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ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
vox
Hugo Gering und Friedrich Kauffmann
ZWEIUNDVIERZIGSTER BAND
^
V
VERLAG VON W. KOHLHAMMER
BERLIN W 35
Derfflingerstrasse 16.
STUTTGART
Urbanstrasse 14.
1910.
LEIPZIG
Roesplatz 16.
Ff
3oo5
Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart.
INHALT.
Seite
Orabhügel und könii;shügel in uorclischer lieideuzeit. Von K. Lehmann . . 1
Hiatus und synaloeplie bei Otfrid. Von R.Kappe 15. 189
Studien über die Nibelungenhandschrift A. Von C. Corves 61
Braut und gemahl. Von Fr. Kauf fm an n 129
Heinrich von dem Turliu und die spracliform seiner Krone. Von G. Gral) er 154. 287
Das totentanzproblem. Von W. Fehse 261
Zwei runeninschriften aus Norwegen und Friesland. Von Tb. v. Gricnbcrger 385
Ahd. drunti, nibd. ernde. Von K. Guutermann 397
Deutsche synaloephen in den Otfridhandschriften. Von R.Kappe . . . . 407
Zur erklärung der ausdrücke nwsta hrosära, annarra hrcedra, pridja hroedra.
Von A. Bley 417
Das 'Vado mori'. Von Willy F. S torck 422
Hans Sachsens drama: 'Der marscbalk mit seinem söhn' und seine quellen.
Von A.L. Stiefel 428
Misz eilen.
Zu Ambrosius Österreichers Schwerdttanz. Von A. G e b h a r d t 97
Altnordisch v. Von H. G e r i n g 233
Zwei altenglische runeninschriften. Von F. Holthausen . . . . . . 331
Zu Goethes Faust. Von A. Frederking 333
Zum Henno des Hans Sachs. Von P. Gruse 344
Noch einmal zur etymologie von braut. Von W. van Helten 446
Caspar Stieler als dichter der Geharnschten Venus. Von W. Eiermann. . 447
Literatur.
P. Diels, Die Stellung des verbums in der älteren ahd. prosa ; von H. Stolzen-
burg 109
B. Crome, Das Markuskreuz vom Göttinger Leinebusch; von R. C. Beer . 112
H. Reichert, Die deutschen familienuamen nach Breslauer quellen des 13.
und 14. Jahrhunderts ; von K. 01b rieh llii
E. Jäschke, Lateinisch-romanisches fremdwörterbuch der schlesisclien nmnd-
art; von K. Olbrich 117
C. Bore kling, Die niederdeutschen rechtsquellen Ostfrieslands; von V. Pauls 119
H.Möller, Semitisch und indogermanisch; von M. Lidzba r ski . . . . 120
J. van Ginnecken, Priucipes de linguistique psychologique ; von K. Vossler 122
H. G. Graef , Goethe über seine dicbtungen VI; von R. SokoIoM'sky . . 124
A. Gebhardt, Grammatik der Nürnberger mundart; von Fr. Kauf f man n 126
Neuere Schriften zur runenkunde (Lud v. Wimmer, De danske runemiudes-
maerker I, 1; IV, 2; M. Olsen og H. Schetclig, En iudskrift med
seldre runer fra Floksand i Nordhordland; O.v. Friesen och IL Hans-
so n , Kylfverstenen) ; von H. G e r i n g -36
K.W ehr hau, Kiuderlied und kinderspicl ; von W. Jürgen sen .... 250
A\ Moser, Historisch-grammatische einführung in die früh neuhochdeutschen
Schriftdialekte; von A.Götze 251
O. Draeger, Th. Mundt und seine beziehungen zum Jungen Deutschhxnd;
von R.M.Meyer T 254
A. Bley, Eiglastudicn ; von Björn M.Öls en 255
IV INHALT
Seite
Fr. Wilhelm, Deutsche legenden und legendäre; von G. Ehrl s mann . . 257
