wurde. Sie war die
Ursache und also in gewissem sinn die Urheberin des Hjaöningavig.
Man schrieb ihr daher die erweckung der toten zu. Daraus folgte, dass
sie als Avalküre aufgefasst wurde, und dass man sie später auch für
den anfang des kainpfes verantwortlich machte. Die entscheidung zwi-
schen diesen beiden möglichen auffassungen müssen die parallelen Über-
lieferungen bringen. Hier sei nur gesagt, dass Snorris erzählung auf
denselben schluss hinweist, auf den jene Überlieferungen führen, dass
nämlich die zweite alternative die richtige ist. . Denn wie sich unten
ergeben wird, deutet auch diese erzählung darauf, dass Hilds beteiligung
am ersten kämpf ziemlich jungen Ursprunges ist.
Von der walküre Hildr, die zum kämpf aufreizt, ist die Hildr, die
den HeÖinn liebt, streng zu unterscheiden. Dass die Jungfrau diese liebe
hegte, sagt Snorri nicht ausdrücklich. Aber dass die erzählung diese liebe
voraussetzt, lässt sich schwerlich leugnen. Wenn HeÖinn Hildr wider
ihren willen entführt hat, so bleibt es durchaus unverständlich, dass
er ihr erlaubt, allein zu ihrem vater zu gehen. Hegte sie den wünsch,
HeÖinn los zu werden, so brauchte sie nur ihrem vater zu folgen.
HeÖinn ist also davon überzeugt, dass sie zu ihm zurückkehren wird.
Und er hat sich darin nicht getäuscht; nachdem sie ihre botschaft aus-
gerichtet, kehrt sie zurück. Da nun andere quellen diese liebe be-
quelle stammen kann, ist eine andere, auf die ich nicht eingehe. Dafür Hesse sich
wenigstens anführen, dass es nur in quellen belegt ist, die den kämpf auf den britti-
schen inseln localisieren (§ 17).
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE FÜLDESAGE
«tätigen, dürfen wir aus diesen ziigen schliessen, dass die crzälüimg
Snorris ein entwicklungsstadium durchlaufen hat, in dem Hildr Heilinn
liebte, dass aber diese liebe durch das jüngere motiv, dass sie den
vater und den liebhaber gegeneinander aufhetzt, verdrängt worden ist.
Hilds gang zu ihrem vater muss, wie sich aus obigen ausführungen
ergibt, in jener periode, als Hilds liebe zu HeÖinn mehr in den Vorder-
grund trat, entstanden sein. Das wird dadurch bestätigt, dass aus
diesem gang nicht hervorgeht, wie er dazu dienen kann, das Verhältnis
zwischen Heöinn und Hogni zu verschlimmern. Zwar berichtet die
Ragnarsdräpa, dass Hildr falsch gewesen sei, aber welche falschheit
sie sich zu schulden kommen lässt, vernehmen wir nicht. Hildr bietet
ihrem vater geschenke an. Diese können doch nur den zweck gehabt
haben, seinen zorn zu beschwichtigen. Dass dieser zweck nicht erreicht
wird, fällt ihr nicht zur last. Sie sagt, soviel wir wissen, nichts, was
ihn reizen kann. Allerdings erklärt sie bei Snorri, dass Heöinn kämpfen
werde, wenn HQgni die geschenke nicht annehmen wolle, aber auch
Heöinn wünscht, wie sie behauptet, den frieden. Snorri hat das auch
noch richtig verstanden. Denn obgleich er wusste, dass die Ragnars-
dräpa Hildr falsch nennt, sagt er von dieser falschheit. kein wort. Das
alles zeigt, dass Hildr in einer älteren form von SH einen ernsthaften
versuch machte, ihren vater mit ihrem geliebten zu versöhnen. Aber noch
ein älteres entwicklungsstadium der sage lässt sich von Snorris erzählung
aus erreichen. Mit Hilds Versöhnungsversuch concurriert ein anderes
motiv, der von HeÖinn selbst unternommene versuch. Dieser versuch
liegt am nächsten und ist schon deshalb, auch wenn er nicht durch
verwandte erzählungen gestützt würde, als der relativ ursprüngliche
anzuerkennen. Heöinn hat sich Hogni gegenüber ein verbrechen zu
schulden kommen lassen; er hat also alle Ursache, den beleidigten
gegner womöglich zu versöhnen. Auch sieht man nicht ein, wie dieser
zug in die Überlieferung hineingeraten sein sollte, wenn Hilds ver-
söhnungsversuch schon früher dagewesen wäre. Er würde in diesem
fall nur die bedeutung einer nutzlosen widerholung haben. Das um-
gekehrte aber lässt sich wol verstehen. Nachdem Hildr durch ihre
grosse liebe mehr in den Vordergrund trat, fand ein dichter, dass sie
in einen conflict von pflichten geraten war. Sie musste wünschen, die
gegner, die ihr beide lieb waren, zu versöhnen. Ihr versuch wird demnach
anfänglich auf ihre eigene initiative zurückgeführt worden sein; dass sie
eine botschaft von Heöinn bringt, beruht schon auf einer Umbildung^.
1) HQgDis antwort auf HeSins friedensvorschlag, er könne sich nicht mit ihm
versöhnen, da er sein schwert Däiosloif schon gezogen habe, ist deutlich jüngeren
10 BOER
Wenn in einer älteren form von SH Hildr Hec^inn aus liebe
gefolgt war, so war sie ihm freiwillig gefolgt. Damit verträgt sich die
nachricht, dass er sie cd herfaiigi genommen hatte, nur schlecht. Diese
nachriebt muss also eine andere herkunft haben. Solange man nur
Snorris bericht betrachtet, sind zwei erklärungen möglich: entweder ist
der bericht eine reminiscenz an eine ältere sagenform, in der die liebe
der jungen leute uocb nicht oder weniger hervortrat, oder es ist ein
jüngeres motiv. Das liesse sich wie folgt erklären. Durch die hervor-
hebung von Hilds walkürennatur war das motiv der liebe wider zurück-
gedrängt. Dass sie ihm freiwillig folgte, hatte diese tradition vergessen.
Die erzählung hub damit an, dass HeÖinn mit Hildr entfloh. Die werte
al herfmiiji enthielten dann eine angäbe (Snorris oder seiner quelle)
über die art und weise, wie Hildr in Hedins gmvalt kam. Diese angäbe
würde eine in einer älteren quelle entstandene lücke ausfüllen. Doch
wird die vergleichung mit dem Sorla {)ättr uns darüber belehren, dass
die werte anders zu verstehen sind, und zwar, wie schon angedeutet,
als eine reminiscenz an eine ältere Überlieferung.
Die erzählung der Snorra Edda berechtigt nach dem oben aus-
geführten zur annähme folgender entwicklungsstufen:
SHl: Während Hogni auf der reise ist, entführt Heöinn seine
tochter Hildr. HQgni setzt dem räuber nach und holt ihn bei den
Orkneyjar ein. Heöinn bietet gold als bns&e, aber Hggni will es nicht
annehmen. Es kommt zu einem kämpfe, der zwei tage währt. Beide
könige fallen. — Ob die erzählung in diesem Stadium noch andere
Züge enthielt, geht aus Snorris beriebt nicht hervor.
SH2: Die entführung wird daraus erklärt, dass die jungen leute
einander sehr lieben. Das hat, wol später, die einführung eines ver-
sühnungsversuchs durch Hildr zur folg<\ Unter dem einfluss dieser
neuerung wird, — gewiss viel später — Hognis zweite Weigerung da-
durch motiviert, dass er schon das schwert Diiinsleif gezogen habe.
SH3: Die Vorstellung von dem überaus heftigen kämpfe veranlasst
die aufnähme des wandermotivs von dem ewigen kämpfe. Die unvoll-
kommene Verbindung mit der alten sage verursachte die wunderliche
Vorstellung, dass die könige abends zu ihren schiffen gehen, dass die
toten in der nacht aufstehen, und dass tote und lebende zusammen
am HjaÖningavig beteiligt sind^.
Ursprunges. Ursprünglich verweigeit H(}gni den frieden, weil er den kämpf will. Die
änderung wird den zweck haben, den Inhalt der beiden antworten Hognis (an Hildr
und an HeSinn) zu variieren. Vgl. s. 27.
1) Die reihenfolge von SH 2. .S ergibt sich aus Snorris bericht nicht, wird aber
durch andere quellen bestätigt. 4 setzt' :5 und 5 4 voraus.
U.NTKHSUC1IUNGKN' ÜliEIf DIK IIILnESAGK 1 1
SU 4: Hildr wird mit dem Hja?)ningavii^- in vcrhindunc: gesetzt.
iSio erweckt durch ihren zaubergesang die toten.
SH5: Daraus wird abstrahiert, dass sie walküre ist; sie bezweckt
durcli die erweckung der toten die fortsetzung des kämpfest
SH6: Daraus folgt weiter, dass sie auch an dem ersten kämpf
mitschuhlig wird. Ihr versöhnuugsversuch wird zu einem scheinversuche.
Sie wünscht den kämpf zwischen vater und liebhaber. Dieser zug
findet sich jedoch nicht in Snorris darstellung, obgleich er ihn ge-
kannt hat.
§ 3. Die Ras^narsdräpa.
Das gedieht (citiert nach Gering, Kvsepabrot Braga ens gamla) ist
eine quelle und also eine Vorstufe von Snorris orzählung. Leider ist es zu
fragmentarisch, um die herstelluug einer geschichte der Überlieferung zu
gestatten. Unsere aufgäbe ist, zu untersuchen, ob es in irgend einer
hinsieht Snorris darstellung oder unserer historischen ausführung wider-
spricht, und, wenn nicht, ihr ihren platz in der reihe SH 1 — 6 zuzu-
weisen. Das Verhältnis zu Snorri lässt im voraus vermuten, dass die
dräpa einen weit fortgeschrittenen Standpunkt einnehmen wird.
Hogni befindet sich auf seiner flotte (8,7); das beer geht ans land
(11,5 — 8).- Die feinde begegnen sich also auf schiffen an einer küste;
das ist die aus Snorri bekannte Situation. Vgl. auch 10,2. 11: man
kämpft am strande wie bei Snorri, nicht auf den schiften. Hildr geht
zu Hogni mit einem halsring, der zur sühne dienen soll, aber in hinter-
listiger absieht (also SH 6). Daraus lässt sich schliessen, wenn die ent-
wicklung von SH oben richtig ausgeführt worden ist, dass der dichter
der Ragnarsdräpa auch das Hjaöuingavig SH 3 gekannt haben muss-'.
Ob er es mitgeteilt hat, wissen wir nicht. Dass Hildr den tod ihres
1) Einer alteren auffassuug, derzul'olgo sie aus einem anderen gründe die toten
erweckt, werden -wir § 5 begegnen.
2) Welches beer? Aus dem umstand, dass 11, 1 — 4 von Hilds teilnähme an
dem kämpfe handelt, wird man ableiten müssen, dass 11, 5 — 8 von Heöins beer die
rede ist. Aus der kenning Iljarraada hurd 'schild' darf man das nicht schliessen;
die Umschreibung steht mit Herjans hnrd, Hngna hurS, Ilaghurda Imrd u. a. auf
einer linie; hurd ohne nähere bestimniung ist nicht 'schild'; die stelle lässt sich also
nicht zur construction einer abweichenden sagenform, in der dem Iljarrandi eine rolle
zufiel, benutzen. Die kenning Hjarranda hurd begegnet auch ausserhalb des Zu-
sammenhanges der Hildesage, s. Egilsson s. v. — Wenn Hijgnis beer gemeint sein
sollte, so mü.sste man annehmen, dass HeSinn schon früher ans land gegangen wäre.
3) Um das zu beweisen genügt übrigens das nahe Verhältnis der Ragnarsdräpa
zu Snorri, wenn man in betracht zieht, dass auch die weiter abstehenden darstellungen
des Sqrla |)ättr und Saxos das HjaÖningavig kennen.
12 BOEH
Vaters wünscht, geht aus 8, 1 — 4 nicht hervor (vgl. Panzer s. 158),
wol aber, dass sie walküre ist und den kämpf herbeizuführen wünscht'.
Hogni weigert sich, das geschenk anzunehmen, wie bei Snorri. HeÖins
versöhnungsY ersuch fehlt. Das wird dem fehlen dieser scene auf dem
beschriebenen schilde oder der geringen ausführlichkeit des gedichtes,
das dann eines der concurrierenden motive beseitigt hat, zuzuschreiben
sein. Eine hierauf bezügliche strophe kann auch verloren sein. Wenn
nicht, so stammt der zug bei Snorri aus einer vollständigeren quelle,
deren darstellung im übrigen der der drapa in allem wesentlichen
gleich war. Nicht unwichtig ist 11,1 — 4; wenn Gerings erklärung der
stelle das richtige trifft, so nimmt Hildr persönlich an dem kämpfe
teil, — ein weiteres zeugniss für ihre walkürennatur. Snorri, dem
überhaupt Hilds verhalten dem vater gegenüber in der drapa unver-
ständlich vorkam (oben s. 9), lässt den zug aus. Dass Hildr at kerfanyi
in Hedins gewalt kam, erfahren wir aus der drapa nicht.
Der Standpunkt der drapa ist demnach SH6. Was nicht erzählt
wird, kann aus dem fragmentarischen zustande des gedichtes erklärt
werden, was bei Snorri fehlt, erklärt sich daraus, dass die auffassung
der Hildr als walküre ziemlich jung war und sich mit der übrigen
erzählung nicht allzu wol vertrug. Widersprüche zwischen beiden
quellen sind, soweit wir zu sehen vermögen, nicht vorhanden.
§ 4. Die darstolluug des S<»rla Iiätti*.
Die entwicklungsstufen, die sich auf grund des Scjrla |iattr er-
kennen lassen, werden als tHl.2 usw. unterschieden.
Wir untersuchen zunächst den abschnitt der erzählung, der mit
Snorris bericht correspondiert. Nach einer einleitung, die von Freyjas
ehebruch und dem Brfsingamen sowie von der aufstachelung HeÖins
durch Gondul handelt, lautet die geschichte wie folgt: HeÖinn, der
söhn des königs von Serkland vernimmt [durch Gqndul, ein dämonisches
weib, dem er im walde begegnet,] von einem mächtigen könig in Däne-
mark, namens Hogni, und macht sich auf, ihn zu besuchen. Er will
wissen, wer von beiden der tüchtigere held ist. Sie halten einen wett-
karapf in mehreren fertigkeiten , aus dem sich ergibt, dass sie einander
vollständig ebenbürtig sind. Dann schliessen sie miteinander bluts-
brüderschaft. Einmal, während HQgni sich auf einem kriegszug befindet,
1) Vgl. anoh str. 1 die keoning Hqgna meyjar hjöll. Allerdings kann das auch
eine anspielung auf die Helgisage sein , aber auch in diesem fall ist es ein zeugnis
für die Hildosage (§ 6j, obgleich nicht für Hilds walkürennatur.
rNTERSUCHrXC.EN VBEK DIE HII.DKSAGE 13
teilt Hedinn [der zuvor eine Zusammenkunft mit Ggndul hat, die ihn
aufhetzt] der Hildr mit, dass er sie zu entführen und ihre mutter auf
greuliche weise zu ermorden beabsichtige. Sie macht einwürfe. Sie
glaubt, ihr vater werde sie dem freunde geben, sobald er um sie an-
halte, und sie versucht, ihn von gewalttaten zurückzuhalten. Aber ver-
gebens. Hebinn vollführt seine absieht; er tötet die königin, [darauf
hat er eine neue Zusammenkunft mit Gondul] und segelt mit Hildr
davon. Als Hogni heimkehrt, eilt er dem räuber nach und holt ihn
bei Haey ein. He5inn begrüsst Hogni freundlich und bietet sjdlfdamri;
sogar Hildr will er dem vater zurückgeben, sowie ein schiff, das er
geraubt hat. Aber HQgni behauptet, seine missetat sei zu gross; für
die ermordung der königin sei keine sühne möglich, und es müsse ge-
kämpft werden. Ein furchtbares treffen folgt; die toten stehen sofort
wider auf und kämpfen mit neuer wut. Aber Hildr sitzt /' einum
liDidi und betrachtet die kämpfenden beiden. So geht es fort, [bis
nach vielen jähren ein krieger Olaf Tryggvassons dem spuk ein ende
macht].
Unsere erste aufgäbe ist nun zu bestimmen, ob eine sagenforiu
der reihe SH 1 — 6 der ausgangspunkt dieser erzählung ist. Wir können
sofort constatieren , dass SH 3 erreicht ist; — das HjaÖningavig ist
schon angehängt. Daraus werden wir schliessen müssen, dass auch
diese tradition die Vorstellung, dass die jungen leute einander lieben,
gekannt hat. Aus der darstellung des I)attr ist davon nicht viel mehr
zu ersehen. Aber wenn aus verwandten traditionen hervorgehen würde,
dass diese liebe älter als das HjaÖningavig ist (§§ 5. 6), so widerspricht
der pättr dieser auffassung auch nicht, denn es sind me bei Snorri
momente da, die die liebe zurückgedrängt haben. Dass Hildr dem HeÖiun
wol gewogen ist, geht aus der weise, wie sie zu ihm spricht, hervor;
sie hat nichts dagegen, seine frau zu werden; nur wünscht sie, dass
er als ein friedfertiger liebhaber sich melde.
Aber die Standpunkte SH4. 5. G sind noch nicht erreicht. Hildr
ist an der erweck ung der toten so unschuldig wie an dem ausbruch
der feindseligkeiten. Während des kampfes sitzt sie ruhig in einem
haine und sieht zu. Auch ihr Versöhnungsversuch fehlt noch, während
HeÖins älterer versuch, frieden zu schliessen, freilich ohne die antwort,
die in Snorris darstellung die folge des Vorhandenseins zweier Ver-
söhnungsversuche ist, richtig erhalten ist. Mit Snorris bericht, dass
HeÖinn Hildr at herfa/tgi erbeutet, lässt sich vorgleichen, dass HQgni
im I)ättr den ausdruck benutzt: af pü lief (Sir hertekit Ilildi. Daraus
lernen wir, dass wir kein recht haben, Snorris <tl hcrfanni für eine
14 BOEK
junge erklärung (etwa SH 7) zn halten; es ist ein alter zug, der auf
dem Standpunkte SH 3 (der = PH 1 ist) schon vorhanden war. Da er
nun aber nicht in SH 2, der die liebe der Hildr in den Vordergrund
rückt, entwickelt sein kann, rauss er schon aus SH 1 stammen. Aller-
dings enthält PH einen anderen zug, der sich ebensowenig wie die
liebe mit dem gewaltsamen raube verträgt. HeÖinn ist früher zu Hogni
gekommen und hat mit ihm freundschaft geschlossen. Ist das eine er-
findung von PH? Das lässt sich kaum annehmen. Denn wie wir unten
sehen werden, setzen alle neuerungen in den verschiedenen gliedern
der reihe PH 1. 2 usw. diese freundschaft voraus. Sie muss demnach
wenigstens zu dem ältesten bestände von PH gehören. Aber was konnte
wol auf der stufe SH3, von der die reihe PH ausgeht, zu der ein-
führung eines solchen heterogenen dementes in die Überlieferung anlass
geben? Erklärt wird durch die freundschaft nichts; wol aber entsteht
dadurch die grosse Schwierigkeit, dass Heöinn die fran entführt, die er
von dem freunde leichten kaufes hätte erlangen können; die mühe, die
es den späteren bearbeitern gekostet, dieses betragen HeÖins zu er-
klären (s. unten), lehrt zur genüge, dass sie diese freundschaft nicht
eingeführt haben würden, wenn sie sie nicht in ihrer quelle vorgefunden
hätten. Wir werden demnach schliessen müssen, dass auch die freund-
schaft zwischen Heöinn und HQgui schon in den älteren Versionen von
SH vorhanden war. Wenn das richtig ist, so hat eine version von SH,
die jünger als SH 3 sein muss, diese freundschaft ausgelassen, eben
weil sie sich mit dem gewaltsamen raube nicht vertrug.
Es ergibt sich daraus, dass der gewaltsame raub und die frühere
freundschaft der gegner beide aus SH 1 stammen. Es sind concur-
rierende motive, deren Verhältnis im folgenden zu untersuchen sein
wird. Hier wird eine andere version die entscheidung über die prio-
]ität bringen müssen. Vorläufig setzen wir hier ein fragezeichen.
PH geht also von SH 3 aus; SH 3 aber war ausführlicher, als
aus Snorris bericht zu ersehen ist. Welche entwicklung hat aber PH
durchgemacht?
Zunächst ist auf die angliederung des HjaÖningavIg zu achten. Die
unvollkommene angliederung, die sich noch bei Snorri zeigt, erweckte
anstoß und veranlaßte eine neubearbeitung. Die reste der zweitägigen
Schlacht wurden entfernt. Nicht länger kehren die könige abends zu
ihren schiffen zurück, und nicht länger stehen die toten in der nacht
auf, um am folgenden tage den kämpf fortzusetzen; nein, — jetzt steht
jeder erschlagene sofort wider auf und kämpft weiter. Da auf diese
weise bald ein jeder wol einmal gefallen ist, kommt es zu einem
rNTRKRÜCfnTi\GF,\ ÜRER l)\F, iriMIRSAGK 15
wirkliclien geisterkaiiipf, der tao- und nacht, — freilich nicht wie die
meisten geisterkänipfe bloss während der nacht, — fortdauert. Für
Hilds verhalten während des kanipfes ist nicht viel getan. Die mit-
teilung, dass sie zusah, sieht sehr alt aus; sie wird aus der zeit vor
der aufnähme des HjaÖningael stammen, als die trau tatsächlich noch
niciits anderes zu tun hatte, als zuzusehen und den ausgang des
kampfes abzuwarten. Aber jetzt wird ihre position so ziemlich un-
möglich; nach vielen — nach einer handschrift 123 — jähren sitzt
sie noch so, als hätten auch die lebenden das ewige leben. ^
Die wichtigsten änderungen in f^H sind jedoch durch die erwägung
hervorgerufen, dass es doch wunderlich sei, dass der raub der Hildr
einen so wütenden kämpf veranlasst haben sollte. Freilich wäre es
besser gewesen, wenn Hec^inn beim vater um seine tochter angehalten
hätte, aber Heöinn und H^gni waren doch blutsbrüder; der vater konnte
gegen die Verheiratung seiner tochter an den freund keine schwor
wiegenden bedenken haben. Wie konnte er eine etwas voreilige besitz-
ergreif ung des mädchens so übel nehmen, dass von einer sühne nicht
die rede sein konnte? Um Hognis unversöhnlichkeit zu erklären, ist
ein neues motiv eingeführt worden: die ermordung der königin. Dass
das der einzige zweck dieses neuen zuges ist, geht aus der darstellung
noch sehr klar hervor; Hqgni selbst spricht es aus: c/,- hefhi (/ipt per
JlildL cf Jm licfhir lienriar hrhii: nn po ol,-, at fnl licfhir hcriekit
Ilihli , J)d ma'ili rit Jx) scettax fifr'i Jxd ; cii iih er Jn'i hefir <jorf srd
)nihit üverkcDi, al pü hefir ni(Ssl d drölininyn oh drepil ha na, er engl
voll d, at ek all sdition trtka; skuhi ver ok reyiid Jtegar i stah, hvorir
strerst kui/ifci a/ ho(/i/r(/. Es ist wol unmöglich, eine deutlichei'e spräche
zu i'e<;len.
Damit ist freilich Hognis zoru genügend erklärt, aber die psycho-
logische Unklarheit ist in Kevins Charakter hineingetragen Er beträgt sich
geradezu wie ein wahnwitziger. Er weiss, — Hildr hält es ihm sogar
im letzten augenblick vor, — dass er nur um die frau anzuhalten
braucht, um sie zu bekommen; nichtsdestoweniger zieht er es vor,
nicht nur die tochter seines freundes zu rauben, sondern auch die frau
des freundes, die mutter der geliebten, auf gi'euliclie weise umzubringen.
Die frage konnte nicht ausbleiben, was denn HeAiun zu einer so ver-
zweifelten handhuig voianlasst habe. Darauf lautet die antwort: He(^inn
war tatsächlich, als er die königin ermordete und mit der tochter da-
vonreiste, nicht zurechnungsfähig; er handelte untei' dem banne eines
1) Was vor tior aufnalime der Hjaftningavig aus ilu- ward, naclidem ihr vater
iiii'l ihr liebhaber gefallen waren, lässt sich nicht mehr ormittoln.
16 BOKI?
zauberischen wesens, das ihn betört hatte. Die i'rucht dieser erwägungen
ist die aufnähme (jQnduls in die geschichte. Dass diese Heöinn den
übUchen zaubertrank darreicht, ist im späteren stil solcher erzählungen;
die ursprüngliche vorstelkmg wird gewesen sein, dass sie ihn betört
hatte, sodass er blind ihrem willen folgen musste, wie dieser gedanke
auch noch an melireren stellen, namentlich bei der ersten begegnung
mit GQndul (s. 398) hervortritt. Hier ist von einem zaubertrank nicht
die rede; Gondul fordert Heöinn auf, Hogni aufzusuchen, und ohne
zögern erklärt er sich dazu bereit. Und auch bei der zweiten be-
gegnung wird die von ihr ausgehende sinnesbetörung stark hervor-
gehoben (s. 400): par sd haim sifja honu d stöli, pd sgmn, er hwin
sd fyrr ä Serklandi, ol: Jetzt hotmm, sem imn vceri nü alt fegri en
fijrr. Bei der dritten begegnung schläft er ein, während sein haupt in
ihrem schösse ruht.
Gondul ist demnach ein dämonisches weib, eine eibin, deren
beruf es ist, menschen zu berücken und dadurch ins verderben zu
stürzen. Die nordische phantasie hat sie nach ihrer gewohnheit — wie
andere übernatürliche frauen, z. B. Brynhild — zu einer walküre aus-
gestaltet. Aber sehr entwickelt ist ihre walkürennatur nicht; im gründe
wird diese nur aus ihrem namen ersichtlich. Der name aber bot die
gelegenheit zu einer neuen anknüpfung.
ISTach den motiven der GQndul zu forschen, liegt ausserhalb des
gebietes der rein mensch lieh -psychologischen dichtung. GQndul ist ein
dämon; ihr eingreifen in die menschlichen geschicke ist ein hebel der
handlung; was sie selbst bewogen haben mag, gehört zur dämonologie.
Mancher dichter und erzähler dürfte auch hier halt gemacht haben.
Aber die grenzen zwischen dem erforschbaren und dem mystischen sind
fliessend, und die altnordische poesie überschreitet oft die grenze des
rein menschlichen. Zwar lässt sie häufig götter in das geschick der
menschen eingreifen, ohne dass man den grund erfährt, — wie z. b.
ÖÖinn in das geschick der VQlsunge eingreift, — aber sie ist auch im
himmel zu hause und kennt die schwächen der himmlischen. Den-
noch sieht es danach aus, als gehöre die geschichte, die Gonduls ein-
greifen in Hebins geschick motivieren soll, nicht mehr ins gebiet der
dichtung, sondern in das der romantischen SQgur. Sie ist mit der
übrigen erzählung so äußerlich verbunden, und so wenig kunst ist
auf sie verwendet worden, dass man hier eher an einen sagaschreiber
der decadenzzeit als an einen dichter heroischer poesie denken
wird. Die geschichte von dem halsband, das Freyja durch buhlschaft
erwirbt und das ihr von Loki gestohlen wird, ist weder eine erfindung
ÜNTEESUCHUNGKN ÜBER DIE irn.DESAGE 17
.des Sagaschreibers noch seiner directen quelle. Das beweisen die an-
spielimgen auf dieselbe oder eine cähnliche geschichte, die sich in der
litteratur zerstreut linden. Von Freyjas buhlschaft wegen eines kleinods
weiss auch Saxo, der nur Frigg an Freyjas stelle setzt, und Loki als
räuber des Brisinganien ist dem dichter Ulfr Uggason bekannt. Zwar
ist eine ältere gestalt der erzählung nicht überliefert, und es würde
daher einer speciellen Untersuchung bedürfen, die von unserem thema
weit abführen würde, um zu entscheiden, was in dieser erzählung das
eigentum derjenigen quelle ist, in der die Verbindung mit der Hilde-
sage zu stände kam. Aber abgesehen davon lässt es sich leicht nach-
weisen, dass diese Verbindung selbst eine ganz willkürliche ist. Gondul
wird einfach mit Freyja identificiert. Der zweck ist, wie schon gesagt,
Gonduls verfahren zu motivieren, zugleich aber das HjaÖningavig auf
Ohius initiative zurückzuführen. Aber die episode von dem halsband
steht in der saga noch durch eine ganz fremde erzählung von der ge-
schichte von Ggndul getrennt. Dass Freyja gleich Ggndul ist, sagt der
Verfasser nicht in klaren werten, aber es geht daraus hervor, 'dass sie
das ausführt, was Freyja dem ÖÖinn versprochen. Freyja verspricht zu
bewirken, dass zwei könige so lange kämpfen, bis ein christ dem spuk
ein ende machen werde. Bei ihrer dritten Zusammenkunft aber sagt
GQndul, als HeÖinn in ihrem schösse eingeschlafen ist: nu vUji ek Jtik
undir qll pau atkvceM ok skildaga, sein Ohmn fyrir mcelti, ok yklr
Ilqgna bäha ok alt lih ykkart. Diese stelle gehört also demselben be-
arbeiter an, der die halsbandgeschichte aufgenommen hat. Es fällt auf,
dass diese dritte begegnung sich gerade so schlecht, ja schlechter in
den Zusammenhang fügt als die halsbandgeschichte.^ Nachdem HeÖinn
auf Gonduls rat Hildr geraubt, sein schiff zu wasser gebracht, die
königin getötet und selbst sich an bord begeben hat, bekommt er, er
liann er cdbüinn, auf einmal lust widerum ans land zu gehen. Dann
folgt die Zusammenkunft, in der Ggndul ihn dem ÖÖinn weiht, und
darauf erwacht HeÖinn, geht von neuem auf sein schiff' und reist ab.
HeÖinn läuft also in dem augenblick, wo eile not tut, von dem schiffe
fort und an bord zurück, bloss damit Gondul die gelegenheit habe,
ihren fluch au.szusprechen. Für die handluug ist das gar nicht not-
wendig, denn er hat schon alles getan, wozu Gc^mdul ihn verführt hat.
Es ergibt sich, dass nicht nur (JÖins sondern auch Gonduls be-
ziehung zu dem HjaÖningavig .sehr jung ist. Anfänglich ist Gondul
1) Die iiDiuögliehkeit dieses auftiitts hat aucli Panzer eiiigeselieii (s. 167); abor
er zielit daraus aridere Schlüsse.
. ZKITSCHRIFT F. DF.UTSCHK PUILOLOOFE. BD. XL. 2
nichts anderes als Hec^ius böser dämon. >Sie lockt den beiden ins ver-
derben, aber dass die feindscbaft zwischen ihrem opfer und HQgni in
eine ewige schlacht ausklingen wird, davon hat sie ebensowenig eine
ahnung wie er. Der Verfasser des Sgrla pattr (oder der bearbeiter
der uns vorliegenden fassung) hat sie zunächst mit der ehebrecheri-
schen Freyja identificiert und sie dann die beiden dem ÖÖinn weihen
lassen. So führt er durch Gondul, die schon zu der Überlieferung
gehörte, luid Freyja, die er neu einführt, das Hjabuingavig auf ÖÖinn
zurück.
Bei Hebins dritter begegnung mit Gcjndul wird erzählt, dass
Gqndul Hebinn einen becher zu trinken gab, der ihm die erinnerung an
das vergangene widergeben sollte. Dieser becher soll mit dem ver-
gessenheitstrank correspondieren, den sie ihm bei der zweiten begegnung
darreicht. Da der zweite zaubertrank von dem Verfasser der halsband-
geschichte herrührt, erhebt sich die frage, was von dem ersten zu halten
ist. Schon oben s. 16 wurde die Vermutung ausgesprochen, dass dieser
trank nicht alt ist, dass Hebinn ursprünglich durch Ggnduls sinnliche
erscheinung betört wurde. Es ist daher sehr wol möglich, dass auch
der erste zaubertrank von demselben Verfasser wie der zweite her-
rührt. Es wird gesagt, dass Hebinn, als er ihn ausgetrunken hatte,
sich an nichts von dem, was früher geschehen war, erinnerte. Aber
diese behauptung wird durch die folgende erzählung direct verleugnet.
Hebinn weiss alles; er antwortet Ggndul, die ihn zu der missetat auf-
stachelt, HQgni werde ihm ja seine tochter geben, sobald er es ver-
lange. Erst als sie behauptet, dass seine ehre dadurch einbusse er-
leiden werde, entschliesst er sich zu der tat. Es ist also nicht die
erinnerung, sondern der wille, den G(^ndul ihm geraubt hat.
Anderseits ist die möglichkeit nicht zu leugnen, dass der trank
schon früher, sei es auch nicht von anfang an, bei der betörung Hebins
eine rolle spielte und anfänglich ein plastisches bild für seine Ver-
gewaltigung durch Gqndul war. Dafür dürfte sprechen, dass der paral-
lelismus zwischen den beiden tränken nicht so consequent durchgeführt
ist, als man erwarten würde, wenn beide der phantasie eines Verfassers
entsprungen wären. Auffällig ist es, dass Hebinn zwar nach dem ge-
nuss des zweiten, aber nicht nach dem des ersten zaubertrankes ein-
schläft. Hier heisst es nur (s. 400): rn er kann hafbi druhkit, h)d
honum mjgk iindarliga vih. Es ist nicht unmöglich, dass diese worte
relativ alt sind. Das unmittelbar folgende Jrrkif kann mnndi ongimn
Idtil, Jxmn sem dhr liafhi yf'irgengit ist nach dem oben gesagten
jedesfalls dem jüngsten bearbeiter zuzuweisen.
1*NTERSUCIIUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 19
Dieser bearbeiter kann und wird auch wol derselbe sein, der die
erlösimg der kampier durcli Olafr Try.^-gvason hinzugedichtet hat. Er
weist auch in der Vorgeschichte auf diesen ausgang hin. Die Vor-
geschichte und der schluss sind die einzigen teile der erzählung, die
einen grossen mangel an einsieht in die weise, in der in der alten
poesie übernatürliche mächte in die geschicke der menschen eingreifen,
kund werden lassen. Dass der Verfasser ein christ war, geht aus dem
Schlüsse deutlich hervor^; diese partien sind wol nicht älter als das
14. Jahrhundert. Die aufstachelung durch Gondul aber wird bedeutend
älter als der {)ättr sein; nichts widerspricht der möglichen, freilich auch
nicht beweisbaren annähme, dass sie der poetischen tradition angehört.^
Auf grund obiger ausführungen lässt sich für ^K die folgende
entwicklungsreihe aufstellen :
PH1 = SH3: Hebinn und Hogni sind freunde. Während Hggni
auf einer heerfahrt begriffen ist, raubt HeÖinn Hildr, die ihm ohne
widerstreben folgt. Verfolgung. Begegnung bei Haey. HeÖinn bietet
eine scett^ die HQgni zurückweist. Zweitägiger kämpf. HjäÖningael.
Hildr sieht dem kämpfe zu.
]3H2: Diverse änderungen, deren relative chronologische folge sich
nicht bestimmen lässt. HQgnis zorn wird aus der ermordung der mutter,
die als neuer zug eingefügt wird, erklärt. Heöinn bietet nun sogar —
aber vergebens — an, das mädchen zurückzugeben. Yereinfachung
des zweitägigen kämpf es und Umbildung des Hjaöuingacl; die toten
stehen sofort wider auf.
I>H 3 : HeÖins betragen der mutter und der tochter gegenüber
wird der aufstachelung durch eine dämonische frau, die ihn betört,
zugeschrieben. Vielleicht gab sie ihm in jüngerer tradition auch einen
becher zu trinken. Der anfang einer auffassung dieser frau als wal-
küre zeigt sich in dem namen Ggudul.
I>H4: Diese Gondul wird vorgestellt als ein Werkzeug OÖins, der
konige zu einem ewigen kämpfe anzureizen wünscht. Gondul wird mit
Freyja identificiert. Aufnahme der halsbandgeschichte und dos ver-
söhnenden Schlusses. Dies alles wahrscheinlich in junger schriftlicher
prosaischer tradition.
1) Dass er ein mönch war, wie Panzer behauptet, folgt daraus keineswegs.
Von einem fanatismus wider das heidentum kann ich keine spur entdecken, wol
aber von einem rohen geschmack, dem es nicht gelingt, die geschieh te von dem ehe-
bruch in eleganter weise zu erzählen.
2) Sehr unkritisch scheint mir Panzers verfahren, wo er die geschichte von
Freyja und die von G<?ndul einem und demselben — späten — verfa.sser zuweist.
2*
20 BOER
§ "). Saxos darstellung.
a) Hithinus kommt zu Frotho. 'Später" verlieben sich ineinander
Hilda, die tochter des Jütenkönigs H(^gni, und Hithinus, und zwar
bevor sie einander gesehen haben. Als sie sich erblicken, können sie
kein äuge voneinander abv\renden.
b) Hithinus und Hoginus gehen auf einen gemeinschaftlichen raub-
zug, 'denn (sie) Hoginus wusste nicht, dass Hithinus senie tochter liebte'.
Beschreibung des äusseren der beiden beiden.
c) Hoginus verlobt Hithinus seine tochter. Die männer schwören,
einander zu rächen.
d) Hithinus wird beschuldigt, dass er die tochter des Hoginus vor
der hochzeit entehrt habe. Hoginus greift Hithinus mit schiffen an der
slavischen küste an und wird zurückgeschlagen. Frotho versucht ver-
geblich, eine Versöhnung zustande zu bringen. Hoginus fordert allzu-
heftig seine tochter zurück. Es kommt zu einem Zweikampf, in dem
Hoginus siegt und seinen feind schont.
e) Nacii sieben jähren kämpfen Hithinus und Hoginus auf Hithinso
und fallen beide. Hilda liebt ikren mann so sehr, dass man erzählt,
sie habe in der nacht durch zauberlieder die gefallenen erw^eckt, um
den kämpf fortzusetzen.
Dass hier zwei Überlieferungen miteinander contaminiert sind,
leuchtet ein und wird auch seit Olrik (s. unten) allgemein anerkannt.
Zweimal ist von Hithinus Verhältnis zu Hilda die rede. Zw^eimal — sogar
dreimal — wird gekämpft. Die Schwierigkeit aber liegt in der frage,
wie die Überlieferungen zu trennen sind.
Olrik, Saxo II, 191 -196 verteilt die züge zwischen eine von ihm
angenommene dänische und eine isländische quelle.
Dänisch ist nach ihm das folgende: 1. Hilda und Hithinus können
kein äuge voneinander abwenden. 2. der blutsbruderbuud dient zur
befestigung der verschwägerung. 3. die beschuldigung wider HeÖinn.
4. die localisierung auf Hithinso.
Isländisch ist nach Olrik: 1. dass Hithinus in Norwegen, Hoginus
in Dänemark könig ist (eine dänische quelle 'Kununktallit' kennt HeÖinn
als dänischen könig). 2. das schliessen des blutsbruderbundes. Die
erste Seeschlacht und den Zweikampf hält 0. für ereignisse, die ursprüng-
lich der freundschaftlichen Verbindung vorangiengen; er vergleicht sie
mit einem ähnlichen kämpf, der im Sorla [tättr zu der freundschaft
zwischen HQgni und SQrli (nicht HeÖinn) führt. 3. die aufweckung
der toten.
UNTERSUCHUNGEN ÜI5EIJ DIE IIILDESAGE 21
Zunächst ist etwas über die Unterscheidung zwischen einer däni-
schen und einer isländischen quelle zu sagen. Ich leugne noch nicht
die möglichkeit, dass Saxo eine isländische und eine dänische quelle
benutzt hat, obgleich das eine allgemeine h^ypothese ist, deren richtig-
keit für jeden einzelnen fall einer besonderen Untersuchung bedarf.
Auch würde ich, wenn ich von einer dänischen und einer isländischen
quelle redete, dieselbe quelle dänisch resp. isländisch nennen, die Olrik
so nennt. Aber von der consequenz, dass die sagenform, die Olrik die
isländische nennt, auf Island entstanden oder etwa zu Saxos zeit nur
auf Island bekannt gewesen sei, muss ich abstand nehmen. Wir werden
spuren dieser sagenform in grosser entfernung von Island begegnen;
im altertum muss sie auch in Dänemark bekannt gewesen sein. Dass
die andere form ausschliesslich dänisch sei, glaube ich eher, zumal da
sie die älteste zu sein scheint, und die sage sich gewiss von Dänemark
aus über den skandinavischen norden verbreitet hat. Aus diesen gründen
nenne ich die form, die bei Olrik die dänische heisst, Saxo H I^ kürzer
Saxo I, die andere Saxo H II (Saxo II).
Wenn Olrik recht hat, so muss Saxo I wie folgt gelautet haben:
HeÖinn kommt zu ÜQgni. Die jungen leute verlieben sich sofort in-
einander. Hogni gibt seine Zustimmung zu der ehe. Bei der Verlobung
schliessen die männer blutsbrüderschaft. (Da nach Olrik die bluts-
brüderschaft zur befestigung der verschwägerung dient, so muss auch
I die blutsbrüderschaft, die Olrik übrigens auf die seite von II stellt,
gekannt haben.) Darauf wird die ehe geschlossen (denn Hogni verlangt
ja später seine tochter zurück; da sie aber nicht entführt worden ist, so
muss die ehe zu stände gekommen sein). Dann folgt die falsche anklage
wider HeÖinn, darauf der kämpf auf Heöinsey, dessen ausgang nicht
bekannt ist, aber ohne totenerweckung.
Für Saxo II bleibt bei« Olriks auffassung eine erzählung übrig,
die mit den darstellungen Snorris und des l)ättr eine ziemlich grosse
ähnlichkeit hat, aber sehr unvollständig ist. Erst ein kämpf, sogar
zwei, — ein massenkampf an der slavischen küsto und ein Zwei-
kampf in Frothos gegenwart, — worauf das schliessen des freundschafts-
bündnisses folgt, — was nicht mit der freundschaft zwischen Hggni und
Hebinn im l)ättr, sondern zwischen Hogni und Sgrli verglichen~wird.
Über den grund der feindschaft geht dann aus der Überlieferung nichts
hervor; man muss das nach den isländischen quellen ergänzen. Zum
scliluss ein kämpf, der wol ursprünglich auf 'den Orkncyjar stattfand,
aber unter dem cinfluss von Saxo I nach Hithin.so verlogt worden ist;
endlich die auferweckung der toten durch Hildr und'das HjaÖningavig.
22 ROER
Diese auffassung des Verhältnisses der quellen von Saxo erregt
verschiedene schwere bedenken. Ich gehe zunächst auf die beiden
zusammengehörenden kämpfe, den an der slavischen küste und den in
FröÖis gegenwart ein. Dass diese kämpfe die alte einleitung des freund-
schaftsbündnisses repräsentieren sollten, ist nichts weniger als wahr-
scheinlich. Zunächst ist es im SQrla I)ättr nicht Heöinn sondern Sorli,
mit dem' Hogni kämpft, ehe er mit ihm freundschaft schliesst. Aber
diese geschieh te hat, noch abgesehen von dem unterschied in den namen,
mit der erzählung bei Saxo nicht die geringste ähnlichkeit. Bei Saxo
zuerst eine Seeschlacht, in der Hogni geschlagen wird, darauf ein
Zweikampf, in dem er positiv siegt; im I^ättr nur eine Seeschlacht, die
unentschieden bleibt, worauf die gegner sich entschliessen , von nun an
ihre Streitkräfte zu vereinigen. Dass dies in romantischen SQgur ein
ganz gewöhnliches motiv ist, hat Olrik selbst gesehen, vgl. z. b. den
kämpf zwischen Qr^ai'-Oddr und Hjälmarr. Das müsste also das pri-
märe sein. Aber wie sich daraus die beiden kämpfe bei Saxo ableiten
lassen, ist schwer zu verstehen. Mich dünkt, wenn der kämpf zwischen
SQrli und ÜQgni im Sgrla pättr mit der Hildesage in irgend einem
Zusammenhang steht, "was sich freilich mit recht anzweifeln lässt, so
kann man ihn nur mit den in demselben J)ättr überlieferten wettkärapfen
zwischen HQgni und Hebinn zusammenstellen. Jener kämpf ist etwas
ernsthafter als dieser, aber der zweck der beiden erzählungen ist der-
selbe: es soll gezeigt werden, dass die beiden einander die wage halten.
Welche der beiden darstellungen die ältere ist, ergibt sich aus ihrem
Inhalte nicht; für die zweite spricht, dass hier HeÖinn tatsächlich auf-
tritt. Ein grund, diesen kämpf oder wettkampf für sehr alt anzusehen,
ist nicht vorhanden; die geschichte hat ihren ausgangspunkt in dem
alten kämpf am schluss der erzählung; man wollte die beiden, die sich
auch im letzten kämpf einander gew^achsen zeigen sollten, einmal im
voraus miteinander vergleichen. Der wettkampf ist eine art symbolische
vorwegnähme des ausganges.
Olrik muss auch der Überlieferung keine geringe gew^alt antun,
um diese geschichte mit jenen kämpfen bei Saxo auf eine Knie stellen
zu können. Während Saxo ausdrücklich sagt, dass die veranlassung
zu den kämpfen in HeÖins Verhältnis zu Hildr zu suchen ist, und dass
HQgni noch vor dem Zweikampf seine tochter zurückfordert, steht der
kämpf, mit dem Olrik Saxos bericht vergleicht, am anfang der erzählung
und leitet die freundschaft ein.
Wenn man nun darüber einig ist, — und Olrik ist der erste, der
darauf aufmerksam gemacht hat, — dass Saxo zwei darstellungen der
ÜNTEHSUCIRTXGEN ÜBKR DIK HILIJESAGK 23
Hildesage combiniert hat, so ist es gewiss weit natürlicher, dass die
beiden grossen kämpfe, die er mitteilt, — wobei der erste kämpf an
der slavischen küste und der Zweikampf für einen gelten, — nichts
anderes sind als die ernsthaften kämpfe, die in den beiden von Saxo
benutzten Versionen den hauptinhalt der erzählung bilden. Zu beachten
ist, dass beide in derselben gegend, an der pomnierschen küste, aiis-
gefochten werden; — nur ist die schlussscene des ersten kampfes nach
einem anderen orte und auf einen späteren Zeitpunkt vorschoben, eine
folge von Frothos eingreifen in die begebenheiten. Da nun auf diesen
aus zwei teilen bestehenden kämpf ein zweiter kämpf nach einer ab-
weichenden quelle folgen musste, ist dem ersten eine glückliche Wen-
dung gegeben: Hogni schont den besiegten gegner, — ein ausgang,
der sich von dem heftigen anfang in wunderlicher weise abhebt und
sich selbst genügend kritisiert. Wie der ausgang dieses kampfes in der
quelle war, lässt sich vorläufig nicht entscheiden. Aus Hognis sieg im
Zweikampf könnte man schliessen, dass HeÖinn fiel, aber demgegenüber
ist zu beachten, dass Hggni an der slavischen küste die niederlage er-
leidet. Das dürfte auf den Untergang der beiden beiden deuten. Das
nähere unten s. 25.
Aus der Spaltung des kampfes in eine Seeschlacht und einen
darauf folgenden Zweikampf lässt sich schliessen, dass diese version
einen zweitägigen kämpf kannte, wie ein solcher auch noch in Snorris
erzählung durchblickt.
Eine andere Schwierigkeit, zu der Olriks teilung führt, liegt in
der Ursache der feindschaft. Saxo kennt nur eine veranlassung, die
in der form, in der sie mitgeteilt wird, zwar unmöglich ist, aber
doch auf den richtigen weg führt. Es knüpft sich daran die frage,
zu welcher der beiden ({uellen diese veranlassung gehört. Nach Olrik
gehört sie zu Saxo I, und zwar in der form, in der sie überliefert
ist. Für Saxo II muss man dann eine ergänzung bei Snorri oder
im Sorla pättr suchen. Aber der von Saxo mitgeteilte grund ist in
Saxo I sehr schlecht am platze. HQgui und HeÖinn schliessen freund-
schaft; HQgni stimmt in die ehe zwischen seinem freunde und seiner
tochter ein. Das ehebündnis kommt zu stände. Erst darauf entsteht
die heftigste feindschaft aus anlass einer beschuldigung, dass Heöinn
schon vor der iiochzeit mit seiner braut verkehrt habe. Wäre die
anklage noch vor der eheschliessung erhoben, so wäre wenigstens ein
gewisser grund zu Hognis zorn vorhanden. Aber das ist unmöglicii;
denn da die anklage, wie Saxo erzählt, falsch ist, hat HeÖinn mit Hildr
nicht vorzeitig verkehrt, viel weniger sie entführt; sie ist also bis zu
24 liOER
dem Hochzeitstage in der oblmt ihres vaters geblieben. Aber wie ist
es dann möglich, daß HQgni sie zurückfordert? Die frau, die er selbst
dem HeÖinn gegeben hat, sollte er unerbittlich zurückfordern, aus dem
einzigen gründe, weil eine Vermutung in ihm aufgestiegen ist, das,
was mit seiner Zustimmung geschehen ist, dürfte vielleicht schon etwas
früher geschehen sein, als es sich geziemte! Das ist doch gewiss für
alte heldenpoesie allzu subtil.
Auch diese Schwierigkeit wird vollständig gelöst, wenn wir die
falsche anklage auf das zurückführen, was sie tatsächlich ist, die mache
jenes mannes, der die beiden traditionen verbunden hat. Eine tradition
erzählte, dass Heöinn Hildr von Hogni zur frau bekam, später aber
mit seinem Schwiegervater sich entzweite, die andere, dass HeÖinn
Hildr raubte und dadurch mit ihrem vater in krieg geriet. Nur aus
dem raube, nicht aus einer falschen anklage nach der hochzeit lässt es
sich erklären, dass Hogni seine tochter zurückfordert. Aber der con-
taminator, der erst erzählte, dass Heöinn Hildr zur frau bekam, konnte
darauf nicht folgen lassen, dass er sie raubte. Der raub, der durch
eine entehrung ersetzt wird, ist, wie es sich versteht, in seinen äugen
eine lüge, eine erdichtung böser leute.
Nun ist es auch klar, wo der platz der beiden Vorstellungen ist.
Der raub ist aus isländischen quellen bekannt; er gehört also zu Saxo H.
Saxo I hingegen weiss von dem raube nichts; diese quelle nennt für
die entzweiung, die auf die hochzeit folgt, keinen grund.
Sodann die unwiderstehliche liebe der jungen leute. Auch diese
hat Olrik auf die seite von Saxo I gestellt. Aber es dürfte einleuchten,
dass sie mit der entführung zusammenhängt. Und auch hier bestätigen
die isländischen quellen unsere auffassung. Auch Snorris tradition hat,
wie wir gesehen haben, ein entwicklungsstadium durchgemacht, in dem
diese liebe sehr in den Vordergrund trat (SH 2). In Saxo I hingegen
ist diese liebe viel weniger am platze. Wenn hier steht: 'Hggni ver-
lobte seine tochter dem Heöinn, und sie schwuren, einander zu rächen',
so sieht das vielmehr danach aus, dass die freundschaft der männer
das primäre sei; die blutsbrüderschaft dient nicht dazu, wie Olrik an-
nimmt, die ehe, sondern die ehe, um die freundschaft zu befestigen,
wde das auch eine alte sitte ist, dass eben zur befestigung von bünd-
nissen geschlossen w^erden,' — nicht aber umgekehrt.
Kehren wir zu den kämpfen zurück, so ist es auch hier wol klar,
auf welche seite ein jeder von diesen zu stellen ist. Der erste kämpf
wird wegen der Hildr gekämpft, wie man bei Saxo H erwarten würde,
1) Vgl. z. b. die elie zwischen lugeld und Freawaru (Beow. 2026 fg.).
UNTERSUCIIUNGKN UBKR DIE HILDESAGE
25
und wie die isländischen quellen erzählen. Hier finden sich die spuren
eines zweitägigen kampfes wie dort. Und hier findet sich ein vergeb-
licher Versöhnungsversuch wie dort. Über den zweiten kämpf lesen wir
nur, dass die beiden sieben jähre später (nach dem kämpfe aus Saxo II;
w^nn die sieben jähre aus der quelle stammen, so muss die meinung
sein: sieben jähre nach der hochzeit) eine schlacht begannen und beide
ihren wunden erlagen. Also gehört der erste kämpf zu Saxo II, der
zweite zu Saxo I. Hier findet sich auch die localisierung auf HeÖinse.
Grosses gewicht kann man freilich darauf nicht legen, da auch der
erste kämpf an der pommerschen küste localisiert ist. "Wahrscheinlich (vgl.
s. 28 anm.) ist diese localisierung für Saxo II secundär; eine reminiscenz
an die localisierung der isländischen quellen könnte man darin erblicken,
dass die beiden zusammen auf den Orkneyjar siege erfechten.
Das Hjaöningavig wird aus II stammen. Da der kämpf aus II
wegen der Verbindung mit I einen versöhnenden ausgang erhielt, war
hier für das Hjaöningavig kein platz; es wurde daher an den schluss
des ganzen versetzt. Dass es zu Saxo II gehört, wird schon dadurch
bewiesen, dass es Hildr ist, die die toten erweckt. Wir erkennen darin
eine sehr weit vorgeschrittene form von SH wieder. (Über abweichungen
von Snorris darstellung s. unten s. 27). Aus dem Hjaöningavig geht
ferner hervor, was oben s. 23 unentschieden bleiben musste, wie der
ausgang von Saxo II war. Beide beiden fallen, — eine unumgängliche
bedingung für die aufnähme des Hjaöningavig.
Um zu einer richtigen Vorstellung davon zu gelangen, was jeder
der beiden darstellungen angehört, brauchen wir sie nur einander
gegenüber zu stellen. Die verbindenden Zwischenglieder stellen wir
zwischen I und 11; das wenige, was fehlt, fügen wir zwischen klammern
hinzu. Es zeigt sich dann, dass jede der beiden redactionen ihre ur-
sprüngliche reihenfolge bewahrt hat, und ferner, dass nur das fort-
gelassen ist, was bei der Verbindung notwendig ausfallen musste.
Saxos reihenfolge kann absolut gewahrt bleiben.
Saxo I.
Eigentum
des bearbeiters.
Hithinus kommt zu Frotho.
Später
Saxo II.
verlieben sich iueinauder
Hilda, die tochter dss Jüteu*
königs Iloginus, und Hithi-
nus, und zwar bevor sie
einander gesehen haben.
Als sie einander sehen,
können sie kein äuge von-
einander abwenden.
26
BOER
Saxo I.
Hithinus und Hogimis
gehen auf einen gemein-
schaftlichen raubzug,
Beschreibung des äusseren
der beiden beiden. Hoginus
verlobt Hithinus seine toch-
ter. Die raänner schwören,
einander zu rächen. (Die
ehe wird geschlossen).
Nach sieben jähren käm-
pfen Hithinus und Hoginus
auf Hithius0 und fallen beide.
Eigentum
des bearbeiters.
denn Hoginus wusste nicht,
dass Hithinus seine tochter
liebte.
Hithinus wird beschuldigt,
und wird zurückgeschlagen.
Frothos
in dem Hoginus siegt und
den geguer schont.
Saxo n.
dass er die tochter des
Hoginus vor der hochzeit
entehrt habe (d. h. er hat
sie geraubt). Hoginus greift
Hithinus au der slavischen
küste an
Ein Versöhnungsversuch
misslingt. Hoginus fordert
allzuheftig seine tochter zu-
rück. Es kommt (am zwei-
ten tage der schlacht) zu
einem Zweikampf, (in dem
beide fallen).
Hilda liebt ihren mann
so sehr, dass man erzählt,
sie habe in der nacht durch
zauberlieder die gefallenen
erweckt, um den kämpf
fortzusetzen.
Wir versuchen nun, den beiden oben erkannten Versionen ihren
platz in der Überlieferung anzuweisen. Es ergibt sich sofort, dass
Saxo II auf dem Standpunkte SH i steht. Die erzäblung ist demnach
eine Vorstufe von Bragi und Snorri; sie ergänzt Snorris darstellung an
mehr als einer stelle. Sie hat die reihe SH 1 — 4 durchlaufen und
deutlichere spuren der verschiedenen Stadien bewahrt als Snorri. In
dem gerüste der erzählung erkennen wir SH 1 wider: die tochter wird
entführt; der vater kämpft mit dem räuber. Auch Heöins versöhnungs-
versuch fehlt nicht. Aber wenn wir aus Snorri erfahren, was HeÖinn
bietet, so geht aus Saxo II hervor, was Hogni fordert; er will seine
tochter ausgeliefert haben, und auf grund dieses gegensatzes werden
UNTERSUCHUNG KN- UBKR DIE HILDKSAGE 27
die Unterhandlungen abgebrochen. Saxo II bestätigt also die s. 9 anni.
ausgesprochene Vermutung, dass die bemerkung Hqgnis, er habe schon
das Schwert Däinsleif gezogen, jüngeren daturas ist.^ Eine andere ab-
weichung ist, dass in Saxo IT die Unterhandlungen nach dem ersten
tage des kampfes geführt wei'den, was bei Snorri am anfang geschieht.
Was hier das echte ist, lässt sich kaum entscheiden. Das zeugnis des
SQrla |)ättr, der keine zweitägige schlacht kennt, hat keinen wert; hier
können die Unterhandlungen nur am anfang geführt werden. Aber
eben der umstand, dass der kämpf unterbrochen wird, dürfte darauf
deuten, dass diese Unterbrechung einmal einen sinn gehabt haben muss,
nämlich dass sie der Unterhandlungen wegen stattfand. Dann stünde
also auch hier Saxo II auf dem ursprünglichen Standpunkte.
SH2, die motivierung der entführung aus der innigen liebe der
jungen leute, ist Saxo II nicht nur bekannt; das motiv steht hier so-
gar in voller blute. Es ist noch das hauptmotiv, während es bei Snorri
schon zurückgedrängt erscheint. Aber von einem durch Hildr unter-
nommenen Versöhnungsversuche, der später aus dieser liebe sich ent-
wickelt hat, weiss unser bericht noch nichts.
SH 3, das Hjabningavig, ist schon in die Überlieferung aufge-
nommen -.
SH 4, Hilds Verhältnis zu dem Hjaöningavig hat sich schon ent-
wickelt. Aber die auffassung dieses Verhältnisses ist noch eine alter-
tümliche. Wenn es heisst, Hilda habe HeÖinn so leidenschaftlich geliebt,
dass sie bei nacht die geister der gefallenen durch zauberlieder auf-
erweckte, um die schlacht zu erneuern, so ist es klar, dass die er-
neuernng des kampfes nicht der zweck, sondern nur die folge der er-
weckung sein kann. Was Hilda treibt, die toten zu erwecken, ist ihre
liebe; sie hofft also, ihren geliebten wider zu besitzen, aber ihre hoff-
nung ist vergebens; die kampfwut tobt noch in den herzen der gefallenen,
und die auferstandenen krieger erneuern den kämpf. Aber in dem
ausdruck 'um die schlacht zu erneuem' liegt schon die weitere ent-
wicklung angedeutet; bald wird die erneuerung des kampfes zu Hilds
zwecke, ihre walkürennatur tritt in den Vordergrund, ihre liebe Avird
1) Auch im SQrla [)ättr fehlt diese antwort, aber der [)ättr hat ebensowenig
wie Suorri das echte bewahrt, s. s. 15.
2) Wenn das IljaSningavig bei Saxo erst nach dein fall der beiden gegner an-
hebt, so ist das eine folge davon, dass die darstellung secuudär mit Saxo I vorbuudon
ist; man darf also darin, dass die könige nicht zu ihren schüfen zurückkehren, nicht
eine Übereinstimmung mit PR 4 erblicken. Dass Saxo II auch hier auf der seite von
SH 6, nicht von I'E4 steht, zeigt Ililds verhcältnis zum IljaSuingavig, die in der
nacht die toten erweckt.
28 BOER
nicht mehr erwiilint. Diesen schritt hat die bei Snorri vorliegende
tradition getan. In dieser hinsieht vertritt also Saxo II eine übergangs-
stiife zwischen dem {^ättr, der Hildr noch gar keinen einfluss auf die
erweckung der toten einräumt, und Bragi- Snorri, wo sie aus lust am
kämpfe die gefallenen widerbelebt.
Also ist der Standpunkt SH 5 in Saxo II noch nicht erreicht.
Und, wie sich versteht, ebensowenig SH 6. Auch an dem ersten kämpf
ist Hildr- nicht schuldig. Wie die erzählung von einem von ihr aus-
gehenden Versöhnungsversuche noch nichts weiss, so auch, oder besser
um so weniger weiss sie etwas von Hilds falschheit. Die stufe, wo
Saxo II von SH abzweigt, ist SH4; dass Saxo II von da aus eine
selbständige entwicklung durchgemacht habe, lässt sich nicht wahr-
scheinlich machen; in keinem einzigen punkte geht Snorri sicher über
Saxo II hinaus i. Aus diesen gründen glaube ich Saxo II mit SH 4
gleichsetzen zu dürfen.
Ganz anders sieht Saxo I aus. Alles, was für Saxo II und die
anderen zu SH gehörenden Versionen charakteristisch ist, ja hier sogar
wie der eigentliche kern der erzählung aussieht, fehlt. Soweit wir zu
sehen vermögen, kein Hjaöningavig, und wie wir deuthch sehen, keine
entführung, keine innige liebe der jungen leute; Hildr ist HeÖins weib,
mehr nicht. Der Schwerpunkt liegt in dem Verhältnis der männer.
Anfänglich sind sie so grosse freunde, dass der eine dem andern seine
tochter zur frau gibt; später sind sie so erbitterte feinde, dass sie
einander erschlagen.
Bei der grösseren einfachheit dieser erzählung liegt die Vermutung
nahe, dass wir es hier mit einer tradition zu tun haben, die von den
bisher besprochenen fassungen vollständig unabhängig ist, ja denselben
vorangeht, ihre Vorstufe ist. Es komnu'U die folgenden erwägungen
hinzu. Die übrigen haben das Hjaöningaul gemein und bilden schon
dadurch solchen fassungen gegenüber, denen das HjaÖningaei fehlt, eine
gruppe. Nun hat Saxo I mit einem glied der gruppe SH, &H, Saxo II
einen wichtigen zug gemein, der schon deshalb zu dem alten bestände
der sage gehören muss, nämlich die anfängliche freundschaft der späteren
gegner. Schon bei der besprechung des Sorla pättr war davon die rede.
1) Eine ausnähme bildet vielleicht die localisierung an der slavischen küste,
die aber eine folge der Verbindung von Saxo I -(- IT sein kann (obeu s. 25). Damit
ist nicht gesagt, dass die localisierung auf den Orkneyjar in der sage älter als die
auf HeÖinsey sein müsse (vgl. darüber § 17), sondern nur, dass für Saxo II wol die
Orkneyjar anzunehmen sind, da hier Snorri imd der l)ättr übereinstimmen und die
gemeinsame quelle dieser beiden (SH 3) auch die von Saxo II (SH 4) ist.
UNTERf5UCHUNGEN ÜRKR DIR KILDESAGF 29
Schon dort hat es sich als wahrscheinlich ergeben, dass diese freund-
schaft sich nicht in t>H secundär entwickelt hat, sondern aus der quelle
der reihe I^H stammt usw., also zu SH 1 gehörte und in einer jüngeren
Version von SH beseitigt worden ist. Die vergleichuug von Saxo I
bestätigt nun diese ansieht. Und zwar ist es SH4, die die freund-
schaft fallen gelassen hat. Denn dass sie noch in SH 3 enthalten war,
beweist der J)ättr in vergleichung mit Saxo I; die Übereinstimmung aber
zwischen Saxo II und Snorri zeigt, dass sie in SH4 fehlte. Der grund
der auslassung wurde schon s. 14 angedeutet: die freundschaft verträgt
sich schlecht mit dem raub der tochter und dessen schweren folgen.
Auch PH hat das gefühlt und, wie oben gezeigt, aus diesem gründe
HeÖins schuld vergrössert. Durch die ermordung der königin wurde
es verständlich, dass Hogni von keiner sühne wissen will. Einen
anderen weg wählte SH 4. Da es undenkbar schien, dass Hogni den
raub der tochter unter keiner bedingung seinem freunde vergeben sollte,
fand man es für nötig, die ganze freundschaft zu beseitigen. Heöinn
wurde zu einem fremden räuber.
Der raub und die freundschaft sind demnach, wie s. 14 augedeutet
wurde, concurrierende motive, die auf die dauer nebeneinander nicht
bestehen können und also auch nicht zu gleicher zeit entstanden sein
können. Welches von beiden ist das ältere? Saxo I zeugt für die
freundschaft. Dazu ist noch das folgende zu erwägen: Wäre der raub
ursprünglich, so wäre die einführung der freundschaft nicht zu ver-
stehen. Denn der raub sowol wie seine furchtbarei» folgen würden da-
durch weniger verständlich geworden sein. Wenn Hogni das mädchen
freiwillig geben wollte, wozu brauchte Heöinn es dann zu stehlen?
Ganz anders sieht die sache aus, wenn wir von der freundschaft aus-
gehen. In der sagenform Saxo I liegt eine Unklarheit, die einen er-
klärungsversuch hervorlocken konnte. Hogni und HeÖinn waren freunde;
plötzlich werden sie zu feinden und töten einander. Was war der
grund dieser feindschaft? so konnte man fragen. Die antvvort wurde
in Hebins Verhältnis zu Hildr gesucht. Dass sie seine frau war, be-
ruhte auf alter Überlieferung; nun entstand für die feindschaft diese
crklärung: HeÖinn hatte die frau geraubt.
Saxo I repräsentiert also die älteste erreichbare form der sage;
aus ihr sind alle übrigen Versionen abgeleitet. Wir nennen diese
sagenform einfach H.
Auf grund dieser resultate lässt sich der Inhalt der früher er-
schlossenen sagenformen in einzelnen punkten nocli etwas breiter ai.'s-
.30 BOÜH
führen und näher bestimmen. Der Inhaltsübersicht der aufeinander
folgenden fassungen schicken wir ein graphisches Schema voran i.
H
(erhalten in 8axo I)
I
SHl
1
SH2
1
SH3 = J'Hl
Saxo n = SH 4 fH 2
SH 5 f H 3
SH6 pH4
(darstellung der Ragnars-
drapa und Snorris)
Über den inhalt dieser Versionen lässt sich das folgende sagen:
H ist bekannt, Saxo I.
SH 1 : Um die feindschaft zwischen Schwiegervater und Schwieger-
sohn zu erklären wird die ehe mit Hildr als ein raub aufgefasst.
Heöinn benutzt dazu einen Zeitpunkt, als HQgni von hause (auf einem
wikingerzug, jünger i konungastefnu) ist. Der raub wird als herfang
charakterisiert. HQgni eilt dem rauher nach. Es kommt zu einer
Schlacht, die zwei tage dauert. Wahrscheinlich am morgen des zweiten
tages versucht Hebinn frieden zu schliessen, aber da HQgni die zurück-
gäbe des mädchens fordert, worauf Heöinn nicht eingehen will, wird
der kämpf erneuert. Beide fallen, wie in der alten sage.
SH 2 : Der raub ist eine folge der innigen liebe der jungen leute.
Aber die bezeichnung hertaka (SQrla |)attr), her fang (Snorri) bleibt er-
halten. (Daraus in einem jüngeren zweig der Überlieferung, zwischen
SH4 und 5 ein Versöhnungsversuch der Hildr).
SH 3 : einführung des Hjaöningavig.
SH4: Die freundschaft zwischen HeÖinn und HQgni wird als mit
dem raub unvereinbar fortgelassen. Die erzählung hebt damit an, dass
Heöinn Hildr raubt, während HQgni von hause entfernt ist. Hilds
liebe zu Heöinn wird mit dem Hjaöningavig in Verbindung gebracht;
aus liebe zu ihm erweckt sie die toten, aber vergebens; die aufer-
standenen setzen den kämpf fort. Diese fassung ist bei Saxo (H)
überliefert.
SH5: Daraus folgt, dass sie als walküre aufgefasst wird. Sie er-
weckt die toten aus lust an dem kämpfe.
1) Die erhaltenen glieder sind fett gedruckt.
rNTERi?TTrfnTNGRN l'BEn DIE iiilherage
Bl
SH6: Diese auffassung beoinflusst auch den inzwischen (nach 4)
eingeführten versöhnnngsversucli der Hildr. Dieser wird als ein nicht
ernstlich gemeinter aufgefasst. Aber warum sie eine Versöhnung nicht
■wünscht, sieht man nicht. Darum fehlt der zug, den die Ragnarsdräpa
mitteilt, wider bei Snorri. He^^ins versöhnungsversuch bekommt eine
andere wendung; nicht länger verlangt Hogni die tochter zurück, die
er ja mitnehmen konnte, da sie zu ihm gekommen ist, sondern er wnll
kämpfen, weil er sein schwert bereits gezogen hat. Beide versöhnungs-
versuche werden an den anfang des kampfes gestellt.
PH1=SH3.
PH 2 löst den Widerspruch zwischen der freundschaft und dem
raub dadurch, dass Heöins schuld erschwert wird. Das Hjabningavig
"wird besser mit dem vorhergehenden verbunden; die toten stehen so-
fort auf. Daraus folgt, dass nicht mehr von einem zweitägigen kämpfe
die rede ist. HeÖins versöhnungsversuch (der einzige) findet daher vor
dem kämpfe statt.
PH 3 erklärt HeÖins tat durch Gonduls einfluss.
I^H4 fügt die geschichte von dem brisingamen, die dritte be-
gegnung mit Ggndul und die schlussscene, vielleicht auch den ersten
zaubertrank, auf jeden fall den bericht, dass Heöinn dadurch die er-
innerung verlor, hinzu.
Saxo II = SH 4.
Über das alter von I^H 2. 3 kann man auf grund dieser Übersicht
nicht viel sicheres sagen. Sie sind jünger als SH3, aber wie viel,
das lässt sich nicht entscheiden. Ihre abstammung von einer alten form
von SH beweist nicht, dass sie nicht verhältnismässig jung sein können.
Denn SH 3 braucht nicht untergegangen zu sein, sobald daraus SH4
hervorgegangen war. Ähnlich verhält es sich mit SH 4 und 5. 6. Die
form SH 6 liegt schon in der Ragnarsdräpa vor, die doch, auch w^enn
sie nicht von Bragi gedichtef worden ist, kaum jünger als 1000 ist,
aber noch Saxo kennt SH4, ja sogar die alte form H.
§ 6. Dk' Illldesasrc in der lldgisage.
Im vorhergehenden gelangten wir zu dem Schlüsse, dass die
Hildesage ursprünglich nur von der feindscbaft zwischen Hggni und
Hehinn zu erzählen wusste, und dass der raub der Hildr eine secundäre
erklärung dieser feindscbaft ist. Diesen gedanken werden wir an einer
anderen stelle weiter verfolgen. Vorläufig gehen wir von der gleich-
falls constatierten tatsache aus, dass die frage, warum He(iinn die
tochter des freundes entführen musste, und warum Hggni dai-über so
32 DORR
entsetzlich zürnt, auf mehr als eine weise beantwortet worden ist.
Eine antwort sagt, dass HeÖinn von einer bösen frau berückt worden
war, und dass er eine zweite raissetat begangen hatte, für die keine
Vergebung möglich war. Eine zweite antwort lautet, dass zwischen
den gegnern früher keine freundschaft bestanden hatte. Noch eine
dritte antwort war möglich, bei der die freundschaft zwar nicht un-
mittelbar geleugnet zu werden brauchte, aber doch leicht verschwinden
konnte, nämlich die, dass Hogni seine tochter bereits einem anderen
freier bestimmt hatte. Diese antwort wird, wenn wir von den deutschen
Versionen vorläufig absehen, auf skandinavischem boden in einer nahen
verwandten der Hildesage, nämlich in der Helgisage, gegeben. Eine
eigentümlichkeit dieser fassung, die gleichfalls auf deutschem boden
mehr als einmal widerkehrt, ist die, dass an die stelle des Unterganges
der beiden gegner der sieg des Schwiegersohnes tritt.
Das problem der Helgisage ist von unserem Standpunkt die frage,
wie weit wir das recht haben, in ihr eine Variante der Hildesage zu
erblicken, anders gesagt, ob die züge der Helgisage, deren abstammung
aus der Hildesage sich zur evidenz erheben lassen, zahlreich und deut-
lich genug sind, um uns in den stand zu setzen, daraus ein bild der-
jenigen fassung der Hildesage, die diese züge an die Helgisage abge-
geben hat, zu construieren. Zu diesem zwecke sehen wir uns genötigt,
auf die kritik der Helgisage etwas näher einzugehen.
Ungefähr gleichzeitig haben Bugge (Helgedigtene) und der Ver-
fasser dieser Untersuchung (Beiträge 22, 368 fgg.) sich mit der Helgi-
sage beschäftigt. Zu demselben resultate gelangten wir in der Unter-
suchung über Helgis herkunft und seine identificierung mit dem
Skjoldung Helgi, von dem u. a. die Hrölfs saga kraka berichtet. Seinem
kämpfe mit Hoöbroddr liegen ganz andere dinge als eine liebesgeschichte
zu gründe; HgÖbroddr ist der repräsentant der Heaöobearden, mit denen
das geschlecht der SkJQldunge im 6. Jahrhundert in fehde lag. Die
liebesgeschichte hat demnach einen anderen Ursprung. Dass sie zum
teil in der Hildesage wurzelt, hat Bugge erkannt. Einen anderen teil
leitet er aus anderen quellen ab. Ich meinerseits bin damals auf das
Verhältnis zu fremden sagen nicht eingegangen und habe nur ange-
deutet, wie sich mir die liebesgeschichte des Skjgldungs zu der des
Hundingtöters zu verhalten schien. Ich werde nun im folgenden beide
ansichten einer genaueren prüfung unterziehen.
Bugge glaubt 1. dassSigrün unter dem einfluss einer sage von Wolf-
dietrich in die Helgidichtung aufgenommen sei; 2. dass der zug, dass Sigrün
bei Helgi gegen ihren vater und ihien bräutigam Unterstützung sucht, sich
UNTKIJSUCHUXGEN ÜBER DIE IIII.DESAOE 33
entwickelt habe, bevor die Helgisage von der Hildesuge beeintlusst wurde.
3. dass es auf dem einfluss der Hildesage berulie, dass Helgi Sigrün
7AU- frau bekommt, und dass ilir vater Hogni heisst. 1. dass Helgis
tod ein jüngerer auswuchs der Helgidichtung sei, und, wie das auch
von anderen zügen angenommen wird, unter dem eintluss der Sigurd-
poesie stehe.
Über Bugges ersten punkt kann icli mich ziemlich kurz fassen.
Für die gleichstellung von Sevill mit Sabene, ags. Seafola, führt Bugge
s. 167 gründe von einiger bedeutung an, obgleich es dabei sehr un-
sicher bleibt, ob die gestalt aus der Wolfdietrichdichtung stammt, eine
frage, an der wir hier vorübergehen dürfen. Alle übrigen gleich-
setzungen aber beruhen auf bedeutungslosen Scheinübereinstimmungen;
ein wirklicher Zusammenhang besteht nicht. Helgi hat eine mutter
Borghildr, während Wolfdietrichs mutter Hildeborg heisst! Helgi ist
ein Ylfingr und wird einmal ein grauer wolf genannt, und auch Wolf-
dietrich heisst einmal Wolf. Diese geringe Übereinstimmung sieht
Bugge selbst für zufälhg an, aber er glaubt, sie könne weitere be-
rührungen veranlasst haben. Es ist hier auch daran zu erinnern, dass
Wülfinge ein alter geschlechtsname ist, der mit Wolfdietrich nichts zu
schatten hat, und dass die stelle, wo Helgi ein wolf heisst (H. Hu. H, 1)
einerseits eine anspielung auf jenen geschlechtsnamen enthält, anderseits
aber mit der erzählung der Hrolfs s. kr. zusammenhängt, wo Helgi
einen hundenamen trägt, wie er ein andermal Hamr heisst; Helgi nennt
sich im gegensatz dazu einen wolf und gibt sich dadurch als einen
gefälirlichen feind zu erkennen, während der name Wolf in der mhd.
diehtung den Wolfdietrich als einen geächteten bezeichnet. Überhaupt
ist die Überlieferung von Wolfdietrich so jung und so wenig zuverlässig,
dass man mit vergleichungen zwischen zügen aus diesen gedichten und
ähnlichen in der alten altnordischen poesie sehr vorsichtig sein muss und
am wenigsten berechtigt ist, sofort auf entlehnung aus der Wolfdietrich-
poesie, die selbst von allen selten ihren stoff zusammenbettelt, zu
schliessen. Endlich soll der name bubl/ingr für Helgi (H. Hu. H, 44)
damit zusammenhängen, dass Wolfdietrich mit Botelunc verwandt war.
Aber hiihhiiKir ist eine allgemeine bezeichnung eines fürsten.
Aber auch wenn das alles aus einer Wolfdietrichüberlieferung
stammen sollte, sieht man nicht ein, was das für die gestalt der Sigrün
oder ihren namen beweisen könnte'. Für ihre herleituug aus einer
tradition von Wolfdietrich wird nur angeführt (s. 176), dass in Wolf-
1) Auf Bugges vergleichung der dichtuug von Helgi I Ijorvaiössoii mit der
Wolfdietrichsage oiuzugohen, sehe ich in diesoni ziisaminonhang keine vt'ranla.ssung.
ZKITSCIIRIFT V. IlKÜTSCHE PUILOLOOIK. HI). .\I.. IJ
34 BOEK
dietrich B der lield eine fraii hat, die Sigminne heisst und aus einem
'trold' zu einem weibe uragescbaffen worden ist. Diese beweisführung
wird nicht viele überzeugt haben.
Wir kommen zu Bugges zweitem punkt. Dass Sigrün bei Helgi
wider vater und bräutigam hilfe sucht, soll sich in der Helgisage
spontan entwickelt haben, ehe die sage unter den einfluss der Hildesage
geriet. Das stützt Bugge damit, dass in der Hrolfs saga kraka Qgn,
um nicht mit Hrokr vermählt zu werden, sich an Helgi wendet. (Qgn
ist früher mit Hroarr verheiratet gewesen; Helgi hilft ihr, aber er
heiratet sie nicht.) Dazu bemerke ich zunächst, dass, wenn dies richtig
wäre, daraus nicht folgen würde, dass dieses motiv in der form der
Hildesage, die die Helgisage beeinflusst hat, nicht vorhanden Avar; eben
eine ähnlichkeit in diesem punkte könnte dann eine nähere angleichung
veranlasst haben. Aber ich glaube auch nicht, dass Bugge hier recht
hat. Vielmehr sieht die in einer sehr jungen quelle überlieferte er-
zählung von Qgn wie ein schwacher nachklang der Sigrünsage aus.
Wenn eine frau gegen vater und bräutigam bei einem fremden manne
schütz sucht, so ist die ansieht, dass sie dazu den mann erwählen
wird, den sie liebt, doch wol die am nächsten liegende. Die Vorstellung,
die die Sigrünsage gibt, ist denn auch Aveit natürlicher als die der er-
zählung von Qgn. Es kommt hinzu, dass der kämpf mit dem vater
der frau ' geradezu das typische motiv der Hildesage ist, und ferner,
dass die beeinflussung der Helgisage durch die Hildesage in confesso
ist. Es ist demnach wahrlich kein grund vorhanden, aus der un-
klaren jungen erzählung von Qgn zu schliessen, dass die Helgisage
dieses für die sage, unter deren einfluss sie sich entwickelt hat,
typische motiv selbständig hervorgebracht haben müsse (vgl. auch un-
mittelbar unten).
Drittens führt Bugge Helgis ehe mit Sigrün und den namen des
Vaters HQgni auf die Hildesage zurück. Hier bin ich mit ihm einver-
standen; mein Aviderspruch richtet sich aber im Zusammenhang mit dem
oben erörterten gegen die enge begrenzung dieses einflusses und zugleich
gegen Bugges darstellung der entwicklung der Helgidichtung. Bugge
nimmt s. 186 die folgenden stufen an:
1. Helgis kämpf mit HgÖbroddr beruht auf einer alten geschlechts-
fehde. Von Sigrün ist noch keine spur vorhanden. So in den schelt-
gesprächen der beiden lieder.
2. Helgi schützt Sigrün vor HQÖbrodds nachstellungen. Sigrün wäre
also schon eingeführt worden, aber noch ist HgÖbroddr Helgis eigent-
licher feind. Hogni Avird nur selten erAvähnt. So im ersten Helgiliede.
rNTKRSUCHUXGKN Vm-A! DIR JIII.DKSACK
0. Die beeintlussuiii;- der Helgisage durch die Hildesage. Signiii
wird zu HQgnis tochter; Helgi tötet Hngni und heiratet Signiii.
Gegen diese aufstelluugen.lässt sich das folgende auiübren:
1 . Auch im ersten Helgiliede ist Sigri'in Hoguis tochter. Da ÜQgni
auch nach Bugge aus der Hildesage stammt, lässt sich also aus dem
ersten Helgiliede nicht ableiten, dass Sign'in vor der beinllussung durch
die Hildesage in die Helgidichtung aufgenommen sei. Wenn im ersten
Helgiliede weniger von Hogni die rede ist, so bedeutet das also nur,
dass der dichter dieses liedes andere momente mehr in den Vordergrund
gerückt hat.
2. Man konnte auch nichts anderes erwarten. Denn, wie allgemein,
auch von Bugge, zugestanden wird, ist das erste Helgilied bedeutend
jünger als das zweite. "Wo beide dieselben dinge erzählen, wie in dem
Scheltgespräche, kann sogar das zweite lied die directe quelle des ersten
sein. Es wäre also höchst auffällig, wenn die auffassung von Helgis Ver-
hältnis zu Sigrün im ersten Hede soviel ursprünglicher wäre als im zweiten.
Ich glaube, dass wir auch hier weiter kommen, wenn wir uns
die entwicklung des Stoffes der Chronologie der quellen analog vor-
stellen, also:
1. Die fehde mit Hoöbroddr ist eine geschlechtsfehde (so in den
Scheltgesprächen, gestützt durch Böowulf und einen teil der Hrolfs saga
kraka, s. Beiträge 22, .347 fgg.)i.
2. Beeinflussung durch die Hildesage. Der kämpf mit Hoöbroddr
wird zu der entführung der Sigrün (welche die Hildr repräsentiert) in
beziehung gesetzt, und Helgi tötet Hoöbroddr und HQgni. So im
zweiten liede.
3. Hogni wird durch Helgis alten feind Hgöbroddr in den hinter-
grund gedrängt, aber die Verbindung, die im zweiten liede zu stände
kam, bleibt bestehen: HQÖbrqddr bleibt Helgis nebenbuhler. So im
ersten liede. Der dichter des ersten liedes hat auch sehr gut gewusst,
dass Hogni fiel; er ist bei dem kämpfe zugegen 2. Aber er will den
sieg über HQÖbroddr betonen; Sigrün muss über HgÖbrodds leiche
1) Dem ersten Helgiliede muss man zugestehen, dass es einzelne kurze
rominiscenzen an begcbenheiten enthält, von denen die übrigen quellen nichts
wissen, und die aus quellen stammen, die auf dem im text genannten Stand-
punkte stehen.
2) Yielleicht ist auch die erwähnung der Insel HcÖinsey im ersten Helgiliede
(str. 22, vgl. Bugge, Helgedigtene s. 130) mehr als ein zufall. Wenn Helgis Streit-
macht von dort her Verstärkung erhält, so dürfte das die beeinlhissung durch die sage
von Hebinn voraussetzen. HeSinsey wäre dann hier nicht als ein«' Station auf dem wege
/.wischen den hindern der feinde, sondern als Itebins land aufgofasst worden. Aber
l'roblücken; das gedieht soll mit einem der lieldin erwünschten ereignis
schliessen. Darum "wird Hggnis tod, das traurige moment der erzähhmg,
nicht direct erwähnt. Es ist nnter solchen umständen ganz natürlich,
dass er auch Helgis tod nicht berichtet; es wäre sehr voreilig, daraus
zu schliessen, dass dieser ihm nicht bekannt gewesen sei. Jedesfalls
wissen wir, dass eine ältere quelle Helgis tod erzählt.
ßugges vierte annähme lautet, dass die geschichte von Helgis
tod unter dem einfluss der SigurÖsage stehe. Auch darin kann ich ihm
nicht beipflichten. Die Übereinstimmung besteht darin, dass Helgi wie
Sigurbr durch seinen schwager getötet wird. Aber in der SigurÖsage
ist das das hauptmotiv, und der mörder wird durch habsucht, später
durch die rachgier eines w^eibes getrieben. In der Helgisage ist es
kein hauptmotiv, und der mörder wird durch den wünsch, seinen vater
zu rächen, getrieben. Für die entwicklung dieses motivs brauchte er
des Vorbildes der SigurÖsage gewäss nicht. Dass ein söhn seinen vater
rächt, ist w^eiter nichts als der gew^öhnliche gang der ereignisse; in
HQgnis tötung durch Helgi ist schon der keim enthalten, aus dem früher
oder später eine fortsetzung entstehen musste, in der HQgnis söhn Helgi
tötet. Die erklärung für das Vorhandensein dieses sohnes, dass er bei
dem treffen, in dem der vater fiel, mit dem. leben davongekommen w-ai-,
lag auf der band, und dies konnte nun wider so gedeutet w^erden, dass
er Helgi einen eid geschworen hatte.
Wenn nun Sigrün dem Dagr vorwarft, er habe seinen eid ge-
brochen, so geht es doch nicht an, das ohne weiteres mit Gudruns
ähnlichem Vorwurf an HQgni in der SigurÖsage gleichzusetzen. Dagr
hat geschworen, dem Helgi treu zu sein und auf die vaterrache zu
verzichten; Hggni hingegen hat SigurÖr blutsbrüderschaft geschw^oren.
Der inhalt der beiden eide ist also grundverschieden. Dass überhaupt
eide gebrochen sind, ist aber keine ähnlichkeit, aus der sich der ge-
ringste schluss ziehen lässt. Überall, wo verwandte einander ermorden,
sind solche vorwürfe möglich, wie Sigrün sie dem Dagr, Guörün dem
HQgni macht. Die art und weise, in der der bruder der Schwester
den mord mitteilt, ist himmelweit verschieden. Dagr erzählt seiner
Schwester betrübten herzens, was er, einer teuren pflicht gehorchend,
getan hat; Hogni hingegen rühmt sich der Schwester gegenüber seiner tat.
das Icann sehr gut die alte auffassung sein, dass die Insel, wo HeSinn mit Hcjgni zu-
sammentraf, zugleich ein teil seines gebietes war. Ähnlich gehört in einer jungen quelle,
der Küdrun, Wäleis zu dem lande des räubers. Und während bei Snorri und im
Sqrla pättr auf einer der Orkneyjar gekämpft wird, ist der rauher der Shetlandsballade
selber ein Orlvucyjarl.
UNTERSUCHDXGE>J' ÜBER DIR IllI.DESAGK 37
Aus dem gesagten folgt nicht, dass nicht eine gegenseitige bc-
eintlussung der Helgi- und der SigurÖdichtung in einzelnen zügen zu
den moglichkeiten gehört. Man wird das sogar erwarten, da Helgi
später in die VQlsungengenealogie aufgenommen ist. Aber das gibt nicht
das recht, bei jedem schein einer Übereinstimmung an entlehnung zu
denken. Wenn Grimhildr der Gu?)rün, Dagr der Sigrün bussgcld an-
bietet, so ist das vielleicht in beiden sagen, auf jeden fall in der
Nibelungendichtung jung, aber auch dies ist widerum vollkommen
natürlich. Dasselbe gilt davon, dass beide fraueu ihren mann beweinen;
der Zusammenhang von Helgis rückkehr und GuÖrüns wünsch, SigurÖr
möge zurückkehren (Ghv. 18. 19), ist widerum sehr unsicher, und wenn
er anzuerkennen ist, so ist es sehr unwahrscheinlich, dass das prius
hier auf der seite der Sigurödichtung sein sollte; übrigens weist Bugge
selbst es der Helgipoesie zu. Ahnliches läßt sich über die vergleichung
mit einem hirsche (H. Hu. 11,38. GuÖr. II, 2. 1,18) sagen,, worüber die
meinungen geteilt sind. Aber in fällen wie dem zuletztgenannten könnte
man natürlich sehr wol die priorität der Sigurödichtung zugeben, ohne
dass daraus in bezug auf die entwicklung der sage von Helgis tod
das geringste sich folgern Hesse.
Ich glaube nachgewiesen zu haben, dass kein grund vorhanden ist,
weder einer Überlieferung von Wolfdietrich noch der Sigurösage irgend
einen einfluss auf die entwicklung der Helgisage zuzuschreiben; ferner,
dass aus Bugges ausführungen nicht hervorgeht, dass die aufnähme
der Sigrün in die Helgisage und die auffassung HoÖbrodds als Helgis
nebenbuhler älter als die beeinflussung der Helgisage durch die Hilde-
sage ist; sodann, dass die erzählung von Helgis tod sich aus den
dementen, die aus der Hildesage stammen — HQgnis tod durch Helgi
— spontan entwickelt haben kann, und dass hier wenigstens an den
einfluss einer dritten quelle neben der alten Helgisage und der Hilde-
sage nicht zu denken ist. Bevor wir unsere weiteren Schlüsse ziehen,
wird es not tun, meine eigenen frühereu ausführungen (Beitr. 22, 381)
etwas näher zu betrachten.
Ich habe dort zwischen Helgis liebesgeschichte in den liedern
und in den prosaquellen einen Zusammenhang gesucht. Und zwar habe
ich folgende stufen unterschieden:
1. Helgi raubt (Jlof und später ihre tochter Yrsa. Helgi und
Yrsa lieben einander sehr. Yrsa verlässt Helgi und heiratet Abils. Helgi
kommt auf einem wikingzug um.
2. Holgis tod wird als eine folge des rauhes dargestellt. AÖils
tötet Helgi (Hr.'.lfs s. kr.j.
3. Helgis tocl wird mit Hgbbrodds tod in Verbindung gebracht
(Saxo, wo HQÖbroddr Aöils' vater ist).
4. Also besteht auch ein Zusammenhang zwischen HoÖbrodds tod
und Yrsas raub. Hobbroddr wird zu Helgis nebenbuhler. So in den
liedern.
5. Ölcjf und Yrsa werden zu einer person (nur in den liedern).
Dadurch wird der von. Helgi begangene incest beseitigt; es besteht für
Helgi keine veranlassung, die frau zu verlassen. Ihr zweiter mann
verschwindet aus der erzählung. Ein brnder, der Helgi tötet, tritt an
die stelle.
Zur zeit verhalte ich mich dieser aufstellung gegenüber, wenn
auch nicht geradezu ablehnend, so doch eiuigermassen skeptisch. Nicht
weil darin etwas unmögliches oder unwahrscheinliches vorausgesetzt
wäre, sondern weil die mehrzahl der für die älteren stufen angeführten
Zeugnisse in jüngeren quellen stehen. Es ist nicht unmöglich, dass
ein teil von dem, wofür dort ein hohes alter angenommen wurde, jünger
ist als die berichte des zweiten Helgiliedes. Demgegenüber ist anderer-
seits auch ZU bemerken, dass die anzahl der jüngeren quellen nicht
so gering ist, dass aus ihren berichten sich eine historische reihe nicht
zusammenstellen lässt, und dass es sich auch oben bei der Untersuchung
der fassungen der Hildesage ergeben hat, dass eine jüngere quelle,
namentlich wenn sie, wie ein teil von Saxos berichten anderer herkunft
ist als die übrigen quellen, häufig auf einer älteren stufe der sagen-
bildung stehen geblieben sein kann. Ich gehe auf die frage hier nicht
von neuem ein, sondern ziehe es vor, zunächst den nachweis zu liefern,
dass eine entwicklung wie die oben angegebene den einfluss einer
fremden sage nicht ausschliesst, sondern sogar, um zu stände zu kommen,
eines solchen bedarf.
Nehmen wir also an, dass die a. a. o. von mir aufgestellte dar-
stellung der entwicklung der Helgisage das richtige trifft. In diesem
falle war Helgis tod zwar einerseits mit dem raube der Yrsa, andererseits
mit HoÖbrodds tod in Verbindung gebracht worden , aber ein Verhältnis
HQÖbrodds zu Yrsa-Sigrün kennt keine der prosaquellen. Ein solches
kommt erst in den liedern, die unter dem einfluss der Hildesage stehen,
zustande. Ebenso verhält es sich mit Helgis tod. Die prosaquellen
wissen allerdings, dass dieser mit dem raube der Yrsa in irgend einer
weise zusammenhängt, aber da Yrsa keinen vater hatte, den Helgi
töten konnte — er war ja selber ihr vater — wurde er von AÖils,
den eine quelle (Saxo) HoÖbrodds söhn nennt, getötet. Erst in den
liedern, die von der Hildesage becintlusst worden sind, treten ein
UNTEESUCIIUNGEN l'BEK UIK IIILUKSADK 39
vater und ein bruder der trau auf, der seinen vater rächt. Diese beiden
gestalten, der nebenbuhJer Helgis und der söhn ÜQgnis, der den vater
rcächt, gehören also zu dem teil der Helgisage, der aus der Hildesage
stammt.
Leugnet man einen Zusammenhang mit der liebesgeschichte der
prosaquellen, oder nimmt man an, dass in diesen höchstens nachklänge
der sage, wie sie in den liedern überliefert ist, enthalten sind, so hat
das, "svas eben bemerkt wurde, in demselben oder in noch höherem
grade giltigkeit, denn in diesem fall ist nicht eine ältere liebesgeschichte
unter dem einlluss der Hildesage umgebildet worden, sondern die ganze
liebesgeschichte stammt dann aus der Hildesage oder ist eine Weiter-
bildung von dieser.
AVir können die züge, die aus der Hildesage stammen oder auf
einer fortbildung von elementen der Hildesage beruhen, in zwei grujjpen
teilen, nämlich solchen, die aus anderen Versionen der Hildesage be-
kannt sind, und solchen, die zwar aus diesem materiale entwickelt
worden sind, aber noch nicht als elemente der Hildesage erkannt
Avurden. Zu jener gruppe gehört das hauptthema: Helgi nimmt Sigrun
gegen den willen ihres vaters zur frau, und er tötet den vater. Eine
interessante Übereinstimmung mit Saxo H besteht auch darin, dass
Sigri'in (H. Hu. 11,15) behauptet, sie habe Helgi geliebt, ehe sie ihn
gesehen hatte. Diese züge sind ohne weiteres der Hildesage zuzuweisen.
Die zweite gruppe bilden Helgis nebenbuhler und HQgnis söhn,
der den vater rächt. Dass diese züge sich weder aus der liebes-
geschichte, Avie sie die prosaquellen erzählen, noch aus ferner abliegen-
den quellen wie die Sigurd- oder die Wolfdietrichdichtung erklären
lassen, hat sich schon ergeben. Sie sind aus dem aus der Hildesage
stammenden materiale ganz folgerichtig entwickelt. Der nebenbuhler
ist aus dem raub, der söhn, der den vater rächt, aus dem tode des
vaters entwickelt. Es erhebt sich nur die chronologische frage: ist das
vor oder nach der beeinflussung der Helgisage durch die Hildesago
geschehen? Im ersteren fall muss man sagen: auch der nebenbuhler
und der rächer stammen aus der Hildesage. Im zweiten fall müsste
man sie, obgleich als eine ausschliessliche consequenz der Hildesage,
doch als gestalten der Helgisage betrachten. A priori ist das eine so
gut möglich wie das andere. Die antwort auf die frage kann auch die
Helgisage allein nicht geben. Doch gibt es ein mittel, ihr näher zu
treten. "Wie der raub des mädchens und die tötung des vaters als aus
der Hildesage aufgenommen dadurch erwiesen werden, dass diese dinge
in l)ekannten fassungen dieser sage widerkehren, so würden auch der
40 BOEK
nebenbuhler und der söhn, der den vater rächt, durch eine version der
Hildesage, die dieselben gestalten enthielt, als gestalten der Hildesage, die
also älter als die beeinflussung der Helgisage durch die Hildesage wären,
erwiesen werden. Solche Versionen nun sind tatsächlich vorhanden; wir
werden sie §§ 8. 1 1 ausführlich besprechen. Hier müssen wir die tatsache
vorwegnehmen, um zu unserem schon angedeuteten schluss zu gelangen.
Versuchen wir jetzt zu bestimmen, welche entwicklungsstufe die
Hildesage erreicht hatte, als jene version, der wir in der Helgisage be-
gegnen, sich von ihr abzweigte. Dass SH2 erreicht war, geht daraus her-
vor, dass die starke liebe des jungen paares die Ursache der Verwicklungen
ist. Es Avurde schon bemerkt, dass die strophe der HHuH, die von
Sigrüns liebe, noch ehe sie Helgi gesehen hatte, handelt, in Saxo II
fast wörtlich widerkehrt. Nach allem, was wir jetzt wissen, ist gewiss
kein grund vorhanden, diesen Zusammenhang mit Panzer (s. 173) zu
leugnen. Dass dieser zug aus SH2 stammt, wird auch durch die fol-
gende erwägung bestätigt. Wenn die liebesgeschichte der Helgidichtuug
mit der der prosaquellen nicht zusammenhängt, so beruht, wie oben
gezeigt wurde, die ganze erzählung auf der Hildesage. Besteht aber
ein Zusammenhang, so muss dieser zug erst recht aus der Hildesage
stammen, denn bei Yrsa ist er unmöglich, da Yrsa von Helgi nie ge-
hört hatte, ehe sie ihn sah. Freilich liebt auch Yrsa Helgi sehr; und
das kann ein anknüpfungspunkt für die Hildesage gewesen sein, aber
die liebe, bevor sie ihn gesehen hatte, sowie der umstand, dass sie ihm
freiwillig folgt, sind züge aus SH2. '
Wir fragen w^eiter, ob die sage das HjaÖningavig schon auf-
genommen hatte. Bei der beantwortung dieser frage muss H.Hu. II, 29
für sich betrachtet werden. Darauf, dass diese strophe in einem
andern metrum als die übrigen gedichtet ist, lege ich keinen grossen
wert, da es nicht feststeht, dass die Verbindung mehrerer metra in
einem gedichte absolut verpönt w-ar. Aber das, worauf es ankommt,
ist, dass die strophe wenigstens davon, dass Sigrün die toten erweckt,
nichts weiss. Wenn die erklärung von kjösa in Sigrüns werten:
Lifna miinda ck Ijäm er libnir erti ok knättak pö per i fahmi
felax als 'zaubern' das richtige trifft, so enthält die strophe aller-
dings eine reminiscenz an das HjaÖningael, und zwar an eine Aveit
1) Dass solche liebo in mittelalterlichen erzählungen öfter begegnet, lässt sich
gegen den Zusammenhang unserer quellen natürlich nicht anführen, da diese liebe
nicht ein alleinstehender zug ist, der etwa in zwei ganz verschiedenen erzählungen
zufällig aufträte, sondern an genau derselben stelle in orz.älilungen , die sich zug für
zug entsprechen.
UNTKIfSUCIlL'NGEX t'BK.K lilK U1LL)ESAG15 41
fortgeschrittene form dieses motivs, in der Hildr die toten erweckt, also
wenigstens SH4, aber sie überliefert diese reminiscenz als einen teil
der Hildesage, keinesw^egs als einen integrierenden bestandteil der Helgi-
sage. Sigrün sagt dann, dass sie unter einer gewissen bedingung die toten
erwecken würde, aber sie tut es nicht, und sie sagt es in ihrer ant-
wort darauf, dass Helgi sie der Hildr verglichen hat. Die strophe
enthält demnach — vorausgesetzt, dass hjosa hier 'zaubern' bedeutet —
eine anspielung auf die Hildesage, die dieser dichter als eine andere
sage betrachtet; sie kann uns also nicht darüber belehren, welches
Stadium der Hildesage unsere sage selber repräsentiert. Diese anspielung
kann ihren grund in einem mehr oder weniger klaren bewusstsein
haben, dass im gründe der stoff beider sagen derselbe ist, aber sie
erklärt sich doch eher aus der ähnlichkeit der beiden erzählungen, die
zwar in ihrem gemeinsamen Ursprünge wurzelt, dessen der dichter
jedoch sich nicht bewusst gewesen zu sein braucht.
Übrigens scheint es mir doch sehr zweifelhaft, ob die Übersetzung
'zaubern' für Ijösa die richtige ist. lijosa kann diese bedeutung
haben, aber diese bedeutung ist die seltnere. Und welcher sinn käme
dabei heraus? Dass Sigrün zaubern kann, wird nirgends gesagt, noch
besteht ein grund, das zu vermuten; wie kann sie also sagen: 'ich
würde die toten widererwecken, wenn ich trotzdem in deinen armen
liegen könnte'? Wenn noch dastände: 'ich würde wünschen, sie zu
erwecken' usw., so wäre das verständlich. Wenn aber Ljusa 'zaubern'
ist, so kommt der begriff des wünschens nicht zum ausdruck. Sigrün
weiss, dass, wenn die toten auferständen, sie nicht in Helgis armen
liegen würde, und darum wünscht sie auch nicht, dass sie auferstehen.
Also bedeutet hjusa 'wünschen' und Sigj'ün sagt: 'ich würde w^ünschen,
dass sie noch (oder wider) lebten, wenn nicht die einzige bedingung,
unter der das denkbar wäre,^ für mich schlimmer Aväre als ihr tod'.
Wenn wir die stelle so verstehen, so enthält nur z. 2.: Hildr Itefr Jnl
oss verit eine schwache anspielung auf die Hildesage; über das Hjab-
ningael sagt die strophe in diesem fall nichts aus.
Wollen wir wissen, ob das HjaÖningael aufgenonuncn war, als
die Überlieferung der Helgisage sich abzweigte, so müssen wir den
blick auf den schluss der erzählung richten. Eine kühne kritik würde
in Helgis durch Sigrüns tränen bewirkter wüderkehr eine reminiscenz
daran erblicken und diesen zug mit Saxos bericht, dass Hildr aus liebe
zu ihrem gemahl die toten anferweckt, verbinden. Aber weiter als bis
zu einer vci-inutung würde nuin auf diesem wege nicht gelangen. Und
dorn .steht ein wichtiges moment, das in umgekehrter riclituiig weist,
42 BOKR
gegenüber. Das Hjabningael setzt voraus, dass beide beiden, Schwieger-
vater und Schwiegersohn, in dem gewaltigen kämpfe das leben einbüssen.
Aber in der Helgisage fällt nur der Schwiegervater; der Schwiegersohn
wird erst später durch seinen schwager getötet. Nun wird das eine
ünderung sein. Aber diese änderung war leichter ins werk zu setzen,
wenn das Hjabningael nicht angehängt war, als im umgekehrten fall.
Jedesfalls müsste bei dieser neuerung jede erinnerung daran entfernt
worden seih. Aber wozu soll man denn annehmen, dass es in der
quelle vorhanden war? Als eine zutat haben wir es § 2 erkannt. Stossen
wir also auf eine Überlieferung ohne Hjabningael, so ist die natürlichste
erklärung dafür die, dass sie es nicht verloren, sondern es niemals
gekannt hat. Diese erklärung, die schon aus allgemeinen gründen die
wahrscheinlichste ist, wird ferner durch andere Versionen der sage, in
denen gleichfalls der vater fällt oder wenigstens besiegt wird, der räuber
aber siegt, und wo wie in der Helgisage kein Hjabningael folgt, be-
stätigt (§§ Sfgg.).
Eine reminiscenz an eine darstellung des heftigen kampfes, dessen
blinde wut zu der Vorstellung von dem Hjabningael führte, kann aber
die mitteilung HHu H, 27 sein, Starkabs rümpf habe noch gekämpft,
nachdem der köpf davon abgetrennt war (vgl. oben s. 7). ^
Wir gelangen zu dem Schlüsse, dass die version der Hildesage,
die in die Helgisage aufgenommen war, direct von SH2 stammt. Die
stufe SH3 war noch nicht erreicht. Sigrüns walkürennatur lässt sich
also Hilds walkürennatur nicht gleichsetzen. Es sind auch wichtige
unterschiede vorhanden. Hilds walkürennatur entwickelt sich, wie § 2
gezeigt wurde, aus ihrem Verhältnis zum Hjabningavig, die der Sigrün
aus ihrem Verhältnis zu Helgi. Sigrün ist Helgis walküre wie Sväva
die des Helgi HJQrvarbsson. Hildr hingegen wird zur walküre pur
sang, die aus lust am kämpfe die kämpfer aufstachelt.
Die erzählung von Helgis rückkehr aus dem grabe wird jünger
sein. Ich gehe hier nicht auf ihre Verwandtschaftsverhältnisse ein; nur
ihre Stellung innerhalb der Helgisage interessiert uns in diesem Zu-
sammenhang. Darüber lässt sich sagen, dass sie eine folge von Sigrüns
klagen ist, die ihrerseits an Helgis tod anknüpfen. Es ist nun wol
1) Von StarkaÖr wird übrigens in anderen quellen ühnlielies berichtet. Der von
dem rümpf getrennte köpf beisst sich in das gras fest, Saxo (Holder) s. 274. Das
motiv ist übrigens nicht auf StarkaÖr, sogar nicht auf das germanische altertum be-
schränkt. Beispielsweise führe ich eine stelle aus dem Paücatantra (Bombay 1873,
I, 101, 15) an, wo es heisst: präyo mastakanufe samaramukhe nrtyati liabandhah
(oft tanzt der ruin])f in der vorderen schlachtreihe, nachdem der köpf abgeschlagen
worden ist).
UNTERSUCHUNGEN ÜBKß DIE IIILDESAOK 43
möglich, diiss das alles von einem dichter ersonnen ist, aber der rci^el
nach geht die fortbildung der Überlieferung nicht so schnell. Dieser
aiiffassung' entspricht es, dass wir unten mit der Helgisage nahe ver-
wandten aber von ihr unabhängigen Versionen der sage begegnen werden,
die zwar die räche des sohnes an dem mörder des vaters, aber nicht
die rückkehr des beiden aus dem grabe kennen.
Dass die Helgisage von der zweitägigen dauer des kamptes nichts
mehr weiss, fällt bei den änderungen des Schlusses nicht auf. Übrigens
finden sich eben in allem, was mit den kämpfen zusammenhängt, die
meisten reminiscenzen an die alte nicht mit der Hildesage contaminierte
Helgisage. Die kämpf beschreibung ist nicht die der Hildesage, sondern
die der alten Helgisage.
Ich nenne die in der Helgisage vorliegende recension der Hilde-
sage // und versuche, die verschiedenen stufen von H in den Stamm-
baum der Hildesage einzureihen. Wir finden folgende reihe:
//1 = SH2.^
H2: Der Schwiegersohn trägt im kämpfe den sieg davon und
behält die frau. Ein uebenbuhler des räubers, der gleichfalls erschlagen
wird, wird eingeführt.
NB. Diese beiden züge lassen sich als i72a und J?2b unter-
scheiden. Über ihr chronologisches Verhältnis, das aus der Helgidichtung
nicht klar wird, vgl. § 7.
H'd: Der söhn rächt den vater.
//4 (wol nicht mehr Hildesage, sondern bloss Helgisage): rückkehr
des beiden aus dem grabe.
§ 7. Die Waltheisaue.
in betracht kommen 1. die Walderefragmente, 2. die polnische
Version, 3. die erzählung der, PiÖreks saga, 4. der Waltharius, 5. die
mittelhochdeutschen fragmente. Für die frage, die uns beschäftigt, von
keinem wert ist das Chronicon Novaliciense, das eine fremde erzählung
an Walther knüpft.
Heinzel hat im 117. bände der Wiener Sitzungsberichte ausführ-
lich über die Walthersage gehandelt. Das hauptverdienst dieser abhand-
lung besteht m. e. darin, dass der Verfasser die polnische version all-,
gemein zugänglich gemacht hat. Ich mache hier einen dankbaren ge-
brauch von Heinzeis mitteilungen. Aber sowol die Interpretation schwie-
riger stellen wie die allgemeine auffassung der sage scheint mir unter dem
banne vorgofasster und unrichtiger voiaussetzungen zu stehen. Ich werde
im folgenden mehrfach gelegenheit hahcn, dieses urteil zu rechtfertigen.
44 BOEK
Wir fangen mit der bcsprechung einiger stellen in den Waldere-
fragmenten an.
Heinzel glaubt im gegensatz zu den früheren erklärern, dass das
erste fragment worte Hagens enthalte, und dass dieser Walderes freund
sei und ihm beistehe. Dass nicht Hildegunde die redende person sein
könne, schhesst er aus folgenden erwägungen: I, 12fgg. ist die rede
von kämpfen, in denen die person, die hier spricht, Waldere nicht hat
fliehen sehen. Das können, so meint Heinzel, nicht früher mitgeteilte
kämpfe mit den Verfolgern sein. Also sind es andere kämpfe. Aber
dann kann Hildegunde nicht dabei zugegen gewesen sein. Also redet
ein krieger.
Weshalb nicht kämpfe mit den Verfolgern gemeint sein können,
ist nicht zu ersehen. Zwar glaubt Heinzel, dass, da Günther allein
übrig sei, nicht kämpfe gegen mehrere gleichzeitige angreifer schon er-
zählt worden sein können. Aber dass Günther allein übrig ist, steht
nirgends; und auch wenn das der fall wäre, so würde daraus mit
nichten folgen, dass Waldere nicht schon gegen eine Übermacht gekämpft
haben könnte, ja, dass nicht sogar nach einem massenkampfe Hagen
und Günther, nacheinander in einzelkämpfen auftretend, A¥alderes ge-
fährlichste feinde sein könnten. Es ist auch nicht richtig, dass es dafür
kein analogen gebe; in der Äsmundar saga kappabana geschieht das-
selbe; der held kämpft zuerst mit einem Widersacher, dann mit zwei,
und so fort bis zwölf; dann ist nur Hildebrand übrig, und der kämpf
mit diesem einen beiden wird der schwerste.
Andererseits liegt auch gar keine nötigung vor, bei dem z. lo ge-
nannten siveordplega an kämpfe mit den Verfolgern zu denken. Es
kann auch von früheren gefechten die rede sein. Hildegunde kann von
solchen ausführliche nachricht bekommen oder denselben zugesehen
haben, wenn etvva vor den toren einer bürg gekämpft wurde, in der
sie sich aufhielt. Von jenen kämpfen wissen wir überhaupt nichts, und
es ist daher geraten, darüber auch nichts zu behaupten. — Endlich ist
auch noch der möglichkeit zu gedenken, dass der dichter nicht an be-
stimmte gefechte gedacht hat, sondern Hildegunde nur so reden lässt,
weil solche worte zur aufmunterung des beiden nützlich sein können.
Es bedarf also geAviss besserer arguraente, um zu beweisen, dass
das erste fragment nicht worte der Hildegunde enthalten könne.
Was Heinzel weiter dagegen anführt, dass Hildegunde rede, ist
noch weniger stichhaltig. S. 6 heisst es, es könne von den unmittelbar
vorhergehenden kämpfen nicht die rede sein, da Waldere selbst sehr
gut wisse, was dabei vorgefallen sei. Wenn das ein grund wäre, Aves-
UNTRI^SüCHTrNfiKX ÜREi; ME Ill^nKSAOK 45
lialb es nicht erlaubt sein soll, davon zu reden, so nui&sto tlasselbe ]ür
frühere kämpfe Walderes gelten. Oder weiss er etwa niciit, wie er
früher gekämpft hat? Und warum nicht Hildegundc, wol aber ein freund
ihn ^l^tlnn ordwiga nennen kann, ist auch nicht zu verstehen. Ent-
weder ist diese bezeichnung eine ehrenvolle — in diesem falle steht es
auch Hildegunde zu, sie anznwenden — oder sie ist es nicht — dann
wird auch ein freund den beiden so nicht benennen.
Aber dafür, dass die person, die das wort führt, Hildegunde ist,
zeugt die besorgnis für Walderes leben, die z. 19 zu worte kommt, ob-
gleich sie im übrigen ihn anfeuert, was mit dieser besorgnis nicht in
Widerspruch ist, da im vorliegenden fall seine rettung ganz von seiner
kampftüchtigkeit abhängt. Ferner z. 25 die Avorte tu eoce um- 'uns
beiden zur hilfe'. Der dual ist sehr schlecht am platze, wenn eine
dritte person, die doch nur eine nebenperson sein kann, redet. Denn
dass Hildegunde zugegen ist, muss man doch wol annehmen. Endlich
fällt auch das Zeugnis aller übrigen Überlieferungen, die auf Walthers
Seite allein Hildegunde, keinen fremden helfer kennen, ins gewicht.
Dass die person, die in dem fragmente das wert führt, unter
keinen umständen Hagen sein kann, scheint mir sonnenklar. Dagegen
zeugen alle Überlieferungen, nicht nur der Walthersage, die, wo Hagen
und Günther zusammen auftreten, ohne ausnähme die beiden beiden
auf dieselbe seite, niemals einander gegenüberstellen. Ferner ist zu
erwägen, dass wenn das fragment worte Hagens enthielte, aus den eben
angeführten werten I, 25 hervorgehen würde, dass er von anfang an
öffentlich auf Walderes seite gegen Günther und die seinen gekämpft
hätte. Aber dem widersprechen H, 14fgg. aufs deutlichste. Wie könnte
Günther glauben, Hagen habe mit Waldere gekämpft und ihn kampf-
unfähig gemacht, wenn er Waldere und Hagen zusanmien angegriffen
hätte? Freilich stellt Heinzel sich Hagen im Widerspruch mit seiner
auffassung von I, 25 als einen Überläufer vor. Aber wenn Günther
Hagen in den kämpf gesandt hat, wie muss er es sich dann erklären,
dass dieser nicht zu ihm zurückkehrt? Er konnte wenigstens daraus
den schluss ziehen, dass Hagen Waldere nicht oder nicht völlig be-
siegt hatte, und er wird sich selbst nicht zum kämpfe angeschickt
haben, bevor er wenigstens vernommen hatte, was aus Hagen ge-
worden war.
Auch Heinzeis Interpretation von II, 14fgg.: hivoit, ^// hurii iven-
flest, vine Hinijcwht , licet ine IltujoHni liand liikJe t/rfrctnede mul gc-
twcemde ß^ciriges (so ist statt frheiviggcs zu lesen), kann ich keineswegs
beipflichten. Das soll bedeuten: 'er hat mich nicht einmal bekämpft'.
4G üOKi;
AVas geschehen ist, steht in diesen werten gar nicht; es steht nur da,
was nach Walderes Vermutung Günther glaubt, dass geschehen sei. Er
glaubt, Hagen habe mit Waldere gekämpft und ihn zum weiteren
kämpfe unfähig gemacht. Dass es nur die letzten werte (and (jetivcEmfle
fehriulges) sind, auf die es ankommt, und die Waldere verneint, geht
aus dem was unmittelbar folgt, so klar wie möglich hervor: fein, gyf
h/i dyrre, cet piis hrahincaigcm häre byrmin, 'hole dir, wenn du es
wagst, die brünne des (wie du glaubst) durch den kämpf erschöpften
mannest Also leugnet Waldere, dass er nicht im stände sein sollte,
sich gegen Günther zu wehren. Die copulative Verbindung and ge-
tiummde kann also nur als eine consecutive verstanden werden, und
Waldere meint: 'du glaubst, der kämpf mit Hagen, den wir eben aus-
gefochten haben, habe mich erschöpft'. — Davon, dass Hagen Waldere
besiegt haben sollte (Müllenhoff u. a.), ist gar nicht die rede, und auch
Günther hat das nicht geglaubt, wie Heinzel annimmt, sondern Günther
hat gehofft, die besiegung Walderes werde nach dem kämpfe mit Hagen
für ihn ein leichtes sein^
Was Heinzel zu seiner hypothese, Hagen stehe auf Walderes seite,
verführt hat, sind, wenn wir vorläufig von seinen sagenhistorischen
Voraussetzungen absehen, die stellen, die von dem Schwerte Mimming
handeln. Wenn Hagen ein Überläufer ist, so kann er das seh wert mit-
gebracht haben; so erklärt Heinzel es, dass Günther glaubt, es liege
wolverwahrt in einer kiste in seinem hause, während es tatsächlich sich
in Walderes band befindet. Aber auch das ist eine hypothese, die die
meinung, Hagen sei im ersten fragment der redende, nicht stützen kann,
sondern der stütze dieses fragmentes dringend bedürfen würde, wenn
die andere annähme bewiesen wäre. Die geschichte des Schwertes aber
lässt sich auf eine andere weise weit einfacher erklären (s. unten s. 55).
I, 19. n, 13 iiietod , grijje verstehe ich mit Heinzel als 'tod' und
'kostbarkeit' (an. gripr).
n, 22 b — 24: heo (der hämisch) hi^ fäh wih me, ponne . . . un-
lua'gas eft ongynnah, mecum gemetah, sivd ge 7ne dydon. Z. 23 be-
deutet nicht: 'wenn ich ihn noch lange im kämpf gegen fremde tragen
muss' (Heinzel s. 11). Denn 1. ist eft nicht 'lange', sondern 'von neuem'.
2. die bedeutung von uniiuegas lässt sich durch einen hinweis auf das
adjectivum immcage nicht bestimmen. Denn un- mit einem adjectiv
1) Eine reminiscenz daran, die das alter der Walderestelle verbürgt, findet
sich Waltharius 722, wo Günther nach der besiegung Sabramunds sagt, man müsse
"Walther sofort wider angreifen und nicht abwarten, dass er zu atem kommo (agcirc-
dümmr eun> nee rcsjnrare sinamus, doncc depeiem^ lassescat).
UNTEKSUCIITTNGKX VRKK" DTE mLDi;SAi;K 47
componiert bedeutet nicJit notwendic; dasselbe wie in der Zusammen-
setzung mit dem correspondierenden Substantiv, vgl. 'unmenscli' mit
' unmenschlich \ 'untat' mit 'untätig'; nn- aber in unma'gas z. 23
ist stark betont. 8. die Übersetzung 'gegen fremde' ist sehr dürftig.
Wenn Günther und Hagen fremde sind, so braucht Waldere das nicht
zu betonen; zwischen feinden ist das das natürliche Verhältnis. Hin-
gegen hat Waldere sehr viel grund, auf eine Verwandtschaft, wenn eine
solche bestehen sollte, den nachdruck zu legen und die incpgas, die
ihn angreifen, als böse verwandte (immregas) zu bezeichnen. Und
ongijnnah, mecum gemeint bedeutet nicht 'ich muss kämpfen', sondern:
'(die bösen verw-andten) greifen mich an'. Nur so versteht man auch
sivd gc me dydon, was ein heftiger Vorwurf ist, wenn Günther und
Hagen Walderes verwandte sind, im entgegengesetzten falle aber eine
müssige bemerkung. Wir müssen also schliessen, dass wenigstens der
text für diese Verwandtschaft spricht; ob die sagengeschichto sie be-
stätigt, wrd sich unten ergeben.
Über I, 6 J^tlaii onhuuia s. unten.
Dass die Walthersage eine Variante oder eine widerholung der
Hildesage ist, haben schon mehrere forscher vermutet (s. die litteratur
bei Sijmons, Heldensage- 705). Panzer leugnet es, ohne sich auf eine
Aviderlegung einzulassen. Heinzel hingegen hat seine abweichende an-
sieht ausführlich begründet. Leider kann ich mir nichts davon an-
eignen. Folgende einwendungen mögen an dieser stelle genügen. Heinzel
geht von seiner identificierung Hagens mit Aötius als von einer be-
wiesenen tatsache aus. Diese identificierung aber ist, soviel ich weiss,
von niemand acceptiert worden, und auch ich muss sie ablehnen. Zur
begründung dieser ansieht verweise ich auf meine Untersuchungen über
die Nibelungensage. Ferner nimmt Heinzel als ausgemacht an, dass
die flucht des jungen paares von anfang an von dem Hunnenlande aus-
geht. Aber die quellen stimmen in diesem punkte nicht überein; die
polnische version bietet bestimmt andere angaben, und wie der dichter
der Walderefragmente sich die sache vorstellte, lässt sich nicht ohne
w'eiteres entsclieiden ; hier bedarf es also einer näheren Untersuchung.
Die historischen anknüptüngen Heinzeis sind schw^ach und wenig über-,
zeugend. Er führt eine reihe von ereignissen au, die mit cinzelheiten
der Walthersage eine entfernte ähnlichkeit haben, aber nicht nur wird
ein einziger zug der Walthersage mit mehreren verschiedenen berichten
der geschiehte verglichen, sondern Heinzel versäumt es auch, zu er-
klären, wie die verschiedenen sagenzüge sich v.w ohw /usaninicnhängon-
48 BOEI>'
den ci'zählung verbunden haben. Die einzehien ereignisse aber, die für
constituierende demente der Walthersage erklärt werden, sind solche,
die jeden augenblick geschehen können (der römische kaiser weigert
sich, dem Attila goldene gefässe und einen Wechsler auszuliefern; Attila
wünscht für seinen secretär die band einer frau, diese aber wird von
einem oströmischen officier entführt; in demselben jähre wird dem
Hunnenkönige eine gefangene — verheiratete — frau entführt usw.);
menschhch sind solche begebenheiten ; an und für sich steht nichts der
möglichkeit im wege, dass ein solches ereignis eine sage oder eine
dichtung von einer entführung hervorgerufen habe, aber ein grund,
gerade in einem dieser vorfalle den historischen hintergrund der "Walther-
sage zu suchen, ist nicht zu ersehen. Heinzel selber führt s. 67 eine
reihe parallelen an, die unserer erzählung weit näher stehen als die
historischen begebenheiten, aus denen er die sage abzuleiten versucht.
Die geschichte der Walthersage muss in erster Knie aus den quellen
selbst abgelesen werden. Ihr gegenseitiges Verhältnis ist zu bestimmen;
erst dann kann es sich ergeben, was alt ist und was jede quelle selb-
ständig hinzugefügt hat. Die beste gewähr aber hat das, worüber alle
quellen einig sind. Das beweist schon, dass die Verfolgung durch
Hagen, die überall, auch in den quellen, die die Verfolgung von dem
Hunnenlande ausgehen lassen, entweder direct erzählt wird oder noch
durchblickt, von weit grösserer bedeutung ist, als Walthers Verhältnis
zu Attila. Die fragestellung sollte demnach nicht lauten: 'wie kommt
es, dass zuerst die Hunnen, später die Burgunden die Verfolger sind?'
— denn 'zuerst' und 'später' beruhen auf einer anticipierung, sondern:
'wie kommt es, dass Hagen dem entflohenen paare bald vom Hunnen-
lande, bald von Worms aus nachsetzt?'
Während nun die geschichte des Hunnenreiches nur einzelne sehr
unsichere punkte der. vergleich ung darbietet, besteht neben der Walther-
sage eine andere sage, mit der sie in ihrer ganzen structur sowie in
vielen einzelheiten sehr nahe übereinstimmt. Die ältesten quellen der
beiden sagen (Walthersage und Hildesage) stammen aus nahe beieinander
gelegenen gegenden, während das Hunnenland der geschichte weit ab-
liegt. Der Zusammenhang ist so augenscheinlich, dass auch Heinzel
sich genötigt sieht, eine starke secundäre beeinflussung der Walthersage
durch die Hildesage anzuerkennen; als ausgangspunkt für jene will er
von dieser nur darum nichts wissen, weil er den supponierten Zusammen-
hang mit jenen historischen datis nicht aufgeben kann. Wir haben also
guten grund, die frage, ob die Walthersage aus der Hildesage abge-
leitet werden kann und muss, von neuem ernsthaft zu prüfen.
ÜNTERSUCHUNGKN ÜBER DIE TFILllESAGK 49
Doch hat noch eine weitere erwägung Heinzel davon abgehalten,
die identität der beiden sagen anzuerkennen. Die Walthersage ist nach
ihm rein menschlich, während er, darin der alten auffassiing huldigend,
die Hildesage für mythisch ansieht. Hier repräsentiert Heinzel ein über-
gangsstadium. Die alte schule suchte in der Hiidesage einen mythus,
und sie sträubte sich auch nicht, die Walthersage für eine Weiterbildung
der 'mythischen' Hildesage zu erklären. Heinzel fällt das rein mensch-
liche an der Walthersage auf; er entschliesst sich zur trennung dieser
sage von jener. Die heutige forsch ung tut einen weiteren schritt: sie
gelangt zu der einsieht, dass das, was an der Hildesage mythisch ist,
jüngere zutaten einer bestimmten gruppe von Versionen sind, und sie
verbindet die beiden sagen von neuem miteinander — diesmal auf der
menschlichen seite.
Allerdings wird in dieser letzten behauptung das resultat der
folgenden seifen vorweggenommen. Wir machen die probe nach der
folgenden methode. Es wird zu untersuchen sein, ob sich aus in den
quellen der Walthersage erhaltenen zügen eine bekannte redaction der
Hildesage zusammenstellen lässt, und ferner, ob, wenn man von der
auf diese weise construierten urform ausgeht, die weitere entwicklung
der sage, wie sie in den einzelnen quellen vorliegt, sich natürlich und
einfach erklären lässt. Die mittelhochdeutschen fragmente werden zu
der Untersuchung nur wenig beisteuern können, sie kommen am besten
am schluss dieses abschnittes zur spräche.
1. Hagen ist ein könig der Franken. Dass er ein Franke ist,
bezeugt der Waltharius, ebenso die ^iöreks saga, die ihn von dem
Nibelungenfürsten nicht unterscheidet. Als könig wird er in der er-
haltenen Überlieferung der Walthersage nicht mehr genannt. Das hat
darin seinen grund, dass die deutschen quellen hier wie in der Nibe-
lungensage Günther zum könige erheben. Es wird sich aber unten
zeigen, dass der angelsächsische dichter Hagen noch als den könig auf-
gefasst zu haben scheint. Einen deutlichen hin weis auf seine ursprüng-
liche Stellung enthält der folgende zug.
2. Die frau, die später geraubt wird, ist seine tochter. Die pol-
nische Version weiss noch, dass Helgunda eine fränkische königs-
tochter ist. Und Walther schilt Hagen und Günther 'böse verwandten'
(unmcegas), s. oben s. 46fg. 'Verwandt' sind sie ihm nur infolge seines
Verhältnisses zu Hildogunde.
8. Walther tritt auf. AVie und wo er Hildegunde zuei.st zu gesicht
bekommt, geht aus der Überlieferung nicht mit völliger Sicherheit horv(.)r;
die begegnung in der gefangenschaft (Waltharius und PS) l)eruht auf
ZEITSCHRIFT f. DEUTSCHE PHILOLOGIE. üü. XL. l
50 BOER
einer Umbildung; die entsprechende stelle des Waldere ist verloren. Die
polnische version erzählt jedoch von einem aufenthalte Walthers am
hofe des vaters, und das wird ein alter zug sein, obgleich die darstellung
im einzelnen verwirrt ist.
4. Yon dem ersten augenblicke an, wo Hildegunde Walther er-
blickt, liebt sie ihn über alle weit (PS)^ Statt dessen findet der Wal-
tharius heraus, sie sei ihm früher verlobt gewesen.
5. Walther entführt Hildegunde.
6. Die älteren quellen sind darüber einig, dass die jungen leute
schätze mit sich führen. Direct findet sich diese aussage nicht nur in
der J'iöreks saga and im Waltharius, sondern auch eine stelle des Waldere,
die oben schon berührt wurde, lässt sich daraus verstehen. Zu den
kostbarkeiten, die Hildegunde mit sich führt, gehört das schwert, das
sie im ersten fragment Waldere darbietet als ersatz für das schwert,
das er im kämpfe mit Hagen zerbrochen hat 2. Das neue schwert ist
besser als das verlorene (nid6ma cyst); nach I, 2 — 3 ist es Mimming-l
Wenn Hildegunde dann sagt: hy (damit) hu Oühhere scealt beot for-
blgan, hces he he bds headuive ongan mid unryhte cerest secan. forsöc
he häm sivurde and J)äm syncfatum , beaga menigo, so ist es ferner
klar, dass auch hier von Mimming, nicht, wie Heinzel glaubt, von
diesem oder jenem unbekannten Schwerte, oder gar von Walthers eigener
zerbrochener klinge die rede ist. forsoc aber bedeutet hier 'er hat ver-
loren', — dadurch, dass Hildegunde es ihm entwendet hat. Hier finden
wir nun auch die schätze und die menge der ringe, die Günther zu-
1) C. 242: Pa var ec .iiii. uetra gomul. er ec sa ßic et fijrsta sitini, ok
Unna ec per pagar sua rnikit, at cengiim lut i rerolldu meira, oc fara vil ec mecf
per, Jxingat er ßu villt. — Kürzer sagt c. 241 : Pessir enir ungu menn unnu% mikit.
2) Nur so lässt sich die stelle verstehen. Wenn Hildegunde sagt: ne murn
3u for Si mi'ce, so muss er ein schwert verloren haben, und zwar in dem unmittel-
bar vorhergehenden ianipfc; dieser aber ist nach II, 14 der kämpf mit Hagen. Der
Waltharius bewahrt daran 1374 eine reminiscenz; auch hier zerbricht das schwert in
dem kämpf mit Hagen, — woran Heinzel stillschweigend vorübergeht. Dass es aber
Hildegunde ist, die ihm ein neues schwert verschafft, weiss das lateinische gedieht
nicht mehr.
3) Dieser name und die mitteilung, dass es Wclandes geweorc ist, zeugen für
bekanntscbaft mit der sage von Wielands erziehung bei zwergen. Im gegebenen Zu-
sammenhang sollen die namen nur die treffliche qualität des Schwertes illustrieren;
dass es ein besonderes Verhängnis dieses .Schwertes gewesen sei, gestohlen zu werden,
wie Heinzel glaubt, lässt sich nicht beweisen und hat auf keinen fall für imsere sage be-
deutung, da der raub des schwertos hier mit dem der übiigen schätze zusammenhängt
und also einen ganz anderen Ursprung hat. Für das alter dieser mitteiiungen spricht
eine reminiscenz im Waltharius; hier ist (z. 965) Walthers brünne Wielands arbeit.
UNTERSUCIIUNGEX l'RKR MF. HII.DESAOF. 51
gleich mit dem scbwerte verloren hat. Diese stelle aber beweist un-
widerleglich, was schon sub 2 ausgeführt wurde, dass die flucht tat-
sächlich von dem orte ausgeht, wo Hagen und Günther wohnen. Dabei
wurden Günthers schätze mitgenommen.
Die entwendung der schätze aber findet sich auch in einzelnen
Versionen der Hildesage, namentlich in &H, wo Heöinn ein schifl' ge-
raubt hat.
7. Unmittelbar nach der entfiihrung setzt Hagen dem räuber nach.
Sehr klar ist das in der l^iöreks saga, wo Hagen nicht den vorüber-
ziehenden auflauert, sondern von dem orte auszieht, den die entflohenen
verlassen haben. Aber nach dem oben ausgeführten ist das auch die
Vorstellung des Waldere gewesen. Denn Waldere ist ja von Hagens
Wohnort entflohen. Das geht hervor 1. aus der bezeichnung unmcegas
(s. sub 2), 2. daraus das Hildegunde Günthers schätze entwendet hat
(s. sub 6), B. aus der bezeichnung JEtlan ordwlga I, 6. Waldere ist
also nicht eine geisel, sondern ein kämpfer Attilas^; man muss an-
nehmen, dass nach der darstellung dieser quelle seine heimat bei Attila
ist. Also entführt er Hildegunde aus dem laude Hagens und Günthers
nach Attilas land. Auf diesem wege wird er von Hagen und Günther
eingeholt.
Dem entspricht, dass die polnische version noch weiss, dass die
flucht und die Verfolgung vom Rhein aus in östlicher richtung gehen.
Der Verfolger ist hier nicht mehr der vater (vgl. unten), aber noch findet
der kämpf am Khein, das heisst in der nähe des ortes, von wo die
flucht ausgegangen ist, statt.
8. Die Verfolger holen die entflohenen ein, während sie ausruhen.
So noch im Waltharius. Die erzählung der l^icireks saga hat den zug,
wenn er alt ist — vgl. die ruhe in der Hildesage — verloren; in der
polnischen version lässt sich der durch die begegnung mit einem fähr-
mann veranlasste aufenthalt vergleichen; die stelle ist im Waldere nicht
erhalten.
9. Ehe der kämpf anhebt, wird Walther aufgefordert, das mädchen
(und die schätze, AValtharius) herauszugeben. So im Waltharius und
in der polnischen version. Die stelle im Waldere ist verloren. Wenn
er dazu bereit ist, wird er das leben behalten (Waltharius).-
1) Als ein zeugnis für dio weitere Verbreitung dieser auffassung lässt sicii die
von Heinzel s. 68 citierto stelle der Chanson de Roland anführen, wo Walther Qauti«r
dr l'Huni, de Hums genannt wird. Auch hier ist Walther ein llunne.
2) Im ^Valtharius (018 vgl. 062) bietet Waltlier dem Verfolger gold. Das lässt
sich dem gleichen berichte bei Snorri vergloiclitMi. Wenn ein Zusammenhang besteht,
10. Anfang des kampfes.
11, Hildegundes anblick kräftigt die kämpfer. So in der polni-
schen Version. Man hat darin eine reminiscenz an Hilds walkürennatur
gesehen. Wenn der zug alt ist, so ist diese annähme sehr bedenklich,
da die Vorstellung von walküren, wie sie die altnordische poesie kennt,
gew^iss jünger ist als die anfange der Walthersage. Man hat hier die
wähl zwischen zwei auffassungen. Entweder ist dieser zug der polni-
schen Version aus einer erneuten beeinflussung durch die nordische
form der Hildesage (SH4) zu erklären, oder man hat es hier mit dem
ersten anfang einer Vorstellung zu tun, die im norden zu Hilds wal-
kürennatur geführt hat. Das ist namentlich im hinblick auf die Wal-
derefragmente, wo Hildegunde ihren geliebten anfeuert, das wahrschein-
lichste. Denn zwischen dem zug der fragmente und der polnischen
Version wird ein Zusammenhang bestehen. Darin ist nichts übernatür-
liches. Eine frau, die freiwillig einem krieger gefolgt ist, wird, wenn
sie ihn in gefahr sieht, ihn anfeuern, und dass ihr anblick ihn be-
lebt, ist auch selbstredend. Die polnische version übertreibt die sache
und lässt auch den neben buhler gekräftigt werden. Heldenmütige
frauen kennt das altertum im überfluss. Aber hier konnte die Um-
bildung zu einer walküre einsetzen, namentlich wenn im stoffe andere
data zu einer solchen Umbildung vorhanden Avaren. Der zug bei Ecke-
hart, dass sie in der nacht singt, ist fernzuhalten; es existiert auch
kein grund, diesen sang für ein zauberlied zu erklären, das dazu dient,
tote zu erwecken,
12. Zwei tage währt der kämpf. In der nacht ruhen die ermüdeten
aus. So noch, mit neuer deutung, im Waltharius. Und auch die saga
enthält eine deutliche reminiscenz daran, wo Hagen in der nacht sich
dem lager der ruhenden naht, um sie anzugreifen, aber zurückgeschlagen
wird. Also wie in SH und Saxo IL
18. Walther geht als sieger aus dem kämpfe hervor. In der
polnischen version erschlägt er seinen gegner; in der I>ibrekssaga
so ist der zug sehr alt, ja älter als der raub der schätze; das gold soll als sühne
für den raub des mädchens dienen. Der "Waltharius macht daraus , dass Walther aus
freundlichkeit einen teil des goldes, das er aus dem Hunnenlande mit sich führt,
geben will. Ohne grund erklärt Heinzel (s. 94) diese Übereinstimmung für zufällig.
Wie bei Snorri weiden die Unterhandlungen vor beginn des kampfes geführt.
Nur der Waltharius kennt auch ein gespräch — aber keine Unterhandlungen — am
anfang des zweiten tages. Das lässt sich kaum den Unterhandlungen bei Saxo II
(vgl. s. 27) vergleichen. Die widerholten reden im Waltharius während und zwischen
den einzelkämpfen gehören zur ausstattung und haben mit dem Versöhnungsversuch
nichts gemein.
UNTERSUCHUNG KX ÜBKIJ DIE HILDESAGE 53
entkommt Hogni nur mit genauer not und mit sclimach bedeckt. Der
Waltharius redet zwar von einer Versöhnung, aber zuvor hat Walther
doch alle begleiter Günthers und Hagens getötet, und dass er der
Sieger ist, geht auch daraus hervor, dass er die frau und die schätze
behält. Über den grund, dass in der saga und im Waltharius Hagen
resp. Hagen und Günther am leben bleiben s. unten s. 09.
14. Das Hjabningavig hat man in dem zweitägigen kämpfe des
"Waltharius widerfinden wollen. Diese ansieht ist deshalb unrichtig,
weil der zweitägige kämpf in der Hildesage älter als das HjaÖningavig
ist, wie § 2 ausführlich gezeigt wurde, vgl. sub 12. Wenn der sub 11
besprochene zug so zu erklären wäre, dass Hildr die toten erweckt, so
würde das zugleich ein zeugnis für das HjaÖniugavig sein; aber wir
haben gefunden, dass auch von einer totenerweckung nicht die rede
ist. Den endgiltigen beweis aber, dass das Hjaöningavig in der unserer
Überlieferung zu gründe liegenden form der Hildesage noch nicht vor-
handen war, liefert der sub 13 besprochene umstand, dass Waither
den sieg davonträgt. Das Hjaöningavig gehört zu einer sagenform, in
der beide beiden fallen. Unsere sage zeigt sich durch ihren ausgang
als eine nahe verwandte derjenigen form, die auch in die Helgisage
aufgenommen ist. Auch dort findet sich kein Hjabningavig.
15. Nach beendigung des kampfes (im Waltharius nacli dem
friedensschlusse) setzen Walther und Hildegunde die reise fort. Das
folgt direct aus Walthers sieg.
Diese sage ist in unveränderter gestalt in keiner quelle erhalten.
Aber soweit wir aus den Walderefragmenten auf den Inhalt des ganzen
zu schliessen vermögen, stand dieses gedieht noch auf einer sehr alter-
tümlichen stufe.
Wir haben nun zunächst das verwandtschaftsverhältnis unserer
sage zu den verschiedenen fassungen der Hildesage zu bestimmen.
Diese arbeit ist jetzt eine leichte. Es ergibt sich, dass die sage die
stufen SH 1 und SH 2 durchschritten hatte. Die ehe mit Hildr war
zu einer entführung geworden, aus der die feindschaft mit ihrem vater
erklärt wurde, und die entführung hatte in der leidenschaftlichen liebe
des paares ihre erklärung gefunden. Die stufe SH 3 (Hjaöningavig)
hingegen war nicht erreicht.
Zusammen mit der version, die in die Helgisage ausmündet, hatte
die spätere Walthersage sich von dem hauptstamme abgezweigt; zu-
sammen hatten diese beiden zweige die neuerung eingeführt, dass nicht
beide beiden fallen, .'Sondern dass der Schwiegersohn den sieg davonträgt.
Also stammt die Walthersage von der oben s. 42 als //'2a bezeichneten
Version. Die stufe //2b hingegen, die einen nebenbuhlcr einfüiirt,
54 BOKR
war ebensowenig erreicht wie //3, die den vater von dem söhne ge-
rächt werden lässt^. Der nebenbuhler der pohlischen version vertritt
den vater, der hier nicht handelnd eingreift, die übrigen Versionen
wissen von einem nebenbuhler nichts. Diese Verwandtschaftsverhältnisse
lassen sich vorläufig in folgendem Stammbaum festlegen:
H {^ Saxo I)
I
. ■ • SHl
1
Hl =- SH 2
I I
H2a SH3 = t' H 1
II I ^1
Walthersage E2h SaxoII = SH4 PH2
HB SH5 I'HS
■ 1 I ^1
JT4 SH6 !'H4
(Helgisage) (Ragnarsdräpa (Ögrla f)ättr)
und Snorri)
Welches sind die Ursachen der bedeutenden änderungen, die die
Walthersage in den verschiedenen vorliegenden Versionen erfahren hat?
Die meisten lassen sich auf eine sehr natürliche aber zugleich sehr
eingreifende neuerung zurückführen.
Hagen, Hilds vater, wurde als mit dem Nibeluug Hagen identisch
aufgefasst. Diese auffassung war in gewisser hinsieht richtig; ursprüng-
lich ist es ein und dieselbe gestalt (§ 17). Aber diese Identität war
doch zu der zeit, als die neue identificierung stattfand, lange vergessen;
beide sagen hatten sich unabhängig voneinander entwickelt. Die neue
identificierung kann nicht mehr auf grund einer früheren einheit der
sagen zustande gekommen sein, denn es war kaum noch irgend welche
ähnlichkeit vorhanden. Dass die identificierung stattgefunden hat, ergibt
sich aus der tatsache, dass die sage Hagen im Frankenlande localisiert
und dass noch in der polnischen version Helgunda eine französische,
d. h. fränkische prinzessin ist. Ob damals Hagen und Günther schon
miteinander verbunden waren, kann man nicht wissen; in diesem falle
wurde zugleich mit der auffassung Hagens als einer mit dem Nibelungen
identischen figur auch Günther aufgenommen. Im entgegengesetzten
fall ist Günther zugleich in die Walthersage und in die Nibelungensage
1) Eine neuerung der AValthersage scheint hingegen die weise zu sein, in der
der dichter sich positiv auf die seite des räubers stellt. Auch in der Helgisage ist
seine Sympathie auf dieser seite, aber erst in der "Walthersage heisst es, er liabe
recht; GüShere sucht den kämpf med unryhie. Ebenso ist die Vorstellung des Wal-
tharius, obgleich hier durch die starke hervorhebung von Hagens heldentum die
Sympathie wider einigermassen über beide parteien verteilt erscheint.
U.NTERSUCUUiN'GKX ÜBER DIE IIILÜESAGE 55
aufgenommen (Untersuchungen über die Nibelungensage II, 191). In
beiden fallen ist das resultat dasselbe: am anfang unserer Überlieferung
stehen Hagen und Günther zusammen Walther gegenüber.
Aus der Nibelungensage wissen wir, dass die niederdeutsche
tradition anfänglich die Verbindung zwischen Günther und Hagen so
zustande brachte, dass Günther zu einem Frankenkonig wurde; die
beiden könige sind brüder (Untersuchungen über die Nibelungensage II,
128. 137). Auch die Walthersage steht, was den ersten punkt anbelangt,
noch auf diesem Standpunkte; sogar Eckeharts bearbeitung nennt Günther
und Hagen Franken ^ Dass sie brüder sind, weiss Eckehart nicht mehr;
dieser dichter repräsentiert eine mehr historisierende — nicht historische (!)
— auffassung ihres Verhältnisses, indem Günther, obgleich er ein Franke
genannt wird, doch nach Worms versetzt und allein könig genannt
wii'd, während Hagen sich ihm unterordnen muss. Dass Hagen 'von
Troye' ist, w^eiss Eckehart noch, aber wie im Nibelungenliede, wo
der name entstellt worden ist, ist Troja (Francorum), die. alte haupt-
stadt des Nibelungenfürsten, zum sitz eines vasallen geworden. Es sind
aber gute gründe zu der annähme vorhanden, dass der Waldere hierin
noch auf dem alten Standpunkt stand. Denn w^enn das erste fragment
von der Verwandtschaft Walthers mit seinen Verfolgern redet, so kann
das natürlich nur bedeuten, dass Hagen, nicht Günther, Hildegundes
vater ist. Aber wenn Hagen und Günther zusammen Walther verfolgen,
um Hagens tochtcr zurückzubekommen, so kann der dichter sich schwer-
lich Hagen als einen vasallen, Günther als den einzigen könig vorgestellt
haben. Dem entspricht nun, dass Waldere im plurale von /mnicegas
redet. Hagen und Günther sind demnach brüder, beide regieren, und
daraus erklärt es sich auch wol, dass Hildegunde schätze mitgenommen
hat, die Günther gehören (forsöc he [d. i. Gii^here] Mm sivurde and
hdm Hincfuium, vgl. oben s. 50). Dadurch wendet der dichter oder
eine schon ältere tradition zugleich den Vorwurf von Hildegunde ab,
dass sie ihren vater bestiehlt (die alte Hildesage schrieb, sofern sie
einen raub von schätzen mitteilte, denselben dem Heciinn zu). So
wird die Vorstellung die, dass Hagen die tochter, Günther die schätze
genommen werden. Hagen bezweckt also mit seiner Verfolgung, die tochter,
Günther, die schätze zurückzugewinnen. Daraus wird die jüngere bei Ecke-
hart belegte Vorstellung, dass es Günther darum zu tun ist, Walther zu
berauben. Aus habsucht setzt er dem vorüberziehenden hehlen nach -.
1) Es verdieut beachhmg, dass die sage die jüngeren Gornöt und Giselher
noch nicht kennt.
2) Doch gibt nocl» bei Eckehart (z. h\l) (luntluT zu orkenuen, er wolle
Walther, die 'gestohlenen' schätze abnehmen. Einen sinn hat diese »ittiiche ent-
Ö6 BOER
Welches ist nun im Waldere das gegenseitige Verhältnis der könige?
Nach dem vorhergehenden wird man erwarten, dass sie gemeinsam
regieren. Aus dem umstände, dass die gestohlenen schätze dem Günther
gehören, darf man kaum schliessen, dass ihm die Oberherrschaft zukam.
Denn dem steht gegenüber, dass die prinzessin Hagens tochter ist; da-
durch dass Günther der besitzer der schätze ist, sind nur die rollen
verteilt. Es gibt aber eine stelle, die, wie mir scheint, mit Sicherheit
auf ein entgegengesetztes Verhältnis schliessen lässt. I, 29 folgen auf
Hildegundes bemerkung, dass GüÖhere das schwert und die schätze
verloren hat, diese worte: 7m sceal beaga leas hworfan from hisse
hilde, hläfurd seean, ealdne ehel, oÖÖe her cer sivefan. Also: Günther
wird die schätze nicht zurückerlangen ; ohne diese wird er zurückkehren,
oder er wird hier im kämpfe umkommen. Was bedeutet aber hläfurd
secan? Eine Umschreibung für sterben ('gott aufsuchen') kann es nicht
sein, denn der ausdruck wird durch ealdne ehel variiert, und der
begriff 'sterben' folgt nachher als gegensatz. Also ist der hläfurd der
weltliche herr, und daraus folgt, dass GüÖhere nicht das oberhaupt
der Franken ist. Als solches ist demnach Hagen anzuerkennen ; GüÖhere
ist wol ein jüngerer bruder, der, obgleich mächtig und reich, doch
Hagen untergeordnet ist^
"Diese Verhältnisse sind, wie es sich versteht, im Waltharius um-
gekehrt. Ob es damit zusammenhängt, dass die reihenfolge der kämpfe
gleichfalls geändert ist, ist eine frage für sich. Im Waldere kämpft
zuerst Hagen, dann GüÖhere; im Waltharius greifen Günther und Hagen
am zweiten tage Walther vereint an. Hagen führt den ersten streich,
aber auch den letzten, entscheidenden. Die frage der reihenfolge ist
darum schwer zu beurteilen, weil wir nicht wissen, ob im Waldere
andere einzelkämpfe vorausgiengen. Aber die kämpfe mit den königen
bilden doch den kern der erzählung; die übrigen einzelkämpfe müssen
früher oder später hinzugefügt sein. Die Hildesage weiss davon noch
nichts. Hier ist von einem gefecht zwischen zwei beeren die rede.
Walther aber ist nur von Hildegunde begleitet. Das bedeutet eine
Vereinfachung der Verhältnisse auf der einen seite. Nun sind zwei
rüstung über Walthers diobstahl bei einem zweiten räuber. der nun seinerseits
AValther bestehlen will, nicht mehr. — Freilich behaujitet Günther, der schätz
habe einmal Gibich gehört nnd sei von diesem an Etzel abgetreten worden (vgl.
z. 11 — 33).
1) Vielleicht ist es eine reminiscenz an dieses Verhältnis, wenn der Waltharius,
obgleich er schon Hagen zu einem vasallen macht, noch weiss, dass er älter als
Guntier ist (z. 29 fgg.).
UNTERSUCHUNGKN ÜBER DIE IIILDESAGE 57
dinge möglich. Entweder fand dieselbe Vereinfachung auch auf der
anderen seite statt; in diesem fall setzte Hagen allein, später Hagen
in gesellschaft Günthers dem räuber nach. Die übrigen helden sind
dann zugesetzt. Oder die Vereinfachung auf dieser seite bestand darin,
dass die zahl der Verfolger auf zwölf beschränkt wurde. Die begleiter
repräsentieren dann die alte heeresmacht. In diesem fall ist jedoch
ihre individualisierung eine spätere neuerung. Das ist bei weitem
das wahrscheinlichste ^ In der ältesten form der Walthersage wird
also Hagen "Walther mit elf oder zwölf genossen angegriffen haben,
aber nur der kämpf mit Hagen, später auch der mit Günther, wurde
hervorgehoben. Die richtigkeit dieser auffassung wird des weitern durch
die Pibreks saga bewiesen, wo von den elf genossen keiner genannt
wird; es wird nur erzählt, dass die elfe umkommen und dass Hagen
sich durch die flucht rettet. Da es sich unten zeigen wird, dass
die saga und der Waltharius einander genetisch näher stehen als eine
dieser Überlieferungen dem Waldere, so müssen wir in vollstän-
digem gegensatz zu Heinzel schliessen, dass die Vorstellung der saga,
die im gegebenen fall die ursprüngliche ist, auch die des Waldere
war. Im Waldere hat also der held auch gegen eine Übermacht ge-
kämpft, aber nur der kämpf mit Hagen — und mit Günther — wurde
ausführlich erzählt.
Nun wissen wir aus der geschichte der sage, dass auch der
kämpf mit Günther eine jüngere zutat, wenn auch älter als die in-
dividualisierung der elf genossen ist. Es ist durchaus natürlich, dass
diesem kämpf auch in der erzählung eine spätere stelle zugewiesen
wurde. Hagen setzt dem räuber seiner tochter nach; er wird nicht
mit dem angriff gezaudert haben, bis Günther ihm zuvorkam. Als
aber später 'die übrigen helden individualisiert wurden, wurden ihre
kämpfe an den anfang gesetzt, da die kämpfe mit den königen die
entscheidenden, also die letzten sein mussten.
Der Waldere erklärt den zug, dass GüÖhere zuletzt kämpft, aus
seiner feigheit; erhoffte, Hagen werde Waldere so übel zurichten, dass
der sieg für ihn, Günther, ein leichtes werden dürfe (oben s. 46). Diese
erklärung ist älter als der Waldere, denn auch die deutsche tradition
1) Eine andeutuDg davon, dass "Walther es einmal nur mit Hagen und (iuntlier
zu tun gehabt habe, darf man darin, dass er im AValtliarius am zweiten tage nur
von diesen beiden angegriflen wird, nicht suchen, da der zwoitägi^'c kämpf aus der
alten Hildesage stammt. Auch in der I'iörcks saga überfällt Ihigou W;dther das
zweite mal allein, aus demselben gründe wie im Waltharius, da die übrigen kämpen
gefallen sind.
58 BOER
weiss von Günthers feigheit; sie blickt nicht nur widerholt im Nibe-
lungenlied durch, sondern wird auch ioi Waltharius stark hervorgehoben.
Wenn nun im Waltharius Günther nicht mehr nach Hagen kämpft,
so kann das nicht damit zusammenhängen, dass er der könig ist. Denn
die änderung hat nichts weniger als den zweck, ihn zu ehren. Der
letzte kämpf ist gerade der ehrenvollste; wenn wir aber glauben wollten,
der dichter hätte daran anstoss genommen, dass der könig die reihe
schliesst, so müsste er ihn consequenterweise eben an den aufang
gestellt haben. Eher hängt die änderung mit der hervorhebung Hagens
zusammen: er sträubt sich, an dem kämpfe teil zu nehmen, und muss
also in der höchsten not durch bitten dazu bewogen werden, und er
ist der tüchtigste held, dem es schon deshalb zukommt, den letzten
streich zu führen.
Dass die einzelkämpfe mit dem Rosengartenmotiv etwas zu schaffen
haben sollten, wie Heinzel annimmt, scheint mir unglaublich. Die einzige
Übereinstimmung besteht in der zwölfzahl der kämpfer, die überaus
häufig vorkommt. Im Rosengarten stehen aber auf jeder seite. im
Waltharius nur auf der einen seite, zwölf beiden; die zwölf paare im
Rg. kämpfen nach im voraus abgemachten bestimmungen; im Waltharius
bestimmt Günther jedesmal die zahl nach seinem eigenen belieben; im
Rosengarten wird im scherz, im Waltharius im ernst gekämpft. Die
hauptsache aber ist, dass Günther und Hagen ursprünglich in der
Rosengartensage nur unbedeutende nebenpersonen sind; der kämpf
findet zwischen Dietrichs und Isungs mannen statt, und Günther und
Hagen dienen nur dazu, die zwölfzahl voll zu machen.^ Wir lassen
demnach den Rosengarten bei der Untersuchung der Walthersage beiseite.
Wir kehren zu dem Verhältnisse der könige zurück. Der Waldere
steht, wie oben gezeigt wurde, auf dem Standpunkte, den man in der
angelsächsischen poesie erwarten konnte. Das gedieht steht darin mit
den niederdeutschen quellen auf einer linie, dass es Hagen und Günther
beide als könige auffasst, ja geht darin noch über dieselben hinaus,
dass es Hagen dem Günther überordnet. Dass die darstellung des
Waldere in vielen punkten von der der I^iÖrekssaga abweicht, beruht,
wie sich noch ergeben wird, keineswegs auf einem räumlichen, son-
dern auf einem zeitlichen unterschied. Ob die Angelsachsen die sage
von dem festlande mitnahmen, lässt sich schwer entscheiden; sie können
sie auch im 8. Jahrhundert aus Niederdentschland empfangen haben.
1) Den endgiltigen nachvveiy, dass dio Rosengartensage vollständig auf der
erzählung von Dietrichs zug nach Bortangaland beruht, hoffe ich in einem demnächst
im Arkiv f. nord. fil. erscheinenden aufsatz zu liefern (Arkiv 24, lOSfgg.).
ÜNTERSUCIIUXIIKN' ÜBER DIE HIhDESAfJR 59
Die litterarischen Verbindungen zwischen Norddentschland und England
in jener periodc sind bekannt genug. Und es ist mit rücksicht auf
ihre entstehung aus einer fremden sage vorsichtig, den Ursprung der
"Walthersage chronologisch nicht höher hinaufzurücken, als es die data
erfordern.
Eine erste folge der Vorstellung, dass der Nibelung Hagen, der
später im Hunnenlande umkommt, auch derjenige ist, der mit Walther
kämpft, und dass er an Günthers seite streitet, muss gewesen sein,
dass der tragische ausgang durch einen friedensschluss ersetzt wurde.
Denn man wusste, dass Hagen und Günther nicht bei dieser, sondern
bei einer späteren gelegenheit umkamen. Hagen stirbt also nicht, er
wird nur schwer verwundet. ^ Wir müssen diese Schlussfolgerung un-
bedingt in die erste entwicklungsperiode der Walthersage stellen und
also schliessen, dass auch der Waldere diesen ausgang gekannt hat.
Bestätigt wird er durch den oben s. 56 besprochenen ausdruck hJdfurd
secan. Denn wenn Hagen der hläfurd ist, so bedeutet ein zurück-
kehren Güöheres zu ihm, dass er nicht im kämpf geblieben ist.
Auch die erste einführung des Hunnenlandes wird auf dem ein-
fluss der Nibelungenpoesie beruhen. Ursprünglich waren das meer und
seine gestade der Schauplatz der begebenheiten. Aber Troja Francorum
liegt tief im lande. Was in der Nibelungensage geschah, ist auch hier
geschehen. Alte Varianten der Nibelungensage, die Sigmundsage, die
Finnsage, kennen eine seereise, ja sogar in den Atlamäl geht die fahrt
über das meer; seitdem aber Hagen ein Frankenfürst ist, zieht er über
land nach dem feindlichen lande. So kommt auch in der Walthersage
der feind über land. Und da die tradition im gcgensatze zu Hagens
land das Hunnenland kannte, wurde der räuber zu einem hunnischen
häuptling, zu dem JEtlan ordwiga.
So sah die tradition aus, die dem gedichtc von Waldere zugrunde
liegt, und dass das gedieht darin bedeutende änderungen vornahm,
wird sich schwerlich Avahrscheinlich machen lassen.
Auf dem festlande setzt sich die beeintlussung dureli die Nibe-
lungensage fort. Die nächstfolgende neuerung ist eine iinderung in
Hagens Verhältnis zu Hildegunde. Dass er ihr vater ist, wird niciif
1) Der Verlust des auge.s geht in die Nibelungcnsagc über, wo die ciniiiigigkoit
zu einem merkmal Hagens wird. Die Vorstellung, dass Guiitlier <'in boin verlor, Hess
sich mit anderen Vorstellungen nicht voreinigen und giong, wenn sie je verbreitet
gewesen ist, wider verloren. Aber violleicht ist das nur eino erfindung Eckoharts
oder seiner directon nuelle.
00 BOER
richtig mehr verstanden; der zug gerät in den hintergrund, um bald
völlig zu verschwinden. Aber bei der Verfolgung bleibt er die haupt-
person, ja im gründe die einzige person von bedeutung. Und noch
immer ist Hagen ein Frankenfürst und Hildegunde eine fränkische
Prinzessin, wenn auch das Verhältnis zwischen beiden nicht mehr klar
ausgesprochen ist. Von dieser sagenforra stammt die polnische version
direct.^ Sie geht davon aus, dass die Vaterschaft, die ihre directe quelle
nicht mehr nennt, auch nicht besteht, und sie sucht für die Verfolgung
eine neue motivierung. Hilgunda bleibt eine regis Francorum fdia,
woraus in einer Variante eine französische prinzessin wird, Hagen wird
zu einem rex Älmanorum, und dieser ist nicht länger Helgundas vater,
sondern ihr verlebter, während der vater zu einer statistenrolle verurteilt
Avird. Diesen nebenbuhler mit dem nebenbuhler der Helgisage und der
deutschen Versionen der Hildesage (§ 11) zu identificieren , verbietet der
umstand, dass keine andere version der Walthersage von einem neben-
buhler etwas weiss. Die neuerung ist aber interessant, weil sie lehrt,
wie leicht in eine geschichte wie diese ein nebenbuhler eingeführt
werden konnte, und wie wenig grund vorhanden ist, da, wo wir auf
einen solchen stossen, sofort an den einfluss einer fremden Überlieferung
zu denken.
Von änderen neuerungen der polnischen version erwähne ich
Walthers gesang und die lange fortsetzung der geschichte, die nicht
mehr zur Walthersage gerechnet werden kann.^ Wenn jener zug mit
Horants gesang zusammenhängen sollte, so beruht er doch gewiss auf
einer secundären beeinflussung durch die deutsche Hildesage; in der
Walthersage steht der zug allzu vereinzelt da, um hier anspruch auf
hohes alter erheben zu können. — Der zweitägige kämpf ist ferner auf
einen Zweikampf zwischen Walther und seinem Verfolger reduciert, und
auch die genossen, die äen Verfolger begleiten, hat diese tradition
verloren.
Auf einem alten Standpunkte steht die polnische version darin,
dass der ort des kampfes (das Rheinufer) noch in der nähe des ortes
1) Dieses directe Verhältnis der polnischen version zu einer redactiou, die mehr
als eine stufe vor der piSreks saga liegt (vgl. s. (il und die tabelle s. 66) verbietet
die von Heinzel s. 88 gut geheissene annähme Nehrings, die polnische redaction sei
auf die saga zurückzuführen, und Polen beruhe auf einem missverständnis für Pill
in der saga (c. 241).
2) Den stoff dieser fortsetzung bildet, wie bekannt, die Salomonsage (s. Vogts
einleituug zu Salman und Morolf s. LXVIIIfgg.), die auch für die entwicklung der
Hildesage in Deutschland bedeutungsvoll gewesen ist.
UNTF.RSUCIIUNGKN ÜBKK DIR llII.DKKAdK Ol
liegt, von wo die jungen leute entflohen sind (Frankenland), während
der endpunkt der reise weit abliegt (Krakau), und zwar im osten (oben
s. 51). Dieser zug muss aus alter Überlieferung stammen, und dadurch
wird bestätigt, dass das auch die Vorstellung des Waldere, der der
gemeinsamen quelle noch näher steht, war. Auch noch in der tiöreks
saga liegen der ausgangspunkt der flucht und der ort des kampfes
nahe beieinander (s. unten), nur der Waltharius lässt die flucht von
dem Hunnenlande ausgehen und dennoch den Überfall am Rhein statt-
finden.
Die quelle der polnischen version wird wie die des angelsäch-
sischen gedichtes ein sächsisches lied gewesen sein. Daraus erklärt sich
die Überführung des Stoffes nach Polen, und auch die localisierung der
sage am Niederrhein bestätigt das.
Die folgende stufe repräsentiert eine redaction, von der die erzäh-
lung der PiÖreks saga und auch der Waltharius stammen. Hagen und
Günther bleiben Franken, aber sie siedeln nach Worms üben Das
deutet auf eine fränkische bearbeitung. Die bezeichnung der beiden
als Burgunden, die sich sonst in jüngeren süddeutschen quellen findet
(Unters. NS II, 201), bleibt der Walthersage, sogar dem süddeutschen
Waltharius fremd. Dass die localisierung der könige in Worms auch
für die quelle der saga gilt, geht aus der bezeichnung Valtarlaf Vaskasteiid
hervor. Diese tradition hatte den kämpf nach dem Wasgenwalde ver-
legt; also war die residenz Hagens und Günthers nicht am Niederrhein,
sondern südlicher, also in Worms.
Auf dieser stufe muss die Vorstellung von dem gang der begcben-
heiten die gewesen sein, dass Walther auf seiner flucht nach dem Hunnen-
lande von Günther und Hagen verfolgt und in der nähe der Vogesen
eingeholt wurde. Die flucht geht also zunächst in südlicher richtung.
Das wird so zu verstehen sein, dass Walther südlich von Worms eine
stelle sucht, wo er über den Rhein setzen kann,' dass er aber gegen
die nachstellungen der feinde im nahen gebirge eine Zuflucht sucht.
p]ine eigentümliciikeit dieser redaction ist noch, dass der kämpf
des zweiten tages zu einem zweiten verräterischen Überfall wird.
Die folgende stufe repräsentiert die erzählung der l^iöreks saga.
Der umstand, dass Hagens Verhältnis zu Hildegunde nicht nieiir ver-
standen wurde, hat zu einer völligen Umgestaltung der Überlieferung
geführt. Hildegunde ist eine geraubte prinzessin — da.s gehörte zu
1) Man vergleiclie damit, das.s Walthoi auch in der puliiiscliL'n voraion am
Rheine eingeholt wird.
62 BOER
der alten tradition. Und Walther war Attilas mann. Wenn er die frau
nicht bei Hagen geraubt hatte, ruusste er sie also bei Attila geraubt
haben. Daraas folgte weiter, dass er nicht ein vasall, sondern eine geisel
des Hunnenkönigs war^, der die gelegenheit, zu entfliehen, sucht und
benutzt. Das Verhältnis des mädchens zu Attila wurde nach dem vor-
bilde von Walthers Verhältnis zu dem könig gestaltet: auch sie lebt
nun als geisel am hunnischen hofe.
Aber. Hagen als Verfolger stand von alters her in der tradition fest;
und gleichfalls, dass die Verfolgung denselben ausgangspunkt wie die
flucht hatte. Denn der zweck der Verfolgung war ja, das mädchen und
die schätze zurückzugewinnen. Also zieht unser dichter die consequenz,
dass auch Hagen am Hunnenhofe verw^eilt. Wie er dahin gelangt ist,
erfahren wir aus dieser quelle nicht. Sein Verhältnis zu Attila muss
ein freundschaftliches gewiesen sein; wie könnte dieser ihn sonst mit
der Verfolgung des entflohenen paares beauftragen? Am wenigsten kann
er selber sich als geisel am hofe aufgehalten haben ; er würde in solchem
fall doch allzu leicht in die Versuchung geraten sein, Walthers beispiel
zu folgen und selber davonzulaufen. Das freundschaftliche Verhältnis zu
Attila bestätigt PS c. 375, wo dieser sagt: liaim rar meh mer um rib,
oc ek dubbahe hann tu riddera oc EvIm drofuing, oc vist var hann
Jm var vin gohr, eine stelle, die in das Nibelungenlied (str. 1756) über-
gegangen ist-. Davon, dass Hagen geisel gewesen sei, wie die deutsche
Strophe erzählt, weiss die quelle der strophe nichts; wenn im NL Attila
hinzufügt: Hagenen sante ich ividere, so sieht das keineswegs wie eine
aus einer unabhängigen quelle stammende bemerkung aus, sondern
vielmehr wie eine erklärung davon, dass Hagen, der diesmal als gast
mit den übrigen fremden am hunnischen hofe eingetroffen ist, früher
den hof verlassen hat. Die anspielung auf Hagens gezwungenen auf-
enthalt am Hunnenhofe hingegen kann aus einer jüngeren quelle der
Walthersage stammen; diese quelle aber weiss widerum, wie wir gleich
sehen werden, nichts davon, dass Attila Hagen zurücksendet. Auf die
bemerkung des NL ist demnach kein grosses gewicht zu legen. Jedes-
falls lassen sich in der entwicklung von Hagens aufenthalt an Attilas
hofe drei stufen unterscheiden: 1. er hält sich dort auf, ohne dass eine
nähere erklärung gegeben wird; 2. er war dort in grosser freundschaft;
3. er war dort als geisel. Die erste stufe ist die unseres liedes, und
1) Zu dieser neuerang kann eine abneigung gegen die Vorstellung, dass Walther,
dem die heldenrolle zufiel, ein Hanne gewesen sei, mitgewirlit haben.
2) Die bemerkung im Biterolf 770 fg.: von Etxelen ivir nämen swert, bcde ich
unde Hagene geht wol auf das Nibeluugeulied zurück.
rXTERSUCHUXGEN t'BF.K DIR IIII.DKSAGE 63
das genügt auch völlig dem zwecke, dem dieser aufenthalt dienen sollte.
Es war damit erreicht, dass Hagen nun wie von alters her dem ent-
flohenen paar nachsetzen konnte. Die Verfolgung geht in der alten weise
von statten; die Verfolger werden erschlagen; nur Hagen entkommt,
wird aber übel zugerichtet. Der preis aber, womit die erhaltung dieser
alten Vorstellung bezahlt wurde, war, dass Günther aus der erzählung
verschwand. Denn nur Hagen, nicht Günther war nach dem hunnischen
hofe versetzt worden. Daher ist Hagen nun wider, wie in dei' Hilde-
sage, der einzige führer der dem paare nachsetzenden schar. Ferner
findet der kämpf nicht mehr auf dem Vaskasteinn statt, sondern, wie
sich versteht, näher bei Attilas sitz. Der name Vaskasteinn aber ist in
dem beinamen des beiden erhalten und bestätigt die frühere localisie-
rung Hagens in Worms.
Wir kommen zu Eckeharts darstellung. Schon eine sehr einfache
analyse lehrt, dass diese unmöglich einheitlich sein kann. Ich halte
sie für eine combination aus den beiden zuletzt besprochenen Versionen.
Was soll das heissen, dass erst Hagen geisel bei Attila ist und
davonläuft, dass darauf Walther und Hildegunde dasselbe tun, und
dass schliesslich Hagen und Günther zusammen Walther angreifen?
Dieser aufenthalt Hagens bei Attila ist so entbehrlich wie störend.
Entbehrlich, weil er gar keinen zweck hat; störend, weil Hagen Walther
ein beispiel gibt, wodurch diesem die initiative genommen wird, das
aber die folge hat, dass Attila auf der hut ist. Wie es den jungen leuten
dennoch gelingt, zu entkommen, wird völlig unverständlich. Hagens
aufenthalt an Attilas hofe gehört zu der version, die Hagen die ent-
flohenen von Attilas hofe aus verfolgen lässt, der Überfall von Worms
aus zu jener anderen, die die jungen leute aus Worms fliehen lässt.
Es fehlt auch nicht an andeutungen einer zwiefachen flucht und einer
zwiefachen Verfolgung. Z. 402 fgg. wird erzählt, dass Attila dem paare
Verfolger nachsenden will; da aber niemand das abenteuer zu unter-
nehmen wagt, wird aus der Verfolgung nichts. Aber als die flüchtigen
beim Wasgenstein angekommen sind und Walther sich zum schlafen
niederlegt, bittet er Hildegunde, wache zu halten (504fgg.); als sie nun
die Franken herankommen sieht, glaubt sie (543), es seien die Hunnen.
Eckehart hat also für den anfang die fassung benutzt, tlie in der
JJiöreks saga enthalten ist. Daraus entnimmt er 1. dass der ausgungs-
punkt der flucht das Hunnenland ist, 2. dass Hagen bei Attila war.
Dass er eine geisel war, hat Eckehart wol erfunden, obgleich es mög-
lich ist, dass dieser zug in eine jüngere fassung seiner (luelle auf-
genommen war. Aber dass Hagen davonläuft, ist gewiss eine erfindung
C4 BOER
Eckeharts^, wenigstens wenn man nicht annehmen will, dass die Ver-
bindung zweier Versionen schon vor Eckehart zustande gekommen war,
in welchem fall alles, was hier von Eckehart gesagt wird, von seiner
unmittelbaren quelle gelten würde. Hagens flucht hat keinen anderen
zweck als den, zu erklären, dass er, obgleich früher an Attilas hofe
auAvesend, dennoch — nach der zweiten quelle — in Worms ist, als
Walther dort vorüberreitet. Das motiv von Walthers flucht wird zu
diesem zw-ecke widerholt. Darauf folgte in der quelle die Verfolgung.
Da diese nach der zweiten quelle erzählt werden sollte, blieb hier nur
der bericht stehen, dass Attila die entflohenen verfolgen zu lassen wünscht,
und es wurde neu hinzugefügt, dass die Hunnen diesem wünsch ihres
herrschers nicht nachzukommen wagen. Dann geht der dichter zu
seiner zweiten quelle über. Die flucht, die schon nach der ersten quelle
erzählt worden war, wurde natürlich nicht widerholt, das erste, was
mitgeteilt wird, ist der angriff, und dieser findet nun beim Wasgenstein
statt, und zwar durch Hagen und Günther gemeinschaftlich. Da aber
Walther nicht mehr aus Worms entflohen ist, werden Hagen und Günther
zu Wegelagerern. Doch zeigen sich die alten Verhältnisse noch darin,
dass Walther und Hildegunde einen Überfall erwarten, obgleich Walther
mit Hagen befreundet ist, und auch darin, dass Günther als einen
grund, Walther zu berauben, anführt, dieser habe die schätze, die er
mit sich führt, gestohlen.
Die geschichte ist ferner nach den Vorstellungen, die man sich,
wie bekannt, in jenen südlicheren gegenden unter gelehrtem einfluss
von dem Verhältnis zwischen Günther und Hagen gebildet hatte, um-
redigiert. Günther ist zu dem einzigen könige, Hagen zu einem vasallen
geworden. Günther ist es nun auch, der den anschlag ersinnt; Hagen
lässt sich nur mit mühe dazu bewegen, an dem Überfall teilzunehmen;
er rät sogar davon ab.
So lässt sich schon bei einem gelehrten dichter des zehnten jahr-
liunderts die Zusammenfassung abweichender redactionen, der auch die
längeren mittelhochdeutschen epen des zwölften und dreizehnten Jahr-
hunderts vielfach ihre entstehung verdanken, klar beobachten. Es ist
die bekannte compilationssucht des mittelalters, welche die Wahrheit zu
1) Auch eine freundschaft zwischen Hagen uud Walther wird aus ihrem Zu-
sammensein bei Attila abstrahiert, und damit wird es denn in Zusammenhang gebracht,
dass Hagen gegen Walther nicht kämpfen will. Doch scheint die Weigerung zu
kämpfen etwas älter als diese freundschaft zu sein, denn der hauptgrund dieser
Weigerung ist doch, dass Hagen an die möglichkeit des sieges nicht glaubt. Aller-
dings setzt auch dies wol voraus, dass er Walther kennt.
trNTERSUCHüNGEN TTBEI? DIE HIMlERAGE ()0
finden glaubt, wenn sie alles mitteilt, was in verschiedenen quellen
steht, und das, was fohlt, nach eigenem gutdünken ergänzt, die hier
ihren triumph feiert.
Dass die mittelhochdeutschen fragmente für die beurteilung der
entwicklung der dichtung von keinem oder geringem wert sein würden,
liess sich im voraus erwarten. Das material genügt kaum dazu, uns
in den stand zu setzen, ihnen ihren platz in der Überlieferung zuzu-
weisen.
Ich gehe davon aus, dass das, was in den fragmenten steht, auch
wirklich zu dem gedichte gehört. Es scheint mir ein hoffnungsloses
verfahren Heinzeis, hier aus stilistischen gründen noch interpolationen
ausscheiden zu wollen. Was weiss man denn von dem stil des ge-
dichtes? Dass z. b. nur einmal die construction einer strophe in die
folgende hinübergeführt wird, ist bei dem geringen umfang dieser
bruchstücke doch nicht wunderbar ^ Wir finden folgende Überein-
stimmungen mit älteren Versionen. Hagen ist bei Attila, als Walther
anstalten zu der flucht macht (erstes fragment 2,1,8. 2,' 2, 9). Also
wie in der bekannten fränkischen version. Walther wird von Hunnen
verfolgt und besiegt sie (Wiener fragm. 1 str. IH), wie in der saga.
Aber Walthers Verhältnis zu Hagen scheint nach dem ersten fragmente
ein friedliches oder gar freundschaftliches zu sein. Auch mit den
Wormser beiden findet eine begegnuug statt (Wiener fragm. I, 2 fgg.,
vgl. auch 18). Diese züge weisen auf Eckeharts dichtung oder deren
zweite quelle. Dass diese begegnung eine friedfertige zu sein scheint,
kann nur auf einer recht jungen neuerung beruhen. Dasselbe gilt für
die an Etzel gerichtete einladung, der hochzeit beizuwohnen (Wiener
fragm. II, 16 fgg.).
Das gedieht ist also aus einer neuen compilation hervorgegangen.
Als ganzes kann es nicht aui Eckeharts gedieht zurückgehen, da es
Züge aus Eckeharts erster quelle enthält, die Eckehart selbst nicht
mitteilt.
Dass Hagen und Walther zusammen aus dem Hunnenlande auf-
gebrochen sein sollten, nimmt Heinzel ohne jeden grund an. Cl)er die
stelle des Nibelungenliedes (1756) Hagcnen santc ich iciderr, aus der
Heinzel folgert, dass das in diesem gedichte gestanden haben müsse,
s. s. 62.
Dass ein gedieht, das den kämpf mit Günther und Hagen auf
dem Wasgenstein erzählte, gegen ende des 12. Jahrhunderts bekannt war,
1) Heinzel (s. 17) erklärt aus diesem gnmdo str. 13 des erstüii Wicuur fragmentcs
für interpoliert.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. HD. XL. 5
(56
BOER, TJNTKRStTCHUNGFA VBE1? DIE HILDESAGE
zeigt str. 2844 des Nibelungenliedes, wo Hildebrant sagt: Nu iver ivas
der üfme schilde vor c]e?n Wasleiisteiue sax'^ Das kann nicht unser
gedieht gewesen sein, das freilich einen kämpf mit den Hunnen, aber
nicht mit Günther und Hagen kannte. Das mhd. Waltherlied ist auch
schwerlich so alt. Aber es ist sehr wol möglich, dass einer der bearbeiter
des NL den Waltharius gekannt hat^ Die quelle des NL kennt diesen
Vorwurf Hildebrants nicht; hier wirft Dietrich an der entsprechenden
stelle Hagen vor, dass er ein söhn des teufeis sei (PS c. 391).
Die entwicklung der Walthersage lässt sich in folgendem Stamm-
baum darstellen:
W
(sächsisch. Hagen, der vater der geraubten frau, mit dem Nibelung identisch.
Hagen könig. Günther neben ihm aufgenommen. AValther ein Hunne.)
AW
(Waldere,
angelsächsisch)
SW
(sächsisch. Hagens verhältniss zu
Hildegunde wird weniger deutlich.)
PW
(polnisch)
FWl
(fränkisch. Localisierung in Worms und
am Wasgenstein. Hagens Verhältnis zu
Hildegunde völlig aufgegeben.)
FW 2
(fränkisch. Hagen hält sich an Attilas hofe
auf. Günther wird aufgegeben. Walther
geisel an Attilas hofe.)
PS
EW
(Eckeharts erzähluug. Hagen ist geisel undent-
ilieht. Günther und Hagen Wegelagerer. Spuren
doppelter Verfolgung. Individualisierung der
bei der Verfolgung beteiligten kämpfer.)
MHW
(mittelhochdeutsche fragmente.)
1) Auf derselben stufe wie Eckehart stand auch, so weit wir ersehen können,
die darstellung, die dem Biterolf dichter bekannt war. Walther ist an Etzels hofe
gewesen — er berichtet darüber ziemlich ausführlich — aber er hat den sieg er-
fochten an detn Ein (717), also wol über Günther und Hagen. Eine andere Über-
einstimmung mit dem Nibelungenliede wurde s. 62 anm. 2 angeführt; hinzuzufügen
ist noch, dass Walther (619 u. a.) von Spunjelant ist, wie es im NL von Späne heisst.
(Schluss folgt.)
AMSTEBDAM. E. C. BOKR.
PEHSE, t)KR OBERDEUTSCHE VlERZRlUC.E TOTKNTAXZTEXT 67
DEß OBERDEUTSCHE VIEEZEILIGE TOTENTANZTEXT.
In meiner arbeit über den „Ursprung der totentiinze" (Halle,
Niemeyer 1907) ^ glaube ich nachgewiesen zu haben, dass dem ober-
deutschen vierzeiligen totentanztext in 24 paaren, der uns in verschie-
denen handschriften und blockbüchern aus der mitte des 15. Jahrhunderts
überliefert ist, eine weit höhere bedeutung für die geschichte der toten-
tiinze zukommt, als man bisher annahm. Aber auch davon abgesehen,
dürfte wol der text, der zu dem berühmtesten und kunstgeschichtlich
wichtigsten aller totentänze, dem „Tod von Basel", die grundlage bildete,
interesse für sich beanspruchen. Mehr als hundert jähre sind es her,
seit Docen im Neuen literarischen anzeiger 1806 sp. 412 die anregung
gab, den beziehungen zwischen dem Baseler und dem in den hand-
schriften und blockbüchern vertretenen text nachzuforschen. Und bis
heute ist diese anregung unbefolgt geblieben. Das muss um so mehr
wunder nehmen, als die lösung dieser frage für den Ursprung der
totentänze vielleicht, für ihre entwicklungsgeschichte sicherlich von
grosser Wichtigkeit ist. Leider hat man bisher geglaubt, diese frage
durch hypothesen umgehen zu können. Die folge davon war, dass
diese aufgäbe nur immer energischer eine lösung verlangte und dass
die lösung nunmehr die lücken der bisherigen totentanzforschung um
so greller beleuchtet. Zwar hat Massmann in seinem buche „Die
Baseler totentänze" (Stuttgart 1847) einen „urtext" des oberdeutschen
totentanzes zum abdruck gebracht, der auf den handschriften fusst,
und ihm den Klein -Baseler text mit seinen verschiedenen schösslingen
gegenübergestellt. Aber diesem „urtext" liegt keine Untersuchung des
handschriftenverhältnisses zu gründe, und über die beziehung der hand-
schriften zu den beiden Baseler texten erfahren wir von unsicheren an-
deutungen, die sich auf einzelfälle beziehen, abgesehen, gleichfalls nichts.
So ist also jener „urtext" im letzten gründe ein erzeugnis der willkür
des herausgebers, der sich für jede lesart von fall zu fall entscheidet.
Und auch alles, was von anderer seite über das Verhältnis der texte
gesagt worden ist, ist über blosse Vermutungen nicht hinausgegangen.
Merkwürdiger weise hat nun gerade Docen, ohne es zu ahnen,
die aufgäbe, die er stellte, durch den abdruck seines textes im Neuen
literarischen anzeiger 1806 unnötig erschwert. Dieser text ist mit
einer Sorglosigkeit zusammengestellt und abgedruckt, dass man sich
1 Bei der abfassung dieser arbeit lagen mir uoch niobt sämtliche handschriften
des oberdeutschen vierzeihgen totentanztextes vor. Ich war infolgedessen auf die
Varianten in Massmanns , Baseler lotentünzon" angewiesen. Ix'idcr sah ich mich
nachher in meinem vertrauen zu ihnen mehrfach getäuscht.
()8 I--KHSK
vergebens fragt, ob den herausgeber oder den setzer die grössere schuld
trifft. Bald ist die Orthographie der handschrift peinlich genau gewahrt,
bald ganz regellos und willkürlich geändert. Ohne irgendeine angäbe
des Sachverhalts sind conjecturen des herausgebers eingeflickt. Die
folge davon war, dass Massmann bei seiner ausgäbe die diesem ab-
druck zu gründe liegenden handschriften nicht widererkannte und die
Varianten von Docens text unter dem zeichen M^ in seinen kritischen
apparat "setzte. Ausserdem war Massmann eine wichtige handschrift,
Ms. Germ. nr. 109 Berol., unbekannt. Da ferner die lesarten Massmanns
so unvollständig und unzuverlässig sind, dass man bei der ersten besten
nachprüfung auf fehler stösst, so scheint es nunmehr an der zeit, das
Verhältnis der texte zueinander genauer zu untersuchen, zumal da es
keinem zweifei mehr unterliegen kann, dass damit ein wichtiger beitrag
zur geschichte der totentänze geliefert wird.
Der oberdeutsche vierzeilige totentanztext ist in folgenden hand-
schriften resp. blockbüchern enthalten:
1. Codex germ. Monac. nr. 270 bl. 192"— 197" (M^).
2. Codex xylogr. Monac. nr. 39 (M^). — Der text, der ursprüng-
lich in holz geschnitten unter den bildern stand, ist schon im 15. Jahr-
hundert fortgeschnitten und durch handschriftlichen text, der neben
die bilder geschrieben ist, ersetzt worden. Nur kümmerliche reste,
die zum einbinden verwendet worden waren, sind gerettet worden.
3. Codex germ. Monac. nr. 2927 bl. 13=^ — 15" (M^). — Die hand-
schrift ist stellenweise fast unleserlich.
4. Codex Palatin. nr. 314 bl. 79" — 80" (H^). — Abgedruckt im
anhang meiner arbeit „D. u. d. t." s. 50 fgg.
5. Codex Palatin nr. 438 bl. 129"— 142" (H^). — 27 in holz
geschnittene tafeln. Die Strophen der toten stehen in holz geschnitten
über, die der menschen unter den bildern. Reproduciert von Massmaun
im anhang zu don „Baseler totentänzen" und von W. L. Schreiber als
facsimiledruck.
6. Ms. germ. fol. Berolin. 19 bl. 224 — 227 (Berl).
Dazu kommt
7. der auf 39 paare erweiterte, im einzelnen vielfach veränderte
text des Klein -Baseler (Klingentaler) totentanzes, der uns in einer
copie des Baseler bäckermeisters Büchel (Der Todten-Tanz in dem
Klingentahl zu Basel. Nach dem Original gezeichnet und an das Licht
gestellt von Emanuel Büchel im Jahr 1768 usw., handschriftlich in der
Baseler kunstsamralung) erhalten ist. Diesem text kommt für eine reihe
von stellen der wert einer handschrift zu (Kl B).
DKR OnKRDEUTRCIlE VIEKZKILIGE TOTE.NTANZTKXT 69
1. Docens text.
Bevor wir uns mit den liandschriften selbst befassen, liegt es uns
ob, den von Massmann als jM* bezeichneten abdruck Docens an die
richtige stelle zu setzen. Durch eine reihe von irrtümern und felil-
gril^en ist es gekommen, dass Massmann in Docens abdruck die wider-
gäbe einer verschollenen handschrift sah, die in Wirklichkeit niemals
existiert hat. Docen lag zunächst die Münchener handschrift M^ vor.
Er ging nun bei dem abdruck so willkürlich vor, dass er die Schreib-
weise der handschrift je nach belieben stehen liess oder änderte und
dass er, ohne darauf hiiizuweisen, stellen, die er für verderbt hielt,
durch conjecturen ersetzte. Er macht selbst kein hehl daraus, dass
es ihm auf genauigkeit nicht ankomme. Denn nachdem der erste teil
des textes erschienen ist (bis zum mönch), wird er von dem director
der kgl. hof- und Staatsbibliothek in München frh. v. Aretin auf das
blockbuch M^ aufmerksam gemacht, dessen handschriftlichen text er
nun mit dem schon abgedruckten vergleicht (Neuer literarischer anzeiger
sp. 393). Er gibt an der band der zweiten handschrift einige Ver-
besserungsvorschläge an und sagt dann:
„Auch die nachherigen verse bedürfen die nämliche berichtigung,
die in dem noch übrigen hier folgenden teile soll beobachtet
werden; doch würde die aufzeichnung aller Varianten bei der
eben nicht grossen Wichtigkeit des gegenständes hier zu
weitläufig werden."
Für den ersten teil des abdrucks liegt also nur M^ zu gründe;
die abweichungen von dieser handschrift charakterisieren sich als con-
jecturen oder versehen Docens.
Einzelne auffällige Übereinstimmungen im gegensatz zu den andern
handschriften mögen zunächst zeigen, das für den ersten teil des abdrucks
die handschrift M^ vorlag.
M' Doceu Die andern handschriften*.
Einleit. 14 vrtail vber al
XI, 1 Ir chaisser her keyser
VIII, 3. 4 Des miest jr an dessen Das raüst ir an dem rayon puessen.
rayen hassen
wul hör, lant euch ab den toten woll her, lat ewch dy töten gruesscn.
nit grussen
VllI, 7 jni fochten worden chranck in fochen claydern glancz
X, 6 wol erchant pechant.
1) Ich gebe hier den text nach M% die Ja als dritte Münchner handschrift
allein für Docen neben M' in botracht kommen würde.
70
Die Übereinstimmungen Hessen sich beliebig vermehren jind bis
auf orthographische einzelhciten (vgl. V, 2 dantz) ausdehnen. Da wo
Docen im ersten teil des abdructs von M^ abweicht, ändert er meist
nur allerdings ziemlich willkürlich die Schreibung oder verbessert offen-
bare versehen.
Docen.
Das ein get her, das ander hin.
Durch das erst die frummen
hand gewin.
. . . genant
auf erd erkannt.
Ml
Einleit. 5 Das ain get hin, das ander her.
Durch das erst die frumen
hand gewin.
I, 5. 6 genant
auf erd genant
(Die andern handschriften haben: au forcht bekant)
Zepter und chron sind vnwert Zepter und krön, die sind vnwert
(Die andern handschriften haben: . . sint hie vnwert.)
Der zweite teil des abdrucks (vom ritter bis zur mutter) ist nun
ein gemisch aus M^ und M"^, so jedoch, dass der handschrift M ^ (meist
mit unrecht) grösseres vertrauen entgegengebracht wird. Einzelne bei-
spiele sollen das beweisen.
M ^ Docen M *
Reihenfolge
der gruppen
XIII, 2
XIV, 2
18. Kaufmann
19. Nonne
20. Bettler
21. Koch
18. Nonne
19. Kaufmann.
20. Koch.
21. Bettler.
streit
zeyt.
Süßes gesang
Gemessen (verlesen)
gesang
Suessen gesang
XIV, 4
XV, 1
XVII, 5
XIX, ]
XIX, 4
XX, 5
XX, 6
Die vcrchündet euch des
todes wal
Her artzat gebt euch selber
rat
die verchundet euch hie des todes val
Her artzt tuet euch selber gueten rat.
Ich solt treiben genugsam vil
Ich solt treiben Juckens (seil.
Juchzen, Jauchzen) vil
Fraw nunn
mit den toten farn
Ain armer geiler
Fraw mein
hie an der toten schar
Zu ainem fraind was jch nie-
mant eben
Ayn armer pettler
XXI, 6 Zu ainem frevvnt
ist nyemant eben.
Auf diese weise kam dann allerdings ein text zustande, der auch
dem rätselhaft erscheinen musste, der die handschriften vor sich hatte.
Dazu kommt noch ein merkwürdiges versehen. Der aufsatz Docens in
dem Neuen literarischen anzeiger 1806 ist in drei teilen erschienen:
DER OBKIiDKUTSdlE VIEKZEILIGE TOTENTANZTEXT 71
sp. 348 fgg., sp. 393 fgg. und sp. -412 fgg. Der zweite teil enthält vom
text selbst nichts, sondern nur den bericht von der zweiten handschrift
und die Verbesserungen nacli ihr. Der dritte teil bringt dann nach
einer kurzen bemerkung über das Verhältnis des vorliegenden textes
zum Gross- Baseler den zweiten teil des abdrucks. Massmann scheint
nun den zweiten teil von Docens aufsatz (sp. 393 fgg.) ganz übersehen
zu haben. "Wäre dem nicht so, so hätte er wol den zweiten teil des
abdrucks vorsichtiger benutzt, da er wissen musste, dass er auf grund
von M2 „berichtigt" worden war. Massmann verrät durch keine be-
merkung, dass er den Zusammenhang kennt Er sah sich demnach
einem texte gegenüber, der in seinem ersten teile enge beziehungen
zu M^ zeigte, ohne doch sich als identisch mit ihm zu erweisen,
während der zweite teil bei aller ähnlichkeit mit M^ in wichtigen
fällen Übereinstimmung mit M^ zeigte. Daraus ergab sich ihm der
trugschluss M^, und vielleicht ist gerade daran sein bemühen, in das
Verwandtschaftsverhältnis der handschriften einzudringen, gescheitert.
2. Die handschrift H^
Unter den handschriften unseres textes tritt H^ bedeutungsvoll
schon äusserlich hervor. Sie enthält ausser der ersten und zweiten
predigt nur die Strophen der menschen. Die anreden der toten fehlen.
Ausserdem geht in ihr allein von allen handschriften dem deutschen text
eine fast peinlich genau entsprechende lateinische version voraus. Diese
auffälligen abweichungen von den anderen texten verlangen die beant-
wortung mehrfacher fragen. Ich muss hier noch einmal auf einzelnes
zurückkommen, was ich schon früher (U. d. t. s. 34 fgg.) berührt habe.
Der oberdeutsche totentanztext ist nur rein äusserlich ein dialog. Der
tote redet zwar den betreffenden menschen an, aber der mensch er-
widert nicht auf die anrede dos toten, sondern spricht für sich, ohne
sich auf seinen partner zu beziehen. Bitten an den tod, noch zu ver-
ziehen und zeit zur besserung zu lassen, wird man in diesen Strophen
vergebens suchen, während sie in andern totentänzen die regel bilden.
Au.s dieser eigenart der Strophen der menschen ergibt sich nun die
merkwürdige tatsache, dass man die eine hälfte des textes, nämlich
die anreden der toten, tilgen könnte, ohne dass dadurch die andere
hälfte, die Strophen der menschen, im geringsten unverständlich oder
auch nur unklar würde. Zwischen ihnen fohlt eben ursprünglich jede
innere boziehung. Und am schluss wird durch diese tilgung erst der
richtige Zusammenhang hergestellt. Das kind antwortet ebensowenig
wie die menschen der andern gruppe dem toten, sondern redet die
matter au. Und die matter ihrerseits nimmt von den Worten ihres
partners keine notiz, sondern antwortet dem kinde.
Kind.
0 vre lybe müter meyn,
Ain schwarczer man zeucht micli do hiu
Wye wyltu mich also verlän"?
Miilß ich tanczen vnd kan nit gän.
Mutter.
0 Kind, ich Avolt dich haben erlost;
So ist emjjfallen mir der trost.
Der tod hat das für komen
Vnd mich mit dir genomen.
Darch die Strophen der beiden toten wird ein neuer zasammen-
hang nicht nur nicht hergestellt, sondern der ursprüngliche wird sogar
zerrissen. Ferner tragen die Strophen der menschen einen eigenartigen
Charakter, der sich stark von dem Charakter der entsprechenden Strophen
anderer toten tcänze unterscheidet. Sie beginnen fast alle: ,,Ich irar"^ . .
„Ich hab als" . . ., und dann kommt die Standesbezeichnung, deren
stereotype betonung umsomehr auffällt, als sie uns ja schon in den
Strophen der toten angegeben wird. All das zwingt zu der annähme,
dass die Strophen der menschen ursprünglich allein gestanden haben,
dass die Strophen der toten erst nachträglich hinzugefügt w^orden sind.
Die Strophen der menschen haben ursprünglich offenbar als Unter-
schriften unter einem reigengemälde an stelle der einfachen bezeichnung
der dargestellten menschen gestanden. Dadurch wurde in diesen Strophen
die betonung des Standes notwendig, wenn sie sich nicht aus dem Inhalt,
wie z. b. beim arzt, Juristen usw., von selbst ergab. Daher auch die
einförmigkeit und Inhaltslosigkeit dieser Strophen, die ja nur eine etwas
weiter ausgeführte paraphrase der Standesbezeichnung sein sollten.
Dadurch, dass sich die handschrift H^ ausdrücklich auf einen zu
ihrem text gehörigen Codex albus bezieht, der die totentanzbilder
enthielt, wird diese ansieht bestätigt. Leider ist von diesem Codex albus
keine spur mehr vorhanden.
Demnach bietet die handschrift H^ uns also nicht etwa einen
durch die willkür eines abschreibers um die hälfte der Strophen ver-
kürzten text — eine annähme, die an sich den Stempel der unwahr-
scheinlichkeit tragen würde, da sich schwerlich eine begründung für
sie finden würde — sondern sie stellt uns den ursprünglichen zustand
des textes vor äugen. Diese feststellung ist für die geschichte des
DKK UBKKDKUTSCllE VIKUZKILIÜE TOTK.NTANZTEXT 73
obordeutschen t(^tentanztextes von entscheidender bedeutung. Nicht nur
das handschriften Verhältnis, sondern auch die abhängigkeit des Baseler
textes von dem handschriftlichen wird dadurch sofort erklärt. Es fragt
sich, ob dieses resultat sich auf anderem wege bestätigt. Die text-
kritische Untersuchung wird die probe für unsere beweisführung sein.
Die handschrift H^ ist die älteste von den sechs handschriften
resp. blockbüchern, die unsern text enthalten (t. aq. 1443). Da jedoch
der zeitliche abstand der handschriften, soweit er festzustellen ist,
äusserst gering ist, so ist dieser umstand ohne bedeutung. Aber auch
an reinheit des textes steht keine andere handschrift ihr gleich. Es
findet sich in ihr keine stelle, die auf grund des textes einer anderen
handschrift verbessert werden müsste. Und andererseits enthält sie eine
reihe von lesarten, die unzweifelhaft die echten sind und die von keiner
der anderen handschriften gebracht werden.
Einleitung 7 fg.
H': Mit des himels poit, die in geölfut ist.
Das ander die bösen weist
Ab zu der hellischen porteu.
Hier ist frühzeitig in v. 7 die Umstellung „ist gcöffnt" eingetreten
(so M^ ÄP M^) und dadurch der reim verwischt worden. Das hat
offenbar in H^ und Berl zu der änderung der betreffenden stelle anlass
gegeben :
Berl: Durch das erst die fromen hand gewin
jn des himels fröiden, do si kumon hin.
Das ander nach den werten
Die bösen wist
ab zu der heischen porten.
IP: Dach des ersten die guten hand gewyn,
Do sie yn den hymmel kernen.
Do nemen sie des guten fromen.
Massmanns herstellung:
mit des himels port, die in ist
geöffnt, das ander die bösen wist
ist sclinii (leshalb zu verwerfen, weil sie das einzige beispiel eines stark
auffallenden enjambements in den deutschen text bringen würde.
FV, 1 fg.
II': Ich han als ain koning geweltiklych
Die weit gerogyrt, als rom das reich.
Latein.: ^7 njo rc.r urhc/ii .s/c rcii no)i tt/iiius- urhcin.
74 FEHSE
Über die unklare fassung des deutschen textes wird in anderem
Zusammenhang zu reden sein. Diese stelle ist wol infolge ihrer un-
durchsichtigkeit von den andern handschriften nur verderbt widerge-
geben worden.
Berl; Ich hab als ein kunig gewaltiklich
die weit gereieret, das römisch rieh,
tl*: Ich han als ain Chunig gewaltikleich
die weit geregyrt als rayn das reich. (Ebenso M^ M^).
M^: Ich han als ain chünig gewalticlich
die weit rengniert vnd das reich.
XI,5fg.
H^: Ich han vil monnych als ain apt gelert
Streng gezogen vnd wol gener tt.
Latein.: Ut jmtcr arctaui monachos et optime paui.
M * Berl : ... vol gewert.
H^ M* M": ... wool gemert.
XVIII,7.
H^: Nu hat dem tod meyn gab versohmächt.
Alle andern handschriften: der tod.
XIX,5 fg.
H^: Ich han in dem closter meyn
Got gedynet aly ain geweyltes (mhd. u-ilen = rclare) nünlein.
Latein.: L? claustro grata seruiui cristo velata.
Alle andern handschriften und Kl. B. : geweichtes.
Die stellen, wo H^ im gegensatz zu allen andern handschriften
allein die ursprüngliche lesart bietet, sind an zahl gering. Bei dem
kleinen umfang des textes kann das nicht wunder nehmen. Und stellt
man dazu die tatsache, dass keine andere handschrift auch nur an-
nähernd so reinen text zeigt wie H^ und dass keine einzige stelle von
H' auf grund der lesarten der andern verbessert werden kann, so be-
stätigt sich uns damit das oben auf anderem wege gewonnene resultat,
dass die iiandschrift H^ uns die ursprünglichste fassung des textes bietet.
Damit sind jedoch noch nicht alle rätsei gelöst, die uns H^ auf-
gibt. Bietet diese handschrift die ursprüngliche gestalt des textes, dann
gewinnt die frage an interesse, ob der lateinische oder der deutsche
text der ältere ist. Auch diese frage ist bisher ununtersucht geblieben.
Maßmaun (Baseler totentänze s. 122) hält den lateinischen text für die
Übersetzung des deutschen und sucht dies damit zu begründen, dass
die übrigen handschriften das lateinische nicht haben. Da Massmann
offenbar H^ für eine Verkürzung des ursprünglichen textes hielt, so
erübrigt sich diese an sich schon unverständliche begründung für uns.
DER OBKRDKUTSCHE VIERZEILIGE TOTENTANZTEXT 75
Was uns bei dem vergleich beider texte am meisten auffällt, ist
die geschicklichkeit, mit der sich der Übersetzer seiner aufgäbe entledigt
hat, mag er nun das deutsche ins lateinische übertragen haben oder
umgekehrt. Diese tatsache und die fast peinliche genaiiigkeit, mit der
die Übersetzung den text widergibt, erschwert die Untersuchung, macht
sie jedoch nicht unmöglich. Es finden sich eine reihe inhaltlicher und
textkritischer kriterien, die für sich allein vielleicht unbedeutend und
zur entscheidung ungenügend erscheinen mögen, die aber in ihrem
zusammenhange die tatsache erhärten, dass der lateinische text der
ältere, der deutsche eine Übersetzung aus ihm ist.
Die erste predigt ist eine mahnung, an das jüngste gericht zu
denken. Sie geht aus von den worten, die nach Matthaeus 25,34 und
41 der weltrichter zu den frommen zu seiner rechten und den bösen
zu seiner linken sagen wird: „kommet her!" und „gehet hin!" In
diesen beiden worten Christi liegt das Schicksal der menschen nach
ihrem tode: ewige freude oder ewige pein. Darum geziemt es sich,
an den tod zu denken, der weise und narren in seinem reigen vereint i.
Die erste predigt schliesst mit den versen:
V. 10 squ. Fistula tartarea vos iungit in una Chorea,
qua licet inviti saliunt ut stulti periti,
hec ut pictura docet exemplique figura.
1) Auch die anrede, mit der die predigt beginnt 0 vos viventes hiiius nnmdi
sapienlcs — o diser iicrlt tveijsheijt khit — ist biblischen Ursprungs. 1. Korinth. 1,20
spricht Paulus von der sapientia huius mündig die er in gegensatz stellt zu der
Weisheit gottes. Es liegt also eine leise Ironie in dieser anrede. Vielleicht fällt von
hier aus licht auf jene merkwürdige beiäihrung des oberdeutschen, des französischen
und des lübisch-revalschon textes in dem ersten verse der einleitung. Der französische
text beginnt; 0 creature ralsonable^ der lübisch - revalsche text bringt die wörtliche
Übersetzung davon: 0 redelike ereaiuer. Dass eine beziehung zwischen diesem verse
und dem entsprechenden lateinischen resp. oberdeutschen bestehen muss, liegt auf
der band. Die hervorragende stelle des verses, der entsprechende inhalt zwingen zu
dieser annähme. Freilich zur entscheidung der priorität eines dieser texte reicht der
vergleich dieser beiden verse nicht aus. Ich habe die ansieht Seelmanns zurückge-
wiesen, dass der deutsche text eine ungelenke widergabe des französischen sei und
darauf hingewiesen, dass der französische text sehr wol den versuch darstellen kann,
die dem Übersetzer unklare deutsche lesart frei und doch sinngemäss widorzugeben.
Gelingt uns nun der nach weis, dass der lateinische text von H' der ursprüngliche
ist, dann ist damit Seelmanns behauptung noch schlagender widerlegt, denn dann
erklärt sich die ungelenke construction des oberdeutschen textes ohne weiteres aus dem
lateinischen. Da aber der lateinische text biblischen Ursprungs ist, so dürfte schwer-
lich an der priorität dos oberdeutschen textes zu zweifeln sein, denn die.se anrede er-
scheint in ihrem ironischen gehalt durchaus angemessen, während die anrede in der
französischen und niederdeutschen fassung zum mindesten unmotiviert crs(;heint. Der
70 Fjcii^io
V. 21 fgg. Mit seiner hellischeu pfeifen schreien
bringt er euch all an einen raien,
dar an die weisen als die narren
gezwungen in den Sprüngen farn,
als des gemäldes figuren
sind sy ein ebenbild zu truren.
Der lateinische text von v. 12 ist durchaus klar und schliesst sich
angemessen an das vorhergehende an: wie dies gemälde und die bild-
liche darstellung des abbildes lehrt. Der deutsche text erscheint danach
unlogisch, ja sinnlos. Nach ihm wären die „weisen und die narren"
ein ,, ebenbild zu trauern". Offenbar ist der schiefe ausdruck im
deutschen dadurch entstanden, dass zwei begriffe des lateinischen textes,
nämlich flgura und exemplum, vom Übersetzer in anderer "wertung ge-
faßt worden sind, als sie in der vorläge standen. Statt den vers sinn-
gemäss widerzugeben, hat er sich an die drei hervorstechenden worte
des verses pictura exemplum figura angeklammert und sie in ganz
neuer weise combiniert, ohne zu sehen, dass sich dabei der inhalt
wesentlich verschob. Der lateinische reim pictura- figura bestätigt sich
aus dem deutschen text, während der im lateinischen nicht begründete
deutsche passus „-xu truren''' in keiner weise . sich aus dem Zusammen-
hang mit dem vorhergehenden motiviert und also offenbar flickwort zu
gunsten des reimes ist.
Zweite Predigt 6 fgg. Qualiter aut c^iando venerit , manet in dubitando.
Sic etiam dura noscuntur inde futura
Propter ignotuni remanendi locuni quotjuo totum.
9 fgg. Aber wye oder wenn des todes czeytt
Kummen sol, des enwyst ir nit.
Es wirt erkant weh allen hertt*,
Was yederman dar nach ist beschertt,
Vmb das vnkündig ist die statt,
AVa yderman seyn pleyben hätt
Die lateinische version bedeutet: Wie und wann der tod kommen
wird, bleibt ungewiss. Und daher werden auch die künftigen geschicke
abstand aber, der zwischen dem lateinischen 0 vos viventes Indus niundi sapientes und
dem französischen o creature raisonable liegt, würde sich sehr gut durch die zwei-
malige Übersetzung (zuerst ins deutsche, dann ins französische) erklären. — Ich bin
weit entfernt davon, in dieser erklärung des Zusammenhangs einen sicheren beweis
für die priorität des oberdeutschen textes zu sehen. Ich will nur zeigen, dass diese
Übereinstimmung, wenn aus ihr überhaupt Schlüsse gezogen werden dürfen, für die
ursprünglichkeit des oberdeutschen textes spricht.
1) In meinem abdruck ist vor „hertt" das kolon zu tilgen. Die damit an-
gedeutete auffassung ist unrichtig (vgl. den lateinischen text; hertt = dura).
TIER niJKRDKUTSrilE VIKRZKTLIOE TOTEXTANZTEXT 7i
als liart erkannt, weil auch der ort des Verbleibens ganz unbekannt ist.
— Dadurch, dpss im deutschen ,jrch allc/i." eingefügt ist, und durch
die schwerfallige widergabe der lateinischen futura ist der sinn der stelle
unverständlich geworden, und erst der vergleich mit dem lateinischen
texte bringt licht in den Zusammenhang.
I, 1 Sanctus dicehar, nulluni viveiido verebar.
T, 1 fg. Ich was aiu hailiger babst genant,
Die weyl ich lebt an forcht bekant.
Hier erkliirt sich die auffällige Verbindung ,,an forcld hekant"
sehr einfach aus dem lateinischen. Das „bekannt", das sich so deutlich
als flickwort offenbart, ist im lateinischen nicht begründet.
IV, 1 Ut ego rcx urbeni, sie rexi non minus orhem.
V\\ 1 fg. Ich lian als aiti koning gewaltiglych
Die weit gercgyit als rom das reich.
Hier spricht die bekannte Zusammenstellung iirhem d orhem für die
Priorität des lateinischen textes ebenso wie die Unklarheit der deutschen
Version. Selbstverständlich kann hier nicht von einem vergleich zwischen
dem könige und Rom die rede sein in einer zeit, da jener den titel
eines römischen köuigs trägt. Schw-erlich aber ist Massmanns erklärung
richtig, der hier roin als „römischer voget" deuten will. Offenbar hat
der Übersetzer in dem bestreben das lateinische wortgetreu widerzugeben,
„als rom das reich" (= wie rom so das reich vgl. 1. predigt v. 23:
die weysen alz die narren) als apposition zu „weit" gefasst. Jedesfalls
zeigt sich auch hier deutlich, dass sich das deutsche erst aus dem
lateinischen erklärt.
X, 1 Nobilis imperii cotnes in mundo reputatus
X . 1 fg. Ich was in der weit geuaat
Ain edler gräf, dem reych bekant.
Auch hier haben wir wie I, Ifg. den reim (jenant . . behaut, der
im lateinischen hier wie dort nur durch ein wort motiviert ist. Auf-
fallend ist die auseinanderreissung des officiellen titeis imperii comes
(„reichsgraf"), die sich nur aus der Übersetzung erklärt.
Vergleicht man die beiden texte nach ihrer metrischen gestaltung,
so fällt beim ersten lesen auf, dass der lateinische text äusserst flüssig
und gewandt geschrieben ist. Der Verfasser meistert den leoninischen
vers mit unübertrefflicher Sicherheit und eleganz. Nirgends ist eine spur
von einem gezwungenen reim zu constatieren. In den ersten 9 versen
der ersten predigt haben wir nicht weniger wie 4 emjumboments.
Diese spielende treiheit, die den reim nicht als fessel omptinden lässt,
sondern als willig sich darbietenden schmuck der rede hinnimmt, findet
78 FEHSE
sich in dem deutschen texte nirgends. Im gegenteil fällt hier oft die
mangelhafte öconomie beim bau des reimverses auf. Iij der regel ent-
sprechen zwei deutsche verse einem lateinischen reimvers. Sehr häufig
ist nun zu constatieren, dass der erste deutsche vers fast den ganzen
inhalt des lateinischen widergibt, während der zweite deutsche vers
nur noch ein einzelnes wort nachholt.
Erste predigt 1, 1 0 t'os viventes huius nmndl sapientes
I, Ifg. 0 diser weit weyshayt kint
Alle die noch im leben sint.
1,2 Cordibus apponite duo verba christi: Venite . . .
I, 3 fg. Setzt in ewr herz zway wort,
Die von cristo sint gehört.
Zweite predigt 7 Sic etiani dura nosruntur inde futura
11 fg. Es wirt erkant weh allen hertt,
Was yederman dar nach ist beschertt.
8 Propter ignohim remanendi locimi quoque totum.
13 fg. Vmb das unkundig ist die statt.
Wa yderman sein pleyben hat.
10 fg. Ergo peccare desistite, si properare
Ad fineni ciipitis optatum; nani bene scitis . . . .
17fgg. Dar vmb solt ir von Sünden län,
Wollt ir zu dem end gän,
Des ir all seytt begirlich.
IV, 2 Nunc miser in penis mortis constringor habenis.
IV, 3 fg. Nun pin ich mit des todes panden
Verstrickt in seinen banden
IX, 1 Presul egregius renerabar hie quasi dijtis.
Ich pin wirdiklich geeret worden,
Die weyl ich lebt in bischofs orden,
XXTI, 1 Hie in sudore vixi magnoqtie labore.
Ich han gehebt vil arbeit groß,
Der schwayfß mir durch die hwt flofß.
So drängt sich häufig der eindruck auf, als würde, nachdem der
lateinische text im grossen und ganzen sinngemäss widergegeben ist,
vom Übersetzer noch einmal nachlese gehalten, damit auch nichts über-
sehen werde.
Vgl. Erste predigt 6 Gaudia vel pene sine finc sunt ibi plene
12fgg. Das ain halb ist gantz fröd beraytt.
Ander halb die peyn ach gonczlich
Über al on ende ewiklich.
sine flne ist also in der Übersetzung verdoppelt und ausserdem
ist „über al" als füllsei hinzugesetzt worden, üass dies „über al" hier
als unpassend empfunden wurde, zeigt die lesart von M^, die es durch
WM OliERPErTSniK VIKRZKII.IOK TOTKNTANZTKXT 79
,,viieit' ersetzt. Und Massnian hat diese lesart in seinen „iirtcxt" ein-
Ylir. fg. Xobih's eduxi , qiwnoii dux ipse reluxi.
Sed nnnc tit adeavi cogor cum viorte coream.
Ich hän die edlen herren fert
Als aiü herrzog geregyrt mit dem schwert:
Nun pin ich in fechen claydern glancz
Oezwngen an des todes tancz.
Hier ist im ersten teile der Übersetzung das relu.ri ohne ent-
sprechung geblieben. Infolgedessen wird es in der zweiten hälfte der
Strophe ganz äusserlich gedeutet (in fechen claydern ylancx) widergegeben.
Noch deutlicher tritt die priorität des lateinischen textes zu tage,
wenn wir die reime betrachten. Zunächst fällt die menge der flickreime
auf, die inhaltlich überflüssig erscheinen und durch den lateinischen text
nicht bestätigt werden. Im lateinischen text findet sich dagegen kein
einziger flickreim, und auch da, wo die lateinischen reime ungewöhn-
lich und auffällig erscheinen, werden sie fast ausnahmslos durch den
deutschen text beglaubigt.
Vgl. XTTT. 1 Xon iiivat rrppello de mortis ultimo belle.
Es hilf dehain appelyren nit
Von des todes letzsten streyt.
Aus dem lateinischen reim erklärt sich sofort, wie der dichter zu
dem ungewöhnlichen ausdruck iiltbnnm mortis bellum gekommen ist.
Umgekehrt finden sich im deutschen text eine reihe von merk-
würdigen ausdrücken, die ihren Ursprung offenbar der reim not ver-
danken.
Erste predigt i 7 spernere vana
j 16 Ir tut weh ab vppiger tätt.
11 inviti saliunt
24 gezwngen in den Sprüngen farn.
I, 1 nulluni vivendo ixrebar
I, 2 an forcht bekant.
I Vm, 2 reluxi
j Vlil in fechen claydern glancz
{IX, 1 presul
IX, 2 die woyl ich lebt in bischofs orden.
Noch weit auffälliger tritt die Originalität des lateinischen textes
hervor, wenn man die reime des einen textes daraufhin prüft, ob sie
im andern ihre entsprechung finden. Da zeigt sich denn die merk-
würdige tatsache, dass mit wenigen ausnahmen fast alle reimworte des
lateinischen textes im deutschen ihre entspreciuing in irgend einer form
finden, während die deutsciien reimworte sich kaum zur hälfte aus dem
{
80 FEHSK
lateinischen text belegen lassen. Dieses mag sich zum teil aus der
stärkeren begrifflichen gedrungenheit der lateinischen spräche erklären,
aber das gegenseitige Verhältnis ist doch so sehr verschieden, dass darin
allein nicht die lösung des rätseis zu suchen ist. Der lateinische text
ist wirkliches dichtwerk, und so sind denn die reimworte auch inhalt-
lich von grösserem gewicht. Wenn sie also in einer Übersetzung ihre
entsprechung finden, so ist das nicht wunderbar. Aber auch w.o weniger
hervorstechende worte den reim bilden helfen, sorgt die fast ängstlich
erscheinende peinlichkeit des deutschen Übersetzers dafür, dass nichts
übergangen wird. Und dieselbe peinlichkeit erklärt andererseits die
tatsache, dass die reime des deutschen textes zu einem grossen teile
aus dem lateinischen sich nicht belegen lassen. Genauigkeit im Inhalt
und reinheit des reimes (im weitesten sinne verstanden) wäre eine auf-
gäbe gewesen, der der deutsche Übersetzer nicht gewachsen war. Eins
musste vernachlässigt werden, und das war naturgemäss der reim.
Wenn sich uns so der lateinische text als der ältere ergibt, so
bestätigt sich uns damit die auf verschiedenen wegen gefundene tat-
sache, dass die handschrift H\ die allein den lateinischen text ent-
hält, die ursprünglichste form des oberdeutschen totentanzes bietet.
Mit diesem resultat würde das Interesse an den übrigen handschriften
unseres textes erheblich sinken, wenn nicht die beiden Baseler toteu-
tänze zu diesem in der engsten beziehung ständen. Es ist darum unsere
aufgäbe, den übrigen handschriften ihre Stellung zueinander anzuweisen
und, wenn es möglich ist, den Baseler text in die handschriftenfamilie
einzugruppieren.
8. Das handschriftenverhältnis und die Baseler texte.
Da die beiden Baseler totentanztexte die anreden der toten mit
der secundären gruppe der handschriften und blockbücher gemein haben,
so erübrigt sich die von Seelmann aufgestellte, aber unbegründet gelassene
hypothese, dass der text der handschriften ein auszug aus dem Baseler
text mit 39 gruppen sei. Denn diese hypothese bedingt ja die andere,
dass H^ eine um die lateinische version erweiterte Verkürzung des textes
der übrigen handschriften sei. Ich habe {U. d. t. s. 12fgg.) den nach weis
geführt, dass die 15 gruppen, die Kl. Basel mehr aufweist, eine neue
anschauung des totentanzmotivs zeigen, die mit der ursprünglichen im
Widerspruch steht, dass sie demnach sich als zusätze charakterisieren.
Durch die vorstehende Untersuchung begründet sich dieses ergebnis
nun von einer andern seite her.
DER OnF.IjnKUTSClII-: VTF.RZr.IT.lOE TOTKNTANZTKXT 81
J^'ür die Untersuchung des handschriftenverlialtnisses kuiumt von
den beiden Baseler texten nur der Klein -Baseler in betracht. Die leider
widerholt ohne begründung aufgestellte behauptung, der Gross-Baseler
totentanz sei der ältere und ursprünglichere, ist auf grund der bilder
von Götte (Holbeins totentanz und seine Vorbilder, Strassburg 1897)
zurückgewiesen worden. Götte hat den nachweis geführt, dass der
Gross-Baseler totentanz fehler in der Zeichnung des Klein-Baseler bildes
übernommen resp. sie in einer weise verbessert hat, die den ursprüng-
lichen fehler noch deutlich erkennen lasst. Für den text gilt genau
das gleiche. Man vergleiche z. b. die folgende stelle:
XX, .5 fg.
Ain armer gej'lcr hie in leben
Zu ainem frwnd ist nymant eben.
KI. B. 21, 5fg.
Ein armnier krupel hie uff erden
Zu einem vrund ist nemant eben.
Gr. B. 20, .5 fg.
Ein armer Krüppel hie auf f Er d
Zu einem freundt ist niemand wärt.