W. Hiutze, Moscheroscli und seine deutsclien Vorbilder in der satire;
J. Bein er t, Deutsche quellen und Vorbilder zu Moscheroschs Gesichten;
von A. Hauffen 345
K. E i e d e r , Der sogen. St. Georgener prediger ; von ( ). Simon 3B6
R. Brill, Die scliule Neidharts; von G. Ehrismann 357
E. Dicklioff, Das zweigliedrige wortasjnideton in der älteren deutschen
spräche; von G. Ehrismann 358
R. Sokolowsky, Der altdeutsche minnesaug im Zeitalter der deutschen
klassiker und romantiker; von G. Ehrismann 361
G.M. Priest, Ebernand von Erfurt; von G. Ehrismann 361
M.Leopold, Die Vorsilbe ver- und ihre geschichte; von G. Ehrismann . 362
P. Habermann, Die metrik der kleineren ahd. reimgedichte; von Fr. Kauff-
mann 364
W. Streitberg, Die gotische bibel; von H. Stolzen bürg 366
Finnur Jonsson, Brennu-Njälssaga ; von B. Kahle 368
W. Wilmanus, Deutsche grammatik Ell; von H. Wunderlich . . . . 373
G. Trilsbach, Die lautlehi-e der spätwestsächsischen evangelien ; J. W i 1 k e s ,
Lautlehre zu .Elfrics Heptateuch und Hieb ; von G. B i n z 380
F.Fischer, Die lehnwörter des altwestuordischen ; von A. Gebhardt . . 448
R. V. Muth, Einleitung in das Nibelungenlied, 2. aufl. besorgt J. W. Na gl;
von Fr. Panzer 452
O.Runge, Die metamorphosenverdeutschuug Albrechts von Halberstadt; von
G. Baesecke 453
W. Golther, Die Gralsage bei Wolfram von Eschenbach; von P.Hagen . 461
A.Kalla, Über die Haager liederhandschrift nr. 721; von A.Kopp . . . 462
A. Daur, Das alte deutsche Volkslied nach seinen festen ausdrucksformen
beobachtet ; von G. D i e t r i c h , 467
M.Pfeiffer, Amadisstudien ; von A. Hauffen 470
P. Probst, Dramatische werke, herausg. von E. Kreisler; von A. L. Stiefel 483
R. Payer von Thurn, Wiener haupt- und Staatsaktionen; von G. Witkowski 485
M. Schlenker, Batteux und seine nachahmungstheorie in Deutschland; von
Th.A. Meyer 487
F. Wenzlau, Zwei- und dreigliedrigkeit in der deutschen prosa des 14. und
15. Jahrhunderts; von G. Ehrismann , 488
0. Hille, Die deutsche konu3die unter der einwirkung des Aristophanes ; von
Fr. E.Hirsch 491
E.Zimmermann, Goethes Egmout; von R.M.Meyer 498
W. Bo de, Charlotte von Stein; von R. M. Meyer 494
E. B e r e n d , Jean Pauls ästlietik ; von A. B i e s e 496
.J. H. S e n g e r , Der bildliclie ausdruck in den werken Heinr. v. Kleists ; von
C. Meyer 498
R. Mer.inger, Aus dem leben der spräche: versprechen, kindersprache, nach-
ahm ungstrieb ; von A. Tliumb 499
M. Joachimi-Degc, Deutsche Shakespeare-probleme im 18. Jahrhundert und
zur zeit der romautik ; von R. P e t s c h 501
A. Kühler, Die deutschen berg-, fluss- und Ortsnamen des alpinen Hier-,
Lech- und Sanuengebietes ; von H.Fischer 503
W. V. Unwerth, Die schlesische mundart; von K. Gusinde 504
W a 1 1 h e r von d e r V o g e 1 w e i d e herausg. von K. L a c h m a n n , 7. ausg.
besorgt von G. v. Kraus; von F r. P a n z e r 505
Berichtigungen 506
Neue erscheinungen 127. 258. 382. 506
Nachrichten 128. 260. 384
Register. Von R. Kappe 509
GRABHÜGEL UND KON^IGSHÜGEL IN X0KDI8CHER
HEIDENZEIT.