In zahlreichen fällen weicht KIB von dem text der liandschriften
ab. In allen diesen fällen hält sich GrB an KIB oder bringt selb-
ständige Wendungen resp. Strophen. In keinem falle zeigt sich in GrB
eine Übereinstimmung mit den handschriften, wo KIB eine solche nicht
aufweist (vgl. U. d. t. s. 20fgg.). Für unsere Untersuchung bleibt GrB
als sicherei' abkommling von KIB füglich beiseite. Wol aber sind die
mit den handschritten übereinstimmenden stellen von KIB zu befragen.
Directe Verwandtschaft in dem sinne, dass eine handschrift die
voilage für eine andere gewesen ist, kann zwischen den uns vorliegenden
handschriften nicht existieren. TI- fehlt z. b. die zweite predigt, M- hat
abweichende Stellung einzelner gruppen, in Berl ist die erste predigt
und die strophe des bauern stark verändert. Ebenso machen bei M^
und M'' eigentümliche abweichungen, die sie allein haben, die annähme
unmöglich, dass sie für eine der andern handschriften als vorläge ge-
dient haben.
Auf grund gemeinsamer abweichungen sondern sich zunächst zwei
gruppen H- und M^ einerseits und Y (M^ M'' Berl KIB) voneinander ab.
Die Gruppe T gibt sich infolge einer reihe gemein.><amcr fehler als
einheit. Die andere gruppe ist nicht durch gemeinsame fohler verbunden
(von einem sehr zweifelhaften falle XIIT, 5G abgesehen). K'^ und M-
weichen im gegenteil wider voneinander stai'k al). Das verbindende
ZF.ITSCHRrFT K. DKUTSCHK PinLOLOOIE. BD. XL. li
82 FEHSl?
zwischen ihnen ist nur der gemeinsame gegensatz zu der gruppe Y.
Es ist deshalb möglich, dass sie trotz ihres nicht besonders reinen textes
direct auf die erste handschrift, die den um die Strophen der toten er-
weiterten text hatte (X), zurückgehen. Dadurch würden sich auch einige
kleinere berührungen von M^ mit der gruppe T erklären.
H^ M^ Y
XVIT,.7fe. I 1^.'^™^' } wie W '^,^*^-"^S* (^'^ ^^^^^'"^§^)
l lugt / dingt
f pflegen an H^
XVI, 2 ■» fl T,^o I pflegen
l pflegan M- ^ ^ ^
XIX. 3 scapular schapelern (scapliern M-')
^,„ . . , ■ . I durchstreichen M^ äP Berl)
XXI, 4 einstreichen i i i . • i ^r^^,
y duck strichen KIB
XXI, 7 nie gefinden doch . . . nit finden
XXIV, 3 disen tanz den tanz
™"'l i^M-} f'""
\ ye M
Von der gruppe Y sondert sich durch gemeinsame abweichungen
die gruppe Z aus (Berl und KIB), die nach Basel hinweist. Ob
zwischen Z und M^ noch ein näherer Zusammenhang besteht, muss da-
hingestellt bleiben. Die Übereinstimmungen der handschriften M und Z
im gegensatz zu M^ sind für eine solche entscheidung nicht ausreichend.
(Vgl. XI, 6 geteert [gemert M^], XIV, 2 xues gesang [suessen Gcsanc M"],
VI,3 das lot Valien [das fehlt M^]).
Die Scheidung zwischen M^ und M^ einerseits und Z (Berl KIB)
andererseits begründet sich durch die folgenden Varianten:
M^ M^ H^ M^ Z
1,4 den tantz hoffieren zo dem tanz füren
IV, 8 verstrickt in seinen banden ser verstricket in sinen banden
VIII, 4 lat euch die toten grüssen lust euch die toten zu grüssen
XIV, 3 meiner pfeifen schal der pfiffen schal
XVI, 1 man degen
Wenn wir also die erste handschrift, die den um die anreden der
toten erweiterten text bietet, mit X bezeichnen, so ergibt sich folgender
Stammbaum der handschriftenfamilie :
H-M''
M' M'* Z
BeTi XI B
I
GrB
DER OBERDKDTSf HE VIERZEII,IGE TOTEXT ANZTEXT 83
Ob ausser den angenommenen noch weitere Zwischenglieder vor-
handen gewesen sind, Uisst sich nicht sagen, ist aber auch für uns ohne
interesse, da sich damit für die stelle, an die wir KIB setzen mussten,
nichts ändert. Die liandschrift Borl weist auf Basel hin. Sie enthält
am schluss ein blatt mit dem wappen von Basel. Ein Schutzengel steht
hinter dem Wappenschild, das von zwei basilisken (mit hahnenkämmen
geschmückte vögel, die in schlangenleiber auslaufen) getragen wird. Über
dem ganzen steht die Inschrift:
baseUischg/is du giftiger wurm vnd böser fasel
nu heb den schilt der toirdigen stat basel.
Die vorläge von KIB kann diese handschrift jedoch nicht gewesen
sein, da Berl an einigen stellen erheblich von dem ursprünglichen texte
abweicht, während KIB mit den andern handschriften geht. Ausser-
dem enthält Berl keine bilder, von dem prediger am schluss des toten-
tanzes abgesehen. Die Verwandtschaft der bilder von KIB und H-
zwingt jedoch zu der annähme, dass dem Baseler maler eine bilder-
handschrift zur vorläge gedient hat.
Für die textgestaltung ergibt sich aus dem vorstehenden zunächst,
dass H^ für die beiden predigten und die Strophen der menschen die
grundlage bilden muss. Auch da, wo die andern handschriften an-
sprechendere lesarten zu bieten scheinen, zeigt sich bei näherem zusehen,
dass H^ den ursprünglichsten text bietet (vgl. IL predigt 6 : ist benennt).
Für die übrigen Strophen sind zunächst H^ und M^ zu befragen, aber
da gerade ihr text im einzelnen sehr unzuverlässig ist, sind sie nur da
von entscheidender bedeutung, wo sie übereinstimmen. In praxi ergibt
sich trotz der zahlreichen Varianten für die herausschälung des richtigen
textes kaum eine Schwierigkeit, weil dieser in den meisten fällen deut-
lich durchschimmert. Die Schreibung ist einheitlich gestaltet, aber nur
in der weise modernisiert, dass sich jede Schreibart des textes aus den
handschriften belegen lässt.
Der toten tanz. Setzt in euer herz zwei wort,
Der erst prediger. Die von Cristo sind gehört.
'I diser weit Weisheit kind, Das ein: Get lior! das ander: Get hin!
Alle die noch im leben sind, Durch das erst die frumea liand gewin.
Überschrift. Der toten tantz Bert Das ist der toten tantz • vnd ist das die
erst predig .V* Der erst prediger H^M^ Der predigei- hio vor M- Vbei\<ichrift
fe/dt 77-. 1 0 fe/ilt ^r- aller diser weit .1/' dis werlt woyse kiiit M'
2 alle fetdt M' 5 das oyno koniet lier E" get hin das ander her .1/' das
andr'r hin V- G dach 77'-.
0*
6
84
Mit des liimels port, die iu geöifnt ist.
Das ander die bösen weist
Ab zu der hellisclien porten.
10 Also wirt in den werten
Gegeben ein sollich underscheid,
Das einhalb ist ganz freud bereit,
Anderhalb die pein ach genzlich
Überal on ende ewiglich.
15 Darumb ich euch getreulich rat,
Ir tut euch ab üppiger tat,
Wan die zeit ist kurz an disem leben,
Darnach wird ach und we gegeben
Durch den zwifachen tod,
20 Der über niemand erbermd hat.
Mit seiner hellischen pfeifen schreien
Bringt er euch all an einen reien,
Daran die weisen als die narren
Gezwungen in den Sprüngen faren,
Als des gemeldes ligureu
Sind sie ein ebenbild zu truren.
I. Der tod.
Her pabst, merkt auf der pfeifen ton,
Ir sullet darnach springen schon,
Es hilft darfür kein dispensieren,
Der tod will euch den tanz hofieren.
Der pabst.
Ich was ein heiliger pabst genant,
Die weil ich lebt, on forcht bekant.
Nu wird ich gefürt frevelich
Zu dem tod. Ich wer mich üppiglich.
IL Der tod.
Her keiser, euch hilft nit das schwert,
Zepter und kröne sind hie unwert.
Ich han euch an die band genomen,
Ir müst an meinen reien komen.
25
7 ist geöffent M^ ]\P HP jn des himels froiden do si kumen hin Berl do
sie yn den hymmel komen, do nemen sie des guten fromen II~ 8 ab weist ]\P
das ander nach den worten die bösen wist Berl das ander die bozen weizet yn pein
der hellen dy ouch ewig wirt seyn H^ 9 — 13 fehlt H- 10 in disen worten Berl
11 geben Berl 12 das ander halb ist frod beraitt M* das ein wort ist gantz in froid
bereit Berl 13 das ander wort leid vnd pin on end Berl ain halb die pein als gentzlich
HP auch gentzleich J^P JSP 14 fehlt Berl vrteil on end M' l.ö getreulich fehlt
]\P gütlich ]\P 16 ir fehlt Berl H'- 3P iP 17 wenn Berl H' 2P in disem
leben Berl H- ÄP M- AP J\P stellt 17. 18 hinter 20 18 darnach ist 2P
19 durch den czwefechegen tod H~ durch den zweiffaltigen rat ]\P durch den
zwifachen rat J/- durch den czwifachen tat ]\P 20 chain erbarmung M-
über die bösen niemant kain erbermd hat Berl der die oppigcn brengit yn not H-
dar über auch niemant chain erpermd hant J/' dar vmb niemant kain erbermd
hat M^ 21 geschraien M' wenne mit seyner pfeyfen geschrey H'- der hei-
schen pfiffen schriyen Berl 22 all fehlt AP pint er euch .¥' sie alle an
seynen reyn H'^ die Bringet vns all Berl 23 fg. doran dy weyzen czu den
sprangen mit den toren werden gecwungen H- gezwungen in disen Sprüngen müsen
varen Berl 25 dises tantzes Berl dezis gemeldis H- gewelds M' geldes
ÄP 26 sie fehlt Berl E' hie ]\P AP ew hie ,¥"- zu allem trauren AP.
I. Die Überschriften fehlen in H-; in iJ* nur lateinische Überschriften
das spricht der tod das spricht der paubst nstv. M^ der tod spricht czem pabst
der pabst spricht usw. M^ 1 uu mcrckent Berl an der pfeiffen M- meynei-
pawken don H" (auf dem dazu gehörigen holxschnitt trägt der tote des papstes eine
paulce, die in Kl B durch einen totenhopf ersetzt ist) 2 hie springen H^ AP
3 Ir dorfet keyns dyspensiren H' tispatieren Berl disputieren AP Aispefierö
JQB 4 an den tantz füeren Berl zo dem tantz füren KIB 6 ich lept
auff erd genant AI^.
n. 1 ir chaisser AP 2 zepter noch Coron j\r- hie fehlt 1/' nicht
wert H- 3 bey der band 11' 4 rainen AP.
DKK OBElJllEUXSClIK VIEIi'ZKILIGE iOTENTANZrEXT
85
Der keiser.
5 Jcli kuud das reich in hoher oren
Mit streit und fechten wol genieren,
Nu hat der tod überwunden mich,
Das ich bin weder keiser noch menschen
gleich.
m. Der tod.
Ich tanze euch vor, frau keiserin.
Springt mir nach, der rei ist mein.
Die sperbrecher sind von euch gewichen
Der tod hat euch allein erschlichen.
Die keiserin.
5 AVollust hett mein stolzer leib,
Do ich lebt als eines keisers weih.
Nun hat mich der tod zu schänden bracht,
Das mir kein freud ist mer erdacht.
IV. Der tod.
Her kunig, euer gewalt hat ein end.
Ich wil euch füi'en bei der heud
An diser schwarzer bruder tanz.
Da gibt euch der tod einen kränz.
Der kunig.
:, Ich han als ein kunig gewaltiglich
Die weit geregieit als rom das reich.
Nun bin ich mit todes banden
Verstrickt in seinen banden.
V. Der tod.
Springet auf mit cuerm roten hut,
Her kardinal, der tanz ist gut.
Ir habt gesegnet wol die leien,
Ir müsst nun mit den toten reien.
Der kardinal.
Ich was mit pabstlicher wal
der heiligen kirchen kardinal.
Nun bin ich darzu gezwungen gar.
Das ich tanz an des todes schar.
VI. Der tod.
Her Patriarch, nu lat euch lingen,
Ir müst mit mir den reien springen.
Das zwifache kreuz lat fallen.
Der tod wil mit euch schallen.
Der Patriarch.
Ich han das zwifach kreuz getragen
Als ein patriarch bei meinen tagen.
Nun wil der tod mich zwingen
Mit seinen gesellen zu springen.
VII. Der tod.
Seit ir in hoher wird gesessen,
Erzbischüf, des ist gar vergessen.
Euch kan gelielfon weder kreuz noch
pfaffen.
ir müst auch tanzen mit disen äffen.
der tantz M'-' KIB 3 sperber-
entwichen M- 6 lob J/' des
frund H-.
5 in hochen eren Berl M' M^ ]\P 6 streiten M^ M^- ]\P st(r)iten KIB
wol geweren Berl ich han das reich in hoch er mit streiten vnd fechten wol
gewert J\P 8 noch einem menschen Berl pin geleich ]\P.
in. 2 nun springt M^ der rat ü^
brecher M^ sperp'cher Jl/' von fehlt .1/*
chaisers M^ 8 me ist M^ yst nw TP
IV. 1 ein fehlt M^ pey der haut AP bey den henden H- 3 Ze diser ^P
In diser .¥' dissen swartzen il/' swarczen H' 4 des .1/' 5 das römisch
rieh Berl als reyn das rieh H- J\P M^ vnd das reich ]\P mit des todes Berl
IP M^ M": M* ser verstricket Berl verstrickt ser KIB pestreckt .V-' Nw pin
ich mit des todes banden verstricket vnd (übergeschrieben!) mit seinen panden -1/'-.
V. 4 vnd must //'-' uu fehlt ^P M'- auch mit il/' Nu müst ir .1/^
mit dem tode H- an den rayon M- 5 mit der pabstlicheu wal ^P 7 zwungen
-U' M" bezwungen M- 8 tanzen müs Berl mues tanczen M' der todes
schar M'.
VI. 1 gelingen i¥' J/- singen IP KIB 3 das lat Berl M' 4 der
tod der wil mit uch ietz schallen Berl dor tod wil ewros leyltes walten .17 ' {rgl.
XI. 4) G mich der tod Berl IP yP des bezwingen Berl 7 und mit M'.
VII. 1 er gesessen .!/•' 2 her c-rtzbischof Berl das Berl :U' nw ver-
gessen yp- 4 tanczen ouch //'- mit den uffeu J/'.
8«
Dor erzbiscliof.
Ich trug in hoher wirdigkeit
Das kreuz vor der pfafheit,
Als ein erzbischof das tragen sol
Nun gen ich au der toten zol.
VIII. Der tod
Habt ir mit trauen ie hoch gesprungen,
Stolzer herzog, oder wol gesungen,
Das müst ir an disem reien büssen.
Wol her, lat euch die toten grüssen.
Der herzog.
Ich han die edeln herren wert
Als ein herzog geregiert mit dem schwert.
Nun bin ich in fechen kleidern glänz
Gezwungen an des todes tanz.
IX. Der tod.
Euer wird und er hat sich verkert,
Her bischof weis und wol gelert;
Ich wil euch an den reien ziechen,
Da ir dem tod nit mügt entfliechen.
Der bischof.
Ich bin wirdiglich geeret worden.
Die weil ich lebt in bischofs orden.
Nu ziechen mich die ungeschaffeu
Zu dem tanz als einen äffen.
X. Der tod.
Her graf, heist euch den keiser helfen.
Ich bring euch hie zu wilden weifen,
Mit den müst ir tanzen bejagen.
Der tod will euch des nit vertragen.
Der graf.
Ich was in der weit genant
Ein edler graf, dem reich bekant.
Nun bin ich von dem tod gefeit
Und hie an seinen tanz gestelt.
XL Der tod.
Tanzt mir nach, her gugel weit,
Wie wol das ir ein apt seit,
Ir müst des todes regel halten.
Der wil eures leibes walten.
Der apt.
Ich han vil münch als ein apt gelert.
Streng gezogen und wol genert.
Nun wird ich selber hie gezwungen.
Mit des todes regel gedrungen.
Xn. Der tod.
Her ritter, ir seid angeschriben,
Dar ir ritterschaft nu müst treiben
Mit dem tod und seinen knechten.
Euch hilft weder schimpf noch fechten.
8 das todes zal M'
5 mit hoer wirdikeit i7^ 6 vor aller pfafheit Berl
nu so gang ich an der toten zol Berl deser toten H'.
VIII. 1 ie mit Berl nu mit ]\P hie mit KIB 2 wol gelungen KIB (ist
euch wol g'lungen OrB) 3 des M^ dem rayen 3P an dem mal [verbessert aus
mue) hie M"^ an dessen rayen hussen i)/^ 4 ab den toten nit grussen M^ wie
lust uch hie diser toten grüssen Berl lust uch die tote zo grussen KIB o fert H^
7 weehen I'P reichen i¥^ leynen R- jm fechten worden chranck ilf 8 be-
twungen H'- den toten IP.
IX. 1 er vnd wirde IP 4 ir türft holt nimer von mir suchen IP
8 tod Berl ]\P 3P AP KIB (H' lat. morti).
X. 2 ich peiag M- hie fehlt J/^ hut zu wilden weifen Bet-l zu ewn
weifen M-' 3 tantzen jagen Berl H^ tantzen vnd jagen J/* J^P BAitzen vnd
jagen KIB mit denen ir müst H' J\P M'-^ 4 euchs nit ]\P 6 dem reich
wol erchant if wol bechant M- 7 geuelt 2P 8 jn seinen tancz H'^ j\P AP
gezelt Berl R- AP ^P AP KIB vnd vnd Berl hie fehlt j\P.
XI. 1 nu tantz Berl tantz ]\P 2 wie wol ir nu Berl 4 er wil AV^
KIB der tod wil AP Übersehrift: der münch spricht AP 6 gar strenge
dirczogen R- erzogen AI' gemert R'^ M- AP gewert JI^ Berl 8 und mit
Berl R- AP AP vnd pin mit M-.
XII. 1 auch angeschriben AL- 2 das ir nu rittterschaft IP R'^ da
mit ir ritterschaft M^ wan ir nu die ritterschaft Berl ?> vnd mit ]\P 4 oder
vechten AP stirmen noch fechten KIB.
DEK OüEKDKÜTSClIF. ViKRZEILKiE TOTEXTAXZTEXT
87
Der ritter.
Ich han als eiu strenger ritter gut
Der weit gedient in hohem iiuit.
Nun bin ich wider ritters orden
An disen tanz gezwungen worden.
XIII. Der tod.
Die urteil ist also gegeben,
Das ir lenger nit solt leben,
Her Jurist, das tut des todes kraft.
Müget ir, so beweist eure nieisterscluift.
Der Jurist.
Es hilft kein apiDcIlieren nit
You des todes letzstem strit.
Er überwint mit seinem geschlecht
Das weltlich und das geistlich recht.
XIV. Der tod.
Her korpfaff. habt ir gesungen vor
Süssen gesang in euerm kor,
So merket auf meiner pfeifen schal,
Die verkündet euch des todes fal.
Der korher.
Ich han als ein korher frei
Gesungen manch lieblich melodei.
Des todes pfeif stet dem nit gleich;
Sie hat gar ser erschrecket mich.
XV. Der tod.
Her arzat, tut euch selber rat
Mit euer meisterlichen tat.
Ich für euch zu des todes gesellen,
Die mit euch hie tanzen wellen.
Der arzat.
Ich han jnit meinem harn schauen
Gesund gemacht man und frauen.
Wer wil mich nun machen gesund?
Ich bin zu tode wund.
XVI. Der tod.
Komet her, ir edler man,
Ir raüst der Sterke pflegen an
Mit dem tod, der niemands schont.
Ligt ir im ob, euch wirt gelont.
Der edclman.
Ich han manchen man erschreckt.
Der wol mit hämisch was bedeckt.
Nun erschreckt mich hie der tod
Und bringt mich in die jüngste not.
XVII. Der tod.
Edelfrau tanzt nach euerm sinn,
Bis die pfeif rechten ton gewinn.
Sie hat der frauen vor vil betrogen,
Die all der tod hat hingezogen.
8 mit disen M'- bezwungen A[^.
4 so fehlt il/i
6 für des Berl
8 das geisthch vnd
3 vf der pfiffen schal
7 pfeiffen M'
5 als fehlt KIB 7 ich fehlt H'
XIII. 1 das ortil i?' 2 nit lenger Berl M^
bewert M^ M- M' 5 kein appelliren czu dessir czeit IP
leczten zeytt .1/'-' hilft vor todis harten streyth H'
das weltlich recht Berl H- ili' M- HP.
XIV. 2 sus gesang Berl KIB Süsses gesang ]\P
Berl KIB 4 euch hie M^ wal ]\P G loblich M-
vngeleich M' 8 so ser H- Berl il/' M- iP KIB.
XV. Überschrift: tfimher Berl 1 gept euch selber gueten rat .1/-
2 mit ewr maysterschaft M'^ 4 hie mit euch 2P mit uch all Berl bie
fehlt M- 5 härm M' 7 nu machen mich Berl H'- HP M' nun mich
machen HP 8 czu dorne todo H- .1/' wan ich bin zu dem tode Brrt
ja den tod HP verwunt HP HP.
XVI. 1 tegen Berl KIB 2 pflegan HP au f-hlt Berl HP ^P KUi
eur sterkin HP HP ietz der Sterke Berl h moiseu he mauheit ptlegon KIB
4 legit ir nw oben W vnd ligent ir im ob Berl ligt ir im ob jU' vud
euch mit ainem solichen schimpf lont .1/- Ir ligt ve (V) im ob .1/' Suligout vch
wurtht gelont KIB 0 mit harnasch wol HP der wol was //' 7 \w
fehlt HP nu hat bezwungen mich der tod Berl 8 yn die ougistiicho not //'
an die jüngste not HV.
XVII. 1 nu tantzent Berl bas //■ bis da.s ße/7 gewint HP Kl li
4 die allir der tod //' Überschrift: Die fraw spricht HP Das udelweib HP.
88
Die edelfrau.
Ich solt treiben juchzens vil,
Sech ich vor mir der freuden spil.
Des todes pfeife mich betrügt,
Dis tanzgesaiig hie fälschHch lügt.
XVIII. Der tod.
Her kaufinami, was hilft euer erwerben?
Die zeit. ist hie, das ir müst sterben.
Der tod nimt weder miet noch gaben.
Tanzt mir nach, er wil euch haben.
Der kauf mann.
Ich het mich zu leben versorget wol,
Das kisten und kästen waren vol.
Nun hat dem tod mein gab verschmacht
Und mich um leib und gut bracht.
XIX. Der tod.
Frau nonne, ir dunket euch subtil,
Dester gerner ich mit euch tanzen wil.
Werfet von euch den scapular.
Ir müst hie mit den toten farn.
Die nonne.
Ich han in dem kloster mein
Got gedient als ein gewelltes nünleiu.
"Was hilft mich nun mein beten,
Ich muss des todes reien treten.
XX. Der tod.
Hink heran an deiner krücken.
Dein ding, das wil sich gelückeu.
Dich haben die lebentigen nit für gut.
Der tod dir besunder gnade tut.
Der krüpel.
Ein armer geiler hie im leben
Zu einem freund ist niemant eben,
Aber der tod wil sein freund sein.
Er nimt in mit dem reichen hin.
XXL Der tod.
Koch , du kanst gut pfeffer machen.
Hupf auf, ich wil dich wol besachen!
Die vorn an dem reien schleichen,
Den mustn pfeffer einstreichen.
5 -luckens ^1/- Juchiczeu H"^ genugsam ]\P 7 mich also Berl betringt
(rgl. V. 3) Berl ]\P HP bezwingt (aus betvingt?) KIB 8 sin tantz vnd gesang
Berl der tanczgesang H^ des tanz gesang ]\P M^ Mingt Berl M^ M'' KIB.
XVIII. M- setzt den hcmfinann In'nter die klosterfrmi, — 1 geworben
Berl J/-' ' gewerb if gewerbe M'- 2 das fehlt M^ 3 gut noch gaben H"^
HP 4 dantz mir noch ich will dich haben Berl Überschrift: Der reichmann
spricht J/' 6 das schrein vnd kästen H'- das chasten vnd chisten M- dy
kisten M' 7 der tod Berl H- J/' M- Jl!' 8 irnd hat mich Berl M' M-
von lieb vnd uon gut J\P vmb leib vnd leben M^.
XIX. 1 fraw mein M' gar subtil ÄP 2 dezen reyen ich H'- '.> das
scapulai- -1/- den fehlt AP schapelern Berl .¥' den scapliern ilf* 4 hin
mit 71/' mit mir vnd den Berl hie an der toten schar M- Überschrift: die
nun spricht M^ die chlösterfraw ]\P dye nunn HP kloster nun Berl
5. G Ich han in dem closter mein Got dienet ilf ' geweichtes Berl H- 3/' j\P il/^
KIB 7 mich fehlt M'^ an des todes J\P.
XX. J\P setxt den krüpel hinter den koch 1 nu hinck her mit Berl
her nach .1/^ 2 das fehlt HP dir gelucken Berl 3 leptigen ]\P lebenden
IP 4 sunder gnade Berl Ü her seit rift : krüpel Berl der steltzer spricht HP
der petlär HP der chrüpel spricht HP 5 Ayn armer pettler in dem leben
HP 6 was ich niemant eben HP ist niemant geben il/^ 7 mein fraind
HP 8 mit deti reichen Berl HP HP mit den rechten il/' den armen mit
dem reichen IP Und wil in (ich übergeschrieben niichPj nemmen mit dem reichen
liin (ein übergeschrieben) HI'-^.
XXI. 1 gueter .¥■ gute i)feffirlyn IP 2 hoppe off H- wol fehlt
IP HP il/^ wol besaichen KIB 3 die da vornen Bcvl 4 den pfeffer HP
HP KIB den saltu pfoffirlyn //' den müst jn den den pfeffer M^ durchstrichen
Berl Hl' Hl- vgl. duck strichen KIB.
DER OBElUiEUTSClIE VIKKZKILIGK TOTKNTANZTKXT
89
Der koch.
Ich han erlert vil pfoffersäck
Und gemacht das süss geschleck
Und kunt des köstleins doch nit finden,
Dar mit ich den tod möcht überwinden.
XXII. Der tod.
Bäuerlein mit deinen schuhen grob,
Rusch her, du must erwerben lob.
An disem tanz dahinden
Da wil der tod dicli finden.
Der bauer.
Ich han gehabt aü arbeit gross.
Der schweiss mir durch die haut üoss.
Noch weit ich gern dem tod empfliehen,
So han ich des gelücks nit hie.
XXIII. Der tod.
Kreuch her. du must hie tanzen lern.
Wein oder lach, ich hör dich gern
Hettest du den dutteu in dem mund,
Es hiüf dich nit an diser sti;nd.
Das kind.
0 we, liebe muter mein,
Ein schwarzer man zeuclit mich dahin.
Wie wiltu mich also verlanV
Muss ich tanzen und kan nit gan?
XXIV. Der tod.
Nun schweigt und lat euer kriegen.
Lauft dem kind nach mit der wiegen.
Ir müst alle beide an diseu tanz.
Frau, lacht, so wird der schimpf ganz.
Die muter.
0 kind, ich wolt dich haben erlost
So ist empf allen mir der trost.
Der tod hat das für kernen
Und mich mit dir genommen.
Der prediger hie her nach.
O ii- tödlichen menschen all,
Die der falschen weit wolt wolgefallen.
Bedenkt, wie das ende sei,
Und merkt, was künftig ist dabei.
Zu dem ersten gehört wie und wenn.
Das letzt ist zwiefaltig benennt.
Wa die stat zu bleiben ist.
Der tod euch allen das end beweist.
Aber wie oder wenn des todes zeit
Komen sol, des enwist ir nit.
ü viel süss geschlek Berl ili' J/^ manch süsse gelecke II' < vnd
kau M' das chöstiein M' Berl(KlB?J doch feJilt H- M- vnd kond doch Berl
M^ AI- (KIB?) nye fynden H' nie gefinden M'' .... kudich des kostlyns
(zeile rorn -verstümmelt) H'.
XXII. 2 rawsche H"- rasch M' 4 wil dich der tot 1 — 4 ganz
abweichend in Berl: purlin mit grosen seh riehen do binden (zur äbergesclirieben) mag
ich nit erwinden. du must mit disen an den tantz. erst so ist der reig gantz.
Überschrift: das pewerleiu ]\P 6 durch min antlit flos Berl 7 nun wolt
ich .1/^ 8 so mus ich an disen tantz zicchen Berl 5 — 8 in H' fast yanx
Im druck verstümmelt.
XXIII. 1 nu chreuch ,1/^ her an H' hie fehlt Berl M' MUUB ye .1/-
2 ich han 3/' 3 vnd betest Berl 4 es hilft H"- 5 Awe H" 7 nun wiltu
M^ nw vorlan IP 8 nun miiss Berl H' ]\P M- noch nicht gan Berl U"- M-.
XXIV. 3 alle fehlt M- M' jetz baide .1/^' an den tantz Berl .1/' ^1/=*
4 nu lachent Berl G nw ist //- S vnd hat 5erl .1/' .1/- vnd liat midi
vnd dich i/* hin geuumen Berl M'-.
Die zweite predigt fehlt in H' i'bcrsrhrifl : das ist die ander predig M^
dy ander predig .1/-' Überschrift fehlt in Berl 1 torlicheu Berl 2 der bösen
Berl die fehlt M' .V- J/^" wolt fehlt M' M' .1/' wolgefalie .1/' -1/' wolgefallen
frhlt .!/•' 3 gedenkt Berl M' .1/- .1/' f) vnd niclit was .1/' künftig .si Berl
0 ich zwifaltig benenn J/' .V- .1/^ icli luii zwifoltig benenn Vrrl 7 die sint .1/*
wan hio stat sein beleihen nicht .1/' 8 end fehlt .1/' !>• 10 aber wie
vnd wan die zeit des todes kumen Sol das wissen wir nit firrl 10 d;is .1/' M'
Jf wist ir M' M-.
90
Es wirt erkaut euch allen heit,
Was jederman dar nach ist beschert,
Umb das unkundig ist die stat,
Wa jederman sein bleiben hat.
15 Das alles wirt an den werken hangen,
Die in diser weit sind begangen.
Dar umb solt ir von sünden lan,
"Wolt ir zu dem ende gan,
Des ir alle seid begirlich,
20 Und ist darzu wissentlich,
Das der himel wird den frunieu,
In das feur die bösen kamen.
Die dritte predig.*)
0 mensch, sich wie du tust,
"Wann in der erd du faulen must.
Du warst nie so hoch oder so weis,
Du must werden der würm speis.
5 Gedenk, du must manchen schönen tag
Ligen und faulen in dem grab.
Und niemand nit weiss von dir.
0 armer mensch, wes warten wir?
Wir wissen weder zeit noch stund.
Morgen tot, heut gesunt.
Niemant weiss seins lebens frist
Als lang, als ein kleines weilen ist.
AVir warten des, das niemand sieht,
das uns herz und leben zerbricht.
0 mensch ker von sünden und ruf an
Mariam, die dir helfen kan.
Geb got dein sei, der dir sie gab,
So machstu an dem jüngsten tag
Vor got frölich erstan,
Wiltu von sünden lan.
Das helf mir Maria, dein werter nam,
Wan dich rufen alle sünder an.
Der tod spricht.
0 mensch, sich an mich.
Was du bist, das was ich.
Auch sich, wie recht jämerlich
Die würm beissen umb mein fleisch.
Sich mein freund kriegen umb das gut.
Sie enruchen, wie mein arme sei tut.
Der lateinische text von H^.
Der erst 'prediger.
0 vos viventes htiiiis miindi sapientes,
Cordibus apponite dtio verba Christi: Venite!
Kee non et: Ite! Per prinnim ianua vitae
lustis erit nota, sed per aliud quoqiie porta
Inferi monstratiir : sie res diver sificattir.
Gaudia rel pene sine fine sunt ibi plene.
Hinc voce sana nos hortor spernere vana.
Tempus 7iamque breve vivendi, postea vae vae
Mors geminata parit, sua nulli vis quoque parcit.
Fistula tartarea vos iungit in una ehorca,
Qua licet inviti saliunt ut stulti periti.
Haee ut pictura docet exemplique figura.
1] bekaut Berl es wirt nicht erchant allen heren J/' 12 jemant il/* .!/•'
das ist weschert ]\P 13 wan das M-^ vnkünt M^ M^ 14 da jederman
M^ 15 in den werken M^ wie alles au den werken wird hangen Berl
16 gegangen Jl/' 17 von den sünden M- welcher zu M^ 19 das ir sint
all Berl alle zeit J]/' 20 das wissenlich Berl wol wissentleich W- M'- M^
20 vnd jn das hellisch fewer M'-.
*) Die „dritte predigt^' ist nur in ]\P erhalten. In derselben hs. stehen
hinter der xtveiten predigt noch ß verse, die fast gatiz unleserlich geworden sind.
Sie beginnen: 0 werlt des tancz hat niomant zeit oder zil Tliid nyemaiit ways wenn
der pfeiffer auf pfeiffen wil.
14 hercze leben zerpricht.
DEU OBERDEUTSCH!'; VIEKZKILIGE TüTENTAiNZTEXT 91
lte))i alius doctor depictus jyredicando in opposita parte de eontemptu mundi.
0 vos mortalcs, perversi nnmdi sodales,
Fiiiem pcnsate qiie futura considerate,
Qiudibus ad priinum fempusqtce requiritur inmvi.
Pro loco dnplatiir, tibi fines perpetuahir.
Mors horrenda nimis est cunctoriwi quoque ßnis.
Qiialiter aut qitando venerit, manet in dubitando.
Sic etiam dura noscuntur inde futura
Propter ignotum remanendi locum quoque totum.
Pendet a factis in isto mundo pcractis.
Ergo peccare desistite, si proper are
Ad fineni cupitis optatuni, nam l)ene scitis,
Quod caelwn dignis locus est, sed fit malis ignis.
I. Pap a.
Sanetus dicebar, nulluni vivendo verebar.
Frivole minc ducor od mortem, vane reluctor.
II. Caesar.
Culmen imperii vincendo magnißcavi,
Mortc sum victus, non caesar, non homo dictus.
III. Caesarissa.
Deliciis usa vivens ut caesaris uxor,
Morte confusa nullis modo gaudiis utor.
IV. Rex.
Ut ego rex urbein , sie rexi non minus orheni.
Nunc miser in penis mortis constringor linbenis.
V. Cardinalis.
Ecclesiae gratus fiii ^jc»' papam piliatus;
Mortis protervam nunc stringor adire eatervam.
VI. Patriarcha.
Dupliei signatus eruce sum, patriarcha vocatus,
Et mortis dirae cogor consortes adire.
VII. Ärchiepiscopus.
Doctriyia fultis hoc signum praetidi niultis,
Metropolitanus nunc cum vanis ego vamis,
Vin. Dux.
Nobiles eduxi, quorum dux ipse rclitxi,
Sed nunc ut adeam cogor cum morte choream.
IX. Episcopus.
Praesiil egregins venefabar hie quasi diii(.-<.
Heu nunc distorti pracsumunt nie dare morti.
X. Com es.
Kohilis imperii conies in mundo rrputal/is.
Morte nunc perii corisantibus associatus.
I'EIISE, DKR OBEKDKÜTSCHE VIERZEILIGE TOTENTÄNZTKXT
XI. Äbbas.
Ut 2intei' arctavi monachos et optime pavi,
Nunc egoviet stringor et mortis regida cingor.
XII. Miles.
Strenuits in arniis deduxi gandia carnis.
Contra iura mea diicor in ista Chorea.
XIII. lurista.
Xo/i iuvat appello de mortis tdtiino hello;
Sitccumhunt iura legesque siib ista figura.
XIV. Ca n 0 n Ic u s.
In choro cantavi vielodias, quas adamavi.
Discrepat iste sonus et mortis fistida tonus.
XV. Medicus.
Curavi tiiultos iuvenes mediocres aduUos.
Quis modo me curat? Mihi mors contraria iurat.
XVI Nohilis.
Armis consortes in vita terrui fortes;
Nunc mortis terror me terret, ultinms error.
XVII. Nobilissa.
Plaudere deberem, si ludicra vitae viderem,
Fistida tue fallit mortis, quae dissona psallit.
XVIII. Mercator seu cives.
Vivere speravi thesauros elaboravi,
Munera mors spernit, ab amicis me que secernit.
XIX. Monialis.
In claustro grata servivi Christo velata.
Quid valet orare, ine mors itibet hie corisare.
XX. Mendicus.
Pauper mendicus viventi turpis aniicus
Marti carus erit, illuni cum divite quaerit.
XXI. Cocus.
Ferrula condita quamvis in mundo paravi.
Paptiis n vita mortem miniine superavi.
XXII. Rusticus.
Hie in .sudore vixi magnoque labore;
Non minus a morte fugio contraria sorte.
XXJTT. Puer in cunabulo.
0 cara mater, me vir a te trahit ater,
Debeo saltare, qui nunquam scivi meare.
XXIV. Mater.
0 fili care, quae te volui liberare,
Morte praeventa saliendo sumque retenta.
liTIR(i HEI MAGDEBURU. WILHELM FEHSE.
GEIGET?, rrilLOLOGEXVKKSAMMLt'N'ti IX BASEL 1007 9r!
Bericht über die verliaiulluii^en der j^erinaiiislischeii seetion der IJ). versaiuinliinj?
deutscher philolog'eii uud sohiilniUiiner zu IJasel.
Die erste sitzunj; der gennauistischen (4.) section der versaniiiiluug- deutscher
Philologen und Schulmänner fand dienstags, den 24, September 1907, naclimittags 2' ., uhr
im concertsaale der musLkschule statt. Prof. dr. John Meier -Basel, als erster obniann
des vorbereitenden ausschusses, begrüsst die anwesenden mitglieder und gedenkt
hierauf der männer. die der deutschen Sprachforschung seit der letzten tagung ent-
rissen wurden, vorab Moritz Heynes, der von 1870 — 1883 als nachfolger Wilhelm
"Wackeraagels erfolgreich in Basel wirkte. Die section erhebt sich zur ehiung der
verstorbenen von den sitzen.
Prof. dr. Ernst Martin - Strassburg beantragt, die beiden obmänner des vor-
bereitenden ausschusses prof. dr. .Tohn Meier -Basel und prof. dr. Albert Gessler- Basel
zu Vorsitzenden der section zu ernennen, was die Versammlung beschliesst. Die
schriftführung übernehmen nach dem vorschlage der obniiinner dr. Ernst Jenny -Basel
und dr. Emil Geiger- "Wohlen.
Der erste Vorsitzende teilt mit, dass die herren prof. dr. Edward Schröder-
Marburg und prof. dr. Roman Wörner- Freiburg i. Br. am erscheinen verhindert seien,
was die Streichung der beiden vortrtäge „Die ältesten münzbezeichnuugen der Ger-
manen" (Schröder) und „Zur kunstlehre des jungen Goethe: die notwendige Unwahr-
heit der form" (Wörner) zur folge hat.
Die reihe der vortrage eröffnet prof. dr. Andreas Heusler-Berlin. Er
spricht über: „Metrischen stil in stabreimender und endreimender zeit."
Die kernfrage der versforschung: wie sprechen wir die verse? kommt in den schrift-
lichen abhandlungen nicht immer zu ihrem rechte; mündliche vortrage der verschie-
denen metrischen Standpunkte böten eine weit bessere grundlage zur beurteilung. Der
vortragende will an drei vei'schiedenen metrischen stilen der deutschen versgeschichte
das kennzeichnende formgefühl aufzeigen.
Der „jambisch -trochäische" stil bedeutet dem rhythmus der prosa gegenüber
ausgleichung und herabsetzung der natürlichen coutraste. Die empfindung des gleich-
bleibenden von vers zu vers ist hier besonders stark. Der lateinisch -romanische
Versbau, der diesem princip seit alters folgte, hat schon im 9. Jahrhundert auf den
deutschen reimvers eingewirkt. Aber es entstand zunächst keine copie, sondern eine
charakteristische metrische familie, die in der mitte stehen blieb zwischen dem
exnltet edelum U'mdibüs und der Mtern germanischen form: dem altdeutschen vers
(füllungsfreier viertakter).
Eine vergleichung von knittelversen Goethes und Ilartmanus von Aue mit
jambisch -trochäischen versen zeigt die Verschiedenheit der sprachstilisierung der
beiden familien: hier strebt die spräche nach einer schmeidigiuig der contraste, dort
wird der prosarhythmus nach Seiten der Steigerung stilisiert, und die zeitliciien gegen-
sätze verstärkt. Mau lese z. b. die zeile: und dieses herz fühlt wider jugend-
lich einmal als prosa, dann in alternierenden rhythmen, endlich als fiillungsfreicn
viertakter, um den unterschied klar zu hören.
Was diesen zweiten stil vom ersten abhebt, eben diese eigensihaften , in or-
höhtem grade genommen, zeichnen den dritten stil, den altgernianischon aus. Wi«
in diesem ein eigenes formgefühl waltet, i.st gut zu vordeutlidion an sprirhwörtorii
wie: Wenn der wei'n niedersitzt, so schwimmen die wörtö einpur; di'r
mensch d.nkt, CVtt lenkt. Der vi<Tgliedngo „nlfdetit.scho vers" ist schmieg-
94 n EIGER
samcr als der zweigliedrige altgcnnaüischc; an vier stellen liauii er ciucu vollen
uachdrucksgipfel aufnehmen. Die eigentlieho marke des altgermanischen versstiles
ist die schroffe rangabstufuug, die höchst ungleiche aufteilung der versdauer an die
einzelnen Silben; sie kommt namentlich in den überlangen des ersten verstaktes zur
geltung: stä'tt und stunde heissen den dieb stehlen (cf. ahd. hina miti
Deotrihhe). Der Stabreim selbst, der nicht ein aufgeklebter zierat ist, sondern
ein gipfelbildner, stärkt diese herrische zeitliche contrastierung. Die gesteigerte,
erregte spräche der episch -hymnischen dichtung, aber auch der scharfe nachdruck
der Spruchpoesie kommen erst bei dieser rhythmisierung wahrhaft zum ausdruck.
Der häufige logisch -syntaktische gleichlauf heischt diese gliederung; so bringt z. b.
die priamelstrophe Häv. 81: At | kveldi skal | dag leyfa, | konu, er | brend
er, I nnr^ki, er | reyndr er, | mey, er | gefin er, | Is, er | yfir k0mr, | ol, er
drukkit er diesen altgermanischen rhythmenstil unserm gefühle mit einer unmittel-
baren Selbstverständlichkeit nahe.
Der vortragende bringt mit V(^luspastrophen die getragen - sangbare art, mit
Heliandzeilen die rhetorisch bewegte art des epischen masses zu gehör. Das Hilde-
brandslied steht in der mitte. Trotz seinen formfreiheiten ist dieser deutsche dichter
ein besonders ausdrucksvoller rhythmiker: mehrere verse (z. b. hwer sin fater
wari) bringen den besondern sinn ihrer stelle zu schlagender Wirkung und sind zu-
gleich typisch für den gegensatz zwisclien altgermanischem und altdeutschem vers-
stile. Der meisterhafte vertrag ausgewählter teile des gedichtes brachte die stimmungs-
volle abwechslung und den wolklang dieser mächtigen rhythmen zu voller Wirkung. —
Eine discussion fand nicht statt.
Hierauf erhält prof. dr. Alois Brandl-Berlin das wort zu seinem vortrage
über „die G,otensage bei den Angelsachsen". Es sind gründe persönlicher und
wissenschaftlicher natur, die den vortragenden zur behandlung des themas drängen.
Persönlich nämlich ist ihm der Sagenkreis Dietrichs von Bern von Jugend auf vertraut,
und er möchte ihn deshalb ungern in der englischen litteratur missen, wissenschaft-
lich aber hält er die gegen den bestand der sage vorgebrachten argumente nicht für
stichhaltig. Er begründet seinen Standpunkt durch eine kritik der abhandlung von
prof. dr. Binz: Zeugnisse zur germanischen sage in England (Paul, Braune
Beiträge bd. 20, 141fgg.), der namentlich das fehlen altenglischer eigennamen, die dem
gotischen Sagenkreise entnommen sind, für einen beweis der geringen Verbreitung
dieser sagen in England hält. Dem gegenüber macht der vortragende durch den
hinweis auf das ähnliche verhalten der namengebung gegen andere nachweislich weit-
verbreitete sagen geltend, dass die eigennamen überhaupt kein wesentliches kriterium
für die feststellung der Verbreitung einer sage sein können. Wol darf man aus
dem häufigen vorkommen eines namens schliessen, dass der Sagenkreis, dem er an-
gehört, grosse Popularität geniesst, andererseits aber ist das fehlen der namen kein
stichhaltiger beweis für das fehlen des betreffenden Stoffes in irgend einem gebiete.
Ob ein name populär wird oder nicht, muss noch durch andere gründe als nur die
Volkstümlichkeit der quelle bedingt sein, da z. b. auch Hengest und Horsa nur spär-
lich in der englischen namengebung sich vorfinden. Ferner ergibt die kritische durch-
sieht der alt- und mittelenglischen litteratur eine ganze anzahl belege dafür, dass tat-
sächlich die kenntnis der (lotensage vorausgesetzt werden muss. Ja, der umstand,
dass diese meist nur als knappe andeutungen auftreten, scheint darauf hinzuweisen,
dass die sage allgemein bekannt sein musste, weil sonst derartige anspielungen nicht
verstanden worden wären. Endlicli führt der vortragende einige neue oder anders
rmi.OLOGENVKRSAMMLTTXG IM nASET. 1907 95
aufgefasste Zeugnisse an, die als weitere beweise für eine grössere verblei tun^' der
(ioteusage liei den Angelsachsen dienen können. iSo wird in Aelfrcds Bo('thiusüber-
setzung Dietrich als ein Amelunge bezeichnet, in Deors klage Dietrichs härte getadelt;
ferner finden sich in einem mittelenglischen Wace-fragment, sowie in Walther Maps
Nngae curialium züge der Gotensage vor.
Auf grund der mitgeteilten erwägungen und belege schliesst der vortragende,
dass die Gotensage auch bei den Angelsachsen wie bei allen Germanen im mittclpunkte
der heldeuüberlieferung stand und in der hauptsache bereits mit den heidnischen
eroberern im (5. Jahrhundert über den kanal gelangte. Für eine weite Verbreitung
sprechen die zeitlich grosse ausdehuung der einzelnen zei;gnisse und ihr auftreten an
verschiedenen orten und bei verschiedenen Volksschichten, ferner auch der umstand,
dass sich die Verfasser jeweilen mit aphoristischen andeutungen begnügen.
Aus dieser saclilago ergibt sich aber auch einiges licht füi' den zustand der
Gotensage auf dem festlande in jener zeit. Die gestalt Dietriclis von Bern, der 52G
starb, muss bereits wenige Jahrzehnte nach seinem tode ins übermenschliche ge-
steigert und nnt dem keim zu jenen drachen- und elbengeschichten ausgestattet
worden sein, mit denen sie im 15. Jahrhundert im Heldenbuch erscheint.
An den Vortrag knüpft sich eine lebhafte discussion. "Während einige redner
den Vortrag prof. Brandls in einzelheiten ergänzen, erklärt jn-of. Binz- Basel, dass
er heute manches anders fassen würde als vor 12 jähren. Er legte damals auf das
vorher nicht beachtete kriterium der eigennamen vielleicht etwas zu viel gewicht, glaubt
aber doch noch, dass die Gotensage, deren existenz bei den Angelsachsen angesichts
der litterarischen Zeugnisse nicht zu bestreiten ist, sich nicht der gleichen beliebtheit
erfreute, wie auf dem continent, wo sie im mittelpunkt der ganzen heldensage steht. —
Nach einon kurzen Schlussworte prof. Brandls wird die sitzung geschlossen.
Die zweite sitzung fand Mittwoch, den 25. September, vormittags statt und
zwar gemeinsam mit der romanistischen section, die der versitzende, prof. dr. Albert
Gessler-Basel, begrüsste.
Hierauf besprach prof. dr. Carl Voretzsch-Tübingen: „Die neuern
forschungen über die deutschen Rolandsbilder". Die deutschen Roland-
standbilder, die sich in einer anzahl niederdeutscher städte befinden, locken den
Philologen zur genauem betrachtung, bieten aber ihrem wesen nach nicht ein philo-
logisches, sondern ein rechtshistorisches problem dar. So haben sich denn vor allem
Juristen und historiker, ausserdem noch mythologen und nur vereinzelt philologen
mit der lösung beschäftigt. Der redner gibt nun eine knappe Zusammenfassung der
bisherigen forschung.
Erst der archivrat Georg Sello stellte die forschung über die Rolandbilder
auf festen boden. Sein Rolandkatalog (1890) sichtet das material und seheidet alle
bildwerke, die den namen zu unrecht tragen, aus. Nach ihm sind die Rolandbilder
ursprünglich königsbilder, speziell bilder des städtegründers Otto 1., die besonders
unter litterarischen einflüssen den namen Roland nach dem paladin Karls des grossen
erhielten. R. Schröder dagegen vertritt die ansieht, dass die statuen an die stelle
ehemaliger marktkreuze getreten sind, also Symbole der marktberochtigung darstellen.
Eine ähnliche Symbolwandlung vertritt F, Keutgen, nur liält er die statuen für so-
genannte Gerichtsrolande, die an stelle der die Stadtgerichtsbarkeit anzeigenden friede-
kreuze getreten sind. Noch weiter geht der rechtshistorikcr Kii'tsclil . d<'i dio figuren
9() OEIGEK
selbst als urspi üuglicJi ansieht, als Verkörperung' der dauerudeu gerichtsherrschaft des
fürstlichen stadtherrn über die Stadt. Mythologisch deutet die bilder Paul Platen,
der darin alte Donarbilder, neuerdings Tiu-Sahsnotbilder erblickt.
In ein völlig neues Stadium trat die forschung durch die sogenannte Spielroland-
theorie, gleichzeitig aufgestellt von dem historiker Heidma un und dem germanisten
Jostes. Beide leiten den Wahrzeichen-Roland von der im Rolandspiel als ziel dienenden
drehügur .ab und führen diese auffällige Umwandlung der bedeutung auf die kecke
fälschung des Bremer ratsherrn Hemeling zurück, der 1404 den im jähre 1366 ver-
brannten hölzernen Spielroland durch einen steinernen ersetzen Hess und diesen durch
den auf den schild aufgezeichneten freiheitsspruch im verein mit fälschung von Ur-
kunden und der stadtchronik zum träger städtischer freiheiten machte. Heldmann
hält aber das Rolandspiel für eine genaue nachahmung der sterbescene Rolands im
epos, während Jostes darin vielmehr das französische quintainespiel erblickt und den
namen der spielfigur aus ihrer drehbarkeit (rotttlare-roider=Yo\leu) erklärt, der volks-
etymologisch an Roland angelehnt wurde.
Soweit die bisherige forschung. Tritt mau vorurteilslos an die frage heran, so
ist wol name und weseu der figur zu trennen, denn das wesentliche sind die Stand-
bilder selbst, während der name erst auf späterer Übertragung beruhen kann. Allein
da selbst die ältesten Überlieferungen keinen klaren aufschluss über die bedeutung
der Statuen geben, bleibt wol nur die wähl zwischen den verschiedenen hypothesen,
von denen Seilos auffassung der Rolande als königsbilder und die von Rietschi, Keutgen
u. a. vertretene deutung als gerichtssymbole die ansprechendsten sind. Für die letztere
spricht vor allem der Sachsenspiegel, dessen richterbilder und Vorschriften über die
kleiduug der richter und Schoppen auffällig mit dem typus der Rolandstandbilder über-
einstimmen. Gegen die deutung der statuen aus spielfiguren spricht schon der total
verschiedene typus, dann aber auch die von Walther Stein nachgewiesene tatsache,
dass die Hemelingschen fälschungen erst nach 1419 möglich waren, also zeitlich
nicht mit der errichtung des steinernen Rolandes zusammenfallen.
AVas nun den namen der Gerichtsrolande betrifft, so liegt hier gewiss eine anspie-
lung auf den epischen Roland vor, schwieriger aber ist die erklärung dieser tatsache, weil
handschriften deutscher Rolanddichtungen in Niederdeutschland offenbar nicht so häufig
waren, dass sie die popuIarität des beiden zu erklären vermögen. Ebensowenig gibt
die namenforschung aufschluss, da der name von haus aus deutsch ist und unabhängig
von der litterarischen Überlieferung fortgepflanzt wurde. Gegen eine blosse Über-
tragung des namens von den Spielrolanden auf die Wahrzeichen-Rolande spricht der
umstand, dass das spiel selbst ursprünglich Roland hiess.
So ist der name der richterfigur noch nicht befriedigend gedeutet. Der vor-
tragende vermutet im auschlusse an die forschungen Seilos, dass die auf Karl den
grossen zurückgeführten, 118G urkundlich bestätigten Privilegien der stadt Bremen
das mittelglied bildeten. Da die richterfigur stets als symbol städtischer gerichts-
freiheit galt, hielt man sie auch für ein Sinnbild jener Vorrechte. Es ging nun aller-
dings aus äussern gründen nicht an, das Standbild für dasjenige Karls des grossen zu
halten, und so trat sein erster paladin als Stellvertreter für ihn ein. So könnte der
name vielleicht auf gelehrter oder halbgelehrter deutung beruhen, da die bezeichnung
der figur nicht unbedingt popuIarität voraussetzt.
In seinem Schlussworte nach der discussion vertrat prof. Voretzsch nochmals
einer abweichenden hypotliesc dr. Seelmanns -Bonn gegenüber den standi)unkt, dass
die statue und nicht die säulo das wesentliche sei.
rim.OLOGENVEIJSAMMIJ'NG IN n.\SEL 19117 97
Prof. dr. Karl Bohnenberger-Tübiiigea teilte hierauf iu seinem vurtragu
„Über mundartengrenzen" die wichtigsten resultate seiner forschungen mit. Die
eingehenden wortgeographischen Untersuchungen auf dem gebiete des alemannischen
haben allgemeine ergebnisse über mundartengrenzen geliefert. Die grenze des ale-
mannischen erseheint gegen uachbarmuudarten entweder als einheitliche linie
oder als zone, und zwar tritt diese letztere entweder als linienbündcl oder als völlige
Zerstreuung der linien auf. Die Ursachen dieses grenzverlaufs lassen sich in weitgehendem
niasse aufzeigen: grenzlinien wie zonen stimmen zum teil mit heutigen confessions-
grenzen, meist aber mit ehemaligen besitzgrenzen überein. Es besteht also zwischen
politisclier und sprachlicher grenze ein ursächlicher Zusammenhang. Die geschicht-
lichen grenzen zerfallen nun in zwei gruppen: eine jüngere gruppe aus der zeit des
ausgehenden mittelalters , die bis zur auflösung des reiches fortbestand und zum teil
noch iu der heutigen confessionsgrenze fortlebt, und eine ältere gruppe, bestehend aus
den grenzen der lierzogtümer (bezw. stamme) und der daraus erwachsenden gebilde.
Dabei sind nun die Jüngern grenzen der ersten gruppe als die zeitlich näher liegenden
von grösserer Wirksamkeit-, die bedeutnng der älteren grenzen liegt darin, dass da, wo
sie mit den heutigen politischen grenzen zusammenfallen, die mundartgrenzen verstärkt
werden. In andern fällen hat zwar zuerst die alte hcrzogtumsgrenze als verkehrs-
grenze sprachscheidend gewirkt, -ilit ihrem erlöschen haben aber benachbarte jüngere
besitzgrenzen die Sprachgrenze an sich gezogen, gewöhnlich die zunächst liegenden,
obschon auch Übergang an fernere zu beobachten ist. Immerhin lässt sich feststellen, dass
die abweichungen von der alten grenze nicht allzu grosse sind; die heutige grenze
der alemannischen mundart folgt im allgemeinen der alten hcrzogtumsgrenze recht
genau. Auch für die innere gliederung einer mundart erweisen sich die Jüngern
besitzgrenzen als massgebend. Neben den geschichtlichen Ursachen wirken an der
gestaltung der Sprachgrenze auch die natürlichen Verkehrshindernisse mit (gebirge,
flüsse, Wälder usw.); das mass dieser beeinflussung ist aber schwerer zu bestimmen.
Proben auf ausseralemannischem gebiet haben volle Übereinstimmung mit dieser gesamt-
lage gezeigt und daher die allgemeine bedeutung der hier gewonnenen ergebnisse gestützt.
Anschliessend an den Vortrag wies prof. dr. Louis Gauchat -Zürich auf die
förderung hin , welche die mundartenforschung der französischen Schweiz den deutschen
Untersuchungen verdankt.
Nach der gemeinsamen sitzung tagte die germanistische section noch allein,
um die ausführungen von prof. dr. Fridrich Pfaff - Freiburg i. Br. über „Die
Tannhäusersage" anzuhören. Die entwickelte Tannhäusersage ist in den verschie-
deneu fassungen eines alten Volksliedes und in der volkssage vom Yenusberg bei
Uffhausen im Breisgau überliefert. Den besten tcxt des liedes bietet ein druck von
Jobst Gutknecht in Nürnberg aus dem Jahre l.ölö (Uhlaud, Volkslieder 1, 2, 297),
Dieser text, der unter die besten deutschen balladendichtungen zu zählen ist, hat
aber ein bedeutend höheres alter als der druck. Neben dieser fassung linden sich
im ganzen deutschen Sprachgebiete zahlreiche neuere poetische bearbeitungen der sage^
die aber alle teils duVch auslassungeu , teils durch Zusätze entstellt sind. Der uanie
des sagenhelden ist verändert oder ganz vergessen, und statt des erlobnisses mit der
göttin Venus erwähnen diese lieder nur grosso sünden. Dagegen stellt die Komfahrt
im Vordergrund.
Die sage von Uffhausen erzählt Heinrich Schreiber in seinem Taschonbucii
für geschichte und altortum in Süddeutschland (1839). Eine vorhöho des Schönberges
bei Froiburg i. P.r , nahe bei Uffhausen, heisst der Vuniislierg (Fiiiisliorg). Ein ritter
ZEIISCHRIFT K. OKUnSCHK fUll.OLOOlK. HU. XL. 7
98 GEIGEK
von der nahen Schneebui'g zog nach Rom, um lossprechung von seinen schweren
Sünden zu erlangen. Diese wird vom papste verweigert: eher soll dessen dürrer stab
rosen tragen. Der ritter kehrt heim und stürzt sich verzweifelnd in den offenstehenden
Venusberg. Nach zwei jähren trägt der stab rosen. Der papst sendet der witwe bericht,
man gräbt im bei'g und findet den ritter tot. Zum saal der Venus ist man aber nie-
mals gelangt. Also auch hier fehlt das Vorspiel im Venusberg.
Die' vollständige sage zerfällt in drei grandstoffe: 1. erlebnisse Tannhäusers.
2. sage vom Venusberg. 3. legende vom stabwunder.
Der held ist ohne zweifei der minnesinger Tannhäuser, der um die mitte des
13. Jahrhunderts dichtete. Seine heimat steht nicht fest, und seine Schicksale kennen
wir nur aus seinen gedichteu. Danach war er ein leichtlebiger geselle, der auf aben-
teuerlichen reisen das heilige land besuchte, nach Cypern kam und bei Kreta einen
Schiffbruch erlitt. Die gestalten der atitike waren ihm nicht ganz fremd, nennt er
doch Venus. Pallas. Medea, Sibylla in seinen liedern; auch der nekromantie will er
kundig sein. Warum sich nun die sage vom Venusberg an ihn anschloss, lässt sich
nur vermuten. Da er auf Cypern, dem heiligtum der Venus, war, kann er wol eine
grotte der Venus besucht haben. Die erzählung seiner abenteuer deutete dann die
wundersüchtige zeit um.
Die fahi'enden Schüler des späteren mittelalters brüsteten sich damit, sie hätten
im Venusberg die schwarze kunst gelernt. Solcher Venusberge und Feneslöcher, in
denen die weisse frau wohnt und die Fenesleute (zwerge), gibt es in Deutschland viele,
der echte aber, der Sibyllenberg, liegt in Itahen bei Norcia im herzogtum Spoleto.
Von ihm berichten manche Schriftsteller, vor allem Antoine de la Salle (geb. 1387)
in seinem ^Salade", einer erziehungsschrift für Johann von Anjou, den söhn könig
Renes. Er hat den zauberberg selbst besucht und ein der Tannhäusersage ähnliches
abenteuer vernommen. Dass nun in Deutschland der name Venus in der bezeichnung
des berges auftritt, hängt damit zusammen, dass hier die antike göttin durch die
Vagantendichtung früh bekannt wurde. Da Venus aber nach der aussage fahrender
Schüler zugleich die lehrmeisterin der schwarzkunst ist, lag es nahe, sie der an-
tiken Sibylle, die im berge bei Norcia haust, und mit der weissen frau der deutschen
sage, deren aublick dem menschen Unglück bringt, gleich zu setzen. So wird der
Sibyllenberg in Italien zum Venusberg umgedeutet und mit allen eigenschaften der
deutschen zauberberge ausgestattet.
Die strenge des papstes gegen Tanuhäuser hat oft Verwunderung erregt. Sie
ist aber nur ein ausfluss der uralten auffassung, dass der anblick des heiligen dem
menschen verderblich sei. Deshalb gilt auch die gemoinschaft mit götterhaften , unter-
irdischen gewalten für unheilvoll. Tannhäuser hat sich dem elbischen wesen ergeben
und ist darum nach menschlicher auffassung verloren. Nur ein göttliches wunder
kann ihn retten: das stabwunder. Es ist der ausdruck der göttlichen erwählung, was
Aarons priesterwahl und Josephs, des Zimmermanns, grünende rate beweisen. So ist
der biblische Ursprung des vvunders ziemlich sicher.
Alle diese bestandteilc waren im 14. Jahrhundert vorhanden und bekannt.
Ihre Zusammenfassung ergab die Tannhäusersage, die dann je nach den örtlichen
Verhältnissen gewisse umdoutungen erfuhr. So war z. b. in Uffhausen i. Br. neben
der erzählung von den un taten der Schneeburger die sage verbreitet, es wohne eine
weisse frau im berge, die wol die menschen zu sich hineinlocke, aber nicht mehr
hinauslasse. Die fertige Tanuhäuser,sage brauchte nur als lied oder erzählung in die
gegend zu dringen, um sich mit leichtigkeit hier anspinnen zu können.
PHILOLOGENVERSAMMI-rNT. IX BASp;L 1907 99
In der discussion tarnen einige abweichende crklärungen des bergnamens zur
spräche. Vor allem wurde auf die an einigen orten auftretende form Venisberg auf-
merksam gemacht, welche auch eine deutung nach der Stadt Venedig zulasse, spielte
diese doch im mittelalter als mittelpunkt des handeis auch im norden eine grosse rolle.
Diesen abweichenden meinungen gegenüber beharrt prof. Pfaff auf seiner auffassung
und verweist dabei auf die bald erscheinende buchausgabe seiner forschun^reu.
Die dritte sitzung hielt die gernianistiscbe section gemeinsam mit der
romanistischen und englischen abteilung donnevstag, den 26. September, vormittags ab.
Nach einigen einleitenden worten des Vorsitzenden prof. dr. Stengel-Greifswald
spricht prof. dr. Baist-Frciburg i. Br. über „Arabische beziehungen vor den
kreuz Zügen." Was das mittelalter von den Arabern erlernt hat, ist fast durchweg
unabhängig von den kreuzzügen. Vieles ist älter, einiges mit unrecht als arabisch
betrachtet worden. Lasurstein, seidenzucht und baumwolle haben die Griechen nach
Italien gebracht, daher italienisch bambagia, deutsch wams. Der maschenpanzer
ist germanisch alt einheimisch. Das Schachspiel kennen die spanischen Christen im
10. Jahrhundert. Die arabischen werter im altern französischen epos kommen aus
Spanien, so mesquin, adouber, usw.. nur den namen des admirals (Emir) brachten
die Griechen. Der vortragende weist die richtigkeit seiner auffassung an der
geschichte zahlreicher Wörter nach. Vermittlungsstelle war in erster linie die
katalanische mark.
Da eine discussion nicht beliebt wird, erteilt der versitzende prof. dr. Eduard
Wechssler-Marburg das wort zu einem vortrage über „Mystik und minne-
gesang**. Mannigfach sind die Wirkungen, die der erste krouzzug auf die bevölkerung
des abendlandes ausgeübt hat. Der begeisterte entschluss, das grab des herrn zu
befreien, steigert das religiöse fühlen der menschen des ausgehenden 11. Jahrhunderts,
so dass sich das rehgiöse ideal des gottmenschen in jener zeit seiner Verwirklichung
nähert. Und doch liegen gerade in diesem dränge nach dem osten die anfange einer
künftigen Wandlung der lebensanschauungen, denn neue erfahruugen in bis jetzt un-
bekannten gebieten erweitern den gesichtskreis der kreuzfahrer, vergleiche werden
augeregt und führen zur Zerstörung mancher Illusion. Der mensch tritt aus den
engen schranken seiner bisherigen Wirkungsstätte in die weite weit hinaus, und
während er bis jetzt als kuecht der kirche tief von seiner innern abhängigkeit durch-
drungen war, regt sich schon am anfange des 12, Jahrhunderts der freiheitsdrang des
individuums. Dieses erwachen der persönlichkeit hat aber nachhaltige folgen : neben
dem kirchlichen ideal der weltflucht entsteht ein neues lebensideal,
das der cortesia (kurtoisie) oder hövescheit. Die ersten regungen dieser
neuen anschauung zeigen sich auf altitalieniscbem culturboden; seine ausbildung aber
erhält das neue ideal zuerst in ausgeprägter weise an den südfranzösischen fürsten-
höfen. Von hier dringt es dann nach norden vor und ergreift auch die östUch vom
Rheine sesshaften Völker.
Worin liegt nun das wesen dieses neuen Ideals? Es ist ein orgobnis der
Wanderung sowol, wie der erfahrungen im fremden lande. Das gemoiiLsamo reisen
zwingt zu rücksiohten und führt so zu einer Verfeinerung der Umgangsformen. Das
neue ideal ist also in seiner wurzel ein wesentlich ästhetisches. ,\llein das .streben
nach harmonischer ausbildung der ganzen persönlichkeit ist in seiner Wirkung nicht
auf das gebiet des rein ästhetischen beschränkt, denn die ausbildung aller fähigkeiteu
bedingt nicht nur cultur des geistes, sondern auch pflege dos körpers, und so
100 GEIGER
schliesst sich der riss, don das frühe iiiittelalter zwisuhen leib und seele immer
betonte. Aus dieser ausbildung der gauzen persönlichkeit zur mögHclisten voUeudung
ergibt sich so mit notwendigkeit ein sittlicher grundzug: aus der neuen sitte erspriesst
eine neue Sittlichkeit, und das ästhetische ideal erhält zugleich ethischen charakter.
Ausdruck findet diese neue weltauffassung nun im niinnesang, dem das ideal
der kurtoisie recht eigentlich zu gründe liegt. Wenn der minnesänger das lob seines
herrn singt, oder seine herrin als ein vorbild edler Weiblichkeit hinstellt, so tut er
es stets im hinblick auf das neue ziel. Untermischt wird dessen Verherrlichung mit
Zügen der damals herrschenden gesellschaftlichen Ordnung: zur kurtoisie tritt das
lehenswesen ergänzend hinzu, weshalb freigebigkeit und geiz, treue und falschheit
als Vorzüge bezw. mängel des rechten ritters erscheinen.
Allein aus den weltlichen Umgangsformen schöpft der niinnesang doch nur eine
ader seines reichen bornes, denn mit dem streben nach persönlicher ausbildung regt
sich auch die Sehnsucht nach persönlichem erleben vor allem' der religiösen tatsachen.
Ist aber eine zeit tief innerlich erregt, so nimmt dieses erleben gefühlsmässigen
Charakter an, es wird zur mystischen einfühlung in die gottheit. Dieser mystische
zug ist nun dem miunesaug im hohen masse eigen, waren doch den minnesängeru
philosophische probleme überhaupt nie fremd gewesen. Sie waren meist geschulte
kleriker, wol unterrichtet im trivium und quadrivium und vielleicht auch der trockenen
scholastischen formen überdrüssig. Man sollte nun allerdings eine mystische kirchen-
lyrik erwarten. Allein eine solche war nicht im sinne der kirche, und das publicum
wollte sie nicht hören. So blieb dem troubadour nur, das gebiet der weltlichen dich-
tuug, in das er nun seine eigenen anschauungen überträgt. Das zwölfte jahrliundei-t
ist die blütezeit dieser weltlichen lyrik mit mystischem grundzug. Sie wird durch
den Marienkult des dreizehnten Jahrhunderts abgelöst, der also wesentlich jünger als
der minnesang ist.
So ist also nicht das dogma, sondern die mystik die entscheidende religiöse
grundlage des miunesangs geworden. 1141 stirbt Hugo von Saint-Yictor, 1153 Beru-
hard von Clairvaux, und um die gleiche zeit singen die bekanntesten troubadours.
Im wesen der mystik, die als ein hinausstreben der seele aus dem endlichen ins
unendliche durch die kraft der liebe bezeiclinet werden kann, liegt zwar nicht not-
wendig ein gegensatz zum dogma, denn die mystik ist nur eine methode der gottes-
erkenntnis; sie will die- religiösen Wahrheiten auf intuitivem wege erfassen. Allein in
diesem persönlichen erleben liegt doch auch schon ein zur loslösuug drängendes momeut,
und dem kirchentreuen Franz von Assisi stehen meister Eckhart und Böhme als abtrün-
nige gegenüber, wie in diesem zusammenhange auch der Albigenser zu gedenken ist.
Ein gemeinsamer zug eint lyrik und mystik: beide setzen ein tiefes, eigenes
erleben voraus. Im mystischen erlebnis liegt so schon viel poetischer gehalt ver-
borgen. Umgekehrt aber wird dort, wo die mystische grundstiinmung vorhanden ist,
auch das nichtreligiöse eiiebnis durch diese richtung beeinüusst werden; der dichter
wird seine zustände durch das medium der mystik schauen. Das ist im niinne-
sang der fall. Das mystische liebesgefühl führt zur Vergöttlichung der frau, das
reale liebesleben erhält einen schwärmerisch -religiösen charakter: es entsteht eine
eigenartige höfische religion. Folgende züge lassen sich als wesentliche äusserungen
dieser Wandlung anführen:
Die liebe des minuesängers ist nicht mehr bloss sinnliche leidenschaft, sondern
liebe von seele zu seele. Darin liegt es begründet, dass nicht nur die körperliche
.Schönheit der frau, sondern auch ihre sittlichen Vorzüge entscheiden.
rniLOI,00i:XVKI?SiMMLUNTr IN MASKL 1007 101
Dem mystiscli schauenden ist das leben ein träum. "Wo er mit ihm in bcrüh-
rung kommt, empfindet er es als last. Darauf geht die empfindsamkeit dos minnc-
sängers zurück, der mit tränen nicht sparsam umgeht. Ein schwermütiger klang
tönt aus manchem liede.
Der mystischen neigung der dichter vordankt der minnesang seine bedeutung,
denn das persönliche erleben hat individuelle gefühlsaussprache zur folge. So tritt
der minnesang selbständig neben die objective epische dichtung als ein künstlerischer
ausdruck der einzelempfindung. Damit hängt es zusammen, wenn der dichter sich
öfter am Schlüsse nennt. Er bezeugt dadurch, dass er das eigene erleben für wert-
voll hält.
Auch in formaler hinsieht wirkt die neue richtung belebend, denn in die zeit
des minnesangs fallen die ersten versuche einer psychologischen analyse des persön-
lichen erlebnisses.
Das wesentliche organ des künstlers wie des mystikers ist das innere äuge,
der oculus cordis. Nicht auf äussere Vorzüge kommt es vor allem an, sondern das
herz soll sehen. So spielt in die Sehnsucht nach der vollkommenen frau die Sehn-
sucht nach dem göttlichen hinein.
Voraussetzung des mystischen fühlens ist die Überzeugung einer höhereu ein-
heit, der alle wesen als glieder augehören. Es gilt, über die sinnlichen unterschiede
hinweg das gemeinsame band zu erkennen. So glaubt der minnesänger an eine
Seelen Verwandtschaft, an ein übergehen des einen weseus in das andere, ohne dass
körperliche nähe nötig ist. Auch wenn die geliebte ferne weilt, lebt er in ihr: er ist
„verdacht". Ausserlich zeigt sich dieses aufgehen im andern in seiner befangenheit.
Zielpunkt mystischen fühlens ist so die extase, das heraustreten der seele aus
dem endlichen ins unendliche, das aufgehen in gott. Wie dieser auf den religiösen
mystiker wirkt die herrin auf den mystisch ergriffenen dichter ein. Der frauendienst
wird zum frauencult. So wird der liebesbegriff umgedeutet: der liebe zu gott ent-
spricht hier die liebe zur herrin. Wol herrscht noch äusserliche begriffseinheit, in-
haltlich aber zeigt sich hier doch ein tiefer gegensatz zwischen minnesang und kirche,
der die angriffe der letztern wol begreiflich macht.
Aber auch hier wird die ästhetische richtung zugleich zur ethischen, denn nach
Augustins prädestinationslehre kann nur der gute lieben. In der extase liegt so
-f.hon ihre rechtfertigung mit eingeschbssen.
Mannigfach dringen so die anschauungen der niystik in die lyvik ein , und erst
'Ue beginnende cultur der renaissance hat eine neue auffassung der persönlichkeit
begründet. Als letzter zugleich abschliessender Vertreter dieser dichtung erscheint
Dante, dessen grosser kunst eine aussöhnung zwischen kirche und poesie dadurch
gelingt, dass er den licbesdienst zur allegorie und die liebe zur herrin zum tiefen
Symbol der gottesliebe umdeutet. — Eine discussion fand nicht statt.
Der Vorsitzende erteilt hierauf prof. dr. Ernst Martin-Strassburg das wort.
Der redner macht auf den umstand aufmerksam, dass die litterarischeii Zeugnisse
der tiersage fast vollständig gesammelt sind, während die bildlichen darstollungen
noch einer sichtung bedürfen. Er bittet daher um gefällige mittcilungon über bildor,
sculpturen usw., die Stoffe der tiersage zum gegenständ haben, da eine geschichto
dieses stoffkreises einer ergänzung durch die orforschung dieser d((nkmäler bedarf.
Nach dieser gemeinsamen sitzung hörte die germanistische section noch den
Vortrag des pri vatdozenten dr. Friedrich Wilhelm - München über „Fabuli-
<tische quellcnangal)en bei mittelhochdeutscliou dicIitiTii". Da die arboit
102 GKIOER
in erweiterter gestalt demnächst in Paul und Braunes beitragen erscheint, beschränkt
sich der redner auf die mitteilung der wichtigsten resultate seiner forschung.
"Wolfram von Eschenbach beruft sich Parzival 453, ll%g. auf Kyot als seine quelle,
der seinerseits wider in Toledo aus dem werke des beiden Plegetanis nacbrichten
über den heiligen Gral gescliöpft haben will. Passt mau diese (juellenaugaben als
blosse fiction, nimmt man also an. Wolfram berufe sich nur zum scheine auf einen
gewährsmänn, um seinen angaben mehr gewicht zu verleihen, so haftet an dem
edlen dichter der makel des betruges. Der vortragende will einen entlastungsbeweis
versuchen.
Er geht dabei von der tatsache der bücherauf findung bei grabesöffnuugen aus.
Gewiss wurden dabei gelegentlich wertvolle mauuscripte entdeckt, die hohe preise
erzielten. Allein dieser umstand verlockte zu fälschungen, indem man, um den wert
eines werkes zu steigern, auffindungsgeschichten fingierte. Es ist in diesem zusammen-
hange etwa an die fabelhaften bücher des Numa oder an byzantinische memoiren der
trojanischen beiden zu erinnern. Der gleichen absieht dient es, wenn in heiligen -
und mönchslegenden berühmte Verfasser als quellen auftreten. Es sollen diese fictionen
das vertrauen des lesers erwecken, und man hat deshalb die Versicherungen, die
Verfasser sprächen die lautere Wahrheit, nicht mit dem heutigen kritischen massstabe
zu messen. Die zahl der solche fingierte angaben enthaltenden prologe und epiloge
ist sehr gross. Bahnbrechend für ein derartiges vorgehen war aber im neunten jahr-
liundert Hinckmar von Reims, der für seine Vita Sancti Remigii wenige gerettete
l)lätter eines verlorenen buches benützt haben will. Die quellenfälschung des alter-
tums wird so auch auf das mittelalter übertragen, und im ganzen abendlande bedienen
sich jetzt die hagiographen dieses reclamemittels. Von der geistlichen litteratur aus
greifen diese fälschungen auch auf die weltliche über; es wird geradezu brauch,
fingierte quellen zu eitleren, so dass niemand darin etwas anstössiges erblickt. Im
Ortnit A, in den ersten sechs Strophen des Wolfdietrich D, im Jüngern Titurel,
beim Stricker finden wir solche fabelhafte angaben, weshalb Wolframs verhalten
durchaus nicht vereinzelt dasteht. Daraus ergeben sich nachstehende Schluss-
folgerungen :
Die weltliche litteratur des mittelalters folgt dem alten brauche, unwahrschein-
liches durch fingierte quellenangabeu glaubhaft zu machen. Vermittelt wurden diese
fälschungen vor allem durch die Spielleute und die hagiographische litteratur. Das
jnittelalter hielt derartige fictionen für erlaubt. Wolfram von Eschenbach macht
keine ausnähme, sondern bedient sich wie seine Zeitgenossen dieses mittels, um seine
hörer durch fabelhafte angaben von Vertrauensmännern zu fesseln. Ein Vorwurf
darf ihm deswegen nicht gemacht werden, denn er folgt darin nur einem brauche
seiner zeit.
Erster Verhandlungsgegenstand der 4. (schluss-)sitzung, freitag, den 27. Septem-
ber, war ein bericht von pro f. dr. John Meyer-Basel über den stand des deutschen
Wörterbuches, das nach dem beschluss der philologenversammlung zu Halle (october
1903) bis zur Vollendung auf jede tagungsliste der germanistischen section zu setzen
ist. Der referent erinnert bei diesem anlasse w'ider an den tod prof. Moritz Heynes,
dessen abieben eine empfindliche lücke in der redaction des Wörterbuches hinterlassen
hat. Das reichsamt des inuern stellte sich deshalb die frage, wie das werk nach
diesem Verluste weiterzuführen sei und kam zu dem eutschlusse, die sache des
Wörterbuches der preussischen academie der Wissenschaften angelegentlich zur för-
PlIILOLOUENVEKSAMMI-UNG L\ BAhEL 1907 103
doruiig ZU ompfehleu. Einer mitteilung [nvf. dr. Roethes-Berliu zufolge erklärt sich
die academio trotz mannigfaclier bedenken bereit, aus piotät gegen die brüder Grimm
die fortsetzung des Wörterbuchs zu untornohmen. Sie hat eine deutsche commission
zum Studium dieser frage eingesetzt, und der arbeitsplan dieses ausschusses ist an das
reifhsamt des inuern weitergeleitet worden. Gegenwärtig schweben die Verhandlungen
nocli. Prof. Meier hält deshalb dafür, dass die germanistische section unter diesen
umständen eine zuwartende Stellung einnehmen solle, da eine beschlussfassung erst
nach beendigung dieser beratungen möglich sei. Im anschluss an diese mitteilungen
entwickelt sich eine lebhafte discussion.
Prof. dr. Kluge-Freiburg i. Br. dankt für die gegebenen aufschlüsse, inö(;ht.ü
aber wissen, ob die auf der Hamburger tagung von 1905 beschlossene eingäbe an die
reichsregierung seinerzeit beantwortet worden sei. Es scheine nicht der fall zu sein,
und so erhoffe er von dieser seite wenig förderung. Es wäre wol zu begrüssen, wenn
die academie tatkräftig eingriffe, allein auch hier muss sich der redner leider skeptisch
verhalten, denn die preussische academie der Wissenschaften habe bis jetzt für die
deutsche spräche nichts getan. So scheine denn an den leitenden stellen gleich-
giitigkeit vorzuherrschen. Unter diesen umständen bleibe den gernianisten nur ein
weg übrig: der der öffentlichkeit. Man müsse vorsuchen, das deutsche' volk für die
suche zu interessieren. Er sei als freund des Wörterbuches gekommen und sähe es
gerne, wenn die gernianisten sich zu der frage aussprächen, und vor allem die an-
wesenden mitarbeiter des Wörterbuches ihrer nieinung in dieser angelegenheit ausdruck
verliehen.
Prof. dr. Hermann Wunderlich-ß erlin beruft sich auf die beschlüsse
der Versammlung zu Halle, wonach sich die germanistische section nicht nur mit der
Organisation des Wörterbuches, sondein auch mit den ieistungeu der mitarbeiter zu
befassen hat. Diese letzte förderung ist aber leider unerfüllt geblieben. Jeder mit-
arbeiter des Wörterbuches sieht sich nach wie vor ganz auf sich selbst angewiesen,
da kein meLnungsaustausch über die jeweilen erscheinenden lieferungen entstehen will,
der viel zur berichtiguug von Irrtümern beitragen könnte. Es fehlt so den mitarbeitern
au anregung von selten der fachgenossen. Überhaupt macht der sprechende stets die
beobachtung, das überall Unklarheit über den charakter des Wörterbuches herrscht, und
ein referat über die Organisation des Wörterbuches somit ein dringendes bodürfnis wäre.
So allein könnten weitere kreise darüber aufgeklärt werden, dass das Wörterbuch wirklich
einen wertvollen beitrag zu unserer cultur- und Sprachgeschichte bildet. Gebe es doch
z. b. noch heute viele rechtslehrer, die achtlos an ihm vorbeigehen, trotzdem es oft aus-
fülirlich auf die deutsche rechtsgeschichtc eingeht. Ferner sollten die mitarbeiter am
Wörterbuch jeweilen persönlich zu den versammlnngen der germanistischen section ein-
geladen werden, damit auch öffentlich die gemeinsamkeit der Interessen zum ausdruck
komme. AVas nun den Übergang der redaction des Wörterbuches an die academie betrifft,
so vermag der votant gewisse bedenken nicht zu überwinden. Die academie ist an
überlieferte formen und Satzungen gebunden und wird diesen gemäss eine Oberaufsicht
über die mitarbeiter ausüben wollen. Das wöiterbuch bedarf aber vor allem freier
persönlichkeiten, wenn seine Sache zu einem guten ende gedeihen soll. Dann hat
die deutsche commission die frage des Wörterbuches mit der herstellung eines The-
saurus der deutschen spräche verknüpft. Darin aber erblickt prof. AVunderlich eine
grosse gefahr für das Wörterbuch, da seine anhnge ganz von dor eines solchen werkes
abweicht, und es zudem nicht ratsam sei, jetzt, da die Vollendung dos Wörterbuches
in absehbarer zeit möglich ist, neuerungeii durchzuführen. Endlich nuisso auch hier
104 GEIGER
widor betont weiden , dass die Verzögerungen vor allem durch die läge der assistenten
bedingt seien, deren beständiger Wechsel sich als folge der wenig beneidenswerten
Stellung ergebe.
Prof. dr. Meissner-Königsberg verfasste vor zwei jähren die eingäbe an
die reichsregierung und gibt zunächst einen zusammenfassenden bericht über den
inhalt jenes Schreibens (vgl. Zeitschr. 38, 120fgg.). Er erblickt in dem vorschlage des
reichsanites, die weitere bearbeitung des Wörterbuches der academie der Wissenschaften
zu übergeben, eine folge der Hamburger tagung. Trotzdem er nun prof. AVunderlichs
bedenken, der nach jahrelanger, aufopfernder tätigkeit am Wörterbuch nicht von oben
herab regiert sein will, vollauf begreift, möchte er doch diesen plan nicht ohne
weiteres von der band weisen. Denn einerseits verbürgt die academie concentration
und energische leitung, anderseits kann sie doch auf die bisherigen mitarbeiter nicht ver-
zichten und wird deshalb die proff. Wunderlich und v. Bahder wie bisher weiter arbeiten
lassen. Auch die befürchtung einer verquickung des Wörterbuches mit dem Thesaums
vermag prof. Meissner nicht zu teilen, da nach seinen erkundigungen die abfassung
des letzteren noch in weite ferne gerückt ist. Zudem erhofft der sprechende von der
academie eine besserstellung der assistenten, deren elend er aus eigener erfahrung
genugsam kennt. Er stimmt deshalb dem vorschlage prof. Meiers bei, da er die
concentration durch die academie für einen gewinn hält; nur möchte er festgestellt
wissen, dass die mitarbeiter wie bisher frei und selbständig bleiben.
Prof. Kluge will ebenfalls keine eingäbe im jetzigen Zeitpunkte, aber er hält
darauf, dass die Öffentlichkeit weit mehr am werke interessiert werde, als es bis jetzt
geschah. Die geschichte des Schweizerischen Idiotikons beweise, wie wertvoll die
teilnähme bl'eiterer Volksschichten für ein solches werk sei: neben der centralisation
ist ihr das rasche fortschreiten des schweizerischen Wörterbuches zu verdanken. Die
regelmässigen jährlichen berichte der schweizerischen commission üben einen heilsamen
zwang auf die leitung aus und verhindern den stillstand. Er stellt deshalb folgenden
antrag: „Die sache des deutschen Wörterbuches bildet ein hauptinteresse
der germanistischen section der Versammlung deutscher philologen
und Schulmänner. Es ist deshalb auf jeder tagung über den stand des
Werkes bericht zu erstatten".
Prof. "Wunderlich stellt einige ausführungen prof. Meissners richtig. Nach
einer amtlichen mitteilung soll das Wörterbuch so rasch als möglich fertig gestellt
werden, damit die herstellung des Thesaurus begonnen werden kann. Mit prof. Kluge
hält er dafür, dass das kräftige einstehen der germanistischen section doch einen ge-
wissen druck auf die leitenden kreise auszuüben vermöge, mit prof. Meissner ist er
darin einig, dass auch er einen mittelpunkt des ganzen Unternehmens wünscht.
Seiner ansieht nach genügt aber eine centrale Sammelstelle, die dann von selbst auch
einen leitenden einfluss auf die redaction des werkes gewinne.
Prof. dr. John Meier-Basol bedauert, dass prof. Wunderlich keinen vortiag
über die Organisation des Wörterbuches für die diesjährige tagung anmeldete. Nun
fehle es an Orientierung, da nur die zunächst beteiligten einen einblick in die wirk-
liche Sachlage hätten. Was die eingäbe an das reichsamt des innern betreffe, so sei
bis jetzt keine antwort eingetrolfen. Es stehe der Versammlung frei, auf einer solchen
zu beliarren und in diesem sinne bei der regierung vorstellig zu werden. Dagegen
möchte er die section warnen, im jetzigen Stadium der Verhandlungen mit neuen vor-
schlagen hervorzutreten. ,Tede abweichung von der Hamburger eingäbe bedinge
bestenfalls eine weitere Verzögerung. Er unterstützt daher den antrag prof. Kluges,
PHILOLOGENVERSAMMLrNtf I.V BASEL U»'7 105
luöolite aber vorläufig von weiteru bescblüssen absehen. Nach einei- kurzen erwiderung
prof. Meissners bringt der versitzende prof. dr. Gessler-Basel den antrag prof. Kluges
zur abstimmung. Er wird einstimmig angenommen.
Hierauf erstattet prof. John Meier-Basel bericht über die von prof. dr. Wit-
kowski- Leipzig auf der Hamburger tagung angeregte wissenschaftliche ausgäbe von
Goethes Faust. Laut einer brieflichen niitteilung prof. "Witkowskis mnss der plan
vorläufig aufgeben werden, da von competenter stelle aus zur zeit keine materiello
Unterstützung zu erwarten ist.
Nach der erledigung dieser geschäftlichen angelegenheiten spricht prof. dr.
Renward Brandstetter-Luzern über „Die Schicksale der Wuotansage in
Luzern". Neben der geistlichen und weltlichen dichtung Luzerns, deren gipfelpunkt
das geistliche drama des sechzehnten Jahrhunderts darstellt, läuft eine folkloristische
littei'atur, deren schätze in den archiven der Urschweiz liegen und noch grösstenteils
ungehobeo sind. Namentlich für die sagengeschichte ist reiches material vorhanden,
und der vortragende will von den vier Sagenkreisen, für die quellenmaterial in den
archiven liegt (Wuotansage, Pontius - Pilatussage , ßolandsage, Tannhäusersage), den
ersten in den hauptrichtungen seines geschichtlichen Verhaltens schildern.
Den ausgangspunkt seiner darlegungen bildet eine kurze Übersicht über den
stand des Volksglaubens im alten Luzern in der zweiten hälfte des 16. und am an-
fange des 17. Jahrhunderts. Die wichtigste quelle ist der zum bestand der bürger-
bibliothek in Luzern gehörende nachlass (collectaneen) des stadtschreibers Renward
Cysat (f 1614). Nach seinen Zeugnissen waren damals in Ijuzern die alten volks-
traditionen noch äusserst lebendig, und der feingebildete Cysat selbst teilte noch ganz
den naiven gespensterglauben seiner zeit. Verdient er deshalb seiner leichtgläubigkeit
wegen als historiker wenig lob, so ist er andererseits gerade infolge dieser eigenschaft
für volkskundliche dinge ein wertvoller zeuge. Trotzdem von seinem reichen samrael-
inaterial — er habe, sagt er selbst, „nach und nach durch Uffmerckung vil hundert
Articul zuosamenbracht" — nur ein verhältnismässig geringer teil auf uns gekommen
ist, läs.st sich doch aus den trümmern Cysats verdienst erkennen; er ist der erste
schweizerische sagenforscher gewesen.
Was nun die sage selbst betrifft, so ist festzuhalten, dass Wuotan in Luzern
nicht als der erhabene gott der Edda, sondern stets als winddämon auftritt. In stür-
mischen nachten saust er durch die Jüfte oder über den erdbodcn hin. Er kann allein
sein, oder es können ihn die Seelen der verstorbenen, die nach altem glauben im
winde fortleben, oder auch tiere begleiten. Es kommt auch vor, dass die seelenschar
allein umzieht ohne führer. Endlich kann der umzug ein lebhaft erregter sein, eine
jagd, ein heertross, oder aber ein ruhiger, friedlicher. So lassen sich die von Cy.sat
überlieferten sagen in folgende drei gruppen einteilen. Die erste gruppe erzählt
in mannigfachen Varianten die wilde jagd oder den wilden heoreszug. Die beziehungeu
zu den raen.schen sind feindlich. Schausplatz ist der Pilatus. Die sagen guhen
unter dem namen Tüi-st (mhd. türse), was sich inhaltlich mit Wuotan deckt und'
etwa riese bedeutet: Türstsagen. Die zweite gruppe erzählt gewaltsame eutrückungen
lebender menschen. Schauplatz ist die Luzerner landschaft. Die sagen gehen unter
dem namen Nachtgesponst, ein wort, dessen volkstümliclikeit allerdings in frage steht:
Nachtgespenstsagen. Die dritte gruppe erzählt den ruhigen unigang der geister mit
musik. Die beziehungen zu den menschen sind freundschaftlicli, nur beiläufig werden
zornige äusserungen oder gowaltsamo entrücktingen erwähnt. Schauplatz ist mehrere
male die stadt Luzern. Diese sagen gehen trotz ihres friedlichen charakters meist
106 GEIGER, PHlLOLOGENVEIiSA.MMLUNG IN BASEL 1907
unter dein nanien Wuotisheor, der da und dort volksetyniologisch zu Guotishocr (an-
lehnung an „gut") umgedeutet wuixle.
Etwa 150 jähre später erzählt der Luzerner Cappeller in seiner Pilati montis
historia (1767) drei sagen, die zum Wuotankreis gehören und zwar zur ersten gruppe.
Er hat sie selbständig aus seinem verkehr mit den sennen geschöpft, da er trotz seiner
gewissenhaftigkeit in Quellenangaben Cj'sat nicht erwähnt. Ein vergleich zeigt, dass
wol einige' einzelheiten fehlen, sonst aber Übereinstimmung herrscht. Der grund
dieser beharrlichkeit liegt im völligen stillstand des politischen lebens im 17. Jahr-
hundert; keinerlei neu zuströmende ideen verdrängten die alten bilder aus dem herzen
des Volkes.
Ganz anders verhält es sich 100 jähre später. 1862 erscheint in Luzern
A. Lütolfs Schrift „Sagen, brauche und legenden aus den fünf orten". Das von ihm
mitgeteilte material zeigt eine weitgehende Verarmung. Die sagen der zweiten und
dritten gruppe sind verklungen bis auf unansehnliche fragmente, und wenn Lütolf
noch einen führer des trosses oder der jagd als persönliches, menschenähnliches wesen
kennt, so hat die heutige sage auch hier eine einbusse erlitten; denn nun wird der
anführer fast ausnahmslos als tier gedacht. Diese Verluste finden ihre erklärung in
der erschütterung des Luzerner Staatswesens durch die ideen der französischen revo-
lution, wie auch durch den einfluss der modernen Schulbildung. Und wie die sache
vermindert sich auch die nomenclatur. Nachtgespenst, Guotisheer, Sälig volk usw.
sind verklungen, Wuotisheer (jetzt Wüetisheer mit anlehnung an wüete-n, wüetig : wiat)
ist selten geworden, und nur das wort Türst ist heute noch allgemein bekannt.
Der sprechende schliesst mit dem vertrag zweier jetzt noch lebenden fassuugen und
mit einem ausblick in die zukunft. Wie von der Tannhäusersage heute in Luzern
nur noch die redensart „s'god wi im Frau- Vreue- Berg'' (umdoutung von Venus in
Verena) zeugnis ablegt, werden wol in absehbarer zeit von der Wuotansage einzig
ähnliche kümmerliche reste künde geben.
In der discussion wurde u. a. auf die forin Muotisheer hingewiesen, die prof.
Fischer- Tübingen als euphemistisch ansehen will (vgl. auch schwäbisch Wtäach,
schweizerisch Muoia). Demgegenüber weist prof. Brandstetter nach, dass der Wechsel
von m und ic im anlaut für Luzern lautgesetzliche geltung hat: ir geht in der heu-
tigen mundart vor tie in m über. Z. b: Mncst „Wust", Muecht „Wucht", Muer
„Wuhre, Flusswehr". Dagegen Wüetisheer, weil ein ü auftritt. Muetis und Wüetis
entsprechen sich also wie Muest (Wust) und das rtdjectiv wüest. Der vertrag erscheint
iu erweiteiier gestalt im Geschichtsfreund bd. LXII.
Hierauf erteilte der versitzende prof. dr. Ermatinger- Winterthur das
wort zu einem vortrage über „Romantisches bei Wielaud". Die anfange der
deutscheu romautik erblickt der redner im mystischen pietismus des 17. Jahrhunderts,
denn der gemeinsame zug beider Weltauffassungen, der romantik wie der mystik, ist
der hang zum unbewussten, irrationalen, das es auf irgend eine weise anschaulich
fassbar zu macheu gilt. Im mittelpunkt dieser anschauung steht Novalis. Nach ihm
ist das romantische das unbewusste; es an die schwelle des bewusstseins zu rücken,
ohne dass es den reiz des unbewussten verliert, ist aufgäbe der romantischen poesie.
Mit der romantik hat nun Wieland den ausgangspunkt gemein : auch er wurzelt
im pietismus. Aber dieser bildet nur den oft völlig gedeckten grundton, denn schon
früh drang die aufklärung in sein geistesleben ein. Am nachhaltigsten zeigt sich die
mystische Stimmung in den schritten vor 1760. Aber auch später war Wielands Ver-
hältnis zu der romantischen denkweise nicht stets dasselbe, sondern das jähr 1775
ELLINGKW ÜUKi; IK.MISCll, SCllWAKZß. HKI.MATSKUNDE 107
bildet insoferu oiue scheidolinie, als alle scliriften, die zwischen 17(J0 — 1775 liegen,
das romantische wesen bald heftifi: tadelnd, bald nur ironisch angreifen, wälirend
die nach 1775 erschienenen werke unter dem einfluss des Sturmes und dranges sich
um ein tieferes Verständnis der romantik bemühen. Da mystik und romantik vor
allem des porsöulichen erlebnisses bedürfen, sind die lebensschicksale des dichters von
uachhaltigem einfluss auf seine kuiist; so auch bei Wieland: die liebe zu Sophie
Gutermann hat recht eigentlich die romantische Stimmung ausgelöst. Das durch sie
angeregte lehrgedicht „Die natur der dinge" enthält manche wichtige ideen der
spätem romantik. So erinnert seine evolutionistische metaphysik an Novalis' doppel-
system von natur und geist. Auch Wieland denkt sich die gestirne als beseelte wesen,
uad ebenso wie Novalis hält er den tod für ,eine selbstbesiegung, die ... . eine
neue, leichtere existeuz schafft". Mit Novalis stimmt "Wieland auch in der wollust
des Schmerzes überein, und beiden ist nach dem Verluste der geliebten die lüsternheit
in der askese gemein. Eomantisch ist ferner Wielands Vorliebe für den begriff Sym-
pathie, den der vortragende auf Plato und Leibniz (prästabilierte harmonie) zurückführt.
Allein nicht nur die hauptrichtungen seines denkens zeigen romantische nei-
gungen, sondern selbst in den einzelheiten herrscht teilweise Übereinstimmung. Auf-
schlüsse höchst lehrreicher art geben in dieser hinsieht einige romane des -jungen
Schwärmers, so vor allem Don Sylvio von Rosalva, Agathon und Pereglinus Proteus.
Auf Don Sylvios jagd nach dem blauen Schmetterling, dem Sinnbild der geliebten,
dürfte Ofterdingens streben nach der blauen blume zurückgehen, hat doch Novalis
nachweislich Wielands jugendschriften gekannt. Blau war für Wieland die bezeichnung
für das wunderbare, unglaubliche, ein Sprachgebrauch, der wol in erster linie auf die
von Wieland viel benutzte französische märcheusammlung, die Bibliotheque bleue,
zurückzuführen ist.
Die arbeit erscheint in erweiterter fassung in Ilbergs neuen Jahrbüchern für
das classische altertum.
Vor schluss der sitzung gelangt prof. John Meier-Basel noch mit dem
antrage an die section, es seien künftig die vorbereitenden obmänucr ohne weitere
bostätigung als definitive vorstände zu betrachten , was einstimmig beschlossen wird.
Mit einigen dankenden abschiedsworten, die von prof. Hermann Fischer-Tübingen
erwidert werden, schliesst der Vorsitzende die Verhandlungen der germanistischen section.
WOHLEN (aARGAU). , EMIL GEIGER.
LITTEEATUE.
Th. Irmiseh, Beiträge zur .schwarzburgischen heiniatskunde. 2 bde. Son-
dershausen, F. A. Eupel 1905 -OG. X, 493 s. und VIII, 427 s. 8 ni.
Im sommer 188(5 richtete der unvergessliche begründer dieser Zeitschrift die
anfrage an mich, ob ich nicht die germanisti.schen, litterarhi-storischen und historischen
aufsätze meines verstorbenen lehrers Irmiseh sammeln, sie so aus der Verborgenheit,
in die sie der bescheidene Verfasser entrückt, hervorziehen und der allgomeinheit
zugänglicii machen wollte. Er eibot sich für einen Verleger zu sorgen iiud sich mit
an der Ordnung der arbeiten zu beteiligen. Mit freuden gieng ich auf die.so auregung
ein, aber infolge einer reihe äusserer umstände kam das geplante untornehmen
nicht zustande.
108 KLUNGEE ÜREK UnilSCII, SCIIWARZB. UEIMATSKrXDE
Thilo Irmisch (1816 — 1879) ist allgemein bekannt als naturforschcr geworden;
aber seine schüler wussten, dass dei' berühmte botaniker auch ein vortrefflicher kenner
der deutschen spräche, litteratur und geschiclite war. Die rührende bescheidenheit,
die den trefflichen gelehrten zeit seines lebens ausgezeichnet hat, veranlasste ihn, seine
wertvollen, diese gebiete berührenden arbeiten in kleinen localblättern abdrucken zu
lassen. So kam es, dass diese seite seiner Tätigkeit fast ganz unbekannt blieb.
Zacher aber, der so leicht nichts wertvolles übersah und das als wertvoll erkannte
in jeder weise zu fördern suchte, waren Irmisch' arbeiten nicht entgangen. Sein
wünsch, diese Studien allgemein benutzbar zu machen, ist durch Irmisch' leider
unterdessen ebenfalls schon dahingerafftem Schwiegersohn G. W. Hallensleben erfüllt
worden. Wenn nun in dieser Zeitschrift auf die beiden stattlichen bände aufmerksam
gemacht wird, so geschieht es nicht bloss, weil durch sie ein gedanke Zachers ver-
wirklicht worden ist, sondern auch deshalb, weil diese auf sätze um ihrer selbst willen
bekannt zu werden verdienen. Der erste band enthält z. b. eine abhandlung über
Albrecht von Halberstadt, die von Irmisch' freunde, Rudolf Hildebrand, angeregt
worden ist. Auf grund der genauesten localkenntnis und des urkundlichen materials
einerseits wie der litterarhistorischen Voraussetzungen andererseits wird hier eine ganz
vortreffliche darstellung des gegenständes gegeben, die kein freund der mittelhoch-
deutscheu dichtung ungelesen lassen sollte. Ausserordentlich wertvoll ist auch die
abhandlung über den thüringischen Chronisten Paul Jovius, dessen werk Irmisch
selbst in der handschrift zuerst aufgefunden hat. Hier ist durch die sorgfältigste
aufspürung und erwäguug aller in betracht kommenden äusseren und inneren factoren
ein musterhaftes biographisch - litterarhistorisches bild gegeben worden. Zahlreiche
kleinere arbeiten geben wichtige beitrage zur schwarzburgischen schul- und gelehrten-
geschichte, zur culturgeschichte und altertumskunde. Auch die rein historischen arbeiten
berühren sich meist mit der litteraturgeschichte, teils indem sie unbekanntes wert-
volles briefmaterial aufschliessen (so bd.l s. ISöfgg. die ungemein anziehenden schreiben
Wilhelms von Oranien, des grossen Schweigers, an den grafen Günther XLI von
Schwarzburg), oder indem sie ein litterarisches denkmal erläutern und erweitern, so
in der abhandlung: „Zur familiengeschichte der gräfin Katharina der heldenmütigen",
die uns die gestalt der aus Schillers erzählung: „Herzog Alba bei einem frühstück
auf dem schlösse zu Rudolstadt 1547" bekannten tatkräftigen frau unmittelbar ver-
gegenwärtigt. — Auch wichtige einzelheiten werden aufgedeckt, so ist bd. 1 s. 255
anm. 1 in einer 1879 entstandenen und veröffentlichten abhandlung schon auf das
Zeugnis über den historischen Faust in Prassers Chronicon Waldeccense hingewiesen
worden, auf das neuerdings widerum die aufmei'ksamkeit gelenkt worden ist.
Alle in den beiden bänden vereinigten arbeiten atmen den gleichen geist und
tragen die gleichen züge. Wir beobachten einmal die liebevollste Versenkung in den
stoff, die sorgfältigste berücksichtigung auch des kleinsten, die „andacht zum unbe-
deutenden". Und wir sehen dann, wie diese einzelnen, so sorgfältig aufgesuchten
und behauenen steine wider sich zu einem ganzen zusammenschliessen. Auch das
kleinste empfängt seine weihe durch die freude an der Vergangenheit des eigenen
Volkes und das innige heimatsgefiihl.
Möchten diese aufsätze, aus denen die liebenswerte, schlichte und edle Persön-
lichkeit ihres Verfassers so vernehmlich redet, die verdiente Verbreitung finden.
BERLIN. GEORtr ELLIXGER.
KAIILK VÜF.K UUGGK, WIKINfiEK 109
Alexander Bugge, Die wikiiiger, bildcr aus der uoi'disoheu vergangeubeit. Autori-
sierte übertraguug aus dem norwegischen von dr. pbil. Heinz Hungerland.
Halle a. S., Max Niemeyer 190ß. 282 s. 6 m.
ITuzweifelhaft inuss man dem Übersetzer danken, dass er das buch A. Buggcs
einem grösseren deutschen leserkreis zugänglich gemacht hat. Das werk ist für ein
grösseres publicum berechnet, liest sich angenehm, ist unterhaltend und bietet des
wissenswerten gar vieles. Das original (Vikingerne, billeder fra vore forfjedres liv)
ist 1901 in Christiania erschienen, eine fortsetzuug (Anden samling) 1906. Wir haben
es hier nur mit dem ersten teil zu tun. Ein abschnitt desselben, beim oy olding,
der also vom kind und greis handelt, ist nicht mit übersetzt worden, er fällt auch
etwas aus dem rahmen des übrigen heraus und ist für den nichtfachmann von min-
derem Interesse.
A. Bugge hat die eigenschaft so mancher gelehrter seines Stammes: eine weit-
hinschweifende phantasie, die ihn des öfteren veranlasst, den festen boden der tat-
sachen zu verlassen und auf schwankem gründe luftige gebäude aufzuführen. Dabei
fehlt es ihm nicht an dichterischem schwung, der iliu zu stimmungsvollen gemälden
begeistert, so wenn er die eigenartige natur Irlands oder der insel Man schildert, oder
das erste zusammentrelTen nordischer wikinger mit der fremdartigen keltischen. cultur.
Diese keltische, oder genauer gesagt irische, cultur ist es denn auch, die es ihm
angetan hat. In einer reihe von arbeiten ist A. Bugge an die seite seines vaters
Sophus getreten und sucht neue waffen zu schmieden im kämpfe, der über die frage
des einflusses herrscht, den die iiische, weiterhin dann überhaupt die westliche,
d. h. also insbesondere die karolingische und angelsächsische cultur auf die skandi-
navische, vor allem die des norwegischen volkes und der ihm entsprossenen colonisteu,
ausgeübt hat. Er sucht der frage besonders von der culturhistorischen seite beizu-
kommen. Zu den arbeiten dieser art gehört auch die vorliegende, und wie ein roter
faden zieht sich die behauptung von dem eiufluss der irischen cultur auf die der
nordleute durch das buch. Wo nur immer ein gemeinsames motiv, eine ähnlichkeit,
und wenn sie auch noch so schwach sei, auftaucht, da unterliegt es keinem zweifei,
da.ss Irland oder der westen die heimat sei. Selten wird die frage erörtert, ob etwa
das umgekehrte der fall sein könne, oder ob etwa selbständige entstehung bei ver-
schiedenen Völkern oder gemeinsame quelle für beide anzunehmen sei. Mau wird
also bei den partien des buches, die sich in der angedeuteten richtung bewegen, grosse
vorsieht üben müssen, und besonders der laie sei darauf aufmerksam gemacht, dass
hier reclit vieles der nachijrüfuug bedarf. Dem gegenüber sei hervorgehoben, dass
A. Bugge den ganzen reichen schätz seines wissens vor uns ausbreitet, dass er ein
höchst anziehendes, farbenprächtiges bild dieses wol merkwürdigsten Zeitabschnitts
der geschichte der skandinavischen Völker entwirft, in dem diese eine ungeheure kraft-
entwicklung zeigen, in dem sie mit älteren, reicheren culturen zu.sammenstossen, in
dem alles alte wankt, merkwürdige männer und frauen auf die bühne treten, ein reich
bewegtes geistiges leben herrscht, ein neuer glaube allmählich siegreich voidringt und
trotzige recken sich dem weissen Christ beugen. Wie kaum einer ist A. Bugge durch
seine kenntnis der irischen quellen und gleichzeitige beherrschung dei* nordischea
litteratur geeignet, das leben in deu westlichen nordischen colonien zu schildern.
Der erste abschnitt behandelt 'das erste hervortreten der nordischen vöiker',
er i.st etwas breit und ausführlich gehalten, erörtert begriffe wie 'familio', 'stamm',
•natiou', 'volk", uud sucht zuerst die eigenart der Germanen gegenüber anderen indo-
germanischen Völkern zu zeigen. Die Gonnaiien haben sieb, so führt der verf. aus,
1 10 KAHLE
reineres blut erhalten als andere , früher als andere siinl sie aufs hohe meer gefahren,
das kalte klima härtete leib und seele ab, nicht kannten sie ummanerte städtc und
bürgen. Es wird dann auf die nordischen nationen eingegangen. Obwol Norweger,
Schweden und Dänen sich nicht schwerer untereinander verstehen als der Bayer und
der Mecklenburger, machen sie doch drei nationen aus, während diese zu einer ge-
hören, trotzdem bei ihnen auch noch der confessionsunterschied hinzukommt. Gleich-
wol haben die skandinavischen Völker doch das gefühl engster Verwandtschaft. Bis
in den anfang des 11. Jahrhunderts hinein gab es kaum grössere sprachliche unter-
schiede unter den Völkern des nordens, erst von da ab kann man von wirklichen
drei hauptsprachen reden. Doch bildeten die nordländer auch damals keine einheit,
sondern sie zerfielen in eine grosse anzahl einzelner stamme. Erst allmählich ent-
wickeln sich einige centren. Der älteste Staat erwächst an den gestadeu des Mälar,
es ist der der Svear, der eigentlichen Schweden. In ansprechender und überzeugen-
der weise wird nun geschildert, wie hier im norden, ebenso wie sonst in der ge-
schichte, 'die ebenen mit breiten, schiffbaren strömen die tief aus dem lande kommen',
oder 'die ufer grosser seen' es sind, 'die menschen frühzeitig zu Völkern und nationen
zusammenschliessen'. Solche mittelpunkte im norden sind ausser dem Mälar der Yäner
und Vätter mit den Gauten, die insel Seeland mit den Dänen. Am spätesten finden
wir in Norwegen derartige Zusammenschlüsse, und sie sind lockerer als in den andern
ländern. Hier sind es besonders die gegenden um den Drontheimsfjord, sowie die
um den Christianiafjord, von denen später die eiuigung ganz Norwegens ausgehen
sollte. Was wir von diesen stammen der frühzeit aus griechischen und römischen
Schriftstellern wissen, was der Beowulf uns berichtet, das stellt der Verfasser ge-
schickt zusj^mmen, weist auf die altberühmteu köuigsgeschlechter hin und zeigt, dass
es an kämpf und fehde auch in dieser zeit nicht gefehlt hat, wenn auch sein aus-
spruch (s. 18), dass sie voll von wikingerzügen gewesen, wie der könig Hugleiks
nach Frankreich vom jähre 516 einer war, übertrieben sein dürfte. Erst 50 jähre
später hören wir wider von einem solchen zug der Dänen, wie B. selbst angibt;
es sind nur vereinzelte ereignisse, nur vorspiele der grossen zeit, die kommen sollte.
B. sucht nun unterschiede in den drei nationen festzustellen, die sich schon
früh zeigen, in volkscharakter, götterglauben , dichtung und den socialen Verhält-
nissen: der Norweger aristokratisch mit übermächtiger häuptlingsklasse, wild, trotzig,
stolz und übermütig, aber doch auch edelsinnig; der Däne, dem südlichen Europa
näher stehend, geschliffner und gesitteter, weicher im Charakter; von den Schweden
wissen wir weniger, sie scheinen 'sowol was charakteranlage als sociale Verhältnisse
anbelangt, mehr den Norwegern als den Dänen geglichen zu haben.' Das bild wird
im grossen und ganzen richtig gezeichnet sein.
Trotz dieser unterschiede, deren sie sich teilweise selbst bewusst waren, fühlten
sich die nordischen nationen doch wider als eins, was besonders in stunden der ge-
fahr hervortrat. In den wikiugerheeren standen oft mitglieder verschiedener nationen
(das beispiel: Rollo, der erste herzog der Normandie, war ein Norweger, der über
Dänen herrschte, ist aber höchst zweifelhaft), gemeinsam dienten sie in der leibwache
des byzantinischen kaisers. Sowol schwedische wie norwegische bauern murren und
und zwingen ihre könige, frieden zuhalten, weil sie nicht bei dem stammverwandten
Volke beeren wollen. Die isländischen skalden ziehen an allen höfen der dqnsk tunga
umher und werden kaum als fremde angesehen.
Die deutschen stamme sind zu einer nation zusammengewachsen, als ihi'e
existenz von aussen bedroht war; ein gleiches ist im norden nicht der fall gewesen.
ÜBER rsnOOK, WIKINGKR
111
Alle versuche, die skandiuavischeii viHkor zusaininonzuschwpissen, sind gesclieitort.
'Die nordischen völker sind nicht eine nation und werden es niemals sein — soviel
wir sehen können — niemals werden sie zu einem volke zusammenschmelzen. Aber
als freie Völker und selbständige individualitäten können sie zusammen wirken und
dadurch grosses im dienste des friedens und fortschritts vollbringen; niemals aber
werden sie dies vermögen, wenn sie gegen einander stehen' (s. 39). So schlicsst
der verf., in offenbarem hinblick auf die ereignisse der jüngsten zeit, dies capitel.
T3as 2. cap. behandelt 'das weib in der wikingerzeit'. 'Um das culturniveaa
eines volkes bestimmen zu können, ist niclits so wichtig als die Stellung des weibes
ini gemeinwesen kennen zu lernen' (s. 40). Das ist sicherlich richtig. So ist dies
capitel denn wichtig und interessant. Durch Tacitus kennen wir die hohe Stellung
des weibes bei den Germanen; wir wissen von einer Veleda, wir wissen von priesterinnen
bei den Westgoten. Priesterinnen hat auch der Norden gehabt, und die später ver-
achteten rqlvm- werden einst eine andere, höhere Stellung eingenommen haben. Im
allgemeinen aber gehörte die frau ins haus und spielte in alter zeit keine rolle im
öffentlichen leben. B. sucht nun die Stellung der frau in der ehe zu zeichnen und
tut dies gewiss im grossen und ganzen richtig: die ehe war der hauptsache nach
convenienzheirat, nach stand und vermögen wurde gefragt, nicht nach gegenseitiger
liebe. So ist's auch heute noch vielfach — nicht nur im norden — bei der bäuer-
lichen aristokratie. Dass das weib, worauf ja auch das wort 'bi'autkauf deutet,
ursprünglich wirklich vom mann gekauft wurde, ist wol unbestreitbar, und B. zeigt,
wie der kauf noch in die anfange der wikingerzeit hereinragt, dann aber durch die
heirat als schenkungsact abgelöst wurde. Und dass die tochter um ihre einwilligung
nicht gefragt wurde, ist sicher die regel gewesen. Aber die isländischen sagas wissen
doch auch aus jener zeit von so mancher ausnähme zu berichten, die B. nicht er-
wähnt. Allerdings scheinen die betreffenden mädchen dann oft eine besondere Stellung
eingenommen zu haben. So freit Hoskuldr um die schöne Jorunn, des BJQrn tochter,
die hervorragend klug war (skqrungr rnikill i vitsi/iunum); der vater, der mit der
Werbung einverstanden ist, überlässt ihr gleich wol die entscheidung (veik po til
hcnnar rajjar), Laxda'la c. 9. Ebenso übeilässt es Egill Skallagrimssou seiner tochter
I'orger{)r, ob sie den Öläfr pä nehmen will 'denn keinem manne ist die möglichkeit
gegeben, die f*orger{)r ohne ihren willen zu bekommen', ebd. c. 23. Und der gode
Suorri sagt auf die Werbung um seine tochter fördis, die schön und ansehnlich
(uterkiUy) war, sie solle nur den mann heiraten, der ihr wol anstehe. Sie schiebt
freilich die entscheidung ihrem vater wider zu, sagt aber doch, dass sie am liebsten
den bewerber, BoUi, haben wolle, ebd. c. 70. Als BJQrn HItdölakappi um die schöne
Oddny freit, die auch ein skqrungr mikill war, schiebt gleichfalls ihr vater l'orkell
ihr den entschluss zu, und sie nimmt den bewerber, weil sie sich beide schon vorher
geliebt hatten, Bjamar s. Hitd. c. 2. Hier haben wir auch einen der verhältnismässig
viltenen fälle, in denen von vorheriger liebe des paares die rede ist. Ebenso wird
Ilildigunnr Starkadöttir gefragt, ob ihr der bewerber, llQskuldr, gefalle. Stolz nennt
sie sich selbst von ungewöhnlicher, über die menge emporragender gesinnung (skapstur)^
und sagt, ihr oheim habe ihr versprochen, sie nur einem godeu zu verheiraten, was
HQskuidr nicht war. Worauf der oheim erwidert, wenn sie den mann nicht habou
wolle, wolle er nichts dagegen tun. Sie aber stellt die bcdingung, dass man jenem
ein godord verschaffe, Njäla c. 97. Die berüchtigte HallgerÖr ist unwillig, dass sie
bei ihrer ersten Verlobung nicht um ihre meiiiuug gefragt worden ist, niu.ss diu.s
also doch wol als ihr recht ange.sehon hal)eu, ebd. c. 10. Als Dalla, dio tochter
1 ] 2 KAHLE
des I'oi'valdr, erfährt, dass ihr vater dem Jsleifr oiuo abschlägige antwort gegeben
liat, weiss sie den vater umzustimmen, so dass er den abgewiesenen freier zurücij-
nift, isleifs jjättr § 10. Und um auch aus Norwegen einen fall anzuführen, so
überlässt Oläfr Tryggvason seiner Schwester die entscheidung, ob sie die Werbung
des jarl EQgnvaldr von Gautland annehmen will, Flateyiarb. 1,415,
Man sieht der ausnahmen von der regel sind nicht so wenige.
Hat der verf. somit bezüglich des ursprünglichen kaufes der braut recht, so
wird man ihm dagegen nicht zustimmen können, wenn er ausführt, dass wie bei
anderen vÖlkern so auch bei den Germanen der kaufehe eine ältere stufe voran-
gegangen sei, und zwar als rechtliche Institution, die raubehe, auf die das wort
'brautlauf' und allerlei hochzeitsbräuche wie die scheinbar gewaltsame entführung
der braut u. ä. hinweisen sollen. Dass wir es bei der ja tatsächlich oft vorkommenden
raubehe 'nirgends' mit einer 'durch sitte und gesetz anerkannten heiratsform ', sondern
überall nur mit 'einer vereinzelten, die schranken des rechts durchbrechenden , straf-
baren gewalttat' zu tun haben, hat Grosse Die formen der familie und die formen
der Wirtschaft s. 105 fgg. gezeigt. Vgl. auch Spencer, Principles of sociology I, 623.
B. schildert nun, wie die frauen allmählich, in verschiedenen gegenden zu
verschiedener zeit, das recht erhalten, zu erben und grund und boden zu besitzen,
was ausnahmsweise aber auch schon früher, wie an beispielen belegt wird, in der
Wikingerzeit der fall gewesen ist.
Der mann hatte 'hals- und haudrecht' über seine gattin; nur auf Island, wo
die frau überhaupt früh grössere rechte erreichte, war das recht des mannes in
dieser hinsieht beschränkt, und schlage galten des öfteren als scheidungsgrund.
So ändert sich nach und nach die Stellung der frau, wir hören von wirklicher
liebe; um ihrer selbst willen wird nun auch gelegentlich die frau umveorben. Aus
der dichtung, wie aus der geschichte werden beispiele in reicher zahl vorgeführt,
■wir lesen von glühender leidenschaft, von rührender treue bis zum tod. Doch
findet das liebeslied w^enig eingang, ja auf Island, von dem wir doch proben besitzen,
■war es sogar gesetzlich verboten. Dass wir aber ausserhalb Islands nichts von liebes-
liedern wissen, ist nicht ganz richtig. Die norwegischen könige Olaf der heilige und
Magnus der gute haben welche gedichtet, vgl. Finnur Jönsson, Litteraturh. 1, 464 fg.«
467. Auch in Dänemark und Schweden zeigen sich spuren einer höheren auffassung
der frau, auf runensteinen und bei Saxo. So kann es nicht wunder nehmen, wenn
in dieser zeit sich eine reihe von frauen über das gewöhnliche uiveau erheben.
Zwar die zeit der schildjungfrauen, die wir auch bei den anderen Germanen antreffen,
liegt vor der eigentlichen wikingerzeit und gehört der frühzeit des Germanentums
an. In sage und dichtung haben die gestalten der kriegerischen Jungfrauen ihre Ver-
herrlichung und nacbahmung gefunden, sind vorbild der walküren geworden, bei
denen menschliches und übermenschliches zusammenfliesst. Wenn 'das rote mädchen',
von der ein irisches gedieht des 14. Jahrhunderts als anführeriu einer wikingerschar
erzählt, wirklich gelebt hat, wie B. will, so ist sie doch nur eine verspätete ausnähme
gewesen. Auch so gab es genug hervorragende frauen, von denen uns B. eine reihe
anschaulich schildert, die eine bedeutsame rolle im öffentlichen leben spielten, als
fürstinnen, dichterinnen , ärztinnen, ansiedlerinnen. Mächtig auch entwickeln sich
die leidenschaften bei ihnen, wir sehen grosse liebe, auch grossen hass, wir sehen
dämonische frauen, die jenseits von gut und böse sind. Besonders Isländerinnen
erscheinen als solche. Nicht alle aber scheint mir Bugge richtig beurteilt zu haben,
so wenn er bei frauen, wie llallger|3r und der GuJ)rün der Laxdirla nur 'kleinliche
ÜBER HUC.OE, AVIKIXGKR 11)5
clirbegier und hoffart' sieht, 'in denen man unmöglich den versölinenden zug höheren
streben« entdecken kann'. Ihren zweiten mann hat doch Hallgerpr wirklich geliebt;
und ist nicht alles nnheil, das Gu{)rün dem geliebten ihrer Jugend zugefügt, aus ihrer
grossen liebe zu ihm hervorgegangen? Wirft nicht die bekannte scene, wie sie ihrem
söhne auf sein eindringliches fragen, wen sie am meisten geliebt, nach langem zögern
antwortet: 'den, an dem ich am schlechtesten gehandelt', einen versöhnenden
Schimmer auf ihr leben? So bringt auch Brynhild dem geliebten Sigurd den tod.
Und wenn nun B. eine anzahl irischer trauen von gleicher gemütsart uns vorführt,
sollen wir ihm da wirklich glauben, dass es das keltische blut war, das in vieler
Isländer ädern rollte, und der einfluss der irischen cultur, die diese frauencharaktero
schuf? Hat nicht auch das Merowingerhaus unheimliche, dämonische frauen hervor-
gebracht? War nicht auch die norwegische Gunnliildr, die mutter der könige, eine
solclie oder die schwedische Sigrijjr storräfia, die, von könig Olafr Tryggvason ver-
schmäht, ihn mit unauslöschlichem hass verfolgte und seinen Untergang veranlaßte?
Der schluss des capitels, der sich übrigens, ohne dass dies angedeutet wird,
nicht im original findet, weist nun auch auf schaden hin, die der Stellung der hau
in dieser zeit der berührung mit fremden culturen ei'wuchs: die zunehmende Viel-
weiberei der häuptlinge, die au haremswirtschaft erinnernden Verhältnisse der
schwedischen Russen, ebenso wie der nordischen häuptlinge in Irland; die kebsen-
wirtschaft der Norweger, Schweden, Dänen und Isländer. Auch die gewerbsmässige
Prostitution lernen die Nordleute in England kennen.
Der dritte abschnitt behandelt 'das leben in einer wikingeransiedlung'. ^yir
erhalten zunächst eine anziehende Schilderung Irlands, seiner uatur, seiner bewohner
und deren cultur. Staatlich wenig entwickelt, in klane zerfallend, die in ewiger
fehde miteinander lagen, waren sie roh und sinnlich. Der ackerbau war wenig ent-
wickelt, vielizucht der hauptnahrungszweig. Von südländischer lebhaftigkeit waren
sie, von erregter phantasie. Leidenschaftlich hatten sie das Christentum ergriffen,
glaubensapostel sandten sie aus, ihre anachoreten bevölkerten die schottische inselweit,
ja drangen vor den Norwegern nach Island, hüter der classischen cultur waren sie
y.n einer zeit allgemeinen Verfalls geworden. Aber auch ihre mutteisprache pflegten
-le eifrig; nicht nur wissenschaftliche arbeiten werden in ihr verfasst, sondern aucii
iiistorische werke, wie Jahrbücher, genealogische arbeiten, geschlechtersagas und
.'■Idensagen, märchen und gedichte'.^ Da nun auch die muttersprache mehr als
anderswo im Norden auf Island eine pflegestätte fand, so wird flugs geschlossen , dass
dies 'wenigstens zum teil der Verbindung mit Irland zu danken ist'. Die isländischen
häuptlinge sahen, dass die könige und häuptlinge in Irland sich mit sagamännern
und kunstskalden umgaben. Nun müsste man eigentlich erwarten, dass angeführt
würde, da.ss die isländischen häuptlinge dies beisjiiel nachgeahmt hätten; das geschioiit
nicht und ist auch nicht der fall gewesen. Wol aber hat Harald .schöniiaar sich mit
skaldcn umgeben, und dass dieser das beispiel der irischen fürsten nachgeahmt habe,
lialte ich für wenig wahrscheinlich'. Und sdiou vor Harald dichtete ßragi der alte
1) In .seiner grossen und weiivollen arbeit, Vesterlandoncs indtlydi'ise paa
Nordboernes og sa3rlig Nordnifendenes ydre kultur, levosfet og samfuiuNforhold i
vikingetiden (Skrift. udg. af vidensk.-selsk. i Christiania 1!»04. Jl. bist. -phil. klasse)
s. OC) sucht übrigens A.. Buggc dem einwand, da-ss zu jener zeit die veil)induiig
zwischen Norwegern und Iren zu gering für einen solohon eintluss gewesen sei,
durch den hinweis zu begegnen, dass schuu seit -'/i Jahrhunderten Norweger in Dublin
"wpson und da.<:s Harald selbst nach Man und den llebriden gokoninuMi sei.
ZKIT.SCimTFT F. JtKÜTSfHK rHU.OI.OOIK. HD. XL. ^
114 KAIIT.K -
an deu liüfeii der koiiigc. B. weist sodann auf die ithnlicbkeit der iiisclieu und is-
ländischen dichtung hin. 'Die kunstdichtuug, wie sie sich im 10. Jahrhundert auf
Island entwickelte, ist sonst im Norden fast unbekannt. Selbst in Norwegen wurde
sie nur wenig gepflegt'. Auch hier nimmt er einwirkung von Irland auf Island an.
Da ich des irischen nicht mächtig bin, will ich mich hier eines eigenen Urteils
enthalten. Abei' es muss doch hervorgehoben werden, dass man zunächst nicht gut
anders kann, als die isländische skaldendichtung einfach als fortsetzung der nor-
wegischen des 9. Jahrhunderts anzusehen. Sind doch bei Bi-agi schon alle demente
dei'selbeu vorhanden , und wenn dieser auch der älteste uns bekannte skald ist, so kann
er doch unmöglich der erfinder dieser dichtungsart sein, sondern seine dichtuugen
setzen schon eine längere kunstübung voraus. Es müsste also ei'st bewiesen werden,
dass schon etwa um 800 ein eiufluss der ii-ischen dichtung stattgefunden hätte, und
zwar auf die norwegische dichtung, was ganz unwahrscheinlich erscheint. Denn
wenn auch die berühruugen der Nordleute mit der keltischen weit des Westens schon
seit etwa 700 beginnen, so sind sie doch in diesem Jahrhundert verhältnismässig
spärlich und sicherlich fast dui'chweg feindlich gewesen, so dass man sich in diesem
Zeitraum einen so weitgehenden einfluss auf das geistesieben nur schwer vorstellen
kann. B. nimmt auch diesen einfluss erst für später an.
Nach Schilderung der irländischen litteratur geht B. nun auf die tatsächlichen
berühruugen der Nordleute mit dem volke des Westens ein. Schon um 700, ja
vielleicht noch früher haben Norweger aus dem südwestlichen teile des landes festen
fuss auf den Oi'kneyjar und deu Shetlandinseln gefasst. In ihrer begleitung waren
wahrscheinlich mänuer aus Gotland. Dies wird geschlossen aus Ornamenten und
bildern auf gotländischen runensteineu, die den eiufluss keltischer kunst zu verraten
scheinend Die Schilderung nun der norwegischen und dänischen eroberungen im westen,
liauptsächlich auf Irland, die gründung ihrer herrschaften , besonders des norwegischen
königreiches in Dublin , des lebens und treibens in diesen colonien , des Verkehrs , der
sich zwischen den Irländei'u und den Nordleuten entwickelte , erst durchaus feindlich,
bald aber gelegentlich auch friedlich, der heiraten zwischen den fürsteugeschlechtern,
des emporblühenden handeis, der einführung des nordischen heideutums, ja dessen
ausbreitung unter Irländern, aber doch schliesslichen besiegung durch das Christentum,
alles das ist höchst interessant und lesenswert. Irische gefolgschaftsskalden trafen sich
mit isländischen und norwegischen am hofe zu Dublin. Auch die nordische sagaerzählung
soll dort geblüht haben. Dort soll der boden gewesen sein für den einfluss der
irischen litteratur auf die isländische. Aber eins ist doch verwunderlich. Wenn
wirklich dort ein so reges litterarisches leben geherrscht hat, wie kommt es, dass
wir von keinem einzigen skalden norwegischer zunge aus Irland wissen? Es hätte
sich doch eine einheimische litteratur in norwegischer spräche entwickeln müssen —
was Sophus Bugge für die sagalitteratur anführt, ist höchst unsicher — sollte all das
verloren seinV "Warum haben die Isländer, die uns doch die norwegische litteratur
aufbewahrt haben, nichts von dieser irisch -norwegischen erhalten, warum kennt
Snorri Sturluson keinen einzigen irisch -norwegischen dichter? Das ist alles doch
kaum erklärlich. Und dieser grosse einfluss auf das geistige leben der Norweger
soll statt gehabt haben, obwol B. selbst sagt: 'Nirgendwo begegneten sich zwei
Völker, die so verschieden waren an Charakter, cultiir und socialen Verhältnissen,
1) Wer sich über diese culturströmuug genauer unterrichten will, sei auf die
ausführliche, durch zahlreiche abbiiduugen erläuterte darstellung A. Bugges in der
erwähnten arbeit Vesterl. indfl. hingewiesen.
i'üKK lU'uGi:, \viKiNcii;i; 115
wie gerade hier (in Irland). Daher lebten aucli die uacliliünuiien der wikinger und
Iren Jahrhunderte lang seite an seite, ohne miteinander zu verschmelzen und inein-
ander aufzugehen zu einer zeit, wo in den wikiugercolonien in England, B^ankreich
und Russland nur die spräche dieser länder gesprochen wurde' (s. 141 fg.). Damit lässt
sich wol eine gegenseitige beeinflussung in 'friedlichen beschäftigungen', also in
materieller cultur, auch in bildender kiuist, leicht vereinigen, aber schwer eine so
tiefgehende geistige wie sie B. annimmt.
Der 4. abschnitt ist den 'eriunerungen au die wikinger auf dei- iusel Man'
gewidmet. Die geschichte dieser insel ist schon deswegen höchst interessant und hat
die aufmerksanikeit der forscher schon frühe]' auf sich gezogen, weil hier wie sonst
nirgends in alten norwegischen colouieu, sich die grundzüge der von den Norwegern
gegebenen Verfassung bis auf den heutigen tag gehalten haben. Noch heute müssen
alle gesetze, um gesetzeskraft auf der insel zu haben, vom Tynwald Hill verkündet
werden. Tynwald ist aber nichts anderes als altnordisch Pingvqllr 'die ebene des
dings'. Noch heute wird das ding umfriedet, wie in alten tagen. Norweger und
Iren sassen auf der iusel, die sich früh ihre Selbständigkeit errang, feilweise sogar
voroit füi' die Hebriden war. Allerlei verwegenes gesiudel aus beiden nationen fand
hier Unterschlupf, es war ciu richtiges seeräubernest. Noch heute findet man spuren
der alten Norweger, wie z. B. in personen- und ortsnameu.
Die denkwürdigsten reste aber sind die vielen runensteine 'gleich interessant
durch ihre iuschriften wie durch ihre bilder. Nur auf Gotland gibt es entsprechendes'.
In ihrer form sollen sie den irischen und besondei's ostschottischen steinen gleichen, wie
sie zur zeit der wikingerzüge üblich war-en. 'Sie sind entweder als kreuz zubehauen,
oder das kreuz schmückt, was am häufigsten ist, die Vorderseite des stciues'. In
den bandverschlingungen und Ornamenten ist unleugbar einfluss der keltischen stein-
kreuze vorhanden. "Während aber diese mit bildern aus der bibel oder dem leben
der heiligen geschmückt sind, finden wir nun auf den runensteinen scenen aus der
heimischen götterweit und sage dargestellt. Einige dieser steine sind abgebildet, leider
die meisten recht schlecht, wie auch später die aus Gotland, so besonders der auf s. 200
so dass man besser hier zum original greift, in dem die bilder deutlicher sind. Die
inschriften sind im jüngeren runenalphabet, und zwar in einem typus, der wie Sophus
Bugge nachgewiesen hat, sich widerfindet in Jsedereu und ßingerike in Norwegen, in
Östergötland, auf Gotland und auf den Orkneyjar, was für alte Verbindungen dieser
gegenden miteinander spricht. Man dürfte übrigens aus diesem umstand allein noch
nicht auf directe beziehungeu etwa zwischen Gotland und Schweden zum Westen
-' hliesseu; war diese art der schrift von dort nach Norwegen vorgedrungen, konnte
sie auch von dort herübergekommen sein. Doch ist hervorzuheben, dass eine inschrift
in schwedischer spräche abgefasst ist. Vor die 2. hälfte des 11. Jahrhunderts können
tie steine nicht gesetzt werden, da sie von Christen errichtet wurden, und das
liristeutum erst um 1050 allgemein auf der insel angenonimou wurde, ^^'ie die
nanieu auf den inschriften bezeugen, hat hier — also wie es scheint, viel stärker
als in Irland — eine friedliche vermisi;hung von Nordleuten und Kelten stattgefunden.
Bei der deutung nun der bildlichen dar.stellung tritt in iicrvorragendom masse
lie Phantasie A. Bugges, von der ich eingangs gesprochen, zu tage, und aucli die
ic'S vaters. Denn auf ihn geht ein teil dei- erklärungen zurück. Manches zwar
'•heint sicher, wie der die schlänge tötende Sigurd auf dem stein von Jurby, nicht
M sicher z. b. ist schon die deutung des mit dorn wolfe kämpfendeu mumies als
Odin auf dem stein von Kirk Andreas. A. Olrik z. b., und ich bin geneigt, mich ihm
8*
1 IG KAULI-;
auzuschliessen, sieht darin den gott Vidärr. Was uns aber weiterhin vom stein von
Jurby, vom gehängten Raudver mit dem bunds- — oder wie der Übersetzer will —
vvolfskopf, vom adlerköpfigon Odin und "Walhgll erzählt wird, oder von den vogel-
köpfigeu einheriern auf dem stein von Kirk Michael ist doch nicht viel mehr als ein
phantasiegebilde.
Der 5. abschnitt trägt den titel 'herdfeuer der cultur in alter zeit'. Wir
werden in zelten geführt, die zum teil vor der wikingerzeit liegen. Am frühesten
ragt hervor Leire auf Seeland mit seiner prächtigen königshalle -Hirsch', die wir aus
dem Beowulf kennen, dann ist zu nennen Uppsala, wo das hauptding der Svear
war, die alte handelsstadt im Mälarsee Birka, die im 10. Jahrhundert durch wikiuger
zerstört wurde, worauf sie von Sigtuna, gleichfalls am Mälar gelegen, abgelöst wurde.
In Dänemark waren Schleswig und Hedeby die handelsstädte. wo Sachsen, Friesen
und Holländer sich trafen. Von grosser Wichtigkeit war dann Gotland, hier mündete der
handel aus dem osten. In Norwegen fehlt es an solchen einzelnen culturbrennpunkten,
doch scheint die gegend um den Christianiafjord früh schon reges leben entwickelt zu
haben. Die culturen aller dieser platze werden geschildert. Freilich muss hier viel
erschlossen werden aus runensteinen, grabfundeu, münzen u. a., so dass der phantasie
hier mannigfacher Spielraum gelassen ist. Immerhin folgt man gern B.'s führung.
'Cultur und lebensanschauung der wikinger' heisst der 6. abschnitt. In
diesem, wie in dem folgenden letzten, begegnen wir mannigfachen widerholungen
aus früheren partien des buches. Gleichwol ist die Zusammenfassung nützlich. Auf
die Veränderungen in spräche, schritt und kunst wird hingewiesen. Aber dass erst
die wikingerzeit dem götterglauben das gepräge einer kämpf religion aufgedrückt hat.
mag billig .bezweifelt werden. Schon vorher haben blutige kämpfe im norden getobt,
und den kriegsgott haben die Nordleute schon in frühesten zelten verehrt. Gegen
die Schilderung der götter- und heldensagen sowie der lebensanschauung, die in der
dichtung wie in den taten der menschen jener zeit sich ausspricht, habe ich wenig
einzuwenden. Nur dass ein grosser teil der Eddalieder im Westen entstanden ist,
glaube ich nicht. Doch diese Streitfrage hier zu erörtern, ist kaum am platz. Auch
dass die sagen von Sigurd und Wölund einst gemeingut fast aller germanischen
stamme gewesen seien, vermag ich nicht anzunehmen. Und dürfen wir aus dem
umstand, dass wir auf Gotland bildliche darstellungen aus götter- und heldensagen
haben, nun auch schliessen, dass die Eddalieder dort 'ein reiches und blühendes
leben gehabt haben'? Nichts berechtigt uns dazu. Wir können nur sagen, dass
die Stoffe dort bekannt gewesen sind, und in welchem umfang ist auch noch sehr
die frage. Ob diese Stoffe auch dichterisch behandelt v/orden sind, und in welcher
form, darüber wissen wir nichts. Und konnte wirklich nur die wikingerzeit Wölund
den Schmied 'mit der tiefen liebe und dem noch tieferen hass. voll dämonischer
Wildheit' schaffen? Bot nicht die völkerwanderungszeit, bot nicht die blutbefleckte
geschichte des Frankeureichs genug der Vorbilder?
Bei Schilderung der äusseren cultur ist die E]gs{)ula in ausgedehntem niasse
verwendet worden, die B. im westen in keltischer Umgebung im anfang des 10. Jahr-
hunderts entstanden sein lässt. Aber bereits der Übersetzer weist in einer anmerkung
darauf hin, wie zweifelhaft der entstehungsort sei. Ja die neuste auffassimg, die
von A. Heusler (Herrigs Archiv 116, 270 f gg.) geht sogar dahin, dass das gedieht ein
spätes isländisches erzeugnis des 13. Jahrhunderts sei. Bevor also heimat, und vor
allen dingen alter des gedichts nicht besser festgelegt sind, kann man es für die
cultur der wikingerzeit nicht benutzen.
VliKIS miOGK, WIUlNtiKi: 117
Der letzte abschnitt behandelt 'die lebensanschauung und bildung beim über-
gange von der wikingerzeit zum mitteLalter'. Es ist die zeit des ausgehenden heiden-
tums, des Übergangs zum Christentum, jene zeit seltsam gemischten glaubens, wo der
magre Helgi nach bedarf Christus oder Thor anrief, wo Christen heidnische bilder
auf kreuze setzten, die zeit, in der unter oberflächlicher christlicher tünche lange
noch heidnische anschauungen wucherten. Eine anzahl männer, wie der dichter
Egill Skallagrimsson und der Christ gewordene skald Hallfre|)r, der nur schwer sich
von den alten göttern trennt, werden uns als typische Vertreter dieser zeit angeführt.
Es hätte aber auch der edle Gunnarr von nii{)arendi nicht übergangen werden dürfen.
Wir sehen, wie langsam, recht langsam, die alte Wildheit schwindet, wir sehen
auch 'einen durchbruch im gefühlsleben ', 'einen Übergang zu der mehr zärtlichen
und innigen auffassung des mittelalters vom weibe (s. 265). Auch das naturgefühl
scheint stärker zu werden, besonders ist es das wilde meer, das die dichter zu
schildern lernen. Als erste mittelalterliche gestalt von umfassender bildung wird
dann der dichter Sighvati- in plastischer schilderang uns dargestellt.
Auf ein paar einzelheiten sei noch mit einigen werten eingegangen.
Als erste nordische völker, die in der geschichte auftreten, nennt B. (s. 8) die
Cimbern und die Teutonen. Ist 'nordisch' rein geographisch gebraucht, wird man da-
gegen nichts einzuwenden haben, soll es aber etwa heissen nordgermanisch im
gegensatz zu süd- oder westgermanisch, so ist die Sache doch nicht sicher. Bremer
z. b. zählt die Cimhern zu den "Westgermanen, die irgendwo in Schleswig -Holstein
Sassen. Doch wird man von jenen unterschieden fi'u- diese zeit am besten überhaupt
abstand nehmen. Wenn B. s. 17 als beleg dafür, dass die Heruler ein merkwürdiges
Volk waren, den bericht Prokops anführt, dass sie lediglich, um einmal probeweise
ohne könig zu .sein, iiiren könig getötet hätten, so haben wir es doch wol mit einem
später untergelegten grund zu tun. Sie werden schon eine andere veranlassung gehabt
haben, vielleicht dieselbe oder eine ähnliche, die jene Schweden hatten, die ihren
könig den göttern wegen anhaltenden misswuchses opferten.
Nach s. 58 könnte es scheinen, als wenn die Vorstellung, dass der tote eines
Schiffes bedurfte, um in die unterweit zu kommen, die allein herrschende gewesen
i. Es ist dies aber nur eine von mehreren arten, wie man den weg zurücklegte.
Dass wir auf den goldenen hörnern darstellungen von walküren haben sollen (s. 58),
die met in "Wallhall einschenken, ist mehr denn zweifelhaft, vgl. Müller, Nord,
altert. 2, 150, und die bemcrkung (s. 59). dass dies beweise, dass die Nordleute bereits
in der zeit der völkeiwanderung dem weibe ein leben nach dem tode zuschrieben,
ist doch wol überflüssig. Haben sie es vor der Völkerwanderung etwa nicht getan?
Die grabbeigaben bezeugen dies doch für viel ältere zeit. Höchst zweifelhaft ist
. 72j, ob Au{)r hin diüpü|)ga mit könig Olaf dem weissen von Dublin verheiratet ge-
wesen ist, vgl. Gering zur Eyrb. c. 1, 8. Den satz auf s. 85 verstehe ich nicht:
'Aber eine frau daheim, eine in England, eine in Irland oder Frankreich, das
wurde bald zu viel für einen mann, und nach und nach wurde die Vielweiberei all-
gemein in den Wikingerdistricten des Ostens und westeus.' Der nachsät/, widerspricht
dem Vordersatz, man würde erwarten, wenn die drei oder vier frauen zuviel wurden,
dass man zur monogamie zurückkehrte. Ob etwa ein versehen des übei-sotzors vor-
hegt, kann ich nicht sagen, da dies stück im original nicht steht. .\uf s. 97 wird
gesagt, dass der ackerbau nur eine geringe rolle für die Iren spielte, aufs. 141, dass
die Iren die Nordloute viel zu lehren liatten, besonders was ackorliau und vieh/.uclit
anlx'trilTt, worin di<' Iren ihrerseits überaus vii-1 von d'-n Körnern in Ürilaniiion gelernt
118 KAIILK ÜBKR EUdliE, 'WIKJNGEK
hatten. Was ist umi richtig V Dass der isländische freistaat, wenigstens teilweise, sein
A^orbild in den wikingercolouien auf den britischen inseln gehabt habe (s. 120), scheint
jnir sehr unwahrscheinlich. Mit ganz geringen ausnahmeD , wie aus den Schilderungen
B.s selbst hervorgeht, haben diese alle unter häuptlingen gestanden. Die entwicklung
auf Island ist eine ganz andere. Hier stiessen die landuahmsmäuner auf menschen-
leeres land, denn die paar irischen anachoreten zählten nicht.
Kaum richtig ist ferner, dass die nachkommen der auf den Hebrideu und in
Irland getauften landnahmsmänner und die irischen anachoreten den boden für die
annähme des Christentums auf Island im jähre 1000 vorbereitet hatten. Die nach-
kommen der ersten Christen waren längst ins heidentum zurückgefallen und bewahrten
höchstens ein paar abergläubische anschauungen , und die anachoreten scheinen gleich
bei ankunft der ersten colonisten oder doch bald nachher das land verlassen zu haben.
Jedesfalls haben sie keine Wirksamkeit ausgeübt, davon hätten wir sicher künde. Was
s. IßOanni. des Verfassers als tatsache ausgesprochen wird, dass nämlich die isländischen
goden ihren titel von dänischen und norwegischen Wikingerhäuptlingen in England und
Irland angenommen haben, ist nichts als eine, noch dazu unwahrscheinliche, Ver-
mutung. Die gewöhnliche altwestnord. form (s. 163) ist nicht k/jrkja, sondern kirkju,
was auch besser zum manischen kirk stimmt.
Die s. 169 erschlossene verszeile auf einem kreuz auf Man 'Ein mensch soll
wenig fürchten und schön handeln ' mag ja aus der zeit des heideiitums stammen und
sich den Sprüchen der Hävam^l vergleichen, aber etwas specifisch heidnisches hat sie
nicht, und eignet sich deshalb nicht dazu, als beleg für die mischung von heidentum
und Christentum angeführt zu werden. Mit den bezeichnungen 'ältestes Eddagedicht',
als welches die Volundarkvijja angegeben wird (s. 210), sollte man doch vorsichtiger
sein und sich damit begnügen, zu sagen 'eins der ältesten'. Es hätte wol angeführt
werden können (s. 223), dass auch bei den Wikingern der Normandie, obwol sie der
hauptmasse nach Dänen waren, Thor die hauptrolle gespielt zu haben, oder zum
mindesten doch eine sehr starke Verehrung genossen zu haben scheint. Dass namen
wie AlfQÖr (s. 223) für Odin nicht notwendig christlicher anschauung entsprungen sein
müssen, glaube ich Ark. f. nord. fil. 17, 141fgg. gezeigt zu haben. Für ein so einfaches
bild, wie das vom rückwärtsfliessen der flüsse, um etwas unmögliches zu bezeichnen,
das meiner ansieht uach überall entstehen kann, nach quellen zu suchen (s. 265)
halte ich für vorkehrt. Dass Hallfre{)r (s. 272) die Kolfinna zum ehebi'echerischen
verkehr gezwungen habe, wie B. annimmt, scheint mir aus der erzählung nicht hervor-
zugehen. Es steht kein wort von zwang da. Unwillig wird KolGnna nur, als Hall-
fre{)r die schmäh verse auf ihren mann dichtet, den sie ganz gern hat. Aber lieber
hatte sie doch wol noch den geliebten ihrer jugeud.
Eingangs habe ich gesagt, dass Hungerland sich durch seine Übersetzung dank
verdient hat. Grösser wäre dieser noch, wenn sie sorgfältiger wäre. Auf eine anzahl
kleiner druckversehen, die jeder selbst leicht verbessern kann, lege ich kein gewicht.
An manchen stellen muss man schon etwas schärfer zusehen, um das richtige
zu erkennen. Auf s. 44 ist zweimal Irländer in Isländer zu vei bessern; s. 128, 10
'und' in 'nur' zu ändern; s. 231,29 'persönlich' in 'persönlichste'. Der stil lässt
viel zu wünschen übrig. S. 3, 5 fg. 'nationaiversammlung, wo die männer zusammen-
strömen' erinnert an die spräche der Pfalz, ist aber kein gutes hochdeutsch. S. 12
anm. 6 steht 'nur' an falscher stelle: 'diesem gebiet kommt eigentlich nur der nanie
Schweden zu'; gemeint ist: nur diesem gebiet. Auf s. 25 ist in zwei anmerkuugen,
einer des Verfassers und einer des Übersetzers, der namc Noreen falsch mit accent
KAUI-FMANN ÜliKK AVII.SKI; , IHK GKlfM ANK.X 119
auf dem ersten e gescliriebeu. Dieser l'eliler liudet sich si;huii im original. Nicht
deutsch ist es, zu sageu, ebd. aum. 2, 'Ottar war der erste, der zuerst. . .' Eine Ver-
mischung zweier constructionen findet sich s. Iö8, 24: (sie werden) in ihrer eigenschaft
als gesetzeskundige wegen . . ! • Gemahnen' (s. 259, 12fgg.) wird im dcutsclieii mit 'an
etwas' construiert, uicht mit 'von etwas'. Augenscheinlich scliwebte H. etwas wie
' Zeugnis ablegen' vor. Ob man die bewohner der Uebriden 'Hebriden' (s. 182, ,31)
nennen kann, scheint mir zweifelhaft.. Freilich weiss ich das wort auch nicht recht
zu bilden. Verkehrt übersetzt ist indhav (s. 14, 17) mit 'binnensee', es muss heisseu
'binnenmeer'. Überhaupt schimmert des öfteren das norwegische durch, so dass die
Übersetzung undeutsch wird, ein paarmal ist auch direct falsch übersetzt. S. 3, 13 ist
'da" (norw. da) in 'als' zu ändern; es soll kein ursächliches, sondern ein zeitliches
Verhältnis ausgedrückt werden. Mau kann uicht (s. 7, lü) sagen ,sich einander ver-
stehen' (forstdd liincmdcn). Dass die gesetzgebende Versammlung auf Man die gesetze
'stiftet' (s. 155, 31), kann man unmöglich sagen, soll heissen 'die gesetze werden
angenommen'. Dan. oidoy heisst nicht 'doch' (s. 188, 26), sondern 'sogar'. 'Dort'
(s. 204, 10) für doch (dag) ist wol druckfehler. Eine vom asenglauben 'durchsäuerte'
dichtung (s. 230, 29 fg. ; yjenncmsyrct) ist im deutschen wenigstens ein unschönes bild.
Ich würde vorschlagen 'durchtränkte'. Bei den hinweisuugen auf die anmefkungen
herrscht zuweilen ziemliche Verwirrung. Eine anm. 4 auf s. 18, auf die s. 27 aum. 2
verwiesen ist, findet sich dort nicht. Ebensowenig wie anm. 3 aufs. 49, auf die s. 61
anm. 2 hindeutet. Überhaupt ist auf dieser seite Zwiespalt in den hinweisen im text
und der Zählung der an merkungen. Die anm. **) s. 149 gehört auf s. 150 zu zeile 1
hinter -Hebriden". Melir oder minder grosse Verwirrung herrscht auch auf den
ss. 230. 249. 252. "Was den Inhalt der von H. herrührenden anmerkungen betrifft,
so erklären sie teils den deutschen lesern ferner liegende dinge, teils bringen sie
nachweise, die das original nicht hat, zuweilen auch eigene, abweichende ausichten,
denen ich vielfach zustimmen kann. Etwas zuviel ist es wol gesagt, wenn s. 26
anm. 1 Egill Skallagrimsson für einen der grössten dichter der weltlitteratur erklärt
wird. Auch möchte ich die Njäla (s. 44 anm. 1) nicht für die unbedingt grossartigste
isländische saga halten. Warum wird s. 150 anm. 1 für die alte.dingstätte auf Island
ilie dänische bezeichnuug Thinyvalla gegeben, und nicht lieber die isländische Ping-
rellir? Dass der glaube an die in berge entrückten seelon und ihre Verehrung durch
die nachkommen (s. 256 anm. 1) aui keltischen einfluss schliessen lässt, scheint mir
nicht genügend begründet. Übrigens citiert H. hier sich selbst falsch: es muss nicht
heissen Arb. f. nord. tU. XVI, 367, sondern XXI, 387.
HEIDELBERG. B. KAILLE.
IVilser, Ludwiir: Die (Jormauen. Beiträge zur Völkerkunde. Thüringische verlags-
anstalt, Eisenach und Leipzig s. a. (1904). VI, 447 s. 6 m.
Derselbe: Die herkunft der Baiern, mit anhang: Stammbaum der langobardischen
könige. Zur runenkunde. Zwei abhandlungen. vVkademischor vorlag für kunst
und Wissenschaft. Leipzig und Wien 1905. 80 s. 1,20 m.
In dem an erster stelle genannten buch sind die zahlreichen seit 25 jähren
veröffentlichten äusserungen Wilsers über problemo der prähistorio und der germa-
ni.schen altertum.skunde vereinigt worden. Der vielseitig orientierte verfasset ist be-
kanntlich nicht im stände, die bei uns piiilologen und historikern übli(;licii grundsätze
wis.senschaftlicher beweisführung anzuerkennen. Seine [ihantasie überwuchert sein
120 EIIKISMAAN ÜBEK l'J-'EIFFER , OTFKIl)
wissen. Infolgedessen wird niemand sich veranlasst sehen, Wilsers flüchtige feder
und die von ihr gezogenen krausen linien zu respectieren. Der schreibselige mann
machte neuerdings dann noch den anlauf gegen das Baiernproblem , das er spielend
durch die gleichung Lugier = Baiern beseitigt zu haben glaubte. In der runen-
abhandhmg beliommen wir zu hören, wie "Wilser über neuere ruuologische Ver-
öffentlichungen denkt. Der lefraiu laiitet auch hier, es sei ihm unbegreiflich, dass
man immer noch und immer aufs neue an einem rätsei herumrate, das doch Wilser
längst gelöst habe.
KIEL. FRIEDEICH KAUFFMANK.
Otfrid, der dichter der evangeheuharmonie im gewande seiner zeit. Eine litterar-
und kulturhistorische Studie von C. Pfeiffer. Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht
1905. 134 s. 2,60 m.
Einen wissenschaftlichen zweck verfolgt der Verfasser nicht, er 'wendet sich
an ein weiteres publicum', um auch bei den 'menschen der neuzeit rein menschliches
intei'esse' für den dichter der evangelienharmonie zu erwecken. Dieses ziel mag er
erreicht haben, denn er hat seine Studie mit vvärme und liebevoller hingäbe an den
gegenständ geschrieben. Es genügte ihm aber (abgesehen von einer das klosterleben
und das Christentum jener zeit schildernden einleitung) allein auf grund einer, aller-
dings sehr reichen, auslese anmutiger oder ergreifender scenen aus Otfrids werke ein
bild des dichters zu entwerfen ohne viel darnach zu fragen, ob die gedanken auch
von ihm herrühren oder nicht. So erscheint Otfrid fast überall originell, wo er doch
fast immer nur nachahmer ist. Die Schilderung der p'rophetin Anna und ihrer witwen-
treue (1, 1(3, 5) wird als perle Otfridscher gemütstiefe gepriesen: aber schon dei" dichter
des Heliand äussert die gleichen empfindungen (v. 504), und auch er schon hat zarte
worte für die liebe der Maria zu ihrem kinde (Otfr. I, 2,33, Hei. 378) und weiss die
bitterkeit des zweifeis, der Josef beschwert, nachzuempfinden (Otfr. I, 8, 9 = Hei. 295);
Marienklage und klage der bethlehemitischen trauen vollends sind ganz nach alten
motiven gearbeitet. So ist es auch mit der allegorie von der heimkehr der Magier.
Wie viele andere scenen ist auch sie ein ausdruck des grundgedankens des evangelien-
buchs, der ist: den weg zu zeigen zum himmelreich (vgl. verf. s. 55. 64. 107. 109).
Dann aber genügt es nicht zu sagen, Otfrid gestalte hier nur einige trockene moral-
sätze seiner quelle tief und gemütvoll aus, sondern wir erkennen darin die welt-
bewegende Offenbarung vom himmlischen heim weh, dem fQwg Piatons, d. i. 'die
ringende Sehnsucht der seele nach ihrem überirdischen Ursprung' (Windel band), und
wir werden mit der seele 'den weg gehen in unser liebes Vaterland", wie ihn viel
tausendmal schöner Plotiuus beschrieben denn Otfrid, und werden uns erinnern, dass
auch viele menschen im Zeitalter unseres dichters das heimweh kannten und er-
greifende worte dafür gefunden haben, wie die angelsächsischen Sänger vom wandercr,
vom Seefahrer, von der luine, Paulus Diaconus nach seiner stillen klosterzelle und
der starre mönch Gotschalk nach der freiheit, und wie in der tlieologie des mittel-
alters die weit immer das exilium gewesen ist, in das wir aus dem vaterlaud des
Paradieses (ex Paradisi patria) Verstössen worden sind. Und widerum, wie bei Piaton
der iQOjg es ist, der die seele zu dem göttlichen leben zurückführt, an dem sie einst
teil hatte, so ist es bei Otfrid die christliche Karitas : minna thiu diura (tkcist
Jcaritas in ivaraj . . . tili gäeitit nnsih heiin, Hartm. 129 fg. (vcif. s. 55). Das aber
eben ist der mittclpunkt der christlichen lehre.
HEIDELBERG. G. EIIRISMANX.
S<]IMKI)ES ÜBKK IximCilKU- KIN/.KI. , MHKI.l'.Mi KNLIKD 121
Das Nibelungeulied im auszuge iiacli dem urtext mit dou entsprecliunden
abschnitteD der W ölsungeusage erläutert und mit den nötigen hilfsmittelu
versehen von G. Bötticher und K. Kiuzel. Sechste verbesserte aufläge. (=^ Denk-
mäler der älteren deutschen literatur, herausgegeben von dr. G. Bötticher und
dr. K. Kinzel I. 3). Halle, Waisenhaus 190:3. VIII, 179 ss. 1,40 m.
Die einleitung des für den schulgebrauch bestimmten buches handelt im ersten
capitel von der geschichte der deutscheu heldensago und des Nibelungenliedes. Die
herausgeber stellen sich, was die eutstehung des gedichtes angeht, auf Lachmanns
Standpunkt, ohne näher auf seine liedertheorie einzugehen, aber auch ohne den immerhin
liypothetischen character ihrer angaben anzudeuten. Das zweite capitel gibt einen
brauchbaren auszug aus der Wölsungensage nach verschiedenen Übersetzungen der alt-
nordischen quellen.
Von den 2316 Strophen der Lachmaunischen ausgäbe sind etwa zwei fünftel
in einer zweckmässigen auswahl abgedruckt. Übrigens weichen die herausgeber von
L's reccnsion in kleinigkeiten ab, die zum teil doch wol druckfehler sind. Ich habe
mir folgende stellen angemerkt: 46,3 es:L. richtig ez (hier ist, wi& die anmerkung
zur .stelle zeigt, mit absieht geändert); 68, 4 s wanne :L. swanneu\ 91,2 .swze : L.
mine; 102, 4 und : L. unde (ebenso 649, 4); 422, 3 wartend : L. wartent; üOe; 2 läz :
L. laxe; 6,32,1 kiz:L. hiex\ 632,2 AdrUnes-A.. Aldrianes; 697.3 Günthers -.L.
Ounfheres] 702, 3 ivaz ir so rekte ertrüebet hete ir imiot:L. ivax ir so rehte swrrre
verrihtet hete ir muot\ 792,4 We : L. tmn; 797,4 richtet -Aj. richet; 897,2 stt ir
»nner frtunde -.Jj. Sit ir mir miner friunde\ 937, 3 hieicen : L. hiuwen\ 944,3
hiiobet : L. houbet.
Auslassungen von einigem umfange sind durch inhaltsaugaben ersetzt, und so
ist die Verbindung überall mit anzuerkennendem geschick hergestellt. Für zwei stellen
schlage ich eine kleine änderung vor. S. 134, zeile 1 v. o. wäre statt der Ämelungen
wol Dietrich allein zu nennen gewesen, s. 138 (mitte) entspricht die angäbe, dass
Hagen und Günther dem spielmann Volker ewige freundschaft und dankbarkeit gelobt
hätten, doch nicht dem, was die weggelasseneu strojthon sagen.
Commentar und Wörterverzeichnis werden im allgemeinen leisten, was die heraus-
geber sich davon versprechen, wenn jener auch zuweilen erklärungen. namentlich
sachlicher art, bringt, die zum mindesten überflüssig erscheinen. Ich weise nur auf
ein paar stellen hin, die ich für entschieden unrichtig oder doch irreführend halte:
es sind die anmerkungen zu 29, 4; 11.5, 2; 140, 3; 141, 1: 215, 2 — 3.
Den beigegebenen abriss der mhd. laut-, flexions- und verslehre will ich nicht
liunkt für punkt durchgehen, sondern nur hervorheben, was mir besonders bedenklich
erschienen ist. In den bemerkungen zur laUtlehrc wird recht planlos bald auf das
ahd. zurückgegangen, bald wieder nicht. Die boispiele sind hier, wie auch weiterhin,
keineswegs alle dem Wortschatz des Nibelungenliedes entnommen. Dass h vor t gleich
unserem ch gesprochen wird, erführt der schülcr hier, dagegen kein wort über diu
doppelte geltung des x. Nebenbei bemerkt: wäre es nicht in ausgaben, die für die
schule bestimmt sind, sehr angebraclit, auch im toxt das zeichen z zu verwenden?
Da.s paradigma neben für die starke conjugation ist unglücklich gewählt, denn
du fjihesl. er ijihet kommt in den abgedruckten strophon nirgends vor. dagegen ein-
mal du <jisl . dreimal er git. Noch bedenklicher ist mfjtr als licispiel fiir die prsß-
toritalbildung der schwachen verba mit kurztr .Stammsilbe: vgl. 11, 1 sisar/etr, 675,3
(jescit; 676, 1 versciter. Dass einige noutra einen plural auf -er bilden, hätte un-
erwähnt bleiben können; zum wenigsten wäre ein anderes l.uispiel als das späte redrr
122 LUrKE '
beizubnugoii gewesen. S. 168 z. 6 v. o beisst es: I'ron. sich ist nur als acc. gebrauuht;
der dativ lautet im. Etwa aucli im plural? Aber ganz abgeseben von den besprochenen
einzelheiten erscheint mir der abriss so dürftig, dass ich ihn in dieser form übei'haupt
nicht für brauchbar halten kann. Wollen ihn die herausgeber nicht ganz fallen lassen,
so werden sie sich zu einer gründlichen Umarbeitung entschliessen müssen. Freilich
ist mir fraglich, ob sie in diesem falle mit vier seiten auskommen werden.
FRAXKPUßT A. M. .1. SCHMEDES.
Alfred Götze, Die hochdeutschen drucker der reformationszeit. Straßburg,
Trübner 1905. XIII, 127 s. 79 tafeln. 10 m.
Das schmuck ausgestattete büchlein will zur bestimmung von drucken der re-
formationszeit helfen, deren heimat und presse nicht angegeben ist. Wie der Verfasser
in der einleitung (s. VI) ausführt, sind bei diesen datierungen nach möglichkeit stets
drei punkte zu beobachten und genau nachzuprüfen: die typen, die titeleinfassuugen
und sonstigen zierstücke, die mundart des druckers. So hat auch das buch drei
teile. Im ersten werden kurze biographien von 79 druckern gegeben , das wesen ihres
Verlags angezeigt und die hervorstechendsten eigentümlichkeiteu ihrer spräche zusammen-
gestellt. Der zweite teil enthält von 194 titeleinfassungen die beschreibung, die nameu
der benutzer und angaben über evtl. vorkommende nachschnitte. Im dritten endlich
finden wir eine nachbildung von typenbeständen der im 1. teil aufgeführten drucker.
Dabei ist die grenze von 1530 wol kaum überschritten worden.
Die bibliographischen Vorbemerkungen sollen nach der absieht des Verfassers
(s. X) keinen neuen Stoff zu den leben sbeschreibungen der behandelten personen
bringen, sondern nur in dem rahmen der druckbestimmung ist ihr Inhalt zu betrachten.
Z. b. sollen sie verhüten, dass man einen Lutherdruck emem strengen katholiken
zuschreibe, oder eine schrift von 1525 einem manne zuweise, der bereits 1522 ge-
storben ist. Und unter diesem gesichtspunkt betrachtet genügen die angaben. Ein
allgemeiner überblick über die benutzte litteratur wird s. XI gegeben. Aber bei einer
ganzen reihe von druckern ist der verf. selbst über dies umschränkte ziel hinaus-
gegangen, indem er die besondere litteratur und die neuesten forschungen anführt.
Anderseits sind einige drucker. die als besitzer von titelbordüren erscheinen,
im 1. und 3. teil des buches nicht berücksichtigt. Gewiss sind sie von untergeord-
neter bedeutung. Zum .teil hat ihre ausschaltung aber auch wol ihren grund darin,
dass mit angäbe der presse versehene texte schwer aufzutreiben waren. Unter den 7
drucken z. b. , die A. v. Dommer , Lutherdrucke auf der Hamburger stadtbibliothek , mit gu-
tem recht Martin Landsberg in Leipzig zuweist, trägt keiner ein volles Impressum. Auch
Weller gibt nur einen, 10G8 (s. 455), aus dieser officin an, der den namen des druckers
hat. Indessen hätte Landsberg W'ol mindestens ebenso gut wie Joh. Schwan (nr. 65)
verdient, im 3. teil, natürlich unter entsprechendem hinweis, eine stelle zu finden,
denn seine grösseren typen weisen einen recht eigenartigen ductus auf. (Mir liegt
gerade Panzer 1143 vor).
Auch Johann Loersfeld ist nicht vertreten. Im dritten teil wäre das auch kaum
nötig gewesen, da er meistens die Trutebulschen lettern benutzt. Aber wie er unter
dem artikel nr. 30 — Trutebul — als nachfolger dieses drackers in Erfurt genannt wird,
hätte auch hier auf seine bedeutung für das Marburger druckwesen hingewiesen werden
können. Vgl. dazu A. v. Dommer, Die ältesten drucke aus Marburg in Hessen (Mar-
burg 1892) s. Ifgg.
ÜBEK GÖTZE, DIE HOCHDErTSrHEN DKUrUEK DEK RKl'ORMATIONSZEIT 123
Zu iir. lo ist zu bcjuerken. dass Kiiiuger allerdings auch deutsche drucke an-
fertigt; so tragen Panzer 2083 und Weller, Nachtrag (3822) sein volles iinpressuni.
Panzer 3103 lässt sich Jacob Fabri in Speyer zuweisen, dessen tätigkeit damit auch
für 1526 belegt wäre.
Im zusammeuhaug mit den biographien sind, wie schon oben erwähnt, kurze
Zusammenstellungen der sprachlichen eigeuarten der drucker gegeben. Sie verfolgen
rein praktische zwecke und sind in diesem sinne als wertvoll zu begrüssen.
Die titeleinfassungen sind recht geschickt nach der grosse angeordnet; fast
durchweg ist die beschreibung klar und vollständig.
Im folgenden einige ergänzungen und berichtigungen! S. 26 wird von Tb. Ans-
helm gesagt: "titeleinfassungen verwendet er wol nirgends." — Dabei führt der verf.
selbst unter nr. 82 eine an. Eine andere trägt z. b. Panzer 104.5. Sie besteht aus
zwei Seiten - und einer oberen schmalen ijuerleiste. In dieser ein gepanzei^ter knabe,
der sich mit einer band auf einen Schild stützt. Hinter ihm eine stilisierte pflanze
mit verschiedenen emblemen, unter anderm ein Schild. In den zierraten der rechten
leiste oben ein engelskopf, in der linken oben eine kurze säule mit herabhängenden
quasten, darunter ein bieneukorbähnliches gefäss, unter den sonstigen xerzierungen
vier kauhjuappenähnliche gebilde.
In der beschreibung von nr. 39 ist ein kleiner irrtum: Der rechte engel sucht
den wilden mann mit einer schlinge emporzuziehen . die kugelartischocke hängt an einem
zweige des baumes. Übiigens wird die einfassung auch als Schmuckstück verwandt,
so in Weller 1792, wo sie Huttens, und Panzer 1492, wo sie Luthers ganzbild um-
rahmt. In beiden fällen ist das Spruchband ohne inschrift.
Die bordüre 74 trägt zunächst die Jahreszahl 1520, z. b. Panzer 1158. Später
wird die eine hälfte der 0 weggeschnitten,, sodass 1521 entsteht.
Zwischen den nrr. 65 und 77 scheint mir ein untei'schied nur in der Zusammen-
setzung aus 4 stücken bei 77 gegen eins bei 65 zu beruhen. Denn abgesehen von
der Jahreszahl passt die beschreibung von 65 auch durchaus für einen mir vorliegenden
drack des Egidius Fellenfürst. Panzer 1291. Die greife der nr. 77 (in 65 'drachen
mit bärtigen männerköpfen'j kehren in anderer Umgebung wider auf der bordüre von
AVeller 2346. Diese besteht aus 4 stücken, das obere 112 mm lang, 17 mm breit,
das untere 112 lang, 19 breit, die mitttleren je 96 lang, 22 breit. Schriftfeld 96:69.
Oben eine fruchtschale, von der nach rechts und links eine art maiskolben ausgehen,
in der unteren lei.ste die greife. Die seitenleisten haben fast gleiche Zeichnungen,
schwere, mit reichem blattschmuck versehene säulen. in der mitte jeder eine schalen-
ähnliche ausbuchtung. In diese ragt ein blatt hinein, das in ein gesiebt ausläuft. Die
hnke Zeichnung ist .schattiert, der grund wagerecht schraffiert. Die ausführung des
ganzen roh. Der druck ist von Erlinger; vgl. Heller, Leben Georg E. von liam-
berg, 1837, s. 11. — Wie die greife sind auch die seitenleisten nachschnitte
Fellen fürstsoher zierstücke. Sie finden sich allein auf Weller 2247, einem nach den
typen sicher Fellonfür.stschen drucke; vgl. jetzt Höfer, Beiträge zu einer ge.scbichte
des Cöburger buchdrucks, 1906, s. 28fg.
Die bordüre 141 hat im urschnitt in mehrfach unter.schiedener form Nickel
Schirleutz. Vgl. v. Dommer, Luthcrdrueko, s. 241 fg. orn. 82. Nr. 18S kommt auf
diucken mit impressum von Michel Blum in Leipzig vor, z. b. Woller 400.
Das aufsuchen der titeleinfa.ssuugeri soll ein stichwörterverzoichnis erleichtern.
Alu^r in manclien füllen scheint mir lii(!r die auswahl nicht glücklich. So würdo die
reizende oinfassun'' 115 weit deutlicher durch 'kiuderkonzerC als durch • flute' ge-
121 LÜCKE ÖBKl; GÖTZE, DIE IIOCHDEUTSCURN DütJCKER DER REFORMATIONSZEIT
kennzeichnet werden. Bei nr. 185 weiss ich nicht, ob überhaupt die striche im
Vordergrunde reisig bedeuten sollen. Jedenfalls ist 'reisig' als Stichwort längst nicht
scharf genug. 'Christkind' oder 'Jesusknabe' würde m. e. am besten passen. Auch
'mäulcr' in nr. 74 ist nicht characteristisch genug. Vielleicht hülfe 'keulenschwinger'
nach der rechten oberen figur am ehesten zur auffindung. Nr. 82 hat als Stichwort
'Schalmei'. Soweit ich nach dem mir vorliegenden druck Weller 1527 erkennen kami,
trägt der betreffende knabe einen dud(3lsack. Allerdings hat auch Dommer, a. a. o.,
s. 267, oru. 156, die angäbe 'Schalmei'. Viel treffender erscheint mir ein überhaupt
andres Stichwort: ,knabenbalgerei'. Bei nr. 79 gebührt dem fruchtkorb der vorrang
vor der kugel. Dann dürfte aber nr. 79 wol identisch mit ni'. 76 sein.
Bei der betrachtung der bordüren zum zweck von stichwortaufstelliuigen wird
allerdings eine subjective auffassung weiten Spielraum haben. So sollen auch diese aus-
führungen keinen tadel bedeuten. Den wenigen mangeln gegenüber steht als ein
verdienst des verf., in vielen fällen durch solche festgelegten characteristica der ein-
fassungen eine knappe, leicht verständliche bezeichnung ermöglicht zu haben. (Z. b.
Lotters klausner-, Schönspergers windradbordüre.)
Die gewaltigste arbeit hat der verf. im 3. teil des buches geleistet, wo er
typeunachbildungen der im 1. abschnitt behandelten drucker aufführt. Er will, dem
zweck des Werkes entsprechend, typen von drucken geben, auf denen sich, der drucker
selbst genannt hat (s. V). Indes ist er diesem grundsatz in einigen nachweisbaren
fällen nicht treu geblieben. So lässt sich allerdings sicher erschliesseu, dass Eberlins
von Günzburg 'Bundsgenossen' bei Pamphilus Geugenbach in Basel gedruckt sind,
aber ein Impressum tragen sie nicht. Trotzdem gibt Götze auf taf. 17 eine Zusammen-
stellung aus typen des 7., 10. und 13. buudsgenossen. Ferner hat er, gestützt auf
ausführungeu von Freys und Bärge (Centralblatt f. bibliothekswesen 21, 312 fg.), ge-
glaubt, eine besondere art von typen (taf. 59, letzte gruppe) Konrad Kerner aus
Straßburg zuweisen zu dürfen. Diese frage ist, wie ich an andrer stelle (Flugschriften
aus den ersten jähren der reformation, Halle 1906, heft3, s. 7 fg.) ausgeführt habe,
noch nicht entschieden. Es wäre für eine nachprüfung sicher sehr dienlich gewesen,
wenn der verf. in einem kurzen Verzeichnis im anschluss an Panzer und Weiler,
die ja das meiste material zusammenstellen, auskunft über die drucke gegeben hätte,
denen seine typenbestände entnommen sind. Wenn auch auf vielen tafeln die titel
benutzter drucke reproduciert sind, manchmal vermisst man eine nähere angäbe doch
sehr (z. b. taf. 3, unten; 45, 58.)
Bei der Schwierigkeit und den grossen kosten photographischer nachbildung sind
die typen auf zinkographischem wege nach federzeichnungen vervielfältigt worden, die
der Verfasser auf durchsichtiges papier durchgepaust hatte. Es ist klar, dass bei
dieser schwierigen roproduction manche feinheit verloren gehen musste, und zumal
die kleinen und kleinsten typengattuugen sind davon betroffen worden. Aber in den
meisten fällen w'erden doch bei den druckbestimmungen die grösseren typen aus-
schlaggebend sein, und .so lässt sich sehr wol mit dem gebotenen material arbeiten.
Indes bleibt hier noch viel zu ergänzen, denn selbstverständlich hat der verf.
nicht den ganzen typenvorrat seiner drucker erschöpfen können. So hat, um nur
einige umfassendere beispiele zu nennen, Siegmund Grimm in Weller 2052 typen
derselben art, wie sie Götze als charakteristisch für Alex. Weißeuhorn (taf. 12) bei-
bringt. (Derselbe druck hat auch eine bei G. nicht verzeichnete titeleinfassung, die
sich widerholt auf dem ebenfalls Grimmschen druck AVeller 1702). Nickel Schirlentz
verwendet in „Eine Pre- 1 digt, Mart. Lu- | ther, das man kin- | der zur Schu- |
K. M. MFAKR VBER UAVKA, M.KIST UND DIK IJOMANTIIC 125
leii halten \ solle. | Wittemberg. | MDXXX. genau die typen, die der veif. taf. 78,
2. gruppe, Hans Luft zuweist.
In gewisser weise sehe ich in dieser ergänzungsbodürftigkeit des werkos einen
Vorzug. Es veranlasst infolge derselben zu einer privaten Vervollständigung, die viel
leichter unternommen wird im anschluss an das gegebene material, als eine nur auf
sich beruhende Sammlung. Und so glaube ich auch, dass das büchlein gerade dem
anfänger auf dem gebiet der druckforsehung eine fülle von aiiregung verschaffen wird.
Gewiss wird gerade von dem 3. teil des wcrkes derjenige weniger gebrauch
machen, der einen reichen vorrat von originalen zum vergleich heranziehen kauii; oft
wird das rückgreifen auf originale für jeden, der auf diesem gebiete arbeitet, unbedingt
nötig sein. Aber in vielen fällen wird das büchlein genügen, wird insbesondere dem
eine stütze sein, der mit nur geringem vorgleich.smaterial zu wirtschaften gezwungen
ist. Und so ist dieser erste versuch, „dem verfahren der druckbestimmuiig den Cha-
rakter des zufälligen nach möglichkeit zu nehmen und es, man verzeihe den anspruchs-
vollen ausdruck, methodisch zu sichern", mit dank zu begrüssen.
SUHL. , . AV. LÜCKE.
Ernst Kayka, Kleist und die romantik. Ein versuch. (Forschungen zur neueren
lit.-gesch. hrsg. von F. Muncker. XXXI.) Berlin, A. Duncker 1906. 210 s.
.") m., subscriptionspreis 4,20 m.
Dem eifrigen , aber in weit und litteratur noch gründlich unerfahrenen verf. ist,
wie so manchem, die ausdehnung des themas zum Verhängnis geworden. Seine
these; Kleist gehöre gar nicht zur roiuantik und sei durch seine Originalität völlig
unabhängig (vgl. bes. s. 155 fg.), wäre in seiner abhandlung sorgfältig durchzuprüfen
gewesen — freilich nicht in Ks. advocatorischer weise, die auch für das 'Käthchen'
(s. 145) „selbständige unromantisch-kleistische art", behauptet. Wenn K. widerholt (so
s. 18. 93j momente, die man für Kleists beziehungen zur romantik angeführt hat, als
'gemeingut' der zeit nachweist, so war doch eben zu unteisuchen, in wie weit der dichter
der 'Ilermannsschlacht' und in wie weit die romantiker überhaupt zeitgenössischen
anschauungen dienen; und wenn die kräftige ausführung romantisch concipierter
figuren schon einen dichter aus dem kreis der romantik ausweist, selbst der verf.
der 'Kronenwächter' würde nicht dahin gehören. Nichts aber mangelt K. so völlig,
als das veimögen, allgemeinere beziehungen zu erfassen. Er will z. b. keineswegs
gelten lassen, dass Kleists Charakter und leben romantisch heissen dürfen (s 159 fg.).
Deshalb wird die damalige mode, viel im bett zu bleiben und zu arbeiten (ich erinnre
nur noch für später an Mörike, an Prinz Heinrich den jüngeren von Preussen,
Moltkes chef in Eom) für Kleist (s. 187) ganz willkürlich erklärt. Oder jeder gedanke
an Sadismus wird als 'einfach absurd' (s. 189) oder 'heller walinsinn' (vgl. s. 197) ab-
gewiesen, und deshalb wird auch das peitschenmotiv im 'Käthchen' (s. 196) so gedeutet,
als ob dies motiv in der Griseldissage, in der von lUirger bearbeiteten altengl. ballado'
'Graf Robert' usw. gar keine analogie hätte. Mit deductionen wie folgende wird
gearbeitet: „B'ür Kleist war .sittliche reinbeit religionssache; ein aussorohelicher ge-
.schlechtsverkehr oder gar ehebruch war unmöglich" (s. 182)! Wie denn überhaupt
Kleist als ein mann von unbeugsamer festigkcit dargestellt werden soll (und da.s ver-
mittelst einer interpretation des wortes ' LL'l)ensplan' s. 25— 50, die durch die von K.
selbst angezogenen worto widerlegt wird) — er, der nicht unison.^t seine gestalten
vor der 'Verwirrung des gefühls' zittern lässt.
IL'G EinasiMAN'x düer klkinpaul, das frkmdwort im dkutscftex
So verwickelt sich K. denn (s. 187 fg.) bei der besprechung des Selbstmordes und
der todesauffordcrung (s. 195) vollends in wirre hypothesen, und vage Vermutungen
sind es auch, die den ganzen jenei- these vorgebauten ersten teil des buches er-
füllen. Diese unaufhörlich aus den fingern gesogenen betrachtuugeu über Franz von
Kleist (s. 8. 15) uud — immerhin viel besser fundiert — über Wunsch' einfiuss auf
Kleist (s. 16 fg. wird eigentlich Kleists ganze Weltanschauung auf ihn zurückgeführt,
s. 151 jede beeinflussuug abgestritten !)• dies unaufhörliche 'zweifellos' (s. 15), 'wer
könnte da noch zweifeln' (s. 25), 'es wird also auch' (s. 41), 'es wird wol nicht — "
(s. 47), 'L. Wielaud wird wol seinen freund auf das Guiskardproblera gebracht haben'
(s. 77), 'Wieland wird gebeten haben' (s. 82) usw. usw. ; schliesslich die bekräftigung
dieser ebenso unbeweisbaren als überflüssigen annahmen durch fortwährendes schimpfen
auf 'absurde urteile' (s. 112), 'heillose verständuislosigkeit' (s. 146) usw. usw. — all
das macht die lectüre höchst unerfreulich und kann leicht die wirklichen voi'züge
übersehen lassen.
Diese liegen in einer zwar übertreibenden, im kern aber richtigen contrastieruug
Kleists mit den romantikern, zu denen er persönlich oder litterarisch in berührung
trat, vor allem mit Z.Werner (den K. fieilich s. 101 fg. doch zu arg behandelt, aber
'das schmierigsüssliche ' ist nicht schlecht gesagt!), zu Adam Müller (s. 109. 121. 136)
und Fouquc (s. 126. 141); in hübschen aufdeckungen von motivkeimen (wie s. 9 fg.
zur „Deutschen monatsschrift") und mancher brauchbaren berichtiguug zu den for-
schuugen R. Steigs (s. 138, Kleists christlicher Standpunkt bestritten s. 130) und an-
derer. Besonders sei noch auf den versuch hingewiesen, Zschokkes 'Alamoutade'
(s. 72) für das Verständnis von Kleists Jugend fruchtbar zu machen.
Dagegen muss auch die Verwahrlosung des stils gerügt werden, die neuerdings
sich oft verletzend gerade in die nähe unserer grossen künstler wagt. Ein gutes
deutsch zu schreiben ist für den deutschen litterarhistoriker wichtiger als die ersetzung
des Wortes 'national' (s. 142) durch 'völkisch'!
BERLIN. RICHARD M. MEYER.
Das fremd wort im Deutschen. You dr. Rudolf Kleiiipaiil. Dritte, verbesserte
aufläge. Leipzig, G. J. Göschen'sche Verlagshandlung 1905. 152 s. 80 pf.
(Sammlung Göschen).
. Kleinpauls fremdwörterbüchlein ist flott geschrieben in leichtverständlicher
daistellung und übersichtlicher gliederung. Auch ist der Verfasser keiner von den
grimmigen Verdeutschungseiferern. Diesen guten eigeuschaften verdankt das werkchen
wol, und mit rocht, eine dritte aufläge. Wer sich aber wissenschaftlich mit dem
fremdwort beschäftigen will, muss sich an schwerfälligere hilfsmittel wenden.
HEIDELBERG. GUSTAV EURISMANX.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaction ist. bemüht, für alle zur besprechung geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referonton zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu recensieren. Eine zurücklief erung der recensions-exomplaro an
die herren Verleger findet unter keinen umständen .statt.)
Heownlf. — Schuck, Henrik, Folknamnet Geatas i den fornengelska dikten Beowulf.
[Upsala universitets ärsskrift 1907, 2. J Upsala, Almqvist & AViksell 1907. 45 s.
Brückner, Willi., Über den burditus. Basel 1907. [Sonderabdrirck aus der Fest-
schrift zur 49. Versammlung deutscher pliilologen und Schulmänner.] 15 s.
NKUK ERSCFIEINUNGEN 127
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Jena, Autou Kämpfe 11107. 102 s.
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Gering. 3. aufläge. [Bibl. der ältesten deutschen literatur-denkmäler. VII I.J
Paderborn, F. Schöuingli 1907. XII, 22!) .s. 5,40 m.
Edda Siiorra StiU'lusouar Ein nur Jinisson bjö til prentunar. Reylvjavik, Siguröur
Kristjänssou 1907. VIII, 429 s. 2,50 kr.
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Unterstützung der Verfasser fortgeführte deutsche bearbeitungvon Herm.Davidse n.
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75 bogen berechnet, die in monatlichen lieferungen von je 5 bogen zur ausgäbe
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Lachmann, besorgt von Carl v. Kraus. Berlin, G. Reimer 1907. XXIV,
230 s. 4 m.
Weig'aud, Fr. L. K., Deutsches Wörterbuch. 5. aufi. ... neu bearb. von Karl
V. Bahder, Herrn. Hirt u. Karl Kant; hrg. vou H. Hirt. 1. lieferung. A —
beipflichten. Giessen, Alfr. Töpelmann 1907. 192 sp. [Subscriptionspreis für
12 lieferungen von zusammen 150 bogen etwa 19 m.]
Weightuian., Jane, The language and dialect of the later old english [anglosaxon]
poetry. [Proiuotionsschrift.] Liverpool, Uuiversity press. 1907. VIII, 76 s.
4 sh. 6 d.
NACHRICHTEN.
Professor dr. 0. F. Walzel in Bern wurde an die technische hochschule in
Dresden berufen; in seine stelle tritt der privatdocont dr. Harry Maync aus Marburg.
Der privatdocent dr. Robert Petsch in Heidelberg ist zum ausserordentlichen
Professor ernannt worden.
Es habilitierten sieh für neuere deutsche litteraturgeschichte dr. Eduard Castle
in Bern und dr. Spiridion Wukadinovic au der deutscheu hochschule in Prag.
Professor dr. Edward Schröder in Göttingen wurde zum geheimen regio-
rungsrat ernannt, professor dr. Andreas Heusler in Berlin zum ordentlichen mit-
gliede der kgl. akademie gewählt.
Buchdruckerei des Waisenhauses in Halle a. S.
SOPHUS BUGGE\
(Nach dem manuscript des Verfassers aus dem norwegischen übersetzt.)
Als Sophus Bugge am 8. juli 1907 starb, fand ein reiches wissen-
schaftliches leben seinen abschluss, das mehr als ein halbes Jahrhundert
umspannte und den schätz unserer erkenntnis durch zahlreiche sichere,
z. t. höchst bedeutende ergebnisse bereicherte, aber vielleicht in noch
liöherem grade durch die anregungen, die von seinen forschungen nach
den verschiedensten richtungen ausgiengen, epochemachend geworden ist.
Mit wehmut vernahmen die fachgenossen in der nähe und feine die
nachricht von seinem tode. Er selbst sah in jedem mitforscher einen
freund, und in freundschaftlicher gesinnung wird man jetzt des heim-
gegangenen gedenken. Am grössten war der verlust für sein eigenes
land, dessen nationale entwicklung er mächtig förderte, und für die
nachbarvölker, denen seine Wirksamkeit ebenfalls in reichem maße zu
gute kam, da er allezeit den norden als sein Vaterland im weiteren sinne
betrachtete. Am allermeisten wird er jedoch in dem kleinen kreise der
angehörigen unserer landesuniversität vermisst werden, die das glück
hatten, täglich mit dieser reinen und warmherzigen persönlichkeit zu
verkehren und von seiner anregenden belehrung nutzen zu ziehen. Ein
herzlicher dank sei daher das erste wort in diesen zeilen, die wir dem
andt'uken Sophus Bugges, des .grossen forschers und trefflichen mamies,
weihen.
Elseus Sophus Bugge wurde zu Larvik, in der alten, an histo-
rischen erinnerungen reichen landschaft Vestfold, am 5. januar 1833
geboren. Sein vater war der kaufmann Alexander Bugge, der kurze
1) Ein vollständiges Verzeichnis von Sophus Bugges gedruckten schrillen ist von
mir gegeben worden in den Sprogliye og historis/ce Afhandlinyer viede ISopliiis Biq/ges
Miiule (Christ. 11)08) s. 285 — 94. In dem vorliegenden nekrolog sind seine sämtlichen
wi.sseuschaftlichen arbeiten aufgeführt. Dagegen ist in der regel nicht rücksicht ge-
nommen auf die roferate über seine vielen vortrage in der gesellsehaft der Wissen-
schaften zu Christiaoia, selbst wenn diese kurz von sonst nicht voröffoutlichten resul-
taten seiner forschung berichten. Auch die zahlreichen beitrüge, die 1». ohne Überschrift
oder titrl zu (b'ii srbriftcti aiidcrcr gelehrter beistinuirti'. sind hier in der regel über-
gangen.
ZKITSCHHIH i-. UKUTSCHK IIULOLOUIE. BD. XL. '•'
1 30 OLSEX
zeit offizier gewesen AVar: seine mutter war eine tochter des predigers
J. F. Sartz. Bugge wurde sehr früh für das Studium bestimmt; er meinte
sich zu erinnern, daI5 er bereits in seinem 8. jähre mit dem latein-
lernen begann.
„In meinen Schuljahren", erzählt Bugge selbst in den von ihm
angefangenen 'Kindheitserinnerungen '^ „wurden die freistunden und
sommerferien vielfach dazu benutzt, im lande herumzuwandern und
eins oder das andere nach der uatur zu zeichnen. Damit verband sich
bald das Interesse für die überbleibsei aus der vorzeit und dem alter-
tum. Ich zeichnete die inschriften aus den Zeiten der dänischen könige
nach, die in der nähe des schulhofes in den fels eingehauen waren;
später grabhügel, bautasteine u. ähnliches . . . Ich habe niemals gehört,
dass irgend jemand aus meiner familie sich mit dem beschäftigt hat, was
das hauptstudium meines lebens wurde. Ebensowenig bin ich mir be-
wusst, dass ich durch eine von einem lehrer oder Schulkameraden
empfangene anregung darauf geführt worden bin. Es tauchte unwill-
kürlich in mir auf und erfüllte allmählich mehr und mehr meine ge-
danken." „In einem von meinen letzten Schuljahren erwarb ich zufällig
Riemers griechisches Wörterbuch, worin viele wilde und allzu kühne
etymologische combinationen sich finden. Ich erinnere mich, dass ich
den ersten abend, den ich in dem buche las, wie im fieber war. Schon
während ich auf der schule war, begann ich Wörter und ausdrücke auf-
zuzeichnen, die in und bei Larvik gebräuchlich waren, der gewöhn-
lichen Schriftsprache dagegen nicht angehörten. Vom altnorwegischen
hatte ich als Schuljunge nicht sonderlich viel gelernt; dagegen war ich
in Aalls Übersetzung der königsagas gut zu hause. Mein rector lieh
mir in den letzten jähren, in denen ich die schule besuchte, verschie-
dene sprachwissenschaftliche werke, u. a. Buttmanns Lexilogus und
Schencks etymologisches lateinisches Wörterbuch."
1848 wurde Bugge Student, und nun begannen seine Studienjahre
an der Universität Christiania, die bis zum december 1857 sich er-
streckten. Von seinen norwegischen lehrern erinnerte er sich in späterer
zeit mit besonderer dankbarkeit des historikers und Sprachforschers
F. A. Munch, 'des mannes mit dem genialen blick im äuge', des von
der natur so reich ausgestatteten forschers, der 'mit spielender leichtig-
keit alle gebiete beherrschte, die er untersuchen rausste, um die vorzeit
seines volkes aufzuhellen'. Zu Bugges lehrern gehörte ferner Rudolf
1) Diese Erinnerungen wurden nach seinem dictat im jähre 1903 nieder-
geschrieben und waren ursprünglich nur für seine kinder bestimmt. Sie sind jetzt
herausgegeben in der norweg. Zeitschrift 'Sanitiden' 1907 s. 397 — 40.5.
SOPHÜS BÜGGE 131
Xevser, 'eine vou Mimch weit verschiedene natiir, weniger umfassend,
ruhiger und minder vorwärtsstürmend. Keyser war es , der zuerst das
Studium unserer alten spräche und der in ihr geschriebenen isländi-
schen und norwegischen litteratur an unserer Universität einführte.
Durch seine Vorlesungen wirkte er bedeutender als Munch. Sie waren
sorgfältig ausgearbeitet und wurden in zierlicher form vorgetragen,
während Munchs Vorlesungen häufig die formlosigkeit dei- Improvisation,
zuweilen aber auch deren frische besassen, mit funkelnden lichtblicken
dazwischen ^' Endlicii muss vou Bugges norwegischen lehrern sein
späterer langjähriger freund und College, der gründliche classische philo-
log L. C. M. Aubert genannt werden.
"Wie so viele grosse männer begann Bugge mit wilden, aber gross-
artigen Phantasien. p]r warf sich auf die abstrusesten fragen und wollte
die grössten aufgaben mit unzureichenden hilfsmitteln lösen. Riemers
lexikon veranlasste seine erste abhandlung, eine arbeit über die' grie-
chische etymologie, die man ihm abriet drucken zu lassen. Bald aber
lernte er Bopps grundlegende werke über vergleichende Sprachforschung
kennen, und kaum 20 jähre alt konnte er selbst als selbständiger ver-
gleichender Sprachforscher auftreten. Jetzt folgte in seinen studenten-
jahren eine arbeit rasch der andern. In Kuhns Zeitschrift (II— VI und
VIII) veröffentlichte er in den jähren 1853 — 18.59 zehn aufsätze, von
<lenen die meisten beitrage zur erklärung oskischer und umbrischer
sprachformen und Inschriften enthielten. 1857 schrieb er ausserdem
•Vermischtes aus der spräche der Zigeuner' (Beiträge zur vergl. Sprach-
forschung I, 139 — 155). Er beschäftigte sich jedoch auch mit germa-
nischen sprachen, besonders mit dem nordischen. Seine zweite abhand-
lung in Kuhns Zeitschrift (III, 26 — 34) behandelt 'Altnordische namen'
i-rlbr; Jör- ^ Jqfiir-; etymülogische erklärung des Odinsnamens
Ilroptr). Im IW bände (s. 241 — 256) derselben Zeitschrift schrieb er
über 'Die formen der geschlechtlosen persönlichen pronomina in den
germanischen sprachen' (1855) und in band V ('Althochdeutsch und
gotisch', s. 59 — 61) gibt er eine Zusammenstellung 'einiger sprach-
orscheinungen im uhd., die sich nicht aus dem got. herleiten lassen'.
In den genannten — rein sprachlichen — Jugendarbeiten erwies
sich Bugge bereits als reifer, selbständiger forscher. Seino kenntnisse
waren schon damals bedeutend, seine beobachtungsgabe scharf und der
>charfsinn und die Sicherheit in seinen erklärungen erstaunlich. Die
1) Bugges Charakteristik dieser seiner beiden lehrer in einer warm empfundenen
-'odü«htnisrede , in der er kura vor seinem tode, am 14. mai 1907 das andenken I*. A.
-Muncbs feierte (gedruckt in 'Samtiden' 19U7, s. :J37 — 4G).
1.^2 OLSEN
arbeiten des jungen Studenten über oskische and umbrische Inschriften
brachten viele wertvolle beitrage zum Verständnisse des baues diesei'
sprachen und zur deutung ihrer denkmäler.
Bugges allererste wissenschaftliche arbeit behandelte jedoch einen
Stoff ans dem gebiete der norwegischen Sprachforschung, und in seiner
ganzen Studienzeit beschäftigte er sich auch n^it der norwegischen spräche
und "den norwegischen Volksüberlieferungen, einem gebiete, auf dem
seine Wirksamkeit bald von weitreichender bedeutung werden sollte.
In demselben jähre, in dem ßugge die Universität bezog, gab der
geniale volksschullehrer Ivar Aasen seine grammatik der neunorvve-
gischen mundarten ('l)et >iorsl,r folkesprogs grammatil') heraus, und
zwei jähre später (1850) folgte sein Wörterbuch f'Ordbog over det norskr
foJke^profi') . Diese beiden werke sind für das ganze spätere Studium
der norwegischen spräche grundlegend geworden. Auf den jungen Bugge
machten sie einen gewaltigen eindruck. Kurze zeit, nachdem Aasens
Wörterbuch ei'schienen war, sandte er an Langes TidssLrift for vidcnskab
og liUcyalnr eine abhandlung: Om consoiuint - overgangc i dct 7ioj:ske
folkc'sprog, die 1852 im V. bände dieser Zeitschrift (s. 201 — 216) gedruckt
wurde. Besonders bemerkenswert sind bereits in dieser seiner ersten
arbeit, die ausgedehnten Sprachkenntnisse des noch nicht 20jährigen
Studenten, die ihn in den stand setzen, consonantenübergänge im nor-
wegischen durch zahlreiche analogien aus näher und ferner stehenden
sprachen zu beleuchten. Schon hier begegnet uns bei Bugge die erstaun-
liche befähigung, parallelen für laut- und bedeutungsübergänge zu finden,
eine gäbe, die wir in seinen späteren arbeiten so oft bewundern müssen.
Ein Zeugnis derselben nationalen begeisterung wie Aasens schritten
waren die bestrebungen, die seit den vierziger jähren sich das ziel setzen,
unsere volksüberlieferungen aufzuzeichnen. 1842—43 gaben P.Chr.
AsbJ0rnsen und Jörgen Moe ihre erste Sammlung norwegischer Volks-
märchen (Knrske folkerveni/jr) heraus, und 1852 — 53 erschien Land-
stads reichhaltige Sammlung norwegischer Volkslieder (Norskc folke-
riscr). Dies sind wichtige glieder in der geschichte unserer nationalen
widergeburt, nicht minder fruchtbringend für das norwegische geistes-
leben als für Deutschland die 'Kinder- und hausmärclien ' und 'Des
knaben Avunderhorn'. Auch ßugge wurde von der starken nationalen
Strömung, die um die mitte des vorigen Jahrhunderts einsetzte, fort-
gerissen. Schon ein jähr nach dem abschlusse der Landstadschen aus-
gäbe der Volkslieder behandelte er in Langes Tidsskrift {VW^ 102 — 21;
192) das eigentümliche, mit den Sölai'Jjöh nahe verwandte norwegische
gedieht I)rftiimel:vcf'c, von dem mehrere vai'ianten in der abgelegenen
SOIMIUS Ul'GOE 133
gebiigslanilschaft Teloinaiken aufgezeichnet waren. Ihn ergrifl' ein bren-
nender eifer alles niederzuschreiben und zu retten, was von alten er-
innerungen noch in den gebirgstälern Norwegens im volksmunde lebte.
lS5li und 1857 bereiste er mit ijfFentlicher Unterstützung das obere
Telemarken und hatte das glück, viele früher unbekannte alte lieder
XU sammeln, sowie ursprünglichere und vollständigere odei' wesentlich
abweichende aufzeichnungen von schon vorher veröttentlichten zu er-
langen. 1858 erschien seine wertvolle Sammlung von Volksliedern {Gf/ffi/c
)tors/:e folkp.vimcr, Christiania 1858, 1.56 s.). In dieser ausgäbe verfuhr
Bugge mit streng philologischer akribie und gab in den anmerkungen
wie im glossar viele wichtige, namentlich sprachliche beitrage zur er-
klärung der lieder. Das buch umfasst jedoch nur einen kleinen teil
von Bugges reichhaltigen Sammlungen volkstümlichei- Überlieferungen,
von denen noch vieles uugedruckt ist'.
Im december 1857 schloss Bugge seine Universitätsstudien in
Christiania ab, und ein jähr darauf erhielt er ein öffentliches Stipen-
dium zu einem zweijährigen Studienaufenthalt im auslande. Den grössten
teil dieser zeit brachte er in Kopenhagen zu, wo er unter Weste rgaards
leitung sanskrit trieb und ^ladvigs Vorlesungen über klassische philo-
logie besuchte. Zu diesem trat Bugge später in ein nahes persön-
liciies Verhältnis; er lernte, wie er selbst sagte, von Madvig mehr
•draussen im grünen wald', als ;^\visehen den büchern im Studierzimmer.
In dem jungen forscher auf dem volkslaind liehen gebiete Svend Grund t-
vig fand Bugge auch bald einen freund, mit dem ihn zahlreiche ge-
meinsame Interessen verbanden. Die zeit, die er als jüngling in Kopen-
hagen verlebte, bewahrte Bugge stets in dankbarer erinnorung, und er
verdankte ihr viel für seine persönliche entwicklung. Mit verschiedenen
miterbrechungen studierte er aucli (während der Kopenhagener ferien) etwa
teht monate in Berlin bei Albrecht Weber (sanskrit, pali, avestisch),
dessen lebhaften und anregenden vertrag er besonders schätzte, und bei
.Moritz Haupt; auch hörte er einzelne Vorlesungen von Kiepert. Eine
liebe erinnerung an den aufenthalt in Berlin knüpfte sich für Bi'igge an
einen abend, den er zusammen mit seinem lehrer P. A. Mundi in dem
lieim der brüder Grimm zubi'ingen duifte.
Aus brieten, die Bugge von Kopenhagen und Berlin an seinen
lehrer, professor Aubert, sandte-, ersehen wir, dass er vor allem be-
1) In der däuisclieii Zeitschrift Follcc, ImJ. I (ISiVJ) s. Sni — 371. hat B. noch
tls nachlese eine kleinere zahl von Volksliedern au.s den» oberen IVleniurkon mitgeteilt.
2) To unyJinnshrere frn SupliK.i Biii/f/r. ■^<-<\\n>'ki in d.Mi Afli<iH'll. ricilf litiijyts
Minde s. 278 — bi.
134 OLSEN'
strebt war, sich sichere und umfassende Sprachkenntnisse anzueic;nen,
um bei späteren selbständigen forschungen darauf fassen zu können.
'Es ist mir mehr und mehr klar geworden', schreibt er im jähre 1858,
'dass ich um einigermassen gründliche kenntnisse im sanskrit zu er-
langen, diese spräche während meines aufenthaltes an den ausländischen
Universitäten zu meinem hauptstudium machen muss'. Noch im früh-
ling 1.860 treibt er beständig bei Westergaard sanskrit. 'Ausserdem
liöre ich bei dem eben erst angestellten docenten Smith polnisch und
litauisch; besonders die altertümliche litauische spräche interessiert mich
sehr, und ich hoffe darin tüchtig vorwärts zu kommen. Endlich höre
ich bei professor Mehren die anfangsgründe des arabischen. Ich liess
mich auch darauf ein, weil arabisch notwendig ist um persiscli zu lernen
und weil ich ungern aller kenntnisse in den semitischen sprachen bar
wäre'. Allmählich aber trat eine nicht ganz unerhebliche änderung
seiner Studien ein. Bisher beschränkten sich Bugges selbständige
arbeiten wesentlich auf zwei gebiete: vergleichende Sprachwissenschaft
(mit besonderer berücksichtiguug der italischen und germanischen
sprachen) und norwegische Volksüberlieferungen (mit stetem hinblick
auf die vergleichende indogermanische mythologie). In Kopenhagen
wurde er jedoch mehr und mehr durch die alte isländische und nor-
wegische litteratur gefesselt, besonders durch die götter- und helden-
lieder der älteren Edda, die durch manche fäden mit der neuern Volks-
dichtung verbunden waren. So schreibt er 1858 von Berlin aus über die
ersten monate seines Kopenhagener aufenthalts: 'Jeden tag sass ich auf
den bibliotheken . . Hier durchmusterte ich und copierte zum teil die
Sammlungen der fseröischen lieder, die, wenn man sie mit den unsrigen
vergleicht, grosse ausbeute gewähren; auch machte ich mich einiger-
massen mit den besten handschriften der älteren Edda bekannt, die ich
bei dem nächsten auf enthalte daselbst vollständig zu collationieren hoffe;
das wird gewiss keine überflüssige arbeit sein'. 1860, als seine
Studien im auslande ihrem abschlusse nahe waren, schrieb er ferner:
^Jeden tag pflege ich, wenn der zustand meiner äugen es zulässt, auf
den bibliotheken zu sitzen und isländische handschriften abzuschreiben.
Namentlich hoffe ich mit der Untersuchung der handschriften der älteren
Edda vollständig fertig zu werden. Ich verglich auch einige hand-
schriften derjenigen sagas, die — ohne genügende kritik — in den
Fornaldarsögitr herausgegeben sind, und hätte nicht übel lust, einige
davon von neuem zu edieren. Endlich habe ich auch einige neuere
Sammlungen norwegischer Wörter und Sprichwörter abgeschrieben. —
Zu hause beschäftige ich mich meistens mit altuorwegisch, Volksdichtung,
SOPHUS BUGGE 135
Sanskrit und angelsächsisch'. 'Ich hätte gerne . . eine abhandlung
(Textkritische benierkungen zur älteren Edda) an die Gesellschaft der
Wissenschaften eingesendet. Aber sie passt dort nicht recht hin, da sie
eigentlich kein abgeschlossenes ganze bildet, sondern aus zerstreuten
benierkungen besteht. Überdies finde ich immer mehr zu bemerken,
je tiefer ich in die ältere Edda eindringe. Wenn ich alle handschriften
verglichen habe, werde ich besser imstande sein, meine beitrage mit-
zuteilen, die, wie ich hoffe, für eine neue ausgäbe nicht ohne bedeutung
sein werden'.
Kurz vor seiner heimkehr nach Norwegen im jähre 1860 war
Bugge durch seine ernennung zum 'Stipendiaten (besoldeten docenten)
für vergleichende Sprachwissenschaft und sanskrit' fest an die Univer-
sität Christiania geknüpft worden. Es war ihm also damals noch nicht
klar, dass seine lebensaufgabe auf dem heimischen boden lag. 186-i
nieldete er sich zu der durch C. A. Hagbergs tod erledigten professur
der nordischen sprachen an der Universität Lund. In Christiania hatte
man jedoch längst seine seltene und vielseitige begabung erkannt, und
um unserem lande einen mann zu sichern, der 'jeder Universität zur
Zierde gereichen würde', richtete die Universität eine eingäbe an die
regierung, dass für Bugge ein besonderer lehrstuhl errichtet werden
möge. 1864 wurde er denn auch lector für vergleichende Sprachwissen-
schaft und zwei jähre später rückte er zum professor dieses faches auf,
wobei ihm die Verpflichtung auferlegt wurde, auch über alt-
norwegisch zu lesen. Von jetzt ab ist ßugges künftige Wirksamkeit
fest bestimmt und umgrenzt. Seine lebensarbeit sollte hauptsächlich der
nordischen philologie zu gute kommen; gleichzeitig aber setzte er fast
ohne Unterbrechung bis an sein ende die schon in seinen studenten-
jahren begonnenen forschungeu in der vergleichenden indogermanisciien
Sprachwissenschaft fort, wobei besonders die italischen sprachen, später
auch das damit in Verbindung gebrachte etruskische und die klein-
asiatischen idiome berücksichtigt wurden. Wir wollen zuer-st seine
arbeiten auf dem gebiete der nordischen philologie bis zum sciilusse
der siebziger jähre verfolgen, wo seine ansicliten übei das geistige
leben der nordischen wikingerzeit eine entschiedene änderung erfuliren.
In den sechziger jähren sehen wir, wie Bugge in der nordischen
Philologie die grenzen seiner forschungen immer weiter nach allen rich-
tungen ausdehnt. Überall rodet er neues land, und überall wächst die
ausgestreute saat üppig empor. Zwei wissenschaftliche taten ersten
ranges gehören diesen jahron an: di(.' horausgaho der älteren Edda und
die deutung der urnordischen runeninschriften.
1 3n OLSEN >
Bereits 1858 hatte Bugge die vorarbeiten für eine neue Edda-
ausgabe begonnen, und 1860 hatte er, wie schon erwähnt, verschie-
dene beobachtungen gemacht, die für diese ausgäbe von Wichtigkeit
werden sollten. Noch in demselben jähre hielt er in der Gesellschaft
der Wissenschaften zu Christiania einen vertrag über 'das Verhältnis
zwischen Grögaldr und FJQlsvinnsmtil, beleuchtet durch ihre vergleichung
luit dem. dänisch -schwedischen volksliede von Sveidal'. Durch diesen
vertrag, der in den ForhaiuUinger i Vifleiiskahs-selskahet i Clnistinnia
(1860, s. 123 — 40) gedruckt wurde, schlägt er eine brücke von den
Volksliedern — mit denen er sich andauernd beschäftigt, wie er u. a.
auch wichtige beitrage zu Svend Grundtvigs Danmarks gamle foJkeviser
liefert — zur älteren Edda. Mit hilfe des Sveidal -liedes wies er näm-
lich nach, dass die beiden gedichte Grögaldr und Fjolsvinnsraäl ein
einheitliches ganze bilden, das nach Bugges verschlag jetzt allgemein
Svipdagsmäl genannt wird.
Zwei jähre später (1862) kündigte ein vertrag über die Hälfs
saga^ Bugges ausgäbe der Norröne skrificr af sagnhistorhk indhold
an (heft 1 : Hälfs saga og Nornagests pdttr, Christ. 1864; heft 2: FoY.s-
unga saga, 1865; heft 3: Hervarar saga, 1873). Die ausgäbe dieser
sagas machte den alten abdruck in den Fornaldar sögur überflüssig.
Die zahlreichen wertvollen anmerkungen sprachlichen und sagengeschicht-
lichen Inhalts beweisen, wie gründlich Bugge bereits jetzt in der alt-
nordischen spräche und litteratur zu hause war. Leider blieb das werk
unvollendet, da die bereits vollständig niedergeschriebene einleitung bei
einem vortrage im 'Philologischen verein', wo Bugge die wesentlichsten
ergebnisse daraus mitteilte, verloren gieng.
1867 erschien dann in Christiania die lange vorbereitete ausgäbe
der älteren Edda: Norram fornkvcsti. Islandsk mnding af folkelige
oldtidsdigte am Nordens guder og heroer, (ilmindelig kaldet Scomtndar
Edda hins fröba (LXXX, 450 s.). Jetzt, nachdem 40 jähre seit der
ausgäbe dieses buches verflossen sind, sind wir imstande, die arbeit
völlig zu beurteilen und zu würdigen. Ihre bedeutung ist von Sijmons
in seiner Übersicht über die geschichte der Eddaforschung (Die lieder
der älteren Edda, einleitung s. CXV fg.) treffend charakterisiert worden.
Nachdem er von der 'Unsicherheit und Unfruchtbarkeit' gesprochen hat,
die zu anfang der sechziger jähre auf den eddischen Studien lastete,
fährt er fort: 'Bugges ausgäbe hat nach zwei seifen in der geschichte
der Eddaforschung die bedeutung einer erlösenden tat. Einmal gab sie
1) Ein kurzes referat über diesen Vortrag iiudet sich iu dcu Forhandlinger i
Viclenskabs - selskabet i Christiania (1862, s. 40 — 41j.
soi'Hus Hronp; 137
zum ersten male ein mit der äussersten sori^falt und vollkommenster
Sachkenntnis hergestelltes, getreues und vollständiges bild der gesamten
handschriftlichen Überlieferung . . .' Sie darf 'als die eigentliche editio
princeps der Eddalieder bezeichnet werden, die alle früheren editionen
mehr oder weniger überflüssig machte und für alle nachfolgenden die
gesicherte basis bot. Zweitens aber hat ßugge mehr als irgend ein
anderer vor oder nach ihm durch geniale textkritik und durch eine fülle
anregender und scharfsinniger bemerkungeu in den fussnoten, den
'Tilhrg og rettelser' (s. 388 — 449) und dem nachtrag in den 'Aarböger'
von 1869 [s. 243— 76] das Verständnis der lieder im einzelnen ge-
fördert . . . Bugges ausgäbe [w^ird] in der Wissenschaft der germanischen
Philologie als eine zierde und ein bleibender besitz ihre stelle be-
haupten'.
Nun gab es noch eine zweite grosse aufgäbe auf dem gebiete der
nordischen philologie, die lockend vor Bugges äugen lag und zu deren
lösung er von seinen epigraphischen Studien über italische inschriften
und seinen sprachvergleichenden arbeiten reiche Voraussetzungen mit-
brachte. Am anfange des 19. Jahrhunderts hatten die sogenannten
'gotischen' (urnordischen) runen beständig wachsende aufmerksam-
keit auf sich gezogen, und mit glück -war für die endgiltige deutung
dieser runen vorgearbeitet Avorden. Durch die erklärung der Inschrift
des goldenen hornes von dem dänischen gelehrten Bredsdorff (1838)
und besonders durch die scharfsinnigen und methodischen deutungs-
versuche des Norwegers P. A. Munch (von denen namentlich seine
1857 veröffentlichte erklärung der Tune- Inschrift hervorzuheben ist)
begann über den Inhalt mehrerer urnordischen runenioschriften all-
mählich ein licht aufzudämmern. ^ Munch war jedoch zu voreilig in den
aus seinen deutungen gezogenen: schlussfolgejiingen über die sprach-
lichen und ethnographischen Verhältnisse des nordens im älteren eisen-
zeitalter, und nach Munch erfolgte ein rückschritt durch die verfehlten
versuche von Dietrich und Stephens. Die aufgäbe musste sein, auf
Bredsdorffs und Munchs beobachtungen weiter zu bauen, ihre richtig-
keit an dem gesamten material zu prüfen und den urnordischen sprach-
stoff von der germanischen Sprachgeschichte aus zu beleuchten.
Im jähre 1865 zog Bugge in einer kurzen notiz über die Inschrift
des goldenen hornes (Tklskrifl for phiblof// V, 317 — 18) die'conse-
quenzen von Munchs beobachtung, dass die runc Y ^^i'' «'tju steinen von
Tune und Tstaby einen .s-laut oder einen daraus entstandenen r-laut
bezeichne (Munch hatte 1857 diese rune durch ,i trausscribiert). Bugge
führte den beweis, dass die rune auch auf dem goldenen hörne diesen
138 OLSEN
lautwei't habe, und gelangte dadurch zu der endgiltigen lesung dieser
inschrift. Er gab hier auch (mit bezug auf ein wort unter vorbehält)
eine Übersetzung der legende des goldenen hornes, die spätere for-
schungen in allem wesentlichen als die richtige bestätigt haben. Bugge
schliesst seine kleine notiz mit den werten: 'Die hier gegebene deutung
w-ill ich jetzt nicht näher begründen, ehe wir die vollständige ausgäbe
der inschriften mit den älteren runen von professor G. Stephens erhalten
haben*. Aber 'welche bedeutnng diese lesung hatte', sagte ein zeit-
genössischer dänischer philolog\ 'zeigte sich ein paar jähre später auf
das deutlichste sowol durch . . . Wimraers wie durch Bugges eigene
lesung und deutung einer ganzen reihe von inschriften, die mit den
älteren runen geschrieben waren'. In seiner kleinen notiz übersetzt
Bugge die inschrift des goldenen hornes in die 'spräche Wulfilas', in
'gewöhnliches altnordisch"' und ins 'altenglische'. Hier wird somit in-
direct die frage aufgeworfen, in welcher sprachform die ältesten runen-
inschriften des nordens abgefasst sind. Die antwort wurde wenige jähre
später unabhängig von einander durch Bugge und den Dänen Ludv.
Wimmer gegeben, der mit Bugge die ehre teilt, die neuere runen-
forschung begründet zu haben.
lu die jähre 1867 — 68 fallen Bugges bahnbrechende deutungen
der urnordischen Inschriften -, wodurch die lesung derselben im wesent-
lichen für immer festgelegt ward. Durch das werk von Gr. Stephens:
Old northeni runic moiniments I. II (Kjobh. 1866 — 68) war für die
deutung eine grundlage geschaffen, auf der mau einigermassen mit Sicher-
heit fussen konnte, und Bugge prüft nun inschrift für inschrift und fügt
seinen deutungen allgemeine betrachtungen über die schritt und die
spräche an. In einer reihe von erkläruugen, in der beurteilung des Ver-
hältnisses zwischen dem längeren und dem kürzeren aiphabet und in
der auffassung der Stellung der urnordisehen spräche begegnete er sich
mit Wimmer, der 1867 seine klare und methodische Untersuchung: De
celdste iionliske runemdsl,r/f/er {A^arbBger 1867 s. 1—64) veröffentlichte.
Mit der frage über die sprachliche Stellung der urnordischen runen-
inschriften beschäftigten sich um diese zeit auch der ausgezeichnete
dänische Sprachforscher Yilh. Thomson, der 1869 seine für die runen-
kunde bedeutungsvolle doctordissertation: Den (joliske sproijklasses ind-
flydehe paa den finske herausgab, und der zu früh verstorbene dialekt-
forscher K. J. Lyngby. Diese beiden männer schlössen sich der von
1) C. Berg, Tidskr. für pliil. X (1872) s. 7G aniii. 1.
2) Bidrag til tydniny af de fehlste rtineindskriftcr I — III (Tidskr. for phil.
VIT, 211 — 252, 312 — 363. VIII, 1G3 — 204).
SOPIICS BUOGF. 139
Wimmer und Biigge geltend gemachten auffassung an, dass die im
norden gefundenen runeninsciiriften aus dem ältei-en eisenzeitalter in
einer spräche ('urnordisch') geschrieben seien, von denen die historischen
nordischen sprachen abstammten, und brachten — öffentlich und in
brieten an Bugge — wichtige tatsachen zur Sicherung dieser auffassung
bei. Dagegen suchte K. Gislason eine nähere Verwandtschaft zwischen
der spräche der ältesten nordischen runeninschriften und dem deutschen
nachzuweisen (Aarboger 1869 s. 85— 148). Bugge erwiderte darauf in
^eiuer abhandlung: Lidt oni de (fldsle nordiske rfmehidslrifters sprogllge
stilUng (Aarboger 1870 s. 187 — 216), in der er die hauptpunkte des
Streites scharf beleuchtet und seine eigene meinung siegreich verteidigt.