Dem rechtshistoriker eröfinen sich durch die fortschritte der
nordischen altertiimskunde neue und schwierige aufgaben. Es gilt,
in die geheimnisse der rechtsatiffassung einer vorzeit einzudringen,
über die uns nur wenige äusserungen der Schriftdenkmäler vorliegen.
Nur langsam tastend vermögen wir uns in die seelenwelt jeuer menschen
hineinzufinden, deren leben sich auf so ganz anderen materiellen und
geistigen grundlagen aufbaute. Als die Eddalieder, die Sagas und
die grossartigen gesetze des Nordens entstanden oder doch nieder-
geschrieben wurden, lagen die tage des erdenwallens jener menschen,
deren asche oder gebeine der grabhügel barg, in ferner vorzeit. Aber
die zum teil gewaltigen grabbauten standen der sagazeit vor äugen.
8ie erfüllten die phantasie der lebenden. Um die familiengräber, die
sich auf den stammgütern der odelsbauern vorfanden, spielten die
heranwachsenden kinder. Über die vergrabenen schätze giengen ge-
heimnisvolle gerüchte. Der tote grabbewohner bewahrte diese schätze
und kämpfte mit dem eindringling um ihren besitz. Mit der geschichte
des Volkslandes, der hundertschaft, der dorfschaft, ja der einzel-
geschlechter waren die heidnischen grabhügel eng verknüpft. Vielfach
- man denke an Island - legte noch der name des hügcls zeugnis
ab von dem herrn des grabes. Gegenüber dem christlichen kirchhof,
wo höchstens die rangordnung den im leben besessenen Vorzug be-
wahrte \ der keine beziehung zum einzelgehöft zu haben brauchte,
war der heidnische geschlechterhügel bestandteil des ererbten grund-
besitzes. Für sich, auf der eigenen schölle, war der tote gelagert.
►So blieb der Zusammenhang der sippe mit dem toten ahnen stärker
gewahrt. Geheime bände verknüpften den lebenden mit den dahin-
gegangenen voreitern. Die grabhügel mubsten eine nicht geringe bc-
1) Borgar{)inf4slö8- I, 9; II, 18; III, 13; Eiö.sifjal)iiigslöj,^ I, 50: IL 39. Vgl.
]\I a u r e r , Die freigelassenen nacli altnonveg. recht s. 34. 35.
ZEITSCHRIFT F. BEÜTSCHE PIIILOLOCJIE. BD. XLJI. 1
LEH^rANX
deutuiig- haben für die bewahnnig- der geschlechter- ja der ganzen
volksüberlieferung.
Was haben uns hiervon die quellen bewahrt? Es ist leider nur
weniges. Freilieh durchzieht die berichte der historiker wie die helden-
licder eine ehrfurchtsvolle, mit grauen gemischte scheu vor den heiden-
hü"eln, deren sie oft genug gedenken, und auch die rechtsquellen
kommen in eiuzelwendungen wie in rechtssätzen auf sie zu sprechen
- aber welche bedeutuug sie für das rechtsleben ursprünglich besassen,
lässt sich aus ihren sätzen schwer entnehmen. Jedoch der eifer, mit
dem sich die christenrechte gegen ihre pflege kehren, scheint zu er-
weisen, dass die kirche in den heidenhügeln einen starken Widersacher
erblickte, dessen bekämpfung zur eigenen behauptung ihr unerlässlich
erschien. Bereits hier mag auf Heimskringla, Olafs saga hins helga
cap. 121 (Finnur Jonssons ausg. II, 262 fg.) hingewiesen werden, wo
vom heiligen Olaf erzählt wird, er sei, als er psalmensingend durch
Vörs zog, 'gegnt haiigunum gekommen und habe seinen nachfolgern
verboten, 'i milU pessa hauga zu reisen, ein verbot, das die meisten
könige der folgezeit innegehalten hätten. Die haugar können nur
heidnische grabhügel gewesen sein.