Im folgenden jähre sandte Bugge eine neue wichtige runologische
arbeit in die weit, die scharfsinnigen und methodischen B.emcerkninger
oui runeindslniftcr paa giddbractealrr (Aarboger 1871 s. 171 — 226;
auch in französischem resumc in den Memoire^ des antiqiiaircs du nord
1866 — 71 s. 361 — 384). Er ist sich der eigentümlichen Schwierigkeiten
klar bewusst, die mit der deutung der auf den bracteatstempeln ein-
geschnittenen runenzeichen verbunden sind, da diese häufig nur von
anderen bracteaten ohne kenntnis der Wortbedeutungen die runenformen
mechanisch übertrugen. Später ist er auch bei der deutung anderer
runeninschriften oft auf die bracteatinschriften zurückgekommen und hat
viele wertvolle neue lesungen und erklärungen geliefert.
Von den siebziger jähren ab bis an seinen tod hat Bugge wider-
iiolt einzelne urnordische runeninschriften monographisch behandelt. Alle
wichtigeren neuen fiinde, die in Norwegen gemacht wurden, hat er
beschrieben, und von freunden und fachgenossen in Schweden ward er
in der regel sofort unterrichtet, wenn in diesem lande, was nicht selten
geschah, eine neue urnordische Inschrift entdeckt ward, und gebeten sie
zu behandeln. Dadurch ward eine lange reihe meisterhafter mono-
graphien über urnordische runeninschriften veranlasst, von denen die
bis zum jähre 1880 erschienenen schon hier angeführt seien : J'rh/tiugs-
nceH-imhkriften (Aarboger 1872 s. 192—196); To ngfundiiv norshc
runeindskrlfter fra den celdre jernalder | Valstjorden u. Einaug] (For-
handliiiger i Videfi.sk. .sr/.s/,-. / Christiania 1872 s. 310 — 332); Rune-
'ndskrifl fra Förde (Aarsberelning fra Fürcniiigeii til norshe fortids-
nnnder.sinasrker.s hevariiig 187! s. HTj— 179); En i Xorgr fiindai
spcende med rnneindskrlft fni iHclli'nijirHahkrcn (if (>. A'////// og S. />.
(Aarboger 1878 s. 59 — 72).
Jedoch schon ehe Bugge seine le.sung und deutung lU-.r Inschrift
des goldenen hornes mitgeteilt luitto. war er als niuulog aufgetreten, da
140 OLSEN
er scbon 1864 in der Gesellschaft der Wissenschaften zu Christiania einen
Vortrag über die mit jüngeren riinen eingeritzte druttkvcvtt- Strophe
in der kirche zu Vinje gehalten hatte ^. Auch seine nächste arbeit über
inschriften mit den jüngeren ruuen behandelte ein metrisches denkmal,
die interessanten runenverse auf einem holzpflock, der in die kanzel
der alten 'stavkirke' zu Aardal in Sogn eingefügt war [Runeindskrifter
fra Aardcds kirke i Sogn, in Aarsberetning fra Foreningen til norske
fortidsmifidesmcBrkers bevaring 18Q8 — 69 s. 30 — 38). Es ist natürlich,
dass inschriften dieser art seine besondere aufmerksarakeit erregten, da
er sich in dieser zeit eifrig mit der norrönen dichtung beschäftigte.
Seit 1865 hat Bugge auch verschiedene runologische reisen in
Norwegen ausgeführt. In den jähren 1868. 1872 und 1876 bereiste
er mit Unterstützung der Kgl. schwedischen akademie der Wissenschaften
Schweden, um die runeninschriften dieses landes zu untersuchen. Einen
teil von den ergebnissen dieser reisen hat er in dem reiseberichte nieder-
gelegt (gedruckt in K. Vitterhets Mst. och ant. akad. inönadsblad, dec.
1877 s. 529 — 536)-; sodann in seiner schrift: Rnne-indskriftev pna
ringen i Forsa k/rke i Xordre Helsingland (Christiania iiniversiiets fest-
skrift i anledning af Upsala universitets jubilceuDi 1877), Avorin er
die durch ihren inhalt — wir haben es mit dem ältesten rechtsdenkmal
des nordens zu tun — wie durch ihre runen gleich merkwürdige In-
schrift behandelte. Diese letzteren, die sogenannten 'Heisinger' (oder
'stablosen") runen, stehen, wie Bugge nachwies, mit einer anderen
gruppe von nordischen runeninschriften in Verbindung, die er zuerst
eingehend behandelt und deren historische bedeutung er als erster er-
kannt hat.
Auf dem kirchhofe von ßök in Östergötland befindet sich be-
kanntlich der stein mit der längsten und merkwürdigsten runeninschrift,
die wir kennen; diese hat Bugge verschiedene male untersucht. In
keiner anderen von seinen runologischen arbeiten tritt in so hohem
grade sein S(.'harfsinn und seine umfassende gelehrsamkeit zu tage.
nirgends zeigt er sich so glänzend als meister methodischer Untersuchung
und deutung, wie in der dieser Inschrift gewidmeten abhandlung: Tolk-
ning af riineindskriflen paa Rökstenen l Östergötland (Antiqv. tidskr.
f'ör Sverige V, 1—148; 211 — 215). 'Ein ganzes buch in stein' hat Bugge
1) Ein kurzes referat darüber ist mitgeteilt in den Forlicmdlinyer i Vidensk.
sclsk. i Christiania 1864 s. 216 — 17.
2) Seine kurzen bemerkungen über die schwedisclien raueninschriften auf dem
marmorlöwen vom Piriius ( .Mänadsblad , juli 1875 s. 98 — 101) werden weiter unten
besprochen werden.
SnPIlUS BUGGE 141
die Rök-inschiift genannt, und dieses buch hat er in der genannten
sciirift, sowie in einem späteren aufsatze vom jähre 1888 (Om nine-
iii(hl:rlftenic pao Bähst eiirn i Osicrgöllaufl 0(/ paa Fonnaas-spccnden
fra Bendalen i Norye, K. Vittcrhcis hist. och anl. akad. hcindi XXXI, inj
klar vor unseren äugen ausgebreitet. Der phantastische inhalt der in-
schrift, die den sagenkönig Theodorich den grossen und die epony-
niischen heroen norwegischer stamme erwähnt, gab Bugge die veran-
hissung zu zahlreichen corabinationen. In seinem letzten lebensjahre
kehrte er noch einmal zu der Rük-inschril't zurück, und er hinterliess
die dritte behandlung derselben nahozu vollendet. Dieser aufsatz, in
dem er die Inschrift im zusammenhange mit der ältesten geschichte des
nordens und mit der ältesten norwegisch-isländischendichtung betrachtet,
wird hoö'entlich bald auf kosten der Schwedischen akademie erscheinen.
Bugge beschäftigte sich in den siebziger jähren übrigens nicht aus-
schliessHch mit der deutung nordischer runeninschriften ^ Auch die
frage nach der cntstehung und der geschichte der runenschrift hat
ihn eine Zeitlang stark beschäftigt. 1873 hielt er in der Gesellschaft
der wissenscliaften in Christiania einen vertrag über den Ursprung der
runenschrift, über den ein kurzes referat in den Forhandlinyer (1873
s. 485— 487) berichtete. Aber erst in seinen letzten lebensjahren fand
Bugge die müsse, tiefer auf diese fragen einzugehen.
In die erste hälfte der siebziger jähre fallen sodann zwei arbeiten
Bugges über nordische litteratur. auf die besonders aufmerksam gemacht
werden muss: Jinnfcrknivger om de// I SLoUamI fnndite laiiuskc Norgrs-
Lrönil.c (Aarboger 1873 s. 1 — 49) und BIskop Jijarne Kolheins-sön oij
Snorrcs Edda (ebda. 1875 s. 209 — 240). Beide abhandlungen zeigen,
dass Bugge jetzt, ebenso wie 8ars und Vigfüsson, auf den bedeutenden
eintluss aufmerksam geworden ist, den die westlichen gebiete der nor-
ronen cultursphäre, die norwegischen colonien auf den brittischen inseln,
im früheren mittelalter auf die entwicklung des geistigen lebens, das
in der alten norwegisch -isländischen litteratur sich uns abspiegelt, aus-
geübt haben. Bald sollte er in der frage nach der lieimat der ed-
dischen gedichte seinen Standpunkt wählen. Zunächst Hess er jedoch
in dem streite über das alter dieser lieder, der nach Jessens an-
regender abhandlung (Zeitschr. III [1871 1 s. 1 — 84) von neuem entbrannt
war, seine gewichtige stimme hören, und zwar in einem vortrage auf der
1) ['her die up.eclite Inschrift von Olilorsliol in l.ivland tuilt ü. einige l)onier-
kungen mit in den Verhandlungen der j;el. e.stii. gesellschaft zu Dorpat VIII. 2 (187.''))
s.l—S. und im anscliiuss daran oint; -('bersieht über die timi'nliltiT.ntiir" iolictMi;i
s. D— i:ij.
142 OLSKN '
Kopenhageuer philologen- Versammlung von 1876: Nogle hldracj til det
■norröne sprocjs og den norröne digtnings historie heniede fra verslceren
(Beretning om foihandl. pä det Iste nord. filologmöde 1876, Kbh. 1879,
s. 140 — 146). Er zog hier aus gewissen eigentümlichkeiten in dem
metrischen bau der Eddalieder (besonders der im Ijööahuttr abgefassten)
■\veitreicliende Schlüsse auf das , alter derselben. 'Wir dürfen sicher an-
nehmen', äusserte Bugge, 'dass kein im Ijöhahättr gedichtetes lied älter
ist als das 8, Jahrhundert'- Sein Vortrag lieferte den ersten vollgiltigen
beweis dafür, dass die liauptmasse der inhaltlich eng zusammengehöri-
gen Eddalieder nicht ein gemeinsames besitztum des gesamten nordens
ist, sondern der wikingerzeit angehört und in westnordischer (nicht
in schwedischer oder dänischer) spräche abgefasst wurde.
Bugge ist somit jetzt zu der Überzeugung gelangt, dass die Edda-
lieder erzeugnisse der gärenden wikingerzeit sind, in der die nordischen
Völker in das volle licht der geschichte treten und dauerndere und tiefer
greifende beziehungen mit den europäischen culturvölkern im Süden
und Westen anknüpfen. Und gleichzeitig (im winter 1876/77) beginnt
auch eine neue auffassung über den Inhalt der eddischen lieder, über
die norröne götter- und heldendichtiing bei ihm aufzudämmern. Bevor
wir jedoch über diese neue phase in Bugges wissenschaftlicher entwick-
lung und production, die durch seine mythologischen Studien eingeleitet
wird, berichten, muss noch seine übrige Wirksamkeit (mit einschluss
der gebiete, die nicht der nordischen philologie angehören) bis zum
ausgange der siebziger jähre in kürze besprochen werden.
Während er bereits mit der Eddaausgabe beschäftigt war, schrieb
er den aufsatz: Sjaldne ord i norrün skaldshih (Tidsli\ f. phil. VI
[1865] s. 87—108; 162)\ In den jähren 1870 — 71 behandelte er noch-
mals die nordischen pronomina (Tidskr. f. phil. IX, 111 — 129; 273 — 74)
und erklärte den norwegischen landschaftsnamen HdJogaland (Hist. tids-
skr. I, 135 — 140); 1879 veröffentlichte er: EUjmologi^che beitrüge aus
dem nordischen (Bezzen bergers Beitr. III. 97 — 121) und: Sproglige oplys-
ninger om ord i gamle nordiskc lore. I. Svenske ord (Tidskr. f. filol.,
n. r. III, 258 — 275)"-. Mit angelsächsischer dichtung beschäftigte er
1) Ein paar kleine beitiäge zur erklärung skaldischer diohtungen hat er 1871
in [Norsk] Histor. tidsskr. i gegeben: Om Skareid i Skirüiyssal (s. 385— 88) und Et.
vers af Torbjörn hornklove om Harald haarfagre (s. 518 — 19).
2) Zu erwähnen sind hier ferner die notiz über Das scliivuclie germanische
praeteritnm in Kuhns zeitschr. XXIII (1876) s. 523 und die berichtiguug einer stelle
der got. bibelübersetzung (Rom. 12. 8) in den Forhandl. i Vidensk. selsk. i Christiania
1875 s.409.
sornrs rtogf; 143
>icli in dieser zeit eiugehender uiul liiit die ergebnisse seiner t'oisclmng
auf diesem gebiete niedergelegt in den beiden abhandlungen: Spredte
iafittafichcr i-edhwninende de oldeu()eIske digie um. Beöwtdf og Walderc
(Tidskr. f. phil. Vlll[1868— 69] s.40— 78; 287—307) und: Zinn Beowulf
(Zeitschr. IV [1873] s. 192 — 224], die eine menge von trefl'iiclien bemer-
kungen and scharfsinnigen conjecturen enthalten. Diese Studien hat er
auch später fortgesetzt, und die genaue bckanntschaft mit der angel-
sächsischen dichtung kam ihm in der folge bei seinen Untersuchungen
über die beziehungen der norrouen Poesie zu der englisch- keltischen
cultursphäre zu gute. Aus seiner neuen kritischen behandlung der
Iknnhismdl (Zeitschr. VII [1876] s. 377 — •400) ersehen wir, dass er sich
mit planen zu einer neuen Eddaausgabe trug, die jedoch nie verwirk-
licht wurden.
Auch als classischer piiilolog und vergleichender Sprach-
forscher war Bugge in den sechziger und siebziger jähren tätig. Als
Madvig 1863 eine reihe von conjecturalkritisclien aufgaben zu griechi-
schen und lateinischen Schriftstellern aufgestellt hatte (Tidskr. f. philol. V,
13fgg.), sandte Bugge unter der chiffer 'Semibarbarus' lösungen ein, die
zugleich mit den von anderen eingelieferten antworten im nächsten hefte
(V, 157 — 160) abgedruckt wurden. Dadurch scheint sein Interesse für
textkritische behandlung der alten autoren geweckt zu sein. P]r ver-
öffentlichte nämlich 1865 — 67 in derselben Zeitschrift (Vi, 1 — 19; VII,
1 — 37) mehrere wertvolle textkritische und sprachliche bemerkungen zu
Plautus, die er später (1870 — 76) im Philologus (XXX, 636 — 652;
XXXI, 247 — 262) und in Fleckeisens Neuen Jahrbüchern für philologie
(CVII, 401 — 419), sowie in der festschrift für Madvig (Opuscula philo-
logica, Kbh. 1876, s. 153 — 192) fortsetzte; auch gab er 1873 die Mostel-
larla heraus, begleitet von einer aorwegischen Übersetzung von Fr. Gjertsen.
Als etymolog behandelte er AltUiteiiiischc wörler und woriformrn hei
Fesius vnd Paubis (Fleckeisens Jahrb. CV [1872] s. 91—108). Ferner
sind hier zu nennen seine etymologischen arbeiten: Sons, insons (Cur-
tius' Studien IV |1871] s. 203 — 207); Beiträge xnr gnccltisclnn nnd
Idtein ischen etgniologie (ebda. s. 323 — 354); Zur (hjtnologiscln'n norf-
forsfhnng (Kuhns zeitschr. XIX [1870] s. 401— 447; XX [1871] s. 1—50)
und Iknierhnngen über dm nrsprniig der latrinischen snffi.rc clo,
culo nsn:. (Kuhns zeitschr. XX |1872] s. 134 147). Zu den altitalischon
iuschriften kehrte er widerholt zurück, indem er 1874 und 1878 zwei
arbeiten unter dem titel: Altitalischr s/ndirn herausgab, die erste in
Kuhns zeitschr. XXII (1874) s. 385—466, die zweite als besonderes
buch (Christ. 1878). Auch als romanist hat sicii Bugge versucht in
144 OLSEX
den aufsätzen: Etyinoloyles frdiiraises d roinanes (Roniania III [1874J
s. 145 — 163) und Etyviologies romancs (ebda. IV [1875] s. 348 — 369),
und wurde ungefähr gleichzeitig von den italischen sprachen auf ein nach-
bargebiet hinüber geführt, dem er später eine so eifrige pflege widmen
sollte, das etruskische: er zeigte nämlich den 1. band von Corssens
buch 'Über die spräche der Etrusker' in der Jenaer litteraturzeitung
an (1875, 17. april s. 285—88) und nahm hier zu der etruskischen frage
Stellung, aber erst in den achtziger Jahren fand er gelegenheit sich ein-
gehender mit den etruskischen inschriften zu beschäftigen. Vorläufig
fesselten ihn nämlich ganz andere aufgaben, die seine arbeitskraft völlig
in beschlag nahmen.
Am 4, Januar 1877 schrieb Bugge aus Kopenhagen, wo er den
winter verlebte, an seinen freund und collegen, denarchäologenO.Rygh:
'Es gären bei mir Vermutungen, die, wenn sie auf dem richtigen wege
sich bewegen, wie ich glaube, ein überraschendes licht auf die älteste
geschichte der germanischen mythendichtung und heldendichtung werfen
werden. Es wird lange dauern, bis sie sich bei mir klären, aber ich
werde sie nicht mehr loslassen'. Und zwei monate später (10. märz):
'Beständig schiessen neue combinationen vor mir auf, die eine aben-
teuerlicher als die andere, ebenso schwierig abzuweisen wie zu beweisen'.
Während einer dänischen doctordisputation hatte Bugge über eine auf-
fallende ähnlichkeit zwischen der griechisch-römischen und der nor-
dischen mythologie nachdenken müssen. Der doctorand (Henry Peter-
sen) war auf einen ketzerischen gedanken gekommen und war deswegen
von seinen Opponenten scharf angegriffen worden. Auch Bugge wies
diesen gedanken immer wider von sich ab, aber jedesmal tauchte er
aufs neue vor ihm auf. Die frage war angeregt, und die unruhe des
forschens trieb ihn beständig weiter.
Bis zu der genannten zeit hatte Bugge eine grosse und vielseitige
productivität entwickelt, besonders in den letzten zehn jähren. Aber
jetzt tritt plötzlich eine Stockung auf allen gebieten ein, die mehrere
jähre dauert. 1879 druckt er nur ein paar kleinere aufsätze, und 1880
veröffentlicht er überhaupt nichts. Erst um die mitte der acht-
ziger jähre beginnt er wider über runen, nordische etymologie und
etruskisch zu schreiben. In der Zwischenzeit ist er, wenn seine gesund-
heit, die damals etwas geschwächt war, es erlaubte, fast ausschliesslich
von seinen forschungen über die nordischen götter- und Heldensagen in
anspruch genommen. Lange kämpft er zwischen zweifei und glauben.
Er legt die arbeit wider und wider bei seite, nimmt sie aber stets wider
SOPHUS BUGOF, 145
auf, imd allmählich festigt sich bei ihm die Überzeugung, auf dem
richtigen wege zu sein. — Schon im winter 1876/77 teilte er seine
neuen Vermutungen seinem freunde Svend Grundtvig mit, der ihm
freiUch nicht auf den neuen bahnen zu folgen vermochte, aber doch
während des Kopenhagener aufenthalts ihm zuvorkommend mit büchern
und notizen aushalf: 'denn', äusserte Grundtvig, 'die Wahrheit — wenn
es die Wahrheit ist — muss zu ihrem rechte kommen.' Der nüchterne
und kritische historiker 0. Rygh, dem ßugge sich gerne sofort mit-
teilte, sobald er auf neue forschungswegc geriet, scheint sich dagegen
— nach Bugges briefen an Rygh aus dem jähre 1877 — im ganzen
genommen durchaus nicht abweisend gegen Bugges anschauungen über
das geistige leben der wikingerzeit verhalten zu haben. Kurz vorher
hatten ja auch u. a. J. Sars, Henry Petersen und E. Jessen den
blick weit über die grenzen des nordens schweifen lassen, sowol nach
Westen wie nach Süden, um die Strömungen aufzufinden, die in dem
götterglauben und der heldendichtung der wikingerzeit zusammenflössen.
Am 81. october 1879 hielt Bugge in der Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Christiania seinen aufsehen erregenden Vortrag über die ent-
stehung der nordischen götter- und heldensagen: Man habe bisher den
blick allzu ausschliesslich auf das gemeingermanische gerichtet. Es
dürfe als bewiesen angesehen werden — durch spräche, metrum und
Inhalt — dass keines der Eddalieder weiter zurückdatiert werden könne
als ins 9. Jahrhundert. Der reiche Inhalt, der uns darin überliefert sei,
erwiese sich als ein erzeugnis des mächtigen wogenschlages der wikinger-
zeit. Eine menge von göttern und riesen trete uns da entgegen, von
denen sich bei den Deutschen keine spur finde. Hier habe man eine
reiche und eigentümliche nordische entwicklung. Die Eddadichtimg sei
nordisch, in gleicher weise wIq unsere märchen, aber ihr stoff' sei in
seinen wesentlichsten bestandteilen fremden Ursprungs. Die vorwürfe
dieser dichtung seien erzählungen gewesen, welche die Nordleute im
Westen von Christen in irischer oder englischer spräche gehört hätten.
Aus zwei quellen seien diese erzählungen geschöpft: die eine seien die
alten griechisch-römischen götter- und heldensagen, die andere die
jüdisch -christlichen legenden und sagenmässigen ausschmückungen der
heiligen geschichte. Mit reicher phantasie sei der fremde sagen- and
mythenstoff aufgefasst und eine poetisch schaffende kraft habe diese
dichtungen geformt, in welchen die ganze strenge lobensanschauung
der Nordleute und ihr tiefer sittlicher ernst zum ausdruck komme. Vieles
in diesen noch so jungen Untersuchungen würden tortgesetzte forscliungcn
vielleicht umstossen und bei seite schieben, aber das ergebnis werdf
ZKITSCHKIKT K. liKI.TsrllK l'HIl.Ol.Oi il K. Itl). \ I. 10
146 OLSKN '
dennoch bestehen bleiben — viele bausteine könnten fortgerollt werden,
ohne jedoch den ganzen grossen bau zum wanken zu bringend
In seinem vortrage konnte Bugge mit genugtuung mitteilen, dass
sein landsmaun A. Chr. Bang in seiner abhandlung: Völuspaa og de
sibyllinske oraJder (Forhandl. i Vidensk. selsk. i Christiania 1879 nr. 9)
in verschiedenen einzelheiten , die den Ursprung der norrönen götter-
lehre beträfe, zu der gleichen ansieht gelangt sei.
1881 sandte Bugge das erste heft seiner Studier over de nordiske
giide- og heltesagns oprindelse, Iste rcekke in die weit; ein jähr darauf
folgte das 2. heft, und ungefähr gleichzeitig erschien auch die deutsche
Übersetzung: Studien über die entstehung der nordischen götter- und
helde7isagen, übersetzt von 0. Brenner, 1. reihe, heft 1 — 2 (München
1881—82, s. 1 — 288). 1889 wurde die 1. reihe der Studier abge-
schlossen. In diesen'^ sucht Bugge für seine ansieht über den Ursprung
der norrönen mythologie den beweis zu liefern. Er entfaltet eine er-
staunliche gelehrsamkeit und einen Scharfsinn und eine combinations-
gabe sondergleichen. Es gelingt ihm auch in der regel nachzuweisen,
dass eine uamenerkläriing oder eine herübernahme eines klassisch -
mythologischen oder christlichen stojffes möglich ist. Ist damit aber
auch die Wahrheit gefunden, dasjenige was in dem einzelnen falle allein
richtig ist? Man hat Bugge nicht ohne grund vorgeworfen, dass er
über das mass hinaus mit norrönen mythologischen namen operiert, in
denen er umdeutungen griechisch-römischer und christlicher Wörter er-
blickt: denn leider ist man ja auf dem gebiete der 'Volksetymologien'
wissenschaftlicher controlle noch entzogen. Bugges betrachtung dermythen
und sagen entfernt sich auch in vielen wichtigen punkten von der auf-
fassung dieser Volksüberlieferungen, die neuerdings in der religions- und
sagengeschichtlichen forschung geltend gemacht worden ist. Man ver-
misst hier oft bei Bugge principielle erörterungen , durch welche die
ihn bestimmenden grundanschaiumgen sich rechtfertigen Hessen. Ferner
ist es, im ganzen genommen, für Bugge eigentümlich, dass er in der
regel nur von den denkmälern etwas wissen will, deren erhaltung wir
gewöhnlich nur einem glücklichen zufalle verdanken. Diese sucht er
oft so eng miteinander zu verknüpfen, dass in der kette seiner com-
1) Vgl. das refcrat über diesen vertrag in Äftenhladet (Christiania), 3. nov.,
ur. 256.
2) Vgl. auch Bugges vertrag auf der 2. nordiscliou philologenversammluug in
Christiania (sonimer 1881): Orn cnkelte nordiske mytiiers oprindelse (Forhandl. paa
andet filologmöde 1881, Christ. 1883, s. 218 — 238) sowie: Nogle benicerkninger om
Sibijllinerne og Vöhispd in [Letterstedtska] Nord, tidskr. IV (1881) s. 163 — 172.
SOPHUS BUGGE 147
binationen für die fülle von geistig-en erzeugnissen, die uns verloren
gegangen sind, alier sicher einmal existiert haben müssen, nirgends ein
platz bleibt. Mit der phantasie eines diehters vereinigt Bngge einzel-
heiten zu einem bilde. Die details entbehren gewöhnlich nicht der
festen unterläge, sie werden kritisch zurecht gelegt und die Unter-
suchungen methodisch eingeleitet; aber oft hat er sich eine aufgäbe
gestellt ohne daran zu denken, dass das material unzureichend ist, um
sichere ergebnisse zu ermöglichen. So kann es leicht seiner aufraerk-
samkeit entgehen, dass ei-, um ein gesamtbild zu schaffen, um die
richtigkeit seiner ansehauungen zu erweisen, unbewusst etwas von seinen
eigenen subjectiven ideen hinzufügt und dadurch einer Avillkürlichkeit
sich schuldig macht. Bei der abschätzung der argumente berücksichtigt
er zuweilen auch melir ihre zahl als ihren wert. Er unterliegt dabei
zu leicht der dem philologen gefährlichen Versuchung, durch ein ein-
zelnes, vielleicht nicht einmal richtig erklärtes wort eine idee, einen
Vorgang oder ein ganzes Zeitalter aufhellen zu wollen.
Diese einwendungen, die mit grösserem oder geringerem recht
gegen Bugges ganze wissenschaftliche tätigkeit erhoben werden können,
sind namentlich bei der beurteilung seiner Studier over de nordiske
giide-og heltesagns oprindelse geltend gemacht worden. Bugges forschun-
gen auf diesem gebiete haben auch bedenken rein historischer art
hervorgerufen, und diesen hat Bugge selbst ein aufmerksameres ohr
geliehen. Sie veranlassten ihn zu Untersuchungen über Chronologie und
heimat der mythologischen und sagengeschichtlichen quellen und trugen
dazu bei, seinen blick für die entdeckung neuer culturströmungen in
der wikingerzeit und noch älteren perioden zu schärfen. Man hat gegen
Bugge eingewendet, dass die wikingerzeit allzu kurz gewesen sei, um
in dem von ihm behaupteten grade das geistige leben der Nordleute
umzugestalten. 798 zeigten sich die wikinger zum ersten male an den
englischen küsten — und kaum zwei menschenalter später war die
mythologie der wikingerzeit in den dichtungen des skalden Bragi Bod-
dason, die nach der isländischen tradition der ersten hälfte des 9. Jahr-
hunderts angehören, vollständig entwickelt. Bugges bedeutendster gegner,
Finnur J(3nsson, machte darauf aufmerksam \ dass der Inhalt der
ältesten skaldendichtungen Bugges theorien auf das entschiedenste wider-
spricht. 'Es muss', so äusserte er sich, 'klar und unzweideutig be-
wiesen werden, dass die ältesten skaldischen gedichte unecht sind, d. h.
dem 10. Jahrhundert oder einer noch späteren zeit entstammen', — 'aber
1) Arkiv f. Moid. (ilol. VI (1S90) s. 121 - Ifj-'r, IX (1893) s. 1-22.
10'
148 OLSEN"
dies', fügt er hinzu, 'ist meiner meinung nach unmöglich'. Vorher
hatte Bugge seine meinung über das alter der ältesten skaldeugedichte
nur als eine unbewiesene behauptung ausgesprochen in dem gegen Mogk
(Beitr. XII, 383 — 392) gerichteten aufsatze: Der gott Bragi in den
norrönen f/edichten (ebda. XIII, 187 — 201), woselbst er äussert: 'Die
ansieht, dass die dem Bragi Boddason beigelegten verse der ersten hälfte
des 9. Jahrhunderts angehören, ist mit der entwicklungsgescbichte der
norwegisch -isländischen spräche, poesie und mythologie unvereinbar.
Diese verse sind vielmehr in dem 10. Jahrhundert verfasst'. Jetzt aber
suchte er, um Finnur Jönssons f orderung nachzukommen, seine an-
sieht über Bragis gedichte (und das Ynglingatal) zu beweisen in den
Bidrag Hl den celdste skcddedigtnings kistorie (Christ. 1894). Sein buch
veranlasste dann Finnur Jonsson zu einer erwiderung: De celdste skjalde
og deres kvad (Aarbeger 1895 s. 271—359), worin die glaubwürdigkeit
der isländischen tradition aufs neue energisch verfochten wurde.
So gaben Bugges Studier den anlass zu einer fruchtbaren — sach-
lich geführten — discussion über die ältesten skaldendichtungen. Er
hielt bis zuletzt an der meinung fest, dass sowol Bragis gedichte wie
das Ynglingatal 'unecht' seien und aus dem 10. Jahrhundert stammten,
obgleich diese meinung bei den fachgenossen nur wenig Zustimmung fand.
Eine fortsetzung der Studier bilden die abhandlungen: Iduns cebler
(Arkiv V [1888] s. 1 — 45) und Sagnet om hvorledes Sigvat TordssÖn
blev skald (ebda. XIII [1897] s. 209 — 211), sowie die Mlndre bidrag
tu nordisk mythologi og sagnhistorie. I. Finngälkn (Aarbeger 1895
s. 123 — 138), in denen Bugge widerum westliche einflüsse auf die
mythologischen und sagenhistorischen Vorstellungen nachzuweisen suchte.
Von grösserer bedeutung wurde jedoch die beständig fortgesetzte
Vertiefung in die alte dichtung, besonders in die Eddalieder, die durch
Bugges mythologische Studien veranlasst wurde. So veröffentlichte er
1883 — 86 Bcmcerkninger til norröne digie {Hyndluljöh und Rlgsjmla:
Rettelser til Scemundar Edda efter haandskrift; Sendibltr; En pörhr
Sjdreksson tillagt halvstrophe) im Arkiv I, 249 — 265; 305 — 313;
11, 116 — 123; III, 96; 335 — 38; und 1^)02 Nagle steder i Eddadigtene
\''hdsL. XIX, 1 — 18). Über den isländischen dichter Kormakr, der
nach Bugges ansieht sehr stark von irischen einwirkungen beeinflusst
war, schrieb Bugge, veranlasst durch Th. Möbiur,' ausgäbe der Kormaks
saga die an feinen bemerkungen und scharfsinnigen textbesserungen
reiche abhandlung Om versene i Kormaks saga (Aarb. 1889 s. 1 — 88).
Endlich sind hier noch zu erwähnen die wichtigen beitrage zur geschichte
der nordischen heldendichtung in Bugges aufsätzen: Oplysuinger om.
SOPHUS BÜRGE 149
Nordens oldtld kos Jordanes I. Rosomonoriun ijcns (Arkiv I [1882]
s. 1—21) und: Erpr og Eitül {Yidensk. selsk. skrifter 1898, II nr. 5).
Die frage nach der heimat der Eddalieder ist der leitende
gedanke in Bugges Studier over de nordiske gnde-og hellesayns oprin-
delse. Anden ra'kke (Helge -digtene i den celdre Edda, der es hjem og
forbindelser) Kbh. 1S96, 355 s., einem buche, das zu seinen merk-
würdigsten und am meisten charakteristischen Schriften gehört, da er
sich hier zugleich in seiner stärke — und in seiner schwäche offenbarte
Er führt uns an den nordischen hof des königs Sigtrjggr in Dublin,
wo wir einem westnorwegischen dichter begegnen, der zwischen Iren,
Angelsachsen und den in Northumberland ansässigen Dänen herum-
geschweift ist, sich von der dichtung dieser Völker hat befruchten lassen
und aus den sagenstoffen der verschiedenen länder das prachtvolle erste
lied von Helgi Hundingsbani zusammenschmiedete, in dem der kräftige
pulsschlag der wikingerzeit hörbar klopft. Bugge hat den alten dichter
leibhaftig vor sich gesehen, und der eindruck war so gewaltig, dass
er für ihn zur Wirklichkeit wurde. Von den Engländern übernahmen
die Norweger und Dänen die sagen von den Vglsungen, die auf die
Helgisagen einfluss übten. Durch die Dänen in Northumberland lernten
die Norweger eine dänische dichtung von dem Skjoldungenkönige Helgi
Halfdanarson kennen, der in den zeiten der Völkerwanderung die süd-
grenze der Dänen siegreich gegen die 'kriegerischen Barden' verteidigte.
Hier eröffnet uns Bugge einen weiten ausblick in die vorhistorische
heldendichtung. zugleich aber auch einen ausblick in das historische
raittelalter, wo die milderen Stimmungen der Volkslieder den düsteren
ernst der heroischen poesie ablösen. So arbeitet in Helgedigfeite der
ideenreiche und schai-fsinnige Sprachforscher band in hand mit dem
verständnisvollen, von dem Inhalt der lieder tief ergriffenen, weitschau-
enden und doch einseitigen sagen- und litteraturhistoriker.
Im Schlussabschnitte des werkes äussert Bugge: 'Ich hoffe künftig
einmal nachweisen zu können, dass mehrere andere Vglsungensagtii,
die in der Edda und der Vglsungasaga überliefert sind, ebenfalls zuerst
von den Nordleuten im westeu, z. t. nach dem vorbilde angelsächsischer
dichtungen geschaffen wurden. Besonders werde ich versuchen den
beweis zu führen, dass das älteste norwegische gediclit, das die Vol-
sungensage erwähnt, nämlich das lied von Vglundr, nach England weist'.
Leider kam Bugge nicht dazu, diese aufgäbe völlig zu lösen; teile davon
Ij Für die engli.sclie Übersetzung dieses buches: The. Iunne of llif Eddie pocms,
Lund. 1899 (Grimm library XI) ß(;Iiricb Bugge 'a now intruduction cuiicerning old
norse mythology'.
150 OLSEN-
behandelte er in dem aufsatze: The Norse lay of Wayla/u/ (Volimdar-
kvipa) and its relations to English tradition (Saga-book of the Yiking
club II [1901] s. 271 — 312; Bie heimat der altnordischen lieder von
den Weisungen und den Nibelungen (Beitr. z. gesch. der deutschen spr.
u. lit. XXII [1897] s. 115 — 135, und: Bidrag til den germanske helte-
digtnings historie. I. Begyndelsen af Vqlsunga saga (Arkiv XVII [1901]
s. 41^53).
In seinen gegenschriften gegen Bugge hat Finnur Junsson bestimmt
behauptet, dass der verkehr der Nordleute mit der keltischen bevölke-
rung in Irland und Schottland für das geistige leben der wikingerzeit
im allgemeinen und für die norröne litteratur im besonderen nur von
geringer bedeutung gewesen sei. Der Untersuchung dieser frage hat
Bugge eine besondere schrift gewidmet: Norsk sagafortceUing og saga-
skrivning i Irland. Hier hat er sich auf das einzelne gebiet der saga
beschränkt, eine litteraturgattung, die Island mit Irland gemein hat.
Bugges söhn, der historiker Alexander Bugge (der in den letzten jähren
seinen vater bei dessen forschungen auf gebieten, wo ihre Interessen
sich begegneten, behilflich war) hatte auf eine stelle in der irischen
sage 'über den kämpf der Iren mit den fremden', in der von den
'historikern der fremden' gesprochen wird, aufmerksam gemacht und
die Vermutung aufgestellt, dass der irische chronist eine in norwegischer
spräche abgefasste und niedergeschriebene erzählung der saga von der
Brian-schlacht (1014) gekannt habe. Diese beobachtungen bildeten den
ausgangspunkt für Bugges Untersuchungen, von denen der noch nicht
abgeschlossene abschnitt: BraaraUa-slaget og Brians -slaget^ besonders
bemerkenswert ist. — Als Bugge starb, waren von dem genannten werke
2 hefte (s. 1 — 160) als beilagen zu (Norsk] Histor. tidsskrift (1901 und
1903) erschienen; und binnen kurzem wird auch das schlussheft vor-
liegen, das Alex. Bugge aus den hinterlassenen papieren seines vaters
zusammengestellt hat.
Dass Bugge bei seinen Untersuchungen über die entstehung der
nordischen götter- und heldeusageu seinen blick so einseitig nach westen
riciitete, könnte selbst unter der Voraussetzung, dass die wikingerzeit,
wie er behauptete, früher als allgemein angenommen wird, begonnen
1) Die Populicr- iHdenskabeliye foredruy , eflerladte arbcider of Soplius Bugge
(Christian ia 1907) enthalten zwei vortrage: Braavalla - slaget und Nordboerne i Irland,
die Bugge 1901 in Schweden hatte halten wollen. Auch die abhandlung: Nyere
forskninger om Irlands gamle aandskidtur og digtning i dens forhold til Norden
ist hier wider abgedruckt (sie erschien zuerst in Christ, vidensk. selsk. forhandl. 1891
s. 21— 38).
SOPHUS BUGGK. 151
liabe, verwunderuug erregen. Die archäologen wussten ju von römischen
antiquitäten aus dem älteren eisenzeitalter zu erzählen, die auf dem boden
Skandinaviens gefunden waren, und lateinische Wörter sind von den
germanischen Völkern in menge aufgenommen; sogar in den nicht sehr
umfangreichen urnordischen runeninschriften hat Bugge geglaubt 2 latei-
nische lehnwörter nachweisen zu können, und die runenschrift selbst ist
nach der übereinstimmenden meinung aller von Süden her gekommen.
Müssen wir da nicht erwarten, dass auch das geistige leben des Nordens
— cultus, mythen und Sagendichtung — starke beeinflussung aus dem
Süden erlitten habe? Bugges einseitigkeit — und dass es eine gewisse
einseitigkeit war, räumte er in den späteren jähren selber ein — ist
gegenwärtig leicht zu verstehen. Er musste, als seine neuen ideen
gegen schluss der siebziger jähre sich bildeten, auf zwei fronten kämpfen:
gegen diejenigen, die in den uns überlieferten Eddaliedern noch der
wikingerzeit vorausliegende erzeugnisse sahen, und gegen die, welche
zugleich behaupteten, dass der inhalt dieser gedichte nordischer (oder
gar germanischer) gemeinbesitz sei. Es glückte ihm zu beweisen, dass
die Eddalieder in der überlieferten form tatsächlich aus der wikinger-
zeit stammten — und so war es kein wunder, dass er dahin geführt
wurde, allzu einseitig zu betonen, dass auch ihr inhalt erst beim auf-
treten der Nordleute als historische Völker sich gestaltet habe.
Bugges forschungen über den Ursprung der eddischen mythologie
griffen tief ein in verschiedene gebiete der nordischen philologie. Seine
revolutionären gedanken forderten zum kämpfe auf; in den Werk-
stätten der einzelnen forscher wurden waffen gegen ihn geschmiedet,
und bald war der streit im gange. Dieser wurde von Bugge selbst
ehrlich und ritterlich geführt — was man leider nicht von allen seine n
gegnern sagen kann K In seinem eigenen lande fanden seine theoricn
allgemeine Zustimmung in den wissenschaftlichen kreisen, ebenso in
Schweden, wo er infolge an ihn ergangener einladung an der Univer-
sität Uppsala vortrage über die norröne mythologie hielt; aber die grosse
menge hier zu lande schrie auf über den Landesverräter', der sich an
den heiligtümern der nation vergriffen habe. Alle aber worden jetzt
zugeben, dass Bugges theorien 'durch den historischen geist, der seine
grundanschauung beseelt' (Moltke Moe-') von dem höchsten wissenschaft-
[1) Es geht aber docli nicht an, diese deswegen vöUig zu ignürieien. Nament-
Uoii durften die scharfen angriffe^ Müllenhoffs (im 5. hde. der I)e«t>>chen alturtiuns-
kundo), deren ton man allerdings nur bedauern kann, m. e. nicht unorwiihnt bleiben,
weil duroii sie Bugges theorien in iluen grundfosten erschüttert wurden.^ 11. G.)
2) Sophus Bugge og inytegran.<kningariie lian.s. Av iloltke Moe. (N'orsku lolke-
skrifter 6.) Christ. 1903.
152 OLSEN '
liehen werte sind. Er ist der erste, der die norröne mythen- und sagen-
forschung auf festen historisclien boden stellt, indem er die frage auf-
wirft: wann in der geschichtlichen entwicklung der nordischen Völker
ist der götterglaube der Eddalieder entstanden? Für ihn lag vor nun-
mehr fast einem menschenalter die antwort am nächsten: er ist das
erzeugnis der wikingerzeit. Jetzt werden wir, wie Bugge selbst in den
späteren jähren, etwas anders antworten, dank den erfahrungen, die
durch Bugges Studier und die forschungen, zu denen sie den anstoss
gaben, gewonnen sind. Und in der jüngsten geschieh te Norwegens —
wir dürfen auch sagen: des Nordens — werden Bugges Studier als ein
bedeutungsvolles glied in dem übergange von der romantik zum realis-
mus anerkannt, da sie für das historische bewusstsein die notwendig-
keit einer Wechselwirkung zwischen dem ererbten heimischen und dem
neuen fremden klar erwiesen haben.
"Wir werden noch einmal auf Bugges mythologische forschungen
zurückkommen müssen. Für diese und vielleicht in noch höherem grade
für seine runologischen Studien wurde es von Wichtigkeit, dass er
veranlasst wurde sich in die etruskische frage und die vielen anderen
fragen, die er damit in Verbindung brachte, zu vertiefen.
Auch in den achtziger jähren und später setzte Bugge seine viel-
seitige productive tätigkeit als Sprachforscher fort^. Namentlich sind
seine nordischen etymologien scharfsinnig und treffend. Dagegen haben
einzelne seiner arbeiten über die lautlehre allgemeine Zustimmung nicht
gefunden, so seine umfangreichen Etymologischen Studien über germa-
nische lautrerschiehung I — III (Beitr. XII [1887] s. 399 — 430; XIIl
[1887] s. 167 — 187; 311 — 339), in denen er nachzuweisen versuchte,
1) Blandede sproghistoriske bidrag I~II (Arkiv II [1884-85] s. 207— 53,
287—89, 350 — 55); Svensk ordforskning (ebda. IV [1887] s. 115 — 40); Ziir alt-
germanischen Sprachgeschichte. Oermanisch ug aus uw (Beitr. XIII [1888J s. 504—
15); Etymologische beitrage (Bezzenbergers Beitr. XIV [1888] s. 57—79); Vocalver-
kürxung im altnordischefi (Beitr. XV [1891 J s. 391 — 401); 0}-d og ordoplgsninger
efter oj)tegnelser af S. B. (Norsk ordbog af Hans ßoss, Chra. 1895, s. 985 — 97);
Oldnorske samme^isretninger paa-naiitr (Sproglig-historiske studier tilegnede C. R.
Unger, Kra. 1896, s. 12 — 29); Qermanische etymologien (Beitr. XXI [1896] s. 421—
28); Bemcerkninger af S. B. (Ordbog över Det gamle norske sprog af J. Fritzner,
2. udg. Kra. 1896, s. 1101 — 10); Det oldislandske elliptiske udtryk solsetra, sol-
setruni (Arkiv XVI s. 200 — 202); Oldnorske sa/mmensrntninger ^^aa-uautr. Kye
bemcerkuinger (ebda. XXI [1905] s. 261 — 74); Nogle ord med p af förgermansk gw
/ fremlyd (ebda. XXII [1905] s. 127 — 32). — Beiträge xiir etymologischen erläute-
rung der albanesischen spräche (Bezzenbergers Beiträge XVIII [1892] s. 161 — 201).
SOPHUS BUG OK 153
dass das Verneische gesetz luioh im anlaut gewirkt habe', und seine
bemerkungen über die /-epenthese im germanischen in den Beiträgen
xiir vorgerrnanischeii lauigesrhichte I. Zur eriHiiteriing des germaimchcn
ai (Beitr. XXIV [1899J s. 425 — 463).
In der nordischen etymologie war es besonders ein gebiet, das
Bugge mit besonderer verliebe pflegte, das Studium der norwegischen
Ortsnamen. 1878 wurde durch königljche resolution ein ausschuss
zur revision der Schreibweise der eingetragenen norwegischen hofnamen
eingesetzt und zum mitgliede dieses ausschusses neben Oluf Rygh und
Johan Fritzner auch Bugge ernannt. Die aufgäbe des ausscliusses
bestand im wesentlichen darin, die traditionelle Orthographie unserer
hofnamen auf grund der gegenwärtigen ausspräche und der älteren
Schreibweise zu prüfen. Mit Rygh zusammen sammelte Bugge material
über die ausspräche der norwegischen hofnamen in der Volkssprache.
Bugge war zwar nicht phonetiker von fach, aber sein ohr war seit der
Studentenzeit, in der er bei den bauern in Telemarken herumschweifte,
um lieder und sagen aufzuzeichnen, daran gewöhnt, in grossen zügen
die laute der norwegischen mundarten correct aufzufassen, und seine
sicheren kenntnisse in der norwegischen Sprachgeschichte setzten ihn
in den stand, bei der fixierung der gesprochenen Wörter das festzuhalten,
was in dem gegebenen falle das wichtigste war, dasjenige, was für die
ermittekmg der ursprünglichen altnorwegischen formen von bedeutung
war. Der bedeutendste teil der von diesem ausschusse zu leistenden arbeit
wurde jedoch von Rygh ausgeführt, der es übernahm alle quellensehriften
aus dem mittelalter und eine auswahl solcher Urkunden aus der neueren
zeit durchzusehen, in denen norwegische hofnamen erwähnt werden. Die
ergebnisse wurden in dem für die norwegische ortsnamenforschung grund-
legenden werke mitgeteilt: Norshe gaardnavnc. Oplysninger saiidedc
tu tjriig ved luatril^clcns revision ndgivnc med tilfoiede forldariiigcr af
'). Jlygti, das auf staatliche veranlassung 1897 zu erscheinen begann.
Bugge wurde niemals müde die Verdienste seines freundes Rygh
um die norwegische ortsnamenforschung hervorzuheben. Vor Rygh
iiatte bereits P. A. Munch, der Verfasser von Historisli - geognt /ist,- be-
skrivelse over kongeriget Norge i iniddefatderrn (Moss 1848), sich ver-
schiedentlich mit norwegischen Ortsnamen beschäftigt und manchen
kühnen streifzug auf das gebiet der vorhistorischen namengebung unter-
nommen. Aber Rygh ist der erste, der die Ortsnamen unseres hindes
(1) Dieser beweis ist m. e. erbracht, es sei denn, das-s man die ftymologische
Identität begriiflich identischer Wörter, die sich nach Bugges theyrio vereinigen lassen,
(z. b. ags. sijt und ahd. ruox) leugnen wollte. H. G.]
154 OLSEN'
systematisch durchforscht hat. Er fand sich zwischen den tausenden
von namen, die höfe und Ortschaften, seen und üüsse, raeerbusen, inseln
und berge führen, schnell zurecht, er ordnete sie nach dem Wortschatz,
den sie enthalten, und lernte schnell ältere und jüngere schichten zu
unterscheiden und trat schliesslich mit seiner arbeit vor die öffentlich-
keit, indem er uns die besiedlungsgeschichte des landes gab, 'Norwegens
landnämabök\ wie Bugge in so treffender weise sein werk benannte.
Während dieser arbeit stand Bugge treu seinem freunde zur seite,
und Eygh konnte bei der erklärung der norwegischen Ortsnamen be-
ständig sich der förderung erfreuen, die durch Bugges seltene etymo-
logische combinationsgabe ihm zu teil ward. Rygh war der unermüd-
liche detailforscher, der scharfe und nüchterne kritiker, der gewissen-
haft die einzelheiten zu einem bilde zusammenstellte; Bugge war der
mann der phantasievollen combinationen, für den eine einzelheit ein
ganzes fertiges bild aufrollen konnte. Eine quelle reicher freude wurde
für ihn das zuverlässige material, das Rygh ihm für seine arbeit bereit-
gestellt hatte. Die Ortsnamen setzten Bugge in stand, Verbindungen mit
den culturländern in vorhistorischer zeit aufzuspüren und cultstätten
der heidnischen götter nachzuweisen. Noch weiter zurück in die Ver-
gangenheit wurde er geführt, wenn Rygh geographisch zusammen-
gehörende Ortsnamen von demselben wortstamm, aber mit verschiedenen
ablautsstufen auffand. In einer gedächtnisrede auf Rygh^, aus der ein
kleiner abschnitt, der auch ausserhalb Norwegens Interesse erwecken
wird, hier mitgeteilt werden soll, weist er auf die wichtigen schluss-
folgerungen hin, die über die besiedelung des landes aus diesen Ver-
hältnissen gezogen werden können; aber er findet in den norwegischen
Ortsnamen nichts, was auf eine nichtnorwegische vorhistorische bevöl-
kerung hinweist:
'Ein hauptergebnis, das uns aus diesem [RyghsJ werke überall
entgegentritt, ist das, dass norwegisch sprechende menschen seit un-
denklichen Zeiten hier gewohnt haben. Für phantasien, die von anderer
Seite ausgesprochen sind, dass uns nämlich in ganzen reihen von west-
norwegischen Ortsnamen erinnerungen an die ehemalige existenz einer
fremdartigen rasse erhalten seien, ist nicht der schatten eines bevveises
vorhanden.'
'Aus den von Rygh nachgewiesenen bezieh ungen zwischen fluss-
und seenamen lassen sich wichtige Schlüsse darüber gewinnen, wie früh
Norweger auf diesen Aussen und seen gerudert haben. Wenn er z. b.
1) Abgedruckt in Afteuposten (Christ.) 7. febr. 1900 nr. 98.
SOPHUS BUGGE 155
uns darauf aufmerksam macht [Norske gaardtiaruc I, 395], dass der
fluss Jlor.s, nach dem die Stadt Mass ihren namen hat, durch den see
MJcer fliesst, und dass die beiden namen Mjcer und Mors etymo-
logisch zusammengehören, so ist dies zugleich ein historisches resultat.
Denn dieser Zusammenhang lehrt uns, dass norwegisch sprechende leute
lange vor Christi geburt diesem see und diesem fluss ihre namen gaben.
Ebenso können wir mit hilfe derselben methode beweisen, dass zahl-
reiche Ortsnamen unseres landes aus jenen fernen zeiten und von dem
Volke stammen, dessen nachkommen die heute lebenden Norweger sind.'
0. Rygh konnte von den hofnamen der 17 norwegischen ämter,
für die er so reichhaltige Sammlungen angelegt hatte, nur noch etwa den
vierten teil selber bearbeiten. Aber nach seinem tode (1899) wurde die
herausgäbe der Norske gaardnavne von seinem bruder Karl Rygh in
Verbindung mit A. KjaM- und Am und B. Larsen fortgesetzt, und zwar
unter beständiger mitwirkung von Bugge. Die 6 bände, die nach Kyghs
tode erschienen sind, wurden sämtlich von Bugge durchgesehen, der
eine menge wertvoller etymologischer bemerkuugen hinzugefügt hat.
Es zeugt von seinem warmen interesse für die Ortsnamen, dass er noch
zu der zeit, da sein Sehvermögen so erheblich geschwächt war, jeden
bogen der Norske gaardnavne sich vorlesen liess, bevor derselbe in die
druckerei gieng. Ebenso hat er für das posthume werk Ryghs: Norske
eivenavne (Christ. 1904) einen wertvollen beitrag- geliefert.
Auch in mehreren eigenen abhandlungen hat Bugge die erklärung
nordischer Ortsnamen bedeutend gefördert. Sein aufsatz über Häloga-
land ist bereits erwähnt, in seinen JJidrag tiJ nordiske riavnes liistoric
(Arkiv VI [1890J s. 225 — 245) hat er u. a. die dänisclien inselnamen
Sjailland und Anholt behandelt^; in band VII [1891] s. 262 — 64
derselben zeitsciuift schrieb er Oni foraudriiig af genus i norske steds-
navne, und in band XX [1904J s. 883 — 58 die scharfsinnigen Bidrag
tu forklar ing af norske stedsnavne, worin er mit hilfe datierbarer laut-
übergänge Ortsnamen aus vorhistorischer zeit zeitlich zu bestimmen ver-
sucht. Seine letzte arbeit über nordische orts-(und auch personen-) namen
ist der aufsatz: Foraiishudt s, isa-r i uavue{kxV\v XXI [1904] s. 148—160).
Sehr bedeutend waren auch Bugges kenntnisse auf dem gebiete
der nordischen personennamen, und sowol in seinen runologischen
und mythologisch -sagenhistorischen arbeiten wie in besonderen abhand-
1) Verfclilt ist .seine etymologischo eikliirung (le.s volksnaiiifiis Uaiicii (Arkiv \
[1&88J s. 125—131. — Ein brief über die nordischen vülkeinanicn Ikm .lurdanes an
L. Fr. Läffler (der daran seine eigenen benierkungen anktiiiplte) ist nueli Uiiggos tod
in der schwedischen Zeitschrift Fornvänncn (1907 s. 98—101,1 veröffentlicht worden.
156 OLSEN
langen hat er zahlreiche beitrage zur erklärung dieser namen geliefert.
Schon in seiner Studentenzeit begann er eine Sammlung alter westnor-
discher Personennamen anzulegen, und aus dieser zeit stammt auch sein
bereits erwähnter aufsatz: Altnordische namen im 3. bände von Kuhns
Zeitschrift. Aus späterer zeit sind hier zu erwähnen seine bemerkungen
über Oldsvenskc navne i Rusland (Arkiv 11 [1884] s. 164 — 171), die
durch Vilh. Thomsens bahnbrechendes werk über die gründung des
russischen reiches veranlasst waren, und seine erklärung der männUchen
namen auf -pjö fr [= ags.^eo?^'] in den oben bereits besprochenen Bidrag
(Arkiv VI), Avorin er wider seine blicke nach westen richtet und in
jenen namen 'sprechende zeugen für die Verbindung der Nordleute mit
dem Westen' findet.
Die achtziger jähre hindurch und bis an seinen tod setzte Bugge
auch seine runologischen Studien fort. Eine reihe von monographien
über einzelne urnordische Inschriften wurde durch neue runenfunde
in Norwegen und Schweden veranlasste Die hauptarbeit aus dieser
zeit ist jedoch seine grosse ausgäbe: Norges indskrifter med de celdre
runer ^ von der 1891 das erste heft ausgegeben und 1903 der erste
band (458 selten) abgeschlossen wurde. Als herausgeber von runen-
inschrif'ten war Bugge von äusserster gewissenhaftigkeit. Immer und
immer wider kehrte er zu den originalen zurück und lebte sich, so zu
sagen, in jeden runenstrich und jede ritze hinein, sodass seine beschrei-
bungen der Inschriften mustergiltig zu nennen sind. Einen treuen
helfer hatte er bei dieser beschäftigung mit den norwegischen runen-
inschriften in Oluf Rygh, dessen name auch auf diesem gebiete mit
dem Bugges unzertrennlich verbunden ist. — In dieser ausgäbe hat
Bugge die ergebnisse lebenslänglichen eingehenden Studiums der ur-
nordischen Inschriften niedergelegt. Sämtliche norwegischen Inschriften
mit den älteren ranen (gegen 50) sind hier ausführlich beschrieben und
erklärt, und an die deutungen knüpfen sich oft lange erörterungen epi-
graphischen, sprachliclien, mythologischen und ethnologischen Inhalts.
Mitunter sind ganze lange abhandlungen eingeschoben. So be-
handelte er in einem excurse den lautwert der rune \ und bekam da-
durch gelegenheit, auch altdeutsche und angelsächsische runeninschriften
1) liunestenen fra Strand i Ryfylke (Äarb. 1884 s. 81 — 96); Runestenen fra
Opedal i Ilardanger (Arkiv VIII [1891] s. 1 — 33); Fi/rnnga-indskriften I— III {ehda.
XIII [1897] s. 317 — 359; XV [1898] s. 142 — 151; XXII [1905J s. 1 — 23); Runeind-
skriften paa en gtddmedaljnn ftinden i Svarteborgs sogn, Bofmslen (Svenska forn-
minnesföreuingens üdskr. XI [1900J s. 109 — 113); En nyfunnen gotlandsk runesten
(ebda. s. 114— 124); Flistad - indskriften (Arkiv XVIII [1901J s. 1— 16).
SOPHUS BTJÖOF. 157
eingehend zu behandeln, deren erkliirung er durch zahlreiche scharf-
sinnige und oft schlagende beraerkungen förderte. In einem anderen
excurse suchte er mit glück vermittelst des wortvorrats des gotlän-
dischen dialekts den nachweis zu führen, dass Gotland in vorhistorischer
zeit eine gotische bevölkerung gehabt habe.
Leider war es Bugge nicht vergönnt, seine runenausgabe ab-
geschlossen zu sehen, obwol er in den letzten jähren oft lange zeit
ausschliesslich mit dieser arbeit sich beschäftigte. Das erste heft des
2. bandes erschien 1906; hier teilte er teils einzelne neue Inschriften
mit, teils gab er zahlreiche 'nachtrage und berichtigungen' zu den früher
herausgegebenen. Über den einleituugsband zu dei runenausgabe: Eime-
shiftens oprindelse og celdßte historie, von dem er nur das 1. heft
vollenden konnte, wird im folgenden noch zu handeln sein.
Über seine ersten beitrage zur deutung der urnordischen runen-
inschriften (1867) schrieb Bugge im folgenden jähre (Tidskr. f. philol.
VIII, 853) in einer antwort auf E. Jessens kritik: 'Ich räiime bereit-
willig ein, dass ich in meinem versuche nicht immer vorsichtig genug
gewesen bin, dass ich nicht genügend hervorgehoben habe, was be-
wiesen und was nicht bewiesen ist (und dies wird wol leider in der
Zukunft nicht besser werden, denn es passiert mir oft, wenn ich mich
mit unsicheren Vermutungen hervorwage, dass ich es versäume, diese
deutlich als solche zu bezeichnen).' Es wurde tatsächlich, um Bugges
werte zu widerholen, 'in der zukunft nicht besser'. Ausser vielen
sicheren resultaten, die für immer unverrückbar stehn bleiben werden,
enthalten Bugges runologische arbeiten zahlreiche lockere hypothesen
und einfalle, die er häufig durch neue und wider neue ersetzt. Dies
konnte aber nicht anders sein auf einem gebiete, auf dem das vorhan-
dene material so überaus dürftig ist, wenn man, wie Bugge, nach dem
oft von ihm geäusserten grundsatze handelte: 'Eine methodisch durch-
dachte deutung ist besser als gar keine.' Bugges fachgenossen werden
ihm sicherlich sämtlich für die vielen Impulse dankbar sein, die er auch
durch seine gewagtesten Vermutungen ausgestreut hat.
Auch eine menge von Inschriften mit den jüngeren runon hat
Bugge in den letzten 30 jähren untersucht und gedeutet. II her die In-
schrift auf dem marmorlöwen vom Piraeus, der jetzt vor dem arsenal
in Venedig steht, schrieb er, wie erwähnt, 1.S75 eine kurze noti/,, in
der er nachwies, dass diese Inschrift, die frühere forscher mit dem
norwegischen wäringerhäuptling und späteren könige Haraldr SigurAarson
in beziehung gesetzt hatten, von einem Schweden, wahrscheinlich aus
üpplami, um die mitte des 1 I. jalirluinderts eingeliauon ist. IM»? war
158 OLSEN
Bugge selbst in Venedig und untersuchte die inschrift auf dem löwen,
und nach seiner rückkehr hielt er einen vortragt darüber, worin er
mitteilen konnte, dass es ihm geglückt sei, sie in allem wesentlichen
zu deuten. Ändere schwedische denkmäler behandelte er in der grossen
arbeit über die metrischen runeuinschriften Schwedens: B/mi^erser (An-
tiqvar. tidskr. för Sverige X, 1 [1891], 442 s.), die er zusammen mit
Erik Brate herausgab. Ferner sind hier zu nennen die abhandlungen:
Brousspänne med riuiinshrift funnet viel Skahersjn i. SMine (Svenska
fornminnesfören. tidskr. X [1897] s. 17- 29), in gemeinschaft mit
B. Salin herausgegeben; Runeindshrift paa en stol frei Lillhärdal (ebda.
s. 30 — 37); Ölands runemdskrifter (Aarb. 1900 s. 1 — 15) und Bc-
mmyLni)iger Hl det gammel-norfike runedigt (Smästykker udg. af Sam-
fund til udgivelse af gammel nord. lit. nr. 4 [Kbhvn 1885] s. 103 — US).'-'
Es war von der norwegischen commission zur herausgäbe der
Instorischen quellen (Ben norske historiske kildeskriftkommis.noii), auf
deren kosten auch Norges indskrifter med de reldre i'tmer herausgegeben
werden, geplant, dass Bugge im verein mit 0. Rygh auch die Veröffent-
lichung einer 2. serie von Norges indskrifter (Anden afdeUng: Norges
indskrifter med de yngre runer) besorgen solle, und wichtige vorarbeiten
für diese ausgäbe waren von den beiden männern bereits ausgeführt.
Im runeuarchiv der archäologischen Sammlung der Universität hat Bugge
deutungen von einer grossen anzahl unserer jüngeren runeninschriften
niedergelegt, die für den künftigen herausgeber dieser Inschriften von
grossem nutzen sein werden. Bugge selber erlebte jedoch nur das er-
scheinen von zwei dieser inschriften. 1902 kam das 1. heft der 2. serie
heraus, in welchem er eine nur in abschritt erhaltene inschrift behan-
delte: Höne)i-rnnerne fra Ringerike (mit französischem resume), die
nach Bugge von einem norwegischen zuge nach Vinland (Nordamerika)
im anfange des 11. Jahrhunderts bericlitet, und 1906 das 2. heft: Ru-
nerne paa en sölvring fra Senjen. Schon vorher hatte Bugge (im verein
mit K. Kygh) eine weitere inschrift herausgegeben: Et henstykke med
runeskrift fandet i Trondhjem (Det Kongl. norske vidensk. selsk. skrifter
1901 nr. 4).
Mit Vorliebe behandelte Bugge runeninschriften, aus deren Inhalt
oder Schrift historische Schlussfolgerungen zu gewinnen waren. Die
1) Piranos-löven i Venedig og dens indskrifter (Populaer-videnskabelige fore-
drag s. 98 — 109).
2) In einem briefe an die Berliner gesellschaft für anthropologie (Veihandl.
1899 s. 80— 81: Germanen auf Kreta) hat Bugge die unochtheit finor auf Kreta ge-
fundenen runeninschrift bewiesen.
SOPHUS BTTOGE 159
Honen -j-unen interebsicrteii ihn daher in hohem grade, weil sie nach
seiner meinung die entdeekung von Nordamerika durch die Norweger
bezeugten. Aber auch der Charakter der schrift, die auf diesem denkmal
benutzt Avar, w^ar von historischer bedeutung, da es derselbe schrift-
typus ist, der auch auf dem Rökstein sicli findet. Dieser schrifttypus
hatte sich nach Bugge in der wikingerzeit von den südschwedischen
landschaften an der Ostsee nach westen ausgebreitet. Nicht bloss in
Norwegen, sondern auch auf der insel Man findet man inschriften mit
einem nahe verwandten typus, und diese wurden von Bugge in einem
besonderen ai'tikel behandelt: Nonlishe runcindsirifter oy hilleder paa
mindesincerker paa ocii Man (Aarb. 1899 s. 229 — 2()2). Die denk-
mäler von Man (zum andenken an verstorbene errichtete steinkreuze)
interessierten Bugge auch durch ihre bildlichen darstellungen, in denen
er belege für den götterglauben der Nordleute in der wikingerzeit fand,
und die genannte abhandlung wird daher, ebenso wie Eii olddcmsk
runeoptegnelse i England (ebda. s. 263 — 272), wo er bekanntschaft mit
dem Inhalt der prytnskvipa bei den Dänen in England nachweisen will,
ein wichtiges glied in Bugges forschungen über den Ursprung des nor-
dischen geisteslebens und über die culturströmungen in der wikingerzeit.
Wir haben jetzt (wenn wir die besprechung von Bugges Studien
über den Ursprung der runenschrift und über eine einzelne kleine schrift
über nordische mythologie vorläufig noch aussetzen) nur noch über eine
anzahl zerstreuter arbeiten germanistischen und sprachwissenschaftlichen
Inhalts zu berichten. An erster stelle sind hier seine Studien übei' die
Volkslieder zu erwähnen, die hauptsächlich den neunziger jähren an-
gehören, nachdem er auf diesem gebiete in seinem jüngeren collegen,
Professor Moltke Moe, einen würdigen mitarboiter gefunden hatte.'
Ferner seine Beowulfstudien-, «ein aufsatz mythisch -sagengeschicht-
lichen inhalts" und seine Bemcerkninger Hl Ostnordiska och laHiiska
1) Bidrarf til den nordiske balladeddgtiiings historic. J. Marsk ^ti[i- II- Holn-
pirnes (Det phii.-lii.st. samfunds niindeskiift. Kjöbeuliavn 1879, s. 64 — 93); llurprnn
kraft (Arkiv VII [1890] s. 97 — 141; forfattet imder medvirkniiig af Moltke Moo);
Kungssu7ien av Korigsland. Eti folkevise fra Telei/iarken ved S. B. og Moltkr Moe
(Norge U, Kia. 1895, s. 197 — 212); Den danske v/sc om Qralver kongcns sön i
Sit forhold til Wolfdietrich- sagnet (Arkiv XII [1895] s. 1 — 30>; Torsiuscn i sin
norskc form udgiret . . . af S.B. og iV/oZ/Ä-e 3/oe (Festskrift til hs. maj. kong Oscar II.
ved legjerings-jubilaet deu 18. Sept. 1897. II. D. 5. Kra. 1897. 124 .s.).
2) Studien über das J5eo<fM//epo.s (Beitr. XII [1886 — 87| s. 1 — 112, :^<)0 — 75);
Sagnet om röveren ved f/rdsien og en episodr i det ungdsnksiskv digl oin Bemnilf
(Dania I [1891] .s. 233 — 36).
3) Mijthiske sagn ovi llalixUoi Srarte og Harald Ifaarfagrc (Arkiv XVI [1899J
s. 1—37).
160 OLSEN'
medeltids - ordsjmlk (Arkiv X [3894] s. 82 — 114). Endlich die nekro-
loge auf C. R. Unger (ebda. XV [lS9cS] s. 94 — 99 und Gustav Storni
(ebda. XIX [1903] s. 377 — 384).
Erst als Bugge nach der ausgäbe der 2 ersten hefte seiner Studie?' die
bände einigerinassen frei bekommen hatte (1881 — 82), konnte er sich
wider "ernstlich einem gebiete zuwenden, das schon lange sein interesse
in anspruch genommen hatte, der rätselhaften etruskischen spräche,
auf die in der mitte der siebziger jähre Corssen die aufmerksamkeit
gelenkt hatte. Der etruskischen spräche hat Bugge viel von seiner zeit
und kraft gewidmet^ — allzu viel, meint sein College und mitarbeiter
auf diesem felde, professor A. Torp; denn die etruskischen Inschriften
haben seinem Scharfsinne getrotzt, wie sie dem seiner Vorgänger ge-
trotzt haben. Im gegensatze zu der verbreitetsten auffassung hat Bugge
fortwährend — unter wechselnden gesichtspunkten — an dem indo-
germanischen Charakter der spräche festgehalten. Zuerst nahm er an,
dass sie mit den italischen sprachen oder mit diesen und dem griechi-
schen am nächsten verwandt sei, und von diesem Standpunkte aus gibt
er in seinen Beiträgen zur erforschung der etrusldschen spräche I — III
eine menge von Worterklärungen und inschriftdeutungen. Diese alle
musste er gänzlich aufgeben, als er später zu der meinung kam, dass
die spräche dem armenischen nahe stehe. In dem aufsatze Etrusldsrh
und armenisch deutet er eine ganze menge von etruskischen Wörtern
und grammatischen formen durch vergleich ung mit dieser spräche. Seine
Zusammenstellungen sind oft bestechend, aber man muss beachten , dass
die bedeutung der etruskischen Wörter oft gänzlich unbekannt und von
Bugge nur aus dem zusammenhange erschlossen ist. Überdies hat Bugge
liein äuge dafür gehabt, dass die ähnlichkeit, die er herausbekommt,
allzu gross ist. Wäre sie wirklich, was einzelne Wörter anbetrifft, so
unverkennbar, so wäre es unmöglich, dass die masse der Wörter uns
völlig unverständlich bliebe. Die spräche könnte dann nicht so un-
durchsichtig sein, wie sie es tatsächlich ist. Bei dieser meinung ist
jedoch Bugge bis an seinen tod stehen geblieben 2. In den letzten
1) Beiträge zur erforschung der etruskischen spräche I. (Etruskische forschungen
h. 4, Stuttgart 1883), //— /ü (Bezzenbergers beitrage X, XI 1885 — 86); Der Ur-
sprung der Etrtiskcr durch xivei lemnische inschriften erläutert (Clira. Vid-Selsk.
forhandl. 1886. No. 6); Etruskisch und armenisch. Sprachvergleichende forschungen.
1. reihe (Universitäts-programm. Chra. 1890).
2) A. Torp in seiner gedächtnisrede auf Bugge in der Gesellsch. der wisseuscli.
zu Christiania, abgedruckt in Morgenbladet (Christ.) 12. oct. 1907 nr. 580.
SOPHÜS BÜGÖE 161
Jahren beschäftigte Bugge sich viel mit etruskisch und den sprachen,
die er damit in Verbindung brachte: armenisch \ lykisch, hetitisch (der
spräche der landschaft Arzawa-') und der vorhistorischen spräche Griechen-
lands Cpehisgisch"). Diese sprachen hielt Bugge für eine besondere
gruppe der indogermanischen familie, die er die 'anatolische' nannte.
Im frühjahr 1902 wurde Bugges Sehvermögen so sehr geschwächt,
ilass er auf ärztlichen befehl weder lesen noch schreiben durfte. Dies
war für ihn ein harter schlag. Wenn er in dieser zeit an seine wissen-
schaftliche arbeit dachte, war er, wie er selbst äusserte, darüber am
meisten betrübt, dass es ihm schwer fallen würde ein werk zum ab-
schluss zu bringen, das ihn viele jähre hindurch stark in anspruch ge-
nommen hatte: die sprachlichen Verhältnisse in Kleinasien und dem
vorhistorischen Griechenland.
Schon 1892 hatte Bugge in der Gesellschaft der Wissenschaften
zu Christiania einen vertrag gehalten: (hn sproc/lifj sammenhceng ynellem
navne, der kjendes fra Troja , og armenisk'^. Am Schlüsse der neunziger
jähre begann er die sprachlichen Verhältnisse in Kleinasien zu unter-
suchen, nachdem Paul Kretsch.mer 189t) seine 'Einleitung in die
geschichte der griechischen spräche' herausgegeben hatte. Dieses buch
gab den eigentlichen anlass zu Bugges Lyl.isclien studien. I. II (Vidensk.
selsk. skrifter 1S97, 11 nr. 7 und 1901, II nr. 4)^. Kretschmer hatte
zu beweisen versucht, teils dass die alten kleinasiatischen sprachen mit
einander verwandt waren, teils dass die hauptmasse derselben von den
sprachen der Pluyger und Bithynier gänzlich verschieden und nicht
indogermanisch waren. 'Nach meiner ansieht', äussert Bugge, 'hat er
das erstere durch eine sorgfältige und lehrreiche erörterung erwiesen,
das letztere dagegen nicht. Nach meiner ansieht . . . waren die ge-
nannten kleinasiatischen sprachen sämtlich indogermanisch und standen
dem armenischen näher als irgend einer anderen in ausführlichen denk-
mälern erhaltenen indogermanischen spräche.' Der hervorragende und
1) Beiträge xur etymologischen erläuteruny der armenischen spräche (Cliia.
Vid. -selsk. forhaudl. 1889, Nr. 4); zwei aufsätze mit gleichem titel in Kuhns Zeit-
schrift XXXII [1891J og ludogerin. forsch. 1 (1892); Armen, inagil (Zeitschrift für
armenische philoIogie F, 1902).
2) Vgl. B.s Bemerkungen zu den Arxawa-briefen {Die xicei Arxan-a-briefc.
Die ältesten Urkunden in indogermanischer spräche von J. A. Knudtxon. Mit lir-
nierlmngen von Sophus Bugge und Alf Torp, Leipzig 1902, s. 57— 107).
■M Vidensk. selsk. forliandi. 1892 s. 2:;.
4) Seine übrigen aibeiton über lykisch .sind: Znr Xanthos-stele { Festschrift
für Otto Benndorf, Wien 1898l und: Einige xahliriirter im linkischen (Indogenn.
forschungen X [1899]).
ZKITSCHHIKT K. ÜEUTSCHK PHILOI.UOIK. HD. XI. 11
i 62 OLSEN
vielseitige dänische Sprachforscher Holger Pedersen hat sich im
wesentlichen au Bugge angeschlossen, und auch in Deutschland scheint
jetzt Bugges raeinung durchzudringen, dass das lykische eine indo-
germanische spräche ist.
Charakteristisch für Bugges 'anatolische' Studien ist der kleine
aufsatz über Olympos , der in der festschrift für Kern (Album -Kern
[Leiden 1903] s. 105 — 107) gedruckt ist. Er sucht hier su beweisen,
dass der bergname Olympos, der auch in appellativischer Verwendung
vorzukommen scheint, ein nicht- griechisches ('anatolisches') wort mit
der bedeutung 'bergrücken' ist, nahe verwandt mit armen, oln, ^X.olunklf
'rückgrat, rücken'. 'Der hier behandelte name', so schliesst Bugge
seinen aufsatz, 'bildet ein einzelnes glied einer langen reihe von griechi-
schen orts- und personennamen, aus denen ich folgere, dass in Griechen-
land einst kleinasiatische stamme wohnten, die anatolische, mit dem
armenischen verwandte sprachen oder dialekte redeten und auf die
cultur der Griechen einen durchgreifenden einfluss übten'. Ein ganzes
jähr (1905 — 06) war Bugge kurz vor seinem tode fast ausschliesslich
mit sprachlichen Studien über den Ursprung der antiken cultur be-
schäftigt. Hierbei hatte er an professor A. Torp eine unentbehrliche
stütze. Hoffentlich wird noch verschiedenes von seinen 'anatolischen'
Studien herausgegeben werden können. Leider hat er sein grosses werk:
ünyriechische elemenie im grieckischen nicht mehr vollenden können,
in dem er 'zahlreiche spuren von der spräche und cultur dieser Völker
in griechischen orts- und personennamen, mythen und mythischen
namen, bezeichnungen von gerätschaften, pflanzen usw. nachzuweisen
suchte, ein werk, das vielleicht in vielen einzelheiten fehlgreift, so
glänzend und scharfsinnig die Vermutungen oft auch sind, das aber
jedesfalls, wenn es jetzt nach seinem tode herauskommt, ausserordent-
lich anregend wirken und viele neue ausblicke eröffnen wird' (A. Torp).
Während seiner armenischen Studien war Bugge auch darauf auf-
merksam geworden, dass mehrere Wörter in der gotischen bibelüber-
setzung, die in den übrigen germanischen sprachen keine entsprechungen
finden und bisher noch nicht in befriedigender weise etymologisch er-
klärt waren, sich als lehnworte aus dem armenischen deuten Hessen.
ITber diese Wörter handelte er in der interessanten abhandlang: tJher
den ein/lufis der armcHischen spräche auf die gotische {Indogermanische
forschungen V [1895] s. 168—179. 274).
Ungefähr gleichzeitig entdeckte Bugge, dass die namen derrunen
liäufig in auffallender weise mit den armenischen (und georgischen) buch-
stabennamen übereinstimmten. Dies führte zu einer durchcrreifenden
SOPHÜS BrOGE 163
iindening seiner anschauimgen über den u r s p r u ii g d e ]• r u n e n -
Schrift.
In dem vorti'age, den er über diese frage 187H in der Gesellschaft
der Wissenschaften zu Christiania hielt, hatte er die folgende meinung
geltend gemacht: 'Die riinen scheinen ein schriftsystem zu sein, das
im ersten vorchristlichen jaiirhundert bei einem südgermanischen stamme
nach der form der römischen schrift gebildet wurde, welche die Germanen
von einem der keltischen stamme, die am nordfusse der Alpen w^ohnten,
übernommen haben'. Aber 'es wird noch lange zeit vergehen', so
endete Bugges kurzes referat. 'ehe ich meine meinung über den Ur-
sprung und die älteste geschichte der runen begründen und näher ent-
wickeln kann ... da meine Untersuchungen von einem abschlusse noch
sehr weit entfernt sind'.
Später wurde die frage nach dem Ursprung der runenschrift metho-
disch und mit grosser gründlichkeit von Wimmer behandelt (Aarb. 1-874;
in neuer bearbeitung unter dem titel: 'Die runenschrift' Berlin 1S87).
Wimmer nahm Bugges gedanken, dass die Kelten bei der aufnähme
der römischen schrift durcii die Germanen die vermittler gewesen seien,
wider auf, aber er setzte die entstehung der runenschrift in eine etwas
spätere zeit und betrachtete das lateinische aiphabet als die einzige (juelle
der runenschrift.
Durch diese auffassung Wimmers, die als 'abschliessend' bezeichnet
wurde, fand sich Bugge nicht befriedigt. Aus einer 1898 geschriebenen
bemerkung in Norges in<lskrifter (I, 143) sehen wir, dass er zu der er-
kenntnis gelangt war, dass die runenschrift in ihrer ältesten form bei
einem gotischen stamme ausgebildet wurde. Er entwickelte dann
seine ansichten ausführlicher in einem aufsehen erregenden vortrage auf
der 5. nordischen philologenversammlung in Christiania (189S): 'Das
erste germanische volk, das die runen anwendete, waren die Goten im
südöstlichen Europa. Von ihnen kam die runenschrift zu den Nord-
leuten und unabhängig davon auf anderem wege zu den westgermani-
schen Völkern auf dem festlande, von diesen endlich auch zu den Angel-
sachsen. Der Gote, der den runen ihre namen gab, hatte griechische
buchstabennamen gekannt, die ihm ein keltisch redender mann mit-
geteilt hatte; denn der name der 6-rune, herciia, ist eine iibensetzung
des griechischen namens betn, die dadurch veranla.sst wurde, dass ein
mit betn wesentlich gleichlautendes wort in den keltischen sprachen die
bedeutung 'birke' hatte. Die runenschrift stammt z. t. von den lateini-
schen, z. t. von den griechischen buchstaben. Sie kam bei den (ioten
bald nach ihrem zuge nach Kleinasien im Jahn- LMiT in gehraucli;
11'
1 64 OLSKN
gotische runennamen scheinen nämlich umdeutungen fremder buch-
stal;)ennamen 7ai sein, welche die Goten durch christliche Galater und
armenische gefangene, die sie auf ihrem kleinasiatischen zuge gefangen
genommen hatten, kennen lernten.
Ein kurzes referat über diese ansichten hat Bugge in dem Vor-
worte-zu Otto von Friesens schritt: (hii rimskriftens hürk())i/st (üp-
sala 1-904) mitgeteilt, in der ebenfalls mit schwerwiegenden gründen
die meinung verfochten wird, dass die runen teilweise auf griechische,
teilweise auf lateinische buchstaben zurückzuführen sind. 0. v. Friesen
kam — was die detailfragen betrifft unabhängig — zu wesentlich den-
selben resultaten, die Bugge in seinem vortrage mitgeteilt hatte. Ein
besonderer Vorzug der schritt von Friesens ist sein offener blick für die
.historischen Verhältnisse in den ersten Jahrhunderten n. Chr.; er stützt
sich übrigens im wesentlichen auf Bernhard Salins forschungen in
seinem bekannten buche über die tier- Ornamentik, durch die wir eine
culturströmung kennen lernen, die sich — nach der Chronologie der
schwedischen archäologen — von etwa 150 — 350 n. Chr. von den land-
schaften am Schwarzen meere in nordwestlicher richtung nach den
gebieten an der Ostsee und den skandinavischen hindern bewegte.
Seine auffassung über die entstehung der runenschrift begann Bugge
1905 in einer schritt: Runesk7'iftens oprindelscog fBldste historie z\x Qn\-
wickeln, die die einleitung zu seiner ausgäbe der norwegischen Inschriften
mit den älteren runen bilden soll. Erst das erste heft (das im wesent-
lichen nur allgemeine bemerkungen und eine Untersuchung über die
ältesten, gotischen formen der runennamen enthält) war, als der tod ihn
abrief, ausgegeben. Es ist jedoch zu hoffen, dass die arbeit in nicht
zu ferner zeit auf grund von Bugges aufzeichnungen zum abschluss ge-
bracht werden kann. Wie aus dem titel ersichtlich ist, war es Bugges
absieht, auch die älteste geschichte der runenschrift zu schreiben, in
der die Wanderungen der Eruier bei ihm eine grosse rolle spielen.
Als eine Vorarbeit hierzu darf die neue Untersuchung der runeninschriften
auf goldenen bracteaten betrachtet werden, die er 1906 veröffentlichte:
Bidrag til tolkning af danske og tüdcls sveiiske indskrifter med den
Irmgere rcekkes rnner, navnlig 2)aa giddbracteater {A'dYhA905 s.l41 — 328).
Auch hier finden sich, wie immer in Bugges arbeiten, viele glänzende
einzelheiten zur deutung der Inschriften. Wenn er jedoch hier einen
verständlichen sinn in vielen inschriften findet, die er in seiner ersten
abhandlung über die bracteaten (1871) für sinnlos erklärt hatte, so ist
er freilich weiter gegangen, als dass die meisten fachgenossen ihm
folgen könnten, und die meinung über die biacteat- inschriften, die er
SOPHÜS Bt'GGE 165
1871 aussprach, dürfte noch in allem Avesentlichen bei den gelehrten
lue herrschende sein.
Die Studien über den Ursprung der runenschrit't bekamen ferner
in (i6n späteren jähren auch bcdeutung für Bugges auffassung der
norrönen mythologie. In der hauptsache hielt er bis an seinen tod
an den theorien fest, die er in den Studier verfochten hatte. Aber sein
blick war jetzt auch für die Verbindungen geöffnet worden, die seit
den ältesten zeiteu zwischen den Mittelmeerländcrn und Nordeuropn
bestanden haben. In der kleinen schritt: Fricco, J^rigg und FrlapOf<
(Christ, vidensk. selsk. forhandl. 1904 nr. 3) suchte er zu beweisen, dass
der phallische Freyscultus in vorhistorischer zeit von der vorgriechischen
Verehrung dos Priapos ausgegangen war. In seinen Vorlesungen be-
tonte er in den letzten jähren, dass sagen und mythen, die wir aus
der norrönen dichtung kennen, in der zeit der Völkerwanderung von
den südlichen germanischen Völkern übernommen sein könnten^ wie
früher Eugen iMogk nannte auch er die Eruier als die. möglichen
vormittler.
Mitten aus seiner i-astlosen arbeit heraus wurde Bugge abgerufen,
während zahlreiche neue fragen sich ihm aufdrängten. Es ist tief zu
beklagen, dass ihm nicht mehr vergönnt ward, die neuen gedanken zu
gestalten, die in ihm gärten, besonders die Vermutungen über cultur-
einwirkungen von siiden her in den zelten der Völkerwanderung und
noch fridieren perioden. Wir hätten von ihm arbeiten erwarten dürfen,
lue nicht weniger bedeutungsvoll gewurden wären als seine mythologi-
schen Studien am anfange der achtziger jähre. Gerne hätten wir ihn
auch selber teilnehmen sehen an der sonderung des heimischen erbes
und der fremden sagen- und mythenstoffe, die zu verschiedener zeit
von Süden und von westen her^ zum Norden gelangt sind.
Bugges wissenschaftliche tätigkeit umspannt die lange zeit von
.">.j jähren. Wir haben sein productives schatten im einzelnen kennen ge-
lernt und dabei sowol den entwicklungsgang seiner Studien angedeutet
wie aucii die hervorragende bedeutung seiner forschungen gewürdigt.
Hervorzuheben sind besonders seine Eddaausgabe, die deutung der ur-
iu:)rdischen runeninsch ritten und seine mythologischen Stmlicr; vielleicht
wird einmal das urteil der nachweit auch seinen ,anatolischeir forschungen
denselben platz in der ersten reihe anweisen.
Im hinblick auf die lange reihe von abhandlungen und büchern,
<lio Bugge liinterliess, wird man iiiiwillkinlich fragen: Ceht 6in leitonih-r
166 OLSEN
gedanke, ein alles beherrschendes streben durch sie alle hindurch oder
ist es nur der name des Verfassers, der sie verbindet?
Es kann nicht geleugnet werden, dass verschiedenes in Bugges
forschungen gänzlich isoliert dasteht. Nicht wenige von seinen arbeiten
sind nur dadurch veranlasst, dass ein rätselvoller stoff, auf den er auf-
merksam geworden war, ihn anlockte. Wir müssen uns hierbei jedoch
daran- erinnern, dass es für Bugge so zu sagen eine naturnotwendig-
keit war, häufig die objecte seiner forschung zu wechseln, was sein
glänzendes gedächtnis ihm gestattete. Er liebte es, gleichzeitig mehrere
eisen im feuer zu haben, und in seinen letzten jähren, als sein Seh-
vermögen geschwächt war und er nicht mehr lesen und nur mit grosser
mühe schreiben konnte, beklagte er es schmerzlich, dass er dazu nicht
mehr im stände war.
Und doch kann kein zweifei darüber bestehen, dass Bugge bei
der mehrzahl seiner arbeiten — mehr oder minder bewusst — einem
leitenden gedanken folgte und sich zu einer gesamtanschauung von der
geschichte der geistigen erzeugnisse der menschheit emporzuringen suchte.
Detailfragen interessierten Bugge an und für sich wenig. Er betrachtete
sie stets als glieder eines grösseren ganzen. Aus metrischen einzel-
heiten zog er z. b. Schlüsse über das alter der Eddalieder; ein name
konnte ein Streiflicht über ganze Jahrhunderte werfen; die wechselnden
formen einer rune konnten ihn in stand setzen, den fahrten der wikinger
von land zu land zu folgen. Das centrale in Bugges wissenschaftlicher
begabung war seine dichterische phantasie. Diese machte sich im laufe
der jähre immer mehr geltend; sie konnte ihn auf abwege führen, aber
er verlor doch selten den boden unter den füssen. Denn Bugge war
zugleich im besitze einer sicher fundierten gelehrsamkeit, eines scharfen
kritischen blickes und einer methodischen begabung, die mehr ange-
boren als durch ausbildung entwickelt war; die unruhe und leichte
bewegliehkeit seiner gedanken verschafften ihm einen reichtum von
erklärungsmöglichkeiten, unter denen er wählen konnte; dazu kam dann
seine merkwürdige fähigkeit, den springenden punkt in einer frage zu
erfassen, und endlich die treffsicherheit in der combination, die dem
genie eigentümlich ist.
Bugge liebte es, sich von einer frage in die andere zu stürzen,
die anscheinend mit der ersten gar nicht in Verbindung stand. Aber
für ihn, auf den fragen aus den entferntesten gebieten, die sein wissen
beherrschte, einstürmten, und dem eine phantasievolle combinationsgabe
überall wege und ähnlichkeiten offenbarte, war das etwas anderes.
1896 formte er in den Schlussworten seines buches über die Helgi-
SOPHüS BX-GGE 167
lieder seine gesamtanschauuDg von der ältebten geschiclite seines Vater-
landes in die geistvollen siitze und fragen:
'Ich möchte die nordischen colonien auf den brittischen inseln
das Äolien des Nordens nennen.
Island war das lonien des Nordens. Dort wurde der Herodot
des Nordens geboren.
Ein Attika hat das nordische altertuni nie besessen.
Warum wurde Norwegen nicht das Attika des Nordens'? Etwa
deswegen nicht, weil der Norden nicht seine Perserkriege hatte?'
Es ist kein zufall, dass sein nächstes grösseres werk (1897) die
LA^ki sehen Studien waren, die an die anfange der europäischen cultur
streiften.
Die entstehung der cultur der wikingorzeit und der Ursprung der
antiken cultur waren für Bugge parallele fragen, die sich gegenseitig er-
hellten. Die grossen Umschwungsperioden in der geschichte der Völker war
dasjenige, was ihn fesselte. Er war nicht blind für das ruhige, lang-
same Wachstum der culturkeime in dem heimischen erdboden — seine
Jugend fiel ja in die romantische periode der vergleichenden sprach -
und mythenforschung — und sich hierin zu vertiefen, übte sicherlich
zu Zeiten auf ßugges stimmungsvolles gemüt anziehungskraft genug.
Aber erst dann war er ganz er selbst, wenn er die zeiten im leben
der Völker, in dem reichsten leben seines eigenen volkes mit durch-
leben durfte, in denen die culturströmung breit und mächtig von Strand
zu Strand sich wälzte. Dann wird er tief von seinem gegenstände
ergriffen und der dichter und der forscher sind in ihm untrennbar ver-
bunden. Von kleinen detailfragen, die ein altes gedieht hervorruft,
erhebt er sich zu weiten ausblicken über die Verhältnisse des geistigen
lebens im Norden: 'Das bild, mit dem das lied von VQlundr beginnt,
weist uns in ein land, in dem eines tages von süden her nach stürm
und wogendrang plötzlich und überraschend der sommer bei dem söhne
des nordens einkehrt mit licht und wärme, mit duftendem blumen-
gerank auf grünen wiesen, mit dem brausenden flügelschlag der vogel-
schwärme über den freigewordenen gewässern, mit dem vollen pulsschlage
des lebens. Dies bild an dem eingange zu der halle unserer alten heroi-
schen (liclituug weist rückwärts auf die bedeutung, die die wikingerzeit
für uns hat. Diese zeit war für unser volk der erste grosse frühjahrs-
anbruch'. Und soweit sein wissen sich erstreckte, schufen seine
Phantasie vollen combinationen leben; gestalten dämmerten empor, be-
kamen form und färbe und traten auf den Schauplatz der geschichte. Es
war handlung. spannende handlung in Bugges dramcii.
16S OLSEN,
Weiter und weiter wollte er schauen über die geschicke der völker.
Er arbeitete mit begeisterung, dieser Ttoirizrjg evd^ovöidttov, und keine
mühe war dann für ihn zu gross. Als älterer mann erwarb er sich
noch gründliche kenntnisse in den keltischen sprachen und im armeni-
schen, als seine Studien dies notwendig machten. In den letzten jähren
seines lebens arbeitete er rastlos und beinahe gleichzeitig an der 'Ent-
stehung der runenschrift', der ßök - Inschrift und dem 'anatolischen'
problem. Er war ein gigant in seinem streben, der einen berg auf
den andern türmte, um zu weiten ausblicken zu gelangen. Und er
starb glücklich mitten in seinem streben, in dem festen glauben an
seine Wissenschaft, der er gewissenhaft und selbstvergessen sein leben
geweiht hatte.
"Wir verweilen aber lieber noch bei dem menschen Bugge. Er
war ein wahrhaft edler mensch, von lauterem Charakter, wahr und
offen in all seinem tun, warmherzig und treu, mild gegen andere, aber
strenge in den anforderungen an sich selber. Er war herzlich und
entgegenkommend gegen alle; im umgang mit menschen sah er nur
auf den persönlichen wert des betreffenden. In seiner dankbarkeit
konnte er rührend sein; er erwartete so wenig von anderen, er, der
selber so willig gab und an dem wol und wehe anderer teil nahm.
Bugge war bescheiden und ohne eitelkeit. Er erhielt zahlreiche
auszeichnungen, aber er selbst suchte nicht die ehre. Mehr als einmal
setzte er sein ansehen aufs spiel, indem er kühne hypothesen aufstellte,
von den er wusste, dass sie verfehlt sein konnten, die aber vielleicht
die möglichkeit boten, anderen zu sicheren ergebnissen zu verhelfen.
Als motte auf zwei seiner bücher setzte er Jacob Grimms worte: 'Man
darf mitten unter dem greifen nach der neuen frucht auch den mut
des fehlen s haben'.
Ebenso kühn und angriöslustig wie Bugge in seiner forschung war,
ebenso zurückhaltend und bescheiden war er in seinem äusseren auf-
treten. Er hatte eine scheu davor, sich selbst, wenn auch nur im
engsten kreise, zum mittelpunkte zu machen. Dennoch war er, wo
er sich zeigte, durch die macht seiner starken persönlichkeit und die
würde, die ihn niemals verliess, der häuptling, zu dem alle empor-
schauten.
Öffentlich trat er nicht häuhg auf. Wenn er in einem seltenen
falle es als seine pflicht ansah, das wort zu ergreifen, konnte er mit
dem ganzen gewicht seiner persönlichkeit, mit seiner ganzen warmen
beredsamkeit sich in den kämpf stürzen. Dann konnte seine mahnende
stimme sich bis zum pathos erheben, aber sie konnte auch gedämpft
SOPHUS BUG&F. 169
von einer bescheidenen, scherzhaft ironischen, aber niemals boshaften
laune zeugnis ablegen.
Am besten werden' Bugges zahlreiche schüler — zu denen nicht
wenige Schweden und einzelne Dänen gehören — ihn als forscher und
als mensch in seinen Vorlesungen kennen gelernt haben.
Bugge war ein ausgezeichneter docent. Während seiner langen
Wirksamkeit an der Universität hat er fast alle disciplinen innerhalb
seines eigentlichen faches, der nordischen philologie, behandelt, aber
ausserdem las er noch über gotisch, angelsächsisch (Böowulf), germanische
Sprachgeschichte, Plautus, italische sprachen und sanskrit. Namentlich
ist die erklärung der eddischen gedichte allen seinen zuhörern unver-
gesslich. Mit seiner schönen klangvollen stimme trug er die alten
lieder strophe für strophe vor und knüpfte seine erklärungen daran an,
die ebenso leichtverständlich für den anfänger, wie für die weiter vor-
geschrittenen inhaltreich und anregend waren. Man empfieng den starken
eindruck, dass er selber von der freude an der einfachen Schönheit
der alten litteratur erfüllt Avar und es als ein stilles glück empfand,
über leben und dichten ferner zeiten licht verbreiten zu können. Die
gesiebte, zugleich die eines forschers und eines dichters, die vor
seinem inneren blicke aufstiegen, konnten seinen werten glut verleihen
und in den herzen der zuhörer begeisterung entzünden. Aber sein
warmes herz konnte auch erzittern bei seinen werten, und in solchen
augenblicken lernten die schüler ihren grossen lehrer lieben und hoch-
schätzen. Ks ruhte eine feststimmung über dem hörsaale, wenn Bugge
sprach. Alles kleinliche tagesgezänk musste aus seinen Vorlesungen
verbannt sein. 'Bugge machte die Universität zu einem heiligtum für
ims', schrieb einer seiner schüler nach seinem tode.
Bugge war nicht blind für die begrenztheit seiner begabung und
seine einseitigkeit, und daher ist er auch niemals bestrebt gewesen,
'schule zu machen'. Er freute sich im gcgenteil, wenn seine schüler
ihre eigenen wege gingen, und er ermunterte sie, sich mit dem Stand-
punkt seiner gegner vertraut zu machen. In seinen Vorlesungen hat
er sogar oft mit nachdruck davor gewarnt, auf seine unsicheren Ver-
mutungen zu bauen.
Bugge, dessen blick beständig auf neue fragen und neue aiil-
gaben gerichtet war, fühlte sich immer zu den jungen hingezogen, die
einmal die arbeit aufnehmen sollten, Avenn die reihen der alten sich
lichteten. Er hegte ein warmes Interesse für die jungen, am meisten
vielleicht für die allerjüngsten. Er selber bewahrte seine jugendliche
frische bis ans ende. Sein niemals ruhender und empfänglicher geist
170 OLSEN
nahm eindrücke von allen richtungen auf, auch aus dem lager der
jüngsten. Bezeichnend ist die begeisterung und das Verständnis, das
er Karl Verners berühmter abhandlung entgegenbrachte. Verner
schreibt selbst hierüber in einem briefe an seinen vater von der Kopen-
hagener philologenversammliing des Jahres 1876 ' : „Der tüchtigste Sprach-
forscher hier im Norden ist ein professor Bugge aus Christiania: er
war so entzückt über meine abhandlung, dass er schon am nächsten
tage, nachdem sie nach Christiania gelangt war, an der Universität Vor-
lesungen darüber hielt; hier unten in Kopenhagen äusserte er zu jedem
einzelnen, dass meine entdeckung 'eine beispiellose entdeckung' sei."
Diese werte Verners sind so recht geeignet, Bugge zu charakterisieren,
wie er im kreise der fachgenossen sich bewegt und mit der Unmittel-
barkeit, die ihm eigen war und die aller herzen gewann, über das,
was ihn im augenblicke beschäftigte, sich äusserte, mochten es eigene
funde oder die wissenschaftlichen siege von anderen sein. Er freute
sich innerlich über die forschungen anderer. Alles was er las oder
hörte, nahm er mit eifer auf und schritt kühn vorwärts, wenn andere
stehen bleiben mussten. Niemals hat ihn persönlicher unwille gehindert,
den Standpunkt eines gegners zu verstehen. Er war strenge gegen sich
selbst und konnte scharf und unerbittlich sich selber widerlegen, wenn
er zu richtigerer erkenntnis gelangt war. Sein urteil über andere war
mild; er beschränkte sich gern auf bemerkungen, wie die: 'das ist ein
autor, von dem ich wenig gelernt habe'. Er steht da als ein herr-
liches beispiel, wie ein forscher nicht bloss menschlich, sondern auch
in seiner Wissenschaft sich bereichert und zu grösseren höhen empor-
steigt, wenn er verständnisvoll und nachsichtig gegen andere sich erweist.
Es ist mit recht von Bugge gesagt worden, dass er mit verliebe
solchen problemen und aufgaben sich zuwandte, an denen andere sich
versucht hatten, ohne sie bewältigen zu können. Auf die urnordischen
runeninschriften fiel durch seine forschungen das helle tageslicht, wo
es vor ihm nur gedämmert hatte. Viele von seinen arbeiten, und
darunter einige der wichtigsten, verdanken ihre entstehung geradezu
fremden Impulsen. 1886 wurde seine auffassung der etruskischen frage
wesentlich umgestaltet. Die veranlassung dazu gab ein brief von Vilh.
Thomsen, in dem dieser über die verwandtschaftlichen beziehungen der
etruskischen spräche sich also äusserte: '[Ich bin] keineswegs davon
überzeugt, dass eine nähere Verwandtschaft mit den italischen sprachen
besteht, und würde weit eher an das armenische oder etwas ähnliches
denken'. Hierzu erklärt Bugge selbst: 'Die hier geäusserte Vermutung
1) K. Verner, Afhandliuger og brave s. XLllI.
SOPHUS BUGGE 171
von einer speciellen Verwandtschaft des etruskischen mit dem armeni-
schen wirkte auf mich, als ich dieselbe las, auj^enblicklich ein;
die Wahrheit dieser annähme wurde mir sogleich einleuchtend '^
Ebenso oft aber erfasste ihn plötzlich ein gedanke ohne nach-
weisliche beeinflussung von aussen her. Und war ein gedanke erst er-
weckt, so verfehlte derselbe nicht einen unauslöschlichen eindruck zu
hinterlassen, nn)chte er auch wider und wider als unwahrscheinlich ihn
abweisen. Er tauchte beständig wider auf und veranlasste die ver-
schiedenartigsten combinationen, je nachdem seine arbeit mit den jähren
wechselte und das material, mit dem seine gedanken sich beschäftigten,
sich verschob. Und der gedanke gewann gestalt und färbe, er brannte
sich in seine dichterseele ein, und der stoff, den er in der regel schon
im voraus beherrschte oder den er mit seinem unglaublichen Spürsinn
zusammen brachte, gruppierte sich von selbst. Bugge erzählte, dass er
selber 'in schrecken geriet', als er die einwirkungen der westlichen
culturländer auf die nordische mythologie entdeckte, wodurch sein
nervensystem eine starke afPection erlitt. Stets gieng Biiggc mit be-
geisterung an eine neue arbeit; der silberhaarige greis konnte mit der
optimistischen unerschrockenheit und unerfahrenheit eines Jünglings ein
grosses werk nach dem andern in seinen kühnen planen und gedanken
aufrichten. 'Woran ich auch denken mag, stets finde ich etwas neues',
mit derartigen werten konnte; in solchen augenblicken seine stille freudc
zum ausdruck kommen.
Bugge war ein wirklicher dichter. Im familienkreise und im kreise
seiner freunde konnte er formvollendete, bilderreiche und gedankenvolle
dichtungen schreiben. Er hatte sinn für musik und maierei, und in
seinen jungen tagen hat er fleissig gezeichnet. Sein kunstsinn hat sich
auch in seinem durchsichtigen und doch auch malerischen prosastil
deutlich offenbart.
Bugge war auch nicht bloss der für die Wissenschaft warm inter-
essierte und flei.ssige forscher. Seine Vaterlandsliebe äusserte sich in
der schönsten weise dadurch, dass er dem arbeitenden volke auf allen
gebieten eine innerliche teilnähme entgegenbrachte, und er empfand
eine lebhafte genugtuung darüber, dass er in seinem langen leben gc-
legenheit gehabt hatte, mit leuten aus allen ständen und gesellschafts-
klassen in borühiHing zu kommen. In seinen BnntdoniscritKlriiigcr sagt
er .selbst: 'i^]s kommt mir in meinen alten tagen so vor, als hätte ich
eine genauere und vollkommenere kenntnis unseres volkes, weil ich
in meiner jugend so viele menschen gekannt habe, die antloren lebens-
1) Vorn Verfasser des nekrologs gesperrt.
172 OLSEN\
Stellungen angehörten als die. die die meinige ward". Diese liebe zu
der menschlichen tätigkeit auf allen gebieten, die er in seinem aus-
gedehnten Umgangskreise reichlich nähren konnte, bewahrte er sein
ganzes leben hindurch. Er war sich auch der gefahr bewusst, die
einem kleinen volke dadurch droht, dass die geistige cultur die mate-
rielle in schatten stellt. Als er in seiner rede an die norwegischen
Studenten, die an seinem 70. geburtstage ihm ihre huldigung darbrachten,
ihnen warm ans herz legte, den 'zusammenhält im Norden' zu wahren,
wies er bestimmt darauf hin, wie wünschenswert ein zusammenschluss
der männer des praktischen lebens sei.
Im übrigen trat Bugge, wie schon erwähnt, nicht oft öffentlich
auf; es geschah nur, wenn irgend eine angelegenheit ihn besonders
lebhaft bewegte. So nahm er auch 1899 das wort zu dem norwegischen
sprachstreite, indem er die sprachform (rigsniaalet) verteidigte, in der
das norwegische geistesleben seinen vollendetsten ausdruck gefunden
habe^. An der politik nahm er nicht öffentlich teil, aber er war sich
wol bewusst, dass auch die stille arbeit des fleissigen forschers ein
vermittelndes band zwischen den Völkern sein könne und solle:
'Es ist die grosse aufgäbe des mannes der wissensciuift, die natio-
nalen schranken zu durchbrechen, die Völker einander zu nähern und
dazu beizutragen, dass einmal in der fernen Zukunft, so Gott will, ein
sicherer friedenszustand zwischen den nationen bestehe!
Aber der mann der Wissenschaft muss zugleich seine pflicht, seine
freude und seinen lohn darin finden, nach kräften die entwicklung des
Volkes zu fördern, dem er durch geschlecht und geburt angehört, bei
seinem eigenen volke licht zu verbreiten. Und von keinem gilt dies
mehr als von dem erforscher der nationalen geschichte.'^
Bugges Jugend fiel in eine zeit, als der gedanke an die Zusammen-
gehörigkeit der nordischen Völker lebendig war. Er konnte in seinen
alten tagen aussprechen: 'Ich habe zunächst und vor allem mit dem
gedanken an mein geliebtes Vaterland gearbeitet, aber mit dem bewusst-
sein, dass ich, wenn ich etwas ausrichten könnte, zugleich für den
ganzen Norden arbeitete.' Bei Bugge, dem impulsiven, warmherzigen
manne der tat, setzte sich der skandinavistische gedanke in tätigkeit
um. Er nahm teil an der gründung des Ärhiv for iiordisk fdologi und
gehörte zum redactionscomite dieser Zeitschrift sowol wie zu dem von
Nordisk tidsskrift for ßlologi. Er gehörte auch zu den begründern der
1) Bugges reden: Oni sprogstriden und Oni samhold i Norden smdi ühgeArwGkt
in den Populfcr-videnskabeligc foredray.
2) Popidcer-videnskabelige foredrag s. 134.
SOPHUS BüfiGK 173
nordischen philologenversammlungen. Von diesen her wird man Bugges
gedenken als eines der stärksten glieder, die die philologen des Nordens
zu einer geistigen kette vereinten, und es war nach der aui'liisung der
Union im jähre 1905 nicht minder stark als zuvor.
Bagges tätigkeit war vornehmlichst dem Norden gewidmet, und
auf heimischem boden erreichte er als forscher die höchsten ziele. Die
meisten jähre seines au äusseren begebenheiten armen lebens verbrachte
er in (Jhristiania. Nach dem Studienaufenthalt in Berlin und Kopen-
hagen hatte er den plan auch England zu besuchen, wo sein vater seine
ausbildung empfangen hatte. Es wurde aber nichts daraus, da er bald
ilarauf (1869) sich verheiratete. Seine frau war Karen Sophie Schrei-
ner (eine Schwester des klassischen philologen, rectors E. Schreiner),
die er 10 Jahre überlebte. Nur ein paar kurze reisen haben Bugge über
die grenzen des Nordens hinausgeführt; die längste unternahm er 1897,
wo er Italien besuchte und starke eindrücke von volk und land von
dort heimbrachte.
Bugge besass ein starkes und lebendiges naturgefühl. Aus dem
üden sandte ej- begeisterte, farbenprächtige briefe nach hause. Mit der
natur seines landes war er innig verwachsen. Wenn der frühling kam,
sehnte er sich hinaus nach dem fichtenwalde und der birkenhalde, und
um Johann is pflegte er die hauptstadt zu verlassen und den gebirgsort
(Tönset in ()sterdalen) aufzusuchen, w^o er eine reihe von Jahren hin-
durch seinen Sommeraufenthalt nahm. So auch im letzton sonnuer.
Anscheinend munter und frisch reiste er ende Juni von Christiania ab
und setzte auf dem lande seine arbeit über den Rökstein fort, die er
beinahe zum abschluss brachte. Noch am 29. Juni schrieb er an einen
Jüngeren mitarbeiten 'Beständig erwachen bei mir neue Vermutungen
über ... die Rökinschrift'. Aber in der folgenden nacht ward er von
einem hirnschlage getroffen, der nach verlauf einer woche den tod herbei-
führte. Mit wilden feld- und gebirgsblumen geschmückt langte sein
sarg in Christiania an, wo er auf kosten des Staates beigesetzt wurde
— die höchste ehre, die unser land einem grossen söhne erweisen kann.
Bugges narae wird in seinem vaterlande und überall, wo man die
denkmäler nordischen geisteslebens erforscht, niemals vergessen werden,
seine werke werden noch für lange zeiten ihren einfluss auf nach-
kommende geschlechter ausüben. Wir, die wir ihn kannten und ihm
nahe standen, werden ihm für immer ein treues und dankbares an-
denken bewahren. Füir vrr6n nu
[(fdäir jtfiin Ixln.
CIIKISTIA.NIA. MAO.NliS UlJiJiN.
174
DAS EUNENDENKMAL VON BRITSUM IN FEIESLAND^
Der gegenständ, dessen runen hier behandelt werden sollen, wurde
im tebruar 1906 gefunden und kam im miirz 1900 in das friesische
museum zu Leeuwarden.
Er wurde in der grossen Terp zu Britsum 7 kilometer nördlich
von Leeuwarden, ca. lo fuss tief in der erde gefunden, 'dicht bij den
weg voor de woning van den terpbaas'; ungefähr 50 schritte im nw.
des kirchturms von Britsum. Es ist ein hölzernes Stäbchen, 12,5 cm
lang. Dies Stäbchen ist viereckig wie ein balken, es hat zwei breite
und zwei schmale selten. Auf den beiden breiten selten sind runen
eingeritzt. Von der Inschrift der einen seite (II) fehlt rechts ein stück
itil'
Ia|11ia|
^ir^i^:
(auf welchem vielleicht 3 zeichen gestanden haben) wahrscheinlich da,
wo das holz vom spaten getroffen und zersplittert worden ist. Sonst
ist der gegenständ vollständig erhalten. Die form sämtlicher zeichen
[1) Die vorstehende abhandlung wurde mir in den letzten eigenhändigen zeilen,
die ich von Sophus Bugge erhielt (datiert Tönset. 2. juli 1906) — die grossen un-
gefügen buchstaben verrieten deutlich die traurige abnähme seiner Sehkraft — für die
Zeitschrift augeboten und selbstverständlich mit herzlichem danke augenommen. Sie
ist, wie mir Bugges langjähriger treuer helfer und mitarbeiter, herr universitäts-
stipeudiat Magnus Olsen, mitteilt, gleich nach der auffindung der ßritsumer runen
im frühling 1906 in deutscher spräche niedergeschrieben worden und im herbst des-
selben Jahres noch durch einige abschliessende berichtigungen und nachtrage ergänzt.
Nur ein paar kurze notizen auf losen blättern waren nacli dem tode des Verfassers weiter
auszuführen; sie sind von M. Olsen in eckigen klammorn dem texte eingefügt. Auch
einige verweise (gleichfalls in eckigen klammern) rühren von M. Olsen her. Sonst
sind von ihm in dem manuscripte nur solche — ganz unbedeutende — änderungen
vorgenommen, die sicher dem wünsche des Verfassers entsprochen hätten (so z. b.
s. 182 eine berichtigung von Bugges angaben über die anzahl der striche der haupt-
und nebenstäbe). Meine eigene tätigkeit beschränkte sich auf die — von Bugge selbst
gewünschte — stilistische nachbesserung des deutschen ausdrucks. H. G.j
DAS RUNENDF.NKMAI. VON BRITSÜM TN FRIKSLAND 175
ist vollständig sichei'. Im jähre 1905 wurde auf derselben seite der
Terp ein stück eines schiffes gefunden, das so gross als 'een flinke
friesche praam' war. Dies schift' lag ca. 60 schritte im nw. des kirch-
turms. Nur wenige meter trennen die fundorte beider gegenstände von-
einander; es fehlt aber ein sicherer beweis dafür, dass eine beziehung
zwischen dem schiffe und dem runenstäbchen stattfinde.
Herr dr. jur. P. C. J. A. Boeles, der conservator des Leeuwardener
museums, hat die runeninschrift in der schrift: „De Terp te Britsum
eri de runen-inscriptie (Overgedrukt uit het 'Bulletin van den Neder-
landschen Oadheidkundigen Bond')'' herausgegeben. Vgl. ferner Boeles,
„Een nieuwe runen-inscriptie, gevonden in Frie.sland (Overgedrukt uit
'De Nederlandsche Speclator", 190G, Nr. 18)", woselbst auch (s. 3) ein
brief von professor L. W immer über die runeninschrift abgedruckt ist.
Den sorgfältigen angaben des herrn Boeles verdanke ich die oben wider-
gegebenen mitteilungen. Auch die meinem aufsatze beigefügte Zeich-
nung ist seiner schrift entlehnt.
Boeles und Winimor heben hervor, dass die runenformen mit
denjenigen der magischen Inschriften auf dem Kragehuler lanzenschaft
(Fünen) und der Lindholmer schlänge (Schonen) besondere ähnlichkeiten
aufweisen, und sie bezeichnen die Britsumer Inschrift als eine magische.
Nach Wimraer, dem Boeles beistimmt, haben die runen des Stäbchens
keine sprachliche bedeutung. Boeles hält es nicht für unwahrschein-
lich, dass das holzstäbchen von einem dänischen oder schwedischen
manne nach Friesland gebracht worden ist.
Auch mir scheint die Britsumer Inschrift magischen Inhalt zu
Ilaben. Ich halte jedoch, im gegensatz zu Wimraer und Boeles, die
Inschrift für friesisch und meine, dass die runen sprachliciie bedeu-
tung besitzen. Im folgenden versuche ich diese auffassung zu begründen.
Die Stäbe der runenzeichen bestehen seltener aus einfachen, häu-
tiger aus mehreren (parallel laufenden) strichen. Darüber wird im fol-
genden näheres mitgeteilt werden. Wo ich die runen widergebe, wende
ich jedoch aus typographischen rücksichten runenzeichen mit einfachen
strichen an. Die runen sind die der älteren, längeren reihe.
Diejenigen runen, welche die erste zeile der Inschrift bilden, haben
die richtung von links nach rechts. Ich bezeichne diese reihe als l.
Die runen der seite II haben die richtung von rechts nach links. Bei
der widergabe der runen der seite II wende ich aus typographischen
rücksichten die runen nach rechts. Obgleich die lesung von I an-
fangen muss, beginne ich die »bnitung mit U. weil di(^ lesung und
dnutung tiieser seite leichter ist.
1 76 BUGGK
Die zwei letzten runen (II 7 — 8) sind M| mi. üass dies iiii
ein eigenes wort bildet, ist von vorn herein wahrscheinlich, weil die
vorausgehende riine M <l '^t- In mi erkenne ich altfries. iin 'mich'.
Diese deutung liegt sehr nahe, weil es gewöhnlich ist, dass ein beweg-
licher gegenständ, der mit einer Inschrift versehen ist, in derselben als
'ich', in der ersten person spricht. Ich führe einige beispiele hierfür
an. Auf einer in Northumberland gefundenen fibula findet sich die
luneninschrift; gii(lr[i]d mec woiiift|e telchfrith luec a[h] 'Gudrid
mich machte; .Elchfrith mich besitzt'. Ein fingerring hat zum teil mit
runen die angelsächsische Inschrift: iedred mec ah eaiired mec agrof.
Auch in nordischen Inschriften. So mit älteren runen auf der fibula
von Etelhem, Gotland: mk mrla wrta 'mich Marila verfertigte: Auf
einem norwegischen schilde aus dem mittelalter: kmiiiai* g-aM*])! mik
hihi a mik 'Gunnarr verfertigte mich; Helgi besitzt mich'. Die letzt-
genannte Inschrift hat, wie wir sehen werden, dieselbe Wortfolge wie
die Britsamer.
Wenn mi 'mich' bedeutet, muss dies 'mich' das object eines
vorausgehenden verbs sein.
Dass das vorausgehende wort mit II 2 anfängt, wird durch das
vor dieser rune stehende trennungszeichen angedeutet.
11 2 ist ^ b. II 3 hat die form p. Dies zeichen findet sich auch
II 5 und 1 2. Wimmer liest dies zeichen als k oder vielleicht als f ; Boeles
als k. Ich kann weder der einen noch der andern lesung beistimmen.
Wo die runenzeichen der Britsamer Inschrift mit den in andern In-
schriften vorkommenden zeichen wesentlich übereinstimmen, lassen sich
die runenverbindungen der Britsumer Inschrift geradezu aussprechen.
So 13 — 13 iiiaberetdud und II 7 — 8 mi. Die Vermutung, dass p k
oder f bezeichne, bildet die einzige grundlage für die annähme, dass
die Inschrift unaussprechbare runenverbindungen enthalten sollte. Da
lum k und f in den mit den runen der längeren reihe geschriebenen
inschriften regelmässig eine andere form als p haben, so scheint es mir
klar, dass p weder k noch f bezeichnen kann. Man muss für dies
runenzeichen vielmehr eine bedeutung suchen, bei welcher diejenigen
Verbindungen, in denen es vorkommt, sich aussprechen lassen, d. h. p
muss ein vocalzeichen sein.
11 4 liest Boeles als u. Wimmer als u oder r. Das zeichen ist
von der u-rune I 12 darin verschieden, dass der seitenstab unten eine
schräge richtung nach innen hat. Ich habe daher (unabhängig von
Wimmer) für II 4 die lesung als r, nicht als ii angenommen. II 2 — 6
also h*r*d, und nach dem vorher bemerkten muss II 3 und 5, das
DAS RUNEXDENKMAL VüX BRITSÜM IN FRIF.SLAND 177
ich vorläufig durch >■ widergegeben habe, ein vocalzeichen sein. Den
möglichen Ursprung des Zeichens II 3 und 5 werde ich erst später be-
sprechen. Allein der sprachliche Inhalt der Inschrift zeigt uns, dass
das zeichen einen i-laut oder einen e-laut, der von den durch die
i-unen | i und M ^ bezeichneten lauten verschieden ist, bezeichnen muss.
ich transscribiere II 3 und .ö durch i. Vor mi lese ich also II 2 — 6 hirid.
Wir haben bereits gesehen, dass in diesem worte ein verbum
stecken muss. Ich deute es als präs. .'>. pers. sing, indic. 'trägt'. Das
i der ersten silbe ist umlautsvocal. Das schliessende d bezeichnet die
Spirans Ö; im altfries. schreibt man th. Die entsprechende altlVies. form
ist berfh 'trägt'. Die in der Inschrift vorkommende form ist ursprüng-
licher, sowol durch die erhaltung des vocals der zweiten silbe als durch
den uralaut der ersten silbe. In beiden hinsichten steht ihr die ags.
form biie/) nahe.
Vor bind ist ein trennungszeichen, das aus 7 punkten besteht.
Davor muss als subject ein personenname, der name des besitzers, am
anfang von II gestanden haben, allein davon ist jetzt nur die letzte
rune (11 1) -f ii übrig. Der name hat aus nicht mehr als 5 runen be-
standen; allein es ist möglich, dass ihrer weniger waren. Der name
hat kein merkmal des nominativs.
Ich lese und deute also II so, indem ich das trennungszeichen
zwischen II 1 und 2 nicht widergebe:
^ * * * 11 birid mi
„N. N. trägt mich."
Die endung des personennamens stimmt mit der eigentümlich-
keit des altfries. überein; vgl. z. b. /krn. Das schliessende -// zeigt
(wie auch die anderen Wertformen der seite 11), dass die spräche der
Inschrift nicht die der urnordischen runeninschriften sein kann.
Durch die Inschrift der seite II hai)en wii' die folgenden ergeb-
nisse gewonnen:
1. Die spräche der inschrift ist altfriesisch, nicht nordisch.
2. Die rune p bezeichnet ein kur/.es /, das wol einem geschlossenen
' nahe liegt. Ich transscribiere i.
3. Die rune II 4 bezeichnet r, nicht ii.
Hieiiiarli transscril)iei'e ich die Inschrift I:
|>'iiii:ib4'retdud
Als das erste wort von I trennte ich zuerst I — 4 |)iiii ab uml
deutete dies als acc. sg. ra. 'diesen'. Allein dabei erweckt 4 -i bc-
ZKIT.SCHRIKT F. KKUTHCllH PHII-Orj/ciK.. Hl). VI.. 1'2
1 1 8 nuGOE,
denken. Denn diese rune bezeichnet in II ein langes 7, und die in-
schrift hat sonst für kurzes / eine andere rune. Eine form ^pinl für
'diesen' würde ich nicht sicher erklären können. Daher trenne ich
jetzt als das erste wort I 1 — 3 |)in ab. Dies deute ich als den acc.
sg. m. des demonstr. pronomens, 'diesen". Als altfries. tbrmen finden
sich tili)!,, thine, then, thene.
II 4 i deute ich als ein Substantiv im acc. sg. ra. ~i = ags. iw,
eoiv, eoh m. 'eibe'.
i 'eibe' muss dann hier das eibene Stäbchen bezeichnen. Ebenso
bedeutet altnorw. ?/r 'eibe', allein auch 'bogen' (eigentl. eibener bogen)';
askr 'esche', auch 'lanze', 'kleines schiff', 'kleines gefäss' (aus eschen holz).
Als das dritte wort trenne ich I 5 a ab. Dies deute ich als ä
'immer'. Es entspricht dem ags. d 'immer'. Im altfries. wird *ä durch
7iä 'nimmer' vorausgesetzt.
Als das vierte wort trenne ich I 6 — 8 her ab. Boeles hat R. 8
als u gelesen. Allein die lesung r (welche auch Wimmer vorschlägt)
scheint mir sowol der runenform als des sinnes wegen gesichert, bei"
deute ich als imperat. 2. pers. sing, 'trage!' II 2 — 6 bfrid ist das
präs. indic. desselben verbums. In runeninschriften wird der leser nicht
selten durch einen imperativ angeredet. Z. b. ral)u riinaR Brate und
Bugge, Runverser nr. 72.
I>iii i 'diese eibe (dies eibene Stäbchen)' bezeichnet den gegen-
ständ, auf dem die runen geschrieben sind. l)in i ist das object des
verbs ber.
Auf die deutung von piii i als 'diese eibe (dies eibene Stäbchen)'
war ich gekommen, als ich die holzart des Stäbchens noch nicht kannte.
Später teilte mir herr dr. Boeles gütigst mit, dass das Stäbchen wirk-
lich aus eibenholz ist.
Als das fünfte wort trenne ich I 9 — 10 et ab. et ist die alt-
fries. form, welche dem altnord. adv. (und präpos.) at entspricht. Ich
fasse hier et als 'darin', d. h. in dem mit runen beschriebenen eibenen
Stäbchen. Ungefähr in derselben weise ist ags. cet an der folgenden
stelle angewendet: ic ml mt fecunmi wordum secge 'ich sage jetzt in
wenigen werten', siehe Bosworth- Toller, et steht hier als adverb ohne
ein davon regiertos wort, wie häutig altnorw. at.
Das sechste und letzte wort von I wird von 11 — 13 gebildet:
(lud. Dies ist wol jedesfaUs (wie professor A. Torp meint) eine form,
die zu dem germ. verbum 'taugen' gehört.
dud ist wahrscheinlich s. v. a. altfries. iluged 'tugend'. Für das
fehlen des y in dud 'tugend' vgl. im folgenden lid 'liegt', welches
DAS RTJNKITOKNKMAI. VON' RRITSTT]M IN KRIKSLAXD 179
jedoch nicht völlig analog ist. Vgl. auch altsächs. - hüdig = - hugdig.
Man sollte für dies Substantiv die form *dugud erwarten. Auch in den
neufries. mundartlichen formen findet sich ein g. , Tugend' ist wol
hier als 'wunderbare eigenschaft' aufzufassen, wie z. b. altschwed. ^//^Ä^
'übernatürliche kraft' bedeuten kann.
^ach dem vorhergehenden lese ich die inschrift I mit worttren-
nung folgend erraassen: J)iii i a ber et (lud. Hierin fehlt ein verbum,
dessen subject das Substantiv (lud ist und zu dem das adverb et gehört.
Dies verbum finde ich auf der einen schmalen seite des Stäbchens ge-
schrieben. Hier sind rechts einige zeichen eingeritzt, die nicht zu den-
jenigen runen der einen breiten seite, die durch den spaten des finders
zerstört wurden, gehört haben.
Die zeichen der schmalen seite sind nicht runen. ISTach der Zeich-
nung möchte ich vielmehr lateinische buchstaben darin sehen. Ich
lese: LID, nach rechts gewendet. Diese buchstaben bilden nach meiner
Vermutung die fortsetzung der inschrift I.
[Auch auf angelsächsischen denkmälern finden sicii bisweilen runen
und lateinische buchstaben in derselben inschrift oder auf demselben
gegenständ (Stephens, Runic monuments I, s. 453, 461). Vgl. auch
S. Bugge, Aarböger for nordisk oldkyndighed 1905, s. 252.]
lid deute ich als präs. indic. 3. pers. sing, 'liegt'. Dies wird
altfries. ///// und (igth geschrieben. In lid bezeichnet das lateinische D
die Spirans b, die in der inschrift zweimal durch die mit einfachen
striciien geschriebene rune d bezeichnet ist.
lid 'liegt' ist das verbum zum subjecte (lud. Es ist hier in
übertragener bedeutung angewendet, et (lud lid 'darin liegt fügend',
d. h. darin ist wunderbare kraft enthalten (oder verborgen). Vgl. nhd.
'der fehler liegt aber gewiss nicUt an der sache'; 'da liegt's' (um den
kernpunkt einer sache zu bezeichnen): Deutsches wtb. VI 1013 — 14.
l>in i a l)er et dud LID
Dies denke ich mir so ausgesprochen:
püi '7 ü berf
et düä llh.
Ich übersetze: 'Trage immer diese eibe (d. h. dies Stäbchen
aus eibenliolz)! Darin liegt fügend (d. h. darin ist wunderbare kraft
verborgen) '.
Die inschrift besteht aus zwei durch allitteration verbundenen
rhythmischen gliedern; das erste ist: />m t ü her, das zweite el düd liü.
7 und ü bilden mit ei allitteration. Der runenmeister hat, wie es
scheint, den schliiss des ersten rhythmischen gliedes und den unlang
12*
1 80 BüGaK
des zweiten dadurch bezeichnen wollen, dass er er und o im gegen-
satz zu den umstehenden runenzeichen mit einfachen strichen schrieb.
Der runenmeister schreibt zugleich das auslautende cl, das spiran-
tisch ausgesprochen w^irde, nur mit einfachen strichen, sowol I 13 als
II 6. Dagegen schreibt er die rune d, wo sie das anlautende und
wol als explosivlaut gesprochene d bezeichnet, mit mehreren strichen
(die hauptstäbe mit 5 strichen, die mittelstäbe mit 3 strichen).
[Eine ähnliche differen zierung findet sich in der Inschrift mit
runen der längeren reihe auf einem goldenen brakteaten aus Overhorn-
ba^k, Jütland (Stephens nr. 28). Hier hat nach der deutung Magnus
Olsens (Aarböger for nordisk oldkyndigiied 1907 s. 42fg.) das zeichen |>,
das eine differenzierung von ^ ist, den lautwert J>, während die rune f>
die entsprechende stimmhafte spirans d bezeichnet.]
In keiner anderen Inschrift habe ich das runenzeichen p gefunden,
welches in der Britsumer Inschrift dreimal vorkommt: I 2, II 3, II 5.
Ich habe dasselbe durch i widergegeben. Es bezeichnet nach meiner
Vermutung ein kurzes /, das einem geschlossenen e nahe liegt. Über
die eutstehung des Zeichens kann ich nur Vermutungen äussern. Viel-
leicht ist es eine differenzierung von | i. Der an | i gefügte seiten-
strich ist vielleicht von dem mittelstrich oben in [^ o übertragen.
Nach einem ähnlichen prinzipe scheint angelsächs. ^ ea aus M e und
^ a gebildet. ^ Ob p als das runenzeichen für i ein in Friesland erfun-
denes und für Friesland eigentümliches runenzeichen gewesen ist, lässt
sich für jetzt nicht entscheiden. Ich halte dies aber für wahrscheinlich.
Auch in einer mit den runen der längeren reihe geschriebenen
Inschrift eines dänischen brakteaten findet sich ein runenzeichen, das
einen mittellaut zwischen i und e bezeichnet; siehe Aarböger 1905
s. 228 fg. Allein dies zeichen hat zu dem zeichen der Britsumer
Inschrift keine historische beziehung.
Die runenschrift von Britsum hat ausser dem zeichen für i andere
weniger hervortretende eigentümlichkeiten, die sich in den am nächsten
verwandten runeninschriften nicht wiederfinden. So die form der r-rune;
ferner das aus 7 kleinen strichen bestehende trennungszeichen.
Schon früher sind einige runeninschriften in Friesland gefunden
woiden. Bei Ar um in West- Friesland, unweit Harlingen in südöstlicher
]) In eirilaR in den norwegischen iuschriften von Vebhmgsnes und By be-
zeichnet ei einen kurzen, aus e durch den eintluss eines folgenden ^ umgelauteten vocal.
DAS RrNENPENKMAL VON BRITSUM IN l-RrESLAND 181
lichtimi;-, wurde ein kleines eibenes schwer! mit einer inschrit't in
riiuen der längeren reihe gefunden. Diese insehrift ist von P. C. J. A.
Boeles in '71ste verslag der handelingen van het Friesch genootschap
te Leeuwarden' 1898 — 99 s. 41tgg. herausgegeben worden, später von
demselben in De Vrije Fries, XX. 4e reeks, 2e deel, atl. 2. Die
Ammer runen sind wol so zu lesen:
M M fi i ^ f5^ M F:
(' (l a b 0 (l a
Ein kleiner strich, der von der mitte des oberen seitenstriches
der letzten rune nach oben geht, ist wol bedeutungslos.
Nicht weit von Harlingen ist ein goldenes medaillon mit In-
schriften auf beiden selten gefunden worden. Die Inschriften bestehen
teils aus lateinischen buchstabon , teils aus runen der älteren reihe.
Eine Zeichnung dieser runeninschrift findet sich bereits bei Stephens,
Runic monuments II s. 554fg., nr. 58. Nach der genauen kopie bei
Boeles in seiner letztgenannten abhandlung sind die runen
W ^ M ^^
h a (I a (nicht: hama).
Die Arumer Inschrift und die Harlingener Inschrift weichen u. a.
dadui'ch von der Britsumer Inschrift ab, dass sie specielle berührungen
mit dei' angelsächsischen runenschrift zeigen. Die Arumer Inschrift
hat 1^ o, die Harlingener Inschrift zweimal ^i' a und die li-rune mit
zwei mittelstrichen. Die Britsumer Inschrift hat das ältere zeichen |5
für a. Auch in der Arumer Inschrift bedeutet fi wahrscheinlich a.
Die Inschriften von Arum und Harlingen sind daher gewiss jünger als
die von Britsum.
Die Arumer Inschrift enthält vielleicht einen mannesnamen Eda-
l)(>(l(i , aus '■^'Amldhoda, dci' mit dem namen Aiithodo (Cod. Laur. aus dorn
sten jahrh.) identisch ist. Allein der umstand, dass urgerm. an im Altfries.
zu ä wird, erweckt hiegegen bedenken. Denn es wäre bedenklich, die
insehrift, welche *Eda-boda enthielte, irgend einer anglischen mundart
zuzuweisen. Der name ist daher wol eher als Edaboda aufzufassen,
dessen vorderglied mit den namen auf Ed-, Id- bei Förstemann zu-
sammengehört, ('da i boda gibt gewiss den besitzer des oibcnen
Schwertes an.
Es ist ni(;iit zulällig, dass das vVrumer schwort wie das Britsumer
Stäbchen aus eibcnholz ist. Beide sind amuleto. Dafür ist auch die
holzart bedeutsam, denn oibonhol/ schützt vor ho.von (E. H. Meyer,
Mythologie s. 8(5).
182 BUCfOE
Die Britsumer Inschrift teilt mit der Äriimer Inschrift einzelne
andere Übereinstimmungen, die kaum zufällig sind. Die seitenstriche
der b-rune sind in beiden voneinander getrennt. Beide Inschriften
haben einmal ein trenn ungszeichen, das aus vielen kleinen strichen
besteht (Britsum aus 7, Arum aus 5).
Das kleine Arumer schwert beweist, das die Verbreitung der älteren
runen nach Friesland sich nicht nur darauf beschränkte, dass ein ein-
zelner mann, von dem die Britsumer runen herrühren, die kunst, runen
einzuritzen, kannte.
Das Britsumer denkmal hat, was die anbringung der runen und
die weise, in welcher diese geritzt sind, anbetrifft, viele und specieile
Übereinstimmungen mit den runendenkmälern aus Kragehul, Fünen
(einem lanzenschafte und einem messerhefte); ferner mit der beinernen
schlänge aus dem Lindholmer moore. Schonen; endlich mit dem
beinstücke aus Ödemotland im südwestlichen Norwegen.^
Eine wesentliche Übereinstimmung des Britsumer denkmals mit
den runendenkmälern von Lindholm und Ödemotland besteht darin,
dass jenes wie diese ein amulet ist und eben durch die runen zu
einem amulete gemacht wird.
Ferner stimmt das Britsumer denkmal mit dem Kragehuler lanzen-
schaft und mit der Lindholmer schlänge darin überein, dass die runen
und besonders die hauptstäbe derselben mit mehreren strichen geschrieben
sind. In der Britsumer Inschrift sind die runen (mit einigen oben
genannten ausnahmen) mit mehreren strichen geschrieben: die meisten
hauptstäbe mit 5 oder 6, die nebenstäbe zum teil mit wenigeren strichen.
Dadurch, dass die runenzeichen mit mehreren strichen geschrieben
sind, soll gewiss die magische Wirkung der runen verstärkt werden.
Auf der Lindholmer schlänge haben die runen in der regel 3 striche,
auf dem Kragehuler lanzenschaft 2 — 4, zuweilen auch nur einen. Der
beinerne gegenständ von Ödemotland im südlichen Norwegen ist ein
amulet, das dem amulete von Lindholm nahe verwandt ist (Norges
indskrifter med de öoldre runer s. 268fg.). Auf dem amulete von Ödemot-
land sind die runen mit 2 oder 8 strichen geschrieben. Diese Inschrift,
welche eine nachbildung dänischer Inschriften ist, stammt wahrschein-
lich aus dem ende des 7ten Jahrhunderts.
1) Ausgilben dieser denkmäler finden sich u. a. an folgenden stellen: Krage-
huler lanzenschaft, "Wimmer, Runenschrift, s. 124; Kragehuler messerheft,
Stephens, Runic monuments I, s. 317; Lindholm, Stephens I, s. 219; Ödemot-
land, S. ßugge, Norges indskrifter med de seldre runer, s. 244.
DAS EUNENÜENKMAL VON }?KlTSUiM IN l'JUESLAND 183
In der kirche von ürncs, Sogn, im westlichen Norwegen ist
neuerdings eine runeninschrift gefunden worden, die bei der bosprechung
der mit mehreren strichen geschriebenen magischen runen aufmerksam-
keit verdient. Die inschrift ist auf einem 8 eckigen nage! aus kieferholz
eingeritzt. Die runen sind von links nach rechts geschrieben. Nach
den runenformen vermute ich am ehesten, dass die inschrift aus dem
!i. Jahrh. stammt und heidnisch ist.
Die Urneser inschrift' hat zuerst
niinYiA'
u i i u in i R
mit einfachen strichen. D. h. „ich weihe (die runen) mir (zum vor-
teil)." Dann folgen mit doppelten strichen die runen T/kK^ (die dritte
rune undeutlich). Endlich der oberteil der nicht vollstiindig eingeritzten
rune Y- Diese runen t R k : m bilden kein vollstiindig geschriebenes
wort: t ist wol der anfangsbuchstabe im namen des runenmeisters und
-R das mcrkmal des norainativs.
Die anwondung mehrerer runonstriche in magischen inschriften ist
also eine sitte, die sich durch viele Jahrhunderte und in vielen germa-
nischen landschaften erhalten hat.
Für die Zeitbestimmung der Britsuraer inschrift muss auf die ähn-
lichkeiten, welche die runenzeichen derselben mit denen der Inschriften
von Kragehul und Lindholm besitzen, rücksicht genoinmen werden.
Die Britsumer inschrift muss etwas jünger als die inschrift des Krage-
huler lanzenschaftes sein. Wenn diese und die Lindholmer inschrift aus
dem anfang des 5. Jahrhunderts sind, mag die Britsumer inschrift aus
dem 6. jahrh. stammen. Auch in der ausführung der runen hat das
Ivragehuler raesserheft mit dem Britsumer denkmale viele ähnlichkeit.
Bei der b-rune sind auf dem lüesserhefte, wie auf dem Britsumer Stäb-
chen (so namentlich in 11), die seitenstäbe voneinander entfernt. Die
Übereinstimmung, dass die runengruppe aber sowol auf dem Kragehuler
messerhefte als auf dem Britsumer Stäbchen (I 5 — 8) vorkommt, halte
ich für zufällig, aber gehört in diesen zwei inschriften verschiedenen
Wörtern an!^
Die erwähnten Übereinstimmungen der Britsumer inschrift mit
diinischeii runcninschrifton können nicht sämtlich zufällig sein, sondern
(1) Diese inschrift behandelt S. Buggc ausführlich in dem jalnesbürichte ('Aars-
beretniDg') von 4^'orüningon til norsko fortidsinindcsmarkers bevaring' 1!)07.]
[2) Über die inschrift des Kragehuler niesserheftes vgl. S. Bugge, Aarböger
100.-^, s. 16öfgg.|
1 84 BOEK
müssen auf einen gewissen Zusammenhang hinweisen. Ich erkläre dies
so: der Friese, der die Britsumer runen eingeritzt hat, übte eine kunst,
die auf diejenigen männer, von welchen die Kragehuler und die Lind-
holmer Inschriften herrühren, oder auf männer desselben kreises zurück-
geht. Die deukmäler von Kragehul und Lindholm rühren von edeln
Erulern her. Die runen des Kragehuler lanzenschaftes und diejenigen
der Lindholmer schlänge sind wahrscheinlich von demselben manne ge-
schrieben. Diese kunst der erulischen runenmeister ist aus den land-
schaften am Schwarzen meere nach Dänemark übertragen worden. Die
kunst des friesischen runenmeisters von Britsum muss aus dem nord-
osten übertragen sein.
CHRISTIANIA. SOPHUS BUGGE (f).
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE.
(Fortsetziiug statt schluss.)
§ S. Die killadon.
Zunächst kommen zwei miteinander nahe verwandte lieder, 'ßibold
og Guldborg' und 'Hildebrand og Hilde' in betracht. Auf ihr Ver-
hältnis zu der Helgisage hat schon Grundtvig, DGF II, 340 und Isl.
fornkv. I, 129 aufmerksam gemacht; Bugge, Helgedigtene s. 283 f gg.
führt den gedanken aus. Dieser Zusammenhang ist unverkennbar; allein
dass das kein grund ist, sie mit Panzer von unserer betrachtung aus-
zuschliessen, wurde oben gezeigt. Ein Verhältnis zu der Helgisage
schliesst ein Verhältnis zu der Hildesage nicht aus, jenes lässt eher
von vorn herein auch dieses vermuten. Nur dann würden die bailaden
für unsere Untersuchung wertlos sein, wenn ihre völlige abhängigkeit
vetn der Helgisage in der überlieferten gestalt, d. h. von den uns be-
kannten Helgiliedern bewiesen wäre. Wo das nicht der fall ist, können
sie Zeugnisse für die Hildesage sein, und das wäre sogar auch dann
noch möglich, wenn sich eine secundäre beeinflussung durch die Helgi-
lieder nachweisen Hesse. Ähnliche complicierte Verhältnisse gehören
bei den Volksliedern nicht zu den Seltenheiten. So haben die lieder
von Dietrich und seinen beiden, die aus einem niederdeutschen ge-
dichte stammen und also ihrem Ursprünge nach von der l^ibreks saga
unabhängig sind, dennoch im laufe der zeit eine reihe von zügen aus
dieser saga aufgenommen ^
J) Für den nachweis dieses Verhältnisses s. Arkiv 24, 139 fgg.
UNTEESUCHÜNGEN DBFK niE HILDESAGE 185
Die grundlage der beiden balladen ist dieselbe. Unterschiede
bestehen in der darstellungsweise und in bestimmten teilen des Inhalts.
'Hildebrand og Hilde' legt die erziililung der begebenheiten der frau
in den mund. in 'Ribold og Guldborg' erzählt der dichter. Das ist
natürlicher und einfacher und gewiss auch ursprünglicher; natüi-lich
folgt daraus nicht, dass dieses lied in jeder hinsieht über jenes hinaus-
geht. Beiden gedichten gemeinsam ist folgende erzähl ung: Ribold
(Hildebrand) entführt Guldborg (Hilde); der vater, — in der Kibold-
vise auch der bräutigam^ — setzt dem räuber nach; ihn begleiten die
brüder der frau. Ribold -Hildebrand bittet seine geliebte, seinen namen
nicht zu nennen, was auch geschehen möge. Es kommt zum kämpfe,
in dem der entführer alle gegner bis auf den jüngsten bruder erschlägt;
dann aber sagt Guldborg-Hilde: 'Ribold (Hildebrand), schone meinen
jüngsten bruder.' Durch dieses wort ist der zauber, der den beiden
schützte, gebrochen, und er empfängt eine tödliche wunde.
Diese erzählung lässt sich vollständig auf die form der Hildesage,
die in der Helgidichtung erhalten ist, zurückführen. Kein zug dieser
sagenform fehlt dem dänischen liede. Und nicht weniger bedeutsam
ist es, dass hier kein einziger zug aus der nicht von der Hildesage
beeintlussten Helgisage, wie sie in den prosaquellen vorliegt, begegnet.
Ribold- Hildebrand entspricht Hebinn-Helgi, Guldborg-Hilde entspricht
Hild-Sigrün, der vater entspricht H»,)gni, der nebenbuhler HQ?ibroddr,
wie ihn die poetischen quellen auffassen, der jüngste bruder Dagr. Wir
haben es mit der s. 43 als H3 bezeichneten Überlieferungsform zu tun-.
Diese ist, wie sich uns ergeben hat, ein spross von SH2, und dem
• ■ntspricht, dass die liebe der jungen leute das treibende motiv ist.
•lungere eleniente von SH, — das Hjac^ningavig (SH3), und was sich
weiter daran knüpft, — sind auch nicht vorhanden. Auf selbständiger
entwicklung im balladenstil beruht namentlich der zug, dass der jüng.stc
bruder nicht wie in der Helgipoesie frieden erhält und nachher dem
1) Dieser fehlt nur iu vereinzelten redactionen.
2) Wenn 'Hildebrand und Hilde' keinen nebenbuhler kennt, so kann man ent-
weder annehmen, dass die.ses lied von einer vorsion stammt, die den nebenbuhler
noch nicht eingeführt hatte, oder da.ss das lied einen nebenbuhler verloren hat, was
bei der untergeordneten rolle dieser gestalt und der kurzen darstellung unserer licder
leicht möglich ist. Ich halte diese auffassung für die richtige, da die beiden balladen
sehr nahe miteinander verwandt sind, und wir unten noch einer etwas ferner ab-
stehenden ballade begegnen werden, die dennoch den nebenbuhler schon kennt- |hn
entgegengesetzten fall müsste die s. -l'A aufgestellte reihenfolge l'ür die aufnähme
neuer motive geändert werden; der söhn, di-r den vater rächt, wäre dann ültor als
der nebenbuhler. Denn den söhn kennt aui.'ii •llildebraud und llilde.'l
180 ROEK
Sieger, der ihm das leben geschenkt, die treue bricht, sondern dass
Ribold - Hildebrand durch zauber hiebfest ist, und dass der zauber
durch die nennung des namens — ein mittel gegen unholde — ge-
brochen wird. Hier muss zwischen der bitte und der anrufung unter-
schieden werden. Dass die frau ihren geliebten um Schonung ihres
bruders bittet, auch das wird zwar in anderen quellen nicht mit-
geteilt, aber wenn Dagr frieden erhält, so geschieht das doch natür-
licherweise in erster linie um der Schwester willen, deren teilname
an dem Schicksal ihrer verwandten übrigens zur genüge aus Sigrüns
schmerz über den tod des vaters und der brüder hervorgeht. Also
wird schon eine stufe der dichtung, die älter als unsere bailaden ist,
die bitte der frau für den bruder gekannt haben. Diese bitte wurde
durch ihre gewährung verhängnisvoll; die gemeinsame quelle der beiden
bailaden aber hat das indirecte Verhältnis zwischen der bitte und dem
tod des entführers zu einem directen Verhältnisse gemacht und dem
Worte selbst eine Zauberkraft beigelegt, die es ursprünglich nicht besass.
Die balladen und die Helgidichtung weisen zusammen auf eine über-
lieferuugsform zurück, in der die frau, obgleich ihrem geliebten treu
ergeben, doch von ihren verwandten nicht lassen konntet Das ist ein
erster schritt auf einem wege, der später zu einer völlig entgegen-
gesetzten auffassung der Verhältnisse führt; die frau ist mit gewalt ent-
führt worden und wählt bewusst die partei ihrer verwandten (§ 9 fgg.).
In den bisher besprochenen zügen stimmen die balladen nahezu
vollständig miteinander überein. Die fortsetzung der erzählung aber
ist in beiden liedern so grundverschieden, dass sie hier unmöglich auf
dieselbe quelle zurückgehen können. Das deutet darauf, dass der tod
des entführers den schluss der alten vise, die sowol 'Ribold und
Guldborg' wie 'Hildebrand und Hilde' zugrunde liegt, bildete. Das
ist gar nicht auffällig; was weiter folgt, ist nicht nur hier, sondern
aucli in der Helgidichtung nur eine weitere consequenz der Situation,
keineswegs ein unentbehrlicher teil der fabel.
Der schluss der Riboldvise ist mit dem des zweiten Helgiliedes
nahe verwandt; es ist sogar nicht unmöglich, dass er auf dieses lied
zurückgeht. Wie hier, so wird dort ein totenritt erzählt. Der schwer
verwundete Ribold setzt die geliebte zu sieh auf das pferd; auf dem
1) Ob ein dirccter zusanuneuhang mit Hilds — ursprüuglich aufricJitig ge-
meintem — versöhnungsversueh besteht, bleibt zweifelhaft, da das fehlen dieses Ver-
suchs bei Saxo U auf ein jüngeres alter zu deuten scheint (s. 10. 27). Aber jedes-
falls zeigt dieser versöhnungsversueh, wie nahe der gedanke lag, die frau sich für
vater und brüder interessieren zu lassen.
DNTERSUCHUNGKN VHKH DIK IIILDESAGK 187
wege offenbart er ihr, dass er zum tode verwundet ist; er führt sie
nach seiner wohnung, wo sie mit ihm stirbt. Ich sehe in diesem ritt
eine populäre Umbildung davon, dass Helgi zu pferde aus Walh(,)ll
zurückkehrt und darauf Sigrün in seinem grabhügel umarmt. "Wenn
Sigrün vor schmerz über Helgis tod jung stirbt, so steht Guldborgs
tod zusammen mit Ribold nicht weit ab; hier aber kann man fragen,
ob nicht die Vorstellung der ballade die ursprünglichere ist, und
ob Sigrüns sterben vor schmerz nicht eine von dem aberglauben,
dass der geschlechtliche verkehr mit einem toten den tod bringt^,
gereinigte auffassung repräsentiert. Wenn in der ballade Ribold seine
geliebte dem bruder anbietet, so ist das gewiss ein unter dem einfluss
der dichtung von Helgi HJQrvar^sson stehender jüngerer auswuchs der
Überlieferung. Dass der schluss, in welchem drei leichen zu grabe
getragen werden, und die einleitung, in der Ribold Guldborg durch
seinen gesang gewinnt, aus anderen balladen stammen, hat Olrik in
seinem schönen aufsatz über die Riboldvise (Danske studier 1906
s. 175. 177. 193. 201) ausgeführt. In bezug auf den zuletzt genannten
zug wird jedoch später noch eine andere erklärung zu erwägen sein.
In 'Ilildebrand und Hilde' fehlen diese einleitung und dieser ausgang.
Hier ist der bruder, nachdem er den entführer besiegt hat, herr
der Situation. Er schleppt seine Schwester, nachdem er sie an sein
pferd gebunden, durch dornen und gestrüpp heim und überlegt nun
mit der mutter, wie sie zu bestrafen sei. Das mädchen wird an eine
königin verkauft, für die sie arbeiten muss. Sie muss nähen oder
sticken; in einigen Versionen (s. ABC) wird sie auch geschlagen.
Unsere bisherigen erfahrungen berechtigen zu der Vermutung, dass
dieser ausgang der geschichte keineswegs auf freier erfindung, vielmehr
wie der schluss von 'Ribold und Guldborg' auf anlehnung an eine
verwandte version der Hildesage, die sich bis zu dieser consequenz
entwickelt hatte, beruht. Wenn wir im weiteren verlauf unserer Unter-
suchung auf eine version der Hildesage stossen würden, die entweder
auf diesem Standpunkte stünde, oder sich von diesem aus Aveiter ent-
wickelt hätte, so würde dadurch der beweis für die richtigkeit der hier
ausgesprochenen Vermutung erbracht worden sein. Näheres darüber § 11.
Auf einer jüngeren berührung beruht es gewiss, dass der schluss
des liedes von Hildebrand und Hilde in einige Versionen der Ribold-
vise (dST) aufgenommen ist.
Buggo hat (Helgedigtcno s. 291 fgg.) auf eine reihe von Über-
einstimmungen zwischen l)oidon l)allad('n, namentlich der Riboldvise,
1) Das bekannteste beispiel ist Goethes 'Braut von Koiinth' (U.U.).
188 BOER
und der Walthcrsaiie hing-owiesen. Wir können der frage, was diese
Übereinstimmungen für das verwandtschaftsverhältnis zwischen den
beiden viser und der Walthersage beweisen, nicht aus dem wege gehen.
Unsere analyse der viser hat nämlich zu dem Schlüsse geführt, dass
zwar ein genetisches Verhältnis zu der Walthersage besteht, dass aber
diese Verwandtschaft zeitlich ziemlich hoch hinaufzurücken ist, und dass
die viser und die Helgidichtung einander näher stehen als einer dieser
beiden Überlieferungszweige der Walthersage i. Ich werde daher auf
die von Bugge besprochenen züge eingehen und bespreche sie in der
von Bugge gewählten reihenfolge 2.
1. Ribold ist ein königssohn. So in dA — Fsl); in dGH ist er
der söhn eines grafen; die übrigen abschriften enthalten keine ent-
sprechende angäbe. Also ist der zug in der Überlieferung nur spärlich
belegte Übrigens ist es ganz natürlich, dass der held eines Volksliedes
von hoher geburt ist.
2. Ribold diente dem könige. Nur in dXO s. AB. Der zug ist
gewiss unursprünglich. Auch in der Waltherdichtung gehört er einem
verhältnismässig späten entwicklungsstadium an. In unserer vise aber
stammt er aus der — schwedischen — Helmerballade, wo er zu hause
ist (s. s. 197).
3. Ribold ist nach Bugge in einer schwedischen, mir nicht be-
kannten, redaction von Jugend an mit dem mädchen verlobt. Das ist
mit der fabel der vise in offenbarem widersprach, und dem entspricht,
dass er auch in der Überlieferung nicht weiter verbreitet ist. Auch in
1) Die bailaden uud die Helgisage stammen zusammen von der als H3 be-
zeichneten form, während die gemeinsame quelle von HS und der Walthersage weiter
zurück, in der als H2a bezeichneten form, die weder die räche durch den söhn noch
den nebenbuhler eingeführt hatte, zu suchen ist.
2) Ich habe das mir vorliegende material (Ribold dA-0A*B*, sA-D, iA-C,
Hildebrand dA-1, sA-C, nA) auf diese und andere fragen hin neu geprüft. Bugge
erwähnt nur das vorkommen einzelner züge in zufälligen redactionen.
3) Hildebrand ist der söhn des königs von England. Dass das damit zusammen-
hängen sollte, dass in der englischen bailade (Earl Brand) das mädchen die tochter des
königs von England ist, wie Olrik a.a.O. s.2()6 annimmt, erscheint mir zweifelhaft. Dieser
zug steht vielmehr damit auf einer liuie, dass sie in mehreren dänischen Versionen
die tochter des Dänenkönigs ist. Das Volkslied liebt die localisiorung der begeben-
heiten in der heimat; so ist hier das mädchen die tochter des landosfürsten, während
der räuber ein fremder ist. Darum beweist auch Hildebrands herkunft aus England
kaum etwas für die heimat des liedes, sondern nur dafür, dass der phantasie des
dichters und seines publicums England nahe lag. Es Hessen sicli daraus eher chro-
iinlogische als geographische Schlüsse ziehen, indem die stelle Verbindungen mit
Kngland voraussetzt.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIR HTI.DESAOF, 189
der Waltherdichtung- ist die verlolning eine junge erfindung, die die flucht
erklären soll. Auf einen näheren Zusammenhang kann man gewiss auf
grund dieses zuges nicht schliessen.
4. Der ritter bittet die dame, ihm nach einem fernen lande,
worunter sein vaterland zu verstehen ist, zu folgen. Das ist aber das
hauptmotiv der Hildesage, das nur in dem zweiten teil des deutschen
gedichtes, wo die freiwillige flucht durch einen raub gegen ihren willen
ersetzt worden ist, aber in dem ersten teil dieses gedichtes ebensowenig
wie in allen anderen Versionen fehlt. Eine besondere ähnlichkeit mit
der Walthersage besteht darin nicht. Eher ist zu den am meisten
verbreiteten Versionen der Walthersage ein gegensatz vorhanden. Denn
hier hält auch die dame sich im fremden lande auf, während Ribold
wie He^inn, Helgi und ursprünglich auch Walther seine geliebte aus
dem lande des vaters entführt.
5. Der ritter bittet die dame kostbarkeiten mitzunehmen. So freilich
nur in dCEKLMTlTZ, woraus der zug in 'Hildebrand und Hilde' dA
übergegangen ist^. Das ist wenigstens eine Übereinstimmung mit dei-
Walthersage. Zu den ältesten Versionen der Hildesagc, wo Hec^inn mit
H^gni befreundet war, gehört dieser zug nicht, aber wie leicht er sich
an den raub des mädchens anschliessen konnte, zeigt der Sorla |)ättr,
der erzählt, dass Hehinn dem Schwiegervater ein schiff entwendet hat.
Immerhin ist es von einiger bedeutung, dass das mädchen selbst die
schätze zusammengepackt hat.
H. Dass Ribold und Guldborg auf einem pferde reiten (so d ADEX;
in dCFGHLMQRSTUYZA* sA iA-^ hebt er sie aufs pferd oder —
dQSTUYZA* — aufsein pferd; in sC geht er selber daneben), während
im Waltharius Walther Hildegunde auf ein pferd hebt-^ hat kaum irgend
welche bedeutung. Wichtiger -scheint es mir — was ßugge nicht er-
wähnt — dass überhaupt geritten wird. Die bailade lässt wie die
Walthersage die flucht über land gehen, während sowol in der Helgi-
sage wie in der Hildesagc der Schauplatz der begebeniieiten das meer
ist. Darin aber spiegeln sich die Verhältnisse der zeit und des landes,
1) In 'Earl Brand' weist das mädchen dem liobhabei ein iitord ilires vatei-s
zu. .Yber das hängt mit der von ihm aufgeworfenen frage, ob er neben dem pferde,
auf dem sie sitzt, gehen solle (vgl. sC), zusammen, und iiat daher mit dem raube
der schätze kaum etwas zu scliaften.
2) In den meisten fällen ist aus dem text nirlit zu ersehen, nh das paar auf
einem oder auf zwei pferden sitzt.
3) Die Walthariusstelle ist also mit der grupjie dCK usw., nicht mit <iADKX
zu vergleichen.
1 90 BOER
WO die dichtuug zu hause ist, und ferner die einfachen Verhältnisse der
ballade wider. Ein ritter, der ganz allein eine dame entführt, wird
voraussichtlich zu pferde mit ihr entfliehen, während ein wikingerhäupt-
ling eine flotte oder ein schiff zu seiner disposition hat^. Mit den ein-
fachen Verhältnissen der ballade hängt es auch zusammen, dass Ribold
wie Walther von keinem genossen begleitet ist und also allein gegen
eine Übermacht kämpfen muss.
7. Dass Ribold aufbricht, während am hofe alle schlafen, wie
Walther in Eckeharts gedieht, weiss nur Landstadt 33 (nach Bugge);
es ist also ein später zug ohne wert, der aber sehr wol spontan ent-
wickelt sein kann, denn die nacht ist ja die zur flucht geeignete zeit 2.
8. Unterwegs machen die jungen leute halt um auszuruhen. Sie
werden dann von den Verfolgern überfallen. Über diesen zug ist zu-
nächst zu sagen, dass er für die Walthersage nicht charakteristisch ist,
denn er gehört zu der alten Hildesage, von der sowol die Walthersage
wie unsere ballade stammen. Über seine ursprünglichkeit in der Ri-
boldvise aber ist zweifei möglich. Er steht in dDKLMNPÜYY^0
sABC. Die meisten redactionen aber erzählen, dass Guldborg während
der fahrt sich umsieht und bemerkt, dass die feinde nahen ^, worauf
der held sich zum kämpfe rüstet. Hingegen ist der nächtliche Überfall
in Hildebrand und Hilde ein stehender zug (nächtliche ruhe auf dem
wege dA sABC, Überfall im schlafgemach dBG, dCD erzählen ähnlich
wie Ribold og Guldborg, dass Hildebrand sich umsieht und die Verfolger
bemerkt, dEFHI nA kürzen und kommen nicht in betracht). Ich glaube,
daraus schliessen zu müssen, dass die ursprüngliche Vorstellung der Ribold-
vise ist, dass Guldborg die Verfolger erblickt, dass aber eine reihe von redac-
tionen den nächtlichen Überfall aus der Hildebrandvise entlehnt haben*;
1) In dS kommt Eidebrand über das meer, in iB verfolgt der könig den räubei'
über see. So passt die localität der erzählung sich stets von neuem den localen Vor-
stellungen an.
2) In Hildebrand und Hilde dF ist der könig * leding als das paar entflieht.
Auch hier scheint die geringe Verbreitung des zuges zu beweisen, dass eine neuerung
stattgefunden hat, freilich wol unter dem einüuss der bekanntesten Version der Hildesage.
.3) So auch Earl Brand. — Die darst.ellung von iB (12 — 1.3), wo Ribold zu-
erst den vater sieht, und dann erzählt wird, dass Guldborg in einem türm steht, als
der vater sich nähert, beruht wol auf einer mischung der beiden voi-stellungen.
4) Etwas anders stellt sich Olrik a. a. 0. s. 210 die verwandtscliaftsverhältnisse
dieser gruppo vor. Er glaubt, die gruppe stamme direct von einer älteren form der
Hildebrandvise und habe der Riboldvise den namen Ribold entlehnt. Wir treffen also
darin zusammen, dass wir beide hier eine mischform annehmen; nur ist nach Olriks
ansieht der anteil der Hildebrandsvise an der gnippe grösser als nach der meinigen.
Namentlich muss nach Olrik auch die erzählung in der dritten person dieser gruppe
UXTERSüCHUNrTRX ÜBER DIE HTLDESAGE 191
umgekehrt dürfte die darstellung von Hildebrand dCD aus der Ribold-
vise stammen ^
Vergleicht man beide Vorstellungen miteinander, so muss man
der vise von Hildebrand und Hilde, da sie mit der Hildesage überein-
stimmt, die Priorität zugestehen-. Hier ist der Überfall im schlafgemaehe
widerum eine Vereinfachung der in dA sABC erhaltenen ruhe auf
dem Avege.
9. Anders als mit dem nächtlichen Überfall an und für sich ver-
hält es sich mit dem zuge, dass der ritter seinen köpf in den schoss
der dame legt, und dass diese ihn weckt. Hier ist wenigstens eine
mehr als ganz gewöhnliche Übereinstimmung mit Eckeharts gedieht
vorhanden. Aber nur ein teil der redactionen, die die ruhe auf dem
wege mitteilen, enthalten diesen zug; von den jüngeren Versionen der
mischgruppe entbehren ihn zwar nur dD sA, aber bei 'Hildebrand
und Hilde', woher die nächtliche ruhe stammt, ist der zug nur in sB
belegt. Das deutet gewiss auf kein hohes alter. Ob er aus der Walther-
sage stammt, darf, da er hier nur Eckehart bekannt ist, mit recht an-
gezweifelt werden. Wenigstens ebenso möglich ist es, dass er aus einem
anderen zweig der Überlieferung, zu dem verwandte erzählungen wie
die von Herburt und Hilde in der l>i5rekssaga gehören, stammt, und
nicht aus der Riholdvise, wo sie zu hause ist, sondern aus einer verloren gegangenen
form der Hildebrandvise stammen. Vgl. noch s. 191 anm. 2.
1) Eine selbständige ändening ist es hier dann, dass nicht die trau sondern
der mann sich umsieht und die Verfolger erblickt.
2) Nach Olrik a. a. o. s. 210 wäre der nächtliche kämpf in der vise nicht ur-
sprünglich sondern in eine ältere form der Hildebrandvise, von der auch ein teil der
Riboldüberlieferung stamme (oben s. 190 anm. 3), secundär eingeführt worden. Dazu be-
timmt Olrik wol der umstand, dass die englische ballade Earl Brand in diesem punkte
auf der seite der Riboldballade stehf. Aber von grösserer bedeutung erscheint mir
die Übereinstimmung der Hildebrandvise mit der alten sage. Denn die übereinstimmuug
zwischen 'Ribold' und 'Earl Brand' kann eine gemeinsame iieuerung sein. Dass
diese beiden balladen 'Hildebrand' gegenüber eine gruppe bilden, wird auch durch
gemeinsame zusätze, wie den empfang bei Ribolds mutter erwiesen. Ich kann daher
Olriks Stammbaum, der 'Earl Brand', 'Ribold' und 'Hildebrand' für drei unabhängige
sprossformen einer alten Hildebrandvise hält, nicht beistimmen, sondern gruppiere
vielmehr, von einzelheiten abgesehen, wie folgt:
Ur- Hildebrand
1 r
Ur- Ribold Hildebrand
I I
Earl Brand Ribold
Der name Earl Brand, eine eiitstellung aus Ilildebraiid. spriclit niihi dagegen,
da auch nach i >lrik Hildcbrand die ursprüuglicho namonsforni ist.
1 92 BOER
dass er von hier einerseits in Eckeharts lateinisches gedieht, anderseits
in die jüngere gruppe der Riboldüberlieferung übergegangen ist.
10. Der könig wird von einer person, die den jungen leuten auf
dem wege begegnet ist, gewarnt. Das hat mit der entdeckung der
flucht im Waltharius, womit Bugge diesen bericht vergleicht, nicht die
entfernteste ähnlichkeit. Freilich hier wie dort erfährt der könig, was
geschehen ist, aber das war die unumgängliche Voraussetzung für das,
was folgt; das geschieht auch in der Hildesage; hätte Hggni nicht er-
fahren, dass seine tochter entflohen war, wie konnte er sie dann ver-
folgen? Aber während in der vise der Verräter absichtlich zum könige
geht, um ihm zu berichten, was er gesehen hat, und diesen beim weine
findet, fragt Attila morgens früh nach Walther und erfährt von diesem,
dass er nicht zu finden ist. Dann glaubt der könig, der held werde
noch schlafen, bis es sich herausstellt, dass auch Hildegunde nicht da
ist. Wo hier die ähnlichkeit zu suchen ist, verstehe ich nicht. Ich
vermag in dem Verräter der vise nur eine, wenn auch vielleicht unter
dem einfluss einer fremden erzähkingi, doch der hauptsache nach aus
1) S. 287 erkennt, Bugge nämlich in diesem warner den Verräter der HagbarSs-
sage Bliudr enn bolvisi, den auch das zweite Helgilied kennt. Wie lässt sich das
mit der annähme eines Zusammenhangs mit der Walthersage vereinigen? — Übrigens
gestehe ich, dass mir auch die identifioation mit BHndr enn b^lvisi, oder wenigstens
Bugges argumentation dafür, nicht sicher scheint. Sie beruht darauf, dass in der
englischen ballade der Verräter auld earl Hood heisst, während OSinn häufig einen
grossen hut trägt, und Blindr enn bQlvisi vielfach mit OSinn identificiert wird. Der um-
weg, auf dem hier das resultat erreicht wird, scheint mir zu lang und zu unsicher. Das
einzige, was für die genannte Identität sprechen kann, ist die von Olrik a. a. o. s. 208 an-
geführte Benedictvise, deren mit dem Verräter unserer vise vollständig pai'allele ge-
stalt in einer norwegischen abschrift (nA) Blindellolvigsen heisst. Aber es ist auch
möglich, dass der Verräter unserer vise in der norwegischen Benedictvise an den
Verräter der HagbarSssage angelehnt ist und dessen namen erhalten hat. Auf jeden fall
ist der verräter der Riboldvise verhältnismässig jung; der Hildebrandvise ist er un-
bekannt, und auch die bekannte scene des zweiten Helgiliedes lässt sich füi' ein hohes
alter des Verräters nicht anführen, da Helgis Verkleidung mit Sigrüns entführung
nichts zu schaffen hat, sondern, wenn die Strophen überhaupt zur Helgidichtuug ge-
hören, seiner Jugendzeit angehört.
Ebensowenig überzeugend scheint mir die Zusammenstellung des zuges, dass
in dB (hinzuzufügen sind dEFGH) Guldborg gewaffnet mit Eibold reitet, damit, dass
»Sigrün walküre ist. Der zug ist, wie schon seine geringe Verbreitung vermuten lässt,
in der ballade nicht echt; er deutet auch nicht auf ein kriegerisches wesen der heldin
sondern lässt sich als eine der vielen formen der Verkleidung, die eine widererkennung
verhindern sollen, erklären. In dl versieht Ribold die Guldborg mit sporen, in dN sA
zieht er ihr fremde kleider an, in dKLPQRTUVZjE wirft er ihr einen mantel um,
in dS setzt er ihr seinen hohen hut auf; ein schwert und einen mantel erwähnt sC,
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 193
der Situation entwickelte gestalt zu sehen. Daraus, dass der könig wie
natürlich erfuhr, was geschehen war, machte die für die bailaden cha-
racteristische plastische vorstellungsweise eine person — rig(m groffue,
en trcsdsker mand, festemand, liden ainaadreng usw., — die dem könig
die nachricht bringt.
11. Der ritter fordert die dame auf, sich nicht zu fürchten. Nur
in dB. Übrigens ganz natürlich.
12. Der ritter bittet die dame, den zäum des pferdes zu halten.
8o dCE — I^E, iC; in sA schlägt sie die bitte ab; eine reminiscenz
enthält iA. Der zug ist wenigstens in mehreren redactionen belegt,
und die Übereinstimmung ist nicht ganz bedeutungslos.
13. Nur in einer jüngeren englischen version^ (nicht in 'Earl
Brand') sucht der ritter, als er angegriffen wird, eine Zufluchtsstätte in
der nähe eine felsens. Eine sehr natürliche verteidigungsstätte.
14. In 'Earl Brand' kämpft der ritter gleichzeitig immer nur mit
»'■inem angreifer. Aus den skandinavischen Versionen lässt sich das auf
keinen fall ersehen, wenn es auch mitunter heisst, er habe zuerst so
viele, darauf so viele erschlagen. Aber auch die gliederung der kämpfer
im Waltharius beruht auf einer neuerung (§ 7)2. Im einzelnen besteht
auch in der bailade nicht die geringste ähnlichkeit mit den kämpfen
im Waltharius. Bugge weist auf die zwölfzahl der Verfolger hin und
meint, auch in der vise drehe die zahl sich um zwölf. Auch wenn
das richtig wäre, würden zweifei gestattet sein; tatsächlich aber sind die
zahlen ganz andere^. Die voneinander stark abweichenden zahlen, die
'sabel og gehseng' d0. Derselben vorstellungsreihe gehört es an, da.ss or sie für seine
Schwester (schweslertochter) oder seinen hruder ausgibt.
1) Mir nicht zugänglich.
2) Ich leugne nicht die mögliche gleichheit des motivs der einzelkämpfe in 'Earl
Brand' und im Waltharius. Aber da 'Earl Brand' in der tradition der bailade hierin ganz
allein steht, ist die urspränglichkeit des zuges nicht anzuerkennen. Und da das
motiv auch sonst verbreitet ist, hat man auch keinen grund es dem einfluss des
Waltharius (die ältere Walthariussage kennt es nicht) zuzuschreiben.
3j Ribold tötet: oheim, vater, (J brüder dA; vater, 7 bmder, 11 Schwäger dB;
ater, 0 brüder, bräutigam, zuletzt noch den 7. bruder, der ihn verwundet hat dC;
7 oheime, bräutigam, vater, 9 brüder dD; 13 brüder, vater, 11 brüder {sie) dE; 7 brüder,
vater, 4 schwäger dF; her Truid (d.i. der vater) und vater (!), biüderdO; 7 brüder,
\ Schwäger, vater dH; 7 ritter, 3 brüder, vater dl; 30 ritter, 7 oheime, vater dK;
11 Schwäger, 11 brüder, bräutigam, vater dL; 30 ritter, oheim, vatur dM; brüder,
7 brüder (s/c), noch 7 brüder, vater dN; 15 ritter, 50 reitor, alle brüder, 7 oheime
d«»; 11 ritter, 7 oheime, vater dP; 4, dann 5, dann den grafen nnd alle, dann 8,
lann 9, dann den könig und alle dQR; 500 mann dS; vater, 18 hofmand dT; bräu-
tigam, vater, 11 schwäger, 11 brüder dU; 11 ritter, 7 brüder, vater dV; vater,
ZKITSOHRIFT K. DKÜTSCHK PHILOLOGIK. BD. XL. 13
1 94 BOER
in der fussnote angegeben sind, zeigen, dass die zahlen in der vise
überhaupt keine andere bedeutung haben als einen kämpf wider eine
Übermacht zu illustrieren. Die einzigen personen, die nahezu überall
hervorgehoben werden, sind der vater und die brüder; bisweilen wird
der bräutigam hinzugefügt, den ja die einleitung erwähnt, einige male
oheime und der graf (d. i. der Verräter).
15. In einer norwegischen version^ versucht Guldborg, nachBugge,
vergebens des ritters wunden zu verbinden. Der zug ist gewiss unecht.
Aber es besteht kaum ein grund, ihn damit zusammenzustellen, dass
Hildegunde die wunden der kämpen verbindet, was nicht erfolglos ist.
Das findet sich übrigens auch in einer version der Hildesage (Kudruu).
Sollen wir aus diesen beobachtungen einen schluss ziehen, so
kann er nur so lauten, dass die meisten der von Bugge angeführten
Übereinstimmungen durchaus zufällig sind. Nur sehr vereinzelte züge
haben vielleicht einige bedeutung: dass das mädchen schätze zusammen-
packt, dass der ritter sein haupt in den schoss des mädchens legt, dass
sie ihn weckt, dass sie den zügel hält. Wenn das nun ursprüngliche züge
der ballade wären, so müsste die frage erwogen werden, ob daraus auf
ein engeres Verhältnis zu der Walthersage zu schliessen sei. Dem gegen-
über würden aber die bedeutenden züge, die die ballade gegenüber der
Walthersage mit der Helgisage verbindet, wie der tod des räubers durch
den bruder der frau, anzuführen sein. Man würde dann schliessen
müssen, dass die ballade auf einer contamination zweier einander ein-
mal nahe stehenden Versionen der Hildesage, deren eine in die Helgi-
sage ausmündet, während die andere sich zur Walthersage entwickelte,
beruhe. Aber nun liegen die dinge so, dass die wenigen züge, die auf
ein Verhältnis zu der Walthersage deuten könnten, in der ballade nicht
ursprünglich sind, sondern nur in einigen, zum teil in ganz wenigen
Versionen stehen 2. Darum müssen wir schliessen, dass diese Versionen
5 brüder dX; 30, 40, 60 mann dY; 500, 500, bruder, 500, vater dZ; 'von der ersten
schar', 30 mann, 7 brüder, vater dA*; bruder und viele mannen, vater und viele
mannen sA; alle kämpen, den könig sB; 7 brüder, 12000 ritter. vater sC; vater,
n brüder iA; 40 brüder, vater, mägar iB; liS, könig und magar iC. — Zählt man
zusammen, so kommen die folgenden zahlen heraus: 8. 19. 9. 18. 25. 12. 2-\-. 12.
U. 38. 24. 32. 154-. 72-I-. 19. 26+. 500. 35. 19. 6. 130. 1502. 38-|-. 2+. viele.
12008. 12. 41+. viele.
1) So auch Earl Brand str. 28.
2) Es ist gewiss nicht ohne bedeutung, dass von den 15 oben besprochenen
Zügen nur drei (4. 10. 12) in der von Olrik a. a. 0. s. 196 fg. construiei'ten urform der
Riboldvise stehen. Von diesen drei sind, vpie oben gezeigt wurde, zwei (4. 10) für
eine herleitung der vise aus der "Walthersage absolut unbrauchbar.
TNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 195
in einer jungen periode, wol im 14. Jahrhundert oder noch später \
diese züge entweder einem liede von "Walther oder einem anderen, mit
der AValthersage verwandten, liede entlehnt haben. Dieses lied kann
ein niedeideutsches Volkslied gewesen sein, das auf dem in der tiöreks-
saga mitgeteilten gedichte von Walther beruhte.
Für den Ursprung der ballade hat demnach die Walthersage keine
bedeutung. Wol stehen beide einander genetisch nahe. Beide stammen
von der version H2. (s. 43), in der der Schwiegersohn über den Schwieger-
vater den sieg davonträgt. Aber die ballade hat zusammen mit der
Helgisage noch einen weiteren schritt getan: ein nebenbuhler ist ein-
geführt worden, und der söhn rächt den vater. Also ist das Verhältnis
dei- Überlieferungen vorläufig wie folgt festzustellen:
in = SH2 (S.54)
I _ ■ ■ ■
H2a, (sieg des Schwiegersohnes)
1
Walthersage
1
H2h (nebenbuhler)
1
iJ3 (räche durch den söhn)
1
HA
(Helgis rückkebr)
1
Grundlage der ballade
1 1
Ur-Ribold Hildebrand
1 1
Eaii Brand Ribold
Von den alten uamen der Hildesage hat wenigstens eine der beiden
balladen den namen der frau richtig erhalten. Es liegt gar kein grund
vor, diese Übereinstimmung mit Panzer (s. 175) für zufällig zu erklären ;
vielmehr liefert die erhaltene namensform einen besonderen beweis da-
für, dass man es auf dieser stufe der Überlieferung noch mit der Hilde-
sage zu tun hat. Den namen des vateis hat die ballade vergessen; der
könig bleibt, wie in so vielen ' Volksliedern, unbenannt. Der name
Ilildebrand ist gewiss im anschluss an Hildr eingeführt. Die vise von
llildebrand und Hilde steht also in dieser beziehung auf einer älteren
.stufe als die Riboldvise. Über die namen Ribold und Guldborg lässt sich
nichts sicheres sagen. Guldborg schwebt völlig in der luft; die formen
Krydenl)urg dN, Valborg dP, liten Kerstin sC, Giötha- Lille sD tragen
zur erklärung nichts bei; es sind willkürliche änderungen. Etwas anders
verhält es sich mit Ribold. Dieser heisst in dNPV sA Hildebrand, Hille-
brand, in dO Jldebrand, in dQRH Ridebrand, in dT Jledt'rl)rand, in
]) Vgl. Ülrik a.a.O. s. 202fg., der nachweist, dass diu hiiuiiIh-, in welcher
erzählt wird, da.ss Ribold ein künigssohu war (oben nr. l) schon aus sprachlichen
gründen kaum älter als da.s 15. Jahrhundert sein kann.
13'
196 BOER,
sB Redebold, in dU Rigebold, dY Baldrik, d^ ßoldrik, d0 kong
Valdemor, sC kung Yallemo. Man könnte zu der annähme versucht
sein, der ritter habe auch hier ursprünglich Hildebrand geheissen und
die übrigen formen seien Übergangsformen, die am ende zu Ribold
geführt haben. Dem steht aber gegenüber, dass die redactionen, die
Rib(b)old haben, im ganzen die besten sind. Da die vise nun auch
sonst in einzelnen redactionen secundäre einwirkungen der vise von
Hilde und Hildebrand verrät, liegt die erklärung näher, dass der name
Hildebrand in dNPV sA aus der verwandten vise stammt, und dass
die übrigen formen, mit ausnähme von der willkürlichen änderung
Yaldemor, Vallemo^ compromissformen zwischen Ribold und Hildebrand
sind. Der name Ribold bleibt dann wie Guldborg unerklärt. Aber
das ist das los so vieler folkevisenamen.
Die Helmerballade.
Zu geböte stehen mir sA Arwidsson 1, 155; s.B Geijer och Afzelius
1,264; sC ibid. 1,265. Die vollständigste Überlieferung bietet A.
Der kern der erzählung ist derselbe wie der der beiden oben be-
sprochenen bailaden. Ohne zweifei ist unser lied ein dritter spross des-
selben Stammes. Heimer schläft bei der königstochter. Der könig zieht
ihn zur Verantwortung und wird von ihm getötet. Helmer flieht; er
begegnet den söhnen des königs, die mit ihm kämpfen; sechs erschlägt
er; der siebente erhält frieden, aber er tötet Helmer verräterischer-
weise.
Eine nähere vergleichung zeigt, dass die beiden früher besprochenen
bailaden der Helmervise gegenüber eine gruppe bilden mit gemeinsamen
abweichungen von dem originale. Auch die Helmervise hat ihre neue-
rungen. Solche sind es, wenn nicht der held das mädchen entführt
und von dem vater und den brüdern verfolgt wird, sondern im palaste
des königs das mädchen entehrt 2, dann den könig erschlägt, und erst
darauf — allein — sich auf die flucht begibt, wo er dann den brüdern
begegnet. Er wird also Aveder verfolgt noch überfallen. Eine dem Ver-
räter der Ribold vise ähnliche gestalt ist schwach entwickelt; '■budef
1) Nach Olrik a. a. 0. s. 209 gehen Valdemor, Vallemo durch die übergangs-
foimen Bald, BallemaiiQ aiif Hildebrand zurück.
2) Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der ähnlichen darstellung in
dBG der vise von Hildebrand und Hilde, wo die jungen leuto im schlafgemach über-
fallen werden. Ein solcher Hesse sich durch eine secundäre beeinflussuug dieser
redactionen durch die Helmerballade erklären.
UNTERSUCHUNG KN ÜBKR DIR HILDESAGE 197
meldet dem könig, dass Helmer seine tochter vergewaltigt. Ein vom
vater begünstigter freier fehlt wie in der vise von Hildebrand und Hilde;
zur erkliirung vgl. s. 185 und anm. 2.
Den kämpf und die darauf folgenden ereignisse hat unsere bailade
besser als die beiden anderen erhalten. Nicht durch Zauberkünste,
sondern durch eigene kraft besiegt Helmer den vater und die brüder,
und der jüngste bruder verdankt seinen sieg nicht einer unvorsichtigen
anrufung des beiden durch die frau, sondern er wird besiegt und be-
gnadigt, bricht aber seine treue. Wir können also aus den drei bailaden
eine Überlieferung der Hildesage construieren, die im zweiten Helgiliede
noch treu erhalten ist: flucht und Verfolgung, tod des vaters, des
bräiitigams, der brüder, mit ausnähme des jüngsten, dem friede gegeben
wird, und der später den Schwager verräterischerweise tötet.
Die vise ist ferner in neue Verbindungen eingetreten. Dass Helmer
dem könig vierzig wochen und drei jähre dient, weiss keine andere
aus der Hildesage abgeleitete Überlieferung. Dieser ziig stammt aus
derselben quelle, die auch den namen des beiden hergegeben hat, aus
fler Hjalmarsage^ Auch Hjälmarr hatte dorn könig lange zeit gedient,
als er die tochter des königs zur frau begehrte, ein wünsch, für den
er mit seinem leben büssen musste. Es ist kaum ein zufall, dass die
Helmerballade nahezu ausschliesslich in schwedischen Versionen über-
liefert ist, wie auch die Hjälmarsage schwedischen Ursprunges ist.
Der letzte teil der vise schliesst sich an die Helgidichtung an.
Aber auf eine andere weise als Ribold und Guldborg, und das ist ein
grund, auch diesen ausgang für eine jüngere zutat zu halten. Es ist
nicht der totenritt, sondern Sigrüns begegnung mit dem bruder, die
wir hier in selbständiger fortbildung widerfinden. Im zweiten Helgi-
liede geht Dagr zu Sigrün und teilt ihr zögernd den tod des geliebten
mannes mit. In der bailade kommt der bruder gleichfalls zu der frau;
allein er prahlt mit seinem sieg und zeigt ihr das haupt dos geliebten.
Im zweiten Helgiliede antwortet sie auf die mitteilung mit einer Ver-
wünschung. Die bailade geht weiter und berichtet, dass sie ihn durch-
sticht. Dann begräbt sie den geliebten. Eine weitere ausführung dieses
motivs fehlt. Die Helmerballade geht also zusammen mit den beiden
früher besprochenen liedern auf 7/3 zurück. Secundär hat sie, unab-
hängig von den beiden anderen, der Helgidichtung den .schluss entlehnt,
der Hjälmarsage eine motivierung der liebe des jungen paares und den
namen des helden.
I) Dass der /.ug aus unsoiei- ballade in oiuigo Versionen der vise von Hildc-
braud und Hildo übergegangcii ist, wurde s. 188 bemerkt.
1 '.)8 BOER ,
Die Shetlandsballade.
Hildina, die tochter eines norwegischen königs, wird von einem
Orkneyjarl entführt. Der vater setzt dem paar nach; ihn begleitet ein
von ihm vorgezogener freier, Hihigi. Ein Versöhnungsversuch, auf den
der vater einzugehen bereit ist, wird durch den nebenbuhler vereitelt.
Im kämpfe wird der entführer von dem nebenbuhler erschlagen. Hildina
rächt ihren geliebten an dem ihr bestimmten bräutigam; den vater aber,
der den frieden gewollt hat, schont sie.
Dass diese erzählung ein zweig der Hildesage ist, lässt sich, v/enn
man die entwickelung dieser sage genau betrachtet, unmöglich leugnen.
Wir wollen versuchen, die in der bailade erreichte entwickelungsstufe
der sage zu bestimmen. An die echte Hildesage erinnert zunächst
noch der name der heldin; er beweist, dass wir es hier ebensowenig
wie bei 'Hildebraud und Hilde' mit einer schon zu der Helgisage ge-
hörenden Überlieferung zu tun haben. Dass die stufe SH2, von der
alle bisher besprochenen Versionen mit ausnähme von Saxo I stammen,
erreicht ist, geht daraus hervor, dass das mädchen dem räuber aus
liebe gefolgt ist.
Ein alter zag, der bei Snorri, im S(jrla J)attr und in der Walther-
sage widerkehrt, ist der Versöhnungsversuch vor dem kämpfe. Auf die
Seite der gruppe JT, sogar H2h (die übrigen balladen und die Helgi-
sage) stellt sich ferner unsere bailade durch die einführung des neben-
buhlers. Mit den isländischen traditionen (Snorri und Sorla J)ättr) hat
das lied ferner die localisierung gemein, denn dass der räuber ein
Orkneyjarl ist, lässt sich davon, dass HQgni Heöinn bei Häey einholt,
nicht trennen. Ich glaube nicht, dass dadurch eine nähere Verwandt-
schaft mit diesen Versionen bewiesen wird, denn die einführung des
nebenbuhler«, die die ballade mit der gruppe 112 b gemein hat, ist
doch für die structur der erzählung wichtiger. Man hat für die locali-
sierung die wähl zwischen zwei erklärungen. Entweder kannte schon
die Version SH2, von der die ganze gruppe H (Helgisage, Walther-
sage, balladen) stammt, dieses local, und Avurde dieses in den übrigen
Versionen der gruppe H durch andere combinationen verdrängt, oder
— und das ist schon jetzt das wahrscheinlichste — unsere ballade hat
später die localisierung auf den Orkneyjar der ihr nahe verwandten,
am meisten verbreiteten version der Hildesage entlehnt. Näheres darüber
unten.
Starke abweichungen zeigt der zweite teil der ballade. Zunächst
ist ein punkt zu besprechen, der auf eine der gruppe // etwas ferner
stehende quelle zu deuten scheint. Nicht der räuber, sondern die ver-
UNTERSCCHUNUBN ÜBKR IHK HILnESAGE 199
folger siegen. Der sieg des räubers aber wurde als ein grundlegender
zug der gruppe 7/ erkannt. Dass er sogar älter als die einführung des
nebenbuhlers ist, beAveist die Walthersage, die zwar diesen sieg aber
nicht den nebenbuhler kennt. Die Shetlandsballade aber kennt den neben-
buhler und nicht den sieg des räubers. Nun ist es weit wahrschein-
licher, dass die darstellung dieser ballade, nach der der räuber besiegt
wird, durch eine neuerung direct aus dem alten kämpfe, in dem beide
feinde umkommen, entstanden ist, als dass ihr eine form zugrunde
liegen sollte, die gerade das umgekehrte, — den sieg des räubers, —
erzählte. Man kann nun freilich annehmen, dass der Ursprung der
ballade in eine zeit zurückgeht, in der die motive noch nicht gefestigt
waren; also: eine Variante hätte den nebenbuhler eingeführt (so die
Shetlandsballade), eine andere den sieg des räubers ("Walthersage), aber
auch beide motive kämen in Verbindung vor (so die Helgisage und
die übrigen balladen, wenigstens die Riboldvise). Allein, man müsste
dann die version der Helgisage für eine alte combination aus der
Walthersage und einer hypothetischen quelle der Shetlandsballade er-
klären. Bei dem hohen alter der Helgisage und der Walthersage ist
das durchaus unwahrscheinlich. Eine weit einfachere erklärung des
tatsachenbestandes liegt auf der band. Für die Shetlandsballade ist es
fürwahr nicht notwendig, eine alte einheitüche quelle, von der sonst
keine spur nachgewiesen werden kann, anzunehmen. Wir wurden viel-
mehr schon oben zu dem Schlüsse geführt, dass sie auf einer combi-
nation einer form von II 2 b (Helgilieder und die übrigen balladen)
und SH '1 oder 3 (Snorri und SQrla |)ättr) beruhen muss. Aus jener
stammt ja der nebenbuhler, aus dieser das local. Jetzt können wir
hinzufügen: aus dieser stammte auch der alte schluss, nach dem der
sieg nicht dem räuber zufällt. Daraus folgt freilich noch nicht, dass
die andere partei siegt, aber das ist so wie so eine neuerung der Shet-
landsballade, die auch sonst überaus selbständig zu werke gegangen ist.
Sie macht den vater friedfertig und erhebt den nebenbuhler zu dem
eigentlichen feinde des räubers; sodann dichtet sie hinzu, dass Hildina
ihren geliebten rächt. Dass das alles auf neudichtung beruht, braucht
nicht erst erwiesen zu werden. Keine andeie Überlieferung der Ililde-
.-lage weiss von diesen dingen auch nur das geringste. Zieht man die
junge Überlieferung der ballade in betracht, so nimmt das auch gar
nicht wunder. Eher fällt die Zähigkeit auf, mit der sie in ihrem ersten
teil eine reihe alter züge erhalten hat. Inwiefern die erwähnten neue-
1 ungen auf dem einfluss fremder sagen beruhen, wird sich schwerlich
entscheiden lassen. Die Volksdichtung wirft am ende alles durcheinander.
200 BOER
und je jünger die zeit ist, aus der die quellen stammen, desto trüber
werden diese selbst. Darum ist es auch so gefährlich, ältere dichtungen
aus im 18. Jahrhundert zuerst aufgeschriebenen balladen herleiten zu
wollen. Den ausgang unserer bailade hat man wol mit dem der
Nibelungensage verglichen. Die mögiichkeit einer beeinflussung durch
SignjTS oder eher Gubrüns räche ist nicht ausgeschlossen, aber das ist
auch alles, was sich darüber sagen lässt.
Die Shetlandsballade ist demnach eine Schwesterballade der drei
folkeviser (Ribold; Hildebrand und Hilde; Helmer), die zunächst unter
den einfluss der ihr noch nahestehenden norwegisch -isländischen form
der Hildesage geraten ist und sich später namentlich in ihrem zweiten
teil, vielleicht unter dem einfluss fremder sagen, sehr selbständig ent-
wickelt hat.
Dass die Shetlandsballade von den brittischen inselu stammt, läßt
sich von ihrer localisierung auf den Orkneyjar nicht trennen. Diese
aber hängt, wie schon widerholt bemerkt wurde, mit der localisierung
der erzählung Snorris und des J)ättr auf jenen inseln zusammen. Man
kann daraus vielleicht schliessen, dass die formen 112 h und SH3 zu-
sammen aus Skandinavien nach den brittischen inseln gewandert und
dort localisiert worden sind. Eine aus H2h und SH 3 combinierte
form blieb dort erhalten. Ihre Isolierung ist dann unter den Ursachen
ihrer eigentümlichen entwicklung mitzuzählen. Sie verlor den Zusammen-
hang mit ihren nächsten verwandten. Die form SH 3 aber behielt ein
grösseres Verbreitungsgebiet; wir finden sie in jüngerer entwicklung an
mehr als einem orte auf Island und bei Saxo wider. Die form H2
aber verbreitete sich mit anderem namen (Walthersage H2a) namentlich
über Deutschland, gelangte aber von da aus auch nach England,
während H2h am reichsten im skandinavischen Norden blüht. Nach
ausweis der englischen version der Riboldballade war sie aber auch in
Brittannien bekannt. Und wie wir § 9fgg. sehen werden, liegt sie der
einzigen deutschen bearbeitung des Stoffes, die die alten namen bewahrt,
der Küdrün, zugrunde.
Ehe wir von der Shetlandsballade abschied nehmen, müssen wir
uns mit der ansieht Panzers, der sie aus dei' Helmerballade ableitet
und behauptet, der bruder der Helmervise sei in der Shetlandsballade
unter dem einfluss der Riboldvise durch einen nebenbuhler ersetzt worden,
auseinander setzen. Die absolute willkürlichkeit dieser behauptung ist
augenscheinlich. Eine solche entwicklung ist schon deshalb unmöglich,
weil dem nebenbuhler in der Riboldballade keine rolle voii irgend
UNTEESUCHtJNGEN ÜBER DIE HILDESAUE 201
welcher bedeutung zufällt. Genannt wird er zwar, aber er ist so sehr
eine nebenperson, dass unter zwanzig redactionen, die ihn nennen, es
nur vier für der mühe wert erachtet haben, seinen tod mitzuteilen.
Das entspricht noch seiner sccundären rolle in der Überlieferung; er
hat überhaupt nichts anderes zu tun als der vom vater gewollte freier
zu sein. Dass er in dieser rolle zu der gemeinsamen quelle der
vier bailaden gehört, wurde s. 185 anm. 2 ausgeführt, und die Helgi-
sage bestätigt es. Die Shetlandsballade hat ihn zur hauptperson ent-
wickelt. In der Riboldvise hingegen, die hier das vorbild abgegeben
haben soll, ist es wie in der Helmervise der bruder, der den ent-
führer tötet.
Auch die tlucht des paares, die Panzer aus der Riboldvise ableiten
will, gehört zu dem alten bestände der Überlieferung; sie ist nur in
der Helmervise zu einer flucht des beiden, den die geliebte nicht be-
gleitet, entstellt. Weshalb muss nun eine vise, die die alte Vorstellung
bewahrt hat, von einer entstellten form stammen? Von einer , heim-
tückischen' tötung des beiden, wovon Panzer s. 178 redet, weiss die
Shetlandsballade nichts; in der darstellung des todes des liebhabers
steht sie ganz allein, ohne dass die Helmerballade zu ihrer erklärung
etwas beisteuerte. Darauf folgt dann die ähnlichkeit, dass der sieger
der frau den köpf seines feindes zeigt, — eine bekannte prahlerei, die
/.. b. in den mordgeschichten der sqgur widerholt widerkehrt. Wenn
hier ein Zusammenhang angenommen werden müsste, so wäre noch
zu untersuchen, auf welcher seite das prius ist, aber wenn man in
betracht zieht, dass die eine bailade auf die Shetlandsinseln, die andere
nahezu auf schwedische Überlieferung beschränkt ist, so wird man sich
davor hüten, auf diesen vereinzelten zug viel zu bauen. Dass die frau
den geliebten rächt, ist eine psychologische schlussf olger ung, wie z. b.
die, dass der söhn den vater rächt; in dem einen liede rächt sie den
liebhaber an dem bruder, in dem anderen an dem bräutigam; in dem
einen liede dadurch, dass sie den mörder durchsticht, in dem anderen
dadurch, dass sie ihn verbrennt. Zum schluss: wenn die Shetlands-
ballade weiter nichts wäre als eine combination aus der Helmervise
und der Riboldvise, wie erklärt Panzer dann die alten züge, die sie
allein bewahrt hat: den raub während der abwcsenheit des vaters,
den Versöhnungsversuch, den namen liildina, endUcli die Überein-
stimmung mit Snorri und dem Snrlu l)iittr in der localisierung auf den
Orkneyjar?
Für die gesamte bisher besprochene Überlieferung ergibt sich der
folgende Stammbaum (vgl. s. 51. (Xi. I!»."»).
202
H (Saxo 1)
1
SHl
j
Hl
= SH2
1
H2&
SH3 ^
I'Hl
1
w
H2h^
-" r Sairn TT = SR a
!
fH2
1 • 1
Waldere SW
HB Slietlaiidsballade SH5
II .1
jftf4 grundlage SH ö (Snorii)
(Helgi) der viser
1 1
Ur. Hildebrand Heliiierballade
1 1
PW FW
(Pohl. Version) i
FW 2
(tS)
1
W
hai
1>H +
E
(Ecke
1 1
Ur. Ribold Hildebrand
t) 1 1 lind Hilde
Earl Braud Ribold.
Dil
Waltherfr
(1.
aKiuei
>te.
§ 9. Die hauptformeii der eiitniliruiigssage in Kiidrun.
Die sage, die wir § 2 — 8 kennen lernten, ist nicht, wie Panzer
glaubt, eine von Snorri für einen bestimmten zweck zurechtgelegte
erzählung, sondern eine in einer grossen anzahl von Varianten weit
verbreitete sage, zum teil an HeÖins namen, zum teil an andere namen
geknüpft, aber so häufig bezeugt und in ihrer entwicklung so durch-
sichtig, dass über ihren Inhalt und ihre älteren formen kein zweifei
obwalten kann. Wenn wir nun auf ein zugleich junges und sehr com-
pliciertes gedieht stossen, das anerkanntermassen von fremden Stoffen
stark beeinflusst worden ist, so ist es gewiss ein methodisches verfahren,
nicht aus diesem gedichtc einen angeblich alten Inhalt nach eigenem
gutdünken durch auswahl zusammenzustellen und diesen Inhalt den
älteren ciuellen aufzudrängen, sondern zunächst zu untersuchen, ob der
iniuilt dei- älteren und zugleich durchsichtigen quellen in diesem jungen
gedichte widerzufiuden ist. Das wird wenigstens eine berechtigte for-
derung bleiben, solange man annimmt, dass der stotf hier und dort
derselbe ist. Wenn das gelingt, ohne der Überlieferung gewalt an-
zutun, so werden wir das Küdrünproblem als gelöst zu betrachten
das recht haben.
Die beiden hauptabteilungen von Küdrün bezeichne ich als KI
und K II ; dabei wird von der unserem Stoffe fremden einleitung ab-
gesehen. Dass zwischen diesen beiden teilen ein nahes Verhältnis
besteht, hat man lange gesehen; sogar Panzer, der die ableitung aus
UNTERSUCHüNCiEN ÜBER DIK HILDKSAGK 203
einer entführungssage leugnet, tut das für beide teile und führt seiner-
seits beide auf eine Überlieferung zurück. Die verbreitetste auffassung
ist wol die, dass die Küdrünsage (KU) eine fortsetzung der Hildesage
(KI) sei, die sich im directen anschluss an diese entwickelt aber nie-
mals selbständig existiert habe. Wir wollen die fabel etwas näher
betrachten.
Die fabel von KU ist, wenigstens in ihrer ersten hälfte, beim
ersten anblick die deutlichere. Während Hetele nicht zu hause ist,
kommt Hartmuot und raubt seine tochter. Als der vater das vernimmt,
eilt er, von einem von ihm begünstigten bräutigam begleitet, dem
läuber nach; er holt ihn beim Wülpensande ein und wird dort er-
schlagen. Es ist die aus dem vorhergehenden zur gcniige bekannte
erzählung; der eingang correspoudiert mit mehreren skandinavischen
Versionen, in denen der vater gleichfalls abwesend ist, als die tochter
entführt wird; der nebenbuhler entspricht Hobbroddr und dem bräu-
tigam der Riboldvise und der Shetlandsballade. Der tod des vaters
ist für dieselbe gruppe, die älteste form der Walthersage einbegriffen,
charakteristisch.
Weniger einfach als dieser teil von KII ist KI. Die vielen personen,
die au dem raubzug teilnehmen, und die eigentümliche Vorbereitung
des abenteuers deuten auf eine starke und widerholte Überarbeitung.
Wir müssen aber vorläufig alle nebenpersonen bei seite lassen und
uns mit Wate beschäftigen, der bei der entführung die hauptperson
ist, der das Wagestück vollbringt und den kämpf mit dem ihn ver-
folgenden Hagen leitet. Wenn Wates erstes auftreten an Hagens hol
nicht auf moderner ausführung der Situation beruht, • — worauf man
bei einem gedichte wie Kiidrün stets gefasst sein muss, — so steht
der eingang der geschichte auf einem noch altertümlicheren Standpunkt
als der von KII. Wate kommt nicht in Hagens land, während dieser
abwesend ist, sondern er besucht ihn selbst und schliesst mit ihm
freundschaft. In einigen einzelheiten kann man züge eines bestimmten
Zweiges der skandinavischen tradition widerfinden. Der scheinkampf
zwischen Wate und Hagen kann nämlich, wenn er überhaupt etwas
berleutet, nur dem dem froundschaftsbündnis vorangehenden wettkampf
der beiden, von dem der Sorla l»attr berichtet, gleich gestellt werden.
Die Kndrünstelle würde dann beweisen, dass die darstellung des l)ättr
in diesem punkte nicht so völlig wertlos ist, als man auf grund des
mangels eines entsprechenden berichtes in anderen (luellen anzunehmen
geneigt wäre. Für einen Zusammenhang in diesem punkte spricht auch
noch eine andere übereiustimiuung mit ijcm jiiittr, nämlich die behand-
204 BOEK
lung, die die alte königin erfährt. In dem l'ättr wird sie vor den
Steven des schiffes gelegt und überfahren, in KI werden alle die
personen, die mit Hilde auf das schiff gekommen sind, — und zu
diesen gehört ja auch die königin, — ins wasser gestossen-. Die auf-
fassung und die ausführung des motivs ist sehr verschieden; der Pättr
erklärt die rohe behandlung der königin secundär aus HeÖins geistes-
verwirruug, KI aus der notwendigkeit, die frauen durch eine list auf
das schiff zu locken und sich der mutter zu entledigen. Aber das
resultat ist doch auch hier, dass die königin misshandelt auf dem
strande liegt, während der räuber mit der tochter davonsegelt 2.
Hagen setzt dem entführer nach und holt ihn bei Waleis ein,
wo es zu einem kämpfe kommt. Hier wird die darstellung durch die
einführung Heteles, der Wate entgegengereist ist und nun am kämpfe
teil nimmt, äusserst compliciert. Ich hoffe § 10 den nachweis zu
führen, dass diese darstellung durch eine contamination mit einer
dritten form der entführungssage entstanden ist. Bis hierher lässt es
sich nicht leugnen, dass Wates rolle in der erzählung dieselbe ist, die
in der skandinavischen quelle Hebinn zufällt. Und das bleibt so nach
Heteles auftreten; auch im kämpfe ist Wate die hauptperson. Hier, am
entscheidenden punkte findet nun unsere kritik eine stütze an dem ein-
zigen deutschen Zeugnisse, das chronologisch weit über Küdrün hinaus-
reicht, der bekannten stelle aus Lamprechts Alexander, die in der 8trass-
burger hs. (ISoOfgg.) wie folgt lautet:
Von ehieni rol'/cigo liorc 11 ir s(/(jcn,
der üf Widpimvcrde gesrhach,
— dar Hilden vater tot lach'-^, —
1) Freilich sucht der dichter uuch seiner gewohnheit diesen zug zu vertuschen,
aber der zusamnieuhang ist doch nicht anders zu verstehen. Str. 445,3 heisst es: die
alten küneginne schiet man von der meide. Man ist aber schon auf dem schiffe, denn
unmittelbar darauf heisst es 445, 4 — 446, 2 : üf Sprüngen die da ■ lägen. . . . üf
xuhten si die segele, die Hute sahen dax. die si wx- dem scheffe stiexen, der toart
vil manegrr na%. "Wenn es darauf z. 4 heisst: der alten Idmeginne tvart nach ir
vil lieben tochter ande, so sieht es aus, als mache der dichtei-, der den unhöfischen
zug nicht zu entfernen vormochte, einen versuch, die aufmerksamkeit auf ein see-
lisches motiv, den schmerz der königin über den verlust der tochter, hinzulenken.
2) Über eine berührung von K II mit dem S^rla |)iittr s. § 12.
3) Eine unrichtige interpunction dieser stelle hat vielfach Verwirrung und
missverständnis hervorgerufen. So glaubt "Wilmanns , Entwicklung der Küdründichtung
s. 234, Hildens vater sei eine andere person als Hagene, Hagene und "Wate seien
im kämpfe umgekommen und feruer noch eine dritte person, etwa Hetele, was sich
nicht entscheiden lasse, da ein Tehler in der übei'lieferung vorliege. Die richtige
TrNTRRSUCHTINGF.N f RET? DtE HILDESAGK 205
inxivischptt Hagtnetf inide WatPii :
der ne mohte sich hl xö niht gegaten.
Herwieh unde Wolfram
ne mohten ime n'nvit gelich stn:
noh nehein man ander:
also fref'lf'rh (\. fr eislich) ivas Alexander:
während die Vorauer hs. hat (1321 fgg.):
}nan saghct von dem sinrin,
der üf Wolfenwerdc gesrach,
— da Hilden rater tot lach, —
zewishen Hagenen nnde Waten:
sone mnother herxo nieth kute/t.
iedoch ne mohte nehein sin:
noch Hereivtch noch Wolftvin\
der der ie gevaht volcnich,
dem chnnii/r Alexander gelich.
"Wir fragen zunächst, auf welche der beiden in Ivfidrun mitge-
teilten kämpfe zwischen dem vater und dem entführer diese stelle geht.
Für KI sprechen die namen Hagen und Hilde; für KIT könnte die
localisierung auf dem Wülpensande zeugen, und mit KU ist auch der
tod des vaters in Übereinstimmung. Jedesfalls wird man Lamprechts
bericht aus dem 12. Jahrhundert eher als der wunderlichen combination
des jungen gedichts glauben schenken müssen. Sieht man genau zu,
so ist die wähl zwischen den beiden möglichen auffassungen nicht
schwer. Wenn Lamprecht von KI redet, so ergibt es sich, dass eine
ältere tradition auch KI auf dem Wülpen werde localisiert hatte; Waleis
ist dann eine ncuerung. Ist bei Lamprecht von KII die rede, so
müsste man annehmen, dass auch in KII die namen von vater und
tochter einmal Hagen und Hilde waren; Hetele und Küdrun sind hier
dann neu eingeführt worden. Sehen wir vorläufig von Hetele ab, so
ist es eher wahrscheinlich, dass ein ortsname wie Waleis — ein name
aus brittischen roraanen, der damit zusammenhängt, dass Hagen in
Irland wohnt, — in K I neu ist, als dass der name Kiidnln auf freier
erfinduiig beruhen soUte. Dies ist um so unwahrscheinlicher, als auch
eine andere siige. dif Xibelungensage, jedoch nur in fassuugen, die
Ulffassung der stelle findet sich schon bei Hoffmann und ist auch von Kloc, Z. Hildes.
^. 49 ausgesprochen worden.
1) Dass Wolfwin richtig, Wolfr(H)i ein fehler ist. lehrt der reim iu lieidcii
fassungeu.
206 BOER
unserem dichter nicht bekannt gewesen sein und also den namen nicht
hergegeben haben können, GuÖrün in Verbindung mit Hagen kennt.
Aber auch mit Wate wissen wir, wenn Lamprechts anspielung auf K II
gehen sollte, keinen rat. Denn allerdings kennt K II in der vorliegenden
fassung Wate, aber in einer dem berichte Lamprechts absolut entgegen-
gesetzten rolle; während er bei Lamprecht der feind Hagens ist, steht
er in KU auf der seite des beleidigten vaters. Mau versteht nicht,
weshalb Wate, wenn er früher in KU der räuber war, später auf die
Seite des vaters übergegangen sein und als feind des vaters vollständig
neuen feinden den platz geräumt haben sollte. Auch ist es nicht zu
verstehen, wenn von anfang an sowol KI wie KU die trias Hagen -
Wate-Hilde gekannt hätten, aus welchen Ursachen KU später die
erzählung an ein zweites geschlecht geknüpft und nicht einen einzigen
von den alten namen erhalten hatte.
Also redet Lamprecht von K I. Aber dann erfahren wir an dieser
stelle nicht nur, dass einmal auch KI auf dem Wülpensande localisiert
war, sondern auch, dass der ausgang des kampfes in Kudrun eine
neuerung erfahren hat. Ursprünglich wurde Hagen auf dem Wülpen-
sande erschlagen 1; in dem überlieferten gedichte wird friede ge-
schlossen. Über den grund dieser neuerung läßt sich eine Vermutung
aufstellen. Eine notwendige folge der durchführung der erzählung
durch zwei geschlechter ist sie nicht. Denn auch wenn Hagen gefallen
war, konnte Hilde wol eine tochter gebären, in deren leben sich die
geschichte der mutter widerholte. Man kann hier nun von 'friedfertigen
tendenzen des dichters' reden, aber solange die dichter uns nicht
besser bekannt sind, ist das doch nur eine phrase, die unsere Unkenntnis
verhüllen soll. Ich glaube, dass der friedensschluss eine folge davon
ist, dass bei der anläge des gedichtes für eine räche für Hagen kein
platz mehr vorhanden war. Dass KI diese räche kannte, werden wir
§ 12 sehen; wo sie fortfallen musste, lag es nahe, zugleich die tat,
die gerächt werden musste, zu entfernen. An die stelle von Hagens
tod trat eine Versöhnung.
Ferner belehrt Lamprecht uns darüber, das Hetelo in KI eine
fremde gestalt ist. Wenn, wie Küdrün erzählt, Wate von anfang au
nur eiü böte Heteles gewesen wäre und dieser vor der schlacht sein
beer mit dem seines dienstmanns vereinigt hätte, so könnte der zweck
1) Also die sagenform der Walthersage , der Helgisage und der balladeu, uicht
die bei Snorri mitgeteilte, wie Wilmamis auf giimd seiner falschen interpunctiou
(oben s. 204 anm. 3) annimmt.
ÜNTERSrCIIUNGF.X €'BKR DIE lIILUESAfiK 207
dieser vereinigimf^ doch nur der gewesen sein, zu zeigen, dass Hetele
die iiaiiptperson war, und die poetische logik hätte gefordert, dass
Hagen von Hetele erschlagen av ürde. Aber von Hetele Aveiss Lamprecht
nichts; er redet von einem kämpfe zwischen Hagen und Wate, und
in diesem kämpfe wird Hagen erschlagend Das heer, das Wate noch
in Küdrün in seinem schifte verborgen hält, ist dasselbe, wodurch
ursprünglich Hildes vater besiegt wurde.
Fragen wir nach dem Verhältnis zwischen KI und KU, so hat
es sich ergeben, dass beide an demselben orte localisiert waren. Ferner,
wenn wir von den namen absehen, dass in dem bisher besprochenen
abschnitt der inhalt der beiden erzählungen nicht nur ujigefähr, sondern
in hauptzügeu vollständig derselbe ist. In beiden wird ein mädchen
geraubt und der vater, der dem räuber nachsetzt, auf dem Wiilpon-
sande von dem entführer erschlagen. Es ist wol klar, dass. K II unter
solchen umständen nicht als eine fortsetzung sondern als eine sehr
nahe Variante von KI zu betrachten ist. Es kann aus diesen gründen
kaum einem zweifei unterliegen, dass auch in KU der name des vaters
einmal Hagen war-. Hetele kann auf keinen fall richtig sein. Freilich
ist es uns noch nicht klar geworden, woher Hetele in unserem gedichte
stammt, aber dass sein name der eines entführers, nicht der des vaters
der entführten frau ist, wissen wir doch aus den nordischen quellen.
Seine rolle in K II muss demnach auf einer Übertragung beruhen.
Was ist nun der grund, dass zwei Varianten durch eine genea-
logische Verbindung aneinander gereiht worden sind? Die vollständige
Identität der erzählungen ist nicht erkannt oder wenigstens nicht an-
erkannt worden. Der grund dafür wird, wie so häufig, in den namen
zu suchen sein.
Für verhältnismässig alt in KU halte ich den namen Küdrün.
Auch in der Nibelungensage besteht in bezug auf den namen der
IVau. zu der Hagen in einem Verwandtschaftsverhältnisse steht, dasselbe
1) Da.s.s in KI Wate die stelle des liebliabers einnimmt, hat schon W. Meyer,
lifitr. 10, 528 richtig gesehen.
2) Direote rominiscenzen daran enthalten drei stellen (1270. 1281. 1486). wo
Kudriln dax Ihujrmni kütine heisst. Namentlich 1480 ist beweiskräftig; Küdrün,
nach ihrem namen befragt sagt: icli Itelxe Kudrüii and bin dax llayenen künne.
Dass sie, um ihre Identität anzudeuten, den namen des grossvaters, nicht den des
vaters nennen sollte, ist unglaublich. Dem kann man nicht entgegenhalten, dass der
grossvater der berühmtere sei. denn erstens trifft das für das vorhegende gedieht
nicht zu, und forner ist zwar Hetele, aber nicht Hagt'n Iferwif,. der die auskunft
erhält, bekannt.
208 BOER
schwanken wie hier^. Neben (Grrira-)hild tritt GuÖrün auf. Und das
verliältnis ist so, dass die quellen entweder nur Grimhild oder beide
frauen kennen, wie den quellen der Hildesage entweder Hild oder
beide trauen bekannt sind. In diesem fall ist Grimhild GuÖrüns mutter.
Aber Hagen ist da, wo nur Grimhild bekannt ist, Grimhilds, wo beide
bekannt sind, GuÖrüns bruder.
Der name des räubers ist in der alten Überlieferung am wenigsten
constant. In einer reihe von Varianten, die den nanien Hagen richtig
mitteilen, trägt der räuber verschiedene namen. In der Hildesage be-
gegneten wir schon Hebinn, aber auch "Wate, und noch anderen namen
werden wir begegnen; in der Walthersage Walther, in der Helgisage
Helgi; — aber überall ist der vater Hagen.
Etwas fester als der name des räubers, aber weniger fest als der des
Vaters ist der name der frau: Hilde, Sigrün, Hildegunde (ein compositum
mit Hilde). Es ist demnach gar nicht auffällig, wenn in einer sagenform,
wo der vater Hagen hiess, die tochter und der räuber andere namen trugen.
Der name Küdrün wird nach dem oben erörterten in KU echt
und also in der sage verhältnismässig alt sein.
Wenn nun in KU der räuber einen der in Küdrun überlieferten
namen trug, — wir nehmen vorläufig an: Hartmuot, — so lauteten
die beiden Varianten, wie folgt:
KI: Wate raubt Hagens tochter Hilde und besiegt darauf den
vater auf dem Wülpensande.
KU: Hartmuot raubt Hagens tochter Kndrün und besiegt darauf
den vater auf dem Wülpensande.
Für einen dichter, der diese beiden erzählungen kannte und sie
zu einer fortlaufenden geschichte verbinden wollte, waren genügende
gründe zu einer genealogischen Verknüpfung vorhanden. Wenigstens
wenn ihm, ähnlich wie den nordischen dichtem der Mbelungenpoesie,
eine genealogie bekannt war, nach der Hilde die mutter der Küdrün
war. In diesem fall konnte er den schluss ziehen, dass Küdrün nicht
Hagens tochter sondern seine enkelin war. Er fasste also die ent-
führung von Hilde und von Küdrun als zwei abenteuer, der mutter
und der tochter, auf. So wurde Küdrüns entführung zu einem aben-
teuer in der zweiten generation.
Dass nun unser dichter tatsächlich eine genealogie kannte, nach
der Hilde Küdrüns mutter, das Verhältnis der beiden frauen zu Hagen
1) Über die älmlichkeit ia diesem punkte mit der Nibelungensage äussert sich
schon Klee, Z. Eildesage s. 50 fg. Er glaubt aber, GuSrün sei von anfang an ein
beiname der Hildr gewesen.
UNTERSUCHTTNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 209
dagegen schwankend war, darf man weiter aus dem genealogischen
resultate, das am ende bei seinen speculationen herauskam, schliessen.
Denn nach seiner combination mussten sich die Verhältnisse von K I
wie folgt gestalten. 1. Hilde ist Hagens tochter. 2. Küdrün ist also
seine enkelin. Aus K II aber ergab sich 3. Küdrün ist Hagens tochter.
4. also ist Hild seine frau. Von diesen vier gliedern konnte er 1.2.4
brauchen, während nur 8 bei seite geschoben wurde. Daraus ergab sich:
Hild I ist Hagens frau (nach KU).
Hild II ist Hagens tochter (nach K I).
Küdrün ist Hagens enkelin (stammt aus KU, ist unter dem ein-
fluss der Verbindung mit KI um eine generation verschoben).
Das ist die genealogie, die in dem überlieferten gedichte vorliegt.
Das gedieht aber macht Hetele zu Küdrüns vater. Zugleich führt
es andere personen ein, unter denen Horant eine rolle spielt, die der
des entführers sehr ähnlich ist. Wir müssen, ehe wir aus unseren. bis-
herigen resultaten weitere Schlüsse ziehen, diese gestalten näher be-
trachten.
§ 10. Hörant.
Panzer hat nachzuweisen versucht, dass Hjarrandi, der von Horant
kaum getrennt werden kann, nur ein anderer name für HeÖinn sei,
und zwar ein beiname, was so zu verstehen wäre, dass der held in
einer version der sage die beiden namen getragen habe. Panzers be-
weisführung hat zwar für mich nichts überzeugendes, aber die frage,
ob * Herrand der name eines beiden unserer erzählung sein kann, ver-
dient meines erachtens ernsthafte erwägung.
Wir müssen damit anfangen, die Zeugnisse richtig zu unter-
scheiden und darauf achten, dass tatsächlich in keiner einzigen quelle
Hebinn und Hjarrandi für identisch gelten. Im Norden gilt Hjar-
randi unbedingt für Heöins vater. Das ist nicht eine irrtümliche an-
sieht Snorris, denn der Sgrla {)ättr, der von Snorri ziemlich weit ab-
steht, erzählt dasselbe. Und ebenso die Ggngu-Hrölfs saga c. 17. Was
die kenning Hjai'randa kurtS 'schild' in der Ragnarsdräpa betrifft, so
liaben wir schon (s. 11 anm. 2) gesehen, dass diese nicht im gering-
sten dazu berechtigt, HeÖinn mit Hjarrandi zu identificieren, und
ebensowenig lässt sich ein solcher schluss aus der bekannten stelle
in RQgnvalds Hättalykill ziehen. Nach 6inor stropho raubt HeÖinn
Hildr, diese reizt die krieger auf, sie kämpfen ohne aufhören. Das ist
ein Zeugnis für die sagenform der Ragnarsdriipa und Snorris. üb die
folgende Strophe sich gleichfalls auf die Hildesage bezieht, das ist min-
ZElTSCHRU-r F. DEÜTSCHK PHILOLOOIK. BD. XL. 14
210 BOER
destens sehr zweifelhaft. Sie erwähnt als kämpfer HQgni und Hjarrandi,
dass sie gegeneinander kämpfen, steht nicht da; als dritten kämpfer aber
fügt sie einen gewissen Harald hinzu, den keine version der Hildesage
kennt. Wenn nun in der Bravallaschlacht neben HeÖinn ein Harald
genannt wird, so muss man zunächst fragen, ob tatsächlich dieser Harald
der von ßggnvald genannte und dieser HeÖinn der Hebinn der Hilde-
sage ist. Leugnet man diese Identität, so kann man mit den naraen
bei KQgnvaldr nichts anfangen; gibt man sie zu, so lässt die erwähnung
Haralds bei KQgnvaldr eher vermuten, dass die strophe von der Bravalla-
schlacht als dass sie von der Hildesage handle. Auf keinen fall geht
es an, aus diesem nichtssagenden zeugnis abzuleiten, Hjarrandi müsse
der held der Hildesage sein. In der Bravallaschlacht begegnen übrigens
alle möglichen beiden; es ist sehr wol möglich, dass hier in irgend
einer version neben Hebinn sein vater Hjarrandi genannt wurde; daraus
kann KQgnvaldr die Verbindung Harald -Hjarrandi entlehnt haben, wenn
die Strophe überhaupt etwas mehr als eine willkürliche aufzählung von
namen ist. Wenn wir erwägen, dass diese strophe für die hypothese,
im norden seien Hebinn und Hjarrandi identisch gewesen, die einzige
stütze ist, so sieht es für diese theorie bedenklich aus^. •
Daraus folgt nun freilich nicht, dass das genealogische Verhältnis
zwischen Hebinn und Hjarrandi, das die nordischen quellen kennen,
das ursprüngliche ist. Die beiden der dichtung haben der regel nach
ursprünglich keine genealogie; die vorfahren sind hier meist jünger als
die kinder. Bei Saxo wird Hebins vater ebensowenig wie HQgnis vater,
den auch Snorri nicht kennt, genannt. Es wäre möglich, dass Hebinn
und Hjarrandi ursprünglich beiden verwandter sagen wären, deren Ver-
hältnis zu beurteilen wäre, wie das zwischen Sigurbr und Sigmundr;
vgl. auch die auffassung Hagens als eines Hn?eflings in der Nibelungen-
sage (Unters, über die NS H, 199). So betrachtet, würden die skandi-
vischen Zeugnisse nicht verbieten, Hjarrandi als ursprünglich mit Hebinn
identisch aufzufassen, aber dann nicht als einen zweiten namen für
eine person in derselben erzählung, sondern als einen doppelgänger
Hebins in einer verwandten erzählung. Es kommt nur darauf an, ob
die übrigen Zeugnisse auf ein solches Verhältnis hinweisen. Die skandi-
navischen Zeugnisse widersprechen, wie gesagt, einer solchen auffassung
nicht, aber einen beweis, dass sie das richtige trifft, gewähren sie, für
sich betrachtet, auch nicht.
1) Es verdient auch beachtuag, dass Hjarrandi ein gebräuchlicher maunes-
name ist, z. b. Grettis s. c. 22.
TJNTKHSUCHimöEN ÜBER DIE HILDESAGE 211
Die nichtskandinavischen quellen fassen Hjarrandi positiv als einen
Sänger auf. Wenn das Küdrünepos hierfür der einzige zeuge wäre, so
läge die erklärung auf der hand, dass dieses amt eine junge erfindung
sei, ja, man würde mit recht an jedem zusammenhange zwischen Hjar-
randi und Hörant zweifeln. Aber das zeugnis von Deors klage fällt
schwer ins gewicht. Hier ist Heorrenda, dessen name etymologisch
vollständig mit Hjarrandi übereinstimmt, der sänger der Heobeningas.
Es ist nun ein leichtes, daraus ohne weiteres zu schliessen, dass
Hjarrandi notwendig von anfang an ein sänger gewesen sein müsse
(nach Deor und Küdrün), dass er von anfang an der entführer von
Hagens tochter sein müsse (nach Küdrün), dass er von anfang an zu
dem geschlechte der HjaÖningar gehört haben müsse (nach der skandi-
navischen quelle), und also, da ursprünglich doch HeÖinn und nicht
sein vater Hildr entführt hat, mit HeÖinn zu identificieren sei. Aber
so einfach ist die sache doch nicht.
Zunächst ist darauf gewicht zu legen, dass die nordischen quellen
von dieser Sängerschaft nichts wissen. Denn dass in der jungen Herraubs
saga ok Bösa von einem Hjarranda IjöÖ gesprochen wird, kann doch
nicht als ein zeugnis gelten: es kann sehr wol eine reminiscenz an
eine erzählung fremden Ursprungs sein. Aber auch wenn wir dieses
zeugnis mitzählen, so gelangen wir nicht weiter als dahin, dass Hjarrandi
ein sänger war, und dass er nach einer jungen hochdeutschen quelle
durch seine sangeskunst für seinen herrn eine frau erwarb. Es ist
ein allzu eklektisches verfahren, zugleich aus ganz anderen quellen
zu schliessen, dass er zu der familie gehörte, und das dann wider so
zu interpretieren, dass er nicht HeÖins vater sondern HeÖinn selbst ge-
wesen sei. Keine quelle, die Horants gesangesknnst erwähnt, weiss
etwas von seinem genealogischen Verhältnisse zu HeÖinn.
Den engen Zusammenhang zwischen angelsächsischer und deutscher
Überlieferung lernten wir schon bei der Walthersage kennen. Eine
Übereinstimmung zwischen diesen quellen beweist noch nichts für die
ursprüngliche Vorstellung der sage. Da die entwicklung der poesie von
den einfachen formen zu den mehr zusammengesetzten fortschreitet,
und da die grosse reihe von formen der Hildesage, die wir schon
kennen lernten, von einem solchen sang nichts weiss i, ist es gewiss
überaus gewagt, auf grund der stelle in D6ors klage Horants gesang
für ein ursprüngliches dement der Hildesage zu erklären.
Fragen wir, ob das motiv des sanges, so wie Küdrün es mitteilt,
in der Hildesage am platze ist, so muss die antwort lauten: nein.
1) Über ganz vereinzelte ausnahmen (s. 60. 187) vgl. unten.
14*
212 BOER
Schon die verschiedenen entwicklungsphasen der erzählung zeigen,
dass es secundär eingeführt sein rauss. In der ältesten sagenform, wo
Hagen freiwillig dem freunde seine tochter gibt, ist für einen solchen
sang überhaupt kein platz. Auch in der zweiten form (SH 1), die den
kämpf zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn aus dem gewalt-
samen raube der tochter erklärt, ist das motiv noch unmöglich. Dann
folgt die dritte stufe (SH2), welche die entführung aus der liebe des
jungen paares erklärt. Erst von hier an konnte ein dichter auf den
gedanksn verfallen, die liebe des mädchens aus einer durch den sang
herbeigeführten bezauberung zu erklären. Zu hause ist das motiv auch
hier nicht. Seinen platz weist Olrik a. a. o. s. 201 ihm, gewiss nicht
ohne grund, in den liedern vom Halewijntypus an. Aus diesem typus
sehen wir das motiv in die Keder vom Hildetypus, welche die stufe,
wo die leidenschaftliche liebe des jungen paares das treibende motiv
ist, erreicht haben, übergehen; denselben sang kennt ja auch die der
Küdrun so nahe stehende Riboldvise (s. 187). Ähnliches geschah in
der polnischen version der Walthersage. Von einem directen Zusammen-
hang in dem sinn, dass der sang in den drei gedichten aus einer ge-
meinsamen quelle stammen sollte, kann gar nicht die rede sein, —
dagegen sprechen schon die übrigen Versionen der Walthersage; eher
könnte man an eine beeinflussung der polnischen Walthersage durch die
Horantsage denken. Aber ob man eine solche beeinflussung annimmt
oder nicht, die bedeutung der Riboldvise und der polnischen Walther-
sage für Horants gesang liegt darin, dass sie zeigen, wie zugänglich das
Stadium SH 2 der Hildesage für 'den gesang als erklärendes motiv ist.
Die natürlichste Vorstellung ist nun wol, dass ein held, der solche
mittel anwendet, um eine frau zu gewinnen, sie auch für sich gewinnt.
Daraus darf man ohne allzu grosse kühnheit schliessen, dass einmal
eine Überlieferung existiert hat, in der Horant, oder Herrand, wie er
damals eher hiess, Hilde für sich entführt. Die sage von Heorrenda,
wie sie dem dichter von Deors klage bekannt war und wie sie auch
einem bearbeiter des deutschen gedichtes noch vorlag, würde dann
schon eine längere Vorgeschichte haben; sie müsste wol aus einer con-
tamination entstanden sein. In einer von zwei nahe verwandten fassungen
hiess der held HeÖinn, woraus später Hetele ward. Das ist die aus
den nordischen quellen bekannte fassung. In einer anderen hiess er
Herrand. Diese fassung hatte, wie die Riboldvise und die polnische
Walthersage, secundär das motiv aufgenommen, dass der held durch
seinen gesang die liebe des mädchens gewinnt. Das war auf deutschem
— nach dem angelsächsischen zeugnis zu urteilen, norddeutschem —
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE IIJLDESAGF, 213
boden geschehen. Durch eine contamination dieser beiden Varianten
entstand die Vorstellung, dass Herrand für HeÖinn durch seinen gesang
die braut gewinnt.^ Ob in dieser combination das motiv, dass durch
boten geworben wird, schon von anfang an auftrat, ist eine frage für
sich. Das motiv ist in den entführungssagen von unserem typus nicht
zu hause (§ 13).
Diese combination muss schon alt sein, denn sie liegt schon in
Deors klage vor. Wenn Heorrenda der sänger der HeoÖeningas ist,
so ist er 1. sänger, 2. unfreier; er nimmt also dieselbe stelle ein wie
in Küdrtin. Die Unfreiheit ist eine folge der Vorstellung, dass er für
Heöinn wirbt. - Im skandinavischen Norden war diese Verbindung nicht
bekannt. Dort wurde das Verhältnis Hjarrandis zu HeÖinn anders auf-
gefasst. Der held der einen Variante wurde zu dem vater seines doppel-
gängers.
Die angeführten data sind die einzigen, auf grund derer die frage
beurteilt werden kann. Aus den hoffnungslos verwirrten geographischen
Verhältnissen des mittelhochdeutschen gedichtes lassen sich keine Schlüsse
ziehen; übrigens Hesse sich die Verwirrung zwischen Hörants und
Heteles gebieten eben so gut daraus verstehen, dass jener der held einer
Variante, als dass er mit Hetele identisch sei. Und vor sagenconstruc-
tioneu, die auf etymologischen erklärungen der namen beruhen, be-
wahre uns von nun an der hiramel. Was hift es denn, zu sagen, dass
hehinn 'pelzrock' bedeutet und darum notwendig eine bezeichnung des
verkleideten Goldener sein müsse, wenn Hebin?i ein bekannter mannes-
1) Wenn Horant str. 406 behauptet, sein herr Hetele singe noch viel schöner
als er, so lässt sich daraus natürlich nicht ableiten, dass auch Hetele in einer älteren
Version der sage ein sänger gewesen sei. Da Horant für seinen herrn freit, muss
er ihm wol alle Vollkommenheiten zugestehen, namentlich aber die kunst, wodurch
es ihm selber gelungen ist, das mädchen zu berücken.
2) Es lässt sich nicht leugnen, dass theoretisch auch eine andere entwicklung
möglich ist. Unsere darstell ung geht davon aus, dass die einführung des sanges
älter als das botenmotiv ist; sie nimmt ferner eine alte combination aus zwei Varianten
an. Es Hesse sich auch denken, dass Horant der einführung des botenmotivs seine
entstehung verdankte. Zuerst wäre in die Hildesage ein böte aufgenommen; dieser
hätte nach einer jüngeren auffassung durch schönen gesang seinen zweck erreicht.
Aber dagegen spricht 1. dass das einem fremden stoffo entlehnte botenmotiv kaum
so alt sein kann, dass es schon für eine in Döors klage bezeugte sageuforin grund-
legend gewesen wäre, 2. dass man dann nicht versteht, wie Hjarrandi im Norden
zu HeSins vater werden konnte. Das ist für den beiden einer Variante gar nicht auf-
fällig, aber bei einer person, die von anfang an eine untergeordnete Stellung einnahm,
dürfte das nicht so leicht zu erklären sein. So weist auch die nordische Überliefe-
rung auf die im texte gegebene lösung des problems.
214 BOER
name ist, sowol als simplex^ wie in der composition. Wenn es freistehen
soll, auf derartigen gründen eine erklärimg der sage aufzubauen, was
hat man denn der mythologischen schule noch vorzuwerfen, die aus
dem namen Hildr auf die walkürennatur der heldin schliesst und aus
diesem gründe das HjaÖningavlg für den kern der erzählung erklärt?
Entweder verwirft man solche etymologische erklärungsversuche, oder
man glaubt an sie. Aber ich kann es nicht methodisch finden, eine
namensform für absolut beweiskräftig anzusehen und zugleich die andere
als irrelevant abzulehnen.
§ 11. Die hauptforineu der entführiingssa§re in Küdrün (fortsetzung).
Kehren wir zu Küdrün zurück, so ergibt es sich, dass der haupt-
bearbeiter des gedichtes ein compilator paralleler Überlieferungen ge-
wesen ist. Es wurde § 9 gezeigt, dass er zwei Varianten, KI und KU,
aufeinander folgen liess und dabei ein genealogisches Verhältnis her-
stellte. Wir können nun weiter constatieren, dass in dem als KI bezeich-
neten abschnitte schon zwei Varianten verbunden sind. Wir nennen die
neu hinzutretende Horantsage Klb. Die drei Varianten lauten:
KI: Wate entführt Hagens tochter Hilde und tötet den ihn ver-
folgenden vater auf dem Wülpensande.
1) Das zu leugnen ist ein leichtes, wenn man nur dreistweg die Zeugnisse für
den namen für Zeugnisse für die Hildesage erklärt. So leitet Panzer s. 438 aus dem
namen von Childeberts des zweiten feldherrn Chedinus ohne weiteres bekanntschaft
mit der sage ab. Zu den trägem des namens gehört auch der bruder des Helgi
HJQrvarSsson. Mit recht leugnet Panzer einen Zusammenhang zwischen dieser sage
und der Hildesage. Aber willkürlich ist wider der schluss, die sage von Helgi
habe den namen HeSinn der Hildesage entlehnt. — Über den inhalt der erzählung
ist zu bemerken, dass er von der Hildesage absolut verschieden ist. HeSinn gelobt,
nicht die tochter seines freundes, sondern die frau seines bruders zu gewinnen,
aber er tut es nicht und er rächt den tod seines bruders. Eine gewisse ähnlichkeit
besteht nur in der Vorgeschichte, wenn man sie mit der verhältnismässig jungen
einleitung der erzählung in Scjrla^attr vergleicht. Sieht man aber genauer zu, so hat
auch diese ähnlichkeit nichts zu bedeuten. Das weib, dem HeSinn in der H. Hj. im
walde begegnet, ist nicht eine eibin, die denen, mit denen sie in berühning kommt,
verderben bringt, sondern eine fylgja in der gestalt einer trQllkona. die er zurück-
weist und die eben deshalb ihm verderblich wird. Übrigens scheint hier etwas nicht
in ordnimg zu sein. Man muss fragen: ist die tr^Ukona HeSins oder Helgis fylgja?
Wer seine fylgja zurückweist, kommt um. Im ersteren fall würde man also einen
für Heöinn tragischen ablauf vermuten. Im zweiten fall liesse Helgis darauf folgender
tod vermuten, dass HeSinn die fylgja angenommen hätte. Vielleicht beruht das
zurückweisen der fylgja auf einem missverständniss. Auf jeden fall besteht die
ähnlichkeit mit dem SQrlajj.'vttr lediglich darin, dass beide beiden im walde einem
mythischen weiblichen wesen begegnen.
UXTERSUCIIÜNGEN ÜBEK DIE HILDERAGE 215
Klb: Horant entführt Hagens tochter Hilde für seinen Herrn Hetele.
KU: Hartmuot entführt Hagens tochter Küdrün und tötet den ihn
verfolgenden vater auf dem Wülpensande.
Daraus macht unser compilator: Wate (KI) und Horant (Klb)
entführen zusammen Hagens tochter Hilde (KI und Klb) für ihren herrn
Hetele (Klb) und kämpfen mit ihm (neuerung für: töten ihn KI) in
Waleis (neuerung für Wülpensand KI). Heteles (auf grund von Klb)
und Hildes (auf grund der genealogie Hilde -Küdrün) tochter Küdrün
(KU) wird von Hartmuot entführt, der den ihn verfolgenden vater auf
dem Wülpensande tötet (KU).
Wir verstehen jetzt, warum die von Wate entführte frau in
Heteles arme gelangt. Es ist die Verbindung mit der Horantsage, die
Wate zu einem dienstmann Heteles gemacht hat. Es sieht nicht da-
nach aus, dass KI und Klb selbständig miteinander verbunden ge-
wesen waren, ehe die combination mit KU zustande kam. Wenn der
WidsIÖ Wada unmittelbar hinter Heoden nennt, so darf man daraus
einen so weit reichenden schluss nicht ziehen. Ich will gewiss dieses
Zeugnis nicht beiseite schieben. Wer sich solche freiheit nimmt,
ist der willkür seiner phantasie preisgegeben. Aber man darf auch
in ein zeugnis nicht mehr hineininterpretieren, als daraus gefolgert
werden kann. Wenn WIdsiÖ die beiden helden zusammen erwähnt, so
wird das seinen grund haben. Aber gewiss genügte dazu ein geringer
Zusammenhang, und der bestand schon darin, dass beide in nahe ver-
wandten sagen in derselben rolle auftraten. Wenn nun noch hinzu-
kam, dass ihre länder nahe beieinander gelegen waren (§ 17), so war
wol nicht mehr notwendig, um sie in einem catalogisierenden gedichte
hintereinander zu erwähnen, wie ja solche Verhältnisse auch zu der
herstellung eines genealogischen Zusammenhanges genügen. Die an-
nähme, dass die Verknüpfung dei* Watesage und der Horant- Hetele-
sage schon zu der zeit, als der WidsiÖ gedichtet wurde, so weit fort-
geschritten war, dass Wate wie Horant zu einem dienstmann Heteles
geworden war, scheint mir überaus gewagt. Dazu kommt, dass noch
bei Lamprecht die Watesage ohne Horant und Hetele bezeugt ist.
Anders verhält es sich mit Horants dienstbarkeit. Diese wird ja durch
D6ors klage bezeugt, und wir sind deshalb wol genötigt, sie für eine
frühe epoche anzunehmen.
Das junge alter der Verbindung von KI mit Klb ergibt sich
übrigens aus der composition des deutschen gedichtes mit voller Sicherheit.
Von einer vernünftigen vorteilung der rollen, wie sie auf die dauer von
selbst entsteht, wenn eine zusammengesetzte erzählung zeit genug hat, sich
21 D BOER
ZU consolidieren , ist keine spur zu entdecken. Alles steht ganz will-
kürlich nebeneinander; hier ein stück von KI, da ein teil von Klb.
Die expedition nach Hagens land hat zwei anführer, die niemals zu-
sammenwirken, sondern nacheinander selbständig auftreten, ein jeder,
wie es scheint, nach seinem eigenen plane. Damit hängt es zusammen,
dass man an Hagens hofe auf sehr verschiedene weise sich benimmt. Wate
ist krieger, Horant ist sänger. Der plan der entführung scheint einmal
auf Horants gesangeskunst, ein andermal auf der anwendung offener
gewalt aufgebaut zu sein. Am ende behält die gewalt die überhand.
In dem schiffe sind krieger versteckt. Diese bleiben vorläufig im
hintergrund. Ihr führer ist Wate. Bei der entführung treten sie ans
tagesHcht. Aber das schiff enthält auch waren und leute, die sich
für kauf leute ausgeben. Diese stehen weder unter Wales, noch unter
Horants, sondern unter Fruotes führung. In Hagens land angekommen,
erzählen die fremden bald, dass sie aus ihrem lande vertriebene
krieger, bald, dass sie kaufleute seien. ^ Während Wate mit Hagen
freundschaft schliesst, was ein rest der alten freundschaft sein kann
(s. 203), spricht Horant selten oder gar nicht mit ihm, sondern er
wendet sich direct an die frauen, die er namentlich durch seinen
gesang entzückt. Das scheint auf eine version zu deuten, in der
Hagen verreist war wie bei Snorri. Wate hingegen kommt in einem
offenbar jüngeren auftritt zu den frauen und ergötzt sie durch die ent-
hüUung, dass er von ihnen nichts wissen will. Horant entwirft mit den
frauen den plan zur der flucht, aber Wate führt ihn aus und wendet
sich mit der bitte, die schiffe zu besehen, an Hagen 2, — ein versuch,
1) Vgl. "Wilmanns, Entwicklung der Kudrundichtung s. 42, der übrigens aus
diesen Widersprüchen ganz andere Schlüsse zieht. Er glaubt, in einer redaction
seien "Wate und Fruote, in einer anderen "Wate und Horant aufgetreten. Aber nur
"Wate und Horant sind aus älteren quellen bekannt, jener tritt selbständig auf, dieser
als HeÖins sänger. Fruote ist eine jüngere gestalt, die entweder der fertigen dich-
tung K I + Ib + II oder einer der redactionen (I oder Ib) angehören muss. Für
letztere alternative spricht, dass schon eine redaction der vise von Hildebrand und
Hilde (dE) das kaufmannsmotiv kennt; der Verführer gibt sich für einen kauf mann
aus, aber er ist der söhn dos königs von England. Die redaction, die das kauf-
mannsmotiv aufgenomnjen hatte, muss aber Ib gewesen sein, denn in Kl ist
für dieses motiv, das sich mit der angäbe, man sei aus. seinem lande vortrieben,
im Widerspruch befindet, kein platz. Also gehören Horant und die kaufleute Ib
an; die kaufleute waren in dieser redaction secundär. Über den namen Fruote
s. unten.
2) Freilich setzt die s. 204 besprochene schmähliche bohandluug der königin
wol ursprünglich Hagens abwesenheit voraus; aber auch in K I wird der räuber einen
augenblick abgewartet haben, wo Hagen nicht zu hause war. Dass das sich mit der
UNTEHSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 217
diese Vorstellung mit jener zu verbinden, ist Horants entschluss, sich
an Hagen zu wenden. Die elemente von KI und Klb stehen also noch
nahezu unvermittelt nebeneinander.
Ob Klb auch die Verfolgung enthielt, oder mit der entführung
der dame schloss, lässt sich nicht sicher sagen. Deutliche spuren dieser
redaction sind nach der flucht nicht vorhanden. Sobald man von
Irland abgesegelt ist, ist Horant so gut wie verschwunden. Bei dem
folgenden kämpfe spielt er gar keine rolle. Str. 488 ist er es freilich,
der die feindlichen schiffe zuerst herankommen sieht, aber er bleibt
untätig; er meldet nicht einmal, was er gesehen hat; str. 489 lässt
Morunc es durch Irolt dem Hetele mitteilen. Dann erfährt man von
Horant nichts mehr; es wird nicht einmal gesagt, dass er am kämpfe
teilnimmt, was doch sogar von nebenpersonen wie Irolt erzählt wird;
nur 587 wird sein name noch genannt, wo er Hilde zu ihrem vater
führt, damit sie dessen wunden verbinde. Unter solchen umständen ist
es sehr fraglich, ob auf den doppelten friedensschluss (524. 533) einiger
wert zu legen ist, und ob dieser nicht vielmehr eine folge der in dem
ganzen epos herrschenden Verwirrung und Unklarheit ist.
Wenn es demnach sehr unsicher ist, ob die Hörantsage mehr als
die entführung erzählt hat, so ist doch gewiss Heteles teilnähme am
kämpfe eine folge der aufnähme der Hörantsage in KI. Die alte Wate-
sage, die, wie die stelle bei Lamprecht lehrt, Hetele überhaupt nicht
kannte, kann a fortiori von seiner teilnähme an dem kämpfe nichts ge-
wusst haben. Aber Horant entführte eine frau für seinen herrn. Wenn
nun darauf nach KI ein kämpf mit dem vater folgte, so fand der com-
pilator, dass Hetele auch dabei sein musste. Wie er Wate zu einem
dienstmann machte, so hat er Hetele seiner braut entgegenreisen und
mitkämpfen lassen.
Die beschreibung der schladit hat überhaupt wenig charakteristi-
sches erhalten. Der alte Versöhnungsversuch, den HeÖinn macht, ist
verloren; — der jüngere durch Hildr war wol noch nicht in die zu
gründe liegende tradition eingeführt worden. Natürlich wird viel ge-
kämpft; am ende werden Hagen und Hetele verwundet, eine junge
neuerung, wie wir aus der Alexanderstelle ersehen.
Die erzählung ist ferner durch eine reihe neuer personen be-
reichert Von diesen wird Fruote auch in einer alten vorsion der sage
(Saxo II) genannt. Aber die einzige Übereinstimmung besteht in dem
freundschaft zwischen Hagen und Wate wol verträgt, lehrt der S(jrla[)attr, mit
dessen darstellung der anfang von KI, wie oben gezeigt wurde, grosse ähnlich-
keit hat.
218 GERING, ZU DEM BOBNHOLMISCHEN RUNENSTEINE VON VESTER-MARIE VI
namen, die rolle ist absolut verschieden. Frotho ist bei Saxo der könig,
der die streitenden parteien vor seinen richterstuhl fordert; Fruote ist
in Küdrün ein vasall Heteles, der seine brautwerber begleitet. Die
aufnähme dieser gestalt lässt sich auch in beiden quellen auf verschie-
dene weise erklären. Saxo erzählt die dänische königsgeschichte; alles,
was er mitteilt, geschieht unter der regierung eines seiner fürsten; es
ist also nichts auffälliges darin, dass auch die geschichte von Hqgni und
Heöinn an einen könig geknüpft wird, und dass dieser einen, freilich
vergeblichen, versuch macht, in den lauf der ereignisse einzugreifen.
In der mittelhochdeutschen dichtung dagegen ist Fruote ein typischer
repräsentant dänischen wesens, den man gern erwähnt", wo von Däne-
mark die rede ist. Dass ihm nun auch in einer erzählung, die sich
zum grossen teil in Dänemark abspielt, und in deren mittelpunkt ein
dänischer könig steht, eine rolle zuerteilt wurde, nimmt nicht wunder.
Chronologisch ist zu bemerken, dass seine aufnähme mit der Verbindung
Kl + Ib-fll zusammenfallen wird. Denn dadurch wurde Hetele zu
einem dänischen könige (§ 12), was für Fruotes aufnähme doch wol
eine Voraussetzung ist. Er trat nun in die wol etwas ältere (s. 216
anm.) rolle des führers der kaufleute ein, die für den wegen seiner
freigebigkeit berühmten sagenkönig trefflich passte. Das ist im epos
seine älteste rolle. (Schluss folgt).
AMSTERDAM. E. C. BOER.
MISCELLEN.
Zu dem Boruholmischen runensteine von Vester- Marie VI.
(Wimmer, De danske runemindesmcerkor III, 305 fgg.).
In einem kleinen aufsatze über dänische runensteine (Nord, tidsskr. f. filol.,
3. r. 15, 148fgg.) äussert sich Marius Kristensen sehr unzufrieden über ein paai-
recensenten , die von Wimmers deutung des VI. steines von Vester- Marie nicht be-
friedigt waren, besonders über den einen (den unterzeichneten), der es gewagt habe,
in der inschrift emendationen vorzunehmen, so dass ein anderer sinn herauskomme
und 'der schönste teil von Wimmers erklärungsversuche zerstört werde'. Nach dieser
einleitung hätte man erwartet, dass Kristensen Wimmers deutung in jedem einzelnen
punkte aufrecht erhalten und sie durch neue beweisgründe stützen werde. Statt dessen
emendiert auch er und gelangt ebenfalls zu einer von Wimmer abweichenden Über-
setzung, ohne dass man behaupten könnte, dass seine kritischen bemnhungen be-
sonders glücklich seien. Es scheint, dass nach seiner meinung nur Skandinaven das
recht haben, eine von Wimmer abweichende meinung zu äussern.
Trotz seiner polemik schliesst er sich mir (ohne mich zu nennen) und Brate
darin an, dass er in trcbinu das part. prt. von drepa vermutet, während Winimer
das wort für den genet. eines weiblichen eigennamens Tre-beina erklärt hatte. Da-
von wird man wol endgiltig abstand nehmen müssen. Ich ersehe nämlich (und dies
NECKEL, ZU ZEITSCHH. 39, 293 219
ist der gmnd, warum ich auf die Zeitschr. 38, 132 besprochene inschrift noch einmal
zurückkomme) aus dem neuesten, eben erschienenen hefte des grossen schwedischen
Ortsnamenbuches (Ortnamnen i Älvsborgs län X, 201), dass träbena in Schweden die
bezeichnung einer (hand-)mühle' mit hölzerneu füssen war, und nach einer solchen
mühle, nicht aber nach einer vermeintlichen menschlichen Trcbeina, sind offenbar
die beiden Bovnholmischen höfe, die noch heute den namen Trcebenegaard führen,
benannt worden.
1) Derartige handmühlen sind bis iu die neuere zeit im norden in gebrauch
gewesen , wie man z. b. ein gut erhaltenes und sehr instructives exemplar nebst lüSr
und mQndidl in dem alten schonischen bauernhause, das im garten des kulturhistori-
schen museums in Lund wider aufgestellt ist, in augenschein nehmen kann. Bei-
läufig sei bemerkt, dass man unter den in den eddi.schen liedern (Lokas. ; Helgakv.
Hund. II; Grottas.) erwähnten mühlen sich selbstverständlich ebenfalls handmühlen
vorstellen muss, nicht etwa wasser- oder gar Windmühlen, von denen Detter-Heinzel
in ihrem Eddacommentar (s. 261) phantasieren. Es ist mir daher auch unmöglich,
der von Axel Olrik (Danmarks heltedigtning s. 284) versuchten natursymbolischen
deutung der beiden riesenmägde Fenja und Menja , die er für zwei mühlenbäche er-
klärt, zuzustimmen; er hat sich zwar nicht verhehlt, dass dieser annähme kultur-
geschichtliche bedenken entgegenstehen, sucht aber sich und den leser über den
anachronismus hinwegzutäuschen.
KIEL. HUGO GERING.
Zu Zeitschr. 39, 293 f?g.
Bei der correctur meines aufsatzes Zu den Eddaliedern der lücke haben sich
mir einige nachtrage ergeben, die ich im folgenden vorlege.
S. 294: Dass sich im Alten Sigurdsliede niemals das erste oder vierte viertel
des helmings syntaktisch absondere, ist, wie dem leser schon bei flüchtiger nach-
prüfung auffallen muss, unzutreffend. Es gibt im Brot zeilen, die viel entschiedener
auseinanderfallen als .<?ö/-(/ at segja eda svd lata. Zur entschuldigung dieses Versehens
kann ich nur auf s. 293 n. 1 verweisen. Der kern der sache wird hierdurch nicht be-
rührt. In meinen Beiträgen zur Eddaforschung, die voraussichtlich im laufe dieses
Jahres bei ßuhfus iu Dortmund erscheinen, sollen die gliederungsverhältnisse des
Alten Sig. genauer erörtert werden.
S. 297 unten : Die zweiheit der mörder bezeugen im NL auch die xwen am
(13) und xuei icildiu stein (921). Vgl. auch NL 1040, 3.
S. 304 nr. 1: Vgl. Beer, Zeitschr.' 37, 342 fg.
S. 311 z. 9 v.o.: Der gedanke — hunderte haben um die schöne Jungfrau ge-
worben — sieht ganz nach dem sagaschreiber aus. Eine unwahrscheinliche Vermutung
bei Boer a.a.O., 4G7fg.
S. 312 n. 1: Das Grosse Sigurdslied übersieht Boer a.a.O., 490 (§ 34).
S. 314 z. 11— 9 V.u.: Doch s. Boer a. a. o. 450 (die mörder), ferner 449. 457.
S. 315 schluss von III: Dersell)e fehler bei Lichtenbergor, Nibelungen 180
('tu m'annonces de tres grands forfaits').
S. 326 zu .soene 6: c. 29, 55fg. <^ Sig. sk. 10. 15. Zu scene 7: c. 29, 70fg. r^
c. 24, 27 fg. und c. 29, 27 fg. (^ c. 41, 24 (Ghv. 16fg.).
S. 328 zu scene 9: beziehungeu zur Sig. sk. werden fein beobachtet von Boer
a. a. 0. 451 oben.
S. 329: Die beiden scenen, die hier als einzige zutaten des dichters bezeichnet
werden, dürften so wenig wie die andern seine freien erfindungon sein. Ich glaube,
220 PETZET, ZUM WILLEHäLM DES ULRICH VON DEM TÜRLIN
wir können nachweisen, w^o seine phantasie angeknüpft hat. Die eine scene, die ge-
spräche über Brynhiid, scheint umgebildet aus der beratung der brüder im Alten
und Kurzen liede. Der hauptauftritt aber, die grosse Zwiesprache zwischen Sigurd
und Brynhiid , ist wol angeregt durch das Erweckungslied (Sigrdrifumäl).
Auch dort weckt Sigurd eine schlafende, und wir wissen, dass diese Sigrdrifa für
unsern dichter identisch mit Brynhiid war. Erst durch anlehnung an die scene auf
Hindarfjall hat Brynhilds groll gestalt gewonnen, und auch das anbieten des ehe-
bruchs wird von dort stammen, dieses motiv ist ein indirectes zeugnis für den ver-
lorenen schluss des Erweckungsliedes. Übrigens hat der dichter, der Sigrdiifa und
Brynhiid identificierte , auch die werbungsfabel mit hineinspielen lassen: das nach-
einander von Gunnar, Hqgni und Sigurd (s. 307) ist seinem kerne nach entsprungen
aus dem vergeblichen versuch Gunnars, durch die flammen zu reiten, und Sigurds
erfolg, c. 27. Dies spricht dafür, dass der flammenritt selbst (s. 324) im Grossen
liede anders — wahrscheinlich weit kürzer — dargestellt war als in c. 27. Das fehlen
des wunderbaren auftritts wäre dem Charakter des denkmals durchaus gemäss. Gleich-
zeitig haben wir hier eine Instanz gegen die Zugehörigkeit von c. 27 zum Grossen
liede. Letzteres verwertet den werbungsritt der forua (c. 27) ebenso frei wie die
fluss - senna (s. 325) und wie die beratung der brüder (s. o.).
BRESLAU. GUSTAV NECKEL.
Zum Willehalm des Ulrich von dem Tiirlin.
Im besitze des antiquariats von Ludwig Rosenthal in München (Hildegardstr. 16)
befindet sich ein ziemlich übel mitgenommenes pergamentblatt , das einer sonst un-
bekannten handschrift des AVillehalm von Ulrich von dem Türlin angehört haben muss.
Es hat eine grosse von 33 x 24 cm und ist zweispaltig zu je 42 zeilen beschrieben,
mit abwechselnd roten und blauen initialen beim beginn der 31 zeiligen Strophen. Die
gotische Schrift gehört dem 14. Jahrhundert an; der lautstand ist ausgeprägt bayrisch.
Den Inhalt bilden die verse CCLXXV, 7 — CCLXXX, 19 des gedichtes (in der aus-
gäbe von S. Singer, Prag 1893, s. 321 fgg.), und zwar in der textredaction , wie sie
in der zweiten bearbeitung geschaffen wurde. Als charakteristische belege dafür führe
ich nur zwei stellen an, wo das Rosenthalsche fragment mit den handschriften mo
übereinstimmt; es liest nämlich CCLXXV, 24 angel statt etige und CCLXXVI, 31
schaf verlie statt sehaeper He, gesellt sich aber auch an minder bezeichnenden stellen
zu der IL Untergruppe der IL handschriftengruppe der zweiten bearbeitung des
gedichtes (vgl. Singer a. a. o., s. Vlllfg.).
MÜNCHEN. ERICH PETZET.
LITTEEATUK.
Dr. Albert Fries. Vergleichende Studien zu Hebbels fragmenten nebst
miscellaneen zu seinen werken und tagebüchern. [Berliner beitrage zur
germanischen und romanischen philologie, veröffentlicht von dr. Emil Ehering.
XXIV. Germanische abteilung nr. 11.] Berlin, E. Ehering 1903. 59 s. 2,40m.
Der zweck dieser schrift ist, zu prüfen, ob Hebbel, den man gewöhnlich als
fremden einflüssen unzugänglich charakterisiert, mit unserer classischen dichtung
nicht doch in engerem zusammenhange stehe, als man anzunehmen geneigt ist. Die
KRUMM ÜBER FRIES, HEBBEL 221
belesenheit und der fleiss des Verfassers verdienen aufrichtige anerkennung, trotzdem
sind die einzelnen resultate der Untersuchung oft recht anfechtbar und ihr gesamt-
ergebnis geringfügig. "Wer zuviel beweisen will, schiesst leicht übers ziel. Selbst-
verständlich hat Hebbel sich an den grossen dichtem, welche ihm vorangiengen, ent-
wickelt, er ist in ihrer atmosphäre gereift. In der Wesselburencr kirchspielvogtei
seinen weg zu den höhen der Htteratur im dunkel emportastend, ist er noch ganz in
ihrem bann, wenn auch damals schon kein blosser nachahmer. Aber auch später
berührt er sich noch vielfach mit ihnen, meist unbewusst, da es ihm nicht darauf
ankam, in gleichgiltigen dingen, gewissermassen in komma und punkt, originell zu
sein. Selbst einzelne bewussto anlehnungen an sie sind nicht zu leugnen, vor allem
in seinen epigrammen. Wer mit Fries alle posten auf die rechnung setzen will,
kann sie leicht in die höhe treiben. "Wer jedoch vorsichtig zwischen zufälligen an-
klängen oder Übereinstimmungen, die nur ein pedant vermeiden wird, und fällen
evidenter beeinflussung unterscheidet, wird sicherlich keinen grund haben, an Kuno
Fischers ausspruch irre zu werden, daß Hebbel der einzige unter unseren nach-
classikern ist, der „ganz aus eigenen mittein lebt."
Fries bezeichnet diese Studien als eine Sammlung von material, als Vorläufer
eines grösseren werkes über denselben gegenständ. Es wäre dann nur zu wünschen,
dass er die grenzlinie, die bei einer solchen arbeit innezuhalten ist, klarer erkennen
lernte. Wenn er die zu widerholten malen von ihm selbst geäusserten zweifei an
der richtigkeit der jetzigen ergebnisse seiner forschung noch erheblich verstärkt, so
kann ein sehr interessantes buch entstehen , das zu unserer kenntnis der fäden , die
Hebbel mit anderen dichtem verknüpfen, viel beitragen wird. Von dem bis jetzt vor-
liegenden kann meines erachtens nur ein kleiner teil als unbedingt feststehend be-
trachtet werden. Soweit Hebbels dramatische fragmente in frage kommen, mit
denen Fries sich in erster linie befasst, so ist ganz klar, dass sein erster ästhetisch
ganz wertloser versuch im drama, der ,Mirandola', wie auch der 'Vatermord' (1830.
1832) in der spräche eine ungeschickte karikierang des stiies der Schillerscheu
Jugenddramen verraten. "Was Fries hierüber beibringt ist sehr lehrreich, namentlich
möchte ich die feinen stilistischen bemerkungen zum 'Mirandola' (s. 22 — 26) heraus-
heben. Das ist freilich alles mit bänden zu greifen, immerhin war es ein verdienst,
die einzelnen züge aneinanderzureihen, aus denen ein gesamtbild sich ergibt. Ob
nicht vieles, das als bewusste anlehnung bezeichnet ist, besser als aus dem gedanken-
und empfmdungskreis Schillers dem a^nfänger unbewusst angeflogen zu bezeichnen
wäre, muss dagegen mindestens zweifelhaft erscheinen. Wenn Hebbel ferner getadelt
wird, weil er, an Schiller herangebildet, sehr bald nachher strenge kritik an dem
meister übte (s. 2), so ist seine wunderbare, mit dem gewöhnlichen massstabe kaum
noch zu messende entwicklung ausser acht gelassen; auch ist zu beachten, dass der-
artige aussprüche, namentlich in den briefen, vom augenblick beeinflusst sind und in
späteren aussprüchen ihre ergänzung oder correctur erhalten. (So vorgleiche man,
was Hebbel über die , Jungfrau von Orleans" an Elise Lensing schreibt, Briefe hgb.
von R. M. Werner I, s. 145. 170. 215.) — Manches in den 'Dithmarschern' (1840)
erinnert sicherlich an den 'Teil', .schon die ähnlichkeit des themas erkläii das, doch
sind unter den von Fries angeführten stellen die beiden von ihm durch den druck
herausgehobenen die einzigen, bei denen irgendwie von anlehnung geredet werden darf
(s. 8). Die Shakespearesche färbung der reden des narren — Fries erinnert mit recht vor
allem an den narren im 'Lear' — ist im allgemeinen unleugbar, doch ist es dem verf.
schwerlich geglückt, dies in einzelheiten nachzuweisen, (lanz abzuweisen ist die neben-
222 KRUMM
einanderstelluDg der reden des Hans Bahr und gewisser worte Hamlets in dem ge-
spräch mit den totengräbern (s. 11). — Dass Hebbel bei seinem Achilles-fragment an
Goethes 'Achilleis' dachte, ist durch nichts erwiesen (s. 15). — Lessingschen einfluss
in der epigrammatischen Zuspitzung des dialogs im 'Mirandola' neben demjenigen
Schillers anzunehmen, halte ich. für bedenklich. Die von Fries selbst erwähnte an-
geborene neigung Hebbels zu solcher ausdrucksweise spricht dagegen. Die dort (s. 16/17)
angeführten einzelheiten sind alle abzulehnen, glaube ich; vor allem aber ist es mehr
als unwahrscheinlich, dass Hebbel im jähre 1830 bereits Lessings 'Emilia Galotti' gekannt
haben .sollte. Dass Lessings vorbild für die ausbildung der Hebbelschen prosa von
nicht zu unterschätzender bedeutung ist, lässt sich noch an der , Julia' (1847) nach-
weisen; doch möge andererseits nicht vergessen werden, dass er sich schon im
jähre 1838 in München bewusst war, in einer anderen Sphäre zu walten, und in einem
briefe erklärte, dass Lessing sein meister nicht sein könne noch dürfe (br., hg. von
R. M. Werner I, s. 370). Leider missversteht Fries den dichter im innersten kerne,
wenn er bei dieser gelegenheit meint, er habe das verstandesmässige in Lessing deshalb
so sehr gehasst, weü „der wurm der reflexion an seinem eigenen schaffen nagte."
Das widerspricht den tatsachen, dem, was die tagebücher und einwandfreie Zeugnisse
der freunde über die production Hebbels berichten. — Die Übereinstimmungen in der
'Schauspielerin' mit stellen aus dem 'Don Carlos' sind von vornherein klar; die
damit beabsichtigte satirische Wirkung hätte kräftiger betont werden müssen (s. 9/10).
Sehr fein ist der nachweis der beziehungen zwischen Eugenie und Aurelie in Goethes
'Wilhelm Meister' (s. 14). — Dass Hebbel die namen seiner dramatischen personen viel-
fach entlehnt, kann nicht bestritten werden. Dass der name Mirandola aus dem 'Don
Carlos' stammt, ist ebenso klar, wie dass in dem fragment 'Der turmbau zu Babel'
die namen Wachtel, Zeisig und Schwalbe aus Körners 'Nachtwächter' herüber-
genoramen sind. Spätere ausführungen über die namen bei Hebbel (s. 34 — 36) sind
dagegen so schlecht begründet, dass der Verfasser sie in den 'Berichtigungen' selbst
zurücknimmt (s. 59).
An die Untersuchungen über die fragmente bei Hebbel in ihren beziehungen
zu den classikern reihen sich solche über die fäden, die zwischen den vollendeten
werken und den tagebüchern des dichters einerseits, andererseits zwischen ihnen
und den classikern hin- und herlaufen. Die beziehungen zwischen den dichtungen
und den tagebüchern sind besonders eng und vielseitig. Vieles ist darüber von
Werner, anderes von mir in unseren ausgaben der tagebücher zusammengetragen
worden, erschöpfend lässt sich dies nur in einem umfangreichen buche behandeln.
Fries beschränkt sich auf mehr zufällige hinweisungen (s. 36 fg.), die immerhin dankens-
,wert sind. Zwischen den eintragungen in den tagebüchern und ihrer Verwendung in
Hebbels dichtung liegt übrigens sehr oft ein langer Zwischenraum , so dass jeder ver-
such, chronologische Schlüsse aus den daten dieser notizen auf die entstehungszeit
von gedienten zu ziehen, haltlos ist (s. 36). Ohne frage ist es ferner sehr lohnend,
die aphorismen der tagebücher zu reihen und gruppen zu ordnen, doch darf es
keinesfalls so mechanisch geschehen, wie s. 38 — 40. Von einem einfluss Hegels in
dem sich dabei bekundenden 'hange zum kategorisieren ' kann nicht die rede sein; mit
ihm hat Hebbel sicherlich nichts zu tun, es sei denn, dass sein prosastil durch ihn auf
kurze zeit ungünstig beeinflusst wurde. — In dem nachweis der ' widerholungen ein-
zelner mctive und Wendungen' bietet Fries mancherlei interessantes (s, 33 fg.), so z. b.
die erklärung der stelle in 'Siegfrieds tod' H, 4, 1057 durch eine parallelstelle aus
dem 'Diamant', doch leider auch viel gleichgiltiges und willkürliches. Zu diesem teile
ÜBKR FRIES, HBBBEL 223
seiner arbeit wähle ich aus der fülle meiner notizen folgende heraus: 1. Sehr fein ist
die erläuterung einer auffallenden wendung in dem fragment 'Der dichter' durch ein
wort Napoleons bei seiner rückkelir von Elba (s. 37 anm. 1). — 2. Der parallelismus
membrorum in dem mit unrecht beanstandeten bau des gedichtes 'Das mädchen im
kämpfe mit sich selbst' ist Fries nicht aufgegangen. Die zwei letzten Strophen
variieren und vertiefen nur das in den beiden ersten angeschlagene thema, von einem
widerspiuch kann garnicht die rede sein (s. 38, anm. 1). — 3. In dem gedieht 'Ein
Spaziergang in Paris' Byronschcn eiufluss wittern zu wollen, ist ungerechtfertigt (s. 41).
— 4. Dass Hebbels tagebuchkritik über Wielands 'Oberon' (bd. TU der "Wernerschen
ausgäbe, s. 3j sich zu Goethes lobrede auf Wieland in der freimaurerloge in bewussten
gegensatz stellt, konnte durch den hinweis auf eine stelle in Hebbels aufsatz über
den Schiller-Körner-brief Wechsel (Werner, bd. XL s. 185) bekräftigt werden (s. 42). —
5. Zu tagebuch I, s. 281 (ausg. von Werner), war nicht der brief Goethes an Schiller
vom 13. august 1897, sondern der au Zelter vom 4. october 1831 heranzuziehen. —
6. Auf s. 43 werden einzelne der nicht gerade seltenen 'ungenauigkeiten' Hebbels
gestreift; an einer stelle, in dem citat aus der 'Natürlichen tochter', liegt nur ein
druckfehl er vor, den Werner in seiner ausgäbe auf grund der handschrift besserte.
In dem nachweis der beziehungen zwischen einzelnen stellen der dramen und
gedichte Hebbels und ähnlichen stellen bei den classikern geht Fries sicher zu weit.
Zu sehr vielen ausführungen , welche ganz übersehen, dass ein dichter des neunzehnten
Jahrhunderts, der sich unserer hochentwickelten, aber auch vielfach erstarrten spräche
bedient , doch nur in seltenen fällen durch die prägung neuer Wendungen sich sprach-
schöpferisch erweisen kann, werden kenner der litteratur den köpf schütteln, fürchte
ich. Den einen schriftsteiler zum plagiator des andern machen, weil er ähnliche
Situationen mit ähnlichen oder gar gleichen werten bezeichnet, ist meines erachtens
in unseren tagen nicht angängig. Der Verfasser hätte wol daran getan, vor Ver-
öffentlichung dieser Untersuchungen einen passus in Hebbels köstlicher polemik gegen
Bodenstedt noch einmal zu lesen, der eine Verwandtschaft zwischen einer stelle in
Marlows 'Juden von Malta' und Shakespeares 'Romeo und Julia' aufgespürt zu haben
glaubte (ed. Werner XII, s. 285). Natürlich kann ich mich hier auf einzelheiten
nicht einlassen, es muss genügen, diejenigen von Fries herausgehobenen Übereinstim-
mungen zwischen Hebbel und den classikern zu bezeichnen, die auf blossem zufall
nicht beruhen können; es sind deren nicht eben viele. S.27: 'Die nacht der nachte'
(in Schillers 'Klage der Ceres'), zweimal sowol in der 'Genoveva' wie im 'Gyges'
verwandt. — S. 28. Das Shakcspearschc fair is foul and foul is fair (Macbeth) kehrt
wider in den Worten der alten Margarethe in 'Genoveva' v. 2750. — S. 30. Der 'gold'ne
stuhl des Vaters' im 'Gyges' stammt sicherlich aus der 'Iphigenie'. — Ibidem: Das dort
erwähnte epigramm VI, s. 457 (Werner) ist nichts als eine Umformung von Goethes
73. venetianischem. Um zu zeigen, dass nicht nur vieles zu streichen, senden auch
mancherlei nachzutragen ist, füge ich hinzu, dass das 31. epigramm bei Goethe sich
im 2. acte des , Michel Angela' (Annunziata) widerspiegelt und das GO. im ersten
litteraturbrief Hebbels (XII, s. 127). Eine reihe anderer zusätze, die ich machen konnte,
unterdrücke ich, um die besprechung nicht ungebührlich auszudehnen. — Ibidem:
l.essings bekanntes wort in der 'Emilia Galotti' „Wer über gewisse dinge nicht den
verstand verliert usw." klingt nach aus den worten der Julia (Werner II, 178, 14). —
S. 31. Eine ganz unleugbare Übereinstimmung besteht zwischen Hebbels epigramm
' Diuhterloos' und Platens 'Schonung und nichtschonung". Im übrigen ist Fries be-
aüiiders unglücklich in dem hinweis auf panillelstellen aus i'laten. Er hätte bedenken
224 KRUMM ÜBKR FRIES, HEBBEL
sollen, dass Hebbel diesen dichter, wie nicht nur aus tagebuchstellen, sondern vor
allem aus dem von Werner veröffentlichten aufsatz 'Schöne verse' (XII, s. 245 fg.)
hervorgeht, schroff ablehnte. Trotzdem bleibt noch eine andere von ihm erwähnte
ähnlichkeit zwischen einer stelle aus Hebbels 'Prolog zu Goethes hundertjähriger
geburtstagsfeier' und Platens 'Prolog an Goethe' mindestens sehr auffallend (s. 32,
anm. 1). Die zahlreichen anderen parallelen bei Fries beweisen nichts. — S. 43,
anm. 3. Selbstverständlich lehnte sich Hebbel in der Schlusszeile seines sonetts
'an eine Römerin' an das Mignoulied an. — S. 45. Zum epigramm 'Richt-
schnur', wird mit recht an Goethes 'Bilde, Künstler, rede nicht' erinnert. —
Ibidem: Die möglichkeit der anlehnung in 'Michel Angelo' (A. T) an Goethes 'Künst-
lers apotheose' ist nicht ganz abzuweisen. — Zu s. 47fg. : Dass Hebbel sich in seinen
opigrammen vielfach an die Xenien anschloss, dass ihm insbesondere Schiller als
muster vorschwebte, ist klar. Auch mehr oder weniger unbewusste anlehnungen
liegen vor, so in dem epigramm 'An die exacten' an Schillers 'An die astronomen'
(48, anm. 1). Auch die beraerkung, dass er gerne, wie Schiller, das epigramm mit
einer indirecten frage einleite, ist zutreffend. Als einzige bewusste, schon durch den
titel verratene anlehnung bleibt jedoch nur das epigramm Majestas hominis (bei Schiller
Majestas populi, übrig, s. 49). Dass pentameter wie 'Und von geschlecht zu geschlecht
schlingt sich das heilige band' Schillerisch klingen, kann man zugeben; trotzdem
sind sie Hebbels geistiges eigentum. Schon auf s. 44 rügte Fries übrigens mit recht
den nicht nur gegen die strenge Observanz verstossenden , sondern nicht selten un-
gelenken bau der Hebbelschen distichen. Das ist charakteristisch für den dichter,
dem nicht nur im drama das 'ringen um ausdruck ausdruck war' (Über den stil des
dramas, "Werner XI, 73). Jedesfalls hielt er eigensinnig an solchen metrischen un-
ebenheitesn fest. Der von Fries verspottete vers (s. 44) ist freilich in Werners aus-
gäbe, soweit ich sehe, ohne grund geändert; in C, der ausgäbe von 1857, lautet er
anders und glatter. — S. 51. Der Heinische ton in dem gedieht 'Hörn und flöte' wird
mit recht hervorgehoben. — Ibidem: Aufrichtig dankbar bin ich Fries für die er-
klärung einer mir früher unverständlichen anspielung auf Horaz in dem fragment'Der
dichter'. — S. 52/53. Die Verwandtschaft zwischen Hebbels kunstauffassung und der
in Schillers ästhetischen Schriften ausgesprochenen wird mit nachdruck betont. Hier-
über könnte noch vieles nachgetragen werden. Hebbel las diese schritten widerholt
mit entzücken, namentlich die 'Briefe über die ästhetische erziehung des menschen'
und kannte sie genau. Vieles blieb in ihm haften, doch war er reich genug auch
ohne das, jedesfalls sprach er nie etwas aus, das er nicht selbst empfunden und
, geistig erlebt hätte. Abhängig von Schiller wurde er nie. — S. 59 (berichtigungen) :
Die anlehnung in dem epigramm 'Lorbeer und perrücke' an Goethes elegie 'Hermann
und Dorothea' kann nicht bestritten werden. — Soweit stimme ich zu, alles andere
hierher gehörige kann ich nicht unterschreiben.
Das namenregister zu Hebbels tagebüchern (s. 54 — 58) ist jetzt durch das muster-
giltige von Werner seiner ausgäbe hinzugefügte register überholt. Zu s. 56 anm. 1
bemerke ich, dass Hebbel Plato, wie aus Werners ausgäbe der Tagebücher ersicht-
lich, in der Übersetzung von Ast las. — Aus der fülle der sonstigen raudbemerkungen,
die ich mir zu dieser schritt machte, möchte ich zum schluss nur noch einiges mit-
teilen, was mir zweifelhaft zu machen scheint, ob Fries der richtige mann ist, um
Hebbel ästhetisch zu beurteilen, was immer eine gewisse Wahlverwandtschaft des
ästhetischen empfindens voraussetzt. Auf s. 12 anm. 3 bemerkt er, dass der dichter
in den 'Fragmenten' seinen personen oft ganz prosaische ausdrücke in den mund
SUCfflER ÜBKK BPOrKSTEDT , I'LOOVENTSTUDIRN 225
lege, wie z. b. 'lächerlich', 'modoU'. Er entschuldigt dies damit, dass wir hier
Hebbel gewissermassen im neglige sehen. Dem widerspriciit dann freilich später
die anm. 3 zu s. 33, wo eine später noch vervollständigte reihe von prosaischen Wen-
dungen, namentlich von 'entsetzlich unpoetischen fremd Wörtern', mit denen Hebbel
seine dichterische dictiou zu verunzieren pflege, aus seinen vollendeten werken zu-
sammengetragen wei'den. Darunter begegnen wir ausdrücken wie 'guten tag' (zum
überfluss an der betreffenden stelle in 'Herodes und Mariamne' ironisch ge-
braucht), 'musikant', 'bankett', 'tusch', 'posten', 'kalender' u. a. Warum Hebbel
in diesen dingen nicht idealistisch sein wollte, wanim er den einfachen sachstil dem
auf dem kothurn einherwandelnden 'poetischen' vorzog, ist Fries ebenso unklar
geblieben wie R. M. Meyer, der ebenfalls in seiner 'Litteraturgeschichte des 19. Jahr-
hunderts', von einem gelegentlichen abgleiten der Hebbelschen spräche in die prosa
i-edet. Vielleicht ist Fries in diesem punkte von Meyer beeinflusst. Hebbel würde
über solche kritiker sicher nur gelächelt haben. — An derselben stelle tadelt Fries die
anachronismen bei Hebbel. Dass auch diese beabsichtigt sind, geht aus einer sehr
charakteristischen briefstelle hervor (An die prinzessin Wittgenstein, 2. dec. 1858.
Briefwechsel, hrg. von Bamberg, II s. 475). — Über die männlichen vm-sschlüsse im
'Moloch' bemerkt der Verfasser sehr fein, dass es Hebbel darum zu tun gewesen sei,
den eindruck der Starrheit in dieser dichtung schon äusserlich zu erwecken, s. 21. - Auch
auf die ähnlich, doch keineswegs aus demselben gründe zu erklärende erscheinung
in der 'Genoveva' verweist er, ohne jedoch näher darauf einzugehen, was im an-
schluss an eine stelle aus Hebbels brief an Elise vom 13. 12. 1842 (bd. II ed. AVerner,
s. 159) sehr wol möglich gewesen wäre. Unerklärlich ist ferner, wie er bei v. 476
und 922 des 'Moloch' von der notwendigen elision des e reden kann. An der metri-
schen glätte Hess es Hebbel, wenn es ihm auf das charakteristische ankam, gerne
fehlen. — Die bemerkungen über die monologe in den dranien sind flach wegen ihrer
allgemeinheit. Hebbels technik in dieser beziehung muss sowol aus der entwicklung
seiner dramatischen eigenart wie aus der Verschiedenheit der stoffe, die er behandelte,
erläutert werden. Was Fries über einen angeblichen eiufluss Kleists auf Hebbel in
diesem punkte vorbringt, schwebt in der luft, s. 31.
Meine ausführliche besprechung wird dem Verfasser beweisen, dass ich trotz
der bedenken, die ich gegen die von ihm befolgte methode wie gegen seine befähigung
zur ästhetischen wertung des von Hebbel geleisteten hege, der fortsetzung seiner
Studien auf diesem gebiete mit Spannung entgegensehe. Etwas mehr kritische vor-
sieht im einzelnen und etwas weniger Voreingenommenheit in der anlegung allge-
meiner ästhetischer massstäbe ist ihm meines erachtens allerdings dringend anzuraten.
KIEL. H. KRUMM.
(iustav IJrockstedt, Floovent-studien. Untersuchungen zur altfranzösischon epik.
Kiel. Cordes 1907. VIII, 164 s. 7 m.^
Diese Flooventstudien , hervorgegangen aus einer Kieler doctorarbeit von 1904,
zerfallen in zwei teile betitelt 'Die Überlieferung" und 'Die sage'.
Im ersten teile wird mit guter litteraturkenntnis das Verhältnis des franzö-
sischen Floovent zu den italienischen fas.sungen erörtert. Dabei werden vielfach die
französischen und die italienischen Versionen des Bueve d'Hanstonc herangezogen.
1") Seit der einsendung meiner anzeige Csept. 1907) sind folgon<lo bosprivhnngen
im druck erschienen: Zeitschr. für rom. ph. XXXII s. 110 (Stirnining), Literaturbl. für
L'erm. u. rom. i)h. 1908 sp. 19 (Becker), Deutsche literaturzt^. 1908 sp. 362 (Voretzsch).
ZKITSCHRIFT K- DEUTSCHK PHILOLOGIE. BD. XL. 15
220 RUCHIER
Die italienischen romane Fioravante und Buovo d'Antona haben so viel gemeinsames,
dass der eine roman den andern benutzt haben, ja dass beide aus der band des selben
Verfassers hervorgegangen sein müssen. Die quelle des Buovo d'Antona ist nicht
die anglonormannische, sondern die continentale fassung des französischen Bueve ge-
wesen. Am Schlüsse seiner erörterungen stellt Brockstedt den Inhalt der ursprüng-
lichen Flooventdichtung, also der gemeinsamen quelle der uns erhaltenen fassungen, her.
Dieser erste teil bewegt sich auf wissenschaftlichem boden, seine ergebnisse
sind im allgemeinen mit guten gründen gestützt. Doch darf einzelnes angezweifelt
werden. So soll der Italiener für den Buovo eine französische handschrift (oder
mehrere handschriften) benutzt haben. Ich glaube, dass ein indicium auf mündliche
Vermittlung hinweist: die ersetzung des französischen namens Josiane durch Drusiana.
Die lautähnlich keit zwischen dz (geschrieben y) und dr ist aus dem heutigen Englisch
bekannt, aber auch sonst anzutreffen. Auch gesprochenes französisches j {dz) konnte
von einem Italiener als dr gehört werden, während ein verlesen von geschriebenem y
als dr ganz ausgeschlossen ist.
Im zweiten teile glaubt verf. nachweisen zu können, dass enge beziehungen
der Flooventfabel zur Siegfriedsage bestehen, be.sonders zu der fassung der Siegfried-
sage, die allein noch in einer reihe von nordischen quellen erhalten ist und die er
daher kurz als Sigurdsage bezeichnet.
Dieser nachweis ist m. e. misslungen. Verf. hat es beim aufsuchen überein-
stimmender züge an der nötigen vorsieht fehlen lassen, und ich halte es für meine
ptlicht, ihm hier wenigstens in kürze zu zeigen, weshalb ich seinen folgerungen nicht
zustimmen kann.
Er sagt auf s. 75 (ich setze den absatz cursiv) :
„In der Sigurd-sage tvird erzählt, tvie der heimatlose held nach manchem
ahenteuer am hofe Ojiikis, des uaters der Gtidrtin und der beiden hriider Ounnar
und Högni, eine freistatt findet; ivir hören von seinen viehrfachen hegegnungen
mit der Brynliild, der tochter Biidlis, einer stolzen, einsam in fester bürg hau-
senden fürstin, die er zuletzt für Gunnar, den ältesten der söhne Gjukis, be-
zwingt; nachdem dann die überivundene Brynhild sich seinetwegen mit der Gudrun
tötlich verfeindet hat, ivird er von den söhnen Gjukis verräterisch ermordet.''
Brockstedt fährt fort: „Zug für zug entspricht dieser darstellung die erste
hälfte der geschichte des aus der heimat vertriebenen Floovent — die geschichte seiner
ankunft und aufnähme in Ausai bei könig Flore, dem vater der Florete und ihrer
brüder, Maudarans und Maudaires; seiner hegegnungen mit der Maugalie, der einsam
in ihrer bürg Avenant hausenden, zuletzt von ihm für Flore bezwungenen tochter
Galiens, und des nach dem streit der fürstinnen von Flores söhnen an ihm be-
gangenen Verrats. Ist nicht könig Flore der Gjuki, Florete die Gudrun der nordischen
■quellen? Und entspricht nicht ebenso die allein in ferner bürg lebende, vom beiden
bei seinem letzten besuch für einen anderen bezwungene, dann mit Flores tochter in
eifersucht zusammenprallende Maugalie der Brynhildsge.stalt? Das verräterpaar —
Maudarans und Maudaires — den treulosen Gjukisöhnen Gunnar und Högni?
Sigurd erliegt dem gegen ihn gerichteten anschlag. Floovent dagegen rettet,
wenn auch für ihn die tat der brüder nicht ohne folgen bleibt, doch jedesfalls das
leben. Das ist gewiss ein schwerwiegender unterschied der beiden fabeln."
Also erst soll die Sigurdsage zug für zug einem abschnitt des Floovent ent-
sprechen. Daim aber ist die ermordung Sigurds von den Übereinstimmungen aus-
zunehmen. Auszunehmen sind aber auch .sämtliche eigennamen, von denen kein
fBER BROCK STF.DT, FLOOVKNTSTUDIEN 227
einziger übereinstimmt. Wir müssen aber auch die allein in ferner bürg lebende
Maugalie (Margarite) ausnehmen; denn sie ist sowenig allein, dass sie dreissig junge
mädchen bei sich hat. Endlich wird sie vom beiden nicht für den söhn seines könig-
lichen beschützcrs gewonnen, auch nicht für diesen, obgleich Brockstedt sich so aus-
drückt, sondern Floovent heiratet sie selbst.
Was bei nüchterner betrachtung von übereinstimmendem bestehen bleibt, ist
nur dieses: Ein held weilt in der fremde am hofe eines königs. üieser hat eine
tochter, die den beiden liebt, und söhne, die ihn hassen. Von da aus unternimmt
der held einen zug gegen eine bürg, in der eine Jungfrau wohnt, die ihn gleichfalls
liebt. Er nimmt die bürg ein. Alles weitere ist, soviel ich sehe, durch die Situation
gegeben, oder gehört zu den gemeinplätzen der altfranzösischen epik. Dass zwei
damen, die in den selben mann verliebt sind, hierüber in streit geraten, brauchte doi-
Flooveutdichter nicht erst aus einer quelle oder Überlieferung zu schöpfen. "Wenn
man genauer zusieht, schwindet zwischen Brynhild und Maugalie jegliche ähnlichkeit.
Da die Brynhildsage im mittelpuukt der beweisführung zii stehen scheint, will
ich noch eins anfuhren. In den Reali di Francia stösst der auf einem unterirdischen
gange zur bürg der trauen vordringende Fioravante auf eine quelle. ' Neben dieser
ist die eheiTie statue eines königs, der ein entblösstes schwort in der band hält, auf
einem marmorstein, dessen Inschrift besagt, dass nur der beste ritter der weit der
Statue das schwert abnehmen kann.
Brockstedt bemerkt hierzu (s. 129): „Wen erinnerte die unter einem Zauber-
spruche in scheinbarer bewegungslosigkeit daliegende, bei der berührung des beiden
aber äusserungen des lebens vollziehende bronzefigur des Fior. nicht au die von
Sigurd in den banden einer tiefen Verzauberung angetroffene, unter seinen bänden
aber zum leben erwachende Brynhild? Und weist nicht auch das neben der bronze-
statue lagernde „nackte schwert" {spada nuda) auf die Brynhildsage, wo, bei dem
zweiten zusammentreffen von held und fürstin, ein „blosses schwert {svertli nokkvit;
Sig. en skaynma str. 4) die auf einem lager rahenden scheidet?"
Woraus Brockstedt schliesst, dass die statue nicht steht, sondern liegt, hat er
nicht verraten. Der vergleich mit Brynhild ist so weit hergeholt wie möglich, ist
gänzlich verfehlt. In der tat gehört das schwert, das nur der beste ritter der weit,
d. h. der held des betr. romans, aus einer Umklammerung lösen kann, zu den requi-
siten der Arthurromane und ist aus ihnen entlehnt.
Nicht besser ist was auf s. 13Q über das „gestaltentauschmotiv " der Sigurd-
sage geäussert wird.
Der verf. schwelgt geradezu in leichtfertigen attributionen : nach s. lö.ö. 159
ist von dem Flooventdichter auch die Krönung Ludwigs, Gormund und Isembart, Huon
von Bordeaux usw. verfasst.
Anerkennung verdient seine gelehrsamkeit auf dem gebiete der märchenkuude;
doch bedarf auch was er hier vorbringt strenger nachprüf ung, an der er selbst es
leider hat fehlen lassen.
Seine chronologischen schlu-ssfolgerungen leiden zuweilen darunter, dass er den
berühmten codex Marcianus XIII mit dem poeten Ciämpoli um 1200 ansetzt. Nach
dem sachkundigem urteil Guessards ist er erst in der ersten liälfti' des XIV. jahr-
iiuuderts geschrieben.
hau.k a. s. iikumann svchikr.
15"
228 ROSENHAGEN
Heinrich Ton Freiberg:. Mit einleituugen über stil, spräche, metrik, quellen und
die persönlichkeit des dichters. Herausgegeben von dr. Alois Berndt. Gedruckt
mit Unterstützung der Gesellschaft zur förderung deutscher Wissenschaft, kunst
und litteratur in Böhmen. Halle a. S. 1906. 12 m.
In einem ansehnlichen bände vereinigt erscheinen hier die schritten des be-
deutsamen nachzüglers der mittelhochdeutschen ritterpoesie Heinrich von Freiberg:
die di'ei in denen er sich selber nennt, Tristan, Die legende vom heiligen kreuze,
Die ritterfahrt des Johann von Michelsberg und das gedieht, welches ihm nunmehr
sicher zugehört, der schwank vom Schretel und wasserbär. Die ausgäbe ist durch
langjährige, eingehende und planmässige Studien vorbereitet worden, über welche uns
die 208 selten der 'einleituugen' ausführlichen bericht erstatten.
Die texte weichen nicht sehr von den bisherigen drucken ab, weil der Tristan,
abgesehen von einem kleinen bruchstücke {Wolfenbüttel, vgl. Zeitschr. f. d. altert.
XXXn, 93 — 95) nur in zwei hss., über deren bewertung auch der erste herausgeber,
E. Bechstein, nicht im zweifei war, die andern stücke nur je einmal überliefert sind.
Man muss sie genauer nachprüfen und mit den sprachlichen und metrischen Unter-
suchungen des Verfassers vergleichen, um zu sehen, dass jede zeile durchgearbeitet
und neu hergestellt ist. Die beurteilung der arbeit wird sich daher in erster linie
mit den einleituugen zu beschäftigen haben.
Sie sind nicht ganz leicht zu lesen, einmal wegen der masse des Stoffes, welcher
gleichsam in einem langen corridor magaziniert ist, so dass man immer zu nahe daran
steht — darüber nachher — und wegen der Umständlichkeit der darstelluug: die arbeit
hätte sich wol durch eine straffere redaction wirksamer gestalten lassen, z b. der an
sich interessante excurs über verschiedene sprach- und wortformen in den hss. 0
und F. Man muss sich daher die neu gewonnenen oder gesicherten tatsachen nicht
ohne mühe zusammen suchen. Das wichtigste ist folgendes.
1. Der schwank vom Schretel ist nun mit Sicherheit als werk Heinrichs an-
zusehen.
2. Über die lebensverhältnisse Heinrichs und seiner familie erhalten wir
genauere angaben, welche geradezu reizen sie in der phantasie auszugestalten, wo-
vor der besonnene verf sich dui'chaus zu hüten weiss. Man wusste, vor allem auf
grund der forschungen von W. Toi sc her (Mitt. des Vereins für geschichte des deut-
schen in Böhmen 15, 149fg., vgl. R. Bechstein, Heinr. v. Freiberg s. XXIfg. XXVII fgg.),
dass Heinrich zu einer deutschen, bürgerlichen, aus Freiberg in Sach.sen stammenden
familie gehörte, welche bergwerke auf der herrsch aft Deutsch -Brod an der böhmisch -
mährischen grenze besass. Diese herrschaft gehörte seit 1251 der familie der Lichten-
burger, die aus der Lausitz, als herren von Zittau, stammten. Ein Lichtenburger
ist auch Reimund, der vornehme herr, für den Heinr. den Tiüstan gearbeitet hat.
Jetzt erfahren wir, dass die vorfahren Heinrichs nicht von ihrer heimat gleich nach
Deutsch -Brod übergesiedelt sind, sondern vorher in angesehener Stellung in Leit-
meritz gesessen haben. Wahrscheinlich wird gemacht, dass ein Henricus Curialis,
der als ministerial des Lichtenbui'gers 1256, 1258, 1261 erwähnt und ein Henricus
de Broda, der als miles des bischofs von Olmütz 1266 genannt wird, unser dichter
ist; ebenso dass wir als geburtsort Leitmeritz ansehen dürfen, wo er auch seine latei-
nische bildung auf der Stadtschule erworben haben wird. (Über diese schule näheres
s. 199.) Auch die nachrichten über das lange bedeutsame leben Reimunds von
Lichtenburg hat der verf. neu durchforscht. Die belege gehen von 1278 — 1329. Aus
V. 56 (mit ebenso viel recht könnte man den Wortlaut und den ton der ganzen Widmung
ÜBKR IIEINK. V. KKE1BE1{(.1 KD. BERNDT 229
V. 53 — 84 lierauziehcu) wird gcschlosseu , dass der Tristan noch in die jüngeren
jähre Reimunds gehört, und bereclinet, dass er nicht viel später als 1285 begonnen
worden ist. Für den Michelsbergcr ist nichts neues zu finden gewesen. Aus deu
beiden uachiichtcn über dessen ritterfahrt nach Frankreich, deren eine sie
zwischen 1293 und 129(3, die andre sie auf 1297 verlegt, entnimmt der verf. für das
gedieht die datieruugsgreuzen 1294 und 1300. Die zweite dürfte aus vorsieht zu weit
hinausgeschoben sein. Denn mit dem verf. werden wir gedieht und ereignis als zeit-
lich -zusammengehörig auffassen.
3. In metrisch -technischer hinsieht steht die Legende hinter den andern ge-
dichten zurück, das Schretel stimmt mit dem Tristan und der Ritterfahrt darin
überein. Zeitlich folgen also: Legende, Tristan, Ritterfahrt, und das Schretel geliört
zeitlich zu den beiden letzten.
4. Für den Tristan hat Heinrich keine anderen quellen benutzt als Ulrich
von Tür heim und Eilhard. Gegen Singer (Zeitschr. 29, 73 — 87), werden die selb-
ständigen züge bei Heinrich, aus welchen jener auf eine dritte, französische, quelle
schloss, als Heinrichs eigene erfindung erklärt (s. 169 — 177).
Man hätte nur gewünscht, dass auch die beweisführung Singers etwas schärfer
aufs körn genommen worden wäre. Nur um das natürliche zu vermeiden, dass
Heinrich sich seine geschichte auf grund der bekannten quellen selber zurecht- gelegt
und ein wenig ausgestaltet hat, müssen hypothetische mittelglieder herangezogen
werden, vor allen Chrestiens Tristan, von dessen Inhalt wir gar nichts wissen. Es
wäre dabei dem verf. sehr zu nutzen gekommen, wenn er schon den 2. band der
ausgäbe des Tristan von Thoraas von Jos. B edier (Societe des Anciens textes franyais
1905) hätte einsehen können. Er würde nicht mehr von jener vagen 'Berol-version'
gesprochen haben, die trotz aller scharfsinnigen und gelehrten Untersuchungen vor
der einfachen frage: „wie soll man sich das im einzelnen vorstellen?" immer sich in
ein wallendes, nicht still haltendes gebilde auflöste. Geradezu erlösend wirkt der
nachweis Bediers, dass alle litterarischeu darstellungeu des Tristanstoffes und auch
alle anspielungen darauf auf ein, von einem manne verfasstes gedieht zurückgehn.
Es ist wie das wort, das man auf der lippe hat und nicht articulieren kann, das hier
ausgesprochen wird. Auch Bedier gibt Heinr. nur Eilh. und Ulrich als quellen (s. 287 fg.).
Er bekämpft dort eine andere abhandlung, in welcher für- Tristans Wahnsinn auch
eine besondere, Ulrich und Heinrich gemeinsame quelle construiert wird (Lutoslawski,
Romania XV, 511) Sehr fein cliaraktcrisiert er die äusseriich arithmetische methode,
alles was Ulr. und Heinr. mehr als 'Eilh. haben, einem verlorenen poeten zuzu-
schreiben. „Man braucht nur noch einen buchstaben mehr dem aiphabet zu ent-
nehmen um diesen imaginären dichter zu bezeichnen." Merkwürdig ist es dann auch,
dass bei solchen constructionen nur x, y, z phantasie haben, nie die uns geschicht-
lich bekannten personen, deren bücher wir lesen.
In unserm falle waren noch die folgerungen zu erwägen, welche die annähme
einer dritten, unbekannten, französischen quelle notwendig machen würde. Heinrich
müs.sto so viel französisch gekonnt haben, dass er ein ganzes buch in dieser spräche
nicht nur lesen, nicht nur übersetzen, .sondern so frei beherrschen konnte, dass er
nacli belieben einzelne züge — nebensächlicher art dazu — sich herausfischte. Aber
Konrad von Würzburg, der in Strassburg und Basel lebte, konnte das nicht, was dem
mann aus Deutsch -ßrod eine kleiuigkeit war. Es bleibt immer noch die frage offen,
wie viel man in Deutschland im 13. Jahrhundert französisch hat lesen können, was
man überhaupt von der französischen litteratur wusste. Die fabelhaften angaben,
230 ROSENHAGEN
welche sehr angesehene dichter über ihre quellen machen konnten, lassen diese
kenntuisse sehr gering erscheinen. Jedenfalls ist es unwahrscheinlich, dass Heinrich
behauptet hätte, Thomas von Britanje habe in lain partischer %ungen gesprochen,
wenn er selber französisch gekonnt und französische hücher gelesen hätte. Auch kom-
men wir bei ihm nicht damit aus, dass wir einen vermittelnden Übersetzer annehmen.
Denn er wählt ja aus und ändert doch im einzelnen so wenig, dass man noch im
19. jhdt. die lierkuuft der züge aus einer bestimmten quelle hat vermuten können.
Für die lampartische zunye lässt sich zur erklärung vermutungsweise . vor-
schlagen, H. sei in Oberitalien gewesen. Das wälsch, was er persönlich kennt, würde
dann lalnpartisch sein. So würde sich auch die auffällige bezeichnung 2>otestat er-
klären (v. 3284. 3302), welche dem beamten gegeben wird, der Isoldens liinrichtung
zu besorgen hat. Das wort findet sich sonst (nach den wbb.) nur bei Thomasin von
Zirklaja und. Ulrich von Lichtenstein, also dichtem, welche Oberitalien und von dort
das wort jmtesfat kennen. Stimmt das, so hat Heinr. es angewandt, um seiner er-
zählung wälsche localfarbe zu geben, um sie quellenechter erscheinen zu lassen. Die
Vermutung des verf. , welcher aus v. 11 der Eitterf. schliesst, Ileinr. sei in fremden
landen gewesen, würde dadurch bestimmtere form gewinnen.
Mit diesen litteraturgeschichtlichen ei'gebnissen ist der Inhalt der einleitungen
noch nicht erschöpft. Es steckt eine umfassende, gründliche und gewissenhafte arbeit
darin; kein grammatiker, metriker oder herausgeber von mhd. texten darf sie über-
sehen. Was ihnen aber im ganzen fehlt, drückt schon der mit bedacht gewählte
plural 'einleitungen' aus. Eine 'einleitung' wäre besser gewesen, und wenn der
verf. sich bescheidet, einen anfang und keinen abschluss gegeben zu haben, so möchte
man doch wünschen, dass ein gewisser abschluss erstrebt worden wäre, so nämlich,
wie ihn der ort, au dem diese Untersuchungen abgedruckt sind, verlangt. Die texte
sind nicht bloss für mhd. Specialphilologen gedruckt. Was für jede ausgäbe mhd.
denkmäler gilt, hat hier noch eine besondere bedeutuug, weil diese eine materielle
Unterstützung darum erhalten hat, dass es sich um ein culturgeschiehtlich wichtiges
werk aus der zeit der deutschen colonisation in Böhmen handelt. Eine solche ein-
leitung muss klarstellen, was die texte geschichtlich bedeuten, und da es litterarische
werke sind, das geben, was man ausser dem texte wissen muss oder kann, um die
darin getane literarische leistung zu begreifen. Hier haben wir einzelabhandlungeu,
die gleich ins einzelne gehen, als wenn sie in einer fachzeitschrift ständen, wo der
leser bescheid weiss. Dass die absieht gefehlt hat, aus dem einzelnen zu einer Charak-
teristik des autors sich hinzuarbeiten, spricht sich schon in der reihenfolge aus, die
vertauschbar ist. Anstatt: stil, spräche, metrik, wäre der umgekehrte weg frucht-
barer gewesen. Es macht den eindruck, als ob die abhandlungen einzeln nacheinander
entstanden wären. Dadurch wird auch die Übersicht für den leser schwierig. W. Fried-
rich (Deutsche literaturzeitung 1906, 1574) vermisst die erörterung der frage, „in-
wieweit in Heinrichs spräche schon die dehnung rnhd. kurzer Stammsilben ein-
getreten war". Die frage wird aber berührt, jedoch an einer stelle, die man mühe hat
widerzufinden, wenn man sie nicht gleich beim lesen notiert hat (s. 129 — 1.30, in
der metrik).
Es wäre sicherer gewesen, wenn durch die behandlung der metrik dem gram-
matischen capitel erst die grundlage gegeben worden wäre — und auch festgestellt,
was unsicher bleibt. Indem ich auf die schon erwähnte besprechung von W. Friedrich
(Deutsche literaturzeitung 1906, 1572 — 1577) grade für diesen punkt verweise, möchte
ich nur folgendes anmerken. Es musste gesagt werden, wie sich H.s vers'zu dem
t'BKR HEINK. V FKKIBERG Kl). rJKKNDT 231
nih'd. reinipaarvers im allgemeinen und zu dorn Gottfrieds im besonderen verhält. Die
antwort auf die er.ste frage gibt W. Friedricli (a. a. o. 1575) wie mir scheint richtig:
es ist, mit rücksicht auf das vom verf. nicht behandelte Verhältnis der haupt- und
nebeuhebungen, der alte reimvcrs. Allerdings entspricht die überwiegende zahl der
verse dem Schema XXXXXXXX, aber H.s metrik ist im ganzen altertümlicher als
z. b. die Konrads von AVürzburg. Über alle dabei in frage kommenden dinge werden
die genausten statistischen nachweise gegeben (s. 127 — 153), aber das Verhältnis zu
Gottfried wird nicht besondeis vorgenommen. Da hätte doch das mehrfach erwähnte,
bei H. so häufige, enjambement einen wink geben können. Nehmen wir ein be-
sonders starkes bcispiel: snelch riitcr dd den andern an quam und er in geioäpent
vant XU rosse und er im unerkant /ras, des mochte sin kein rät, ern müeste —
wem (1606 — 1611)'. Das sind kaum noch verse, jedenfalls keine Gottfriedische. Die
kehrseite oder bcgleiterscheinung des enjambements, die syntaktische zerreissung des
folgenden verses, ist iu ähnlicher weise bei Heinr. öfter zu beobachten und beweist
eine von üottfr. gnmdsätzlich verschiedene auffassung vom verse, für welche der
reim als marke der poetischen redeform voransteht, der rhythmus des verses an
zweiter stelle wirksam ist Ein solcher vers ist auch mehr episch als lyrisch. So
drückt sich ein dichter aus. dem, in der sache deuthch und vollständig zu sein, mehr
Avert ist, als durch den rhythmus zu wii-ken. So würde, wenn wir für Heiur. ein
Vorbild zu suchen haben, AYolfram heranzuziehen sein, bei dem wir recht starke fälle
finden. Wirklich Gottfriedischen klang haben nur solche verse, wo H. ihn auch
stilistisch und inhaltlich bewusst nachahmt (vgl. unten).
Sehr gründlich, und mit anlehnung an Zwierzina vorsichtig sondernd, was litte-
j'arische tradition, was wirklich mundart ist, werden die erkennbaren sprachlichen
eigenheiten erörtert (III. capitel). Sie werden als mitteldeutsch erkannt. Da das ein
etwas unbestimmter begriff ist, so hätte man gewünscht, dass der verf. mit seiner
keontnis der alten Jitteratur und der heutigen mundarten Deutschböhmeus vorsucht
hätte genauer zu localisiereu. Er geht darauf nur bei einigen kleinigkeiten ein (über-
zeugend niht eine bunne = n. e. bone, weniger glücklich der ^ewf^e /e?re, vgl. unten).
Vielleicht hätte der wertschätz noch mehr ergeben als die anm. s. 125 lehrt, da er vieles
enthält, was im mhd. selten oder gar unbelegt ist. Die schon erwähnte dehnung
der Stammsilben musste jedesfalls in diesem cap. besprochen werden. Sie zeigt sich
doch in dem reim vcrsacjeten-.bägeteti 3177, und in <\Qn\)Q\Ae\\ jagern: gewern 2^11,
jegern : enp'ern 2381 , die merkwürdig dicht aufeinander folgen. Diese reime müssen
allerdings mit den reimen cer : er (s. 92) zusammengestellt werden. Sie sind darnach
einsilbig, im übrigen schwierig zu beurteilen. \\o\\ jagern zwei hebungen trägt: mit
des küniges jagern, ern spreche xu den jegern. Wenigstens ergibt sich daraus, dass
er, her, der, ger au betonter stelle gedehnten vocal hatten, und darum i\.\XG\\ ge^vern.
Der herausgeber schreibt im text jagern, in der einleitung ja^/tV»; das zweite rich-
tiger, wie mir scheint, weil wir sonst auf einen unmöglichen rhythmus kämen. Ob
dann das a von jagern als gedehnt zu fassen ist, bleibe dahingestellt.
Der Wortschatz ist auch von stilistischer bedeutung. Die frage ist, wie
weit bewegt sich H. in der herkömmlichen ausdrucksweise des höfischen epos, und
wie weit braucht er werte, die ihm aus .seiner mundart geläufig sind. Die sache ver-
dient eine nachprüfung, die ziemlich umständlich ausfallen dürfte. I>. beschäftigt
sich eingehender nur mit den Wörtern, welche in der volksepik üblich waren, aber
1) Die gesperrten werter sind die reime.
232 KOSENllAGEX
von den höfischen dichtem als veraltet gemieden wurden (s. 59 — 62), und findet, dass
H. eine reihe solcher wörter unbedenklich gebraucht. Es kommt hier dem verf. auf
den geschichtlichen nachweis an, dass IL Zusammenhang mit der volkstümlichen dichtung
zeigt, und nicht darauf, wie er die von dort empfangenen stilistischen elemente verwertet.
Aber klar genug zeigt sich darin ein gegensatz zu Gottfried, und das hätte den
verf. veranlassen können, das Verhältnis H.s zu ihm im zusammenhange zu unter-
suchen. Die tatsache, dass H. ihn genau gekannt und nachgeahmt hat, bedarf frei-
lich keiner erörterung mehr, aber der verf. hätte sich etwas bedenken sollen, ehe er
erklärte, dass „H.s hauptwerk im ganzen stilcharakter die nachahmung Gottfrieds ver-
rät, so dass H. mit recht als derjenige mhd. dichter genannt werden kann, der G.s
wesen und dichten wie kein andrer erfasst hat" (s. 77). Mit recht? Ich wage zu
zweifeln, vorausgesetzt, dass ich die worte „wie kein andrer'' als gradbezeichnung
und nicht als wirklichen vergleich richtig auffasse. Sie sagen doch, nur etwas vor-
sichtiger, dasselbe wie die formal: „brachte den unvollendeten Tristan im stile und
geiste Gottfrieds zum abschluss", die für Heinrich herkömmlich gebraucht wird,
auch in sehr ernsthaften und zuverlässigen literaturgeschichten. „Im stile'', viel-
leicht, wenn auch mit allerlei einschränkungen — aber im geiste? den geist müssen
wir endlich einmal streichen.
Geist kann in einem solchen falle zweierlei heissen: erstens die art und weise,
wie der dichter die dinge, von denen er redet, ansieht, fühlt, auffasst, kurz was
mau auffassung oder auch anschauung nennt; zweitens, in einem engeren, rein littera-
rischen sinne, die art und weise, wie er den «toff aufasst, was er daran für mitteilens-
wert hält, wie er ihn zu einem gegenständ der mitteilung gestaltet, ungefähr das,
was man als 'innere form' bezeichnet.
Geist in dem ersten sinne durchströmt, durchglüht, das weiss jeder, Gottfrieds
ganzes gedieht. Was er für eine Vorstellung vom voUkonunensten manne, von der
vollkommensten frau hat, was er von minne und knote, von eifersucht und hass denkt,
was er über die geschichte seiner drei personen urteilt und was er dabei fühlt, das
sagt er so, dass darüber ein zweifei nicht bestehen kann. Fassen wir dem gegen-
über drei stellen aus Heinr. werk ins äuge, welche auch der verf. heranzieht, aber
anders beurteilt. Zunächst v. 694 fgg. : Isolde Weisshaud den bräutigam erwartend.
Der verf. findet darin eine 'reizvolle' erzählung von dem 'jungfräulichen betragen'
des mädchens. Ich kann mir nicht denken, dass dies urteil von dem fühlen eines
heutigen menschen aus gefällt ist. Denn ich glaube nicht, dass wir heute diese szene
anders vertragen können als ein, allerdings anschaulich erzähltes, Sittenbild einer ver-
gangenen zeit. Geschickt ist es von H., dass er sich bei den erwartungen des mäd-
chens etwas aufhält, um den contrast zu dem, was wirklich geschieht, zu steigern.
Die ausführung im einzelnen aber gestaltet nicht diesen besonderen fall der Isolde
Weisshand poetisch aus, sondern schildert einfach, was nach der auffassung, in und
zwischen welclier H. lebte, für guten ton gehalten wurde. Man vergleiche damit
nun die stelle von streit zwischen schäm und liebe (Gottfr. 11826 fgg.), welche auf
Heinrich hier einfluss gewonnen haben soll (s. 25). Von diesem einüuss ist aber
nichts zu spüren. Bei Gottfried bleibt die ganze darstellung in rein geistiger Sphäre,
er hat nur mit dem seelischen kämpf zu tun, er bewegt sich ausschliesslich in jener
antithetischen psychologie, welche ihn und seine Vorgänger als neue entdeckung im
geistigen leben über alles interessierte und tief bewegte. In den beiden stücken zeigt
sich nicht nur eine verschiedene auffassung von der liebe, sondern sie sind, trotz
der ähnlichkeit der Situation, eigentlich unvergleichbar, inoommcnsurabel, ebenso in-
VBER IIEINR. V, FKKIUKKU KU. BKK.NDT 233
commensurabel wie die beidon autnrcn.' Zweitens: Kur wen als klage rede an
Tristans leichiiam (v. 6620 — 6650 sich, iccrlt, dix, ist dm Inn, usw.), zu welcher
das 'absonderliche ende' der dichtuug, wie B. es nennt (v. 6847 if.) hinzuzuziehen ist
(nu dar, ir werldc minner, seilet alle in disen Spiegel her und schouwet, wie in
aller vrist hin slichcnde und genclich ist die wcrltliehe minne/J. Sehr richtig er-
kennt der verf. hierin das wahre gesicht H.s (s. 203). Aber ist das noch das 'wesen'
oder der 'geist' Gottfrieds? Kein wort au diesen stellen, wo es dieser 'geist' eigent-
lich forderte, von der tragik der geschichte Tristans, des traurigen, in welcher lieb und
leid untrennbar verbunden sind. Es ist überhaupt fraglich, ob wir mit dem verf. von
einem 'doppelgesicht' H.s reden dürlen, Tristan und IsOt sind zwar seine heldeu, er
spricht auch im tone G.s von der uot und allmacht der liebe, aber von dem innigen
anteil, den jener daran nimmt, von dem rastlosen nachdenken über das grosse thema
ist nichts zu spüren. Drittens: E.s eigener nachruf auf Tristan (v. 6414—6480).
Hier 'klingt' Heinrich wirklich im eigentlichen sinne an seines meisters wort 'an' (vgl.
s. 27). Die strophcuartigen absätze (meist 8 zeilen, einer zu 10) erinnern an G.s Vier-
zeiler, und der nach reiinbedarf variierte refrain bringt in G.s werten auch sein grund-
thenia: der leit in liebe des tödes not. Wenn man aber den Inhalt der einzelnen
absätze sich ansieht, so erscheint der refrain nur als eine formale, sehr geschickt
contrastierend ausgenützte erinnerung. Sonst werden hier nur die äusseren erleTDuisse
Tristans, vor allem seine heldentaten erzählt; von seiner liebe hört man nur,
dass er mit Isöt unwissend den minnetrank getrunken, und um ihrer minne willen
ritterliche taten getan (v. 6455 — 6463). Weder hier noch anderswo etwas von
dem Tristan, der Gottfried mehr wert ist als der eisenklirrende, immer siegreiche,
physische ritter, von jenem musterbild geselliger und künstlerischer ausbilduug!
Grade diese stelle zeigt, dass Heinrich an seinem beiden das am meisten bewunderte,
worauf es seinem Vorgänger am wenigsten ankam (man vgl. bei G. den kämpf mit dem
drachen).
Was G. als dichter geleistet hat, das können wir jetzt au der band der reeon-
struction des gedichtes von Thomas durch J. Bedier besser als früher beurteilen. Er
hat eine Originalität, die es vor ihm bei Veldeke im ansatz, in ähnlicher weise bei
Hartniann , nach ihm kaum wider gegeben hat. Nicht nur die ereignisse sind in der-
selben folge geblieben, sondern die roden der personen, auch die gcdanken des autors
sind widerholt, und doch ist etwas anderes, etwas eigenes daraus geworden, weil er
die ^vundorsame geschichte in sein für feinheiten geschultes gefühl aufgenommen, mit
seinem beweglichen denken durcharbeitet und mit seinem spielenden wort leicht und
nüihlos wider erzählt hat (vgl. die zutreffende Charakteristik von Bedier, Thomas,
K'uman de Tristan II, 76 — 81). Auch wie Heinrich gearbeitet hat, vermögen
wir durch den vergleich mit seinen quellen zuerkennen. Der verf. ist auf diese
frage nicht eingegangen, da es ihm nur darauf ankam zu beweisen, dass Ulrich und
Eilhard allein seine vorlagen waren. Wenn nun auch das wort 'dichterwerkstatt'
allmählich durch täglichen missbrauch abgenutzt i.st, so soll man doch vor keinem
Worte bange sein und braucht sich auch hier nicht zu genieren, den bekannten 'oin-
bück' zu tun. Dann wird man nicht mehr sagen, dass Ulrich und Eilhard dio
vorlagen Heinrichs gewesen sind, sondern: die vorläge und grundlage gab Ulrichs fort-
setzung zu Gottfried; in diese hinein hat Heinrich ein grösseres stück gefügt, in
dem alles, was von haus aus zur geschichte Tristans gehört, aus Eilhard entnommen
1) Zu vergleichen ist auch das citat aus Pseudo- Neidhart, v. 3779 — .3782.
Wolfram riskiert so etwas auch einmal an bckauutor stelle, abur Gottfried!
234 ROSENHAGKX
ist. Aber diese ereignisse sind im einzelnen umgestaltet, ausserdem ist ihre reihen-
folge umgekehrt und sie werden in einen späteren Zeitraum von Tristans geschichte
verlegt; denn bei Eilhard liegen sie vor der zeit, welche Heinrichs fortsetzuug umfasst.
Der anfang dieses Stückes, in welchem Tristan mit Artus und den tafelrundern zu-
sammengeführt wird, ist frei aus bekannten motiven der Artusromane componiert
(vgl. Berndt, s. 74 — 76). Dieses stück v. 1129 — 3675, mehr als ein drittel des
ganzen, ist also in composition und darstellung, in einigen einzelheiten auch als
erfmdung eine selbständige leistung des dichters, und das urteil darüber, was er
konnte, wollte und mochte, muss darauf in erster linie sich stützen. Es lautet zu-
nächst negativ: H. ist nicht von Ulrich zu Eilhard hinübergegangen, weil er bei
ihm eine richtigere Überlieferung zu finden glaubte, auch nicht um einen befriedigen-
deren Zusammenhang zu gewinnen. Das stück kann so, wie es dasteht, herausgenom-
men werden, ohne dass der Zusammenhang gestört wird. Tri.stan geht auf die jagd,
damit geht es an, und am ende heisst es: ei, icax tuot nu her Tristan? da leerte
er aber dräte — gein Arundele. Die geschichte mit der Is. Weisshand wird dadurch
so auseinander gerissen, dass die nichtvollziehung der ehe nochmals erzählt werden
muss. Heinrich ist allerdings nicht immer so unachtsam. Er erfindet z. b. des prag-
matischen Zusammenhanges wegen die Verwandtschaft zwischen Tristan und Gawan
(woran Singer, Zeitschr. 29, 79 einen gewissen zweifei zu äusern scheint). Sie nennen
sich nicht bloss f rinnt, sondern neve (v. 2310, 2320, 2333). Sogar Marke wird als
öhem des Artus bezeichnet (2442). Andrerseits scheut H. auch eine unwahrschein-
lichkeit nicht, um etwas, was er vorhat, anzubringen (vgl. Singer a.a.O. s. 81fg.).
Positiv erscheint als das hauptmotiv für die ganze einfügung die absieht,
T.ristan mit Artus und der tafeirunde zusammenzubringen, wie schon von Fr. "Wie-
gandt (in der dissertation: H. v. Treib, in s. Verhältnis zu Eilhard und Ulrich, Ro-
stock 1879, s. 21) richtig beobachtet ist. Übersehen ist aber bisher, dass sich darin,
und besonders in der art und weise, wie nun dies ganze stück inhaltlich zusammen-
gesetzt ist, die schon erwälinte, von Gottfried abweichende auffassung des beiden
zeigt: Tristan soll ebenso einer sein, wie Iwein, Parzival, Wigalois und all die
andern. Damit ist aber noch nicht alles erklärt. Das erneute 'flagrant delit' (das
deutsche hat noch keine kurze formel für diese sache), die Verurteilung, die rettung,
das widerholte waldleben bringen, ausser der befreiung Isoldens, wie H. sie hier er-
findet, keine abenteuer in dem bekannten stil, auch trägt H. sie nicht etwa nach,
weil sie bei G. fehlen, sondern er nimmt sie, weil sie ihm zu erzählen geben. Und
das ist das wesentliche. H. ist erzähler und kein schlechter. Er hat eine aus-
gesprochen epische phantasie. Aus angeborner neigung versenkt er sich in die
begebenheiten , die er zu erzählen hat, und malt und bildet sie vor seinem inneren
äuge aus. Die formen und färben dazu nimmt er aus der weit, die er aus eigner
anschauung kennt; man vgl. die Vorbereitung der Isolde Weisshand auf die braut-
nacht. Er hat das bestreben, seine Vorgänge als wirklich erscheinen zu lassen, ja sie,
soweit es geht, in einem 'wälschen' lande zu localisieren, man vgl. den potestat,
auch die welsche mile 2100. In dieser weise ist er also realist. So überrascht er
uns mit vielen trefflich gesehenen einzelheiten. Eine ganze reihe von beispielen hat
B. gesammelt (s. 26 — 29), aber nicht bemerkt, welcher gegensatz sich damit zwischen
H. und G. auf tut. Hier die ereignisfrohe erzählung, welche geschehendes veran-
schaulicht, dort jene nachdenkliche, innige, lyrisch -musikalische paraphrase über ein
schon vorhandenes epos. Das geistige leben der personen kommt bei H. nicht gerade
zu kurz, doch nur so weit, wie er es begreift: aber es wird nur erzählt. Was sie
ÜBER HEINR. V. FRKIRKRG KD. BERNDT 235
im herzen haben, spiechen die fieisonen aus, oder der dichter berichtet es, aber nur
weil es mit zu dem gehört, was geschieht.
Die langen, aus der erzählung sicli ablösenden beti'achtungen G.'s sind ein stück
innerer form bei ihm. Sie gehören innig zu der art, wie er die ganze sache in sich
aufgenommen hat. Es ist daher unzutrel^'end, wenn B. sagt (s. 34): „"Wie sein grosser
Vorgänger Gottfried hat auch H. seinem werke gedankcn allgemeinen gehalts einge-
streut und so das erzählte in eine höhere Sphäre gehoben." Über die auffassung, dass
durch eingestreute Sentenzen eine erzählung in eine höhere Sphäre erhoben werde,
soll hier nicht gerechtet werden. Sie ist seit beinahe anderthalb Jahrhunderten erle-
digt. Nur so viel hier: gibt man sie für Gottfried zu. dann schlägt man ihn als
dichter tot. Heinrichs Sentenzen sind dagegen ganz anderer art. "Wie B. gleich darauf
richtig beobachtet, geben sie sich meist als spricliwort, und, wie er hätte hinzufügen
können , sie sind in der form viel kürzer als G.'s reflexionen. Sie sind nämlich nicht
aus dem ganzen gedieht erwachsen, sondern ein element volkstümlicher erzählungs-
weise , das sich an gewissen haltepunkten und Übergängen , wie zum atemholen und
umschauu, einfindet. Es ist nichts beabsichtigtes, hineingetanes, kein Streuzucker,
sondern etwas natürliches und überall zu finden.' Diese reflexionen sind also bei H.
schon als eine eigenschaft seines stils anzusehen.
Ehe ich auf diesen eingehe, möchte ich das gegensätzliche verhalten der beiden
dichter zu den dingen an einem beispiel noch erläutern. Der verf. schliesst aus den
'kargen versen', die H. der widerholten seefahrt widmet, dass das meer nicht zu
seinem vorstellungskreise gehörte (s. 28). Die meisten stellen sagen allerdings nichts
besonderes. Nur an einer stelle gibt er eine einzellieit, die auf persönliche anschau-
ung zu deuten scheint. Tristan und Kaedin kommen an die see, sie sehen einen
marner gen in raste schiffen her, sin rnoder strichen gar gerade (v. 4058. 40.59).
Sie erwarten ihn, er bemerkt sie und vuor die richte gen in hni (4063). Sie werden
einig, dass er sie nach Litan fahren soll, und sie gehen mit ihren pferden und son-
stigem gepäck aufs schiff, die richte alsani an einer snnor der schifman gein Litan
nior (4093. 94). Dreimal wird dasselbe hervorgehoben, zweimal mit demselben aus-
druck, der noch durch einen für diesen fall neu gebildeten vergleich verstärkt wird.
Ich kann mir nicht denken, dass ein binnenländer, der die damalige kahnfahrt etwa
auf der Moldau und Elbe, meinetwegen auch auf der Donau vor äugen hatte, diesen
treiTenden ausdruck für ein schiff fand, das vom Steuer auf einer langen strecke (be-
sonders im zweiten falle, aber auch zuerst ist es noch weit vom ufer) auf einen be-
stimmten curs gehalten wird. Umgekehrt kann man sich vorstellen, dass einem
solchen grade dies an der Schiffahrt auf freier see besonders auffiel. Ausserdem würde
grade H., wenn er die sache nicht gekannt hätte, einen vergleich vermieden, oder
i'inen litterarisch überlieferten widerholt haben. Eine solche erinnerung wüide dann
auch zu dem vermuteten aufenthalt in 'Lamparten' passen.
Damit vergleiche man die geschichto von der 'rotte und der harfe' bei Gott-
fried. Darin spielt der Wechsel von ebbe und Hut eine entscheidende rolle. Gandin,
der freche räuber, muss mit Isolde am strande warten, bis die flut wider aufläuft,
weil sein schiff bei niedrigwas.ser trocken liegt. Inzwischen kommt aber Tristan, als
spielmann veikleidct, und singt zur harfe verschiedene .stücke. Darüber wird aber
der richtige augenblick zum ein.steigen versäumt; das wasser ist schon so hoch ge-
1) Auch als be.sonders deutsch darf man diese Verwendung des sprichwörtlichen
ausdrucks ansehen, wenn auch z. b. der hornux niuox diezen usw. im Iwein aus
Chrestien übernommen ist.
23l) ROSKNlIAdEN
stiegen, dass die brücke, die vom schiff herübergelegt ist, soweit unter wasser steht,
dass man nur zu |)ferdc hinüber kann. Gottfrieds erzäliiung ist soweit klar, dass das
tatsächliche darin kaum missveistanden werden kann. Die frage ist nur, ob er selbst
eine anschauung davon gehabt hat und nicht nur einfach übersetzt hat. So hat er
es jedesfalls mit dem werte pont gemacht, das im afr., wie im neufr. und auch das
lat. pons, in Verbindung mit schiffen zwei bedentungen hatte: 'deck' und 'landungs-
brücke', die vom schiff zum uf er hinüber gelegt wird. G. übersetzte dies — in seiner
vorläge' vorauszusetzende — wort mit brücke oder schifbrncke. V. 8701 bedeutet es
'deck', -Tristan schickt seine leute hinunter, damit sie nicht gesehen werden, er selbst
und einige knehte und marncere bleiben ilf der brticke : sur le pont^\ man kann hier
G.s Wortlaut nur verstehen, wenn mau den seiner vorläge reconstraiert; weiter heisst
es dann vor der schiftür. Welchem frz. werte das entspricht, ist mir nicht klar,
noch zweifelhafter, was G. sich dabei gedacht hat. Ebenso bin ich nicht ganz sicher,
ob er an unserer stelle (v. 13372, 75, 86) das wort seht f brücken und brücken wirk-
lich in dem zweiten sinne, den die sache hier verlangt, gebraucht hat. Immerhin ist
es möglich, wenn wir xer schifbrucken komen in und füercn in so auffassen, wie
wir sagen 'zur tür hinein kommen'. Bedier (Tristan I, 173) drückt es, als überein-
stimmenden bericht Gottfrieds und der saga durch passer sur le pont aus. Unver-
ständlich ist es, wie Golther in den noten zu 8701 und 13372 brücke oder schifbr.
als „ ein zum beobachten bestimmtes gerüst auf dem vorderen halbdeck " hat erklären
können, was sprachlich und sachlich gleich unmöglich ist. Ebenso vermisse ich in
dessen noten einen deutlichen hinweis darauf, dass es sich hier um ebbe und üut
handelt. Gottfrieds ausdrucksweise ist so undeutlich, dass ein binnendeutscher leser
nicht gleich dahinter kommt. Zunächst 13275—78: (sie wollen im zelte sitzen)
7inx dax,. mer ickler heme und der kiel gemenie den flux und, die fliege, wan er lue
an dem griexe. 18275 und 13278 sind deutlich, und der dichter hat wol eine klare
Vorstellung dabei gehabt. Der ausdruck ist zugleich so einfach und bestimmt, dass
er wörtlich übersetzt sein kann. ^La mer revient' sagt mau noch heute in Frank-
reich. Die beiden mittleren verse sind aber recht unbestimmt ausgedrückt, der kiel
nimt den flux uud die fliexe soll wol heisseu 'das schiff wird flott'. Heisst es das
aber? Ich v^rüsste nicht, dass diese wendung im deutschen sonst in diesem sinne
gebraucht wird: sie kann den sinn gar nicht haben. G. scheint also einen frz. aus-
druck, der ihm keine klare Vorstellung gab, einfach übersetzt zu haben, uud gerade
darum fügte er noch das synonjaii hinzu, zum fhox die fliexe, was aber zur folge
hat, dass der ausdruck noch unfester, flüssiger wird. In derselben weise heisst es
nachher und hete sinen flux genotnen v. 13331. Am deutlichsten ist die Unklarheit
bei der dritten widerholung, wo der zu erschliessende sinn ein andrer ist: nu tvas
diu fliexe tinde der flöx vor der schifbrucken also gröx, dass nur ein sehr hohes
ross über die brücke ins schiff konnte. "Wider hier das der bestimmten sachbezeich-
nung ausweichende sj-nonymeupaar, nur diesmal flöx statt flux: es kommt nicht so
drauf an, w^enn's nur fliesst. Gemeint ist hier, oder w'ar vielmehr von Thomas, dass
die flut so mächtig angewachsen ist. flux oder flöx oder fliexe würde hier also einen
andern sinn haben, als vorher, wenn es einen bestimmten sinn hätte. Gewiss würde
sich aber einer, der die sache kennt, nicht so ausgedrückt haben, er würde unbedingt
das verb fliessen oder ein dazu gehöriges subst. vermeiden. Umgekehrt ist es dem
1) Dieselbe, im uhd. jedesfalls falsche, Übersetzung fand ich in der zeitung in
einer depesche über den Untergang des dampfers Sirio. „Der dampfer S. ist — in
den fluten verschwunden, während sich auf der brücke noch viele reisende befanden."
VnV.Ti HKINRICH V. FRRIBERG KD. BERNDT 237
anwobner des Rhcinstronies natürlich, das wachsen des wassers mit der sichtbaren
Strömung des flusses zusammen zu denken. Bei Thomas müssen wir hier wol ein
dem heutigen 'flot' entsprechendes wort annehmend
Vielleicht steht es ähnlich mit der einen bedeutung von la mer an der bekannten
stelle (G. 11990 — 12014, vgl. H656fg.), falls damit die Seekrankheit wirklich gemeint
ist, was sich weder aus G.s text noch aus der nachahmung in Chrestiens Cliges er-
weisen lässt. (Vgl. G. Paris, Journal des savants 1902, 304 fg., Chrest. Cliges 545 — 503.)
Dass G. durch blosses übersetzen es erreicht, dass man ihn versteht, ohne
dass er sich selbst genau versteht, wird niemand wundern, der viel mit Schulausgaben
frz. oder engl. Schriftsteller zu tun hat. "Wie oft gibt der herausgeber, anstatt die
Sache zu erklären , die Übersetzung aus dem grossen Sachs. Meist genügt das in der
praxis, aber wenn das wort mehrere bedeutungen hat und der commentator sich in
der nummer vergreift, was vorkommt, dann ist es schlimm. So ungewandt ist G.
freilich nicht: er ver.schleiert, was ihm nicht recht klar ist, mit seinen schönen,
schwebenden worten.
Heinrichs arbeit ist also von der seines grossen Vorgängers im wesen ver-
schieden. Aber er hat dessen werk fortgesetzt, und wenn er damit auch einen er-
haltenen auftrag erledigt, so bewundert er es doch und kennt es gut. Damit ist der
Standpunkt gegeben, von dem man versuchen rauss, H.s stil geschichtlich zu ver-
stehn und nach seinem verdienst zu beurteilen. Man darf nicht doctrinär die anti-
these aufstellen: ein dichter von H.s art muss sich entweder ganz anders ausdrücken
als Gottfr., oder sein stil ist eine ganz äusserliche nachahmung, die zu seiner eigenen
denkweise nicht passt. Man muss das gescliichtliche Verhältnis berücksichtigen, in
dem er zu Gottfried und dessen hervorragenden Zeitgenossen steht. In dem stile,
den diese geschaffen haben, musste er schreiben, musste er denken, wenn er über-
haupt ein solches buch machte. Es handelt sich daher um die frage, wie er die
tradition der höfischen epik im allgemeinen und Gottfrieds im besonderen verwertet.
Das material dazu liefert unser buch durch eine reiche Sammlung von eigenheiten des
Stils und beziehungen zu früheren dichtem. Nur als frage möchte ich hinstellen , ob
die Untersuchung sich nicht etwas weiter hätte ausdehnen lassen, vor allem auf
Hartmann. Allerdings wäre auch dann die gefahr, dass etwas als Verwandtschaft mit
einem einzelnen dichter aufgefasst wird, was allgemein gilt, und umgekehrt, nicht
vermieden worden.
Uns fehlt eine genaue gesamtdarstellung des epischen stils der massgebenden mhd.
hauptwerke nach ihren traditionellen und eigenen momenten. Der stoff liegt verstreut
in zahllosen einzeldarstellungen, Sammlungen, anmerkungen; jeder, der sich orientieren
will, muss von vorne anfangen, oder auf grund allgemeiner eindrücke unsicher urteilen.
In diesem sinne unsicher und vorläufig ist das, was hier bemerkt werden kann. Es
war bereits bekannt, dass neben Gottfr. besonders Wolfram auf H.s stil eingewirkt
hat. Bei Berndt finden wir nicht nur dafür ausführlichere bel^e, sondern es werden
1; Sogar U bland i.st es ähnlich gegangen im Blinden könig: Hoeh auf des
meeres hord, vgl. au bord de la mer. Es ist keine Übersetzung, aber eine unbo-
wusste nachbiidung des frz. ausdrucks. Im deutschen hat bord nie und nirgends den
sinn afcr oder rund, aber es klingt so nordisch -seemässig. Uiiland liat den ausdruck
erst 1814 nach soiuem aufenthalt in Paris bei der Umarbeitung des gedichtes hini'in-
gebracht. Ursprünglich hatte er ttfcrhöh oder I,li/)/jcnliä/t' im reim auf srr. — Merk-
würdigerweise spricht aber G. Keller in der eingangserzählung zu den Züricher luivclli'n
vom bord eines baches. Wäre das ein südwestlicher Gallizismus?
23S ROSENHAGKN
ähnlichkeiten des aiisdruckes mit andei'ii dichteru, besonders seinem Landsmann Ulrich
von Eschenbach, und auch starke stilistische einflüsse des volksepos aufgezeigt. Mau
hat darum schon früher von einem 'eklektischen' stil H.s gesprochen. Bechstein
wollte das einschränken in dem sinne, dass dieser stil 'in der gesamtersch einung' der
Gottfrieds sei und die entlehnungen aus Wolfr. 'einzelheiten', die 'das ganze würzen
sollen' (s. Xlllfg.). Gewürz oder nicht, jedesfalls kann man diese behauptung mit
ebenso viel recht ixnd unrecht umkehren. Am besten geht man von dem grossen
mittleren stück des Tristan aus, welches Heinrich selbständig compouiert hat. Aus
diesem heben sich etwa ein gutes dutzend von stellen heraus, meist von einem
grösseren umfange, welche man ohne weiteres als gottfriedisch in gedanken, ausdruck
und rhythmus erkennt. Die stellen sprechen für sich selbst, und ich zweifle nicht,
dass auf ihnen das herkömmliche urteil über H.s stil beruht. Aber alles übrige ist
weder gottfriedisch noch wolframisch noch sonst was, sondern einfach epischer reim-
paarstil, der sich ohne kritische Wertunterscheidung unbefangen an der gesamten
traditiou ausgebildet hat. Zu diesei gehören auch die volksepen (vgl. bes. s. 63). Wir
müssen wol besonders das Nibelungenlied nennen, und uns dabei erinnern, dass für
H. dies gar nicht eine besondere art von dichtung war, sondern auch zur epischen
ritterlichen littei'atur gehörte. Tatsachen der hs.- Überlieferung zeigen, dass für die
spätere zeit diese gedichte mit den 'höfischen' gleich angesehen wurden. Aus den
nachweisen von Berndt geht hervor, wie unbefangen H. alles aufnahm, was die tra-
dition ihm bot. Gegenüber dieser einheitlichen tradition , aus der er ohne zu wählen
schöpfte, stehen nicht nur die gottfriedischen stellen, sondern auch andere. Berndt
beobachtet, dass stilistische anklänge an "Wolfram und Wirnt sich besonders da
zeigen, wo sie sachlich als vorbild dienen. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so, ist
es mit . den erwähnten stellen nach Gottfrieds art. Die beziehuug zum vorbild ist
hier inniger und zugleich freier. Inhaltlich handelt es sich, besonders in den längereu
Perioden, um darstellung des geistigen wesens oder zustandes der personen. Es ist
natürlich, dass er dabei an Gottfr. dachte. Aber der ausdruck trägt diu-chaus nicht
den Charakter des blossen nachsprechens, sondern die art, wie der gedanke angefasst
und entwickelt ist, und dementsprechend die bildung der einheitlichen perioden ist dem
meister abgelernt. Mehr das 'wie' als das 'was'. Ein kurzes beispiel: der man
gexam dem rocke bax — v/'l mere danne der roo dem man (G. 6574 fg., vgl. nu
was dax ros gemannet bax ivenne gerosset u-as der man H. Tr. 1648 fg.). Das gilt
für seine beziehungen zu andern dichtem. Das zeugt von besonders genauer kenntnis
und guter beherrschung des worts. Dazu noch eine beobachtung. Jene gottfriedischen
stellen unterscheiden sich von ihrem vorbilde doch etwas im ton : sie sind mehr logisch
als lyrisch -musikalisch; und im umfange: sie sind kürzer. Dies masshalten spricht
sehr für H.s sprachlich gebildeten geschmack. Um so mehr lob verdient er darin,
weil allerdings an diesen stellen, wo der dichter mit dessen fertigem werk er zu tun
hatte, ein vorbild ihm aufdrängte, das nicht ganz mit seiner persönlichen anläge
harmonierte. Die lag mehr nach AVolfram hinüber'.
Gottfrieds dichtung hat einen grenzwert; darüber hinaus gibt es nur ver-
gröberung und verwässerung. Man sehe Ulrich von Türheims schwächliche leistung,
die sich allerdings ganz seinem geiste und stil nachquält. H.s verdienst ist es, seinem
machtvollen vorbilde gegenüber die eigene art behauptet zu haben. Wir dürfen
1) Um H. gegen Wolfram zu unterscheiden, vgl. man die stelle von der
eclypsie Trist. 225 — 265 mit denen, in welchen AYolfram vom einfluss des Saturuus
auf die krankheit des Amfortas spricht (Parz. 489, 24; 490,3; 492, 23; 789, 4).
ÜBER HRTXU. V. FREIBKRO ED. RERNDT 239
sogar au ihm riilitneu, dass er mit seiner viel geringeren kraft der reflectierenden
weise Hartmamis und Gottfrieds, dem immerfort in die gescliichte hineinredenden
lumior AVolframs gegenüber, objectiv eine reinere form der epik darstellt. Seiner
Selbständigkeit verdanken wir auch den reichtum und die eigenart seines Wortschatzes,
welcher neben den realistischen einzelheiten sein werk uns wertvoll macht. Für den
Tristanstoff ist er freilich von geringer bedeutung; weder als quelle für die alte franz.
dichtung, noch als gestaltung des Stoffes kommt seine fortsetzung in betracht. Das
ewige darin hat ihn nicht ergriffen.
Seine anläge und sein können zeigt sich auch in der Kitterfahrt. Das sach-
liche Interesse ist ein rein sportliches am rittertum. Im übrigen ist es, trotz aller
von Berndt hervorgehobenen formalen einzelheiten, ein stück arbeit von der grenze,
wo der poet verschämt dem lohnschreiber die feder in die band drückt.^ Aber wider
eine gute erzählung ist das Schretel. Was hätte Heinrich geben können, wenn er,
wie hier ins märcheu, so auch den griff ins leben gewagt hätte.
Es ist hier versucht worden, eine antwort auf fragen zu finden, welche manche
leser, die ich der vorliegenden ausgäbe auch wünsche, stellen mögen. Der ver-
such wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht der verf. die zuverlässigen grundlagen
dazu geschaffen hätte. Es ist zu wünschen, dass wir durch seine gründliche kenntnis
und seinen unermüdlichen, methodischen fleiss noch mehr aufschlüsse über die
deutschböhmische litteratur des ma. erhalten. Alles, was wir darüber erfahren können,
ist wertvoll.
Einige kleinigkeiteu zum schluss. In der Ritterf. lese ich auf dem palimps.
(bl. 90") V. 5 am ende paris, v. 7 se^, v. 8 vri. Ferner steht v. 256 in der hs. schon
künde durch rasur aus künden., v. 290 fehlt /cart, v. 277 druckte v. d. Hagen wallten
(anst. n-alhen). So steht es in der Berliner abschrift des Pal. germ. .341 (Ms. germ.
fol. 455, I), das richtige ist am rande mit bleistift bemerkt; v. d. Hagen hat also diese
abschrift benutzt, v. 147 der Agende lewe' ist mir sehr zweifelhaft. Die hs. hat mit
ihrem ijinde gineiule 'mit aufgesperrtem rächen' gemeint. Dann hätte sie die form
ginde ihrer vorläge missverstanden, welche die nordböhmische dialektform gtn für
gen gebraucht haben würde; aber 1. ist Heinrichs dialekt 'nordböhmisch'? 2. ist
gm nordböhm. schon für 1300 belegt oder zu erschliessen? In den lesarten aus F
kann ich kein gm finden. Trist. 833 — 834 beweist die reimfolge sm : schin : fiten : gen
leider nichts, weil H. vier gleiche reime nicht vollkommen vermeidet; vgl. 5217 — 20,
aber auch die folge Tristan: gän : sten : gm (5443 — 46). Aber es kommt gar nicht
darauf an, ob H. in diesen formen i gesprochen, sondern ob dies in einer hs. eines
liöfischen gedichtes um 1300 schon als i geschrieben wurde, sonst konnte der Pal. germ.
es nicht miss verstehen. Ich bezweifle das, der verf. war aber den beweis schuldig. Die
Sache bleibt nicht anders, wenn dies ginde die form einer zwischen H. und dem
Palatinus stehenden h.s. sein soll. Aber was soll ein 'gehender löwe' heissen? Wer,
wie es den meisten lesern gehen wird, die abbildung des Michelsbergor wappeus, auf
welche sich B. beruft, nicht zu .sehen bekommt, denkt sich einen löwcn darunter,
der auf vier beinen, anstatt wie sonst bei diesen tieren in statii heraldico üblich ist,
auf zweien aufi'echt steht. Wird man das aber einen 'gehenden' löwen nennenV
Nach heutigem Sprachgebrauch höchstens einen schreitenden, vorausgesetzt, dass
einem an solchem bilde die Stellung der bewegungsorgane besondeis auffällt, die nach
1) Die rüstung des ritters zum kämpfe ist eine sachliche und formale nach-
ahmung Gottfrieds; das heisst aber nicht den 'Stempel Gottfriedschen gei.stes' tragen
(vgl. s. 73 f.). Geist ist überhaupt nicht viel darin.
'-'40 TIT. A. MKYErj
mittelalterliclier art kaum anders als voneinander gespreizt dargestellt werden können.
Das verb gän heisst auch im mhd. immer 'sich von einem punkte zum andern be-
wegen'. Man könnte an den gcnden man im Iwein (v. 5377) denken, den truchsess,
der beim kämpf von dem löwen angegriffen wird. Von dem ist aber gerade gesagt,
wohin er geht (Iw. 5374). Der ginende l. dürfte als natürlicher und charakteristischer
beizubehalten sein , auch wenn er auf der abbildung das maul geschlossen hat.
HAMBURG. G. ROSENHAGEN.
Wilhelm Dilthey, Das erlebnis und die d ich tun g. Lessing, Goethe, Novalis,
Hölderhn. Vier aufsätze. Leipzig, B. G. Teubuer 1906. IV, 405 s. 4,80 m
geb. 5,60 m.
Auf das drängen \ind unter mitwirkung einiger junger freunde liat Dilthey
drei alte, längst in ihrer bedeutung gewürdigte arbeiten über Lessing, Goethe und
Novalis zusammen mit einer neuen über Hölderlin veröffentlicht unter dem titel: Das
erlebnis und die dichtung. So ist eine gäbe entstanden, so vollwertig und schön,
wie sie nur selten den freunden ästhetischer und litterarischer forschung geboten
wird. An beide wendet sich das buch. Es stellt die ästhetischen principien litterar-
historischer Untersuchung fest und betätigt sie in einer tief eindringenden analyse
hervorragender dichtergestalten. Den kern des buches bildet die abhandlung über
Goethe und die dichterische phantasie, in der der verschlungene process aufgedeckt
wird, in welchem sich die phantasie des dichters mit den einwirkungen der umweit
auseinandersetzt. Mit sicherem bhck findet Dilthey das wesen aller kunst heraus:
sie ist darstellung von leben. Jedes echte werk der dichtung hebt aus dem ausschnitt
der wirkHchkeit, den es darstellt, einen zug des lebens heraus, der so vorher nicht
dagewesen ist. Der ausgangspunkt des poetischen Schaffens ist daher immer das
erlebnis, das erfahrungsmässige innewerden eines neuen am leben und des weiteren
die besinuung über dieses erlebnis, in der es gedeutet und gewürdigt wird mit hilfe
der die zeit beherrschenden ideen. Je nach der beschaffenheit der phantasiever-
anlagung des dichtei-s ist aber dieses erleben bald mehr nach aussen bald mehr nach
innen gerichtet. Die eine gruppe von dichtem lebt in den personen und tatsachen
der äusseren weit; fremdes leben in sich zu setzen, es innerlich zu verstehen, zu
geniessen und zu gestalten ist ihr ziel. Die andere gruppe bleibt in sich selbst, und
was die weit sie lehrt, möchte sie schliesslich benutzen, sich selbst zu erhöhen und
zu vertiefen und nur, um ihrer vertieften Innerlichkeit ausdi'uck zu geben, greifen die
dichter dieser gruppe zu den tatsachen, die ihnen die äussere weit bietet. Als die
beiden grossen repräsentanten dieser beiden entgegengesetzten typen erscheinen
Shakespeare und Goethe, die in einer bewundernswert feinen Charakteristik einander
gegenübergestellt werden in der Verschiedenheit ihres erlebens und gestaltens. Der
dichter der vertieften innerlichkeit hat nun aber ein viel engeres Verhältnis zur
ideenbewegung der zeit, als der dichter der äusseren weit. Die zeitideen sind ihm
ein mittel, das eigene erlebnis zur zusammenhängenden weltanschaming zu erheben.
Sie werden von ihm nicht angeeignet oder umgebildet in der weise eines rein logischen
gedankenprozesses. Vielmehr ist das denken bei ihm ganz durchs erleben bestimmt.
'Der Idealismus der freiheit, wie ihn Schiller von Kant aufnahm, klärte ihm doch
nur das grosse innere erlebnis auf, in welchem seine hohe natur im conflict mit der
weit ihrer würde und Souveränität gewiss wurde.' Nur sofern des dichters Welt-
anschauung im erlebnis wurzelt, hat sie poetischen Charakter und ist befähigt
ÜBER DILTHEY, ERLEBNIS UND DICIITirN'G 241
iugredieaz in seinem Weltbild zu sein. "Wie in diesen Sätzen Diltheys die grenze
unverrückbar bestimmt ist, wie weit philosophische bestaudteile in der poesie poetisch
zu wirken vermögen , so ist in ihnen überhaupt die feste norm für jedi' höhere
litterarisclie forschung gegeben. Diltheys auffassung von den aufgaben litterarischt-r
forschung steht in einem von ihm selbst nicht ausgesprochenen gegensatz zu zwei
einüussreichen richtungen der litteraturgeschichtschreibung; die eine, diejenige von
Scherer und seiner schule, schiebt die erklärung der dichterischen persönlichkeit und
ihrer producte aus der ideenatmosphäre der zeit beiseite; sie geht fast ganz darin
auf, die einzelnen dichtungen aus bestimmten geschehnissen im leben des dichtei\s
abzuleiten und seine abhängigkeit in motiven und sprachlichen Wendungen von den
Vorgängern festzustellen. Sie bleibt dafür auch an der oberüäche und ist für die
deutsche litteratur besonders ungenügend, die, wie Dilthey so überzeugend ausführt,
aus dem schöpferischen drang entstanden ist, ein neues lebensideal zu gestalten, und
mithin unverstanden bleibt, wenn die ideenbewegung nicht mitentwickelt wird, die dieses
schaffen begleitet hat. Die andere wendet wol dieser ideenbewegung ihre aufmerksamkeit
zu ; aber sie ist direct oder indirect von dem Hegeischen gedanken der selbsthewegaing der
idee beeinflusst. Sie lässt die ideen mit einer in ihnen selbst gelegenen dialectik sich
entwickeln, die starke bedingtheit der Weltanschauung des dichters durch das individuelle
erlebnis bleibt unberücksichtigt, und wo sie zu augenscheinlich ist, als dass sie über-
sehen werden könnte, wird sie als zuchtlosigkeit subjectiver Willkür gebrandmarkt:
so etwa hat Haym die geschichte der romantischen schule geschrieben. Man sagt
nicht zu viel, wenn man versichert, dass der neue weg, den Dilthey in den 60er
und 70er jähren mit seinem Novalis, Lessing und Goethe eingeschlagen hat, auf
empfängliche gemüter wie eine Offenbarung gewirkt hat, zumal er im einklang mit
der allgemeinen richtung der zeit war; ungefähr um dieselbe zeit haben in der
theologie A. Kitschi und A. Harnack begonnen, die religiöse gedankenbildung als
ausdruck des individuellen religiösen erlebnisses zu verstehen, statt sie mit Baur
fast überpersönlich aus der dialectik des religiösen gedankens abzuleiten.
Dilthey hat die probe auf den weii seiner methode in der analyse der vier
dichtergestalten gemacht, die der titel nennt. Da diese dichter in korzen zeitlichen
abständen aufeinander gefolgt sind, so bekommen wir in ihren einzelbildern , die mit
einer eindringenden psychologie und mit einer staunenswerten kenntnis aller ideengänge
der zeitgenössischen philosophie entworfen sind, zugleich einen grosszügigen überblick
über die treibenden kräfte der entwicklung unserer litteratur in der classischen und
romantischen periode.
Im ersten aufsatz wird uns Lessing als persönlichkeit vorgeführt, die in eine
engbrüstige gedrückte zeit ein männlicheres kraftvolleres Selbstgefühl mitbrachte, und
dann des weiteren gezeigt, wie dieses Selbstgefühl sich kritisch richtete gegen die
mattigkeit der damaligen poesie, wie es seine poetische entfaltung fand in den eigenen
dichtungen, von denen die Minna und Emilia (leider nicht auch der Nathan) in zwei
neueingefügten abschnitten eine äusserst feinsinnige Würdigung erfahren, wie es sich
die volle bewegungsfreiheit erstritt in den kämpfen gegen die einengende theologische
bildung der zeit und endlich sich ausgestaltete zu einer eigenartigen dui'ch Leibniz
und Spinoza bedingten Weltanschauung. Die abhandlung, die nach Dauzel-Guhrauei-s
biographie und Hoblers scharfsinnigen Lossingstudien zuerst ein gesamtbild Lessings
entrollte, ist von grundlegender bedeutung für dit- orkenntnis Lessings geworden und
hat auch durch E. Schmidts umfassende arbeit nicht an wert verloren. Violleicht
hätte Lessings bild noch schärfere ujurisse gewonnen, wenn neben dun fortschritteu,
ZEITSCHRIiT K. DKUTSCHl;; PHILOLOÜIE. BD. .XL. lÜ
242 TH. A. MEYER ÜBER ÜILTHEY , ERLEBNIS UND DICMtUNß
die er gebracht, auch die schwächen, die den späteren anlass zum hinausschreiten
über ihn geboten haben, deutlicher herausgestellt worden wären. Auch kommt
ra. e. bei Dilthey der erfolgreiche kämpf Leasings gegen die cultur Ludwigs XIV.
nicht zu seinem recht, gegen die er die Griechen und Shakespeare aufgerufen hat,
wodurch er ebenso wider seinen willen die stürm- und drangperiode mitveraulasst
hat, wie er dadurch einer der begründer der griechischen renaissance unserer classiker
geworden ist.
• Die abhandlung über Novalis erschien erstmals in einer zeit , da die romantiker
als unklare und verworrene köpfe erschienen. Dilthey hat das verdienst, mit dieser
auffassuug gebrochen zu haben. Er hat bei Novalis als einem der führenden geister
zuerst die folgerichtigkeit und bedeutung seiner dichterischen und philosophischen
conceptionen nachgewiesen. Wenn auch Haym in seiner geschichte der romantischen
schule wider zur alten anschauung zurückgegangen ist, so wird heutzutage, da wir
die romantische schule nicht mehr mit der trüben brille des doctrinären liberalismus
betrachten, niemand zweifelhaft sein, auf welcher seite die grössere Unbefangenheit
und der sicherere blick für die lebensarbeit von Novalis zu finden ist.
Die kröne von Diltheys aufsätzen ist der neu hinzugekommene über Hölderlin ;
er zeigt ihn auf der höhe seines litterarischen Verständnisses, wie seiner schrift-
stellerischen meisterschaft. Ein warmer ton herzlicher teilnähme begleitet den ent-
wicklungsgang des unglücklichen dichters von seineu anfangen bis zu seinem leidvoilen
versinken in der nacht des Wahnsinns. Allenthalben fäUt auf den Zusammenhang,
in dem bei ihm erleben, aufnähme der zeitideen und dichterische ausspräche der
persönlichkeit steht, neues licht und wahre muster eines feinfühligen nachempfindens
sind die Würdigungen des Hyperion, des Empedokles und der lyrischen gedichte.
Von den geistigen mächten der zeit, die auf Hölderlin bestimmend gewirkt, wird der
französischen revolution ein besonders starker einfluss zugemessen. Und in der tat
galt Hölderlins liebe dem heroismus der tat; aber eine stille beschauhche natur ist
er trotz alles schwärmens für weltumgestaltendes handeln bei jenem edlen enthusiasmus
stehen geblieben, der der göttlichkeit der eigenen natur froh zu werden sucht im
anschauen der strahlenden lebensfülle der natur und der erhabeuheit edler gesinuungeu ;
er ist bei allen Veränderungen, die er in den gegenständen der enthusiastischen be-
wunderung vorgenommen hat, doch nie über die schöne seele Klopstocks hinaus-
gekommen und diesen beherrschenden einfluss Klopstocks auf ihn, der ihn von allen
seinen Zeitgenossen so sehr unterscheidet und ihn wie den nachzügler einer älteren
generation erscheinen lässt, finde ich bei Dilthey nicht genügend gewürdigt. Glän-
zend sind die vorwärtsweisenden selten seines wesens herausgestellt, seine Sehn-
sucht in unendliche fernen und glückzustände und die erfahi'ung von der hoffnungs-
losigkeit seiner ideale, sowie seine versuche in der form weiterzugehen zu neuen
möglichkeiten , die ihn zum genossen der grossen pessimisten jener tage und
weiterhin zum vorläuf'^r Nietzsches und der modernen impressionistischen dichter
gemacht haben.
Mit aufrichtiger dankbarkeit scheiden wir von Diltheys werk, nur das eine be-
dauernd, dass er uns statt bruchstücken nicht ein ganzes beschert hat. Sein werk
erweckt die Sehnsucht, dass der kommen möge, der die geschichte unserer grossen litte-
rarischen entwicklung mit derselben kenntnis der geistigen Strömungen, mit derselben
feinfühligkeit psychologischen verstehens, mit derselben Sicherheit ästhetischen Ver-
ständnisses zu schreiben vermöchte. Der weg, den er zu gehen hat, ist ihm gezeigt.
STUTTÖART. THEODOR A. MEYER.
KLINGHABDT UBKR .lOHAXNSOX , PHOKETICS OF THE GERMAN LANGUAGE 243
Arwid .lolianiison, Phonetics of the New High Gerinau language. Manchester,
raliner, Howe & Co.; Leipzig, Otto HaiTasowitz 1906. X, 91 ss. 3,50 m.
Verf. des vorliegenden buches ist, wenn ich recht unterrichtet bin, trotz seines
schwedischen namens ein baltisclier Deutscher, hat längere zeit in Deutschland studiert,
besonders unter E. Sievers, war dann sechs jähre lang lector des deutschen in Upsala,
wo er bereits mehrfach Vorlesungen über phonetik hielt, und ist jetzt professor für
deutsche spräche und litteratur an der Victoria -Universität in Manchester.
Unter solchen umständen bedarf es kaum der erklärung, dass sein buch einen
echt wissenschaftlichen charakter trägt und enge Vertrautheit mit der massgebenden
fachlitteratur bekundet, wenn auch das fehlen von Passys namen im litteratur-
verzeichnis starkes kopfschütteln hervorrufen muss. Dazu ist es sehr übersichtlich
angelegt und reich, vielleicht bis zur Vollständigkeit, mit Wortlisten ausgestattet, wo
solche dui'ch schwankende buchstabenwerte notwendig werden. Sie werden lesern
mit praktischen bedürfuissen ganz besonders wertvoll sein.
Wenn ich hiermit aber verschiedene lesergruppen unterscheide, so berühre ich
zugleich einen tiefgreifenden mangel dieses buches. Verf. hat sich nämlich bei seiner
darstellung keinen einheitlichen leserkreis vor äugen gehalten und sich kein einheit-
liches ziel gesetzt. Einerseits denkt er an Studenten, die sich mit phonetik als
solcher — sei es als Selbstzweck , sei es als grundlage für Sprachstudien verschiedener
art — vertraut machen wollen. Dann ist es aber doch zweckwidrig, ihnen das Ver-
ständnis für laute und articulatiouen im allgemeinen an der band einer fremden spräche
erschhessen zu wollen, in der ihnen diese so gut wie jene noch sehr mangelhaft ge-
läufig sind. Auf der andern seite denkt er an solche Studenten, deren hauptabsicht
ist, sich selbst eine correcte ausspräche des deutschen anzueignen, damit sie künftigen
Schülern ein gutes Vorbild sein und deren ausspräche wirksam beeinflussen können.
In diesem falle ist es wider sehr unzweckmässig vom verf., die aufmerksamkeit der
jungen leute zu zerstreuen und ihre lernlust unfehlbar zu ermüden, indem er sie in
gleichniässiger einförmigkeit an der langen kette deutscher laute von einem zum
andern führt, gleichviel ob sie mit den entsprechenden englischen lauten völlig bezw.
nahezu identisch sind, oder ob sie stark abweichen. Der einzige erfolgversprechende
weg war doch, laute und articulatiouen, die dem englischen und dem deutschen ge-
meinschaftlich sind, eben nur ausreichend zu berühren, damit dem lernenden das
allgemeine phonetische system gegenwärtig bleibt oder wird, dagegen mit um so
grösserer bi-eite und gründlichkeit solche deutsche laute und articulationeu zu be*
handeln, die der Engländer erst zu erfernen hat, zumal solche, die er mit dem ohr
und den Sprechorganen erfahrungsgemäss schwer erfasst, also z. b. deutsche l und r
aucli deutsche lange, undiphthougierte vocale (dem Südenglünder sehr schwierig). Aus
dem vorliegenden buche aber erfährt man schlechterdings nicht, welches die be-
sonderen Schwierigkeiten sind, mit denen der Engländer bei der erlernung der deut-
schen 'ausspräche' (laute und articulationeu) zu ringen hat. Das ist bezeichnend für
den Charakter dieses lehrbuches.
Wenn nun professor J. übeihaupt geneigt ist, den bemerkungen eines Schul-
mannes, der sein leben lang diesen dingen interesse und Studien gewidmet hat, be-
aciitung zu schenken, dann gestatte ich mir, ihm behufs hebung des eben gekenn-
zeichneten mangels seines buches folgenden vorschlug zu machen. Nach erschöpfuug
der ersten aufläge zerlegt er sein buch in zwei teile: 1. 'Elemente der allgcmoineu
phonetik', dargestellt an den lauten und articulationen des gemoinenglischen und
einiger bekannter dialekte desselben (u. a. solcher, die sieh unter den höreru von
244 KLINGHAEDT
prof. J. vertreten zu finden pflegen). 2. -Die Schwierigkeiten der deutscheu aussi)rache',
dargestellt unter steter anlehnung an die 'Eiern, der allgem. phon.'.
Und nun noch ein zweiter methodischer punkt. Verf. sagt in seinem Vorwort
(s. ]Il): -„my objeet is only to give the basis for phonetieal instruetion; the inter-
pretation is left altogether to the teacher, as Phonetics is not a science whicli can
or should be learned in an aiitodidactical way."" Verf. kann hier mit dem aus-
drucke teacher nur seine coUegen an den verschiedenen englischen Universitäten
meinen. Wie denkt er sich aber deren instruetion, wenn sein buch als basis dazu
dienen soll? Werden dieselben den in letzterem enthaltenen Wissensstoff noch er-
weitern? Das kann m. e. nicht in betracht kommen. Dann bleibt nur übrig, dass
nach der absieht von prof. J. die instruetion des teacher's, in der praktischen ein-
übung des von seinem lehrbuche dargebotenen Wissensstoffes durch den Universitäts-
professor bestehen soll. Sehr richtig! denn wie in der schule alles wissen über die
fremdsprache keinen wert hat, wenn es nicht begleitet ist von tüchtiger fertigkeit im
gebrauch derselben, so nützt auch auf phonetischem gebiete das schönste theoretische
wissen über laute und articulationen schlechterdings nichts, falls es nicht getragen
wird von einer entsprechenden fertigkeit im hören, sprechen und analysieren der zu
den lauten gehörigen articulationen ^ Darf aber verf. den meisten seiner collegen au
den englischen Universitäten zutrauen oder zumuten , dass sie sich selbst systematische
übuugen au der band seines lehrbuches zusammenstellen sollen für ihre Studenten?
Ich möchte es bezweifeln. Vielmehr, wenn es ihm wirklich ernst damit ist, dass sein
lehrbuch nur als basis for phonetieal instruetion dienen soll, dann wird er gut tun,
die für letztere erforderlichen systematischen Übungen zu jedem der zwei oben von
mir vorgeschlagenen getrennten hilfsbücher selbst auszuarbeiten.
Ein ebenso auffallender wie schwerwiegender mangel aber des vorliegenden
haudbuchs ist der, dass verf. wol sorgsam alle articulationen aufzählt, deren zunge,
lippe und die andern Sprechorgane fähig sind, ebenso sämtliche laute, und zu jedem
laute angibt, welche eiustellung der verschiedenen Sprechorgane im augenblick seines
anschlags zu beobachten ist, dagegen es consequent unterlässt, dem lernenden be-
greiflich zu machen, warum gerade bei dieser eiustellung der Sprechorgane jener
laut entsteht und warum der kundige bei jenem laute auf ungefähr diese articulation
schliessen würde. Ein Student, dem keine anderen quellen der belehnmg zur Ver-
fügung stehn, wird vorliegendes handbuch aus den bänden legen mit einem kopf-
schütteln über die bizarre regellosigkeit der Verbindung zwischen lauten und articu-
lationen. § 15 lehrt verf., dass die lippen dreier verschiedenen einstelluugen fähig sind:
schlitzförmige, ovalgerundete, passive, gibt aber eben weiter nichts als das tatsächliche.
Hier war doch vom notwendigen einfluss dieser lippeneiustellungen auf die laute zu
sprechen: in jedem hohlraume wird durch eine enge runde Öffnung ein geräusch
musikalisch vertieft, ein ton verdunkelt, durch eine enge spaltförmigo jenes erhöht,
dieser heller gestaltet; eine weite Öffnung hat eine mittlere Wirkung. Diesen selben
dreifachen einfluss müssen natürlich auch die angegebenen drei lippeneiustellungen
auf geräusche und töne ausüben, die im dahinter liegenden muud - hohlraume aufireten
(geflüsterte und stimmhafte vocale). Davon sagt verf. aber seinem leser kein wort.
In den §§ 61 und 62 weist er darauf hin, dass die zunge nach hinten und hoch
gezogen sowie nach vorn und hoch geschoben werden kann. Wie war es aber nui'
1) Verf. teilt selbst in seiner vorrede (s. II) mit, dass an seiner Universität
bei der prüfung in den neueren sprachen oral examination verlangt wird nicht nur
iti the theory, sondern auch in the practice of pronunciation.
ÜBER JOHAXXSON, THONETICS OF THE GERMAX LAKGTTAGE 245
möglich , den Studenten hier nicht darauf aufmerksam zu machen , dass jene bewegung
vergrösserung, diese Verkleinerung des mund-resonanzraums zum zwecke hat und
dass vergrössemng desselben zur Vertiefung geflüsterter, Verdunkelung stimmhafter
vocalc führen muss. Verkleinerung aber zur erhöhuug bezw. erhellung? und dass die
Verschiedenheit der vocale vorwiegend auf der verschiedenen grosse des zugehörigen
mund-hohlraums beruht? — In § 21 und 22 erfährt der lernende, dass der laut x
(ae/i-laut) an die hinteren, der laut q (/cA-laut) an die vorderen vocale gebunden ist.
Nun, hier war doch wahrlich ebenfalls eine erklärung des warum' geboten! Ich
brauche nicht erst darauf hinzuweisen, dass die rückwärtige läge der articulation der
hinteren vocale auch die rückwärtige articulation von x bedingt, diese letztere aber
anregung der resonanz des über dem straif gespannten velum liegenden hohlraums
und deren einwirkimg auf die mundresonanz bewirkt, während die nachbarschaft vor-
derer vocale die vordere aiiiculation von q veranlasst und bei solcher die mitbetei-
ligung jenes oberen hohlraums an der mundresonanz ausgeschlossen ist. So fehlt es
fast überall an einer erklärung des zwingenden Zusammenhangs zwischen laut und
articulation.
Nach der mehr technischen seite der lautdarstellung hin kann ioh nicht vor-
stehn, warum verf. seine lautzeichen in solchem umfange mit diakritischen zeichen
geradezu überschwemmt hat: ein jedes vocalzeichen hat deren mindestens zwei, nicht
wenige drei, und eines sogar vier! Als beispiel wähle ich nur ein bequem zu drucken-
des wort wie /Äü-o-/3'-r-<?'r (s. .34), und kapitän würde er khcrphifhe'^n schreiben.
Verf. findet es nämlich nötig, jedes deutsche p t k mit nachfolgendem li zu versehen,
um den leser immer von neuem wider zu erinnern, dass unsere tenues aspiriert sind:
ausserdem setzt er aber unter jedes einzelne p t ks f und sogar unter jedes h einen
punkt, um aufmerksam zu machen, dass diese laute stimmlos sind. Es ist wol nicht
ein wort zu verlieren über das unnötige und erschwerende eines solchen Verfahrens.
Die Verwendung der Ziffern '^ und - als diakritische zeichen folgt keinem ein-
heitlichen princip. Es ist schon störend, dass verf. zwar alle consonanten und vocale
immer in der reihenfolge von hinten nach vorn bespricht, seine zeichen aber für den
Velaren und den palataleu reibelaut in der richtung von vorn nach hinten beziffert
(das zeichen für den «r7«-laut erhält also die ziffer '■). Ebenso zählt })^ und j)"^ von
aussen nach innen. Aber noch mehr Unordnung kommt in den gebrauch der beiden
Ziffern dadurch , dass dieselben bei den vocalen nicht die reihenfolge der articulations-
stellen angeben, sondern ' zeichen für enge, und - zeichen für weite ausspräche ist.
Die folge ist, dass der mit * bezeichnete vocal im diagramm bald vor bald hinter den
mit - bezeichneten zu stehen kommt.
Ähnliche Unordnung finden wir in der darstellung der gerollten ?• (s. 26 — 27).
Da heisst es zunächst sehr richtig: In forming the oral trills the hrcath causes in
trill sonie casily flexible part of the mouth, such as e. g. the tip of the longue or
the Uvula Aecordingly an occlusion takes place, and as on account of its
elasticity the trilling tip of the longue or the trilling uvula reboundfi into its
original position, the occhisiofi is opcned immediatehj afterwards. The pecjiUar,
rolling character of the trills is due to the fact that the breath is periodically
interruptcd, and occlusion and opening alternate icith each othcr several times.
Nichts kann richtiger sein als dies. Dazwischen aber lesen wir an der oben mit
punkten bezeichneten stelle: this trilling nrgan touchcs another pari, opposite to
it, in mueti. the sanie manncr as the moving drum stick produces a movoncnt of
the drum-skin. The longue touchcs the alreoli aml makcs thei» trill; the Kviila
24B SOKOLOWSKY
acts lipon the foramen caecum. Verf. nimmt also an, dass bei der bildung ge-
rollter r die alveolen und das das foramen caecum umgebende zungenfleisch ganz
lustig mitrollen! Ja, wenn nicht alles trügt, nimmt er sogar an, dass dieses rollen
der alveolen und des bezeichneten teils der zungenoberfläche für die gerollten r ganz
ähnlich tonquelle sind, wie unter dem druck des trommelstocks die Vibrationen der
trommelmembran für den trommelton I
Seltsamerweise habe ich, so sehr ich danach gesucht habe, nirgends eine er-
wähnung des deutschen ungerollten r gefunden. Gerade aber ungerolltes r, und
zwar ungerolltes Zäpfchen -r, scheint mir diejenige form unserer deutschen r zu sein,
dif aus mehr als einem gründe ganz ausschliesslich dem Engländer, der deutsch lernt,
zu empfehlen ist, falls er nicht als Nordengiänder schon gerolltes zungenspitz -r
mitbringt.
Hier breche ich ab. Aus meinen ausstellungen dürfte hervorgehn, dass phonetik
wol nicht das eigentliche Studiengebiet des verf.s bildet. Um so mehr ist es dankbar
anzuerkennen, dass er, die unumgänglichkeit phonetischer Studien für seine Studenten
einsehend, ihnen nicht nur regelmässig Vorlesungen über phonetik hält, sondern sich
auch der mühe unterzogen hat, zu ihrem besten ein handbuch auszuarbeiten, das
ihnen trotz aller meiner einwände und bedenken ganz gewiss nicht geringen nutzen
bringen wird.
RENDSBURG (HOLSTEIN). H. KLINGHARDT.
Max Morris, Goethe-studien. 2. veränderte aufläge. 2 bände. Berlin, Conrad
Skopnik 1902. VII, 340 u. III, 297 s. 6 m.
Als Max Morris' Goethe-studien zum ersten male erschienen, waren die mei-
nungen über den neuen Goethe -interpreten geteilt. Die einen erkannten darin keine
wertvolle bereicherung der Goethe -litteratur, andere sprachen vom 'Stempel der persön-
lichkeit', der den aufsätzen aufgeprägt sei, oder suchten den Verfasser durch das ver-
langen nach weiteren proben aufzumuntern. Heute nimmt Morris unter den Goethe -
forschem eine geachtete Stellung ein, und, was besonders erfreulich ist, die 2. aufl.
seiner 'Studien' beweist, dass er beständig gewachsen ist und dass sich ihm das bild
des dichters nach den verschiedensten richtungen hin unablässig erweitert und ver-
tieft hat. Durch eine grössere reihe von neu hinzugekommenen aufsätzen zeichnet
sich die 2. aufl. vor der ersten aus. Zum teil sind diese bereits in Zeitschriften, z. b.
im 'Euphorion' und im Goethe -Jahrbuch erschienen, zum teil handelt es sich auch
um bisher ungedruckte arbeiten. Der erste neue aufsatz, mit dem die Sammlung in
ihrer erweiterten gestalt beginnt, behandelt die 'form des ürfaust'. Es ist nicht gerade
etwas neues, was er bietet. Man wird zugeben, dass Goethe vielleicht auch ohne die
kenntnis des dem budenspiel der form nach verwandten Puppenspiels durch seine con-
sequent vorschreitende ontwicklung dazu geführt worden wäre, das budenspiel zur
grundlage eines grossen dramas zu machen. Dem Verfasser kam es aber darauf an,
nachzuweisen, wann und aus welchen gründen Goethe im 'Urfaust' von der form
des knittelverses abgewichen ist, und sein resultat ist: „Goethe behandelt den knittel-
vers als die grundlage, in der inenschliche art und empfindung sich ausdrückt. Fällt
sie unter das niittelniveau, so tritt prosa ein; erhebt sie sich darüber, so erscheint
je nach der art der ausweichung prosa, freie rhythmen oder die an der grenze des
gesanges stehende lyrische declamation." Eine interessante Zusammenstellung enthält
4er aufsatz 'Gemälde und bildwerko im Faust'. Morris untersucht darin, inwieweit
ÜBKIJ MOKRIS. (iOKTHK- STUDIEN 247
malerische oder plastische darstcllungen einzelne partieen oder ganze seenen des
'Faust' beeinflusst haben, und setzt sich dabei mit einer reihe neuerer forscher aus-
einander. Dass sich der prolog im himmel auf die italienische maierei stützt, dass
wir bei dem epilog an Murillosche bilder denken, und dass sich bei dem bild im
Zauberspiegel der hexenküche die erinnerung an Tizians A^'enusbilder einstellt, ist
jedem geläufig. Ein hiuweis wie der auf Rombrandts bekannte Faust -radierung, von
der freilich nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann, ob sie Goethe schon zur
zeit der ersten Faustdichtung zu gesicht gekommen war, ist in unsern tagen, wo sich
Rembrandts geburtstag zum 300. male jährte, besonders interessant. Es ist auch durch-
aus zutreffend, wenn der Verfasser bemerkt, dass das dichterwort auf die in der phan-
tasie des lesers bereit liegenden bildlichen anschauungen erweckend wirke. ,Je ein-
facher hier das erregende wort gehalten ist, je weniger es mit eigenen mittein den
hoffnungslosen Wettstreit aufnimmt, um so bereitwilliger kommt unser verrat von
malerischen phantasiebildern in fluss. Diese bauen das local, schmücken es mit glänz
und färbe und bevölkern es mit anschaulichen gestalten." Aus dem Goethe -Jahrbuch
XX (1899) ist Morris' aufsatz über 'Faustmotive in Goethes übriger dichtung', der
auf eine anreguiig Erich Schmidts zurückgeht, bekannt. Durch die, analogio mit
'Götter, beiden und "Wieland ' sucht er nachzuweisen, dass die conception, vielleicht
auch sogar schon die abfassung der ersten "Wagnerscene bereits in den october- 1773
fällt. Prometheus und Hanswurst hatte jüngst erst Bielschowsky wider in innigere
beziehungen gebracht und beide dahin gerückt, wohin sie gehören, nämlich in die
nähe des Werther. Morris versucht durch die ausführlichere nebeneinauderstellung
beider den genialen Übermut der zwiefachen selbstdarstellung des jungen Goethe in
einem anschauungsbilde zu vereinigen, bei dem man in der tat 'entzückt zusammen-
schaudert". Goethe und Gottfried Keller zu vergleichen, ist neuerdings recht beliebt
geworden. Zuweilen wird Koller dabei bedenklich überschätzt. Morris will in seinem
aufsatz über 'Hermann und Dorothea und das Fähnlein der sieben aufrechten' nur
zeigen, wie bei beiden dichtem in einem besonderen falle, ohne dass der jüngere
darum von dem älteren abhienge, eine tiefe innere Verwandtschaft im ganzen und im
einzelnen besteht. Das ist ihm auch geglückt, wenngleich der aufsatz als solcher
nicht gerade eine förderung der Goethe -forschung bedeutet. Überrascht dagegen
wurde man und wird man noch heute durch die zuerst im XVIII. bände des Goethe -
Jahrbuchs (1897) gegebene erklämng des bisher so rätselvollen gedichts: 'Fheh, täub-
chen, flieh!' Die deutung auf Georg Jacobi und seinen nach Herders richtigem aus-
druck 'überschwemmt zärtlichen und e"klen' briefwechsel mit Gleim lässt sich heute
nicht mehr von der band weisen. Der satirische Charakter des gedichts hätte viel-
leicht schon von vornherein aus der äussern form, vor allem aus dem versma.ss ge-
schlossen werden können. Auffällig bleibt nur, dass Goethe im jähre 1827 die autor-
schaft des gedichts nicht mehr für sich in ansprach nehmen wollte. Sollte es daher
nicht möglich sein, dass es eine art compagnie- arbeit oder gemeinsame improvisation
ist, zumal ja auch die von Morris citierte stelle aus 'Dichtung und Wahrheit' (28,281)
mit ihrer bemerkung: „Jene briefe und gedichte, worin Glcim und Georg Jacobi .sich
öffentlich aneinander erfreuten, hatten uns zu mancherlei scherzen gelegonheit
gegeben" darauf hinzudeuten scheint? Neues aus handschriften bietet Morris u. a
durch zwei briefe Minchon Herzliebs an Wielands enkelinnen "^'ilhelmino und Amalie
Schorcht; in den 'miscellen' gibt er manche zutreffoi\de bemerkung zur deutung bozw.
erläuterung einzelner stellen aus Goetlies werken, briefen und entwürfen.
SIEOEN I. W. RÜDOLK SOKOLOWSKY,
248 SOROLO"WSKY
Hans Oerhard Oracf, Goethe über seine dich tun gen. Yersiich einer Sammlung
aller iiusserungen des dichters über seine poetischen werke. (Zweiter teil: Die
dramatischen dichtungen.) Frankfurt a. M., Rütten und Loening 1903/4. 2 bände.
XXII. 443 u. VI, 643 s. 17 m.
Dem ersten teile, der in den jähren 1901/2 erschien, stellte der Verfasser eine
Goethisclie und eine Schillersche briefstelle voran. Beide begegnen sich in dem ge-
danken, dass man kunstwerke nur verstehen kann, wenn man ihre geschichte kennt.
Auf wenige andere werke trifft das in dem gleichen grade zu, wie eben auf die
Goethis'chen, sind diese doch nicht nur in ihrer gesamtheit der Spiegel eines unver-
gleichlichen lebens, sondern auch im einzelnen bekenntnisse und Offenbarungen einer
äusserlich und innerlich immer vorwärts strebenden entwicklung. Der Verfasser konnte
sich aber auch mit recht auf Goethe selbst als den vater seiner ' Sammlung' berufen,
insofern doch auch von 'Dichtung und Wahrheit' der eigentliche zweck ist, das orga-
nische Wachstum, die genesis des dichters darzustellen und die entstehungs-
geschichte seiner werke zu schreiben. Hatte er nun in den beiden ersten bänden des
ersten teils seine aufgäbe für die epischen dichtungen erfüllt, so soll der zweite teil
das gleiche für Goethes dramatische dichtungen tun. Was in dem ersten und
zweiten bände dieses teiles vorliegt, umfasst nach alphabetischer anordnung die drama-
tischen dichtungen und entwürfe bis zu den 'Geschwistern', vor allem also den' Faust'.
Diegrundsätze, nach denen der Verfasser verfährt, sind im wesentlichen die näm-
lichen wie bei dem ersten teile. Anordnung und einrichtung lassen hinsichtlich der Über-
sichtlichkeit kaum etwas zu wünschen übrig. Innerhalb der einzelnen dichtungen wird
streng chronologisch vorgegangen; freilich bot natürlich eine genaue datierung in vielen
fällen grosse Schwierigkeiten, der Verfasser verwahrt sich daher mit recht bei den nicht
von Goethe selbst datierten äusserungen gegen den ansprach absoluter richtigkeit.
Das hauptinteresse concentriert sich bei den beiden vorliegenden bänden natür-
lich um den 'Faust'. Otto Pniowers buch 'Goethes Faust, Zeugnisse und excurse zu
seiner entstehungsgeschichte ' (1899) und Jakob Minors werk 'Goethes Faust, ent-
stehungsgeschichte und erklärung' (1901), die während der arbeit erschienen , konnten
noch aiisgiebig benutzt werden. Gewissenhaft werden die abweichenden meinimgen
anderer forscher verzeichnet. Zuweilen fällt auch subjectiv etwas ab. Goethe äussert
einmal in der 'Italienischen reise' (zweiter römischer auf enthalt) unter dem 1. märz
1788: „Zuerst ward der plan zu 'Faust' gemacht, und ich hoffe, diese Operation soll
mir geglückt sein." Was ist hier unter dem wort 'Operation' zu verstehen? Möglich
ist es ja, dass dieser ausdruck hier mit Graef im medicinisch- chirurgischen sinne zu
verstehen ist, dass der 'plan' zu 'Faust' sich danach in erster linie auf diejenigen
teile bezogen habe, wo es einzurenken, zerreissungen zu heilen, Verbindungen her-
zustellen galt. Im hinblick auf eine Goethische briefstelle aus dem jähre 1798 er-
scheint diese deutung jedoch keineswegs zwingend. In der absieht, seinen 'Faust'
fertig zu machen, schreibt er da unter dem 28. april an Schiller, freund Meyer werde
es für keinen raub achten, 'zu dieser barbarischen production' Zeichnungen zu ver-
fertigen: „"Wir haben den gedanken, die umrisse auf graubraun papier drucken zu
lassen und sie alsdenn auszutuschen und mit dem pinsel aufzuhöhen, eine Operation,
die vielleicht nirgends so gut und wolfoil als hier gemacht werden könnte." Sollte
es sich nicht auch an jener stelle einfach wie hier um die ausführung eines planes,
höchstens vielleicht um die ändcrung des ursprünglichen planes handeln?
Äusserst wertvoll ist die Zusammenstellung aller Goethischen äusserungen über
einige unbekannte kleinere dramatische entwürfe und plane. Zu beginn des Jahres
ÜBER GRAEF, GOETHE ÜBER REINE DirilTÜNGEX 249
1815 scheint Goethe sich mit dem plane einer orientalischen oper getragen zu haben,
deren Schauplatz Persien sein sollte. Im april gibt er in einem briofe an B. A. Weber
der hofl'niing aiisdruck, den entwurf auf einer in aussieht genommenen badereise vor-
bereiten zu können. Im november nennt er sie 'mährchen- und geisterhaft', obwol
alles natiii'lich zugehe. Sie sollte auch „heiter werden und brillant, wobei es nicht
an leidenschaft, schmerz und Jammer fehlen" werde. Diese ausdrücke treffen nach
Graef nur auf das 1892 zuerst aus Goethes nachlass herausgegebene opernfragment
'Feradeddin und Kolaila' zu.
In einer tagobuch - notiz vom 13. fcbruar 1799 verzeichnet Goethe ein abend-
liches gespräch mit Schiller über theatralische Unternehmungen, den 'Gastfreien
schmarutzer' und den zweiten teil der 'Zauberflöte'. Graef schüesst hieraus auf eine
geplante dichtung: 'Der gastfreie schmarutzer' und meint, es werde sich vielleicht
doch noch einmal in Goethes nachlass ein blatt mit ersten flüchtigen aufzeichnungen
finden.
In der frage, ob unter dem schäferspiel 'Amine', das Goethe bekanntlich, in
zwei briefen an seine Schwester von 1767 erwähnt, nur die erste fassung der 'Laune
des verliebten' oder vielmehr ein selbständiges, älteres stück zu verstehen ist, ent-
scheidet Graef sich, wie mir scheint, mit recht im gegensatz zu v.d. Hellen, Geiger,
Minor und Bielschowsky zu der letzteren auffassung, die zuerst H. Roettoken in der
Vierteljahrsschrift für litteraturgeschichte (1890, 3, 184 — 190) vertreten hatte.
Auf dem irrwege dagegen scheint mir Graef in einem anderen punkte zu sein.
Wenn nämlich Goethe in der 'Campagne in Frankreich 1792' wort- und buchstaben-
getreu sagt: „Die 'Unterhaltungen der ausgewanderten', fragmentarischer versuch,
das unvollendete stück, 'Die aufgeregten', sind oben so viel bekenntnisse dessen,
was damals in meinem busen vorgieng; wie auch späterhin 'Hermann und Dorothea'
noch aus derselbigen quelle flössen, welche denn freilich zuletzt erstarrte", — so be-
deutet doch die von Graef verti'etene Düntzersche deutung, als ob der ausdruck 'frag-
mentarischerversuch' nicht auf die 'Unterhaltungen deutscher ausgewanderten', sondern
auf die 'Reise der söhne Megaprazons' zu beziehen sei, nichts als einen act der Will-
kür, und unter dem 'unvollendeten stück' sind doch nach der form des satzes auch
nur 'Die aufgeregten' zu verstehen. Treffender ist es, wenn Graef im anschluss an
Goethes Leipziger brief an Schwester Cornelia vom 7. december 1765 aus den werten:
'versuch einer poetischen ausarbeitung ßelsazars' folgert, dass die vier aufzüge dieses
entwurfs, die Goethe, mehr oder weniger fertig, mit nach Leipzig brachte, nicht
poetisch ausgearbeitet, sondern in prosa geschrieben waren.
Eine ausserordentlich verlockende aufgäbe wäre es, näheres über Goethes
' Caesar "- entwurf , der bis in das jähr 1773 zurückzureichen scheint, zu eruieren,
spielt dieser stoff doch noch viej später in Goethes Unterredung mit Napoleon eine so
hoch interessante rolle. Sehr dankenswert ist es daher, dass Graef alle äusserungon
über Shakespeares tragödio in chronologischer Ordnung zusammengestellt und auch ein
paar bemcrkungen über den geschichtlichen Caesar hinzugefügt hat. So ist das Graef-
scho werk auch in diesen teilen nicht nur ein ungemein wertvolles hilfsmittel für die
Goethe -forschung, sondern bietet ihr gleichzeitig auch eine fülle neuer anregungon.
Man wird an ihm, wenn es erst vollendet vorliegt, einen ähnlichen schätz haben wie
an der von prof. Köster in Leipzig geplanten Goethe- bibliographie. deren Zustande-
kommen die vorjährige Versammlung der Goethe -gesellschaft in Weimar infolge der
initiative Erich Schmidts in so hoch erfreulicher weise be.schlosscn und ermöglicht hat.
SIEGEN I. W. RUDOLF SOKOLOWSKY.
250 KAUFFMAXN ÜBER MARTIN, VKRSBAU DES HELIAND
Ernst Martin, Der versbau des Heliand und der altsächsiscben Genesis.
Strassburg, K. J. Trübner 1907. XII, 80 s. 2,40 m. == Quellen und forschungen,
heft 100.
Martin legt uns die allgemein bekannte und leicht zugängliche abhandlung von
Schmeller über den versbau in der allittericrenden poesie der Altsachsen (Abhandl. d.
bayr. akademie 1839) mit einigen auslassungen vor; vgl. s. 19 — 29. Er scheint im
gründe der ansieht zu sein, die theorien Lachmanns, Schmellers und Sievers' seien
identisch, namentlich fand er erscheinungsformen der Sieversschen typen in den
Schmellerschen kadenzen, wie Martin sie nunmehr auffasst.
Er will aber seine ansichten nur mit vorbehält vortragen (s. 18). Ich beziehe
dies namentlich auf seine annähme 'gedehnter kürzen', über die der leser auf s. 7
anders orientiert wird als auf s. 12. 13*. Vorbehalte müssen aber auch da gemacht
werden, wo M. sich auf Stichproben beschränkt. Dieses verfahren ist im interesse
einer wissenschaftlichen beweisführung zu bedauern, in anbetracht der resultatlosig-
keit der Martinschen erörterungen fällt es freilich nicht weiter ins gewicht. Er be-
tont noch einmal, dass die silbenzahl der versfüsse vom verseingang her gegen das
versende hin abnehme (vgl. Sievers' typus B und C), dass die unmittelbare folge
zweier ikten am schluss der halbverse ausgeschlossen ist und dass die wortärmere
Schlusskadenz langsamer vorgetragen worden sei, als die vorhergehenden versteile
(s. 59 fg. 65).
Des weiteren behauptet M., es stehe jetzt wol bei allen an der forschung be-
teiligten fest, dass der epische halbvers sich in vier ver.sglieder zerlegen lasse; dass
von diesen vier versgliedern zwei durch 'stärkere ausspräche' über die beiden andern
erhoben werden, sei ein weiterer satz, der nicht bestritten werden könne (s. 2. 61fgg).
Angesichts der grausamen partie auf s. 53 fg. wollen wir doch daran erinnern, dass
wir ganz anderer meinung sind und nicht mit Lachmann den versgebrauch Otfrids
im wesentlichen als den ursprünglich germanischen ansehen (s. 71). Die Stellung der
beiden höher betonten silben habe allerdings erst Sievers genauer bestimmt. Martin
gebraucht daher die Sieverssche typenterminologie. Er weiss auch geschickt zu
operieren, um seine Vortragsweise mit der von Sievers — trotz des principiellen Wider-
spruchs auf s. 6 — in einklang zu setzen : die schwellverse seien normalverse. Den
typen könne er allerdings doch nur einen statistischen wert beilegen , den er übrigens
durchaus nicht unterschätze (s. 4); ja Martin ist sogar zu der concession bereit: „Es
scheint mir überhaupt fraglich, ob der rhythmus die zu den haupthebungen hinzu-
tretenden nebenhebungen berücksichtigt hat" (s. 4) — danach hätte gerade dieses
100. heft der Quellen und forschungen nicht veröffentlicht zu werden brauchen.
Interessant ist es insofern, als es den redlichen willen eines Veteranen bekundet,
die Sprache einer jüngeren generation sprechen zu lernen. Das geht nicht ohne künst-
lichen zwang (vgl. z. b die äusserungen über das handschriftenverhältnis s. 9fgg.
oder die identificierung von irrationalem rhythmus [nach Sievers] mit Scherers wider-
1) Mein Vorschlag, Hei. 31. 5937 sei alo- statt ällo- zu lesen, wird mit der
these abgetan, dem widerspreche „eine in allen germanischen sprachen bezeugte
Sprachregel"; richtig sei nur, dass allo- gleichfalls überliefert sei (Hei. 1979). Dieser
Sprachregel ist ein besonderer excurs gewidmet: Die Vereinfachung der doppelliquidae
im ersten teile von Zusammensetzungen (s. 72fgg.); er gipfelt in dem satz: „Ich bin
seit längerer zeit der erscheinung nachgegangen. Doch ist das material so weit-
schichtig und so unfest, dass sich schliesslich nur eine unsichere erklärung ergeben
hat." Jener 'sprachregel' ist also rasch wider das lebeuslicht ausgeblasen! worden
Uöd meine conjectui' ist immer noch möglich-
KIIKISMANN f-HKI? OSWALD VON WOLKKNSTEIN ED. SrjIATZ 251
streit zwischen idealem und realem rhythmus s. 08), ist aber mehr als wir bisher
gerade von Martin erwarten durften. Das Ilildebrandslied hält er z. b. noch immev
für niederdeutsch (s. 69).
KIEL. FRIEDRICH KAUFi'MANN.
Die gedichto Oswalds von "Wolkenstein, herausgegeben von J. Schatz. Zweite
verbesserte ausgäbe des in den Publikationen der Gesellschaft zur herausgäbe der
dcnkmäler der tonkunst in Österreich veröffentlichten textes. Göttingeu, Vandon-
hoeck und Ruprecht 1904. 312 s. 0 m.
Es ist Schatz sehr zu danken, dass er der grossen Veröffentlichung der lieder
und melodien des "Wolkensteiners nun eine einfache textausgabe hat folgen lassen. Die-
selbe enthält nahezu den ersten teil jenes friiheren workcs, aber in anderer, für philo-
logische zwecke übersichtlicherer anordnung, indem nun die allgemeinen erörterungen
(lebensabriss des dichters, Überlieferung, textkritischo grundsätze, Orthographie u. a.)
ganz in die einleitung (s. 1 — 58), die lesarten aber unter den text gebracht sind.
Dieser selbst ist in seinem Wortlaut nicht erheblich geändert worden , wozu auch kein
grund vorlag, doch \vurde die hs. A noch mehr berücksichtigt, auch sind einige eigene
bessenmgen sowie solche von Behaghel (Lit. blatt 1903, 367 — 369) und "Wustmann
(Anz. f. d. altert. 29, 227 — 233) aufgenommen. Die lesarten wurden durch stärkere
beiziehung von C erweitert. Über die behandlung der Orthographie spricht Seh. in
der einleitung s. 53 — 55. Er hat eine gewisse normalisierung befolgt, weil die ein-
zelnen Schreiber, selbst die der hs. A, unter sich abweichen. Aber der grundsatz der
einheitsschreibung ist bei handschriften des 15. jhs., zumal bei stark mundartlich ge-
färbten, immer ein unvollkommener ausgleich und kann ohne starke Verletzung der
historisch überlieferten Schreibung nicht durchgeführt werden. So wird durchweg ai
für altes ei gesetzt , aber in den reimen von ei auf ai wird nur' ei geschrieben , was
der mundartlichen ausspräche und dem schreibgebrauch der zeit widerspricht; auch
können feinere orthographische unterschiede wie heilig (57, 61. s. 143 var. 61), wo ei
wie so oft in baiiischen handschriften, die sonst ai haben, beibehalten ist, oder wie
die nachklänge des consonantischen anlautsgesetzes in A (z. b. nicht ieken 8, 25,
austcrivelter 13, 28. 14, 44, vgl. auch ersten für erst den 2, 3; die assimilation
enkagent 44,2), nicht recht zur geltung kommen. Jede usuelle Orthographie ist ein
bestimmter ausdruck ihrer zeit, es liegt in ihr ein kleines stück kulturgescliichto und
so sollte sie bei ausgaben von werken des 14. u. 15. Jahrhunderts, wenn nicht besondci'c
gründe dagegen sprechen, recht weitgehend gewahrt werden. AVolkensteins hand-
schriften gerade aber haben noch einen besonders intimen wert, da sie alle eigentum
der familie waren, ja A und B sind sogar auf den wunsc'li des dichters geschrieben
worden (s.33. 41). Es steckt noch etwas von seiner persönlichkeit in diesen folianton und
zu seiner knorrigen eigenwilligkeit pa.sst auch diese tirolische Orthographie des fi'uif-
zehnten Jahrhunderts. Wenn auch eine genaue widorgabe der Schreibart wol untun-
lich war, so hätte von ihrem Charakter vielleicht doch etwas mehr gerettet werden
können.
In der interpunktion weicht die neue ausgäbe von der älteren mehrfadi ab. Oft
sind an stelle der ausrufungszeichcn andere zeichen gesetzt. Dadurcli wird die Über-
sichtlichkeit geringer, und vor allem: die erregung, die in solchen emphati.schen
reden liegt, findet auf diese weise keinen ausdmck in der schrift, die damit, anstatt
auf dramatische lebendigkeit, auf einen ruhigen erzählertoa gestimmt ist. 44,2 wäre
252 F.HRISMANN
die alte Interpunktion, konima statt punkt, besser geblieben; 7, 37. 56, 6 ist das
komnia zu streichen, 58,19 wäre eines nach gaiss angebracht, 13,42 ein punkt. In
dem Wechsel nr. 14 sollten die einzelnen reden durch auführungszeichen kenntlich
gemacht sein.
HEIDELBERG. GUSTAV EHRISÄUNN.
Die lateinischen magier spiele. Untersuchungen und texte zur Vorgeschichte
des. deutschen weihnachtsspiels. Von Heinrich Anz. Leipzig, J. C. Hinrichssche
buchhandlung 1905. VIII, 163 s. 5,40 m.
Ein wichtiger bestandteil der epiphanienliturgie der alten kirche war die oblatio
ad aram. Da die erzählung von der huldigung der drei magier die festlection für
diesen tag bildete (Matth. 2,1 — 12), so wurde jene Opferung in Zusammenhang ge-
bracht mit der gabendarbringung der magier. Hierin liegt der Ursprung der magier-
spiele. Die drei opfernden kleriker führten mit den opfergaben eine prozession zum
altar aus, wobei bestimmte antiphonen gesungen wurden. Aus diesen antiphonen, die
zum teil umgearbeitet wurden , erwuchs der ursprüngliche text des magierspiels. Dieses
ist also liturgischen Ursprungs. — Die entwicklung des spieltextes vollzieht sich in drei
stufen, drei typen, die eine fortschreitende erweiterung darstellen; diese gruppenbildung
ergibt sich auf textkritischem wege durch ausscheidung gemeinschaftlicher bestandteile.
Diese ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bilden einen bedeutenden erfolg
in der forschung über das geistliche Schauspiel des mittelalters. Mit Scharfsinn und Sach-
kenntnis arbeitet der Verfasser, vielfach angeregt durch persönliche teilnähme K. Bur-
dachs, kirchengeschichte , liturgie und altkirchliche kunst zur auf hellung beiziehend.
Die drei typen stellen eine regelrechte fortentwicklung dar. In typus 1 treten
als Spielpersonen nur die drei magier und die zwei obstetrices, diese als Sprecherinnen
für die heilige familie, auf. Typus II bringt den Herodes dazu, mit typus III wird
das magierspiel zum Herodesspiel , indem zunächst die ^erodesscene durch das auf-
treten der schriftgelehrten ausgedehnt wird, weiterhin aber sein- bedeutende erwei-
terungen stattfinden durch vergrösserung der botenrolle, durch einfügung des hirten-
spiels und des ludus innocentium, wodurch schliesslich ein combinationstj-pus IV
entstanden ist.
Dass die entwicklung von einfachen typen zu manigfaltigeren aufgestiegen ist,
das dürfte nunmehr festgestellt sein. Es muss aber, wie der Verfasser selbst sagt,
geradezu wunder nehmen, „wie verhältnismässig gesetzmässig der entwicklungsgang
verläuft" (s. 112). Vielleicht sind doch mitunter rückläufige bewegungen eingetreten
und die combinationen wären also doch verwickelter.
Auch den typus I , das einfachste spiel — er ist im texte von Rouen am reinsten
überliefert — hält der verf. schon nicht mehr für ursprünglich (s. 21 fgg.), die krippen-
scene sei eine spätere zufügung. Sie stammt, wie er einwiesen hat, aus dem weih-
nachtsspiel und ist also ein in die epiphanienfeier erst später eingetretener fremder
bestandteil. In dem typus I ist sie aber m. e. schon von anfang an aufgenommen ge-
wiesen, dieser ist eine einheitliche composition (es ist nicht unwahrscheinlich, „dass
der typus I tatsächlich ein einheitliches werk eines geistlichen dichters ist", sagt der
verf. selbst s. 120 fg., s. dazu auch Koppen, Beiträge zur geschichte der deutschen
weihnachtsspiele s. 11 und s. 14fg.). Der krippendialog zwischen magiern imd obstetrices
gehört in den Zusammenhang, denn jene reden das Jesuskind unmittelbar in directer
rede an, so muss doch auch vorher ein empfang der huldigenden von selten der hei-
ÜBER ANZ, niE LATEIN. MAGIKKSPIELE 253
ligeu familie angedeutet sein. Dertypus I war schon von vurnherein grösser angelegt.
Die oblationsworte 'Salve jjr/'nceps saeculonim' usw. sind direct an das Jesuskind
gerichtet, das also anwesend gedacht ist, im arm seiner muttor oder in der krippu
(vgl. s. 33). Dies setzt eine besondere localisierung voraus, einen besonderen altar.
Das ist nach den erläuterungen des textes von Rouen das altare crucis, auf
welchem vorher ein Marienbild aufgestellt wurde. Der kreuzaltar, auch altare laicorum
genannt, steht zwischen chor und schiff und diente der laieugemeinde. Diese brachte
also hier auch das opfer dar (Rouen: 'Inier hu ßa?it oblationes a Clero et Populo').
Typus I ist also von anfang an darauf berechnet, dass das opfer am kreuzaltar statt-
findet, und war in enger Verbindung mit der laienoblatiou gedacht. Erst nachdem diese
vorüber und das spiel zu ende war, wurde dann am hauptaltar im chor von den
priestern allein das eigentliche opfer der messe dargebracht. Hier liegt also ein schon
reicher ausgebildeter typus vor: beziehungen zu Herodes (Jerusalem), krippenscene
(Bethlehem) ; der stern erscheint demgemäss zweimal (iterum), zweimaliger sternengruss ;
zwei altare (altare majus und altare crucis vgl. auch Anz s. 33), also zwei Stationen.
Den einfachen typus enthält, wie Anz s. 42 — 44 (auch s. 59) entwickelt, der text
von Limoges, und nur dieser: hier keine beziehungen zu Herodes und keine krippen-
scene-, der stern erscheint nur einmal, damit ist nur ein sternengruss vorhanden-, nur
ein altar, das altare majus; die handlung spielt sich nur im chor ab, also nur eine
Station, keine laienoblation ; kein dialüg, nur autiphonspiel.
Ob der reichere typus mit den zwei Stationen eine unmittelbare Weiterbildung des
einstationigen von Limoges ist? Anz lässt die frage offen (s. 59, dazu auch s. 125).
Dem Verfasser von typus I kann letzterer vorgeschwebt haben, jedosfalls ist aber
sein werk eine durchaus selbständige Schöpfung. Beide arten entwickelten sich dann
unbeeinflusst voneinander weiter, das antiphonenspiel durch zusetzung von hymnen
am anfang und schluss in musikalisch -lyrischer richtung, der schon mit dialogen ver-
sehene Spieltypus in dramatischer richtung zu weiter ausgebildeten darstellungen. Beide
können nebeneinander im gebrauch gewesen sein, je nachdem die feier an einem oder
zwei altären stattfand. Von dem Vorhandensein zweier altäre in der kirche ist
überhaupt der in I vorliegende spieltypus abhängig.
Bei der entstehung von typus II (Anz, s. 51fgg.) dürfte wol stark das streben
nach stilistischem parallelismus mitgewirkt haben. Es sollte ein aus zwei correspon-
dierenden teilen bestehender text gebildet werden. So erklären sich die frei geschaffenen
teile der einschaltungen, v. 9 — 16 (Anz s. 131 fg.): den kern bilden die aus dem
zweiten teile herübergenommenen oblationsworte, ausser ihnen haben aber auch ein-
zelne ausdrücke der sie einleitenden zeilen lOfg. ihre entsprechung in der zweiten
hälfte, nämlich cum niysticis onuneribus , adorure venimus, de terra longinqua in
dona ferentes 24, adorare venirnus 25, Tharsis et Arabum et Saba 23. Somit
sind die beiden teile a = v. 1 — 18, die Herodesscene enthaltend, und b = v. 19 — 33,
krippenscene, in symmetrischem auf bau gebildet: 1. a 1 — 3 erster sternengruss =
b 19 fg. zweiter sternengruss; 2. a7 — 16 dialog zwischen Herodes und den magieru
und dabei die oblationsworte = b 21 — 27 dialog zwischen den magiern und den obste-
trices, anschliessend daran die oblationsworte 28 — 31; 3. a 18 fg. abschluss von teil a,
Ile et . . . redeuntes mihi renuntiate = b 32fg. , abschluss von teil b, Ite viam
re/neantes aliain, nc delatitres tanti regis pu/iiendi eritis. Die neu zugefügten ob-
lationsworte des ersten teils bilden die — bekannte — Variation derjenigen dos zweiten
teils: die symboliüche deutung des Weihrauchs geht hier in der zweiten formel auf
den priester, thurc sacerdoteni, statt auf den wahrhaften Gott, tu vcrc Dens.
254 R.M.MEYER ÜBER HKRRMANN. HEINES ROMANZERÖ
Feine und lobenswert vorsichtige bemerkungen macht der Verfasser auch be-
züglich der metrik des spiels (s. 114 — 116. 123 fg.). Die jüngeren, umfangreicheren
stücke haben schwungvollere formen, auch das spricht für ihre spätere entstehung
und somit für ausdehnende Vorwärtsbewegung im entwicklungsgang des spiels. Die
ersetzung von coruscat durch rutilat im typus I (s. 51. 121) hängt vielleicht ebenfalls
mit rhythmischea gründen zusammen : dadurch entsprechen sich die worte des ersten
und des zweiten magiers rhythmisch vollständig: Stella fülgore nimio rutilat \ —
Quae II regern regiim nätum monst'^'at , während eorüseat statt rutilat aus dem be-
tonungssystem herausfällt.
Als heimat des spiels nimmt Anz, im gegensatz zu Wilhelm Meyer, Frank-
reich — nicht Deutschland — an (XL Jahrhundert). Und bierfür sprechen in der
tat die anzeichen auch stärker.
Abgeschlossen wird die äusserst wertvolle abhandlung durch texte, welche die
entstehung der drei typen veranschaulichen, sowie durch abdrücke und erklärungen
einiger überlieferter spiele.
HEIDELBERG. GUSTAV EHRISMAXK.
Helene Herrmanu (dr. phil.), Studien zu Heines Romanzero. Berlin, "Weid-
mann 1906. VIII, 141 s. 4 m.
Das Interesse dieser wertvollen studio ist vor allem auf die beiden gebiete ge-
richtet, in denen Heine so unerschöpfUche probleme bietet: zuerst auf das psycholo-
gische, dann auf das stilistische. Die bemerkungen zu Heines technik, obwol an
zahl geringer, sind doch von nicht geringerer bedeutung als die zur deutung seines
Wesens: hinweise auf dreigliedrigkeit der gedichte (s. 37. 90), auf tonmalerei (s. 40.
84) und 'helldunkel" (s. 109), auf farbenwirkungen (s. 38). Besonders glücklich ist
die aufnähme von vergleichen durch metapher (s. 118. 136) beobachtet sowie die
'geste des Untergangs' (s. 25 u. ö.): das pathetische arrangement des todes. Es wäre
wichtig, zu prüfen, wie weit diese dramaturgische manier des lyrikers mit der tra-
dition des dramas — und der wirkhchkeit zusammenhängt. Hatten doch vor allem
die männer der französischen revolution den 'rühm im sterben' obligatorisch gemacht.
Aber vor allem richtet sich die forschung der verf. doch auf das problem,
wie erlebnis und kunstwerk bei Heine verwandt sind (bes. s. 121). Der 'Romanzero'
hat es besonders mit dem wideraufleben von jugendeindrücken zu tun: katholischen
(s. 26. 27) und vor allem jüdischen (bes. s. 43 fg. 89). Uns scheint allerdings dabei
die 'biographische methode' gelegeutlich überspannt. In noch höherem grade gilt
dies von dem auf puren ganz persönlicher momente in 'Firdusi' und den 'Spanischen
Atriden'; der hinweis auf den * Erb folgekrieg' und auf Heines rachegefühl (s. 114)
scheint mir in diese gedichte einen klang hineinzutragen, der zu der typischen wähl
der beispiele für das Schicksal der edlen nicht recht passt. Auch die an sich recht
glücklichen ausführungen über Heines empfindlichen genichsinn (s. 91 anm.) waren
zur erklärung der schlussworte in der 'Disputation' kaum erforderlich.
Äusserst sorgsam werden überall gedichte und quelle verglichen. Für die
'Atriden' ist mir aber doch ein solches mass freier erfindung bedenklich: sollte nicht
doch noch eine übersehene quelle irgendwo verborgen rieseln?
Zur erklärung einzelner gedichte Heines hat seit Hesseis schönem buch und
Elsters trefflicher ausgäbe keine schrift mehr als diese geleistet, gerade weil sie nii-gends
in der einzelheit stecken bleibt, sondern stets zu allgemeineren anschauuugen aufsteigt.
BERLIN. RICHARD M. MEYER.
S"kÜK KRSCHKINUNOKN 25i)
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaction ist bemüht, für alle zur bosprochunc: geeigneten werke aus dorn gebiete der german.
Philologie sachkundige reforonten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu recensieren. Eine zurücklief erung der recensions-exemplare an
die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Adams, Arthur, The syatax of the temporal clause in old english prose. [Yale studies
iu euglish. XXXII.] New York, Henry Holt and comp. 1907. X, 245 s. u. 9 tabellen.
Eilhart von Oberge. — Gierach, Erich, Zur spräche von Eilharts Tristrant.
Lautlehre, formenlehre und Wortschatz nach den reimen. Mit einem anhang: Zur
literarischen Stellung Eilharts. [Präger deutsche Studien hrg. von Carl von Kraus
und August Sauer. IV.] Prag, Carl Bellmaun 1908. (X), 281 s. 6 kr.
Festschrift zur 49. Versammlung deutscher phiiologen und schulmänner in Basel im
jähre 1907. Basel 1907. (Carl Beck, Leipzig.) (VIII), 538 s. 15 m.
Darin u. a.: G. Binz, Untersuchungen zum altengl. sog.Crist. — W. Brückner,
Über den barditus. — Ä. G essler, Franz Krutters Bernauerdrama. — E. Hoff-
mann-Krayer, Ferndissimilation von r und l im deutschen. — J. Meyer,
Wolfram von Eschenbach und einige seiner Zeitgenossen. — Th. Plüss, Das
glftichuis in erzählender dichtung.
Froytag, Gustav. — Mayrhofer, Otto, Gustav Freytag und das Junge Deutschland.
[Beiträge zur deutschen litteratur- Wissenschaft hrg. von E. Elster. L] Marburg,
Elwert 1907. VIII, 50 s. 1,20 m.
— Ulrich, Paul, Gustav Freytags romantechnik. [Beiträge zur deutschen litteratur -
Wissenschaft. III.] Marburg, Elwert 1907. VI, 135 s. 2,40 m.
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Sophie experimentale. IV.] Paris, M. Riviere (Leipzig, 0. Harrassowitz) 1907.
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wandten. [Strassburger dissert.] Strassburg 1907. 119 s.
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hofbuchhandlung o. j. XII, 671 s. 7,50 m.
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Ortnuiniicn i Älvsborgs län pä ofl'cntligt uppdrag utgivna av Kuiigl. urtnamnskommitcu.
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256 NACHKICHTEN
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Quellen und forschungen zur deutscheu Volkskunde hrg. von E. K. Blümml. Band I
und II. Wien, E. Ludwig 1908. (VI), 164 und (IV), 63 s. 2 und 6 m.
Inhalt: Heitere volksgesänge aus Tirol (tisch- und geseUschaftsheder) mit sing-
weisen im Volke gesammelt und zusammengestellt von Franz Friedr. Kohl. —
Bremberger-gedichte. Ein beitrag zur Bremberger sage von Arthur Kopp.
Sclilenmi, Julie, Wörterbuch zur Vorgeschichte. Ein hilfsmittel beim Studium vor-
geschichtlicher altertümer von der paläolithischen zeit bis zum anfange der pro-
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Schmidt , P. W., Die sprachlaute und ihre darstellung in einem allgemeinen linguisti-
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Thomseu, Vilh. og Winimer, Ludw., Bornholmsk sproglsere. (Ssertryk af Bornholmsk
ordbog af J. C. S. Espersen, med indledning og tillseg udg. af det Kgl. danske
videnskabernes selskab.) K0benhavn, Bianco Lunos bogtrykkeri 1908. (VI), 171 s.
Waag, Albert, Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes, ein blick in das Seelen-
leben der Wörter. 2. aufl. Lahr, Schauenburg 1908. XVI, 183 s. geb. 3,50 m.
Wunderhoru. — Eieser, Ferd., 'Des knaben wunderhorn' und seine quellen. Ein
beitrag zur geschichte des deutschen Volksliedes und der romautik. Doiimund,
Euhfus 1908. XII, 560 s. 16 m.
NACHRICHTEN.
Am 11. februar verschied zu Freiburg i. Br. der ordentliche honorarprofessor
dr. Elard Hugo Meyer (geb. zu Bremen 6. october 1837).
Professor dr. K. v. Amira in München wurde zum mitgliede.> der dänischen
akademie der Wissenschaften in Kopenhagen, professor dr. Hermann Paul in München
zum mitgliede der schwedischen akademie der Wissenschaften in Upsala und professor
dr. Hugo Gering in Kiel zum mitgliede der schwedischen gesellschaft der Wissen-
schaften in Gotenburg gewählt.
Der ausserordentl. honorarprofessor dr. Karl Drescher in Breslau wurde zum
ausserordentl. professor ernannt; der privatdocent dr. Fr. v. d. Leyen in München
erhielt titel und rang eines ausserordentl. professors.
Der ausserordentl. professor dr. Gustav Binz in Basel ist zum Stadtbibliothekar
in Mainz ernannt worden.
Professor dr. Gustav Eoethe in Berlin wurde der titel geheimer regierungsrat,
professor dr. E. M. Werner in Lemborg der titel hofrat verliehen.
An der Universität Halle habilitierte sich dr. Kurt Jahn für germanische
Philologie.
Bachdrackerei des 'Waisenbaases in Halle a. S.
DIE mSCHEIFT DEE SPANGE VON BALINGEN.
Im Sommer 1887 weilte Sven Söderberg in Stuttgart und unter-
suchte in der k. Staatssammlung vaterländischer altertümer eine von
Kieger am ende seines artikels über die Freilaubersheimer spange (Zeit-
schrift 5, 381) erwähnte, dieser Sammlung gehörige silberspange, auf deren
/
rückseite sich angeblich runen befinden sollten. Diese meinuug Riegers
't>
erwies sich Söderberg, der vielmehr nur zubillige ritze feststellte, als
irrig, dagegen glückte es ihm auf der rückseite einer anderen fibel dieser
Sammlung tatsächlich eine Inschrift zu entdecken, deren losung und
deutung er in den 'Prähistorischeu blättern' hrg. von Julius Naue, 2. jg.,
München 1890, s. .'33 — 41 unter dem titel 'Eine neuentdeckte alleman-
nische runeninschrift', gezeichnet 'Lund, märz 1890' veröffentlichte. Es
handelt sich um eine bei Balingen in Württemberg, Schwarzwaldkreis,
gehobene und von Ludwig Mayer in seinem 'Beschreibenden katalog
der k. Staatssammlung', 1. abtcil.: die reihengräberfundc, Stuttgart 1883
unter nummor 5G7 behandelte, goldene gcwandnadelsclieibe mit silberner
ZKITSCUIUFT F. UEÜTÖCHE PHILOLOÜIE. BD. XL. 17
258 V. GRIENBERGER
iinterplatte von 42 mm durchmesser, deren Vorderseite Söderberg s. 34
nach der abbildung Mayers samt dem zugehörigen, beschreibenden texte
des katalüges reproduciert.
Von der inschrift der rückseite gewahrte Söderberg bei erster be-
sichtigung ein runisches d und las, als die platte mit wasser gereinigt
15 10 ^_^15
war, die vollständige, linksläufige zeile, die er a/lfdiiloamiluii^'C
translitterierte und aus der er in der begründeten Voraussetzung, dass
zwischen die beiden vocale o und a eine wortgrenze falle, zunächst einen
Personennamen im dativ *Amilunge ausschied.
Aus diesem dativ ergab sich für ihn im zusammenhange damit,
dass der vorhergehende, auf o endigende complex dnio ein personen-
name im norainativ sein könne, der schluss auf eine jener dedications-
formeln, die Henning für die beiden Nordendorfer spangen und die
Spange von Ems behauptet hatte, für welche ausserdem die urnord. in-
schrift des Steines von Krogstad nach der damals vorliegenden auffassung
Bugges in der Tidskrift f. phil. og paed. 8, 167 fgg. (formuliert s. 171/2)
einen beleg darbiete. Da jedoch der complex dnlo kein sprechbares
wort darstellt, ergab sich für Söderberg die annähme graphischer aus-
lassung der inlautenden vocale. Als volle lesung schlug er *Danilo
vor, was sich mit rücksicht auf den z. j. 693 bezeugten, westgotischen
namen Danila um so mehr empfahl, als ja in der auslautsilbe lo das
german. deminutivsuffix von personnamen -ilo kaum zu verkennen ist.
In die auflösung *danilo amilunge waren aber die vor dem d
stehenden ruuen noch nicht mit einbezogen. An zweiter stelle der zeile
hatte Söderberg unter 'mehreren strichen, aus denen er keine bekannte
runenform habe auffinden können' allein einen absteigenden Schrägstrich,
der einem h oder ii angehören könne, als wirklich geritzt anerkannt.
Daran knüpfte nun Bugge noch im jähre 1887 die Vermutung, dass an
eben dieser stelle ein volles h zu lesen und die sich demnach ergebende
buchstabenfolge *ahlf als verkehrte schreibang für -'Jialf- zu betrachten
und mit dem folgenden dnlo zu einer deminutivbildung des namens
Halfdanr zu verbinden sei.
Söderberg Hess sich von dieser Vermutung gerne überzeugen, da
sich, wie er hinzufügt, verkehrte Schreibung von vocal + consonanz
auch bei dem namensteile oivlpii- für ivolpu- der zwinge von Thorsbjeig
nachweisen lasse und der einfache personenname Dam- im norden nur
selten, dagegen das compositum Halfdanr ausserordentlich häufig sei.
Da es ihm aber doch keineswegs entgicng, dass der erste teil der
vermuteten namensform ''Halfdanüo nordisch sei — deutsch wäre ja
DIR rXSCHRIFT DER SPANGE VON BALINGEN 259
halb- zu erwarten — der auslaut des suffixes aber nicht, denn dieser
muss beim urnordischen masculinum der ;<-declination als a erscheinen,
so vermittelte er diese Widersprüche derart, dass er die form als deutsche
derainutivbildung des aus dem nordischen entlehnten namens Ilalf-
dan()j erklärte.
Die ruuentypen der Inschrift, urteilte Söderberg des weiteren, seien
die allgemein germanischen, die auf dem bracteaten von Vadstena und
in der mehrzahl der Inschriften (der urnordischen und deutschen, hätte
wol gesagt werden müssen) erschienen, eine ausnähme bilde nur das
iig, das hier nicht aus zwei gegeneinander gekehrten lc:<> zusammen-
gesetzt sei, sondern nur den zweiten teil des vollständigen Zeichens
darstelle. Das Verhältnis des ng von Balingen zu dem gewöhnlichen
zeichen könne wegen Unzulänglichkeit des bekannten inschriftenmaterials
nicht näher bestimmt werden, doch sei es wahrscheinlich nur eine Ver-
einfachung der vollen rune. An eine bewertung der einem w^ende-/ü
gleichen letter mit nk statt ng sei nicht zu denken, da die Inschrift
vermutlich älter sei, als die speciell hochdeutschen lautverschieb ungen.
Genau könne das alter der inschrift indessen weder aus ihren schrift-
noch aus ihren sprachformen ermittelt werden. Die Balinger fibel stamme
aus einem grabe, aber es fehle die kenntnis, ob mit ihr andere gegen-
stände gefunden worden seien; doch kannten wir eine grosse anzahl von
goldfibeln derselben gattung: scheibenförmig mit filigran und buntfarbigen
steinen geschmückt, die aus gräborfunden des 5. und 6. jhs. herrührten.
Da nun die kleineren formen derselben, w^ozu auch die Balinger spange
geiiöre, (mit berufung auf Lindenschmit, Handbuch d. deutscheu alter-
tumskunde 1, 445) die älteren seien, könnten wir diese und ihre in-
schrift in eine zeit verlegen, die nicht später als um 500 n. Chr. an-
zusetzen sei.
Der publication Söderbergs ist s. 35 eine von dem herausgcber
der Prähistorischen blätter J. Naue selbständig, ohne beihilfe Söderbergs
ausgeführte Zeichnung beigegeben, die einen querdurchmesser von 41 mm
(gegen 42 mm des originales) besitzt und demnach als abbildung in
natürlicher grosse gelten kann.
Beachtenswert ist an ihr ausser der individuellen auffassung der
runeu zu beginn bis exclusive zum d und am ende inclusive vom u
an noch der umstand, dass die platte an der einen halbmondförmigen
bruchsteile oben, rechts vom nadellager, noch nicht die besserung mit
2 eingekitteten fragmenten zeigt, die das original heute hat, sondern
dass an ihr beide ausbruchsstellcn, rechts oben wie links unten, noch
offen sind. Zum zweiten male wurde die inschrift von G. Stephens ver-
17*
260 V. GRIENBERGER
öffentliclit, in dessen nachgelassenem, von Söderberg 1901 zur ausgäbe
besorgten vierten bände der Old-Northern Kunic Monuments sie auf
s. 64 — 66 behandelt ist.
Stephens gewährt eine abbildung der Vorderseite der spange ganz
wie Söderberg, doch eine selbständige von Magnus Petersen ausgeführte
Zeichnung der rückseite, die mit 44 mm querdurchmesser die natürliche
grosse, etwas überschreitet. Nach dieser abbildung wären beide bruch-
steilen, gebessert, was dem originale nicht entspricht und auch nicht
als Vervollständigung des bildes im sinne des intact gedachten originales
angesehen werden kann, da die hinzugezeichneten ausfüllungen der
beiden bruchsteilen mit einem schnurartigen rand versehen sind, von
dem weder die unversehrte circumferenz der platte, noch die beiden
fragmente der einen wirklichen besserung derselben auch nur irgend
eine spur zeigen.
In der lesung des complexes ^dnlocemilumj entfernt sich Stephens
nicht wesentlich von Söderberg, nur dass er seinem bekannten trans-
litterierungsschema gemäss die a-rune mit cc widergibt und das mj-
zeichen zum Schlüsse als k auffasst, das aber doch den lautwert nk oder
ng besitzen soll. Zu beginn liest Stephens anstelle von *ahlf vielmehr
cenpa^ beziehungsweise, da er vor dem a noch ein s wahrzunehmen
glaubt: *sainpa^ was die dritte sing, praeteriti des verbums an. se/ida,
ags. sendan 'to send' sein soll; zu ende der Inschrift aber nimmt er
entsprechend seiner und Naues abbildung eine einstabige rune i gegen
Söderbergs e an. Daraus ergibt sich für Stephens eine 'phrasierung
*scB7i])a DanUo Mmilimiji: 'Danilo sent (this brooch to) Amilung'.
Dabei ist der von Söderberg auf ein runisches li bezogene Schräg-
strich als einem n angehörig gefasst, das / Söderbergs als^ interpretiert
und das zeichen unmittelbar voi- d als ?/r- rune erklärt, deren wert nach
Stephens schema als a bestimmt wird.
Da Stei^hens die spange durch längere zeit in Kopenhagen hatte
und sie ungleich Söderberg, der sie nur einmal untersuchte, wiederholt
beobachten konnte, war es geboten seine angaben über den eingang und
schluss der Inschrift nachzuprüfen und zwar um so mehr, als auch die
Zeichnung Naues in manchen punkten gegen die lesung Söderbergs spracb.
Einer von mir an die direction der k. Staatssammlung vaterländi-
scher altertümer in Stuttgart geleiteten bitte um Vermittlung einer ge-
nügenden Photographie oder eines guttaporchaabdruckes der Inschrift,
wurde in liberalster weise durch Übersendung des Originals entsprochen,
die mich in den stand setzte die legende der platte vom 14. bis 27. januar
d. js. wiederholt mit freiem augo und mit der lupc zu prüfen und zwei
DIR INSCHRIFT DER SPANGE VON BALINUK.V 2Gl
vergrösserto pliotographischo aufnahmen (1 . 5 und 2 . 2) anfertigen zu
lassen ^
Die ergebnisse meiner wiederliolten bcobachtung bei verschiedener,
natürlicher und künstlicher beleuchtung und bei verschiedenen Stellungen
der platte habe ich in einem Schlussprotokoll zusammengefasst, dessen
text ich hierher setze.
Befund über die Inschrift der gewandspange von Balingen am
26. 1. 08 vormittags 10 uhr 15 bis 12 uhr 30; heller tag, wolkenlos,
linkes licht.
Die Inschrift läuft zwischen zwei concentrischen kreisen (3 und 4
von innen gezählt) von rechts nach links. Sie beginnt mit einem deut-
lichen «:^, dessen aufrechte hasta gegen die rechte untere ecke des
nadellagers convergiert. Die Zeichnung von Naue, Prähistor. bll. 1890
s. 35, gibt die Lagerung der haupthasta des a unrichtig an; sie ist da-
selbst zu sehr nach links abgerückt.
Die umrisse des a schimmern bei binoculärem sehen mit freiem
äuge als helle linien. Unter der lupe (lineare vergrösserung 1 . 5) ist
sowohl die haupthasta, die sich durch eine gewellte partie der platte
erstreckt, sichtbar, als insbesondere die ansatzstücke der beiden seiten-
striche deutlich. Yor dem a ist keinerlei letter zu sehen, also auch
nicht das von Stephens behauptete s. Man sieht nur einige flache Ver-
tiefungen der auch an dieser stelle gewellten platte.
Links vom a, in etwas weiterer distanz, findet sich ein vom
oberen kreise absteigender strich, der nicht ganz geradlinig verläuft,
sondern die form einer nach rechts offenen, jedoch sehr flachen curve
besitzt. Dieser strich reicht nicht ganz bis zur grundlinie, sondern
zeigt nur etwa Y^ der höhe der übrigen hasten. Rechts unten, etwas
vor dem endpunkte, steigt ein kurzer strich im spitzen Avinkel an, der
die vorher beschriebene verticaFe hasta zwar nicht genau zu treuen
scheint, sich ihr aber doch sehr stark nähert.
Links oben, nahe dem kopfpunkte dieser vorticalen hasta, der
jedoch nicht berührt wird, sondern durch ein kleines spatium getrennt
bleibt, steigt ein strich im spitzen winkel ab (von ein wenig grösserer
länge, als der unten ansteigende), der sich im weiteren als vertical
herabgeführte, in der mitte etwas nach rechts ausbauchende (flach-
geknickte!) linie fortsetzt und, vom unteien viertel an nach rechts ab-
brechend, sicii gegen die grundlinie wendet. Die configuration dieser
seitlichen linicncombination ist bei Stephens ziemlich richtig dargestellt.
1) Vou den 2 figuren s. 257 entsinicht dio liuke dor kleinereu aufnähme, währoud
die rechte eine reduction dor größeren ist.
262 V. GRIENBERGER
Beim binoculären sehen mit freiem äuge schimmert das ganze
zeichen in hellen linien und sieht an der flachen knickungssteile der
zweiten, seitlichen Knie wie unterbrochen aus.
Gegen die erste verticale des Zeichens convergiert, den unteren
seitlichen aufstrich berührend, eine von unten kommende flache furche;
eine gleiche furche schneidet, gleichfalls von unten kommend, die
beiden . verticalen linien. Beide furchen, die sich unten treffen, er-
innern mit dem einen unteren aufstriche zusammen an die gestalt eines
umgedrehten, lateinischen majuscel-A. Diese beiden furchen sind aber
zufällig und nicht litteral.
Grundstock eines runenzeichens scheint die erstbeschriebene ver-
ticale zu sein, die zusammen mit den beiden seitlichen strichen an
den enden den eindruck einer ags. ^Ä-rune 1, macht. Dieses zeichen 4^
erscheint bekanntlich auch, mit vocalisehem lautwerte i (nach Henning e)
auf den deutschen spangen von Freilaubersheim und der grösseren
Spange von Nordendorf.
Die zweite, gebrochene verticale an diesem zeichen kann man
nicht leicht als blosse zufälHge furche in der platte erklären, da sie
deutlich geritzt zu sein scheint.
Zwischen diesem ganzen zeichen und dem vorhergehendem a sehe
ich keinerlei letter, oder teil einer solchen.
Eine links vom a befindliche, einem gestreckten, lateinischen S
ähnliche, flache curve, dieselbe, die in etwas anderer configuration
Naue darzustellen scheint, ist eine furche in der platte und der von
Naue gezeichnete schräge, von links unten nach rechts oben ansteigende
querstrich, etwas über der langen mittellinie der zeile, den ich als
dunklen schatten sehe, dürfte eine Verfärbung der platte sein. Links
von der gebrochenen, bogenartigen linie steht eine kräftig markierte,
aufrechte hasta, die ein wenig über die kopfhnie emporragt. Sie trägt
links oben einen sehr deutlichen aufstrich und ebenso rechts oben,
parallel mit dem oberen seitenstriche des vorbeschriebenen Zeichens.
Der rechte aufstrich ist indessen minder sicher und könnte auch als
flache rinne in der platte erklärt werden, wiewol es auffällig wäre, dass
die länge dieser rinne auf die des seitendetails einer letter eingeschränkt
wäre. Unten links findet sich ein deutlicher geritzter abstrich, der
über die grundlinie hinausragt und vom endpunkte im spitzen winkel
abbrechend in die rechts-links ansteigende diagonale des folgenden d
übergeht, wie das Naue und Stephens ganz richtig gesehen und ab-
gebildet haben.
DIE INSCIIKIFT DKR SPANGK VON BALINGKX 2()3
IJuten rechts glaubt mtin zwischen der aufrechten hasta dieses
Zeichens und dem schrägen abstrich des vorbeschriebenen noch einen
zarten, steil angelehnten, schiefen strich zu sehen. Derselbe dürfte aber,
da er die aufrechte hasta überschrägt und sich jenseits derselben bis
zum köpfe der ersten hasta des d^ ja darüber hinaus fortsetzt, nicht
als bestandteil des buchstabens beabsichtigt sein.
Links von diesem zeichen und mit ihm in der beschriebenen art
verbunden, steht ein schönes runisches d: |Xj, dessen diagonalen die kopf-
und fusspuukte der aufrechten hasten in ganzer Spannweite verbinden.
Es folgt weiter nach links ein runisches n mit correcter, linker
Orientierung )(. Zwischen dem d und dem ii sieht man wieder eine
einem gestrecktem S ähnliche flache furche. Nach dem n findet sich
ein runisches /, dessen aufrechte hasta nicht ganz senkrecht orientiert
ist, sondern sich etwas nach links neigt: \. Der abstrich des / berührt
das dach des folgenden runischen 0:5^, ja scheint es sogar zu schneiden
und sich in den körper des 0 (obere raute!) hineinzuerstrecken (auch
von Naue und Stephens so dargestellt!). Das steile dach des 0, oben
etwas offen, ragt beiderseitig über die ansatzpunkte der beine vor. Der
kreuzungspunkt der beine liegt ungefähr in der langen mittellinie der
zeile. Das links aufstehende bein ist geschwungen, das rechte, mehr
geradlinig, überschreitet ein wenig die grundlinie.
Die raute des 0 wird von oben rechts her von einem bündel
flacher rillen, die mit dem abstriche des l parallel sind, getroffen und
gekreuzt. Der obere abstrich der folgenden rune a durchschneidet die
haupthasta etwas unter der kopflinie. Ebenso kreuzt der untere ab-
strich des a die hasta, so dass beide ein wenig nach lechts vorragen.
Die ansatzpartien der beiden abstriche sind kräftig, die unteren par-
tien etwas zarter und seichter.
Die erste hasta des folgenden runischen 7«, die sich deutlich aus
zwei aneinander gestückelten strichen zusammensetzt, überschreitet so-
wül die kopflinie als die grundlinie. Das innere kreuz ist klar und
scharf. Allerdings scheinen die beiden ansatzpartien der links- rechts
aufsteigenden diagonale niemals gezogen worden zu sein.
Es folgt eine vertical orientierte, sehr weite curve, die von oben
rechts nach unten links absteigt und im oberen teile die kopflinie
überschreitet. Sie berührt nicht die linke hasta des /«, sondern lässt
einen verhältnismässig weiten Zwischenraum, kann aber trotzdem nicht
anders, denn als seitliche curve eines mit dem m ligiert gedachten u
aufgefasst werden. Als ^-rune kann man die curve wegen ihrer ganzen
conformation nicht betrachten.
264 V. GRIENBERGER
Die aufrechte hasta der folgenden Z-rune ragt etwas über die
grundlinie und über den ansatzpunkt des seitlichen abstriches vor. Das
nächste zeichen, ein runisches u ragt gleichfalls mit beiden hasten über
die grundlinie hinaus. Die seitliche höhe (Spannweite!) der curve ist
verhältnismässig gering. Innen, von der mitte der curve nach unten
erstreckt sich ein senkrechter strich zur grundlinie und aussen findet
sich,. von ungefähr derselben höhe ausgehend, eine bis nahe zur grund-
linie herabgeführte weitere curve, so dass man den eindruck hat, als
ob in das u noch ein zweites kleineres u eingeschrieben wäre. Es ist
nicht ganz leicht sich vorzustellen, in welcher weise diese beiden über-
flüssigen striche beim schreiben des u im wege eines blossen, zwei-
maligen, graphischen fehlers zu stände gekommen seien, da die mittlere
curve in ihrem oberen und unteren teile einheitlich gezogen aussieht.
Doch ist es möglich , dass die weitere curve der ersten anläge des tt
angehöre, der innere senkrechte strich ein missglückter versuch sei,
die rune zu verschmälern und dass demnach die mittlere curve zuletzt
gezogen und als endgültige gestaltung des Zeichens anzusehen sei.
Nach dem ii folgt im oberen zeilenraume, in ziemlich larger
distanz, ein nach rechts offener haken <, der jedoch nicht im scharfen
Winkel gebildet ist, sondern mehr als sanfte curve auftritt. Kein weiterer
zu diesem haken gehöriger strich ist sichtbar; der innere punkt in dem-
selben, den Söderberg sah und den auch Naue und Stephens darstellen,
ist lediglich als Vertiefung oder Verfärbung der platte aufzufassen.
Der haken ist nicht symmetrisch ergänzt, obwol hierzu der platz
ausreichte, und eine ergänzung augenscheinlich auch gar nicht angestrebt.
Nach dem haken findet sich eine schief von links nach rechts
ansteigende, seichte rinne der platte, die weit über die kopflinie hinaus-
reicht und nicht geritzt ist, daher auch nicht als bestandteil eines buch-
stabens beansprucht werden kann. Im innersten kreise der platte
sieht man ein ganzes bündel völlig gleichgestalteter, paralleler, seichter
rillen.
Ganz nahe dem rechteckigen ausschnitte, der zur Versenkung des
fusses der fülle diente, findet sich gleichfalls eine schräge, flache noch
zartere rinne, der man so wenig wie der vorhergehenden irgendwelche
litterale bedeutung beizumessen berechtigt ist. —
Dieser befund, bei dessen abfassung jede rücksicht auf sprachliche
deutungsmöglichkeiteu auszuschliessen war, lehrt, dass dem complexe
dnlo amula drei, oder wenn das zweite zeichen eine ligatur wäre, vier
buchstaben vorausgehen und dass die Inschrift mit dem nach dem u
im oberen zeilenraume folgenden haken abgeschlossen sei.
DIK INSCHRIFT DER SPANGE VON BALINGEN 2{\h
Die sprachliche deutung der inschrift wird daran festhalten müssen,
dass zwischen den buchstaben o und a eine wortgrenze lige, doch
könnte die frage erwogen werden, dass der haken kein buchstabe,
sondern ein sclilusszeichen sei, wonach man sich mit dem complexe
amula auseinanderzusetzen hätte.
Von vornherein stritte dann die Wahrscheinlichkeit dafür, dass
man in demselben einen fem. personennamen im nom. oder dat. zu er-
blicken hätte, da das in den germ. personennamen so sehr häufige
Clement amala- doch ausserhalb derselben nicht mehr erreichbar ist.
Zweifellos ist der namedes ostgotischen königshauses der Amali aus
dem lebendigen appellativum geschöpft, das macht ja schon der voraus-
zusetzende parallelismus mit dem ein bezeugtes germ. adj. darstellenden
namen des westgotischen königshauses in der notiz bei Jordanes Get.
ed. Mommsen 64, zeile 44fg. Vesegothae famüiae BaWioruni, Ostro-
gotliae praeclaris Amalis serviebant wahrscheinlich, aber der name des
Stammheros dieses ostgotischen königshauses ^v;?«/ a quo et origo'Aiita-
lorum decurrit^ Jordanes Get. 76, 17fg., der den singular des familien-
namens darstellt, ist doch eigentlich schon kein beweis mehr für das
appellativum und ebensowenig wandal. Fridamal, Anthol. lat. ed. Riese
12 s. 257, eine pseudonymische Umdrehung von *Amalafridus, in der
sich eine deutliche beziehung auf den familienuamen, doch keine solche
für die appellativische geltung des wertes erkennen lässt; ja selbst die
namen des ostgot. königshauses wie Amala- frida, -suintha^ -hcrga, -ricns
(a. 531 — 48), Jordanes, und westgot. Amalaricus 7'ex a. 507 — 31, Mon.
germ. bist, legum Sectio 1, tom. 1, dürften eher auf der basis des familien-
namens, als auf der des ursprünglichen appellativums ihre erklärung
finden. Der Wechsel des suffixvokales ahd. Amal und A)mil charak-
terisiert das wort, von dem man annehmen kann, dass es ursprünglich
gleich Balthi ein beiwort sei, als ein solches der got. kategorie slahals,
slalmh, die von verben, secundär aber auch von Substantiven ausgeht
und mit dem begriffe der gcneigthcit zu etwas verbunden ist.
Es steht nichts dawider got. *amals, *amuls auf grund der aisl.
Wörter a))if m. 'vexation, annoyance', mod. «Ö vo^a e-m til aaia 'to
become a cause of vexation to' und a77ia, -ab 'to vex, annoy, molest',
mit dem dativ der person ci'gi skuluh per ama, Cleasby-Vigfusson, zu
construieren und eine bedeutung nach den werten, die Fritzner zum
verbum angibt: 1. 'bryde, ulejlige, forulempe', 2. 'fole, vise uvilje mod
en eller noget' in der sphäre der psychischen emotion, des ags. eorre
etwa, zu suchen.
2(j() V. GRIENBERGKU
Dieses aclj. möchte man auch für das westgerm. fordern, da die
einfachen namensformen wie langobard. Amolus, Brückner s. 228, ahd.
Ämal, Äimil, Libri confrat. doch avoI nicht aus dem got. dynastieuamen
entlehnt sein werden, während ja allerdings die westgerm. composita mit
av/al-, insoferne sie das appellativum enthalten, als urgerman. erb-
formen erklärt werden können und Weiterbildungen wie Amilo, Amulo,
Äniela., Amulunc, Libri confrat, insoweit sie blosse ouomatologische
derivate sind, für gleichzeitige lebendigkeit eines westgerm. adjectivs
amal nichts beweisen.
* Aomdu als stf. nominativ ergäbe mit dem vorhergehenden masc.
namen diiJo ein paar wie etwa auf dem steine von Berga Fino / Sali-
gastin, als stf. dativ aber eine widmungsformel wie alat. Dindia
MacoJnia fdeai dedit . . . (cista von Praeueste) und man könnte in diesem
falle raten, dass die vor dnlo stehenden runen ein verbum des schenkens
enthielten.
So naheliegend aber die auffassung des hakens als Schlusszeichen
sei und so sehr sie durch die ags. Inschrift auf der bodenplatte des
Braunschweiger kästchens empfohlen werden könnte, die am ende der
beiden, textlich identischen langzeilen gleichfalls einen gegen das
schliessende u gekehrten haken im oberen zeilenraume zeigt und so
wenig die von Söderberg getroffene Wertbestimmung des letzten Zeichens
der Balinger Inschrift als /ig durch ein zweites beispiel gestützt werden
kann, so möchte ich doch von ihr nicht abgehen, da auf dem Braun-
schweiger kästchen die nichtlitterale bedeutung des hakens, durch bei-
gesetzte ornamentale halbkreise |-j( und j^(^^ kenntlich gemacht wird,
da ich ferner ein verbum des schenkens aus den einleitenden runen
vor dnlo nicht zu gewinnen vermag und das princip gelegentlicher
sowol als typischer Vereinfachung von buchstabenformen in der runen-
schrift zur genüge bekannt ist.
Die graphische grundlage der glaublich vereinfachten ;«/-rune von
Balingen kann aber selbstverständlich nicht die im mittleren zeilenraume
situierte, geschlossene raute des bracteaten von Vadstena oder des
Steines von Opedal $ sein und noch weniger das stehende rechteck des
Steines von Kylfver, sondern nur eine aufgelöste form dieses buchstabens
und dann widerum nicht die in der horizontalen mittellinie geöffnete
form des goldenen hornos von Gallehus 0 , sondern die in der vertikalen
geöffnete und zugleich verschobene des hobeis von Vimose <>, die sich
so sehr mit der offenen jära-nine der got. und urnord. Inschriften be-
rührt. Wegen der position des einen hakens im oberen zeilenraume
und wegen der stilistisch zu fordernden symmetrischen lagerung der
DIE INSCHRIFT DEH SPANGE VON BALINGEN 2Ü7
beiden teile zur langen mittellinic der zeile muss man annehmen, dass
die vollständige form des ng im deutschen alphabete der Balinger spange
nicht die der unverschobenen, wenn auch geöffneten raute <>, sondern
mehr eine der got. und urnord. jia?'a-rune nahestehende, etwa <> gewesen
sei und dass dementsprechend die ^-rune dieses alphabetes die gerad-
linige bildung der spange von Charnay jJ und des Kragehuler lanzen-
schaftes V\ besessen haben werde, denn dass beide zeichen im alphabete
formell geschieden gewesen sein müssen, ist nicht zu bezweifeln.
Wenn nun die inschrift von Balingen nur den oberen und äusseren
teil der completen ing-rwuQ setzt, so kann das eine graphische Ver-
einfachung sein, denn dieser teil ist der charakteristischere, der zugleich
eine ergänzung der vollen form in der Vorstellung zulässt, und es wäre
diesbezüglich an das vereinfachte b der einen Pallersdorfer (Bezenyer)
spange b zu erinnern, das gleichfalls nur den einen, liier unteren bogen
des Seitendetails der vollständigen rune B zum graphischen ausdrucke
bringt, oder es kann die orthographische absieht obwalten, das im. aus-
laute stehende ng vom inlautenden zu scheiden.