'Hügelmänner' nennt das schonische recht' die beiden; 'vom heid-
nischen hügel her' ist eine wendung, die bei Norwegern ^ Schweden^,
Dänen ^ und Isländern^ begegnet, um die unvordenklichkeit'' zu bezeich-
nen. Man beruft sich darauf, dass das gut eigenes stammgut sei 'fra
heidhnom haugli (den gegensatz bildet die 'utjörÖ' '), oder dass die grenze
zwischen verschiedenen almenden stets so gelaufen sei: 'fra hreidnom
hoicghe^. Die voreitern werden aufgezählt 'fra haugt ^ oder 'til haughs
ok til heidni^^. Das alte dorf ist im West- und Ostgötalag das
1) Skäaelap;en I, 3.
2) Siehe Fritzner, Ordbog s. v. 'haugr'. Vgl. auch Falk-Torp, Ety-
mologlsk ordhok s. v. '■hedenlws\
3) So der wall, Ordhok s.v. 'Ms\
4) Kaikar. Ordbog s. v. 'heden'.
5) Gering, Islendzk .Eventyri I, 113.
6) 'frn arilds Ud\ 'fra ggmlu aldri', 'at fonw', 'ai fonm fari', 'at fi/rmku',
' urminnis h äfdli' .
7) Dipl. Xorveg. 11 ur. 694.
8) Dipl. Norveg. in nr. 273. Vgl. Fr it zu er a. a. o. uud dazu Dipl. Norveg.
XI nr. 175.
9) Dipl. Norveg. IIl ur. 122.
10) Rettarbod von 1316 iu NGL. IE, s. 121.
11) Forni beer in Norwegen, Pritzner s.v. 'Jörn'.
GRAüHLUEL l'XD K()X[GSHl(;EL IX NORDIHCHKlt HEIDEXZKIT 3
'hügeldorf , 'von der heidenzeit ab gegTÜndet' {'höghce byr ok af hepnu
hijijdtt'y \ ^ijöy bij ok gamaU liögha byr ok hepim byr ■^). Den g'og'on-
satz bildet der afgterlns byr '^. Die memd bezeugt, dass ein gut treigut
{frälsegodz) ist 'af hednom hös' ^ oder 'ut aß' hedhindomenoni '", oder
dass es zu einer feldmark seit jener zeit gehörte ", oder gar, was
wunderlicli genug Idingt, dass ein grundstüclc der kirelie zugehört
habe 'af hednom hös' '', statt, dass hier auf den ersten christlichen
könig zurückgegangen wird'^. Asbjorn von Meöalhüs lässt Snorri
dem Häkon g"6öi, der vorschlägt: at allir nienn skyldu kristnaz lata
ok traa ä einn guÖ, Kr/st Marhi son, en hafna blötimi glliim ok heiÖ-
num godum erwidern, dass das volk von |)randlieimr nicht gewillt sei,
'at hafna ätrmadi peim, er fedr vdrir hafa haftfyrir 0!<s ok altforellri,
fyrsf um brimagld en nü haugsgld' ^. Das hügelzeitalter schliesst in
der Vorstellung Snorris das lieidenzeitalter ab.