Das auslautende ifg erfordert, insofern es als reine volare nasalis iJg
ohne folgendes g gesprochen wird, nur bildung des artikulationsver-
schlusses und verklingen der nasalis im verschlusse ohne folgende,
akustisch sich verratende lösung, während im inlaute, sagen wir etwa
in der genitivendung - miges sowol Verschlussbildung als Öffnung
deutlich werden, die der nasalis in dieser position weitaus mehr als
inlautendem, sich leicht zur folgenden silbe ordnendem m und )i {-umes,
'Unes wie -u-mes^ -u-nes!) den Charakter einer geminata aufprägen.
Man kann sich also denken, dass der verfertiger der inschrift oder auch
schon das ihm bekannte aiphabet der verschiedenen ausspräche des in-
lautenden und auslautenden ng durch volle und vereinfachte form der
i/TVy-rune rechnung trug.
Im sinne dieser betrachtung ergibt sich ein namenpaar d)ilo
amidung, das sich als masc. personenname mehr patronymikon 6iner
person definieren lässt.
Hinsichtlich der auflösung des mit ausgelassenen mittelvokalen ge-
schriebenen namens dnlo kann man schwerlich etwas besseres vorschlagen
als schon Söderberg gefunden hat.
Der westgot. name eines der unterfertiger der Concilsacten von
Tolet vom jähre 693 Danila comrs subscripsi , Mon. Oerm. bist, leguni
Sectio 1, tomus 1, Hannoverae 1902, 486,35 muss westgerm. *'I)anilo
lauten und ich möchte von der vocalisierung des complexes dnlo mit a
schon deshalb nicht abgehen, weil die kürzung mit rücksicht auf den
2(j8 V. (tRienbergeu
rimennamen des d : got. daax^ an. dagr, ags. dreg, ahd. lac getroffen sein
kann. Dem entsprechend sind andere vocalisierungen wie etwa ''D/niilo
nach westgot. Dunila conc. Tolet. 638 — 53, oder '^Dinilo nach Ditia
fem. 9 Po!. R., Dinane abl. Pardessus a. 711, wenn auch an sich möglich,
so doch minder empfohlen.
Auch gegen den ansatz von i in der suffixsilbe wird sich füglich
nichts einwenden lassen. Der vocal der schwachen deminutiva mit l-
suffis wird sicherlich ursprünglich vom themavocal bestimmt, wie got.
inagula neben magus lehrt, aber harnilo zeigt nicht das thematische a
des neutrunis baru sondern hellvocal, der aus den 2"-stämmen bezogen
sein oder vielleicht auch auf dem mit ä ablautenden e der a-reihe
beruhen kann. Dieser typus der deminutivbildung von barnilo, ma-
tvilo, Merila ist in den personennamen vorzugsweise productiv, und
es muss daher *Dcniilo um so mehr erwartet werden, als das zu gründe
liegende primitiv an. Danr, westgerm. *Dcmi ein /-stamm ist. Auch
Synkope des mittelvocales wie in westfränk. Wanla fem. 9 Pol. R., got.
FrithJa masc. P. VIU, 23, ahd. Eblo P. XYI, 487, urnord. Oula, Fösla,
an. Atle ist als spätere erscheinung für die spangeninschrift von Balingen
auszuschliessen.
In ahd. zeit müsste der name im einklange mit Halbtene Libri con-
frat, mhd. ein Tene, pl. die Tene umlaut besitzen und nach analogie
der ahd. deminutiva Epilo^ Etxilo, Nendilo, üuenilo als *Temlo auf-
treten. Bei Synkope des suffixvocales ergäbe sich *Tenlo, neualem.
*Tenle, was sich den als familiennamen bewahrten deminutiven namen
Eble, Elxle angliederte. Doch scheint es mir auch nicht ausgeschlossen,
dass der in Libri confrat. mehrmals begegnende, auch im Wirt. Urkunden-
buch^ VI, 497 zum jähre ca. 803 — 17 bezeugte name Tcllo mittels
assimilation von nl in II auf *Temlo zurückgehe.
Ob die deminutivform *DaniIa aus einfachem *I)ani oder aus einem
compositum mit diesem elemente im zweiten teile stamme, könnte wol
gefragt, aber schwerlich beantwortet werden, wie es ja auch nicht zu
entscheiden ist, ob das patronymikon A))ndung von einem einfachen
Anml, oder einem zusammengesetzten vollnamen mit diesem worte im
ersten teile ausgehe. Auch darüber, ob Ämulung patronymikon im
engeren sinne, d. h. vom Vatersnamen des *Danilo aus gebildet sei, oder
schon familienname, der an einen älteren ascendenten anknüpft, wird
man sich der endgiltigen ontscheidung enthalten müssen.
Die streng patronymische function der m^-ableitungen tritt uns
in der gencalogie des königs ^Epelwulf entgegen , der in der Parkerhs. der
1) Stuttgart 1849 fg.
DIE INSCHRIFT DER SPANGE VON BALINGEN 269
Chronik (hg. v. Earle) zum jähre 855 durch inclusive 32 vorfahren auf
Itermon Hräjwaing und durch inclusive 10 weitere vorfahren der
ascendenz Noe's auf Adam zurückgefüiirt wird, so dass, da wir den
vatcr Itermons: "^Hräpra als söhn Noe's aufzufassen haben, die ge-
samtzahl der vorfahren JEpelwulfs einschliesslich Adam 43 beträgt. In
der german. reihe dieses Stammbaumes geht die patronymische bildung
mit hig durch: Ond se jEpcliculf ivces Ecgbrehting , Ecghnjlit Ealh-
munding, Ealhmmid Eafuig^ nur bei Ingild unterbrochen, für den zu-
sammen mit seinem bruder lue der ausdruck Cenredes suna, nicht
*Ce)iredingas gewählt ist. Ebenso finden wir rein patronymische Wir-
kung bei dem namen des Friesenkönigs Ein Folcwahling WidsiÖ 27,
der Beow. 1089 Folcivaldan sunu heisst, so wie in der benennung der
söhne des Goatenkönigs Hrchcl : Higcldc Hrcpling und Hcedcen Hrep-
ling Beow. 1923, 2925, aber ebenda 1792 wird der Dänenkönig Hröhgdr,
söhn des Healfdcnc, möglicherweise nach seinem urgrossvater Scgld
Scefing, sicherer aber aus dem namen der familie der Scyldingas als
gamela Scgldhtg bezeichnet, woraus sich ergibt, dass die combination
dnlo amulung im zweiten gliede auch den namen der sippe enthalten
kann. Das namenpaar der Baliuger spange fände in diesem sinne be-
trachtet erwünschte bestätigung aus den Annales Quedlinburgonses
P. Y 31, wo es in analoger weise, vom Ostgotenkönige heisst Amulung
Theoderic dicitur, j^roarifs suks Amal vocahatur. Der singular von
Balingen ist in diesem falle, den ich für wahrscheinlich erachte, aus
dem plural einer familie '* Ainidungos geschöpft, der sich den als Orts-
namen fortlebenden sippennameu curiis meus Diiringas 'Tlieuringeu',
in Chisincas, in villa Ailingas, acl/iin Heiingas 'Ailingen', in Stio-
xaringas 'Alt-Steusslingen', et Cocalingas . . . similiter Sechingas, Fagi-
mduincas, Wirtemberg. Urkundenbuch I aus den jähren 752 — 777
anschliesst. Als sippen bezeugt sind ausser den Helmingas, HrepUngas,
Scyldlngns^ Wagmundingas ^ Wglfingas des Beow. u. a. die bair. Hähi-
linga der Lex Baiuuarior., sowie die langobard. Gugingüs in der ein-
leitung des edictum Hrotharit, denn die pluralische natur dieser form
in der angäbe fnit j)rimus rex Agilmund ex genere Gugingüs wird durch
die german. plurale in den folgenden ausätzen der königsreihe quarhis-
decimus Agilulf Turingus ex genere Anauuas und sejjtimusdccimns
ego in Bei nomine qui supra Hrotharit rex, filius Nandinig^, ex genere
Harodos erhärtet, ihre jedesfalls nicht im engeren sinne patronymische
1) Die Origo gent. Langob. bietet bierfür Kanding und Nundincjns, aber die
lesarten des Edictum nandinig und nandoin neben nandig und nandinging dürften
eher einen vollnamon ^Nandinig empfohlen.
270 V. GRIENBERGER
beschaffenheit aus dem durchaus anders klingenden namen des vaters
in Origo gent. Langob. regem nomine Agilmund, filium Agio, ex genere
Gugingus erwiesen. Die nomiuative der familiennamen genits Gugingüs
mit lat. -ils = -ös, geiius Anauua.s mit langobard. -as und genus Haro-
dos^ vermutlich gleichfalls mit langobard. flexion -os au stelle des späteren
-as stehen im lateinischen in der art eines indeclinablen citates, an
dessen stelle wir in correctem latein den genitiv ^genns Ougingorum^
in langobard. fassung *cuni Ougingo erwarten müssten, wobei auf die
ags. bindung *cyn Wcegmimdinga , die sich aus Beow. 2813 — 14: Jm
eart cndeldf iisses cynnes Wccgmundinga ergibt, verwiesen werden mag.
Daran knüpfen sich die genitivischen familiennamen Beoividf Scyldinga,
Hncef Scyldinga Beow. 53, 1069, die doch für das namenpaar von
Balingen ausser spiel bleiben, da hinter Amtdung kein als genitivflexion
deutbarer vocal steht.
Als Personenname mit wechselndem mittelvocal a, e, u ist Amu-
lung in späteren quellen mannigfach bezeugt, darunter in völlig ein-
stimmender form, d. h. mit mittlerem u und auslaut g im UOE, II,
124 z. j. 1103, latein. flectiert eundem Amalungo z. j. 970 — 73 in P.
VIII, 624 Annalista Saxo, mit auslautendem c:Amahmc in Libri con-
frat. II 502, 23. Als possessivischer genitiv erscheint der einzelname
in der ortsbe7aQiG]inung Ämcdimgesdorjjf in Thüringen z. j. 947, Wenck,
hess. landesgesch. III Urkunde nr. 30, der pluralische familienname ist
in dem schweizerischen Ortsnamen Amlikon, kanton Thurgau, Necrol.
Germ. tom. 1, 671, fixiert.
Ob es in der Umgebung von BaUngen, in alter form Balginga^
Wirtembg. urk. VI öfter, mitten unter den zahlreichen suebisch-alemann.
Sippensiedlungen auf -ingen jemals einen örtlichen niederschlag der
familie ^'Amidungos gegeben habe, konnte ich nicht feststellen; aber
ihre engere Stammeszugehörigkeit dürfte sich ausmachen lassen, da wir
die familie zeitlich vom 5. jh. her proicieren dürfen und die örtliche
läge von Balingen am fusse des Heuberges, nahe der hohenzollerschen
grenze, im württembergischen schwarzwaldkreise, jenes gebiet betrifft,
worin nach den von Zeuss, Die Deutschen 1. 312 — 15, gesammelten
nachrichten der alten geschichtschreiber und Chronisten von der mitte
des 4. jhs. an, wahrscheinlich aber schon unter kaiser Probus 276 — 282,
die Jnthfmgen wohnten, deren name nach dem jähre 430, da sie von
Aetius entscheidend niedergeworfen worden, nicht mehr besonders ge-
nannt wird.
Dieser stamm, den Ammianus Marcellinus 17, 6 z. j. 358: Jiithungi,
Alamannorum pars, Italicis conter)ninans traciibus . . . Raetias . . . vasta-
DIE INSCHRIFT DER SPANGE VOX BALINGEN 271
baut in den neuen westlichen sitzen an der seite der Alemannen kennt,
hat etwa 100 jähre früher weiter östlich, am nordufer der Donau, ent-
sprechend dem heutigen Niederüsterreich gesessen, denn die um 250
zu datierende römische Weltkarte (Tabula Peutingeriana) verzeichnet da-
selbst von Äd ponie hes bis Vhidohona die volksstämme QVADI und
IVTVGI durcheinandergeschrieben, doch in einer graphischen dar-
steliung, die keinen zweifei darüber lässt, dass die Juthungen unmittel-
bar am ufer, die Quaden aber in ihrem rücken wohnten. Combinieren
wir die von Zeuss s. 315 hervorgehobene tatsache, dass nach dem jähre
430 das den Alemannen verbündete volk nicht mehr Juthimgi, sondern
Suevi, Siiavi heisst, mit dem ethnologischen merkmal, das uns der bei-
name der '^ matres Suebae Eutlmngae eines Kölner matronensteines ^ an
die band gibt, so ist der schluss sehr einfach, dass die Juthungen ein
dem suevischen verbände augehöriges volk gewesen sein müssen, deren
ursitze irgendwo im bereiche der alten, nördlichen heimat der Sueven
an der unteren Elbe und Oder gesucht werden müssen In diesen
breiten muss denn auch der volksname *Dani-, dessen entstehung
nach Noreen^ in den beginn des 1. jhs. u. z. hinaufreicht, von den
Sueven wie von den Goten, in ihren namensschatz aufgenommen wor-
den sein.
Was die runen vor dem namenpaare betrifft, habe ich auf grund
meiner vom 14. bis 27. januar d. js. widerholten, bei zerstreutem tages-
licht, bei directer sonnenbeleuchtung, bei künstlichem lichte (glühlarape),
mit freiem äuge und mit der lupe angestellten beobachtungen zusammen-
fassend das gesehen, was in meinem Schlussprotokoll vom 26. jan. nieder-
gelegt ist und was auch im wesentlichen die beiden Photographien, i. b.
die stärker vergrösserte zeigen. Ich konnte nur drei buchstaben fest-
stellen, von denen der erste ein sicheres a c\ ist, der zweite einer,
nicht ganz bis zur grundlinie geführten Ih-iunQ \, gleicht, der dritte
sich seinem aussehen nach jener rune nähert, die im alphabete der
Spange von Charnay den platz der urnord. yr-rune: Vadstena Yj ^Y^-
fver X. einnimmt und mit ihrem doppelten seitendctail ^ als symme-
trische Vereinigung der beiden urnord. typen erscheint.
1) Veröff. Rhein. Mus. 45, G39: der name Euthimgabus ist angeblich zu beginn
nicht intakt, wie denn in der inschrift [MATJIilBVS - SVEBIS j EVTIIVN-
GABVS I [IJVLIVS " SECVNDVfS] / [IJVLI - PniLTATI - LIB /
[V] ^ S ^ L ^ M die zeilenaufänge von 1, vermutlich eine ligatur tnat, 3 und 4,
je ein /, 5 V ergänzt werden müssen. Aber die zweite zeile kann eingerückt sein
und falls sie es nicht wäre, wie 3 und 4 mit einem /begonnen haben, so da.ss wir
hier für den v. n. die form * Jeuthungi gewännen.
2) Vitra fäderneslaud.s namn : 'Nurdcn 1902' s. 83.
272 V. GRIENBERGER
Das urteil über die Sicherheit des rechten, oberen abstriches an
dieser letter schwankte, noch mehr das über den rechten unteren,
von dem ich am 26. die raeinung gewann, dass er, wenn überhaupt
vorhanden, so doch nicht litteral sei. Dieses schwanken, das ich an
mir selbst erfahren habe, drückt sich auch ganz genau in der wider-
gabe der rune bei Naue, Söderberg, Stephens aus, von denen der erste
beide oberen gabelstriche sowie den linken unteren sah, der zweite von
rechten gabelstrichen überhaupt nichts bemerkte, ganz so wie ich am
14. bloss bie beiden linken ^ gesehen hatte, der dritte zwei untere
gabeistriche, aber keine oberen anerkennen wollte.
Beirrt wird das urteil i. b. durch den vom oberen abstriche des \
zur basis herabgeführten und im unteren drittel nach rechts umge-
knickten strich, der keine selbständige rune sein kann und auch als
ligatur mit dem t- nicht verständlich wird. Ich bin zu der ansieht ge-
kommen, dass dieser strich, den ich weder als spätere Verletzung, noch
als besonderes litterales dement, noch als trennungszeichen zu erklären
vermag, zwar geritzt aber nicht correct sei; ich halte es für möglich,
dass der runenschreiber zuerst die absieht hatte die ^7^-rune 1» niit dem
folgenden zeichen Y zu ligieren, dass also der senkrechte teil des Striches
als die zwischen den beiden ansatzpunkten der gabeln gelegene hasten-
partie dieser rune und der nach rechts umgeknickte als rechter, unterer
abstrich derselben vermeint war. Gründe, i. b. der graphischen deut-
lichkeit konnten den Schreiber bestimmt haben, es bei dem versuche
einer ligatur bewenden zu lassen und für die beabsichtigte rune X ^^
neuer hasta einzusetzen, wobei er zugleich die möglichkeit hatte, den
einmal gezogenen, auf die grundlinie schief einfallenden teil als rechten,
unteren abstrich gelten zu lassen.
Denkbar allerdings wäre es auch, dass die in rede stehende dritte
rune der inschrift mit bandartig verbreiterter haupthasta beabsichtigt
war. Ähnliche erscheinungen der graphischen Stilistik sind ja hinreichend
bekannt. So besitzt die inschrift des beingerätes von Liudholm durch-
weg bandartig verbreiterte lottern, deren haupthasten wie seitenbalken
sich aus je 3 parallelen strichen zusammensetzen; so wechselt die in-
schrift des lanzenschaftes von Kragelml mit bandartig verbreiterten, aus
3 bis 4 parallelstrichen bestehenden und einfach linearen elementeni und
bildet die einzelnen runen entweder durchaus verbreitert, oder durchaus
einfach linear, oder mit verbreiterten haupthasten und einfachem seiten-
detail; so waren auf dem goldenen hörne von Gallehus die ersten vier
Wörter mit bandartigen, das schliessende verbum iawiäo mit einfach
1) Hierzu auuh die inschrift des Stäbchens von Britsum oben s. 174.
DIE INSCrraiFT DER SPANOE VON BALINGEN 273
linearen zeichen dargestellt, so wechselt auch die von Magnus Olsen ^
veröffentlichte inschrift von Maeshowo nr. 22 mit einfach linearen und
bandartig verbreiterten runen.
Man hätte dann in dem falle von Balingen eine form ^j[ zu
postulieren, die aber doch durch die erkennbaren linien der inschrift
nicht zur vollen Überzeugung bewahrheitet wird und gegen die man
ja auch einwenden kann, dass sie in ihrer Umgebung ganz vereinzelt
stünde, während bei den angeführten beispielen das stilprincip der
bandartigen Verbreiterung entweder überhaupt bei allen lettern durch-
geführt ist, oder doch wenigstens durch mehrfachen Wechsel mit ein-
fach linearen zeichen beglaubigt wird.
Dagegen lässt sich die annähme einer beabsichtigten ligatur aus
der tatsächlichen ligatur mu^ aus der unteren Verbindung der rune ^
mit dem folgenden M. aus der oberen ineinanderschreibung von l und o
bekräftigen und die mangelnde correctheit mit der flüchtigkeit zu-
sammenbringen, die sich auch in der bildung der ersten hasta des ni
aus zwei aneinandergestückelten strichen, in dem offenbleiben der liga-
tur mu am kopfpunkte, in der doppelten besserung der curve am
zweiten ii zu erkennen gibt.
Die ganze zeile hat keineswegs die ruhe und peinliche Sauberkeit
einer sorgfältig vorbereiteten inschrift, sondern zeigt die merkraale
cursiver flüchtigkeit und legt vermöge ihrer merkwürdigen mischung
von eleganz und nachlässigkeit, von sicherer Schriftbeherrschung und
sorgloser ausführung den gedanken nahe, dass sie nicht von dem auf
bestellung arbeitenden goldschmied gemacht, sondern von dem besitzer
der Spange eingeritzt, d. h. ein runisches autogramm sei.
Von bedeutung für den skizzierten, allgemeinen Charakter der
inschrift ist m. e. die allerdings sehr viel spätere eines silbernen arra-
ringes von Senjen^, nicht nur wegen der gleichheit des materials,
sondern auch wegen ihrer flüchtigkeit, die sich ganz ähnlich in der
auslassung eines m mit folgendem versuche der correctur, in nach-
träglicher einzwängung eines aus zwei strichen zusammengestückelten
i, in der correctur der conjunktion in {en) zu auk ausdrückt und den
gleichen schluss erlaubt, dass sie nicht vom verfertiger des ringes,
sondern von einem späteren besitzer gelegentlich eingegraben sei.
Zwischen dem a des eingangs und der glaublichen //A-rune, die
ich einfach mit i translitterieren will, ohne mich eines der von Bugge
1) Trc orknesko runeindskrifter. Christiania 1903.
2) Noiges Indskrifter med de yngre Runor IT iidj,Mvne af S. Bugge og M. Ols^n.
Kristiania 190G.
ZEITSCHRIFT F. DEÜTSCHK PHILOI.OOIE. BD. XL. 18
274 V. GRDENBERGER
für sie verwandten zeichen e oder i zu bedienen, konnte ich keinen
buchstaben entdecken, obwol die distanz so weit erscheint, dass man
in ihr nach einer letter sucht. Diese distanz beträgt nach der grösseren
Photographie gemessen 5 mm oberer weite, während die distanzen der
übrigen hastenköpfe sich zwischen 3 und 4 mm bewegen. Aber 5 mm
ist doch auch die distanz vom köpfe des o zu dem des folgenden a
und ebensoviel beträgt die obere weite des d. Ausserdem, wird die
distanz der beiden zeichen in der mittellinie durch die gegeneinander
gekehrten seitenstriche wesentlich eingeschränkt, nach den massen der
grösseren Photographie auf etwa 3 mm, so dass in ihr selbst eine ein-
stabige rune, die man aber doch nicht wahrnimmt, ausser Verhältnis
zu den übrigen buchstabeudistanzea der Inschrift stünde.
Man erwartet vor dem namenpaare ein verbum des besitzens.
Der zuständige ausdruck hierfür ist urnord. aih 1. und 3. sing, und
2. imperat. des bekannten praeterito- praesens, später monophthongiert
und so auch ags. dh^ got. aih und aig , inf. aigan^ ahd. optat. egi in
shegili guot Georgslied. Dieses verbum: spange von Fonnäs aih^ auf
dem bracteaten 55 von Magiemose mit dem persönl. pronomen ver-
bunden Äihek^ auf dem bracteaten 17 anscheinend mit diesem lautlich
verschmolzen und so wie in der Balinger Inschrift mit ih -rwwQ ge-
schrieben ^'l.Y cLE^^i ^^^g^i Bidrag 1906 s. 88 (228), führt auf unsere
Inschrift angewendet zu dem Schlüsse, dass die rune ^ hier sowie im
alphabete der spange von Charnay, wo sie den platz des nord. yr ein-
nimmt, als Spirant der palatalen-velaren artikulationslinie zu verstehen
sei. Im falle von Balingen können wir wegen des vorhergehenden /
auf palatale qualität % raten, für das fupark von Charnay werden wir
besser tun im allgemeinen den lautwert x, velar und palatal, anzu-
nehmen.
Die Balinger spange scheint mir den runologisch bedeutsamen
beweis zu liefern, dass dieselbe rune Y, /k, die in den nord. Inschriften
den lautwert des geschichtlich aus german. tönendem x entwickelten r
vertritt, in den deutschen Inschriften weder diesen noch den voraus-
liegenden wert besitzt, sondern zur bezeichnung jener spirans dient,
die sonst sowohl in der runenschrift als in den historischen Ortho-
graphien der germ. dialekte mit dem eigentlichen zeichen des reinen
hauchlautes h H, ausgedrückt wurde.
Der gesamttext unserer Inschrift *aih d[a]n[i]lo Amidung '[dies]
besitze [ich] Danilo [der] Amulung' ist eine eigentumsmarke und ver-
mutlich ein autogramm des eigners, der sicherlich ein vornehmer mann,
suebisch-juthungischen Stammes war. Dass die zeit der Inschrift mit
DIE INSCIIHIFT DER SPANGE VON BALINGEN 275
der der anfertignng der spange nicht notwendig identisch sein müsse,
braucht nicht besonders betont zu werden. Sie kann sicherlich auch
jünger sein, doch wage ich nicht zu entscheiden, ob man mit der
datierung etwa noch in das erste viertel des 7. jhs. heraufzugehen be-
rechtigt sei.
Wie gewandspaugen getragen wurden zeigt die von Lindenschmit
reproducierte abbildung aus dem Halberstädtischen diptychon^: Die
bügeiförmigen spangen ruhen auf der herald, rechten schulter der drei
dargestellten mäuner und verbinden den über die schulter geschlagenen
rückeuteil mit dem Vorderteile eines die volle figur deckenden, weiten,
ärmellosen mantels, unter dem man rechts den mit ärmel versehenen
leibrock sieht, während der linke arm vollständig gedeckt und unfrei
ist. Auf dem bilde des bracteaten 28 von Overhornböeck findet sich
eine kreuzförmige spange unterhalb des kinnes, auf dem von Broholm,
Fünen nr. 1, eine scheibenförmige im winkel der herald, linken schulter
zum halse, ebenso auf dem bracteaten 4 von Bohuslän; zwei scheiben-
förmige spangen rechts und links der halsgrube, beziehungsweise auf
dem rechten und linken Schlüsselbeine aufruhend, zeigt der bracteat 90
von Gettorf 2. Die Inschrift der Balinger nadelscheibe ist auf den fertigen
gegenständ gesetzt; sie ist in das vom dritten und vierten koncentrischen
kreise begrenzte ringband der rückenplatte eingetragen. Aber eine In-
schrift aufzunehmen ist keineswegs der eigentliche zweck dieser kreise,
die vom goldschmied gezogen w^urden, bevor er die vier nietlöcher
und das schmale rechteck für den fuss des Widerlagers der nadel
ausschnitt und bevor er das nadellager auflötete, denn es zeigt sich
ganz deutlich, dass sie zur Orientierung dieser kleinarbeiten an der
silbernen unterplatte der spange dienten und in ihrem Interesse ent-
worfen sind.
Die beiden seitlichen nietlöcher sind am vierten kreise von innen
gerechnet angebracht; das rechte tangiert den kreis, das linke wird von
ihm halbiert. Das obere nietloch scheint den vierten kreis von innen
zu berühren, das untere steht in der mitte zwischen dem vierten und
fünften. Das nadellager ist auf eine wagrechte, obere sekante von
geringer Spannweite des zweiten kreises aufgesetzt. Es besteht aus zwei
aufgelöteten laschen aus dem metall der platte, zwischen die die feder
der nadel verklemmt wurde. Sie ist noch heute als massiver, zusammen-
gebackener eisenrostklumpon vorhanden. Der schmale, rechteckige aus-
1) Handbuch der deutschen altertum.skuDde. I. Braunschweig 1880 — 89, s. -126.
2) Stei-liL-MS, Run. Mon. II, 540. 519. .521; HI, 258.
18*
276
KAUFFMANN
schnitt für den heute alisgebrochenen fuss des Widerlagers erstreckt sich
vom zweiten inneren kreise bis nalie an den vierten in der richtung
des unteren nietloches. Nach der Stellung des ausschnittes zum nadel-
lager darf man annehmen, dass die nadel von der mitte der Spiralfeder
ausgieng, um in das Widerlager einzuspielen, ganz so wie auf der von
Lindenschmit 1, 439 abgebildeten kentischen goldfibel.
Der mittelpunkt aller kreise, in dem der eine Schenkel des zirkeis
fusste, ist noch deutlich sichtbar. Die aus zwei stücken zusammen-
gesetzte besserung des oberen ausbruches ist offenbar mit den original-
fragmenten gemacht, an der reversseite mit gelber kittmasse und einer
bunten scherbe unterlegt. Im übrigen zeigt die gegen den aus gold
gearbeiteten Vorderteil der brosche gekehrte reversseite eine dicke schiebt
braunroter, harter, teigartig aussehender masse.
CZERNOWITZ. V. GRIENBERGER.
HÜNEN
Für ihre nachbarn haben die deutschen stamme volkstümliche
namen gebraucht. So heissen in ihrem mund die an der deutschen
ostgrenze ansässigen Lituslaven seit alters Wenden (Zeuss, Die Deutschen
und die nachbarstämme s. 67). Die an der südgrenze und an der west-
grenze neben ihnen siedelnden Keltenvölker nannten die Germanen der
urzeit *Walhös (< Volcae Müllenhoff, Deutsche altertumskunde 2, 279fgg.).
Es ist darum keine müssige frage, ob denn die alten Deutschen für
die — hier friedlich, dort feindlich — so nahe mit ihnen verbundenen
Römer einen heimischen und volkstümlichen namen nicht geprägt
haben sollten?
Diese frage ist nicht bloss zu bejahen, sondern auch positiv dahin
zu beantworten, dass die Römer in den ersten Jahrhunderten christ-
licher Zeitrechnung von unsern vorfahren IMni (> Hüner, Hünen) ge-
nannt worden sind.
Unsere frage ist längst gestellt und bejaht, aber in anderem sinn
beantwortet worden. Zeuss (a. a. o. s. 68) hielt Walaha für die den
Deutschen eigene benennung „der Römer und ihrer untergebenen."
Müllenhoff erklärte zwar (a. a. o. s. 282), die Germanen hätten die
Gallier oder Kelten insgesamt „Walche" benannt, fasste aber (a. a. o
HÜNEN 277
s. 279) seine totalansicht in den satz zusammen: „der Germane begriff
unter Walh plur. Walhäs oder Walhos ehedem alle seine lateinisch oder
romanisch und keltisch redenden süd- und westnachbaren." Plausibler
ist die ausdrucksweise Bremers (Pauls Grundriss S'K 779): „nach den
Volcnc haben die Germanen alle Kelten und nachmals alle Romanen
Walchen > Wälsche genannt." Noch schärfer betont die zeitstufen, die
wir im Sprachgebrauch sondern müssen, R. Much, wenn er in der
zweiten verbesserten aufläge seiner trefflichen Deutschen Stammeskunde
(s. 57) sagt, der name Walha (anord. Valir, ags. Wealas) bezeichnete ur-
sprünglich „die gesamtheit der Kelten, dann die romanisierten Kelten,
schliesslich auch die Romanen selbst."
Indem ich dieser formulierung beipflichte, betone ich, dass hier
von den Romanen^ aber nicht von den alten Römern die rede ist
und folglich die frage offen bleibt, welches der altheimische name gerade
für sie gewesen sein möchte.
Bei den Goten wissen wir bescheid, haben sie doch das fremdwort
nationalisiert (Ruma, Rnntoiieis). Als occasionelle erscheinung mag
dies auch in Deutschland vorgekommen sein; eine form wie Rinnan^
ist aber nicht usuell geworden, vielmehr ist das fremdwort in der doppel-
form Romcnius - Romarius (> Roman, Römer '■^) in umlauf gelangt.
Schon in der Karolingerzeit ist für die Romanen d. h. die roma-
nisierten Kelten und die verwelschten Römer der name Walha gebraucht
worden (Romani: uiinlha, in Romana: in imnlhiim Ahd. gl. 3, 13, 3. 8).
Die geschichte dieses wortes lehrt, dass es im altertum von den Kelten
ausgegangen und den Kelten vorbehalten war. Ags. Wealas bezieht sich
denn auch auf die keltischen Walliser.
Keltische, genauer gesprochen , belgische, gallische und helvetische
siedelungen sind nun aber auch in den von den westdeutschen und
süddeutschen Völkern occupierten landschaften unter den fränkischen
und alemannischen ansiedlern aufgegangen. Für Südwestdeutschland
ist dies jüngst namentlich von E. Fabricius (Die besitznahme Badens
durch die Römer, 1905) bewiesen worden. Urkundliche belege liefern
uns in erster linie die mit ivalh gebildeten orts- und personennamen.
Unter den letzteren ist Walk, Wal hin., Walhisc die Übersetzung von
Galliis, Gallira, Galliens (Socin, Namenbuch s. 554. 556. 216. 224fg.
1) Romani: Waleha Ahd. gl. 3, 131,8 (== ags. Wealas).
2) A. Socin, Mittelhochdeutsches namenbuch s. 79. 160. 214. Auch im ags.
ist Rum- neben Rom- belegt, wie im anord. Rüm neben Rom,
3) Socin a.a.O. s. 555. Ahd. gl. 2, 20C, 16 u. a.
278 KAUFFMANN
634). In unserem Zusammenhang sind die namen Adalicalh , Ercanivalh
einerseits und Halbwalh andererseits von hervorragender bedeutung, da
sie den gegensatz deutscher und gallischer nationaiität klar zum aus-
druok bringen und doch auch die tatsache der Völkermischung nicht
verkennen lassen. In welcher ausdehnung Germanen ihr blut mit Galliern
(Kelten) im verlauf der völkervs^anderung vermischt haben, ersehen wir aus
der lehrreichen Zusammenstellung der specialfälle eines Halhivalah bei
Socin (a. a. o. s. 215): während Adalwalh und Ercamvalh die reine, durch
connubium nicht gestörte gallische abstammung betonen, ist Suäbalah
halbschlächtig und bezeichnet einen Schwaben, dem gallisches blut in
den ädern fliesst usw.
Für die Ortsnamen genügt es, hier einen typischen fall zu be-
sprechen. Am mittleren Neckar lag bei der Enzmündung ein römisches
kastell. Rings umher gehörte alles land dem römischen kaiser und
wurde als kaiserliche domäne verwaltet. Auf diesen agri decumates
waren Gallier als kolonen angesessen (Tacitus, Germania c. 29). Es
waren vornehmlich die reste der helvetischen Urbevölkerung; wir kennen
zum beispiel Boier in Marbach (CIL XlII, 2 nr. 6448). In nächster nähe
von ihnen wurde jenes kastell errichtet, dessen name Wahlheim (früher
Walahheim) etwa so viel als 'Gallierdorf' bedeutet^. Die bewohner
dieses dorfes sind offenbar Walhen (Kelten) gewesen, als es in den besitz-
stand der das Neckartal kolonisierenden Germanen einbezogen wurde.
Das kastell (Der obergermanisch -raetische limes, lief. VIII nr. 57) war
also mit der zeit zu einem Gallierdorf und später zu einem deutschen
dorf ausgewachsen. In seiner anläge ist Wahlheim noch heutigen tages
ganz und gar durch die topographie des römischen lagers bedingt. Die
heutige 'haupt Strasse' hat (wie in Okarben) ihren namen von der via
pri?icipaUs des kastells, wie sie denn auch in ihrer richtung durch
diese hauptstrasse des kastells bestimmt worden ist; die senkrecht zu
der hauptstrasse verlaufende dorfstrasse ist zu nicht unwesentlichen
teilen die alte via praetoria. So ist das kartenbild dieses alten dorfes
eines der anschaulichsten beispiele für die noch nicht genügend ge-
würdigte tatsache, dass die geschichte der deutschen 'stadt' von den
römischen kastellen und lagerdörfern auszugehen hat.
Der allgemeine deutsche name für ein römisches (mit mauern um-
gebenes, von Strassen durchzogenes) kastell ist denn auch unser -hurg'^.
1) Vgl. Walahheim, Walahdorf, Walahon, TFrt7a/<as<a< u. a. bei Forst em an n
(Ortsnamen). — nux gallica > walntiss (Hoops, Waldbäume s. 577).
2) Soweit nicht castellum zu Kastei, Kassel, Kessel geworden ist; vgl. z. b.
den gerade in unserem Zusammenhang höchst bezeichnenden Ortsnamen Kesselstadt
HÜNKN 279
Dieser terminiis ist als benennung der deutschen städte (ursprüng-
lich: befestigter lagerstcädte) massgebend geworden; allein schon ihre
Stadtviertel, ihre quartiere verraten es, dass sie aus dem römischen
kastell mit seinen durch die beiden hauptstrassenzüge bestimmten
4 vierteln erwuchsen. Noch führen die kastelle das wort Jmrg im namen:
ich erinnere an Regensburg (eastra Regina), Haselburg (Limesblatt 145),
Arnsburg, Kapersburg, Saalburg. Ein sehr schönes beispiel besitzen
wir an dem paar Obernburg und Niodernburg {tan/ hie locus quam ille ex
casiello romaiio uominaius CIL XIII, 2, 286). Die 'hauptstrasse' von
Obernburg ist die via principalis des kastells, die 'badgasse' die via
praetoria (ORL lief. XVIII nr. 85 s. 10). Die dorfmauer von Niedern-
burg (flect. -barg > -bcrg) steht zum teil auf der kastellmauer, auch hier
folgt die 'hauptstrasse' der römischen via principalis , 'Kirchgasse' und
'Schulgasse' entsprechen der via praetot^ia (ORL lief. III nr. 84). Auch
der plan des dorfes Krotzenburg ist der raumdisposition des römischen
kastells analog, die kastellmauer ist zum teil als kirchhofsraauer er-
halten, die 'Kirchgasse' ist = via jrrincipalis, die 'Breitegasse'- un-
gefähr = via 2»'oetoria (ORL lief. XX nr. 23, s. 3)^
Sehr verbreitet ist der volkstümliche name Alteburg für ein
römisches kastell. Der älteste, mir bekannt gewordene beleg gehört
dem jähr 1178 an (Korrespondenzblatt des gesamtvereins der deutschen
geschichtsvereine 1856, 121. 123fg.). Ich erwähne das Kölner kastell
Alteburg: auch das kastell Niederberg (bei Ehrenbreitstein) heisst Alte-
burg (ORL lief. XII nr. 2"); kastell Holzhausen lebt im volksmund als
Alteburg (ORL lief. XXII nr. 6), Heftrich heisst Alteburg (ORL. lief. XXIH
nr. 9) ebenso Zugmantel ('auf der Alteburg') und Walldürn (ORL lief. XXI
nr. 39); in Buch nennt maus Alte bürg (ORL lief. X nr. 67); zum schluss
sei erwähnt, dass auch das kastell von Cannstadt nahe bei dem heutigen
(bei Hanau): qitl vieiis casiello superstructus est ab eoquc nomen accepit (CUjI^UI^
2, 421). Die 'Wilhelmstrasse' entspricht der via praetoria ORL lief . X nr. 24 s. 4. —
Auch der name herberg ei'scheint als Verdeutschung von lat. castellum z. b. in Urspring
ORL lief. XXIV nr. 60» s. 3. — Auf den uamen 'die Weil' (< villa) kann hier auch
nicht weiter eingegangen werden; ich bemerke nur- noch, dass aus bürg neuerdings
schloss geworden ist, vgl. z. b. ORL lief. XIII nr. 46 s. 11; 'schloss', 'schlösschen'
auf dem fcztr^r- gewann ORL lief. XI nr. 51 s. 1. 2. — hurgi (wachtürme) bilden
eine gruppe für sich; vgl. Klio 7, 109 fgg.
1) Auch in Heddesdorf (bei Niederbieber) folgt der römischen ria princi-
palis der heutige strassenzug 'Hintere Beringstrasse' ORL lief. XIX nr. 1 s. 5. Ich
empfehle angelegentlich das Studium der dem ORL beigegebenen terrainkarten und
verweise im vorübergehen auf die läge der kircheu z. b. in den kastelleu Gunzen-
hausen und Böhming (ORL Uef. XXIX nr. 71. 73»).
280 - KAUFFMANN
flurnameii 'auf der Altenburg' gestanden hat (ORL lief. XXVIII nr. 59).
Das kastell Köngen liegt auf dem , Burgfeld' (genauer 'auf der Burg
ob dem Altenberg' ORL lief. XXX nr. 60), Heddernheim 'auf dem Burg-
feld', Ruffenhofen auf der flur 'Bürgfeld' (ORL lief. IV nr. 68). Das
alte römische kastell Waldmössingen (im würterabergischen oberamt
Oberndorf) steht 'auf der Burghalde' (ORL lief. VI nr. 61"). Denn gar
nicht selten nennt das volk die kastelle schlechtweg 'bürg': so Langen-
hain ('die bürg' 'auf der barg' ORL lief. VIII nr. 13), Friedberg ('auf
der bürg'; die burgmauer der stadt steht auf der römischen Umfassungs-
mauer vgl. Limesblatt 355 fgg.), Heldenbergen ('auf der bürg' ORL lief. XIII
nr. 25), Marköbel (ORL lief. III nr. 21). Die kastelle bei Neckarburken
führen die volkstümlichen namen 'Burg' {> Berk) und 'Beiburg' ^ (ORL
lief. IX nr.53 und 53 1); vgl. Benningen ('Birk' ORL lief. XVII nr. 58),
Unterböbingen ('Bürgle' ORL lief. I nr. 65), Murrhardt ('Bürg' ORL
lief. I nr.44), Welzheim ('Bürg' ORL lief. XXV nr. 45), Öhringen ('Bürg'
ORL lief. V nr. 42).
Genauer werden römische baudenkmäler nach dem jüngsten
Sprachgebrauch durch das bestimmungswort Römer- unterschieden
(Römerbrunnen, Römerecke, Römergässchen, im Römer a. a.). Eine
ältere schiebt hebt sich durch das epitheton heideii- ab (vgl. heiden-
grab, heidenstrasse, heidenweg im Dwb.); es sind bei den ausgrabungen
am limes römische reste zu tage gekommen auf örtlichkeiten, die den
namen heidenbühl, heideneck, heidenfeld, heidekringen und ähnliche
tragen; 'heidenkirche' ist eine beliebte bezeichnuug für eine römische
villa (vgl. ORLüef. XXV nr. 10 s. 10). In welch prägnantem sinn die
Römer als 'beiden' bezeichnet wurden, erfahren wir aus dem volks-
tümlichen, nach den köpfen römischer Imperatoren gebildeten namen
für die römischen münzen, die 'heidenköpfchen' heissen, während die
gallischen münzen bekanntlich als 'regenbogenschüsselchen' recipiert
wurden.
Die älteste benennung der an den deutschen grenzen tätigen Römer
ist aber wahrscheinlich Hüni.
Wir begegnen nämlich römischen kastellen am limes, die Hönehaus
(CIL XIII, 2, 256), Hainhaus oder Hainhäusd (CIL XIII, 2, 258. 447
ORL lief. IV nr. 49. V nr. 47) heissen. Bei Hausen fand man reste römischer
befestigungen; sie heissen Hunnenkixchhoi (CIL XIII, 2, 447). Das
1) Vgl. ORL lief. XYI nr. 75. — Oberscheidental steht auf 'burgmauer'
(ORL lief. VI nr. 52). — Der ältere name von Osterburken lautete Burgheim
(CIL XIII, 2,275) usw.
HÜNEN 281
hauptbeispiel ist aber einerseits das wichtige kastell Butzbach, das im
volksraund unter dem namen Hunneburg oder Jleunehurg geht (CIL
XIII, 2,447.448. ORLlief. I nr. 14) und andererseits eine im Taunus
von den Römern gebaute Strasse, die nicht bloss als 'heidenstrasse'
ijieidstross a. 1486: Korrespondenzblatt des gesamtvereins 1856, 125)
sondern namentlich auch als IRüierstrasse oder HöTierstrasse bekannt ge-
worden ist (ORL lief. XXV nr. 10 s. 2fg.); eine volkstümliche Variante ist
mir noch in der bezeichnung Hü?ierweg (Westdeutsches korrespondenz-
blatt 1895, 99) oder fi«m«enpfad begegnet (ORL lief. XXVII nr. 12
s. 4). Als man an dieser Römerstrasse zu graben begann, w^urden
bei ihr drei grosse gebäude festgestellt — ähnlich den horron unserer
limeskastelle — und der ort, an dem sie in der flur liegen, bewahrt
gleichfalls (in der nähe von Homburg v. d. H.) den charakteristischen,
aus ahd. HiDihurc, ags. Hinihurh (Graff IV, 960) bekannten namen
Hf (h)iburg {Jacohi^ Saalburg s. 31. Westdeutsches korrespondenzblatt 1905,
197 fgg.). Aus diesen schönen belegen kann nicht wol etwas anderes ge-
schlossen werden, als dass Huncn- oder HUnenhm-g das volkstümlich-
deutsche wort für 'Römerkasteir und Hunnenpfad bezw. Hüncrsh-asse
die schon durch das römische wort 'Strasse' angedeutete heimische be-
nennung für eine Römerchaussee gewiesen ist^.
Mit den fortschritten des mittelalterlichen bauwesens verlor aber
die imponierende technik der Romerbauten ihren nimbus. Angesichts
der deutschen bürgen des 12. jahrh. mussten die seinerzeit vorbildlichen
leistungen der Römer als veraltet erscheinen. So wurde nunmehr hüne
das epitheton eindrucksvoll primitiver technik. Es ist bekanntlich
mit der zeit überhaupt auf die monumentalen Überbleibsel der vorzeit
übertragen worden (hünenbett, hünengrab). Vornehmlich wurde Hünen-
burg oder Hunenburg auch die gebräuchlichste niederdeutsche bezeichnung
für unsere sog. sächsischen bürgen, die gegenwärtig in dem 'Atlas vor-
geschichtlicher befestigungen in Niedersachsen' bearbeitet werden. Neben
dem oft sich widerholenden Hünenburg- begegnet auch Hünschc bürg
(vgl. z. b. Rubel, Franken s. 118. 119. 131). Mit den Hunnen haben
diese anlagen nicht das mindeste zu schaffen; meist werden es mit dem
fränkischen li)rus zusammenhängende fränkische kastelle (befestigte euries
oder villae nach Rubel, Franken s. 14. 115. 137) gewesen sein und
so erschiene der name 'Hünenburg' noch durchaus sachgemäß.
1) Vgl. Na.ssauische annalen XXXII taf. 1. — Zu heidenkirchc vgl, Hiiner-
kiiche Nass. mitteil. 1902, 45.
2) Vgl. auch Hünengraben, Hünstollen, Ilünensaut, Hüncnkanip u.a.
282 KAUFFMANN
Anfänglich waren es aber, wie ich gezeigt zu haben glaube, Römer
und altrömische gründungen, die das epitheton Huni führten. Unter
den Ortsnamen sind die sprechendsten: Husten (a. d. Ruhr) = Heusden
(an der Maas; ferner in Limburg und Ostflandern). Denn diese gehen
auf Hunsati d. h. 'römische kolonisten' zurück (Förstemann, Orts-
namen s. V.). Ungefähr gleichbedeutend sind die zahlreichen Hüningen
(im Oberelsass, bei Aachen u. a.); denn auch sie scheinen ihren namen
den römischen gründern zu verdanken (vgl. Hiininga bei Förstemann^,
wo der entsprechenden gallischen gründungen des namens Walehinga
zu gedenken wäre). Sehr interessant ist es, dass So ein (Namenbuch
s. 350) eine familie die Hüningen verzeichnen oder dass er in Hüningen
den Personennamen Swarxe belegen konnte (a. a. o. s. 443); er hat selbst
schon richtig bemerkt (s. 457), dass dieser name von der färbe der
haare hergenommen ist.
Einen entscheidenden beleg dafür, dass Hünen, Hüninge von haus
aus die auf deutschem boden sitzengebliebenen schwarzhaarigen Römer
und deren abkömmlinge bezeichnete, hat jetzt K. Schumacher in der
(vom Römisch -germanischen centralmuseum herausgegebenen) Mainzer
Zeitschrift 2, 15 beigebracht. Er handelt hier über das wichtige problera,
dass die gallo -römische bevölkerung Südwestdeutschlands nach dem stürz
des römischen reichs auf ihrer schölle unter den Germanen der völker-
wanderungszeit sitzengeblieben ist; noch erinnern nach seinen werten
die mit -bürg zusammengesetzten Ortsnamen an die alten Römerkastelle
und Römersiedelungen. Die spuren der Römer haben sich vor allem
auch in dem somatischen typus der heutigen bevölkerung jener grenz-
gegenden aufzeigen lassen, wo ausserordentlich viele menschen von
brünetter hautfarbe und mit dunkeln äugen und haaren wohnen. Schu-
macher fährt fort: „Als ich die ausgrabung der römischen kastelle im
badischen Odenwald begann, fiel mir diese erscheinung sofort auf. Ein
eingehenderes Studium der geschichte dieser gegenden, ihrer bevölkerung
und erwerbsverhältnisse usw. überzeugte mich, dass eine ein Wanderung
und mischung der bevölkerung in neuerer zeit vollständig ausgeschlossen
ist und dass somit tatsächlich nachkommen jener gallisch -römischen
grenzbevölkerung anzunehmen sind, wie es G. Wolff auch für das Main-
tal und die Wetterau nachgewiesen hat. In einem orte wurde sogar
eine solche dunkelfarbige familie mit dem uznamen Hennen bezeichnet,
1) Ebenda Huningicüari (< villa\ Huninghova (dazu So ein, Namenbuch
s. 404), Hunindorf und ähnliche. Ich mache noch auf die personennamen Himine,
Hununc (Socin, Namenbuch s. 185) aufmerksam; dazu gehört wol der ortsname
Eutigen; bei Hönningen a. Rh. beginnt der Limes.
HÜNEN 283
was in jener gegend soviel als ILuiieu bedeutet. Hennenhäuser [vgl,
oben s. 280 fg. Ilainliaiiti] heissen dort die römischen wachtürme am
grenzwall."
Mit einiger Zuversicht vermögen wir nunmehr den aus dem ags.
als Wealhhnn und dem ahd. als Walahun (Socin, Namenbuch s. 215)
bekannten personennamen dahin zu deuten, dass er im gegensatz zu
Äepvlhün — Adalhim so viel besagt als Galloromane (wie ags. Rö9n-
ivealh 'romanisierter Kelte').
Nachdem J. Hoops in den H. Paul als festgabe dargebrachten Ger-
manistischen abhaudlungen (Strassburg 1902) s. 167fgg. die etymologische
bedeutung des altgerm. wertes hün glücklich festgestellt und erwiesen hat,
dass es 'dunkel, schwarz, braun' bedeutete (s. 177 fgg.)', ist die ältere
ansieht wider zu ehren gekommen, nach der die Hünen angehörige
eines fremden volkes bezeichneten, mit denen die Germanen in Deutsch-
land zusammengetroffen sind. Finnen können dies, wie man früher
geglaubt hat, nicht gewesen sein, weil die Finnen hellfarbig erscheinen
wie die Germanen. Kelten können es ebensowenig gewesen sein, weil
die Kelten in ihrer somatischen erscheinung „den Germanen ähnlich,
als blond, blauäugig, weisshäutig geschildert werden " (R. Much, Stamraes-
kunde s. 41). Hunnen und Wenden kommen nicht in frage, weil jene
germanischen mit Hunt gebildeten namen früher auftreten, als die ge-
nannten eindringlinge (Müllenhoff, Zs.f.d.a. 11, 284). M. Rieger befand
sich mit der behauptung Hünen sei der volkstümliche name für Finnen
im Irrtum; er wäre ihm entgangen, wenn er zwei von ihm erwähnte
tatsachen verfolgt hätte 1) dass das volk den hünen „hier und da die
bauten der Römer zuschreibt" (Archiv f. hessische geschichte 15, 4) und
dass 2) altnord. Hünaland auf A¥estdeutschland bezogen werden müsse.
Er sagt nur: „es bestand die annähme, dass in "Westfalen Hnnen gewohnt
hätten" (a. a. o. s. 5). Während nämlich im Nibelungenlied die alte
Römerstadt Xanten (< Ad sanctos) als heimatsort des Sigfrid belegt
und Niderkü/t als der Schauplatz der Sigfridsage ausgegeben ist, wird
in der nordischen Überlieferung für den gleichen sagenzug der ältere
volkstümliche Sprachgebrauch bewahrt und als des beiden heimat
1) Vgl. Helm, Beitr. 30, 328 fgg. Es liegt in personenuamon wie Hunarix
vor, die nach Fick und Much von gleichartigen keltischen bildungen nicht getrennt
werden dürfen, in orts- und flussnamen wie Hunaberg, Hunaha u. a. (Hoops s. 178.
Beitr. 30, 328). Von dieser älteren gruppe sind wol die «-stamme zu sondern. Dass
Iluni- in germanischen personennamen sich auf ein fremdes volii beziehen iiönne,
hat man abgewiesen (Hoops s. 175); aber mit unrecht, wie die personennamen, die
ivinid- oder icalh enthalten, beweisen (z. b. Winilharius - nutiimiuidus Jordanes 250).
284 KATTFFMANN
Hünalnnd, folglich Sigurfir w« h?/nsJn genannt i. Angesichts der Überein-
stimmung unserer quellen darf man kaum von einer Verschiebung in der
Sagengeographie reden, um so weniger als Hünaland für das römische
Germanien eine ebenso einwandfreie benennung ist wie Niderlant
[= Oermanin inferior). Im Rheinland hatten die Römer für ihre
legionen auch ein bis zur Ruhr und zur Sieg sich erstreckendes rechts-
rheinisches territorium frei gehalten (Bonner Jahrbücher CXI, 291fgg.);
soweit Westfalen vom Lippeliraes beherrscht war und zur römischen
einflusssphäre gehörte, ist die bezeichnung Hünaland sogar für "West-
falen geschichtlich begründet und berechtigt (Beitr. 9, 484). Für die
entwicklungsformen der Nibelungensage ist es denn auch von grund-
legender bedeutung geworden , dass sich diese hünischen d. h. altrömischen
striche Nordwestdeutschlands als alter Schauplatz der ereignisse haben
erweisen lassen (Boer, Zeitschr. 38, 39fgg.). Die gleichung Hünaland =
Niderlant = Germania inferior (als römische provinz) erscheint daher
unanfechtbar. Aus ihr folgt aber mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass
der name Hünaland auch der ältesten deutschen Sigfridsage ange-
hört und in der altnordischen Überlieferung getreu bewahrt worden ist.
Es bedarf jetzt nur noch der prüfung, ob mit den Hinnen der sage
ursprünglich die bewohner der rheinischen, ehemals römischen provinz
gemeint waren und ob etwa erst seit dem 10. jahrh. diese Hinnen vor
den Hunne?i das feld haben räumen müssen. Dadurch könnte die
rätselhafte Übertragung der Burgunderkatastrophe nach Pannonien am
ehesten herbeigei'ührt worden sein 2.
Denn das ist der spätere Sprachgebrauch, dass die in Pannonien
sitzenden Ungarn das auszeichnende attribut 'die schwarzen' an sich
gezogen haben, nachdem in den Jahrhunderten der Völkerwanderung die
Hunnen mit demselben werte benannt worden waren (Hoops s. 179fg.).
hnnisc drnpo (Ahd. gl. 3, 91, 47) wird doch wol wie mhd. kmiiseJ/er
ivin den Ungarwein bezeichnen (Zs. f. d.a. 23, 207; Heyne, Hausalter-
tümer 2, 105; dazu Hoops s. 178 gegen Dwb. 4, 2, 513. 1291). Damit
nicht genug. Schliesslich sind auch die schwarzhaarigen Wenden an
1) Vgl. beispielshalber Husten a. d. Ruhr (oben s. 282), Hunenberg bei Cleve
(Westd. zeitschr. 14, 409) oder den Tlunerbcrg bei Nijmegen (Westd. korrospondenz-
blatt 1902, 46); über Hmifieeum vgl. Westd. monatsschrift 6, 9; über Hunsrück u. a.
Westd. monatsschrift 5, 271 fg.
2) Pannonii: Euni Ahd. gl. 2, 759, 7. 3, 610, 15. 25. Dazu müs-sen die höchst
characteristischen personennamen, welche die erinnerung an die Hunnenvernichtung auf
dem Lechfeld eingegeben hat, angezogen werden: Huninwe, Huninflor (zu fleosan
■verlieren), Huninleit, Rimintot (Socin, Namenbuch s. 211).
HÜNEN 285
der Elbe 'Hünen' oder 'Hüuer' genannt worden: in der Altmark und
nachbarschaft gibt es Hünerdörfer; in ihnen sind von den Deutschen
die unterworfenen Wenden angesiedelt worden (22. Jahresbericht des
altraärkischen Vereins für vaterländische geschichte [1889] s. 162).
In zeitlichen abständen haben die verschiedensten volkstypen, sofern
sie nur durch ihr dunkles gesiebt und ihre schwarzen haare den Ger-
manen auffielen, die benennung Huni^ Hiiinen erhalten. „Offenbar sind
diese Huiti nach ort und zeit ein höchst schwankender begriff, bald
dachte man sich Pannonier, bald Avaren, bald Wandalen und Slaven
unter ihnen" (J. Grimm, Mythologie s. 433). Aber vollkommen deutlich
tritt in unserer Überlieferung das ergebnis zu tage, dass mit diesem namen
die Germanen ehemals auch die Römer belegt haben und dass die Römer
die ersten gewesen zu sein scheinen, die von den Germanen iJz^/w genannt
wurden. Will man vollends die heute geläufige bedeutung von 'hüne'
begreifen, so darf man keinesftUls (wie H.Paul im Deutschen Wörterbuch)
die Hunnen als urbild wählen i. Dagegen, dünkt mich, entspricht es
durchaus der eigenart volkstümlichen denkens, wenn sich ihm die
riesenhafte tatkraft der Römer zu dem anschaulichen bild der das mensch-
liche normalmass gewaltig überragenden hünen unserer deutschen volks-
sagen verdichtete. Gut würde es dazu stimmen, wenn, wie J. Grimm
(Mythologie 1,433. 3,151) anzudeuten scheint, der Niederrhein und
Westfalen die 'hünen' volkstümlicher geschichtsüberlieferung zu dem
bilde der heimischen riesen urageschaffen hätten, und dieser neuere
Sprachgebrauch aus dem alten Hünaland stammen sollte.
Nun hatte ich mich in der Festgabe für Sievers (s. 153fgg.) gegen
die alteingewurzelte lehre gewendet, es seien im Hildebrandslied die
Worte Huneo truhtin (v. 35) mit 'Hunnenfürst' zu übersetzen. Ich hatte
vorgeschlagen, hinter dem Ilimeo truhtin eher den oströmischen kaiser
als den Hunnenkönig Attila zu' suchen. Auch meine auffassung von
alter Ilnn (v. 39) ging dahin, dass Hildebrand als mit byzantinischer
pracht (ckeisuringu) geschmückter feldherr gezeichnet sei (s. 142). Trotz
allen Widerspruchs, dem dieser gedankengang begegnet ist (vgl. z. b.
Beitr. 26, 76), muss ich im wesentlichen bei ihm verharren, wenn ich
auch zugestehe, dass meine ausdrucksweise nicht einwandfrei gewesen
ist. Ich habe nämlich den Irrtum begangen, den römischen kaiser
1) Hoops s. 176 fg.; minutum tetrum atqiie exile quasi hominum genus Jor-
danes 122. Klu{,'0 (Et. wb. s. v. hünc) ist der Wahrheit näher gekomnieii, als er sich
dahiu aussprach: „zweifellos weist das norddeutsche hüiie vielmelir auf einen germa-
nischen volksstamm." Vgl. die „Germanen'^ . . Huitni, Antit/iti Sfuoiics, Bontctiuiri
ßeda, Hist. eccles. 5, 9.
286 KAUFFMANN
nur als Byzantiner zu bezeichnen, die Wörter Hiin, Huneo auf die
Balkanvölker und im besondern auf die Byzantiner zu beziehen. Da-
durch bin ich in Widerspruch mit dem volkstümlichen deutschen
Sprachgebrauch geraten, sehe mich also veranlasst, diesen Widerspruch
nunmehr zu beseitigen und im einvernehmen mit unserer heimischen
Sprachüberlieferung Huneo truhtin als 'römischer kaiser' und alter
Hun als 'alter Römer' zu interpretieren (vgl. die persoaennamen Althirn,
AdalKun).
Dass in jüngeren Überlieferungen die Hunnen Attilas träger der
handlung geworden sind, die zuvor den 'Hünen' zukam, ist innerhalb
der Volksdichtung die selbstverständlichste sache von der weit. Das
kastell Butzbach haben wir unter dem namen Heuneburg kennen ge-
lernt (oben s. 281). Im ORL lief. I nr. 14 s. 1 lesen wir als citat aus
einem a. 1711 veröffentlichten buch: „Negst vor der statt gärten an der
Giesser landstrassen ist ein ort, annoch die Heuneburg genannt, all wo
man das alte gemäuer, als ob es eine bürg gewesen, sehen kann und
die ackerleute öfters alte römische münzen finden . . . insgemein wird
dafür gehalten, dass der Hunnenkönig Attila einen festen ort dahin
solte gebauet haben."
KIEL. FRIEDEICH KAUFFMANN.
ANGAEGATHUNGI
In seiner ausführlichen erörterung des 7. capitels von Tacitus Ger-
mania erzählt Müllen hoff (DA 4, 190), anfangs der 40ger jähre des
19. jahrh. habe G. Waitz von ihm den deutschen namen für den taci-
teischen princeps wissen wollen: „ich wusste ihm darüber keine aus-
kunft zu geben und weiss es auch heute nicht." So .aussichtslos, wie
man danach glauben könnte, scheinen die dinge aber doch nicht zu
liegen. Man muss nämlich im römischen Sprachgebrauch drei klassen
von frhicipes sondern.
1. kenneu wir iwincipes als gerichtsherren der pagi. Sie sind
noch für die alten Sachsen in der Vita Lebuini (MG Script. 2, 361;
MüUenhoff DA 4, 195 fg.) bezeugt: singuMs fagis principes ijraoerant
singuU. Damit stimmt die aussage Caesars: pr/Hcipe-s regionum atque
ANGARGATHUNGI 287
pagorum inter suos ins dicunt (de bell. gall. 6, 23) und die angäbe des
Tacitus: principes qui iura per pagos vicosqtie reddunt (Germ. c. 12;
vgl. Sybel, Königtum ^ s. 72. 110. 80fg. 109). In diesem falle sind
mit den pri7ici2)es beamte gemeint. Ihre altdeutsche bezeiclmung lebt
in unserem nhd. wort 'bürge' fort; dies ist das nomen agentis zu
'borgen' (ahd. borgan: acht auf etwas haben, observare) und liegt in
den altdeutschen amtsbezeichnungen ragi)iburgii, heimburgo (tribunus)
artjyurgi (magistratus Ahd. gl, 1, 207) vor. Die definition von artpurgi
gibt Caesar: magistratus ac priiidpes in amios singulos gentibus
cognationibiisque hmninuni qtiique una coierunt quantum et quo loco
visum est agri attribuunt atque anno post alio transire cogunt (de bell,
gall. 6, 22).
2. kennen wir principes = proceres als eine höhere rangklasse
der nobilität (MüUenhoff DA 4, 185fg); sofern ihre mitglieder den titel
^pjrinfipcs' führen, heissen sie and. erlös ^ ags. eorlas^ anord. jarlar
(MüUenhoö", DA 4,188). Dass es sich bei dieser categorie um eine ge-
sellschaftlich höher stehende adelsklasse, mit selbständiger titulatur
handelt, erhebt der von Tacitus (Germ. c. 13) gebrauchte ausdruck
principis dignatio über jeden zweifei; zuerkannt wird diese ehren-
stellung nur in dem fall, dass insignis nobilitas oder magna patrnin
merita notorisch sind; vgl. auch Heusler, Herrigs archiv 116, 278. 280.
3. kennen wir innerhalb der civitas einen und zwar nur einen
princeps civitatis^ der Germ. c. 10 neben dem rex und dem sacerdos
aufgeführt ist. Als seine epitheta ornantia deutet Tacitus (Germ. c. 11)
nobilitas und decus bellorum an; er ist also nicht gerichtsherr eines
pagus, sondern die leitende (bewährte und erfahrene) militärische persön-
lichkeit in einer altgermanischen civitas (got. [n'uda)^ und als solche
mit einem gemeingermanischen worte (got. piudans) benannt. Der p)ri7iceps
civitatis erscheint aber auch unter der bezeichnung dux (Germ. c. 7),
denn er hat die führung, sobald die civitas unter die waffen tritt.
Die stimm- und wehrfähigen repräsentanten einer civitas heissen in
der spräche unserer alten volksrechte exercitus oder auf altdeutsch heri:
der genau mit dem Taciteischen princeps civitatis in der eigenschaft eines
dux sich deckende altdeutsche terminus ist also unser her\og (and. //rri-
iogo)\ denn dieses wort bedeutet gerade so viel als „führer der wehr-
1) Vgl. das ags. Sprichwort in Pauls Grundr. 2*, 969. — Sehr schon iiat neiier-
diogs V. Domaszewski den su7nnms tnagistralns civitatis Bataniriim (CIL XIII, 2
nr. 8771) als princeps civitatis gedeutet (CIL XTII, '2 \i. 619; vgl. Korieapondenzblatt
der AVestdeutschen Zeitschr. 1904, 179fgg.).
288 KADFFMANN
männer einer civitas" ; ein älterer ausdruck für den princeps civitatis
als dux einer militärisch organisierten civitas scheint übrigens in anord.
dröttinn^ westgerm. druhtin — ein pendant zu anord. ßjöpann, westgerra.
Peodan^ — vorzuliegen. Der sache nach gibt es nur einen heritogo und
einen druhtin^ wie es auch nur einen princeps civitatis gibt; seine
Charge kann nicht mit mehreren personen besetzt sein. Der princeps
civitatis gehörte seiner rangklasse nach wol meist dem principat an [ubi
qiiis ex principibus in concüio dixit se duce?n fore Caesar, de bell,
gall. 6, 23). Aus dieser obersten adelsschicht wurde derjenige zum dux
(d. h. zum militärischen princeps civitatis) erwählt, den anerkannte
militärische tüchtigkeit zu diesem amt empfahl (Germ. c. 7). Das
klassische beispiel ist Arminius {dux . . . und, wie Segestes, unus prin-
cipum Florus Hist. Rom. 2, 30; Sigimeri principis gentis eius filius
Velleius 2, 118; Müllenhoff DA 4, 186). Ausser ihm darf aber auch der
Canninefate Brinno genannt werden, dessen wähl von Tacitus sorgsam
nach ihren Voraussetzungen wie nach ihren formalitäten geschildert
worden ist: erat in Canninefatibus stolidae audaciae Brinno clari-
tate natalium insignis . . . iyipositus scuto more gentis et sustinen-
tium umeris vihratus dux eligitur (Hist. 4, 15).
Nicht die beamtenqualität sondern, die gesellschaftliche rang-
stellung sicherte den principes bei der jährlichen ackerverteilung eine
bevorzugung. Den principes unserer zweiten gruppe, dem stände der
erlös fiel ohne rücksicht auf ihre eventuelle function als gerichtsherrn
der pagi dauernd ein grösserer anteil am ackerlande zu, als den übrigen
Volksgenossen. So schliesst sich wörtlich genau an den ausdruck
principis dignatio (Germ. c. 13) die vielerörterte stelle Germ. c. 26: (agros)
. . . inter se secundum dignatione7?i — d. i. etwa 'standesgemäss' —
partiuntur. Es ist lange über die bedeutung des wortes dignatio ge-
stritten worden (vgl. G. Waitz, Verfassungsgeschichte 1^, 119. 137.
14ofg. 168fg. 198). Die meinungsverschiedenheiten sind aber jetzt be-
hoben'^. Waitz äusserte sich selbst am bestimmtesten s. 273: „Die werte
secundum dignalionem bezeichnen richtig verstanden nur, dass bei der
ersten ansiedelung auf würde und ansehen bei der Verteilung rücksicht
genommen ward; statuiert man eine jährliche Verteilung, so werden
1) Wie piudans so viel bedeutet als princeps einer civitas, so bedeutet druhtin
von haus aus so viel als den princeps eines exercitus, einer 7nilitia.
2) Auf die missverständliche auffassung bei F. Seebohm, The english Village
Community s. 342fgg. gehe ich nicht ein; die lesart vicis kommt angesichts der neuer-
dings bekannt gewordenen Germania -Codices, die unser textkritisches gescliäft so wesent-
lich vereinfacht haben, nicht mehr in frage.
ANOARGATHrNGI 289
sie ergeben, dass einzelne, die fürsten, grössere anteile empfingen."
Müllenhoff (DA 4, 369) übersetzt: „Sie teilen unter sich nach ihrem
ansehen" und fährt fort: „denn wenn auch die losteile gleich waren,
so ist doch damit nicht gesagt, dass jeder gleich viel teile erhielt: an-
gesehene familieu, die edeln mögen mehr als ein losteil erhalten haben
und auch eine Zerlegung der hufe ist denkbar. So gab es vermögens-
und besitzunterschiede schon in der ältesten zeit." Hoops (Waldbäume
und kulturpflanzen s. 523) hat sich auf den satz beschränkt: „das acker-
laud wurde nicht von der bauernschaft gemeinsam bewirtschaftet, son-
dern unter die einzelnen nach ihrer würde — so ist secundum digna-
tionem doch wol zu übersetzen — verteilt."
Man hat bei der lösung dieses Standes- und agrargeschichtlichen
Problems nicht beachtet, dass die unter uns allgemein anerkannte be-
deutung des wortes 'dignatio' (ehrenstellung) auch durch den deutschen
Wortschatz sichergestellt werden kann. Aus dem satz: quos sorte potes-
taiis excesserit (Gregors Cura pastoralis) erscheint in den Ahd. glossen
(2,222,1) das verbum dthan und zwar perfektivisch (furidihit)^, wie
denn auch das part. praet. eine Vorzugsstellung zum ausdruck bringt
(kidilan: jjraecijnnis , perfecfus Ahd. gl. 1, 228, 28). Im selben sinn
kommt and. giikigan neben der altern und isolierten form githungan
vor (thiorna githigan Hei. 253: ivif githungan Hei. 319, 506); dieses
epitheton ist folglich mit 'vornehm' zu übersetzen 2. Als vornehmer
mann erscheint Thomas im Heiland mit den prädikaten: githungan man,
diiüiic drohtines thegan (v. 3993 fg.) wie Enoch in der altsächsischen
Genesis als githungin man tris endi wordspäh (v. 130). Damit steht
ags. ^pp/m^e7i im einklang (Beow. 624. 1927 usw.); wenigstens schlägt
diese ältere, anschaulichere bedeutung des wortes {= noble) durch in
belegen wie pe^en •^epun-^en (an illustrious ministre) oder ic M
^ep//n^}iesian nemde (I have named the most distinguished: Bosworth-
Toller). Nur so Avird die stelle des ags. Johannesevangeliums (ed. Skeat
188, 11) verständlich, wo ^epyn^e für honour steht.
Ags. ^epgn^e hat nun aber Brückner in dem langobardischen
wort angargathungi widererkannt (Q. F. 7 5,82) ^ Doch übersetzte er
1) Da.s bei Graff 5, 108 genannte upardihit beruht auf einem lesefehler; vgl.
Ahd. gl. 2, 172,74.
2) Die Vorgeschichte des verbum perfectivum 'gedeihen' .scheint .so viel zu er-
geben, dass es von haus aus etwa besagt „sich im wolstand befinden" (vgl. lit.
tcnkü: ich habe genug); die primäre bedeutung von githungan — githigan wäre
danach 'wolhabend' und gathungi könnte mit unserem , wolstand' synuuym ge-
wesen sein.
3) Zu seinen Schlussfolgerungen vgl. Si<!bs, Zoitschr. 29, 405.
ZFTr.SCHRlFT K. DKI'TSCIIK J'HIU)1.(K;IK. HD. XI-. 19
290 KAUFFMANN
gathiingi mit 'grosso' und das compositum mit 'ackergrösse' oder , grosse
des grundbesitzes' und stellte eine gleichung mit ,wergeld' auf (Q. F. 75,
135. 169. 181. 40. 202)1. ich kann dem nicht zustimmen. Die be-
legsteilen scheinen mir eine abweichende begriffsbestimmung zu recht-
fertigen.
Im Ed. Rothari § 14 de morih heisst es: ingenuus qualiter in
(Dujarfiatlmrigi [id est secundum qualitatera personae] ipsum homicidium
componat. § 48 de oculo er also: si quis alii oculuni excusserit, pro
mortuum adpretietur qualiter in angargathnngi id est secundum qua-
litatem personae. § 74: ille qui eum plagavit, componat qualiter i^i
angargathnngi id est secundum qualitatem personae (o/tou egiIv 6f.ioio-
Ttgooiono M G Leg. 4,234). Auch in den glossaren steht derselbe aus-
druck, aber mit abweichender erklärung: in angargathiingin id est
secundum arbitriitm regis sicut appraeciatum fuerit (1. c. 651, 36); in
qargathugi secundum arbitrium regis sicut appreciatus fuit iuxta quali-
tatem persone (1. c. 654,22). Als echt und zuverlässig kann nur das
lemma secundum (iuxta) qualitaton 2Jerso7iae gelten. Daher ist durch-
aus Meyer beizupflichten, der gesehen hat-, dass angargatJmngi die
'würde', den wert einer person in erster linie bezeichnet und mit as.
gltJiungan , ags. ■^eJ>ungeH zusammengehört. Nicht mehr vermag ich ihm
zu folgen, wenn er fortfährt: „Da nun dieser wert auf dem grösseren
oder geringeren reichtum an gras- oder ackerland beruht, so fällt der
erste bestandteil zusammen mit ahd. angar und das ganze bezeichnet
somit den wert einer person, insofern dieser auf ihrem grundbesitze
beruht". Schon Osenbrüggen^ hatte angargathungi als 'das wer-
geld des getöteten' gefasst, aber auch darauf hingewiesen, dass als
Varianten der formel secundum (jualitatem personae die werte secundum
gener ositatem bezw. secivndion noljiliiatem begegnen (Ed. Rothari
75. 378). Hier erst treffen wir die mit ags. ^epyn^e voll überein-
stimmende d.h. die ursprünglichere bedeutung von angargathungi.
Sie ist neuerdings von L. M. Hartmann richtig auf 'die Vornehmheit
der sippe' bezogen worden: „Der langobardische rechtsausdruck für den
massstab der abschätzung ist in angargathungi d. h. eigentlich: nach
der grosse des besitzos (angers); er wird schon von Rothari übersetzt
1) Brunnor Rechtsgeschichte I,' 286 fg. ist geneigt, dieser combination beizu-
pflicliteu; angargaüiungi übersetzt er mit/augergrösse'.
2) Sprache der Langobarden s. 278.
3) Das strafrecht der Langobarden s. C2. Ich brauche wol kaum einzu-
wenden, dass die Langobarden für wergeld ein eigenes wort besassen: Iskügoh. tvergild,
icidregild.
ANGAKGATHUXGI 291
secundum qualitatem pcrsonae, so dass man schliessen kann, dass die
grosse des Landbesitzes und die wertung der person zusammenfielen
oder vielmehr, dass schon bei der landverteilung die vornehme
abstammung für die grosse des anteils mitbestimmend war" i.
Die juristische forme! in migargatkimgi muss aus einer Wirtschafts-
ordnung abgeleitet werden, die mit der von Tacitus (Germ. c. 26) ge-
schilderten übereinstimmt; durch jene kann daher diese vielbehandelte
Germaniastelle ihre erledigung finden.
Angar bezeichnet das unter kultur genommene land und ist lat.
nrva gleichzusetzen (arva: angar Ahd.gl. 1, 9,26. 2,830,18)^; gathungi
ist dasselbe wie lat. r//(7Wrtif/o = ehrenstellung; das compositum angar-
gathioigi wäre morphologisch etwa mit ahd. eregrehti zu vergleichen
und die formel in angargathtmgi folglich zu interpretieren „nach
massgabe der in bezug auf die ackerflur geltenden ehrenstellung". Es
ist nicht unwahrscheinlich, dass diese anerkannte und standesgemässe
ehrenstellung der principes u. a. auch in ihrem grösseren wolstand be-
gründet war; reichtum und besitz dürfen aber neben andiern factoren
aristokratischer und genealogischer tradition nicht überschätzet werden.
1) Geschichte Italiens im niittelalter II, 2, 10. 46.
2) lu einem Jandesteil , in dem der gegensatz zu unfruchtbarem moorboden sich
aufdrängt, ist ein volksuame wie Angrivarii wol verständlich (MüUenhoff, D. A.4, 424). —
Das von Tacitus im contrast zu arva gebrauchte wort aycr ist nach seinem bedeutungs-
gehalt klar definiert durch die von Seebohm, Village Community s. 344 angezogene
stelle: ager dictus qui a divisoribus agrorum relictus est ad pascendum
communiter vicinis (Gromatici veteres ex rescensione C. Lachmann 1, 369) =
anord. f(dft'P\ zu arra cf. Thesaurus linguae latinae 2, 731 (= terra quae aratur agri
seminibus apta).
KFKL. FRIEDIUCII KAUFFMANN.
19^
292 BOER
UNTEESÜCHUNGEN ÜBER DIE HILÜESAGE.
(Scbluss.)
§ 12. Weitere alte elemente von K I und K II.
Es ist klar, dass in K II für Wate überhaupt kein platz ist. Er
ist der entführer der Jungfrau aus K I; durch die Verbindung mit K Ib
wurde er zu einem vasallen Heteles, und als in K II Hetele an Hagens
stelle trat, bekam Wate auch hier einen platz, und zwar auf der seite
des Vaters der entführten Jungfrau, also eine rolle, die seiner ursprüng-
lichen diametral entgegengesetzt ist. Dasselbe gilt von anderen per-
sonen, die in K II auf Heteles seite auftreten. Horant stammt in K I
aus K Ib, in K II aus K I (+ Ib). Auch Fruote tritt in Heteles gefolge
in K II ein.
Anders verhält es sich mit solchen gestalten, die in K II zwar
auf Heteles seite auftreten, aber noch nicht in K I. Wir müssen hier
mit der möglichkeit rechnen, dass sie alle, oder dass einige von ihnen
von anfang an zu K II gehört haben. In diesem fall ist ihre beziehung
zu Hetele secundär; sie standen dann ursprünglich in derselben bezie-
hung zu Hagen. Endlich ist die möglichkeit zu erwähnen, dass gestalten
aus K I nicht in Heteles gefolge, sondern aus einem anderen gründe
in K II übertragen worden sind, und auch Übertragungen von K II in
K I sind nicht ausgeschlossen.
Eine gestalt, deren Stellung einer näheren Untersuchung bedarf,
ist Herwig. Ihm fällt die rolle des von dem vater begünstigten neben-
buhlers zu. Die gestalt ist uns schon aus älteren fassungen der sage
bekannt; sie entspricht vollständig dem H^öbroddr in der Helgisage
und dem verlobten der Ribboldvise und der Shetlandsballade. Die dar-
stellung unseres gedichtes weicht zwar in einem hauptpunkte von den
übrigen quellen ab, indem auch Küdrün Herwig vorzieht, während
Sigrün, Guldborg und Hildina den entführer lieben. Aber dass hier
neuerungen vorliegen, haben auch andere schon vermutet. ^ Es sind
andeutungen vorhanden, dass Küdrün dem Hartmuot nicht so abgeneigt
war, als der dichter uns glauben machen Avilj. Zunächst ist auf den
wunderlichen auftritt hinzuweisen, mit dem man gar nichts anzufangen
weiss, wo Hartmuot als ein unbekannter nach Hegelingen kommt und
heimlich mit Küdrün redet (620 fgg.), und wo es u.a. heisst (626,3):
si was im doch gencedic, der er im herxcn gerte. Wie ein solcher
auftritt in eine Überlieferung, in der Küdrün von anfang an sich
1) So Wilmanns, Entwicklung usw. s.. 22G, der namentlich Kiidrüns Verhältnis
zu Herwig ins äuge fasst. Übrigens geht Wilmanns auch hier ganz andere wege.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HII.DESAGE 293
Hartmuot gegenüber abweisend vorhalten hätte, aufgenommen werden
konnte, ist ganz unverständlich. Der auftritt verträgt sich auch gar
nicht mit dem unmittelbar vorhergehenden abschnitt, in dem Hartmuot
durch boten wirbt und einen korb bekommt. Aber die Werbung durch
boten ist eine an vielen stellen des gedichtes eingeführte, aus einem
fremden Überlieferungskreise stammende neuerung; die typische form
der Hildesage ist, dass der freier, wie in unserem auftritt, selber sich
einstellt. Unser auftritt lässt sich demnach nur als ein durch einen
neuen ausgang (weigeruug, obgleich sie ihm gewogen ist) der neuen
Situation angepasster rest einer alten eingangsscene verstehen; durch
die jüngere botenscone ist er völlig sinnlos geworden.^ Hartmuots
heimlicher besuch bei Kiidrün muss mit der stelle, wo er seine schiffe
in der nähe von Hagens bürg verbirgt (750 fg.) zusammenhängen: er
lässt seine mannschaft warten, geht selber an den hof, verführt das
mädchen, führt sie zu den schiffen und segelt davon. Unser dichter
hat die beiden stellen voneinander getrennt, und nun bekommt' das
verbergen der schiffe einen neuen zweck: es sollen noch einmal boten
um Küdrün anhalten und den krieg ansagen, wenn sie ihm nicht ge-
geben wird. Das ist nach allem, was Hartmuot bisher erfahren hat,
zum mindesten vollständig überflüssig. Die scene scheint auch noch
jünger zu sein als der gewiss auch nicht alte angriff Hartmuots auf
Matelane; wenigstens könnte man es sogar dem Küdründichtor nicht
zutrauen, dass er, wenn er aus einem guss arbeitete, Küdrün, nachdem
der krieg ihr formell angekündigt ist, als sie die feinde sich nahen
sieht, hätte sagen lassen (777): wol mich! du kumet Hetele, min herre.^
Übrigens ist auch der kriegerische Überfall eine folge der neuerung,
dass Hartmuot abgewiesen wird. Die freundliche behandlung, die
Küdrün in der Normandie von Hartmuots selten erfährt, könnte man
sonst nicht als einen beweis für Bin zwischen ihnen bestehendes liebes-
verhältnis gelten lassen, denn sie liesse sich auch anders erklären; da
aber ein solches Verhältnis aus anderen daten erschlossen werden kann,
ist diese behandlung gewiss als eine erinnerung daran aufzufassen.
1) Wilmanns a. a. 0. s. 142 erklärt die scene für 'eine der schlimmsten partien'
der dichtung, aber nur weil sie sich mit der schablonenhaften botenscene nicht
verträgt.
2) Dass Küdrün hoffte, es sei Hetelo, der ihr zur hilfe eilo, steht nicht da.
Sie glaubt, es sei Hetele; dann nimmt man dio fremden feldzeicheu wahr, und man
klagt: ach r/rözer sivcere, diu hiute hie gcschihl! uns kument griunne geste. Also
wird aus den feldzeicheu geschlossen, dass feinde sich nahen, was man doch nach
dem, was vorhergebt, im voraus wissen konnte.
294 flOER
Von bedeutimg ist ferner Küdriins bitte für Hartmuot (1485), die
weniger auffällig wäre, wenn er, wie dies später Ortrün und Gerlint
tun, sich zu ihr geflüchtet hätte, als da, wo er mit Wate kämpft.
Allerdings ist es hier Ortrün, die Kiidrün bittet, für ihren bruder sich
zu verwenden; aber das scheint wiederum ein jüngerer versuch zu sein
Kiidrüns betragen zu erklären, denn zweimal stellt sie die bitte, zuerst
1485 in den worten: dax wolte ich immer dienen, swer mich des
getröste, daz er Hartmuoten mir von Waten dem alten erlöste, darauf
1488 wie folgt: mich bitent vlixicUehe hie die schämen meide, dax man
Hartmiiote7i von Waten dem alten ilx dem strtte scheide. Diese stelle
gehört mit Ortrüns bitte zusammen; die zuerst angeführte enthält
Küdrüns ursprüngliche bitte und bezeugt wenigstens ein ganz beson-
deres Interesse für Hartmuots geschick.
Von Herwig wird gesagt, dass er sich Küdrüns gunst erwirbt.
Aber die tat, durch die ihm das gelingt, ist eine solche, die in unserem
gedichte schablonenhaft widerholt wird, und etwas charakteristisches
ist an dieser gefechtsscene nicht. Sie ist eine deutliche kopie anderer
ähnlicher scenen und gehört also zu dem jüngeren bestände des ge-
dichtes. Hingegen lesen wir nach der ersten Weigerung, die Herwig,
wie überhaupt alle freier der Küdrün, sich gefallen lassen muss, dass
der vater ihm besonders gewogen ist (636, vgl. auch 648, wo er es
dem rate schlechter freunde zuschreibt, dass er seine tochter dem beiden
verweigert hat). Ein umdichter aber hat Herwigs Verhältnis zu Küdrün
so in den Vordergrund gerückt, dass sie nicht nur den wünsch, ihn
zum mann zu bekommen, zu erkennen gibt, sondern dass sie es auch
ist, an die er sich str. 654 fgg. wendet. Wie töricht das ist, hat man
lange gesehen (s. auch Panzer s. 244); es erklärt sich aber aus dem
bestreben, ein unursprüugiiches motiv zu einem hauptmotiv zu erheben
und die alte auffassung zurückzudrängen.
Eine verhältnismässig alte neuerang ist es gewiss, dass Herwig
auf dem Wülpensande nicht umkommt, wie der bräutigam in anderen
Versionen (Helgisage, Riboldvise). Vgl. s. 299.
Was ist nun von jenem Herewich, den Lamprecht nennt, zu
denken? Gehört er in den Zusammenhang der vorhergehenden verse
hinein? Panzer, darin AVilmanns folgend, glaubt (s. 185), dass, da
Alexander mit mehr als einem beiden vergUchen wird, wir es hier mit
einer neuen vergleichung und also auch mit einer anderen sage zu tun
haben. Aber dagegen ist doch zu sagen, dass es höchst auffällig wäre,
wenn hier unmittelbar nach Hagen, Hilde und Wate ein Herewich
genannt wäre, der mit der Hildesage nichts zu tun hatte. Wer das
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE IIILDESAGK 295
annimmt, kann auch annehmen, tlass die orwähnuug Wates im WldsiÖ
unmittelbar nacii He?iinn und Hagen auf zufall beruht. Da Panzer dies
tiir absohlt unmöglich hält, hätte er es auch mit jener stelle etwas ernster
nehmen sollen. i Wenn also Herewich mit Hagen, Hilde und Wate
zusammengehört, müssen wir schliessen, dass er ursprünglich nicht
eine gestalt aus K H, sondern aus K I ist. Denn von K I handelt,
wie wir gesehen haben, die stelle bei Lamprecht. Dieser auf keine
weise zu umgehende schluss aber hat weitreichende folgen. Es ergibt
sich, dass auch K I einen mitbewerber, und zwar einen nebenbuhler
Wates, kannte; Herwig ist der von Hagen vorgezogene nebenbuhler
aus K I. Also stimmten auch in diesem punkte K I und K H mit-
einander überein.
Das berechtigt zu der frage, ob nicht auch KI wie KU eine
fortsetzung kannte, in der au dem entführer räche genommen wurde.
A priori lässt sich das wol vermuten. Auch die nächsten verwandten
von KI und KU, die Helgisage und die viser von Ribold und von Hilde-
braud und Hilde, kennen eine solche fortsetzung. Und dass sie als ein
selbständiger abschnitt von KI in unserem gedichte nicht überliefert ist,
zeugt nicht dagegen. Infolge der genealogischen Verbindung von K I
mit KU konnte Hetele der räche für Hagen nicht zum opfer fallen;
er musste am leben bleiben, um später durch den entführer seiner
eigenen tochter erschlagen zu werden. Wir haben schon früher bemerkt,
dass es Avahrscheinlich hiermit zusammenhängt, dass auch Hagen in
dem kämpf um Hilde nicht mehr umkommt. Wir werden nun unter-
suchen müssen, ob nicht mehrere widerholungen und inconcinnitäten
in KU darauf beruhen, dass auch die räche für Hagen aus KI in KU
aufgenommen ist.
1) Der parallelisnuis in der Alexanderstelle spricht auch eher dafür, dass zwei,
als dass drei vorgleiclio aufgestellt werden. Acht Zeilen handeln von dem kämpfe
auf dem Wülpen werde, zehn von den kämpfen vor Troja. Macht man aus jener
stelle zwei, so bleiben für jede nur vier Zeilen übrig, gegenüber zehn für die dritte
vergleichung. Ferner wird beide male am schluss Alexander genannt (Voiauor hs.)
1327 fg.: (ne mohte nechain sin) .... der der ic gevaht volcwiclt , dem vhunUjc
Alexander gelich, ibid. 1337 fg.: so mala under in allen %ü Alexander niulit gerallen.
Aber z. 1324 heisst es bloss: so ne ntochter herxo nieth knten (besser in der Strass-
buiger hs. : der ne mohte sich hi xo nihl yeijatcn). Drittens: an beiden stellen \\\\\\
zuerst von dem kämpfe, der mit Alexanders kämpfen vorglichen werden soll, im all-
gemeinen gehandelt (1321 fgg.: kämpf auf dem Wülponworde, wo Hildes vater umkam,
zwischen Hagen und Wate; 1 329 fgg : kämpf zwischen tapfereu beiden in den liodorn
von den Trojanern); darauf werden einzelne heldou genannt (132.') fgg. Herewich,
Wolfwin; 1333fgg. Achilles, Hector, Paris, Nestor). Auch dieser parallelisnuis geht
verloren, wenn mau z. 132D — 28 von 1321 — 24 trennt.
296 BOER
Zunächst hilft Lamprecht uns noch einen schritt weiter. Wenn
Herewich zu KI gehört, so muss dasselbe für den neben ihm genannten
Wolfwin^ gelten. Es ist aber kaum möglich, in ihm eine andere ge-
stalt zu erkennen als den söhn Hagens, der in Küdrün als Heteles söhn
Ortwin auftritt. Also wusste auch K I, dass Hagen von seinem söhne
Ortwin oder Wolfwin gerächt wurde.
Kehren wir zu der überlieferten gestalt von K II zurück. Küdrün
ist Hartmuot gefolgt, während der vater abwesend war. Wir erkennen
die zugrunde liegende sagenform wider. Es ist eine form, die die liebe
der jungen leute schon kennt. (Man vergleiche den Standpunkt der
Horantsage. Auch KI steht nicht weit ab, aber diese version hat
remiuiscenzen an die alte freundschaft zwischen dem entführer und
dem vater erhalten.) Es ist der Standpunkt SH 2 , den die version H,
namentlich die Helgisage zur äussersten consequenz ausbildet. Diese
liebe ist namentlich da ein bedeutendes motiv, wo die tradition einen
nebenbuhler eingeführt hat. Die abneigung gegen den freier, der ihr
aufgedrängt wird, erhöht die gefühle der Jungfrau für den von ihr ge-
wählten liebhaber. Nun haben wir gesehen, dass Herwig nicht zu
KU gehört. Aber unser gedieht kennt zwei nebenbuhler Hartmuots;
neben Herwig tritt Sigfrid von Morlant auf. Was ist der Ursprung
dieser doppelten nebenbuhlerschaft? Man kann freilich vermuten, dass
Heteles ab Wesenheit von hause zu der zeit, als Küdrün entführt wurde,
erklärt werden sollte, dass zu diesem zwecke der einfall Sigfrids von
Morlant in Herwigs land ersonnen wurde, und dass dieser einfall wider
daraus erklärt wurde, dass Herwig der begünstigte freier war. Aber
das ist doch sehr gesucht. Sonst wendet sich der zorn der abgewiesenen
freier stets gegen den vater, und warum muss nun die feindschaft Sig-
frids von Morlant schon wider darin ihren grund haben, dass er abge-
wiesen worden ist? Man kann fragen, ob nicht eher beide nebenbuhler
der älteren tradition angehören, und ob nicht unser dichter sich ihr
Verhältnis so gut wie möglich zurechtgelegt hat. Da wir nun in Herwig
den vom vater begünstigten freier aus KI erkannt haben, lohnt es die
mühe, zu untersuchen, ob nicht Sigfrid von Morlant die ihm ent-
sprechende gestalt aus KU ist^. Das scheint in der tat der fall zu sein.
1) Dass Wolfram ein fehler ist, wurde schon s. 205 anm. bemerkt.
2) Morlant lässt sich dem Serkland vergleichen, woher nach dem SQrla \ik\iv
HeSinn stammt. Es hat dann eine Verschiebung der localuamen stattgefunden , indem
das land, das in einer redaction die heimat des entführers war, in einer anderen zu
der heimat des nebenbuhlers wurde. Für diese erkläiuug von Morlant spricht, dass
auch KI berühiungen mit dem SQrla J)a,ttr aufweist (oben s. 203 fg.).
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAÖE 297
Natürlich musste einer von beiden in unserem gedichte diese rolle auf-
geben. Aber davon abgesehen ist Sigfrid von Morlant eine vollständig
parallele gestalt zu Herwig, und zwar finden sich in seiner geschichte
dieselben zutaten, die auch Herwigs rolle charakterisieren. Sigfrid von
Morlant ist ein nebenbuhler, er wirbt um Kudrun und wird abgewiesen
wie Herwig, er will sich rächen durch einen krieg, — diesmal wider
Herwig, wodurch Hetele veranlasst wird, von hause abwesend zu sein,
wie es die alte Situation erforderte, — er siegt anfangs wie Herwig;
dann muss er freilich besiegt werden, da nur ein freier angenommen
werden konnte, aber er schliesst einen ehrenvollen frieden, und von
nun an tritt er neben Herwich auf, erst bei der Verfolgung des ent-
führers, darauf als helfer bei dem rachezuge. Vielleicht darf man daraus
schliessen, dass schon vor der Verbindung von KI und KH in beiden
redactionen der nebenbuhler nicht auf dem Wülpensande fiel, sondern
mit dem leben davon kam und an dem rachezuge teil nahm^. Das
nähere s. 299 und § 16. Zu der Vermutung, dass in der redactioii, die
Sigfrid von Morlant kannte 2, der nebenbuhler auch die Jungfrau zur
ehe bekam, gibt die Überlieferung keine veranlassung. Man würde in
diesem fall erwarten, dass Sigfrid von Morlant in dem combinierten
gedichte eine der geraubten Prinzessinnen bekommen hätte.
Wir sehen hier, wie KII sofort mit doppelter redaction anhebt.
Darauf erscheinen zwei fürsten, Hartmuot und Ludwig, und rauben
zwei Prinzessinnen, Kiidrün und Hildeburg. Hildes raub war schon in
der ersten hälfte des gedichtes erzählt worden. Aber KI hatte eine
fortsetzung; Hilde wurde später zurückgeführt. Der räuber in KI war
"Wate, aber dieser kam in dem combinierten gedichte in KII auf die
Seite des vaters zu stehen. Für den räuber aus KI musste demnach
in der fortsetzung ein neuer name ersonnen werden. Dies ist Ludwig.
Das mädchen, das neben Küdrün auftritt, bekam einen namen, der mit
Hilde zusammengesetzt ist. Aber das Interesse concentriert sich nun
1) In diesem zusamnienhang ist an die Shetlandsballado zu oriiuicrn, wo der
nebenbuhler gleichfalls den Verführer erschlägt — nicht als vorbild, sondern als eine
parollole.
2) Im gründe kann mau nicht mit Sicherheit behauptou, dass der nebenbuhler
in dieser redaction (K IIj Sigfrid geheissen haben müsse. Der name kann auch in
dem combinierten gedichte für einen anderen namen eingesetzt worden sein, den der
conipilator nicht brauchen konnte, wenn z. b. in KII der nebenbuhler denselben
namen wie in K I trug, und er die beiden gostalton demnach unterscheiden wollte.
Man kann also nur sagen, dass die gestalt Sigfrids von Morlant eine gestalt aus
KII vertritt. — Besser gesichert ist Morlant (s. 296 anm. 2), aber widerum nicht als
das land des nebenbuhlers.
298 BOER
auf eine haiiptperson, Küdrün. Das ist natürlich, denn nur eine von
beiden kann die entführte königstochter sein; Hildeburg wird zu einer
dame aus dem gefolge, wenn auch von hoher geburt^. Es gieng nun
natürlich nicht mehr an, dass Ludwig Hildeburg raubte, um sie zu
heiraten; es trat eine Verschiebung der Verhältnisse ein: Hildeburg trat
zu Kudrün in ein enges Verhältnis, Ludwig zu Hartmuot; er wurde zu
seinem vater 2.
Es herrscht in dem gedichte Unsicherheit darüber, wer Hetele
erschlagen hat. Str. 880 sagt, dass Ludwig der mörder ist; str. 1405
erklärt Hartmuot für schuldig, weniger deutlich auch str. 986 ^ Darin
spiegeln sich die alten Verhältnisse ab. In KI erschlug Wate, an
dessen stelle in dem zweiten teil des epos Ludwig tritt, Hagen; in
KU fiel Hagen durch Hartmuot. Also hat sowol Ludwig wie Hart-
muot den vater der frau erschlagen. (Das epos setzt, wie früher nach-
gewiesen worden ist, in KU Hetele an Hagens stelle.) Wenn nun am
schluss der erzählung Ludwig getötet wird, so beweist das wol, dass
in K I der räuber der räche für den vater zum opfer fiel. Wenn dem-
gegenüber Hartmuot am leben bleibt, so darf man daraus freilich nicht
1) Das gedieht betont noch widerholt, dass auch Hildeburg eine königstochter
ist, vgl. namentlich str. 1059. 1062 (oueh trtioc min vater kröne). Auf solchen stellen
beruht die jüngere Vorgeschichte, die über ihre abkunft ausfühi'lich berichtet. Hin-
gegen kann die bezeielinung diu meit lix, Irlant, Irrtche (1267. 1339. 1650, gegen-
über Portugal der Vorgeschichte, Galitzen 1009), die im überlieferten gedichte bedeuten
soll, dass sie, wie 1009 aussagt, mit Hilde aus Irland gekommen war, älter als die
Vorgeschichte sein und das mädchen als Hagens tochter bezeichnen. — Älter als die
Verlegung von Hagens sitz nach Irland (unten s. 307) ist freilich auch diese bezeich-
nung nicht.
2) Aus diesen Verhältnissen ergibt sich, dass Hildeburg erst später aus KU in
K I übei'geführt worden ist (vgl. die vorige anmerkung). Denn sio hat ihren Ursprung
in der Hilde aus K I. Zwei erzählungen von der rückführuug einer Jungfrau
werden zu einer erzählung von der rückführung zweier frauen, deren eine zwar dem
Ursprünge nach aber nicht mehr in unserem gedichte mit Hilde identisch ist. Aus
der gemeinsamen rückführung folgte, dass sie auch zusammen geraubt sein mussten,
aber noch nicht, dass nun Hildeburg auch in K I auftreten musste. Es war einem
jüngeren bearbeiter, der nicht mehr wusste, dass Hildeburg = Hilde war. beschieden,
sie nun auch noch einmal zusammen mit Hilde geraubt werden zu lassen.
3) Hingegen erklärt str. 936 unumwunden Hartmuot für den entführet der frau,
während in str. 1435 Ludwig als solcher bezeichnet wird. Aus diesem scheinbaren
Widerspruch schliesst Wiimanns, dass Ludwig in eine andere sage gehöre. Ein wider-
sprach, wie der zwischen 880 und 1405 ist eigentlich hier nicht vorhanden, da nach
der darstellung des gedichtes die beiden beiden zusammen an dem raube schuldig
sind , aber diese gemeinscliaftliche schuld erklärt sich auf dieselbe weise wie der oben
genannte Widerspruch, nämlich daraus, dass Ludwig und Hartmuot die räuber aus
zwei Varianten repräsentieren.
UNTERSUCHUXQEX ÜBKR DIR HILDESAGR 299
schliessen, dass das auch die Vorstellung von KU war. Es kann eine
neuerung eines jüngeren dichters sein, der Hartmuot für seine der
Kudrün bewiesene treue belohnen und Hildeburg mit einem manne
versehen wolltet Wenn es Herwig ist, der Ludwig tötet, so ist das
damit in Übereinstimmung, dass Herwig der bräutigam aus KI ist, wie
Ludwig den räuber aus KI vertritt. Doch wird das nicht die älteste
Vorstellung sein. Nachdem die rückführung der Jungfrau in den Vorder-
grund getreten war, fiel — schon vor der Verbindung K I + II — dem
bräutigam die rolle zu, die ursprünglich die des bruders war. Diesen
kennen wir aus der Helgisage und den balladcn (Ribold, Hildebrand
und Hilde), und dass er auch in KI auftrat, lehrt die gestalt Ortwins,
wenn man sie mit dem von Lamprecht genannten Wolfwin zusammenhält.
Sieht man genauer zu, so bestehen trotzdem gründe, Ortwin nicht
KI, sondern KIT zuzuweisen. Darauf, dass auch KU einen bruder
der Jungfrau kannte, der den vater rächte, führt schon die vergloichung
zwischen KI und KTI, die sich auch in anderen punkten so ähnlich
sind. Ferner deutet darauf gerade der unterschied zwischen den namens-
formen Ortwin und Wolfwin. Wenn diese die form aus KI war, so
dürfte jene KU angehören. Aber noch eine andere erwägung ist hier
nicht zu umgehen. Die durchgehende doppelheit der darstoUung in der
zweiten hälfte des gedichtes und die eigentümliche rolle Sigfrids von
Morlant verbürgen zwar mit grosser Sicherheit, dass die fortsetzung von
KI und die von KU zu einer erzählung verbunden worden sind, aber
die gestalt Sigfrids von Morlant an sich wäre doch dazu geeignet,
bedenken zu erregen. Freilicji ist seine rolle, wie s. 297 ausgeführt
wurde, der rolle Herwigs sehr ähnlich, aber seine gestalt ist nur schwach
ausgebildet. Fast nichts charakteristisches wird von ihm erzählt, und
die stellen, die von ihm handeln, machen einen jungen eindruck. Auf-
fallend ist es auch, dass am scMuss des gedichtes, wo wir es doch zu-
nächst mit KU zu tun haben, Herwig, der bräutigam aus Kl, nicht
Sigfrid von Morlant, der bräutigam aus KU, das mädchen gewinnt.
Ich erkläre mir diese eigentümlichen Verhältnisse so, dass die gestalt
des nebenbuhlers in K I mehr entwickelt war als in K II. Hingegen
trat hier der bruder mehr in den Vordergrund. Auffallend is das nicht,
da auch in den nächsten verwandten unserer quellen (der Helgisage und
den viser) der bräutigam iiinter dem bruder zurücksteht. Der Standpunkt
von KU war also in dieser hinsieht altertümliciier als der von KI;
vielleicht war der anteil des bräutigams an dem racliezugo noch ein
1) Tatsächlich ist die gefangennehnmng naitinuots .str. 149.3 nach 1492, wo es
Herwig uiclit gelingt, ihm das leben zu rotten, absolut unmöglich.
300 BOER
geringer ^ Der bearbeiter des gedichtes konnte von den beiden brüdern
nur einen brauchen, er wählte die am deutlichsten ausgeprägte gestalt
aus KU, Ortwin. Die nebenbuhler nahm er beide auf, aber die
hauptroUe fiel hier gleichfalls der am deutlichsten ausgeprägten ge-
stalt, d. h. der aus K I, zu. Daher tritt denn Herwig wider Ludwig,
aber nicht Sigfrid von Morlant sondern zunächst Ortwin, — dann erst
nach jüngerer Vorstellung Wate. — wider Hartmuot auf. Unter solchen
umständen musste es auch Herwig sein^ der am ende Küdrün zur frau
bekam.
Welches ist nun der Ursprung von Küdrüns leidensgeschichte?
Wer die entwicklung der Überlieferung in allen ihren Verzweigungen
aufmerksam verfolgt hat, wird auch bemerkt haben, dass dieses motiv
der sage, und besonders jenem zweige der traditiou, der mit Küdrün
am nächsten verwandt ist, nicht fremd ist. Es begegnet in der ballade
von Hildebrand und Hilde, die selbst ein spross der Hildesage ist, und
zwar jenes zweiges, der in die Helgisage ausmündet und zu der auch
unser gedieht gehört {H3). Aber die leidensgeschichte hat in der
ballade eine ganz andere, altertümlichere gestalt als in dem deutschen
epos. Der liebhaber hat das mädchen entführt und darauf im kämpf
den vater und die brüder, — in der nahe verwandten Riboldvise auch
den bräutigam, — erschlagen. Der jüngste bruder tötet darauf den
liebhaber, nachdem das mädchen von diesem durch ihre bitten die
Schonung des bruders erwirkt hatte 2. Dann schleppt er sie zu der
mutter, wobei die dornen am wege ihre füsse, ihre brüst, ihren ganzen
körper verwunden, und bestimmt mit der mutter die strafe. Sie wird
eingesperrt und darauf an eine fremde königin verkauft, für die sie
nähen und sticken muss. Diese königin ist in den meisten Versionen
die mutter ihres geliebten (so dAEF, in dB ist sie seine Schwester).
1) Man könnte vorsucht sein, aus str. 1154 fg., wo Ortwin der erste der boten
ist und Herwig sich ihm anschliesst, zu schliessen, dass noch dem dichter dieses
auftritts der bruder wichtiger als der bräutigam erschien. Aber die stelle ist jung
und die botenscene gehört, wie ^wir § 16 sehen werden, K I an. Die angezogenen
Strophen, die eine einleitung der botenscene bilden, werden wol erst entstanden sein,
nachdem die combination K I -j- II erfolgt war.
2) "Wir haben schon früher (s. 185 fg.) gesehen, dass das ursprünglich so zu
verstehen ist, dass der bruder frieden erhält, dann aber dem Schwager die treue
bricht (so noch in der Helgidichtung und in der Hclmorballade). Hat man vielleicht
darin , dass Hartmuot auf KiidrCins bitte geschont wird , eine umgedeutete reminiscenz
an den frieden, den der bruder auf die bitte der Jungfrau von dem liebhaber erhält,
zu erblicken?
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 301
sABC erzählen auch, dass sie bei der arbeit geschlagen wird. Alle
wesentlichen demente von Küdrüns leiden sind also vorhanden.
In dem hochdeutschen gedichte sind diese motive der neuen
Situation entsprechend verschoben. Die durchgreifendste neuerung
des gedichtes ist, dass Küdrün nicht mehr freiwillig Hartmuot gefolgt
ist; der bruder, der sie zurückführt, ist von dem ihr von anfang an
bestimmten briiutigam, dem sie treu geblieben ist, und nach dem sie sich
sehnt, begleitet. Der bruder und die mutter haben also keinen grund,
ihr böses zuzufügen. Um so mehr grund hat dazu die mutter des ent-
führers, von dem sie nichts wissen will. Diese frau erhält die rolle
der bösen mutter. Das konnte um so leichter geschehen, als auch in
der quelle, die durch die vise repräsentiert wird, das mädchen einer
fremden fürstin, die sich schliesslich als die mutter des liebhabers er-
weist, dienen muss. Dass diese fürstin, als sie vernimmt, wer das
mädchen ist, das ihr dient, sie freundlich behandelt, war natürlich in
dieser form unbrauchbar; wir werden aber sehen, dass auch dieser zug
anderswo Verwendung gefunden hat. Da Hartmuot Küdrün aufrichtig
liebt, konnte der zorn des bruders nicht auf ihn übertragen werden;
alle bosheit concentriert sich also in Gerlint. Ferner wird die Unter-
scheidung zwischen der bösen mutter, die das mädchen verkauft, und
der fremden fürstin, der sie dient, aufgehoben; Hartmuots mutter ist für
Küdrün, ohne dass sie verkauft wird, eine fremde fürstin; fremder dienst
ist auch Küdrüns los; in Gerlint fallen die böse mutter und die fremde
fürstin, für die sie arbeiten muss, zusammen. Die freundliche seite der
fremden fürstin hingegen, die das arme mädchen bemitleidet und ihr
leid zu lindern strebt, finden wir auf die leibliche mutter übertragen.
Das ist das resultat der Umarbeitung. Diese ist aber nicht aus
einem guss, sondern schritt für schritt entstanden. Der weg, den sie
gegangen, lässt sich an mehreren stellen, die deutliche Übergangsstufen
repräsentieren, erkennen. Wir müssen uns zunächst noch einmal die
darstellung der vise vergegenwärtigen. Sie weiss von einem guten Ver-
hältnis der Jungfrau zu dem entführer und einem schlechten Verhältnis
zu der Schwiegermutter. Dieses findet darin seine erklärung, dass die
Schwiegermutter nicht weiss, wer das mädchen ist, und das ist möglich,
da der söhn nicht anwesend ist; — der schwager hat ihn schon früher
erschlagen. Die reihenfolge der begebenheitcn ist nämlich 1. entführung,
2. tod des liebhabers und rückführung der Jungfrau, 3. schlechte behand-
lung durch die Schwiegermutter (au die sie verkauft war). Für eine
bearbeitung, die mit der rückführung schloss, war diese reihenfolge
nicht brauchbar; die schlechte bchiiiidhing durcii die Schwiegermutter,
302 BOER
ursprünglich eine folge der von der eigenen mutter auferlegten strafe,
wurde vor die rückführung gestellt und fiel nun zeitlich mit der guten
behandlung durch den entführer zusammen. Aber dadurch musste die
entschuldigung der schlechten behandlung, die darin bestand, dass die
Schwiegermutter die Schwiegertochter nicht kennt, hinfällig werden, und
eine neue erklärung tat not. Am nächsten lag die, dass die Schwieger-
mutter sich der ehe des paares widersetzt. Tatsächlich finden sich in
Küdrün sehr deutliche spuren dieser auffassung.
1012. 13 kommt Hartmuot von einer reise heim. Küdrün geht
ihm entgegen, — weshalb tut sie das, wenn sie nichts von ihm wissen
will? — und beklagt sich über die schlechte behandlung, die die mutter
ihr widerfahren lässt.
1025 raten die freunde: ex Uep oder leit siner muoter ivcere, daz
er die scha'nen 7neit in sinen icillen hrcchte, sivä mite er künde. Also
soll Hartmuot Küdrün minnen gegen Gerlints willen ^
1029 — ;)1. Hartmuot schlägt Küdrün eine Vereinigung ohne
officielle eheschliessung vor. Diesem wünsch widersetzt sie sich: andere
fürsten würden sagen, sie sei ein kebsweib in Hartmuots lande. Man
hat darin einen beweis von Hartmuots hoher gesinnung gesehen, dass
er zwar einen augenblick daran denke, sie zu vergewaltigen, aber sofort
davon absehe, als sie ihm zu erkennen gibt, dass solches sich nicht
zieme. Aber es ist an dieser stelle nicht die rede davon, dass er sie
gegen ihren willen, sondern dass er sie gegen den willen anderer, aber
mit ihrer Zustimmung besitzen will. Das ist zwar aus seinem verschlag
nicht mehr ersichtlich, geht aber deutlich aus seiner antwort (1034)
hervor: wa% ruohte ich., tcax si tceten, . . . ohe et ez iuch eine, vrouice^
diuhte guot, su tvolte ich künic^ iverden und oiich ir kilnigiiine. Die
hoffnung, Küdrün werde sich ihm ohne weiteres ergeben, hat doch
keinen sinn, wo Hartmuot weiss, dass sie nur ihre einwilligung zu
geben hat, um seine legitime frau zu werden. Zwar ist dann wider
z. 4 an die jüngere auffassung angepasst; Küdrün sagt: sU äne sorge,
daz ich iuch immer gerne minne, also will sie ihn nicht lieben,
wenigstens wenn man die stelle in Zusammenhang mit 1032 liest ^.
1) Es fällt auf, dass AVilmauns, dessen buch mit einer anführuiig dieser Strophe
beginnt, nicht bemerkt hat, dass sie sich mit der grossen masse gar nicht verträgt,
und ihr s. 16 einen platz unmittelbar nach str. 1017, wo Gerlint Küdrün mit hesernen
zu der hochzeit zwingen will, anweist.
2) "Was bedeutet es, dass Ilartmuot durch die Vereinigung mit Küdiün künic zu
werden hofft ? Es scheint wol , dass er eine solche Verbindung als einen act der Selb-
ständigkeit aufiasst, durch den er sich der Vormundschaft seiner mutter entziehen würde.
3) Für sich betrachtet, kann sie auch das umgekehrte aussagen.
TTNTERSUCmrXGEN ÜBER DIE HILDESAGE 303
Aber das ändert daran nichts, dass sie lO'M) nur ilire furcht vor der
schände seinem willen entgegengestellt hat, was in hinblick auf 1031
und namentlich auf 1025 nur eine deutung zulässt.
Demselben gedanken begegnen wir 1040. Küdrün dankt Ortrün
dafür, daz ir mich so gerne gekrmnet scehet stän bi Ilartmaote dem
künege. AVenn Gerlint dasselbe wünscht und darum Küdrün verhasst
ist, welches verdienst erwirbt sich dann Ortrun dadurch, dass sie die
liebe zwischen Küdrün und Hartniuot fördern will? Die worte erklären
sich aus dem Übergangsstadium, in dem Gerlint sich der ehe widersetzt.
Also lassen sich folgende stufen unterscheiden:
1. die Jungfrau wird von einer fremden königin misshandelt, an
die sie verkauft worden ist, und die, Avas sich erst später herausstellt,
die mutter des geliebten ist (so die visc).
2. die Jungfrau wird von der mutter des geliebten misshandelt,
die sich der ehe widersetzt (str. 10 12 fg. 1025. 1029 — ;U. 1040).
3. die Jungfrau wird von der mutter des geliebten misshandelt,
die sie zu der ehe mit ihrem söhn zwingen will. 8o in der erhaltenen
bearbeitung der Küdrün.
Auch die dritte stufe ist wol nicht ganz einheitlich. 104;) will
Küdrün Hartmuot nicht lieben. Aber was sie zurückhält, ist mehr ein
Pflichtgefühl als liebe zu Herwig. Sie will dem treu bleiben, dem man
mich bevestenl hät^ wenigstens so lange er lebt: €%■ en.si dax er sterbe,
ich gelige nimmer bi recken llbe. Also wenn Herwig stirbt, wird sie
die frage anders beurteilen. An jüngeren stellen verlangt sie nach
Herwig und wünscht, dass er sie aus der gef an genschaft erlöse (1241.
1246 u. a.)i.
Es ist an der zeit, einem möglichen einwände zu begegnen. Man
kann fragen, ob die erklärung eines teils unseres epos mit hilfe der
Hildebrandsvise nicht an demselben fehler leidet, wie z. b. die erklärung
eines anderen teils aus der Shetlandsballade. Gilt nicht auch hier, dass
ein Volkslied ein zu unsicherer boden für die kritik eines älteren ge-
dichtes in einer anderen spräche ist? Darauf antworte ich: Auch wenn
wir ganz davon absehen, dass die Hildebrandsvise eine weit grössere
Verbreitung hat als die Shetlandsballade, so ist doch zwischen diesem
und jenem verfahren ein sehr bedeutender unterschied in methodo-
logischer hinsieht. Denn nicht aus einer beeinflussung der Kridn'in
1) Allerdings wird es sich später ergeben, dass str. 1246 verliültnismässig alt
ist und zwar älter als die Verbindung K I + H. Aber dem widei-sitricht nicht, dass
sie jünger als die oben besprochenen stellen sein kann. Die neue auffassuug von
Küdrüns ciiarakter ist älter als die Verbindung K I -|- II (§10).
304 BOER
durch die vise erkläre ich die ähnlichkeiten zwischen beiden, sondern
aus ihrer nahen Verwandtschaft, die sich nicht nur hier, sondern durch-
gehends zeigt. Küdrüns leidensgeschichte beruht demnach nicht auf
einer contamination mit einer fremden erzählung, sondern auf einer
durchaus natürlichen entwioklung innerhalb der Hildedichtung, die sich
in zwei voneinander unabhängigen quellen manifestiert. Man kann also
höchstens fragen, warum die Vorstellung, die die vise von den leiden
der Jungfrau gibt, für die ursprünglichere, die des epos, das doch viel-
leicht etwas älter als die vise ist, für die abgeleitete gelten soll. Die
begründung dieser ansieht aber liegt in dem Verhältnis der psycho-
logischen motive. Wenn es richtig ist, dass ursprünglich das mädchen
freiwillig dem entführer gefolgt ist, und dass ihre abneigung gegen ihn
eine neuerung des deutschen gedichtes ist, so muss auch, wenn wir
in einer fassung lesen, dass sie durch ihre eigenen verwandten, in einer
anderen, dass sie durch die verwandten des entführers misshandelt wird,
jene Vorstellung älter sein als diese. Denn diese neuerung hängt mit
jener direct zusammen. Wenn die misshandlung durch die eigenen ver-
wandten noch in einer anderen bailade, die einen anderen stoff be-
handelte, überliefert wäre, so könnte man die frage auf werfen, ob
darin etwa ein umgedeuteter nachklang der Küdründichtung zu suchen
sei; aber dies ist nicht möglich, wo wir es in einer ballade finden,
die gerade die alte Hildesage erzählt und in der diese misshandlung
in dem, was vorhergeht, ihre psychologische begründung findet. Also
muss die rahmenerzählung der ballade, die den schluss der ge-
schieh te mitteilt, aus einer Hildedichtung stammen, die diese leiden
enthielt, und diese dichtung muss eine directe Vorstufe von Küdrün
gewesen sein ^
Aus dem hier gesagten folgt nicht, dass die breite ausführung von
Küdrüns leiden nicht unter dem einfluss anderer weiter abstehender er-
zählungen, die von den leiden einer frau handeln, zustande gekommen sein
kann. Wie die entführungssage in unserem epos nach dem vorbilde von
dichtungen, die die werbungssage erzählen, ausgestaltet ist, so sind auch
die übrigen teile des gedichtes von fremden einflüssen nicht unberührt
geblieben (s. § 18. 15). Aber für den Ursprung der motive sind solche
secundäre eintlüsse ohne bedeutung. Und der Ursprung dieses motivs
1) Wir finden hier bestätigt, was s. 187 vermutet wurde, dass der ausgang der
geschichte in der Hildebrandballade nicht eine erfindung des balladendichters ist, son-
dern aus einer sehr nahe verwandten Überlieferung stammt. Wie die Kiboldballade
an die Helgidichtung , so hat die Hildebrandballadc sich an eine ältere gestalt der
Kiidrundichtung angeschlossen.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE IIILDESAGE 305
sowie der meisten, die niclit rein äusserlich angehängt worden sind,
Jiegt nicht ausserhalb des Stoffes, sondern in demselben.
Wir versuchen jetzt, die drei in Küdrün benutzten formen der
Hildesage in unsere genealogische tabelle einzureihen.
Über die form Klb, die ihrerseits schon früh aus zwei Versionen
(Hörant, Hetele) zusammengesetzt worden ist, lässt sich nur sagen, dass
sie von SH2 stammt. Horant weiss die liebe des mädchens zu erwerben.
Dass er es durch seinen gesang tut, ist schon eine neuerung, die zwar
in unserer Überlieferung an einzelnen stellen widerkehrt, aber zu spo-
radisch, um den schluss auf eine nähere Verwandtschaft zuzulassen.
Der gesang ist kein merkmal einer besonderen gruppc, sondern nur
einzelner Versionen (der Riboldvise und einer version der Walthersage).
Sonst sind keine andeutungen vorhanden, dass Klb einer dieser Über-
lieferungen besonders nahe stehe. Bei dem nahen Verhältnis der Ver-
sionen Kl und KU zu der gruppe, zu der auch die vise gehört, k-'önnto
man am leichtesten an einen Zusammenhang mit der visc denken, aber
beweisen lässt sich dies nicht. Da alles, was auf die flucht folgt, fehlt oder
wenigstens nicht widerzuerkennen ist, muss eine genauere bestimmung
dieser version unterbleiben. Vielleicht stand sie von den beiden anderen,
KI und KU, nicht weit ab. Mit KU hat sie gegenüber KI gemein,
dass sie von einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen vater und lieb-
haber nichts mehr weiss. Aber das kehrt auch in ferner abstehenden
recensionen (SH6) wider, während KI sich hier mit PH berührt.
Um so besser lässt sich die Stellung von KI und KU bestimmen.
Beide haben die ganze entwicklung von H bis //o durchgemacht. Jede
stufe hat ihre merkmale hinterlassen. Wir unterscheiden: H: Kampf
zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn. SHl erkläi'ung des kampfes
durch die entführung der tochter. SH 2 {=Hl) erkläiung der ent-
führung durch die liebe des jungen paares, 112a.: sieg des Schwieger-
sohnes; /f 2b: einführung des nebenbublers; H'.->: räche durch den söhn.
Erst von da an trennt sich die Überlieferung von den übrigen zu //:>
gehörigen Versionen ab. Also sind die nächsten verwandten von K I
und KU die Helgidichtung und die balladcn. Aüders gesagt: die beiden
gedichte, die in Küdrün miteinander verbunden sind, stammen beide
von einer älteren Hildedichtung, aus der auch das zweite Helgilied und
die drei bailaden geflossen sind. Auf deutschem boden ist der nächste
verwandte die Walthersage. Aber diese Verwandtschaft liegt weiter
ziu'ück. In einzelnen, geringen zügen lässt sich ein Zusammenhang mit
einer weiter abstehenden fassung (Sorla In'ittr, s. s. 208fg. 2i)()) constatioren,
Z KI TSC II RITT F. DKUT.SCHK I'IIILOI.OÜIK. liD. XI.. 20
306 BOER
der auf einer schwachen contamination mit einer vorstnfe des I)attr
beruhen muss^
Graphisch lässt sich dieses verliültnis auf die foli^-ende weise aus-
drüclcen (vgl. die tabclle s. 195)-.
El = SH2
I I
^2a SH3 = fHl
W n2h / !'H2
n r / ...••••■■ I
H3 Shetlaudsballade fHS
HA Grundlage Ur-K
der balladen "j j~
KI KU
Küdruii.
Die Versionen EI und KU haben nach ihrer abzweigung von
dem hauptstamme noch eine gemeinsame entwicklung durchgemacht.
Darauf weisen mehrere gemeinschaftliche neuerungen, wie die rück-
führung der frauen und auch Küdrüns leiden. Dass diese leiden sowol
KI wie KU bekannt waren, wird § 16 erörtert werden. Zu den gemein-
schaftlichen neuerungen ist auch die localisierung des kampfes auf dem
Wülpensande, die bei der späteren Verbindung der beiden recensionen
in KI wider verloren ging, zu zählend Sonst lässt sich aus den ver-
worrenen localen Vorstellungen des deutschen gedichtes nur wenig
schliesscn. Aber wenn es wahr ist, dass der Wülpensand an der Scheide
zu suchen ist, so deutet das darauf, dass die localisierung des eutführers
1) Diese contamination muss vor der Überführung des stoffes nach Deutsch-
land stattgefunden haben. Über die wichtigen Schlüsse in bezug auf das alter und
die heimat von Ur-K, die sich daraus schliessen lassen, s. § 17.
2) Die sccundären beziehungen zwischen einzelnen bailaden und anderen fassungen
der Überlieferung werden auf folgende weise am besten zum ausdruck gebracht:
H3
I I "
i74 • Grundlage Ur-K
(totenritt) der balladen (einführung von Kudrüus leiden)
i I I I
Ur- Hildebrand Helmorballade KI K II
\ ~ Y
Ur-Ribold Ilildebrand Küdrün
I I
Earl Brand Ribold
3) Diese ncuerungon berechtigen zu der aufstoUung von Ur-K. Von anderen
neuerungen, die sowol KI wie KU, aber nach ihrer abzweigung von Ur-K betroden
haben, wird später die rede sein.
XmTERSUCHTJNGEN ÜBER DIE IHLDESAGE 307
in der Normandie nicht eine junge erfindung ist. Unser gedieht macht
Hagen zu einem könige in Irland, was reine willkür ist. Wenn aber
in KU der vater in Dänemark regiert, so konnte das richtig sein. Er-
innern wir uns, dass auch im SQrla fmttr und bei Saxo Hogni in Däne-
mark regiert, und dass er bei Snorri von seinem lande aus nordwärts
segelnd nach Norwegen gelangt, während die quellen Heöiun entweder
aus Norwegen oder aus einem unbekannten lande (Serkland im Sgrla
|>uttr) kommen lassen, so werden wir schliessen müssen, dass in KI
und KU der vater, d. h. Hagen, in Dänemark regierte, dass der ent-
führer in der Normandie wohnte und auf der flucht dahin bei dem
Wülponsande eingeholt wurde. Der bearbeiter unseres gedichtes, der
den vater aus KII aus früher erörterten gründen Hetele nannte, hat
nun auch die consequenz gezogen , dass dieser fürst in Dänemark regierte.
Für Hagen hat er ein neues reich in Irland ersonnen. Die Versetzung
Hagens nach Irland und die Verlegung des kampfes in K I nach Waleis
hängen innig zusammen ^
§ 13. Werbunussagoii und deren bedeutung' für Küdriln.
Es gibt eine klasse von litterarischen Stoffen, die im mittelalter
seiir verbreitet war und in ihrem hauptmotiv, der entführung einer
Jungfrau, mit der Hildesage eine grosse ähnlichkeit aufweist. Zur Unter-
scheidung von den entführungssagen , die durch Hildesage, Helgisage,
Walthorsage repräsentiert werden, und den rückführungssagen, die noch
zur spräche kommen werden, wollen wir sie als 'werbungssagen' be-
zeichnen. Auf deutschem boden ist der bekannteste Vertreter des tA'pus
die erzählung von Osantrix brautfahrt, die ein mittelhochdeutsches
gedieht an könig Rother knüpft. An die geschichte von Osantrix
schliesst sich eine ähnliche erzählung von Attilas braut Werbung an.
Die Überlieferung führt nach der weise der spielleute die erzählung
durch zwei geschlechter, ganz in derselben weise, in der die entfüh-
rungssage in der Küdrün widerholt worden ist.
Das Schema der werbungssage, über deren Ursprung und Verbrei-
tung wir hier nicht zu handeln haben 2, ist folgendes: ein könig besitzt
1) Ob clie.se änderungea auf dem eintluss der Tristansage beruhen, — aucli
Isolde stammt aus Irlant, und die Werbung um Hilde hat grosse ähnlichkeit mit der
werijung um Kudrun (Deutschbein, Studien z. Sagcngesch. Engl. I, 170), — oder
ob die wähl des landcs vollständig willkürlich ist, was sehr wol möglich ist, ontschoido
ich nicht.
2) Buggc, Helgedigtene s. 252 fgg. vergleicht den prosaischen eingang der llel-
gakv. IljorvarSssonar (vgl. über diesen s. 311 anm. 3), Von den übrigen dort ange-
geführten Überlieferungen kommt namentlich Fredegars darstellung (III, 17 — 19) von
2(J*
308 BOEI?
eine schöne tochter, die mit grösster Sorgfalt gehütet wird. Freier
werden zurückgewiesen, nicht selten sogar strenge bestraft. Ein anderer
fürst vernimmt von dieser prinzessin und entschliesst sich, um sie an-
zuhalten. Aber seine boten werden schmählich behandelt oder gar ins
gefäugnis geworfen. Dann fasst der fürst den entschluss, andere boten
zu senden oder selber die fahrt zu unternehmen. Diesmal reist man
unter fremden namen. Man will versuchen, sich der dame durch list
zu nähern und sie wider den willen ihres vaters zu entführen. Die
eutführung gelingt entweder durch eine einfache list oder unter gleich-
zeitiger anwendung von gewalt. Mitunter findet der vater der prin-
zessin bei dieser gelegenheit den tod, oder er entkommt mit genauer
not^. Die folge der entfübrung kann ein langjähriger krieg sein.
Obgleich diese erzählung ihrem Ursprung und ihrem inhalte nach
von der entführungssage grundverschieden ist, so hat die ähnlichkeit,
die in einem bestimmten punkte besteht, fi'üh berührungen der beiden
sagen zur folge gehabt. Das product dieser berührungen sind misch-
formen, die in der litteratur in ziemlich grosser anzahl vorliegen. Wer
das historische Verhältnis der sagen verstehen will, muss also damit
beginnen, die typen genau zu unterscheiden. Dies ist auch gar nicht
schwer, wenn man nur nicht von offenbaren mischformen, sondern von
den älteren, reineren formen der sage ausgeht. Schon aus der ent-
wicklung der Hildesage ergibt sich, dass sie nicht mit den werbungs-
sagen gleichen Ursprunges sein kann. Denn die entfübrung, obgleich
früh zum hauptmotiv der sage erhoben, ist doch nicht das ursprüng-
lichste motiv (§ 5), während sich eine der Hildesage ähnliche werbungs-
sage ohne entfübrung gar nicht denken lässt.- Aber auch die zur vollen
entwicklung gekommene Hildesage unterscheidet sich von den werbungs-
sagen so deutlich, dass es sogar bei den mischformen in den meisten
Chlodwigs brautfahrt in betracht. Eine reihe von beispielen bietet P. Rajna, Le
origini dell' epopea francese s. 80 fgg.
1) Die stelle J'S c. 3(5, wo Milias von Aspilian einen schlag bekommt, dass er
betäubt zu boden sintt, macht den eindruck einer neuerung dafür, dass er getötet
wird. Es verdiezit beachtung, dass in einem ganz ähnlichen auftritt, — nur nicht in
dem unmittelbaren Zusammenhang einer brautwerbung, — Osantrix von Vildifer er-
schlagen wird (c. 144). An beiden stellen erlösen freunde, die unter falschem namen
angekommen sind, den im gefäugnis ihrer harrenden freund. Die zuletztgeuannte
stelle gehört dem bericht von einem kriege an, der eine folge einer brautwerbung ist.
2) Eine werbungssage ohne entfühiimg, — einer der ausgangspunkte der
späteren litterarischen fassungcn, — ist die bei Paulus Diaconus erzählte brautfahrt
Autharis, aber diese hat mit der Hildesage auch nicht die geringste ähnlichkeit.
rNTERSUCHUNGEN ÜFiKI} DIK IIILDESAGK, 30'J
fällen wol möglich ist, die Zugehörigkeit jedes einzelnen zuges zu
bestimmen. Die bedeutendsten unterschiede sind die folgenden:
Die Averbungssagen erzählen ausnahmslos von königen, deren hof-
haltung gern ausführli*:h beschrieben wird und aucii für die entwicklung
der begebenheiten nicht ohne bedeutung ist. Die Hildesage hingegen
handelt ursprünglich nur von wikingen oder von heerkönigen; wo die
gegner, wie in der Helgisage, zu königen werden, bleibt doch der
äussere glänz etwas nebensächliches.
Die werbungssagen berichten von einer prinzessin, die sorgfältig
gehütet wird, und der man sich nur nach Überwindung vielfacher
hindernisse nähern kann. Die älteren Versionen der Hildesage Avissen
davon nichts.
Damit hängt es zusammen, dass in den vferbungssagen der vater
das mädchen nicht verheiraten will. In der Hildesage fehlt dieser zug.
Die älteste version (Saxo 1) weiss sogar noch, dass Heöinn HQgnis
tochter mit der Zustimmung des vaters erwirbt. In einer jüngeren
Version (SQrla I)ättr) ist der vater bereit, die tochter dem freunde zu
geben, aber dieser zieht es vor, sie zu rauben. In den alten Versionen
entführt der liebhaber das mädchen, ohne zuvor um sie angehalten zu
haben, während der vater abwesend ist, oder wo von einer Weigerung
die rede ist, ist der grund dazu nicht, dass der vater sie überhaupt
nicht verheiraten will, sondern dass er sie einem anderen freier be-
stimmt hat. Von einer vorausgehenden Werbung durch boten, die zu
dem festen bestände der werbungssage gehört, weiss denn auch die
Hildesage nichts.
Die werbungssagen lassen den abgewiesenen könig einen plan
schmieden, um durch list seinen zweck zu erreichen. Die Vorbereitung
und ausführung dieses planes wird umständlich erzählt. Die Hildesage
weiss weder von dieser planlegung noch von diesen listen etwas. Der
entführer hat keine anderen helfer als seine kriegsgefährten, die erst
bei dem späteren gefecht mit dem verfolgenden vater handelnd auf-
treten. Die erzählung beginnt entweder mit der freundschaft der könige,
worauf die entführung unmittelbar folgt, oder sie setzt sofort mit der
entführung ein.
In den werbungssagen gehört eine Verfolgung, die ein seiir wesent-
liches element der Hildesage ist, zu den ausnahmen. Das hängt damit
zusammen, dass bei der entführung gewalt und list zugleich angewendet
werden. Der kämpf zwischen beiden parteien findet also vor der ent-
führung statt. Dies ist z. b. in der erzählung von Melias tochter Oda
der fall. AVenn die entführung, wie die von Osantrix' tochter Erka,
310 BOER
durch list allein gelingt, so schliesst sich allerdings eine Verfolgung an,
aber diese führt nicht zu einem entscheidenden kanipfe, sondern zu
einer belagerung, aus der der entführer durch zu hilfe eilende Streitkräfte
gerettet wird. Im Rother sind die gewalttaten vor der entführung zu
kraftproben und dem vater gewährte hilfeleistungen umgemodelt; die
entführung erfolgt dann während der abwesenlieit des vaters, aber eine
Verfolgung findet nicht statt; statt dessen wird die geschichte durch eine
neue entführung der Jungfrau weitergesponnen.
Dem entspricht; dass auch die gewaltige schlacht auf der heim-
reise und damit der erschütternde ausgang der Hildesage, dass die
gegner einander töten, fehlt. Die jüngere form der Hildesage, die nur
den tod des Schwiegervaters kennt, steht der werbungssage insofern
näher, als auch hier der Schwiegervater den kürzeren zieht, aber w^ie
oben gezeigt wurde, sind die umstände ganz anderer art, indem der
Schwiegervater in seinem eigenen palaste erschlagen wird oder vor den
feindlichen gasten fliehen muss. Und der zug, der in der Hildesage
mit der besiegung des Schwiegervaters sehr früh verbunden w-urde, dass
der söhn den vater rächt, fehlt in den werbungssagen vollständig. Ebenso
fehlt die rückführung der schw^ester und ihre strafe oder belohnung.
Einen nebenbuhler kennt auch die erzählung von Erkas entführung.
Aber seine rolle lässt sich mit der des nebenbuhlers der Hildesage nicht
vergleichen. Er dient nur dazu, um Attilas boten, der sich in Osan-
trix' vertrauen eingeschlichen hat, eine gelegenheit zu geben, sich mit
der königstochter zu unterhalten und unter dem scheine, dass er die
Sache des nebenbuhlers führe, seinem herrn zu empfehlen.
Auf grund dieser vergleichung kann man ruhig sagen, dass die
entführungssage und die werbungssage nichts als die entführung gemein
haben, und dass alle weiteren Übereinstimmungen, die sich zwischen
der werbungssage und sehr jungen redactionen der Hildesage finden,
entweder auf zufall oder auf entlehnung beruhen.
Solche Übereinstimmungen mit werbungssagen finden sich in Küdriin
in ziemlich grosser anzahl. Wie sie zu beurteilen sind, ergibt sich
aus dem vorhergehenden. Hier befinde ich mich in grösserem cinver-
ständnis mit Panzer als bisher. Panzer glaubt, eine umfangreiche be-
nutzung des Rother in der Küdrün nachw^eisen zu können. Der beweis
einer directen benutzung scheint mir zwar nicht sicher erbracht zu sein
(vgl. § 15), aber so viel lässt sich sagen, dass wo in der Küdrün züge
auftreten, die nicht zur Hildesage gehören, aber aus dem Rother be-
kannt sind, diese, wenn auch nicht direct aus dem Rother, so doch
aus einer der im Rother miteinander verbundenen sagen stammen müssen.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE IIILDESACE 311
Zur Werbungssage gcliört jedesfalls, dass der vatcr seine tochter keinem
freier geben will, dass Hetele und später Hartmuot durch boten werben,
dass sie listen ersinnen^, um ihren zweck zu erreichen, namentlich dass
man sich für vertriebene ausgibt.^ Hingegen ist Küdrüns lachen (1320),
wenn es sich mit dem verräterischen lachen der frau in Rother, wo-
mit Panzer es zusammenstellt, vergleichen lässt, nicht auf den ein-
fluss der werbuugssage sondern der rückführungssage, die den Inhalt
der zw-eiten hälfte des Rother bildet, zurückzuführen. ^
1) Die listen könneu freilich zum teil auch aus einem anderen typu.s, der lück-
fühiungssage (§ 15) stammen.
2) Panzer, d«r eine tiefgehende beeinflussung des gedieh tes durch den Rother
annimmt, verfährt incousequent, wenn er züge, die zwar im Eother und in der
Küdrün, nicht aber in anderen Versionen der Hildesage begegnen, dennoch für echte
motive der Hildesage erklärt. So urteilt er z. b. s. 278 über die angebliche ächtung
der fremden an Hagens hofe. Dieses urteil hat einzig und allein darin seinen griuid,
dass Panzer diesen zug für seine construction der sage aus dem Goldener- märchen
brauchen kann. (Die behauptiing s. 279, dass auch Saxo das motiv gekannt haben
müsse , ist absolut grundlos.) Consequentorweise sollte er diesen zug aus dem Rothor
herleiten , wie er unmittelbar vorher das kaufmannsmotiv aus der Salomonsago ableitet.
Die argujnentation, die fremden müssen 'irgendwie schon in der Überlieferung, wie
sie dem dichter zukam, an Hagens hofe ihre anwesenheit motiviert haben' (sie!),
kann doch kein beweis für die echtheit der angeblichen ächtung sein. Nach unserer
auffassung gehört "Wates ankunft bei Hagen und sein kriegerisches benehmen zwar
zu der alten Überlieferung von KI, aber die angäbe, er sei aus seinem lande ver-
trieben, zu den listen, die in der werbungssage einen festen platz haben. Ob sie
schon in K I oder erst in das combinierte gediclit aufgenommen ist, lässt sich, ohne
tiefer auf die frage einzugehen, nicht entscheiden.
3) Einen abweichenden typus der werbungssage vertritt die prosaerzähluug, die
als einleitung zu der H. Hj. mitgeteilt wird. HJQrvarSr wirbt durch boten um Sigrlinn,
die tochter Sväfnis. Auf den rat Fräumars, eines vertrauten des königs, wird sie
ihm verweigert. Dann macht HjorvarSr sich mit seinem beere auf, die braut zu holen.
Inzwischen ist ein nebenbuhler, Hrüömarr, aufgetreten. Dieser verwüstet das laud
(er ist also gleichfalls abgewiesen worden). Er hat König Sväfnir getötet. HJQrvarÖr
erbeutet das mädchen, das von Fränmarr in adlergestalt bewacht wird, und zugleich
Frünmars tochter. Nun hat er für sich und für seinen boten eine braut erworben.
Sein söhn tütet später Hroömarr und rächt also seinen grossvater.
Hier finden sich zusammen 1. eine vergebliche Werbung, 2 eine darauf folgende
gewaltsame entfühniug. Aber die erzählung ist erweitert durch einen nebenbuhler,
der den vater getötet, aber nicht das mädchen entführt hat, und sich also weder
mit dem entführer noch dem nebenbuhler d^r Ilildesago vergleichen lässt. Eher steht
dieser mit Sigmunds nebenbuhler Lyngvi auf einer liuio. Darauf deutet auch der zug,
dass Svävas sohu seinen grossvater rächt wie der söhn der Hjtjrdis. (Ein unterschied
besteht darin, dass HJQrvarÖr nicht wie Sigmuodr durch den nebenbuhler fällt.) Also
würde die erzählung eine durch den oinfluss der Sigmundsage erwoitortu form der
werbungssage sein. Eine unklare rolle spielt Fränmarr; am meisten ist er jedoch dorn
312 BOKR
§ 14. Andere inischformen.
1. Herbort und Hilde.
Die g^eschichte ist in zwei quellen, der PiÖreks saga und dem
Biterolf überliefert. Die Überlieferung der saga ist die ausführlichste
und verdient auch sonst vor der Biterolfstelle den Vorzug. Die erzäh-
lung beruht auf einem sehr rohen spiehuannsgedichte, das aus ver-
schiedenen bruchstücken zusammengeleimt war. In der saga geiiört
sie dem zweiten interpolator, der vielfach schlechte quellen benutzt
hat, an. Die herkunft der einzelnen züge ist ziemlich leicht zu er-
kennen. Es ist unverständlich, wie Panzer auf die torheiten dieser
erzählung seine beweisführung, dass man es hier und anderswo mit
dem Goldener- märchen zu tun habe, hat stützen können. Schon die
namen zeigen, wie sehr der stoff von überallher zusammengesucht ist.
Herbort muss für Dietrich von Bern, seinen oheim, — nb.! durch
seine mutter Isolde, Dietrichs Schwester! — um Hilde, die tochter
des königs Artus von Brittannien, anhalten. Herbort hat einen
bruder Tristram! Nach diesem namenkatalog wissen wir, was wir zu
erwarten haben. Und wie mit den namen, so verhält es sich mit der
darstellung. Nichts erscheint zu unbedeutend, wenn nur spässe ge-
macht werden können. Für den geschmack des dichters und seines
publicums bezeichnend ist die erzählung, dass Herbort, als die Verfolger
sich nähern, schnell seine dame von dem rosse hebt, um sie zu ent-
ehren, damit er sich nun den spass erlauben kann, dem anführ er der
Verfolger, der zu wissen wünscht, ob die dame noch Jungfer ist, zu
antworten: „als heute morgen die sonne aufging, war sie noch Jungfer,
aber jetzt ist sie meine frau."
Die demente der geschichte sind die folgenden: 1. eine einleitung
c. 231 — 2. Diese soll erklären, wie Herbort zu Dietrich kommt.
Mit dem, was folgt, steht sie in keinem Zusammenhang. Herborts brüder
streiten sich; einer erschlägt den andern und entflieht; Herbort bekommt
die schuld und muss gleichfalls fliehen; er geht zu Dietrich von Bern.
2. c. 233 — 7, eine werbungssage im stil der erzählung von Osan-
trix' brautfahrt. Die dame gehört zu denen, die streng gehütet werden;
Dietrich vernimmt von ihrer Schönheit und sendet einen boten, um sie
zu werben. Hier ist die erzählung stark zusammengezogen, c. 233 — ivvird
typischen treuen diener ähnlich. Die zweizahl der frauen mahnt an den zweiten teil
dei'Küdrün, aber die erzäblungen stehen einander zu fern , um den gedankon an einen
Zusammenhang aufkommen zu lassen.
1) Die Herboitsriniur, die vielfach als eine dritte quelle angeführt werden,
sind von der l'iöreks saga absolut abhängig und kommen weiter nicht in betracht.
UNTKKSrcilUXCiKX VHRU DIK HlT.DKSACiK 31 0
der aiitrag unmittelbar bei dem könig vorgebracht. Die dem typus eigen-
tümliche antwort ist eine Weigerung, worauf dann neue boten gesandt
werden oder der freier selber sich auf den weg begibt. Aber Herbort soll
es auch sein, der die dame entführt. Darum wird die antwort gcmihlort:
der könig schiebt die entscheidung auf. Von c. 2.35 an versucht Ilor-
bort auf listige weise, sich der königstochter zu nähern. Hier vertritt
er also den zweiten boten, dessen zwecke dem könig nicht bekannt
sind. Das muss man auch darum annehmen, weil es absolut unver-
ständlich ist, dass er von dem könig, dem seine absiebten bekannt sind,
zu ihrem speciellen diener bestellt wird. Nachdem das geschehen ist,
macht er die sache weiter mit ihr ab.
3. Da das resultat eine entführung ist, findet an dieser stelle leicht
eine berührung mit den entführungssagen vom Hildetypus statt.
c. 238—9 folgt eine solche entführung im stil der Hildesage und zwar
des aus der Walthersage bekannten untertypus. Der held reitet allein
mit der dame fort, er wird verfolgt und besiegt die verfolgen - Die
feinde sind knechte; der vater ist nicht dabei; auch das stimmt mit
den jüngeren Versionen der Walthersage überein.
4. Am Schlüsse ein dement der Tristansage: der held, der um
eine frau für einen anderen werben soll, behält sie für sich.
Ein Zeugnis von einiger bedeutung für die Hildesage ist also die
erzählung von Herbort nicht. Nur ihr dritter teil enthält eine schlechte
Variante von jener. Merkwürdig ist sie aus einem anderen gesichts-
punkte. Sie zeigt dieselbe verquickung des Osantrixtypus mit der
Hildesage, die auch in der Ivüdrün vorliegt, und zwar in ähnlicher
weise. Die entführung nebst der Verfolgung wird mit einer einleitung
versehen, die dem Osantrixtypus entlehnt ist. Der könig, der seine
tochter nicht geben will, die Werbung durch boten, die listige weise,
in der der böte sich der königstochter nähert, finden sich in der Her-
borterzählung wie in der Küdrün. Insofern ist unsere erzählung ein
Vorläufer, bis zu einem gewissen grade vielleiciit auch ein vorbild des
späteren hochdeutschen epos.
Keineswegs besser i.st die darstellung, die der Biterolf von Her-
borts abeuteuer gibt. Insofern ist in ihr mehr einheit, als sie keine
Werbung durch boten enthält luid eine enlfühiung erzählt, die nur aus
der Hildesage und der Walthersage combiniert ist. Aber jede Selb-
ständigkeit geht ihr ab; sogar die nanien sind der hochdeutschen
Küdrün entlehnt. Herbort entführt die tochter Ludwigs aus Ormanie; das
mädchen heisst (nb. !) Hildeborg; er besiegt die Verfolger, — der vater und
der bruder sind im gcgcnsatz zu der saga dabei; — darauf überwindet
314 BOER
er einen rieson und kommt endlich nach Bern. Hier geiit unser dichter
auf die Waltiiersage über, indem er Dietrich und Hildebrand die rolle
Günthers und Hagens zuerteilt; sie versuchen vergebens, dem durch-
reisenden beiden die frau zu entreissen. Die combination liegt offen
zu tage. Doch zeigt auch diese darstellung, dass dem dichter etwas
davon bekannt war, dass Dietrich die Jungfrau haben sollte, und so
weist die erzähl ung auf eine sagenform, die von der darstellung der
saga nicht weit abstand.^ Die übrigen namen der erzählung waren
unserem dichter entfallen; er hat sie der Küdründichtung entlehnt und
beweist dadurch, dass zu der zeit, als der ßiterolf entstand, die Küdrün-
fabel schon in ihren hauptzügen fertig war. Ludwig und Hartmuot
sind schon vater und söhn, und Hildeburg wird in Zusammenhang mit
ihnen genannt. Natürlich kann man nicht behaupten, dass die Küdrün
in der uns vorliegenden form schon vorhanden war; Zusätze von geringerer
bedeutung können jünger sein.
2. Der Apolloniusroman der I^iörekssaga.
Diese erzählung enthält nichts, was für die Hildesage von bedeu-
tung wäre. Wir haben es wider mit einer werbungssage zu tun.
Zweimal wird der antrag ohne erfolg vorgebracht; dann wird die liebe
der dame durch einen ring gewonnen. Sie entbietet darauf den ritter
aus seinem lande zu sich; er kommt mit einigen freunden und ent-
führt sie, nachdem er sich als frau verkleidet und so Zugang zu ihrem
gemache bekommen hat — ein u. a. aus der HagbarÖsage bekanntes
motiv (vgl. auch Hugdietrichs brautfahrt). Von einer Verfolgung ist
nicht die rede; über frieden wird unterhandelt. Inzwischen stirbt die
frau. Nur die entführung erinnert an die Hildesage, aber auch diese
entführung gehört eher zu dem typus der werbungssagen; die ange-
wendete list besteht in der Verkleidung.
3. Die Sanisonerzählung der tiörekssaga.
Diese geschichte ist wol ein junger spross der Hildesage. Wie in
einigen Versionen derselben befindet sich der ritter am hofe des vaters.
Dass er ihm dient, kann man versucht sein, mit dem gleichen zug der
Helnierballade in Verbindung zu setzen; nur der geographische abstand
und die herleitung dieses zuges in der ballade aus der Hjalmarsage
erregen bedenken. Samson bittet nicht um die band der königstochter,
1) Beer, Beitr. 14, 540 glaubt, die f*iÖrekssaga habe die erzähhiiig an den
Dietrich cycl US angeschweisst. Aber er übersieht den bei Bern ausgefühlten übeifall
durch Dietrich und Hildebrand im Biteiolf.
UNTERSUCHUNG F.X f'UEi; OllO IIILDKSAOK S15
sondern er liebt sie sehr {Icggr )niJda ast vtb Ililldisvib Inrls dutlur) und
entführt sie ohne einen anderen grund, als dass er sie besitzen will.
Den ihm nachsetzenden vater tötet er im Zweikampf. Aus der wer-
bungssage stammt die beschreibung des Verhältnisses des vaters zu der
tochter [JarUrm wiiii hemü mikit oh cdlt borgarlii) af fegrh ok kitrteisl,
milldi oli Hiilceti oh aU:,kouar lisf), ferner die üppige hofiialtung des
fürsten, vor allem aber der zug, dass das mädcheu in einem hohen
türme sitzt. Die erzählung wird ferner fortgesetzt in einem kämpf mit
dem bruder des jarls, wodurch Samson ein königreich erwirbt. Viol-
leicht sind die beiden kämpfe und die erwerbung des königtums der
kern der geschichto — Samson ist der vater Erminreks und Pettmars —
und ist die entführungssage später angeliängt worden.
4. Die Hildesage in der Oswaldlogende.
Berger hat Beitr. XI, 459 die Vermutung aufgestellt, die Hildesage
sei im 9. Jahrhundert in England in die Oswaldlegende aufgenommen
worden; später sei diese nach Deutschland gelangt und habe unter den
bänden der spielleute die form erhalten, in der sie vorliegt. Damit
würde sich die form, in der die sage hier auftritt, wol in Überein-
stimmung bringen lassen. Es ist nämlich, sofern man einen Zusammen-
hang zwischen der erweckung der toten in der legende und der Hilde-
sage annimmt, die nordische form, und zwar SH3, die das HjaÖningavig
aufgenommen hatte. Dass diese nach den brittisciien inseln übergeführt
worden war, hat sich uns schon aus der localisierung auf den Orkneyjar
und aus der Shetlandsballade, die sich mit SH3 nahe berührt, ergeben.
Aus der alten Hildesage stammt es auch, dass der vater den Verführer
bei einer insel einholt. Auf deutschem boden hat die erzählung später
den einfluss derselben quellen erfahren, durch die auch die Küdrün
umgestaltet worden ist; sie hat, nämlich züge der werbungssage auf-
genommen. Hierher gehört der zug, den Berger (s. 451) für ein altes
element der Hildesage ansieht, dass der vater die tochter niciit heraus-
geben will und alle freier tötet, ferner die bei der cntfiihrung ange-
wendete list (kaufmannsmotiv), falls diese niclit eher aus dem § 15 zu
besprechenden typus stammt. Also ist auch diese sagenform eine misch-
forni aus denselben dementen wie die Küdrün: Hildosage, werbungs-
sage, vielleicht sogar auch rückführungssage.
§ 15. Riickfühniiij,'ssaf,'oii und deroii bcdeuluiiR' für Küdniii.
Viele mittelaltcrliciie romane und Volkslieder erzählen von der
rückführuug einer in gefangenschaft geratenen oder entflohenen frau
31ü TiOKR
oder juiijifraii. Die bedeutuni;; dieser stoiBFe für die cntwickhing der
Küdründichtung wurde schon von mehreren forschern erkannt; am
tiefsten ist in den letzten jähren Panzer auf die hierhergehörigen fragen
eingegangen. Dieser gelehrte leitet die rückführung der Kiidrün voll-
ständig aus elementen der geschichte des Apollonius von Tyrus, der
Salomonsage und des Sädeliliedes ab. Dass ich diesem urteil nicht zu-
stimmen kann, ist aus § 12 klar geworden. Aber ein nahes Verhältnis
zu einem teil dieser quellen lässt sich auch meiner ansieht nach nicht
leugnen. Eine gegen überstellung der beiden Standpunkte wird, wie ich
hoffe, zur klärung der frage etwas beitragen. Principiell besteht ein
gegensatz, der sich nicht aus der weit schaffen lässt. Während Panzer
glaubt, dass die ganze geschichte aus fetzen von anderen erzählungen
willkürlich zusammengesetzt sei, habe ich zu zeigen versucht, dass der
verlauf der erzählung auf der inneren entwicklung des Stoffes beruht.
Ich glaube, dass darin die stärke meiner beweisführung liegt. Man
sieht nicht ein, wie ein dichter auf den gedanken verfallen konnte, an
die Hildesage, in der das mädchen dem entführer freiwillig folgt, ohne
grund eine fortsetziing zu knüpfen, in der sie ihm abhold ist, ihrem
bräutigam dagegen treu bleibt und am ende aus der gefangenschaft
erlöst wird, auch wenn eine solche erzählung sich aus umgedeuteten
motiven aus anderen erzählungen zusammensetzen Hess. Um so weniger
versteht man das, da ja auch die Vorgeschichte geändert und die frei-
willige flucht zu einer gewaltsamen entführung umgemodelt werden
musste. Es liegt schon deshalb nahe, die rückführung und die neue
auffassung von Küdrüns verhalten dem entführer gegenüber als zwei
aus verschiedenen zwecken entsprungene und auch wol chronologisch
getrennte neuerungen zu betrachten. Dabei fällt schwer ins gewicht,
dass die Salomonsage, auf der die rückführung zum grossen teil be-
ruhen soll, die neue auffassung von Küdrüns Charakter nicht veranlasst
haben kann, da sie das Verhältnis der frau zu dem gatten und dem
liebhaber ebenso darstellt wie es die alte Hildesage tat: die frau ist
dem entführer freundlich, dem gatten feindlich gesinnt. Nun lässt es
sich aus den quellen nachweisen, dass die neue auffassung von Küdrüns
Verhältnis zu dem liebhaber nicht zugleich mit der fortsetzung, die die
rückführung erzählt, entstanden, sondern jünger als diese ist. Eine
ganze reihe von Überlieferungen kennt die räche des sohnes für den
vater; ein teil davon erzählt auch die rückführung des mädchens und
ihre leiden, aber ihr vcrliältnis zu dem entführer ist noch das alte: sie
ist ihm freiwillig gefolgt. Erst in der Küdrün ist dieses Verhältnis um-
gekehrt, und dementsprechend sind die leidensgeschichte und die rück-
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILBESAOE 317
fährung neu gestaltet worden. Es ist demnach nicht ganz richtig, wenn
Panzer sagt (s. 350), es sei in den Zeugnissen zur Hildesage nirgends
auch nur eine anspielung auf die leiden und den rachezug zu entdecken.
Das ist nur so lange wahr, als man den ganzen § 6 und 8 besprochenen
zweig der Überlieferung einfach ignoriert. Aber nur auf dieser be-
haupteten Unmöglichkeit, die rückführung aus der inneren entwicklung
des Stoffes zu erklären, beruht die berechtigung des Versuchs, sie für
ein willkürliches stück auszugeben.
Anderseits ist, wie schon gesagt, eine beziohung der Küdrün zu
einem teil der von Panzer genannten quellen unverkennbar. Aber hier
ist zu bemerken 1. dass dieses Zugeständnis ausdrücklich nur für einen
teil dieser quellen gilt, 2. dass diese beziehung nach unseren früheren
ausführungen secundär sein muss, 3. dass auch in anderer hinsieht über
die art dieser beziehung verschiedene annahmen möglich sind.
Zu 1. Was für einen Zusammenhang mit der Historia ApoUoni
angeführt wird, scheint mir nichts weniger als überzeugend. Schon
die Situation lässt sich in beiden romanen gar nicht vergleichen.
Während Küdrün von einem liebhaber geraubt worden ist und von
dessen mutter zur ehe mit ihm gedrängt wird, ist Tharsia von ihrem
vater seinen gastfreunden übergeben, diese aber wollen das raädchen
töten lassen, und es gelangt schliesslich in die gewalt eines kupplers,
der ihre Jungfräulichkeit verkaufen will. Die einzige Übereinstimmung
besteht darin, dass die Jungfernschaft der beiden mädchen bedroht ist.
Aber schon wenn Stranguillio und Dionysias mit Ludwig und Görlint
verglichen werden, so trifft das nicht länger zu, denn nicht Stranguillio
und Dionysias bedrohen die Jungfräulichkeit Tharsias, sondern der
kuppler, in dessen gewalt sie ohne mitwissen des paares, das sie ja aus
ganz anderen gründen töten lassen wollte, geraten ist. Die Unzuläng-
lichkeit dieser vergleichung zeigt sich aber erst recht, wenn man die
oinzelheiten beobachtet, die als stützen für den Zusammenhang ange-
führt werden. Dass Tharsia von ihrem vater dem böswilligen ehepaar
zur erziehung übergeben worden ist, soll der grund sein, warum Hart-
muot, dem es nicht gelingt, Küdrün zur einwilligung in die ehe mit
ihm zu bewegen, seine mutter bittet, ihren eintluss anzuwenden, und
dabei das wort xiehcn benutzt. Wenn Gcrlint eine ivülphtiie ge-
nannt wird, so darf das nicht eine ganz natürliche bezeichnung einer
bösen frau sein, sondern es muss dadurch veranlasst sein, dass Diony-
sias als fterpriis bezeichnet wird. Un:l wenn am anfang der geschichte
von Tharsias leiden ein sklave damit beauftragt wiid. das mädchen zu
tiUiMi, (h^ran aber durch eine schar von Seeräubern verhimli'it wird dio
318 noEK
sie rauben und darauf einem kuppler verkaufen, so wird es 'eine genaue
widerkehr der scene' genannt, wo in der äussersten not Gerlint Küdrün
ermorden lassen will, worauf ein nngeiriuiver sich zu der tat anschickt,
aber davon absieht, als Hartmuot, durch Küdrüns angstgeschrei auf-
merksam gemacht, ihn bedroht. Sogar dass in beiden erzählungen die
bösen leute bestraft werden, wird eine merkwürdige Übereinstimmung
genannt. Dass die strafe nicht dieselbe ist, wird einfach ignoriert.
Doch "ist der unterschied kein geringer: der kuppler wird verbrannt,
Dionysias und Stranguillio werden gesteinigt, aber Ludwig wird im
kämpfe erschlagen, Gerlint wird enthauptet. Wie kann Panzer dieses
Schicksal (s. 357) 'identisch' nennen?
Zu 2. Von grösserer bedeutung scheint mir die vergleichung
einzelner steilen unseres gedichtes mit der Salomonsage und bis zu
einem gewissen grade auch mit dem Südeliliede zn sein. Aber diese
beziehungen, über deren nmfang sich freilich streiten lässt, sind secundär.
Das heisst: das gedieht, das die rückführung der Schwester und braut
erzählte, ist mit fremden zügen ausgestattet worden. Einige nähte
werden daraus zu erklären sein. Ich wähle ein beispiel, das Panzer
s. 384 bespricht. Nach der widererkennungsscene zwischen den ge-
fangenen frauen und Herwig und Ortwin fällt es auf, dass die beiden
beiden. die frauen nicht gleich mit sich führen, sondern sie in die bürg
zurücksenden und selbst zu ihren mannen zurückkehren. Panzer er-
klärt dies daraus, dass hier an eine scene aus der Salomonsage ein
auftritt aus dem Apolloniusromane sich anschliesse. Die widererkennun;;
stammt nach Panzer aus der Salomonsage; hier aber ist die frau un-
treu, und sie verrät ihren gemahl, der daraufgefangen genommen wird.
Das habe der Küdründichter nicht brauchen können, es sei ihm aber
auch unmöglich gewesen, Herwig und Ortwin die frauen einfach mit-
nehmen zu lassen, da die erzählung dann zu ende gewesen wäre, und
noch etwas anderes, und zwar eine rückführung im stil des Apollonius
von Tyrus sich habe anschliessen müssen. Diesen combinationen kann
ich nur in soweit zustimmen, als auch ich glaube, dass die begegnung
mit den verwandten und die gewaltsame rückführung, wie sie in dem
überlieferten gedichte erzählt wird, aus verschiedenen quellen stammen.
Auch dass erstere scene in letzter instanz auf die Salomonsage zurück-
geht, kommt mir nicht ganz unwahrscheinlich vor. ^ Aber die rück-
führung der Schwester ist ein alter zug der Überlieferung. Die trennung,
die auf die erste begegnung folgt, ist also die folge der aufnähme eines
1) Dass eine version der Salomonsage nicht ihre directe (jucUe ist, wird unten
s. 3.30 ausgeführt werden , vgl. auch s. 320.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIR IHLDESAGR 319
hctero2;enen elemontes^ in einen festen zusanimenliang, also einer inter-
polation, und sie lässt sich auf keine weise für die hypothese, dass die
fremden motive zu den constituierenden elementen des gedichtes ge-
hören, verwerten.'- Die bezeichnung des abschnittes als einer interpola-
tion schliesst natürlich nicht ein, dass nicht auch die unmittelbar vorher-
gehenden und folgenden stellen umgearbeitet sein können. Das nähere § 16.
Ähnlich verhält es sich mit einzelbeiten von Küdrüns leidens-
geschichte. Das hauptmotiv und die wesentlichsten züge waren schon
in einer lange zurückliegenden periode vorhanden (§ 8), und dass es
die mutter des entführers war, die das mädchen misshandelt, war ebenso
alt, ja älter, als dessen Weigerung, seine frau zu w-erden (s. 187. 300fgg.).
Aber einzelne nebenmotive, die sich zu grosser Selbständigkeit entwickelt
haben, namentlich das wäschemotiv, sind später hinzugekommen. Da
man den späteren bearbeitern des gedichtes kaum eine so grosse Selb-
ständigkeit und dichterische phantasie zutrauen kann, dass sie dieses
motiv selbst ersonnen hätten, so liegt es auf der band, dass einer' von
ihnen es aus irgend einer anderen quelle entlehnt hat. Wenn nun das
motiv in einem verbreiteten volksliede (dem Südeliliede) widerkehrt, so
spricht jedesfalls viel für die ansieht, dass dieses lied die quelle des
Wäschemotivs gewesen sei. Bedenken erregt nur das geringe alter der
handschriften dieses liedes. Denn Panzers versuch, die bekannte epi-
sode des ersten Gubrünliedes aus dem Südeliliede herzuleiten und daraus
weiter zu beweisen, dass der stoff im 10. Jahrhundert in Deutschland
bekannt gewesen sei, ist nicht als gelungen zu betrachten. Wenn wir
auch von dem Inhalte der stelle, der mehr als eine deutung zulässt,
absehen, so ist doch Finnur Jonssons frühe datierung des gedichtes
äusserst subjectiv und gewiss nicht bewiesen, während Panzers be-
hauptung (s. 411), dass das gedieht selbst auf den deutschen Ursprung
seiner erzählung hinweise, jeder 'stütze entbehrt. •'' Anderseits beweist
1) Als ein heterogenes dement ist die sceue auch dann zu betrachten, wenn
<,'S sich später herausstellen sollte, dass es an der überlieferten stelle direct aus einer
anderen rcdaction als die, welche diesem hauptabschnitt zu gründe liegt, stammen
sollte. Vgl. die vorige anmerkung.
2) Aus der bogegnung mit den verwandten lernen wir ferner (vgl. oben s. 316),
dass als die sceno zuerst aufgenommen wurde, Herwig und Ortwin schon als Kudruns
freunde, nicht als ihre feinde, sich nahten. Doim wenn damals noch zwischen
Kudrün und ihren verwandten ein unfreundliches Verhältnis bestanden hätte, würde
wenigstens die Salomonsage, die ein gleiches verhilltnis voraussetzt, den dichter in
dieser auffassung bestärkt haben.
3) Dass Iferborg Iluua drotnimj ist, l)odoutet eben so wenig, als dass ihre
^ö\\ne ßumian laiids fallen. Soll denn jedes gedieht, das die Hunnen nennt, aus
320 BOER
die junge Überlieferung des Südeliliedes nicht seinen späteren Ursprung,
und die möglichkeit, dass ein bearbeiter der Küdrün einer redaction
desselben einzelne züge entlehnt habe, kann man nicht ohne weiteres
von der hand weisen.^
Zu 3. Endlich ist noch darauf aufmerksam zu machen, dass be-
rühruugen mit fremden stofFen allerdings auf entlehnungen in der Küdrün
hinweisen können, aber dass daraus nicht folgt, dass ein bearbeiter des
gedichtes eine bestimmte redaction der Salomonsage oder des Südeliliedes
auswendig kannte oder auf seinem Schreibtisch vor sich liegen hatte
und nun aus elementen dieser Schriften planmässig eine neue dichtung
componierte. - Denn wenigstens die Salomonsage, und wenn wir nach
der heutigen Verbreitung urteilen, auch das Südelilied, waren in weit
auseinandergehenden redactionen sehr verbreitet, und motive der ersteren
sind in endloser widerholung in eine reihe von dichtungen aufgenommen.
Man darf also diese motive ruhig als das gemeingut einer grossen menge
von dichtem ansehen, die mit stets zunehmender freiheit und ge-
schmackslosigkeit dieselben motive immer von neuem benutzten, wo der
Stoff dazu auch nur den geringsten anlass bot. Darum braucht man
auch nicht anzunehmen, dass alle züge, die aus der Salomonsage stam-
men oder stammen können, auch einmal in einer version dieser sage
beisammen gestanden haben, ja, es lässt sich sogar nicht mit einiger
Sicherheit behaupten, dass alle diese züge von einem manne aufgenommen
Deutschland stammen? Und waren reisen nach dem Süden den nordleuten ud-
hekannt? Und was den namen Ojafkmg betrifft, der, weil er an Oibich anklingt,
nicht im Norden gebildet sein darf, ist zunächst zu sagen, dass der Zusammen-
hang mit Gibich sehr unsicher ist, ferner dass auch Gjüki doch einmal im Norden
*Gibnka geheisseu hat, drittens dass namen auf -laug gewiss eher nordisch als
deutsch sind.
Übrigens bemerke ich, dass ich den Zusammenhang des ersten GuSninliedes
mit jüngerer deutscher poesie nicht bestreite. Ich brauche nur auf meine Unter-
suchungen zur Nibelungeusage II, 45 anm. 2 zu verweisen, wo ich GuSrüns weinen
bei der bahre mit der entsprechenden stelle des N L zusammengestellt habe. Aber
eben das ist ein argument für das geringe alter der GuÖr. I. Denn die ältere deutsche
Nibelungendichtung kannte diese in ihrem tone ganz moderne scene noch nicht.
Stammt das gedieht aus dem 10. Jahrhundert, so ist das motiv aus Skandinavien nach
Deutschland gewandert. Für episoden des ersten GuSrünliedes wie die von Herborg
hat aber der Zusammenhang des hauptstoffes gav keine bedeutung. Herborg und ihre
leiden sind der deutschen dichtung vollständig unbekannt.
1) Eine treffliche bclegstoUe für den typus der widergefundenen schwcster fülirt
Deutschbein, Studien zur sagengescb. Engl. I, 58 aus Gottfried von Moiunouth an.
2) Diese bemerkuug gilt im gleichen grade für die J^ 13 besprochenen berüh-
rungcn mit dem Rother.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 321
sind^. Die bestätigung dieser ansieht wird § 16 bringen. Soviel lässt
sich nur sagen: die Kildrun ist durch die hände einer klasse von dichtem
gegangen, die mit motiven der Salomonsage sehr vertraut waren und,
wie sich versteht, das gedieht, das dazu an vielen stellen die gelegen-
heit bot, mit solchen motiven angeschwellt haben 2.
§ 16. Die sogenannte einheit der Küdiün.
Ein verdienst von Panzers Untersuchung ist seine polemik gegen
eine kritik, die, von zum nicht geringen teil ästhetischen grundsätzen
ausgehend, ausschied, was ihr nicht gefiel, und glaubte, dass der glatte
text, den es auf diese weise herzustellen gelang, nun auch die arbeit
des ursprünglichen Küdründichters sei. Durch stilistische und andere
beobachtungen, namentlich auch durch den nachweis, dass widerholt
in aufeinander folgenden 'echten' und 'unechten' Strophen dieselbe
quelle ohne Unterbrechung benutzt worden ist, ist es Panzer gelungen,
die MüUenhoffsche kritik ad absurdum zu führen. Er selbst stellt dem-
gegenüber die theorie auf, das gedieht sei die arbeit eines dichters,
dessen quelle zwar den rohstoff zu der dichtung lieferte, der aber mit
dieser quelle selbständig geschaltet und gewaltet und daraus eine eigene
composition zusammengestellt habe. Die Widersprüche und widerholungen,
die Unklarheiten der darstellung seien aus der eigentümlichen Veran-
lagung dieses dichters zu erklären.
So verdienstlich Panzers kritik der hypothese Müllenhoffs ist, legt
er dennoch dieser kritik einen zu hohen wert bei, wenn er s. 444
glaubt, dadurch die einheit des gedichtes bewiesen zu haben. Denn
1) Wie die junge bearbeitung der entführungssage, die in der Küdmn vorliegt,
sich sowol mit den werbuugssagen wie mit den rückführungssagen berührt, so weisen
a,.jli die Vertreter dieser beiden typen ^untereinander zahheiche berührungen auf. Es
lässt sich daher nicht immer entscheiden, ob ein motiv in der Kiidrün aus dieser
oder aus jener quelle stammt. Das kaufmannsmotiv z. b. ist in der Salomonsage sehr
verbreitet. Aber es ist nur eine form, in der die list, durch welche der gatte oder
der freier sich zugang zu der gesuchten frau verschafft, zum ausdmck kommt. In
der werbungssage ist es also am platze, wie in der rückführungssago. — Wenn wir,
wie oben angedeutet wurde, davon ausgehen, dass das motiv zu dem gemeingut der
Spielleute geworden war, so hat übrigens die frage, aus welcher quelle es in die
Küdrün übergegangen ist, weiter keine bedeutuug.
2) Deutschbein nimmt a. a. 0. s. 54 auf grund ähnlicher entlehuungen aus den-
selben quellen eine gemeinsame quelle für Rother und den anglouormannischen Hörn
an. Ein solches gedieht kann freilich einem oder mohreruu bearbeiteni der Küdrün
wol bekannt gewesen sein, aber alle berühi-ungeu mit jenen quellen lassen sich daraus
nicht erklären, da die eutlehnungen in der Küdrün nicht von einem redactor staiiimoii.
Auch stehen Rother und Hörn einander näher als einer von diesen der Küdrün.
ZEITSCUKUT K. DEÜTSfHK PHILOLOOIK. BD. XL. 21
322 BOER
tatsächlich ist dadurch mir die hinfälligkeit einer zufcälligen hypothese
bewiesen. Es wäre sogar denkbar, dass Müllenhoffs princip durch Pan-
zers beweisführung unangetastet bliebe. Nicht unmöglich wäre es
nämlich, aus dem gedichte Strophen und strophengruppen auszuscheiden,
deren Inhalt nichts altertümliches enthält, und die auf keine weise
durch die benutzung derselben quelle oder durch andere kriterien an
die übrigen Strophen gebunden wären. Auf diese weise würde man
wideruiu schichten von 'echten' und 'unechten' Strophen bekommen,
die nur der auswahl, nicht dem principe nach von Müllenhoffs schichten
unterschieden wären.
Aber es fragt sich, ob man es auf diese weise weit bringen würde.
Allerdings ist es im voraus wahrscheinlich, dass das gedieht Interpola-
tionen in diesem sinn enthält. Das lehrt schon die einfache betrachtung
anderer gedichte, die in mehr als einer handschrift überliefert sind.
Aber eine solche mechanische ausscheidung ist nur da möglich, wo
zwar Zusätze aufgenommen sind, aber der alte text im übrigen treu
erhalten ist. Sobald eine formelle Überarbeitung des ganzen gedichtes
vorliegt, gelangt man mit der ausscheidung einzelner teile und der
Verbindung der übrigen Strophen nicht zum ziele. Denn auch diese
haben die Überarbeitung erfahren und sind, so wie sie vorliegen, für
den Zusammenhang des ganzen gedichtet worden. Man kann dann
nicht von 'echten' und 'unechten' Strophen, sondern nur von älteren
und jüngeren teilen der dichtung reden. Aber in einem solchen fall
kann doch von einer einheit der dichtung, wenn darunter nicht bloss
eine formelle einheit sondern auch eine einheit der composition ver-
standen wird, nicht die rede sein. Meines erachtens kann die ant-
wort auf die frage nach der einheit in diesem sinue nur aus der stoif-
geschichte abgeleitet werden. Und wenn wir diese befragen, so liegt
diese antwort in den vorhergehenden ausführungen bereits eingeschlossen.
Wir haben das allmählige wachsen des Stoffes aus geringen anfangen
bis zu den verschiedenartigsten und corapliziertesten gebilden beobachten
können. Nirgends ist ein sprung geschehen; überall lässt sich, soweit
die quellen reichen , entweder eine innere entwickluug oder eine grad-
weise anpassung an fremde stoffe constatieren. Wo ist die band des
einen dichters zu erkennen, der den plan fasste, aus einem häufen von
motiven eine Küdründichtung herzustellen? Kann man doch kaum
sagen, von welchem punkte an von einer Küdründichtung die rede sein
kann. Am ersten ist wol die Verbindung von KI und KII, die die
wichtigsten neueruugen zur folge hatte und die grundlage unseres epos
wurde, als das original der Küdrüu zu bezeichnen. Aber viel, was
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE lULDESAGE 323
für unser gedieht eigentümlich ist, war schon in einer oder mehreren
der zu gründe liegenden dichtungen vorhanden. So kannte schon
K I b eine Werbung durch einen boten (§ 10), sogar das kaufmanns-
motiv (s. 216 anm. 1), hatte also bereits den einfluss der werbungssage,
der sich in unserem gedichte so häufig manifestiert, erfahren. In der
weiteren entwicklung der dichtung haben wir schon widerholt mehr
als eine schiebt unterschieden. So wurde s. 294 darauf hingewiesen,
dass Küdrün str. 1485 aus eigenem antrieb, str. 1488 aber, nachdem
Ortrüns bitte eingeführt worden war, um Ortrüns willen zu gunsten
Hartmuots einschreitet; s. 301 fg. ergaben sich mehrere stufen in Küdrüns
Verhältnis zu Gerlint, s. 318 fg. haben wir gesehen, dass die neue auf-
fassung von Küdrüns Verhältnis zu Hartmuot und zu Herwig älter ist
als die aufnähme gewisser mit der Salomonsage verwandter motive; an
mehreren stellen wurde der Übergang von gestalten von KI in II
(Wate, Horant, Fruot) oder umgekehrt (Hildeburg) constatiert. Ich
werde nun durch ein beispiei dartun, dass auch innerhalb der reihe
verhältnismässig junger und zum teil oder ganz fremder motive sich
mehr als eine schiebt klar unterscheiden lässt.
Str. 1165 fgg. erzählen die begegnung der frauen an dem strande
mit einem engel in vogelgestalt, der ihnen die ankunft der retter pro-
phezeit. Küdrün fragt nach ihrer mutter (1171), nach Ortwin und Her-
wic (1173), nach Irolt und MOrunc (1175), und bekommt den bescheid,
dass alle noch leben, und das die beiden, welche die erlösung bringen,
nahe sind. Dann sagt der engel, str. 1177, er müsse nun scheiden;
es sei ihm nicht erlaubt länger zu verweilen. Damit versehwindet er
1177,4. Aber Küdrün will noch mehr wissen und bittet ihn, obgleich
er schon fort ist, zu bleiben. Der vogel kehrt zurück und erzählt,
darüber befragt, dass auch Horant und Wate sich bei dem beere be-
finden (1181 fgg.). Widerum will der engel sich entfernen, aber Küdrün
rauss noch wissen, wann die rettung erwartet werden kann. Der engel
sagt dann (str. 1185), es würden am folgenden tage boten kommen;
was diese sagen, dürfe sie ruhig glauben. Dann verschwindet er
wirklich.
Dieses widerholte zurückkehren des engeis ist sehr bedenklich,
zumal da er sich schon str. 1177 auf seinen 'orden' beruft, und nicht
bloss sich zum gehen anschickt, sondern wirklich auch verschwindet.
Er muss also, wenn Küdrün ihn bittet zu bleiben, nicht bleiben, son-
dern vielmehr zurückkehren, was doch gewiss gegen seinen 'orden' ist^
Fragt man, weshalb er zurückkehrt, so hat es das erste mal den zweck
1) So auch Wiliiianns, Entwicklung usw. s. 24.
21*
324 BOER
zu berichten, dass Horant und Wate auch dabei sind, das zweite mal,
den besuch Herwigs und Ortwins anzukündigen. Dieser besuch nun
stammt nach Panzer aus der Salomonsage. Es fällt aber auf, dass die
frauen in dem gespräch mit den beiden beiden sich an nichts von dem,
was der engel ihnen gesagt hat, erinnern i, im gegenteil, sie können
nicht glauben, dass die fremden männer ihre verwandten sein sollten,
und erst während des gespräches mit den gasten geht ihnen ein licht auf.
Wie sind nun diese wunderlichen Widersprüche zu erklären? Nach
meiner ansieht so: die älteste schiebt dieser reihe von Zusätzen ist der
erste teil der begegnung mit dem engel, str. 1177 eingeschlossen 2.
Daran schloss sich str. 1266, wo die frauen ihre wasche vergessen und
sich nach hause begeben. Das geht aus dem Inhalt der strophe noch
klar hervor. Denn wenn Gerlint, wie hier gesagt wird, gesehen hat,
daz si siuonden rnüexic da nidene üf dem sande, so müsste sie, wenn
die mitteilung sich auf den unmittelbar vorhergehenden auftritt bezöge,
auch die beiden männer gesehen haben, die sich lange mit ihnen unter-
halten haben, und von denen einer sie sogar geküsst hat^. Dass hin-
gegen ein gespräch mit einem vogel Gerlint entgangen ist, fällt nicht
auf; sie hat nur gesehen, dass die mädchen nicht fleissig waren. Die
Ursache, dass Küdrün die wasche liegen lässt, ist also in der vogel-
prophezeiung, nicht in der begegnung mit den verwandten zu suchen,
und es ist auch keine tat des Übermuts, sondern Küdrün (wie auch
Hildeburg) ist von diesem gedanken so erfüllt, dass sie, wie die strophe
wörtlich aussagt, die wasche vergisst*. Und das bestätigt widerum ihre
1) Anders freilich, als sie sie kommen sehen (str. 1207 f gg. und in einigen
anderen Strophen, die auf die ankündigung der boten bezug nehmen).
2) Auch die botschaft des engeis hat in der Salomonsage eine parallele und
wird von Panzer (s. 478) daraus — freilich unter mitwirkung der Eist. Apoll. — ab-
geleitet.
3) Wenn Gerlint str. 1276 sagt: ir . . . koset gegen dbent tcider bcese knehte,
so ist das ein jüngerer zusatz, der der erwägung, dass Gerlint auch die männer ge-
sehen haben müsse, entsprungen ist, aber sich mit str. 1266 nicht verträgt. Hier
zürnt sie, weil ex tvas ir an ir tcesche leit und ande, und die anrede an die mädchen,
die dieser motivierung entspricht, steht nicht 1276, sondern 1280: Wä sint die
sabene min? usw. Die ganze stelle 1267 — 79 setzt die begegnung mit den ver-
wandten voraus uud ist also nicht älter als diese. (Älüllenhoff streicht nur 1274 — 9,
und Wilmanns weist diese Strophen einer anderen redaction zu.)
4) Der bearbeiter, der durch den einschub der begegnung mit den freunden
das vergessen der wasche zu einer folge dieser begegnung machte, hat das motiv
nach der engelsbotschaft widerholt: 1187 Si wuoschen deste seiner des tages daz ge-
tvaiit. Darauf wurden sie deswegen von G»h-lint gescliolten (str. 1275 fgg ). Dass
str. 1266, uud also nieht 1187, zu dem älteren auftritt gehört, wurde aum. 1 gezeigt.
UNTERSUrnUNGEN ÜRER DIE HILDESAGE 325
entsehuldigung gegenüber Gerlint str. 1281, die im gegensatz zu 1279
gar keine hochmütigen gedanken laut werden lässt: . . . si ivären mir
xe sivccre. beschomvet ir si Himmer ^ dax ist mir üf min triuive vil
immcere.
Also sind der älteste teil der engelsbotschaft und das wäschemotiv
in diesem Zusammenhang älter als die begegnung mit den verwandten ^
Das heisst: ein motiv, das Panzer aus der Salomonsage und der Hist.
Appolloni, und ein anderes, das er aus dem Südeliliede herleitet, sind
beide älter als ein anderes motiv, das gleichfalls aus der Salomonsage
und der Hist. Apolloni stammen soll. Einen besseren beweis dafür,
dass die beeintlussung durch fremde stoße, da wo sie anzunehmen ist,
allmählich stattgefunden hat, und der schule, nicht einem einzigen dichter,
der im voraus den plan für das ganze gedieht gelegt hätte, angehört,
gibt es wol nicht.
Nun wurde also die begegnung mit den verwandten aufgenommen.
Woher sie direct stammt, ist eine frage für sich, auf die ich später
eingehe. Hier sei nur bemerkt', dass es in gewissem sinne ein mit der
engelsbotschaft concurrierendes motiv ist, das wenigstens so, wie es
überliefert ist, denselben zweck, die frauen auf das, was kommt, vor-
zubereiten, zu verfolgen scheint. Man kann daher die frage auf werfen,
ob das motiv nicht aus einer parallelen redaction, also etwa, — falls
die engelsbotschaft zu KH gehört, — aus KI stammen kann. Vor-
läufig ist darüber nur zu sagen, dass in diesem fall die begegnung mit
den verwandten zwar nicht notwendig in der dichtung von Küdrün,
aber doch in dem gegebenen Zusammenhang jünger als die botschaft
des engeis sein muss; sie ist in ein fertiges schoma, das diese botschaft
schon enthielt, aufgenommen (das nähere s. 328 fgg.). Übrigens würde
daraus folgen, dass die aufnähme fremder motivo schon in den einzelnen
redactionen KI und KU bedeutende fortschritte gemacht hatte. Dass
die neuerungen auch später fortgesetzt wurden, wird sich gleich zeigen.
"Widerum ein jüngerer bearbeiter fand, dass der engel davon, dass
Ortwin und Herwig nahe seien, auch etwas sagen musste, und er Hess
ihn zu diesem zwecke zurückkehren, vergass aber, die frauen in ihrem
ge.spräche mit den beiden sich der werte des engeis erinnern zu lassen,
obgleich er oder ein nachfolger von ihm einen ganzen auftritt hinzu-
dichtete, in dem sie vor den boten fliehen.
1) Das verhältnismässig junge alter der begegtnmg mit den verwandten auf
dem strande, ergibt .sich auch aus str. 14BG, wo Herwig Küdrun, die doch so nahe
ist, dass sie sifh mit ihm unterhalten kann, iiii.iit widererkenut. (Wilmauns schreibt
diese Strophe einer kürzenden bearbeitung zu.j
326 BOER
Das gespräch mit dem engel besteht aus drei teilen. Ob es drei
oder zwei bearbeitern zuzuschreiben ist, entscheide ich nicht. Als
Küdrün den engel str. 1184 zum zweiten male bittet, zu verweilen, ist
er noch nicht verschwunden. Es ist demnach nicht unmöglich, dass
beide bitten einen Verfasser haben. Aber wenn der auftritt nicht von
drei sondern nur von zwei dichtem herrührt, so hat der zweite alles
gedichtet, was auf str. 1177 folgte Die naht liegt nicht hinter str. 1183,
sondern hinter 1177. Die Strophen, welche berichten, dass auch \Yate
und Horant nahe sind, gehören dem jüngeren dichter an.
Hier stützt nun eines unserer resultate ein anderes. Die erste
rede des engeis erwähnt nicht nur die mutter, den bruder und den
bräutigam, sondern auch nebenpersonen, trolt und Morunc. Ein
späterer bearbeiter fand, dass Wate und Horant, die Irolt und Morunc
an bedeutung weit überragen, nicht fehlen durften. Aber was ist der
grund, dass der engel sie ursprünglich nicht nannte? Die erklärung
gibt § 12. Wir haben dort gesehen, dass sie ursprünglich in KH
nicht zu hause sind. Sie sind die entführer aus KI und Klb. Erst
durch die genealogische Verknüpfung von KI und b mit K II entstand
die möglichkeit, dass sie in Heteles gefolge, zu dem Horant schon ge-
hörte und Wate von da an gezählt wurde, in KU ihren einzug halten
konnten. Die möglichkeit entstand — eine notwendigkeit war nicht da.
Dass es geschehen ist, lehrt das überlieferte gedieht; wann es geschehen
ist, davon könnten wir nichts wissen, wenn die engelsbotschaft nicht
wäre. Sie zeigt, dass, als die begegnung mit dem engel eingeführt
wairde. Wate und Horant an dem zuge, der Heteles tod rächen sollte,
und also auch wol an dem zweiten kämpf auf dem Wülpensande, der in
unserem gedichte zu dem einzigen geworden ist (§ 9), nicht beteiligt
waren 2. Ihre alte entführerrolle war noch ihre einzige. Aber zwischen
dem ältesten teil der engelsbotschaft und deren fortsetzung liegt die
aufnähme Wates und Horants in KU. Der dichter dieser fortsetzung
1) Auch Schönbach, Das Christentum s. 119, trennt str. 1178 — 1185 von
1166 — 1177; er glaubt auch stilistische unterschiede zu sehen. Es ist bezeichnend,
dass beide stellen nach Schönbach unter dem einfluss kirchlicher Vorstellungen von der
botschaft des erzengels Gabriel an Maria stehen. Also Hessen sich auch hier ein-
ander nahe verwandte quellen bei verschiedenen dichtem constatieren. Das deutet
von neuem darauf, dass die scheinbaren entlehnungen nicht aus der directen bc-
nutzung einer schritt, sondern aus dem einfluss der schule zu erklären sind (s. 320 fg.).
2) Übrigens ist der chronologische gewinn aus dieser erkenntnis kein grosser,
da, wie sich später ergeben wird, der älteste teil der begegnung mit dem engel älter
als die vei'bindung K 1 -)- II ist. Aber der zweite und dritte teil gehören dem com-
binierten gedichte an.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGK 327
hielt es nun für notwendig, ihre ankimft durch eine besondere mitteilung
der Küdrün ankündigen zu lassen. So bestätigt die scene mit dem
engel unsere sagenkritik, aber diese ihrerseits beweist die richtigkeit
der teilung dieses auftritts.
Was hier an einem beispiel erläutert worden ist, wird sich ver-
mutlich an mehreren stellen constatieren lassen. Doch genügt das an-
geführte, um zu zeigen, dass die einheit der Küdrün ein phantom ist.
Damit ist aber die frage nach der composition des gedichtes noch
nicht erledigt. Und es fragt sich, ob sie mit den uns zu geböte stehen-
den mittein je zu erledigen sein wird. Freilich ist der historische weg
der einzige, auf dem der versuch gemacht werden kann, aber zwischen
den älteren quellen und unserem epos liegt ein abstand, der sich nur
zum teil überbrücken lässt. Die frage, wie viel zu den einzelnen redac-
tionen KI und KU gehört, und was nach der Verbindung hinzugefügt
wurde, wie viele bearbeiter an dem gedichte tätig waren, und was jeder
von ihnen gedichtet hat, wird nicht so bald eine befriedigende Lösung
finden. Die Verhältnisse liegen hier viel ungünstiger als bei dem Nibe-
lungenliede, wo nicht wie hier der ungefähre Inhalt der quellenlieder,
sondern diese selbst in einer altnordischen Überlieferung erhalten sind,
und wo überdies in Grimhilds hsevn noch ein wichtiges zeugnis für die
älteste Verbindung bewahrt ist. Hier wird jeder schritt, den die for-
sclumg tut, durch Zeugnisse begleitet. Anders bei Küdrün. Zwar
fliessen die älteren quellen reichlicher als man allgemein annimmt, und
ihr gegenseitiges Verhältnis sowie ihr Verhältnis zu Küdrün lässt sich
genau bestimmen; mit ihrer hilfe ist es auch möglich, aus Küdrün den
ungefähren Inhalt zweier quellenlieder zu abstrahieren, aber damit sind
wir schon auf den boden der hypothese angelangt, und von hier zu
dem überlieferten gedichte führt noch ein langer weg. Es scheint mir
ein aussichtsloses unternehmen, die Strophen der Küdrün auf ver-
schiedene häufen zu werfen, und eine jede diesem oder jenem bearbeiter
zuzuweisen, um so aussichtsloser, als wir nicht wissen, wie alt die
frühste zusammenfassende bearbeitung ist. Dennoch verhalten sich nicht
alle teile des gedichtes diesen fragen gegenüber auf dieselbe weise. Am
durchsichtigsten erscheint mir der oben besprochene auftritt mit dem
engel und die sich daran schlicssende begegnung mit den verwandten
Str. 1165 — 1281. Mit diesem abschnitt wollen Avir die probe machen,
wie weit die Überlieferung eine beurteilung jeder einzelnen strophe zu-
lässt; abgesehen von dem Interesse, das ohnehin an der stelle haftet,
werden wir vielleicht hier auch klar darülicr werden, wo die grenzen
zwischen beweisführung und ungefährer abschätzung liegen.
328 BOER
Als feststehend betrachte ich die s. 323 erreichten resultate: zum
ältesten bestände des abschnittes gehört der erste teil der engelsbot-
schaft. Daran schloss sich str. 1266, wo die fraiien die wasche ver-
gessen, dann str. 1280, die frage nach der wasche, und 1281, die ent-
schuldiguug. 1282 und das was, folgt, bleiben ausser betracht.
Auch in dem gespräche mit dem bruder und dem gatten, lassen
sich ältere und jüngere teile unterscheiden. Der älteste teil der be-
gegnung scheint ohne rücksicht auf die scene mit dem engel gedichtet
worden zu sein. Denn die frauen kennen ja die fremden nicht. Aber
ist das möglich, wenn der auftritt für den überlieferten Zusammenhang
gedichtet wurde? Mir kommt das unwahrscheinlich vor, und ich möchte
darum eher glauben, dass er aus einer redaction stammt, die die engels-
botschaft nicht enthielt. "Wenn das richtig ist, so werden die beiden
auftritte zwischen KI und KU zu verteilen sein, und die Strophen,
die rücksicht auf den anderen auftritt nehmen, gehören entweder dem
contaminator oder einem noch jüngeren dichter an.
Der ältere teil der begegnung scheint mit str. 1220 anzuheben.
Herwig begrüsst die frauen; sie sind an so freundliche anreden nicht
gewöhnt. — Was vorausgieng, können wir nicht mehr wissen; was in
der Überlieferung vorausgeht, ist alles jünger; für str. 1207 — 15 wird
das unmittelbar daraus klar, dass die frauen die boten erwarten; über
die übrigen Strophen (vgl. unten) — 1221 — 23 führen zu der wasche
zurück und weisen schon dadurch auf die andere redaction; unsere scene
wusste von der wasche nichts. 1224 schliesst sich an 1220: die fremden
bitten die frauen, ihre fragen zu beantworten, und bieten dafür gold an^.
1225 enthält die richtige antwort: euer gut begehren wir nicht, aber
sagt schnell, was ihr zu wissen begehrt, denn ich wünsche nicht, dass
man uns bei euch sehe 2. Nun folgen die fragen. 1226: Wem gehört
dieses land? 1227 antwortet: Hartmuot und Ludewig. — 1228: Wo
halten sich die beiden auf? — 1229: Ich verliess sie heute morgen in
ihrer bürg (mit 4000 mann gehört schon dem Zeitalter der grossen
zahlen an und beweist wol, dass die stelle wenigstens formell umge-
arbeitet ist). Darauf folgt 1235^ die frage, ob die frauen nichts von
1) In dem anscbluss von str. 1224 an 1220 treffe ich zufällig mit Müllenhoff
zusammen.
2) Derselbe gedanke wird anders gewendet str. 1223: hier fürchtet Küdmn,
Gei'lint werde von der zinne aus sehen, dass sie sich mit den fremden unterhalte.
Diese Strophe hängt mit der schon s. 324 anm. 3 besprochenen str. 1276 zusammen.
3) "Wenn die beiden str. 1235 nach Kudrun fragen, so kann diese ihnen nicht
schon 123i mitgeteilt haben, dass die fürsten die Hegelinge fürchten. Man würde
UNTERSUCHUNGEN VRKR niF, UILnESAGE 329
einem hergesiude wissen, das vor vielen jähren iiierher geführt wurde.
Es war eine frau dabei, die Küdriin hiess^. Küdrün antwortet in zwei
Strophen 1236. 1242: ich weiss das sehr gut; die frauen kamen sehr
unglücklich hierher; ich selbst bin eine von denen, die gefangen und
über das meer geschleppt wurden. Aber Küdrün sucht ihr vergebens;
sie ist tot-. — Es ist unrichtig, wenn man hier von einer unedeln
oder nutzlosen lüge redet, die sich für Küdrün nicht gezieme. "Wenn
man den auftritt für sich betrachtet, und dabei sich vorstellt, dass
Küdrün die ankunft ihrer verwandten nicht vermutet, so versteht man,
dass die frage sie in hohem grade überrascht haben muss. Sie will
darauf gern so genau wie möglich antworten, aber zu sagen: 'Küdrün
bin ich', ist ihr in ihrer gegenwärtigen läge einem fremden manne
gegenüber doch unmöglich. Deshalb sagt sie zwar: 'ich bin eine dieser
frauen', aber über Küdrün weiss sie im ersten augenblick nichts anderes
zu sagen, als dass sie tot sei. — 1243: Ortwin und Herwig weinen,
und dadurch wird in Küdrün eine ahnung wach (1244): 'w^ar sie- euch
denn so lieb?' Herwig gibt antwort (1245): 'sie war nieine braut;
Ludwig (also KI) hat sie mir geraubt'; aber noch kann Küdrün nicht
glauben, dass es Herwig ist, der vor ihr steht; 'ihr wollt mich be-
trügen', sagt sie (1246), 'wenn Herwig noch lebte, so hätte er mich
gewiss erlöst' ('also wird er tot sein' ist der sinn von z. 2). Durch
diese unwillkürliche äusserung hat Küdrün, die str. 1242 sich nicht
nennen wollte, sich verraten, und nun ist der weg zu der wider-
erkennung gebahnt; 1247 zeigt Herwig einen ring — 1248, die den
ring beschreibt, wird jünger sein, — 1249 lacht sie und lässt ihren
dann wenigstens 1235 eine andere wendung erwarten. Auf 1231 würde lediglich die
frage passen, was denn der grund dieser feindscliaft der Hegelinge sei, und darauf
müsste Kudrüns raub ohne directe frage erzählt worden sein. Str. 1230 — 31 sind
demnach jünger. Str. 1232 — 33 gehören zu einer schiebt von Strophen, die Kudrüns
leiden hervorheben (vgl. s. 331); ausserdem ist 1232,4 nur eine widerholung von 1224.
1) Die frage ist tadellos. Es besteht kein grund, die Strophe auszuscheiden
oder zu emendieren, bloss weil es eine Nibelungenstrophe ist, da es sich nicht be-
weisen lässt, dass das vorkommen von Nibelungenstrophcn ein kiüterium der uuecht-
heit ist. Vgl. s. 330 anm. 1.
2) Str. 1237— 1241 schweifen vom thema ab. Erst sagt Küdrün, sie habe die
frau, die die fremden suchen, wol gesehen, und der dichter illustriert das durch die
naseweise erkläning, dass sie es selbst sei. Dann vermutet Herwig auf einmal, die
schöne fremde werde Küdrün sein. Aber Ortwin glaubt es nicht. Als Küdrün Ortwin
sich nennen hört (unrichtig, denn nur Herwig hat Ortwins namen genannt), wünscht
sie zu wissen, ob das ihr bruder ist. Darum fragt sie 1241 — nicht nach Ortwin,
sondern — nach Herwig! — 1241, 4 ist ausserdem eine widerholung von I24ü, 4.
330 BOER
ring sehen; 1250. 51 freut man sich, und es werden küsse ausgetauscht
Das scheint der älteste teil des auftritts zu sein^.
Als einen hauptgrund, diesen auftritt einer selbständigen redaction
zuzuweisen, erkannten wir den umstand, dass er ohne rücksicht auf die
in diesem Zusammenhang doch ältere engelsbotschaft gedichtet worden
ist. Der auftritt würde dann wol K I angehören. Dafür spricht auch
der umstand, dass Herwig so stark in den Vordergrund gerückt ist;
vgl. auch die schon s. 329 angeführte str. 1245, die Ludwig als den
räuber bezeichnet.
"Wenn nun der auftritt zu einer selbständigen Variante gehört, so
müssen wir weiter fragen: welches war in diesem quellenliede seine
Stellung? Er bildete nicht eine fortsetzung, sondern eher eine art
parallele zu der engelsbotschaft in der anderen Variante. Die Über-
lieferung nötigt ferner zu der frage, auf welche weise der auftritt in
den Zusammenhang von K I gebracht war. Denn so, wie er in dem
erhaltenen gedichte überliefert ist, kann er ursprünglich nicht dage-
standen haben. Die lange beratung, ob man die frauen mitnehmen
solle oder nicht, kann nicht echt sein; sie ist eine folge der aufnähme
der scene in einen im voraus gegebenen Zusammenhang. "Wir haben
schon s. 318 fg. erwähnt, dass jene beratung damit in Verbindung steht,
dass die frauen während des am folgenden tage stattfindenden kampfes in
der bürg sein müssen. In einem organisch entwickelten, nicht durch com-
pilation entstandenen gedichte wäre derartiges eine Unmöglichkeit-. Der
1) Die verhältnismässig grosse deutliclikeit, mit der diese Strophen sich von
den übrigen abheben, könnte die Vermutung erwecken, dass sie auch in formeller
hinsieht ein ganzes bilden, m. a. w. dass schon das quellengedicht, in dem das ge-
spräch diesen inhalt hatte, in Küdrüüstrophen gedichtet war. Aber dem steht gegen-
über, dass in dem grössten teil des gedichtes eine solche genaue trennung jüngeren
und älteren gutes nicht möglich ist. Und str. 1229 erkannten wir in einer strophe
alten inhaltes doch auch einen jungen gedanken. Ein anderes zeichen, dass auch
hier die Verbindung der beiden quellen stattgefunden hat, ist das auftreten zweier
frauen. Aus diesen gründen möchte ich die frage nach den formellen bearbeituugen
vorläufig offen lassen. Als eine möglichkeit, die erwägung verdienen dürfte, nenne
ich, dass die quellenlieder K I und II zwar strophisch, aber nicht in Küdrünstrophen,
sondern etv/a in Nibelungenstrophen gedichtet gewesen seien. Daraus Hesse sich z. b.
die form von str. 1235 erklären. Die Küdrünstrophe wäre einem wünsche nach
individualisierung dos gedichtes auch in metrischer hinsieht entsprossen. — Natürlich
würde daraus nicht folgen, dass alle oder auch nur die mehrzahl der Nibelungen-
strophen in Küdrün alt sind. Näheres über die Küdrünstrophe § 17.
2) Freilich, wenn wir die begegnung mit den verwandten KI zuweisen, so ist
der auftritt auch hier einmal ein fremdes element gewesen, wenigstens wenn wir
seine herleitung aus der Salomonsage (vgl. s. 318 fg.) zugeben. Aber eben weil er
ein ganz fremdes element war, lag für einen bearbeiter einer einzelnen redaction
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE inLDESAGE 331
einzig mögliche schluss, wenn die begegnung mit den verwandten einer
selbständigen Variante angehört, ist der, dass hier die trauen nicht
zurückkehrten, dass sie also während des folgenden kampfes sich nicht
in der bürg aufhielten. Was dann? Die freunde nahmen sie mit.
"Wenn das richtig ist, so würde der Inhalt der beiden Varianten
sicli für diesen abschnitt wie folgt bestimmen lassen: K I begegnung
mit den verwandten, die die trauen gleich mitnehmen, darauf räche an
dem entführer. K II wäsehemotiv, engelsbotschaft, rückkehr der mädchen
in die bürg, Görlints drohung, rückführung durch gewalt.
Aber wir stehen hier an der äussersten grenze des beweisbaren.
Denn dass die begegnung mit den verwandton nicht ein jüngerer Zu-
satz in dem combinierten gedichte K I + II ist, sondern schon aus KI
stammt, wird zwar durch das eigentümliche Verhältnis des kerns der
scene zu der engelsbotschaft sehr wahrscheinlich, aber ein directes
Zeugnis dafür fehlt, und so bleibt die möglichkeit einer ganz unver-
muteten erklärung des auftritts bestehen. Es ist demnach vorsichtig,
aus diesem ergebnis keine weiteren Schlüsse zu ziehen.
Kehren wir zur Untersuchung des einzelnen zurück, so bleiben in
dem abschnitt 1165—1281 noch die jüngeren Strophen zu besprechen.
Zum teil wurden sie oben in den fussnoten erörtert. Sie weisen viel-
fach untereinander zeichen der Verwandtschaft auf. Eine grosse reihe
handelt von der w^äsche: 1187 — 92 widerholung des motivs, dass die
frauen langsam waschen und deswegen gescholten werden (siehe s. 324
anm. 4); ferner (1193 — 1204) klagen über schlechte behandlung, nament-
lich kälte und mangel an kleidern, wovon die älteren Strophen nichts
wissen; 1205fg. handeln wider von der wasche; 1207 — 19 sehen die
frauen die boten, laufen fort, reden mit ihnen über die wasche, dabei
heben sie ihre armut und die kälte hervor; zu diesem gedankenkreise ge-
hören auch 1232 fg., wo ihnen ein mantel angeboten wird, den sie nicht
annehmen wollen, 1207 — 74, wo Küdrün nicht länger waschen wilH
— im Widerspruch mit 1266 ist Hildeburg fleissig — 1275 — 79, wo
sie deswegen gescholten wird, dass sie mit den fremden gesprochen hat.
keine notwendigkeit vor, ihn aufzunehmen. Da er es dennoch tat, müssen wir, so
lange die tatsachen nicht zu einem entgegengesetzten urteil nötigen, annehmen, dass
er es tun konnte, ohne einen allzu grellen widersprach zu schaffen, üanz anders
stand der compilator von K I -f- 11 der sache gegenüber. Er fand in K I die be-
gegnung mit den verwandten, in KIT die gewaltsame bofreiung vor; beides musste
mitgenommen werden, und so erfand er den auswcg, dass die frauen in die bürg
zurückgeschickt werden.
1) Als gruud gibt Küdnin unrichtig an, da.ss zwei könige sie geküsst haben.
Nur Herwig hat sie geküsst.
332 BOER
Sodann ist auch Ortwins frage nach Kudrüns kindern als ein sich an
die neue Situation, in die der auftritt aufgenommen ist (Kudrün als
Wäscherin), anschliessender einschub zu betrachten i.
Für eine gewisse anzahl dieser Strophen lässt sich auch das chrono-
logische Verhältnis der einen zu den andern bestimmen. Nicht älter als der
dritte abschnitt der engelsbotschaft sind str. 1207 bis etwa 1210, wo die
frauen die ihnen angekündigten boten widerzuerkennen glauben, 1206, wo
sie nach ihnen aussehen, 1198, wo Kudrün sich auf ihre ankunft freut;
weniger sicher 1198, denn die z. 4 genannten guoten ritter können das
beer der freunde sein. Es verdient beachtung, dass str. 1198 auch den
klaren Zusammenhang zwischen 1197 und 1199 unterbricht: 1197 klagt
Hildeburg nämlich, dass sie umkommen würden, wenn sie barfuss giengen,
und darauf fordert Kudrün sie str. 1199 auf, zu Gerlint zu gehen und
um die erlaubnis zu bitten, schuhe anzuziehen. Da nun str. 1197. 1199,
die eine zweite wäschescene voraussetzen und die armut der frauen
ganz ausserordentlich hervorheben, gewiss einer jüngeren Strophenschicht
angehören, so ergibt es sich von neuem, dass auch die jungen Strophen
von mehr als einem dichter herrühren 2.
Die Untersuchung von str. 1165 — 1281 führt also zu ziemlich
festen, wenn auch nicht in jeder hinsieht sicheren ergebnissen. Wahr-
scheinlich würden auch noch einzelne andere auftritte eine ähnliche Unter-
suchung lohnen. Aber im allgemeinen scheint es, als seien durch die
Überarbeitungen die eigentümlichkeiten der alten fassungen bis zu dem
grade nivelliert worden, dass eine ausdehnuug der Untersuchung in
diesem sinn über das ganze gedieht kaum erhebliche erfolge erwarten
lassen dürfte. Vermutlich waren die quellenlieder verhältnismässig kurz,
und ist der Wortlaut zum grössten teil der der jüngeren dichter. Wir
1) Panzer (s. 406) leitet die frage aus dem Südeliliede ab. Die ähnlichkeit ist
nur eine geringe. Aber auch, weuu diese ableitung richtig wäre, würde daraus nicht
folgen, dass die frage nicht jünger als der kern des auftritts sein kann.
2) Erkennbare schichten sind etwa:
1. Alte KU ohne engelsbotschaft.
2. Jüngere K II mit engelsbotschaft.
3. Verbindung von KU mit KI; aufnähme der — schon in K I vorhandenen —
begegnvmg mit den verwandten. Eine reihe von verbindenden Strophen.
4. Engere ziisammeufassung von K I und K IL Aufnahme AVates und Hörauts in
K II usw.
5. Zweiter und dritter teil der engelsbotschaft.
6. Strophen, die dai'auf rücksicht nehmen. Ob 3 und 4, .5 und 6 zusammenfallen,
ist schwer zu entscheiden. "Wahrscheinlich ist es nicht.
UNTF.RSÜCIIUNGEN ÜBER DIE HILOESAGE 333
müssen uns also hier damit bescheiden, den inhalt der quellen und die
stofflichen neuerungen erkannt zu haben.
§ 17. Der lu-spruiijar der Hildesajre. Geograpliisches und cliroiiolosrisclies.
Unsere Untersuchung hat bestätigt, dass der grosse complex poeti-
scher Überlieferungen, die den raub der Hilde erzählen oder denselben
Stoff mit anderen namen behandeln, in einer sehr einfachen erzählung
seinen grund hat, und dass die Vielheit der traditionen den gewöhn-
lichen mittein, der erklärung unsicherer oder undeutlicher züge, der
contamination bezw. Verbindung des vollständigen Inhaltes abweichender
recensionen, ihre entstehung verdankt. In einer jüngeren periode
kommen hinzu anlehnung an fremde erzählungen oder aufnähme von
elementen aus anderen geschichten, die mit der sage entweder ver-
wandt sind oder nur eine gewisse zufällige ähnlichkeit haben (Helgisage,
werbungssage, Salomonsage u. dgl.). Es sind dieselben sagenbildenden
kräfte dabei tätig gewesen, die wir früher bei der Untersuchung- der
Nibelungendichtung erkannten.
Nahezu alle Versionen der Hildesage und ihrer sippe haben mit-
einander den raub der Jungfrau gemein. Dieser raub ist das haupt-
thema, um welches alles übrige sich gruppiert.
Bei Saxo aber sind wir auf eine form der sage gestossen, die
hinter allen übrigen zurückliegt und uns zeigt, dass auch der raub der
Jungfrau einmal ein accessorisches dement gewesen ist, das, wie so
viele jüngeren züge, nur dazu dienen rausste, ein älteres dement, die
feindschaft zwischen Hagen und seinem Schwiegersohn, zu erklären.
Diese feindschaft, die in einem gegenseitigen totschlag ihren abschluss
findet, ist der ausgangspunkt der Hildesage.
Die sage ist also eine sage vom verwandtenmord. "Wir finden
bestätigt, was ich im erstenbandejneiner Nibelungenuntersuchungen {§ 4)
angedeutet und kurz ausgeführt habe, dass die Hildesage ihrem Ur-
sprünge nach eine nahe Variante der Nibdungensage ist. Beide lassen
sich auf folgendes schema zurückführen: Hagen ist der nächste männ-
liche verwandte einer Hild (Grimhild) genannten frau. Mit dem geraahl
dieser frau kämpft Hagen. Der ausgang des kampfes ist ein tragischer.
In der Nibelungensage kämpft Hagen nacheinander mit zwei Schwägern,
den einen tötet er; von dem anderen wird er getötete In der Hilde-
sage finden wir an der stelle der beiden schwäger 6inen Schwiegersohn,
aber Schwiegervater und Schwiegersohn töten sich gegenseitig.
1) Freilich gehört, wie ich demnächst zu beweisen hoffe, die verduppoluug der
Nibelungensage eiuem bedeutend jüngeren Zeitalter an.
334 BOER
Diese beiden grundformen stehen einander sowol durch den inhalt
als durch die namen^ so nahe, dass ein zweifei an ihrem gemeinschaft-
lichen Ursprung nicht wol möglich ist. Dass es gründe gibt, die dar-
stellung der Hildesage, in der die frau des feindes Hagens tochter ist,
für die ursprünglichere zu halten, habe ich a. a. o. s. 106 schon aus-
gesprochen. Dieses Verhältnis von vater und tochter ist das natürlichere;
der bruder ist nur der Stellvertreter des vaters. Die Untersuchung der
geschieh te der Hildesage bestätigt dieses bis dahin vorläufige resultat.
Denn ihre breite entwicklung fällt in eine ältere periode. Schon im
T.Jahrhundert begegnen wir auf dem norddeutsch -angelsächsischen ge-
biete einem sehr entwickelten spross unserer sage (Waldere), und wenn
es erlaubt ist, an die echtheit der Ragnarsdräpa zu glauben, so hatte
im 9. Jahrhundert die Hildesage in Skandinavien schon einen endpunkt
erreicht. Auch das Verhältnis der Hildesage zu der Helgidichtung weist
für jene auf ein bedeutendes alter. Daraus erklärt es sich vielleicht
auch, dass wir aus Skandinavien kaum eine poetische tradition kennen,
sondern bloss prosaische berichte, die als reminiscenzen an eine unter-
gegangene poesie aufzufassen sind; nur die abgeleitete Helgisage ist
poetisch überliefert. Die Mbelungensage hingegen blüht erst in einer
jüngeren periode auf; das meiste, was wir kennen, stammt frühestens
aus dem 10. Jahrhundert oder einem noch jüngeren Zeitalter. Allerdings
gibt es andeutungen, dass die fabel bedeutend älter ist, aber der reich-
tum der jüngeren Überlieferung scheint doch zu erkennen zu geben,
dass auch die anfange dieser dichtung jünger als die der Hildedich-
tung sind.
Das gefühl für den Zusammenhang der beiden sagen muss früh
verloren gegangen sein. Denn tatsächlich haben sie nur das oben auf-
gestellte rohe Schema gemein. Ich muss hier noch einmal auf meine
1) Noch schlagender würde die gleichheit auch in den nanien sich zeigen, wenn
es erlaubt wäre, den namen GuSrun und ihre eigenschaft als Hilds tochter für die
älteste form der sage zu verwerten. Aber so interessant dieses zeugnis für ein Ver-
hältnis zu der Nibelungensage in einer weit zurückliegeudeu periode, bevor KI und
KU entstanden, ist, so geht es doch nicht an , daraus zu schliessen, dass die doppel-
heit in dem namen der frau, die in der Nibelungensage widerkehrt, von anfang an
in der Überlieferung vorhanden war. (Freilich muss auch die Nibelungen sage einmal
nur einen der beiden namen gekannt haben.) Wenn Hagens tochter schon in der
ältesten sagenfonn wechselweise Hild und GuÖrün geheissen hätte, so müssten wir
auch in anderen Versionen auf spuren dieser doppelten bezeichnung stossen. Bedenken
wir, dass Ur-K, die quelle von KI und KU, von HS stammt, dass aber weder die
form 5^4, noch H, noch SH6, noch f'H4 den namen GuSrün kennt, so müssen wir
wol schliessen, dass der name in der Hildesage nicht älter als KU ist. — Über
die consequenzen für die goschichte von K s. unten s. 338.
UNTERSUCmiNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 335
Nibelungenuntersuchungen verweisen, wo (§ 4) betont wurde, dass die
grundlegenden elemente einer sage die psychologischen erklärungen der
geschehnisse sind; das nackte schema ist nur ein embryo. Aber in den
erklärungen gehen die beiden sagen von anfang an auseinander. Während
die Nibelungensage den kämpf aus habsucht erklärt und die Charaktere
durch diese erklärung ihr gepräge erhalten, gibt erst der frauenraub
der Hildesage ihren eigentümlichen Charakter. Es ist dann auch ein
reiner zufall, dass Saxo, freilich in Verbindung mit einer jüngeren Ver-
sion, eine redaction erhalten hat, der diese erklärung noch fremd ist.
Sie ist ein wertvolles zeugnis, ein Schlüssel zu der einsieht in die ent-
stehimg der sage.
AVenn in der "Walthersage, die auf einer schon weit fortgeschrit-
tenen form der Hildesage beruht, Hagen in Frankenland localisiert und
von neuem mit dem Nibelung identificiert wird, so haben wir, was
schon § 7 bemerkt wurde, aber jetzt noch besser verstanden werden
k-ann, darin nicht eine reminiscenz an die ursprüngliche Identität der
beiden gestalten, sondern eine neue identificierung auf grund der namen-
gleichheit zu erblicken i.
Fragen wir nach der heimat der sage, so kommen neben den
ältesten Zeugnissen die localisierungen in betracht. Fest steht in der
tradition eigentlich nur die heimat Hagens, die die quellen mit grosser
einstiramigkcit nach Dänemark verlegen. Dass noch die quellenlieder
der Küdrün KI und KU ihn dort kannten, wurde oben s. 307 aus-
geführt. Die jüngeren quellen versetzen Hagen genau in dieselben orte,
wo er auch in den aufeinander folgenden fassungen der Nibelungensage
wohnt. Auch hier sind noch spuren einer localisierung in Dänemark,
und zwar wie bei den beiden der Hildesage in Jütland, vorhanden
(Unters. NSI, 135), bald aber treffen wir ihn am Niederrhein und später
in Worms, und so ist es ihm auch in der Walthersage ergangen, die
diese beiden localisierungen kennt (während die Küdrünquellen Däne-
mark beibehalten), bis er zuletzt durch einen unkundigen bearbeiter nach
Irland versetzt wird.
Über Heöins heimat herrscht keine solche einstimmigkeit. Zunächst
kommen Snorri, der Norwegen als seine heimat angibt, und Widsiö,
1) Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der
identificierung Hagens mit dem Nibelung iu der "Walthersage und der unten näher
zu besprechenden aufnähme des namens Öuön'in iu K II, die gleichfalls ein nahes
Verhältnis oder gar die identität dieses Hagen mit jenem voraussetzt. Dann würde
von H2& an bis zu K H hinunter der zusammonhaog der beiden gestalten und der
beiden sagen aneriiaunt gewesen sein.
336 BOER
der ihn über die Glommas regieren lässt, in betracht. Wenn das der
volksstamm ist, nach dem der Glommen heisst, so weist auch dieses
Zeugnis nach Norwegen. Diese localisierung aber lässt sich kaum von
der des kampfes auf den Orkneyjar trennen, der, wie s. 200 fg. aus-
geführt wurde, mit der Überführung des Stoffes nach England zusammen-
hängt und ein product der wikingerzeit ist. Die localisierung auf dem
Wülpensande kann nicht älter sein; sie ist eher etwas jünger; sie hängt
mit deT Übersiedelung des entführers nach der Normandie zusammen
(s. 306) und stammt deutlich aus der Normannenzeit. Es scheint, als
hätten wir auch hier, wie bei der Untersuchung des Inhaltes der sage,
bei Saxo die ursprünglichste nachricht zu suchen. Ein Zusammenhang
zwischen dem namen des beiden und dem der insel Hithinsö lässt sich
auf keinen fall leugnen, und das Verhältnis der quellen scheint darauf
zu deuten, dass dieser Zusammenhang nicht secundär ist. Es ist
gar nicht unmöglich, namentlich wenn wir in der sage nachklänge
historischer ereignisse suchen dürfen, dass die insel nach dem beiden
benannt worden ist, sei es nun, weil er dort geherrscht, oder weil er
dort den tod gefunden hat. Saxos localisierung bestätigt auch der
bericht des WidsiÖ, dass Wate, der als ein alter doppelgänger HeÖins
auftritt, über die Heisingas regierte; der seeweg von Jütland nach
Helsingland am bottnischen meerbusen führt ja durch die Ostsee. Auch
Hagens herrschaft über die Holmryge lässt sich damit verbinden, wenn
die Holmryge, wie ich Unters. NS I, 135 wahrscheinlich zu machen ver-
sucht habe, in Dänemark zu suchen sind^.
So führen uns die ältesten Zeugnisse zu den Völkern nördlich und
westlich von der Ostsee und nach HeÖinsey als dem Schauplatz des
kampfes. Chronologisch weisen sie in die bewegte zeit, die der grün-
dung des dänischen königreiches voranging. Weiter lässt sich die sage
nicht zurückverfolgen. Aber sie ist auch noch so einfach , dass sie keine
lange entwicklungsgeschichte hinter sich haben kann. Somit werden
wir auch den Ursprung der sage auf den dänischen inseln zu suchen
haben. Dort stiessen die drei Völker, die an ihrer ausbildung gearbeitet
haben, Dänen, Anglosachsen und Deutsche, hart aneinander; von dort
konnten die beiden hauptformen, die zu der Walthersage und später
zu Küdrün führten, leicht zu den Deutschen gelangen, und von dort
1) Auch mit der verbreiteten aasicht, dass die Holmryge an der Weichsel-
mündung gewohnt haben, lässt sich der kämpf auf ITeSinsey vereinigen. Aber diese
auffassung, die auch gegen sicli hat, dass die Weichsel -Rugier keine inselbewohner
waren, widerspricht den stets widerkehrenden berichten, dass Hagen ein könig in
Dänemark war.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDES ARE 337
werden auch die Angelsachsen die erste künde von der sage bekommen
liaben, wenn sie auch später neue formen aus Norddeutschland (Walther-
sage) und Skandinavien (SH3, s. 200) als import erhalten haben. Die
berichte über die Heisingas und die Holmryge gehen über die skandi-
navische tradition hinaus und werden auf einer aus der alten heimat
mitgebrachten Überlieferung beruhen.
Über die heimat der einzelnen redactionen, namentlich der über-
gangsstufen, ist noch einiges, zum teil nicht unwichtiges, hinzuzufügen.
Skandinavisch sind, abgesehen von der dänischen grundform H,
die ganze reihen SH 1 — 6, 1*111 — 4, Hi — 4, wie ihre endpunkte SH 6,
PH4, H4: beweisen. Einzelne Zwischenstufen sind auch direct auf
skandinavischem boden belegt oder bezeugt; so SH4, der bei Saxo
überliefert ist; SH3, der ausgangspunkt der reihe PH ist; H3 von
dem die balladen stammen. Über das Verbreitungsgebiet von SH3 wurde
s. 200 einiges erörtert. Eine nähere landschaftliche bestimmung wird
unten für einzelne stufen die betrachtung von Ur-K ergeben. Dass
iJ2a, und also auch SH2, von dem die if- reihe stammt, noch auf
dänischem boden verbreitet war, bezeugt die deutsche Walthersage, die
von H2si stammt und aus geographischen gründen eher aus einer
dänischen als etwa aus einer norwegischen quelle abgeleitet sein kann.
Die entstehung der Walthersage wird demnach mit der Überführung
dieses zweigs von Dänemark nach Norddeutschland zusammenfallen.
Auch 7/3 wird noch dänisch gewesen sein^ Darauf deuten zunächst
die dänischen balladen, mit noch grösserer Sicherheit aber die deutsche
Küdrünüberlieferung, die von HS stammt, und nur aus Dänemark
importiert sein kann (vgl. unten). Daraus ergibt sich, dass die beein-
flussung der — dänischen — Helgisage durch die — dänische — Hilde-
sage auf dänischem boden zustände gekommen ist.
Weniger unmittelbar leuchtet es ein, was sich jedoch nicht mehr
umgehen lässt, dass auch Ur-K noch aus Skandinavien stammt. Dafür
sind zunächst die berührungen mit dem SQrla |iattr anzuführen. Zwar
Hesse ein teil davon — Hagens anfängliche freundschaft mit dem ent-
führer — sich als altererbtes gut erklären, aber andere züge, die miss-
handlung der königin in KI und der narae Morlant in KU, — wenn
letzterer zug nicht zufällig ist, — können nur auf entlchnung beruhen.
Diese aber ist nur dann möglich, wenn die entlehnende redaction von der,
l) Ihre voistufe //2b wurde nach s. 200 nach den brittischen inseln übergeführt,
wobei sie mit der form SH 3 zusammentraf und die grundlago der Shetlandsballade
wurde.
ZKITSCHKIFT K. DEDTSCHK PIIILOI.OOIK. BD. XL. 22
338 BOER
aus der die entlebniing stattfindet, nicht landschaftlich und sprachlich weit
getrennt ist. Der umstand, dass sowol KI wie KU solche berührungen
mit PH2 aufweisen, lässt vermuten, dass es XJr-K war, die die züge auf-
genommen hat. KI und KII haben dann beide einzelnes davon bewahrt.
Aber auch die erste differencierung von KI und KII muss noch
auf skandinavischem boden stattgefunden haben. Denn nur hier oder
im dänisch-sächsischen grenzgebiete kann der name GuÖrün in die
Überlieferung aufgenommen sein. Hier herrscht in der Nibelungen-
sage wie in der Hildesage dieselbe Unsicherheit in bezug auf den namen
der frau, die Hagens Schwester resp. tochter war; hier war die grenz-
linie, südlich von der man nur Hild (Grimhild) kannte, während nördlich
davon eine tochter dieser Hild bekannt war, die Gubrün hiess. Wenn
die Spaltung von TJr-K in K I und K II auf deutschem gebiete zustande
gekommen wäre, so müsste Ur-K die beiden Vorstellungen, dass Hild
und dass GuÖrün Hagens tochter war, nebeneinander enthalten haben,
denn GuÖrün kann in Deutschland nicht in die tradition aufgenommen
sein, da sie hier ausserhalb der Hildesage nicht bekannt ist^. Aber
die beiden abweichenden Vorstellungen können unmöglich in einem ge-
dickte nebeneinander bestanden haben; sie müssen Varianten angehören-.
Wenn KI und KII sich noch auf dänischem boden oder an der
dänisch -deutschen grenze voneinander getrennt haben, so müssen die
gemeinschaftlichen neuerungen von KI und KII, sofern sie wenigstens
Ür-K angehören '^ gleichfalls vor der Überführung des stoJS"es nach
1) über die naniensform ist zu bemerken, dass das k sich wie das k von
Kriemhild aus der überfülirung aus einer gegend, wo die media gesprochen wurde,
nach einer gegend, wo g spirantisch war (Unters. NSII, 108), also aus dem sächsi-
schen nach dem fränkischen erklärt. Das lange u der ersten silbe, das durch die
häufige Schreibung au wol gesichert ist, weist gleichfalls, hier im gegensatz zu der
nordischen auf die sächsische form. Die Sachsen haben also, als sie die sagenform
KII kennen lernten, den nordischen namen GuÖrün in den sächsischen lautstand über-
tragen. Dass der name für sie etymologisch durchsichtig war, nimmt kein wunder.
Hingegen haben Franken und Oberdeutsche, die den namen mechanisch übernahmen,
ihn nicht in ihren lautstand übertragen, sondern ihn ihrer ausspräche angepasst.
2) Die möglichkeit, dass die aufnähme des namens GuSrüu in die Hildesage
und die ähnlichkeit in diesem punkte mit der Nibelungensage auf einem reinen zufall
beruhen sollte, ist nicht anzuerkennen, um so weniger, als GuSrüu in Deutschland
kein gebräuchlicher name ist.
3) Es lässt sich nämlich denken, dass die beiden licder nach ihrer trennung
noch gemeinsame änderungen erfahren haben, die dann als secundäre berührungen zu
bezeichnen sind. Diese möglichkeit besteht zumal dann, wenn K I und K II eine lange
entwicklung durchgemacht haben und landscliafthch nicht weit getrennt waren. Bei-
spiele solcher jüngeren neueningen, die durch beide gedichte durchgeführt wurden,
sind tatsächlich vorhanden, vgl. unten im texte.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER WE IIILDESAGE 339
Deutschland zu stände gekommen sein. Hierher gehört die localisierung
auf dem Wülpensaude. Auttallig ist das nicht. Diese localisierung wurde
s. 336 der Norniaunenzeit zugeschrieben; zu jener zeit aber wird eher
ein Däne als ein Deutscher von kämpfen zwischen Dänen des mutter-
landes und der Normandie gedichtet haben. Den Deutschen, die vor
beiden zitterten, war kaum der unterschied zwischen beiden bekannt.
In dieselbe periode fällt noch die rückführung der frau, die auch in
einer dänischen ballade (der Hildebrandvise) widerkehrt. Anders wird
die neue auffassung ihres Verhältnisses zu dem entfüiirer zu beurteilen
sein. Allerdings ist diese auffassung älter als die neue Verbindung von
von KI und KlI; in beiden quellenliedern finden sich davon deutliche
spuren; hier zeugt die begegnung mit dem engel, dort die mit den
verwandten dafür, dass die frau sich zu ihren verwandten zurück-
sehnte. Aber diese auftritte sind junge zusätze in den. quellenliedern,
die für das alter der neuen auffassung w^enig beweisen. Und dem steht
gegenüber, dass von dieser auffassung des Charakters der frau in den
skandinavischen quellen, auch in den mit Küdrün am nächsten ver-
wandten formen (Helgisage und bailaden), keine spur zu entdecken ist;
nur die besorgnis um das Schicksal ihrer verwandten in den bailaden,
die trauer über ihren tod in. der Helgisage wurden oben s. 186 als
erste schwache ausätze dazu erkannt. In der Küdrün aber sind wir
auf deutliche spuren der älteren auffassung, nach der die frau dem
entführer freiwillig folgt, gestossen^. Zieht man nun weiter in betracht,
dass KI und KII, wenn sie noch aus der dänischen periode stammen,
eine lange entwicklung durchgemacht haben müssen, da ihre Verbindung
kaum älter als der ausgang des 12. Jahrhunderts ist, so werden wir
schliessen müssen, dass die neue auffassung des Charakters der geraubten
Jungfrau verhältnismässig spät, vielleicht nicht lange vor der Verbindung
von K I und K II auf deutschem boden zu stände gekommen sein muss
und zu gleicher zeit oder kurz nacheinander in beiden (luellen durch-
geführt worden ist. Hier haben wir es also mit einem fall der s. 338
anm. 3 genannten gemeinsamen entwicklung beider quellen nach ihrer
trennung zu tun. — Deutsch sind ferner die zutaten aus fremden Sagen-
kreisen, deren aufnähme schon vor der Verbindung von KI und KII
einen anfang nimmt.
Die heimat von Ur-K ist demnach das südliche Dänemark. Auch
für die Verbreitungsgeschichte der skandinavischen sagenformen ist dieses
1) Oben s. 292fgg. In der ersten hälfte des gedichtes steht mit klaren worten,
lass Hilde dem entführer freiwillig folgt. Aber diese stelle ist weniger beweiskräftig,
dii sie Klb aii/,uf,'ohören sohoint. Hildo hat sich durch Hurants gesang berücken lassen.
22«
340 BOER
resultat nicht ohne bedeutimg. Der SQrla|)ättr gilt neben Snorris er-
zählimg für einen repräsentanten der isländischen tradition. Es ergibt
sich aber aus dem Verhältnis des |)ättr zur Küdrün, d. h. von PH2 zu
Ur-K, dass die älteren stufen von PH nicht auf Island entstanden sein
können, sondern bedeutend älter als die Überführung des Stoffes nach
Island sind. Wenn die süddänische Ur-K von PH 2 beeinflusst worden
ist, so miiss auch PH 2 wenigstens in Dänemark verbreitet gewesen
sein. Und da PH2 von SH3 stammt, gilt dasselbe für SH3. Dass
diese form sich nach den brittischen inseln verbreitet hatte, wurde
s. 200 gezeigt, und ihre nachkommenschaft lässt vermuten, dass sie auch
in Norwegen bekannt war. Der ausgangspunkt dieser Wanderung aber
wird das nördliche Dänemark gewesen sein. SH3 und &H2 wären
demnach als norddänische sagenformen den süddänischen i73 und Ur-K
gegenüberzustellen; aus der nachbarschaft erklärt sich die beeinflussung
von Ur-K durch PH2^. Etwas später als SH 3 verbreitete sich auch
PH2 in nördlicher richtung; wir kennen nur den jüngsten spross PH4,
der im 14. Jahrhundert auf Island niedergeschrieben wurde.
Unter diesen umständen ist es auch gewiss nicht notwendig an-
zunehmen, dass Saxo seine längere darstellung aus einer isländischen
quelle geschöpft habe (§5). Saxo II ist = SH4, steht also PH2, die
gleichfalls direct von SH3 stammt, noch sehr nahe. Da SH3 ein grosses
Verbreitungsgebiet hat, lässt es sich nicht genau entscheiden, wo SH4
enstanden ist. Aber weiter als bis zum südlichen Norwegen braucht
man gewiss nicht zu suchen; es ist sehr wol möglich, dass auch diese
form noch im nördlichen Dänemark verbreitet war. Isländisch ist die
form gewiss nicht, denn sogar SH6 ist, wenn wenigstens die tradition
von Bragi die Wahrheit sagt, noch nicht isländischen Ursprunges. Und
zu Saxos Zeiten und lange nachher sind auf Island SH6 und PH4,
nicht aber SH4 bezeugt.
Über das alter der verschiedenen entwicklungsstufen der sage lässt
sich mit grösserer oder geringerer Sicherheit einiges sagen. Mit hilfe
einiger endpunkte, deren alter ungefähr bekannt ist, ist es möglich für
die meisten der übrigen Versionen engere oder weitere zeitgrenzen auf-
zustellen. Wir schliessen damit diese Untersuchung.
1) Nur um einem denkbaren einwände zu begegnen, bemerke ich, dass ich die
frage erwogen habe, ob Ur-K nicht bei dänischen Wikingern auf den brittischen inseln
entstanden und von dort nach Deutschland gelangt sein kann, und dass eine solche
hypothese mir völlig haltlos erschienen ist. Das auszuführen würde aber einen
grösseren räum erfordern, als die sache beanspruchen kann.
UNTERS ÜCUUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 341
Für die urform H wurde s. 336 als entsteh iingszcit das 6. Jahr-
hundert vermutet. Die nächste bekannte stufe ist der Waldere, als
dessen entstehungszeit man das 7. jaiirhundert annimmt. Das zeugnis
dieser fragmente gibt für die ihnen vorangehenden formen SEI. SH2
(=7/1). //2 a. W einen terminus ad quem ab.
Wir dürfen demnach /Z'2a, von der die Helgisage, die balladen
und K stammen, unbedingt an den anfang des 7. Jahrhunderts stellen.
Für 7/4 (sagenform des zweiten Helgiliedes) gilt das 10. Jahrhundert;
die form //3 ist demnach gleichfalls spätestens ins 10. Jahrhundert zu
stellen. Über Ur-K vgl. unten.
In den reihen SHl — 6 und I>H1 — 4 finden SH 1. 2 an der
Waltliersage einen terminus ad quem; jünger als der anfang des 7. Jahr-
hunderts sind diese sagenformen nicht. SH6 wird durch Bragis alter
bestimmt; das ergibt also, wenn Bragis gedichte echt sind, das 9., auf
keinen fall eine spätere zeit als das 10. Jahrhundert. Das ist zugleich
ein terminus ad quem für die formen SH3 — 5, und also auch für I^Hl,
die = SH3 ist. Für das alter von &H2 gibt die von ihr beeinflusste
Ur-K (oder KI und KU) ein zeugnis ab; die form ist vielleicht noch
ins 10. Jahrhundert zu setzen. I*H4 stammt aus dem 14. Jahrhundert.
In der reihe, die zur Küdrün führt, lassen sich die Zwischen-
stufen am besten von den endpunkten aus bestimmen. Am anfang der
reihe steht Ur-K, die von H'i (10. jahrh.) stammt. Ein grund, diese
Version noch in dasselbe Jahrhundert zu stellen, ist die localisierung auf
dem Wülpensande, die nach s. 336 aus der Normannenzeit stammt und
demnach nicht jünger sein kann. Am ende der entwicklung steht die
handschriftliche Überlieferung des gedichtes, die dem 16. Jahrhundert
angehört, aber nach Bartsch und Zingerle auf eine vorläge aus dem
ende des 18. resp. dem anfang des 14. Jahrhunderts hinweist. Zwischen
diesen äussersten punkten wären noch das alter der einzelnen redactionen
KI und KU, das ihrer Verbindung (Kl-f II) und das der vorliegen-
den recension zu bestimmen.
Auf letztere frage einzugehen, liegt dieser Untersuchung fern;
wir werden sie nur zu streifen haben. Wir müssen aber die frage
stellen, für welche fassung jedes der allgemein angewendeten kriterien
gültigkeit hat. Da ist das Verhältnis der Küdrün zum Nibelungenlied,
zum Bitcrolf, zum Titurel und zur Klage ins äuge zu fassen.
Die absolute abhängigkeit der Küdrün vom Nibelungenliede hat
Kettner, Zeitschrift 23, 145 fgg. dargetan, und zwar geht aus der
benutzung der höfischen scenen hervor, dass es die junge rczension
NL IV (Untersuchungen NSII, 156) ist, die das gedieht beeintlusst hat
342 BOKR
Damit gewinnen wir das jähr 1200 als einen terniiniis a quo. Aber dieser
nachweis hat auch nur für die jüngste redaction der Küdrün bedeutung.
Allerdings lehrt die durchdringung des ganzen gedichtes mit dementen
des NL, dass die letzte Umarbeitung eine sehr durchgreifende war, aber
es sind doch keine andeutungen dafür vorhanden , dass schon die quellen-
lieder K I und II oder ihre erste Verbindung K I + II den einfluss des
NL erfahren hätten. Und wenn das geschehen sein sollte, so wäre noch
zu erwägen, ob die recension des NL, die auf KI -f- II eingewirkt hätte,
nicht eher etwa NLII gewesen sein sollte. Eine widerholte beein-
flussung durch dieselbe quelle ist nicht von vorn herein ausgeschlossen
(vgl. s. 320 fg. 326 anm. 1). Wir können also aus den berührungen mit
dem NL nichts weiter schliessen, als dass das überlieferte gedieht nach
1200 entstanden sein muss. Das schliesst nicht ein zeitlich nahes Ver-
hältnis zum NL ein; das gedieht kann sehr wol um 1230 oder 1240
zu stände gekommen sein. Ohne darauf einzugehen, bemerke ich, dass
hier Schönbachs beweisführung mir überzeugend vorkommt; nur da,
wo er (s. 203) dieses urteil auch für die ältesten teile des gedichtes
gelten lassen will, kann ich ihm nicht zustimmen i.
Yon den berührungen mit Biterolf führe ich nur die oben s. 3 13 fg.
besprochene stelle an. Wenn die meinungen darüber geteilt sind, welches
der beiden gedichte das andere benutzt hat, so liegt hier doch ganz
gewiss eine stelle vor, wo der Küdrün die priorität zukommt. Denn
für die Küdrün, und zwar für die redaction KI + 11 sind die namen
Ludwig und Hildeburg erfunden worden. Die gestalten stammen freilich
schon aus KI, aber hier trugen sie andere namen. Die recension
KI + 11 muss also vorhanden gewesen sein, als die Biterolfstelle ent-
stand. Freilich ist der gewinn kein grosser, wenn wir das alter der
überlieferten Biterolfrecension, die Jänicke ca. 1210, Holz ca. 1240
datiert, in betracht ziehen.
Etwas sicherer ist die auf der Titurelstrophe fussende Zeitbestim-
mung. Dass die Strophe eine Variation der Küdrünstrophe darstellt, ist
doch wol wahrscheinlich. Und dass Wolfram die Strophe nicht aus
unserem gedichte sondern anderswoher kennen gelernt habe, was Schön-
bach für möglich hält, ist kaum glaublich. Schönbachs ansieht hängt
1) Wenn Scbönbach daselbst behauptet, uuv ein dichter, dessen Zeitalter die
höhe der höfischen poesie, epik und lyrik, schon zuriickgelegt hatte, habe es ver-
mocht, eine leidende frau in den mittelpunkt einer grossen erzählung zu stellen, so
beruht das auf einer vorgefassten meiuung über die entwicklung der dichtung und
über das, was ein höhepuukt heissen darf. Die leidende frau finden wir schon iu der
dänischen zeit der stoffgeschichte.
UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE 343
mit der theorie, dass die Küdrünstrophe ursprünglich eine lyrische
Strophe gewesen sei, zusammen, wie das auch von der Nibelungenstrophe
behauptet wird. Für diese Strophe aber glaube ich den Ursprung aus
der Spielmannsdichtung erwiesen zu haben (Unters. NS II, llOfgg.), und
das Verhältnis der Küdrünstrophe zur Nibelungenstrophe liegt offen zu
tage. Es wird also ein bearbeiter der Küdrün sein, der sie aus der
Nibelungenstrophe gebildet luit^ Nimmt man also einen Zusammenhang
zwischen der Titurelstrophe und der Küdrünstrophe an, so muss man
wol schliessen, dass um 1215 eine Küdründichtung in Küdrünstrophen
existiert hat. Aber diejenigen forscher, welche diese grenze für das
überlieferte gedieht gelten lassen und so zu einer genauen Zeitbestim-
mung 1200 — 1215 (zwischen Nibelungenlied und Titurel) gelangen, sind
wol im unrecht. Die Wahrheit ist, dass die obere grenze für eine jüngere
redaction gilt als die untere. Unsere Überlieferung ist jünger als 1200,
aber eine ältere recension ist älter als 1215. Und diese kann, wenn
unsere oben s. 330 anm. 1 ausgesprochene Vermutung, dass die -quellen-
lieder noch nicht in Küdrünstrophen gedichtet waren, richtig ist, nur
red. K I + II sein.
Noch etwas weiter zurück führt das zeugnis von Klage 2206, wo
wie in Biterolf Hildburc von Normandi genannt Avird^. Wenn die
1) Ihre allmähliche entstehung lässt sich in dem gedichte noch deutlich ver-
folgen. Oben s. 330 anm. 1 begegneten wir wenigstens einer Nibelungenstrophe, die
zu dem alten bestände gehört, sogar aus einem der quellenlieder zu stammen scheint.
Ferner ist zu fragen, ob nicht eine reihe sogenannter entstellungen einfache über-
gangsformen sind. Es begegnet nämlich eine ganze reihe freilich klingender, aber noch
vierhebiger Schlusszeilen, die entweder gar nicht (wie 315. 335. 354. 378. 853 und
viele andere) oder nur gewaltsam, durch die überfährung eines Wortes, das metrisch
und syntaktisch besser in der vorletzten halbzeile stünde, in die letzte halbzeile (wie
397. 510. 724 u. a.) zu fünfhebigen umgemodelt werden können. Daneben begegnen
auch stumpf ausgehende Schlusszeilen, die fünfhebig gelesen werden können oder
müssen, wie 77. 287 u.a. Es scheint mir willküdich, hier überall Verderbnisse an-
zunehmen oder zu glauben, dem dichter sei die schwierige stropho nicht gelungen.
Ich glaube eher, dass aus einem schwanken zwischen vier- und fünfhobigem ausgang,
— das bei der Verschiedenheit der möglichen betonung sich leicht veretohen lässt, —
und zwischen stumpfem und klingendem ausgang, — das sich daraus erklärt, dass
eine vierhebige klingend ausgehende zeile auch fünfhebig stumpf gelesen werden konnte,
— die neue regel hervorgegangen ist. — Die vielen Nibelungenstrophen in den jüngeren
teilen des gedichtes stehen ausserhalb dieser botrachtung; sie werden mit der beein-
flussung der letzten redaction des gedichtes durch das NL zusammenhängen.
2) Es fällt auf, dass die Klage scheinbar denselben fehler enthält wie die
Biterolfstelle, dass Hildeburg von Normandi genannt wird. Doch darf man daraus
auf eine von Kudrüii unabhängige traditiou nicht schliessen. Vielmehr ist die stelle
der Klage von der Küdrün, die Biterolfstelle von der Klage abhängig. Die Klage sagt
344 BOER
zweite rodaction der Klage um 1185 entstanden ist (Untersuchungen
NSII, 173), so werden wir zu dem Schlüsse geführt, dass die Verbin-
dung KI + 11 nicht jünger als ca. 1180 sein kann.
Freilich verbietet, wenn wir nur diese Zeugnisse ins äuge fassen,
nichts, der red. KI + 11 ein noch höheres alter zuzugestehen. Wenn
die wichtigen gründe, die für eine späte entstehungszeit sprechen, nur
für eine jüngere bearbeitung als KI + 11 gelten, so ist für diese selbst
nur ein« grenze abwärts, nicht aufwärts gegeben. Die christlichen ele-
mente, die sich sogar in den quellenliedern finden (vgl. s. 326 anm. 1),
beweisen an sich noch kein junges alter i. Aber dass die redaction
KI + 11 höher hinaufzurücken sei, ist doch nicht wahrscheinlich. Denn
die entstehung der redaction K I + 11 deutet auf ein erwachtes starkes
Interesse für den stoff, das zu neuen bearbeitungen führen musste und
geführt hat. Man wird daher den abstand zwischen K I + II und den
späteren bearbeitungen nicht unnötigerweise grösser machen, als es die
data erfordern. Und für ein höheres alter als ca. 1180 spricht keine
einzige tatsache. Es geht nicht an, auf einen möglichen paralleiismus
mit dem Nibelungenliede hinzuweisen, dessen quellenlieder schon um
die mitte des 12. Jahrhunderts zu einer einheit zusammeugefasst wurden,
denn wer kann beweisen, dass ein solcher paralleiismus mehr als ein
hirngespinst ist? Die Zusammenstellung der beiden gedichte als einander
ergänzender Schwesterkunstwerke hat schon unheil genug gestiftet. Eher
würde die vergleichung mit dem Nibelungenliede zu einem anderen
Schlüsse führen. Wie hier eine reihe von Umarbeitungen von ca. 1150
an schnell aufeinander gefolgt sind und darauf von ca. 1200 an die
änderungen nur noch einzelheiten betreffen, so würde der analogieschluss
nahe hegen, dass, da die letzte bearbeitung der Küdrün mutmasslich
zwischen 1230 und 1240 zu stände gekommen ist, die eingehende be-
schäftigung mit dem stotf auch um ein menschenalter später angefangen
hat, als die mit dem stoffe der Nibelunge.
nicht, dass TTildeburg die tochter Ludwigs sei; sie berichtet nur, Hildoburg sei geborn
von Normandi. Damit kann eine tochter dei' aus Küdriin bokauuten Hildeburg, die
ja mit Hartmuot vermählt wurde, gemeint sein; sie wird ebenfalls als Jungfrau be-
zeichnet. Der dichter des Biterolf hat diese stelle so vorstanden, als sei die rede
von Küdrüns gefährtin, und diese hat er dann zu einer tochter Ludwigs gemacht.
1) Eher weisen sie auf eine ältere zeit, die sich von der kirche noch nicht
emancipiert hatte. Ist doch das 12. Jahrhundert geradezu eine blütezeit der kirch-
lichen litteratur. — Anders steht es mit den ansichten des 13. Jahrhunderts über christ-
liche dinge, auf welche Schönbach aufmerksam macht. Aber dass solche in den
quellenliedern oder in K I + II vorhanden waren , müsste erst bewiesen werden.
UNTERSUCHUNGEN ÜBEK DIE HILDESÄQE 345
Auch für die eutstehung der quellenlieder K I und II werden wir
uns auf einen paraUelismus mit dem Nibelungenliede nicht berufen
können. Die Verhältnisse liegen hier anders als dort. Die quellen des
Nibelungenliedes sind Varianten eines deutschen gedichtes, aber Ur-K
war noch dänisch, und KI und KII sind nicht südlicher als an der
dänisch -deutschen grenze entstanden. Das legt schon die Vermutung
nahe, dass KI und KII älter als QI II des NL sein werden. Es kommt
hinzu, dass KI und KII, wie die vielen fremden eleraente, die sie
schon vor ihrer widervereinigung aufgenommen haben, dartun, eine
ziemlich lange entwicklung durchgemacht haben und gewiss chronolo-
gisch näher bei Ur-K als bei KI-j-II stehen. Ich stehe daher nicht
an, sie noch ins 11. Jahrhundert zu stellen, — wie weit zurück, wird
sich schwerlich entscheiden lassen. Wenn es erlaubt wäre, die von
MüllenhofF, Ztschr. f. d. Alt. 12, 315fg. angeführten spärlichen belege für
den namen Küdrün als Zeugnisse für KII aufzufassen, so müsste man
sogar ein höheres alter annehmen, aber der name kann gerade so gut
aus der nordischen Nibelungensage wie aus der dänisch -deutschen KII
nach Süddeutschland durchgesickert sein '.
Über das alter von Klb lässt sich nur sagen, dass nach dem
Zeugnis von Deors Klage seine ersten anfange ins 7. oder 8. Jahrhundert
hinaufreichen müssen.
Auf die frage einzugehen, wann die Überlieferung nach Süd-
deutschland gekommen ist, und in welchem dialect KI + II abgefasst
war, sehe ich in diesem Zusammenhang keinen grund. Es müssten
dabei ganz andere data in betracht gezogen werden, als sich aus unserer
Untersuchung ergeben haben; hier wollte ich nur aus den vorhergehen-
den ausführungen die chronologischen und geographischen Schlüsse
ziehen.
Diese aber lassen sich zusammen mit den Verwandtschaftsverhält-
nissen in folgendem Stammbaum ausdrücken (vgl. die tabellen s. 202. 306):
1) Aus der erwähnung "Wadas im WidsiS, worüber s. 215 zu vergleichen ist,
dai-f man gewiss nicht auf das Vorhandensein von Ur-K und dessen Spaltung in K I
und II .schlicssen. Denn wenn dadurch auch bezeugt ist, dass Wate früh als ilagens
gogner auftrat, so folgt daraus nicht, dass er schon in die tradition, die zu K I führte,
aufgenommen war, viel weniger, dass KII sich von dieser tradition abgezweigt hätte.
Eine solche annähme würde auch allen unseren übrigen chronologischen resultaten
widersprechen. Aus der auffassung der Wikinger als Sarazenen , die aus der bezeichnung
Serkland-Mörlant hervorgeht (s. 29G anm. 2), lassen sich kaum sichere chronologische
Schlüsse ziehen. Diese auffassung findet sich auch anderswo (Deutüchbein a. a. o.
s. 17fg.); sie ist aber wol vom 10. Jahrhundert an möglich. Und ültor i.stUr-K kiiiini,
und KII, wo diese auffassung belegt ist, gewiss nicht.
346
BOER, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE HILDESAGE
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AMSTERDAM
R. C. BOER.
SCIINKIDKK, AMBROSUIS ÖSTERREIfllEK 347
MISCELLEN.
Zwei bisher uul)elcaimtg^cbliel>ene gediclile des Nürnberger meistei'sUngers
Ambrosius (*)slerreifher aus dem jähre 1562.
Vou dem Nürnberger meistersänger Ambrosius Österreicher erwähnt
K. Goedeke, Grundriss zur geschichte der deutscheu dichtung- II 260 n. 41a— f sechs
üeder (vgl. Ph. "Wackernagel, Bibliographie zur geschichte des deutschen kirchenlieds
im XVI. Jahrhundert 541, 593, 595, 596; derselbe. Das deutsche kirchenlied III
n. 119Ö, 1197, 1198) und Schnorr von Carolsfeld, Katalog der handschrifteu der
königl. bibliothek zu Dresden II (1883) p. 416, 418, 421, 490. 500 einige andere
aus M. 5 nr. 9 s. 325 fg. , aus M. 6 fol. 108 (aus dem jähre 1560), fol. 109 (a. d. j. 1565),
fol. 112 — 135, aus M. 8 fol. 76, aus M. 191 fol. 257 (a. d. j. 1564), aus M. 210
(a. d. j. 1566)^ Jedoch habe ich in einem sammelband der herzoglichen gymnasial-
bibliothek zu Gotha (Alte bibl. nr. 1342; 8= jetzt Phil. Bibl. p. 379) noch zwei bis-
her unbekannte gedichte desselben dichters aus dem jähre 1562 gefunden, die
hier veröffentlicht werden sollen.
Von diesen gedichten Österreichers ist besonders das erste wegen seiner
Schilderung eines im jähre 1561 in Nürnberg von den messerschmieden auf-
geführten Schwerttanzes von kulturhistorischer bedeutung.
Über den so interessanten schwerttanz, der nach Tacitus (Germ. c. 24) eine
altgermanische sitte war (vgl. Simrock, Deutsche mythol.* p. 276, 326; K. MüUenhoff,
Deutsche altertumskunde IV 351, 573), hat MüUenhoff erschöpfend in den „Festgaben
für G. Homeyer zum 28. VIII. 1871" (Berlin, AVeidmann) s. 111 — 147 gehandelt und
in der ^ Zeitschrift füi- das deutsche altertum und deutsche litteratur " XVIII p. 9 fg.
und XX p. lOfgg. dankenswerte nachtrage hinzugefügt. Vom XV. bis ins XVII. Jahr-
hundert hinein ist der schwerttanz in den verschiedensten städten geübt worden-, in
Braunschweig (1443), in Köln (1487), in Ulm (1551), in Hildesheim (1583), in
Ditmarschen (s. Festg. p. 129), im Hessischen (s. Wiuckelmann, Beschreibung der
fürstentümer Hessen und Hersfeld 1697 p. 373 fgg. = bei MüUenhoff, Festg. p. 123fgg.
und bei H. Habbicht, Thüringer monatsbl. XV 1907 s, 4 fgg.), in den Henne bergischen
ämtern Fischberg und Kalten -Nordheim noch 1625 (s. E. Koch, Thüringer monats-
blätter XIV 1906 s. 33 fgg.), auch in Thüringen bis zum jähre 1651 (s. meinen
aufsatz in den Thüringer monatsblättern XVI 1908 s. 18 fg.). In Nürnberg sollen
seit 1350 oder 1351 schwerttänze gehalten worden sein (s. Kleine geschichte des Nürn-
bergischen schönbartlaufens , Altorf i761); und Siebenkaes (Materialien zur Nürnbergi-
schen geschichte III p. 197 1794) gibt von 1490—1600 im ganzen 14 jähre an, in
denen ein solcher tanz der messe r schmiede daselbst stattgefunden habe''. Eine
kurze aus 46 versen bestehende beschreibung des schwerttanzes der messorer
1) Letzteres hat die Überschrift: Ambrosius Österreicher, purger und
poet zu nurm Berg von Metablasmus. Historia des Edlen und Streitbaren beiden
und Ritters Achilli, Welcher aus Egibten Burtig Sechzehen Ritterlicher und un-
menschlicher Thatengeubet, auch "Wasser und landt Erstritten hat. Anno 1566. (117blatt.)
2) MüUenhoff, Festg. p. 146 sagt: „Der schwerttanz, wie er seit dem XV. Jahr-
hundert in fast allen germanischen ländern getanzt wurde, ist nach aUon merkmalen
mit dem von Tacitus beschriebeneu so sehr derselbe, dass wir, obgleich uachrichteu
über ihn für einen Zeitraum von mehr als dreizehn Jahrhunderten fohlen, eine un-
unterbrochene oder doch nie ganz unterbrochene Überlieferung von der urzeit bis auf
die gegenwart für ihn annehmen müssen".
3) Niimlich luden jähren: 1490, 1197, 1511, 1516, 1518, 1.537, 1539, 1540,
1546, 1558, 1560, 15G1, 1570, 1600.
348 SCHNEIDER
ZU Nürnberg im jähre 1540 verdanken -wir H. Sachs, gedichtet 16. VII. 1560
(= Keller und Götze XXIII s. 183 fg.); eine umfangreiche poetische Schilderung des
Schwerttanzes vom 3. febr. 1600 von einem Hans Weber befindet sich handschriftlich
und noch unediert in der Nürnberger Stadtbibliothek (s. MüUenhoff, Festg. 120).
Zu unsern kulturhistorischen quellen über die Nürnberger schwerttänze
der messer schmiede gesellt sich hiermit das bisher unbekannt gebliebene gedieht
des meistersängers Ambrosius Österreicher, der uns in 382 versen den 1561 von
den messerern veranstalteten schwerttanz ausführlicher beschreibt, indem der dichter
fingiert, er habe als kleiner knabe (v. 326) demselben zugeschaut und durch befragen
eines alten mannes (v. 65, 216) und einiger anderer leute (v. 232, 249, 322, 330)
erfahren, was es für eine bewandtnis mit diesem tanze habe.
"Wir erfahren, dass am sonntag Estomihi 16. februar 1561 (v. 1—4) und am
darauf folgenden montag (v. 239 fg., 318; vgl. auch H. Sachs s. 183, 6 an gaüeti
montag vor fasnacht und p. 184,3 gestert)\ die messerer (v. 72, 245, 290, 292,
330), zu denen nach H.Sachs 183,32 „auch die zum handwerk helffen thüen,
Schlewffer und Klingen -scJunit'-' gehören und denen wegen einer .^löblichen tkat"
(V. 78 — 92) von des kaisers majestät (v. 84) das privileg zur aufführung eines schwert-
tanzes verliehen' und speciell vom ehrbaren und weisen rat der stadt (v. 73 fg., 367 fgg.,
378) die erlaubnis erteilt war, ihren tanz aufführten. Mit gezückten Schwertern
(s. V. 116, 135, H. Sachs p. 183, 14 und MüUenhoff, Altertumskunde IV 573) in den
bänden, dolch und waidmesser an der seite (v. 133), schön gekleidet (v. 104, 293 u. ö.)
in einem weissen kittel (v. 120, 126) ^ das barret auf dem köpfe (v. 227) ziehen die
messerer (bei H. Sachs 183, 16 sind es 431 f echter!) unter zulauf von tausenden von
menschen (v. 60), begleitet von einer schar berittener söldner, die ihnen der rat zum
abhalten des drängenden volks gestellt hat (v. 93 fgg.) zur stadt hinaus zum hause
des ersten ratsherrn (v. 109), des alten herrn Imhoff (v. 36, 229)*, vor dessen haus
auch die übrigen meister schon versammelt sind (v. 119). Der tanz mit allen seinen
verschiedenen teuren, unter denen 1) v. 145 der Hupfauf (ein tanz im dreischritt
[tripudium] , vgl. Grimms Wörterbuch IV 2 p. 1952), 2) v. 151 die Brücke (s. H. Sachs
183, 21: schlössen darnach eine lange prüecken, mit den schivertern hart aneinander),
1) Auch in Hessen und Thüringen sind die schwerttänze nur in der fasten -
zeit abgehalten worden (vgl. Habbicht a. a. o. s. 5 und Schneider a.a.O.).
2) Bei einem aufruhr i. j. 1349 sollen die messerschmiedo (und die metzger)
dem i-ate treu beigestanden haben und deshalb vom kaiser Karl IV. dies privileg er-
halten haben (s. MüUenhoff, Festg. p. 119). Wenn Ambrosius Österreicher v. 85 sagt,
dass das handwerk der messerschmiede ,,alle jähr" diesen tanz halten dürfte, so
steht das nicht in Widerspruch mit den angaben von H. Sachs p. 184, 6fg.: Und
halteti den schwertanx vürivar „fast almal über sieben j'ar'- und von Siobenkaes
yfast alle sieben Jahr", wenn man annimmt, dass er ihnen zwar alle jähre zuhalten
erlaubt war. aber in Wahrheit — der kosten wegen — nur ungefähr aUe sieben jähre
ausgeführt wurde (vgl, oben anm. 3).
3) Das weisse hemd der schwerttänzer ist auch für Hessen, Ulm, Breslau usw.
bezeugt (MüUenhoff, Festg. p 126). Österieichor nennt es ,Jiartxkittel weiss", ein
wort, das sonst nirgends vorkommt (Grimms wöiterbuch IV, 2 p. 522, vgl. hartz-
kappe); auch sonst gebraucht der dichter nicht nachweisbare werte: v. 1.S4
Waidtier (^waidmesser), v. 191 Tusseeke (= eine waffe zum stoss), v. 244 Weittor ff
(= weiter platz, ==weitfcld), v. 262 Göckelman (= Gökelhahn).
4) Wie der zusatz ^ alter herr" ergibt, kann 1561 kein anderer als Johann II.
Imhoff, aus dem „altadligen tournior- und stiftsmässigen ratsgeschlecht der Imhoff
zu Nürnberg", der gemahl der Felicitas Pirkheimor, der Schwiegersohn des hoch-
berühmten Willibald Pirkheimers, gemeint sein (vgl. Witt, Nürnberg. Gelehrtea-
lexicon II 231).
AMBROSIUS ÖSTERREICHER 349
3) V. 165, 177, 299 die bildung der rose*, 4) das Parat am ende des kampfes (219,
273), 5) V. 211fgg. die köpfungstour-, 6) die kämpfe auch mit anderen waffen
{191 — 193)" und mit Stangen (v. 199) hervorzuheben sind, wird von v. 136fgg. be-
schrieben und zwar zunächst der der meister (130 — 230), sodann der der meisters-
söhne und lehrjungen (235 — 284)* vor dem hause des ersten bürgermeisters; kurz
wird der in der Stadt vor den häusern der vier ältesten ratsherren'' (251 fg.) ausge-
führte erwähnt. Damit schliessen die festlichkeiten des ersten tages. Am zweiten
festtage findet eine Wiederholung der tanze auf dem „herrenmarkt"* (v. 239 fgg.) statt
und zwar wieder der meister (v. 285 — 313), dann der knaben (v. 314 fgg.); den be-
schluss der feier bildet das feierliche abholen der Jungfrauen (v. 330 fgg.) zum tanze,
der am „ Fortenbach " (v. 349 fgg.) stattfindet.
Manches von H. Sachs, der ja nur den zweiten festtag beschreibt, wird durch
die Schilderung Österreichers erst ins rechte licht gerückt; dass letzterer aber seinen
grossen landsmann und Zeitgenossen nachgeahmt hat, ergibt sich aus dem ganz ähn-
lichen eingang und namentlich schluss, aber auch aus folgenden parallelen: v. IBe^
H. Sachs p. 183,7; v. 65 <^ 183, 28; v. 104 (293) <^ 183, 11; v. 116<v- 183, 14; v. 151 ^
183,21; V. 181(^183,20; v. 189 tv; 183, 23; v. 236(^-183,32; v. 304(^183,23.
Das zweite hier veröffentlichte gedieht ist ein geistliches, zur zeit der
pestilenz zu singendes lied wnd besteht aus zwölf zehnzeiligen Strophen; deren
reimschema: abahccdeed ist. A. Fischer, Kirchenliederlexicon, kennt es ebensowenig
als Goedeke und Wackernagel.
Die Interpunktion , die im ersten gedichte gänzlich, im. zweiten zum teil fehlt,
habe ich des besseren Verständnisses halber eingesetzt.
I.
S. 1. Der Schwerdttantz:
Mit was zier und
Tapfferkeit derselbige im ein-
und sechtzigsten Jahr, den XVI. Fe-
hruarii, in der löblichen reichstat Nürmberg
daselbst auss vergunst eins Erbarn wey-
sen Raths einem löblichen Hand-
werck zugelassen, und gehalten
worden ist. In Reim verfas- *
set, und kurtzweilig zu
, lesen.
[titelvignette.] '
1562.
1) Diesen terminus technicus für die rosetteoförmig zusammengehaltenen Schwer-
ter, auf die dann einer oder, wenn jnehrere loscn gebildet waren, mehrere fechter stiegen
(v. 167, 300) bezeugt auch Olaus Magnus (1555) bei MülIenhofT, Festg. p. 122): sese
— in modutn figurae hexagoni fmgendi subiciunt , quam rosavi dicunt.
2) Vgl. MüllenhofY a. a. o. XVIIl, 11; XX, 18: „Hervorzuheben ist die köp-
fungstour, bei der der hals des vortänzers so dicht von Schwertern umkreist wird, dass
es aussah, als sollte er von allen seiten her abgeschnitten werden (s. v. 212!).
3) Vgl. H. Sachs p. 183,28: in allen tvcrn.
4) Vgl. H. Sachs p. 183,32: und ir siicn.
5) Vgl. dagegen H. Sachs p. 184,5: Vür den heusern der sieben- Herrn.'
6) Dieser wird noch v. 7, 240, 319 erwähnt und 286, 309, 324 markt, 315
platz genannt.
7) Auf einem von zwei bäumen bestandenen hügeligen platze kämpfen zwei
mit einer Sturmhaube versehene und sonst gewappnete Streiter miteinander, von denen
350
SCHNEIDER
S. 2. Als tausent und fünff hundert Jar
Ein und sechtzig die Jarzal war
Den sechtzehenden Februari
Am Sontag genandt Esto mihi,
"War mir mein weil daheim so lang; [5]
Deshalb ich mir fürnam ein gang
Zu gehn am Herren Marckt hinfür,
Und als- ich nah kam für mein thür,
Da sah ich von gemeinem hauffen
Ein auft'rur und ein gross zulauffen [10]
Von Buben, Mayden, Mann und frawen;
Ich war vernarrt und thet zuschawen,
Gedacht (hilff Gott!), was will da wern;
Dasselbig möcht ich wissen gern,
Mein hertz vor schrecken thet er-
kalten. [15]
Da sah ich erst von jung und alten
Ein gross zulauffen, von arm undreychen;
Ich het nie gesehen dessgeleichen.
Was doch wolt werden, west ich nit;
Ich nam mein Rock und lieffauch mit; [20]
In beide Hend thet ich in fassen.
Und als ich kam in die Korgassen \
Lieff als Gsind Sanct Loreutzen zu
Mit grosser ungestüm und unrhu.
Vor mir lieffen viel grober Knollen, [25]
Da fiel ich über ein Eissschrollen,
Das ich mich streckt, so lang ich was.
Und mir auch blutet Mund und Nass;
S. 3. Ich schemet mich, wurd zu unrhu.
Da spottet mein als Volck dazu, [30]
Und musten all des possens lachen;
Ich nam mich nicht sehr an der Sachen,
Wischt wider auff behend und jach
Und lieff den andern Leuten nach.
Als ich kam durch die gassen nauss [35]
Fürs alten Herren im Hof hauss,
Da mocht ich die leut sehen besser:
Das volck het auffgestelt viel Fesser,
Und Bretter oben drauff gelegt;
Die gassen war gar eng versteckt, [40]
Yederman dadurch lauffen was;
Must gehen zwischen zwey grosse Vass,
Das war eng wie ein Kornfurch,
Und als ich musste kriechen durch.
Wollt ich mich schnell zwingen durchs
mittel, [45]
Riss ich ein gross loch durch mein kittel,
Der mir an einem raiff behing,
Und als viel Volckes durchhin gieng.
Kundt ich nit kommen von dem Fass,
Das Volck beim loch sich samlen
was, [50]
Yeder wolt sein zum ersten drauss
Und drenget sich mit gewalt hiuauss,
Ketten mich schier am fass erdrückt,
Kaum ich mich der onmacht erquickt;
Und als ich nauss kam auf den platz, [55]
Sah ich viel Volcks stehn im geschwatz;
Ich stellet mich auch untern hauffen, S. 4.
Do ward noch erst ein gross zulauffen
In kurtzer zeyt der Vöicker scharen
Etlich tausent sich samien waren, [60]
Von reich und armen, alt und jungen.
Und als sie in einander drungen.
Stund ich bey einer gantzen stund.
Das ich kein Gschicht vernemen kund;
Neben mir stund ein alter Man, [65]
Denselben sprach ich freuntlich an:
Mein freund, sprach ich, verzeucht mir
das,
Köndt ir mich nicht berichten, was
Doch allhie wil für wunder wern,
Dasselbig möcht ich wissen gern. [70]
Der alt sprach zu mir on finantz:
Die Messerer werdn habn ein tantz,
Ist in erlaubt in dieser Stadt
Von eim Erbaren weysen Rath.
Ich sprach: warumb die Messerer [75]
Und sonst kein ander Haudwerck mehr?
Er sprach: das löblich Handwerck hat
Begangen ein löbliche that;
Darumb sie haben solch freyheit
In dieser Stadt vor langer zeyt [80]
Erworben mit seiner ankunfft
In der Erbaren Meyster zunfft
Mit Privilogio und gnad
Von Keyserlicher Mayestat,
Den tautz zu halten alle jar; [85] S. 5.
Und noch ein merers auch fürwar
jeder ein langes breites schwort mit beiden bänden erfasst hat, der eine zum stoss,
der andere zum hieb. Neben ihnen liegt ein zu bodcn gefallener kämpfer.
1) Nicht sicher, ob Koryassen oder Kotgassen zu lesen ist.
AMBROSnJS OSTEKREICHKR
351
Hin ist gegeben allen sander,
Das einer sowohl als der ander
Darff fürn ein Königliche Krön
Der löblichen that zu dencken dron [90]
Ihren Jünglingen und Nachkommen;
Die froyheit haben sie die frommen,
lu dem sah ich unter den leuten
Auff gewalting hohen Rossen reytten
Etlich Menner wie die ausslender. |95]
Ich fraget: wer sind diese Mender?
Er sprach: es sind Söldner darneben,
Sind in zu ehren zugegeben,
Das sie das Volck treiben in zäum,
Das sie am tantzen haben räum. [100]
Als er das redt, da hört ich frey
Trummen und der Trommeten gschray;
Nach diesen tautzt hernach fürwar
Ein wol kleidt ordentliche Schar,
Geziert mit varben mancher band, [105]
Von samniat und seydn war ir gewant;
Die Söldner sprengten untert Jeut,
Machten ein platz, lang, breit und weyt
Für den Ehrnuesten Herren hauss
Im Hof, welcher selbs sah herauss [110]
Mit grosser meng volcks überal;
Bei ihm stund offen Kammern und Sal,
Dadurch viel Erbar leut aussgutzten.
Da kam die Schar der wolgeputzten,
Ein yeder trug zu seinem standt [115]
Ein glitzernd schwerdt und schön gewand;
Als sie auff den platz theten neben
Und ich sie besser kondte sehen,
Ein yeder gab den Meistern preiss,
Yeder hett ein Hartzkittel weiss • [1,20]
Von Barchant und von Leinwat klar,
Der j'eder schön verbremet war
Mit Borten, leisten mancherley,
Etlich waren geboschelt frey
Mit mancher färb von guter Seyden, [125]
Die Kittel waren weiss wie Kreyden,
Hetten darüber vorn und hinten
Von mancher färb schön seyden pinten;
Yeder trug auch mit gantzem fleiss
Auff scim Paret ein Federn weiss, [130]
Waren geziert mit flinder und gold.
War anzusehen lieblich und hold;
Viel theten an der seyten tragen
Dolchn und Waidner mit silber bschlagou,
Die Sonn schein in die Schwerdter
glantz; [135]
Nach dem hub sich frey an der Tantz,
Der stund gar wol an alt und jungen.
Vornher erbare Meyster Sprüngen
Nach art und sitten gleich der Gschlechter,
Mitten in Rayen tratten Fechter, [140]
Die den Tantz orndten umb und umben, S. 7.
Gar tapffer schlug man in die Trummen;
Yetzt tantztens hin, dann tantztens her.
Den rayen fürtens über quer,
Etwan thetens den Hupauff springen, [145]
Dann schlossens zsam der schwerdter
klingen ;
Yetzt schluffens dadurch darnach dort
Und namen ein mancherley ort,
Darnach hubens die Schwerter hoch.
Der gantze Rayen durchbin kroch ; [150]
Nach diesem machten sie ein Brücken,
Brauchten viel Kunst von f reyen stucken ;
Denn theilten sich in zwo parthey
Und Sprüngen gegn einander frey
Mit auffgereckten schwerdtern glantz [155]
Und Sprüngen gleichwol iren Tantz;
Geschwind sie den rey umbher fürten;
Wann dann die Schwerdt einander rurten,
So klapperet es unter in allen
Gleich sam der Himel ein wolt fallen, [160]
Wiewol das gsicht es lustig macht
Als gar ein ernstliche Feldschlacht.
Doch erschrack ich und wurd gantz rot.
Dacht, sie schlf.gn all einander ztod.
Denn schlossens Rosen alle sander, [165]
Giengen allwegen zwo gen ander,
Darauff stigen gar gschwinde Fechter,
Ein yeglicher wolt sein ein rechter,
Droeten einander ernstlich, S. 8.
Einer mit schlegn, der ander mitstich, [170]
Traffen einander nach irm packt
Tapffer auff die köpff, das es knackt,
Einer wurd geschinitzet auff" den giel.
Das im die Schlappen ins kot fiel.
Als nun das fechten het ein end, [175]
Sprüngen die Fechter rab behend.
Fürten die Rosen auss einander,
Das wider ein Ray wurd allsander.
Als nun der tantz sich enden wolt
l'nd man den Ray beschliessen solt, [18Ü|
352
Triebens viel stück, die ich nit waiss,
Darnach machteus ein weyten kreiss,
Stellten sich gegn einander frey;
Do sah man mitten in dem Ray
Gar manchen künstling Fechter sprin-
gen, [185]
Die auffschwungen der schwerdter klingen,
Machten ir possn mid legten nider,
Kürtzliph thetens auffheben wider;
Gegen einander trat par und par,
Schlugn frey dapffer zusammen dar [I90j
Mit Tussecken und Helleparten,
Davon fielen trümmer und scharten;
Dort tratten zwen zusam mit säbeln
Theten umb den puckl einander -webeln.
Dort traff einer ein auff die faust, [195]
Der ander auff dem grind im laust;
S. 9. Etlicher wurd gschmitzt auff die Stirn,
Das im der schwinde] kam ins Hirn,
Ihr zwen kamen mit kurtzen Stangen,
Kondten einander listig fangen, [200]
Dieser thet gen für das Gsess stopffen,
Jener thet in ine seyten proffen.
Das er daumelt, fiel schir in dreck;
Nach dem giengen sie alle weck,
Das der platz wurd gar öd allein. [205]
Do trat einr frey tapffer hinein.
Des kleidung war viel kostens werd,
Trug in der Hand ein zitterut schwerdt,
Macht geschwind possen hin und wider,
Tetzt für er auff, denn schlug er
nider, [210]
Dann macht er umb den Hals ein leyden,
Sam wolt er im den selbs abschneyden,
Bog darnach zsam beid ort der klingen.
Meisterlich kundt er dardurch springen.
Des ich mich nit gnug wundern kundt. [215]
Ich fragt den Mann, der nebn mir stund;
Lieber, wie stellt sich der so rauch?
Er sprach: es ist der Fechter brauch.
Das ein Meister schlegt das Parat,
Sobald das fechten ein end hat, [220]
Und das ist der beschluss der kunst,
Daraus entspringt gross lob und gunst;
Ich sprach: die kunst gar wol er kan.
Als das Parat ein end gewan,
S. 10, Tratten ir etlich in den Ray [225J
Inn aller erbarkeit gantz frey.
Zogn ire Pirret ab, damit
Neigten sich nach höfflichem sit
Gegen dem alten Herrn im Hof,
Gar viel volcks von dem hauffen lof, [230]
Der wincket in mit dauck herauss.
Ich fragt ein, ob der Tantz wer auss.
Der antwort: ja aber yedoch
"Werden auch n acher kummen noch
Der Erbarn Meyster lehre Knaben, [23.5]
Ihr viel auch Sön darunter haben.
Die auch auff die weiss werden halten
Ein solchen Tantz gleich wie die alten.
Und morgen werden sie allsander
AmHerrenmarckttantzenmiteinander;[240]
Die Herrschafft hat vor etlich tagen
Ihn zu ehrn schrancken lan auffschlageu,
Das sie vom Volck bleibn unbedreugt,
Ihr weittorff haben ungeengt.
Als nu die Messerer wegdrungen, [245]
Hett ich nur achtung auff die jungen.
Waiss nit, wo die alten hinkamen.
Ich hetts verlorn allesamen.
Doch fragt ich, wo sie hin wern kommen?
Einer antwort: ich hab vernommen, [250]
Sie werden tantzen in der Stadt
Für den vier Eltesten im Rath.
In diesem hört ich gleich ein Trummen, S.
Bald drauff theten die knabeu kommen
Und hielten auch frey ireu tantz [255]
Nach meisterlicher observantz;
Fingen all sach klüglichen an.
Gleich wie die alten betten than;
Und unter diesen jungen allen
Thetn mir zwen kleiner Puben gfaUen, [260]
Den stund all ir sach wercklich an
Gleich wie zwen kleiner Göckelman,
Mit schwingen, springen und mit fechten
Thetens bevor sunst allen schlechten;
An einem grossen kam der klein [265]
Und wuscht im bhend nauss durch die beiu;
Auch kundt er soviel pösslein machen,
Das yederman sein hett zu lachen.
Als nun der Tantz het auch ein endt,
Da trat einer herfür behend, [270]
Ein schöner Knab im roten kleid.
Der kund auch der Fechtmeister bscheid.
Der thets Parat fein höflich schlagen.
Ich sah in zu und streckt mein kragen,
AMBROSIUS ÖSTERREICHER
353
Er war der künstlichst unter in allen, [275]
Ich hett ob im ein gross gefallen:
Meisterlich er sich stellen kund,
Ernstlich, höflich, hurtig und rund
"War er mit fechten und auch springen,
Das schwerdtlein kund er lustig schwin-
gen. [280]
S. 12. Als nun gar ein end hett ir sach,
Tantztens den alten gmachsam nach;
Alles volck gieng mit in davon,
Da ward ich auch mein weg heim gon.
Zu morgens frü, da es vier schlug, [285]
Gmachsam am marckt ich fürhin zug,
Des Tantz het ich lust in gedancken;
Ich setzt mich oben auff die schrancken ;
Sas schier dorauff zwo gantzer stund,
Kein Messerers tantz ich sehen kund. [290]
Nach kurzem kam gezogen her
Das löblich Handwerck der Messrer,
"Wol klaidt mit ordentlicher Schar,
AVie dann vorigs tags geschehen war;
Doch fachten yetzund mehr partey : [295]
Etlich alt erbar Meyster frey
Tratten tapffer gen ander her,
Gleichsam es in lauter ernst wer;
Als sie die Rosen schliessen gundten,
Stiegen darauff viel freyer künden [300]
Von erbarn Meistern und Gesellen,
Kondten sich tapffer ernstlich stellen;
Doch unter disen allen sander
Fachten zwen geschickte mit einander.
Die rissen einander zu poden, [305]
Damit das fechten gwan ein knoden;
Die Rathsherren theten zuschawen,
Stunden oben bey unser Frawen
S. 13. Gegen dem Marckt auff einen gang;
Dem gfiel ir weiss wol , und nit
lang [310]
Machten sie des tantz gar ein end,
Neigten sich vor den Herren bhend,
Und tantzten widerumb darvon.
Der knaben tantz fing sich erst an,
Den sah ich, der platz wurd beengt, [315]
Das volck mich weit hinunter drangt.
Ich gieng darvon und dacht mit fug:
Ich sah mirs heut und gestern gnug;
Und gieng an Herren Marckt hiuauff,
Nit waiss ich, wenn sie hörton auff. [.320]
ZKITSCHRIFT >'. UKDTSCHK PHII.OLOCIIK. BD.
Bey einem guten Gselln ich stund,
Vom tantz zu reden mit im bgund;
Als ich bey im stund ein gut weil.
Das Volck lieff übern marckt mit eyl.
Alles gegu Sanct Lorentzen zu. [325]
Ich lieff mit als ein kleiner pub
Und wolt auch sehen diesen strauss.
Das volck stellt sich fürs Stromers hauss.
Ich fraget: was thun hie die leut?
Do sagt man mir: zwo Messrers Breut [330]
Werden do aussgehii beide sander.
Ich sagt: wie so zwo mit einander?
Man sagt: die Meister on verdriessen
Und die Gselln eine haben müssen.
In kurtzen öffnet man das hauss, [335]
Die zwo Breut füret man herauss;
Die ein zwen Menner füren theten, S. 14.
Die ander het zwen Gselln neben ir tretten,
Welche sich züchtig kundten stellen
Und warn fein hurtige Gsellen. [340]
Die Breut hettn auff der Gschlechter Krön,
Waren zierlich und wolanthau.
Schön auff der Gschlechter art geputzt,
Eine lechelt, die ander schmutzt;
Nach in giengen die Gselln allsandt, [345]
Ein yeder fürt an seiner band
Ein Junckfraw wol geputzt und zart,
Schön und nach bürgerlicher art;
Yegkliche Junckfraw zu dem tantz
Het iten fürer gebn ein Krantz. [350]
Wo sie hin giengen, lieff ich nach;
Sie giengen ein zum Fortenbach,
Da hub sich der Tantz züchtig an.
Gar höflich sprangen Weib und Man,
Dergleich die Gsellen und Junck-
frawen. [355]
Mein herz frewt sich den tantz zu schawen,
Mich daucht, es wereu lauter Engel,
Vor ihm her tantzet ein Vorhengel.
Es gieng frey zu nach art der Gschlechter,
Höflich Sprung mancher freyer Fech-
ter. [3ßO]
Ich sah ein Rayen oder drey
Und het mein schir vergessn darbey;
Ich gieng heimwartz, gedacht bei mii":
Das ist ein Holdselige zier,
Lieblich zu sehen Mann und Frawen, [365] S. 15.
Ein .schöner spectackel zu schawen;
XL. 23
354
Wol thut ein Erbar weyser Rath,
Der seiner Gmein in dieser Stadt
Vergunt und erlaubt solch freyheit,
Das doch zugeht mit einigkeyt [370]
Und die Gemein durch liebe brunst
Gwint zu ihr Herrschaft lieb und gunst,
Und wirdt ir auch zu aller zeit
Mit dienst sein gutwillig bereit
Ghorsam, friedlich und unteilhan, [375]
Wirdt ir allzeyt trewlich beystan
Von wegen der freyheit und gnad,
Die in vergünt ein weyser Rath;
Daraus entspringt dann alles guts,
Fried, einigkeit, gemeiner nutz, [380]
Wohlfart, heyl und glück auch zugleich,
So spricht Ambrosius Österreich.
Getruckt zu Strassburg, im
Jahr 1562.
S. 1.
II.
Ein new christlich
Lied zur Zeit der Pestlentz zu sing-
en, darinn man Gott ernstlich bey seiner
zusag vermanen, und von hertzen anruffen
und bitten sei, das er die fürgeuommene manigfaltige
plagen, die yetzt vor äugen als Pestilentz, Krieg und
Thew^re zeyt, damit er uns ernstlich und schröcklich
umb imser sünden viller straffen wil, abwenden,
und uns sein Götliche gnad verleihen wöll.
Es möchte auch wol in Kirchen, und in
eim yeden Hauss teglich gesungen
werden, auff das uns Gott dest
ehe erhören und von seinem
zorn lassen wolt.
Sing mich frölich im Thon der not,
Der Thöricht spricht es ist kein Gott.
Du Haussvater kauff mich mit ehren,
Lass mich dein Haussgsind fleissig leren.
Das sie mich teglich im Hauss singen,
Und lass mich Gott zu lob erklingen.
So wirstu bald erfarn than,
Das dir kein plag nicht schaden kan.
1562.
S. 2.
1.
HERR Gott im himel starcker Gott,
Erschiöcklich ist dein Name.
All Creaturen in der noth,
Dich förchten allesamme.
Von der Krafft deines antlitz werdt,
Deins zorens droen uns beschwert.
Unleidlich ist dein zoren.
Wir haben all gesündigt seer.
Über die zai des Sands am Meer,
Lass uns nicht sein verloren.
Wir waren Gottloss allesandt,
Unsre Sünde erscheinen
Vor uns, die wir getrieben handt,
Wir wichen all von deinen
Helling geboten allezeit.
Du weist unser gebrechlichkeit.
Wir kunten nicht erfüllen
Auch unsre Eltern deine recht,
Die durch Moisen deinen knecht
Uns gabst nach deinem willen.
I
AMBROSIüS ÖSTERREICHER
355
3.
Unserm Erlöser deinen Son,
Unter das Gsetz hast geben,
S. 3. Das er würd unser Mitler schon,
Brecht uns zum Ewigen leben.
Wir sein undankbar Herz vor dir,
Kein bussvertigkeit wirken wir,
Ein Schatz wir gsamelt haben.
Deines zorens zu deim Gericht,
0 HErr unsre Sund rechne nicht.
Mit Gnad thu uns begaben.
0 Gott Vater, seer haben wir
Gesündigt in dem Himel.
Wir sein dein nicht wirdig vor dir,
Ach vergib uns das übel.
Wir Schemen uns, zu dir hinauff
Unsre äugen zu heben auff,
Erzörnt habn wir dich seere.
Drumb ist auff uns der zoren dein,
Lass an uns nicht verloren sein,
Deines Sons leyden schwere.
Dein ungnad schickstu mit begir
Durch böse Engel schwere,
Hunger und Theurung sehen wir
Vor unsern äugen here.
Des brotes vorraht nimbstu geschwind
S. 4. Auff die Vertilgung unsrer kind
Umb die undankbarkeite.
Deines Worts Hunger du uns geist,
Unsre kind bleiben ungespei.st
Von wegn unsrer bossheite.
6.
0 Herr, der ungläubigen Schwerdt
Thustu über uns senden.
Fewr hat unsre Vhesten verzert,
Unsre Freund on abwenden.
Werden nun zu der Wurme speiss.
Sehen wir gantz betiiibter weiss.
Auch mit newen Kranckhuiten
Hastu uns heimgsucht und geplagt.
Das uns die gantze Welt versagt,
Zu helffen zu den zes-iton.
Mehr Pestilentz trifft yetzt uns an.
Das wir mit äugen sehen.
Dann zur zeyt unsrer Eltern schon
Von Anfang ist geschehen.
Du hast all plag auff uns gefürt,
Wie den tag deiner räch gebürt;
Du aber, unser Gotte,
Bist unser hilff und Zuversicht,
Der uns allzeit sein Hilff verspricht, S. 5.
Hilff uns aus aller note.
Du hast uns heissen bekeren,
Durch deinr Propheten trewen.
So woUestu uns erhören.
Sobald wir zu dir schreyen;
Yetzt schreyen wir, erhör uns HErr,
Mit deiner hilff sey du nicht verr,
Zu dir allein wir schreyen.
Sey uns barmhertzig und gnedig.
Aus dieser noth uns erledig,
Wölst uns all Sund verzeyhen.
Beker uns HErr, wir wern bekert,
Wir thun bussvertigkeite.
Lass uns bey dir werden erhört,
Und lass uns allozeyte
Kommen zu dem Gnadenstul dein,
Dein Barmhertzigkeit nemen ein.
Die du uns hast bereite.
Von anfang auss der gute dein
Gib uns glauben das wir allein.
Dir gfalleu allezeyte.
10. S. 6.
Schenck uns ein recht Christliche lieb
Den Nechsten zu beweisen.
Dein zorn und ungnad uns nicht gib.
Das wir dich ewig preysen
Und deinem Keych nach wohnen bey;
Beliüt uns vor schaden alierloy.
Gib uns das teglich Brote,
Mit deinem Woit uns alle speiss,
Mit deinem Brunn trenck uns mit fleiss,
Hilff uns aus aller nota.
23*
356
11.
Du König der König, Herr aller Herrn.
Gib uns gedult und tröste.
Dein heyligen Namen zu ehrn
Und lass uns wem erloste,
Von aller kranckheit mancherley
Leib und Seel wolstu machen frey,
Du starcker Gott und Vater.
Du bist ja aller armen Gott,
Gib gnad, zu halten dein Gebot,
Du gütiger Wolthater.
12.
Verleyh uns gnad durch Jesum Christ,
Deinen eynigen Sune.
Das wir dein Gebot alle frist
Nach deinem willen thune. S. 7.
Verzeich uns unser missethat.
Die dich schwerlich erzörnet hat,
Durch das Leyden und Sterben
Des allerUebsten Sones dein,
Mit seinem Blut wasch uns gantz rein.
Das wir dein Reych erwerben.
AMEN.
Gemacht durch Ämbrosmm Österreicher.
Gedruckt zu Nürmberg
Durch Nicolaum
Knorrn.
Der angebliche w- aMail im bayrischen.
"Weit verbreitet scheint die ansieht zu sein, dass im bayrischen (bezw. im ober-
deutschen) ein auslautendes n der endsilbe -en abgefallen ist. So meint Behaghel
(grundr. I- § 100, 4), es sei hier „nach stammschliessendem labialen , dentalen, guttu-
ralen nasal das n abgefallen". Er sieht hierin die ursprünglichen Verhältnisse,
wonach „bei auf nasal auslautenden wurzeln das n der endung lautgesetzlich abge-
fallen " wäre. An ihn schliest sich wol Paul mit seiner uotiz Mhd. gramm." § 155
anm. 8. Aber auch bei Brenner lese ich beispielsweise in seinem büchlein „Mund-
arten und Schriftsprache in Bayern" (s. 56): „Die abwerf ung des n [in der schrift] wird
überall übersehen. . . . Man hatte eben für den nasallaut a, e kein besonderes zeichen".
Der Urheber des Irrtums scheint Weinhold zu sein. In seiner Bayrischen grammatik heisst
es (§ 167) : „ . . . Über den durch näselung veranlassten abfall von n in den heutigen
dialekten ist zu bemerken : ... In einigen bayrischen gegenden südlich der Donau
bleibt nach vokalen, nach m, n, f und den gutturalen das e der endung: baue^ schaue,
neme, nenne, käfe [sie!], merke, trücktie [sie!], mache. In der Oberpfalz nach
vokalen, w, «, h Schni. § 583 fg.". Vergleichen wir nun die stelle bei Scbnieller, so
finden wir bei ihm die sache weit vorsichtiger ausgedrückt: „582;/. Von der endsilbe
en wird blos 9 ausgesprochen.... 583. Dieses geschieht blos nach vokalen oder
nach ch, f, h, j, k, w, n, ng in der östlichen hälfte [des königreichs] südlich der
Donau: baud', schreyd'., smga~ (usw.) . . . 584. Bios nach vokalen oder nach h, m
und n in der östlichen hälfte nördUch der Donau." Es ist also hier von einem ab-
fall von n keine rede. Wie man sich diesen denkt, kann aus den drei ersten citaten
entnommen weiden. Danach hätten im bayrischen bestimmte konsonanten im stamm-
auslaut, — auf deren unrichtige angäbe komme ich noch zurück, — über das
endungs-e hinweg (!) den abfall des n bewirkt, das aber nun in den auslaut ge-
tretene e wäre infolge seines nasalklangs erhalten geblieben. Nun ist phonetisch recht
merkwürdig, wie über das zwischen liegende e hin der stammkonsonant eine solche
Wirkung verursacht haben soll, noch merkwürdiger steht es aber um die erhaltung
W -ABFALL IM BAYRISCirEN" 357
des c, denn erstens sind die beispielo ans der altern litteratur zalilreicli genug, um
darziitun, dass in den in betracht kommenden fällen das e geschwunden ist, dann
aber liefert doch die lebende ma. den besten beweis: es heisst z. b. der inf. '•kummq^
siyq^ kqffa' usw., aber 'sey (<i sehen), Idm (<C heben), strqin (<istrUen). Hier
kann doch unmöglich im gleichen fall (infin.) einmal n in Verlust geraten sein und
sich e erhalten haben, das anderemal aber das c ausgefallen sein, — denn das setzt
doch die assimilation und metatheso voraus, — während das n erhalten blieb.
Nun soll sich aber gar in den ersten fällen das e im unmittelbaren auslaut bis heute
gehalten haben und das im oberdeutschen! Dagegen spricht schon die angäbe
Behaghels (a. a. o. § 70, 4), dass selbst in mitteldeutschen maa. ein solches e teilweise
geschwunden ist. Hat man sich — jedesfails durch die scheinbare analogie mit dem
md. — zu jener falschen annähme des /«-abfalls verleiten lassen, so hätte gerade
dieser umstand die Unrichtigkeit ergeben müssen. Die beruf ung auf die nasalierung
erklärt dabei gar nichts, denn diese wäre ja auch md. vorhanden gewesen. Dann ist
sie überhaupt nur eine scheinbare. Dass Seh. eine solche annahm, — man beachte
übrigens, dass die kopfangabe kein ~ enthält, sondern nur die beispiele es bieten, —
ist bei der damaligen Unkenntnis der phonetik nur begreiflich, W. hat sie ja tat-
sächlich für den gegenwärtigen dialekt fallen lassen (er denkt blos an eine nach-
wirkung); dagegen hat sie Brenner wider angegeben. Es handelt sich aber hier
lediglich um die tatsache, dass der Oberdeutsche und besonders der Altbayer, wie
er überhaupt die Sprechmuskulatur nur lässig anspannt, nie einen festen nasen-
vei-schluss bildet, weshalb bei ihm jeder vokal eine leicht nasale färbung besitzt.
Damit fällt aber auch Weinhold.s anschauuug, dass eine nasale nachwirkung den vokal
gehalten habe.
Was aber nun den in frage stehenden vokal betrifft, so setzt ihn Seh. als 9
an, das nach der am eingange seines buches gemachten angäbe den „dumpfen vokal-
laut" bezeichnen soll, „der in gewöhnlicher hochdeutscher ausspräche in endsilben
gehört wird". Nun ist das freilich recht unbestimmt; schwerlich hat er sonantisches
n dabei im sinn gehabt, wodurch er der lösung sehr nahe gekommen wäre, sondern
er wird wol die bühnendeutsche ausspräche gemeint haben. Richtig ist dies für den
vorliegenden fall ja nicht, aber W. ist dem laut mit der bezeichnung e nicht näher
gekommen. Für das alem., wo der klang in der mitte zwischen e und a liegt, könnte
man eventuell im zweifei sein, in Altbayern ist die a- färbe unzweifelhaft: es ist ein
sehr helles <{, für mein ohr ist dasselbe mit dem von Seh. als d bezeichneten laut
(= mhd. Sekundärumlaut) so gut wie identisch, wie auch mit dem zweiten bestand-
teil der aus mhd. ei, ie, uo^ üe entstandenen diphthonge (denen Seh. gleichfalls das
zeichen a gibt). Es käme somit noch ein umstand in frage, wie der Übergang von
e in q zu stände gekommen ist, der dem stark geschlo-ssenen e des st. nom. sg. fem.
der adj., dem einzig erhaltenen aaslauts-c, gerade entgegengesetzt ist.
Der .Sachverhalt ist vielmehr ein viel einfacherer: e der endsilben en ist in
allen fällen geschwunden, dann trat im bayrischen eine Spaltung ein, indem n durch
gewisse konsonanten gehalten wurde, meist infolge von assimilation, während es in
den Übrigen fällen über n > q wurde. Das ist auch phonetisch die einzig denkbare
möglichkeit, da doch der Übergang zum vokal durch das aufgeben des dentalen ver-
schlusses gerade im auslaut und zumal in den betreffenden Verbindungen ein höchst
natürlicher ist.
Der Vorgang findet übrigens seine parallele (ohne rücksicht auf den vorher-
gehenden laut), bei den endsilben -er und -cl: jene geht über r in das nämliche «
,358 MOSER, «-ABFALL IM BAYRISCHEN
Über, diese wird über |>«^. Im letztern falle hat schon W. die „ mouillierung " er-
kannt (§ 158); bei r spricht er zwar von einer „auflösung a" (§ 162), im nächsten
augenblick ist aber wider vom , abfall des r " die rede ; hier kann man sich überhaupt
kein bild machen, wie er sich die Sache gedacht hat.
Was nun die Stellung anlangt, in der w vokalisiert wurde , so sind schon Sch.'s
angaben nicht ganz genau, "W. hat dann noch das seinige getan, die sache fehlerhaft
zu gestalten , und Behaghel hat die Verhältnisse bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Es
tritt nach ihm (a.a.O.), wie schon erwähnt, der „?i- abfall " „ nach stammschliesendem
labialen,, deutalen, gutturalen nasal" ein; abgesehen davon, dass die angäbe sehr
summarisch ist, da die ziemlich starken differenzen zwischen nord- und mittelbayrisch
nicht auseinander gehalten sind, greift er mit seiner formel beliebige fälle heraus, die
für das eine gebiet zu viel, fürs andere zu wenig sind; wie unter die drei zuge-
hörigen beispiele aber der Infinitiv ,fi7ida', der überhaupt nicht bayrisch ist, kommt,
verstehe ich eigentlich nicht, nd fungiert hier offenbar als „dentaler nasal". Dagegen
will W. für Ober -Niederbayern Sch.'s „cA, h, &, n^'" unter dem begriff „gutturale"
zusammenfassen, wobei er übersieht, dass g nicht hierher fällt. Ich setze die Ver-
hältnisse meiner heimat, Oberbayern, her, für die ich wenigstens keine einfache formel
finden kann: 1. Das n erscheint als cj nach vokalen (srqiq), wozu auch die fälle mit
dem ursprünglichen übergangslaut y gehören (mqq)^ nach den nasalen (kummq, Unq),
nach den gutturalen, ausgenommen p (meqkq<imerkeu, mq/q^ siyq, tvingq<it('inkenj,
endlich nach f (kqffq, slupfq). 2. in den übrigen fällen ist n ganz oder teilweise
erhalten: Erhalten ist es als konsonant bei dn, tu, wenn dem dental vokal oder
vokalisierte liquide vorhergeht {la-n ■<. laden , tre-n<i treten); geht aber ein konsonant
voraus, so ist n sonautisch (findn). Ferner ist es sonant nach s (ts^ ks) und .s fti)
(bqisn^ 'drqtsn, tcqksn, toasn, Iqtsn). Assimiliert hat es sich in pn^pm (Hepni),
bn^m (hem ■< heben) ,■ gn > ng > p (sqy). Gemischt sind die Verhältnisse, wo
normal -mhd. tv und h nach vokal steht: Es heisst '•saurf = schouwen , aber ^bauq,
ruq •< ruon < ruowen; ebenso 'sp-y' aber tvqixq < wichen = wVien, trüq = triihe(n).
Wie nun die von W. augeführten reimbelege aus der älteren zeit zu erklären
sind, ist eine andere frage. Möglich dass einige formen überhaupt nicht hierher fallen,
z. b. dass , geselle' (dat. sg.), das er dreimal aus dem WG. belegt, eine fälschlich
oder aus reimzwang gebildete starke form ist. Sonst sind mit ausnähme von 'manne'
(dat.pl., 2xHelbl.), ^gewinne'' (inf., Dietr. fl.), 'gimne' (inf., Helbl. u. Dietr. fl.),
'■starche' (schw. dat. sg., Wigam.) die formen jedesfalls nicht bayrisch, sondern alem.
Den Vorgang -en> n> n> q (ü) wird man aber nicht auf das bayrische be-
schränken dürfen, die entsprechende durchlaufende erscheinuug im alem. - seh wäb. wird,
wie schon angedeutet, auf die gleiche weise ihre orklärung finden, ja vielleicht ist diese
auch auf teile des westlichen Mitteldeutschland (z. b. Pfalz) auszudehnen. Sicher er-
scheint mir, das diese «-vokalisierung nicht mit dem ostmd. w- abfall zusammen-
geworfen werden darf.
1) Hieher darf man natürlich nicht, wie W. (§ 158) in anschluss an Seh. (523)
getan liat, fällle wie ,k(dwqi, neben ,kqiwi' ziehen und glauben, dass es sich hier
um ablautendes suffix (ala: ila) handle, dazu wäre deun doch schon der volle vokal
in der nebensilbe zu auffallend, im ersteren fall liegt vielmehr suffix-?«« zugrunde,
also mhd. ,*Ä;aZ6?^«)' nicht ,*kalbal(e), denn dass man es hier mit zwei verschiedenen
Suffixen zu tun hat, lehrt schon der ganz feste geschlechtsunterschied in parallelen
von der art ,'d-IAsi' aber ^s-Lisqi, ,'dd Sepi' aber ^s-Sepqi'.
MÜNCHEN. VIRGIL MOSER.
PAAS, DER SATZPARALLELISMUS IN DEM OPUS IMPERFECTUM IN MATTIUEUM 359
Der Satzparallelisimis in dem Opns imperfectum in Matthaeuin.
Die mannigfachen, zum teil sehr eingehenden studieu, welche theologische
und philologische fachgelehrte in den beiden letzton Jahrzehnten dem Opus imper-
fectum in Matthaeum gewidmet haben, beweisen zur genüge, dass es sich um ein
werk aus der alten zeit der kirche handelt, welches, wenn auch nur fragmentarisch
erhalten, doch wegen seines Inhaltes als ein höchst beachtenswerter commentar zum
Matthaeusevangelium zu betrachten ist.
Aber auch in formeller hinsieht verdient diese schrift eingehend gewürdigt
zu werden, da sie uns wertvolle beitrage zu dem capitel über die rhythmische prosa
liefert. Der Verfasser derselben, der zwar nicht undeutlich die absieht kundgibt, sich
an die breiten schichten des volkes zu wenden und darum in der lateinischen vulgär -
Sprache zu schreiben, hat doch die mittel der profanen rhetorik in ausgiebigem masse
angewandt und in grossen teilen seiner ausführungen sich eines erhabenen stiles und
einer kunstmässigen spräche bedient.
Insbesondere hat der satzparallelismus in dem Op. imperf. eine sehr reiche Ver-
wendung gefunden. Durch das ganze werk zerstreut, sind kleinere und grössere ge-
dankenverbindungen durch diesen parallelismus der form widergegeben, und zwar
teils mit gleichzeitiger Verwertung des reims, teils ohne denselben. Diese rhetorischen
figuren beleben und schmücken die prosa in ausserordentlichem masse und tragen
nicht wenig dazu bei, die lectüro des commentars angenehm und geuussreich zu ge-
stalten. Es dürfte daher von Interesse sein, diese parallelismen in geordneter weise
zusammenzustellen.
Bona sua debent cotitcmnere,
Stent Abraham terram suam contempsit,
et parentes suos carnales dimittere,
sicut Ute cognationem suam dimisit (col. 613)'.
Lsaac war in allem ein vorbild des erlösers. Dieser wurde geboren
per virginetn^ ille de anu, ambo extra spem naturae.
nie postquam mater ejus pai-ere posse ccssaverat,
iste priusquam mater ejus parere posse inciperet.
Sed ille de nnicida ideo iam deßetente,
iste autem de virgine iticorrupta:
quia ille lsaac filios fuerat generaturus in lege corrumpenda,
iste autem in gratia permansura (col. 613).
Die weisen aus dem morgenlande kamen mit ihren schätzen au die krippe
des erlösers:
Veneru7it autem ad Judicium gentium et (ul prasjudicium Jiuiaeorum,
illorum fidem prophetantes futuram,
et illorum incredulitatem condemnantes praesentem (col. 636 sq.).
Der neugeborene heiland flieht vor dem könige Herodes nach Ägypten:
Ut populus^ qiii ante fuerat persecutur poptdi primogcniti,
postea fieret custos unigeniti Filii.
Ut qni Uli populo violenter düininati sunt,
isti cum devotione servirent.
Ut iam non irent ad mare rubrum demergendi,
sed vocarentur ad aquas baptismatis vivißcandi (col. 643).
1) Ich eitlere nach Migne, Patr. gr. tom LVI.
360 PAAS
Den giausamen befehl, in Bethlehem alle kinder im alter von zwei jähren und
darunter zu töten, gab der könig Herodes, nachdem er bei sich selbst etwa folgendes
erwogen hatte:
Quis est puer ille,
qui antequam nascatur in terra,
tarn apparet in coelo?
Necdum se ipsum ostendit
et iam omnes cum quaerunt.
Et necdum terremmi popukim habet
et iam militiae caelestes stellarum Uli ministrant,
Quis est ille,
qui antequam mecum pugnet, iam me vincit:
antequam vüieat, regnat:
atitequam regnet, iam dominatur?
Quid putas facturus est ille homo in rcgno meo, si creverit?
Ego et dona hominihus spargo et gladium porto,
ut qui non timet, vel diligat;
qui non diligit, vel timeat.
Ille nee populum habet nee divitias congregavit :
et quomodo sine aiiro diligitur
et sine ferro timetur? (col. 643).
In Matth. 2, 18 (Vox in Rama audita est, ploratus et ululatus multus) bezeichnet
fletus das weinen der kinder und tdtdatus das wehklagen der mütter.
Plorabant enim parvuli, quia separabantur a matribus:
ululabant matres, quia desolabantur a filiis
et quasi viscera earum separabantur ab eis (col. 645).
Der könig Herodes Hess seine drei eigenen söhne töten.
Viscera sua laniabat in filiis
et dolorem corum non sensit,
ut quemadmodum parvuli mortem suamnon senserunt propler infantiam,
sie et ille dolorem viscerum suorwn non sensit propter insaniam{Go\.(j-ib) .
Veyiit Johannes quasi magni regis praeparator ßdelis.
Qualis rex,
talis et nuntius regis:
natus ex gratia,
non ex natura.
Sieut Christi eonceptionen ante angelus nuntiavit, sie et istius.
Sicut illius nomen, antequam conciperetur , auditttm est, sie et istius.
Sicut illius potestas, antequam nasceretur, ostensa est,
sie et istius virtus, antequam nasceretur, manifestata est (col. 646).
Hypocritae pulehritudineni sanctitatis ostendebant in vulto
et venenum ?nalitiae portabant in corde (col. 651).
Die Juden haben keinen grund, sich auf ihre abstammung von Abraham etwas
einzubilden (Matth. 3,9):
Quid enim prodest ei, quem sordidant mores, generatio clara?
Aut quid nocet Uli generatio vilis, quem mores adornant?
Ipse se vacuum ab otmiibtts bonis actibus ostendit,
DER SÄTZPARALI.EMSMUS IN DKM API'S IMPERFECTIIM IN MATTHAEUM 3G1
qui gloriatur in patribus.
Quid profuit Cham, quod filius fuit Noe?
Nonne separatus de medio filiorum?
Qui seciüidum carnem frater natus fuerat,
seeundum animum factus est servus.
Nee familia eius sancta pokiit defendere impios mores.
Aut quid nocuit Abrahae, quod pntrem habuit Thare luteorum deorum
cultorem ?
Nonne separatus a genere suo positus est in caput ßdelium,
ut iam non diceretur filius peccatorum
sed pater sanctoriitn?
Nee potuerunt gloriam eius sordidare paterni errores (col. 651).
Jeiunavit ergo quadraginta diebus propter duas causas :
pritnutn ut nobis adversus tentationes ieiunandi daret exemplum,
dc/ndc ut quadragesimi jejtmii nosiri poneret mensuram (col. 664).
Der grund, weshalb nach dem ausspräche Christi: Wer sich selbst erhöht, der
wird erniedrigt werden, auf die Selbstüberhebung der fall in die tiefe folgt, ist klar:
Quoniam omnis qui confidens est inoperibus suis et gloriatur, securusest;
qui autem seeurus est, non timet;
et qui non timet, nee cavet;
qui autem non cavet, quando non sperat,
supplantattir a diabolo et deicitur (col. 670).
Der autor ist der irrigen auffassung, dass die gültigkeit und Wirksamkeit der taufo
durch die rechtgläubigkeit des Spenders bedingt sei. Darum ist die von den haeretikern
gespendete taufe ungültig und die widerholung derselben uQunigänglich notwendig:
Ubi est fides, illie est ecclesia;
ubi ecclesia, ibi saccrdos;
ubi sacerdos, ibi baptismum;
ubi baptismicm, ibi Ghristianus.
Ubi autem fides non est, ibi nee ecclesia est;
ubi ecclesia non est, nee sacerdos est;
ubi sacerdos non est, nee baptismum;
ubi baptismum non est, nee Christianus fit aliquis.
Quid ergo reprehendit quasi seeundum baptismum,
qui non intellegit, quod est primtmi? (col. 673).
Als Christus am galiläischen meere die beiden brüder Simon und Andreas sah,
sprach er zu ihnen: Folget mir nach, und ich will euch zu menschenlischeru machen
(Matth. 4,19):
Quid eni)H? Tibi minora repromittit?
Num non, sibene conversatus fueria, regnum eoeleste tibi promittit?
Num non vitam acternam?
Num non angelicam naturam?
Num non haereditatem secum?
Et quare non sequeris eum?
Sciebant enim, quam pretiosa est anima hominis,
quam grata est apud Detcm salus ipsius,
^ quania mcrccs est Ii07ninc7n acdificarc seeundum Deuiu.
362 PA AS
Später fand Christus zwei andere brüder, die söhne des Zebedaeus, Jacobus
und Johannes (Matth. 4,21):
Erant enim habitatione eives,
dilectione concordes,
arte officii j}ares,
fraternitatis ptetate conjuncli (col. 675).
Das evangelium ist die frohe botschaft :
Bona auteni hoininibiis nuntiantur,
quando promittitur eis beatitudo coelestis,
peccatorum remissio,
adoptio filiorurn,
mortuorum resurrectio
et immortalitas vitae,
haereditas regni coelestis
et possessio gloriae sempiternae,
societas angelorum
et communicatio Spiritus
et fraternitas Christi
et paternitas Dei (col. 678).
Ein gerechter zorn ist die Ursache einer guten zueht :
Nam si ira non fuerit,
nee doctrina profieit,
nee jiidicia stant,
nee crimina compescuntur (col. 690). ■
Perfecti esiote, ut
et amicos diligatis propter peccatum vitanduni
et inimicos propter Justitiam habendam (col. 703).
Die stelle Luc. 6,37,38 gibt dem Verfasser des Op. impf, veranlassung zu
folgender bemerkung:
Et quis sit nie, qui nee judicat :
quis autem, qui judicat quidem et non condemnat:
et quis est, qui condemnat quidem et tatnen dimittit:
et quis est, qui dat, exposuimus tibi.
Et quoniani superf.ua quidem mensura datur ei, qui nee judicat :
eommota autem ei, qui judicat quidem, non autem condemnat:
bona autem ei, qui condemnat, sed dimittit.
Quoniam sicut major est super flua mensura , quam eommota,
et eommota major est, quam bona et justa:
sie perfectior est ille, qui nee judicat,
quam ille, qui judicat et non condemnat,
et ille , qui judicat et noti condemnat,
melior est illo, qui condemnat et dimittit (col. 726).
Qui se non abstinet a caedibus,
quomodo potest abstinere se ab ira?
Qui non se abstinet a fornicatione,
quomodo se abstinet a concupiscentia?
Qui non se abstinet a peijicrio,
DKR SATZPARALI.KLISMIS IN HKM lilTS IMI'KHIKCTL'M IN MATTUAEUM 363
quomodo sc abstineat a juramento ?
Qui alios fcrirc non cessat,
quomodo sc praebeat feriendum?
Qui nee amicuni suum sincere diligit,
quomodo diligat inimicum? (col. 729 sq.).
Die vernunftlosen geschöpfe hat Gott bei der erschaffung mit waffen so aus-
gerüstet, dass sie sich gegen feindliche angriffe schützen und verteidigen können:
Älios enitn munirit veloci pedwti cursu,
alios arniavit tmr/uibus,
alios velocibus pentiis,
alios deiitibus,
alios cornibus:
homincm autem sohim sie disposuit,
ut virtus illius sit ipse (col. 730).
Nullius passionis abstinentia sie sandificat eorpus,
quotuodo abstitientia harum,
ut sit homo castus,
ut sit j'ejunus,
ut sit in vigiliis perseverans.
Et nulla illarum passionum sie coinquinat corpus,
quomodo passiones istae,
ut sit homo aut forniearius,
aut epulator,
aut deditus soymio (col. 734).
Qui vult esse christianus verus,
non solu7n non oceidat, sed nee irascatur sine causa :
non solum non perjuret, sed nee juret:
non solum non fornicetur, sed nee usque ad oculiim concupiseat :
non solum twn pereidiat, sed nee percussus repereutiat :
non solum aliena non tollat, sed etiam eogenti dimittat :
non solum amicos sincere diligat^ sed etiam inimicos.
Eleemosynas non faciat eoram hominibus:
orationibus instet intrans in eubiculum suum:
jejunia celehret non cum trist äia :
nonjudicet fratrem suum peceantetu , sedsuae inßnnitatis consideratione
igiwscat :
non det sanetum canibus ncque margaritas suas mittat ante porcos.
I'etat, qtiaerat^ pulset et accipiet (col. 743).
Über das Schicksal des ägyptischen Josef sagt der autor:
Numquid non est manifestata innocentia ejus?
numquid non multipliciter coronata est castitas ejus?
Qui quasi maleßcus in carcere fuerat,
quasi proplicta cducUis est (col. 760).
Er legt im anschluss an Matth. 11,27 Christus die werte in den mund:
Mihi traditi sunt servi et reges,
ut nee servi in suo servitio erubescant,
sed in me Domino glorientur :
364 PAAS
et reges non in sua potestate extollanticr,
sed mihi genua curvent (col. 778).
Der feindselige gegeusatz zwischen Christus und dem teufel kommt in den
Worten zum ausdruck:
nie praedieat fornicationen, ego castitatem.
Et ideo repellit ille castos et congregat lascivos:
ego autem repello lascivos et congrego castos.
Ille doeet discordiam., ego pacem.
Ille seditionarios congregat et turbatos:
ego autem unanimes et mansuetos (col. 786).
In bezog auf das verhalten der schriftgelehrten und pharisäer, welche von
Christus ein wunderzeichen fordern, ehe sie sich zum glauben au ihn entschiiessen
wollen (Matth. 12, 39), sagt der Verfasser:
Sicut semper discere,
Signum est nihil posse proßcere :
sie Signum semper petere,
testimonium est nunquam velle credere (col. 787).
Die frage des reichen Jünglings: Guter meister, was muss ich gutes tun, um
das ewige leben zu erlangen (Matth. 19, 16) charakterisiert treffend die gewohnheit
des jüdischen volkes:
Semper Judaei interrogaiores Dei fiierunt et non obauditores:
laudatores sanctorum et non imitatores:
auditores legis et non factores :
semper discentes et numquam ad seientiam veritatis pervenientes:
gloriantes in lege et per praevaricatiotieri legis Dominum Deum
inhonorantes (col. 806).
Die Sünde des neides schadet nur der neidischen person selbst, nicht der-
jenigen, auf welche der neid sich richtet:
Ipse vituperabilis invenitur de sua invidia,
ille autem laudabilis deinonstratur de sua virtiite (col. 847).
Das gleichnis vom königlichen gastmahle, welches Matthaeus 22, Ifgg. erwähnt,
deutet auf die gesaratheit der Weissagungen hin, welche die propheten des Ä. B. über
den zukünftigen Messias gaben:
Qui autem manducat de spirituali convivio,
impletur spiritu,
dilatatur sensibns,
nutritur in veritate^
pingueseit in ßde,
et sie ingreditur ad interiora voluntatis Dei
et manens in eis acquirit sibi vitam aetcrna»/.
Qui autem ab hoc convivio verbi longe fiierit factus,
evacuatur spiritu,
angustatur sensibus,
deficit a veritate,
distillat a fiele,
et sie egrediens ah otnnibus voluntatihus Dei ad inferiora
novissime cadit in mortem (col. 860).
DER SATZPARALLELISMUS IN DEM OPUS IMPERFECTUM IN MATTHAEUM 3G5
Quando coepit hoc convivium praeparari?
Ä tempore Most, quando lex Doniini data est irreprehensibilis , con-
vertens animas:
quando testimonium Domini fidele datwn est, sapien-
tiam praestans parvulis:
quando justitiae Domini rectae laetificantes corda :
([uando praeceptimi Dominilucidimi, illuminans oculos :
quando ti)iior Domini sanctus permanet in saeculum
saeculi:
quando judicia Domini vera^ justificata in semetipsa :
quando ex decem speciebus confectus est cibus decalogi
salutaris (col. 861).
Das bild gottes im menschen spiegelt sich wider in der lauterkeit und reinheit
seines gewissens.
Ideoque illibatam Deo semper imaginem suam reddam,us:
non superbiae fastu tumidam,
non iracundiae livore marcidam,
non avaritiae facibus succensam,
non gulae illecebris deditam,
non hypocrisis duplicitate contectam,
non luxuriae sordibtis attaminatam,
non elationis protensione levem,
non vinolentiae tabe amentem,,
non dissidio mutuae caritatis extorrem,
non dctraetionis mordicitate pestiferam,
non mtdtiloquii vanitate inanem,
sed caritate perspictiam,
fide et spe certissimam,
patientiae virtute fortissimam,
humilitate tranquillam,
castitate purpuream,
parcimonia sobriam,
tranq uillitate jucundam,
hospitalitate devotam (col. 868).
Quotiescumque enitn aspicimus multiformes species reriini,
audimus varios sonos vocuni,
odoramus diver sas fragrationes odorum,
gustamus innumerabiles suavitates gustuum,
palpamus qualitates rerum innumeras^
de opcribus potentiae et sapientiae Dei dijudicaiiius,
td cognoscuvtiis et colantus ejusdem creationis auctnrem (col. 870).
Item qui putat,
incantationes aliquid posse,
ant auguria aliquid intellegere
aut divinationes aliquid nuntiare,
non nie in Iota uninia diligil Demn (col. 874).
366 PAAS
Zu dem hochzeitsmahle waren zwar die Juden der zeit nach zuerst berufen,
aber die beiden sind ihnen in der erlangung der platze zuvorgekommen:
Uli enim ad prandium medioere invitati sunt^
isti autem ad coenam magnam.
niorum invitatores prophetae fuerunt,
istortim autem ipse filius, qui erat causa convivii.
lllorum delectio apud Beum ex patribus erat,
istorum autem ex fide ipsorimi (col.
Der Verfasser tadelt die sitte derjenigen, welche über den gräbern der ver-
storbenen prächtige kapeilen errichten, in der absieht, dadurch ihren uameu berühmt
zu machen:
Dicebant enim apud se:
Si bene feeerimus pauperibus, quis illtid videt?
Et si viderint, non multi vident;
et si multi viderint, pro tempore vident.
Transit enim tempus,
et transit cum tempore benefacti memoria.
* *
*
0 insipiens homo , quid tibi prodest post mortem isla tnemoria,
si, tibi es, torqueris
et., ubi non es, laudaris? (col. 886).
In ergreifenden werten umschreibt der Verfasser des Op. impf, den weheruf
Christi: Jerusalem, Jerusalem, das du die propheten mordest und steinigest die,
welche zu dir gesandt worden usw. (Matth. 23, 37).
Misi ad te Isaiam, et serrasti eum;
misi ad te Jeretniam., et lapidasti eum;
misi Exechielem, et tr actum, super lapides excerebrasti eum.
Quomodo sanaberis, quae nullum ad te medicum venire permittis?
Quomodo curabo infirmitatevi tuam, quae omnem medicinam conculcas?
Sanetis meis non peperci, ut tibi parcerem peceatrici.
lllorum vitani neglexi, ne tuam mortem, viderem.
Omnes medici spirituales in te defecerunt, et tu ciirata non es.
Insanabalis est passio tua; vicit enim artem divinam.
Si de mortetua gavisus fuissem, numquam ad te misissem prophetas.
Siteperdere voluissem, nuinquam adteego ipse venissem (col. 895).
Omnibus enim laborantibus dulcis est finis.
Viator libenter interrogat, ubi est mansio;
mercenarius frequenter eomputat, quando annus completur,
agricola semper tempus mcssis exspectat;
negotiator die ac nocte thecae suae discutit rationem;
mulier praegnans semper de decimo mense cogitat;
sie et servi Bei libenter de consummatione saeculi requirunt (col. 900).
Quemadmodum si quis in campo quodatn tabernaculo circumdatus sit,
si aliqua surrexerit tempestas ventorum,
sonum quidem tempestatis audit,
vexationes silvarum videt,
DER SATZPARALLELIRMDR IN DEM OPUS IMPERFECTÜM IN MATTHAEDM 367
ipse autem flatum non sentit:
sie qui intra justitiam sedet inclusus,
quando mundus eoncutitur,
rumores turhationum audit,
saeciilariutn miserias aspicit,
ipsuni auteyn concussio mundi non movet (col. 903).
Die Worte Matth. 24,9 sind bildlich aufzufassen:
Quando haec omnia coeperunt fieri contra eeclesiam Christi, id est,
quando coepertmt esse dogmata falsa quasi pseudochristi,
quando coeperunt auditiones fieri,
quando coepit insurgere Jiaeresis super haeresim et episcopatus super
episcopatum,
quando facta est fames verbi in populo christiano,
quando comprehenderutit eos pestilentiae vitiorum nmltorum,
quando facti sunt eis terrae motus turbationum de rebus divinis:
tunc traditi sunt patres nostri in multas tribulationes persecutionum
in toto mundo
et occisi sunt et quidem odio habiti sunt omnibus gentibus, id est,
Omnibus haeresibus (col. 904).
Legt man die stelle 24,17: Wer auf dem dache ist, der steige nicht herab,
um etwas aus seinem hause zu holen, im allegorischen sinne aus, so ergibt sich
der gedanke: "Wer auf dem dache ist, d. h. der in rebus spiritualibes vivens, soll
nicht hinabsteigen ad aliquas res carnales, ut desideret aliquid, quod est corporale.
Sonst wird der greuel der Verwüstung ihn erfassen. Denn alle Christen, welche
verloren gehen, verscherzen ihr eigenes heil propter aliquam corporaleni causam
constitutani deorsum :
Alii propter avaritiam,
ut ne perdant quod habent
aut inveniant quod non habent:
alii pereunt propter gulam paupertate coacti:
alii propter uxores aut propter maritos:
alii propter alias causas carnales (col. 910).
Ein vergleich zwischen dem furchtbaren Schicksal, welchem die stadt Sodoma
anheimfiel, und der grossen trübsaf, die beim ende der weit hereinbrechen wird
(Matth. 24,21), ergibt folgendes bild:
Illic fuit adversus peecatores justa Dei vindicta,
hie autem erit adversus sanctos crudelis diaboli violentia.
Quanto ergo pretiosior anima quam corpus,
tanto miserabilior perditio animaruni quam corporuvi.
Illic perditis iniquis cimserunt justi:
hie autem punitis aut fugatis justis iniqui gaudebunt (col. 913).
Die falschen propheten, welche unmittelbar vor dem ende der weit auftreten,
um die menschen in Irrtum und zum abfall von Christus zu führen, werden zum
scheine da.sselbe tun, was die gläubigen in Wahrheit üben:
N^am et castitati student,
et jejunia celebrant,
368 PAAS
et eleemosynas faciunt,
et omnem eeclesiasticum canonem supplent (col. 916).
Ideo vigilare debet et claudere omnes istos introitus:
OS quidem narrationibus sanctis,
aures auditionibus pns,
oculos eonsideraiione mirandorum opencm Dci,
tnentetn cogitationibus oeeupare coelestibus.
Non enim sufficit, ut non loquatur
vel audiat,
vel videat,
vel eogitet mala (col. 925).
Nach ansiebt des Verfassers betrügen die menschen sich alle gegenseitig:
Alii fingunt se justos, cum sint iniqtii\
alii humiliant se ut peccatores , cum sint sancti;
alii auteln turpes actus suos usque ad mortem abscondtmt,
ainplius homines erubescentes, quam Deum timentes^
et semper sunt in vulnere, dum pro tempore nolunt apparere vtdnerati
(col. 929).
Durch die eifrige lectüre der hl. schrift wird die fügend des glaubens vermehrt:
Paulatim enim de die in diem timor Domini generatitr,
sensiis ejus illuminatur,
seientia ejus crescit,
confirmatur in fide,
exeitatur ad desiderium regni coelestis,
apprehendit cum zelus antiquorum sanctorum, quos legit,
exeitatur et ipse jilerumque ad easdem virtutes (col. 938).
Mit lücksicht auf Matth. 25, 32: Christus wird im Weltgerichte die Völker
voneinander scheiden, wie ein hirt die schafe von den bocken scheidet, sagt der
autor:
Oves Stint homines justi,
propter mansuetudinem , quia ipsi neminem laedunt,
propter patientiam, quin cum ab aliis laesi fuerint, sustinent.
Et sicut oves, quando ligantur, aut tacent atit in simplicitate balant:
sie et sancti cum laeduntur, aut tacent aut certe in benignitate probati
preces transmittunt ad Deum.
Et sicut Ovis ad mortem ducitur et non clamat;
vita ejus tollitur et mansuetudo ejus non itmmitatur:
sie et sancti maledieuntur ei non remaledicunt;
percutiuntur et non repercutiunt ;
bona eorum diripiuntur, et Uli non contradieunt ;
dolorem sentiunt et clamorem non emittunt.
Et quid opus est clamoribus,
cum nie, qui nocet, non miseretur, etiamsi clamaveris?
nie autem, qui misericors est, miseretur, etiamsi non clamaveris,
audit et videt (col. 942).
UER SATZPARALl^ELISMUS IN DEM OPUS IMPERFECTUM IN" MATTHAEUM 369
Diejenigen, welche mit irdischen gütern reich gesegnet sind, sind die geistig
ärmsten; denn bei dem überfluss an äusseren dingen findet sich meistens ein mangel
au innerer Vollkommenheit:
Sunt peregrini corde,
sunt debiles animo,
sunt mente caeci,
inobedientia surdi,
et ceteris passionibus spiritualibus aegrotantes,
quoriim animae omneni escam spiritualem abominantur (col. 946).
E. Norden hat bereits in seinem ausgezeichneten buche: Die antike kunstprosa
vom VI. Jahrhundert v. Chi\ bis in die zeit der renaissance, Leipzig 1898, nach-
gewiesen, dass iu der alten zeit der kirche die grossen christlichen prediger des
Orients sowol, wie des occidents die mittel äusserer rhetorik in ausgedehntem masse
zur anweudung gebracht haben. Er kommt in seinen Untersuchungen über die littera-
rischen erzeugnisse des abendlandes zu dem ergebnis: „Die Signatur des stils der
christlichen predigt in lateinischer spräche ist der antithetische satzparallelismus mit
homoioteleuton"^ Diese christlichen predigten, die er in einem höheren sinne hym-
nen nennt, sind „zwar civiv ^^jqov, aber nicht «Vfi; ^i'^iaoö", und das ö/^otor^AfvTov
wird „nie willkürlich gesetzt, sondern bleibt den stellen des höchsten pathos vor^
behalten". -
Auch der unbekannte Verfasser des Op. impf, hat sich dieser art des stils
(parallele glieder des satzes mit endreim) in seiner schrift bedient. Sind die bei-
spiele, die man aus derselben beibringen kann, auch nicht so zahlreich, wie bei
anderen lateinischen autoren, etwa Cyprian und Augustinus, welche iu ihren werken
diesen stil in einem sehr umfangreichen masse angewandt haben, ^ so können doch
immerhin die folgenden angegeben werden.
Isaac ein vorbild Christi:
Sieut nie ligna portavit, tibi ficerat incendendus;
Sic et iste lignum portavit, tibi ficerat crucifigendus (col. 613).
Zara, ein söhn des Judas, war ein typus des heidnischen volkes:
Dum enim per Christi sanguinem regenerandus prophetixabatur,
cocco dominici sanguinis signabatur (col. 615).
Zur zeit des Aram hatten sich die Israeliten in Ägypten bedeutend vermehrt:
Multiplicatio eoruni xelabilis facta erat in oculis Aegyptiorum
et irritatio erat facta ipsorum (col. 616).
Ntmc autem qui divitias eligunt et non mores,
pulchritudinem et non fidem,
et quod in meretricibus solet quaeri,
hoc in conjugibus Optant,
propterea non generant filios subditos vel sibi vel Deo,
sed contumaces et contra se et contra Deum,
ut filii eorum nofi sint fnictus justae conjunctionis eoruni,
sed poena condigna irreligiös itatis ipsortim (col. 619 sq.).
1) S. 562fgg. S. 616fg.
2) a. a. 0., s. 847.
3) a. a. 0., s. 618fgg.
ZKITSCURIFT K- DEUTSCHK PHILOLOOIB. BD. XL. 24
370 PAAS
Salomon und Roboam sind ein vorbild Christi und des christlichen volkes:
Salomon in mysterio populi fuit christiani bene rncipientis :
Roboam autem in mysterio populi male finientes (col. 621).
Zu Matth. 1,22: Dies alles aber ist geschehen usw. fragt der autor: Quid
totum? und gibt sich dann selbst die antwort:
Ut virgo propinquo suo desponsaretur,
ut casta servaretur,
ut angelus per somnium Joseph loqueretur,
ut sponsam eam aceipere jtiberetur,
ut piieri nomen Jesus vocaretur,
ut virgo miindi Salvatorcm generaret (col. 634).
Von dem nährvater Christi, dem hl. Josef, wird gesagt:
Ipsos denique magos vidit adorantes,
et divina dona eorum praesentantes (cel. 635).
Um die heuchele! des königs Herodes (Matth. 2, 7. 8) zu geisseb, hebt der
Verfasser hervor:
Devotionem promittebat,
qui gladium aeuebat
et malitiam cordis sui humilitatis colore depingebat (col. 641).
Würden wol die weisen aus dem Morgenlande das kind in der krippe, welches
(seiner menschlichen natur nach) die ehrfurchtsvolle anbetung nicht erkannte, an-
gebetet haben, wenn sie nicht geglaubt hätten, dass etwas göttliches in ihm ver-
borgen sei?
Ergo non pueritiae dettilerunt honorem nihil intellegenti,
sed divinitati ejus omnia cognoscenti (col. 642).
Sieiit enini aurum vel argcntum cotnbustis in fornace sordibus colatur,
sie homo in fornacem tentationis missus depositis peccatis sancti-
ficatur (col. 661).
Waxum hat Christus nicht von einer vi7-go simplex, sondern von einer virgo
desponsata geboren werden wollen?
Ideo desponsata intravit domum Joseph,
ut dum maritalis coneeptio aestiniatur,
unigeniti Dei nativitas non cognoscatur? .{col. ßQA).
Von den beiden brüdern Simon Petrus und Andreas, die am galiläischeu meere
von Christus zu aposteln berufen wurden, wird gesagt: mittentes rete in mare
(Matth. 4, 18), damit durch das gewerbe, welches sie ausübten, ihre zukünftige er-
habene würde bereits im voraus angedeutet würde:
Ut intelleg amtis , quia
non solum ista secunda piscatio spirittialis a Deo eis erat donata,
sed etiatn prima illa corporalis Dei Providentia in eis fuerat
ordinata (col. 674).
Der Zorn ist die ui-sache des mordes. Nimm den zorn hinweg, und der mord
unterbleibt:
Nani si concedatur licentia irascendi,
datur et causa homicidii faciendi (col. 689).
DER SATZPARALLELISMUS IN DEM OPUS IMPERFECTUM IX MATTHAEUM 371
Nech Luc. 7,21 wirkte Christus in der stunde, als die beiden von Johannes,
dem täufer, entsandten jünger bei ihm eintrafen, viele heilwunder. Die geheilten
aber sprachen ihm laut ihren dank aus; einige sagten: So etwas haben wir in Israel
niemals gesehen; andere erklärten: Gott hat sein volk heimgesucht; wider andere
riefen: Ehre sei Gott, der solche macht dem menschen gegeben hat. Darum gab
Christus den Jüngern auf ihre frage: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen
wir auf einen andern warten, zur antwort: Gehet hin und verkündet dem Johannes,
was ihr gesehen und gehört habt.
Sic ergo discipuli et oculis et auribus pascebantur,
mirabilia sanitatuni videntes,
gratias agentiiim voces aiidientes,
aut certe mirabilia ejus videntes,
et doctrinam ejus audientes,
aut eerte sanitates infirmorum videntes,
et confessiones eiecto?-um daemonum audientes (col. 773).
Christus sagt^(Matth. 11,27): Omnia mihi tradita sunt a Patre tneo. Leben
und tod, reichtum und armut sind in seine band gelegt:
Usqite nunc enim paupertas blasphemare cogebat,
furtum committere suadebat;
divitiae autem inßabant,
nocendi virtutem praestabant (col. 778).
«
Quäle praemium detur,
in potestate est munerantis;
qualem autem exitum hdbeat uniimquodque certamen,
non est in potestate certantis (col. 827).
Als Christus seinen feierlichen einzug in Jerusalem hielt und dort im tempel
aus dem munde der kinder sein lob erscholl, wurden die hobenpriester und ältesten
des Volkes von neid n,nd eifersucht erfüllt.
Qui ingrediebatur ut homo, laudabatur ut Deus.
Qui celabatur in carne, demonstrabatur in voce.
Quem malitia saeerdotum quasi honiinem blasphemabat,
hunc innocentia pa/rvulorum quasi Deum exaltabat.
Quantum autem ille "glorificabatur,
tantiini sucerdotes invidia torquebantur,
et illius honor Ulis fiebat in tormentum.
Sic enim est res,
ut quando boni in sua virtute laudantur,
mali autem in sua invidia crucianiur (col. 847).
Matth. 25,24: Der faule knecht beschuldigt seinen herrn der härte, um .seine
trägheit zu entschuldigen:
Si igitur etiam in gentibus scminavit gratiam suam,
ex quibus malus justitiae colligitur fructus:
qitomodo in te metit, quod non seminavit,
quem quasi aratro spirituali crucis suae verho aravit,
quem doctrina justitiae seminavit,
quem Spiritu saucto irrigacit? (col. 937).
24*
372 NECKEL, ZU ZEITSCIfR. 39, 308. 322
Aus allen diesen beispielen, welche hinsichtlich der zahl, sowie des baues der
einzelnen parallelen glieder eine reiche mannigfaltigkeit darbieten, gewinnt man den
eindruck, dass der autor des Op. impf, mit den gesetzen und regeln, welche während
der verflosseneu Jahrhunderte über den satzparallelismus der form in der kunstprosa
sich ausgebildet hatten, wol vertraut war und sie praktisch anzuwenden verstand.
So wird das bereits durch andere gründe gewonnene und sicher gestellte urteil, dass
er als stillst eine sehr gewandte persönlichkeit war, auch auf diesem wege von
neuem bestätigt.
CREFELD. UR. THEODOR PAAS.
Zu Zeitschr. 39, 308 fg. 322 fg. ^
Die hier vorgenommene Scheidung innerhalb des c. 26 wird durch folgende
Überlegung bestätigt. Wenn der dichter des Grossen Sigurdsliedes aus seiner deutschen
quelle den pakt aufnahm, den Sigurd mit den Giukungen in betreff ihrer Schwester
schliesst (s. 324 fg.), so konnte er ein unverhülltes anbieten der tochter, wie es
c. 26,44fgg. erzählt wird, nicht gebrauchen. Letztere scene stammt also aus dem
andern text, dem Alten liede. Wol aber lag es für den dichter des Grossen liedes
nahe, diese scene auszubilden in eine form, in der sie sich als eine blosse ermun-
terung Sigurds zur Werbung um GuSrun darstellt. Diese form liegt c. 26,20 — 35 vor.
Das Traumlied von c..25 ist ein litterarischer ableger der Sig. ra.
Golther nannte die scene zwischeÄ Brynhild und GuSrün c. 25 , 39 fgg. eine art vor-
wegnähme des Zankes der königinnen. Aber nicht die senna selbst (c. 28,1 — 16) ist
hier nachgeahmt, sondern das in der saga folgende gespräch (c. 28, 26 — 78), das ich
i8. 325 als eine vom dichter des Grossen Sigurdsliedes herrührende Umbildung der
senna erklärt habe.
Gleich die einleitende frage ist hier und dort ganz dieselbe. Wie GuSrun in
c. 28 beginnt: Ver kät, Brynhildr! . . . hvat stendr per fyrir ganini? so an der
früheren stelle Brynhild : Hvi megi Jjer eigi gledi bella? ger .eigi ßat! skemtum oss
allar saman! .... Die rollen sind einfach vertauscht. Auch der männervergleich,
den Brynhild nun vorschlägt imd der auf die erzählung von Sigurd hinausläuft, ist
im Grossen liede deutlich vorgebildet (c. 28, 45 — 60). Auch dort preist Brynhild den
Sigurd (str. 24). Endlich die traumdeutung führt einfach das aus, was in c. 28 GuSrüu
über das weissagen der Brynhild äussert: Langt ser hugr pinn um fram (z. 78).
Es ist nicht recht klar, worauf sich diese äusserung bezieht. In dem, was
unmittelbar vorangeht, scheint sie keine rechtfertigung zu finden. Vielleicht gehört
sie z. 71 fg: er af per rennr^ mantu iSrax. Dann wäre GuÖrüns bemerkung im
original höhnisch gemeint gewesen. Das würde nicht bloss gut in den Zusammenhang
passen — seit z. 65 ist GuSrün gereizt, weil Biynhild ihre kindliche pietät verletzt
hat (bezeichnend für den dichter!) — , es würde sich auch gut damit vertragen, dass
der dichter des Trauniliedes den gedanken aufgriff und neu motivierte. Weder er
noch der sagaschreiber scheinen die äusserung verstanden zu haben. Letzterer
brachte sie deshalb als losgerissene einzelheit am ende des dialogs.
In ihrer traumdeutung erwähnt Brynhild auch die Grimhild und ihren ge-
dächtnislöschenden trank. Das beruht nicht nur offenbar auf dem Grossen liede (Heusler,
Germanist, abh. für H. Paul 46), sondern widerum eben auf unserm c, 28, wo Bryn-
1) Fortsetzung von Zeitschr. 40, 219 fg.
FISCHER, ZU ZEITSGIIR. 40, 237 373
hild der Grimhild grollt wegen des grünt qI (c. 28, 64, vgl. e. 25,76: ... miqS^ er
qllum oss keinr i mikit strid).
Es ist unverkennbar, dass der Verfasser des Traumliedes von der absieht ge-
leitet gewesen ist, gewisse für ihn gegebene motive so oder so in seinem werke
unterzubringen. Er verdoppelte den träum der GuSrun, lediglich weil er den aus
Deutschland importierten falkentraum verwerten wollte'. Und wie seltsam berührt
es, wenn GuSn'ui, die in der absieht kommt, sich ihre träume deuten zu lassen, erst
in eine lange Unterhaltung verwickelt wird, die mit den träumen wenig — auf den
ersten blick gar nichts — zu schaffen hat. Brynhild beschränkt sich nicht auf die
traumdeutung, sondern fügt etwas über Grimhild ein, was widerum nicht zur
Sache gehört.
Wir verstehn diesen aufbau des gedichts, wenn wir auf seine quellen blicken.
Das meiste stammt, wie gesagt, aus dem teil der Sig. m., der in c. 28 nacherzählt
ist. Die zweite hauptquelle ist die GuSrün IL was ich in der erwähnten arbeit nach-
zuweisen hoffe.
Bemerkenswert ist bei diesem fall, dass sich hier das abhängigkeitsverhältnis
zweier denkmäler, wie mir scheint, zur evidenz dartun lässt, von denen uns keins
im original vorliegt.
1) Abweichend von Heusler (a. a. o. 40 fgg.) u. a. glaube ich, dass das gedieht
von anfaug an beide träume enthielt. lu meinen Beiträgen zur Eddaforschung wird
diese auffassung begründet.
BRESLAU. G. NECKEL.
Zu Zeitschr. 40, 237.
Wenn Uhland im „Blinden König" Hocli auf des meeres bord schreibt, so hat
Kosenhagen a.a.O. wol nicht unrecht, wenn er darin etwas „nordisch -seemä-ssiges"
findet. Aber unrecht hat er in anderem. Erstens hat Uhlands Pariser aufenthalt mit
der lesart gewiss gar nichts zu tun ; denn so viel französisch hat er schon vorher ge-
konnt, und es ist doch an der stelle vor allem an das niederdeutsch -nautische bord
zu denken. Zweitens ist der satz falsch: „Im deutschen hat bord nie und nirgends
den sinn ufer oder rand."- Dass es den sinn „raud" ursprünglich hat, steht im
Kluge. Aber auch in den heutigen südwestdeutschen mundartcn ist b. (hochdeutsch
bort) weit vei breitet: Schweiz, idiotikon 4, 1627 fgg. = rand, fluss-, seeufer u. dgl.
(nebst 20 compositionen); mein Schwäbisches Wörterbuch 1, 1299 ^= ufer eines flusses,
bachs, grabens; Martin -Lienhart, ELsäss. Wörterbuch 2,84 (port, nicht etwa j)ör ge-
sprochen) = abhang, rain, ufer. Für das ufer eines baches braucht es neben G. Keller
auch mein vater : An des baches verblühten borden (J. G. Fischer, Gedichte 1854, s. 120).
Von einem ,gallizismus" ist nicht die rede.
TÜBINGEN. HERMANN FISCHER.
374
LITTERATUR
Paul Herrmann, Island in Vergangenheit und gegenwa'rt. Reiseerinneiungen.
Leipzig, W. Engelmauu 1907. 2 bde. XH, 367 und VI, 316 s. Mit 116 ab-
bildungen im text, 2 titelbildern und 1 Übersichtskarte. 15 m.
Paul Hernnann, gymnasialprofessor in Torgau, bekannt als Übersetzer des
Saxo gramiuaticus und als verfasset von zwei populären handbüchern der germani-
schen und nordischen mythologie, hat sich im sommer 1904 zwei monate lang (vom
4. juni bis zum 9. august) in Island aufgehalten und legt bereits jetzt, was ihm so
leicht keiner nachmachen wird, ein 2 bändiges reisewerk vor. Man darf ihm nach-
rühmen, dass er für seine reise umsichtig und sorgfältig sich vorbereitet hatte , indem
er bemüht gewesen war, über die politische und culturelle geschichte des landes,
seine natürliche beschaffenheit und seine wirtschaftlichen zustände, nicht minder aber
auch über seine spräche und litteratur durch das studium der einschlägigen werke,
deren zahl nicht gering ist, sich zu unterrichten.
Sein buch zerfällt, wie der titel andeutet, in zwei teile. Den grösseren räum
beansprucht der eigentliche reisebericht, da der Verfasser sich nicht darauf beschränkte,
die von allen touristen befahrene strecke von Eeykjavik nach der alten thingstätte
und den weltberühmten springquellen in augenschein zu nehmen und zu beschreiben,
sondern auch an der unwirtlichen, durch reissende gletscherströme gefährdeten süd-
küste entlang, die vor ihm noch kein deutscher reisender beti'oten hatte, vou einem
umsichtigen führer geleitet, seinen weg nahm, um über die südabhänge des Vatnajökull
hinweg den Djüpivogur zu erreichen, von wo aus dann der ritt in nnw. richtung
durch die JökuldalsheiSr und im tale der dem AxarfjörSr zuströmenden Jökulsa mit
ihrem grossartigen Wasserfalle (Dettifoss) fortgesetzt wurde, bis man bei Hüsavik die
küste des Eismeers erreichte und nun im weiten bogen, um das Myvata herum, nach
Akureyri am EyjafjörÖr, dem Zielpunkte der reise, gelangte. Er weiss mit lebendiger
anschaulichkeit, die dem trefflichen werke von Kälund (das ihn an stelle des noch
nicht vorhandenen reisehandbuches auf seinem ritt begleitete) abgeht, zu schildern
und von der durchzogeneu landschaft dem leser ein greifbares bild zu geben, dessen
eindruck durch die beigegebenen illustrationen (guten reproductionen wolgelungener
Photographien) noch verstärkt wird. Besonderes Interesse wendet der verf. den statten
zu, an denen von den altisländischen sagas berichtete denkwürdige ereignisse sich ab-
spielten, namentlich den aus der Njäla bekannten gehöften BergJ)örshväll und Hliöarendi
und ihrer näheren Umgebung, und er flicht längere auszüge aus diesen berichten in
seine erzählung ein, um auch seine leser* für diese jedem Isländer teuren erinnerungen
zu interessieren. Dass hierbei neue, für die Wissenschaft fruchtbare ergebnisse sich
herausstellen würden, war nicht zu erwarten, und wenn er hier und da betont, dass
der sagaschreiber infolge ungenügender kenntnis des lokals irrtümliche angaben ge-
macht hat oder dass die ströme in der Rangärvallasysla durch Veränderung ihres
laufes die landschaft im südon des I'rihyrningr nicht unbedeutend umgestaltet ha!)en,
so sind das dinge, die in der Arbok des Fornleif af elag , bei Kälund, Finnur Jonsson u. a.
längst festgestellt waren. Aber die aus zuverlässigen quellen und eigener anschauung
1) H. hofft, wie es scheint, ein grosses publikum zu finden und darunter auch
leute, die sich über die quartanerbildung nicht erhoben haben. Denn band I s. 32
lesen wir die belehrung, dass ein gewisser Tacitus 'der bedeutendste geschichts-
schreiber der nachaugusteischen zeit' gewesen sei!
ÜBER HERHMANN, ISLAND 375
geschöpften , überall von guter beobachtungsgabe und gesundem urteil zeugenden mit-
teilungen über das heutige Island, die handeis-, Verkehrs- und erwerbsverhältnisse,
das Schulwesen', die vielversprechenden anfange neuisländischer inusik, sculptur und
Schauspielkunst usw. begrüsst man mit aufrichtigem danke, und zahlreiche praktische
winke und ratschlage werden reisende, die nach dem verf. die alte Isafold besuchen,
mit vorteil benutzen. *
Der zw^eite teil des buches, die eingeschobenen capitel historischen, geographi-
schen und naturwissenschaftlichen Inhalts, sind nur als mehr oder minder geschickte,
aber unselbständige coni))ilationen zu bezeichnen, in denen die benutzten werke allzu
reichlich und allzu oft wörtlich ausgeschrieben sind (die gänsefüsschen, die diese ent-
lehnungen andeuten sollen, hätten um ein beträchtliches vermehrt werden können).
Im 2. capitel (bd. I s. 90fgg.) sind sogar aus der LandfneSissaga Islands von forvaldur
Thoroddsen auch die bibliographischen hinweise auf die von dem trefflichen isländi-
schen geologen in langer, mühseliger arbeit durchforschte, z. t. schwer erreichbare
litteratur in den fussnoteu reproduciert.
Eine nicht ganz unbeträchtliche anzahl von versehen und flüchtigkeiten wollen
wir dem Verfasser , dem sein mit arbeit gesegneter beruf zu litterarischer beschäftigung
wenig zeit übrig lässt, minder hoch anrechnen. Es ist ihm z. b. passiert, dass er einen
isländischen vogel, den seepapagei (lundi), den er bd. I s. 35 nach seiner zoologischen
quelle ganz richtig beschreibt und benennt-, auf s. 181 zu einem fische macht, weil
er der falschen Übersetzung eines (nicht erwähnten!) gewährsmannes^ allzu vertrauens-
selig gefolgt ist. Hätte er etwas minder eilfertig gearbeitet, so wäre ihm auch wol
nicht die kühne behauptung entschlüpft (I, 30), dass Pytheas von Massilia die erste
nordpolexpedition unternahm, oder (1,89) die befremdende mitteilung, Arngrimur
Jonsson habe als erster 'erwiesen', dass der Verfasser der Eddalieder nicht Saemundr,
sondern Snorri wäre (bd. II s. 37 zeigt er sich ja besser unterrichtet); er hätte sich viel-
leicht auch gesagt, dass das citat aus der Maria Stuart (I, 23) an jener stelle gänzlich
deplaciert ist. Bd. I s. 29 lesen wir: 'Hier (auf Häey) fand einst einer der bedeutendsten
wikingerkämpfe statt' — als wenn es um ein historisch festgelegtes ereignis des 9. jahrh.
sich handelte! Ebenda s. 152 werden als zeugen für den stand der Chirurgie im nor-
dischen altertum die Hrölfs saga Gautrekssonar, die Sturlaugs saga imd die V(jlsunga
1) Der klage, dass die ehrwürdige lateinschule zu Reykjavik durch die Um-
gestaltung des lehrplans aus einer heimstätte humanistischer bildung zu einer nur die
praktischen bedürfnisse anerkennenden und berücksichtigenden modernen 'normal-
anstalt' herabgesunken ist, kann man nur aus vollem herzen sich anschliesscn. Das
beispiel des norwegischen radikalismus ist leider auch hier massgebend gewesen, der
durch die Verbannung des griechischen aus den höheren schulen ebenso kulturfeind-
lich sich erweist wie durch .sein bestreben, die litteratursprache, in der grosso dichter
unsterbliche mcistorwerke schufen, durch ein destillat aus den rohen bauerndialekten
zu ersetzen. Es war die höchste zeit — und hoffentlich noch nicht zu spät! — dass
Björnstjerne Björnson sein zorniges: Quousqtie tandein! erschallen lioss: trifft man
doch Ijereits auch in wissenschaftlichen Zeitschriften aufsätze, die in dem nirgends
gesprochenen kunstjargon geschrieben sind, was mau nur als groben unfug be-
zeichnen kann.
2) Vgl. die interessanten mitteilungen über den fang dieses vogels auf den
Fferöer bei Hammershaimb, Fairosk anthologi I (Kl)h. 1891) s. XXXfg.
3) Rud. Kügtl, Lit-gesch. I, 57. Auf einen zweiten Übersetzungsfehler dieses
gelehrten, den Herrmann ihm ebenfalls auf treu und glauben nachschreibt (berin
' bäronfleisch ' ! !) , hat bereits Andr. Heuslor (Anz. f. d. alt. 22, 244) aufmerksam
gemacht.
376 GERING ÜBER HERRMANN, ISLAND
saga citiert! — Der berühmte erfinder des lichtheil Verfahrens, Fiusen, war nicht, wie
bd. I s. 151 angegeben wird ein Isländer, sondern ein Faeringer (wenn auch aus isländi-
dischem geschlechte). — Zu der behauptung (I, 190): 'Roggen (rugr) wird öfter in den
Edden und sagas erwähnt' inuss ich ein grosses fragezeichen machen. In der Lieder -
Edda kommt, das wort jedesfalls nicht vor, und in der Snorra Edda (II, 493) nur in einer
nafnaj)ula, die die suös heiti zusammenstellt, was für isländischen roggenbau ebenso
wenig beweisend ist wie die erwähnung von roggenmehl in einer visa der Bjarnar saga
Hitdoelakappa (str. 14*): alle andern belege für rugr und seine composita, die bei
Fritzner und Gu5br. Vigfüsson sich finden, stammen, wenn man von der Lakningabok
absieht, die bekanntlich kein originalwerk ist, ausschliesslich aus norwegischen quellen.
— Die angäbe, dass Island, fjos aus fe-hüs entstanden sei (I, 218) ist ohne zweifei
unrichtig (vgl. Noreen, Altisl. gramm.' § 111) und überaus seltsam die meinung (I, 268),
dass die ausspräche des rn und U als ddn und dal, die schon im 15. jahrh. sich
nachweisen lässt (Noreen, Grundr. P. 583) 'historisch nicht berechtigt' sei. — Bd. I
s. 237 sagt der verf.: 'Der Königsspiegel ist die älteste cetologie, die wir haben';
dieser ausspruch (vermutlich veranlasst durch den titel von Konr. Maurers bekannter
abhandlung, Zeitschr. 4, 8lfgg.) muss doch notwendigerweise bei unkundigen die
meinung erwecken , dass in der Konungsskuggsjä von weiter nichts als von walen die
rede sei; wenn ebenda angegeben ist, dass häslieröingr (== häkerling, häkarl) das
'seekalb' bezeichne, so ist das nur ein aus "Weinholds Altnordischem leben herüber-
genommener, vermutlich durch wörtliche Übersetzung des dän. havkalv (einer volks-
etymologischen umdeutuug von altn. hä-karl) entstandener Irrtum, da jene isländischen
Wörter nur verschiedene namen einer haifischart (squalus carcharias) sind. — Bd. I
s. 286 lesen wir, dass Snorri Sturluson, 'einer der grössten männer aller zeiten'(!)
zweimal gesetzsprecher, 'd. h. präsident des freistaates' gewesen sei, was zu ganz
falschen Vorstellungen anlass geben könnte, da gerade das die charakteristische eigen-
tümlichkeit des isländischen Staatswesens war, dass eine centralgewalt mit executiven
befugnissen nicht existierte und (wie s. 108 ganz richtig bemerkt ist) die functionen
des iQgsQgumaSr sich im wesentlichen darauf beschränkten, während des althings vor-
trage über das geltende recht zu halten und in strittigen fällen gutachten zu erteilen. —
Dass das wort godi (got. gudja) ursprünglich einen 'besprecher' oder 'zauberer' be-
zeichnet habe (I, 102) dürfte schwerlich zu erweisen sein. — Bei der beschreibung
eines flügelaltars in der kirche zu BessastaSir (I, 331) äussert H. sein erstaunen, dass
'bei den seitenbildern sogar die rückseite auch bemalt ist", scheint also nicht zu
wissen, dass dies bei triptychen geradezu die regel bildet. Die von ihm selbst mit
bedauern eingestandene Unkenntnis des Schachspiels (I, 365) bekundet er dadurch, dass
er die figur der riddari durch 'soldat' statt durch ' Springer' verdeutscht. — Finnur
Magnussen (Finn Magnusen) erhält bd. I s. 340 das ehrende prädikat: 'der berühmte
Sammler isländischer handschrifteu', auf das Arni allein gerechten anspruch hat,
während die bescheidenen Verdienste von Finnur, der allerdings auch handschriften
sammelte, auf einem ganz anderen gebiete liegen. — Dass SkarpheSinn auf seiner
nase eine 'warze' hatte (bd. II s. 60) wird in der Njala nicht berichtet, denn die von
Möbius im Glossar gegebene erklärung von lidr ist unrichtig (s. Fritzner s. v. und
Kälund zu Laxd. c. 63, 12). — Auffallend ist auch die Sorglosigkeit, mit der H. über
die nordischen genusregeln sich hinwegsetzt: 'später zog man in den wiking' (1,85),
'in dem sogenannten vertief' (I, 244), 'der bür' (I, 313), 'eine abschritt des Land-
nämabök'il, S27), 'an der prestasköli' (11,36), 'der läla SncBfelV (II, 172), 'in der
DyngjufjöW (II, 178), auf der Hrafnasker (II, 235) usw. Ärgerlich endlich ist es,
MAROLD ÜBER PIQUET, GOTTFRIKD DE STRASBOURG 377
dass der verf. die bd. I s. VII aufgestellte regel für die worttrounung, die so allgemein
ausgesprochen falsch ist, in den ersten 11 bogen (später hat ihm wol ein isländischer
freund den star gestochen) mit pedantischer consequenz strengstens befolgt: landl-
ceknir(\)^ forum - aÖr {\)^ Hjeradsv - atn {\) usw. usw.
Auch über den deutschen ausdruck ist verschiedentlich klage zu führen: vgl.
z. b. 1,259: 'man schloss gemäss des berichtes alter leute, dass dies Egils ge-
beine wären'; I, 268: 'um eben der Schwierigkeit der ausspräche wegen'; I, 313:
'die alten Deutschen pflegten unter dem boden höhlen zu öffnen'; I, 322: 'die
kühe stehen zuweilen im winter unter oder neben der baSstofa, um die wärme auf-
zufangen'; I, 345: '1608 wurden die noch stehenden Speicher . . abgebrochen oder
eingelegt (?); I, 365: 'eine Zeitschrift. . die er ausschliesslich allein schrieb';
II, 44: 'ein tal von völlig alpinenhaftem charakter'; u. a. m. Als unzulässige
connivenz an die nordische gepflogenheit muss es bezeichnet werden, wenn ein
Deutscher von Südjütland statt von Schleswig spricht (bd. II s. 254).
Die correctur ist, obgleich H. durch einen hilfsbereiten collegeu unterstützt
wurde, recht mangelhaft ausgeführt. Ich halte mich nicht bei den harmloseren
druckfehlern auf, die jeder leser selbst berichtigt, sondern verzeichne nur die schlim-
meren und sinnstörenden: band I s. 42'° lies unterseeischen st. unterirdischen; 48"
braunkohlenablagerungen st. braunkohlablagerungen; 74^- zu ross st. zu fuss; 98-" im
sogenannten Julianehaabs-distrikt; 150^ leberbandwurms st. lederband wurms; 154*^
isländische st. griechische; band IT s. 12'^ königsspiegel st. königsspiel; 37*' Ver-
gessenheit st. Vergangenheit; 54*' rollt st. sollt; 99" zu zeiten st. zuweilen. Be-
sonders häufig sind nordische Wörter verunstaltet (wobei ich von den unzähligen ver-
gessenen oder falsch gesetzten accenten sowie von der Verwechslung zwischen (/ und d
ganz absehe): band I s. 47 " lies lagttagelser st. Jagttagelser (ebenso II, 69^); 48®
Borgarhraun st. -hrann; 176" Al{)ingishiis st. Alpingis- (das cursive p in der ver-
wendeten Schrift sieht allerdings, weil die hasta nach oben übermässig verlängert ist,
einem ^ verzweifelt ähnlich); 215*" Fjdrhorg st. Fiaar-; 236* Föstbr. st. Fröstbr.;
236'- veidarfceri st. -fj'feri; 268'^ jeg skil st. jey skild; 279' Prr/;lastraumiir st.
-stramur (übernommen aus Kälund II, 413!); band II s. 46" Pörsimrk st. Pörsmörk]
59'^ u. ö. Bergjjöra st. -p6ra\ 123** Syshtmadr st. Sylumadr\ 131'^^ smorrebrod
st. smörbrod; 164'" Pvottdreyjar st. Pvottdr-\ 240*^ HallormsstaSaskogur st. Hallorm-
stadak6gur\ 251 - stofmin st. siofmim; 252'^ bnkasafn st. bökarsafn; 261 ' Minningarrit
st. Mmmgarrit; 271'" Pormödseyrr st. -err usw. usw. Hübsch ist es auch nicht,
dass der name des von H. häufig citierten und um Island wolverdienten Wiener Schrift-
stellers J. C. PoestioD consequeut falsch geschrieben wird: denn jedermann, nicht
bloss ein Goethe, hat das recht, die respectierung seines ererbten hantgemäl zu fordern
(vgl. auch I, 72 u. ö. Howel st. Howell).
KIEL. HUGO GERING.
Piquet, F. (professeur ä la facultö des lettres de l'universite de Lille), L'origiualite
de Gottfried de Strasbourg dans son porme de Tristan ot Isolde.
Etüde de litterature comparee. Lille 1905 (Travaux et momoires de
l'universite de Lille. Nouvello Serie I. Droit- Lettres. — Fascicule 5). 380 s. 8"'.
1) Vgl. DLZ 1906 d. 24. februar (E. Martin), Rovue critiquo 1906 d. 23. juli
(E.Henry Bloch), Herrigs Archiv N S. XVII (1906) s. 195—199 (M. J. Mjnckwitz).
378 MAROLD
Wenn E. Kölbing in seiner „Tristrams Saga" s. CXLVIII die ansieht aus-
sprach, dass seine Untersuchung dazu dienen werde, „derneigung, denjenigen unserer
mittelhochdeutschen dichter, welche nach französischen quellen gearbeitet haben,
diesen gegenüber eine übergrosse fülle von subjectivität und selbständigem urteil zu
vindicieren, ein für allemal ein ende zu machen", so schoss dieses urteil doch wol
über das ziel hinaus und blieb daher nicht unwidersprochen (vgl. E. Bechstein, Gott-
frieds von Strassburg Tristan^ s. XLII). Seine grundlegenden quellenuntcrsuchungen,
die zum ersten male unwiderleglich dargetan haben, dass Gottfried „peinlich genau"
nach dem französischen Thomasgedichte gearbeitet habe, schliessen an sich eine ge-
wisse Selbständigkeit, die auch über stilistische unterschiede hinausgeht, nicht aus.
Auf der grundlage dieser und anderer Untersuchungen deutscher und französischer
Tristanforscher war erst die arbeit J. Bediers möglich, der 1902 als ersten band von
nr. 46 der Societe des anciens textes fran<,-ais seine inhaltliche reconstruction des
roman de Tristan par Thomas unter eiufügung der erhaltenen Thomasfragmente ver-
öffentlichte, dem dann 1905 der zweite band, die einleitung, folgte, die mit grosser
Vollständigkeit und feinsinnigem urteil die Tristanfrage ihrem gesamten umfange nach
kritisch beleuchtet und zu eineiu vorläufigen abschluss gebracht hat. In einem be-
sonderen capitel hat er auch die frage gestreift, wie weit Gottfried original genannt
werden kann, aber p. 80 sich beschieden: „C'est aux critiques de Gottfried de le
tenter, si notre reconstruction du Tristan de Thomas leur offre pour la premiere fois,
comme nous l'esperons, une base solide". Dieser aufgäbe hat sich F. Piquet in der
vorliegenden preisgekrönten Schrift, die er J. Bedier widmet, mit einer hingebung und
einer schärfe des Urteils unterzogen, die das werk zu einer der bedeutendsten ger-
manistischen arbeiten der letzten zeit machen. Das buch ist auch insofern beachtens-
wert (ebenso wie Bediers Thomas), als es uns zeigt, dass es in wissenschaftlichen
fragen keine nationalen unterschiede gibt und geben sollte. Schon durch seine Etüde
sur Hartmann d'Aue (1898) hatte der Verfasser sein geschick bekundet, sich liebevoll
in einen dichter unserer nation zu versenken, seine abhängigkeit von französischen
Vorbildern und seine künstlerische Selbständigkeit scharfsinnig abzuwägen und die
letztere zu einem gesamtbilde zu vereinigen, wie wir sie bis dahin — trotz Schön-
bachs wertvollem buche über Hartmann von Aue — noch nicht hatten. Dass man
in Frankreich auch andere meinungen über das Verhältnis unserer mittelhochdeutschen
dichter zu ihren französischen vorlagen hegt, zeigt das 1901 erschienene buch von
.1. Firmery, Notes critiques sur quelques traductions aliemands de poemes franpais au
moyen äge, das sich in seinem dritten ca|)itel auch mit Gottfried beschäftigt und ihn
auf grund von einzelnen wörtlichen anklängen p. 120 als einen sklavischen Übersetzer
bezeichnet, der von Thomas und Chretien so genau wie möglich abhängt. Piquet
citiert diesen seinen landsmann einmal en passant, ohne jedoch gelegenheit zu nehmen,
seinen prinzipiell verschiedenen Standpunkt Gottfrieds dichtung gegenüber besonders
zu betonen: sein buch spricht ihn vernehmlich genug aus.
Nachdem P. in einer einleitung seine kritischen grundsätze dargelegt hat, geht
er mit grosser besonnenheit auf dem vorgezeichneton wege auf sein ziel los. Er
vergleicht mit senipulöser geuauigkeit die 3144 erhaltenen verse der Thomasfragmente,
allerdings unter der Voraussetzung, dass die fragmente ein und demselben gedichte
oder gar derselben redaction angehört haben, mit den entsprechenden teilen der Saga,
um dann die gewonnenen rosultate für die vergloichung der Saga mit Gottfried ver-
werten zu können. Eine ebenso oxacte vergleichung zwischen 142 Thomasversen mit
den entsprechenden Gottfriedisclien versen ist besonders instructiv für die richtige
ÜBER PIQUET, GOTTFRIED DE STRASBOURG 379
ästhetische Würdigung Gottfrieds, weil einige grundzüge seiner genialen dichterischen
Persönlichkeit schon hier zum ausdruck kommen. Die Saga mnss also neben den ge-
ringen festen des Thomasgedichtes die eigentliche gmndlago der vorgleichung Gott-
frieds mit seiner vorläge abgeben. In dem folgenden hauptteile des buches, der ab-
schnitt für abschnitt (nach Bechsteins capiteleinteilung) , fast vers für vers diese
vergleichuug durchführt, wird nur gelegentlich in zweifelhaften fällen der Sir Tristrem
(noch seltener die folie Tristan und der prosaroman) herangezogen.
Dass P. zur feststellung der dichterischen persönlichkeit Gottfrieds und zur
Charakteristik seines Schaffens auf die partieen besonders hinweist, in denen wir
notwendig sein geistiges eigentum sehen müssen, lag in der natur der ganzen frage:
also auf den prolog, die litterarischo stelle in der Schilderung der schwertleite, in der
allegorischen dcutung der minnegrotte und in allen den kürzeren oder längeren stellen,
in denen er offen seine persönliche meinung ausspricht oder gegen die Überlieferung
polemisiert. Hier freilich werden wir schon vorsichtiger sein müssen, wenn wir z. b.
sehen, wie Gottfried in der bekannten kritik seines gewährsmannes Thomas (v. 146 fgg.)
einfach eine stelle übertragen hat, in der Thomas fast dasselbe von seinem Vorgänger
Breri sagt (vgl. J. Bedier, Lo Roman de Tristan I p. 377 v. 2116 — 2123 und dazu
II p. 38j. Doch P. geht recht vorsichtig zu werke; er scheidet p. 7 fg. die stellen,
wo Gottfried sich auf dax. nirere beruft und durch die Saga und Sir Tristrem con-
trolliert werden kann , von denen , wo die Saga und Sir Tristrem schweigen. Freilich
eine andere frage ist es, ob wir dem Verfasser in seiner identifLcierung von S (Saga) und
und T (Thomas) werden überall folgen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass
die fragmente des Thomasgedichtes, die sich mit S vergleichen lassen, vorwiegend
wenig haudlung, dagegen viel reflexion, dialoge und monologe enthalten und Sir
Tristrem nur einen balladenartigen auszug aus der ganzen handlung gibt. AVir können
daher doch kein für alle fälle sicheres urteil darüber abgeben, wie in bezug auf die
reihenfolge der ereignisse das Verhältnis zwischen S und T war, selbst wenn wir
zugeben, dass die junge handschrift, in der uns S überliefert ist, im wesentlichen
die arbeit des mönchs Robert repräsentiert. Ob also z. b. auch die allegorische
deutung der kleider der jungen ritter in spe, wie sie Gottfried 4553 fgg. unter be-
rufung auf dax mcere gibt und die in S nicht steht, trotzdem auf T zurückzuführen
sein wird, wie Heinzel wollte, oder nicht, ist kaum zu entscheiden. Ebenso ist auch
inbetreff der Umstellungen einzelner handlungen oder reden, wie sie in Gottfrieds
gedieht gegenüber der Saga mehrfach sich zeigen, durchaus noch nicht entschieden,
dass wir hierin selbständige änderungeu Gottfrieds vor uns sehen und nicht vielmehr,
wie Kölbing wollte, spuren einer anderen redaction von T, die Gottfried vorlag.
P. ist allerdings nicht bestrebt, wichtige abweichungen Gottfrieds von S ihm
allein zuzuschreiben. In der berühmten stelle 73 15 fgg., die die erzählung von der
fahrt Tri.stans nach Irland, um seine wunde heilen zu la.ssen, enthält, rechnet er
durchaus mit dem factor, dass S verstümmelt den text von T widergibt. Er setzt
sich mit Kölbing und mit Bedier in der frage auseinander, ob T den Tristrem itdok
u-äne oder mit bestimmt ausgesprochener absieht nach Irland hat fahren lassen. Der
beweis, dass S und Sir Tristrem (vgl. v. 1162 to wil) trotz der kürze doch spuren
der zweiten auffassung von Tristans fahrt zeigen, scheint mir durchaus gelungen zu
sein; aber das bedenken, ob wir wirklich gezwungen sind, S und iSir Tristrem auf
dieselbe redaction von T zurückzuführen, wie Gottfried, ist doch noch nicht beseitigt.
Auf s. 250 bespricht P. die beiden stellen 13781 — 13816 und 13817-13856,
wo einmal zweifei und argwöhn in der liebe verwünscht werden und dann ohne ver-
380 EHRISMÄNN
mittlung das gegenteil ausgeführt wird. In meiner Tristanausgabe s. LVI habe ich
die Vermutung ausgesprochen, dass wir es hier mit einer doppelten recension Gott-
frieds selbst zu tun haben', uud die ausführungen Piquets bestärken mich nur darin,
zumal der zweite gedanke mit einer andern originalen partie Gottfrieds v. 13053 fgg.
inhaltlich sich berührt; zu beachten ist auch, dass 13817 — 13856 in der Münchener
Tristanhs. fehlen. Dass aber v. 15 181 fg., wie Piquet s. 261 nr. 2 vermutet, unecht
sein sollen, vermag ich nicht einzusehen; dass Tristan von Brangäne bereits auf das
gestreute mehl aufmerksam gemacht ist, genügte doch noch nicht unter allen um-
ständen Tristan , diese list zu schänden zu machen , es musste sicher auch darauf hin-
gewiesen werden, dass er für den gewagten sprung noch die genügende beleuchtung
hatte, um die entfernung abschätzen zu können; dass ferner v. 15 140 fgg. das licht
verhangen ist, steht dem Inhalte jener fraglichen verse auch nicht im wege.
Es ist sicher richtig, dass, wie P. s. 279 ausführt, weder S noch Sir Tristrem
eine genaue beschreibung der minnegrotte geben, aber S enthält doch cap. LXIV
die grundlinien der beschreibung. "Wenn sich also Gottfried v. 16707 auf dax mcBre
beruft, so können wir schon annehmen, T habe die wesentlichsten züge dieses liebes-
paradieses ihm bereits zur Verfügung gestellt. Trotzdem enthält sicher diese scene sehr
viel eigenes von Gottfried, vor allem die allegorische deutung mit ihrem rein persön-
lichen ton und dem selbstbekentnis, die übrigens wider in der Münchenor Tristanhs.
fehlt (16905 — 17142); vgl. s. LVfg. meiner Tristanausgabe über die Kicken dieser hs.
Ein paar kleine versehen sind noch stehen geblieben, von denen ich die
wesentlichsten berichtige: S. 164 z. 7 ist 7235 statt 7335 zu lesen, s. 197 nr. 1 ist
als fünfte stelle, wo Paranis vorkommt, noch 10708 hinzuzufügen, s. 265 z. 2 rauss
15660 statt 15560 stehen, s. 287 ist durch eine merkwürdige ideenassociation aus
Bl. von Steinahe ein Bl. von Steinbach geworden, s. 298 fgg. ist überall huote statt
huot zu lesen.
Das buch als ganzes ist eine hervorragende erscheinung, ein schönes denkmal
für unseren Gottfried. Der letzte teil, der Gottfried als mensch und dichter charak-
terisiert, vereinigt die durch mühsame einzeluntersuchung gewonnenen steinchen zu
einem glänzenden mosaikbilde, aus dem uns in ermangelung der kenntnis von den
äusseren lebensumständen des dichters nun ein bild des inneren menschen entgegen-
strahlt, wie wir es uns glänzender bisher nicht vorstellen konnten. P. ist selbst er-
staunt über dies bild: „de l'epreuve ä laquelle nous l'avons soamise, la gloire de
Gottfried sort plus rayonnante".
1) Ich benutze hier die gelegenheit, einen störenden druckfehler auf jener seite
zu verbessern: Z. 12 v. u. ist ein „nicht" zwischen „überhaupt" und „vor" ein-
zuschieben. — S. 201 ist huote für das unberechtigte not einzusetzen (v. 14420).
KÖNIGSBERG I. PR. K. MAROLD.
Die Personennamen der deutschen Schauspiele des mittelalters von
Wilhelm Arndt. Germanistische abhandlungen , 23. heft. Breslau, M. u. H. Marcus
1904. X, 113 s. 8». 3,60 m.
Das spiel von den zehn Jungfrauen uud das Katharinenspiel, untersucht
und herausgegeben von Otto Beckers. Germanistische abhandlungen, 24. heft.
Breslau, M. u. H. Marcus 1905. VIII, 158 s. 8°. 5 m.
Arndt hat das material tleissig gesammelt, auch belege für das vorkommen
seltenerer uamen aus andern mhd. diclitungen und aus geschichtsquellen beigebracht,
ÜBER ARNDT UND BECKERS 381
aber über eine statistische aufzählung mit etymologischen erklärungen und erklärungs-
versuchen ist er nicht hinausgekommen. Er ist zu sehr an der rein sprachlichen seite
der aufgäbe haften geblieben und gibt z. b. etymologien von so bekannten namen wie
Franciscus, Cunrat, Eberhart und dgl. Das thema konnte aber zu einem kulturbild
erweitert werden, wobei allerdings die Untersuchung auf einen viel breiteren boden
hätte gestellt werden müssen.
Das spiel von den zehn Jungfrauen ist in zwei handschriften auf uns
gekommen, der Mühlhauser (A) und der Darmsüidter (B). Beide gehen auf eine ge-
meinsame quelle zurück. B ist eine ziemlich starke Umarbeitung, die hauptsächlich
durch ausmalung ergreifender scenen vielfach erweitert ist. Da aber in A ebenfalls die
Überlieferung oft fehlerhaft ist, so blieb für die kritik ziemlich viel Spielraum. Beckers
hat die aufgäbe der texther.stellung mit geschick gelöst. Die Zusätze von B verraten
sich in vielen fällen schon äusserlich durch massenhaft gleiche bindungen {gen '.ge-
sehen-.sen) als unecht, anderes aber liegt, besonders bei A, verdeckter.
Die beurteilung der einschaltungen wie die textkritischen fragen überhaupt
fallen den beiden ersten capiteln zu (I. Die Überlieferung, s. 1 — 22, IL Die behand-
lung des Stoffes, s. 23 — 37, wo auch die beschreibuug der handschriften und ihrer
spräche |A thüringisch, B oberhessisch mit resten des thüringischeu Originals]).
Das dritte capitel enthält „die entwickluugsgeschichte des zehnjungfrauenspiels" (s. 38
bis 44). Unabhängig ist es von dem altfranz. Sponsus. Der grundstock ist hergestellt
aus dem text der evangelien, aus anderen versen der Bibel, aus antiphonen und
wenigen hymnen. Für das zu gründe liegende lateinische spiel will der Verfasser zwei
entwicklungsstufen annehmen und rechnet unter die zutaten der zweiten stufe be-
sonders zwei hymnen. Das würde also zwei redactionen voraussetzen. Aber beweis-
gründe sind dafür nicht vorzubringen, vielmehr gehören solche lyrisch gehobene ein-
lagen zu dem wesen dieser späteren lateinischen spiele, wie denn auch schon der nah-
verwandte Benedictbeurer Ludus paschalis durch pathetische stellen ausgeschmückt
ist (vgl. W. Meyer, Fragm. Bur. s. 65fgg.).
Im vierten capitel, „das zehnjuugfrauenspiel und die tradition des geistlichen
Schauspiels" (s. 45 — 95), werden die berührungen mit anderen spielen aufgedeckt.
Verwandtschaft, teilweise unmittelbare benutzung, lässt sich erweisen für das Kün-
zelsauer fronleichnamsspiel, das Juttaspiel, den Ludus Mariae Magdalenae in gaudio
(Erlauer spiele IV), das Alsfelder passionsspiel, die Frankfurter und Inusbrucker
spiele. — Die Stimmung, aus welcher das lateinische spiel mit der idee 'bereit sein
ist alles' hervorgieng, findet der Verfasser in jener starken religiösen bewegung,
welche 1260 von Umbrien aus die gläubigen des mittleren und oberen Italiens in
ihrer seelenangst zur exstase hinriss und deren sittlicher grundgedanke das gefühl
der Sündhaftigkeit, das bedürfnis der busse war. Auch nach Deutschland, aber nur
nach den oberen landen, hat diese erregung, ein verlauf der späteren geisselfahrten,
übergegriffen. So wäre allerdings hiermit ein günstiger boden gegeben gewesen für
die entstehung eines bussspiels. Aber diese epidemie war, wie auch dio von 1349,
nur akut Am ende des dreizehnten Jahrhunderts, wo der Verfasser dio entstehung
des lateinischen spiels ansetzt, konnte diese plötzliche erscheinung nicht mehr auf die
dichterische hervorbringungskraft anregend einwirken. Zu der auffassung dieser zeit
gehört aber doch das thema von der bereitschaft und in der zwoiti'u hülfto dos Jahr-
hunderts wird darum wol das lateinische original entstanden sein.
Unter der metrik (s. 5fgg.) hat der Verfasser nur den reimgebrauch beobachtet.
Aber in der wähl der rhythmen gerade zeigt sich die stärke des dichters, durch die
382 WUNDERLICH ÜBEK BRENNER, DIE ORUNDLAGEN UNSERER RECHTSCHREIBUNa
künstlerisclie form zu wirken. Nach der Stimmung wechselt der rhythmus. Easch
bewegt durch viele Senkungen sind z. b. die leichtsinnigen, zum vergnügen auffor-
dernden reden der törichten Jungfrauen v. 73fgg., dazu im gegensatz stehen die
ernsten, angstvollen mahnungen zum wacbseiu, v. 117fgg., getragen in langsamem
tempo mit wenig Senkungen. Zu leidenschaftlicher erregung steigert sich der aus-
dnick in den zwischen kurzen und langen versen an- und abschwellenden klagen der
fatuae bes. v. 421 — 502; die reden der do?ninica persona, einfach und würdevoll in
der Sprache, haben dagegen gleichmässige , wenig bewegte rhythmische formen (die
abschreiber haben hier öfter längere versa gesetzt, die sofort durch ihre stilwidrigkeit
aus dem rhythmischen Schema herausfallen, so A 238. 248. 274 und wahrscheinlich
auch 250, B 201). In der declamation und der sprachmelodik muss eine solche ab-
wechslung wirksam zur geltung gekommen sein.
Kürzer ist, seiner geringeren bedeutung entsprechend, das Katharinenspiel be-
handelt. Auch hier verdient die herstellung des textes alles lob, zumal mehrere
schwierige entstellungen in der handschrift vorliegen.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
Die lautlichen und geschichtlichen grundlagen unserer rechtschrei-
bung von 0. Brenuer. Leipzig, B. G. Teubner 1902. 11, 68 s.
Das büchlein ist aus vortragen erwachsen, die den teilnehmern der Würzburger
ferienkurse das Verständnis erschliessen sollten für die bedingungen, unter denen ein
Schriftsystem sich entwickelt, und für die Grundlagen, auf denen unsere deutsche
rechtschreibung beruht. Daraus ist, wie begreiflich, eine Verurteilung des heutigen
Systems gefolgert worden, doch hebt der verf. ausdräcklich hervor, dass er niemand
veranlassen wolle, „an der nun neu gewonnenen reichsorthographie zu bessern", sie
möge „ fortbestehen bis alle massgebenden kreise von ihrer Unzulänglichkeit überzeugt
sein werden und eine wirklich befriedigende, moderne Schreibung fertig vorbereitet
zur Verfügung steht".
Wir haben also zwei richtungen, in denen die darstellung sich bewegt, eine
didaktische und eine polemische. Die ausführuugen, die der belehrung und aufklärung
dienen, sind in mustergültiger knapper form dargeboten, nichts ist unterlassen, was
das Verständnis erleichtern könnte. Die physiologische erklärung bereitet den boden
vor, auf dem die historische Würdigung nachpflügt. Vielleicht dass dann und wann
in dem bestreben knapper Zusammenfassung eine einzelheit abgestreift wurde, die für
die Zeichnung hätte bestimmend sein können. Auch des eindrucks kann man sich
nicht erwehren, dass die polemische richtung auf die auswahl der vorzuführenden
tatsachen zu sehr drückte.
Und wenn sich dann aus der darstellung der geschichtlichen grundlagen der
deutschen rechtschreibung das gleiche ergebnis herausschält, das die geschichtliche
betrachtung unserer spräche überhaupt erzielt, dass willkür und inconsequenz in allem
gewordenen mitsprechen, so ist dies kein genügender anlass, gerade das schriftsystein
von den Schicksalen ausnehmen zu wollen, die es mit anderen richtungen des sprach-
lebens teilt.
Die allgenieingültigkeit als wichtigste eigenschaft einer Orthographie bringt auch
in diese frage, wie Brenner richtig anerkennt, das konservative moment herein; gegen
dieses kann wol nur unter dem gesichtspunkt der technischen Schwierigkeiten ange-
kämpft werden, die das erlernen des Systems in der Volksschule bereitet. Durch die
NEDK KRSOriKINTJNGEN 383
didaktischen zwecke der vortrage ist diese seite der bevreisfühning naturgemäss zumck-
gedrängt. Immerhin kommt sie zur geltmig in der dritten von Brenners schluss-
forderuugen (keine lautverbindivngen , wo einfache laute vorUegen, kein seh, ng, ch
s. 61). Ob dem obersten grundsatz, den er aufstellt „für jeden laut ist ein zeichen
zu wählen, das den verschiedenen gleichwertigen aussprachsformen des deutschen
Sprachgebietes in gleichem inasse gerecht wird " (s. 60) schon jetzt nachgegeben werden
kann, scheint mir fraglich. Der verf. täuscht sich gelegentlich (vgl. s. 83 zu „m"
und ..2") über die tatsächlichen Verhältnisse norddeutscher ausspräche. Durch tat-
sächliche gegensätze in der landschaftlichen ausspräche würde auch die durchfühning
des zweiten grundsatzes (nicht mehrere zeichen für einen laut) erschwert, während
der fünfte grundsatz (länge- oder kürzebezeichnung nur in den nötigsten fällen und
jedesfalls entweder nur die länge- oder nur die kürzebezeichnung) sich schon
in der heutigen rechtschreibung ohne Schwierigkeit hätte durchführen lassen.
HALENSEE. HERMANN WUNDERLICH.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaction ist bemüht, für alle zur besprechnng geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige refercnten zu gewinnen , übernimmt jedoch keine Verpflichtung , unverlangt
eingesendete bücher zu recensieren. Eine zurücklief erung der rocensions-exemplare an
die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Forrer, Robert, Reallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen
altertümer. Mit 3000 abbildimgen. Stuttgart, W. Spemann (1908). Till, 943 s.
Haskell, Juliana, Bayard Taylors translation of Goethe's Paust. New York, Columbia
University Press 1908. XI, 110 s.
Helhiuist, Elof, Nägra anmärkningar om de nordiska verben med media -geminata.
[Güteborgs högskolas arskrift 1908. H.] Göteborg 1908. 51 s.
Mildebrath, Berthold, Die deutschen -avanturiers' des 18. Jahrhunderts. [Würz-
burger di.ssert.] Gräfenhainichen , C. Schulze & Co. 1907. (IV), 147 s.
Sachs, Haus. — Geiger, Eugen, Hans Sachs als dichter in seinen fabeln und
schwanken. [Progr. des gyninasiums zu Burgdorf in der Schweiz 1908.] VI. 53 s.
Schissel von Fieschenberg, Otmar, Das adjektiv als epitheton im liebesliede des
zwölften Jahrhunderts. Leipzig, E. Avenarius 1908. XIII, 144 ß. (=Teutöuia.
Arbeiten zur germanischen philologie hrg. von "W. Uhl. 11. heft).
Schönbaeh, Anton E., Studien zur erzählungsliteratur des mittelalters. Siebenter
teil: Über Caesarius von Heisterbach II. S. A. aus den Sitzungsberichten der
kais. akademie der Wissenschaften in Wien. Phiios.-histor. klasse, bd. CLIX.
Wien 1908. 51 s.
Untersucbun«-en und quellen zur germanischeu und romanischen philologie, Johann
von Kelle dargebracht von seinen kollegen und Schülern. 1. teil. Mit Unter-
stützung der Gesellschaft zur förderung deutscher Wissenschaft, kunst und literatur
in Böhmen. [Prager Studien herausgegeben von Carl von Kraus und Augu.st
Sauer. VIII.]
Darin u.a.: E. Berneker, Weihen. — Fr. v. d. Leyen, Der gefesselte un-
hold. — J. .lanko, Zum lautwort des gotischen h. — W. Meyor-Lübke, Ger-
manisch-romani.sche Wortbeziehungen. — A. Pogatscher, Zur behandlung von
lat. XI in altenglischen lehuwörtern. — W. Keller, Über die akzent»^ ii> <1.m.
384 NACFTRICHTEN
angelsächsischen handschriften. — V. E. Mourek, Zur syntax des konjunctivs
im Beowulf. — "W. Wilmanns, Zur althochdeutschen declination und Wort-
bildung. — E. Stein mey er, Isidor und Fragmenta theotisca. — J. Schatz,
Zur spräche der Wessobrunner denkmäler. — E. Sie vers, Zur- älteren Judith. —
C. V. Kraus, Die ursprüngliche sprachform von Veldekes Eneide. — R. Much,
Zur EigsJ)ula. — P. Lessiak, Der vocalismus der tonsilbeu in den deutschen
uamen der ältesten kärntnischen Urkunden. — E. Martin, Zur geschichte der
tiersage im mittelalter. — A. "Wallner, Kerling und Spervogel. — S. Singer,
Literarhistorische misceüen. — G. Ehrismann, Die treue in Hartmanns Armem
Heinrich. — J. Seemüller, Zur poesie Neidharts. — E. Schröder, Der dichter
der Guten frau. — V. Junk, Eine historische anspielung in Rudolfs Wilhelm. —
W. Foerster und K. Burdach, Die Nikolsburger Bispelhandschrift. — A. Leitz-
mann, Zu den Kitzinger fragmeaten der Schlacht von Alischanz. — J. Bolte,
Zehn meisterlieder Michael Beheims. — E. Priebsch, Die grundfabel und ent-
wicklungsgeschichte der dichtung vom bruder Rausch. — A. Bernt, Ein beitrag
zu mittelalterlichen Vokabularien. — M. H. Jellinek, Zur geschichte der agglu-
tinationstheorie. — H. Tschinkel, Der geuitiv in der Gottscheer mundart. —
G. Roethe, Regelmässige satz- und Sinneseinschnitte in mittelhochdeutschen
Strophen. — H. Lambel, Ein bruchstück einer deutschen predigt Bertholds von
Regensburg. — K. Zwierzina, Bemerkungen zur Überlieferung des ältesten
textes der Georgslegende. — A. Sauer, Aus Jacob Grimms briefwechsel mit
slavischen gelehrten.
Vollmer, Hans, Ein deutsches Adambuch. Nach einer ungedruckten haudschrift
der Hamburger stadtbibliothek aus dem XV. Jahrhundert. Mit zwei illustrations-
proben. Hamburg, Gelehrtenschule des Johanneums 1908. 51 s.
NACHRICHTEN.
Der ausserordentl . prof. dr. Max frhr. von "Waldberg (Heidelberg) ist zum
ordentl. honorarprofessor ernannt.
Es habilitierten sich: in Zürich für germ. philol. dr. Rudolf Pestalozzi,
in Wien für neuere deutsche litteraturgeschichte dr. Eduard Castle, für dasselbe
fach in Bonn: dr. C. Enders.
Der internationale congress für historische Wissenschaften wird
vom 6. — 12. august d. j. in Berlin tagen. Die anmeldung zur teilnähme und die
einsendung des mitgliedsbeitrages (20 m.) wird bis zum 31. juli an den scliatzmeister
des congresses, herru geh. kommerzienrat Leopold Koppel, Berlin NW. 7, Pariser
platz 6, erbeten.
Vorträge haben u. a. die folgenden herren angemeldet: für die allgemeinen
Versammlungen Pio Rajna-Florenz (Storia ed epopea) und Alexander Bugge-
Christiania (Ursprung und glaubwürdigkeit der isländischen saga), für die 4. section
(Kultur- und geistesgeschichte des mittelalters und der neuzeit) J. Minor-Wien,
A. Olrik-Kopenhagen, E. Schröder-Göttingen.
Buchdruckerei des Wmseiihausos in Halle a. S.
STUDIEN ZUE ALTGERMANISCHEN VOLKSTEACHT.
In den sammlungsräumen unserer vaterländischen altertumsmuseen
trifft man das von Lindenschmit reconstruierte, in der Werkstatt des
Römiscli- germanischen centralmuseuras zu Mainz hergestellte modell eines
Franken d. h. eines deutschen wehrmannes der völkerwanderungszeit.
Es ist zu wünschen, dass diese wolgelungene und sachverständige nach-
bildung des kostüms und der trachtgemässen ausrüstung unter uns
populär werde. Sie weicht allerdings zum teil von den volkstypen, die
wir aus der archäologischen litteratur kennen lernen, nicht unerheblich
ab. Während die nordischen gelehrten den Germanen jener epoche ein
langes von den hüften bis auf die füsse reichendes beinkleid geben ^,
zeigt der „Franke" eine von den hüften bis zum knie reichende „bruch"
und unterhalb des nackten knies^ die von den füssen bis über die
waden herauf mit bändern umwickelten „hosen". Ich möchte im folgen-
den diesen widersprach mit hilfe der archäologischen und sprachlichen
materialien aufzulösen versuchen^.
Aus der vorgeschichtlichen bronzezeit besitzen wir, was uns in den
eichsärgen des nordens von den trachtstücken der verstorbenen erhalten
geblieben ist^. Für die jüngeren perioden sind die kleidungsstücke der
1) S. Müller, Nordische altertumskunde 2, 129. 0. ^lontclius, Kultur-
geschichte Schwedens (Leipzig 1906) s. 175.
2) „Das nackte knie gehört zur Germanentracht der völkerwanderungszeit"
M. Heyne, Körperpflege und kleidung bei den Deutschen von den ältesten geschicht-
lichen Zeiten bis zum 16. jahrh. (Leipzig 1903) s. 259. 282.
3) Zur geschichte der altgermanischen tracht sind die ausführungeu Wein-
holds (Die deutschen frauen 2^ 218fgg.) und Müllenhoffs (Zs.f.d.a. 10, 550fgg. =
Deutsche altertumskunde 4, 569 fgg.) nicht zu übeisehon. Ferner ist zu verweisen
auf E. Saglio, Les bracae et les hosae. Revue celtique XI (1890), 33 fgg.
4) Vilh. Boye, Fund af Egekister fra Brouzealderon i Danmark. Kjobenhavn
1896; vgl. die ausserdänischen funde s. 170fgg. W. Splieth, Inventar der bronze-
alterfunde aus Schleswig -Holstein s. 21. R. ßeltz, Die Vorgeschichte von Mecklen-
burg s. 39fg. 61. Jahresschrift für die Vorgeschichte der säclisiscli- thüringischen
länder 1, 39 fgg. Zur webetechnik ist zu vergleichen G. J. Karl in, Nägra under-
sökuingar om den förhistoriska textilkonsten i norden. Studier tillägnado 0. Moutelius
(1903) s. 189 fgg.
ZEITSCHKIFT F. DEUTSCHK PHILOLOGIK. BD. XL. 25
386 KATJFFMANN
aus unseren deutschen mooren gehobenen leichen zu verwertend Von
zweifelhafterem ergebnis ist für unser problem die nach typen der
hellenistischen skulptur und der Schaubühne stilisierte monumentale
Überlieferung des klassischen altertums. Brauchbarer sind einzelne an-
gaben der römisch -griechischen autoren. Eine wesentliche ergänzung
dieser der natur der sache nach fragmentarischen Überlieferung verdanken
wir allein dem altgermanischen Sprachschatz-, sodann der trachten-
forsch ung des mittelalters und der neiizeit.
In den prähistorischen Zeiträumen stellt sich uns die altgermanische
landestracht an der westlichen Ostseeküste um das jähr 1000 v. Chr.
folgendermassen dar: eine rundliche, aus einer art filz hergestellte kopf-
bedeckung der männer war ihre — auch auf den ostgermanischen
„gesichtsurnen" widerkehrende — „haube"; dies Avort ist uralt, denn
es steht im ablaut zu haupt (vgl. Sturmhaube, pickelhaube). Um die
schultern wurde ein dicker lodenmantel getragen (got. hahds^ anord.
hqkidl, ags. hacele, ahd. hackid):, darunter sass der schurzartige wollene
leibrock, der gern farbig gestreift genommen wurde (anord. .s/i/ÄTiy«, ags.
scicciti^^ sciccels^ ahd. scercho^ mhd. schechi)'^. Die hauptstücke der
frauentracht bildeten eine mit arm ein versehene, eng an den oberleib
sich schmiegende jacke (anord. smokkr, ags. smocc^ ahd. smoccko) und
der dazu gehörende lange, schwere frauenrock. Dazu kam für männer
und weiber ein paar mit stoff gefütterter lederschuhe (and. ahd. gisLuhi\
ags. ^esccp). Sie waren wol nicht alltäglich, denn einzelne leichen scheinen
mit blossen füssen beigesetzt worden zu sein; andere bestattungen wiesen
noch lederreste auf, die als fragmeute einer sohle und eines riemen-
werks bestimmt werden konnten; vereinzelt ist der fand des Vorderteils
eines wollenen schuhes geblieben. Boye bemerkt zusammenfassend: det
synes i det hele, at fodbeklsedningen har bestaaet af laedersandaler med
remme og indenfor disse af toibevikling, medens der er sandsynlighed
for, at man ogsaa har benyttet toisko indenfor sandalerne (s. 161)'^
1.
Unklar ist die in den prähistorischen eichsärgen gefundene und
von Boye so genannte „toibevikling" geblieben. Er sagt a.a.O.: „der
1) J. Mestorf , Moorleichen. 44. bericht des Schleswig -Holsteinischen museums
vaterländischer altertümer (Kiel 1907) s. 14fgg.
2) Vgl. z. b. L. Stroebe, Die altengl. klcideraanien. Diss., Heidelberg 1904.
3) Wackernagel, Kl. sehr. 1, 40fg.
4) Über prähistorische Stiefel, die andern kulturkreisen angehören, vgl. Jahres-
schrift für die Vorgeschichte der sächs. - thüring. länder, bd. 6 (1907) nebst taf. XVI.
STUDIEN ZUR ALTGERMANISCHEX VOLKSTRACHT 387
var om hver at' ligets fodder i Muldbjerg-kisten viklet et toistykke
(taf. IV fig. 4. 5), som vistnok oprindelig have haft anden bestemmelse. . .
fodderne paa liget i kisten Trindhoi A liave vistnok virret oniviklede
med to striraler uldtoi, som oprindelig have udgjort eet stykke (taf. XX
fig. 4. 5), der vel fra forste fivrd har vtiuet benyttet paa anden maade."
Es sind wollene läppen, die meines eraclitens dazu dienten, die füsse
und beine bis zu den knieen herauf zu verhüllen. Boye hat diese
läppen (s. 84 und s. 90) genauer beschrieben: „to toistykke vacvede af
faareuld, hvori hjortehaar ere ret rigelig ispundne, de ere hver 0,52 m
lange, paa det bredeste 0,18 m brede, og have veevekaut paa de tre
sider"; „fodderne syntes at iiave vivret oniviklede med to strimler
uldtoi, de ere naesten rectangulaire, hvoraf det ene er 0,867 m lang og
0,0S7 — 0.105 m bredt, det andet 0,89 m lang og 0,075 — 0,091 m bredt:
de have udgjort eet stykke, det ene af dem har i den ene ende en
bort." Diese tücher waren also dazu bestimmt, gesehen zu werden;
mit ihnen werden die Unterschenkel bekleidet worden sein; es- fehlen
nur die schmäleren wollen- oder lederstreifen mit denen diese „hosen"
festgeschnürt werden mussten. Aber gerade solche reifen-, ring- oder
spiralförmig umlaufenden schnürbänder kennen wir aus unserem alt-
germanischen Wortschatz: ^ot raips : anonl. ript, ags. riß, ahd. reft bezw.
ags. huiirift (tibialis), ahd. peinrcffa (Heyne a. a. o. s. 253, Stroebe
s. 12. 53), genauer chniunß Ahd. gl. 2, 871, 55 (synonym mit duahillä).
Diese hosentracht, bestehend aus w'ollenen tüchern als wadenbinden
und ringförmig umlaufenden schnürbändern, hat sich offenbar sehr lange
in Deutschland erhalten. Recht gut kennen wir sie noch aus den früh-
geschichtlichen Zeiten. Paulus Diaconus bemerkt, die Langobarden hätten
ihre „hosen" mit weissen bändern verschnürt {a suris inferkis cau-
didis iitcbcuitur fascco/is); fügt jedoch hinzu, diese altmodische kleidung
sei unter dem einfluss der römischen modo von den Langobarden, wenn
sie sich zu pferd setzten, mit gamaschen vertauscht worden {postea vero
coeperunt osis uti, siqjer quas eqiiitwites tuhriKjos birreos nnttebant
1, 24. 4, 22). An beiden stellen ist von den langobardischen hosen die
rede; aus der zweiten scheint sich zu ergeben, dass die Langobarden
auch die wollenen gamaschen hosen nannten, nachdem das alte wort
für das neumodische kleidungsstück frei geworden war^ In Deutsch-
land ist es mit der hose ebenso gegangen: als die fusslappen von den
Strümpfen verdrängt wurden, ging auf diese der alte name über; fortan
verstand man unter einem paar hosen ein paar strumpfe, hosenbendel
1) La guetre, qu' ou a nommo lause ou lioHscmi Revue (■elti<iuo XI, 40;
J. Grimm (GDS s. 482) hat fälschlich die brach herangezogen.
25*
388 KAUFFMANN
oder hosennestel Aviirde die bezeicbnung für das Strumpfband und bosen-
stricker ist so viel wie unser Strumpfwirker (vgl. Dwb.)^ Andernorts
ist der erneuerung der tracht eine erneuerung des spracbgebraucbs ge-
folgt. Die römiscbeu gamascben, von denen unsere wollenen strumpfe
abstammen 2, sind nicbt mebr zum umlegen, sondern zum überstreifen
eingerichtet; darum nannten die Angelsachsen diese ärmelförrnigen , römi-
schen Wadenstrümpfe strcqnilas i=tubrugi, hibroces) d. h. Überzüge und
dieses wort ist gerade auch als englische Übersetzung der langobar-
dischen üibrugi belegt (Stroebe s. 64, Heyne s. 261).
Aus der Veränderung der langobardischen reitertracht oder reiter-
uniform wird das altmodische kleidungsstück deutlich, das auch jenes volk
mit dem gemeingermanischen worte hosae bezeichnet hatte. Gemeingerma-
nisch waren aber auch jene fasciolae^ mit denen man nach den werten
des Paulus Diaconus die Unterschenkel verschnürte, denn das lango-
bardische wort dafür ist ivintingas (Brückner, Sprache der Langobarden
s. 69. 185. 180) und auch dieser terminus technicus ist gemeingermanisch;
vgl. ahd. ivinüuga (fasciolae, fasciales Ahd. gl. 3, 273, 58. 618,8. 619, 23.
620, 26. 623, 22. 624, 5. 722, 36 u. ö.), sowie anord. vindingr („strim-
mel af det slags hvormed man omviklede la?ggen fra kn^ieet til an-
kelen" Fritzner) und ags. ivynhie-^, ivgnc;^ (Stroebe s. 68 fg.) = and.
vunning, windhig (Gallee, And. wb. s. 386). Das wort hat sich auch
im französischen erhalten (afranz. gulnche band, schildband; s'agiiinclier
[in neufrz. mundarten] sich mit bändern schmücken , vgl. Körting, Lat.-
roraan. wb. nr. 10400, dazu Ahd. gl. 3, 11, 8).
Gemeingermanisch ist also die bekleidung der Unterschenkel mit
hose und ivinding.
Die verschnürung der hosen darf man aber nicht mit den schuh-
riemen verwechseln. Diese werden durch Paulus Diaconus {calcei...
altcrnatim laqueis corrigiarum reianti 4, 22) und Einhard {fasciolh
crura et jjcdes calciamentis constringebant Vita Karoli 23) von jener
unterschieden. Erst der mönch von St. Gallen spricht von langen, die
hosen vorn und hinten kreuzenden schuhnesteln (1, 34)^. In der völker-
wanderungszeit hatten die schuhe noch ihre eigene und die wadenbinden
ihre besondere verschnürung. Das haben wir auch aus den grab-
1) Auch für die langen beinkleider hat sich das wort „hose" zäh erhalten;
ein interessantes überlebsel ist namentlich der ausdruck ,, ein paar hosen", der die
alte, aber nicht mehr die moderne hosentracht deckt.
2) Müllenhoff, DA 4, 294. 570.
3) corrigid Cff77"5re : hosanestiha Ahd. gl. 1, 305, 11 u. a.
STUDIEN ZUlf ALTGEKMASISCIIEN VOLKSTRACHT 389
fiindcn der völkerwanderungszeit erfahrend Beispielshalber wurden in
den Alemannengräbern von Schretzheim bei den schuhen zwei schnallen
mit zum teil noch erhaltenen lederriemen gefunden, dagegen zwei
riemenzungen bei den Unterschenkeln oder an den waden-. In den
Baierngräberu von Reichenhall traf man bei den knöcheln kleine be-
schläge mit viereckigen ausschnitten, bei den waden riemenzunge nebst
schnalle (Chlingensperg s. 121, taf. XXVI) oder schnallenwerk bei den
füssen und riemenzunge bei den Unterschenkeln (ebenda s. 127, taf. XXXI).
Die schuhe der üamendorfer moorleiche sind an dem gitterartig durch-
brochenen Oberleder auf dem fuss mit lederriemen geschnürt; ausser-
dem hatte der mann aber zwei wollene „fussbinden", richtiger waden-
bindcn, denn diese 10 cm breiten bänder sind 1,05 m lang und an
beiden seiten mit webekanten versehen. Während die moorleiche von
Rendswühren eine „fussknöchelbinde" von behaartem feil ergab, die mit
ledernen riemen kreuzweise zusammengeschnürt ist, wurden bei der
moorleiche von Bernuthsfeld (kreis Auricli) wider 14 cm breite wollene
wadenbinden mit webekanten gefunden in stücken von 1,60 und 2,10
bezw. 1,65 und 1,27 m länge (Mestorf, 42. bericht s. 10. 12. 18; ferner
44. bericht s. 36).
Die altgermanischen „hosen" waren noch keine ärmelförmigen
strumpfe, sondern aus losen läppen gebildete unterschenkelhüllen, die
sich hülsen- oder schotenförmig ausnahmen. Es begegnet noch nhd.
bei pflanzen der ausdruck hose im sinn von hülse (Dwb. 4, 2, 1840.
1843) und dieser Sprachgebrauch ist schon ags. belegbar ^. Got. skau-
(luniips skohe {vöv if.idvva ziov v/roör^udccov Mc. 1, 7, Luc. 3, 16) be-
zeichnet also nicht den schuhriemen, sondern das wadenband, das um die
(gleich einer schote den Unterschenkel verhüllende) hose geschnürt wurde
(— CcoaTccQia yoTd^r/.d Mülleuhoff, Germ, antiqua p. 169?). Dass die hose
skcuida genannt werden konnte', ist durchaus nicht verwunderlich; be-
deutet doch srJwtc (: anord. skaiipcr scheide) im etymologischen Verhältnis
nichts weiter als eine schutzdecke ^ Von haus aus wird also die hose
1) Lindcnscbmit, Handbuch s. 344 fg.; vgl. s. 279 fg. 304fgg.
2) .1. Ilarbauer, Katalog der merowingischen altertümer von Schretzheim,
progr. Diilingen 1901, s. 21 fg. — Aus dem langobaidischen gräberfeld von Castel
Trosino wäre zu erwähnen: puntale di una cintura . . con resti aderenti de tessuto di
Uno (Monumenti antichi XII, 305, 5. 333 fg.).
3) hosa : glumula, siliqua (d. i. hülse, schote) bei Stroebe s. 37fg. Vgl. übrigens
auch struntpf: Strunk : sticnipf; faser : mhd. cr.sc.
4) Vgl. griech. azi)TOff, IdX. scutam: g\\ac\\. oy.vXov\ man ist fast versucht, noch
engere etymologische Verwandtschaft zwischen schote und hose zu vermuten {slc-:h-
wie gviQch. axviog: haut). Widerholt ist aber unser „hose" als keltisches lehnwort
390 KAUFFMANN
kaum etwas anderes gewesen sein, denn ein im nordischen klima nicht
wol zu entbehrender primitiver kleiner schutzmantel für die blossen beine
(vgl. ahd. heinberga Ahd. gl. 3, 632. 637; ags. bänbeo?'^, scecmc-^ebeor^).
Hier greift nun aber eine bemerkenswerte Variante der landestracht
ein; denn die „beinberge" ist aus leder (Heyne s. 261. 286) i. Über
diese lederne schutzhose, die zum unterschied von der w^ollenen oder
leinenen hose^ ein uniformstück der berittenen wehrmänner gewesen
sein dürfte, sind wir genauer unterrichtet. In diesem fall sind die hosen
nicht mit unsern strumpfen, sondern mit unsern lederstiefeln zu ver-
gleichen. Hierüber werden uns die grabfunde schwerlich viel verraten,
weil die lederwaren bis auf kümmerliche, meist unbestimmbare reste
vom zahn der zeit zerfressen worden sind. Aber der wertschätz ist
hier durchaus entscheidend; ich erinnere an anord. sJ,in7ihosur = lepr-
hosw\ ags. le^erhosa, ahd. lederhosa > mnd. lerse, holländ. laars^.
Nehmen wir nun auf grund von anord. sldnnJiosur usw. an, es sei
sitte gewesen, diese lederhosen (d. h. lederne wadenbinden) auf die art
zu tragen, dass wie beim römischen pero, dem soldatenstiefel aus un-
gegerbtem leder*, die rauchseite mit der natürlichen behaarung sichtbar
blieb und nach aussen gekehrt war'"', so wird verständlich, wie man
dazu gelangen konnte, nicht bloss die „rauhen" Unterschenkel des
germanischen reiters, sondern auch die mit gröberen haaren besetzten
Unterschenkel seines pferdes oder gar die rauch bewachsenen Unter-
schenkel der Vögel mit demselben werte „hosen" zu benennen'".
Diese bemerkung enthält in der tat mehr als eine naheliegende
combination. Wissen wir doch, dass im 5. jahrh. die „lederhosen" der
Goten, von den füssen bis über die waden reichend, aus einer pferde-
haut geschnitten waren. Ich hebe die klassische stelle des Sidonius
Apollinaris (Carm. 7, 452fgg.) aus:
aufgefasst worden: Mtillenhoff. DA 4, 294, Heyne s. 260; vgl. Schrader, Real-
lexikon s. 380 fg. (zu kelt. *lätro gehört ahd. luclra windeln).
1) Ags. bdnbcor^ = scinhosa (lat. oerea) = scecmc^cbeo)-^] ahd. jjeiajjcrffa vel
ledirhosa Ahd. gl. 1, 401, 13.
2) Vgl. uva'ivQi'Scig ot fxtv kivüg, ot ^t a/.vTivag Agathias 2, 5 (dazu unten s. 400).
3) Heyne s. 261. Stroebc s. 37.
4) Ags. ruh, henwdn^ Stroebe s. 57. Den röuiischen soldatenstiefel haben
übrigens die vornehmen Burgunder frühzeitig übernommen: jjcf/es primi 2)eronc
saetoso talos adusqiie vinciebcmtiir, genua crura suraeque sine teyminc Sidonius
Apollinaris, Epist. 4, 20 (Mon. Germ. Hist. Auct. antiq. VIII, 70, 16; vgl. Marquart,
Privatleben der Römer II-, 590 fg.).
.5) \g\. Heyne s. 264 (von den schuhen).
6) Adelung und Dwb. s. v.
STUDIKN ZUR ALTGERMANISCHEX VOLKSTRACHT 391
luce noKi vetcrum coettis de more Octarum
contiahitiir; stat pn'sca cauiis virklisque senectus
consiliis; sqnaJent vestes ac sordida imtcro
lintea p/>iguesctmt tergo, nee längere possunt
altatae aiiram pell es ac popUte nudo
pe7'onem ixniper nodiis suspendit equin/im^.
Nim klärt sich aber auch eine andere lebhaft erörterte stelle
vollends auf-.
Als Alboin zu dem Gepidenkönig Turisind gekommen war, dessen
söhn Turismod er im kämpf getötet hatte, musste er sich und seine
landsleute von dem zweiten söhn des Gepidenköuigs mit den werten
höhnen hören: fetilae sunt eqiiae qua.s siniiUdis (Langobardos iniuriis
lacessere coepit, asserens eos, qui a suris inferius candidis utebantur
fasceolis, equabus quibus crure tenus pedes albi sunt similes esse. Paulus
Diaconus 1, 24). Auf den höhnischen ausdruck von den „gestiefelten
Stuten" replicierte einer der anwesenden Langobarden: perge in cam-
pitni As fehl ihiq/ie proruJ dubio poteris experiri, quam validae istae
quas equas nominas praevalent calcitarc, ubi sie tui dispersa sunt ossa
germani^ queniadniodum vilis iumenti in niediis pralis.
Etwas wie jener pero equimis (des Sidonius Apollinaris) liegt offen-
bar der metapher zu gründe, wenn zwischen den von weissen bändern
umschnürten rauhen „lederhosen" und den „hosen" der Langobarden-
oder Gepidenstuten ein vergleich gezogen worden ist. Der beruht wol
auf einem auffälligen uniformabzeichen der berittenen Langobarden, die
festsitzende (aus einer pferdehaut geschnittene?) rauhe lederhosen trugen,
sie aber mit weissen (wollenen oder leinenen) bändern umschnürten
{ivintingas oben s. 088). Lederhosen kannte man vielleicht bei allen
Germanen, denn ags. ahd. hosa hat auch die bedeutung von „stiefel"^
und ledrein hos ist noch im 'mhd. mit „stiefel" synonym^; vgl. auch
Italien, iisatto (stiefel)''. Keineswegs haben aber die Germanen ins-
gesamt ihre lederhosen aus pferdehäuten geschnitten; wir wissen dies
nur von den Goten und müssen es wol für die Langobarden ersciiliessen;
bei den Gepiden scheint solches nicht der brauch gewesen zu sein, wie
1) MGH. Auct. antiq. Viri, 214; vgl. L. Schmidt, Geschichte der deutschen
stumme 1, 288. 302 fg.
2) Siovers, Beitr. 16, 363 fg.
3) caliga, calicjida Strocbe s. 37 (dazu btsthom s. 37. 42); .\hd. ^;1. 1, 7-15, 58.
4) Es ist die bekloidung vom kaüchol bis unter das knie gemeint; vgl. Seh nie II er,
Bavr. wörterb. 1-, 1180.
.')) </«osrt wie französ. houseaux (hohe gamaschon); Körting, Lat.-romani-
:5cin.'& wörterb. nr. 1631; vgl. Revue celtique XI, *10.
392 KAÜFFMANN
es auch andernorts nicht sitte war. Wir kennen eine lederhose von
der Rendswührener moorleiche: „eine fussknöchelbinde von behaartem
feil mit ledernen riemen kreuzweise zusammengeschnürt;" leider ist in
dem fundbericht nicht gesagt, von welchem tier das feil stammte, aber
landesüblich waren schuhe aus rindsleder (innen behaart), also werden
wol auch die hosen daraus geschnitten worden sein-. Daneben ist aller-
dings die bockshaut zu berücksichtigen, wie das volkstümlich gewordene
plattdeutsche wort für unsere moderne hose beweist: bul;se ist aus "^ buck-
hose (wie Urse aus lederhose) hervorgegangen und ein kontinentales
gegenstück zu engl, hucksldns (vgl. anord. hukkskinnshosa, geitskinns-
hosa)-. Trugen die Gepiden rinds- oder bocklederne wadenbinden, so
war der höhn auf die rossledernen Langobarden um so wirksamer; aber
möge es sich damit verhalten wie es wolle, eine auffällige, nachbar-
liche neckereien herausfordernde besonderheit der Langobarden waren
ihre über die pelzhosen gebundenen weissen schnüre.
Dieses uniformstück brachte einen losen muud darauf, den un-
beliebten nachbarn nicht etwa bloss seiner behaarten beine wegen als
rauhbein (im buchstäblichen sinn des wertes) ^^, sondern, weil die stuten
auch bis an die waden herauf weiss sind, als „stutenfüssler" dem spott
und höhn preis zu geben. Der boshafte witz mag zugleich theriomorphe
Volksvorstellungen als bundesgenossen wachgerufen und dadurch nur
um so drastischer gewirkt haben ^.
Gerade in diese richtung weist der Spottname Sinfjqili der skan-
dinavischen Welsungendichtung, denn ihm liegt höchst wahrscheinlich
ein höhnischer tiervergleich zu gründe und den bringt uns die dich-
terische Überlieferung durch das werwolfsmärchen nahe. Steckt etwa in
Sin- ein heiti für wolf? Der Weisung mochte als „wolfsfüssler" durch
das epitheton *fitü- :fetul geschmäht worden sein.
Paulus Diaconus hat in einem bekannten gedieht den Dänen Sigifrid
mit den bocken verglichen ^ So verfiel der Gepide darauf, dem Lango-
barden mit den stuten zu kommen, vielleicht auch deswegen, weil man
1) Mestorf, 42. bericht s. 18; vgl. s. 13. 22. 24.
2) Falk-Torp, Norwegisch -dänisches etymologisches 'Wörterbuch 1, 115.
3) Ich erinnere an den personennamen Raiichfiiss.
4) Vgl. z. b. ziegenfüssler Dwb. 8, 264. Namentlich aber wird man das alte
fränkische Schimpfwort „weisse stute" in criunerung bringen müssen (Jordan in
Herrigs archiv 118, 86); auch wird ahd. tnerhin siin (Ahd. gl. 1, 402, 48) zu berück-
sichtigen sein.
5) Sit licet hirsutus hirtisque simillimus hircis
iurcKfue det hedis imperitetque cajjri.s
(MöH. Poetae latini aevi Carolini 1, 52).
STUDIEN ZUR ALTGERMAXISCHEN VOLKSTRACHT 393
unter den Gepiden gern die gelegeuheit benützte, auf eine lieblings-
passion der Langobarden als pferdeliebhaber zu sticheln'. Der Lango-
barde war jedoch dem Streitgespräch gewachsen und erinnerte seinen
gegner an die schmerzhafte stosskraft, mit der von seinen kameraden,
den „stutenfüsslern", die Gepiden auf dem Schlachtfeld niedergetreten
worden sind.
Weil nicht bloss die rauhe behaarung, sondern auch die färben der
untern extremitäten übereinstimmten, war der wortwitz nicht allzuweit
hergeholt. Der augenschein tat jedermann kund, dass die hosen der
Langobarden den „hosen" ihrer stufen zum verwechseln ähnlich sahen.
Das epitheton fctihis wurde sonst nur von personen gebraucht, die
pelzhosen um die Unterschenkel trugen; wegen ihrer weissen waden-
bänder mussten sichs die Langobarden gefallen lassen, dass das epitheton
fctilus mit equae verbunden ihnen zum schimpf gewendet ward.
Weisse schnürbänder um die waden kannte man bei den Gepiden
nicht, wol aber trugen sie wie vermutlich alle Germanen pelzhosen.
Denn gerade die Gepiden haben uns ihr volkstümliches wort für dieses
trachtstück aufbewahrt. Allerdings ist dieses gepidische wort fetilus
oder fetilis bisher nicht richtig verstanden worden.
Es war ein Irrtum, fetihts mit lat. petÜHs zu identificieren, weil
die beiden termini in unserer Überlieferung einander begegneten. Das
geschah aber nicht aus gründen etymologischer Verwandtschaft. Denn
lat. petilus gehört einer ganz anderen bedeutungssphäre an als gepid.
fetilus. petÜKS bedeutet „dünn, schmächtig'". Aber im spätem latein
wurde dieses adjectiv ein kavalleristischer sportausdruck und bezeichnete
pferde mit eleganter, dünner fessel, vornehmlich dann, wenn diese
weiss behaart war 2. Das durch gepid. feiil/isf-is) bezeugte altgermanische
wort fordert aber durchaus nicht die Vorstellung weisser färbe, wie lat.
petilus. „Weiss" ist in unserer geschichte nur ein langobardischer
specialfall, der die Übertragung des wertes fetilus auf die stufen recht-
fertigt. Entscheidend sind dabei die hochdeutschen composita fixxelbnin,
fixxilvech (Heyne s. 239 fg., 244). Mit fizxil — fetil ist überhaupt
keine färbe angedeutet; erst durch Verbindung mit einer farbenbezeich-
nung wie brün oder fech kann unter der Voraussetzung, dass die bunt-
heit durch den gegensatz heller und dunkler behaarung erzeugt war,
eine ahd. satzformel fixxilrech ros ungefähr das gleiche besagen wie
das lateinische lemma pelili dicwttur qui j/edes aWos luihent Ahd. gl.
Ij L. nartmann, Geschichte Italiens im niittolalter II, 2, J7 nebst anm.
2) pelilus equus qui habet alboa pciles Corp. gloss. lat. 7, 82. Walde, Lat.
etymologisches Wörterbuch s. v.
394 KAÜFFMANN
3, 367, 38. 201, 45. 79, 3. Vermutlich ist also eine sprachliche glei-
chung zwischen lat. petilus und ahd. fixxil dadurch zu stand gekommen,
dass ein römischer sportausdruck durch einen altdeutschen sportausdruck
widergegeben werden konnte. Bei den Germanen war es aber nicht
die schmächtigkeit der fessel, sondern deren ähnlichkeit mit einem auf-
fälligen bestandteil ihrer reiteruniform, was den kavalleristischen ge-
brauch des Wortes ß/xxil rechtfertigte. Genau so, wie wir noch heute
von der" „hose" eines pferdes sprechen hören, ist, denke ich, das wort
„fessel" aus der terminologie unserer alten Volkstracht entlehnt. Es be-
zeichnete zum unterschied von der wollenen hose eine art pelzmantel
für die Unterschenkel der männer, eine pelzhose, eventuell sogar einen
pelzstiefeU. Denn das altgermanische wort '^fetil deckt sich buchstäb-
lich und sachlich aufs genaueste mit griech. 7ii8iXov (fussbokleidung)
und steht zu lat. 'pedulia (gamaschen^) in allerengster Verwandtschaft.
Ist nun aber die gleichung gepid. fetil^ resp. and. fitil^ ahd. fixxü =
griech. 7rldtlov unanfechtbar, so darf der etymolog lat. jj^dulia dazu
stellen, muss aber auf lat. 'petilus endgültig verzichten. Das hat sich
im gründe schon aus den früheren erörterungen ergeben 2. Sievers
meinte allerdings, gepid. fetil sei eine mischform, die in Oberitalien
aufgekommen sein könntet Brückner hielt fetil für ein altes leimwort
— wie der „unverschobene" dental beweise — , „das dann im spätlatein
Oberitaliens mit dem ähnliches bedeutenden lat. petilus eine mischform
einging, wobei das deutsche wort für den consonantischen anlaut, das
lateinische aber für den voealismus massgebend wurde''". Kögel wollte
sogar fitiluot von fixxUvecJ/, trennen, weil nur dieses sich mit *pcd-
verbinden lasse-'. Alle diese unwahrscheinlichen forderungen — vgl.
noch Kluge in Pauls Grundr. 1-, 342 — werden durch meinen verschlag
entbehrlich. Es convergieren die belege auf fixxil als ein synonymen
von „hose" mit dem bedeutungsunterschied, dass hose aus wolle, ßxxil
aus pelz besteht; occasionell sind beide termini auf die pferde übertragen
worden; der sportausdruck fetilus hat den ursprünglichsten sinn des letz-
teren wertes getreulich bewahrt. Neund. /?// ist in Übereinstimmung mit
1) Diese letztere bedeutmig bat das compositum ags. /?/^//ü7a (Aiiglia VllI,
449), and. fitiluot (Ahd. gl. 2,717,44. Wadstein, Altsächs. sprachdenkm. s. 109,10)-,
es muss etwa mit „gestiefelter fuss" übersetzt werden.
2) > ital. j}cdule (socken); entlehnt ist and. })edcla (soccka) Pauls grundr. 1 '', 342.
3) Kögel, Litteraturgeschichte 1,2, 200 fg.
4) Beitr. 16,364.
5) Sprache der Langobarden s. 166. — Der Übersetzer des Paulus Diaconus
(Geschichtschreiber der deutschen vorzeit) ist daher kaum zu tadeln, wenn er in
fetilus eine „vulgäre" form für petilus sah.
STUDIEN ZUK ALTGEIJMANISCIIEN VOLKSTRACHT 395
Schweiz. fisJd (Idiot. 1, 1080) der „liinterbug der pferde mit dem köten-
haar^'\ nhd. fessel bezeichnet den von der köte bis zur kröne des hufes
reichenden teil des pferdefusses und hat die Variante fissel neben sich,
■wie mhd. vixxel — vexxel als durch suffixablaut determinirlc doppel-
formen neben einander bestehen. Da nun in der Volkstracht die „tessel"
als ein breites band um die Unterschenkel gelegt wurde, steht nichts
im wege die ablautsform *fah'la > ahd. faxil^ ags. fefel^ anord. fetill
band, schwertfcssel (vgl. afranz. (juinche oben s. 388) bezw. mhd. fexxer,
nd. fetet\ ndl. veter^ ags. feto}\ anord. fjqturr (fussfessel, Schnürriemen)
unter ein und dasselbe etymon zu stellen-. Es ist von den band- oder
streifenförmigen fusslappen auszugehen, die, wenn sie nicht aus Woll-
stoff gewebt, sondern aus einer tierhaut geschnitten waren, fixxil (band-
förmige fussbekleiduug) genannt worden sind.
In diesen Zusammenhang gehört meines erachtens auch der ahd. per-
sonenname SlntarfixxÄlo : ich verstehe ihn als Übernamen eines bairischen
mannes, der, wie die Langobarden bei den Gepiden durch ihre weissen
hosen oder schnürbänder, bei seinen landsleuten durch seine tuflstein-
gelben pelzhosen aufgefallen sein mochte (Hoitr. IG, 36(), über unter vgl.
Dwb. s. V.). Gerade im bairischen Sprachgebiet iiat sich das wort fixxel —
fexxel im volkstümlichen Sprachschatz bis auf den heutigen tag erhalten
>pfösel. Ein interessantes überlebsei. Denn das wort bezeichnet jetzt
den Wandlungen der tracht sich anschmiegend'^', die dort landesüblichen,
die kniee frei lassenden Wadenstrümpfe, „hosen" oder halbstrümpfe (ohne
sohle), die über den waden bis zu den knöcholn sitzen. Man hat an-
lässlich dieses trachtstückes schon früher an die „hosen" der Lango-
barden erinnert. „Die bei den Langobarden vor ihrem einzug nach
Italien getragenen Wadenstrümpfe von weisser färbe scheinen den
1) Niedere!. Jahrbuch 32, 14; hier ist bereits auf and. fdilnot bezug genommen.
Zu nd. fitl gehört engl, fetlock (köte des pferdes), mengl. ftllcik, mhd. fiKKelach^
Schweiz, fisloch: diese ableitung liegt Ahd. gl. 2, 709, .5 vor, wo fnxelac überliefert
ist, ich betrachte diese form als Umschrift eines älteren fixxelax, vgl. das lemma
albis maculis bicolor (Aeneis 5, .oGfj). Für ein ahd. adj. fiXKÜ „geflockt" linde ich
sou.st keinen beleg. — Vgl. jetzt auch "Weigauds Deutsches Wörterbuch l'^, 523.
2) Ich verweise auf Zoitschr. 24, 124 fg., insbesondere auf Falk-Torp, Norweg.-
dänisches etymologisches Wörterbuch 1,225 (tjeire). 209 fg. (fed), glaube aber, dass
die Sippe von nhd. ßtxe aus dem spiel gelassen worden muss, weil ihre bedoutung
gar zu weit abführt; über ags. fetdhiU vgl. Studier tiUägnado 0. Montelius s. IMfg.
3) Ich erinnere an den bedeutuiigswandcl, den das wort „socke" durchgemacht
hat; bedeutete es doch anfänglich nicht wollene strüm|)fo, sondern leder- oder holz -
schuhe (Mon. Germ. Hist. Scipt. rer. Merovingicaruin 3,111,3; dieser bek'g feiilt boi
Heyne s. 265 fg.).
396 KAUFFMAISN
weissleincueii faltigen beinhöseln in Steiermark (pfoesseln) geähnelt
zu haben" ^
2.
Während hose und fissel sich auf die woll- oder pelzbekleidung
der Unterschenkel beziehen, ist bruch das alte wort für ein die Ober-
schenkel schamhaft verhüllendes kleidungsstück (vgl. ahd. dcohbroh).
Der gleiche sprachliche ausdruck ist noch heute volkstümlich: hrudch
ist in der Schweiz für die Verhüllung der schamgegend- und der Ober-
schenkel allgemein gebräuchlich (soweit sie nicht auf die bedeutung
„badehose" eingeschränkt worden ist^). Genau so verhält es sich mit
dem entsprechenden gallischen wort braca, das von Isidor folgender-
massen definiert wird: hracae quod sint breves et verecunda corporis iis
velentur (Orig. 19,22,29)^. Am ursprünglichsten scheint dieser gallische
ausdruck sich bei den kleinen kindern erhalten zu haben: französ. hr'aie,
span.-portug. hroga heissen „wdndeln"°.
Heyne hat den Sachverhalt freilich ganz anders beurteilt. Er
sagt (s. 260): „die form der bruch zeigt eine fortschreitende Verkürzung;
ursprünglich den Oberschenkel bis in die gegend des knies mit be-
deckend, schrumpft sie zur blossen, vom rocke völlig verhüllten und
daher auch auf den darstellungen gewöhnlich unsichtbaren hüft- und
lendenbekleidung ein, in dem masse, als ein anderes beinkleid, die
liose, diese von unten herauf, an ausdehnung gewinnt. Diese hose ist
ursprünglich nur strumpfartige hülle der Unterschenkel".
Dass unsere lange hose nicht durch Verlängerung der unterschenkel-
hose entstanden sein kann, ergibt sich aus meinem nachweis, dass die
hose nicht strumpf artig, sondern schotenartig gewesen ist. Dass die
bruch nicht verkürzt worden, sondern schon im altertum ein schamtuch
gewesen ist, wird durch meine belege zusammen mit ahd. i^v^oÄ, ags. brec
— femoralia^\ ags. brec, engl, breech, ndl. iror^/.- = steiss ^, unwiderleg-
lich dargetan (vgl. engl, breeches : troiisers). Dieses primitive bekleidungs-
1) M. V. Chlingensperg, Das gräberfeld von Reiclienhall s. 88. 99 anm. Im
übrigen vgl. über die pfösseln Schmeller 1 -, 442; nach hos{e) scheint die kurzform pfos
gebildet worden zu sein (Frommanns Zeitschr. f. niundarteu 3, 90. 4, 331).
2) bruch oder färtüch umb die schäm Dwb. 2,410.
3) Schweiz. Idiotikon 5, 382fgg. ; Äose =- strumpf 2, 1688 f gg.
4) Thesaurus liuguae latinae 2,2154.
5) Körting, Lat. - romanisches Wörterbuch nr. 1531.
6) Stroebe s. 22; ebenso altdän. brog (femorale). Vgl. übrigens zu bruch als
..Schamkleidung" Heyne s. 282. Beweiskräftig ist schon die glossierung von /zwiiare
durch pruoh einerseits und lentifano andererseits (Ahd. gl. 1,629,22. 636,29).
7) Muoh, Zs. f. d. a. 42,170; vgl. Müllonhoff, DA 4,294.
STUDIEN ZUK ALTGKRMANISCHEN VOLKSTRACHT 397
Stück ist nacli dem muster einer neu aufkommenden mode verlängert
worden, denn in den nordischen, englischen, friesischen und deutschen
idiomeu bezeichnet brok — bruoh übereinstimmend eine über die Ober-
schenkel bis zu den knieen reichende hülle, eine sogenannte kniehose^.
Diese Verlängerung kam vermutlich durch einwirkimg ausländischer
mode auf. Das neumodische kleidungsstück — die „kniehose", an stelle
des primitiven „schamtuches" — wurde aber von den Germanen nicht
mit seinem ausländischen , sondern mit dem altheimischen namen be-
nannt {hi'Rcis : pruokJuni Ahd. gl. 1, 660, 37), der eine in der geschichte
altgermanischer tracht keineswegs vereinzelt dastehende bedeutungsver-
änderung erfahren hat.
So stellt sich mir das neuerdings widerholt besprochene Verhältnis
von gall. braca : germ. b7'ök dar.
Während man es früher als die selbstverständlichste these hinnahm,
dass die germ. brök die gall. bräca sei (MüUenhoff, DA 4, 294), ist
neuerdings von Schrader und Much- eine umkehrung des Verfahrens
beantragt und gall. bfäca aus urgerm. *bräLa abgeleitet worden.
Heyne allerdings blieb dabei, dass der gemeingermanische name für
das beinkleid nicht als germanischen Ursprungs angesehen werden dürfe,
sondern die Übernahme eines keltischen bräca., bräcca darstelle; die
umgekehrte annähme, dass das wort deutschen Ursprungs und in das
keltische gedrungen sei, habe keine Wahrscheinlichkeit für sich (Körper-
pflege und kleidung s. 260).
Ich glaube, dass man die von mir ins äuge gefasste gallische mode
von dem gallischen und germanischen wort trennen und gallisch bräca
mit germ. brök für urverwandt ausgeben muss^. Als älteste bedeutung
dieser urverwandten Wörter halte ich für beide kulturgebiete „scham-
tuch" fest. Nun ist aber bei den Galliern eine von bräca lautlich
differenzierte form bracca belegt^. Ich vermute, dass diese lautliche
1) Vgl. Dwb. s. V. hose., unter ahd. chnehosa ist aber noch der alte wadenstrumpf
verstanden (Dwb. s. v. Kniehose).
2) Much berief sich im Correspondenzblatt d. deutschen gesellsch. für anthro-
pologie 1904, 135 fg. darauf, dass idg. ä zu beginn der Römerzeit in Deutschland
noch erhalten gewesen sei, wird aber jetzt vermutlich nach den ausgezeichneten be-
merkungen von Collitz (The Journal of english and germanic philology 6, 253 fgg.)
nicht mehr darauf zurückkommen.
.3j Mit um so besserem grund als lat. siiffrayo dazu gehört (0. Schrader,
Keallexikon s. 379 fg., Sprachvergleichung und urgeschiclite 2^, 2G8rg., Zeitschr. f. d.
wortforsch. 1, 239: „ein zweifei, dass altgall. bnlca im germanischen wurzelt, ist
also nicht mehr gestattet"), braca = braga?
4) Holder, Altceltischer Sprachschatz s. v.
398 KAUFFMANN
differenzierung einer differenzierung des kleidungsstückes entspricht:
dann würde gall. bräca wie germ. hrök das schamtuch, gall. hracca die
verlängerte oberschenkelbedeckung, die kniehose bezeichnen. Wie bei
Galliern sowol braca als bracca^ so ist auch unter den Germanen, nachdem
sie die gallische kniehose übernommen hatten, sowol das neuere wort
bracka als das ältere brök für das veränderte kleidungsstück üblich ge-
worden ^. Neben dem allgemeinen Sprachgebrauch brök — bräca besteht
nämlich auch auf germ. Sprachgebiet eine lokale abweichung, auf die man
bisher nicht genügend geachtet zu haben scheint. Für die kniehosen
existiert neben brek auch ags. braccas^ adän. brakkcr^ aschwed. brackor.
Es ist höchst unwahrscheinlich, wenn wir der gall. braccae gedenken,
dass auf Seiten der Germanen damit eine ablautsform zu brök ans licht
komme, denn die doppelconsooanz bliebe selbst bei dieser annähme
durchaus rätselhaft. Andererseits scheint bei den Iren die grundform
^bracca in abgang gekommen zu sein; altirisch bröc wird jetzt von den
sachverständigen einmütig als skandinavisches lehnwort betrachtet-.
In der germanischen «-reihe (ags. braccas^ adän. brakkcr^ aschwed.
brackor-^) wird man das gallische lehnwort anerkennen müssen'^. Dieser
sprachliche import ist es nun aber, der uns nahe legt, an eine Wand-
lung der hosenmode bei den vorgeschichtlichen Germanen zu denken
und auch ihr neues hosenmuster (an stelle des primitiven schamtuches)
auf die, geraume zeit für sie vorbildlich gewesene, gallische sitte zurück-
zuführen. Das ist um so wahrscheinlicher, als das gallische wort und
die gallische hose nicht bloss nach Deutschland sondern auch nach
Italien eingeführt wurde, wo sowol bräca als bracca aufnähme in den
lateinischen wertschätz gefunden haben.
Für altgerra. brok darf zunächst nicht mit der bedeutung „knie-
hose" gerechnet werden, weil die etymologische bedeutung und der
neuere volkstümliche Sprachgebrauch auf ein primitiveres kleidungsstück
weisen. Auch ist zu berücksichtigen, dass die eichsärge der nordischen
bronzezeit noch keine spur einer solchen oberschenkelbekleidung geliefert
haben 5, während die Gallier ihre kniehose frühzeitig — nach dem
Zeugnis des Polybios mindestens seit dem 3. jahrb. v, Chr. — im ge-
1) Ich erinnere an die gescliichte des wertes hose.
2) Kuhns Zeitschr. 30,81 fgg. Windisoh, Irische texte (1905) s. 362. .533. 534.
3) Falk-Torp, Norweg.- dänisches etymologisches Wörterbuch 1,104.
4) ßQKxy.ai : aYysua dapü^toat nccQu KikroTg Hcsychius (Thes. linguae latinac
2,2154). — Euss. braki hat auch 0. Schrader auf eine form bracca zurückgeführt
(Reallexikon s. 381).
5) Montelius, Kulturgeschichte Schwedens s. 93.
STUDIEN ZUR ALTGKRMANISCHKN VOLKSTRACHT 399
brauch hatten i. In diesem stück war die männertracht noch dieselbe wie
die weibertracht: Itneis fe))U)mlibus-, quae /isqiie ad geniia et poplites
veniunt, vercnda celautur et stiperior pars sub umbüico vehementer
astringitur, i(t ...diani si lapsi fiterint et femora rerelavcrint, non pateat
quod opertiim est . . . vocaturqne hoc genus vestimenti . . graece ^eQia/.€lf],
a nostiis feminaliavel bracac usqiie ad geniia pertingentes {JLieronjmus,
Epist.64 bei Migue, Patrol. Ser. Lat. XXII, 618). Schon im jähr 70 n. Chr.
zeigte sich in Italien Caecina mit gallischen kniehosen angetan'^; spätestens
zur zeit Trajans wurde sie hier allgemeiner üblich, denn auf der Trajan-
Stäule gehört die kniehose zur uniform der auxilien und dasselbe gilt
für die bilderchronik der Marcussäule; auch hier unterscheiden sich
die peregrinen Soldaten durch „die nie fehlenden kurzen hosen" ^ Mass-
gebend sind aber für diese tracht nicht die Germanen gewesen, sondern
nach übereinstimmender aussage unserer gewährsmänner: GaJlia bracata.
Nirgends werden in der historischen litteratur die kniehosen den Ger-
manen zugeschrieben, sondern wo von Germanen und Galliern m\ ein
und derselben stelle die rede ist, werden die bracae gallicae mit bedacht
hervorgehoben l Früher als in Italien scheint die gallische kniehose
in Deutschland allerdings in aufnähme gekommen zu sein. Wahr-
scheinlich gehören sie zu dem gallischen Import der La-Tenezeit. Der
hauptbeleg hierfür ist der silberkessel aus Gundestrup (Jütland): die
männlichen personen, die zu fuss gehen, zeigen hier alle die eng an-
liegenden gallischen kniehosen vgl. Nordiske fortidsminder I, 46 fg.
und die abbildungen auf taf. 6. 7. 9. 11. 12'^. Ebenfalls in Jütland, in
dem moor bei Moeslund (ksp. Bording), Avurde ein gewand von gewebtem
wollenzeug gefunden, bestehend aus jacke und hose in einem stück
1,10 m lang^. Hier haben wir also die kurze hose als kniehose in
natura zusammen mit dem enganliegenden leibrock, den wir aus den
reliefs des Gundestruper silberkessels gleichfalls kennen (Nord, fortids-
minder I taf. 6. 10).
1) uvuh'QtStg der Beigen und Gallier bezeugen Strabo (bezw. Posidonius) und
Diodor (leg Ixilvoi ßody.ug nQoaiiyoQtvovaw): MüUenhoff DA 4,294.
2) (feminalia) femoralia : linpruah Ahd. gl. 1,279,51; vgl 273,20.
3) hracas, barbarum tegmen, indutus iacitus, Histor. 2, 20; vgl. dazu Revue
celtique XI, 36.
4j Marcussäule, Textband s. 45. 4G. 68.
5) Vopiscu.s, Aurelianus 34, 2.
6) Es beruht auf einem Irrtum, wenn der beaibeitei s. 47 bemerkt: de gallisko
braccae gik halt ned til skoen. — Vgl. auch den mann mit der kniehose auf dem
glasbecher Nord, fortidsm. I, 7 taf. 1 .
7) Mestorf s. 24.
400 KAUFFMANN
Aufs schönste steht damit die" monumentale Überlieferung in
einklang.
L. Lindenschmit hat zuerst in der \Yestd. zeitschr. 18, 396 taf. 12
ein Steinrelief aus dem Eömisch-germanischen centralmuseum in Mainz
veröffentlicht, das neuerdings auch von P. v. Bienkowski^ und in den
Altertümern unserer heidnischen vorzeit (5, 82 fgg.) abgebildet und ein-
gehender behandelt wurde. Es stellt eine barbarenfrau dar, eine Ger-
manin. Den körper bedeckt ein enganliegendes, diagonal -gestreiftes
gewand, bestehend aus jacke^ und hose, und zwar endete, nach dem
verstümmelten bilde zu urteilen, die jacke vermutlich in eine kniehose.
Wie bei den Galliern war also auch bei den Germauen die Unterklei-
dung für männer und weiber dieselbe.
Mit diesem archäologischen befund kommt die litterarische Über-
lieferung überein.
Tacitus bemerkt (Germ. c. 17): nee alins feniinis quam viris hahi-
ius nisi quod feminae saepias lineis mnictihus velantiir . . . locu-
pletissimi veste distingimntur non fluitante sicut Sarmatae ac Parthi
sed stricta et singulos artus exprimente^. Hierzu hat schon Müllen-
hoff (DA 2, 295) einmal an die vestis stricta der Germanen Südfrank-
reichs erinnert, die Sidonius Apollinaris mit ausdrücklichem zusatz:
genuet . . sine tegmine hervorhob (Epist. 4, 20) und zum anderen an die
von Agathias (2, 5) geschilderte fränkische tracht, zu der — widerum
wie bei den Galliern (s. o. s. 398 fg.) — kniehosen entweder aus leder oder
aus leinenzeug (cfr. Tacitus) gehörten: yvixvol rd öregva elol /mI tu
vuJTa fiiXQ'^ "^^S ÖG(f'Vog, hxavd-a da dva^oQiöag ol fxiv Xivccg, ol de y.ai
a/.vTivag dia'CcüvvvfXEvoi rolg oy.sXeoL 7tEQLaixTtio%ovTaL^. Spätestens in
der Völkerwanderungszeit war also unter uns die kurze leder- oder
zeughose nationalisiert und mit dem altheimischen werte hrök oder mit
dem fremdwort hracka benannt.
unter den kleiderresten aus dem moor von Daetgen (ksp. Nortorf,
Schleswig -Holstein) wurde einbeinkleid von braunem wollköper gehoben:
es ist eine kniehose ^
1) Beiträge zur alten geschichte (Festschr. f. 0. Hirschfeld. Berlin 1903)
s. 350 fgg.