In einer papierhandschrift aus dem 17. Jahrhundert ^° finden sich
auszüge aus der älteren Gulajiingsbok, welche Bjarni Petursson zu
Stadarholl machte, darunter stücke, die andere auf uns gekommene
handschriften des Gulathing-rechts nicht aufweisen. Eine sehr merk-
würdige stelle bestimmt, dass gewisse weiber (ehefrau, tochter, Schwester,
mutter des erschlagenen) nur in 3 fällen über die näheren umstände
eines totschlags glaubwürdige aussage machen dürfen, nämlich erstens,
wenn der mann auf seinem hochsitz, sodann, wenn er auf der reise,
begleitet von der l)etretfenden frau, endlich, wenn er auf dem beim
gehöft liegenden ackerfeld erschlagen wird. Im letzteren falle wird
aber die einschränkung g:emacht, dass die frau die tat vom hause
aus, zu dem sie zugang hat, hätte sehen können 'oc gange pa hvorke
fyrer hoergur nie haugur og mä hun paÖan mann kenna', 'und nicht
Steinschichtung noch hügel dazwischen lag, so dass sie den totschläger
erkennen konnte'. 'Hgrg/ wird als die sakralen zwecken dienende
1) WG. r Joy\)\). 15, II, J. B. 36.
2) (Mg. L. Bygd B. 28 § 2.
3) Ostg. L. Bygd B. 28 § 5.
4) Svenskt Dipl. teil II nr. 1081, 1190, 1794, 279, 1828; Kiks Anh. Pergl.. II
iir. 2957, 3017.
6) Svenskt Dipl. teil II nr. 1830. Zu dieser unhistorisclicn wenduiig H 11 «1 e-
brand, Sveriges Medeltid 11 p. 198.
6) Riks Areh. Pergb. H ur. 2073.
7) Svenskt Dipl. teil IT nr. 252 (aus dem jähre 1402).
8) so in den Frostuijingslyg : um daya 6laf,s hins hch/a (XIII. 9: X\'I, 2).
9) Heimskringla (ed. Finnur Jöussou) I, 188 fg.
10) AM. 146. 4 0 (NGL. IV s. 7 ibo. )5i).
1*
[, KU MANN
älteste form des tempels, d. h. steinsetzung mit opferstein \ liaiigr als
gTabliüiiol zu übersetzen sein ^. Ist das exzerpt von Bjarni Petursson
getreu nach dem original wiedergegeben, so zeigt die stelle anschau-
licli. Avie liäuiig, geradezu typisch wiederkehrend derartige denkmäler
aus der heidenzeit in Norwegen gewesen sein müssen. Nicht weit vom
gehüft befand sich danach der hai(gr'\ d.h. jedenfalls das familien-
grab der heidenzeit. Es ist derselbe haugr, von dem die Landsl^g
sprechen, Avenn sie bei entdeckung eines Schatzes einen bruchteil vom
schätz dem zusprechen, der 'nest a til haugodals at telia^, dem 'haiig-
odcds7nadr \ Denn der schätz fand sich entweder im grabhügel, oder
er war nach der anschauung des gesetzes von einem verstorbenen
ahnen anderswo auf dem stammgut vergraben. In beiden fällen ge-
jiörte er ursprünglich dem toten. Später wird eine teilung zwischen
könig, finder und abköramling des toten vorgenommen. Gieng im
laufe der zeit das stammgut auf eine andere familie über, so blieb
das recht auf den schatzanteil doch dem zum grabhügel berechtigten
gewahrt ".
'HQi-gr' und 'haugr treten in dem christenrechte des Gulal)ings
zusammen auf. 'Heidnisches opfer ist uns verboten, dass wir nicht
sollen opfern heidnischen göttern noch hügeln noch tempeln' («e hauga
ne horga) heisst es in Gjjl. 29. Die stelle fuhr, wie das bruchstück
in NGL. II s. 495, die abschrift Bjarni Peturssons ' und das sogenannte
christeurecht könig Sverrirs* cap. 79 übereinstimmend zeigen, weiter
fort: 'Aber wenn jemand überführt wird, dass er einen hügel auf-
schichtet oder ein haus errichtet und das 'hgrg nennt oder eine stange
aufrichtet und sie spottstange nennt ^, so habe er verwirkt jeden pfennig
seines gutes'. Was ist unter dem aufschichten eines hügels zu ver-
stehen? Man hat entweder an einen heidnischen grabhügel oder einen
davon zu scheidenden besonderen opferhügel {blothaugr) gedacht. Das
1) Darüber jetzt Thüminel iu Braunes Beiträg-en 35 s. 100 ff.