2) Eine neuere enganliegende ärmeljacko ist wie got. paida (ags. päd, and. peda,
ahd. pheit) verrät, gleichfalls ausländischen Ursprungs (Heyne s. 255), doch beachte
MüUenhoff DA 4, 575.
3) Von MüUenhoff (DA 4,294) auf „eine art kurzer hose" gedeutet.
4) periseelides : nechala ^ hosten Ahd. gl. 1,362,10. ristüla 2,159,27.
5) Mestorf s. 19. 22.
STUDIEN ZUR ALTGERMANISCHEN VOLKSTRACHT 401
Die jüngste errungenschaft der Germanen ist schliesslich die
lange hose^.
Nächst dem gallischen Import war für die Germanen die im
3. jahrh. beginnende zufuhr aus den Pontusländern von der allergrössten
bedeutung. Sie ist neuerdinds gerade auch für die geschichte der alt-
germanischen tracht nach gebühr gewürdigt worden-. So dürfen wir
es nunmehr wagen, auch die lange hose aus Südosteuropa herzuleiten,
ohne befürchten zu müssen, dass diese hypothese ungeprüft von vorn-
herein abgelehnt werde.
Wenn wir in dem katalog der langobardischen könige und herzöge
von Benevent lesen, dass der könig Adebald (616 — 626) zuerst lange
hosen getragen habe (Adebaldus crinitus . . . priraum calciavit osam
particam^), so fertigt Heyne (s. 261) diese notiz mit der fussnote ab:
,,Die gelehrsamkeit des Schreibers bringt die hose mit parthischer tracht
zusammen". Wir andern sehen hier keinen anlass zur Ironie, sondern
gedenken der werte des Tacitus, der die weite lange hose — im gegen-
satz zur enganliegenden kniehose der Germanen — als vestis fltritans
der Sarmaten und der Parther kannte (Germ. c. 17). Lucan war der
erste, der die Germanen und zwar zunächst die Vangionen als träger
dieses altorientalischen kleidungsstückes^ bezeichnete: qui te Iuris imitan-
fur, Sarmata , bracis V(üig/ones{de hello civili [ed. Hosius 1905] 1,431).
Damit ist aber für die Germanen des mutterlandes noch nichts ent-
schieden.
Unter den monumenten ist in erster linie die ^larcussäule zu be-
rücksichtigen; im textband der publikation hat E. Petersen (s. 47. 48) die
lange hose der Skythen und Sarmaten besprochen. Auf ihren dar-
stellungen ist an den langen hosen der Nichtrömer zu erkennen (s. 71).
Vereinzelt tragen sie aber auch schon die equites singulares, die nicht
mehr bloss mit der gallischen kurzen, sondern auch schon mit der
langen parthischen hose bekleidet erscheinen (s. 74); auch einzelne
römische legionäre sind mit ihr angetan (s. 66). Von den barbaren
1) Heyne setzte sich mit unserer Überlieferung in offenen widersprach, wenn
er s. 259 fg. sagte, die langhose müsse als unsere älteste geschichtliche form angesehen
■werden.
2) Vgl. B. Salin, Die altgermanische tierornamentik. Stuckholm 1904.
K. Henning, Der heim von Baldenheim. Stra.ssbarg 19Ü7. A. Götze, Gotische
schnallen. Berlin (1907).
3) Scriptores rer. Langobard. s. 491.
4) Herodot 7, Gl. Ovid, Trist, ö, 7, 49; vgl. Müllenhoff, DA 4, .^)70fg.
ZK1T^CHHI1T K. tiEUTSCHK I'HILOLOGIE. IIU. XL. -t»
402 KAUFFMANN
sind es namentlich die Völker an der unteren Donau, zu deren national-
tracht die weiten langen hosen gehören: zu sehen sind sie sowol auf
dem monument von Adamklissi^ als auf der Trajanssäule. Die süd-
östlichen nachbarn der Germanen haben bis auf die knöchel reichende
hosen an-. Dieselbe tracht hat auch der pannonischeKelte angenommen^;
unter dieser bevölkeriing fallen namentlich die in dem vergrösserten Ger-
manien, sitzen gebliebenen Cotini auf, die man in der 69. scene der
Marcussäule widererkennen wollte^. Es ist also nicht zu verwundern, dass
das gleiche kleidungsstück auch zu den im Südosten angesiedelten, den
Sarmaten und Kelten verbündeten Germanen, den Quaden und Marko-
mannen, gelangte, die auf der Marcussäule dargestellt sind; ihre langen
hosen sind um die schuhe herum zusammengeschnürt^. Es ist jedoch
bemerkenswert, dass angehörige dieser Germanenstämme der südostmark
auf der Trajanssäule in niedrigen halbschuhen noch mit enganliegenden
beinkleidern stehen, während die Daker durch weite hosen von ihnen
unterschieden sind^. Aber auf taf. 73 scene 263 stechen drei besonders
stattliche, hohe gestalten bärtiger barbaren hervor; diese männer tragen
halbschuhe (mit deutlich zu erkennenden schuhriemen) und lange faltige
beinkleider, die unten in die schuhe gesteckt und in der taille durch
den vorn mit einer schnalle versehenen leibriemen gegürtet sind (bal-
teum ipruahhah Ahd. gl. 1,273,20). Furtwängler und Cichorius halten
sie für Germanen'^. Es scheint, dass Furtwängler recht hatte, wenn
er auf diesen bilderchroniken bei denjenigen barbaren, die lange, enge
hosen tragen, zunächst immer an Germanen denken wollte^; die lange
weite hose haben sie mit ihren nachbarn gemein, werden sie von ihnen
bezogen, dann aber mit der zeit an stelle ihrer enganliegenden tracht
nationalisiert haben. Zweifelhaft ist die auf einem römischen denkstein
des Mainzer museums (abgebildet in den Altert, uns. heidn. vorz. I, XI, 6, 2)
widergegebene figur, aber sicher gemanisch ist die enge, mit rautenmuster
versehene, lange hose des bekannten figürchens des Britischen museums^,
1) Furtwängler, Intermezzi s. 49fgg.
2) Daker mit langen faltigen beinkleidern (Trajanssäule ed. Cichorius taf. 15.
19 u. ö.).
3) Furtwängler s. 75.
4) Textband s. 120.
5) Textband s. 47.
6) Trajanssäule taf. 21 scene 68.
7) Intermezzi s. 71. Trajanssäule bd. 3, 144. 148. 150.
8) Intermezzi s. 72 fg.
9) Bienkowski in der Festschrift für Ilirschfeld s. 351. 352. Altert, unserer
heidn. vorzeit 5, 83.
STUDIKN ZUR ALTGERMANISCHKN VOLKSTRACHT
403
das nach der haartiacht sogar auf einen der nach Südosten sich aus-
breitenden Sueben bezogen Averden darf. Lange hosen trägt auch die
Gerraauin und der Germane auf zwei münzen des Domitian, die in ver-
grossortem raassstab in den Alt. uns. heidn. vorz. 5, 86 bequem zugänglich
gemacht worden sind^ Doch ist auf die münzen kein verlass, denn
ihre reliefs scheinen einem ideaicostüni der älteren Skulpturen und der
bühne gefolgt zu sein und die nationaltrachten vernachlässigt zu haben-.
In der römischen kaiserzeit und in der völkerwanderungszeit ist die
lange hose auch bloss für Kolonialgermanen — namentlich im Südwesten
und Südosten'^ — nicht für die Germanen des mutterlandes belegbar.
Als beutestücke^, oder wol eher unter den verraten eines händlers, sind
zwei lange hosen aus dem Thorsberger moor ans licht gekommen (Heyne
s. 259): dieser grossartige fund brachte bekanntlich eine Sammlung
ausländischer, ihrem stil nach auf den Südosten Europas hinweisender
erzeugnisse.
Der älteste beleg für lange hosen im nördlichen Deutschland bleibt
daher die Damendorfer moorleiche; über ihre zeitstellung lässt sich leider
genaueres nichts mehr ausmachen^.
Zum schluss sei darauf aufmerksam gemacht, dass die lange hose
noch heutigen tags nicht allgemein in Deutschland getragen und noch
nicht recht volkstümlich unter uns geworden ist. Darum gibt es auch
keinen durchgehenden, volkstümlichen namen für sie (über buxe vgl.
oben s. 392)6.
1) Die niünzlegenden lauten: Germania subacta . . und Germania capta.
2) Vgl. Revue celtique XI, 35. P. Bienkowski, De simulacris barbararum
gentium apud Romanos. Cracoviae 1900.
3) Die Wandalen hielten in Afrika darauf, dass ihre nationaltraeht sie von den
„Römern" unterscheide (Migne, Patrol. ser. lat. 58, 204. Martroye, Genseric s. 283.
309 fgg.). Die Langobarden trugen anfänghch in Italien noch die bnah (Paul. Diac.
5, 38); vgl. Revue celtique XI, 3&fg.
4) S. Müller, Nord, altertumskunde 2, 144: „die.se funde enthalten kampf-
beute." Lindenschmit, Handbuch s. 338 fg. Zur webetechuik vgl. Studier tilläguade
0. Montelius (1903) s. 206.
5) Mestorf, 42. bericht s. 12. 44. bericht s. I9fg.
6) Zu anord. leistabrokr vgl. Pauls grundr. 3*, 440 (zu ags. Ui-shosu? Stroebe
s. 37 fg.; vgl. oben s. 391); anord. liosa definiert Fritzner (s.v.): oprindelig et
klaedningsstykke som tjente til benets bediekning fra risten til kuivet (niellem kistr
[= sockej og brok).
KIEL. FRIKORICU K.\UFFMANX.
404 BLÜMML
DIE SCHWELINSCHE LIEDEEHANDSCHEIET.
Die königliche, öffentliche bibliothek in Stuttgart bewahrt unter der
Signatur Poet, et phil. 0. 43 eine bisher nicht beachtete iiederhandschrift
in S*^* aus der ersten hälfte des 17. Jahrhunderts auf, die für die ge-
schichte des deutschen volks- und gesellschaftsliedes nicht ohne wert ist.
Die Seiten 1 — 113, von einer band geschrieben, sind unter der
aufschrift: „Lieder Buoch darinen vihl schöner außerJößner lustiger
vnnd kurzweiliger Lieder xue fmde?i sein, zueßameu geschriben durch
Nm^cissum Schivehlen. Anno 1611" zusammengefasst, während die
s. 114 — 149 einer anderen band angehören und s. 114 die bemerkung
„Nachvolgende Lieder xuscmimengeschrihen durch Johann Friderieh
ScMcehlen, phil. stud. Anno 1658" aufweist. Am Schlüsse des lieder-
buches findet sich ein register, das von der ersten band geschrieben
ist, jedoch auch eintragungen der zweiten, jüngeren band aufweist.
Vorne am deckel findet sich als Ex libris ein wappen mit der Überschrift:
Mich begnüget \ Wie es Gott füget.
Über die beiden Schreiber der handschrift war nicht viel zu er-
mitteln. Von Narcissus Schwelin erschien 1660 zu Stuttgart eine
„Würtembergische kleine Chronica" in druck. Johann Friderieh
Schwelin, Stuttgardianus ist unterm 10. märz 1654 unter den „Alumni
Bebenhusani" in der matrikel der Universität Tübingen nachweisbar.
Ihre liederhandschrift, die, da ja beide Stuttgarter oder mindestens
in Stuttgart ansässig waren, ein bild des württembergischen liederwesens
in der ersten hälfte des 17. Jahrhunderts bietet, ist auch insoferne inter-
essant, als sie eine grosse anzahl volks- und gesellschaftslieder enthält,
die bisher nicht bekannt waren. ^
1.
[1] 1. "Wie werd ich mich von düi schaiden,
meins herzen frewd vnnd zier,
all kurzweil wirdt mir verlaiden,
wann du nicht werst bey mir;
souil mir wil gebüren,
von herzen lieb ich dich,
ach, trewste dienerin mein,
der maiste thail meins herzen
soll dir geschenckhet sein.
2. Im innersten theil meins herzen
empfünd ich. solche pein,
auch nit den grüngsten schmerzen
leid ich von wegen dein;
die lieb, die ich jez trage,
kompt auß dem herzen rein,
ach, trewste dienerin mein,
der maiste thail meins herzen
soll dir geschenckhet sein.
1) Betreffs des abdrucks der einzelnen texte habe ich mich der von A. Kopp
durchgeführten methode angeschlossen. Zu bemerken wäre niu-, dass ich für hds. h
= ch, da die Schreibung h nicht folgerichtig durchgeführt ist, sondern mit ch wechselt,
stets ch setzte, dass ich, da in der hds. zu viele Unregelmässigkeiten unterlaufen,
ausser den Strophenanfängen alles klein schrieb, jedoch den Wechsel zwischen ne
und uo {thuet und thtto)^ der sich ziemlich häufig findet, beibehielt.
DIE SCinVELINSCIIE LIKDERHANDSCHKIFT
405
3. Ach, thet dir mein lieb gfallen
vnnd wölst sy zahlen mir,
begehrt vor andrem allen
nichts liebers ich von dir,
nur dz du mich wölst lieben
in zucht vnd bständigkeit,
ach, trewste dienerin mein,
so wolt ich in zucht vnnd ehren
dein trewster diener sein.
1. Lieblich im schlaff ein traiun ich het,
wie mein feins lieb stund vor mein beth,
bloß wie sy gott geschaffen;
dz edle büld sprach, so du wilt,
so will ich bey dir schlaffen.
2. Ynnd ich alsbald anttwortet ihr,
also laß ich dich nit von mir,
[3j mecht [3J dann von dir bekommen
ein schmezelein, so kreuch herein
vnnd biß mir gott willkommen.
3. Darauf sprach sy mit freundtlichkeit,
zue dienen dir , bin ich bereit,
doch wil ich dich nit kißen,
du wölst dann sein der liebste mein,
dz will ich von dir wißen.
Akrostichon : Ludwig.
4. Welchs ich in frewd ganz herzigelich
dir inn die hand hinein versprich,
hierait sey dir geschworen,
bey meinem ayd in ewigkeit
hab ich dich außerkoren.
5. Inns beth zue mir mit frewd hinein
sprang bald dz herzig engelein,
huob freundtlich an zue lachen;
der edle schaz gab mir ein schmaz,
dz ich bald thet erwachen.
<■>. Gar bald, da ich erwachet recht, [4J
ich aun mein schaz vnnd traunri gedächt,
ward mir aber entzogen;,
da sprach mein herz, bey dißem scherz
hat mich der schlaff betrogen.
Im thon: ach,
1. Bey dir inn allen ehren
möcht ich nun stettig sein
vnnd solts gleich ewig wehren,
geb ich den willen drein;
solchs red ich recht ohn scherzen
vonn ganzen griind meins herzen,
herzliebs jungkfrewelein.
2. Ach, thuo dich doch auch kehr
[5] mit [5] deiner lieb gehn mir,
so soll sich alsdann mehren
mein lieb auch gegen dir,
will daruon nimmer laßen,
dich stets inn mein herz faßen,
0, du mein höchste ziehr.
3. Recht schön bistu geziehret
mit tugent ganz vnnd gar,
darneben auch wol gformieret,
hast zway schön aüglein klar;
0, wann ich die selb thue sehen,
thuns mich herzlich erfrewen,
dan ich nimbs stettigs war.
höchster schaz auf erden.
4. IJey leib, laß dich nicht wenden
von mir, ach herzigs herz,
solt ich dz selb empfinden,
brecht mir gar grollen schmerz;
bey rechter lieb thuo bleiben,
laß [6] dich auch nichts abtreiben
vnd dir nit sein ein scherz.
5. Allein will ich dich pitten,
du zarts junckhfrewelein,
thuo dein herz auch außschitten
gehn mir, wie ich dz mein,
dann du darffst kcckhlich trawon
vnnd gwißhch auf mich bawen,
du herzigs mundelein.
6. Reichthumb thue nicht anschawen,
dann ich hab solbigs nicht,
muest gott allein vertrawen,
weil er all ding anrieht;
solt mich darumb nicht hallen
vnnd von doßwegen laßen,
wie es sonnst gmeinelich gschicht.
[6]
406
[7] 7. AUso ^vill ich beschließen
diß liedlein also klein,
ich hoff, ich werds genießen,
weil ichs so trewlich mein,
Akrostiehon: Barbara.
wann wir liommen zuesammcn:
ade inn Gottes nammen,
der helff vnns beeden fein.
1. Soldat.
Mein gott.vnnd beer, nun stehe mir bey,
weil ich jez muoß von hinen
inns vungerland nach ritterschafft,
hilff gott, dz mirs gelinge,
ich bitt dich auß meins herzengrund,
du weist mir gnad verleichen,
dz ich treff ein glückhseelige stund,
dz sich mein lieb mög frewen.
[8] 2. Jungfraw.
Ach, liebster schaz, sprach sie, mein lieb,
was trawrest du so sehre,
ich wil dir geben ein gueten rath,
folg du nur meiner lehre,
was ich dir gönne, dz weiß gott wol,
er kent all mein gedanckhen,
du zeuchst von mir vnnd lest mich hier,
dz thutt mein herze krenckbeu.
3. Soldat.
Ziech ich von dir vnnd laß dich hier,
thue du darumb nit zagen,
ich muoß jezund ins vnngerland.
mich mit dem feinde schlagen;
darein zeucht mancher stolzer hold
vnnd thuet nach ehren streben,
also will ich es wagen auch,
verleicht mir gott dz leben.
4. Junckhfraw.
Ach gott, ach gott, wo soll ich nun,
[9] mein junges herz hinkehren,
weil mich mein lieb verlaßen will,
mein trawren thuet sich mehren;
waß hülfft mich dann die große lieb,
die ich zu dir getragen,
weil du jezt zeuchst ins vnngerland,
wilt leib vnnd leben wagen.
5. Soldat.
Ich ziech dahin, gott geb mir glückh
vnnd hoff, was zu erwerben,
ich förchte nicht deß feindes tückh,
gott lest mich nit verderben,
er waiß, dz ich dich herzlich mein
vnnd kan es doch nit wenden,
weil es dann nit kan anders sein,
so will ich es vollenden.
6. Junckhfraw.
Kan es dan jezt nit anders sein,
so wöll dich gott geleiten
vnnd [10] gebe meinen willen drein, [10]
gott stehe auf beeden selten.
bitt du für mich, wie ich für dicli,
er würdt dich nit verlaßen,
denckh, was du hast verheißen mir,
nun ziech hin deine Straßen.
7. Behüet dich Gott, mein taußent
schaz,
auf weegen vnnd auf Straßen,
frölich biß auf denn musterplaz
vnnd auch in wehr vnnd waffen
vnnd andre frombe kriegsleüth guett,
die da ir leben wagen,
ja, die da wagen leib vnnd bluott,
damit sie nit verzagen.
8. Noch eins kompt mir jezt inn mein
sün,
mein höchster schaz auf erden,
weil du jezunder zeuchst dahin,
fiehr nit ein gottril]loß leben [11]
vnnd hüet dich vor der trunckhenheit,
bringt manchen vmb sein leben,
daran gedenckh zue aller zeit,
so würdt dir gott glückh geben.
9. Soldat.
Ade zue taußent gueter nacht,
hieran will ich gedenckhen,
bewahr dich gott mit seiner macht,
jeziind muoß ich mich lenckhen
zum thor hinauß ins vnngerland
mit anderen kriegsieüthen,
alda wir sein von gott gesandt,
er wöll vnnß helffen streitten.
DIE SCinVELINSCHE UKDERHANDSCHRIFT
407
10. Juncklifraw.
Nun helff dir gott zuc aller stund,
sprach die liebste alleine,
der liebe gott spar dich gesund,
er weiß, dz ich dich meine
12] vnnd andre [12] frombe kriegsleüth,
die dir da helffen streitten,
wöll gott bewahren in dem streitt
vnd sie alle gelaiten.
2, 5 hds. weist. — 2. 7 Iids. von mir von
11. "Wer war, der vnns diß licdlein
sang,
er meint sein Hob von herzen,
ein freyer soldat ist ers genant,
hierauß treibt er kein scherze;
kriegsleüth seind im von herzen lieb
vor anderen auf dißer erden
vnnd auch darzue die liebste sein,
gott geh ir langes leben.
[13] 1. Mancher nach reichthumb freyet,
welchs in hernach offt reyet,
wan dz guett ist verzehret,
hat all lieb aufgehöret.
2. Manchem thuet auch gefallen
Schönheit vor andrem allen,
solch lieb aber nicht bestehet,
weil Schönheit bald vergehet.
3. Drumb will ich solehs verachten,
allein nach frömbkeit trachten,
reichtumb, Schönheit ohn maßen
will ich ganz fahren laßen.
4. AVürdt mir aber frömbkeit geben,
reichtumb vnnd schön darneben,
thue ich mit warheit sagen,
ich volts auch nit abschlagen.
I»i latdenhuch des Rudenius 1600 (Radecke, Vierteljahrsschrift für musik-
irissenschaft VIL 326 nr. 242).
G. Nach euch, hertzliebstes Liebelein, | sehnet sich immerzue | all zeit dz trawrig
herze mein ... Ü str. auf s. 14 — 17, — Akrostichon: Narcissus.
7.
'18] 1. Mein lust tregt mich zuc singen
ein liedlein dir zur ehr,
ob mir drob kündt gelingen
dein liebe desto mehr,
dz ich dein huld bekeme,
darnach ich ring allein,
welchs mir wer sehr bequeme,
zarts schöns junckfrewelein.
2. .Vn dich so offt ich denckhe,
wie offt die stunde schlecht,
mein herz ich offt drob krenckhe,
wan es an dich gedächt,
dz ich all zeit muoß bleiben,
herzlieb, so weit von dir,
all laid wolt ich vertreiben,
wan du werst noch bey mir.
3. Recht wie die turteltaubeu
lieben irn gesellen fein,
wann maus in wegg thuet rauben,
[19] ir leb[19Jtag trawrig sein.
thun doch bißweillen lachen
in irem großen schmerz,
sehn bald sawr in die Sachen,
es geht in nicht von herz.
4. Gleich also auf die maßen
muoß ich bekennen dir,
wan ich reitt auf der Straßen,
geht es auch so mit mir,
kann nimmer lustig werden,
ob ich schon lach bißweil,
sey, wo ich well auf erden,
im sün stetts zue dir eyl.
5. Red ich mit mein gesellen,
so red ich stetts von dir,
mein reden thue ich stellen
von dir, o höchste ziohr;
schlaff ich, .so kompt mir füre
im schlaff dein schön gesiebt,
wach ich, alßdann ich spühre,
dz es ist ein gedieht.
[201
408
6. Eß ich spatt oder morgen,
so schmekht mir doch kein biß
vor vihlen schwehren sorgen,
wann ich die malzeit iß;
trinckh ich, so trinckh ich gerne
auf dein gesundheit auß,
denckh dann, ach, wie so ferne,
dz geht zum herzen auß.
7. Tanz ich gleich einen rayen
mit andern junckfrawn fein,
will michs doch nit erfrewen,
spring nimmer frölich drein,
5, 2 hds. statt stetts.
1. Tüeff in dem vnngerlande
lag ich junger tronieter,
vihl gfahr hab ich außgstanden
|: von dem türekischen beer. :|
2. Noch ließ ich offt erklingen
der mein trometen schall,
die hört man lustig singen
|: vber berg vnnd tüeffe thal. :|
[22] 3. Nun machet ich besunder
ein schöne melodey
vnnd hab die bracht besunder
|:gehn München in die statt frey. :|
4. Vnnd thet dieselbig schenckhen
einer jungkfrawen zart,
mein darbey zue gedenckhen,
|: sy ist von edler art. :|
5. Cupido hat mich gschoßen
vnnd mir mein herz verwundt,
ich hab sy eingeschloßen
|: in meines herzen grund. :|
6. Laider so miest ich sterben
von wegen ehren fromb,
also müest ich verderben,
|:wo ich dich nit bekom[b]. :|
weill ich dich nit mit schallen,
mit deinem ehrenkranz,
vor andren jungkfrawn allen
mag fiehren an den tanz.
8. Ach gott, thuo doch bald wenden
mein herz vol trawrn vnnd laid, [21]
laß trawrn vnnd laid sich enden,
verkhers in stette frewd;
schickh mich bald hin in frewden
zu der, daruon ich sing,
dz ich frey sey von leiden,
die frewd mit rhuom herr spring.
7, 2 hds. junckfraw. — Akrostichon : Margreta.
8.
7. "Wie Piranius thuet lieben [23]
Thisbe, die wolgethon,
also thue ich mich ieben,
|: wo ich ir dienen kan. :|
8. Ich blaße ir zue ehren
vihl manchen schönen tanz,
wie man thuet täglich hören,
j: in ehren steht vnd ganz. :|
9. Mein zungen sy regieret
auf der trometen thon
vnnd mir dieselbig führet,
|: dz nicht bald immer kan. :|
10. Die lieb hat vberwunden
dz junge herze mein,
jez vnnd zue allen stunden,
|: so bleib ich ewig dein. :|
11. Thue dich nicht von mir w^enden, [24]
dz ist mein höchste pitt,
dein bin ich biß ans ende,
|: laß dich verfiehren nicht. ;|
12. Wann du dz lied hörst singen,
so gedenckhe, dz mich
die lieb darzuo thuot zwingen,
gott well behüeten dich.
10, 1 hds. hab.
9. Ein now schüzenlied, so ich selb gemacht. A. 1612: Ein schüz nach sein
belieben, | gieng zue dem schießen auß ... 10 str. auf s. 25 — 29.
10.
[30] Ein schön, newes lied. In aigner melodey.
1. Die sonn scheint auf den harten frost,
der früeling bringt vnnß guete post,
frisch auf, frisch auf, frisch auf;
man hört die drumen schlagen,
es geht an allen orthen au,
zue waßer vnnd zue land.
DIK SCH-WELINSCHE LIEDERHANDSCHRIFT
40Ü
2. Vorhanden ist die zeit einmal
man würbt Soldaten vberal,
frisch auf, frisch anf, frisch auf,
man fierth durch alle landt
Munition vnnd prouiant,
darzue vihl newe münz.
3. Auf gott hab ich mein sach gcricht,
der würdt euch auch verlaßen nicht,
frisch auf, frisch auf, frisch auf,
wol inn dz vnngerland,
ist manchem ki'iegsman wol bekandt,
hie bleib ich länger nit.
4. Wie würdt es aber gschehen mir,
mein höchster schaz vnnd schönste zir,
frisch aixf, frisch auf, frisch auf,
mit mannheit, gueth vnnd ehr
will ich bald wider kommen her,
mach dir die weil nit lang.
5. An statt deiner schönen gstalt
mein apfelgrawes pferdt ich halt,
frisch auf, frisch auf, frisch auf,
es geht mit mir inn todt
vnnd tregt mich offt auß mancher noth
durch dein großmüetigkeit.
6. Für deinen sießen rotten mund
gieß ich die bleyin küglein rund,
frisch auf, frisch auf, frisch auf,
für deine fingerlein
inn meine bände sinckhen nein
der degen vnnd pistol.
7. Nun mag es gehn, wie gott es will,
mein leben steht inn gottes zill,
frisch auf, frisch auf, frisch auf,
mit gottes hülff vnnd [33J crafft 33J
sez ich inn ehr vnnd ritterschafft
mein junges leben dahin.
8. Nach dißem trunckh zue gueter nacht,
sey dir mein lieber schaz gebracht,
frisch auf, frisch auf, frisch auf,
bey dißem ringelein
wirstu ein weil gedenckhen mein,
biß ich widr komb zue dir.
9. Ade, stell mir dz weinen ein,
es kan vnnd mag nit änderst sein,
frisch auf, frisch auf, frisch auf,
zue tausent gueter nacht;
schaiden hat mich bald weinen gmacht,
ade, ich schaid von dir.
2,5 hds. munontion. — 8,1 icä?-e besser: noch dießer.
Hilarius Lustig nr. 40 (Meusebach - Hayn s. 11); danach Hoff mann von
Fallersieben, Oesellschaßslieder II, 45 nr. 285 (13 Strophen).
11. Ein new lied: Khein frewd ohn laid, | ein Sprichwort ist . . . !) str. auf
s. 34 — S8. — Akrosticl(on: Katharina. — Hilarius Lustig nr. 166 (Meusebach-
Hayn s. 17).
12. Auf allen selten | hab ich zue streitten | in lieb vnnd laid . . . S str. auf
s. 39 — 42.
13. Euch, herzigs lieb, | wilf ich zue ehren, | auß liebestrib, | ohn allß be-
schwehren ... 7 str. auf s. 43 — 46. — Akrostichon : Euphrosina.
14. Ein maistergesang : Ein junger man, der namb ein weib,
holdseelig von leib ... 3 str. auf s. 47 — 51.
gar schön vnnd
15.
1. Es sas ein vöglein
im grüenen büschlein,
es .sang so süeße
ohn allß verdrieße;
mit hüpfen , mit danzen , mit springen
thot sich dasselb vöglein
jezt hin, jezt her in seinem singen.
2. Diß vögelein
welches ich hie maine,
thet mir gefallen
fürn vöglein allen;
sein schnäbloin, sein züngloin, sein liülßlcin
war abgericht artlich vnnd fein,
es köndt nit lieblicher sein.
410
3, Het ich diß vöglein
in nieinera häußlein,
[53] ich wolt es sezen,
solt mich ergözen,
vihl kurzweil, vihl frewde, vihl wohue
solt mir es geben mit seinem thone,
ich wolts auch warten schone.
16.
[54] 1. In trawern muoß ich leben,
betrüebt ist mir mein hertz,
die lieb, so frewdt thuet geben,
mir nur" vervrsacht schmertz.
indem daß ich hier liebe
vnd darff es melden nicht,
wie hoch mich thuet betrüeben
dein holtseeliges gesiebt.
2. "Wolt gott, du möchtest wißen
die große lieb vnnd guust,
deren ich mich beflißen,
zu tragen in gedult;
obschon selbige vergebens
solches geschehen thuet,
soll doch die zeit meins lebens
wehren mein trewer muth.
3. Ruhe thet ich offt begehren
dem großen schmertzen mein,
doch weil dir geschieht zue ehren,
sols mir auch augenehm sein;
[55] mein hertz ist schon gewöhnet,
in pein zue vben sich,
darin niemahl vorschonet
die große liebe hat mich.
2, 2 besser huldt. — 4, 5 hds. retten
4. Gedult thuet mich ernohren,
hoffuung mein trost thuet sein,
du aber auß beschweren
mich erfetten kanst allein;
wie kanstus aber ratten,
wenß ihr nit sagen thue,
ach, schweigen ist mein schade
vnd hindert meine rueh.
5. Solts ich dan offenbaren,
ach mein, es schicket sich nicht,
kein mensch sols erfahren,
waraui mein sinn ist gericht,
heimlich so will ich füehren
mein lieb wol in der still,
an äugen kan man spüren,
waß der mund reden will.
6. Ade, mein einiges leben,
diß lied nim du in acht,
dir hah ich es ergeben
vnd dir zue ehren gemacht.
Gott wol dich stehts bewahren
vor vnglückh, pein vnd schmertz,
für vnfah! vnd gefahren
wünsch dir ein trewes hertz.
— "5,2 hds. schickets. — 6,7 gefahre.
[56]
17. Ach, waß vor klag [ füehr ich alltag | vnd lall es doch nit scheinen . . .
9 str. auf s. 56 — 60. — Paul von der Aelst 1602 nr. 29 (Ho ff mann von F.,
Weim. Jb. IT [1855] 327).
18. Soll den Venus ein göttin
21 Str. auf s. 61—66.
[66] 1. Der monschein ist verblichen,
die finstere nacht ist gewichen,
stehe auf, du edle morgenröth,
zu dir all mein vertrawen steht.
2. Dein vorbott, der klein Lucifer,
fehrt albereit im himmel her,
er hat die wolckhen vfgeschloßen,
die erd mit seinem tauw begoßen.
sein, I die so quelet das hertze mein .
19.
3. Phoebus, dein vorbott wol geziert,
hat schon sein weeglein angefüehrt,
der sonnen pferdt seind angespandt,
die zeit ist da, fahr du von dann.
4. Fahr hin für das Schlafkämmerlein, [67]
da ligt die allerliebste mein,
meld an, Orian, waß ich dir sag,
mein dienst, meingruoß, einen gueten tag.
»I
DIK SCmVELINSCHE LIKDEHHANDSCIIIIIFT
411
5. Du solt sie fein zichtig weckhen,
solt dir mein große lieb entdeckben,
solt sagen, wie ich die gantze nacht
in (jual vnd schwere pein zubracbt.
(). Man sagt, das dein liecbt alles sieht,
so ist dir [djeun verborgen nicht,
zue stehen in dem hertzen mein,
dz ich der einig diener dein.
7. Begrüeß vor mich ihr äuglin klar,
ihr helßelein weiß, ihr adeliches haar,
vmbfahe für mich ihren rotten mund
vnd trückhs, o, wo ihre brüstlein rund.
8. Fahr hin, du edle morgenröth,
zu dir al mein vertrawen steht,
fahr hin, fahr hin, mehr bitt ich nicht,
allein fahr vnd niin mich mit.
[68]
5,2 kds. entdenckhen. — besser: solt ir.
20. Höre an, menschliche creatur, | ein vnerforschlichs miracul . . . <S str.
auf s. 68 — 71.
21. "\Van ich hertzlieb thuc gedenckhen, | mein hertz, dz thut sich krenckhcn . . .
5 str. auf s. 72 fg.
22. In schwerer lieb breu ich | vnud muß verzagen ... 10 str. auf s. 74 — 76.
23.
[77] 1. Ellendtlich mein blüende zeitt
ich verzehren muoß,
ach, wie mein hertz in großer pein
seüffzot mit verdruoß,
klaget sehr, ie lenger ie mehr,
seinen pein vnd schmertzen.
2. Lustig ich nit werden kan
nun vnd nimmermehr,
dz macht allein der alte man,
darum b bitt ich sehr,
ach, lieber gott, schickh nur den todt,
der in thuet abfordern.
3. Jung bey jung vnd alt bej- alt
reimbt sich eben recht,
wan es wer in meinem gewalt,
daß ich tauschen mecht,
wolt ich den greiß, vn alles geheiß,
vor ein jungen geben.
4. Seültzen vnd klagen bringt große pein
in mein junges hertz
vnd wird hinfort dz leben mein
[78] hefftig sehr verletzt,
weil ich nit kan, deß alten man
frey vnd ledig werden.
5. Es wer nun aber die rechte zeit,
sag ich auß hertzengrund,
welches mir geb ergötzligkeit
jetz zue diser stundt,
dan ich mit lust an meine brüst
hertzlich mir thue winschen.
6. Ach, wie ist mir in schwere pein
ietz zu dißer zeit,
weil mir dz nit werden kan,
was mir im hertzen leith,
welches mein leid in gefährligkeüt
leüchtlich mecht vei'kehren.
7. Bey mir kein frewdt ich spüren kan,
noch habe [ich] gedult,
daß macht allein der alte man,
der mich vnuerschuld
quellet sehr, ie lenger ie mehr,
wehe der pein vnd schmertzen.
8. Ach todt, wo bleibestu doch so lang,
kom du doch hieher,
nim den alten vnd mach in kranukh,
dz ist mein begehr,
füehr in forth an sein ordt,
ein junger ist mir lieber.
1, 6 Jids. seinem.
Ulla r ins Lustig nr. 160 und Fl. bl. aus VüiU (Meusebacli- Ifaijn s. 13);
danach Hoff mann von Faller sieben , Oesellschaftslteder II, 132 nr. 326 /.'i s/rophrn :
CS fehlen unsere str. 4. 6. 7).
412
BLÜMML
24.
[79] 1. Groß noth vnd angst leid ich ietzund,
kein wortt kan reden mehr mein mund,
weil ich von meinem liebelein
muoß gscheiden vud beraubet sein.
2. Eurialus, sag ich für wahr,
werdt komen offt in groß gefahr,
Lucretia bracht mich in noth,
zuletzt auch schier in bittern todt.
3. Dannoch ist diser alles klein
gegen der ohnaussprechliche pein,
so ich in meinem hertzen trag,
vor schmertze'n nimmer leben mag.
4. Bin ich hie oder änderst wo,
dein geist mir stettigs lauffet nach,
thut mir auf meinem fuoß nachschleichen,
ich kan im gewißlich nit entweichen.
5. Wan ich deß nachts lig in der rueh
vnd thue mein schläfferige äuglein zue,
so thustu dannoch bey mir stehen
vnd machst, dz ich nit schlaffen kan.
[80] 6. Wan ich wider vfstehen thuo,
so hab ich gwißlich wenig rueh,
ach liebelein, ach mein trewes hertz,
waß leid ich deinethalben für schniertz.
1,3 hds. liebenlein. — 5,3 lies: stan
7. In summa, wo ich gehe hin,
ligstu mir stettigs in dem sinn*
dz macht allein dein trewes hertz,
dz ich muß leiden solchen schmertz.
8. Wie manchen drenen thust mir auß-
preßen,
wie kan ich imer dein vergeßen,
solt ich nit heylen vnd nit weinen,
mein hertz dz müeste sein von steinen.
9. Nun leid ich solches mit gedult,
dieweil ich spür der liebe huld
von dir, mein liebsten hertzelein,
köndt ich nur stettigs bey dir sein.
10. Wann ich mein leib vnd auch mein
leben
vor dich solt in den todt dargeben,
wie lieb wers mir, wans gott nur wolt,
dz ich beut für dich sterben solt.
11. Ade, mein schätz, lieb du nur
mich
von hertzen grund, wie ich lieb dich,
weich ich von dir, weich gott von mir,
ein solchs trews hertz trag ich zue
dir.
25.
[81] 1. Weil ich ietzund von hier muß,
ist mir, wiß gott, ein schwere buoß,
mein hertz ist schwer vnd krenckhet sich
sehr,
ach gott, mein schmoiiz vnd vnmuoth wehr.
2. Wie köndt ich doch nun frewlich sein,
wan ich hertzlieb muß von dir sein,
all lust vnd frewdt so lang ich meid,
biß wir zusamen kommen beyd.
3. All mein geblüet verendert sich,
wan ich hertzlieb muß laßen dich,
kein seytenspil mich frewen wil,
dz macht, daß A'enus ist souil.
4. Kein mensch auf erden beschreiben kan,
waß für ein sorg ich für dich han,
ach, höchste zier, wie gehet es dir,
so denckh ich immer für vnd für.
3, 4 Ms. deß.
5. In summa, woh zwey hertzlein
seindt,
die sich lieben ohn falschen schein,
kein größer leid bringt ie die zeit,
dann wan sie von ein ander seindt.
6. Kein stund vergeht, ja kein minut, [82J
mein hertz an dich gedenckhen thut,
so große begir trag ich zue dir,
kein falsche red, dz glaub du mir.
7. Jedoch bitt ich, trag nur gedult,
halt mich, hertzlieb, in deiner huld,
bleib bstendiglich , daß bitt ich dich,
rewen wirdts weder mich noch dich.
8. Doch hab ich disen besten trost,
der mich auß trawrigkeit erlöst,
kom widerumb, schier spricht sie zu mir,
so denckh ich immer für vnd für.
DIE SCHWELINSCHE LIEDERHANDSCHHIFT
413
26.
1. Ach, thiebewolckhen, bitters scheiden,
warum verbirgst den Sonnenschein
vnd bringst dardurch in uoth vnd leiden
daß hochbetrüebte hertze mein,
ade, mein schätz, ich scheide mit schmertz,
laß euch zum pfandt mein getrewes hertz.
2. Ach neidigs glückh, kanst dann nit
leiden,
daß trewe hertzen sein content,
sonder durch dz [83] hochbetriiebtes schei-
den
zue berauben ihres contentament,
ade, mein schätz, ich scheide mit schmertz,
laß euch zue pfandt mein getrewes hertz.
3. Mit seüffzen ich die lufft erfülle
vnd klag dem echo meine noth,
27. Amor
kein mittel find, mein klag zu stillen,
biß mich hinnimpt der bitter todt.
ade, mein schätz, ich scheide mit schmertz,
laß euch zue pfandt mein getrewes hei-tz.
4. Zu sterben ich bin resoluirt,
thue auch dasselb mit höchster frewd,
wan ich nur in ewer gedächtnul' losirt
vnd ihr mein trewes hertz bleibt.
ade, mein schätz, ich scheide mit schmertz,
laß euch zimi pfandt mein getrewes hertz.
5. Pittendt, dz glückh wolt mir vergönnen,
daß ich doch nochmals vor mein end,
ewer trewes hertz möge sehen vnd können,
so sterb ich, doch bin vol content.
ade, mein schätz, ich scheide mit schmertz.
laß euch zue pfandt mein getrewes hertz.
dein pfeil fast quelet mich, | bin gantz malat, kein hülff mehr
sich
10 str. auf s. 84 — 87.
28. Weil er vnnß niit Venus flammenbrunst endtzündt,
namen, ist ein kindt ... 6 str. auf s. 87 fg.
29.
der klein Cupido mit
1. Lustig will ich sein,
bewahr dich gott, hertz -liebelein,
ietzund zeuch ich darvon,
waß gibt [89] man mir zu lohn,
waß hab ich doch darvon,
frisch, fromb ist nun ietzund
der mein beste reichtumb.
2. Vber daß meer gehet es darvon
ohn alle müeh,
es sey spatt oder früe
mit lust fahr ich dahin,
hab ich schon kein gewin,
iedoch, schöns lieb,
hast mir mein hertz so gar betrüebt.
3, 4 hds. krenckt.
1. Barbarisch seindt deine thaten,
Cupito, kleines kindt,
wie hastu mich verrathen,
gentzlich gemaclit so blindt,
daß ich allein thue lieben,
daß mir nit werden kan,
wie thustu mich betrüeben,
erst geht mein Jammer an.
3. Wan ich gedenckh,
hertzlieber schätz,
die hinfart dein
wird mir mein hertz sehr krencken,
wer wird dan trösten mich,
wan ich so trawriglich,
schöns lieb, muß meiden dich.
4. Ade zu guetter nacht,
scheiden hat mir baldt trawren gebracht,
het ich es nit gedacht,
ietzund so muß es sein,
bewahr dich gott allein,
mit lüst vnd früst
ich mich auf dise reille rüst.
30.
2. AlLß ich offtraals gedenckhe
an deine tyrranei,
tiiustu mein hertz sehr krenckheu,
maeh.st alten scbmertzon now,
ir, götter, hört mein klagen
vnd uimpt daß wol in acht,
wie hart man mich thuet plagen
allein dunii Venus macht.
414
3. Recht göttlich ist ihr wesen,
die mich sehr krenckhet hartt,
Cupito, thue geneßen
mein hertz, nim es in acht;
laß dir Cupito machen
ein pfeil von gleichem stahl,
das die sehr schwere Sachen
ein endt nemmen einmahl.
[91J 4. Betracht Amor mein leiden,
dz junge leben mein
vergeht gantz vngescheiden
vnd kan nit änderst sein;
in trawren thue ich leben
alhie in diser weit,
thue mich auch darein ergeben,
weils gott also gefeit.
5. Allein tröst ich mich deßen,
sonst wer ich schon im grab,
du wilt mein nit vergeßen,
wie trewlich ich dich lieb hab,
Akrostichon : Barbai'a.
1. 0, ihr holdseelige äuglin,
waß hab ich euch gethon,
daß ihr mich thuet berauben
deß aller best, ich hon.
2. Ach, wer ich blindt geboren,
thet euch gesehen nit,
so hett ich nit verlohren
mein gesiebt vnd frewliches gemüth.
3. Ewer äugen, die seindt stralle,
schießen ein schmertzliches fewr,
1, 1 hds. holtzseelige. — 2, 2
du wirst michs laßen genießen
vnd lohnen meinen dienst,
es solle mich nit verdrießen,
wie seltzam er gleich ist.
6. Reiß doch aus meinem hertzen
dein vergifften pfeil,
lindere du mir mein schmertzen,
trif sie in gleicher eyll,
so wirstu mich erretten
auß aller meiner gefahr,
auß allen meinen nöthen,
sonsten stehe icJi in gefahr.
7. Ade, ade, vor schmertzen
ich nimer singen kan,
dan mein trawriges hertze
ist gantz gezindet an,
diß liedlein thue ich schenckhen
der hertzallerliebsten mein
vnd gib ihr zu gedenckhen,
wie mir offtmals muß sein.
31.
sie liebet mir im hertze,
darumb zall ichs so tewr.
4. Ewre äugen, die seindt hotten,
die man schickt auß nach lieb,
dan sie einmahl gerathen,
findt man nicht eher dieb.
5. Ach, soll ich aber wenden
meine äugen von euch ab,
ewer angesicht entfliehen,
weil ich deß leben hab?
lids. auch . . . mit.
32.
1. Habt angericht jamer vnnd noth,
seyt schuldig an meim todt,
seyt schuldig an meim jungen leben,
dz ich mich muoß ins eilend geben,
dz waiß der liebe gott.
2. Ewer herz eyßen thuet sein,
[94] darzue von hartem stein,
wolt gott, dz ir mein eilend wist,
ehe dz der todt mein herz zer-
bricht,
so kem ich ab der pein.
[92]
[93]
3. Habt euch so hoch verpflicht,
mich zu uei laßen nicht,
wolt mir beystehn biß an mein end
vnnd ganz nit sein von mir zertrent,
0 wehe, dz halt ir nicht.
4. Khein zung aussprechen mag,
wie ir an jhenem tag
müest rechenschafft geben vorm jüngsten
gericht,
0 wehe, dz denckht ir warlich nicht,
ach gott, der großen clag.
DIE SCHWKl.INSCllE LIEDERIIANnSCHRIFT
415
[95]
5. Mein herz ist mir verwandt:,
wolt, dz ich sterben kundt,
wünsch meiner seel ofFtnial den todt,
ach, grüeß euch gott schöns mündlein
rott
jez vnnd zue aller stundt.
(). Wann man mich legt ins grah,
koinb ich der marter ab,
1,5 hds. waist.
im grab wolt ich vihl lieber ligen,
dann dz ich euch vmbsonst solt lieben
vnnd bey euch sein schabab.
7. Will bschhoßen meinen muotli,
wies turteltiiublein thuot,
will nenimen ein frölichen syn
vnnd [96] fahren mit ins eilend hin,
verlaß mein höchstes guoth.
f9G]
33. Icli lieb, wo ich nur thue hingehen, | pfleg aber zu changieren geschwindt . . .
5 Sir. auf s. 96—98.
34. Ein Caualirer, so recht tbuet lieben, | den mag khein vnglückh betrüeben . . .
S s/r. auf s. 99 — 103.
35. Pein, angst vnd große schmertz ( mich queleii, betrüebten, ängsten sehr
mein hertz ... 5 str. auf s. 103 — 105.
36. Amoris hoffhaltuug: Amor, dz schnöde kiud, | ist bey mir eingezogen . . .
4 Str. auf s. 105 — 107. .
37. (Fragment).
[10S| 1. Soll ich nicht klagen Vber dich,
das du so trostloß last mich,
du weist, das ich mit hertz vnd sin
dir biß in den todt ergeben bin.
38. We
[110] 1. Es ist ein thierlein auf der weit,
hält sich gar gern zun weiberu,
wie wohl es ihnen nicht gefeilt,
khans doch khein mensch vertreiben;
es beißt vnd sticht vnd hülfft doch nicht,
wann man sich schon thuet reiben,
es ist ein floh, des sein nit froh
die jungen vnd allte weihen,
ein floh, ein floh, ein floh,
er beist vnd sticht, er zwickht vnd bickht,
er stupCft vnd hupfTt, er kreucht vnd
weicht,
er kitzelt vnd bitzelt, er krabelt vnd zabelt,
die mägdlein vnd die weiber
nit sicher vor ilini bleiben.
[111] 2. Die weiber haben große pein
von flöhen vber dmaßen,
bey ihnen findt man groß vnd klein,
khein rhuo sie ihnen laßen,
im hembd vnd klaid thuns ihnen laid,
im haulj vnd auf der gaßen.
2. Ich ruffe dicli an, mein aufendhalt,
durch berg vnd thal in dißen waldt,
erbarm dich des klageus mein,
aber du thust vnbarmherzig sein.
iberlied.
im beltz vnd rockh sitzt mancher schockh
vnd plagens auf der straßen.
ein floh, ein floh, ein floh etc.
3. Wan dweiber in die kürchen gehn
oder zur gastung wollen,
so thun sie vor für's fenster stehn
vnd fangen manchen gsellen,
mit großem Heiß auf manche weiß
den flöhen sie nachstellen
vnd wann sies dann erhaschet han,
so thun sies waidlich knellen.
ein floh, ein floh, ein floh etc.
3. Vnd wann sie wollen schlaffen gehn,
für's licht sie stehn von stunden,
die flöh zue suchen hebens an
vnd fischen oben vnd vndeu,
sie suchen auß wol nach der pauß
all falten vnd all schrunden,
so lang biß sie mit großer niüohe
die flöh haben gefunden,
ein lloii, (;in floh, ein floh etc.
112]
[113]
416
Zuerst 1618 in Erasnms Widmanns Xeuer musicalischer kurtxweil als
nr. VITI: danach bei Hoffmann von Fallersleben 11,227 nr. 375. — Auch im
liederquodlibet „Neicer Grillen Schivarm" 1620 venvendet (Hoffmann v.'F., Weim.
Jb. in fl855], 132 nr. 63).
:ii8]
n. Theil.
39. Der Königin Cliristinae in Schweden einzug zue Rom.
Im thon: Vom himmel hoch, da komb ich her.
[119]
1. Von niderland, da komb ich her,
gar vihl bring ich der newen mehr,
der newen mehr bring ich so vihl,
davon ich singen vnd sagen will.
2. Es hat die Schwedin hochgeboren
das Lutherthumb in grund verschworen,
deß iiabsts lehr dunckhet sie so fein,
daß sie auch will guet päbstisch sein.
3. Sie hält den pabst für ihren gott,
der würdt sie füehren auß aller noth,
er würdt ihr heylandt selber sein,
in die engelburg auch nemmeu ein.
4. Der pabst bringt ihr vihl herrligkeit,
will sie nicht laßen in lieb vnd leid
vnnd soll in seinem himmelreich
mit ihm thun leben ewigUch.
5. So merckhet nun das zeichen recht,
den chrysam an der Stirnen sclilecht,
der lutherischen ketzerey
ist sie dardurch gantz worden frey.
6. Deß last vnß pabstler frölich sein
vnd drauff gehn zum küehlen wein,
dieweil des pabstes kürch sich nehrt
vnd ihm ein liebes kind verehrt.
7. Merckh auf mein hertz vnd sich dorthin,
wer hat ein solchen munder[nj syn,
wer legt sich zue pabst essel nein?
es mag wohl die Christina sein.
8. Biß willkommen, du edler gast,
das pabstumb nicht verschmähet hast
10, 4 hds. schwäge.
Christina von Schiveden (1626 — 1680) kam von Holland über Tirol, rvn sie
XU Innsbruck öffentlich xum katholischen glauben übertrat (3. novemher 1655), am
19. december 1655 nach Rom, ivo sie von jjapst Alexander VII., der ihr xu ehren
eine reihe von festlichkeiten gab, königlich empfangen ivurde. Unser lied spiegelt
die erste xeit ihres römischen aufenthaltes tvider, über den man besonders
W. H. Grauert, Christina, königin von Schweden und ihr ho f. II {Bonn 1842)
86fgg.; 95fgg. vergleiche.
vnd kombst vom lutherthumb zu mir,
wie soll ich immer danckhen dir.
9. Was ist das für ein Wunderding, [120]
deß Luthers lehr haltst so gering,
die doch dein vatter allezeit
verfochten hat mit krieg vnnd streit.
10. Wer dz welschland vihlmahl so weit,
mit gold vnd edelgstein bereit,
so wers dem pabst doch vihl zu gring,
wanns Luthers lehr im schwänge ging.
11. Mit samet vnd seiden rein
beklaidet er seins glaubens schein,
macht sie zue götzendiener gleich
vnd das soll sein ihr himmelreich.
12. Dir pabst es durchauß wohlgefält,
wann mann die warheit nur verhält,
wie aller weit macht, ehr vnd guet
für gott nichts gült, nichts hülfft, nochthuet.
13. Christina, liebes schwesterlein,
mach dir ein rein sanffts bethelein,
zu ruhen ins pabst hertzensschrein,
daß er nimmer vergesse dein.
14. Davon er allzeit frölich sey, [121]
so oift ein freßfest komp herbey,
zue singen mit Christina schon
mit hertzens lust der Schweden thon.
15. Lob, ehr sey gott im höchsten thron,
der vnß schenckht seinen einigen söhn
vnd seine kürch doch noch erhält,
wann schon ein königin abfält.
DIE SCHWEUNSCHK LIEDERHANDSCHRIFT
41'
40. Veuus vnd ihr kleiner solin
s. 121 fy.
1231 1. Dort oben auff dem berge,
da steth ein hohes hauß,
da reitten alle morgen
elif schöner reitter rauß.
der ein, der beist hanß dölpel,
sew michel, veit schnitzler,
steifälin peltz, hanßiin peltz,
michel pfeiffer, caspar hammer,
^imma kegel, veit tobel,
sein brueder der hanß fridel
mit seinem langen stiffel;
von der lump, pump, pump, [tump,
dieselbige redliche leüth
lindet mann weit vnd breitt.
2. Dort oben auff dem berge
im selben hohen hauß
spacieren alle morgen
elff schöner frawlin raus,
die ein, die heist mist tilga,
Itraun graita, küehe barbla,
notzer bella, dut apio,
sprachen zu dem Coridou
7 str. auf
41.
blatter anna, schnitzis elßa,
grälla graita, ihr Schwester
clarcusta, breitschmusa
mit ihrem grossa buesa,
von der lump, pump, pump, jmmp,
dieselbige redliche leüth
findet mann weit vnd breitt.
3. Auff disem hohen berge
leben sie wohl vnd fein,
die ein wibt Schleyer vnd sergen,
geht mit dem mann zu wein,
die ander kan wohl grasa,
kühe melckha, wohl mista,
rüben graba, wüst kocha,
übel betha, windel wascha,
ayer bacha, vihl fressa,
wohl claffa, nichts schaffa,
kocht suppa im sewhafen.
von der lump, pump, pump, pump,
dieselbige redliche leüth
findet mann weit vnd breitt.
[124]
42.
1. Dort oben auf dem berge,
da geht ein hirschlein jung,
wann ich dasselbige lagen soll,
so würdt mein hertz gesundt;
ich will das lagen nicht vndeiiahn,
biß ich dasselb würdt gfangen han,
sondern jag tag vnd nacht biß mirß,
biß das schöne hirschelein
von mir würdt gfangen sein.
3. Als Venus auf ihrm wagen
gehn himmel fuhr daher,
gar schön vnd herlich ihr strahlen
schos auff erden hin vnd her;
ein dapfer jäger gieng spacieren.
mit listen in sein netz zu führen
zarte schöne hirschelein,
die auf grüener baide sein
vnd im walde vberall
zu finden ohne zahl.
3, 3 hds. vernemmen.
Hilarins TAistig nr. S7 (Mevsehnch
ZKITSCURIFT F. DEUTSCHE miLOLOOIK. UD. X
3. Als der Jäger in wald kommen,
da vihl der hirschlein sein,
bald in seinem sinn vernommen,
wie eins im netze hieng,
das war das schöne hirschelein.
lieblich vnd schön formieret fein,
darauff sich der iäger spitzt
vnd in seinem sinne sitzt,
0, du zartes hirschelein,
du must gefangen sein.
4. Ach, wie gar sehr betrübet
war doch das hirschelein,
als es sah, das sein zarter leib
so must gefangen sein;
aber der iäger war geschwind
gegen dem hirschlein gar entzündt,
dz ers muste nemme[n] bald,
mit sich füehren aus dem wald
vnd lassen ohn falschen schein
sein liebstes hiischlein sein.
Hau» •■'■ ^^'■
CL. ' 27
[12.51
DIK SCHWKLINsrilK I.IKDKKIIANDSCIIKIFT
419
IHC
17. Doch will ich es befehlen gott,
der würdt ansehen mein große notii,
villeicht ist mir von ihm beschehrt,
eh das ich stirb, ein jüngling wertli.
18. Eh ich "will sterben ohn einen mann,
will eh se[l]bst einen sprechen au,
er sey krumb, lahm, stumm oder blind,
ich muß ein haben, wo ich ihn find.
[138]
19. Wann ich gar kein bekommen kan,
so zeuch ich mit einem Soldaten darvon
vnd solt ich den packh tragen zu feld
vnd alle nacht schlaffen im zeit.
20. Als ich die wort von ihr verstund,
das lachen ich nicht mehr halten kundt,
daß sich die jungckfrawen schämen sehr,
gieng da darvon vml redt nichft| mehr.
47. Relation, relation | von Fillis und von Coridon ... 6 str. auf s. ISO fg. —
Zuerst in den Waldlkderleiri des Joh. Hcrni. Schein 1(>26: Hilarius Lustty nr. 182
iMrusebaeh-Hayn s. 20).
18.
4. Jederman in fragen thct,
1. Es gieng guet fischer auß.
eß gieng guet fischer auß,
wolt fischen auf der biückh(>n,
wolt anglen mit der muckhcn,
daß er komm wider nach hauß.
2. Da kam ein loser bue
vnd sah dem fischer zue,
wolt ihm ein bossen reissen,
thät ihm in lägel scheisseu
vnd macht ihn wider zue.
?>. Vnd da dz fischen war auß
vnd da dz fischen war auß,
sein lägel nam er hinder sich,
sein lägel nam er über sich
vnd ging damit nach hauß.
4, 5 hds. grath. — 6, 2 hds. blindt,
waß er gefangen hat;
er sprach, ich hab guet bachen fisch
vnd alles, was ich hab erwisclit,
darzue kein bösen grätli.
5. Vnd da er kam nach hauß,
sein lägel lert er auß,
daß vnter kehrt er über sich,
daß ober kehrt er vnder sichj
da fiel der dreckh lierauß.
6. Das dich potz schlapperment,
het mich das fischen blendt,
hab gemeint, ich hab gut bachen fisch,
hab ich darfür ein dreckh erwischt,
darzu zwo beschissen händ.
49. Es gieng ein schäffer vndern bäumen | vnd lägte sich in schatten hin . . .
.'/ str. auf s. 13s — 140. — Hilarius Lustig nr. 5 (Meusehach- Haijn s. 13). Clodins
s. 30 nr. 25 (Niessen, Vierteljahrsschr. f. musikir. VII, 638).
50. Luch doch, wie der hänßlen dorten | mit des schulteß graite koßt . . .
3 str. auf s. 141. — Hilarius Lustig nr. 147 ( Meusehach - Ha ijn s. 20).
.01. Sag mir her, du wac^her mägdelein, | wie komm in dein vatters hauß . . .
;.-; str. auf s. 142 — 144. — Vgl. L. Vhland II, 678 fg. nr. 258 (nach Melchior
Francl: 1621); Erk-Böhme, Deutseher liederhort H (1803), 281 f gg. nr. 460'^' (mit
ireiferer lit.).
.')2. .Tungfraw, wie ich vermeine, | so habt ihr gar ein kleine ... .9 str. auf
s. 145 fg.
r.3. Phillis saß auf einem bödgen, | Coridon pfiff auf dem tlädgen ... .9 str.
an f s. 147 — 149. — Venusgürtlein 1650 s. 119 fgg. (ed. Waldberg s.85fgg.); ver-
f isser ist Gabriel Voigtltinder 1650 iWuldhcrg s. XXVUI. nr. 59).
27*
420
BLUMML, UIK SCHWEMNSCHK LIEDERHANDSCHRIFT
Eegis
Ach, trüebe wolcklieü, bitters scheiden
Ach, waß vor klag füehr ich all tag
Amor, das schnöde kind, ist bey mir
eingezogen
Amor, dein pfeil fast quelet mich .
Auf allem selten hab ich zue streiften
Barbarisch seindt deine thaten . .
Bey dir inn allen ehren
Der nionschein ist verblichen . . .
Die sonn scheint auf den harten frost
Dort oben auf dem berge, da geht
ein hirschlein jung
Dort oben auff dem berge, da steth
ein hohes hauli
Ein caualirer, so recht thuet lieben
Ein junger man, der namb ein weib
Ein schüz nach sein belieben . . .
Ellendtlich mein blüende zeitt . .
Es gieng ein schäffer vndern bäumen
Es gieng guet fischer auß ....
Es ist ein thierlein auf der weit
Es sas ein vöglein im grüenen büsch-
lein
Es war einmahl ein jungckfraw zart
Euch, herzigs lieb, will ich zue ehren
Groß noth vnd angst leid ich ietzuud
Habt angericht janier vund noth . .
Höre an, menschliche creatur . . .
Ich lieb, wo ich nur thue hingehen
Ich stundt lieimlich an einem orth .
In schwerer lieb bren ich vnnd muß
verzagen
ter der anfange.
Nr.
26
17
3ö
27
12
:50
3
19
10
42
41
34
14
9
23
49
48
38
15
44
13
24
32
20
33
46
22
In trawern muoß ich leben . . .
.Tungfi'aw morgenseegen
Jungfraw, wie ich vermeine . . .
Kein frewd ohn laid , ein Sprichwort i.<5t
Lieblich im schlaff ein träum ich hot
Liebster nachbar, komm herfür . .
Luch doch, wie der hänßleu dorten
Lustig will ich sein , bewahr dich gott
hertzliebelein
Mancher nach reichthumb freyet
Mein gott vnnd beer, nun stehe mir
bey
Mein lust tregt mich zue singen . .
Nach euch, hertzliebstes liebelein .
0, ihr holtseelige äuglin . . . .
Pein, angst vnd große schmertz mich
quelen .
Phillis saß auf einem bödgen . . .
Relation, relation, von Fillis vnd von
Coridon
Sag mir her, du wackher mägdelein
Soll den Venus ein göttin sein .
Soll ich nicht klagen vber dich .
Tüeff in dem Vnngerlande . . .
Venus vnd ihr kleiner söhn . .
Von Niderlaud, da komb ich her
AVan ich hertzlieb thue ged*enckhen
Weil icli ietzund von hier muß . .
Weil er vnnß mit Venus flammen-
bruust endtzündt
Wie werd ich mich von dür schaiden
Nr.
16
45
52
11
o
43
50
29
6
31
35
53
47
51
18
37
8
40
39
21
25
28
1
Nr.
Verzeichnis der töne.
Ach, höchster schaz auf erden 3
Vom himmel hoch, da korab ich her 39
Wohl dem, der seine tage 43
E. K. BLUMML.
K. M. MKYKR, IICLMBKIXIIT UM) SKINK HAUBE 421
HELxMBKECHT UND SEINE HAUBE.
Unzweifelhaft ist man in der unmittelbaren biographischen aus-
luitziing dichterischer angaben früher viel zu weit gegangen; die ge-
fahren eines solchen Verfahrens habe ich selbst (im Goethejahrbuch 1907)
zu illustrieren versucht, indem ich zur probe ein leben Goethes „aus
den quellen" skizzierte. Aber noch allgemeiner muss die frage auf-
geworfen werden, wie weit die litteratur eines bestimmten Zeitalters als
Spiegel ihrer kultur betrachtet werden darf (Archiv f. kulturgesch. III, 2,
s. 289, vgl. 0. Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte, 3. aufl.
s. 215). Die homerischen gedichte sind ja auch für diese frage das
grosse paradigma; zumal an den waffen hat man die bedenklichkeit der
kulturhistorisch wichtigsten angaben und Schilderungen festgestellt.
Verkehrt doch nach Goethes wort alle poesie in anachronismen!
Es war also berechtigt und notwendig, dass eine reaction gegen
jene directe ausmünzung dichterischer angaben folgte. Sie ist vorzugs-
weise von Schönbach eingeleitet worden und hieng mit seiner er-
neuten prüfung dichterischer eigentumsfragen eng zusammen: wie vor
ihm besonders Kelle, neigt er dazu, die Originalität der altdeutschen
dichter recht gering einzuschätzen und mehr tradition als erfindung an-
zunehmen. Aber nun ist allmählich diese richtung nicht nur sehr weit
getrieben worden, sondern dadurch auch oft in selbstvernein ung um-
geschlagen. Denn indem man von allen quellen, aus denen die dich-
terische kunst gespeist werden kann, die wichtigste fast ganz verschloss:
die darstellung der Wirklichkeit, gelangte man aus lauter furcht, die
Selbständigkeit unserei- alten raeister zu überschätzen, dazu, ihnen die
unwahrscheinlichste erfindungskraft zuzutrauen. Wenn man einem pre-
diger wie Berthold, einem erbaulichen dichter wie Ezzo fast alle Ori-
ginalität raubt, so könnte immer noch in ihrer übersetzungs- und
anpassungskunst ein bedeutendes talent stecken, wenn auch nicht mehr,
als man der zeit zumuten darf. Nun aber bestreiten kritiker von solcher
bedeutung wie Braune und Panzer für den Meier Helmbrecht fast
alle reelle grundlage: im wesentlichen aus Neidhart soll er eine frei-
erfundene fabel herausgesponnen haben. Und Seemüller (in den Unter-
suchungen und quellen J. Kelle dargebracht) sieht wideruni in Neidharts
dichtung sehr wenig abspiegelung wirklicher Verhältnisse: das meiste fasst
er als stilistische kunst, als freie Umbildung herkömmlicher typen auf.
So hat die scheu, den diciitern eine originelle erfassung des
wirklichen lebens zu glauben, zu der neigung geführt, ihnen oinf
rein von buch zu buch schwebende artistenkunst zuzuschreiben; und
422 E. M, MKYKK
diese neigung widerum hat das ergebnis, dass man Neidhart von Reuen-
tal oder Wernher dem gärtner eine gäbe der erfindung an abenteuern
und gestalten zutraut, wie sie historisch vor Dante schlechterdings
nirgends bezeugt ist! Ja nicht einmal Dante hiitte seine gestalten so
aus freier band geformt Avie Wernher, wenn er die figur des üppigen
jungen bauern, der es den rittcrn gleich tun will, aus Neidhart ge-
nommen und der wirlvlichkeit nur etwa die bestrafung eines bäuerlichen
räubers abgelauscht hätte (Braune, Beitr. 82, 557).
Denn man bedenke doch nur, was der Meier Helmbrecht ausser
diesen elementen noch enthält! Ich bin der ansieht, dass Panzer zu
weit geht, wenn er (Beitr. 27, 109, vgl. einleitung zu seiner ausgäbe,
s. XV) sagt, dass der dichter zwei lieder Neidharts (Haupt 27, 15 fg.
und 86, .') fg.) „zeile für zeile" aufgenommen habe. Zumal in dem
sommerlied stimmt doch eigentlich nur das motiv, kaum je der aus-
druck; und Übereinstimmungen wie Helmbrecht v. 226 7nin irüle mich
hinz hove treit mit Neidhart 27, 23 <Mn miiot dich allex von mir (reit
sind eben bei dieser gleichheit des motivs kaum zu vermeiden. (Mir
kommt eben Deissmanns schönes, auch methodisch wichtiges werk
„Licht von osten" in die bände: man sehe nur s. 223 fg., mit welcher
notwendigkeit eine Individualität wie der apostel Paulus sich typischer
ausdrücke bedient, die wir, handelte es sich um zwei mhd. dichtungen,
wahrscheinlich als „entlehnungen" buchen würden!) Aber gesteht man
ihm sogar die völlige aufsaugung dieser beiden gedichte zu und nimmt
man ferner eine reihe von anderen stellen (bei Panzer a. a. o. s. 111)
als reminiscenzen — was die meisten gewiss auch sind — , wie viel
bleibt noch als erfindung übrig! Welch ein genialer einfall wäre das,
einen der beliebigen ^penxelcere Neidharts mit der frei erdichteten
gestalt des Lemberslint zu gruppieren, die nach einem riter begehrende
meit in Gotelint umzudichten, die ja gar keinen ritter freit, und vor
allem die köstliche kontrastfigur des vaters hinzuzuschaffen ! Wo ist
ein analogon zu solcher gestaltungskraft und vor allem solcher er-
find ungsgabe in mittelalterlicher dichtung? Auch bei Neidhart nicht,
wenn selbst er keine beobachtung, sondern bloss stilisierte phantasie
gäbe; höchstens etwa im Mauricius von Craün, wenn man oben da an
freie erfindung glauben dürfte!
Mir scheint die annähme, dass tatsächlich ein junger bauer aus
der gegend zwischen Hohenstein und Haldenberg (denn an der ur-
sprünglichkeit der lokalisierung in A kann man nach Panzer, einl.
8.71; Beitr. 27, 90 fg. nicht füglich mehr zweifeln) ungefähr diese
abenteuer erlebt habe, viel einfacher und natürlicher; und nichts scheint
HKLMBKECHT UM) SEINK IIAURF 423
sie mir zu widerlegen — auch Braunes scharfsinnige prüt'ung der
berühmten haube (Beitr. 32, 555) nicht. Erst recht aber nicht die be-
trachtung, wie genau Hehubrecht der junge zu den üppigen bauern
Neidiiarts passt. Denn sie erklärt sich doch mindestens so einfach wie
durch die annähme rein litterarischer nachbildung durch die gemein-
samer abbildung des realen lebens! Xeidhart und Wernher kannten
dieselben bauern derselben epoche, und der sog. Seifrit Helbling hat
sie auch noch gekannt. Der typus war vorhanden, wie der des Werther
vor Jerusalems sell)stmord; und nun kam ein dichter, der die schon
skizzierte gestalt zu voller lebenswahrheit, zu vollem relief ausarbeitete
— unzweit'elhat't von Xeidhart beeinflusst wie Goethe von Rousseau — ,
aber doch wohl auch von neuen aufregenden tatsachen wie der dichter
des „Werther" von jenem ausgang eines ihm persönlich bekannten
mannes.
Die Sache lüge ja ganz sicher, wenn man Wernhers Versicherung
trauen dürfte, er habe die sache mit eigenen äugen gesehen (v. 8).
Hiergegen hat Panzer (Beitr. 27, 89) eingewandt, streng genommen
Aviderspreche schon r. 1638: der sage ex der es scehe. Das kann ich
nicht gelten lassen: \ver versichert, augenzeuge einer geschichte zusein,
übernimmt noch nicht die Verpflichtung, alle figuren auf schritt und
tritt begleitet zu haben, wie Spitteler in seiner erziihlung „Konrad
der leutnant" es einmal ganz ausnahmsweise tun will. Wie sollte der
berichterstatter auch gerade zugegen gewe.sen sein, als man Gotelint
fand? wozu noch die euphemistische absieht der stelle kommt.
Diese betrachtung würde auch gegen Panzers weiteres argument
kraft haben: da beträchtliche und nicht unwichtige stücke der erzählung
unserem dichter durch directe litterarische entlehnung zugekommen
seien, hätten wir die gewissheit, dass zum mindesten nicht alles im
gedieht historisches geschehniss sein kann. Der dichter könnte, Avas er
nicht genau wusste, nach litterarischen (|uellen ergänzt haben. Tat-
•sächlich aber dienen die stellen aus Xeidhart nur dem ausdruck, dem
ausmalen der Situation, sie könnten alle — selbst die von dei- haube!
— auf dem älteren dichter -beruhen und die geschehnisse könnten des-
halb doch .so historisch sein wie etwa die in phrasen aus antiken
bistorikern von dem andern Xeidhart dargestellten taten unserer fürsten.
Auch würde ich die möglichkeit von Interpolationen nicht so un-
bedingt ablehnen wie Panzer (Beitr. 27, 99). Ist der schluss zwingend,
dass A die verse hinzugedichtet haben müsste, die in der vorläge
felileu'.-' Panzer hält ja selbst (s. 92) Zwischenstufen Viir denkbar,
und 'liese könnten den interpolatoren gchr.|(!n. Zwiir die von ihm so
124 R- M. METEK
fein ausgesonderten verse (v. 20 — 130) scheint Braune (32,559) für
einen zusatz des dichters selbst zu halten ; aber immerhin würden auch
sie die möglichkeit von erweiterungen beweisen.
Einen zwingenden grund, an der aussage Wernhers zu zweifeln,
sehe ich also nicht. Panzer bestreitet (Einl. s. XI) auch seinen geist-
lichen stand — auch dies, wie mir scheint, nicht unumstösslich. Sollte
ein dichter sich in die seele eines alten bauern nicht so weit herein-
y ersetzen können, um ihn sprechen zu lassen, er gebe keinem pf äffen
mehr als ihm zukommt? Avobei ich mit der etwaigen authenticität der
äusserung gar nicht rechnen will. Und ein ausfall auf die nennen
wäre schliesslich auch in geistlichem mund nicht so undenkbar (und
erst recht. nicht der spott auf die bigotte alte, v. 124fg.); aber dass
V. 113 — 116 in« B fehlen, gibt trotz Panzers erklärung von A aus
(27, 100) doch zu denken. Solche moralischen einreden des dichters
sind nicht ganz in seinem stil und der text fliesst in B besser: ich
möchte hier doch eine Interpolation annehmen. — Wiire der dichter
geistlicher — und wir werden noch eine spur finden, die dahinweisen
könnte — , so wäre es recht wahrscheinlich, dass er als klostergärtner
und terminant Helmbrechts Schicksal gesehen, d. h. miterlebt hätte.
Aber ein fahrender (Einl. s. XII) könnte das auch; nur schwerlich einer,
der (nach Panzer a. a. o.) an den höfen des adels seine kunst übte.
Ist aber der 'strafprediger, der den adel von heute schilt, dort wirk-
lich so viel wahrscheinlicher als der bauernspötter Neidhart unter den
bauern?
Widersprüche schätzt man heut nicht mehr so hoch ein wie früher.
Dass der alte Helmbrecht plötzlich (v. 1715 — 20, vgl. Panzer 27,100)
bei hof gedient haben soll, würde gegen seine historische existenz
noch nichts beweisen, wenn man selbst hier nicht ebenfalls eine inter-
polation annimmt: einem leser (oder dem dichter selbst) könnten be-
denken gekommen sein, woher der alte bauer eigentlich die höfischen
Sitten so genau kennt, und er hätte die ungeschickte motivierung ein-
geschoben wie Goethe in Schillers Lager die verse:
Ein hauptmann, den ein andrer erstach,
Liess mir ein paar glückliche wiirfel nach.
Zieht doch auch Braune aus dichterischen „Unstimmigkeiten"
keinen andern schluss, als dass der dichter sein werk selbst erweitert habe.
Dennoch wj]l ich die Versicherung Wernhers, er habe die ge-
schichte mit angesehen, nicht höher bewerten als die bekannten quellen-
angaben vieler mhd. dichter. Wenn er nichts selbst miterlebt hat,
kann er immer noch einen wirklichen roraan in verse gebracht haben.
HELMBRKCHT UND SEINE HAUBE 425
Gewiss mit anlehuung an Ncidliart und auch, wie Panzer (33, 391 fg.)
so hübsch gezeigt hat, mit eintlechtung von anekdoten. die Hingst um-
liefen; aber wer hat je gedacht, dass die begegnungen zwischen vater
und Sühn auf actenmässiger grundlage beruhten? Die historische grund-
lage behaupten wir für die entscheidenden momente: Helmbrechts
lossage vom Vaterhaus, sein räuberleben, Gotelints Schicksal, das ende
der räuber; natürlich aber nicht für die reden, die ja sogar antike
historiker als freies mittel, Stimmung und Situation zu veranschaulichen
benutzten.
Aber die haube?
Ist sie doch nacii Braunes durchaus wahrscheinlicher annähme
.,die keimzelle der ganzen conception'". Ereilich, wie ich glaube, nur
in dem sinn, dass sie dem dichter das Sinnbild für Heinibrechts hoch-
mut und fall ward, dass au ihr (nach Goethes terminologie) sich ihm
der Stoff „krystallisierte" ; was wider geistlicher art zu operieren ent-
spräche, aber freilich nicht nur solcher, vielmehr auch recht volks-
tümlicher. Man denke nur etwa an die bedeutung von Frideruns
Spiegel für Xeidhart — mag er nun (wie Seemüller will) überhaupt
nur symbolische geltung haben, oder reelle und symbolische.
Aber eben um dieser tiefen bedeutung der kappe willen fällt es
uns schwer, sie für ein lediglich litterarisches product zu halten. Man
ermesse auch hier den abstand z »vischen vorbild und nachahmung!
Xeidhart erzählt (86, 7 fg.) von Hildemars haube, auf die man kunstvoll
Vögel gestickt hat; er verwünscht alle, die an dem kunstwerk teil haben
und freut sich auf den augenblick, wo man sie ihm zerreissen wird,
dass die vögel „wegfliegen". Diese züge hat Wernher unzweifelhaft
benutzt (vgl. Panzer, Beitr. 27,110); aber was hat er sonst noch alles
aus der mutze gemacht! Sie gibt ihm gelegenheit, in der nonne einen
typus des allgemeinen Sittenverfalls zu zeichnen und noch origineller
in Helmbrechts mutter und Schwester zärtlich in den hübschen jungen
verliebte „weibchen". Er weiss sie ferner, wie schon erwähnt, sym-
bolisch zu nutzen: was der scherge noch Hess, vernichtet der hass der
landleute, wie Helmbrechts leben — so seine haube (v. 1879fg., vgl.
Braune 32,558). Andererseits aber steht die haube doch nicht ver-
einzelt da: die ganze ausstattung des jungen Meiers (v. 155fg.) ist in
entsprechendem glänz gehalten; man darf über der berühmten kopf-
bedeckung ivarkus, hosen und spargolzru nicht vergessen. Gerade hier
ruft ja Wernher (v. 217) Neidhart an, was doch wol für sein gutes
gewissen spricht; er nimmt eben seinen lielden als einen geistesver-
wandten der bauern Neidharts, aber benutzt er auch tjetmgeniii Jdeil
426 R. M. MK.YER
— er hat doch Ilildeniar nicht auszuziehen braucheu, um Holmbrecht
zu bekleiden!
Und sogar die haubo — stammt sie wirklich ganz aus Hildomars
nachlass?
Dass hie ein loc, dort ein flec von Hildemars locken und seiner
haubo aufgesetzt sind, ist nicht zu bezweifeln. Aber solche prunk-
stücke gibt es nicht nur bei dem von Riuwental.
Braune meint (s. 555), dass Alwin Schultz (Höf. loben 1,241)
Uelmbrechts haube allzu vertrauensvoll in die Wirklichkeit übersetze.
Indessen, dass sie möglich war, zeigt doch vielleicht gegen seinen
Widerspruch Panzers Zeichnung (Beitr. 27, 105). Manche gestickte
stola trägt auf engem räum bilder von vergleichbarem umfang; nur
muss man freilich des dichters paraphrase nicht mit allen einzelhciten
in die nadeltechnik übersetzen wollen. Aber die i/öf</cstaldc)i viere
könnten wol im stil der teppiche von Bayeux (Schultz a.a.O. s. 153) auf
einem engen feld, etwa in der grosse von kartenkönigen, räum finden;
wie denn Alwin Schulz (a.a.O.) mehr dergleichen wunder der Stickerei
aus museen und gedichten anführt. Sicher betont Braune (s. 555) mit
vollem recht, dass Wernhers satirisches epos die höfische erzählungs-
poesie zum hintergrunde habe. In der berühmten räuberhochzeit
(v. 1483 fg.) halte ich etwa die schlingreime (v. 1503)
Nu sul wir Gotelinde
geben Leinerslinde
und sulen Lemberslinde
geben Gotelinde
für eine travestie von Gottfrieds berühmten versen
ein man, ein wip, ein wip, ein mau —
Tristan, Isolt, Isolt, Tristan
und gleich der antang des gedichtes kann parodistisch aufgefasst werden.
Doch sehe ich nicht, wie gerade die aristie der haube so gedeutet
werden könnte. Humoristische absieht gestehe ich für sie sicherlich zu :
der dichter verspottet die prunksucht der bauern in übertreibender
weise, wie es etwa Musculus in seinem „Hosenteufel'' bei der Schil-
derung der Pluderhosen treibt: was die Wirklichkeit andeutet, wächst
in der beschreibung zu „grotesker phantasie" (Braune a.a.O.) aus.
Wenn der brave hofprediger erklärt: ,,dass jetzund der junge leut
schier mit ihren hosen allein das geld aus dem lande brengen, das ein
junger rotzlöffel mehr ein jar zu hosen muss haben, als sein grossvater
für all seine kleidung", so werden wir das gewiss nicht wörtlich nehmen;
aber dass der unfug der pluderhosen tatsächlich bestand und in bedenk-
lichem umfang bestand, das dürfen wir doch gerade aus solchen über-
uELMBnEcni UND seinf; hacbe 427
treibungen herauslesen! Oder wenn ein moderner elicniann klagt, die
fraiien trügen auf dem liut ganze gemiisebeete — ist das nur groteske
phantasie oder nicht viohnelir hyperbolische wirkiichkeitsabspiegehmg?
Dass nun aber Avirklich die hauben der bauern prunkstücke waren,
ist ja schon durch Hildemar bezeugt. Sie ahmten eben auch hierin den
luxus der vornehmen stände nach; wie denn die hauben, wenigstens
der bäuerinnen, noch heut in manchen gegenden der kostbarste teil der
ganzen tracht sind. Und einmal sind sie das auch bei den männern
gewesen: musste ja schon die mitra, eigentlich eine kronenartig ver-
zierte haube, dazu reizen. Eine solche prachtmütze ist das hauptstück
im ornat des dogen von Venedig. Eine solche prachthaube erhält auch
in unserer littcratur ein könig zum geschenk. nämlich Walgunt im
"Wolfdictrich (D. Heldenbuch III, 177, 66fg.) Allerdings wird von ihr nur
kurz gesprochen; doch immerhin waren an ihr wunder äne -.al ge-
wirkt. (Ich bemerke beiläufig, nicht um damit Braunes argumentation
zu schwächen, dass die dichtung auf die haube nicht zurückkommt;
dagegen hat W. Hertz es in seiner umdichtung „Wolfdietrichs braut-
fahrt'' aus dem stärkeren modernen gefühl der poetischen concinnität
heraus getan:
das ding sieht aus, ich glaube,
beinah wie eine narrcnhaube,
ruft der über die schone Hildegunt aufgeklärte könig wütend aus.)
Dafür steht aber in der nähe der ivo/ gexierfot hübe ein anderes pracht-
werk der Stickerei: die tischdecke (a.a.O. str. 60fg.). Auf sie hat in
diesem Zusammenhang schon Alwin Schultz (a. a. o. s. 158,2) hin-
gewiesen. Wie Hehnbrechts haube nach Braunes „erster fassung"
(Beitr. 32, 558) oder wie die Hildomars ist das laken mit vögeln voll-
bestickt:
Siteche uudc zisol, droschel und nahti-gal,
daz was an den enden gezieret hin ze tal.
anderhalp der grife und euch der adelar
zu vorderst zer gesihte daz man sin najnic war.
Anderhalb der valke also er danneu Üügo
und daz gefügele schune vor im liin züge
worauf allerdings auch anderes getier folgt.
Gewiss, ein tischtuch ist keine haube; aber müssen wir uns diese
nicht ähnlich verziert denken? Denn Hugdietrich lehrt ja (str. 85) all-
gemein dar itf eniicerfen beidin will inulc xain.
Solche beschreibungen künstlicher werke liebt ja die volkstümliche
poesie; schon deshalb darf man gerade hier schwerlich mit Braune
paroflie höfischer epik annehmen. Volkstümliche poesie aber hat sie
•128 R. M. MEYER
allzeit geliebt. Und man könnte in ihr ein sehr berühmtes Vorbild für
Wernhc]' neben der haube Hildemars heranziehen: mimlicli den schild
des Acliilles. Er enthält (Ilias 18, 48,>fg.) gerade, was Wernhers
Schöpfung vor der Neidharts voraus hat: den krieg, und am ende den
tanz zur nuisik, bei dem jüngling und Jungfrau wie bei Wernher
(v. 95fg.) in „bunter reihe" sich an den bänden halten. Man könnte
sagen: der dichter habe lediglich die antiken kriege in deutsche (oder
eingedeutschte) heJdensage übersetzt. Dabei könnte Virgils nachahmung
(vgl. Heinz e,Virgils epische technik s. 391) geholfen haben: zwar nicht die
des Schildes (Aen. 8, 626 fg.), aber die der bilder im tempel zu Karthago
(1, 466 fg.), die wenigstens scenen des troischen krieges (vgl. Helmbr.
V. 45 fg.) darstellen. Wäre dieser gang nicht denkbar? Die wolverzierte
haube war gegeben — wie ich annehme als historische tatsache; und
sie forderte zu einer breiten Schilderung heraus nicht bloss durch Neid-
liarts beispiel, sondern weil man wirklich die kopfbedeckung gern künst-
lich bildete und sich an der Schilderung sogar übertreibend freute.
(Man vergleiche für die Wechselbeziehung zwischen bildender kunst und
beschreibung von kunstwerken G. Freytags aufsatz über Otto Ludwig.)
So ist z. b. auch der heim Laurins (ed. Müllen h off -Roediger
V. 215 fg.) mit einer kröne geschmückt und auf dieser
sungen wol die vögele,
in allen den gebferen,
sam sie lebende vpferen.
Da hätte denn der dichter, um die symbolische haube würdig
auszustatten, bei gefeierten beschreibungen des altertums eine anleihe
gemacht. Seit Edward Schroed er die antike reminiscenz beim wilden
Alexander aufgedeckt hat, klingt das nicht mehr so undenkbar wie
sonst; aber freilich müsste dann gewiss Wernher der gärtner ein
kleriker sein.
Indes, hierauf lege ich wenig gewicht. Und ohne antike irgend-
wie vermittelte Vorbilder konnte der dichter bildercyclen von der art
der Runkelsteiner Wandgemälde auf die wunderhaube werfen. Denn
auch in diesen folgen auf typische heldengruppen kriegsbilder, jagd-
bilder {^.beidiu ivilt unde xam'''') die tanzenden: ie xivischen xivein
vieidcn (jie ein knahe der ir hcende vic. Das ist ein fester ikono-
graphischer kanon, der im palazzo Schifannoia zu Ferrara ganz ähnlich
gilt wie im schloss Runkelstein und auf urzeitliche Vorbilder zurück-
geht (Ed. Meyer, Anthropologie s. 211); und Wernher brauchte nur
den gedanken auszumalen: „die haube Avar von höfischen biJderu
bedeckt".
lIEl.MBRKrilT UNO SKINK HAUBE 429
Aber ganz sollte mau die frage des antiken ointlusses nicht aus-
schliessen. Schon vor jähren habe icli mir zu Iwein v. 65 fg. Virgil
Aen. 6, 692fg. notiert, ohne leugnen zu wollen, dass eine solche auf-
teilung auf verschiedene höfische beschäftigungen auch zwei höfischen
dichtem unabliängig auffallen kann; was z. b. Laurin (v. 1018 fg.) be-
weist, ja eigentlich schon der sprach von den Idisen! (Vgl. übrigens
für die Virgilstelle Sibourg, Arch. f. rel. wiss. S, .')96.) Für Wernher
(v. 45 fg.) könnte auch Veldeke (schon v. 160 fg.) als vermittler genügen.
Jedesfalls wäre es möglich, dass noch in manchem fall sich, wo Avir
jetzt zwischen zwei mhd. dichtungen unmittelbare beziehungen an-
nehmen, später eine „gemeinsame quelle" ergibt.
Doch ich lenke von solchen allgemeineren betrachtungcn widei'
zurück zu Helmbrecht und seiner haube. In folgenden sätzen möchte
ich meine ergebnisse zusammenfassen:
1. Der geschichte von Meier Helmbrecht liegt ein wirkliches er-
lebnis zu gründe, das im wesentlichen historisch genau widergegeben ist.
2. Auch die haube des jungen bauern hat in dieser wahren ge-
schichte eine rolle gespielt.
8. Der dichter, wahrscheinlich ein kleriker, kannte die Vorgänge
überwiegend aus eigener anschauung.
4. Bei seiner darstellung hat er neben moralisierenden betrach-
tungcn auch satirische anspielungen auf die höfische dichtung eingestreut.
(Wahrscheinlich schien diese ihm für die bauern, die sie auch kennen
lernten, verderblich, wie der Amadis dem Cervantes.)
5. Die Schilderung der haube übertreibt deren pracht in satirischer
weise, doch auf grund tatsächlicher unterläge und in dem rainnen
älterer analoger beschreibungen.
6. Die benutzung Neidharts ist nicht lediglich auf litterarische
Ursachen zurückzuführen, sondern auch auf die tatsächliche Überein-
stimmung der geschilderten Verhältnisse. Es gab mehr als einen
Hildemar:
ja hilt vil daz Marhvelt
solher zügelbrechen.
Helmbrechts haube scheint so vielfachen zerptlückens nicht wert
zu sein. Aber es handelt sich eben um methodische fragen von be-
deutung. Gewiss sind Panzer und Braune auf gut methodischem
wege zu ihren urteilen gekommen. Aber ich hoffe die bedenklichen
consequenzen dieser methode gezeigt zu haben: die „antibiograpliische"
deutung droht antipsychologisch zu werden.
430 DYROFF
Ich glaube, wir müssen in der interpretatiou der dicliteraussagen
wider etwas conservativer werden. Ich möchte an eine analogie aus der ge-
schichtswissenschaft erinnern. Mit durchaus methodischen kriterien hatte
man eine unzahl von Urkunden für unecht erklärt. Da bewies Ficker,
dass eine Urkunde echt sein kann trotz falscher ausstellungsangabe;
trotzdem im anfang ein bischof als lebend erwähnt, am ende aber sein
nachfolger genannt wird; ja trotz der Unterschriften verstorbener
(R. Rosen mund. Die fortschritte der diploniatik seit Mabillon, s. 86).
Die methode corrigierte sich selbst, indem sie immer genauer auf den
einzelfall einging. " Ich glaube, wenn die geschichte der mhd. litteratur
immer sorgfältiger individualisiert, werden auch hier zahlreiche scheinbar
unlösliche Widersprüche aufgeklärt werden, viel schwerere als die, um
derentwillen der lebensvollsten dichtung unserer ersten blütezeit alle
kulturhistorische bedeutung abgesprochen werden soll!
BI'^RLIN. lUClIAKD .M. MEYER.
MISCELLEN.
Eine fra^e zu ViJhispa J>, 1 — 4.
(Söl varj) sunnan usw.).
In dem vierten vers dieser vielbehandelten und wie es scheint, immer uoch
nicht genügend aufgeklärten halbstrophe hat die hs. R him iodyr (H of ioSiir). Das
fasste man' als 'himmelsrosse' (nach früheren Lüning 140), 'himmlische Zugtiere'
(Lüning 575, Dietrich, Lesebuch, 2. aufl., s. himiniodyr)^ oder man verstand, mit den
alten abschreibern (s. Bugge an der gleich zu citiereuden stelle) ^iodyr 'himmlische ross-
tore' (Dietrich s.idffyr). Dafür hat Bugge in seiner Eddaausgabe von 1867 (Norr<xn
Fornkvsedi) s. 1, nach dem Vorgang von N. M. Petersen ChiminjaÖar') und schon
von papierhandschriften (s. Bugge 388), die lesung hhninfödur im sinne von 'himmels-
rand' {sMn. jatiarr, ags. eodor) vorgeschlagen und diese Vermutung hat solchen anklang
gefunden, dass man himiniodyr in einigen der neueren Wörterbücher gar nicht mehr
findet- und die neueren erklärungsversuche nur die lesung 'himmelsrand' ins äuge
fassen^, von rossen oder toren aber nicht mehr reden.
"Weder Petersen (Nordisk mythologi, 18ö3, s. 72 anm.) noch Bugge geben sich
viel mühe, den wert ihrer Verbesserung deutlich zumachen. Petersen legt überhaupt
1) Vgl. zur lesung und auffassung die note in Hildebrands 2. aufläge.
2) Bei Vigfusson (1874) steht unter himinjödurr : 'This, no doubt, is the
correot form, not himin-j6-dyr or himin-jö-dur.' J. Pritzner, Ordbog (1886) hat
nur himinjöburr, ähnlich H. Gering 1896 im (Uossar der ausgäbe von Hildebrand in
der Bibl. d. alt. deutsch, litteratur- denkm. Das Wörterbuch von Gering in Zachers
handbibl. (1903) verzeichnet himen-jo-dyrr und himen-jqporr.
3) So im commentar (1903) der ausgäbe von Detter und Heinzel, ferner Hoffory,
AVadsteiu, Gebhardt (s. im folgenden). Müllenhoff (s. die im text citierte steile) nimmt
anscheinend an den älteren lesarten und erklärungen keinen principicllen anstoss.
ZUR VÖLUSPA 431
keinen wert darauf' und Buggc betrachtet sie olVenbar als unmittelbar cinlcuebtend'.
Ich gebe zunächst gern zu — worauf ich hernach zurückkommen werde — , dass die
neue lesung -jöSur gegenüber dem alten -J'idyr formell etwas bestechendes hat, aber
die eigentliche, die sachliche Schwierigkeit der stelle wird dadurch nicht beseitigt.
Xoch immer gelten die 'sarkastischen'-' werte Mülleuhoffs (Deutsche altertums-
kunde 5 (1883), 91): "Neuerdings hat man herausgefunden, dass die sonne mit der
rechten hand am rande des himmels umher langte .... "Warum sie überhaupt so
hantieren niuss, hat man bisher uns noch nicht gesagt'. Die erklärung von Hoffory
(Sitzuugsber. d. akad. zu Berlin 1885, 551) ', der an die nordische mitternachtssonno
denkt, hat daran nichts geändert, und es ist schwer zu begreifen, wie ihm Detter
und Heinzel in ihrer ausgäbe 2, 13 (1903, ebenso Detter in den Sitzungsberichten der
"Wiener akad. 140 (1899), nr. 5, 15) zustimmen konnten; der ganze sinn und zu-
sammeniiang der stelle verlangt klärlich, dass von der gewöhnlichen allerweltssonne,
nicht von einer besonderen sonne und ihren seltsamen erscheinungen die rede ist.
Der versuch von Wadstein im Arkiv för nord. filologi 15 (1899), 158 hat zwei
punkte richtig gestellt, die ich hernach hervorzuheben habe, aber auch er hat dem
ausdruck, dass sich die sonne von süden her zur rechten hand 'über den himmels-
rand' wirft, keinen genügenden sinn unterzulegen vermocht, ganz abgesehen davon,
dass die worte simii mdna nicht in der weise betont werden können, wie "Wadstein
will, so dass sie nämlich den eigentlichen sinn der halbstrophe trügen. Schon die
woitstellung an sich scheint mir eine solche auffassung zu widerlegen.
Diese ganze neuere entwicklung der erklärung unserer stelle war mir unbekannt,
als ich neulich zum zweck einer litterarischen vergleichuug die weltschöpfung der
Völuspä wider einmal nachschlug. Ich las die stelle in den mir zur hand stehenden
ausgaben von Lüning (1859) und Dietrich (1864), und es schien mir völlig natürlich,
bei den 'Zugtieren des himmels', um die die sonne 'werfen' sollte, an den tierkreis
zu denken. Ich übersetzte also ohne viel federlesens folgendermassen :
'Die sonne schwang sich von süden,
die gesellin des mondes,
zur rechten hand
um die hinimelstiere',
und ich glaubte das auch vollständig zu verstehen, denn mir schwebte etwas von der
alten und trivialen astronomischen Weisheit in gedanken, die ich mir alsbald aus
Plinins, Nat. hi.st. 2 §32 (cap. 8) zu klarem bewusstsein brachte:
omnium autem errautium sidenim meatus, interque ea solis et lunae,
contrariuin mundo ['himmelsgcwölbe'J agerc cursum, id est laevom illo
semper in dexterani | von ost nach west] praecipiti.
Und so war ja der gedanke^und die au.sdrucksweise des nordischen dichters
völlig vei-ständlich : durch sunnan (man kann wol auch 'im süden' übersetzen) war
die Orientierung nach süden für den ausdruck 'rechts' gegeben, und wenn sich nun
die sonne von oder im süden zur rechten hand, in derselben richtung wie da.s
Ij Nach Petei-sen 71 wäre 'himmelstor' = osten.
2) In Aarb0ger for nord. oldk. 1869, 247 gibt Bugge nachweise über inthvr,
ifiiliir im älteren dänischen und schwedischen.
3) Hoffory 553, "Wadstein (an dei' gleich zu uitierenden stelle).
\) Auch in seinen 'Eddastudien', die mir nicht zu geböte stehen , indes^M-n lin
blussiT abdriii-k zu sein scheinen.
432 DYROFF, ZUR VÖLUSPA
binunelsgewölbe, um die ukliptik schwang, so war das eben die verkehrte weit, die
sonne wusste nicht, wo sie ihre säle hatte. Auch durch den zusatz sinni mäna 'die
weggesellin des mondes' war oben darauf hingewiesen, dass von der ekliptik, der
Jahresbahn der sonne, die rede war und nicht von dem tagbogen, der bahn, die die
sonne den tag über am himmel beschreibt; denn die mondbahn fällt ja ungefähr mit
der ekliptik zusammen, während die beiden, sonne und mond, im andern sinne nicht
leicht gesellen heissen können, da die sonne bei tag, der mond bei nacht fährt ^. Und
sogleich benützte ich diese einsieht, um im gegensatz zu Dietrich die worte stiörnur
Jmt nc vissu, hvar ßar stadi dttu aus der Strophe hinauszuweisen, während sich
muiri Jmt ne vissi, hvat kann megins ätti als der naturgemässe abschluss der stroi)he
präsentierte.
Indessen, trotzdem ich glaubte, den sinn der stelle richtig erfasst zu haben,
war mir der ausdruck himin-vidyr, für den bei meiner auf fassung der sinn 'himmels-
tiere' wütischenswert war, philologisch nicht recht geheuer, und indem ich mich
über ihn unterrichten wollte, kam ich dazu, mir die litteratur unserer stelle vorzu-
führen. Da lernte ich, dass mir bereits Wadstein (s. s. 431), unter der billigung von
Gebhardt (s. uote 1 dieser seite) , darin vorausgegangen war, varp intransitiv zu fassen
und hendi inni hmgri als adverbialen zusatz-, nicht, nach der gewöhnlichen con-
struction von vcrpa^ als objekt anzusehen. Dagegen konnte ich an meiner gesamt-
auffassung nicht iri-e werden, sie schien mir vielmehr einen klaren sinn in die stelle
zu bringen, und deshalb habe ich Veranlassung genommen, sie hier den germanisten
vorzulegen. Dass nun dem dichter dieser strophe eine gewisse gelehrte kenntnis von
der ekliptik zugesprochen werden muss, kann mich, bei dem an sich deutlichen Wort-
laut, nicht weiter stören, doch vermeide ich es, irgendwie folgerungen aus diesem
punkt zu ziehen.
Ich habe nun schon vorhin bemerkt (s. 430) , dass auch für mich die lesung
Bugges etwas bestechendes hat, indem sie die etwas seltsame Zusammensetzung 'ross-
tier' durch eine einfache wendung aus der weit schafft. Auch scheint schon der Ver-
fasser des Hrafnagaldr (25, 2) so gelesen zu haben. Und hier knüpfe ich nun meine
frage an, die näher zu verfolgen mir nicht meines amtes zu sein scheint: ags. eorfor
bedeutet zunächst 'gehege', 'zäun' und dann 'haus' und diese bedeutung 'gehege',
'einfassung' für iar^arr findet sich auch im nordischen^; kann nun 'himmelsgehege',
'himmelszaun' ein ausdruck für die ekliptik sein"*'? und können vielleicht auch die
salir^ der sonne, das 'tnegin des mondes und die staSir der sterne als astronomische
termini technici gefasst werden?
1) Vgl. hierzu A. Gebhardt in den 'Beiträgen' von Paul und Braune 24,412.
Müllenhoffs Skrupel bei Hoffoiy 553 unten. Zur sache: z. b. Firmicus Maternus ed.
Kroll 1, 10, 5. 2, 1, 1.
2) Detter (in den Wiener sitzungsber. und in der ausgäbe) citiert Lokas. 61.
3) S. Vigfusson und vgl. Detters und Heinzeis ausgäbe 2, 13 (zu 5, 4). Eodor
lieisst auch 'region, zone'. Beachte altn. .solar -iaSarr.
4) Darf man dazu an lat. circiilus erinnern (Plin. 2 § 30. 32 usw.)?
5) Oly.oi heissen die tierkreisbilder in der griechischen astrologie (BoU , Sphaera
203. 333).
MÜNCHEN. KARL DYROFF.
SCHMIDT. BESCHWÖRUNG GEGKN WÜRMKK — KIIRISMaNN, ZU ZEITSCHR. 39, 388 433
Bescliwörimg gegen wUniier.
-j- In nomine patris et filii et Spiritus sancti ameu. y Der heilige berre sonte
Job lag in der stroze, do uu dy worme und dy made aßen, dry worme wiz, dry
grüne, dry rod, dy worme sind alle tod, dy sin gebeiu brachen, syn fleisch allin und
.sin blud sugiu. Daz gebite ich dy worm by rechteme gehorsam und by banne by
dem heiligen hern sente Johanne, by alle den heiligen ewangelisten , by myncr vrowen
sente Marien, by denie heiligen sente Job, by dem heiligen hern sente Jacob, by
deme heiligen sente Paule, by deme getruwen hern sende Niclauwese, by dem hei-
ligen geboruen den niyn vrowe saucta Maria trüg au urme arme, f Nu gebite ich
dy worm blutiude by deme heiligen grabe, by deme grüulichin donrestage*, by deme
heiligen lichname und by der obirsten toyfe. Amen, f Hy buze ich dir aber eyns f
hy buze dir myn vrowe sancta Maria amen ■]• des wißen wormes •)■ des swarczen
wormes f des grauwin wormis f des grünen wormis t des horwormes* j des
qwasen-^ wormis f des bozen wormis f des farnen f der fennen f der lichten y
der sürin y der festiln y des ußeweideningen wormes -|- des ineweideningen wor-
mes -j- der sebin und sebinczig sind -j- des gosterlichen wormis y buze dir got
Jhesus Christus unser herre und myn vrowe sancta Maria amen. Dese worme dy
sint tod also gewiz, also daz heilige pater noster, waz ist daz got unser herre larte
syne iungern uf der erdin amen, f Desyme worme sy also leide zcü desime gebeyne
zcü brechine, zcü desime fleische zcü eßine, desime blute zcü sügene, also deme
tuvele waz do myn vrowe sente Maria des heiligen Cristus genas amen. Also leide
sy deme worme als deme tuvele waz , do got Jhesus Christus dy kelle zcübrach und
ome nam syne macht. Also sy dir worm huto benomen alle din kraft und macht
amen, f
Vorstehende beschwörung befindet sich aufgezeichnet am s'chluss der hand-
schrift M 21" (Schwäbisches landrecht) der Kgl. öff. bibliothek zu Dresden von einer
band des ausgehenden 14. oder beginnenden 15. Jahrhunderts. Vgl. dazu Grimm,
Deutsche mythologie, 4. ausg., bd. III (Berlin 1878), s. 492 fgg. (bes. 500 ur. XXVIII).
1) In der handschr. donreslaye. 2) Regenwurms. 3) quilt böse?
DRESDEN. LUDWIG SCHMIDT.
Zu Zeitschr. 39, 388.
In meiner besprechung von "W. Meyers Fragmenta Burana in dieser Zeitschrift
36, 396 — 408 ist betreffs des dreiteiligen strophenbaus in der mhd. lyrik gesagt: „das
französische princip der dreiteiligkeit gelangte zur herrschaft, das der lateinischen
lyrik fremd ist" (36, 401). Dieser in seiner sprachlichen abfassung wol leicht miss-
zuverstehende satz ist von B. Lundius in seiner ergebnisreichen abhandluug „Deutsche
Vagantenlieder in den Carmina Burana " in dieser Zeitschr. 39, 388 dahin aufgefasst
worden, dass „die methode des dreiteiligen strophenbaus der lateinischen kunst des
12. und 13. Jahrhunderts" fremd gewesen sei. Es ist aber dort vom princip die
rede. Gemeint ist: die dreiteiligkeit als princip, als grundgesetz, als eine für das
wesen des mittellateinischen strophenbaus charakteristische form, als eine dem poeti-
schen und musikalischen empfinden der lateinischen dichter vorzugsweise entsprechende
ausdrucksform , sei der lateinischen lyrik des mittelalters fremd gewesen; nicht als
methodo, in sofern darunter verstanden wird eine bestimmte arboitsweise, näm-
lich die anwendung der dreifachen gliederung in gewissen fällen. Bei abfassung
ZElTSCHÄttT V. DEUT8CUK PHILOLOGIE. BD. XL. 28
434 KRUMM
jenes artikels habe ich mir selbst eine veihe von lateinischen liedern mit dreiteiligen
Strophen angestrichen. Aber diese anwendung der dreiteiiigkeit war in der lateinischen
dichtung des mittelajters niemals ein grundgesetz gewesen, hingegen in der proven-
Äalischen und altfranzösischen und darauf in der höfischen mittelhochdeutschen lyrik
ist sie BÄ von aufang au gewesen und dauernd geblieben.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
LITTEEATUE.
Zur neuesten Hol)l)el-litteratur.
1. Der pantragismus als System der Weltanschauung und ästhetik
Friedrich Hebbels, dargestellt von Arno Scheunert. Beiträge zur ästhetik,
herausgegeben von Theodor Lipps und Rieliard Maria Werner. VIII. Ham-
burg und Leipzig, vorlag von Leopold Voss 1903. 330 s. 11 m.
2. Die grundlagen der Hebbelschen tragödie von Franz Zinkeruag'el. Berhn,
druck und vorlag von Georg Reimer 1904. 187 s. 8 m.
3. Die tragödie Friedrich Hebbels nach ihrem Ideengehalt von Ernst
August (xcorg-y. Leipzig, Eduard Avenarius 1904. 334 s. 3,75 m.
Über keinen deutschen dichter des neunzehnten Jahrhunderts wird in unseren
tagen soviel geschrieben, wie über den lange ungebührlich vernachlässigten Hebbel.
Leider entspricht der innere wert dieser stark anschwellenden litteratur meines er-
achtens bis jetzt keineswegs ihrem umfang. Hebbels begriff des tragischen und die
verleiblichung desselben in seinen dramen sollte nur darstellen, wer den menschen
wie den dichter ergründet hat und im denken und fühlen ihm nicht allzu fern steht.
Das compendienartige aufzählen der verstreuten reflexionen Hebbels über die einschlä-
gigen fragen fördert wenig. Das nörgeln und mäkeln an einer so geschlossenen per-
sönhchkeit, wie die seinige, die das mass der dinge, in sich selbst trägt, in ihrer
totalität begriffen, nicht kleinmeisterlich bekrittelt werden darf, ist mindestens un-
fruchtbar, ihre aburteilung nach einem codex, den sie selbst nicht anerkennen würde,
zwecklos. Notwendig ist ferner, dass der beurteiler Hebbels die künstlerische faser
in seinem Organismus nicht entbehrt. Hebbel ist allerdings denker wie dichter, doch
der nüssversteht ihn, der das dichterische nicht als das ursprüngliche, primäre in ihm
erkennt. Die ehrfurcht vor seiner geistigen grosse berechtigt noch nicht zu dem ver-
such einer grundlegenden und wegzeigenden arbeit über seine auffassung des tragischen.
"Wen seine tragödien als kunstwerke nicht befriedigen, sollte mit seiner tragischen
theorie sich überhaupt nicht befassen, denn sie ist eins mit seinem schaffen. Den
oft hervorgehobenen brucli zwischen erkennen und vollbringen bei Hebbel wird nach
meiner Überzeugung nur. der flüchtige betrachter wahrnehmen, nicht, wer sich ihm
nahe genug gestellt hat. Freilich genügen die begeisterung für den dichter und das
gläubige vertrauen zu seiner menschlichen artung ebensowenig für die ausführung
der schwierigen, bis jetzt ungelösten aufgäbe. Phrasenhafte bewunderung wird einem
Hebbel, der, wie selten ein künstler, sich klar über seine ziele und die zu ihrer er-
reichung einzuschlagenden wege war, noch weniger gerecht als rein verstandesmässige
Zerlegung. — Diese einleitenden allgemeinen bemerkungen erklären, warum ich mich
den drei büchern gegenüber, die ich aneinander abwägen möchte, im wesentlichen
auf einen negativen Standpunkt stellen muss. Zu speciellem übergehend, werde ich
i'BKR heubkl-utteratiik 435
gelegenheit haben, diesen Standpunkt näher zu begründen, sowie auch andererseits
herauszuheben, inwieweit jedes, wenn auch im kerne unzulänglich, trotzdem als eine
bereicherung unserer erkenntnis Hebbels zu betrachten ist.
Scheunerts buch ist das anspruchsvollste, aber auch das verfehlteste nnter den
dreien. Mit grossem fleiss ist aus Hebbels werken, tagebüchern und briefen seine
gedankeuwelt zusammengesetzt und ihre einheitlichkeit nachgewiesen , die übrigens
ernstlich kaum mehr angezweifelt wird. Leider jedoch hat Scheunert als philo-
soph keine ahnung von der Intuition des künstlers, die sich ebenso naturgemäss
in die form des aphorismus kleidet, wie das abstrakte denken in die der abhand-
lung. Er selbst citiert, freilich ohne zu ahnen, dass er sein eigenes verfahren damit
verurteilt, auf s. 98 die stelle aus Hebbels Müncheuer tagebuch, die diesen unter-
schied hell beleuchtet. Auf s. 327 spricht er, in Übereinstimmung mit Alfred Neumann
davon, dass Hebbels „System" intuitiv durch dichterische einbildungskraft erworben sei,
ohne, wie es scheint, zu merken, dass in den werten intuitiv und System ein nicht aus-
zugleichender Widerspruch liegt. Auf s. 329 wird Hebbel dann wider ein „construierender
phiiusoph" genannt. Eine naive bestätiguug dafür, dass Scheunert seine aufgäbe über-
haupt nicht lösen konnte, sehe ich unter anderem auch in dem charakteristischen
bekenntnis, dass er in den bruckstücken der Hebbelschen doctordissertation für die
Universität Erlangen, wie sie sein Pariser tagebuch bietet, mehr klarheit erkennt als
in seinen übrigen äusserungen (s. 7). Es scheint ihm nicht aufgegangen zu sein, dass
das denken eines künstlers, besser seine von dem in seinen werken widergespiegelten
Weltbilde unzertrennliche lebensanschauung, jedem System abhold ist. Hebbels apbo-
rismen sind erzeugnisse des moments, als solche nur eine seite des objectes blitz-
artig beleuchtend, der ergänzung nicht nur fähig, sondern geradezu bedüi'ftig, bis-
weilen nur fragen, die er an sich selbst stellt, keine antworten. Wer dies aus dem
äuge lässt und „hilfsconstructionen" anlegt, wo der künstler nicht schematisch genug
gewesen ist, karikiert, vielleicht ohne es zu wollen. Dass Hebbel sich in dem hier
entworfenen bilde selbst „wiedererkennen" würde, wie der Verfasser in dem vorwort
hofft, ist ganz ausgeschlossen.
Trotz dieses grundmangels, aus dem sich die vielen schiefen und entstellenden
urteile des buches sämtlich ableiten lassen, ist es nicht ohne vordienst. Als den wert-
vollsten teil der Scheunertschen Untersuchungen betrachte ich den bündigen nachweis,
dass Hebbels denken, wenn auch zum teil in die wissenschaftliche terminologie der
seine zeit beherrschenden absoluten philosophie gekleidet, trotzdem in seinem gehalte
lu'sprünglich ist. Hegel, der seinen stij während einer bestimmten periode höchst
ungünstig beeiuflusste, lernte er erst in Kopenhagen kennen (1842 — 43), als seine
Weltanschauung längst die feste form erhalten hatte. Aber auch Solger und Schelling,
die ihn schon während der Münchencr jähre beeinüussten, verdankt er nicht allzuviel.
Am auffallendsten trifft er noch mit Solger zusammen, selbst in der forniulierung
der für seine dramen grundlegenden idee des „dualismus". Im ganzen durfte Hebbel
jedoch in einem briefe an Arnold Rüge aus dem Jahre 1852 (R. M. Werners ausgäbe
der briefe, bd. V, s. 42) mit recht sagen: „Ich habe seit meinem 22. jähre, wo ich
den gelehrten weg einschlug und alle bis dahin versäumten Stationen nachholte, nicht
eine einzige wirklich neue idee gewonnen. Alles, was ich schon mehr oder weniger
dunkel ahnte, ist in mir nur weiter entwickelt und links und rechts bestätigt oder
bestritten worden." So möchte ich die beiden anhänge des buches : 1. Ausschließlich
dichterische entwicklung Hebbels. 2. Seine Verwandtschaft mit Solger und dem späteren
Schelling (s. 287—324) als besonders interessant und lolirreich herausheben, wenn
28*
436 KRUMM
ich mich auch keineswegs mit allem dort ausgeführten identificieren will. Übergehen
doch z. b. die darlegungen über die drei von Hebbel selbst in seinem schaffen unter-
schiedenen perioden das wesentliche; ganz irreführend ist ferner die behauptung, dass
die „individuelle durchsichtigkeit" in seinen späteren dramen auf kosten der „ideellen"'
gewachsen sei (s. 290fg., 294). Vor allem aber protestiere ich dagegen, dass Scheuuert
Hebbel widerholt den ,. dichter der absoluten philosophie" nennt, dass er seine au-
slebten als vom geiste der absoluten philosophie getragen bezeichnet. Hier fehlt es
ihm an dem richtigen Verständnis des von dem dichter gewollten und geleisteten.
Mit der philosophie des absoluten berührt Hebbel sich nur formell. Nicht an ihr,
sondern an Schopenhauer muss ihn messen, wer den kern seiner lebensauffassung
herausschälen will, der nicht, wie Scheuuert gleich in der einleitung (s. 1) meint, ein
„transscendent- ethischer'', sondern ein pessimistischer in dem seit Schopenhauer ge-
bräuchlichen sinne des Wortes ist. Was der Verfasser über Hebbels innere beziehungen
zu Schopenhauer vorbringt (s. 27, 72 und 73), dringt keineswegs in die tiefe.
Doch hiermit haben wir bereits den punkt berührt, an dem die kritik des
Scheunertschen buches vor allem einsetzen muss. Als besonders glücklieh ist sicher-
lich die prägung des wertes „pantragismus'' zu betrachten, so glücklich, dass jeder
zukünftige darstelier der Hehbelschen Weltanschauung es adoptieren wird, freilich
nicht ohne sich mit Scheuuert gründlich über die bedeutung desselben auseinander-
zusetzen. Gewiss ist, dass das weltall, das leben der natur und der menschen Hebbel
nur tragische bilder enthüllt, und dass auf diesem gründe, den zu schaun und dar-
zustellen er stark genug war, sich seine tragödie aufbaut. Alles individuelle ist nach
ihm der gesamtheit gegenüber masslos. Aus dem ursprünglichen nexus herausgerissen,
muss das besondere für seine Verwegenheit büssen, es ringt mit den kräften des alls,
bis sie es wider einsaugen. Diesen ewigen, endlosen kämpf stellt seine tragödie dar,
in dem zusammenfallen des notwendigen mit dem sittlichen liegt ihre stärke.
Unter dem begriffe der schuld muss Hebbel demnach etwas ganz anderes verstehen
als die zum teil jetzt noch herrschende, gerade durch seine tragödie endgültig zu
überwindende ästhetik. Die Versöhnung innerhalb des tragischen kreises ist ihm
undenkbar, sie liegt für sein äuge in dem aufgehen des engeren kreises in einem
weiteren, wodurch der „getrübte sonnenspiegel" wider glatt und eben wird. Ist das
so schwerverständlich, dass es langatmiger Umschreibungen und erläuterungen bedarf?
Wenn die Hebbelsche tragödie sich von der Shakespearischen durch die starke be-
tonung des typischen gegenüber dem individuellen, des weltgesetzes gegenüber dem
einzelwillen abhebt, so tritt sie dafür der griechischen, trotz der veränderten
modernen Voraussetzungen , innerlich um so näher. Selbstverständlich kann der dichter,
wenn er sich über den tragischen kanon, der ihm vorschwebte, äussert, der längst
gestempelten werte: schuld und Versöhnung nicht entraten, aber nur kurzsichtig-
keit wird ihm mit Scheuuert deswegen den Vorwurf der Ungeschicklichkeit machen
(s. 137). Welche begriffe er mit beiden worten verbunden wissen will, ist dem ver-
ständnisvollen leser, dem es nicht bloss auf das, was Hebbel „dialektisches geklapper"
nennen würde, ankommt, vollkommen klar. Unklar dagegen bleibt, was Scheuuert
unter „ pantragismus " versteht. Im allgemeinen scheint er dem worte einen ethi-
schen sinn unterzulegen, darunter die „ selbstcorrectur'^ des einzelnen durch das
allgemeine, von der Hebbel in einem briefe an Uechtritz spricht, zu begreifen. So-
weit ist ihm unbedingt beizupflichten, wenn es auch an gelegentlichen entstellungen
und missverständnissen nicht fehlt, die hauptsäclilich dann unangenehm hervortreten,
wenn an die stelle der von Hebbel gewählten worte die spräche der schule, die
ÜBEK HEBBEL -LITTERATUR 437
philosophische terminologio tritt. Jedesfalls klingt Scheunerts Vorwurf, dass Hebbel
„ein mann mit einer schweren zunge" sei (s. 142), fast komisch, wenn man seine
eigene formulierung des grundgedankens der Hebbelschen üsthetik oder gar seine
defiuition des Hebbelschen dramas liest (s. 10 und s. 50). Au anderen stellen aber ver-
steht er etwas wesentlich anderes, ein ästhetisches moment, darunter, indem er
das jeden künstler charakterisierende symbolische verfahren als ein Unterscheidungs-
merkmal gerade des Hebbelschen Schaffens heraushebt. Daraus entspringt eine Ver-
zerrung der geistigen physiognomie des dichters, die zu energischer abwehr heraus-
fordert. Alle die einschlägigen stellen anzuführen, ist überflüssig, es genügt, zur
kennzeichinmg des seltsamen Irrtums auf die „symbolische" motivierung der handlung
und der Charaktere in der „Maria Magdalena- hinzuweisen, die an gewaltsamkeit der
interpretierung fast das unmögliche leistet (s. 107—128).
Noch verhängnisvoller als die Unklarheit über den mit dem werte „pantra-
gismus" zu verbindenden begriff ist des Verfassers mangelndes Verständnis für die art,
wie sich die Weltanschauung eines dichters in ein kunstwerk umsetzt. Zwar weist
Scheunert unter berufung auf Solgers Vorlesungen über ästhetik selbst den Vorwurf
zurück, dass Hebbel ein reflexionsdichter gewesen (anm. zu s. 97), aber im texte
spricht er von dem pantragismus, als „dem Schema seines denkens''. Was nützt es
ferner, von dem „einschnappen seines geistes in die pantragistische Intuition" (s. 98)
zu redend Diese unübeibrückbaren Widersprüche erklären sich nur aus der Unfähig-
keit, den Vorgang des dichterischen Schaffens nachzuempfinden. Hebbels phiiosophie
war keine ergrübelte, sondern eine erlebte. Aus seiner persönlichkeit und seinen
lebenskämpfen sich emporringend, setzte sie sich von selb.st in bilder um, Sobald der
Schaffensdrang ihn erfüllte, was freilich nicht ausschliesst, dass er in den pausen der
production eine sehr bewusste kritik an den Schöpfungen seiner phantasie üben konnte.
Da uns die Zeugnisse der tagebücher und vertrauter freunde hierüber vorliegen, ist
es an der zeit, das „ construieren " seiner werke ein für allemal als unsinnig abzu-
lehnen. Die anschauung, die das für das gewöhnliche äuge gespaltene, den „dualis-
mus" der weit, zur höheren einheit zusammenschliesst, brauchte Hebbel nicht zu
construieren, sie war für ihn wie für jeden künstler, der des namens würdig ist,
von selbst da, wie sie auch für denjenigen, der, ohne selbst künstler zu sein, nach
Hebbels schönem wort „genial im geniessen" ist, Vorbedingung des kunstgenusses ist.
Scheunert dagegen stellt sich den dichter gewissermassen als märtyrer, als Sklaven
der ihn beherrschenden pantragistischen idee vor, der auf ein „tragisieren der weit
in bausch und bogen ä tout prix" hinstrebt (s. 72), dessen tragische gestalten „pfropf-
reiser auf dem bäume seiner metaphysisch -ethischen erkenntnis" sind (s. 219). Mir
will vielmehr vorkommen, als ob der kritiker diesem für Hebbel supponierten Schick-
sal selbst verfallen sei. Wenigstens kommt er in dem bemühen, die reiche weit
des Hebbelschen .Schaffens in die von ihm geprägte formel hineinzuzwängen, zu den
wunderlichsten resultaten, die jeden nicht voreingenommenen stutzig gemacht hätten.
Um Scheunert in allen punkten zu widerlegen, müsste ein ebenso umfangreiches
buch, wie das seinige, ge.schrieben werden; wenige andoutungen müssen genügen. Dass
der Philosoph die bedeutung und die tragweite von tagebuch- und briefstellen, die
er zur erläuterung der tragischen theorie Hebbels heranzieht, öfters falsch abschätzt,
ist aus seinem ganzen buche ersichtlich, doch tritt es besonders auffallend in dem
abschnitt: „der pantragismus als norm für Hebbels gesamtes denken" (s. 7G — 100)
hervor. Die apefcus und andeutenden striche der tagebücher werden als verstandes-
mässig erklügelte philosopheme aufgefasst, die dramenembryonen, an denen sie be-
438 KRUMM
sonders reich sind, erscheinen Scheunert als verrannte siüiationen, an denen die pan-
tragistische auffassung Hebbels zu tage tritt. Von den jeweiligen seelischen kämpfen
und Stimmungen, die sich in ihnen und mehr noch in den citierten briefstellen spiegeln,
ist nirgends die rede, selbst das satirisch -humoristische wird ernsthaft ausgelegt. Um
doch ein beispiel zu geben, verweise ich auf die allerdings in einem späteren ab-
schnitte des nicht gerade übersichtlich geordneten buches enthaltenen bemerkungen
über die tagebuch- und briefstellen zu dem dramenfragment „Zu irgend einer zeit"
(173 fg.), sowie auf die Interpretation einer stelle aus einem KTopenhagener briefe an
Elise (s. 179). Am meisten fordert diese jedesfalls nichts weniger als künstlerische
betrachtungsweise natürlich zum widersprach heraus, sobald sie, über die allgemeine
theorie hinausgehend, auf einzelne dramen des dichters oder gar auf seine lyrik ange-
wandt wird. Auf die wunderliche decomposition der handlung und der Charaktere der
„Maria Magdalena" wurde bereits hingewiesen. "Wie kommt Scheunert überhaupt dazu,
den pantragismus im wesentlichen nur an dieser bürgerlichen tragödie nachzuweisen?
Die entwicklung des tragikers von der „Judith" bis zu den „Nibelungen'- legt er
nirgends klar dar, tragische meister werke wie „Herodes und Mariamne ", „Gyges und
sein ring ", selbst „ Agnes Bernauer " und die „ Nibelungen " werden höchstens flüchtig
gestreift. Ein gerechtes und erschöpfendes urteil kann so nicht gewonnen werden.
"Wenn Scheunert sich auf Volkelts „ästhetik des tragischen" beruft, indem er das von
Hebbel wirklich dargestellte im gegensatz zu dem gewollten unzulänglich findet, so
ist zu erwidern, dass das cum grano salis höchstens von den tragödien der ersten
periode gilt, Wer für die klärung und Vollendung Hebbels zur zeit seiner mensch-
lichen und künstlerischen reife kein äuge hat, ist schwerlich berufen, über ihn zu
richten. — Mit recht wird hervorgehoben, dass Hebbels komödie als die ergänzung,
richtiger wol als das kehrbild seiner tragödie aufzufassen ist, doch sieht man sich ver-
gebens nach einer tieferdringenden analyse des „Diamant" oder des „Rubin" um, die
diese auffassung zu erläutern unternähme. Diese versuche des dichters im poeti-
schen lustspiel, nicht historischen, wie auf s. 186 zu lesen ist (der Irrtum erklärt
sich daraus, dass das versehen in den nur abschriftlich vorhandenen briefeu Hebbels
an Palleske von R. M. "Werner weder im ersten bände seiner „Nachlese" zum brief-
wechsel noch Inder historisch -kritischen ausgäbe getilgt wurde), verdienten sicherlich
eine eingehende Würdigung. Statt dessen begnügt sich Scheunert mit einer kahlen
Zusammenstellung der theoretischen ausführungen des dichters über die komödie, wo-
bei er übrigens sich einer ähnlichen Ungerechtigkeit schuldig macht, wie bei der aus-
schliessung der späteren tragödien aus dem kreise seiner betrachtung. Oder ist es
etwa zu billigen, wenn er auf s. 192 von der unbeholfenheit der Hebbelschen definition
des komischen spricht, mit beziehung auf seinen Jugendaufsatz über Körner und Kleist
für den „wissenschaftlichen verein" der Hamburger gymnasiasten, den Hebbel schrieb,
als er eine klare erkenntnis des komischen weder hatte noch haben konnte (1835)?
Auch sonst fehlt es nicht an missverständnissen, worunter ich die gediftelte erklärung
eines sonnenklaren ausspruches über Kleists „Zerbrochnen krug" heraushebe (s. 187).
"Was über die komischen demente in Hebbels tragödien gesagt wird, genügt nicht.
Besonders unglücklich gewählt ist das aus der „Maria Magdalena" angeführte beispiel.
"Wer wissen will, was „tragischer humor" bei Hebbel ist — denn so sollte man es
correcter bezeichnen — , den mag man etwa auf Artaxerxes in „Herodes utid Mariamne",
auf Knippeldollinger und Theobald in „Agnes JJornauer", auf die Bechlarener cpisode
in den „Nibelungen" verweisen. — Am meisten befriedigen die ausführungen über
die tragikomödie und die analysc des „Trauerspiel in Sicilien". Hebbel selbst er-
ÜBER HKBBEL-LITTKRATUH 439
kannte, dass das werk ein gränzprodukt sei. Jedesfalls ist es unter seinen Schöpfungen
ein unicuni, eine art von poetischem aphorismus, fast mehr epigramm als drama,
so dass das „hineingrübeln in die Schöpfung", wie Scheunert es nennt, hier wenig-
stens nicht ganz von der hand zu weisen ist. Tatsächlich kommt es in diesem falle
vor allem auf die doutung des lätsels, auf die beantwortung der frage: Qu'est-ce que
cela prouve? an. Es ist folglich kein wunder, dass Scheunert, der den künstler
Hebbel so arg misskennt, sich in diesem falle als recht scharfsichtig erweist. Freilich,
Angiolina ein „inferiores geschöpf" und Sebastiane einen „trottel'' zu nennen, ist
doch wol nicht angänglich, und den greis Gregorio für die unpoetischesto, aber
menschlich glaubhafteste der figuren des dramatikers zu erklären (s. 219), erscheint
selbst bei diesem einseitigen beurteiler kaum glaublich. Zum schluss meint er, dass
Hebbels tragikomödie ein unbewusster protest des dichters gegen die Starrheit und
enge seiner tragischen theorie sei. Einem nüchternen betrachter wird sie wol nur
als ein vemnglücktes experimeut erscheinen , aus dem weitere Schlüsse nicht zu ziehen
sind. Freilich fügt Scheunert hinzu, dass in seiner tragödie „das verstandesmässige im
widerstreit mit unserem gefühl liege" (s. 215 fgg.), wobei ein Seitenblick auf den letzten
akt der „Agnes Bemauer" geworfen wird. Doch dem darf man entgegenhalten, dass
der „realismus", auf dem Hebbels tragödie fusst, d. h. weiter nichts als die furchtlose
darstellung des Verhältnisses der individuen zum weltganzen, allerdings wesentlich
stärkere und vorurteilsfreiere betrachter voraussetzt, als Scheunert zu sein scheint. —
Ganz versagt die ..selbstgeschliffene brille des pantragismus " — es sei mir gestattet,
diesen von Scheunert auf Hebbel gemünzten ausdruck auf ihn selbst anzuwenden —
bei der betrachtung der lyrik. Schon in der anmerkung zu s. 210 hatte er auf ein-
zelne lyrische Schöpfungen des dichters hingewiesen, wie „das opfer des frühlings"
und ..das geheimnis der Schönheit ■', bei denen die leser unmöglich auf die von Hebbel
hineingelegte deutung kommen können; ich glaube kaum, dass feinsinnige leser sich
ihm auschliessen werden. In dem „lyrik und musik'' überschrieben en abschnitte sucht
er dann nachzuweisen, dass Hebbels einseitig auf das drama zuge.schnittenes „System"
sich für die lyrik nicht fruchtbar machen Hess, mit anderen werten, dass er kein
lyriker war. Sollte Eduard Mörike es nicht besser gewusst haben? Hier ist Scheunert
sogar in der Zusammenstellung des theoretischen recht lückenhaft. Ausser vielen tage-
bucheintragungen .sind wichtige stellen in Hebbels briefen, namentlich an Elise, ferner
die schönen aufsätze über die lyrik Pichlers und Reinholds sowie Dingelstedts und
manches andere nicht berücksichtigt. Übrigens häufen sich in diesem capitel die
missverständnisse derartig, dass auf einzelnes nicht mehr eingegangen werden kann.
Überall tritt Scheunerts „intimität mit dem absoluten", die er in Hebbels formschönen
und gedankentiefen sonetten entdeckt haben will, scharf hervor. "Weim selbst in so
selbstverständliche begriffe wie stoff und form der lyrik allerhand hineingeheimnist
wird, so muss Unklarheit die fol^e sein. Es genügt, auf die deutung hinzuweisen,
die Hebbels äusserungen über den reim gegeben wird (s. 237 fg.). Dass in dem ab-
schnitt: lyrischer humor Hebbel mit unrecht der inconsequenz oder Zweideutigkeit in
der beurteilung Heines geziehen wird, möge noch erwähnt werden; dio stelle im
Münchener tagebuch bezieht .sich auf die „Neuen gedichte", die besprechung im
.„Hamburgischen correspendenten '^ galt dem „Buch der lieder". — Scheunerts be-
leuchtung der ausführungen Hebbels über die entstehung der spräche und über die
künstlerische tütigkeit kann ich leider mit rücksicht auf den räum nur kurz berühren,
obgleich sich gerade an ihr der grundmangel des buches am ülierzeugendsten auf-
zeigen lässt. Die Verworrenheit, die sich daraus ergeben muss, dass die sog. pan-
440 KRU.MM
tragistische betrachtungsweise auf jeden von Hebbel geprägten gedanken angewandt
und zu dem ende seineu einfachen worten gewalt angetan wird, springt hier noch
mehr in die äugen als in dem capitel über die lyrik. Wie recht hatte der dichter
doch, in seinem vorwort zur ..Maria Magdalena" vor den „wechselbälgen" zu warnen,
die derjenige erzeugt, welcher ..die Unschuld des wertes nicht respectiert" ! Es klingt
fast wie unbeabsichtigte selbstverspottung, wenn Scheueii sich auf s. 242, mit hin-
weis auf den doppelsinn der Hebbelschen Sätze, wegen seines Verfahrens rechtfertigt.
Man muss freilieh zugeben, dass Hebbel, ohne sich dessen immer bewusst zu sein,
bisweilen die neiguug hatte, gewöhnliches und leichtverständliches durch den ausdruck
zu steigern, was im letzten gründe mit seiner pathetischen natur zusammenhängt,
und dadurch den sinn seiner worte in einzelnen fällen umschleierte. So mache ich
mich keineswegs anheischig, in aUen punkten genau widergebeu zu können, was er
über den unendlich schwierigen sprachbildungsprocess in dem aufsatz: „Über den stil
des dramas" festzustellen wünschte. Ganz klar sind mir aber wenigstens die beiden
begriffe: relation und dar Stellung, von denen man auszugehen hätte, um den
formalen gegensatz zwischen Schiller und Hebbel scharf zu markieren, über den
Scheunert an einer anderen stelle seines buches (s. 8) sehr verständig, wenn auch
nichts weniger als erschöpfend sich äussert. Doch, wie wenig einwandfrei die be-
merkungen Hebbels über die spräche in bezug auf ihre klarheit im einzelnen auch
sein mögen, so viel ist sicher, dass sie durch den versuch einer ..pautragi'stischen"
deutung nur noch unklarer, ja geradezu unverständlich geworden sind, wenn auch
andererseits zugegeben werden soll, dass der ausgangspunkt des philosophen diesmal
der richtige ist, und er Kant mit fug und recht gegen die missdeutung Hebbels in
seinem kritischen feuilleton über die „deutsche spräche" von A. Schleicher in schütz
nimmt. Auf diesem f elde war der künstler eben nicht so zu hause , wie auf dem der
lyrik, wo wirklich berufene kritiker ihm schwerlich ein falsches wort nachweisen
werden. — Dass Scheunert die künstlerische tätigkeit, wie Hebbel sie auffasste, nicht
ergründen kann, ist nach dem gesagten nicht verwunderlich. Das wesen des genies
ist ihm so wenig aufgegangen, wie der begriff der „naivität" im sinne der Hebbel-
schen abhandlung: Wie verhalten sich im dichten kraft und erkenntnis zu einander?
Das dialektische jonglieren mit der .,inneren form " und dem „befreienden der inneren
form" (s. 267 fg.) bringt uns keinen schritt näher an die erkenntnis heran, zumal da
im verlauf desselben der fast proteisch schillernde begriff des Scheuuertschen pan-
tragismus sich zum dritten male zu häuten beginnt. Im einverständnis mit Poppe,
den Scheunert bekämpft, (Fr. Hebbel und sein drama, Palaestra VHI) sind mir die
allerdings nur für den eingeweihten mit dem gefühl ganz auszuschöpfenden bekennt-
nisse Hebbels über das tiefste geheimnis aller kunst, in ihrem naheliegenden
sinne, ohne jede deutelung, weit mehr als „emphatische phrasen" (s. 270), die
Interpretation Scheunerts. dagegen ist mir im eigentlichsten wortverstande ein buch mit
sieben siegeln. Was soll es denn heissen, wenn auf s. 267 gesagt wird, dass die
ästhetische oder innere form „bewegung des Inhaltes zum ethischen ideal, zur ethi-
schen form" ist, oder wenn auf s. 282 folgendermassen orakelt wird: „die innere form
ist lediglich durch die symbolisierende betrachtungsweise zu stände gekommen und,
vom Standpunkt dieser aus, universales weltgestaltungsprincip; von einer objektiv,
realiter vorhandenen inneren form aber kann nicht geredet werden" (!)? Was nach
Hebbel unbcwusst in jedem genialen kunstwerk in die erscheinung tritt, das wird bei
Scheunert etwas bewusstconstruiertes, worin er dann ein charakteristisches merkmal
gerade der Hebbelschen kunst erblicken möchte. Diese Selbsttäuschung kann garnicht
ÜBER HEBBEL -LITTERATUR 441
scharf genug bekämpft werden. Solange Scheunert sich auf die katalogisierung und
registrierung des Hebbelscheu denkens über die kunst beschränkt, gewisserniassen an
seiner band einherwandelt, kann man ihm zustimmen; sobald er es iu die von ihm
selbst ersonnenen logischen fesseln einschnürt, wird alles auf den köpf gestellt.
Noch ein anderer Irrtum Scheuncrts muss beleuchtet werden. Da Hebbels leben
und dichten iu selten inniger beziehuug zu einander stehen , so begreift man , warum
der mensch von ihm fast noch mehr karikiert werden musste, als der dichter. Beide
waren im letzten gründe Scheunert unsympathisch, da er garnichts verwandtos in sich
fühlte. AYariim er sich dann überhaupt mit ihnen befassto, ist schwer zu sagen.
Davon, dass Hebbel von anfang an bemüht war, sich in strenge Selbstzucht zu
nehmen, um auch sein leben „zum kunstwerk zu adeln-, hat Scheunert keine klare
Vorstellung, noch weniger gibt er zu, dass sein kämpf schliesslich sieggekrönt war.
Und doch ist gerade diese erkenntnis die schönste frucht eines innigen versenkens in
sein wesen und schaffen. Freilich setzt das etwas w;ahlverwandtschaft von selten des
beurteilenden und vor allem Verständnis für die seelische entwicklung eines specifisch
künstlerischen menschen, wie Hebbel es war, voraus; an beidem gebricht es
Scheunert. Sein bild der Hebbelschen Persönlichkeit, die ihm eigentlich nur unheim-
lich ist, schwankt haltlos zwischen extremen hin und her, deren gemeinsame
Wurzel ihm verborgen bleibt. „Opferwillige, hilfsbereite freundschaft, schonende
herzensgute, eine fast weihevolle auffassung von der dem sittlichen ideal dienenden
und diesem sich unterordnenden bestimmuug seines lebens " (s. 285) wird unvermittelt
neben sein ., trotziges aufbäumen gegen das bezwingen seiner selbst" oder sein „des-
potisches beherrschen der fügsamen- gestellt. Bald klagt Scheunert Hebbel an, ja
verurteilt ihn, obgleich er es auf s. 83 leugnet, bald mindert er, wahrscheinlich durch
fremden einfluss veranlasst (vgl. vorwort s. VIII) den herben tadel wider herab oder
nimmt ihn ganz zurück. Als ..geistiges band " zwischen den an und für sich unver-
einbaren zügen stellt er widerum den ..pantragismus" hin. Hebbel soll „sein System
gelebt", sich „als den repräseutanten der weltseele" gefühlt, sich „mit dem nimbus
einer sittlichen macht" umkleidet haben (s. 83). Das Verhältnis zwischen leben und
schaffen ist bei ihm, bei dem künstler überhaupt, genau umgekehrt. Wie gerade er
das leben durch die „idec", d. h. durch die art, wie er es darstellte, bezwang, habe
ich an einem andern ort, in dem vertrag: Hebbel als tragiker, gehalten auf der
■18. Versammlung deutscher philologen und Schulmänner zu Hamburg (Xeue Jahr-
bücher für das classische altertum, geschichte, deutsche litteratur und pädagogik,
bd. XVII, heft 4) ausgeführt, auf den ich verweise. Scheunerts auffassung ist noch
diejenige des im feuer des Umgangs mit Hebbel versengten Emil Kuh, der sicherlich
nicht, wie jener meint, das Charakterbild des freundes „geglättet und beschönigt"
hat. Wer ernstlich glaubt, dass es diesem dichter „au dem princip der liebe" ge-
fehlt habe, und zu dem ende sich -gar auf den confusen brief eines herzlich unbedeu-
tenden menschen (Brami von Braunthal) stützt (s. 7), den Bamberg gewiss nur der
curiosität halber im zweiten bände des briefwechsels mitteilte, ist meines erachtens
aus dem vorhof nicht in das „ allerheiligste " dieser menschenseele eingedrungen.
Nachdem der ganze reichtum von Hebbels Innenleben in tagebüchern und briefeu
jetzt vor uns ausgebreitet liegt, erscheint eine, solche behauptung fast unbegreiflich,
doch wir erinnern uns daran, dass Scheunert sich auch unfähig zeigte, Hebbels lyrik
zu erfassen. Von solchen Voraussetzungen ausgehend, stellt er selbstverständlich die
zum teil sehr heiklen und complicierten beziehungen Hebbels zu den menschen, mit
denen das geschick ihn zusammenführte, von allem zu Kuh und Elise Lonsiug, durch-
442 KKDMM
aus schief dar. Sie soll er kaltblütig der pantragistisdien idee, die ihn beherrschte,
dem „Schema" geopfert haben; von einem versuch des nachweises der psycholo-
gischen uotweudigkeit der Zerwürfnisse und des bruches mit ihnen findet man keine
spur. Auf s. 284 zieht Scheuert eine parallele zwischen Hebbel und Bismarck , aller-
dings nur um Hebbel herabzusetzen. Sie ist in der tat sehr fruchtbar, wenn man den
grundlegenden unterschied zwischen einem manu der tat und einem künstler nicht
aus den äugen verliert. Beides waren echt norddeutsche, sich selbst stark betonende
willensmenschen. "Wer die einheit des Hebbelschen Charakters herausfühlt, den grund,
aus dem seine grosse hervorwächst, klar erkennt, wird gerade durch diese paralleli-
sierung zu wesentlich anderen resultaten kommen wie Scheunert.
Ganz anders muss das urteil über das Zinkernagelsche buch ausfallen. Soweit
es sich um die verstandesmässige erfassung des neuen, epochemachenden in
Hebbels tragödie handelt, gibt es wichtige, wolbegründete aufschlüsse. Um so be-
dauerlicher ist, dass auch er nicht im stände war, ein von Vorurteilen ungetrübtes
bild der persönlichkeit des dichters zu entwerfen, die er mit viel zu finsteren färben
malt, um sie mit seiner tragischen theorie in angebhch besseren einklang zu setzen,
und dass er in der erkenntnis des von ihm auf ästhetischem gebiet geleisteten viel-
fach ganz versagt. Beides ist darauf zurückzuführen, dass er, wenn auch in weit
geringerem masse als Scheunert, den unterschied zwischen philosophie und künst-
lerischer production nicht gebührend berücksichtigt. Im übrigen muss dankbar aner-
kannt werden, dass diese Untersuchung soweit dringt, als der spürende verstand, dem
in ästhetischen fragen das letzte wort allerdings nicht zustehen darf, dringen kann.
Schon die Charakterisierung der Hebbel -litteratur in dem umfangreichen „Vor-
wort" (V — XXXIII) zeugt von Zinkernagels festem und klarem urteil. Kuhs biographie
überschätzt er zwar, obgleich er ihre enge und befangenheit nicht leugnet. Ihre
hauptschwäche, dass sie dem menschen und dem kiinstler nicht voll gerecht wird,
blieb ihm wol deswegen verborgen, weil man von ihm selbst ähnliches sagen muss.
Dagegen sind die aufsätze und bücher von CoUin, Neuniann, J. Krumm, Böhring,
Poppe, Georgy, Waetzoldt sehr richtig beurteilt. Scharf, aber gerecht, äussert er
sich über Scheujiert, vor allem verweise ich auf die geistreiche Interpretation einer
von jenem missverstandenen stelle aus dem Vorwort zur Maria Magdalena (s. XXIV
und s. 113/14 anm.). Mit der deutung, die er, gegen Scheunert polemisierend, auf
s. XXIII dem auch in meiner obenstehenden kritik erwähnten briefe Braunthals gibt,
bin ich dagegen nichts weniger als einverstanden. Sie beruht auf einer verkennung
Hebbels, dem es auch nach Zinkernagel an dem „princip der liebe" gefehlt haben soll.
Die einteiluug des Stoffes muss im ganzen als sehr gelungen und lichtvoll be-
zeichnet werden. Zunächst werden die entwicklungsphasen der vorhebbelschen tragödie,
die Griechen, Shakespeare, unsere klassiker gestreift, im anschluss an Goethes auf-
satz „Shakespeare und kein ende", sowie an Schillers ästhetische Schriften und briefe.
Besonders erfreulich ist, dass Zinkernagel die kritik, die Hebbel an seinem autipoden
Schiller übt, als subjectiv notwendig begreift, ohne sich damit auf seinen Standpunkt
zu stellen. Die aus dem geisto der romantik geborene tragödie Kleists scheint mir
dagegen zu kurz zu kommen, auch vermisse ich eine Charakteristik Grillparzers. —
Von diesem hintergrunde hebt sich dann die Hebbelsche tragödie bedeutsam ab.
Es wäre zweifellos richtiger gewesen, auf diese „einleituug'- das zweite und
dritte capitel: Hebbels Weltanschauung und Hebbels dramatische theorie unmittelbar
ÜBER HKBBEL-LITTEHATUR 443
folgea zu lassen, das zunächst eingeschobene capitel: Hebbels Persönlichkeit zerreisst
den Zusammenhang. Freilich soll es den grund zu diesen capiteln legen, was doch
nur in sehr beschränktem niasse der fall ist. Am liebsten würde ich es in dem
buche ganz entbehren. Es ist augenscheinlich, dass die erkenntnis der theorie. Hebbels
bei Zinkernagel der erkenntnis seiner persönlichkeit vorangegangen ist, ja diese be-
stimmt hat. Der umgekehrte weg hätte ihn voraussichtlich vor den schweren irr-
tümern bewahrt, in die er verfällt. Dem kenner des dichters, der sich in langjährigem
ringen ihn ganz zu eigen gemacht hat, kann Zinkeruagels darstellung, wenn sie auch
die grundzüge richtig tiüift, doch nur als karrikatur erscheinen. Da wird bezweifelt,
dass es Hebbel gelungen sei, den fluch der armut innerlieh zu überwinden; ich sehe
gerade darin, dass er diesen sieg errang, den unfehlbarsten beweis seiner geistigen
grosse. Viel schlimmer ist, dass Zinkernagel Hebbel nindweg das sittliche gefühl
abspricht, wahrscheinlich weil ihm dies moment, mit unrecht freilich, aus seiner
tragischen theorie ausgeschaltet scheint. Auf s. 28 stossen wir sogar auf den satz,
dass in seinen tagebüchern „keine spuren wirklicher selbsterziehung, aufrichtiger
selbstprüfuDg, wahrer sittlicher arbeit" zu üoden seien. Sollten nicht viele mit mir
der meinung sein, dass etwas rührenderes, den eigenen willen stählcnderes kaum
denkbar ist als der einblick in die ihm durch das leben so erschwei'te arbeit an
seiner sittlichen Vervollkommnung, den die tagebücher verstatten? Am herbsten
klingt Zinkernagels Verurteilung von Hebbels Sinnlichkeit, die ihn keineswegs in dem
masse beherrschte, wie es oft genug angenommen wird. Vor allem gründet sich der
tadel natürlich auf Hebbels verhalten zu Elise. Auch Ziukernagel hat nicht psycho-
logischen Scharfblick und billigkeit genug, um, wie Hebbel es bald nach dem bruche
mit der freundin von dem, der hierüber richten wolle, fordert, '„zwischen frei ge-
wählten und aufgedrungenen Verhältnissen" zu scheiden (tgb. vom 20. jan. 1847). "Wer
nun gar den blick auf die zweite sonnige hälfte seines lebens richtet, wird diesem
urteil erst recht nicht beipflichten. In aller litteratur wird uns kaum wider ein auf
so menschlich -edler grundlage ruhendes eheliches glück offenbart, wie das, welches
ihn im bunde mit Christine beseligte, was auch zugleich am besten beweist, wie
recht er daran tat, die morschen fesseln zu zerreissen. Nicht ohne einen beigeschmack
von gelehrtenhochmut ist ferner die auffassung, dass „seine intuitive geistesveranlagung"
Hebbel von anfang an „der unentbehrlichen grundlage zu einem ruliigen gesicherten
Verhältnis zu den dingen, einer durch schwere sittlichende arbeit schrittweise er-
rungenen bildung" beraubt habe (s. 32). Gewiss fühlte der dichter, dass sein wissen
lückenhaft war und bleiben musste, doch hätte er diesen satz nie unterschrieben.
Diese bildung konnte er sich nicht erwerben und brauchte er sich nicht zu erwerben,
weil er eben der intuitive geist war, als den ihn Zinkernagel selbst mit vollem recht
bezeichnet.
Auch in dem capitel übei' Hebbels Weltanschauung nennt Zinkernagel den
mangel an sittlichem gefühl „die Achillesferse seiner natur- (s. 37) uüd sucht daraus
zu folgern, dass der pessimismus und nicht die sich vielfach mit ihm berührende
versöhnlichere christliche Weltanschauung aus der wurzel seiner erkenntnis des „dualis-
mus" in den dingen hervorwachsen musste. Dass Hebbels Weltanschauung eine pessi-
mistische ist, will ich nicht leugnen, wenn ich auch den einfachen ausdruck n-alistisch
für bezeichnender halte. Zinkernagels schluss fehlt es aber jedenfalls au bündigkeit,
da seine Voraussetzung willkürlich ist. Steht doch der angebliche mangel des dichters
an sittlichem gefühl im schärfsten Widerspruch zu den späteren ausführungen Zinker-
nagels, welche dartuu, dass für ihn notwendigkeit und Sittlichkeit eins war. Es ist
444 KRÜMM
auch nicht richtig, dass er in dem ewigen kämpf des einzelnen mit dem Universum
endgültig resigniert, auf den sieg verzichtet habe. Auch diese behauptung wird in
dem buche selbst an anderer stelle widerlegt. Wie ist Hebbels freudige hingäbe an
das leben, seine zuversichtliche tapferkeit, die Zinkernagel nicht leugnen kann, mit
seinem theoretischen pessimismus zu reimen? Ein versuch der erklärung wird kaum
gemacht. In dem capitel über die tragische theorie des dichters spricht Zinkernagel
offen aus, dass es seiner tragischen lebensauffassung keineswegs an dem begriff der
Versöhnung fehle, wenn diese auch über den kreis des einzelschicksals weit hinaus-
rage. Wie paart sich dieser Versöhnungsbegriff mit dem „hymnus auf die allgewalt
der notwendigkeit, die in ungehemmtem siegeszug der ewigkeit zueilend alles indi-
viduelle leben in den staub tritt und vernichtet"? (s. 89). Auf diese frage gibt
Zinkernagel keine befriedigende antwort. Ich glaube, dass diese Widersprüche über-
haupt nur für den verstand, nicht für das gefühl bestehen. Die grossen Hebbelschen
tragödien a\is seiner letzten zeit hinterlassen in dem Zuschauer sicher einen erhebenden
und befreienden eindruck, nicht einen niederwuehtenden und zermalmenden , wie etwa
die lektüre Schopenhauers. Hebbels tragödie mahnt, trotz aller furchtbarkeit, zur
ergreifung des lebens, Schopenhauer zur Verneinung des lebens, zur welttlucht. Der
gcgensatz erklärt sich aus dem gegensatze zwischen der schöpferischen kunst und der
speculation, prägt sich auch auf das deutlichste in den diametral entgegengesetzten
persönlichkeiten der beiden in theoretischer erkenntnis so nahe verwandten männer
aus. Selbstverständlich kann ich dies hier nur fixieren, ohne es zu begründen.
Zinkernagel ist es jedesfalls nicht gelungen, das scheinbar widersprechende in Hebbels
theorie und kunst in der höheren einheit des menschen zu binden. Seine sonst treff-
lichen ausführungen dringen in das letzte geheimnis der Hebbelschen kunst nicht ein,
weil er nicht in echt künstlerischem geiste ihr nachzuempfinden vermag.
Ähnliches gilt auch für das dritte, bei weitem wertvollste capitel: Hebbels
dramatische theorie. Wenn man von den oben berührten punkten absieht, ist es
musterhaft klar und löst restlos das bis dahin nie ganz entzifferte rätsei. Wer es
gelesen hat, wird den keim- und kernpunkt der Hebbelschen tragödie ebensowenig
verkennen können, wie ihr ziel, die „Schönheit nach der dissonanz". Ziukernagel sieht
auch richtig, dass für die veranschaulichung des unendlichen an der singulären cr-
scheinung das „problematische" charakteristisch sein inuss, wenn er auch die werte
Kuno Fischers über Hebbel, die schwerlich mehr als eine geistreiche hypeibel sind,
nicht ohne einschränkung eitleren durfte (s. 84). Energisch abzuweisen ist dagegen
der ..negierende Charakter" der Hebbelschen tragödie, da es dem tragiker nur auf
das „binden und knebeln der menschlichen kräfte" ankomme (s. 102). Noch weniger
kann ich mich mit der bezeichnung des dichters als des „grossen tragikers der theorie"
befreunden, dessen tragödie der „ausfluss seiner allerindividuellsten lebensstimmung"
sein soll. Nicht, weil er ein solches leben führte, dichtete er so; weil er so dichtete,
dichten musste, empfand er den inneren Widerspruch des lebens so tief, aus seiner
diehtung schöpfte er aber auch die kraft, ihn furchtlos anzuschauen und zu über-
winden. Man sieht leicht, dass diese Irrtümer mit den oben gekennzeichneten eng
verkettet sind^
1) Nicht unterlassen möchte ich auf die sehr störende falsche lesung: prater-
fresser für poetenfresser s. 81 hinzuweisen. Das versehen stammt aus Werners
au.sgabe der nachlese der briefe, ist aber jetzt in der historisch -kritischen ausgäbe
verbessert.
t'BKR HERBEI, -LITTKJ;aTÜR 445
Am wenigsten befriedigt das vierte capitel: Hebbels dramatische production.
Dass sein schaffen nicht von seinem denken diktiert ist, räumt Zinkernagel allerdings
ein. fügt aber sofort hinzu, dass es keine bewusstere production geben könne als die
seiuige. Meiner meinung nach hebt der zusatz die einriiunning vollständig wider
auf. Die wunderliche Vorstellung, die in dem satze gi|)felt: „dem stroni seiner poesie
stellt sich sein kunstdenken als ein wehr gegenüber, das nichts hindurchlässt, was
sich nicht einfügt in die grossen formen seiner theorie" (s. 119) halte ich für mindestens
ebenso verfehlt wie das Scheunertsche „einschnappen des geistes in die pantragistische
Intuition''. Bei Hebbel waren, soweit ich sehe, je länger er schuf, desto mehr er-
kennen und schaffen eins. Wie erklärt sich sonst die von ihm selbst und allen ihm
nahestehenden bezeugte fast nachtwandlerische art der production, die alles schema-
tische verschmähend, ruckweise sich vollzog V Man kann ohne Übertreibung sagen,
dass Zinkernagels auffassung nicht einmal mit den über die entstehung der dramen uns
überlieferten daten in einklang zu bringen ist. Die an dem oben angegebenen orte
herangezogene tagebuchaufzeichnung beweist keineswegs, was sie beweisen soll. Über
das wachsen der Hebbels schaffen zu gründe liegenden allgemeinen tragischen Idee,
auch über die specielle nuancierung, die ihr vor dem aufzeichnen eines neuen stoffes
in seinem hirn gegeben wurde, sind wir recht genau orientiert, die zeugung selbst
bleibt ein mysterium. "Wenn aber, nach Zinkernagels eigenen werten, der beurteilende
zunächst mit des dichters augo sehen soll, so muss verlangt werden, dass er über
diesen wichtigsten punkt nichts aussagt, was Hebbels bekenntnissen schnurstracks
zuwiderläuft. Mit der haltlosen behauptung eines Zwiespaltes zwiscJien seiner theorie
und seiner praxis sollte die ernsthafte äthetische kritik ein für allemal brechen. Auf-
fallend ist, dass Zinkernagel, wenn er in seiner analyse der dramen auch -nirgends
besonders tief eindringt, sich trotzdem von dem mächtigen leben, das sie durchpulst,
zu widerholten malen tief ergriffen zeigt (vgl. vor allem s. 149/50 fgg.). In der
Schlussbetrachtung freilich versteigt er sich dann wider zu der behauptung, zu einem
grossen dichtei- fehle Hebbel noch viel, und es sei an und für sich ein zweckloses
unternehmen, unserem theaterpublicum das interesse an seinen Schöpfungen auf-
zwingen zu wollen (s. 187). Derartige Schwankungen wären unerklärlich, wenn man
nicht schon von anfang an erkannt hätte, dass Zinkernagel eigentlich nur Hebbels
tragische theorie interessiert. Wäre er von seinen werken und der in ihnen wider-
gestrahlten persönlichkeit ausgegangen und hätte die erkenntnis der theorie als reife
frucht der liebevollen beschäftigung mit beiden gepflückt, so hätte er ganz anders
geurteilt. Übrigens ist seine auffassung praktisch schon längst widerlegt. Wer auch
nur einer der mustergiltigen und erfolgreichen aufführungen , die Hebbels tragödien
in den letzten Jahren auf allen grösseren bühnen , namentlich im Hamburger deutschen
schauspielliaus unter Alfred von Bergers genialer regio, dem publicum vermittelten,
beigewohnt hat, wird über das oben citierte nur lächeln können. Doch man soll sich
die freude an der für das Verständnis des denkers Hebbel so förderlichen arbeit da-
durch nicht trüben lassen, dass der Verfasser dem zweiten teil seiner aufgäbe nicht
gewachsen war. Das im besten sinne moderne, d. h. unserem auf naturwissen-
schaftlicher gmndlage fassenden jetzigen zeitbewu-sstsein entsprechende in Hebbels
tragik hat er klar umrissen; dies ergebnis der forschung wird auch der freudig be-
grüssen, der sich zu scharfem protest gegen seine Wertung des dichters gezwungen
sieht. — Unter meinen zahlreichen randglossen zu diesem teile der ausführungen
Zinkernagels sollen folgende nicht unterdrückt werden. Wie ist es möglich, in der
Skizze des Genovevadramas, welche das Münchener tagebuch enthält, das haupt-
446 KRUMM
verdienst dieser an schonen und lebensvollen momentan so überreichen dichtung, die
zugleich eine der grossen beichten der weltlitteratur ist, zu sehen? (s. 131). — Auf
s. 158 nennt Zinke-rnagel die widerbolung einer und derselben Situation in „Herodes
und Mariamue" ein „muttermal" Hebbelscher poesie; ich sehe mit dem dichter darin
eine charakteristische Schönheit. — Die in dieser- tragödie zurückgedrängten .,histori-
schen momente" sollen in der „Agnes Bernauer" breiter entfaltet sein, mir scheint
das gegenteil richtig. Was ferner über die „innere conception" des letzteren werkes
ausgeführt ist, gilt nach meiner meinung für jede grosse, ewige dichtung, die des
symbolischen niemals entraten kann. Über das problem der Bernauerin setzt Zinker-
nagel, im anschiuss an den bekannten brief von Gervinus an Hebbel, mit recht aus-
einander, dass dieser für die kunst nicht andere gesetze anerkennen konnte, als sie
sich in der geschichte nachweisen lassen. Das würde gegen den realismus seiner
tragik Verstössen haben. Auch hebe er richtig hervor, dass der dichter damals der
weit, die sich ihm tatsächlich zum kreise gerundet hatte, ohne eine spur von gereizt-
lieit und Verstimmung gegenüberstand, dass er folglich stark genug war, das herbste
menschenschicksal und die reizvollste Idylle hart nebeneinander zu rücken. Wenn dem
so ist, so ist der tadel der gewaltigen schlussscene des fünften aktes, in dem Zinkei'-
nagel mit Scheunert zusammentrifft, ganz unangebracht. Wer es mit Hebbel verschmäht,
sich aus der weit, wie sie ist, in ideale träume zu flüchten, muss auch stark genug
sein, die consequenzen zu ertragen. Auch ist herzog Ernst doch keineswegs der
Sieger. Er bezahlt die schwerste Pflichterfüllung seines lebens mit dem freiwilligen
aufgeben seiner irdischen machtstellung, dass „grosse rad" rollt über ihn dahin wie
über sein opfer, er musste handeln, wie sie leiden, wir fragen vergebens, warum.
(Vgl. s. 164/65.) — Bei gelegenheit des „Gyges" wird von dem „uhrwerkmässigen"
Hebbelscher dramatik gesprochen. Hebbels dramen sind, wenn man ein von ihm
selbst auf Lessing geprägtes wort umdreht, weiten, keine lüiren. Doch gebe ich zu,
dass auf keins seiner stücke der ausdruck sich vielleicht mit mehr recht anwenden
liesse als gerade auf diese meist über gebühr gelobte tragödie, deren handlung und
menschen für mich, trotz aller aufgebotenen kunst, etwas fremdartiges behalten. —
Sehr erfreulich ist, dass die bedeutung des Hebbelschen „Demetrius" von Zinkernagel
voll gewürdigt wird. Auch' ich stelle ihn zu seinen höchsten Schöpfungen und be-
greife nicht, dass man ein erlahmen der kräfte in ihm hat spüren wollen. Das auf
s. 183 gesagte unterschreibe ich wörtlich.
Georgys buch unterscheidet sich in nichts weniger als allem von den beiden
soeben charakterisierten. Es wird von einem warmen hauche der liebe zu Hebbel,
dem menschen wie dem dichter, durchweht. Auch wendet sich der Verfasser an einen
breiteren leserkreis, er möchte dem deutschen volko einen seiner grössten künst-
lerischen genien näher bringen, dazu beitragen, dass Hebbels gestalt aus den „schuft -
und nebelmassen", die sie zum teil noch verhüllen, in siegreichem glänze emporsteige.
Das unternehmen ist sicherlich dankenswert und zeitgemäss. Beklagenswert ist nur,
dass Georgys ausführungen , trotz seiner unverkennbar feinen ästhetischen anschauung,
nicht selten verworren sind, was schon in dem schwülstigen, manchmal geradezu un-
leidlichen stil deutlich genug hervortritt. Über die idee des tragischen bei Hebbel
bringt das buch nur zum Schlüsse einige zusammenfassende bemerkungen (s. 319 fg!),
die mit recht als „rohe bleistiftskizze" bezeichnet sind. Jedenfalls hätten sie der be-
sprechung der dramen vorangehen müssen, denn es ist wahr, was Georgy sagt:
ÜBKR HEBBKX-UTTERATÜK 447
„"Was Hebbel bietet, ist eine vollständige Weltanschauung auf der grundlage der idee
des tragischen". Sehr erfreulicli ist ohne zweifei, dass Georgy dem lebenswerk
dieses künstlers die ehrfurtht weist, die es beanspruchen darf. Er fühlt, dass sein
schaffen aus einem grossen, warmen herzen unmittelbar sicii losringt, dass es
aus dem leben kommt und zum leben führt. Auch übersieht er niciit, dass Hebbel
die idee des tragischen, die ihm früh aufging, immer freier, immer geläuterter von
den schlacken des persönlichen gestaltete, wobei auch auf seine lyrik, als auf die
reinste quelle für die erschöpf ung seines wesens, verwiesen wird. Die entwicklung,
die von den Griechen über Shakespeare zu Hebbel führt, ist ebenfalls mit einigen
strichen scharf gezeichnet. Die Schillersche tragödie, auch diejenige Kleists, der
noch das moment der idee gefehlt habe (s. 325), d. h. wol die geschlossene persön-
lichkeit, die Hebbel auszeichnet, wird richtig gewürdigt. Doch sind das alles,
namentlich im vergleich zu den hierauf bezüglichen ausführungen bei Zinkernagel,
nur ansätze und konturen, zu dürftig, um nachhaltig zu wirken.
So bleiben die ausführlichen analysen der sieben grossen tragödien Hebbels das
allein wertvolle in Georgys buch. Diese enthalten, neben allerhand abstrusem imd
ungeniesliarem, soviel des neuen, warm und tief empfundenen, dass kein leser es
unbefriedigt aus der band legen wird, wenn er sich nicht durch die krause form, in
der der gedanke sich oft mehr verhüllt als darlegt, vorzeitig abschrecken lässt. Auf
einen das ganze durchziehenden grundmangel muss ich allerdings sofort aufmerksam
machen. Georgy möchte die idee eines jeden dieser kunstwerke herausschälen. Mit
recht bekämpft er zwar die auffassung, an der, wie wir sahen, Zinkernagel leider
noch festhält, dass diese tragödien der idee wegen entstanden seien (s. IX des Vor-
worts). Auch ist ihm unbedingt zuzugeben , dass, was dem gemüt entquillt, deswegen
nicht ideenlos zu sein braucht. Doch, wenn denn auch eine unteilbare idee des
tragischen Hebbels schaffen zu gründe lag, so ist doch nichts falscher, als in jedem
besonderen falle nach einer specialidee zu spähen, „die sich in einen ausdruck von
schlagender kürze" fassen lassen müsse (s. X). Dass die einzelnen tragödien nur
ausstrahlungen einer centralsonne sind, hat Georgy nicht beachtet. Freilich ist es
unleugbar, dass für Hebbel, mehr als für jeden anderen dramatiker der weltlitteratur,
wenn man etwa von Iljsen absieht, jedes drama eine total ität war, dass er, im
schroffsten gegensatz zu Shakespeare, keinem gliede desselben eine allzu üppige aus-
dehnung gestattete. Trotzdem muss derjenige scheitern, der diese lebendigen Organis-
men auf eine den sinn entziffernde formel reducieren will. Georgy spürt bisweilen,
dass er auf falscher fährte ist. So gibt er zu, dass die idee der individuellen mass-
losigkeit, die er für die der „Maria Magdalena" erklärt, eigentlich die allgemeine
idee der Hebbelschen tragödie sei (s. 168). Und ist die idee des opferns, der beugung
des einzelwesens unter die gesamtheit („Agnes Rernauer") etwas anderes als der
keinipunkt seiner gesamten weltanschauungV Auch kann Georgy sich ja keineswegs
verhehlen, dass, wenn er jede tragi^die in das enge gefäss einer besonderen idee zu
pressen sucht, er sich zuweilen mit Hebbel selbst in gegen.satz stellt, der in seinem
tagebuch oder in briefen bisweilen auch von in seinen dramen sich offenbarenden
ideen spricht, allerdings in anderem sinne, als es in diesem buche geschieht. Am
klaffencjsten zeigt sich dieser Widerspruch zwischen dem dichter und seinem Kritiker bei
der besprechung der „Genoveva". Freilich setzt dieser sich darüber hinwog, indem er
Hebbels unbewusstes schaffen, das Scheunert und Zinkernagel leugnen, .seinerseits
so stark betont, dass er des dichters aussprüchen über die absiebten, die ihn bei
dem entwürfe der tragödien leiteten, von vornherein misstraut, ihnen getli.ssentiich
448 KRUMM
widerspricht. Ich denke, es wird wol doch dabei bleiben, dass Hebbel, wie der un-
erbittlichste, auch der scharfsichtigste und gerechteste richter seines Schaffens war.
Bisweilen führt das difteln und zwängen zu ganz absonderlichen resultaten. Wenn
Georgj^ sich in die Nibelungentrilogie, an der Hebbel sieben jähre arbeitete, seiner-
seits sieben jähre versenkt, um schliesslich die idee: ..durch dienen zum werden"
in ihr verkörpert zu finden, so kann man sich kaum erv^ehren, an das paiiuriunt
montes zu denken. Mit vollster berechtigung hat ferner schon Zinkernagel (s. XXIX
seines Vorworts) ausgesprochen, dass die von Georgy gefundenen sonderideen der
Hebbelschen tragödien, die des handelns in der Judith, der reinen anscliauung in der
Genoveva, der individuellen masslosigkeit in der Maria Magdalena usw., ebensogut
auf die eine wie auf die andere passen. Wir befinden uns unzweifelhaft auf dem
gebiete subjectiver willkür. So dürfte es geraten sein , Georgy nur dann mit vorsieht
zu folgen, wenn er sich mit Hebbel in Übereinstimmung befindet. Überhaupt werden
auf diesem wege schwerlich viele ihm folgen wollen. Freilich kann er sich auf einst-
mals berühmte dickleibige commentare zum Shakespeare berufen, wie auf den von
Ulrici, die eine ähnliche arbeit mit pedantischer gründlichkeit zu leisten versuchten.
Dass derartiges veraltet und überholt ist, wird jedoch kaum bestritten werden.
Trotzdem kann Georgy namentlich solchen, die Hebbel noch ferner stehen,
fruchtbare anregungen geben. Eine kurze musterung seiner analysen der einzelnen
dramen wird zeigen, wie oft ich mich ihm auschliessen kann, und zugleich auch ge-
legenheit bieten, einzelne seiner anschauungen zu widerlegen.
Judith. Dass diese tragödie das handeln der menschen in seiner „irdischen
besch wertheit" darstelle, ist Georgy nicht gelungen nachzuweisen; er legt auf ein
untergeordnetes oder begleitendes moment, das Hebbel selbst im tagebuch mit den
Worten „in der Judith zeichne ich die tat eines weibes, also den ärgsten kontrast, dies
wollen und nichtkönnen, dies tun, was doch kein handeln ist" allerdings noch vor
der ausführung des dramas, andeutet, zu viel gewicht. Die behauptung, dass, wie
Judith, nicht weib und nicht Jungfrau, jeder von uns ethisch, nicht psysisch betrachtet,
vor einer handlung stehe (s. 30) ist nichts als phrase. Gewiss ahnt Georgy die tiefe
der tragischen grundidee Hebbels, die auch schon der „Judith" zu gründe liegt —
(..der handelnde ist immer schuldig'-; „leiden und tun sind für den inneren menschen
keine gegensätze", s. 32 u. 34) — , ist aber weit entfernt davon, sie plastisch zu for-
mulieren. — Mit recht verteidigt er die rodomontaden des Holofernes gegen den öfters
erhobenen Vorwurf der Unwahrheit und Übertreibung (s. 16 — 17), wogegen er des dichters
strenges wort, dass durch die von ihm gewählte motivierung Judith ihre symbolische
bedeutung verliere und zu der „exegese eines dunklen menscheucharakters herab-
sinke", keineswegs zu entkräften vermag. Auch sieht er nicht, dass Hebbel in dem
scenisch so wirksamen fünften akte schuld und Vergeltung, und zwar in dem her-
gebrachten sinne der worte, noch stark betont und dadurch fremde elemente in seine
tragödie hinüberleitet, die er bei grösserer künstlerischer reife später ausschied.
Genoveva. Es muss Georgy zugegeben werden, dass die idee, welche Hebbel
nachträglich selbst dieser seiner zweiten tragödie unterlegte, die der „genugtuuug durch
heilige" überhaupt keine tragische idee ist. Aber auch die idee der „reinen anschau-
uüg", woran es Siegfried, Golo, ja auch Genoveva fehlen soll, ist so unglücklich und
gequält wie nur möglich. Um sie im einzelnen zu begründen, geht Georgy sogar so
weit, in dem mangel an erkenntnis des sie bedrohenden feindes bei Genoveva eine
schuld zu sehen, für die sie büssen muss (s. 60), wie Gervinus in seinem Shakespeare -
commentar eine schuld Duncans und Banquos in ihrem mangel an besounenheit sehen
DBEK HKBBEL-LTTTRRATUR 449
wollte. "Wie konnte er, um seine haltlose „idee" zu stützen, sich so in gegensatz
zu Hebbels auffassung des tragischen setzen? Leuchtet doch diese aus der Genoveva
bereits weit klarer hervor als aus der ersten tragödie! — Scharfsinnig wird s. 56
begründet, warum das episodische für dies werk notwendig war. Selbst schein-
bar sehr fernliegende einschiebsei, wie die scene, in der der Jude gesteinigt wird,
stehen tatsächlich in enger Verbindung mit der entwicklung der handlung und der
Charaktere. Das überwuchern dos monologischen hätte dagegen aus der fieberhaften
erregung Hebbels, dessen eigene Stimmungen in jener trüben, leidenschaftlichen zeit
denen des Golo durchaus glichen, abgeleitet werden müssen, während Georgy merk-
würdigerweise diese inneren beziehungen ganz abzuleugnen sucht (s. 57). Audi der
legendenhafte charakter des Stückes wird nicht gebührend herausgehoben. Er erfordert
die perspective auf eine Vergeltung im jenseits, die übrigens in Hebbels reinsten
Schöpfungen widerkehrt, wenn sie auch in ihnen unendlich harmonischer ausklingt.
Dass das später hinzugefügte „nachspiel zur Genoveva" besser ungeschrieben ge-
blieben wäre, wie Georgy auf s. 100 ausführt, ist übrigens auch meine meinung.
Maria Magdalena. Die in ihr widergespiegelte idee der „individuellen mass-
losigkeit" ist wenigstens geistreich durchgeführt. In bezug auf den fall Klaras wird
Hebbels motivierung aus dem charakter der tischlerstochter glänzend gerechtfertigt.
Fraglich ist nur, ob nicht trotzdem für unser gefüht so viel verletzendes zurück-
bleibt, dass die aus einem solchen ausgangspunkt fliessende handlung nicht so zu er-
schüttern vermag, wie es in Hebbels späteren tragödien der fall ist. Letzteres ist
unbedingt nieine Überzeugung. Zur erklärung des factums soll man freilich nicht,
wie Zinkernagel, Hebbel mangel an sittlichem gefühl zur last legen, es genügt zu
sagen, dass er, als er dies werk schuf, durch das Verhältnis zu Elise mehr als je
vorher gedrückt wurde. Erst nachdem er sich aus den ketten schwerster persönlicher
Unfreiheit gelöst hatte, vermochte er das tragische schlackenlos zu gestalten. Das
nimmt der „Maria Magdalena" nichts von ihrer monumentalen bedeutung, hindert
aber allerdings, sie, wie noch oft geschieht, auf kosten der späteren Schöpfungen
herauszustreichen. — Meisterhaft ist Georgys entwicklung der Charaktere dieser bürger-
lichen tragödie. Namentlich, dass alle von ihrem Standpunkt aus recht haben, wird
treffend ausgeführt. Freilich gilt das nicht nur von ihr, sondern von Hebbels tragödie
überhaupt, wenn es auch nirgends wider so herb und schroff hervortreten mag wie hier.
Die grosse Kicke, welche „Maria Magdalena" von „Herodes und Mariamne"
scheidet, füllt Georgy nicht aus Das ist bedauerlich, denn gerade die analyse der
-Julia" kann veranschaulichen, wie krank Hebbels geistiger Organismus vor dem bunde
mit Christine war, und wodurch er genas. Auch die fragmente sind mit unrecht aus
dem kreise der betrachtung ausgeschlossen.
Herodes und Mariamne — die tragödie der innerlichkeit. Jedenfalls deckt
sich diese gewiss fruchtbare idee nur mit einem teil der tragödie. Diese ist viel um-
fassender, die erste reine Verkörperung des nach Hebbel das ganze leben durchziehenden
dualismus. Unleugbar hat Georgy dieses in manchem betracht an die spitze von
Hebbels tragischem schaffen zu stellende schöne werk warm und tief charakterisiert.
Die exposition des ersten aktes, welche die weltereignisse so ungemein geschickt mit
den Vorgängen im hause des Herodes verflicht, wird nach gebühr herausgehoben.
Fein ist auch der nach weis, wie der vor der eigentlichen liandlung liegende tod des
Aristobulos dieselbe bis ans ende bestimmt und beherrscht. Sehr gut beobachtet ist
ferner, dass des Herodes übermass an sinnlicher liebe zu seinem weibe mit der den
ganzen menschen verzehrenden staatsmännischen und kriegerischen tätigkeit nicht nur
ZUTSCHKIFT K. DEUTSCHE PHILOLOOIK. BD. XL. 29
4f)0 KRU>ra
vereinbar, sondern aus ihr unmittelbar abzuleiten ist (s. 156). Energisch wird auch
der törichte einwand widerlegt, dass Mariamne dem Herodes oiTener entgegentreten
musste, wenn sie ihn liebte (s. 208). Sie handelt, wie die von dem geliebten manne
unverstandene, vereinsamte frau handeln muss. Bei der Interpretation der scene
zwisclien Mariamne und Titus (V, 6) erinnert Georgy an Antigene, auch ich wüsste
eine scene von gleicher erhabenheit in der gesamten modernen tragödie kaum nach-
zuweisen (s. 191). Dagegen vermisse ich eine erklärung des auffallenden Verhaltens
des Herodes bei seiner zweiten rückkehr (IV, 8), wo gerade auf dem höhepunkte der
Situation das menschliche hinter dem staatsmännischen auf kurze zeit zurückzutreten
scheint. Diese plötzliche starre kälte, hinter der die glut der leidenschaft sich birgt,
um bald um so ungestümer hervorzubrechen , scheint mir für Hebbel als nordischen
menschen charakteristisch. Derartige momente, in denen die mächtig flutende hand-
lung sich plötzlich zu stauen beginnt, findet der tiefer dringende blick in allen seinen
tragödien. .
Agnes Bernauer. Die diesem drama von Georgy zugrunde gelegte idee des
Opfers, der beugung des einzelwesens unter die gesamtheit ist, wie bereits oben er-
wähnt, die der Hebbelschen tragödie überhaupt. Es kann sonst nicht bestritten werden,
dass sie bis in die einzelheiten geschickt und mit feinstem Verständnis für die ab-
siebten des dichters verfolgt ist. Georgy erkennt, dass alle bedeutenderen träger der
handlung opfern müssen, der alte Bernauer, Theobald, Agnes, herzog Ernst, aber
auch Albrecht, der, was man übersehen zu haben scheint, seinerseits das grösste opfer
bringt, indem er auf die räche verzichtet. Folglich verteidigt er den tieferschütternden,
aber eben so sehr reinigenden und erhebenden fünften akt gegen die missdeutungen der
kritiker. Dass reichsacht und kirchenbanu nicht das mindeste zur inneren lösung des
conflictes beitragen, nur die unantastbare macht der Ordnung gegenüber der auf ihr
natürliches recht pochenden leidenschaft äusserlich symbolisieren, wird nachdrücklich
betont. Auch nimmt er den tragiker in schütz gegen diejenigen, welche noch immer
glauben, er habe seine von wärmstem leben durchpulsten gestalten kalten blutes der
staatsraison preisgegeben, dem Staate für alle zeiten das recht zuschreiben wollen, über
das edel -menschliche hinweg zu schreiten, sobald das gemeinwol es erheischt.
Gerade dieser auf eine so scharfe schneide gestellten tragödie fehlt es nicht an dem
ausblick in höhere, reinere Sphären, in zeiten, die das trotz wechselnder formen ewige
gesetz der Wertlosigkeit des einzelnen gegenüber der gesamtheit nicht mehr mit so
grausigen opfern besiegeln werden. "Was sich uns staubgeborenen nicht entwirrt, löst
sieh in himmlischen akkorden. "Wie wolfeil ist es doch zu sagen: Herzog Albrecht
musste auf dem schlachtfelde sterben ! Eine solche capitulation vor der Sentimen-
talität wäre alles andere, nur nicht in Hebbels sinn gewesen, sie hätte seinem drama
die spitze abgebrochen. Der dichter wollte in seiner Agnes die tragische Stellung des
schönen in seiner reinen erscheinungsform gegenüber der weit darstellen. Das weist
Georgy mit berechtigtem spott gegen eine philiströse auffassung des tragischen über-
zeugend nach. Auch sonst verdient die analyse des dramas uneingeschränktes lob,
wie die des „Herodes'^ Liebevoll wird das kerndeutsche in Hebbel, das gerade in
diesem „deutschen" trauerspiel herrlich sich offenbart, beleuchtet. Besonderer er-
wähnung wert sind noch die von tiefem gefühl und feinem Verständnis zeugenden
bemerkungen Georgys über den vierten akt des dramas, in dem er mit recht den
„gleichungspunkf' der tragödie sieht (s. 534 fg.).
Gyges und sein ring. Hebl)el schreibt an Friedrich von Uechtritz, dass die
dee der sitte als die alles bedingende und bindende ihm zu eigener Überraschung
ÜBER IIKBREI, - UTTEPATnn 451
nach dem abschluss seiner arbeit aus diesem werte aufgetaucht sei. Somit befindet
sich Georgy diesmal im schönsten einverstündnis mit ihm. Doch der dichter spricht
in dem briefe nur von einem „ideenhintergrunde", der das bild perspectivisch ab-
schliesse. Georgy macht daraus das centrum, um das er die porsonen und ihr
Schicksal herum gruppiert, wobei eine gewisse nüoliternheit der betrachtung auffällt,
die gerade diesem drama, über das ein mystischer regenbogen gespannt ist, nicht ge-
recht wird. Jedesfalls tritt nur die Stellung des Kandaules, den Georgy eingehend
und treffend charakterisiert, zu diesem ideencentrum deutlich hervor, in seiner doppelten
eigenschaft als gemahl der Rhodope und als vielgeschäftiger, freventlicher neuerer in
den versuchen, die lydischen brauche zu reformieren. Inwiefern das verhalten Rho-
dopes oder gar des Gyges von ihrer auffassung der sitte abhängt, bleibt trotz der
ausfühningen auf s. 267 fg. im dunkeln. Es würde mich zu weit führen , wenn ich
meine auffassung derjenigen Georgys entgegenstellen wollte; es muss genügen, dass
ich sie als zu eng und den vollen gehalt des dramas nicht ausschöpfend bezeichne,
was übrigens zu dem wolverstandenen inhalt der obigen briefstelle nicht in wider-
sprach steht. Unter den feinsinnigen bemerkuugen, an denen auch diese analyse
sonst nicht gerade arm ist, ragen besonders diejenigen über das rhythmisch -gedämpfte
des Schmerzes und der leidenschaft in dieser tragödie, sowie über den für die hand-
lung entbehrlichen, aus dem gesamtgemälde aber überhaupt nicht wegzudenkenden ring
iervor (s. 268; s. 282). — Das wort „hermenwächter" in v. 358 wird auf s. 278/79
jedesfalls falsch gedeutet; es soll dadurch doch nur der in den äugen der Lyder sünd-
hafte tatenlose müssiggang des königs bezeichnet werden.
Die Nibelungen. (Idee: durch dienen ziim werden). An diesem beispiel
lässt sich, wie bereits fmher angedeutet, am klarsten nachweisen, wie weriig bei dem
spüren nach Specialideen der Hebbelschen dramen herauskommt. Man wird Georgy
zugeben müssen, dass der gegensatz und feindliche zusammenstoss zwischen heiden-
tum und Christentum eine tragische idee nicht ist; es ist nur der hintergruud, von dem
sich das gemälde abhebt. Auch leugne ich nicht, dass die durchführung der einmal auf-
gestellten idee geistvoll ist, soweit sie überhaupt möglich war. Dass Hagen, dessen
Weltanschauung freilich mit unrecht „religiös" genannt wird (s. 290) zum tragischen
ende prädestiniert ist, weil er einer dem Untergänge geweihten weit mit ganzer kraft
dient, dass er im dienen nicht wird, auch Siegfried nicht, weil sein naives helden-
tum nichts weiss von sich und der weit, dass im gegensatz zu ihnen Diet-
rich dem weltenplane dient und bis zum schluss im dienen wächst und wird,
ist fein beobachtet. Lobenswert ist auch die verständnisvolle betonung des mensch-
lichen in Dietrich wie in Etzel, die viele beurteiler kalt und schablonenhaft gefunden
haben. Was soll es aber heissen, wenn daraus, dass die in ihrem tiefsten empfinden
tötlich getroffene Kriemhild nicht „dient", eine Verschuldung ihrerseits abgeleitet
wird? (s. 298 fg.). Das ist mir ganz unverständlich. Georgy hätte bedenken müssen,
dass Hebbel in der zunächst ungedrackt gebliebenen vorrede zu der trilogie aus-
drücklich davor warnt, in dem drama etwas anderes zu suchen als — der nibelunge
not. In dem Stoffe, der handlung wie den menschen, lag das in seinem sinn tragische.
"Weil hier sich „schuld in schuld so fest verbissen" hatte, da.ss niemand den kuäucl
lösen konnte, weil alle recht hatten, Hagen sowol wie Kriemhild, weil die dämonische
Verkettung zwischen mensch und Schicksal bis zur entsetzlichen schlusskatastropho
durch die eigenart der menschen, nur durch sie, bedingt war, schien Hebbel seine all-
gemeine tragische idee in dem mittelalterlichen epos verleiblicht, in dessen Schöpfer
er den grossen dramatiker zu erkennen glaubte. Deshalb wurde er der „dolmetsch"
29*
452 kätjffmann
der stammelnden germanischen weit und fügte mit aufbietung seiner reifen kunst die
zerstreuten epischen züge zu einer tragischen kette. Mehr braucht zum Verständnis
des gewaltigen werkes nicht gesagt zu werden. Höchstens wäre noch hinzuzufügen,
worauf Georgy gelegenthch hindeutet, dass ähnliche conflicte unter anderen, ge-
mässigteren formen widerkeliren können, sobald eine ,, weitenwende", wie eben jener
kämpf zwischen heidentum und Christentum, die geister scheidet. Selbst dieser
tragödie fehlt es somit nicht an der „modernität" im besten sinne des wortes. Der
dichter mutet uns , obgleich er sich vor einer abschwächung des mythischen ängstlich
hütet, keine Sympathie mit übernatürlichen erscheinungsformen der leidenschaft zu,
(die für immer versunken sind) was Ibsen in seinen Flaermaendene paa Helgeland ohne
frage tut.
KIEL. H. KRUMM.
Schlemm, Julie, Wörterbuch zur Vorgeschichte. Ein hilfsmittel beim Studium
vorgeschichtlicher altertümer von der paläolithischeu zeit bis zum anfange der
provinzial- römischen kultur mit nahezu 2000 abbildungen. Berlin, D. Reimer
(E. Vohsen) 1908. XVI, 689 s. Geb. 20 m.
Dank der einsieht arbeitsfreudiger gelehrter ist in der jüngsten zeit ein ent-
scheidender Umschwung der methode etymologisch - historischer forschung eingetreten.
Früher beschränkte sich das etymologische geschäft auf rein formale, lautgeschicht-
liche principien. Jetzt aber sollte man in unsern hörsälen und seminarien von eherneu
tafeln das kenuwort Jacob Grimms leuchten lassen : „Sprachforschung, der ich anhänge
und von der ich ausgehe, hat mich doch nie in der weise befriedigen können, dass
ich nicht immer gern von den Wörtern zu den Sachen gelaugt wäre." Wie ein von
Schattenbildern bevölkerter räum gähnen uns die lexikalischen hilfsmittel an, deren
wir uns bei dem etymologischen verfahren zu bedienen pflegen. Da wird mit den
Wörtern umgesprungen, als beständen sie aus nichts weiter denn aus ihren grammati-
schen formen oder gar nur aus ihren lettern; dass die Wörter nur ausdrucksformen
von Sachen oder beziehungen sind, wird uns in der mehrzahl der fälle gar nicht be-
wusst; geschweige denn, dass der durchschnittslexikograph das bedürfnis verspürte,
sich mit etwas anderem als mit etymologischen wortgleichungen, mit belegstellen und
mit freikonstruierten schematen der bedeutungsentwicklung zu befassen. In dieser
dürftigen einseitigkeit enthüllt sich uns die erschreckende rückständigkeit unserer
wörterbucharbeit; der lexikograph glaubt seine Schuldigkeit getan zu haben, wenn er
den Sprachgebrauch an belegserien veranschaulicht und etymologische entsprechungen
aus näher oder entfernter verwandten Idiomen ebenso aneinanderreiht. Wer fragt
ernsthaft danach, was denn die Wörter als ausdrücke für sachen bedeuten und wie
sie unserer anschauung näher gebracht werden können"?
Rühmliche ausnahmen bilden die vorbildhchen arbeiten eines Meringer und
Hoops. Namentlich J. Hoops hat durch die „AValdbäume" und die in den Anglisti-
schen forschungen niedergelegten specialarbeiten seiner schüler bahn gebrochen
und eine Verbindung zwischen germanistischer wort- und sachforschuug auf einzel-
sprachlichem gebiet hergestellt, die sich bewährt hat und die älteren etymologischen,
rein formalistischen arbeiten für uns mit der zeit ungeniessbar machen wird.
Wenn es des deutscheu philologen höchste aufgäbe ist, der geschichte unseres
Volkes das bett von der spräche her aufzuschütten, muss er in ganz anderem umfang,
als die rein linguistischen Strömungen es gestatteten, mit den realieu unseres ge-
ÜBER JULIK SCHLEMM. WÖRTERJiUClI ZUK VORGESCHICIITK 453
schichtlichen lebens vertraut gemacht werden. "Wie soll der pliilologe, dem die
deutschen altertümer itnter sieben siegeln versiegelt sind, eine anschauliche erkonntnis
dos deutscheu altertums aus der alten deutschen spräche gewinnen? Es bleibt bloss
der ausweg, dass das linguistische Studium des philologen durch archäologische for-
schuugen ergänzt werde, damit er seiner wissenschaftlichen aufgäbe herr zu worden
und die Sprachüberlieferung in ihrer totalität zu bewältigen lerne. Wie der gang
der dinge im jüngsten decennium gezeigt hat, muss der philologe in erster linio mit
der sogenannten präliistorischen archäologie schritt halten und sein positives wissen
dadurch bereichern, dass er sich aneigne, was durch die Wissenschaft des Spatens
ans licht gebracht und den philologisch -historischen kombinationen zugänglich gemacht
worden ist. Es muss daiiin kommen, dass auch der philologe wie der künstler —
nach einem treifenden ausspruch Rudolf Hildebrands — nicht mehr bloss in werten,
sondern in sachen denke: dann erst wird die deutscho philologie zur altertumswissen-
schaft werden und im stände sein, der geschieh te unseres volks das bett von der
spräche her stärker aufzuschütten. Falls die zeichen der zeit nicht trügen, scheinen
sich solche hoffnungen fortan nicht mehr als chimären abweisen zu lassen. Der
plan eines grossen Sammelwerks Monuvienta artisOermaniap, ist bereits zu einer öffent-
lichen angelegenheit geworden und wir haben vernommen, dass endlich auch unserer
vaterländischen kunst die stunde der erlösung geschlagen hat. Insbesondere muss dafür
gewirkt werden , dass bei dieser gelegenheit diekleinkunst des deutschen alter-
tums nicht zu kurz komme und dass zum mindesten ein erschöpfender generalkatalog
unserer vaterländischen altertümer in angriff genommen werde. Denn es gebricht in
Deutschland sogar an den selbstverständlichsten und unentbehrlichsten hilfsmitteln
archäologischer forschung auf heimischem feld. Wir besitzen zwar vaterländische
altertumsmuseen , aber es gehört zu den ausnahmen , wenn ein einigermassen auf die
cinzelbestände eingehender katalog verfasst worden ist. Wir hegen darum die be-
stimmte erwartung, dass diesem beschämenden zustand durch die Monuthenta artis
Germaniao baldigst ein ende gemacht werde.
Inzwischen kann das „Wörterbuch zur Vorgeschichte" als notdürftiger ersatz
dienen. Julie Schlemm hat aber leider vor den denkmälern des römischen kultur-
cinflusses halt gemacht' und nur ein bruchstück unserer prähistorischen archäologie
geliefert. Doch sollen wir auch diesen torso mit dank entgegennehmen, weil es darauf
ankommt, dass von Sachkennern die archäologischen materialien endlich den philulogcn
so bequem wie möglich handgreiflich gemacht werden.
Über die Sachkenntnis der Verfasserin des vorliegenden Wörterbuchs kann kein
zweifei bestehen. In langjähriger erfahrung an den Berliner Sammlungen hat sie, wie
ihre nicht gerade schönen aber doch charakteristischen Zeichnungen verraten , ihr äuge
auf die wesentlichen merkmale der form einzustellen gelernt und dass sie ihrem
Wörterbuch nahezu 2000 umrisszeichuungen beigegeben hat, ist besondorn dankes wert.
Weniger befriedigt mich der wörterbuchtext. Die Stichwörter, unter die die emzel-
dinge katalogisiert wurden, hemmen nicht selten unser Orientierungsvermögen: es ist
aber den fatalsten übelständen von der Verfasserin dadurch abgeholfen worden, dass
sie auf s. 677fgg. ein register beigegeben hat, das jeder, der mit dem wörterbuchc
arbeiten will, am zweckmässigsten zuallererst befragen sollte; hier (indet er z. b. unter
dem Stichwort „Schwerter" die vielen stellen vereinigt, auf die von der verfa.sserin
1) Weshalb die gesteckte grenze bei schere, schild, sporn u. a. überschritten,
ein artikel „fibel mit umgeschlagenem fuss" (s. 031) und sogar .."in artikol „schläfon-
ringe" (s. 521) aufgenommen wurde, vermag ich nicht zu sagen.
454 KAUFFMANN
die archäologischen einzelfornien der Schwerter verzettelt worden sind^ Im übrigen
ist das , Wörterbuch" technisch so disponiert, dass die Verfasserin zuerst die bunt-
seheckige terminologie eines archäologischen typus verzeichnet, darauf folgt eine ana-
lytische beschreibung oder eine begriffliche definition, welche die meinungsverschieden-
heit beteiligter forscher zu berücksichtigen gestattet. Am schluss des einzelnen Wörter-
buchartikels folgen die rubriken, in denen über die Zeitbestimmung, die fundorte und
die litteratur auskunft gegeben wird. In den litteraturberichten macht sich zu meinem
leidwesen der übelstand bemerkbar, dass die älteren publikationen weit ausgiebiger
als die neuesten f unde citiert wurden ; die f orderung ist nicht unbillig , dass der neueste
stand der dinge zur geltung komme und dass solch wichtige werke, wie Montelius
Kulturgeschichte Schwedens (190G) oder auch Willers Bronzeeimer (1901/1907) oder
Quillings Nauheimer funde (1903) — die durchaus nicht bloss typen der provincial-
römischen kultur behandeln — nach gebühr hätten genannt werden sollen: auch die
grabfelder der älteren eisenzeit in Mecklenburg von Beltz (Jahrbücher d. Vereins f.
mecklenburgische geschichte 1906) scheinen unberücksichtigt geblieben zu sein-; aus
der Specialliteratur könnten natürlich weit mehr nachtrage geliefert werden; ich ver-
misse namentlich reichlichere hinweise (vgl. s. 313) auf die Jahresschrift für die vor
geschichte der sächsisch-thüringischen länder^. Ein anderer recht ärgerlicher übel-
stand ist es, dass die abbildungen nicht lokalisiert worden sind; es musste bei
jeder einzelnen figur angegeben werden, wo der abgebildete gegenständ gefunden worden
ist, oder wenigstens, wenn die fundorte nicht ermittelt werden konnten, wo er auf-
bewahrt wird; so wie sie von Schlemm veröffentlicht sind, machen die stücke einen
vaterlandslosen eindruck, der das gesamtbild um seine besten Wirkungen bringt. Ein-
zelne artikel sind völlig ungenügend, z. b. „Depotfunde" (s. 91, wo man über eine
reiche fundserie nicht einmal die zugänglichste litteratur verzeichnet findet) oder „Feuer-
stein-dolche" (s. 99fg., vgl. s. 318fgg. : hier sind diese technisch bewundernswerten
erzeugnisse nach ihrer Verbreitung nicht genügend mit den werten „vornehmlich in
Scandiuavien" bestimmt; dazu fehlt die hauptstelle, wo S. Müller über sie gehandelt
hat: Nord, fortidsminder 1, 125 fgg.); zu den bronzenadeln mit schräg abwärts durch-
bohrtem kugelkopf wäre Kossinna, Zeitschr. f. Ethnol. 1902, 195 zu eitleren gewesen,
derselbe spricht am gleichen ort über manschetten-armhänder (vgl. Schlemm s. 385 fg.);
der artikel „Hängegefässe" (s. 222 fgg., dazu s. 178 fgg.) muss auf gmnd der ausfüh-
rungen von Neergaard (Nord, fortidsminder 1, 69 fgg.) neu bearbeitet werden; hätte
die verf. diese grundlegende arbeit gewürdigt, würde sie wol auch die gelegenheit
ergriffen haben, einen selbständigen artikel über die geschichte, die technik und den
Stil des Ornaments der bronzezeit eingeschaltet haben; es ist in dem artikel „Bronze-
zeit" (s. 69) sogar versäumt worden, anzudeuten, dass die gliederung dieser periode
auf grund der Ornamente vorgenommen zu werden pflegt; bei den für die norddeutsche
Steinzeit diQ bedeutung eines leitfossils besitzenden kragenüaschen (s. 156 fg.) fehlt u. a.
(vgl. Schlemm s. 582) ein hin weis auf Boehlau-Gilsa, Neolithische denkmäler aus
Hessen (1898); bei den Gesichtsurnen (s. 173 fgg.) vermisse ich die Verwertung der
1) In einzelfällen versagt auch das register; z. b. die steinzeitlichen mulden-
gräber kann man nur zufällig auf s. 254 auffinden.
2) Schon in bibliographischer hinsieht ist das s. XI fgg. aufgestellte Verzeichnis
vielfach ungenau und durch störende druckfehler entstellt.
3) Ich erinnere beispielshalber an die interessanten grabhäuser im Leubinger
und Helmsdorfer hügel oder an die „schwertstäbe" (bd. IV, taf. II fgg.), die s. 546 fg.
nachzutragen sind.
ÜBER FOHRER, RKALLEXIKON DER l'RAIllSTOR. ALTERTÜMER 455
in den Nachrichten über deutsche altertumsfunde 1904, s. 51 fgg. besprochenen
stücke; unter den giirteln (s. 197 fg.) fehlen die sog. holsteinischen cxemplare. die
J. Mestorf in den Mitteilungen des anthropol. Vereins mustergültig bearbeitet hat'; die
liünenbetten (s. 255 fg.) sind am schönsten in Madsens Gravhoje zur darstellung ge-
bracht worden^; unter den belegen für die steinzoitliche keramik fehlen die aus den
abfallhaufen bekannten, in ähnlicher form in Süd- und "Westdeutschland widerkehren-
deu typen mit spitz zuhiufondcm boden (vgl. Schlemm s. 410, 566); der grosse silber-
kessel von Gundestrup (s. 280 fg.) hat eine des ausserordentlichen fundes würdige dar-
stellung in den Nord, fortidsminder (1, 95 fgg.) gefunden; unter „trinkhorn" (s. 623 fg.)
wird als Zeitbestimmung „Uallstaltzeit" angegeben und nur das irdene trinkhorn auf-
geführt: es wäre zu wünschen gewesen, dass zum mindesten auch das kuhhom (Boye,
Egekister s. 120) aufnähme gefunden hätte; aber weit bedauerlicher ist die lücke, die
dadurch in dem AVorterbuch zur Vorgeschichte klaift, dass die altgermanische Volks-
tracht keine berücksichtigung, ja dass nicht einmal „Wolle" und „Leinwand" eine be-
sprechuug gefunden haben. Unter der Voraussetzung des anerkenntnisses, dass die
Wörterbuchartikel der Verfasserin erheblich ergänzt werden müssen , mögen sie fleissiger
benutzung empfohlen bleiben, bis sie durch eine erschöpfendere publikation ersetzt sind.
1) Vgl. dazu Beltz in den Mecklenbnrgischon Jahrbüchern 71, 81 fg.
2) Dieses werk citiert Schlemm erst s. 340 fg. unter dem Stichwort Megalith -griiber.
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANN.
Forrer, Robert, Keallexikon der prähistorischen, klassischen un-d früh-
christlichen altertümer. Mit 3000 abbildungen. Berlin -Stuttgart, W. Spe-
mann s. a. (1908). VIII, 943 s. Geb. 28 m.
Dieses werk ist auf die bedürfnisse und den geschmack der allzuvielen ein-
gerichtet, die hier wie in einem sog. Warenhaus alle möglichen antiquitäten beisammen
finden, die irgendwie zum gesprächsthema werden könnten. Der verf. hat versucht, in
diesem lexikon eine Verschmelzung vorzunehmen, wie sie bis jetzt noch bei keinem,
verwandten unternehmen vollzogen worden ist ... „die prähistorischen altertümer habe
icli durch metall- und Steinzeit zurück bis in die tertiärzeit verfolgt, den klassischen,
griechischen und römischen altertümern die frühchristlichen und die der völker-
wanderangszeit angereiht und selbst die ägyptischen und assyrischen soweit als ver-
gleichsmaterial herangezogen, als ich es für notwendig und tunlich erkannte". An-
gesichts der früheren Icistungen des Verfassers' wird man eine ernste wissenscliaftliche
formulierung der einzelnen artikel seines Reallexikons erwarten. Wir hatten daher
zu prüfen, wie es sich mit den auf die deutsche altertumskunde entfallenden Stich-
wörtern verhält. Sie sind nicht gering an zahl, aber, was die Illustrationen betrifft,
nicht so begünstigt, wie etwa die der griechischen kunstgeschichte angehörenden ab-
teilungen. Ein besonderer übelstand sind im text die mit wenig ausnahmen (vgl.
„Dörfer") unzulänglichen Htteraturangaben und die empfindhche Zurücksetzung der
heimatlif-hen belege hinter die der klassischen oder der keltischen volker (vgl. z. b.
unter „aexte" oder „tempel" oder „nordische bronzezeit" oder „reihcngräber"). Im
einzelnen stösst man hier und da auf beachtenswerte neue kombinationen, so z. b,
vermutet Forrer (s.v. „armbänder und -ringe"), dass das verschwinden der armringe
1) Vgl. z. b. die artikel „Achenheim" oder „Odilienberg" oder „Hockergräber"
oder -Münzen" oder auch taf. 63.
456 KA.UFFMANN
aus der Volkstracht, wie es seit der La Tene-zeit beobachtet werden kann, mit der
Verwendung des armringes als geld in ursächlichem Zusammenhang stehe (s. 41);
aber das norddeutsche und skandinavische fundgebiet ist so stiefmütterlich behandelt
(vgl. z. b. „bernstein", „filigran" u.a.), dass der.germanist nicht um sich beraten zu
lassen, sondern nur zur Vervollständigung seiner hilfsmittel dieses Forrerscbe nach-
schlageAA'erk berücksichtigen wird.
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANN.
Kiekebnscli, Albert, Der einfluss der römischen kultur auf die germani-
sche im Spiegel der hügelgräber des Niederrheins. Nebst einem au-
hang': Die absolute Chronologie der augenfibel. Stuttgart 1908, vorlag von Strecker
& Schröder. 92 s. 2,70 m. (=Studien und forschungen zur menschen-
und Völkerkunde unter wissenschaftlicher leitung von Georg Buschan III).
Die hügelgräber des Niederrheins, die in dieser Berliner dissertation behandelt
werden, liegen in den regierungsbezirken Düsseldorf und Köln. Der verf. nennt
s. 32fgg. 1. das gräberfeld bei Duisburg (von Grossenbaum bis zur Ruhr), 2. Marxloh
(kr. Ruhrort), 3. kloster Hamborn (kr. Ruhrort), 4. Golzheimer beide (kr. Düsseldorf),
5. kr. Düsseldorf, 6. kr. Mühlheim a. Rh. (Dünnwald, Delbrück, Thuru, Heumar,
Leidenhausen, "Wahn bei Scheuerbusch), 7. kr. Solingen (Morsbroich, Schlebuscher
beide), 8. kr. Sieg (Troisdorf, Altenrath, Schreck, Niederpleiss, Lohmar, Siegburg),
9. kr. Rees (Emmerich), 10. kr. Gladbach (Rheindahlen), 11. kr. Geldern (Calbeck),
12. kr. Cleve (Uedem, Pfalzdorf). Diese begräbnisplätze zerfallen in zwei gruppen:
1 — 9 sind rechtsrheinisch, 10 — 12 linksrheinisch.^ Nun behauptet K. in dem
rechtsrheinischen der hauptsache nach zwischen Sieg und Ruhr sich erstreckenden
hügelgräbergebiet hätten Germanen gewohnt (s. 56). „Das land rechts vom Nieder-
rhein (von Rheinbrohl bis zum Bataverlande) war bekanntlich trotz aller expeditionen
niemals unbestritten römischer besitz. Die kastelle an der Lippe waren doch nur
einzelne punkte mitten im feindlichen lande und auch sie konnten in den jähren 9 — 15
n. Chr. nicht gehalten werden. Die Germanen rechts vom Niederrhein waren also
frei" (s. 65). Ich muss diese behauptung ablehnen, denn das rechtsrheinische land
zwischen Sieg und fossa Dntsiana gehörte den niederrheinischen legionen und diese
haben eifersüchtig darüber gewacht, da.ss es nicht wider von Germanen besiedelt
werde, seitdem es den Sugambrern, Marsern und Brukterern (a. 16, Ann. 2, 25) kon-
fisciert worden war. Ansiedelungen fremder national ität wurden hier nicht geduldet,
so begehrlich auch die äugen der benachbarten Germanen auf diesem transrhenanischen
confinium der Römer nahten. Es meldeten sich Friesen : Verritus und Malorix machten
mit ihrer gefolgschaft auf den „herrenlosen" ländereien am Rheinufer halt, bauten
sich an und wichen nicht, als der römische kommandant mit Waffengewalt drohte.
Sie beriefen sich auf ihre gutrömische gesinnung, reisten nach Rom, um persönlich
bei kaiser Nero vorstellig zu werden. Der kaiser verlieh den beiden Friesen fürsten
das römische bürgerrecht, befahl ihnen aber, die domäne zu verlassen; die Weisung
fruchtete zunächst nichts; erst einer berittenen römischen polizeiabteilung, die auf
die unerwünschten kolonisten einhieb, gelang es, dem kaiserlichen befehl gehorsam
zu verschaffen (Ann. 13, 54). Als die Friesen abgezogen waren, erschienen Amsiwarier
1) Unter den litteraturangaben vermisse ich: F. Janssen, Gedenkteekenen der
Germanen en Romeinen an den linker oever van den Neder-Rijn. Utrecht 1836.
ÜBER KIEKEBUSCn, DER EINFLUSS DER RÖMISCHEN KULTUR AUF DIE GERMANISCHE 457
unter dem alten recken Boiocalus. Im rechtsrheinischen Ödland der legionen lagen
die äcker brach, die er suchte. Der römische Statthalter erklärte sich zwar bereit,
ihm einen gutsbezirk anzuweisen, damit wollte er sich nicht zufrieden geben und
•j;edachte durch Widerspenstigkeit seine weitergehenden forderungen durchzusetzen.
Das ende war, dass die heimatlosen Amsiwarier mit Waffengewalt zu den Chatten
verjagt wiu'den (Ann. 13, .15. 50). Nach dem jähr 70 hat eine grosse römische militär-
ziegelei auf diesem rechtsrheinischen Ödland gelegen, alle datierbaren ziegel gehören in
die zeit von a. 89 — 105 n. Chr. (Bonn, jahrb. CXI, 291 fgg.). Mit der behauptung
des verf., rechtsrheinisch zwischen Sieg und fossa Drusiana hätten Germanen und
zwar freie Germanen in der frühen römischen kaiserzeit gesiedelt, ist es demnach
übel bestellte Die aus den hügelgräbern jenes tcrritoriums gehobenen fundstückc
waren von römischen münzen begleitet und verraten auch sonst so klare römische
beziehungen, dass K. die gräber bis tief in die römische kaiserzeit, bis ins 2. jh. n. Chr.
geb. hinabreichen lässt (s. 49 fgg., vgl. s. 62 fg.). Die hinterlassenschaft der gräber ist
nun aber so dürftig und armselig, unterscheidet sich so völlig von den bekaimten
Germanengräbern ebenderselben epoche, dass man wol nur an eine ärmliche sklaven-
und kolonenbevölkeruug linksrheinischer (kolonialgermanischer V) herkunft denken darf.
Ganz abenteuerlich sind des verf. argumente, durch die er den terminus a quo der
hügelgräber ins 8. vorchristliche jh., in die Hallstattzeit zurückzudatieren unternimmt.
Diese Kheingermanen (nördlich der Sieg) sollen auf der stufe der Hallstattkultur stehen
geblieben sein (s. 63). Solch beispiellose rückständigkeit einer germanischen bevölke-
rung unmittelbar an der römischen grenze steht in absolutem gegeusatz zu der be-
kannten tatsache, dass die am römischen grenzsaum siedelnden Germanen fortgeschrittener
in ihrer kultur waren, als die Germanen des binnenlandes -. Dafür liegen nicht bloss
litterarische, sondern auch archäologische beweisstücke vor. Aber K. bleibt dabei:
„von einer einwirkung Roms auf die freien Germanen am Niederrhein kann nicht die
rede sein. Dafür sind uns die hügelgräber beredtes zeugnis. Wol waren römische
münzen und einzelne römische gerate im besitze der Germanen; wol benutzten diese
während der mittleren kaiserzeit sogar römische terrasigillatagefässe als graburnen.
Ich habe nicht ein einziges germanisches gefäss aus niederrheinischen hügelgräbern
ausfindig machen können, das auch nur eine spur von römischem einfluss verriete"
(s. <>5). Eben auf grund dei- keraniik führt unser autor die hügelgräber teilweise bis
in die Hallstattzeit zurück: er will bewiesen haben, „daß die träger der hügelgräber-
kultur auch zur- kaiserzeit in der keramik noch auf der stufe der Hallstattkultur
.standen" (s. 45). Solche absonderlichkeiten mutet uns ein autor zu, der sich zu der
lehre bekennt: „der wert der tongefässe beruhe geradezu auf der Zerbrechlichkeit des
materials. Durch eine münze wird uns immer nur der terminus post quem angegeben;
sirherer i.st schon eine fibel. Wo aber wäre der topf oder die schale oder sonst ein
stück des täglichen gebrauchsgesclTirres, das ein Jahrzehnt oder gar zwei Jahrzehnte
überdauert hätte" (s. 36). Auch fügt der verf. ausdrücklich bei, dass wir es zwar
1) „Das zurückgehen der Römer am Niederrhein ist kein vollkommenes ge-
wesen. Dass auch nach Nero keine änderung eingetreten ist, hat jetzt Lebner dar-
getan. Die Römer liaben in der üavischen zeit am Niederrhein auf dem rechten ufer
dos flusses eine grosse militärische centralziegelei besessen. Das setzt voraus, dass
auch in Untergermanien der fluss wenigstens stellenweise überschritten war" Korne-
mann, Klio 7 (1907), 82. Vgl. schon Koenen, Bonn. Jahrb. 85, 150: „Die Römer
müssen in näherer beziehung zu der rechtsrheinischen bevölkcrung gestanden haben."
2) Koenen dachte deshalb wol an die aus dem inneren zugewanderten Tenc-
terer und üsipier (Bonn, jahrb. 85, 150).
458 K.VUI'FMAN.N
iu den gräbeni mit gefässen zu tun haben, die dem täglichen gebrauch entzogen
worden sind, die sich jedoch „sicher" recht wenig von den täglichen gebrauchsgefassen
unterschieden haben.
Als seine aufgäbe betrachtete es K., material für die schon von Drageudorf
gestellte frage zu sammeln, von wann an man etwa bei den freien Germanen am
untern Rhein, die der römischen grenze so nahe wohnten, römischen einüuss im ein-
heimischen handwerk nachweisen könne (s. 4). Den römischen einfluss bezieht der
autor nicht auf den Import römischer waren, sondern auf den Umschwung der hei-
mischen technik (s. 7 fg.); er will ausmachen, seit wann z. b. die altgermanische keramik
römischen mustern gefolgt ist — wie das beiwort „römisch" gemeint sei, wird von
ihm s. 6fgg., 19 fg. erläutert — er unterscheidet eine frühe kaiserzeit (13 v. Chr. bis
70 n.Chr.) von einer mittleren (83 — 200 n. Chr.) und späten kaiserzeit (250 — 400
u. Chr.) und ist zu dem längst feststehenden negativen ergebnis gelangt, dass in den
ersten beiden Jahrhunderten der römischen kaiserzeit das heimische handwerk und
die heimische lebensart noch nicht von den römischen uachbarn determiniert worden
ist. Wie sich der römische handel erst seit dem ende des 2. jh. im deutschen binnenland
ausdehnt (s. 9fgg.), so lässt sich auch erst in der spätem kaiserzeit die einwirkuug
römischer arbeit auf germanische technik mit sichei'heit beobachten. Eine klare Vor-
stellung vom Verhältnis beider kulturen zueinander ermöglichen uns nur' die archäo-
logischen funde (bei den lateinischen lehnwörtern mahnt K. zur vorsieht, s. llfgg.)
und sie ergeben für die beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderte, dass provincial-
römische kultur am Rhein „eigentlich einheimische La Tene-kultur ist, umgestaltet
und beeinflusst durch italisch -römische zufuhr" (s. 19 fg.). Nicht anders präsentiert
sich uns zu jener zeit das archäologische feld der Germanen. „Sonderbar ist nun
aber, dass wir fast in ganz Deutschland La Tene-kultur finden, aber nicht da, wo
wir zuallererst La Tene-kultur erwarten müssten — am Niederrhein" (s. 28). K. löst
dies rätsei folgendermassen auf: „die bewohuer des Niederrheins (zunächst ganz gleich-
gültig, ob Germanen oder nicht) blieben vielleicht von dem einfluss der benachbarten
La Tene-kultur völlig unberührt. Sie entwickelten ihre seit der Hallstattzeit her über-
kommenen typen langsam weiter, waren aber im ganzen auf dem stände der alten
technik stehen geblieben bis hinein in die römische kaiserzeit" (s. 30). Noch einmal
widerholt der verf. die bemerkung, dass die hügelgräber des Niederrheins von diesen
einflüssen „fast völlig" unberührt geblieben seien (s. 46), dann wendet er sich zu dem
nachweis, dass trotzdem auch am Niederrhein beziehungen zur La Töne -kultur be-
stehen und fährt wörtlich fort: „unzweifelhaft sichere zeugen der La Tene-zeit sind
auch die hohen, eiförmigen, cj^lindrischen topfe" (s. 47). Ein gedankengang, der sich
von dem satz: „die hügelgräber blieben von der La Tene-kultur völlig unberührt"
zu der einschränkung „fast völlig" und schliesslich zu dem satz bewegt, die La Tene-
zeit sei in den hügelgräbern durch unzweifelhaft sichere zeugen vertreten!
So ungefähr nehmen sich die prämissen aus, mit deren hilfe K. schliesst, dass
die Germanen schon im 8. jh. v. Chr. die rechte uferstrecke des Niederrheins erreicht
haben (s. 5.5fgg.). Es wäre wol die möglichkeit vorhanden, dass Kelten während der
jüngeren Hallstattzeit am Niederrhein gesessen hätten (s. 57), aber weil sich aus der
betrachtung der funde des Trevererlands wie auch anderer nachbargebiete ergibt —
was der verf. in einer nachfolgenden arbeit beweisen will — dass sich die nieder-
rheinische bevölkerung der jüngeren Hallstattzeit von den Kelten jener gegendea
wesentlich unterscheidet, haben die Germanen seit dem 8. vorchristlichen Jahrhundert
bereits am Niederrhein gesessen (s. 58). Dass nun speciell die begräbnisse, deren
ÜBER GÖTZE. GOTISCHE SCHNALLEN 459
reste in den niederrheinischen hügelgräbern bewahrt sind, germanischer herkunft sind,
wird folgendermassen aus den angaben des Tacitiis im 27. capitel der Germania „be-
wiesen": funcnmi mala ambitio — schlichter und einfacher konnte die bestattung
in der tat kaum ausgeführt werden; id soluni observatur, ui co7-pora clarorum virorutu
ccrtis lignis crementur — in den bügeln sind eiche, buche, kiefer und wachholder
bezeugt; striiem rogi nee vestihus nee odoribiis ciivmlant — ganz fehlen die bei-
gaben auch hier nicht; sua cuhßie arma, quorundcnn icjni et eqims adicitur — „es
ist dies die einzige bemerkung, die mit deu fundumständen in Widerspruch steht";
sepulcrum cespes erigit — zur Römerzeit legten die Germanen in allen gegenden
Deutschlands flachgräber an, nur nicht am Niederrhein „und gerade das ist mir ein
sicherer beweis dafür, dass Tacitus bei seiner Schilderung nur die niederrheinischen
hügelgräber im sinne gehabt haben kann" (s. 63). Dabei hat K. nicht einmal sich um
die frage bemüht, wie weit wir es am Niederrhein mit natürlichen sandhügeln, in
denen die verbrannten gebeine beigesetzt wurden, zu tun haben (vgl. Bonn. Jahrb. 52, 182).
In einem anhang: „Die absolute Chronologie der augenfibel" (s. 68fgg.) nimmt
K. bezug auf funde von Neuss, llofheim, Haltern, Urmitz, Anderaach u. a. „Da es
uns gelingt, den hauptentwicklungsstufen ihren platz in den einzelnen Jahrzehnten
(des 1. nachchristl. jahrh.) anzuweisen, so sollen uns die zwischenformen wenig stören"
(s. 73), „auf jeden fall ist uns diu'ch eine augenfibel ein sicherer terminus post <|uem
gegeben" (s. 75). „Die nur in der südlichsten reihe des Darzauer friedhofs auftreten-
den augenfibeln gehören den beiden ersten nachchristlichen Jahrzehnten an. So dürfen
wir feststellen, dass auf dem Darzauer begräbnisplatze etwa vom beginn unserer Zeit-
rechnung an bis etwa 200 n. Chr. begraben worden ist . . . Der friedhof gehörte einer
gemeinschaft, die der bevölkerungsstärko eines heutigen stattlichen dprfes von min-
destens 800 seelon entspricht" (s. 79fg.).
KIEL. FKIEDRICH KAUFFMANN.
Götze, A., Germanische funde aus der völkerwanderungszeit: Gotische schnallen.
Berlin, E. Wasmuth s. a. 35 s., 15 tafeln. 4".
Der um die deutsche altertumsforschung, namentlich um die prähistorie Mittel-
Niitschlands eifrig und erfolgreich sich bemühende Verfasser greift mit seiner neuesten
( iblikation in ein gebiet, dass dem forscher die lockendsten probleme stellt. Der
märchenhafte reichtum, der unsere ,, Völkerwanderung", die deutsche heldenzeit könig-
lich schmückt, liegt als ein ruhender schätz in deu altertumsmuseen und in der fach-
litteratur begraben. Es ist höchste zeit, dass er als werbendes kapital unter uns in
Umlauf gesetzt werde und unser geschichtliches denken belebe und befruchte. Ver-
fasser und Verleger gebührt darum dank dafür, dass sie eine serie bemerkenswerter
erzeugnisse des altgermanischen kunstgewerbes in ansprechender form weiteren kreisen
zugänglich gemacht haben.
Es gibt kein altgermanisches wort für die gürtelschnalle. Der bemerkens-
werteste sprachliche ausdruck ist mhd. nhd. rinicc, denn er kann nach seinem alter
genau bestimmt werden, geht er doch auf eine y-ableitung von ring zurück und hat
durch die westgermanische consonantendehnung seine heutige lautgestalt enii)fangeD
(Paul, Beitr. 7, 138). Das Schmuckstück ist also nicht gemeingermanisch, sondern ei"st
westgermanisch. Seine sprachliche bezeichnung verrät uns, dass es als neuerung zu den-
"VS'estgermanen gelangte und unter ihnen als aus dem „ ring " differenziert aufgefasst
wurde. Damit stehen die altertumsfunde im schönsten einklang; die älteste schnallen-
460 KAUiTMANN
form, die wir auf dem archäologischen feld der Germanen finden, ist nichts weiter als
ein ring, an dem ein beweglicher kurzer dorn sitzt; diese ringspange (vgl. auch
Salin, Tierornamentik s. 330) ist als gallischer Import mit den sog. Spät-La Tene-
sachen zu uns gelangt. Sehr schnell hat die Gürtelschnalle (oder der gürtelring)
in der römischen periode altgermanischen lebens den älteren gürtel haken verdrängt.
Seit der römischen zeit gehört die schnalle zu den unentbehrlichen Schmucksachen
der bewohner Deutschlands und tritt massenhaft auf den urnenfeldern zutage. In der
römischen zeit verschwand aber auch, die ringform und unser heutiger schnallen -
typus bürgerte sich ein. Beachtung verdient namentlich, dass jetzt an die schnalle
eine gürtclplatte angegliedert wurde. Fortan ist die schnalle zweiteilig, be-
steht aus dem schnallenbügel mit dorn und der schnallenplatte. Man übersieht die
tj'pologische entwicklung sehr anschaulich bei Salin, Tierornamentik s. 111 fgg. Die
schnallenplatte ist es nun hauptsächlich, die unser interesse beschäftigt, denn ihre
Zierformen sind so mannigfach und so leicht dem Wechsel der mode unterworfen,
dass mau von ihr allein schon das alter der Schmuckstücke ablesen kann. Anfänglich
ist die schnallenplatte rundlich -oval mit einem durchmesser nicht grösser als der
ovale oder eckige schnallenbügel. Eine neue reihe wird durch viereckige schnalleu-
platten gebildet. Sie zeigen die tendenz einer unverhältnismässigen vergrösserung des
plattenrechtecks. Von zwischenformen sehen wir in diesem Zusammenhang ab, weil
Götze sich nur mit schnallen beschäftigt, die dem zuletzt von uns erwähnten ent-
wicklungsstadium angehören. „Die schnallen mit viereckigem beschläg trifft man auf
dem ganzen gebiet während der ganzen dauer der völkerwanderuugszeit " (Salin a. a. o.
s. 113). Um sie zeitlich zu ordnen, empfiehlt sich die analytische betrachtung der
ornamentalen decoration, die sich auf der platte entfaltet. Geometrische muster sind
in kerbschnittmanier auf das metall übertragen worden (vgl. die provinzialrömische
schnalle bei Salin s. 167 fig. 398); in einem späteren Stadium schafit sich hier unsere
charakteristische tierornamentik räum.
Die von Götze behandelten schnallen gehören der periode des geometrischen
Ornaments au. Auf ihnen meldet sich die tierornamentik zum teil an der vom bügel
abgekehrten Schmalseite der schnallenplatte, allgemein jedoch auf dem am bügel
sitzenden schnallendorn, dessen köpf als tierkopf modelliert worden ist. Götze hat
dieses als stilmerkmal vorzüglich geeignete detail nach gebühr hervorgehoben, aber
mich nicht davon überzeugt, dass die augenbrauenwülste am schnallendoru als ein
speziell gotisches element anzusehen seien. Immerhin erkennen wir am tierornament,
dass das von Götze ausgebreitete material in der tat eine geschlossene, stilgeschicht-
lich bedingte gruppe bildet. Ihrer zeitstellung nach gehört sie also in die frühperiode
der altgermanischen tieroi'namentik oder anders ausgedrückt in die ersten Jahrhunderte
der sog. Völkerwanderungsperiode.
Das absehen Götzes ist nun aber vornehmlich darauf gerichtet, die kleinen
kunstwerke, die er in wolgelungenen abbildungen vorführt, nicht bloss zu datieren,
sondern auch zu lokalisieren. Er sagt s. 35: „Man hat sich bisher im allgemeinen
mit wenigen ausnahmen gescheut, der frage des Zusammenhanges zwischen den funden
der Völkerwanderungszeit und den deutschen stammen näher zu treten. In der tat
liegen auf diesem gebiete nicht geringe Schwierigkeiten vor, die durch die besonderen
Verhältnisse dieser epoche mit ihrem hin und her und durcheinander verursacht sind
und derartige erörterungen werden meist nur zu einem geringeren oder grösseren grade
der Wahrscheinlichkeit führen. Ich hoffe aber gezeigt zu haben, dass man imstande
ist, bei beschränkung auf geeignete fundgruppen gewisse resultate zu erzielen."
ÜKKR GÖTZE, GOTISCHE SCHNALLEN 4G1
Diesen schwerwiegenden satz werden wir sorgsam nachzuprüfen haben und
wenn ich das resultat meiner nachprüfung vorweg nehmen soll, muss ich gestehen,
dass es meines erachtens dem Verfasser nicht gelungen ist, die von ihm gesammelten
schnallen insgesamt als gotische gegen wolbegründeto zweifei sicher zu stellen.
Dass Götze eine „geeignete fundgruppe" gewählt hat, soll nicht geleugnet
werden. Hat es sich doch gezeigt, dass die gürtelschnalle, ein bevorzugtes stück der
altgermanischen Volkstracht, bei den Burgundern zu einem Stammesmerkmal ge-
worden war. Bei Salin (Tieroruamentik s. 113, vgl. fig. G64 s. 308) ist als fig. 301
eine schnalle abgebildet, die in Balme (Dep. Haute Savoie) gefunden, auf der un-
gefüg(Mi sehnallenplatte Daniel in der löwengrube darstellt und das bild mit einer
deutenden lateinischen legende versehen hat. Lindenschmit hat in den Altertümern
unserer heidnischen vorzeit solche schnallen aus dem burgundischen friedhof von
Severy ("Waadt), aus den burgundischen gräbern bei Echadans (Waadt) und aus den
burgundischen gräbern bei Aruex (Waadtj veröffentlicht (bd. III heft 3, taf. 6, 1. 2. 3).
Neuerdings ist in der Revue archoologiquo 40 (1902) s. 350fgg. ein aufsatz erschienen
(Etudes sur les agrafes de ceinturon bourgondes ä inscriptions) , in dem nach den
fundorten dargetan wurde, dass jenes recht häufig widerkehrende motiv bei der be-
völkerung des alten Burgund bevorzugt worden ist und ausserdem nur noch zu den
Westgoten gelangt zu sein scheint. Will man das siedelungsgebiet der nach der
Sapaudia verpflanzten burgundischen volksteile umgrenzen, so gibt es wol kaum ein
zuverlässigeres fundstück; denn diese eigentümlichen — auch als amulette dienenden
— gürtelschnallen kommen zutage, sagt der Verfasser, u peu pres aux pays, oü les
Boui-gondes furent etablis par concession imperial de Valentinien III avec Geneve
comme centre et d'oii ils rayonnurent peu ä peu au sud et au nord.
Nach diesem vorzüglichen beispiel der burgundischen gürtelschnallen, die Götze
zu erwähnen keine Ursache hatte, darf man es wagen, unseren grossen Vorrat au
gürtelschnallen der völkerwanderungszeit auf die altgermanischen volksstämme zu
verteilen und dadurch einzelheiten ihrer Volkstracht zur anschauung zu bringen. Dank
der bedeutenden nekropolen, die in Italien aufgedeckt worden sind, wollen wir mit Götze
jetzt auch von langobardischen schnallen reden; ihren typus bildet er auf s. 29 ab.
Als fränkisch (oder vielmehr merowingisch) wird man die von Götzes. 21 — 26 (vgl.
s. 23 anm.2) behandelten cloisonnierten^ schnallen und sodann auch die grossen eisen-
schnallen mit silbei-tauschierung bezeichnen dürfen, die massenhaft vorkommen (vgl.
z. b. Salin, Tierornamentik s. 116). Dass die von Götze herausgegriffenen schnallen-
typen den Goten eigentümlich gewesen seien, wird also zweifelhaft. Götze will an
wenigen belegstücken sogar Ostgoten und Westgoten unterscheiden können. Die von
ihm als typus B, Ba und Bb bezeichneten italienischen muster beansprucht er für
die ostgotische Volkstracht (s. 30) und lässt sie auf italienischem boden um 520 ent-
stehen (s. 33). Es handelt sich um italienische fundorte. Sie haben eine klasse von
schnallen geliefert mit viereckiger platte, die aus zwei teilen zusammengesetzt einen
kräftig gegossenen rahmen aufweist und in diesem rahmen ein untergelegtes dünnes
blech, das den hintergrund der rahmenöffnung darstellt und in den ecken und der
mitte auf fünf zellen mit .stein oder glas in freier fassung besetzt ist (Götze s. 5);
vgl. die abbildungen taf. III, 1. 2. IV, 2. 4; dazu taf. VIII, 1. XII. Halten wir uns
an die fundberichte, so ergibt sich, dass dieser schnallentypus quellenkritisch nicht
1 ) Denn sie sind keineswegs bloss auf westgotischem siedelungsgebiet gefunden
und auf den plünderungszug der Merowinger (s. 34fg.) wird man besser verzichten.
462 KADPFMANN
süfoit für die Üstgoten reserviert werden kann. Es gehört dazu die von Götze s. 8
fig. 7 abgebildete sclinalle aixs Belluno (Oberitalieu); mit ihr zusammen soll ein gold-
kreuz gol'undeu worden sein; dieser umstand würde allein schon genügen, um die
schnalle den Ostgoten streitig zu machen und den fand als langobardisch zu definieren.
Götze meint zwar, jene fundnotiz berechtige - zu zweifeln; möge es sich damit ver-
halten wie es wolle, jedenfalls ist durch diese bemerkung die Unsicherheit bezüglich
jenes bcispiels nicht beseitigt worden. Nun ist aber auch Ascoli-Piceno (Götze s. 5fg.)
ein bekannter langobardischer fundort und es wird schwer sein , dort ostgotisches von
langobardischem auszusondern. Was aber die hauptsacho ist, ich bestreite, dass die
hier in rede stehende schnalleuform geeignet sei als Stammesmerkmal zu dienen, weil
sie in ihren stilistischen grundverhältnissen provinzialrömisch ist (Alt. uns. heidn.
vorz. IV, 57, 2) und als import bis nach Schleswig gelangte (Nydam vgl. Engelhardt
taf. 5, 26). Mich dünkt, Götze hätte gut daran getan, wenn er sein material auf die
gürtelschnallen mit entwickelter ,, tierornamentik '' reduciert hätte. Von „ provinzial-
romischer" technik sind die auf taf. I und II abgebildeten stücke so stark beeinflusst,
dass sie für deutsche Volksgruppen nicht viel besagen können. Eine stilistische son-
derart macht sich erst auf taf. V — XI bemerkbar und sie allein verspricht ein einiger-
massen gesichertes ergebnis. Das problem knüpft sich hier an gürtelschnallen, die
mit vogelköpfeu versehen sind und sicher zu dem völkischen besitz der Germanen
gehören, auch wenn sie dieses modell nicht geschaffen, sondern ein fremdes modell
nationalisiert und in ihr vermögen aufgenommen haben sollten. Es müssen dabei
zwei gruppen unterschieden werden. Die eine ist i^präsentiert bei Götze auf taf. VIII
bis XI und durch fig. 14. 15 (s. 16): in dieser gruppe besitzt die schnalle eine recht-
eckige platte mit jenen erwähnten „provinzialrömischeu " Ornamenten \ am bügel macht
sich ein tierornament bemerkbar — worauf ich aber hier kein gewicht lege — , das
neue ist, dass an der hinteren Schmalseite der platte, mit dieser in ein stück ge-
gossen, ein grosser adlerkopf aufsitzt mit breitem trapezförmigem oder rechteckigem
(kragenartigem) hals, vgl. Götze s. 14fgg : „ein teil dieser schnallen ist bis in die
details einander so gleich, dass man in Versuchung kommt, ihre herstellung in einer
und derselben werkstätte anzunehmen." Salin hat diese schnallenserie auch schon
berücksichtigt (Tierornamentik s. 197); sie empfahl sich ihm durch den stilisierten
„vogelkopf von runder form mit geschlossenem Schnabel und äuge mitten im köpf".
Er ist mit verschwindender ausnähme nach Salin nur auf dem südgermanischen gebiet
belegbar und beispielshalber von Salin an einer aus der Krim stammenden gürtel-
schnalle aufgezeigt worden. Sie kehrt bei Götze auf s. 16 unter nr. 29 wider; dazu
stellt er vier im Museum für Völkerkunde zu Berlin aufbewahrte schnallen [die eine
(taf. VIII, 2) und die andere (taf. IX) aus Kertsch, zwei gleiche südrussische exem-
plare aus Gursuff* (taf. X)], derselben gruppe gehört eine ebenfalls aus der Krim
stammende, in der collection John Evans befindliche schnalle an (fig. 15 bei Götze
s. 16) und ein weiteres stück, das am ufer des Dnjepr in der nähe des Schwarzen
meeres gefunden wurde. Pompös wirkt das leise modificierte exemplar von Nikopol
(taf. XI), das sich jetzt in Deutschland in Privatbesitz befindet, schliesslich hat das
südrussische gräberfeld von Suuk-Su- vier belege geliefert (vgl. den eingehenden
boricht bei Götze s. ISfgg.). Diese zwölf schnallen haben ein streng abgeschlossenes
Verbreitungsgebiet und können nicht anders denn als krimgotisch ausgegeben werden.
„Gotisch" schlechtweg dürfen sie nicht genannt werden, weil sie datiert sind, und
1) „Ornamente, die von der antiken kunst übernommen sind" sagt Götze s. 31.
2) Unweit Yalta in der Krim.
ÜBKR GÜTZK. GOTISnHF, SCHNAU-KN 463
zwar auf grund der sie begleitenden münzen ins 6. bis 7. jh. gehören. Leider ist
nun Götze der sonstigen Verbreitung dieses sehuallontypus niclit nacligegangen. Dass
seine verwandten nicht auf Südrussland beschränkt sind, sagt uns Salin, der (a.a.O.
s. 197 flg. 47S) aus dem Turiner nuiseuni eine kleine schnalle publiciert, bei der unser
vogelkopf durch ein eharnier unmittelbar an den schnalionbügcl angesetzt erscheint.
Dieses beispiel scheint zu verraten , dass die schnallen der Krimgoten eine complicierte
Sonderbildung darstellen, die aus primitiven vogelschnallen hervorgegangen ist. Viel-
leicht ist die Vermutung zulässig, dass diese vogelkopfschnalle anrdnglich irgendwo
— nicht in der Krim, denn dort fehlen die unentwickelteren gebilde — aus einer com-
binatiou mit der vogelfibel entstand, dass man, um ihre entstehungsgeschichte zu
verfolgen, von dem selbständigen, als provinzialrömische scheibenfibel dienenden vogel
ausgehen muss (vgl. z. b. Alt. uns. heidn. vorz. I, 8,8. 12, 7; II, 7,4).
Um nun zur zweiten gruppe der von Götze erörterten schnallen mit mehreren
vogelköpfen zu gelangen, erinnern wir uns widerum der fibeln, und zwar der-
jenigen, die auf ihrer kopfplatte vogelköpfe mit ausgeprägten schnäbeln (statt der
traditionellen runden knöpfe) sitzen haben. Diese fibeln sind von Salin (Tiorornamentik
s. 28) belegt worden aus Südrussland (Kertsch), aus Ungarn, aus Süddeutschland und
aus der Schweiz (vgl. fig. 60, 61 s. 29; fig. 81, 82 s. 36; fig. 120 s. 55; fig. 468 s. 194;
ein degeneriertes exemplar aus Ostpreussen gibt er als fig. 123 s. 56). Hildobrand
(Spännets Historia s. 224 fg.) dachte an Burgund oder die Normandie als Ursprungsland;
es ist aber wahrscheinlicher, dass sich diese übel von Südrussland her über den ganzen
südgermanischen kulturkreis verbreitet hat. An einem eigentümlichen und ein-
facheren südrussischen schnallentypus, den Götze s. 32fg. behandelt, erscheinen
diese vogelköpfe; drei bronzene exemplare aus Kertsch und Gursuff hat Götze als
üg. 29 — 31 nach den originalen des Berliner museums publiciert. Wie verhalten sich
nun dazu die gürtelscbnallen, bei denen diese von fibeln her wolbekannten vogelköpfe
auf der Schmalseite der schnallenplatte angebracht wurden? Vergleicht man bei
Götze taf. V. VI, 1.2.4 und VII (degeneiiert), so wird man von vornherein sich überzeugen,
dass eine so geringe an zahl von belegen nicht ausreicht, um auf die Volkstracht irgend
eines germanischen Stammes Schlüsse zu ziehen. Götze fasst die genannten gürtel-
scbnallen als italienischen typus Bb zusammen; die fundorte der einzelnen exemplare
sind, so weit bekannt, Norcia und Spoleto; ausserhalb Italiens ist nichts entsprechendes
gefunden worden. Leider ist nicht bekannt, mit was für gegenständen zusammen
diese interessanten trachtstücke auftauchten; darum ist es uns auch nicht verwehrt,
bei ihnen auf ostgotische oder langobardische herkunft zu raten. "Wenn aber Götze
gerade ostgotische herkunft dadurch einleuchtender machen wollte, dass er diese
italienischen vogelkopfschnalleu, die in Südrussland bislang nicht gefunden worden
sind, mit dem südrussischen typus in geschichtlichen Zusammenhang bringt, so habe
ich schon angedeutet, dass dieses verfahren dadurch beeinträchtigt wird, dass die
italienischen exemplare nicht sowol auf die südrussischen schnallen, als auch auf die
ihnen im stil weit näher stehenden vogolkopff ibeln bezogen werden können. Den
stilunterschied zwischen seinen „ostgotischen " und südrussischen schnallen hat Götze
natürlic-fa selbst nach gebühr betont (s. 32): „während es in Russland ein einziger
grosser köpf ist, der auf unnatürlich breitem halse sitzt, ragen bei den italienischen
zwei oder drei köpfe auf langen hülsen hervor." Dazu kommt eine clironologische
Schwierigkeit. Mindestens ein teil der russi.schen schnallen mit gro.ssem „adlerkopf
ist jünger als die italienischen typen (s. 33). Ich glaube danim, dass man günstigsten
falls mit dem beschränkten material zu dem immer noch anfochtbaren satz gelangen
40)4 KAUFFMANN
kaun, den Götze (a. a. o.) ausspricht: „Dass bei den italienischen schnallen kein
import aus Russland vorliegen kann, wurde dargelegt; es sind eben erzeugnisse ita-
lienischen bodens, aber von unverkennbarere?'.-') Verwandtschaft mit den ostgotischen (?)
schnallen Russlands."
Fasse ich das gesamtergebnis der Götzesohen publikatiou zusammen, so bleibt
bestehen, dass eine reihe südrussischer gürtelschnallen künftig als „krimgotisch'' (nicht
als ostgotisch ^) bezeichnet werden darf. Die italienischen und französischen exem-
plare als bestandteile ostgotischer bezw. westgotischer Volkstracht anzusehen, ge-
stattet die geringe zahl der belege und des Verfassers argumentation vorerst noch
nicht. Trotzdem also Götze in der hauptsache sein ziel nicht erreichte, bleibt die
dankbare anerkennung der rein descriptiven teile seines Werkes unvermindert. Möge
er fortfahren und aus den südrussischen neuerwerbungen des Berliner museums oder
aus dessen sonstigen reichen beständen oder gar aus unzugänglichen privatsammlungen
das uns philologen unentbehrliche und für die völkerwanderungszeit besonders will-
kommene anschauungsmaterial binnen kürzester frist vermehren. Die leiter unserer
museen haben nicht bloss die püicht, die ihnen unterstellten Sammlungen zu ver-
grössern, sondern auch das einlaufende fundmaterial schleunigst zu publicieren.
1) „Bei den südrussischen funden östlich vom Dnjestr kann man sichei- sein,
die hinterlasseuschaft von Ostgoten vor sich zu haben" (Götze s. 30 fg.) — im 6. jh.
sollte man aber in diesen landen nicht mehr von Ostgoten reden, sondern den sprach-
charakter des krimgotischen und die zeitlich vorhergehenden grossen Völkerverschie-
bungen berücksichtigen.
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANN.
Henning, Rudolf, Der heim von Baldenheim und die verwandten helme
des frühen mittelalters. Mit 10 tafeln und 36 abbildungen im text. Strass-
burg, K. J. Trübner 1907. 91 s.
Bei dem elsässischen dorfe Baldenheim (etwa 8 km östlich von Schlettstadt)
wurde im winter 1900/01 ein alemannisches reihengräberfeld des 6. — 8. jh. angeschnitten
und bei dieser gelegenheit im Februar 1902 ein heim herausgebracht. Im winter
1902/03 wurden die grabungen fortgesetzt. Eine Übersicht über die fundumstände
und fundergebnisse gibt Henning s. 2fgg. Das am reichsten ausgestattete grab wird
durch seine beigaben auf taf. 5 veranschaulicht. Über das helmgrab sind leider keine
genauen fundangaben vorhanden; es scheint einen ringpanzer (oder eine halsberge?)
geliefert zu haben und vielleicht dürfen auch die auf taf. 7 abgebildeten , von Henning
erst im Februar 1903 herausgeholten gegenstände derselben bestattung zugewiesen
werden. Wir sehen ein typisehes reihengrab vor uns, das mit einiger Wahrschein-
lichkeit als reitergrab bezeichnet werden darf. Ungewöhnlich bei der grabausstattung
ist nur der reiterhelm. ' Er wird von Henning eingehend beschrieben und auf
taf. 1 — 3 abgebildet; ich füge hinzu, dass der heim auch in den Altertümern unserer
heidnischen vorzeit, bd. .5, 191 fgg., taf. 35 veröffentlicht und besprochen ist, sowie
daß er in Strassburg in der Sammlung des Vereines zur erhaltung geschichtlicber
denkmäler im Elsass aufbewahrt wird. Die helmkappc ist ziemlich gut erhalten, die
wangenlappen sind erst nachträglich mit leder an dem heim befestigt worden. Un-
beschädigt muss er sich mit seiner reichen silber- und goldverzierung ganz prächtig
ausgenommen haben. Seine technische analyse ergab, dass er aus nicht weniger als
1) Über den römischen reiterhelm vgl. Alt. uns. heidn. vorz. 5, 121 fg.
ÜBKR HF.NNING, DER IIEI.M VON HAI.DKN'irKIM 465
20 einzelteilen zusammengenietet, die tonstniktiun also ziemlich kompliziert ist. Es
ist ein spangenhelm. Das gerüst bildet ein Hpangoiigefüge. Zwischen den 6 Spangen
sitzen ovale platten, die am untern rand ein stirnreif einfasst, in den die Verzierungen
eingepresst sind (vgl. Alt. uns. heidn. vorz. 5, 192); ziemlich gut sind die wangen-
klappeu erhalten, die möglicherweise einst in Scharnieren (? Henning s. 79) hingen;
randlöcher dienten anscheinend zur befestigung eines ringartigen panzerzeugs, einer
halsberge (Henning s. 76 fg.). Innen war der heim mit leder gefüttert. Auf dem
Scheitel ist eine Vorrichtung angebracht, um einen helmbusch aufzustecken. "Wollen
wir das ganze kunstwerk wissenschaftlich l)curteilen, so ist von dem Ornament auf
dem stirnreif auszugehen ; Henning hat es (s. 20fgg.)in seine hauptsächlichen bestand-
teile aufgelöst. Es wechseln runde medaillons mit schräg gestellten Vierecken. In
dem einen medaillon ist eine lebhaft nach rechts ausschreitende geflügelte figur von
zwei vierfüsslern begleitet, zu erkennen: eine A'^ictoria oder ein Amor mit dem hasen
und dem jagenden hund ' ; im übriiien ist eine löwenjagdszene nachgewiesen (Henning'
s. 29fgg. ); vorherrschend ist ein antikes, abei' niciit mehr klassisches pUanzenornament,
durch stilisierte palmen und ranken eingegeben. Um die herkunft des heims zu be-
stimmen, sind durch diese orientalischen oder „byzantinischen" Stilmerkmale wich-
tige fingerzeige gewonnen (Henning s. 51 fg.), näheres muss auf vergleichendem wege
festgestellt werden. Zu dem zweck verzeichnet Henning, was ihm von helmen der
Völkerwanderungszeit bekannt geworden ist. Eine überraschende ähnliclikeit zeigt ein
aus sechs spangen gebildeter heim von Vid (St. Veit) in Dalmatien (Henning s. 86).
L. Lindenschmit äusserte die Vermutung, solche spangenhelme seien aus einer und
derselben kleinasiatischen waffenfabrik hervorgegangen. Henning denkt gleichfalls an
orientalisch -byzantinischen ursprungsort (s. öS), meint aber vom norden des Schwarzen
meors her hätten die den Persern nahe verwandten Skythen die vermittler abgegeben
(s. '){)); die Alemannen Süddeutschlands hätten den spangenhelm von den orientali-
schen kriegern übernommen, die mit diesem heim geschirmt bis nach Westeuropa
auf ihren flinken rossen gestreift sind. Er erinnert im Schlusswort an das Schicksal
der im europäischen Westen endenden Alanen, von denen er nicht bezweifelt, dass sie
mannigfache orientalische einflüsse vermittelt haben und schliesst unter berufung auf
den von Salin behandelten südrussischen Import (s. 88) mit dem satz, bei dem wir
vorerst stehen zu bleiben haben: „die grosse und eigentlich populäre Verbreitung der
orientalischen motive hat sich während der völkerwanderungszeit allem anschein nach
in zahllosen ädern in direkter richtung vollzogen" (s. 91). Über den Zusammen-
hang der kunstgewerblichen erzeugnisse unserer sog. völkerwanderungszeit mit den
küsteuläudern des Schwarzen meers besteht in der tat heute keine meiiuiiigsverschie-
deuheit inehr^ Ich begrüsse es mit genugtuung, dass Henning die meist unter ge-
bühr geringgeschätzten Alanen und lazygen als die gesuchten und geschätzten ver-
bündeten der Germanen höher go wertet hat (s. 5()fg.). Die mitarbeit dieser eranischen
Skythenvölker darf bei den heldentaten der Germanen in keinem abschnitt jener grossen
geschichtlichen periode übersehen werden; als unmittelbare nachbarn unserer nation
im Südosten haben sie gewiss die deutsche Vorgeschichte nicht unwesentlich gefördert,
1) Der gleiche Stempel kehrt auf dem raiidstück der hintern rechten helni-
seito wider. Ausserdem glaubt Henning eine rciterligur und in den zwickein zwei
stilisierte tierfiguren zu erkennen; doch sind .seine ausführungou auf s. 29 fg. zu berück-
sichtigen.
2) Kenntnisreich streift Henning auch das schwierige problem des sog. byzan-
tinischen Stils (vgl. s. 56).
ZKITSCHRIFT F. DRÜTSCHE PHILOLOOIK. BD. XL. 30
400 KAUFFMANN' ÜBER HRNNING , DER HELM VON BALDENHKIM
da die beziehungen der Germanen zw ihren orientalischen nachbarn sieh immer intimer
gestaltet haben (vgl. Henning s. 86fgg.)
Henning hat sich nun aber diirch die vorliegende piiblikation auch das ver-
dienst erworben, die geschichte des heims und seine Verbreitung unter den Germanen
aufgehellt zu haben. Ausser 1. dem Baldenheimer exemplar sind folgende belege
heranzuziehen:
2. heim aus der Eremitage in St. Petersburg (Alt. uns. heidn. vorz. 3, 10, 5, 1)
dessen fundort leider nicht näher bestimmt werden kann, als daß er aus
Frankreich zu stammen scheint; abbild. bei Henning taf. 10, 5; vgl. dazu s. 89.
3. heim aus der nähe von Vezeronce (Dep. Isere) , abbild. bei Henning taf. 9, 1 .
4. heim von Monte Pagano (östlich von Teramo an der küste des Adriatischen
meeres), vgl. Jahrb. d. kgl. preuss. kunstsammlungen 24 (1903) 208 fgg.;
abbild. bei Henning taf. 9, 2.
5. heim von Gültlingen (0. -a. Nagold, "Württemberg) aus einem alemannischen
reihengräberfeld (vgl. Alt. uns. heidn. vorz. .5, 11. 12); abbild. bei Henning
taf. 10, 7.
6. heim von Gammertingen (bei Sigmaringen, Hohenzollern) aus einem reihen-
gräberfeld: vgl. die wichtige publikatien von Gröbbels, Der reihengräberfund
von Gammertingen (München 1905); abbild. bei Henning taf. 10,6.
7. 8. zwei helme aus Vid (bei Metkovic im südlichen Dalmatien); vgl. Jahrb. d.
k. k. zentral kommission 1 (1903) 251 fgg., abbild. bei Henning taf. 9, 4. 10,9.
9. heim von Chalons s. Saone; abbild. bei Henning taf. 10, 8.
10. helmfragment (wangenklappe) von Szentes bei Hampel, Altertümer des
frühen mittelalters in Ungarn, taf. 453 (fehlt bei Henning).
Zwei in England zutag gekommene helme sind von Henning s. Tlfg. (und Alt.
uns. heidn. vorz. 5, 193) verzeichnet; nicht berücksichtigt hat er den Wormser und
die beiden spätrömischen am Lech in Pfersee (bei Augsburg) gefundenen eisernen mit
silberblech überzogenen helme, die jüngst (Alt. uns. heidn. vorz. 5, 222fgg., taf. 41)
veröffentlicht wurden.^ Sie sind als Übergangsformen zu dem von Henning s. 63 be-
handelten helme von Kertsch" willkommen. Wesentlich verschieden von diesen süd-
germanischen helmen sind die nordgermanischen, wenn wir die berühmte gesichts-
maske von Thorsberg (bei Schleswig) verallgemeinern dürfen (auch bei Henning s. 69
abgebildet; vgl. s. 80, 89- — 90). Aber auch die im vorstehenden aufgezählten helme
verglichen mit den helmen römischer legionäre oder römischer reifer (Alt. uns. heidn.
vorz. 5, 114 fgg.) repräsentieren einen sonst unbekannten helmtypus des völkerwande-
rungsgebiets (Henning s. 13). Charakteristisch ist nicht bloss ihre vorwiegend konische
form, sondern auch die eigenartige combination der ovalen helmblätter mit den sie
umfassenden Spangen (s. 58). Die älteren massiven helme stehen dazu in ausge-
sprochenem gegensatz; vgl. z. b. die in der Nicderlausitz und in Mecklenburg ge-
fundenen exemplare (Alt. uns. heidn. vorz. 1, XI, 1. 2). Ähnlicher sind die auf der
Trajanssäule dargestellten helme römischer auxiliartruppen (Henning s. 58 fgg.), aber
Henning erachtet die unterschiede für so beträchtlich, dass eine direkte Verwandtschaft
anzunehmen ihm nicht statthaft erscheint (s. 72 fg.), während ein assyrischer oder
sassanidischer heim des 5. nachchristlichen jahrh. den deutscheu helmen der völker-
wanderungszeit recht nahe kommt (s. 74fgg.). Hier war aber namentlich das reiter-
1) Vgl. dazu Westdeutsches korrespondenzblatt 1906, 65 fgg.
2) Eine genauere Untersuchung verdienten auch die in Hagenow (Meeklenburg)
gefundenen hclmteilc, die ich im Schweriner museum gesehen habe.
GEFtHARDT ÜBER UrNGRVAKA KD. KAHI.K 467
bild aus dem goldfund von Nagy-Szent-Miklos' anzuziehen. Aus der lokalen mittel-
europäischen tradition sind jene typen keinesfalls erklärbar (s. 80); am ehesten wäre noch
die bekannte nachricht der Vita Severini (c. 8) zu verwerten, aus der wir dem Süd-
osten enstammende metallarbeiter (barbaricarii) in den diensten der Germanen kennen
lernen; so haben barbarensklaven der rugischen königin Giso ihre zierraten angefertigt
(Henning s. 82). Henning zieht es aber, wie erwähnt, vor, an eine entlehnung des
reiterhehns von den orientalischen bundesgenossen der Germanen zu denken (s. 84).
Wenn ich aixch diesen ausweg für problematisch halte, so hindert mich das nicht,
dankbar die musterhafte Untersuchung anzuerkennen . die Henning seinen fundstücken
hat zuteil werden lassen.
1) Vgl. Tlampel, Altt^rtümer des frühen Mittelalters in Ungarn 1,211 fg. taf.
292. 2,405.
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANN.
Altnordische sagabibliothek herausgegeben von Gustav Cedorsehiöld, Hugo
(ierina: und Eugen Mo^k. 11. bd. Kristnisaga fattr t*orvalds ens viSfqrla
Pattr Isleifs biskups Gizurarsonar Huugrvaka herausgegeben von
B. Kahle. Halle a. S., verlag von Max Niemeyor 190.5. XXXV, 144 s. 8". 5 m.
Wir sind gewohnt, den namen Kahle in Verbindung mit der nordischen spräche
und litteratur im dieuste des Christentums zu hören, und so war er denn auch der
berufenste dazu, für die deutschen leser die vorliegenden kurzen sagastücke heraus-
zugeben, die uns von der ersten christlichen mission auf Island, von der 'endlichen
einfühnang des Christentums und von dem leben der ersten bischöfe auf der insel
berichten. Bisher waren wir auf die wenig zugängliche Sammlung Biskupasögur und
auf ein paar einzelausgabeu angewiesen. Im vorliegenden bände sind vereinigt:
1. die Kristnisaga d. h. die historische erzählung von der mission und Christianisie-
rung Islands, 2. der fättr forvalds ens vi5forla d. i. die lebensbeschreibung forvalds
des bereisten, der bei der bekehrung der ersten Isländer eine grosse rolle gespielt
hat, .3. der kurze t'ättr Lsleifs biskups Gizurarsonar, der einzelne begebenheiten dieses
ersten isländischen bischofs berichtet und endlich die Hungrvaka, die in biographi-
schem rahmen die gründung des bistums Skälaholt und die geschiebte seiner ereten
fünf bischöfe (von 10.56 — 1176) behandelt und ihren namen 'Hungerweckerin' dem
wünsche ihres unbekannten Verfassers verdankt, es möchte den lesern die lust nach
mehr erweckt werden.
Die einrichtuug der ausgäbe schliesst sich ganz an die früheren bände der
sagabibliothek an: vorauf geht eine einleitung, in der über Inhalt, stil, mutmasslichen
Verfasser und quellen, Überlieferung und ausgaben der texte berichtet und das Ver-
hältnis der einzelnen hss. untereinander untersucht wird, letzteres bei Hungrvaka ab-
gekürzt unter berufung auf des hrsgbrs. eingehende Untersuchung Afnf. 20, 228 fgg.
Dann folgt der abdruck des textes mit zahlreichen anmerkungen grammatischen,
lexikalischen, geographischen, personal- und kultiirhistorischen Inhalts, und den
schluss bilden register und Zeittafeln.
Einleitung, textabdruck und anmerkungen sind in gleichem masse sorgfältig,
gewissenhaft und gründlich ausgearbeitet, insbesondere wird man allem znstimmen
können, was der herausgeber in der einleitung ausführt, teils im anschhuss an frühere
forschungen, teils im gegensatze zu ihnen, teils völlig selbständig.
30«
4()8 GERHARDT
Natürlich wird mau gelegentlich in kleinigkeiten anderer meinung sein können,
und ebenso selbstverständlich ist es auch, dass einem bei der herausgäbe und er-
klärung von 120 selten text hier oder dort etwas entgehen kann. Es sollen also die
folgenden bemerkungen nicht den Charakter von ausstellungen tragen, sondern von
Zusätzen und änderungsvorschlägen.
Ob Kahles gründe stichhaltig sind, die aufzählung der häuptlinge in Kr. 1,6
als interpoliert anzusehen, die auf Island lebten und herrschten, als die bekehrung
der insel zum Christentum einsetzte, ist mir doch noch zweifelhaft. Freilich ist es
'feststehender sagabrauch, dass nur solche personen eingeführt werden, die später
irgendwie in der erzähluug vorkommen'. Allein hier liegt die sache so, dass wir es
mit einer saga zu tun haben, in der der stoff nach Kahles eigener angäbe streng
chronologisch geordnet ist. Und da kann doch leicht eine ausnähme von jenem
brauche platz greifen, um den lescr gleich von aufang an ins richtige Zeitgefühl zu
versetzen.
Wenn der herausgeber s. VI sagt, in der Kr. kommen alliterationen nur selten
vor, so hat er vollständig recht. Ich möchte aber noch weiter gehen als er und von
den fünfen die er anführt, dreie als für die beurteilung der spräche des Verfassers
belanglos ausscheiden, denn botii ok banni hlijda, Iqnduni eSa laustim auvuvi,
landi ok lausum eyri sind feststehende juristische formein.
Zu den Wendungen, die Kahle s. XVII aufführt als beweis dafür, dass der I'or-
valds J)ättr aus einer lateinischen quelle geflossen ist, kann vielleicht noch hinzu-
gefügt werden: pessi müldagi . . . mun 2)f6fa sannindi (c. 2, 9).
Auch kann ich mich der Vermutung nicht erwehren, dass ebenso Hv. 3,7
friSadi fyrir qndudiim mögiicherv/eise auf eine wenduug wie absoliitionem hnpetravit
pro mortuo einer lateinischen vorläge zurückgehen kann. Nach meinem Sprachgefühl
müsste es sonst heissen fyrir enum qnduiitini oder fyrir konungi qtiduöiim. Auch
kann ich tatsächlich kein beispiel finden, wo bei derartigem gebrauch des part. praet.
nicht ein Substantiv oder pronomen dabei steht, wenn ich auch nicht beweisen kann,
dass es keines gibt.
Von stehen gebliebeneu druckfehlern will ich zweie anführen, den einen weil
er einen eigeunamen betrifft: s. 120 anm. spalte a z. 1 lies Boer statt Ba;r, deu andern
weil er gar zu drollig ist: anm. zu s. 115 z. 4. f): Pdll prestr Sqlvason ör Reyl-jahnlt
war verheiratet mit forbJQrg Bjarnadöttir, deren Schwester Helga den bischof ßrandr
zur frau hatte.
Die anmerkuugeu, die den text begleiten, sind besonders in personalgeschicht-
licher beziehung ganz vorzüglich. Es ist ihnen sehr zugute gekommen, dass der
herausgeber die Sammlungen Geriugs hierzu benutzen konnte, wie er uns s. 37 mit-
teilt. Nicht eine person kommt in den texten vor, zu der nicht in den anmei'kungen
gesagt wäre, ob und wo sie sonst in der sagalitteratur genannt ist, so dass also mit
hilfe des am Schlüsse beigegebenen registers die anmerkungen dieser ausgäbe als
personenregesten auch für die übrige sagalitteratur benutzt werden können, soweit es
sich um personen handelt, die in der bekehrungsgeschichte Islands überhaupt vor-
kommen.
Ebenso reich sind die anmerkungen an willkommenen aufschlüssen über realien,
soweit sich bei der lesung der texte fragen darüber ergeben können. So werden wir
z. b. unterrichtet über den platz der fenster im aisl. bau, über teppiche, über allerlei
aberglauben usw., alles mit hinweis auf die einschlägige litteratur.
ÜBKR HUiNGRVAKA KD. KAIILK 469
Über eine stelle, wo geldverhältnisse in. e. nicht richtig orkliirt sind, vgl.
weiter unten.
Auch die geographischen aumerkungen sind sehr sorgfältig ausgearbeitet. Allein
sie nehmen deswegen auch einen ganz unverhältnismässig breiten räum ein, ganz
abgesehen davon, dass es immer auf einen circulus vitiosus herauskommt, örtlich-
keiteu nur nach ihrer läge zu anderen, gleichfalls wenig bekannten zu bestimmen.
Ich sollte meinen, es wäre einfacher, solchen sagaausgahen wenigstens für den haupt-
schauplatz, Island, eine karte beizugeben, auf der alle in der saga vorkommenden
örtlichkeiteu verzeichnet sind, andere nur insoweit als man ihrer zur allgemeinen
Orientierung bedarf, vielleicht in der weise, dass die namen in zwei verschiedeneu
Schriftgattungen eingetragen wären, je nachdem sie im texte vorkommen oder nicht.
In grammatischer und lexikalischer hinsieht sind die anmerkungen viel knapper,
als wir bisher in der sagabibliothek gewohnt waren, wo allerdings bisweilen des guten
zu viel geschehen war. Aber gerade in diesem bände, der vielleicht mehr als andere
von nichtgermanisten gelesen wird, hätte vielleicht etwas mehr geboten werden dürfen.
So hätte m. e. Kr. kap. 2, 1 mei) ßrettünda mann erklärt werden können, denn er-
fahrungsgemäss schwindet das Verständnis gerade für solche zahlbezeichnungen zu-
sehends, so dass viele m.pr.m. als selbviei'zehut statt selbdreizehiit auffassen.
Da gerade die hier herausgegebenen bekehrungsgeschichten in hervorragendem
masse von der einführung süd- und westeuropäischer kulturbegriffe auf Island handeln,
hätten vielleicht auch dahin gehörige lehnwörter in der anm. zu derjenigen stelle
erklärt werden können an der sie zum ersten mal vorkommen, so Kr. 2,9 primsigna.
Ebenso wäre es vielleicht am platze gewesen zu erklären, was Isl. j). 13, nach-
dem die wähl Isleifs zum bischof erzählt ist, zu verstehen ist unter den werten ok
für bann lifan ok kom /H, nämlich: er reiste zum empfang der weihe nach dem
festland und kam darauf wider zurück, denn dieser gebrauch von ütan und lit ist
nicht so ohne weiteres verständlich, wenn m.an nicht darauf aufmerksam gemacht
wird, dass bei diesem nt und /'dan selbst für den Isländer immer noch Norwegen der
feste punkt ist, von dem aus gerechnet wird.
Doch wird es ja hier auch meist auf rein persönliches empfinden ankommen,
was erklärt werden soll und was nicht.
Die verwickelten familienverhältnisse, die durch Gizurs des weissen drei eben
und durch eine verwandtenehe seines sohnes Ketill entstanden sind — Hv. 2. 3. 4 —
sucht Kahle durch eine anm. klarer zu machen, die aber infolge eines (druck-?) Ver-
sehens die Verwirrung nur noch vermehrt. Wenn die frau des Ketill Gizurarson,
I'orkatla Skaptadottir, die tochter des Skapti I'oroddsson war, also des bruders der
zweiten f'ordis, die Gizurr als dritte frau hatte, so hat also dieser söhn Gizurs von
der ersten I'ordis, seiner zweiten frau, die nichte der dritten frau — nicht der
zweiten — seines vaters geheiratet.
An manchen stellen wird es wol gefühlssache sein, ob man sich für Kahles
erklärung oder für eine andere entscheidet. So z. b. wenn K. zu Hv. 7, 7 c7igi efni
eru d pvi at biöjax, unclan guSs bardaga erklärt ,,es ist unziemlich, sich frei zu
beten von der durch gott auferlegten prüfung-^, wo ich lieber übersetzen möchte „es
ist ja doch nicht möglich sich . . . freizubeten-, oder auch „es hat keinen zweck . . .".
Eine Übersetzung von efni, die sich mit Kahles erklärung deckte, finde ich auch in
keinem Wörterbuch.
Ebenso ist es manchmal auch gefühlssache, für welche von verschiedenen les-
aiten man sich entscheidet, so z. b. ob man Hv. 7,5 sich mit Guölirand Vigfu.sson
470 GEBHARDT
für die lesart von AM. 205 sott elnadi d hendr Gix,uri bisktipi entscheidet , oder mit
Kahle für das anadi der anderen hss. Afnf. 20,235 — 245 erklärt Kahle selbst an
nicht weniger als fünfzehn stellen die lesart von 205 für besser, trotzdem die beiden
anderen alten hss. eine andere unter sich übereinstimmende aufweisen. Und nach
GuSbrand Vigfüssons wb. ist sott elnadi eine besonders gebräuchliche Wortverbindung.
Gelegentlich läuft jedoch auch eine kleine Verwechslung unter, so wenn anm.
zu Kr. Strophe 1 häS mit „hass" statt mit „höhn" erklärt wird.
"Woher die erklämng von mentir s. .35 z. 13 als „geeignet" stammt, weiss ich
nicht und meine, wir können auch hier bei der bisher üblichen „männlich" bleiben.
Nicht recht klar ist mir, warum der herausgeber anm. zu s. 13 z. 8. 9 (Kr. 13,2)
sich so unbestimmt ausdrückt 'KoenugarSr muss im südlichen Russland in der Dnjepr-
gegend gelegen haben', wo doch in dem an anderer stelle von Kahle citierteu büch-
lein von "Wilh. Thomsen, Der Ursprung der Russischen Staates, s. 14 klipp und klar
gesagt ist 'der altnordische name von Kijew war KoenugarSr' und in einer anmerkung
vermutet wird, dieser name sei 'umgeformt nach dem altnordischen kce/na, eine
art boof?'*
Wenn der herausgeber im register aus dieser ortlichkeit einen K(X7iugar()r
enn eystri macht, so ist das ein versehen, denn an der stelle steht ja gar nichts von
enn eystri. Es heisst dort peir föru bddir saman . . . üt i Jörsalahehn ok pu^ati
til Miklagards ok svd til Koinugards et eystra eptir Nepr. Es bedeutet aber et
eystra nichts weiter als auf dem östlichen oder östlicheren wege. Hiermit zu ver-
gleichen wäre z. b. die stelle Kr. 8,6: Pangbrandr for et sydra padan vestr 'Dank-
brand reiste aus den Ostfjorden auf dem südlich(er)en wege nach "Westisland', d. h.
er benutzte nicht den "Vatnajökulsveg (noch den sich später damit vereinigenden
Arnarfellsveg) , sondern er reiste die küste entlang am südfusse des "Vatnajökuls vorbei
(vgl. eine karte von Island). Nun wage ich freilich nicht zu entscheiden, ob Kr. 8, ü
et eystra eptir Nepr zusammengehört in der bedeutung 'auf dem östlichen wege,
nämlich über das Schwarze meer und den Dnjepr hinauf ', also im gegensatze zu einem
anderen, weiter westlich gelegenen weg, auf dem man gleichfalls von Konstautinopel
nach Kijew gelangen konnte, also etwa im gegensatz zum landweg. Oder aber ob
et eystra sich auf den ganzen satzteil von Jorsalakeini — eptir Nepr bezieht. Mau
kannte nämlich verschiedene wege nach Jerusalem , von denen eben der östliche über
Konstautinopel und durch Russland führte, d. h. durch diejenigen länder, die gelegent-
lich unter dem namen Äustrvegr zusammengefasst wurden (vgl. Fritzner s. v.
austrvegry eystri).
AnderS' als Kahle verstehe ich z, b. die hilfsmittel zur Umrechnung der busse
in deutsche werte, die sich flafliSi Mässon von t'orgils Oddoson geben lässt. Kr. 18, 11:
kann (HafliSi) gerdi LX himdrada VI alna aura vqruvirSs fjär, Ivka i gulli eda
brendu silfri eda soemiligum gripuni, was ich so übersetze: er bestimmte sechzig
grosshundert einheiten zu sechs eilen handelsmässigen vadmels, zu entrichten in gold,
gereinigtem silber oder vvertgegenständen. Kahle berechnet nun diese summe unter
berufung auf Einsen, Register zu Gragäs (Skälaholtsb.) s. 711 und V. GuSmumlsson
in Pauls grundriss III-, 473 (und folgende selten, müssen wir zusetzen) auf 32400 m.
Ich komme nach "V". G. — Einsen ist mir nicht zugänglich — auf eine summe die zwar
in anbetracht des damaligen hohen geldwerts auch noch hoch genug ist für eine blosse
Verstümmelung, aber doch viel kleiner als diejenige die Kahle berechnet, nämlich auf
1) Neuerdings ist zu diesem namen zu vergleichen Mikkola. Afnf. 23, 279 fg.
(Correcturnote.)
ÜBER HUNGRVAKA ED. KAHLE 471
4500 m. v.o. sagt s. 47.5 ausdriicklich , einhundert eilen oder eine kuii habe dem
■werte von zehn heutigen dänischen krönen entsprochen. Nun wird aber die summe
festgesetzt 60 x 120 x 6 eilen = 6 x GO grosshundert eilen = 360 hUjildi, also =
3000 krönen = 4050 m , wenn wir den kurs = 8 : 9 annciimen'. "Weiter unten in
•seiner aum. gibt Kahle 11,15 m. als den wert einer kuh an, was wol auf einem etwas
niedrigeren kurs beruht, wenn es nicht ein druckfehler für 11,25 ist. Unter Zugrunde-
legung dieses wertes käme man doch auf 4014 m., aber nicht auf 32400. M. a. w.
Kahle meint, die benenuung aurar gehe auf einheiten in silber, die den achtfachen
wert derer iu vadmel hatten. Aber gerade der zusatz vqruvirds fjür sagt m. e.
deutlich, dass die gewöhnliche rechnuug nach eilen handolsmässigen vadmels gemeint
war, deren ein (gross -)huudert einem Imgüdi gleich kam, und nicht aurar silbers.
Auch Björn Magnussen Olsen, auf den sich Kahle für seine zweifellos richtige Ver-
mutung beruft, dass statt LX wol XL zu lesen ist, denn die Sturlunga gibt an 80
hundert öre von drei eilen, auch Olsen scheint gerechnet zu haben wie ich, wie
mir aus folgendem hei-vorzugehcn scheint. An der citierten stelle Aarboger 1893
s. 272 anm. weist er darauf hin, dass später (Sturl. I c. 32, s. 82) von Sturla tvau
hundrud hundrada verlangt wird unter ausdrücklicher berufung auf das beispiel
Hafli^is, und fährt dann so fort: med ,.tvau hundruS hundraSa-' menes naturligvis
240x120 rt/e«, hvilket er det stamme som LXXX hiindraöa ßriggia ulna aura og
„XL hundraSa d dlna aura" (240x 120=80xr20x3-=40x 120x6).'^
Dass aber an unserer stelle nicht silber -öre, sondern waren -öre gemeint sind,
geht auch hervor aus einer anderen — allerdings von Kalile nicht citierten — stelle
des gleichen forschers, auf dessen arbeit im Grundriss Kahle sich beruft. Yaltyr
GuSmundsson sagt Germ. al>hh. zum 70. geburtstag Konrad von Maurers s. 542 „In
der Sturlungasaga sind geldsummen niemals in .silber angegeben, sondern stets in
Zwanzigern oder hunderten von verdaurar ^ teils ohne weitere erklärung, teils mit der
angäbe „in ören von drei eilen-'. Da nun die Sturlunga mit ihren 80 öre von 3 eilen
das gleiche meint wie Kr. mit ihren 40 (XL zu lesen statt der LX der hs) , so müssen
W'ir die rechnung der Sturlunga naeh verSaurar auch in unserem texte statt Kahles
berechnung nach aurar silfrs annehmen. Und dass der verfieyrir zur sagazeit ==
sechs eilen vadmel war, sagt Y. G. ausser a. a. o. im Grundriss auch Germ,
abhh. s. 538.
Gegenüber der Unsicherheit mit der iu den wbb., auch dem von Fritzner, be-
zeichnungen wie vqruvirdr usw. erklärt sind, dürfte die länge der vorstehenden aus-
einandersetzung dadurch entschuldigt werden, dass wir aus der vergleichung unserer
stelle mit der parallelstelle in Sturl. und unter berücksichtigung des Sprachgebrauchs
1) Diese summe ergibt sich nach dem für die zeit ums jähr 1000 gültigen
Wertverhältnis für silber zu rerfiaurar =1 -.S. Etwas anders wird der wert, wenn
wir das für das strittige jähr 112,0 anzusetzende Verhältnis von l:?*/-.. annehmen,
nämlich ' ,5 mehr, also 3840 krönen =^ 4320 m. Bei der knappheit und unzugänglich-
keit der einschlägigen litteratur war auch der referent lange unsicher in seinen an-
sichten, hat dann mit dem verf. und mit Valtyr GuSmundsson darüber verschiedene
briefe gewechselt. Der letztere herr hat dann irisbes. durch postkarte vom 10. 12. 1906
die richtigkeit der ansieht des rcferenden l)Gstätigt, dass es sich nicht um silberöre,
sondern um wertöre handelt, und auf das richtigere Verhältnis von 1 : 7 '/.. hingewiesen.
Man kann die summe auch so berechnen: 60 X 120=^7200 öre von 0 eilen vadmel.
dieses dividiert durch 7',2 (Verhältnis zu silber von vadmel) = 960 ««rr/r .s///V.s-, und
da der silberöre 4 dänischen krönen, und die dänische kröne 1 "^ mark entspricht, so
rechnen wir weiter: 960x4x 1 '/g = .3840x9 : 8 = 4320 m. Hoftentlich ersciu^nt die
Grundriss* HI, s. 473 anm. angekündigte Untersuchung recht bald.
472 NECKEL
der Sturl. endgiltig feststellen könuen: aurar vqrnvirhs fjär sind dasselbe wie verdaurar
und a\so = aurar varfmdls.
Dieses beispiel mag auch zum beweise dafür dienen, wie schwer es oft ist,
das richtige darzustellen, und dass wir es also einem herausgeber nicht übel anrechnen
dürfen, wenn er dann oder wann irrt. Wir schnessen daher diese anzeige mit dem
dank an den herausgeber, dass er diese quellen für eine in ihrer art einzig dastehende
Christianisierungsgeschichte in einer so sorgfältigen ausgäbe nicht nur den germanisten,
sondern vor allem auch den Staats- und kirehenhistorikern so bequem zugänglich ge-
macht und ihr Verständnis so sehr erleichtert hat.
ERLANGEN. AUGUST GEBHARUT.
M. Nyijaard, Norron Syntax. Kristiania, Aschehoug & Co. 1905. 391s.
Seit -M. Nygaard vor 40 jähren die beiden hefte seiner syntax der Eddasprache
ausgehen liess, ist er fast der einzige arbeiter in altn. syntax geblieben. Unbestritten
ist er die erste autorität auf diesem gebiete. Was er mit vorliegendem bände den
germanisten beschert, ist der gesamtertrag seiner wissenschaftlichen lebensarheit, der
endgültige niederschlag jahrzehntelanger beschäftigung und erwäguug, ein werk mit
einer fülle sorgsam geordneten materials, reich an wertvollen aufschlüssen , klaren
formulierungen und Unterscheidungen. In zwangloser capitelfolge gibt der verf. seine
beobachtungen über die Satzteile und ihre 'auslassung', das substantivum, das adjec-
tivum, die congruenz, die casus; die Verbformen (reflexives verbum, passivum, Zeit-
formen, niodi in hauptsätzen, infinite formen); die nebensätze, die modi und die
tempora in nebensätzen; das reflexive pronomen; wort- und satzstellung. Wie man
sieht, eine disposition, die keinen anspruch auf systematische erschöpf ung des gegen-
ständes macht. Mit den herkömmlichen kategorien vor äugen hat der verf. gesammelt
und auch bei wachsendem material keinen grund gefunden, die bequeme und über-
sichtliche anordnung zu verlassen. Die Originalität und consequenz eines forschers
wie Behaghel ist nicht seine sache. Näher steht er, dem äussern Schema nach, der
losen fügung von Pauls paragraphen über mhd. syntax. Pauls darstellung ist ein
beispiel dafür, wie hinter einer anspruchslosen aussenseite feines und sachgemässes
urteil sich entfalten kann. Gleiches lob verdient Nygaards werk nicht ohne weiteres.
Für ihn ist die disposition nicht bloss die form, in der er seine ergebnisse mitteilt,
sie ist die grundlage seines ganzen arbeitens gewesen, sie hängt für ihn mit dem
w'esen der sache unauflöslich zusammen. Während die neuere forschung widerholt
darauf hingewiesen hat, dass die gesichtspunkte für die syntax einer spräche aus der
Sprache selbst herauswachsen müssen, trägt Nygaard die gesichtspunkte von aussen
herzu. Bei diesem verfahren rückt ein teil der syntaktischen phänomene in eine
schai'fe beleuchtung, die sie dem fernstehenden auffassbar und lernbar macht. Ein
anderer teil bleibt im dunkeln: solche dinge, für die das vorbild , die lateinische gram-
matik, kein korrelat liefert. Und auch jener beleuchtete teil bietet dem eigentlichen
erkenntnistriebe wenig nahrung — steine mit brot vermischt. Es läuft schliesslich
auf eine übersichtliche materialsammlung hinaus. Wie viel geistige arbeit auch in
dieser steckt, wie viel logische schärfe daraus hervorblitzt, welche woltuende stoff-
freude darin lebendig ist — das alles muss dankbar anerkannt werden. Der hohr
autzungswert steht ausser allem zweifei; neben Lund und den wörterbüchein tliesst
uns fortan eine neue quelle, in den meisten punkten brauchbarer ais sie beide. Und
indem manches hier behandelt wird, was vorher niemals oder oberflächlicher erörtert
TBER NYGAAHD. N'ORR0N SYNTAX 473
wordeu war, ergibt sich oiue erhebliche bereicherung unserer bekanntscliaft mit alt-
nordischer Syntax. Der verf. sagt in der vorrede, er habe trotz einzelner vorarbeiten
anderer überall von vorne angefangen. Wir müssen ihm dafür dank wissen ; übrigens
wie bezeichnend für die gegenwärtige höhe der syntaktischen forschung, namentlich auf
nordischem gebiet! Wirkliche theoretische erkenntnis, auf der man weiterbauen könnte,
wie in der laut- und formenlehre, gibt es hier noch kaum. Um so freudiger ist
die ausführlichkeit der behandlung zu begrüsseu, die der verf. glaubt rechtfertigen
zu müssen.
Man mag sogar bedauern, dass das buch nicht noch stärker ausgefallen ist.
Es behandelt eigentlich nur die syntaktischen haupterscheinuugen der aisl. prosa (die
es freilich auch aus der poesie belegt). Allerdings lässt sich über die abweichungen
des anorw. einstweilen wol kaum mehr sagen, als der verf. in einer dankenswerten
fussuote s. 4 zusammenstellt. Aber die eigenheiten der poetischen spräche hätten mehr
berücksichtigung verdient als die summarischen angaben s. 3. Es ist ganz sicher, dass
die poetischen freiheiten zum grossen teil altertiimlichkeiteu sind. Auch die freiere
Wortstellung ist in ihrem kerne ein survival (vgl. Brugmann , K. vgl. gramm. G32). Mögen
sich auch in unserer Überlieferung — abgesehen von den urnord. Inschriften — keine
syntaktischen periodeu unterscheiden lassen, so wäre eine historische behandlung
mancher erscheinungen doch sehr wol möglich gewesen, auch ohne berücksichtigung
der verwandten sprachen. Dass letztere ganz jenseits seines forschungsfeldes liegen,
daraus darf man dem verf. natürlich keinen vorwurf machen; die syntax der einzel-
sp.rache braucht nicht der vergleichenden germanischen syntax — die Behaghel in
aussieht gestellt hat — vorzugreifen. Und doch: wie viel kann ein vergleichender
blick auch den syntaktiker der einzelsprache lehren! Die got. und, westgerm. cnt-
sprechungen liefern z. b. sofort den richtigen gesichtspunkt für die an. relativkonstruk-
tionen, die freilich wol auch auf grund des nordischen raaterials allein hätten sach-
gemässer dargestellt werden können (s. 2.56 — 265). Ich darf hierfär auf meine Schrift
über die altgerm. relativsätzc verweisen, besonders auf die ausführungen daselbst
<. 23fgg. 92fgg.
Um mein allgemeines urteil zu begründen und den fernerstehenden den cliarakter
des Werkes anschaulich zu machen, gehe ich auf einen abschnitt, den über das
passivum, näher ein.
Ö. 174 beginnt die darstellung mit einer allgemeinen Übersicht, welche erklärt,
das passive Verhältnis werde ausgedrückt a) durch Verbindung des part. perf. mit
vera^ b) durch Verbindung desselben part. mit venia ^ c) durch unpersönliche akti-
vische Wendungen, d) durch die reflexive verbform. Die vier typen unterscheiden
sich nach Nygaard in erster linie durch ihre fundorte. Über c) wird jedoch gesagt,
hier trete das Subjekt in den hintergrund, und das hauptgewicht falle dadurch auf
die handlung und ihr Verhältnis zu <lem gegenstände, auf den sie wirkt. Bei a) steht
die bemerkimg: 'die Zusammensetzungen mit er und rar bezeichnen ursprünglich den
zustand, in dem infolge einer vorausgehenden tätigkeit etwas in der gegenwart ist
oder in der Vergangenheit war (oder subjektlos: einen zustand in gegenwart und Ver-
gangenheit). Aber sie gehen über zur bezeichnung einerseits des in der gegenwart
oder Vergangenheit abge.schlossenen oder vergangenen, dessen, was getan worden ist
oder war (perf. und plusq. pass.); andererseits zur bezeichnung dafür, dass etwas getan
wird oder wurde, geschieht oder geschah (praes. und imperf. pass.).' Diese cntwicklung.
beruht auf der unbewiesenen annähme, dass das part. perf. von hause aus die ab-
geschlossene handlung bezeichne. Offenbar hing es seit alters allein von der be-
474 >'£CKEL
dentung des verbums und vom Zusammenhang ab, ob die Verbindung des participiums
mit Vera eine ablaufende oder eine abgelaufene handlung bezeichnete, und in sehr
vielen fällen konnte vom einen so wenig wie vom andern die rede sein. Nygaards rein-
liche sonderung von praes. und perf. , imperf. und plusq. trägt in die dinge etwas hinein,
wovon das Sprachgefühl der alten nordländer gewiss ebenso wenig wusste wie das
eines modernen lesers, der den texten ohne vorzeitige reüexion gegenübergetreten ist;
die aumerkung s. 177 ist wichtiger als der text. Dagegen besteht ohne zweifei ein
unterschied zwischen er {rar) gengit und verirr (ran)') gcugit. Verda bezeichnet den
übei'gang in einen zustand oder zu einer tätigkeit. Diese Überzeugung gewinnt man
aus dem umgang mit jedem beliebigen altgerm. dialekt; noch in der heutigen nord-
deutschen Umgangssprache sagt man: es wird regnen , es /ntrdc weh tun = es beginnt
zu regnen, es (die wunde) begann zu schmerzen. An. verfia ekki fundnir hat den
sinn 'das finden tritt nicht ein', varS heldr sid gengit tä häniessu (Ol. h. c. 107):
mau kam "ziemlich spät dazu, zur messe zu gehn. Oft nimmt der ausdruck futurischon
sinn an; die ingressive wendung zeigt ja einen verbalinhalt von derselben Seite, von
der wir ihn sehen, sobald er in der zukunft gedacht wird. Herdaklett drcp ek per
hdlsi af^ ok vcrtJr pd pinu fjnrvi farit! droht {)6rr Lok. 57. Die Vatnsdo^la erwähnt
c. 23: Hrömundr hinn Iialti, er siSr verSr getit. Dieses futurische verria ist übrigens
sehr alt und gemeingermanisch: für das got. s. Erdmann -Mensing 1,87, ahd. belege
in stattlicher anzahl bei Grimm, Gr. 4, 13 fg. Man hat dieses futurum nicht immer
richtig gewürdigt, weil werden in dieser funktion mit dem futurischen praesens anderer
verba gleichartig zu sein schien. Aber das ist eine schematische auffassuug. So
führt auch Nygaard (s. 183) den satz ef pü ferr eigi dian, pd verSr Jxit ßinn bani
als beispiel für das futurische praesens im nachsatz an. Es liegt aber ein wirkliches
futurum vor; der nachsatz ist gegenüber dem Vordersatz ausdrücklich als zukünftig
charakterisiert (was bei den andern belegen Nygaards nicht der fall ist). Wie dieser
satz illustriert, stehen viele substantiva und adjectiva ganz parallel mit den verbal-
nomina. Das angeführte beispiel (Vertreter eines häufigen typus) ist gleichwertig mit
got. jainar wairpip {:= earca) grets jah krusts tunpitve (Gab. -Loebe Gram. 149),
mhd. du ioirst ein sehoene ivijp. Mit adjektiven: svqrt verSa sölskin (Vsp.) mik
veixtu verba vergjarnasta, ef ek ek med per i jqtunteima (\)X.) u. ä. , got. bairhtai
aairjiiß = (favfowd^^ata&i, nhd. das wird scldinim. Ein mit iverden gebildetes fut. act.
kennt nur das hd., und zwar erst seit dem späteren mittelalter. Dafür haben wir
im an. ein verSa c. inf. in der bedeutung 'müssen'. Dieser gebrauch hat als der ur-
sprünglichere zu gelten. Es ist nämlich seit alters für das verbum iverden^ wie für
andere hilfsverba, charakteristisch, dass es das Subjekt nicht als frei handelnd, sondern
als in eine handlung hineingezogen, in einen zustand versetzt werdend erscheinen
lässt. Vgl. Erdmann, Unters. 1, 226. Man sieht das z. b. an ausdrücken wie hann
vard sottdauSr, verSa ßess visir, verda at gjalti. Diese eigeutümlichkeit tritt unter
andern! auch hervor bei der sog. passivumschreibung. Sie erklärt aber auch die
grosse Vorliebe, womit das an. sich des verbums re/vl'a zur bildung unpersönlicher
konstruktionen bedient. Ein typischer fall dieser art verbirgt sich bei Nygaard unter
den übrigen belegen: honum vard litit upp til hlidarinnar. Der sinn ist: sein blick
verirrte sich hinauf zur halde (dagegen: hann leit upp = er sah hinauf). Ebenso
Nj. 84, 9. VqIs 7, 15 (wo eine unnachahmliche humoristische feinheit vorhegt).
Ähnlich Freyju varS gengit til steinsins, Sgrla {) c. 1; hmiuni verSr pangat gengit
er Dofri sat, Ftb. 1, ."iG5. Etwas anders ist eigi mun lokit rer^a vcrkinu Sn. E.
(F. J.) 43. Die impersonalia mit vera verhalten sich entsprechend. Pvi var d legi
ÜBER NYGAARD, NORRON SYNTAX 475
)nvr litt stei/ct etit soll besagen: mir war keine möglichkeit geboten, gebratenes zu
essen. Ebenso nihd. des ivas mir vil ungeddlit = das war mir nicht eingefallen
(Paul § 200). Für diese Wendungen ist man bei Nygaard auf unzureichende belege
angewiesen, die in ganz anderm Zusammenhang auftreten (s. 7). Und doch figurieren
bei ihm selbst aktivische Impersonalia in dorn abschnitt über das passiv. "Was für
ein schöner Übergang hätte sich da herstellen lassen, innerhalb des begriffes
'passiv' selbst. Aber wir müssen erkennen, dass dieser begriff im an. wie in
andern sprachen überhaupt von übel ist. "Was Nygaard 'passiv' nennt, war
im an. keine selbständige kategorie. Jeder der vier fälle hat nähere verwandte als
die lindern drei. Ist das part. in Verbindung mit rcra und vcröa von anderen nomina
in derselben Verbindung verschieden, so ist jedenfalls zu untersuchen, inwiefern
das gilt. Venia muss ausser mit vcra auch mit mimu und skidx zusammengestellt
werden, nicht bloss weil dies die eigentlichen verba für das futurum sind — Nygaard
handelt darüber eingehend und lehrreich s. 191 — 196 — sondern weil sie ebenso wie
veri^a mit adjcctiveu verbunden werden: hverr nmn mir pd trnr, ef faSirinn bregöx?
(Hallfr. c. 4); skultt ver ßd sdttir, ef ßii kemr ferdinni fram (ebd. 6). Solche fälle
erscheinen bei Nygaard unter dem für das nachschlagen nicht unpraktischen, aber
unhistorischen und unbedingt verwerflichen Stichwort 'auslassung' (s. 25 fg.). Munu
insbesondere begegnet sich ferner mit vei-tfa in der bezeichnung des vermutlich
vorgehenden, eine uüance, die sich auf derselben grundlage entwickelt hat wie bei
nhd. werden in Sätzen wie er uird krank sein. Über munu in dieser funktion
lumdelt Nygaard s. 195; was rerda betrifft, so findet sich einiges material bei Bugge
Fkv. 401 , Fiitzner 3, 913a. Bei Nygaard ist hiei eine lücke, wie er überhaupt die
seltener belegten erscheinungen hier und da stiefmütterlich behandelt. Das hängt
offenbar mit der abwesenheit der historischen fragestellung zusammen. So hat er
sich z. b. ein hochinteressantes petrefakt entgehen lassen in dem satze des Brot. 5, 1 :
Soltin varii Siyurffr. '"V^'erden' mit dem part. perf. intransitiver verben findet sich
nicht eben spärlich jenseits der Nordsee bei Engländern und Sachsen: [ja neard
(ifeallen Jxi'S folces ealdor, Byrthn.202, Beow. 1234, as. Gen. 313, die lleliandstellen
bei Behaghel, Syntax des Heliand ISSfg.
Die principielle Wahrheit, die ich im äuge habe, ist diese: Wir haben nicht
von solchen unpsychologischen Sammelnamen wie passiv auszugehen , sondern von
den funktionen der sprai-helemente. Die gruppen, zu denen letztere zusammentreten,
müssen nach ihrer ähnlichkeit und Verschiedenheit aneinander gemessen werden, i. a.
so, dass jede ausdrucksform zuerst mit den nächst verwandten zusammengestellt wird.
Es ist klar, dass bei diesem verfahren solche elemente, die in sehr viele gruppen
eingehn, mit lexikalischer belegfülle sich vordrängen. Das entspricht aber genau
dem sprachleben selbst, den machtverhältnissen innerhalb des sprachgef ülils , dessen
Verzweigungen aufzudecken, dessen -möglichkeiten nachzuempfinden die erste aufgäbe
aller syntaktischen forschung ist.
Ähnliches, wie eben über das passiv angedeutet, Hesse sich über perf. und
plusq. sagen. Das wertvollste, was Nygaard hii rüber lehrt, findet sich in anm. 3
auf s. 190 (der vergleich mit einem ausdruck wie Itefir sni'd af mvr srcirna cida,
ejiga efnda).
Äusserst dankenswert sind die genauen beobachtungen über wort- und satzstellung
s. 343 — 391. Eine bemerkung über solche gruppen wie einerseits In'r u landi, anderer-
seits dt Jjar, restr ßar. vestan paÖan., nordr pangal hätte sie noch vervollständigt.
Auch vermisst man den bei Falk-Torp, Dansk-norskeus syutax 321 erwähnten fall:
476 NECKEL
[xit hlägir niilc , ef pü kemr u braut, at pu munt liefna vär. Er ist auch mhd.,
s. Paul Mhd. gr. §376, 3b. Für verfehlt halte ich die auffassung. dass zwischen
haupt- und nebensatz ein prinzipieller unterschied in der Wortstellung nicht bestehe.
Man hat bei Nygaard den eindruck, als schiebe er alles, was hierher' gehört, geflissent-
lich in den hintergrund, weil er es für irreführenden schein hält. Das unanfechtbarste
argument für die Sonderstellung des nebeusatzes liefern die fragekonstruktionen: hverr
er ßessi maÖr? gegenüber kann spyrr, hverr ßessi maör er. Im hauptsatz steht
das verbum an erster oder zweiter stelle, im nebensatz an zweiter oder dritter (man
vergleiche die bündige regel bei Heinzel, Beschr. 191 note, wo aber auch von einem
unterschiede nichts erwähnt wird). Sehr zu beachten ist Falk-Torp 294fgg. Solche
kurzen sätze wie die dort angeführten [kona er Oyöa heitir^ segja hvar komit rar)
stellen den ältesten typus von nebensätzen dar. In ihm ist die endstellung des verbums
sicherlich urgermanisch. Ä.uch im ahd. haben kurze nebensätze in der regel das ver-
bum am ende: dax^ imo nahesta uuas bei Notk., s. Keis, Zfdph. 33, 339 fg. 343. 347.
Übrigens erlauben Nygaard? Zusammenstellungen, eingehend und zuverlässig,
wie sie sind, bereits mehr als einen vergleichenden schluss auf die vorhistorischen
Stadien der germ. dialekte. Er konstatiert z. b., dass verbalformen wie er, rar, mun,
hefir, hafda oft an die spitze treten (s. 349). Ganz ähnliches gilt für das ahd. und
ae. (Eeiss a.a. o. 228 fg.). Gegenüber dem normalen typus hafdi hann drepit niart fölk^
vär um peir heygöir steht ein anderer: vdru settir baidasteinar, dieser ist aber fast
nur bei vera, nicht bei andern hilfsverben belegt (s. 358 fg.). Etwa derselbe zustand
liegt im ahd. vor (Reis 231 fgg.). Ungetrennte folge der beiden verbteile scheint auch
hier ganz überwiegend bei 'sein' (und 'werden') vorzukommen, die möglichkeit la-
teinischen einÜusses auf die ahd. worlfolge ist also wenigstens in diesem punkte gewiss
abzulehnen. Endlich geht aus Nygaards darstellung s. 358 hervor, dass Prädikats-
nomen und Objekt nur dann zwischen hilfsverb und verbalnomen treten, wenn sie
die länge etwa eines mittellangen wertes nicht überschreiten. Entsprechendes im
ahd. Kasus mit praeposition, überhaupt längere grappen stehen auch hier mit
Vorliebe nach. Die von Reis aao. 235 angeführten fälle werden durch die nordische
parellele el'klärt.
Von höchstem sprachgeschichtlichem Interesse sind Nygaards Sammlungen über
die trennuDg von präposition und kasus. "Ist eine präp. mit kasus an ein verb in
zusammengesetzter form geknüpft, so tritt oft die präp. vor das part. oder den inf.
und der kasus dahinter", z. b. rar mikit til aflat pessar veixlu, munu ver frd hverfa
änni (s. 358anm., vgl. 362). Es ist klar, dass til und af hier eher adverbien als
Präpositionen zu nennen sind: til afla, frd hverfa sind verbalkomposita wie nhd.
abioenden w. dgl., die ebenfalls das adverb vorangehen lassen im part. , im inf. —
drittens im nebensatz. Auch der dritte fall stimmt zum nordischen (Nygaard, der
für die sonderart der nebensätze, wie gesagt, kein äuge hat, gibt nur zwei belege,
und zwar in einer fussnote, s. 379): ür pat er af stöS eü>-imt, er fyrir skulu vera
ferdinni, pieim er i koma heiminn (Qrv. Leiden 31"), peir es ftjr norpan vqro Ayja-
fiqrj} (Ari Lib. c. 5), unz fyr utan kom dsa garöa {\>r.) Die abweichung des an.
vom nhd. besteht nur darin, dass das an. die uralte doppelte affinität der adverbia
— nomen und verbum — noch weit deutlicher zeigt. Übrigens stehen neben den
erwähnten typen die kürzeren is er yfir kemr, frd hverfa, til aflat, ohne kasuelle
ergänzung, diese also dem modernen deutschen Sprachgefühl congnient. Vergleichen
wir das finite verbum im hauptsatz, so ist auch hier die verbalkomposition unveikcnn-
bar, aber es besteht ein bezeichnender unterschied in der Stellung: pd ä/cJ d pqgn d
t'UET? NYGAARn, NORRON SYNTAX 477
hqfdingjana — man vergleiche Nygaard s. 22(§28); die eingestreuten [lart. und Inf.
zeigen mit einer ausnähme das adv. vorangestellt. Diese einsichten, zu denen uns
Nygaard den weg ebnet, führen uns dem Verständnis der sog. trennbaren vorbal-
komposition ein gutes stück näher. Selbstverstiindlicli sind bei beurteilung dieser
Verhältnisse auch typen wie i'it gekh Sigiiri)r. iif sprang der iruho sdr, ferner skiili
sd er hdskarlar srdfii t (neben hriinnr er speiet oh manvit er i fdlgit, Nygaard
374 f.) in anschlag zu bringen. —
S. 222f. handelt eine anmerkung kurz über die Umschreibung der verbalformen
mit ^wflf; "besonders in verneinenden sätzen", heisst es hier (s. schon Fritzner ], 580).
Die von Gering im Vollst, wb. 36Uf. gesammelten eddischen beleg(! erheben es über
jeden zweifei, dass für die ältere zeit statt 'besonders' sogar 'regelmässig' gesagt
werden darf. Aus den Edd. min. ist hinzuzufügen Ketill und Framarr 6, 1: Oöin
hlnta g(>ri)a ek aldrigi. VqIs. 4, 8 (Ran.) deutet wol auf poetische quello. Vigfusson
führt 225a mehrere stellen aus gesetzen an. Diese an. regel wird bei der erkläruug
lies engl, he did not conie nicht zu übersehen sein.
S. 201 wird der imperativ mit dem auffordernden konjunktiv parallelisiert. Die
2. person imper. aber wird als der allgemeine ausdruck bezeichnet nicht bloss für die
auffoiderung, sondern auch für den wünsch. In den belegen sähe man beide fälle
lieber gesondert. Zum optativischen imperativ gehören uhd. lebe wol, komm gesund
-.urück, lat. salve, valc, gr.fnowao, an. sit heil, /)•« (Vols. 24), huifl er allir heilir
i /ia?<5f?" (Herv.-lied 29). Im an. ist ein besonderer fall dadurch entstanden, dass der
wünsch auch an eine in der Vergangenheit liegende handluug des angeredeten ge-
knüpft werden konnte. So: kompü heill, Herlinnf hafid heilir scetxk! skjöttu allra
manna heilastr! mcel manna hcilastr! gefjjü allra drengja heilastr! (nachdem der
angeredete einen schuss getan, gesprochen, ein geschenk gegeben hat; lIHj.31, Edd.
min. 133, Oisl. c. 20, Heiöarv. c. 3(3, Gautrekss. ed. Ranisch s. 39). Eine nicht unpassende
bezeichnung für diese ausdrucksweise wäre imperativus perfecti. Auf i\\m beruhen
indirekte wünsche wie Oisli biör kann mcela allra manna armustan (Gisl. c. 2), baff
haini vel kominn (Gautr. s. 7, s. 41). Vgl. ßann bäffu fglki frmji^tan verSa (HHu. 1, 2),
konungr baÜ hana rel Ufa, gr. i()owaO-cci rivi ifodCuv 'jem. lebewol sagen'. Weitere
belege bieten Detter-Heinzel, Edda 2, 201 fg.
Nirgends behandelt finde ich den eigentümlichen gebrauch von hrar -^- 'dass
da", z. b. Brynhildr sd, hvar maSr störr stötl viff eik eina {B.aUss.M). Dieser ziem-
lich häufige fall hat englische und hochdeutsche gegenstücke: Mhd. wb. 3, 517 a,
Lexer3,621, Bosworth -Toller 371 a, me. tho u-as I ivar, /eher that ther sat a quene
(Chaucer, Parlcmeut of foules 298), ne. see ivherr he Stands (Dickens). Nicht bloss
bei '.sehen" und ähnlichen verben: mhd. ern mochte wä diu wirtin sax (Farz. 131, 1),
ne. 7 have heard, where . .. (Shakespeare, Caesar 1, 2, 58), an. ovist er at vita, hvar
ncinlr sitja u ßeti fgrir ('ob da nicht', Häv.). Der ausgangspunkt ist wol bei dem
verbum 'sehen' zu suchen. H()fuölausn 3, 7: en Viffrir sd, hvar valr of Id scheint
zu bedeuten "V. sah dorthin, wo...". Deutlich empfindet man diese ursprüngliche
bedeutung noch beim heutigen englischen imperativ (vgl. Hym. 12,1).
Von den mancherlei einzelheiten, in denen ich glaube von Nygaard abweichen
zu müssen, ziehe ich es vor, keine zu erwähnen. Es liefe meistens darauf hinaus,
dass psychologische gesichtspunkte gegen logisch -grammatische ausgespielt würden.
Der verf. sagt in der vorrede: "Det skulde vu-re mig kjit-rt, om saa andre
vilde fortsiftte: fuldsticndiggjere , hvad der er ufuldstiundigt, og rette, hvad der er
feilagtigt." Mochte dieser wünsch in dem sinne in erfülluug gehn, dass Nygaards
47S \VF,rirssT,Ei?
Xoiron Syutax ein lebhafteres bemühen als bisher auf nordischem gebiete anregt und
dass das wertvolle material, welches das buch der vergleichenden forsch uug bietet,
recht bald fruchtbar gemacht wird.
Anna Lüderitz , Die liebestheorie der rroven9alen bei den minnesingern
der Stauferzeit. Eine litterarhistorische Untersuchung. J. Schick und M.
von Waldberg, Litterarhistorische forschungen XXIX. heft. Berlin und Ijcipzig
Emil Felber 1904, 8» 136 s.
Diese aibeit, deren erster teil schon 1902 als Berliner dissertation erschienen
ist, nimmt ein thema wider auf, das zuerst 1880 von Ferdinand Michel (Heinrich
von Morungen und die troubadours QF XXXYIII) behandelt worden ist. Der vorliegende
versuch, dem neben den forschungen von Burdach, "Wilmanns u. a. besonders die
wertvollen anmerkungen Schönbachs zu den ältesten minnesingern (Wiener sitzber. 1899)
zugute gekommen sind, lässt erkennen, wie viel weiter wir in dem letzten viertel-
jahrhundert gelangt sind, aber zeigt uns zugleich, wie viel noch zu tun bleibt. Und
zwar ist für den deutschen minnesang, ähnlich wie für den italienischen, sehr viel
mehr geleistet worden als für die gemeinsame grundlage. den provenzalischen.
Wie für die gesamte mittelalterliche kultur, liegt auch hier die eigentümliche
Schwierigkeit darin, dass sich bildungselemente von dreierlei herkunft zu merkwürdigen
mischungen verschmolzen haben: einheimische zum teil in altgermanische zeit zurück-
reichende Vorstellungen mit der gedankenweit der kirche und der kirchlichen Wissen-
schaft einerseits und den direkt oder indirekt aufgenommenen naehwirkungeu des
römertums und der antike. Die Verfasserin hat in dankenswerter weise auf solche
mischungen wiederholt hingewiesen (so s. 68. 102. 103 u. a.). Für den deutschen
minnesang wird die läge dadurch noch verwickelter, dass es sich selten feststellen
lässt, ob der Deutsche seine kenntnisse durch Vermittlung eines Provenzalen oder
durch eigene bekanntschaft erlangt hat. Verf. nimmt an, die spräche des lehenrechts
im frauendienst stamme aus einheimischem rechtsbrauch (s. 32), auch die kenntnisse
geistlicher litteratur seien wol meist selbsterworbene (s. 93), dagegen sei es zweifel-
haft, ob die minnesinger, wie Schöubaeh annehme, selber aus Ovid schöpften (s. 74
und anm. 98). Es ist misslich, solche allgemeine behauptungen aufzustellen. Hierbleibt
jeder dichter und jedes gedieht für sich zu untersuchen. Bei der eigentlich pro-
venzalisierenden gruppe von Hausen und Gutenburg bis Hohenburg und Botenlauben
dürfte entlehnung wahrscheinlicher sein , für die mehr selbständigen dichter wie
Hartmann und Waither ist eigene kenntnis der fraglichen drei gebiete, auch Ovids,
von vornherein durchaus möglich. Endlich kompliziert sich besonders für die späteren
minnesinger die forschung dadurch , dass ungewiss ist, ob sie überhaupt provenzalische
oder französische muster gekannt, oder nicht vielmehr sich an den älteren deutschen
Vorbildern geschult haben (Burdach, Reinmar und Walther s. 52).
Es gehörte einiger mut dazu, in einem büchlein von nur 122 s. text den pro-
venzalischen und deutschen minnesang vergleichend zu behandeln. Doch wissen wir
der Verfasserin dank für die im ganzen zutreffende Orientierung, worin sie eine grosse,
freilich für das thema noch nicht ausreichende belesenheit und gutes urteil bekundet,
auch in manchen punkten die forschung wirklich gefördert hat. Meines erachtens
wäre es nötig gewesen, die verschiedenen gedankeukreise des minnesangs schai'f aus-
oinanderzuiialten und u\ jedem die wesentlichen gedanken zu trennen, dafür zunächst
tnv.n ANNA i.ünKmiz. tue i.iEHF.sTiiKomK dkk provenzalen 479
von der persönlichen eigenart der einzelnen dichter mehr abzusehen. Bevor man
daran denken kann, jedem das seine abzugrenzen, muss es die erste aufgäbe sein,
das allen mehr oder weniger gemeinsame gut nach bedeutung und herkunft zu sichten
und zu sondern. Bei diesem verfahren wäre mehr einheit und klarheit in die dar-
stelluug gekommen.
Mit diesem mangcl der anläge hängt es zusammen, dass die disposition des
buehes zu wenig der sache angemessen ist. Nach einer einleitung von 9 selten folgt
1. Die minne in ihren äusseren erscheinungsformen: frauendienst, httote und tougen
»i/'inie, dienstverhältnis, Werbung (s. 10 — 68); II. die minne in ihren physischen er-
scheinungsformen: wesen und Wirkung, Ursprung und entstehung (s. 68 — 110).
III. Ulrich von Liechtensteins frauendienst und die letzten spuren der liebesdoktrin
(s. 110 — 122). Diese anordnung ist so wenig zweckentsprechend, dass ich sie im
folgenden verlassen muss, um nicht, wie die Verfasserin, auf dieselben dinge immer
wider zui'ückzukommen.
Als thema des buehes wird widorholt die liebestheorie oder 'liebesdoktrin' be-
zeichnet und die belege meist aus den älteren dichtem, teilweise auch aus Andreas
Capellanus entnommen: dabei ist nicht beachtet, dass die den liedern zugrundeliegenden
anschauungen über minne etwas anderes sind, als die Systeme späterer theoretiker
wie Andreas, Matfre Ermengau oder Francesco Barberino. Beide? ist scharf zu
scheiden. Nicht als ob ich diese letzteren überhaupt als quellen ausschliessen wollte,
aber jedenfalls durfte Andreas für die anfange des deutschen minnesanges nicht hei'an-
gezogen werden (s. 45. 72 und sonst).
Die älteste liebeslyrik auf deutschem wie französischem boden war die der niai-
tänze, worin der 'sommerdienst' oder die 'maibuhlschaft' (s. 33. 121) die tanz- und
liebeslust besungen wurden. G. Paris hat bekanntlich die prov. frz. maitanzlieder von
antiken Venusfesten herleiten wollen. Ich habe (Vollmöllers Jb. V, II .392 — 394) zu
zeigen versucht, dass altgermanische maibräuche zugrunde liegen imd sich daraus die
vielen merkwürdigen Übereinstimmungen hier und dort erklären. Hier zeigt sich verf.
nicht genügend unterrichtet, sie kennt u. a. nicht das treffliche buch von Bielschowsky
über Neidhart. Richtig erkannt ist, dass der Gilos (s. 17. 18 — 21), der den Deutschen
fehlt, im hohen minnelied der Provenzalen keine stelle hat. Aber es wird zuviel be-
hauptet, wenn s. 20 gesagt wird, er komme darin nie vor: siehe Jaufre Rudel ed.
Stimming s. 48; Bernhard von Ventadorn MW I, 19; Peire Vidal, ed. Bartsch s. 47.
Die person des Gilos übrigens wird verständlich, wenn wir erwägen, dass es in den
älteren texten stets ein alter ehemann ist, der seine junge frau nicht zum maitanz
gehen lassen will und daher verwünscht wird, nicht anders als die mutter in den
deutschen reihen, wenn sie ihrer tochter tanz und liebschaft verbietet. Wie die
tochter unter dem mundium, der huote der mutter, so stand nach mittelalterlichem
recht, die frau unter der huote des^eheherrn (scnlior). Nur weil der Gilos eine durch
volksbrauch typische figur war, konnten die höfischen dichter es wagen, ihn mit so
grimmigem spott zu verfolgen.
Über die liebeslyrik der vaganten bemerkt verf. in anni.99, dass sie nicht als
quelle des höfischen minnesangs anzusehen sei, wie vor kurzem wider W. Meyer -
Speyer in seineu Fragmenta Burana annahm: denn die fraglichen lieder „gehören
dem gebiet der niederen minne an." Wol abi-r sollen die ritterlichen liebeslieder
des Kürenberg und seines kreises durch das vorbild der vaganten hervorgerufen sein
(s. 2. 11. 47). Dieser als selb.stverständlich vorgetragenen, aber nicht bewiesenen
these kann ich nicht zustimmen. Die lii'beslieder der vaganten scheiden sich in zwei
480 WF/HSSI,F,T?
unverkennbar abweichende gruppen. Die eine, welche die deutschen Strophen und
einen teil der lateinischen umfasst, haben zum thema naive liebes- und lebenslust:
es sind mailieder und ich halte den beweis durch Burdach für erbracht, dass die
deutschen Strophen die Vorbilder der lateinischen gewesen siad. Die andere gruppe
sind nachdichtungen nach antiken mustern , besonders Ovid , meist gesucht iind schwülstig,
worin die liebesbegierde sich nicht derb und ursprünglich, sondern lasziv und frivol
ausspricht. A"üu solcher frivolität ist in der ritterlichen liebeslyrik keine spur zu
entdecken. Vielmehr entwickelte sich diese, als eine spezifisch ritterliche standes-
poesie höfischer kreise, im anschluss an die gnomik der fahrenden (siehe die gnomischen
liederanfänge), an epische raotive und an die maitanzlieder. Romanischen einfluss auf
die Kürenbergschule anzunehmen, dazu haben wir trotz Jeanroy keinen grund. Auch
in Frankreich finden wir vor dem minnesang spuren einer ähnlichen ritterlichen lyrik,
aber mit dieser verglichen erweist sich die deutsche als zweifellos selbständig und
ästhetisch .wertvoller.
Sehr stark haben den eigentlichen minnesang, nach der verf. Ovids verschiedene
dichtungen beeinflusst (s. i). 14. 15. 21. 2.5. G8— 71. 74. 102, anm. 98). „Was die trou-
badours bei Ovid anzog, war die analyse der empfindungen und die glühende Schil-
derung der liebesschmerzen" {s. 69). Der Wächter im tagelied stammt schwerlich aus
Ovid, wie s. 15 behauptet wird, sondern aus dem gegebenen milieu: weckte die mai-
buhlen der vogel im gezweig, so den ritter und die Schlossherrin der hornruf des
türm Wächters. S. 25 spricht verf. ihr erstaunen aus , dass als verstecknamen Monjoi,
Bei Vezer u. a. gewählt worden seien, und nicht Flora, Phyllis, Byblis und andere
antike namen und gibt eine mir unverständliche erklärung. Soviel ich sehe, beschränkt
sich die einwirkung Ovids auf Übernahme einiger motive: kriegsdieust der miune,
liebeswunde, liebeskrankheit, liebeswahnsinn u. a. Hier aber mögen zum teil auch
die lateinischen dichter des mittelalters als vermittler gedient oder durch ihr beispiel
zur lektüre Ovids angeregt haben.
Das buch beginnt mit einer kurzen Charakterisierung der ritterlichen lyriker
nach art des Kürenberg. Meinloh und Dietmar, die beiden burggrafen von Regensburg und
ein teil der. anonymen lieder, auch die Wechsel Reimars werden dazu gerechnet (s. 55).
,.Noch fehlt die ritterliche galanterie des mannes und das Selbstgefühl der frau'' (s. 1).
Wollen wir die unterscheidenden merkmale des eigentlichen minnesangs oder der lieder
der hohen miune, genauer augeben, so finden wir, dass in diesen ein dreifaches thema
behandelt wird: das lob der herrin, das recht der minne oder der frauendienst, und
die Philosophie der minne oder die spirituelle liebe. Das erste thema ist als tendenz dieser
panegyrischen lyrik wirksam, das zweite bietet den formalisnius der einzelnen lieder
wie der ganzen cyklen, das dritte bedeutet den eigentlichen gehalt, dasjenige, wo-
durch der minnesang so tiefe und nachhaltige Wirkung geübt hat. — Von allem diesem
ist bei den ritterlichen lyrikern noch nichts zu finden, ausgenommen Meinloh, der
wie Reinmar in alter und neuer weise gedichtet und zwei echte und rechte preislieder
auf die herrin geschaffen hat (11,1 und 15, 1). — Mit dem maitanzlied teilt die
ritterliche lyrik die huote (s. 13 — 16. 18. 21 — 23), die in den höfischen kreisen
wesentlich strenger war. Verf. trennt sie mit recht von dem motiv der merkcere und
bezeichnet sie als einheimisch. Unrichtig aber ist, wenn verf, (s. 14) sagt, nur an
zwei stellen im prov. sei von frauenhut die rede. Ich kann vier weitere gedichte
nachweisen, wo von den fjuirhaitz oder gardadnrs die rede ist: die tenzoue MG. 697, G;
Marcabru Gr. 293, 2 und 293, 29; vgl. H. Suchier, Jahrbuch XIV, 279); Bernart von
Venzac, Gr. 323, 5 (Zenker, Peire d'Alvernhe s. 143). Diese huote der frau ist, wie
ÜBER ANNA LÜDERITZ, IHK UEBERTKEORIK IiKI! PROVENZALEN 481
verf. bemerkt, noch ein merkinal älterer gesellschaftlieher zustünde. Der eigentliche
höfische niinnesang hat geselligen verkehr beider geschlechter zur Voraussetzung.
Ein ergänzender begriff zur huote ist die loitgen minno^ das celar der Provenzalen:
man soll sich nicht seiner erfolge rühmen (s. 23 — 20). Im gedankenkreis der hohen
ininne uud ihrer liebesklagen hat diese forderuug keinen platz, da es hier nichts zu
vorheimlichen gibt; wol aber im ritterlichen liebeslied, das ungescheut den ?«/«Äei'a«5',
das halsen trittte)i blgelegen als oft erreichtes ziel der Werbung ausspricht. Das
helen- celar war eine gebotene rücksicht gegen die adeligen trauen und mädchen, die
nicht blossgestellt werden durften. Meinlohs die mcgede in dem lande, sicrr der
line gctvan und Kürenbergs aller tnbc /rüniic diu gel noch mcgetin setzen solche
Verhältnisse voraus. Das erstere dieser lieder geht nicht auf ein mädchen niederen
Standes, wie verf. s. 11 annimmt. In den gedankenkreis dieser ritterlichen lyrik ge-
hört wol auch die durch mehrere texte für Frankreich und Deutschland bezeugte sitte
der sogenannten probenächte (s. 5G), wo dem liebhaber liebesgenuss versagt war und das
paar nur in heimlicher Zwiesprache beisammen war, mit dem heute noch gepflegten
fensterin zusammenzustellen. Redegeselle hiess, wenn ich recht sehe, ein solcher
liebhaber, und das afrz. parlar und aprov. cosselhar hat denselben sinn bekommen.
Die eigentlichen minnesinger der Stauferzeit, genauer die Sänger der hohen
minne, werden von der verf. in zwei gruppen geteilt (s. 3). Einmal die provenzalisieren-
den nachahmer, „durchweg fürstliche, meist staufische mini.sterialen" adeliger abkunft:
Hausen, Gutenburg, Feuis, ßugge (ob nicht zur zweiten gruppe gehörig'?), Ilorheim,
Rute, Bligger, Adelnburg, Johannsdorf, markgraf von Hohenburg,- Otto von Boten-
lauben, Hiltbolt von Schwangau und vielleicht noch Leiningen. Mit den jähren 1170
und 1190 will verf. diese schule begrenzen: ich bezweifle, ob sich solche- dinge so
genau datieren lassen, und glaube nicht, dass mit Barbarossas tod diese schule plötz-
lich erloschen sein soll. Zu der zweiten gruppe, den selbständigen nachahmern, die
den fremden einfluss überwinden, rechnet verf. Veldeke, Reinmar, Hartmann und
Walther mit seiner schule: es sind 'durchweg' fahrende ritterlichen Standes (s. 2 — 3).
Wir fragen: wo bleibt Morungen? und sind erstaunt, Veldeke, Reinmar in der zweiten
gruppe zu finden. Schwerlieh führt es ans ziel, bei diesen dichtem stets ein zu-
sammenfallen von sozialer läge und kunstrichtung anzunehmen und darauf zwei gruppen
zu begründen: das heisst zu sehr schematisieren. Scheiden können wir, wo uns sonst
nichts bekannt ist, nur auf gmnd der anschauungen vom leben überhaupt und von
liebe im besondern: das ist neben dem stil das einzige, was wir aus den liedern
sicheres entnehmen können.
Verf. ist es nicht entgangen, dass sich die lieder der hohen minne bei den
Provenzalen als loblieder und die troubadours als lobdichter charakterisieren lassen
(s. 27. 29. 31. 37. 38). Mit dieser richtigen erkenntnis setzt sich verf. in Widerspruch
zu s. 10, 12, 13, 27, WO noch von der angeblichen „sitte fürstlicher trauen" ge-
sprochen wird, „einen liebhaber zu nehmen." Ich habe nie an einen solchen 'vor-
schriftsmä-ssigen liebhaber' glauben wollen und inzwischen eine erdrückende menge
belege aus den liedern selbst gesammelt, dafür dass der troubadour als preisdichter
im dienst einer fürstin ihre Vorzüge be.sang, den eindruck ihres liebenswürdigen
Wesens schilderte und durch die stets widerholte klage über ihre grausamkeit indirekt
ihie sittsamkeit ins licht stellte. Verf. gibt den panegyrischen zweck und Ursprung
der ganzen gattung für Südfrankreich zu, bestreitet es aber für die vornehmen herrn
in Nordfrankreich und Deutschland (s. 30). Ich weiss nicht mit welchen gründen.
Auch in Deutschland finde ich dieselben prhliet und auch für Südfrank reith kann
ZEITSCHRIFT F. HEDTSCHK PHII.OLOOIE. HD. XL. .'51
482 WKCHSSI.Kl!
icli das ausiiüitideii in das lub des gauzeii weiblicheu gesublechts belogen. Meines
oiachtens Ivann man den ganzen iniunesang nur als panegyrische gattuug geschicht-
iicli verstehen. — Der Inuxemjier-lrmxenjador wird s. 16 — 18 als Schmeichler und
rivale riclitig erklärt. Der troubadour als lobdichter konnte wo! dazu kommen die
rivalen und neidischen höflinge im vergleich zu sich selber, dem echten lanxciflor.
als falsche Imizengicrs zu bezeichnen.
S. 31 — 44 wird vom frauendienst und minnerecht eingehend gehandelt. Dabei
üLuft widerholt (s. 41 zweimal und 43) die irrige Übersetzung 'skTave' für eiyenmann
unter. Sklaven im antiken sinne kennt das germanische recht nicht, auch der iiörige
oder leibeigene hat wesentlich bessere Stellung. Prov. serf bedeutet eigenmanu oder
knecht, seine bedeutung ist nicht die des lat. seri^im. Die erörterungen über dieses
kapitel sind leider durch die unglückliche dispositiou sehr zerstückelt, man be-
kommt nicht den eindrack eines durcJiaus einheitlichen formalismus, der doch zu-
grunde lie^t. S. 10 und 13 wird die Vermutung ausgesi)rochen, dass in Deutschland
und auch in Südfrankreich eliemiiuner ihre ehefrauen besungen hätten. Die als be-
weis beigebrachte tenzone MG 097 behandelt aber nur die frage, ob ein liebhaber
vorziehen würde, buhle {dnitx) oder gatto {ynaritx) seiner herrin zu werden. Dazu
möchte ich bemerken, dass frauendienst und ehe sich prinzipiell ausschliessen : ersterer
besteht in tatsächlicher oder fictiver Unterordnung des mannes unter die herrin, die
ehe hat zur rechtlichen folge, dass der eheherr befiehlt. Die für Deutschland heran-
gezogene totenklage Reinmars auf herzog Leopold beweist nichts für die ehe als 'ritter-
lichen minnedienst', sondern bewegt sich in der Situation und den typischen ausdrücken
einer maibuhl^chaft: die herzogin klagt zu frühlingsanfang um den verlust ihres
geliebten.
Der gedankenkreis der philosophie der minne oder si)irituellen liebe ist von
verf. mehr als in früheren arbeiten berücksichtigt worden. Die Verwandtschaft zwischen
raystik und minnesang wird angedeutet (s. 68. 74. 'Jl. 101. 103. 108), entlehnungen
aus geistlicher litteratur besprochen (s. 68. 93. 97. 98), auch auf das Verhältnis zur
kirche eingegangen (s. DOfgg.). Schönbachs identifizierung der hohen minne und der
christlichen chan'tas wird mit grund abgelehnt (s. 95— 96). Gewiss bleibt reinni
minne „auch in sublimiertester form" geschlechtsliebe und damit das gerade gegen-
teil der asketischen, weltverneinenden c/iaritas als der liebe zu Gott und dem nächsten
lim Gottes willen. Aber ein Zusammenhang ist unleugbar vorhanden. Ich glaube,
es lässt sich nachweisen, dass die troubadoui's und minnesinger nach dem vorbild der
charitas ihre hohe minne zur kardinaltugeud umgeschaffen haben, die den mann
adelt und alle anderen fugenden nach sich zieht. Die ekstase des minnenden, das
gebundensein der sinne, die todessehnsucht, die Seligkeit der minngedanken, die
liebe zu einer mit äugen nie gesehenen herrin haben ihre zeitgeschichtliche parallele
in der nur wenig älteren , damals eben voll erblühten niystik eines Bernhard von
Clairvaux und Hugo von St. Victor. Vielleicht liesse sich zeigen, dass in ihren we,sent-
lichen zügen die philosophie der minne, die psychologie sowol wie die ethik und
dialektik aus der kirchenlehre stammte. In dieser aberwirkten, vermöge ilires eklek-
tischen cliarakters, elemente verschiedener herkunft zusammen, auch reminiscenzen
an Plato und mehr noch an Aristoteles. S. 104 anm. 130 handelt verf. von den „äugen
des herzens.^' Schultz-Gora hat in Gröbers Ztschr. XXIX, 1905, s. 337 — 40 frz. u.
])rov. beispiele dafür zusammengestellt und die frage nacli der quelle dieser „inte-
ressanten metapher" aufgeworfen, sich aber begnügt, kiichlichen Ursprung zu vei'-
niuton. Sclion frülxT liabon darüber gehandelt: Bock (^ F. XXTTT, 35 anm. ; Burdaeh,
ÜBER ANNA LriiKK'lT/. , DIK I.IKISKSTHK0IJI1-; IIKU I'l.'OVKNZAUON ~IH','>
Keiumar und Walthor 1 Ifi : Wilinaiiiis. Loben Walthers s. VJ2 und 372 (anin. L'OO) ; l 'bland
schritten V, s. 161. Den ocitl/ carnalcs werden die oc/tli cordis gegenübergestellt:
durch sie schaut mau Gott in der mystischen ekstase; die beiden worte besagen dasselbe
wie VISUS eorporeus und intiiitus spin'iitolis. Als drittes werden gelegentlich auch die
oculi ratwnis unterschieden. Vgl. Hugo von St. Victoi', De arca Nor morali IV, c. 9:
Istuvi mundum vident oculi carnis, illum mundtoii intrinseciis eontemplanfur ocaiU
cnrdis. Ders. : De sacramentis 1, X, c. 2. — Bernhard von Clairvaux, De gradibus
hitmilitatis VI, 19; VilL 23. Ders., De conversinnc XlII, 25; XVII, 30. —
Ferner Carmina Burana 57, 1 und 161,2. — Bernhard von Ventadorn: Tobler, Berl.
sitzber. 1885, 942; Folquot von Marselha: Bartscih ehrest.« 136. Vgl. Platons Gast-
mahl cap. 34, wo Sokrates im gespräch mit Alkibiades sagt: r/ toi t»]^ (^invotm; iUlng
uo/irjui div ßXtnav, orav i) tüv uu/unTOv rfjg t\xufjg li'jynv hu/noffK
S. 31 und 36 wird als unterschied des prov. und deutschen miuesangs angegeben,
dass im letztei'en „nicht körperliche reize und gesellige taleute, sondern moralische Vor-
züge gepriesen werden." Das ist in dieser allgemeinheit jedesfalls unzutreffend. PreU r
ralor (rühm und trefflichkeit) lautet die gebräuchlichste formel der troubadours, güete
linde schoenc die der Deutschen. Scn e conoissensa , doctrlna, raxo, inex,nru , cortexia
sind die meist geprieseneu innereu Vorzüge. Valor fasst alle zusammen; diesem steht
wol am nächsten der begriff ucrdekcit. Allerdings hat bei den Deutschen das höfische
niinneleben die gedanken der religiös -sittlichen lebensauffassung des Christentums nicht
so verdrängt wie in der Provence. Die riickkehr zum Christentum der kirche lässt
sicli deutlich bei Hartmann wahrnehmen, dem die hohe minne immer im gründe fremd
geblieben ist. Seine Sonderstellung wird s. 40. 60. 86, diejenige Walthers 41. 42. 62.
(>5. 87. 88 besprochen. Doch sind diese kurzen bemerkuugen kaum genügend: auch
ist die litteratur hier zu wenig benutzt. Von Walther wird s. 18 und 26 behauptet,
er „habe nie eine fürstliche gönnerin besungen." Mag sein, dass er in einigen liedern
die herrin fingiert hat, so liegen doch besonders aus seiner älteren epoche eine reihe
lieder vor, die ganz in der art der prov. pauegyrik gehalten sind.
Von dem nordfranzösischen mimiesang hat verf. eine neue, aber kaum haltbare
auffassung. S. 30. 45 und anm. 62 ist die rede von einem ..Widerspruch, den die
höfische miune in Nordfrankreich fand." S. 9 und 55 wird von 'nordfranzösischer
frauenverachtung' gesprochen. S. 72 wird behauptet, im norden habe juan die cortoisie
zur Voraussetzung und bedingung der minne gemacht, im Süden habe man jene als folge
von dieser aufgefasst. Auch diesen gegensatz hat erst verf. entdeckt (vgl. Peirol.
Bartsch, ehrest.'' 153. No s'eschai d'oii/e savai, li vcnga tan d'onors que d'amor
senta dolors.) Soviel ich die frz. trovedors kenne, sind sie unselbständige und oft platte
nachahmer der Provenzalen. Nur im epos, so im Erec und Yrain Crostiens, zeigen
sich abweichungen, gelegentlich ein leiser Widerspruch gegen die hohe minne der
troubadours, die im Laucelot ihren klassischen ausdruck gefunden hat.
Gegen "Wackernagel und Gaston Paris nimmt verf. nur geringe einwirkung des
nordfrz. minnesaugs auf den deutschen an (s. 3. 8. 30. 50. 55. 64. 86) besonders bei
Veldeke, Reinmar (?) und Walthor (?). AVichtiger war nach verf. die bekanntschaft mit
den franz. ritterepen (s. 117. 119 und sonst), in denen Schildes amt, um mit Wolfram
zu reden, vor minnesang ging. Ulrich von Liechtenstein setzt sich nicht das lob der
herrin zur aufgäbe, sondern ritterliche taten auf touruierfahrten besteht er der herrin
zu ehion. Die alte ritterliche lebensanschauung hat dem minne.sang des frauendienstes
1) Diese fragen und verwandtes hoffe ich i)ald in grösserem Zusammenhang
des nähen-n erörhMMi zu können.
31*
481 EHRISHIANK i''BF.I{ .TECHT, GÖRLITZRR HSS. DES SACHSENSPIEGELS
wol iniiiier als etwas fremdes einpfuiidea. Treffend liat Burdacli (Leben Walters I,
s. 12fgg.) geschildert, wie am Thüringer hofe Wolfram der ritter und AValtlier der
Sänger als Vertreter zweier verschiedener lebensauschauungen einander gegenübertraten.
Ein alter noch weit verbreiteter Irrtum, dem sich auch verf. anschliesst, will, dass
der rainnesang ritterliche dichtung sei. Das studium der texte zeigt aber, dass der
grossen mehrzahl der troubadours aller ritterliche geist fremd ist. Nur einige wenige
suchen das ältere lebensideal des rittertums mit dem jüngeren der hohen minne zu
vereinigen, indem sie die ritterscbaft in den dienst der herrin stellen. Dies ist aucii
die auffassung im höfischen epos geworden. (Ich habe davon in kürze gehandelt Zs.
f. franz. spr. 1902, s. 187 anm.)
S. 7 wird von Hausen gesagt, „er zählte im jähre 1186 höchstens 3.5 jähre,
war also für ein liebesverhältnis, wie es der miimesang voraussetzt, keineswegs zu
alt." Hier liricht die alte irrtümliche Vorstellung durch, als ob nur die Jugendzeit
eines Sängers die zeit seines minnesangs gewesen sein könne. Verf. vergisst, dass
der minnesang weit mehr beruf ssache war, als spontanes Selbstbekenntnis. Walther
und Reinmar versichern widerholt, dass sie in diesem beruf alt und grau geworden
seien. Hohes alter hinderte den sänger nicht an der ausübuug seiner kunst, wol
aber hat sich mancher, wie Hartmann und Walther, später von der weltlichen minne
zur himmlischen gewendet, um für sein Seelenheil nach dem tode zu sorgen.
Gutenburg in seinem leich vergleicht (MF. 76, 24) seine herrin mit der fronen
de la Roschi Mse. Verf. (anm. 104, s. 36. 79) bemerkt, nirgends diesen namen ge-
funden zu haben. Er steht in einer erweiterung des Prosatristan (L0seth, s. 266
unten): Dort kommt Saphar, bruder des Palamedes, nach Roche Bise und besiegt
dort Margot le roux, der ein fräulein bei sich im zeit zurückhält. Es darf vermutet
werden, dass in dieser aus dem 13. jh. stammenden kompilatiou vielleicht ein litter-
roman benutzt ist. den Gutenburg gekannt hat. — S. 46. wird eine inhaltlich wichtige
tenzone Bernhards von Ventadorn mit einem Peire besprochen, in dem man friiher
mit unrecht Peire d'Alvernhe sehen wollte. So auch noch verf. Zenker s. 2 — 3, 139
hat gezeigt, dass diese attributiou unbegründet war. S. 50, zeile 7 lies anm. 78. —
S. 78 unter der mitte lies: contral ven. — S. 104, zeile 8 lies: 129. — S. 110 mitte
ies: 137. — S. 102 oben hören wir von einer „psychologischen erklärung der verliebung,
die romanischer provenienz sein dürfte." Der lobenswerte eifer, mit dem sich die
gelehrte autorin in ihr thema versenkt hat, entschuldigt wol diesen interessanten
neologismus.
MARBURG A. L. EDUARD WErHSSLER.
tiber die in Görlitz vorhandenen Handschriften des Sachsenspiegels und ver-
wandter rechtsquellen. Von professor dr. R. Jecht. Aus den Veröffentlichungen
der Oberlausitzischen gesollschaft der Wissenschaften: Neues Lausitzisches magazin,
82. bd. 1906, s. 223 bis 264 und S. A. Mit 8 tafeln.
Die rechtsgeschichte von Görlitz kann schon von der entstehung der stadt an.
um das jähr 1200, beobachtet werden. Wie die meisten städte der Lausitz und
Schlesiens war auch Görlitz mit dem rechte von Magdeburg bewidmet. Noch heut-
zutage ist uns eine fortlaufende reihe von quellen erhalten, welche die entwicklung
ihrer rechtsverhältnisse verfolgen lassen, und es ist ein dankenswertes unternehmen
J(*clits, dieselben zusammengestellt zu haben. Im ganzen sind sechzehn stücke beschrie-
ben, davon zwei, deren originale verloren gingen, nur noch in abdrucken vorlianden,
KIIinsMANN ÜliKH KKGBl.. VKÜBIiBlTUNCi II. Mlll). LITT. IN MITTKL- U. NIKDF.K-nKUTSCIIl.AM) 185
(1. Urkunde von loOo, III. rechtsstatut vou 1304), die orhalteiien grösstenteils im
(iörlitzcr ratsarehiv, einige auch in der bibliothek der Oberlausitzer gesellschaft der
Wissenschaften aufbewahrt sind. Die erhaltenen reciitsquellen sind: das stadtbuch,
angelegt im jähr 1305 (nr. II), das bekannte, von Homeyer herausgegebene Görlitzer
rechtsbuch (nr. IV, vom anfaug des 14. jhs.), die grosse handschrift des Sachsen-
spiegels (nr. V, ende des 14. jhs.). zwei spätere Sachsenspiegelhandsciiriften, von 1464
und 1470 (nr. XIII und XIV), Glosse und landrecht zum Sachsenspiegel (nr. XII,
zweiteu hälfte des 14. jhs.), eine hs. von Nikolaus Wurms Blume des Sachsenspiegels
(nr. VI, aus der mitte des 15. jhs.), die Blume von Magdeburg (nr. VII, einzige hs.,
um 1400); ausserdem ein Schlüssel des landrechts (nr. VIII, nntte des 15. jhs.), eine
Kegelsamnilung (nr. IX, 15. Jh.), Kircheiirocht und regelsammlung (nr. X, von 1465).
ein Schwabenspiegel (nr. XI, vou 1449), Schöppenrecht (nr. XV, mitte des 15. jhs.),
ixechtsbuch nach distiuctioneu (nr. XVI, abschrift einer hs. des 14. 15. jhs., aus dem
17. Jh.). — Von besonderer Wichtigkeit sind die bilderhandschriften (nr. V. VI. VII),
aus welchen auf den beigegebenen tafeln proben mitgeteilt sind. Die illustrationen
tragen den charakter der s[)äteren Sachsenspiegelmalerei, das heisst sie gehören zum
decorativen stil und sind in ihrer technik als buchschmuck auf künstlerische Wirkung
berechnet, während die bilder der älteren handschriften in ihrer einfachen aber deut-
lichen ausführung mit der ausdrucksvollen Symbolik und gebärdensprache den j)rak-
tischen zweck haben, den text zu erläutern (vgl. v. Amira, Die Dresdener bilder-
liaudschrift des Sachsenspiegels I, 1, 31 fgg.). Besonders die bilder der grossen Görlitzer
Sachsenspiegelhandschrift scheinen nach dem beispiel auf taf. I sehr farbenprächtig
■ zu sein.
HEIDELBERG. G. EHRISMANX.
Die Verbreitung der mittelhochdeutschen erzählenden litteratur in
Mittel- und Niederdeutschland, nachgewiesen auf grund von personen-
namen von Ernst Kegel. Halle. Max Niemeyer 1905. X, 140 s. 8". 4,.50 m.
Hermaea bd. III.
An der band der personennamen sucht der Verfasser die Verbreitung der mittel-
hochdeutschen höfischen epen im westlichen Niederdeutschland — bis etwa an die
Elbe — und in Böhmen nachzuweisen. Als muster lag ihm besondeis Panzers arbeit
•Personennamen aus dem höfischen epos in Baiorn' (Philol. Studien, festgabe für
Sievers, s. 205 — 220) vor. Die aus einer reichen histoi'ischen und philologischen
litteratur geschöpfte ausbeute ist nicht unbeträchtlich und zeigt, dass man an dem
romantischen spiel der ritterdichtung auch in Niederdeutschland gefallen fand, denn,
mochte diese auch dem innersten weseu dos sächsischen Stammes immer etwas fremdes
sein, so stammte sie doch aus Frankreich und aus dorn Oberdeutschen und gehörte
zur aristokratischen mode. Und so« scheint es in manchen gegenden. jedesfalls in
einzelnen familieu, geradezu mode gewesen zu sein, mit höfischen namen sich bezw.
seine kiuder zu schmücken. Denn zur ziermode gehören gewiss, wenigstens vom
14. jh. ab, diese feinen namen, von der ethischen bedeutung eines symbols (vgl. bes.
Heliand 216 fgg., und Kauffmanu, Baldor s. liiS; Kegel s. 4 fgg.), die in älterer
zeit und wol noch lauge beim volke dem namen beigelegt wurde, tragen sie nichts
mehr in sich. Der romantische klang war es, der bestach, wenn einer sein kind
Gramotlanz oder Lunete nannte.
Für die frage, wie weit die höfischen epen in den betrelVenden gebieten Ver-
breitung gefunden haben, können die einzelnen namen nur mit vorsieht benutzt
186 lU. MBYEK CB£K UTITZ, HEINSE
werden. Der Verfasser hat solche auch iu anerkennenswerter weise walten lassen, wie
denn seine ganze arbeit einen schätzenswerten beitiag für das gebiet der geographi-
schen namenkunde bietet. Und doch scheint er mir der beweiskraft der nanien noch
zu viel gewicht beigelegt zu haben. So fallen alle jene Parzifal und Tnstan weg (vgl.
übrigens s. 112), die schon familiennameu geworden sind, und auch sonst mag ohne
unmittelbaren eintluss der hochdeutschen dichtung ein höfischer nanie aus irgend-
einem andern gründe in einem bestimmten kreise beliebt worden sein ('tradition und
modc', Panzer a. a. o. s. 220). Besonders aber für genauere zeitliche und örtliche
bestiinmungen reicht das material nicht aus. Ganz schwach sind die beziehungen zu
Wolframs Willehalm: die Wilhelm, Renward, Alize hält der Verfasser selbst für
wenig brauchbar. Vivianus ist dadurch verdächtig, dass er schon 1186 und 1197 be-
legt ist (s. 91 fg., V. ist ein in romanischen länderu nicht selten belegter name) und
somit wird man auch auf eine örtliche Verbreitung des romans aus den erhaltenen
namen teine Schlüsse ziehen können. Dann auch l'arzival selbst: während in Böhmen
nur die formen mit a vorkommen, sind in iSTiederdeutschland die mit e, Pcrcevul,
Pcrseval, auch Perchecal u. a , häufiger. Nun hat zwar auch Berthold v. Holle
im Demantin 1207 Perxcval (s. 69 anm. 1), aber das e deutet doch entschieden auf
rumänischen bezw. niederländischen (vgl. ndl. Perchevael) Ursprung hin, so dass man
diesen, wie vielleicht auch andere fälle, doch nicht unbedingt für hochdeutschen ein-
tluss in anspruch nehmen darf. Im gegenteil, es scheint dies auf bekanntschaft mit
der französischen Artusdichtuug hinzuweisen. Und es ist auch gar nicht unwahr-
scheinlich , dass französische romane schon vor Hartmann an niederdeutschen höieu
gelesen ■«-urdeu. War doch Heinrichs des Löwen gemahlin die tochter der gefeierten"
gönnerin der poeten, Eleonore von Poitou.
HEIDELBERG. G. ElIKISMANN.
lltnil Utitz, dr., J. J. Wilhelm Heinse und die ästhetik zur zeit der dcut-
scbeu aufklärung. Eine problemgeschichtliche Studie. Halle a. S. 1906.
VI, 96 s. 2,60 m.
Utitz beklagt in der einleitung seiner abhandlung, dass Heinse in den ästheti-
schen werken unserer tage so v^^enig berücksichtiguug finde; ich fürchte, dass auch
Utitz' gewissenhafte arbeit daran wenig ändern wird. Wie im voraus zu erwarten
war, kommt nicht aUziiviel dabei heraus, wenn Heinse auf seine leistungeu iu der
theoretischen ästhetik durchforscht wird. Die ästhetische formulierung seiner au-
schauungen weicht nicht wesentlich ab von den ästhetischen theorien jener tage, wie
Utitz selbst darlegt. Heinses Verdienste liegen auf dem feld der angewandten ästhetik.
in seinem kämpf gegen den klassizismus zu gunsten einer freien natui'nachahmung
und einer im geist jedes volks begründeten nationalen kunst, in seiner Wertschätzung
der färbe gegenüber ihrer missachtung durch Wiukelmaun. in seinem einti'eten für
die berechtigung der landschaftsmalerei , in seiner erkenntnis von der bedeutung der
künstlerischen persönlichkeit für das kunstwerk und in seiner bewundernden aner-
kennung von Glucks reformatorischem wii'ken in der musik. Natürlich spricht Utitz
von alledem; aber da er lediglich die nackten theoretischen .sätze aus Hein.ses Schriften
aushebt und nirgends ausführt, welche praktische an Wendung land welche ausdehnung
Heinse diesen erkenntnissen im widerstreit mit den ästhetischen meinungen seiner zeit
gegeben hat, so erscheint Heinse für den leser von Utitz' schrift unbedeutender, als
er es in Wirklichkeit war. [Jnd dann, wie kann man Heinses ästhetik behandeln,
SCHMEDli« f LiEI! l.AUBE, KUH. IIILÜKIJIJANI) - U. M. MKVKK ÜHKK IIAU.SSMANN. IIKUDKl; 4S7
uiiuo das verbültuiö, in welchem bei iiiin seiiüuheit und Sittlichkeit steht, ausführ-
licher zu entwickeln"? Das wäre der punkt gewesen, an welchem der persönliche
Untergrund seiner ästhetischen Überzeugung zu tage getreten und an seiner auffassuug
der Schönheit auch das zur geltung gekommen wäre, was er mehr gefühlt, als in
klaren werten auszusprechen vermocht hat. Sucht man über diese wichtigste seite
seiner ästhetik, die freilich nicht mit einem einfachen citieren von ein paar Sätzen zu
erledigen gewesen wäre, bei dem Verfasser aufschluss, so lässt er uns vollständig im
stich. Mit der allgemeinen und in ihrer allgemeinheit zum mindesten schiefen be-
morkung, dass sich Heiuse und Schiller „in einem sehr wichtigen punkt. in dem
gedanken einer ästhetischen erziehuug der menschheit und im betonen der ethischen
Wirkung des schönen berühren-, ist nichts gesagt. Der arbeit fehlt, was ihren
krönenden abschluss hätte bilden sollen.
STUTTGART. THEODOR A. MEYKK.
Kudulf ilildebrand und seine schule. Ein beitrag zur geschichto des deutsch-
sprachlichen Unterrichts in der 2. hälfte des 19. Jahrhunderts. Von dr. pliil.
Riehard Laube. Leipzig, Brandstetter 1<)03. XV, 136 s.
Der Verfasser des vorliegenden buches hebt in den Vorbemerkungen selbst her-
vor, dass und warum er nicht den anspruch erhebe, sein thema erschöpft zu haben,
sondern dass seine abhandlung nach einer einführang in die lehre Hildebrands vom
deutschen Sprachunterricht lediglich die hauptströme des einüusses aufzeigen wolle,
den diese lehre geübt habe. So gibt denn der erste teil der schrift eine darstellung
der lehre Hiidebrands im umriss, gegen die ich nichts einzuwenden habe. Der viel
umfangreichere zweite teil handelt von Hildebrands einfluss auf den deutschen Unter-
richt. In wie weit der verf. mit dem recht liat, was er hier über die starke Wirkung
beibringt, die Hildebrands lehren auf den Unterricht in Volksschulen geübt haben,
kann ich nicht beurteilen. Das aber behaupte ich sehr entschieden, dass L. die be-
deutung dieser lehren für die gestaltung des deutschen Unterrichts an höheren schulen
allzu hoch anschlägt. Es geht ihm wie auch andern anhängcrn des Leipziger germa-
nisten. Hört man sie über dies thema reden , so sollte man glauben , es habe vor
Hildebrand überhaupt keinen anständigen deutschen Unterricht an gymnasien gegeben.
So liegt aber die Sache in Wirklichkeit doch nicht. Gewiss hat Hildebrand sehr an-
regend gewirkt, aber auch vor ihm hat es nicht an Ichrern des deutschen gefehlt, die
ihren Schülern etwas tüchtiges für das leben mitzugeben hatten. Dass die Über-
schätzung Hildebrands und die versuche dieses und jenes Jüngers, die winke und an-
reguugen des meisters zum .System zu gestalten, zu wunderlichen missbildungen aulass
gegeben haben, kann man, wie mir scheint, eben aus Laubes darstellung lernen.
FRANKFURT A. M. . •]. SCHMKDES.
•lotiaiiiies Haiissiiiaiin, Untersuchungen über spräche und stil des jungen
Herder. Leipzig, Fock 1907. XII, 114 s. 2,50 m.
Für die individuelle Stilbeschreibung hat sich bei der Jugendlichkeit dieser bc-
niühungen in Deutschland glücklicherweise noch kein Schema festgesetzt. So führt
IL denn auch Längins von ihm dankbar genannte, aber auch gelegentlich ln-riiii-
tigte arl)eit selbständig fort. Er hätte von einem der feinsten Stilbeobachter unserer
zeit, von A. Fries, noch manches li'rnen können; doch folilt dessen naine in)
litteraturverzeichnis.
■188 VERZEICHNIS DEK MITAKBEITEK UND IHKEK liEITKÄüE
Pie Untersuchung versteht es, wichtiges und unwichtiges, charakteristisches
und allgemeines zu. scheiden — das beste lob , das eine solche Studie sich verdienen
kann; die anordnuug dagegen könnte wol noch schärfer und übersichtlicher sein.
Aber einzelheiten wie die reflexive construction (s. 9) , der adjectivische gebrauch der
participia (s. 16 anm.), die Verwendung der noniina agentis (s. 20; H. sagt 'nomina
actoris'), die weglassung des artikels (s. 47), gallicismen (s. 15. 53) kommen gut
heraus. Die 'peremptorische form des Widerspruchs' (s. 63) mit ihrem vernichtenden
dilemma („menschen die inniges gefühl für die musik haben, ihr werdet meiner er-
fahrung beistimmen oder ihr seid garnicht zum gefühl derselben geschaffen'-) und die
discursortsche redeweise (s. 69) werden in ihrer psychologischen begründung aufgezeigt
und in dieser ,, Schreibart der gebärden und der reflexboweguugen " (s. 25) wird
Herders rhetorische lebhaftigkeit wie in der dürftigkeit seiner bilder (s. 29fg. 108 fg.)
sein undichterisches material gut beleuchtet.
BERLIN. KICUAKD M. MEYEi;.
VEKZEICHNIS
DER MITARBEITER UND IHRER BEITRÄGE IX BAND XXXI — XL DIESER ZEITSCHRIFT.
Althof, Herrn, (dr. prof. in AVeimar f): Zur Würdigung der Walthariushandschrifteu.
XXXII, 173.
Zum Waltharius. XXXIII, 349. 437.
Über das Verhältnis der innd. Übersetzung des Lippifloriums zu den verschiedeneu
lesarten der Originaldichtung. XXXIV, 1.
Über einige namen im AValtharius. XXXIV, 365.
Anzeige von: Fr. Norden, Le chant de Walther. XXXIIl, 540. — Franz
Linnig, Walther von Aquitanien. XXXIIl, 543.
Areiis, Eduard (dr. in Aachen): Anzeige von: V. E. Mourek, Zur syutax des ahd.
Tatian. XXXI, 135.
Bahder, Karl v. (dr. prof. in Leipzig): Anzeige von: Paul 0. Kern, Das starke
verb bei Grimmeishausen. XXXII, 106.
Beliasrhel, Otto (dr. prof. geh. hofrat in Giessen): Ich habe geschlafen. XXXIl. 64.
Zur flexiou des gotischen adjectivs. XXXVI, 236.
Berger, Arnold E. (dr. prof. in Darmstadt): Anzeige von: E. Thiele, Luthers sprich-
wörtersammlung. XXXV, 413. — M.Luther, Vermischte Schriften weltlichen
inhalts, hrg. von R. Neubauer. XXXV, 418.
Bei-nhardt, Ernst (dr. prof. in Erfurt r): Zum Willehalm Wolframs von Eschen-
bach. XXXII, 36.
Über (hi und ir bei . Wolf lam , Hartmaun und Gottfried und über tu und ms in
den entsprechenden altfranz. gedichteu. XXX, 368.
Beiträge zur mhd. syntax. XXXV, 145. 343.
Anzeige von: .lohanna M. N. Noordewier, Bijdrage tot de beordeeling vau
den Willehalm. XXXIV, 542.
Biese, Alfred (dr. prof. gymnasialdirector in Neuwied): Anzeige von: E. Elster,
Prinzipien der litteraturwissenschaft. XXXI, 237.
Binz, Gustav (dr. prof. stadtbibliothekar in Mainz): Ein Basler fastnachtspiel aus dem
15. jahrh. XXXII, 58.
Etymologien. XXXVIII, 369.
VERZEICHNIS nER MIT.UUiElTKi; IM) ini;l.K HKITI.'Äl.i; 489
Anzeige vuu: Fr. Seiler, Die ontwicklung der duutselien kultur im Spiegel des
deutschon lelinworts. XXXIV, 70. XXXIX, 517. — Erik Björkman,
Scandinavian loan-words ia Middlo EnglLsb. XXXV, 06. XXXVI ^ 502. —
A. J. Baruouw, Textkrit. Untersuchungen nach dem gebrauch des bestimmten
artikels und des schwachen adjcctivs in der altengl. poesie. XXXVI, 26Ö. —
H. S. Mac Gilli vry, The inlluence of christianity ou the vocabulary of Old-
English. XXXVI, 493. — M. Trautmann, Bonner beitrage zur anglistik,
9 — 11. XXXVI, 505. 548. — E. Krämer, Die altenglischen metra des
Boethius. XXXVI, 518. — Emily Howard Foley, The languago of the
gospel of S. Matthew. XXXVI, 521. — L. F. Anderson, The Anglosaxon
scop. XXXVll, 110.— M. Trautmaun, Finn und Hildebrand. XXXVII, .529.
Blcy, A. (dr. prof. in Gent): Zur entstehung der jüngeren lslendingab(Jk. XXXIl, 33Ü.
Hle\er. Jacob (dr. in Sopron): Zu Fischarts Flöhhaz, XXXIV, 132.
Kliimml, E. K. (in Wien): Die Schwelinsche liederhand-schrift. XL, 404.
Hoor, R. C. (dr. prof. in Amsterdam): Die handschriftliche Überlieferung der Grettis-
saga. XXXI, 40.
Kritische und exegetische bemerkuugeu su skaldenstro[)hen. XXXI, 1 11.
Wanderer und Seefahrer. XXXV, 1.
Sigrdrifumäl und HelreiS. XXXV, 289.
Über die quelle von c. 26 — 29 der Vglsunga saga. XXXV, 464.
Kritik der Voluspä. XXXVI, 289.
Untersuchungen über den Ursprung und die entwicklung der Nibelungcnsage.
XXXVll, 289. 438. XXXVIII, 39.
Untersuchungen über die Hildesage. XL, 1. 184. 292.
Anzeige von: H. Bertelsen, Om Didrik af Berns sagas opriudeligo skikkelse,
omarbejdelsc og händskrifter. XXXVll, 126.
BohiU'uberger, Karl (dr. prof. in Tübingen): Anzeige von: E.H.Meyer, Badisches
Volksleben im 19. jahrh. XXXVI, 279.
Bolte, Johannes (dr. prof. in Berlin): Die historia von Sancto. XXXII, 349.
Anzeige von: Konr. Richter, Der deutsche S.Christoph. XXXIII, 269.
Braun, W. (director in Mailand): Die Mailänder blätter der Skeireins. XXXI, 429.
Brückner, Willi, (dr. prof. in Basel): Zur ütteneinteilung des Heliand. XXXV, .533.
Anzeige von: Alfr. Schacr, Die altdeutschen fechter und spielleute. XXXV, 125.
Briihn, Ewald (dr. gymnasialdirector in Frankfurt a. M.): Anzeige von: Paul
Knauth, Goethes spräche und stil im alter. XXXI, 413. — H. G. Graf,
Goethe über seine dichtungen. XXXV, 127.
Bruinicr, J. W. (dr. in Anklam): Untersuchungen zur entwicklungsgeschichto des
vMikssohauspiels von dr. Faust. XXXI, 60. 194.
Buclihol/., Richard (dr. in Altena): Zur strophenfulge in Ezzos gesaug von den
wundern Christi. XXXIU, 141.
Buc^ge, Soplius (dr. prof. iu Christiania j): Das runendeukmal von Britsum in Fries-
land. XL, 171.
Uiirdach, K(»iirad (dr. jjnjf. in Berlin): Zu Zsciir. 30, 5.58fg. XXXII, 139.
Bucrircl (■oodnin, II. K. H. (dr. lector in Upsala): Die Zeitschrift für schwedische
mundarten und Volkskunde. XXXVll, 399.
ricuien, Otto (dr. lic. in Zwickau): Anzeige von: Huldr. Zwingli, Von freiheit der
spei-sen, hrg. von 0. Walther; Job. Vogelgesang (Cochlaeus), Ein
-188
VEr;ZKiaiMs uki;
II IHKEK llUTRAüE
Die uiitersuchuiig verste' ' und unwichtiges, charakteristisches
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heraus. Die 'peremptorische f <•* '»3) mit ihrem vernichtende
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Anc«ige von: Paal O. Ket
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DEi; MITAKBKITKK UM» lHHEIi HEITlUE IX BAND XXXI — XI. DIK^EK ZEIT:
Althof, Herrn, (dr. prof. in Weimar r: Zur würdigang der Walthariushand
XXXIT, 173.
Zum Waltharius. XXXIII, 3JH,
Über das Verhältnis der mnd. iit
lesarten der originaldich*-
Über einige uamen im AVa
Anzeige von: Fr. Norden, 1.
Linnig, Walther von Aijuit.ii
Areiis, Eduard (dr. in Aachen): Aitdge von: V
Tatian. XXXI, 135.
Bahder, Karl v. (dr. jirof. in Leips;]
verb bei Grimmeishausen. X X
Behajrhel, Otto (dr. prof. geh. Ii'f|
Zur flexion des gotischen a;
Berger, Arnold E. (dr. prof. in Imi'
Wörtersammlung. XXXV, 11
Inhalts, hrg. von K. Neuba
Bernhardt, Ernst (dr. pi r in V
bach. XXXII, 3(5.
Über du und ir bei Woina:;:, jiitinaiiii u
den entsprechenden altfrauz. -sdichten.
Beiträge zur mhd. syntax. XXJ, 145. 343.
Anzeige von: .lohanua M. N. v nr.t ,) .. «jer,
den Willehalm. XXXIV, 51
Biese, Alfred (dr. prof. gj-jni:
Prinzipien der litteratur,. a.x
Binz, Gustav (dr. prof. stadtbibiiotkar in Mainz;: Ein Basler
15. jahrh. XXXI 1, 58.
Etymologien. XXXVIII, :;(;i..
n): I-h hab.
XXVI, 2,
Wiü.K.-iIni W.,1l
1 UU'J l
Bijdi
VKHZKirii.Ms hki; mitaühkitku r.Mi iui;kic ükituam, IUI
zähk'udeu litteratur iu Mittel- uud Nicdordcutschlaud, iiacligcwiesoii auf gruiid
vuH personeiiuaincn. XL, 485.
Klliiijror, (Jeorg (dr. piof. in Berlin): Anzeige von: A. Eloessor, Die älteste Über-
setzung Molierescher lustspiele. XXXI, 558. — Alb. Köster, Der dichter der
Geharnschtcn Venus. XXXI, 559. — K. Borinski, Balthasar Gracian uud
die hoflitteratur iu Deutschland. XXXII, 128. — M. Kuben soll n. Griechische
epigramine und andere kleine dichtungen des lü. und 17. jahrhs. XXX 11, 129. —
Arvedc Barino, Növroses; E. T. A. Hoff manns musikal. Schriften hrg. von
H. vom Ende; E. T. A. Hoffmanus sänitl. werke hrg. von E. Griesebach.
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des Demustbenes. XXXVIIl, 262. — Erich Urban, Owonus und die deut-
schen epigraniniatiker des 17. jahrhs.: Rieh. Levy, Martial vuid die deutsche
epigraniniatik des 17. jahrhs. XXXVIII, 282. — l'hil. v. Zeson, Asiatische
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Gellerts älteste fabeln; .lohs. Cuym, Gellerts lustspiele. XXXVIII, 372. —
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Eiifflert, Anton (dr. prof. in München): J. Eugerds Übersetzung von .1. Aurpachs
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Zu Fischarts bilderreimeu. XXXV, 534. XXXVI, 390. 487.
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Entmann, 3Iartin (dr. prof. in Strassburg j): Anzeige von: E. Martin und 11. Licn-
hart, Wörterbuch der elsässischen mundarten. XXXV, 421.
Euling-. Karl (dr. iu Königsberg i. Pr.): Zu Johann Oldekop. XXXV, 80.
Fehse. AVilh. (dr. in Burg): Der oberdeutsche vierzeilige totentanztext. XL, ()7.
Fester, ßicliard (dr. prof. in Halle): Anzeige von: H. Düntzer, Goethe, Karl
August und Ottokar Lorenz. XXXIII , 498.
Fisclier, Herrn, v. (dr. prof. in Tübingen): Zu Z.schr. 31,421. XXXU, 142.
Zu Zschr. 40,237. XL, 373.
Anzeige von: Ernst Müller, Regesten zu Schillers leben und werken. XXXIV, 84.
Föi*ster, Max (dr. prof. in Würzburg): Anzeige von: B. teu Bi'ink, Geschichte der
englischen litteratur I- (hrg. von A. B ran dl). XXXII, 402,
Franck, Johannes (dr. prof. in Bonn): Anzeige von: ll.J. E. Endei»ols, Het deco-
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XXXVII, 283. — P. H. van Moerkerken, De satire in de nederlandsche
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Franz. Willi, (dr. prof. in Tübingen): Anzeige von: F. Reeder, Die länülie bei den
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Friedrich, W. (dr. prof. in Darmstadt): Die tlexion des hauptworts iu den heutigen
deutschen mundarten. XXXU, 484. XXXIII, 45.
(•ebhardt, Aug. (dr. prof. in Erlangen): Ein angoblich gotisches aiphabet. XXXII, 504.
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tillegnade Adolf Noreen. XXXVil, 275. — U. .losperson, Lehrbuch der
|)honetik; ders., Phonetische grundfragon. XXXVIII, 4<i7. — Kristni saga etc.
ed. n. Kahle. XL, 4G7..
492 VKKZEKIIMS DEH MITAURKITER TM) IIIKK.I; KEITKÄGK
Geiger, Emil (dr. in Wobion, Äargau): Bericht über die Verhandlungen der germa-
nistischen section der 40. Versammlung deutscher philologca und sciuilmänner
zu T3asel. XL, 93.
(icigt'r, Ludw. (dr. prof. in Berlin): Just. Kerners briefwechsel mit Varnhagen von
Ense. XXXI, 371.
Zu Goethes Clavigo. XXXII, 14],
Litterarische nachlese zum Goethetage. XXXII, 404. 537.
Anzeige von: Th. Kern er und E. Müller, Just. Kerners briefwechsel jnit seinen
freunden. XXXI, 2.51.
fiering, Hugo (dr. prof. geh. regieruug.srat in Kiel): Notiz (zu Vokmdarkv. JÜ^.
XXXL 427.
Zum Clermonter runenkästchen. XXXIII, 140.
Zu Zschr. 33. 140. XXXIII, 287.
Zur altsächsischen Genesis. XXXIII, 433.
Zu HovaniQl str. 100. XXXIV, 133.
Die rhythmik der IjöSahättr. XXXIV, 102. 4.04. XXXV, 420.
Nene Schriften zur runenkunde (L. AVimmer, De danske runomindesm?crker;
ders., S0nderjyllands runemindesmsorker; S. Bugge, Norges indskrifter med
de seldre runer; ders., Norges indskrifter med de yngre runer; Sv. Söderberg,
Ölands ruoinskrifter; G. Stephens, The oldnorthern runic monumeuts IV).
XXXVIII. 124.
Zu den Hugsvinnsmäl. XXXIX, 238.
Zu dem Bornholniischen runensteine von Vester-Marie Vi. XL, 218.
Anzeige von: F. Holthausen, Die altenglischen Waldere-bruchstücke. XXXIII,
139. — E. D. Schönfeld, Der isländische bauernhof und sein betrieb zur
sagazeit. XXXVI, 286. — Paul Herrmann, Island in Vergangenheit und
gegenwart. XL, 374.
Golther, Wolfgaug (dr. prof. in Rostock): Wilhelm Hertz. XXXIV, 396.
Konrad Maurer. XXXV, 59.
Briefe von Wilhelm und Jacob Grimm. XXXIX, 227.
Anzeige von: A. F. Schönbach, Die anfange des deutschen minnesangs. XXXI,
510. — E. Stilgcbauer, Geschichte des minnesangs. XXXT, 512.— E. Lemcke.
Textkritische Untersuchungen zu den liedern Heinrichs von Morungen. XXXI,
513. — 0. Rössner, Untersuchungen zu Heinrich von Morungen. XXXI,
513. — R. Tombo, Ossian in Germany. XXXV, 285. — K. Burdach,
Walther von der Vogehveide I. XXXV, 567. — H. Altliof, Das Walthari-
lied Ekkehards I. von S. Gallen. XXXVIII, 421.
('Omlmult, W. F. (dr. in Amsterdam): Die fränkischen psalmenfragmente. XXXVlf, 2!>.
(wottlicb, Theod. (dr. in Wien): Zimmernsche handschriften in Wien. XXXI, 303.
(iötze, Alfr. (dr. privatdocent in Freiburg i. Br.): Ein sendbrief Eberlins von Güuz-
burg. XXXVI, 145.
Urban Rhegius als Satiriker. XXXVII, 6(5.
.Vom pfründmarkt der curtisanen. XXXVII, 193.
(ioetze, Edm. (dr. prof. hofrat in Dresden): Zu Goedekes Grundriss II, 335. XXXI, 483.
Grienberger , Theod. v. (dr. piof. in Czernowitz): Zu den Merseburger Zaubersprüchen.
XXXI, 139.
Neue beitrage zur runenlohro. XXXII, 289. XXXIX, .50.
Die inschrift der spange von Balingen. XL, 257.
VER7,EirilXI>< PER MITARBEITER ÜNP IHRER BEITRÄGE 493
Anzeige vou: E. Wadstein, The Clerinout, lunio casket; ders., Et engelskt foruminne
frän 700-talot; Ä.S. Xapier, The Franks casket; "W. ViT-tor, Das ags. runon-
kästchen von Auzon. XXX II I, 409. — S. Bugge, Schriften zur runenkunde.
XXXIII, 561.— W. Meyer-Lübke, Romanische nanienstudien. XXXVII, 541.
lljisrcii. Paul (dr. in Lübeck): Wolfram und Kiot. XXXVIII, 1. 198.
Ilash.-itreu, .lustus (dr. privatdocent in Bonn): Anzeige von: Friedrich der grosse.
De la litterature allcmaude, hrg. von L. Geiger; Justus Moser, Über die
deutsche spräche und litteratur, hrg. von C. Schüddekopf. XXXV, 259.
llaufTen, Adolf (dr. prof. in Prag): Zu den reimdichtungen des Johannes Nas.
XXXVI, 154. 445.
Anzeige von: Gurt Blanckenburg. Studien über die spräche Abrahams a S. Clara.
XXXIII, 267. — Eob. Petsch, Neue beitrage zur kenntnis des volksrätseis.
XXXIV, 89. — Job. Schwarzenberg, Das büchleiu vom zutrinken, hrg.
von W. Scheel; Joh. Fischart, Das glückhafte schiff von Zürich, hrg. von
G. Baesecke. XXXV, 553. — K. Hedicke, Caspar Scheits Frölich hcim-
fart. XXXVIII, 263.
II«'riu'r, Jose|>]i (kaplan in Eom): Die Ochsenfurter fragmente der Alexandreis des
Ulricli von Eschenbaeh. XXXVII, 348. XXXVIII, 298.
Helm, Karl (dr. prof. in Giessen): Die entstehungszoit von AVolframs Titurol.
XXXV, 196.
Hoyinaim, James (dr. in Berlin): Über causalen ausdruck in Minnesangs frühlinc-.
XXXV, 380.
Hirt, Herrn, (dr. prof. in Leipzig): Anzeige von: "Wilh. Luft, Studien zu den ältesten
germanischen alphabeton. XXXI, 419. — R. Meringer, Etymologien zum
geflochtenen haus. XXXI, 504. — Rieh. Löwe, Die ethnische und sprach-
liche gliederung der Germanen. XXXII, .502. — N. van Wijk, Der nominale
genetiv sing, im indogermanischen in seinem Verhältnis zum nominativ. XXXVII,
261. — Joh. Steyrer, Der Ursprung und das Wachstum der spräche indo-
germanischer Eiu-opäer; B. Delbrück. Einleitung in das Studium der indo-
germanischen sprachen'. XXXVIII, 405.
Holstein, Hugo (dr. prof. geh. regierungsrat in Halle f): Anzeige von: Joh. Hübner,
Christliche comoedia ed. Fr. Brachmann. XXXII, 556. — Joannes Nicolai
Secundus, Basia ed. G. Ellinger. XXXII, 381. — Georg. Macropedius,
Rebelles und Aluta ed. J. Bolte. XXXII, 380. — Helius Eobanus Hesse,
Noriberga illustrata ed. Jos. Neff. XXXII, .379. — - G. C. Knod, Deutsche
Studenten in Bologna. XXXII, 376. — Lippiflorium ed. li. Althof. XXXIII.
265. — K. Blüm lein. Die Floia und andere maccaroniscbe gedichte. XXXII I,
266. — Frid. Dedekindus, Grobianus ed. AI. Bömer. XXXVI. 567. —
Veterator und Advocatus ed. Joh. Bolte. XXXA'I, 568.
Holthauseii, Fcrd. (dr. prof. in Kiel): Zum ahd. Heinrichsliode. XXXV, 89. XXXV 1,
4S:!.
Zu den altmittel- und altniedcrfränkischen denkmälern. XXXVI, 482.
Zur quelle von Oynewulfs Elene. XXXVH, 1—19.
Beiträge zur crklärung des altenglischen epos (zum Beowulf- und Fiunsburgfragm.).
XXXVIL 113.
Zwei segen. XXXVIII, 306.
•Iiieobs, Ed. (dr. archivrat in Wernigerode): Ein altdeut.scher neujalirswinis'-h mit .Inr
ursprünglichen singweiso. XXXII, 1.
■i94 VKKZKICHXIÄ OEK MITAKBEITKU UNI) IIIK'Elt BEITRÄGE
Jaekel, Hu^'o (in Breslau): Zur iriesischen volksepik. XXXVII, 433.
Die altfriesischen verse vom hüte des abba. XXXIX, 1.
Anzeige von: W. Heuser, Altfriesisches lesebuch. XXXVIII, 250.
Jakob, Theod. (di-. prof. in Döbeln): Über das genus des part. praet. XXXI, 3.ö9.
Jaiit/en, Herrn, (dr. director der Köuigin Luise -Schule in Königsberg i. Pr.): I'ntei-
suchungen über die Kreuzfahrt Ludwigs des frommen. XXXVI, 1.
Anzeige von Carl Behrens, Christ. Dietr. Grabbe. XXXVII, 429.
Jellinek, Max Herrn, (dr. prof. in Wien): Zu Wulfila (Luc. 1, 10). XXXL 138.
Theobald Hocks spräche und heimat XXXIII, 84.
Zu Theobald Hock. XXXIV, 413.
Richard Heinzel. XXXVII, 506.
Anzeige von: George Hempl, German orthography and phouology. XXXI, 231.
— Theob. Hock, Schönes blumenfeld hrg. von M. Koch. XXXII, 392. —
F. Holthausen, Altsächsisches elementarbnch. XXXII, 520. — Alb. Polzin,
Studien zur geschichte des deminutivums im deutschen. XXXV, 140. —
Justus Georg Schottelins, Friedens sieg hrg. von Koldewey. XXXV, 141.
— W. Brückner, Der Helianddichter ein laie. XXXVI, 535. — Heliand
nebst den bruchstücken der altsächs. Genesis, hrg. von M. Heyne. XXX VIII,
41G. — Klara Hechtenberg, Fremdwörter des 17. jahrhs. XXXVIII, 543.
Jellin^haiis, Herni. (dr. progymn. - diioktor a. d. in Osnabrück): Anzeige von:
W. G. Searle, Ouomasticon Anglosaxonicum. XXXI, 556.
.Mriezek, Otto Liutpold (dr. prof. in Münster): Erklärung. XXXII, 566.
Anzeige von: Jak. Jakobsen, Det norr0ne sprog pä Shetland; drs., The dialect
and place names of Shetland. XXXI, 402. — E. H. Meyer, Deutsche Volks-
kunde. XXXI, .502. — Flöres saga ed. E. K öl hing; Ivens saga ed. E. Kölbing.
XXXII, 259.
Johansson, K. F. (dr. prof. in Upsala): Über altisl. eW/-, ags. /-ded 'feuer' usw.
XXXI, 285.
Jönsson, Finnur (dr. prof. in Kopenhagen): Anzeige von: Konr. Gislason, Efterladte
skrifter. XXXI, 407. — K. Mortensen, Studier over asldre dansk versbygning.
XXXIV, 96. — F. Detter und ß. Heinzel, Sfemundar Edda. XXXVI, 254.
R. Meissner, Die Strengleikar. XXXVI, 258.
Kahle, Bernh. (dr. prof. in Heidelberg): Zu Sigrdrifmntil 11. XXXVIII, 515.
Anzeige von: A. Heusler und W. Rani seh, Eddica minora. XXX VI, .521. —
Alex. Bugge, Die wikinger. XL, 109.
Kamniel, Willibald (dr. in Prag): Modusgebrauch im mhd. XXX VI, 86.
Zur Überlieferung zweier Heliandstellen. XXXVIII, 514.
Kanllnmnn, Friedr. (dr. prof. in Kiel): Germani. Eine erläuterung zu Tacitus Germ,
c. 2. XXXI, 1.
Zur geschichte der Sigfridsage. XXXI, 5.
Ein gotischer göttername? XXXI, 138.
Beiträge zur quellenkritik der gotischen bibelüborsetzung. XXXI, 178. XXXTI,
305. XXXV, 433.
Zur deutschen altertumskunde aus aulass des Opus iinperfectum. XXXI, 451.
XXXn, 464.
Hexe. XXXI, 497.
Das Kei'onische glo.ssar, seine Stellung in der geschichte der alul. oi-thographie.
XXXII, 14.5
VERZRICHXIS nEi; .MITARI^KITKK l'.Vn IIIUKH lü'.lTRÄOE 495
Dio jüugei", voriiehiiilich im Heliaml. XXXII, 250.
/'/:A^2///*AAOJi,' gotico. XXXIII, 1.
Muspilli. XXXIII. 5.
Citharoedus. XXXIV, 56U.
Zu »ioethes gesprächen. XXXV, 90.
Zur frage nach den quellen des Opus impei'fectum XXXV, 48.'?.
Ilansa. XXXVIII, 238.
Mercurius Cinibnanus. XXXVUI. 28!>.
Gotisch haij)im. XXX VIII, 433.
Zur frage nach der altersbestimmung der dialektgrenzeu unter liezugnalnne auf den
obergermanisch -raetischen limes des Römerreiches. XXXIX, 145.
Zur goschiehte des niedersächsischen bauernhauses. XXXIX, 282.
Hünen. XL, 276.
Angargathungi. XL, 286.
Studien zur altgermanischen volkstraciit. XL, 385.
Anzeige von: E. Siecke, Die urreligion der Indogermanen. XXXI, 137. —
Ulfilas hrg. von .M. Heine und F. Wrede''. XXXI, 90. — W. Streitberg,
Gotisches elementarbuch. XXXI, 96. — Sophus Müller, Nordische alter-
tumskunde XXXI, 386. XXXII, 72. — C. Kraus, Heinr. von Veldeke und
die mhd. dichtersprache. XXXII. 91. — 0. v. Friesen, Om de germanska
mediageminatorna med särskild häosyn tili de nordiska spräken XXXII, 255.
— 0. Bremer, Zur lautschrift; E. Maurmann, Grammatik der mundart von
Mühlheim a. d. Ruhr; 0. Heilig, Grammatik der ostfränki-schen mundart des
Taubergrundes. XXXII. 256. — 0. L. Jiriczek, Deutsche heldensagen.
XXXII, 371. — P. Piper, Die altsächsische bibeldichtung. XXXTI, 509. —
S. Singer, Die mhd. Schriftsprache. XXXIII, 123. — Frdr. Scholz, Ge-
schichte der deutschen Schriftsprache in Augsburg. XXXIII, 238. — J. Kohler,
Die Carolina und ihre Vorgängerinnen. XXXIII, 239. — Th. Siebs. Deutsche
bühnensprache. XXXIII, 240. — Hugo Hoffmann, Die .schlesische mundart.
XXXIII, 241.— K. Much, Der germanische himmelsgott. XXXIII, 248. —
A. Tille, Yule and christmas. XXXIII, 251. — E. Sievers, Studien zur
hebräischen raetrik. XXXIII, 485. — J. H. Gallee, Altsächsische Sprach-
denkmäler; E. Wadsteiu, Kleinere altsächsische Sprachdenkmäler. XXXIII,
495. — Rud. ßaier, Briefe aus der frühzeit der deutschen jthilologie an
G. F. Benecke. XXXIV, 400. — K. MüUenhoff, Deutsche altertumskunde. IV.
XXXIV, 405. — Fr. Kauffmann, Aus der schule des "NVulfila; ders., Haider.
XXXIV, 515. — Ad. Wuttke, Der deutsche volksaberglaube der gegenwart^
(big. von E. H. Meyer). XXXV, 90. — E. Hoffmaun-Krayer, Die Volks-
kunde als Wissenschaft. XXXV, 94. — Rieh. Andree, Braunschweigische
Volkskunde. XXXV, 95. — Paul Herrmann, Deutsche mythologie. XXXV,
101. — "Wilh. Meyer (aus Speyer), Der gelegenheitsdichter Venantius Fortu-
natus. XXXV, 124. — A. Olrik, Raguarok. XXXV, 402. — Frdr. Gotthelf.
Das deutsche altertum in den anschauungen des 16. und 17. jahrhs. XXXV,
407. — P. D. Chantepie de la Saussaye, The religion of the Teutons.
XXXVI, 133. — H. Osthoff, Etymologi.sche parerga. XXXVI, 395. —
Tlioologia deutsch ed. Frz. Pfeiffer. XXXVI, 412. — Albr. Dioterich,
L'bor wesen und ziele der Volkskunde; Heim. Usener, ('ber vergleichende
Sitten- und rechtsgeschichte; K. Rcuschel. Vdlkskundliclio streifzüge. XXXVI.
496 VKRZRICirNIS der MITARUKITEK tINl) IHRER BEITRÄGE
412. — E. Betlige, Ergebnisse und fortschritte der germauistischou Wissen-
schaft im, letzten vierteljahrhundert. XXXVI, 508. — 0. Beliaghel, Der
Heliand und die altsächs. Genesis. XXXVI, 517. — A. So ein, Mhd. namen-
buch. XXXVI, 531. — A. Engl er t. Die rhythmik Fischarts. XXXVI, 533.
— C. Kraus, Metrische Untersuchungen über Eeinbots Georg. XXXVI, 552. —
B. Salin, Die altgerinanische tierornamentik. XXX VII, 264. — K. Held-
niann. Die Rolandsbilder Deutschlands. XXXVIII, 278. — Jobs Hoops.
Waldbäume und kulturpflanzen im german. altertum. XXXVIII, 529. —
E. H. Meyer, Mythologie der Germanen. XXXVIII, 539. — Paul Herr-
mann, Nordische mythologie. XXXVIII, 545. — Andr. Heusler, Lied und
epos in germanischer Sagendichtung. XXXVIII, 546. — Wilh. Hertz, Ge-
sammelte abhandlungen , hrg. von Frdr. v. d. Leyen. XXXVIII, 548. —
W. Wundt, Völkerpsychologie II. XXXVIH, 558. — D. Detlefsen, Die
entdeckung des genn. nordens im altertum. XXXIX, 136. — 0. Scbrader,
Totenhochzeit. XXXIX, 138. — P. Drechsler, Sitte, brauch und Volks-
glaube in Schlesien. XXXIX, 139. — M. Cornelii Frontonis aliorumque
reliquiae quae codice Vaticano 5750 rescripto continentur. XXXIX, 238. —
Jos. Hampel, Altertümer des frühen mittelalters in Ungarn. XXXIX, 519.
— L. Wilser, Die Germanen; ders.. Die herkunft der Baiern. XL, 119. —
E. Martin, Der versbau der Heliand und der altsächs. Genesis. XL, 250. —
Julie Schlemm, "Wörterbuch zur Vorgeschichte. XL, 452. — Rob. Forrer,
Reallexikon der prähistorischen, klassischen und frühchristlichen altertümer.
XL, 455. — Alb. Kiekebusch, Der einfluss der römischen kultiir auf die
germanische im Spiegel der hügelgräber des Niederrheins. XL, 456. — A. Götze,
Gotische schnallen. XL, 459. — Rud. Henning, Der heim von Baldenheim.
XL, 464.
Kaweran, Gust. (dr. prof. ober-konsistorialrat in Berlin): Getan hette = r\\GbX da-
gewesen wäre. XXXII, 563.
Kettner, Emil (dr. prof. in Mühlhausen): Die einheit des Alphartliedes. XXXI, 24.
Das Verhältnis des Alphartliedes zu den gedichten von Wolfdietrich. XXXI, 327.
Zu den handschriftenverhältnissen des Nibelungenliedes. XXXIV, 311.
Anzeige von: W. Wilma uns. Der Untergang der Nibelungen in alter sage und
dichtung. XXXVI, 526.
Klin!>-Iiardt, Heriii. (dr. prof. in Rendsburg) : Anzeige von: A. Johannson, Phonetics
of the New High German language. XL, 243.
Killte, Friedr. (dr. prof. geh. hofrat in Freiburg i. Br,): Zur namenkunde* XXXI, 499.
Anzeige von: Mart. Luthers werke (krit. gesamtausgabe). XXXII, 387.
Knepper, Jos. (dr. in Bitsch, Lothr. f): Eine alte Verdeutschung lateinischer Sprich-
wörter. XXXVI, 128. 387.
Kock, E. Albin (dr. prof. in Lund): Zur Chronologie der gotischen brechung. XXXIV, 45.
Köhler, Waltlier (dr. prof. in Giessen): Anzeige von: Thomas Murner, An den
adel deutscher nation, hrg. von E, Voss. XXXII, 100. — E. Kück, Die
Schriften Hartmuths von Cronberg. XXXII, 103. — Rud. Wolkan, Die lieder
der Wiedertäufer. XXXVIII, 270.
König, Haus (dr. in Hecklingen): Pamphilus Gengenbach als Verfasser der Toten-
fresser und der Novella. XXXVII, 40. 207.
Kopp, Arthur (dr. prof. bibliothekar in Berlin): Das akrostichon als kritisches hilfs-
mittel. XXXII, 212.
VERZEICHNIS DER .MITARHEITER UNI) IHRER BEITRÄGE^ 497
Noch einige akrosticha. XXXllI, 282.
Die liederhandschrift vom jähre 156S (Berlin Mgf. 752). XXXV, 507.
Die Darmstädtor handschrift nr. 1213. XXXVII, .^.09.
Ein liederbuch aus dorn jähre 1650 (Berlin L. impr. 8°. 246). XXXIX, 208.
Bibliographi.sches zu .Job. Chr. Günthers gedichteu. XXXIX, 225.
Koppitz, Alfr, (dr. in Wien): Gotische Wortstellung. XXXII, 433. XXXIII, 7.
Kraus, Carl v. (dr. prof. in Prag): Anzeige von: M. Enneccerus, Die ältesten
deutschen Sprachdenkmäler. XXXI, 555.
Krauss, Rud. (dr. arcbivrat in Stuttgart): Anzeige von: Ludw. Uhlands gediohte
hsg. von E. Schmidt und Jul. Hartmann. XXXII, 113.
Kruinin, Herin. (prof. in Kiel): Zur neuesten Ilehhel-litteratur (Arno Scheuert,
Der pantragismus als System der Weltanschauung und ästhetik Fr. Hebbels;
Franz Zinkernagel, Die grundlagen der Ilebbelschen tragödie; E. A. Georgy,
Die tragödie Fr. Hebbels nach ihrem ideengehalt). XL, 434.
Anzeige von: Fr. Hebbels sämtl. werke, hrg. von R. M. Werner. XXXIII,
256. XXXVI, 244. XXXVII, 561. — A. Fries, Vergleichende Studien zu
Hebbels fragmenten. XL, 220.
KüliI, (iust. (dr. in Berlin f): Anzeige von: Rieb. Heinzel, Beschreibung des geist-
lichen Schauspiels im deutschen mittelalter. XXXII, 382.
Landau, Marcus (dr. in Wien): Anzeige von: Jak. Gerzon, Die jüdisch - deutsche
spräche; L. Sainean, Essai sur le judeo-alleniand. XXXVI, 262.
Lehmann, Karl (dr. prof. in Rostock): Sachsenspiegel I, 35 und das altnordische
Schatzregal. XXXIX, 273.
Leitzmann, Alb. (dr. prof. in Jena): Bemerkungen zu Kisteners Jakobsbrüdern. XXXII,
422. 557.
Antwort. XXXVI, 570.
Anzeige von: Alb. Nolte, Der eingang des Parzival. XXXV, 129. — Wolframs
von Eschenbach Parzival und Titurel, hrg. von E. Martin. XXXV, 237.
XXXVI, 427. — Ant. Beck, Die Amberger Parzivalfragmente und ihre
Berliner und Aspersdorfer ergänzungen. XXXV, 244. — K. Ph. Moritz,
Reisen eines Deutschen in England, hrg. von 0. zur Linde. XXXVI, 423.
von der Leyen, Friedr. (dr. prof. in München): Über einige bisher unbekannte latei-
nische fassungen von predigten des meisters Eckehart. XXXVIII, 177. 334.
Liliencron, Rochus freiherr v. (dr. wirkl. geheimrat in Berlin): Zum altdeutschen
neujahrswunsch. XXXII, 287.
Loewe, Rieh. (dr. docent in Berlin): Richard Bethge. XXXVI, 116.
Lücke , Wilh. (dr. in Burg) : Bericht über die Verhandlungen der germ. section der 47. Ver-
sammlung deutscher Philologen und schuLmänner in Halle a. S. XXXVI, 119.
Anzeige von: A.Götze, Die hochdeutschen drucker der reformationszeit. XL, 122.
Lundiu.s, Bernh. (dr. in Hambiti-g): Deutsche vagantenlieder in den Carminu Burana.
XXXIX, 330.
Macliule, Paul (dr. prof. realgymnasial -director in Forst): Zur einleitung des Gregorius
Hartmanns von Aue. XXXII, 192.
Zu Piccolomini v. 197. XXXIIl, 280.
llartmanns kreuzlieder und MF 206, 10 — 19. XXXV, 396.
Marold, Karl (dr. prof. in Königsberg i. Pr.): Oskar Schade. XXXIX, 493.
Anzeige von: F. Piquet, L'originalito de Gottfried de Strasbourg daus son potiuie
de Tristan et Isolde. XL, 377.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHII.OLOOIK. BD. XL. 32
498 VKKZKICIINIS DEK WITAKBEITER UND IHKER BEITRÄGE
3Iartiii, Ernst (di'. prof. In Strassburg) : Erwiderang. XXXV, 242. XXXVl, 569.
Matthias, Ernst (dr. iirof. in Burg f): Deiitsclies Wörterbuch der briider Grimm.
XXXVI , 233.
Matz, Elsa (dr. in laerlin - Schöueberg): Anzeige von: Wilh. Stümbke, Das
scliniückende beiwort in Otfrids Evangelienbuch. XXXVIII. 417.
Manrer, Konr. v. (dr. prof. geh. rat in München f): Anzeige von: Gnll-T'oris saga
ed. Kr. Kälund. XXXI, 505.
Mayer, Chr. A. (dr. in Brühl): Über das lied vom hürnen Seyfrid. XXXV, 47. 204.
Meier, John (dr. prof. in Basel): Anzeige von: Paul Hörn, Die deutsche soldaten-
sprache. XXXII, 115. — Fr. M. Böhnie, Deutsches kiuderlied und kinderspiel.
XXXIII, 274. — Gertrud Züricher, Kinderlied und kinderspiel im kanton
Bern. XXXIV, 110. — A. Tobler, Das Volkslied im Appenzeller lande.
XXXVIII, 544.
Mensiug, Otto (dr. privatdocent in Kiel): Beiträge zur niederdeutschen syntax.
XXXIV, 505.
Anzeige von: Ad. Meyer, Formenlehre und syntax des französischen und deutschen
tätigkeitswortes. XXXI, 234. — 0. Behaghel, Die syntax des Heliand.
XXXII, 77. — M. Evers, Deutsche sprach- und litteraturgeschichte im ab-
riss. XXXII, 123. — P. Wessel, Mhd. lesehuch; ders., Geschichte der
deutschen dichtung; Heliand übersetzt und erläutert von .1, Seiler. XXXIV,
63. — 0. Behaghel, Der gebrauch der Zeitformen im konjuktivischen neben-
satz des deutschen. XXXV, 224. — Th. Vernaleken, Deutsche sprachrichtig-
keiten und Spracherkenntnisse; L. Sütterlin, Die deutsche spräche der gegen-
wart. XXXVI, 139. — C. Fr. Müller, Der Mecklenburger volksmund in
Fritz Reuters Schriften; ders.. Zur spräche Fritz Reuters. XXXVI, 415. —
0. AVeise, Syntax der Altenburger mundart. XXXVI, 499. — Starr W.
Cutting, The modern German relatives das and /ras in clauses dependant
upon substantivized adjectives. XXXVI, 501.
Meyer, Rieh. M. (dr. prof. in Berlin): Über den begriff des wunders in der Edda.
XXXI, 315.
Eine oceanische Velundarkvißa. XXXII. 137.
Ikonische uiythen. XXXVIII, 166.
Helmbrecht und seine haube. XL, 421.
Anzeige von: AI. Ehrenfeld, Studien zur theorie des reims. XXXI, 235. —
Ad. Bartels, Die deutsche dichtung der gegenwart. XXXIl, 111. — Fest-
schrift des Freien deutschen hochstifts zu Goethes 150. geburtstagsfeier. XXXII,
126. — Br. Liebich, Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen spräche.
XXXII, 413. — Rob. F. Arnold, Geschichte der deutschen Polenlitteratur.
XXXIII, 279. — Alb. Waag, Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes.
XXXIV, 88. — Ewald A. Boucke, "Wort und bedeutung in Goethes spräche.
XXXIV, 112. — W, Deetjen, Immermanns Kaiser Friedrich der zweite.
XXXIV, 411. — P. Nerrlich, Jean Pauls briefwechsel mit seiner frau und
Christ. Otto. XXXV, 565. — B. Patzak, Hebbels e])igranime. XXXV, 570.
— A. K. T. Tielo, Die dichtungen des grafen Moritz v. Strachwitz. XXXVI,
135. — R. Unger, Platen in seinem Verhältnis zu Goethe. XXXVI, 414. —
G. Dehlinger, Deutsche scherflein zum Sprachschatze. XXXVI, 498. —
Festgabe für die 13. hauptversammlung des Allg. deutschen Sprachvereins zu
Breslau. XXXVI, 430. — Fi-, AVeidling. Drei deutsche Psychedichtungen.
VKKZyirUNlS DKIC MITA UliKlTKl; UNIl IIIKKK 1JK1TKAC4K 499
XXXVI, 430. — F. Melchior, Heines Verhältnis zu Byron. XXXVI, 430.
— Emma Graf, Rahel Varnbagen und die romantik. XXXVI, 422. — Tienri
Schoen, Le theutre Alsacieu. XXXVI, 534. — W. Pfeiffer, Über Fouques
Undine. XXXVI, 564. — A. Kost er, Der brief Wechsel zwischen Th. Storni
und G. Keller. XXXVI, 564. — H. Stiimcko, Hohenzollernfürsten im drania.
XXXVI, 566. — A. Fries, Plateaforschungen. XXXVII, 272. — K. Marbe,
Über den rhythmus der prosa. XXXVII, 282. — J. Czerny, Hippel und
Jean Paul. XXXVII, 28G. — P. Landau, K. v. Holteis romane. XXXVII,
430. — Fr. M. Kirch eisen. Die geschichte des litterar. porträts. XXXVII,
540. — AV. Deetjen, Immermanns Jugenddramen. XXXVIII, 286. —
B. R. Abeken, Goethe in meinem leben. XXXVIII, 374. — John Brinck-
manns nachla.ss, hrg. von A. Römer. XXXVIII, 381. — H. Win ekler.
Die Weltanschauung des alten Orients; A. Wünsche, Die sagen vom lebens-
wasser. XXXVIII, 396. — A. W. Fischer, Über die volkstümlichen elemente
in Heines dichtungen. XXXVIII, 404. — H. Tardel, Der arme Heinrich in
der neueren dichtung. XXXVIII, 557. — Fr. Strich, Franz Grillparzers
ästhetik. XXXVIII, 568. — R. Pissiu, Otto Heinr. graf v. Loebeu, sein leben
und seine werke; Gedichte von Otto graf v. Loeben, hrg. von R. Pissin.
XXXVni, 569. — A. Bielschowsky, Friederike und Lili. XXX VIH, 570.
— W. A. Braun, Types of weitschmerz in German poetiy. XXXIX, 100. —
H. W. Thayer, Laur. Sterne in Germany. XXXIX, 142. — E. Kayka,
Kleist und die romantik. XL, 125. — Helene Herrmanü, Studien zu Heines
Romanzero. XL, 254. — Joh. Haussmann, Untersuchungen über spräche
und Stil des jungen Herder. XL, 487.
Meyer, Th. A. (dr. prof. in Stuttgart): Anzeige von: Hub. Roetteken, Poetik.
XXXV, 562. — L. Goldstein, Moses Mendelssohn und die deutsche ästhetik.
XXXVII. 527. — K. Zwymann, Ästhetik der lyrik. XXXVUI, 261. —
W. Dilthey, Das erlebnis und die dichtung. XL, 240. — Emil Utitz,
"Wilh. lleinsc und die ästhetik zur zeit der deutsclien aufklärung. XL, 496.
Moser, Virgil (dr. in München): Der angebliche »-abfall im bayrischen. XL, 356.
Michels, Viotor (dr. prof. in Jena): Anzeige von: Herrn. Paul, Deutsches Wörter-
buch. XXXI, 280. — Alois Walde, Die german. auslautgesetze. XXXIV, 114.
Müller, C. Fr. (dr. prof. in Kiel): Anzeige von: Reuters werke, hrg. von Wilh.
Seelmann. XXXIX, 241.
Xebert, Reinh. (dr. in Naumburg): Untersuchungen über die entstehuugszeit und
den dialekt der predigten des Nikolaus von Strassburg. XXXIII, 456.
Die Heidelberger handschrift 641 und die S. Florianer handschrift XI 284 der
predigten des Nikolaus von Strassburg. XXX IV, 13.
Eine alemannische fronleichnapispredigt. XXXIV, 50.
Eine mhd. Übersetzung des Lebens der väter. XXXV, 371.
Xeckel, Gust. (dr. in Breslau): Zur V^lsunga saga und den Eddaliodern der lü<.ke.
XXXVn, 19.
Zu den Eddaliedern der lücke. XXX IX, 293.
Zu Zschr. .39, 293 ff. XL, 290.
Zu Zschr. 39, 308 fg. 322 fg. XL, 372.
Anzeige vun: M. Nygaard, Norron syntax. XL, 472.
Nestle, Eberh, (dr. [iiof. in MaidbronnV. Ein angeblidi gotisches aiphalx't von 1539.
XXXI I. 140.
:V2'
500 VKRZEICHNIS DER MITARBEITER UND IHRER BEITRÄ&E
OWeuberg', Herrn, (dr. prof. iu GöttiDgea): Anzeige von: G. v. d. Gabuleiitz, Die
Sprachwissenschaft-, hrg. von Albr. graf v. d. Schulen bürg. XXXIV, 107.
Olsen, 3Iag-nus (prof. in Christiauia) : Sophus Bugge. XL, 129.
Paas, Theod. (dr. iu Crefeld): Der satzparallelismus in dem Opus imperfectum in
Matthaeuni. XL, 359.
Fislauder, Hug-o (dr. in Helsingfors) : Anzeige von: E. Steinmeyer und E. Sievers,
Die altliochdeutschen glossen. III. IV. XXXV, 230.
Panzer, Friedr. (dr. prof. in Frankfurt a. M.): Beiträge zur kritik und erklärung der
Gudrun. XXXIV, 425. XXXV, 28.
Zum Meier Helmbrecht. XXXVIII, 516.
Anzeige von: F. Piquet, Etüde sur Hartmann d'Aue. XXXI, 520. — E. Meyer,
Die gereiinteu liebesbriefe des deutschen mittelalters. XXXII, 549. — K. Zwier-
zina', Beobachtungen zum reimgebrauch Hartmanns und Wolframs. XXXIII.
123. ^ S. Singer, Bemerkungen zu Wolframs Parzival. XXXIII, 138. —
A. Kopp, Deutsches volks- und studentenlied in vorklassischer zeit; J. W. Brui-
nier, Das deutsche Volkslied. XXXIV, 100. — KunzKistener, Die Jakobs-
brüder, hrg. von K. Euling. XXXIV, 74. — K. Gent her, Studien zum lieder-
buch der Klara Hätzlerin. XXXIV, 97. — W. Braune, Die handschriften-
verhältnisse des Nibelungenliedes. XXXIV, 529. — Kudrun ed. E. Martin.
XXXV, 245. — Siegm. Benedict, Die Gudrunsage in der neueren deutschen
litteratur. XXXV, 247. — Heinr. May, Die behandlungen der sage von
Eginhard und Emma. XXXV, 407. — G. F. Benecke, Wörterbuch zu Hart-
manns Iwein ^, hrg. von C. Borchling. XXXV, 412. — Max Sydow, ßur-
kart von Hohenfels und seine lieder. XXXVI, 277. — K. Euling, Studien
über Heinr. Kaufringer. XXXVI, 410. — Gudrun übersetzt von E. Martin.
XXXVI, 511. — W. Vogt, Die wortwiederholung ein stilmittel in Ortnit,
Wolfdietrich A, Orendel, Oswald und Salman und Morolf. XXXVIII, 551. —
.1. Wiegaud, Stilistische Untersuchungen zum König Rother. XXXVIII, 555.
— Friedlich von Schwaben, hrg. von M. H. Jellinek; Die Melker handschrift,
hrg. von A. Leitzmann. XXXIX, 511.
Pariser, Ludw. (dr. in München): Anzeige von: Angel us Silesius, Heilige seelen-
lust, hrg. von G. Ellinger. XXXV, .559.
Pautscli, Oswald (dr. iu Leobschütz): Bruchstück einer Margarethenlegende. XXXVHI,
242.
Petersen, Jul. (dr. in München): Anzeige von: L. Bellermann, Schillers dramen.
XXXVIII, 424.
Petscli, Rol), (dr. prof. in Heidelberg): Zu Schillers Freigeisterei der leidenschaft.
XXXVI, 485.
Anzeige von: G. Witkowski, Das deutsche drama des 19. jahrhs. XXXIX, 266.
l'etzet, Erich (dr. bibl. - Sekretär in München): Bruchstücke einer handschrift des
jüngeren Titurel. XXXVI, 433.
Die Coblenzer fragmente des Lohengrin. XXXIX, 230.
Zum Willehalm des Ulrich von dem Tüi'lin. XL, 220.
Plumhoff, A. L. (dr. in Hamburg): Beiträge zu den quellen Otfrids. XXXI, 464.
xxxn, 12!
Priebscli, Rob. (dr. prof. in London): Aus deutschen handschriften der Königl. bib-
liothek in Brüssel. XXXV, 362. XXX VI, 58. 371. XXX VIII, 301. 43G.
XXXIX, 156.
VERZEICHNIS DEIv' MITAWBEITIIR UMi IIIIJEK LiEITKÄfiK 501
Prorliiiow, Georg (dr. in Marburg): ilhd. Silvesterlegenden und ilire iiuolleii. XXXIII,
145.
Roliiiio, Paul (dr. prof. iu Halle): Anzeige von: Lex Salica ed. J. Fr. ßelirond.
XXXIII, 241.
Reis, Hans (dr. in Mainz): Über alid. Wortfolge. XXXIII, 212. 330.
Anzeige von: M. ,T. van der Meer, Gotische casussyntaxis. XXXV, 120.
Köliru'lit, Reinh. (dr. [troL in Berlin f): Die Jerusalem fahrt Joachim Rieters au.s
Nürnberg (1608—10). XXXI, lüO.
Roscnliag'eii , Criist. (dr. in Hamburg): Anzeige von: E. Kettner, Die österreichische
Nibelungendiehtung. XXXI, 243. — Rieh. Henczynski, Das leben des heil.
Alexius von Konrad von Würzburg. XXXI, 5G0. — K. Gusinde, Neidhart
mit dem veilcheu. XXXIII, 262. — Jansen Enikcls werke, hrg. von Phil.
Strauch. XXXIII, 505. — M. Gorges, Mhd. dichtungen. XXXV. 419. —
Francis E. Sandbach, The Nibelungenlied and Gudrun in England and
America. XXXVI, 551. — Fr. Wilhelm, Die geschichte der handschriftl.
Überlieferung von Strickers Karl. XXXVIII, .540. — Heinr. von Freiberg
hsg. von A. Bern dt. XL, 228.
Riibeusohn, M. (dr. in Berlin): Zu Weckherlins poetischen Übersetzungen aus dem
griechischen. XXXII, 244.
Rug:e, Sophus (dr. prof. in Dresden f): Die quellen von Fischarts EhL-zuchtbüchlcin.
XXXIII. 284.
Saraii, Franz (dr. prof. iu Halle): Anzeige von: C. Kraus, Das sogenannte 2. büchlciu
und Hartmanns werke. XXXII, 384.
Sarrazin, Gregor (dr. prof. in Breslau): Anzeige von: R. Simous, Cynewulfs wert-
schätz. XXXII, .547. — J. Ernst Wülfing, Die syntax in den werken
Alfreds des grossen. XXXVL 518.
Schachner. Heinr. (in Kremsmünster): Das Dorotheaspiel. XXXV, 157.
Sehaer, A. (dr. in Strassburg): Bericht über die Verhandlungen der germanist. section
der 46. Versammlung deutscher philologen und schulmännci' zu Stra.ssburg.
XXXIII, 421.
Schatz, Joh. (dr. prof. in Lemberg): Anzeige von: Alfr. Bass, Deutsche Sprach-
inseln in Südtirol und Oberitalien. XXXIV, 73.
Scheel, Willy (dr. in Steglitz): Anzeige von: Br. Arndt, Der Übergang vom mhd.
zum nhd. in der spräche der Breslauer kanzlei. XXXI, 514.
Schiflniann, Kour. (dr. in Urfahr): Neue predigthandschriften. XXXIV, 127.
Zur keuntnis der althochdeutschen litteratur. XXXV, 86.
Schläger, (i. (dr. in Oborsteiu a. N.): Anzeige von: C. Voretzsoh, Epische Studien.
XXXVII, 410.
Schlösser, Rud. (dr. prof. in J?na): Anzeige von: F. C. Neuberin, Ein deutsches
Vorspiel, hrg. von Arth. Richter. XXXI, 554. — Br. Golz, PfalzgriUin
Genovefa in der deutschen dichtung. XXXIII, 272. — James T. Hatfield,
The earliest poems of Wilh. Müller. XXXIII, 279. — L. Roustan, Leuau
et .son temps. XXXIII, 489. — Heinr. v. Kleist, Michael Kohlhaas. hrg.
von E. Wolff. XXXV, 560.
Schuicdes, J. (dr. in Frankfurt a. M.): Anzeige vun: .1. Grundmanu, Die googra-
jjhischeu und völkerkundlichen quellen und auschauuugon in Herders Ideen
zur geschichte der meuschheit. XXXIII, 488. — Kurt Richter, Ferd.
Freiligrath als Übersetzer. XXXIII, 503. — A. Bankwitz, Die religiöse
502 VEKZEICtrMS 1>EH MITAKBEITKR UND IHREK BEITRÄ(4F.
lyrik der Annette v. Droste - Hülshoff. XXXIII, 513. — G. Bötticher und
K. Kiuzel, Das Nibelungenlied im auszuge. XL. 121. — R. Laube, Rud.
Hildebraud und seine schule. XL, 487.
Sclimidt, Ludw. (dr. bibliothckar in Dresden): Besghwörung gegen würmer. XL, 433.
Sehneider, Max (dr. prof. in Gotha): Eine gleichzeitige lebensbeschreibung des dichter»
Huldreich Buchner. XXXVIH, 359.
Zwei bisher unbekannt gebliebene gedichte des Nürnberger meistersängerb Am-
brosius Österreicher. XL, 347.
Schöne, Alfr. (dr. prof. geh. regierungsrat iu Kiel): Antwort. XXXll, 284.
Zur Lessinglitteratur (E. Consentius, Freygeister, naturalisten , atheistcn, ein
aufsatz Lessings im Wahrsager; ders. , Die Wahrsager. Zur Charakteristik von
Myhus und Lessing; K. Borinski^ Lessing). XXXII, 528.
Anzeige von: Jenny v. Gerstenbergk, Ottilie v. Goethe und ihre söhne Walthcr
und AVolf. XXXIII, 406. — E. Consentius, Lessing und die Vossische
Zeitung. XXXV, 255.
Schoof, Wilh, (dr. in Minden): Briefwechsel der brüder Grimm mit Ernst v. d. Mals-
burg. XXXVI, 173.
Schröder, Heinr. (dr. in Kiel): Schüttelformen. XXXVII, 256.
Nhd. j^uter 'truthahn'. XXXVII, 259.
Nhd. nd. schuft, nl. schoß ' Schurke'. XXXVII, 260.
Beiträge zur deutschen Wortforschung. XXXVII, 393. XXXVIII , 518.
Anzeige von: Lee Milton Hollander, Prefixal s in Germania. XXXIX, 267.
Schultz, Franz (dr. privatdocent in Bonn): Bericht über die Verhandlungen der ger-
manistischen section der 48. Versammlung deutscher philologeu und Schul-
männer zu Hamburg. XXXVIII, 110.
Seedorf, Henry (dr. prof. stadtbibliothekar in Bremen): Bericht über die Verhand-
lungen der germanist. section der 45. Versammlung deutscher philologeu und
Schulmänner zu Bremen. XXXII, 130.
Seiler, Friedr. (dr. prof. gymn.-director iu Luckau): Anzeige von: M. Heyne, Rudlieb.
XXXI, 422. — M. Heyne, Altdeutsch -lateinische spielmannsgedichte des
lO.jahrhs. XXXIII, ui
Seiler, .Joh. (dr. prof. in Bielefeld): Anzeige von: R. E. Ottmann, Das Alexanderlied
des pfaffen Lamprecht. XXXI, 509.
Sijmons, Barend (dr. prof. in Groningen): Das niederdeutsche lied von könig Ermeu-
richs tod und die eddischen Ha"m|)esm()l. XXXVIH, 145.
SokoloM'sky, Rud. (dr. iu Altena): Die ersten versuche einer nachahmuug des alt-
deutschen minnesangs in der neueren deutschen litteratur. XXXV, 71.
Klopstock, Gleim und. die Anakreontiker als nachdichter des altdeutschen minne-
sangs. XXXV, 212.
Anzeige von: Max Morris, Goethe -Studien. XL, 240. — H. G. Graef, Goethe
über seine dichtungen. IL XL, 248.
Sprenger, Rob. (dr. prof. in Northeim f): Zum pfaö'eu Amis. XXXIII, 570.
Zu V. d. Hagens Gesamtabenteuer. XXXIV, 561.
Der diebsfinger. XXXIV, 562.
Zu Max V. Schenkendorfs gedichten. XXXVI, 236.
Zu Konrads von Würzburg Engelhard. XXXVI, 472.
Zu Bellermanns ausgäbe von Schillers werken. XXXVI, 484.
VKnzKii'iiN'iN i>i:u MiTAiüiKiTii; KMi iiii;i:i; kkitkäi.k 50il
Steig, Reinh. (dr. prof. iu Friedenau): Zu don klüiucien scluiftou der biüder Uriiiiiu.
XXXI, 165. XXXIV, 550.
Auzeige von: Joh. Kauftl, Ludw. Tiecks Geuoveva. XXXTV, 108.
Steiiihaiiseu, Georg (dr. prof. Stadtbibliotbekar in Cassel): Anzeige vun: Gust.
Freytag, Vermischte aufsätze, hrg. von E. Elster. XXXVI, 495. — Klara
Ilechtenberg, Der briefstil im 17. jahrh. XXXVI, 497.
Stiefel, Arth. Ludw. (dr. prof. in .München): Eine quelle Niclas Prauns. XXXÜ, 473.
Ein unbekanntes scliwaukbuch des lü. jahrhs. XXXV, 81.
Zu den quellen Heinr. Kaufriugers. XXXA', 492.
Anzeige von: K. Drescher, Das gemerkbüchlein des Hans Sachs; ders., Nürn-
berger nieistersingerprotokolle von 1575 — 1689. XXXII, .554.
Stolzenbxu'g , Hans (dr. in Hamburg): Die übereetzungstechnik des "VVulfila. XXXVII.
145. 352.
Anzeige von: Herrn. Jantzon, Gotische Sprachdenkmäler und grammatik. XXXVIII,
414.
Stosch, Johannes (dr. prof. in Greifswald): Zu Steinmar. XXXII, 138.
Strauch, Phil. (dr. prof. iu Halle): Zur Gottesfreund -frage. XXXIV, 235.
Anzeige von: K. Rieder, Der gottesfreund vom Oberland eine erfindung dos
Strassburger Johanniterbruders Nikolaus von Löwen. XXXIX, 101.
Streitberg, Wilh. (dr. prof. in Münster): Berichtigung zu Zschr. 32, .j20. XXXllI, 143.
Suehier, Herni. (dr. prof. geh. regiorungsrat in Halle): Anzeige von: .1. Zimmcrli.
Die deutsch - französische Sprachgrenze in der Schweiz; H. Morf, Deutsche
und Romanen in der Schweiz; Tappolet, Über den stand' der mundarteu in
der deutschen und französischen Schweiz. XXXV, 142. — G. Brockstedt,
Floüvent- Studien. XL, 225.
Sütterlin, Ludw. (dr. prof. in Heidelberg): Auzeige von: H. Hirt, Der indogerma-
nische ablaut. XXXIV, 408. — R. Meringer, Indogermanische Sprachwissen-
schaft. XXXVI, 545. — E. Brandstetter, Der genetiv der Luzerner mund-
aii. XXXVII, 273. — J. v. Rozwadowski, Wortbildung und Weltbedeutung.
XXX VIII, .5.50.
Tedsen, Jul. (dr. in Boldixum auf Föhr): Der lautstand der föhringischen niundart.
XXXVlll, 468. XXXIX. 13.
Trautmann, Beiubold (dr. privatdocent in Göttingen): Zur gotischen bibolübersetzung.
XXXVII, 253.
€hl, Wilh. (dr. prof. in Königsberg i. Pr.): Auzeige von: Frdr. v. d. Leyeu, Des
armen Haitman Rede vom glouven; ders., Kleine beitrüge zur deutschen litte-
raturgeschichte des 11. und 12. jahrhs. XXXII, 263. — .1. Seemüller, Stu-
dien zu den Ursprüngen der altdeutschen historiographie. XXXIII, 242. —
G. Steiuhauseu, Deutsche privatbriefe des mittelalters. XXXIll, 390. —
Laurin und der kleine iiosengarten, hsg. von G. Hulz. XXXV, 248. —
Jul. Freund, Huttens Vadiscus und seine quelle, XXXV'III, 266. — Ad.
Kaiser, die fastnachtspielo von der Actio de sponsu. XXXVIII, 272. —
Alb. Heintze, Die deutschen familiennamen. XXXVIII. 280. — Hoff mann
von Fallersleben, Unsere volkstümlichen lieder*, hsg. von K. II. Prahl.
XXXVIII. 376. — A. Kippen berg, Die sage vom herzog von Luxemburg:
<J. Höfer, Die Rudolstüdter lestspielo aus den jähren 1665 — 67 und ihr
504 VERZKICUMS DEIJ miTAKBElTEK U-NIJ IHKEK BEITKÄüE
dichter; Fr. Schultze, Die gräfin Dolores; E. Reclam, Joh. Beoj. Micliaelis;
"W. Pautenius, Das inittelalter iu Leonh. Wächters (Veit Webers) romaneii;
G. Nieuiauu, Die dialogliteratur der reformationszeit. XXXVIII, 401.
Vogt, Friedr. (dr. prof. geh. regierungsrat in Marburg): Karl AVeiuhold. XXXI V, 137.
Wadsteiii, Elis (dr. prof. in Gotenburg): Zum Clermonter runenkästohen, XXXIV, 127.
Wahl, Adalb. (dr. prof. in Hamburg): Anzeige von: 0. Vogt, Der Goldene spicgel
und Wielands politische ausichten. XXXVII, 427.
Walluer, Anton (dr. prof. in Graz): Zwei Tristanstellen. XXXIX, 223.
Wechssler, Ed. (dr. prof. in Marburg): Anzeige von: Anna Lüderitz: Die licbes-
theorie der Proven^alen bei den minnesingern der Stauferzeit. XL, 478.
Wilken, Ernst (dr. in Greifswald): Zur erklärung der V^luspä. XXXIII, 289.
Witkowski,- Georg (dr. prof. in Leipzig): Anzeige von: Franz Thalmayr, Goethe und
das klassische altertum. XXXI, 412. — W. Dorn, Benj. Neukirch, sein leben
und seine werke. XXXI, 415. — G. Minde-Pouet, Heinr. v. Kleist, seine
spräche und sein stil. XXXI, 416. — Fr. Zarncke, Goetheschriften. XXXI,
417. — Paul Zimmermann, Fr. Wilh. Zachariae in Braunschweig. XXXI,
418. — E. Schröder, Th. Carlyles abhandlung über Goethes Faust. XXXI,
419. — Felicie Ewart, Goethes vater. XXXIII, 280. — M. Herrniaun, Jahr-
marktsfest zu Plundersweüern. XXXIII, 530. — F.Zöllner, Einrichtung und
Verfassung der Fruchtbringenden gesellschaft. XXXIV, 81. — K. H. vonStock-
mayer. Das deutsche Soldatenstück des 18. jahrhs. XXXIV, 82. — U. Gaede,
Schillers abhandlung Über naive und seDtimentalische dichtung. XXXIV, 86.
— A. Leitzmann, Briefwechsel zwischen Karoline v. Humboldt, Rabel und
Varnhagen; Wilh. V. Humboldt, Sechs ungedruckte aufsätze über das klassi-
sche altertum, hrg. von A. Leitzmann. XXXIV, 87. — E.Herz, Englische
Schauspieler und englisches Schauspiel zur zeit Shakespeares in Deutschland.
XXXVI, 562. — Veit Valentin, Die klassische Walpurgisnacht. XXXVII, 262.
Wolff, Eugen (dr. prof. in Kiel): Anzeige von: Gust. Waniek, Gottsched. XXXI, 112.
Wunderlich, Herrn, (dr. prof. bibliothekar in Berlin): Anzeige von: Star W. Cut-
ting. Der conjunctiv bei Hartmann von Aue. XXXI, 410. — Th. Matthias,
Sprachleben und Sprachschäden. XXXI, 516. — W. Wilmauns, Deutsche
grammatik. I-. XXXIII, 529. — Ferd. Detter, Deutsches Wörterbuch;
A. Braun, Deutscher Sprachschatz. XXXIV, 68. — Rud. Lehmann, Der
deutsche Unterricht. XXXIV, 95. — Alb. Ölinger, Deutsche grammatik, hrg.
von AV. Scheel. XXXV, 5,56. — M. Höfler, Deutsches krankheitsnamenbuch.
XXXVI, 253. — 0. Brenner, Die lautlichen und geschichtlichen grundlagcn
unserer rechtschreibung. XL, 382.
Zupitza, Ernst (dr. prof. in Greifswald): Anzeige von: M. Freudenborger, Beiträge
zur naturgeschichte der spräche. XXXII, 546.
NEUE ERSCHEINUNGEN 505
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die rodactioii ist bemülit , für allo zur bosprochuni,' geeisiieton werko aus iloiii gobieto dor gorm.iii.
phiiologrie sachkundipe rcfercnten zu gewinnen, übernimmt jedoch koino Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu recensioren. Eine zurücklieferung der rocensions-exomplaro an
die lierroii vorloger findet unter keinen umständen statt.)
Afliaudliiiger, sproglige og historiske, viede Sophus Bugges miade. Kristiania,
H. Aschehoug & co. 1908. (VIII), 294 s.
Darin u. a.: Haakon Sclietelig, Fjergepengeu ; spor av en grrcsk giavskik i
Norge. — Magnus Olsen, Runestenen ved Oddeiues kirke. — Karl Aubcit.
Navnet 'Alf i Odderska?i' ' i folkevisen om Iiolnigangen paa Sams0. — Am und
B. Larseu, Om 'blote' og 'haarde' konsouanter i uorsk. — Halvdan Kolil,
Henrik Wergeland og den norske folkearven. — Ose. Alb. Johnsen, Norskc
geistliges og kirkelige institutioners bogsamliuger i den senere raiddelalder. —
P. L. Stavneni, Overnaturlige vaesener og Symbolik i Henrik Ibsens 'Peer
Gynt'. — K. Kygh, Lidt om personlige tiliiavne i Norge og paa Island i for-
tideu. — Olai Skulerud, Nogle bem;vrkninger om Oredialekten i Dalarne. —
Hjalmar Falk, Til Fenresmyten. — Yngvar Nielsen, Den ganile hadeland-
ringerikske kongejt't og Snefridsagnet. — Alexander Bugge, The earliest guilds
of Nortbmen in England, Norway and Denniarl;. — Marius Hiegstad, Fleirtal
av dei personlige ])ionomen i nynorsk. — Konrad Nielsen, En gruppe ur-
nordiske laanord i lappisk. — Moltke Moe, Limbus puerorum, et par vers av
Draumkvcvdet. — Rikard Berge og Moltke Moe, Finnkongjens dotter, eventyr
fraa Telemarti. — Axel Olrik, Starkaddigtniugens udspring. — To ungdomsbreve
IVa Sophus Bugge [til prof. L. C. M. AubertJ. — Magnus Olsen, Fortegnelso
over Sophus Bugges trykte arbeider.
Beiträge zum Wörterbuch der deutschen rechtssprache. Richard Schröder zum
70. geburtstage gewidmet von freunden und mitarbeiteru. Weimar, Böhlau 1908.
VIII s. + 184 sp. 4 m.
Benz, K., Märchendichtung der Romantiker. Mit einer Vorgeschichte. Gotha,
F. A. Perthes 1908. 262 s. 5 m.
Bi'owulf. Mit ausführlichem glossar hrg. von M. Heyne. 8. autl. besorgt von Lewin
L. Schücking. Paderborn, F. Schöningh 1908. XII, 31.") s. ö m.
Biuz, Oust., Die deutschen handschriften der öffentl. bibliothek der uuiv. Basel.
Leipzig, Beck 1908. XI, 437 s. 2.5 m.
Bohn, Emil, Die nationalhymnen der europäischen Völker. [Wort und brauch, volks-
kundl. arbeiten . . hrg. von Th. Siebs und Max Hippe. IV.] Breslau, M. & H.
Marcus 1908. (IV), 75 s. 2,40 m.
Bruinier, J. W., Das deutsche Volkslied. Leipzig, Teubner 1908. 151 s. geb. 1,25 m.
Bugge, Sophus, Populaer-videnSkabelige foredrag. Efterladte arbeider. Kristiania,
IT. Aschehoug & co. 1907. (IV), 144 s.
Inhalt: Nyere forskninger om Irlands gamle aandskultur og digtning i deiis
forhold til norden. — Braavalla - slaget — Nordboerne i Irland. — Pinvus-lovcn
i Venedig og dens indskrifter. — Om sprogstriden. — Samhokl i norden. —
Mindeord om P. A. Munch.
Christus und Die minnende sceie, zwei spätmhd. gedichte (im auhang ein prosa-
disput verwandton Inhalts). Untersuchungen und te.\te hrg. von Romuald Banz.
[Germanist, abhandlungen . . hrg. von Fr. Vogt. XXTX.] Breslau, M. ä: H. Marcus
1908. XVIII, 388 s. und 9 taO". 15 m.
506 -VEÜK ERSCHEINUNGEN
Edda SaRiinmdar. — Neckel, Gust., Beiträge zur Eddaforschuug mit cxkurbcn zur
hcldtnsage. Dortmund, Ruhfus 1908. Vni, 512 s.
Eichciidorff, Jos. Irhr. von, Sämtliche werke. Histor. - krit. ausgäbe iu Verbindung
mit Fhil. Aug. Becker hrg. von Willi. Kosch uud Aug. Sauer. 11. band:
Tagebücher. Regensburg, J. Habbel o. j. XVI, 426 s., 3 porträts u. 1 Stammtafel.
[Die ausgäbe ist auf 12 bände ä 2,50 m. berechnet.]
— Erdmauu, Jul., Eichendorffs historische trauerspiele. Halle, Nieraeyer 1U08.
XII, 123 s.
Fischer, Herrn., Grundzüge der deutschen altertumskunde. [Wissenschaft uud bildung . .
hrg. von Paul Herre. XL.] Leipzig, Quelle uud Meyer 1908. VI, 135 s.
geb. 1,25 m.
FöstbrteÖra saga. — Hofker, C. F., De Föstbrceöra saga. [Amsterdamer dissert.]
Groningen, M. de Waal 1908. XII, 141 s.
(iroethe. — Goethe über seine dichtungen. Versuch einer Sammlung aller äusscruugeu
des dichters über seine poetischen werke von dr. Hans Gerhard Graf. IL teil:
Die dramatischen dichtungen. 4. band (des ganzen werkes 0. band). Frank-
furt a. M., Rütten & Loening 1908. VIII, 711 s. 20 m.
— Jahn, Kurt, Goethes Dichtimg imd Wahrheit. Vorgeschichte, cntstehung, kritik.
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508 XEUK EKSCHEINÜNGEN
(U'dbok öfver Svcnska spi'äket utgifven af Svenska akadeniicn. Haftet 3G. Boträffa —
bevan (sp. 2081^2240); haftet 37. Darwinist — dekorativ (sp. 385 — 544). Luud,
Gleerup (Leipzig, Nils Pelirssou) 1908. ä 1,50 kr.
Oi'tnainiieii i Alvborgs län, pä offentligt uppdrag utgiviia av kungl. ortuamuskoinmitteu.
Del XIII: Vättle bärad. Stockholm, Aktiebolaget Ljiis 1908. (IV), 134 s.
Östergreii, Olof, Stilistik spräkvetenskap. Stockholm, P. A. Norstedt »Jy: söuer 1908.
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B. Rettet tekst med tolkning. Kobenhavu og Kristiania, Gyldendal 1908. 187
und 177 s.
Die ersten beiden mit Sehnsucht erwarteten hefte eines neuen kritischen
Corpus scaldicum, nach dessen Vollendung der herausgeber auch ein Wörterbuch,
einen Sveinbjörn Egilsson redivivus, zu bearbeiten gedenkt.
Sütterlin, L., Die lehre von der lautbildung. Mit zahlreichen abbildungen. [Wissen-
schaft und bildung. LX.] Leipzig, Quelle & Meyer 1908. VIIL 183 s. geb. 1,25 m.
Tannhäuser. — Elster, E. , Taunhäuser in geschichtc, suge und dichtung. Ein
Vortrag. Bromborg, R. Fromm 1908. II, 25 s.
Teutonia. Handbuch der german. filologie hrg. von Alfr. von Saiten, bearb. von
•Rob. Douffet. Heft 3: Über deutsche Wortforschung und wortkunde. Leipzig,
Verlag Deutsche zukunft 1907. IX, 215 s. 3,60 m.
Texte, Deutsclie des Mittelalters hrsg. von der Kgl. Preuss. Akademie der Wissen-
schaften bd. XIII: Der grosse Alexander aus der Wernigeroder hand.schrifi,
lirg. von Gustav Guth. Mit 2 tafeln in lichtdru(;k. Berlin, Weidmanoscbe
Buchhandlung 1908. XII, 102 s, 4 m.
NACH RICHTEN 509
Tlieopiiilus, inittelniederdeutsches ilraiuu in drei ta«sungcu lug. vou Kob. i'otsch.
Heidelberg, Winter 1908. X, 103 s.
Tsehiiikcl, Haus, Grammatik der Gottscheer miiudart. .Mit untorstützuug der Ge-
sellschaft zur förderung deutscher Wissenschaft, kuust und literatur in Böhmen.
Halle, Nieuieyer 1908. XVI, 320 s. und 1 karte. 8 m.
Ulli, Willi., Winileod. [Teutonia . . hrg. von W. Uhl. V.] Leipzig, E. Avenarius
1908. VIII, 427 s.
l'invertli, Wolf v., Die schlesische arundart, in ihren lautverhältnissen grainniatisch
und geographisch dargestellt. [Wort und brauch. III. J Breslau, M. & H. Marcus
1908. XVI, 94 s. und 2 karten. 3,60 m.
VeröHeiitlicIiung'en der Gutenberg- gesellschaft. V. VI. VII. Mainz 1908. (VIII),
235 s. 4» und 14 taff.
Inhalt: Edw. Schröder, Das Mainzer fragment vom Weltgericht, ein aus-
schnitt aus dem deutscheu Sibyllenbuche. — Gottfr. Zedier, Die 42zeilige
bibeltype im Schöfferschen Missale Moguntinum vou 1493. — Ad. Tronnier,
Die missaldrucke Peter Schöffers und seines sohnes Johann. — Wilh. Velke,
Zu den bücheranzeigen Peter Schöffers.
Waltliarius. — Ekkehards Waltharius. Ein kommentar von .1. \V. Beck. Groningen,
Xoordhoff 1908. (VIII), XXVIII, 172 s. geb. 3,50 m.
AVelgaud, Fr. L. K,, Deutsches Wörterbuch. 5. auü. bearb. von K. v. Bahdor
H. Hirt und K. Kant. 4. lieferung (frau — grille), sp. 577 — 768. Giessen^
Töpelmann 1908. 1,60 m.
Wielaiid. — Ideler, E., Zur Sprache Wielands. Sprachliche Untersuchungen inr
anschluss an Wielands Übersetzung der briefe Ciceros. Berlin, Meyer & Müller
1908. 121 s.
Whnmer, Ludv. F. A., De danske runemindesmserker undersogte og tolkede, af-
bildningerne udforte af J. Magnus Petersen. Forste binds forste afdeling:
Almindelig indledning. Kobenh., Gyldendal 1908. 19 -j- CXCV s. fol.
Wiillila. — Die gotische Bibel lirg. von Wilh. Streitberg. 1. teil: Der gotische
text und seine griech. vorläge mit einleitung, lesarten und f|uellenüachweisen sowie
den kleineren denkmälern als anhang. Heidelberg, Winter 1908. XLVI, 484 s.
NACHRICHTEN.
Am 28. februar 1908 verstarb, wa.s wir nachträglich berichten, zu Graz der
bibliothekar a. d. dr. Adalbert Jeitteles (geb. zu Wien 20. august 1831); am
18. august zu Breslau prof. dr. Albert Gombert.
Der ausserordentliche professor dr. 0. Jiriczek in Münster i.st zum Ordinarius
ernannt worden; der privatdocent dr. August Gebhardt in Erlangen wurde zum
ausserordentl. professor befördert.
Der ausserordentl. professor dr. Max Rödiger in Berlin erhielt den charakter
als geb. regierungsrat.
510
1. SACHREGISTER
I. SACHREGISTER.
adel vgl. angargathurrgi.
aestiietik vgl. Heinse.
altertumskunde : s. 452 fgg. ; hügelgräber
der Römerzeit am Niederrhein s. 456 fgg.;
römischer einfluss im germanischen hand-
werk s. 158 fg. ; germanische gürtel-
schnallen s. 459 fgg., helme bei den
Germanen s. 464 fgg.; altgermanische
Volkstracht s. 385 fgg., die hose s. 386 fgg.,
die „ teibevikling " der vorgeschicht-
lichen zeit ist die hose s. 386 fgg., die
langobardische reitgamasche s. 387 fg.,
die schuhriemen s. 388 fg. , die beinberge
s. 390, die Verspottung der Langobarden
am Gepidenhofe s. 391 fgg., „fetilus"
bei den Gepiden und die „fessel" des
pferdes s. 393fgg., Sintarfizzilo s. 395 fg..
die bruch s. 396 fgg. , gallisch braca und
german. hrok s. 397 fg., die monumen-
tale und die literarische überliefenxng
s. 400, die lange hose s. 401.
altnordisch: syntaktischer gebrauch des
passivs s. 473 fgg., wort- und satz-
stellung s. 475 fg. , trennung von prä-
position und kasus s. 476 fg., utnschrei-
bung von verbalformen mit goro s. 477,
imperativ s. 477, hvar s. 477.
angargathungi: principes pagi s. 286 fg.,
proceres s. 287, principes civitatis s.
' 287 fg., bedeutuug von 'secundum digna-
tionem' s. 288 fgg., das langobardische
' angargathungi " gleich dignatio s. 289 fg.
Balingen, spange von: vgl. ruuen.
bayrisch vgl. lautlehre.
beschwörungsformel gegen würmer s. 433.
Bugge, Sophus: lebensbeschreib. s. i29fgg,
Carmina Burana s. 433 fg. , s. 479 fg.
dnicker, hochdeutsche der reformations-
zeit s. 122 fg.
Edda: vgl. altnordisch; Snorra Edda vgl.
Hildesage; die lieder der lücke s. 219 fg.;
VQluspä 5, 1 — 4 s. 430 fgg.; Vnlsunga-
saga c. 26 s. 372, das Traumlied von
c. 25 s. 372 fg.
npos: Verbreitung der mhd. höfischen epen
in Niederdeiitschland s. 185 fg.
etymologie: Verbindung mit der archäo-
logie s. 452 fg.
Floovent s. 225 fgg.
folkeviser vgl. Hildesage.
Freiberg, Heinrich von: s. 228 fgg., quellen
des Tristan s. 229 fg., s. 232 fgg. , metrik
s. 230 fg., sprachliche eigenheiten s. 231,
Stil s. 231 fgg., s. 237 fgg., Verhältnis
zu Gottfried s. 232 fgg.
friesisch vgl. runen.
Genesis, altsächsische s. 250.
Goethe s. 246 fg., s. 248 fg.
Gottfried von Strassbui-g: vgl. Freiberg:
Tristan und Isolde, abhängigkeit von
den französischen quellen s. 377 fgg.
Gudrun vgl. Hildesage.
Hebbel: abhängigkeit von den deutscheu
klassikern s. 220 fgg.; berührungen mit
der Philosophie seiner zeit s. 435 fg.,
seine Weltanschauung als 'pantragis-
mus' bezeichnet s, 436 fgg., s. 444, H.
als mensch s. 441, s. 443 fg., drama-
tische Produktion s. 445 fg. , s. 447, .Ju-
dith s. 448, Genoveva s. 448 fg., Maria
Magdalena s. 449, Herodes und Mari-
amne s. 449 fg., Agnes Bernaner s. 450 fg.,
Nibelungen s. 451 fg.
Heine: Romanzero s. 254.
Heinrich: vgl. Freiberg.
Heinse: aesthetische Schriften s. 486 fg.
Helgisage s. 31 fgg.
Heliand: metrik s. 250 fg.
Helmbrecht: abhängigkeit von Neidhart
s. 422 fg., Verhältnis zum wirklichen
leben der zeit s. 422 fgg. , stand des
dichters s. 424, die haube lediglich lite-
rarisches produkt oder der Wirklichkeit
entnommen s. 425, antiker einfluss bei
der Schilderung der haube s. 428 fg.
Herder s. 487 fg.
Hildesage: methode der Untersuchung s.
1 fg. , die Snorra Edda s. 3 fgg. , Ver-
hältnis zwischen entführung und HjaÖ-
ningavig s. 3 fgg. , das HjaSningavig in
der Snorra Edda s. 6 fgg. , Hildr in der
Snorra Edda s. 7 fgg., die entwicklungs-
I. SAOHRBGISTKK
511
stufen der sage in der Snorra Edda
s. 10 fg., die Ragnaisdrapa s. llfg. , der
SQrla {)attr s. 12fgg. , die entwickluugs-
reihe iu dem Sorla |)ättr s. 19, Saxo s.
20 fgg. . Stellung der Saxoversion unter
den übrigen sagenformen ?. 26 fgg.,
Saxo I die älteste sagen form s. 29,
Schema der entwicklungsreihe s. 30, s.
202, die gestalt der sage in der Tlelgi-
sage s. 31 fgg., die kritik der Helgisage
s. 32fgg. , entwicklungsstufe der Hilde-
sage zur zeit der lostrennung der in
derHelgisage vorliegenden form s.40fgg.,
einreihung dieser form unter die übrigen
s. 43, s. 202, die Walthersage s. 43 fgg.,
liagen mit dem Nibeluug identifiziert
s. ö4 fgg., s. 335, Stammbaum der Wal-
thersage s. 66, die balladen von Ribold
og Guldborg und von Ilildebrand og
Hilde s. 184 fgg. . beziehungen der bal-
laden zur "Walthersage s. 187 fgg. . ein-
reihung der balladen in den Stammbaum
der Hildesage s. 195, s. 202, die Hel-
merballade s. 196 fg. , die Shetlands-
ballade s. 198 fgg., beziehungen der Shet-
landsballade zur Helnier- und Ribold-
ballade s. 200 fgg., Stammbaum der Über-
lieferung s. 202, die entführungssage
in der Küdrün s. 202 fgg., s. 214 fgg.,
I^mprechts Alexander v. 1830 fgg. der
Strassburger hs. und v. 1321 fgg. der
Vorauer hs. s. 204 fgg. , s. 294 fg. , Hö-
rant s. 209 fgg., Wate s. 292, Herwig
s. 292 fgg., Hartmuots Werbung s. 292 fg.,
Sigfrid von Morlant s. 296 fg. , Ludwig
und Hildeburg s. 297 fgg., Ortwin s.
299 fg., Kfidrüns leidensgeschichte s.
s. 300 fgg., s. 319 fg., Verhältnis der in
der Küdrün vorliegenden sagenform zu
den übrigen s. 305 fgg., andere wer-
bungssagen in ihren beziehungen zur
Küdrün s. 307 fgg., die sage von Herbort
und, Hilde s. 312 fgg. , der ApoUonius-
roman s. 314, s.316fg. , die Samson-
erzählung s. 314fg. , die Oswaldlegende
s. 315, die rückfiihrungssagen und ihre
bedeutuug für die Kudrun s. 315 fgg.,
die SalomoiisaKe und da.s Sü'lelilied
s. 316 fgg. , die einhoit der Küdrün s.
321 fgg., s. 327 fgg., die engelsbotschaft
s. 323 fgg., kritik der Strophen 1165 —
1281 s. 327 fgg. , der Ursprung der Hilde-
.sage s. 333 fgg., lokalisierung der sage
s. 335 fgg., die heimat der einzelnen
redaktionen s. 337 fgg. , ihre entstehungs-
zeit s. 341 fgg., Stammbaum der sage
s. 346.
höfische dichtung vgl.epos; vgl. minnesang.
Hünen: die Rümer als Hünen bezeichnet
s. 276 fgg., s. 280 fgg., s. 285, WaUia
als bezeichnung der Kelten s. 277 fgg.,
das römische kastell als Ursprung der
deutschen stadtanlage s. 278 fgg. , die
Römer als 'beiden' bezeichnet, die lie-
zeichnung der Römer als 'Hünen' in
oi'tsnamen erhalten s. 280 fg., Römer-
siedlungen auf germanischem boden
s. 282, Hünaland s. 283 fg., spätere an -
Wendung des Hünennamens auf die
Ungarn und Wenden s. 284 fg., das
Hildebrandslied s. 285 fg.
Irmisch, Thilo s. 107 fg.
Island s. 374 fgg., s. 467 fgg.
Kleidung vgl. altertumskuude.
Kleist, Heinr. v. s. 125 fgg.
Küdrün vgl. llildesage.
Lamprecht: Alexander vgl. Hildesage.
lautlehre: «-abfall im bayrischen s.356fgg.
liederhandschriften: die Schwelinsche hs.
zu Stuttgart s. 404 fgg.
Meier Helmbrecht s. 421 fgg.
meistersänger vgl. Oesterreichei.
metrik: der dreiteilige strophenbau in lat.
dichtungen des 12. und 13. jhs. s. 433 fg.
minnesang: beziehungen des deutschen
minnesangs zur Provence s. 478 fgg.,
480 fgg., beziehungen zu den vaganten-
liedern s. 479 fg., zu Ovid s. 480.
Nibelungenlied s. 121.
Nibelungensage vgl. llildesage, vgl. Sieg-
friedsage.
Niederdeutschland vgl. epos.
Oesterroicher, Ambrosius: zwei gedichte
s. 347 fgg.
Opus imperfectuin in Müttliafimi : satz-
parallelismus s. 359 fgg.
512
II. VERZKICUNIS DKR BKSPROCHKNKN STRLLEN
III. WORTREGISTER
Oswald vgl. "Wolkenstein.
Otfrid s. 120.
phonetik: mbd. s. 243 fgg.
Provence vgl. minnesang.
rechtsgeschicbte vgl. augargathungi , vgl.
Sachsenspiegel,
reforniationszeit vgl. drucker.
romantik s. 125 fg.
Römer: vgl. Hünen; vgl. altertumskunde;
behauptung des rechten ufers am Nieder-
ihein s. 456 fg.
runen: denkmal von Britsum in Friesland
s. 174 fgg., bedeutung der rune p s. 177.
s. 180, friesische runenfunde s. ISOfgg.,
beziehung zu nordischen runendenk-
mälern s. 182 fgg. ; der Bornholmische
runenstein von Vester- Marie VI s.
218 fg.; die spange von Balingen s.
257 fgg., die deutung Söderhergs s.
259fgg., die deutung von Stephens
s. 259fg., neue lesiing s. 261 fgg.,
deutung s. 265 fgg.
Sachsenspiegel s. 484 fg.
Saxo vgl. Hildesage.
Schauspiel: weihnachtsspiele s. 252 fgg. ;
das spiel von den zehn Jungfrauen
s. 380 fgg.
Schwelinsche liederhandschrift s. 404fgg.
schwerttanz s. 347 fgg.
Siegfriedsage: beziehungen zur Floovent-
fabel s. 226 fg.
Stilistik vgl. Opus iinperfectum.
Syntax vgl. altnordisch.
Totentanz: der oberdeutsche vierzeilige
text s. 67 fgg. , handschriftenverzeichnis
s. 68, Docens text s. 69 fgg. , die hs.
H.^ s. 71 fgg. , Verhältnis des lat. textes
zum deutschen s. 74 fgg. , die Verwandt-
schaftsverhältnisse der übrigen hss. und
der Baseler text s. SOfgg., deutscher
text mit Varianten s. 83 fgg. , der lat.
text s. 90 fgg.
trachtenkunde vgl. altertumskunde.
Türlin, Ulrich von: Willehalm s. 220.
Verfassung vgl. augargathungi.
Völkerkunde vgl. altertumskunde: vgl.
schwerttanz.
V(jlsungasaga vgl. Edda.
"Walthersage vgl. Hildesage.
weihnachtsspiel s. 252 fgg.
Wernher vgl. Helmbrecht.
Wikinger s. 109 fgg.
Willehalm vgl. Tüiiin.
Wolkenstein, Oswald von, s. 251 fg.
Würmer vgl. beschwörung.
I'iSrekssaga vgl. Hildesage.
IL VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.
Edda, Voluspä 5, 1—4 s. 430 fgg.
Heinrich von Freiberg, Ritterfahrt:
v. 5. 7. 8. 147. 256. 277. 290
s. 239.
Hildebrandslied v. 35 und 39 s. 285 fg.
Lamprecht, Alexander: Strassburger hs.
V. 1830 fgg., s. 204 fgg.,
Yorauer hs. v. 1321 s. 205 fgg.
Paulus Diaconus I, 24 s. 391 fg.
Tacitus, Germania, c. 26 s. 288 fgg.
in. WORTREGISTER.
Althochdeutsch.
dihan s. 280.
Laugobardiscli.
augargathungi s. 286 fgg., s. 289 fg.
Lateinisch.
dignatio s. 288 fgg.
Neuliochdeutscli,
bord s. 373.
fessel (=fussgelenk des pferdes)
s. 393 fgg.
gedeihen s. 289.
Buchdrackerei de$ Waiseühaases in Halle a. S.
PF
3003
Z35
Bd./,0
Zeitschrift für deutsche
Philologie
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