2) So auch E. Hertzberg im Glossar zu NGL. s. v. 'haugr\
3) Das wort 'haugr' wird in den quellen mit Vorliebe für grabhügel gebrauclit.
4} VI, 16 (NGL. II, 101).
5) Vgl. meinen aufsatz Zeitschr. 39, 279.
6) Darüber meine ausführungen a. a. o. und dazu 0. A Imgren in Svenska
fornminnes föreningens tidssk. X 229 sowie in Nordiska studier tillegn. A. Xoreen
s. 309 ff.
7) NGL. IV s. 6.
8) NGL. I s. 480.
9) '■flannsUjng'' nach dem Priapus, vgl. Gering, Über Weissagung und zauber
im nordischen altertum, rektoratsrede, Kiel 1902, s. 30 anm. 136.
OKABHUGEL UND KONIGSHÜGEL IX XOKDISCHEU HEIDEXZEl'l' O
letztere tut Fritz n er unter Verweisung auf Flateyjarbok II, 27. Hier
Avird erzählt: 'König Olaf lässt erbrechen den opferhügel der beiden
{hlothaiui peirra Jueidingia). Aber darum ward er so genannt, weil
stets, wenn sie das grosse opfer für ein ertragreiches jähr oder frieden
abhielten, sie alle zu diesem hiigel zogen, dort tiere opferten und da-
hin viel geld brachten und in den hügel legten, bevor sie fortgiengen.
König Olaf erbeutete da ungeheuer viel geld'. In den Fornmanna-
sögiir IV s. 57 lautet die stelle: 'sie laufen da hinauf und erbeuteten
viel geld in einem opferhügel; es war starker stürm, und der hatte
den hügel verweht; es lag das silber blank da, und sie fanden des-
halb das geld'. Die deutung bleibt auch hier zweifelhaft, ob man es
nicht mit einem grabhügel zu tun hat, der zugleich zu opferzwecken
verwendet w^urde.
Der Olafs |)attr Geirstaöa-alfs ^ berichtet, könig Olaf habe ein-
mal geträumt, dass ein grosser schwarzer und fürchterlicher stier von
Osten her in das land käme, durch den viele leute zugrunde giengen. Er
deutet dies auf eine schwere pest, die von osten her kommen und
ein grosses sterben zur folge haben würde, und an dem sein gefolge
und er schliesslich zugrunde gehen würden. Er rät darum, einen
grossen hügel auf der landzunge aufzuwerfen und quer über die land-
zunge einen hohen wall zu errichten, damit kein vieh darüber gienge.
In den hügel solle jeder mann von ansehen eine halbe mark für sich
zur bestattung legen. Das sterben werde nicht eher aufhören, als l)is
er selbst nach seinem tode in den hügel gelegt worden sei. Der könig
knüpft daran rationalistische betrachtungen über die Unsitte mancher
menschen, die solchen verstorbenen opferten, von denen
sie, während jene lebten, förderung hatten. Nach dem
Vorschlag des königs wird ein überaus grosser hügel aufgeschichtet
und alle leute von bedeutung, die an der pest starben, werden dort
bestattet, zuletzt der könig, der mit viel geld zu seinen mannen in
den hügel gelegt wird. Dann Avird der hügel geschlossen und das
grosse sterben hört auf. Sie beschlossen darauf, da ein schlechtes
jähr folgte, dem könig für ein erfolgreiches jähr zu
opfern, und hiessen ihn Gcirstaöa-älfr.
Was an diesem seltsamen bericht vor allem bedeutungsvoll ist,
ist, dass hier der hügel ein totenhügel ist, dass direkt gesagt ist, dass
verstorl)enen, die segen während ihres lebens gebracht hatten, geopfert
1) FlatcyjaTl)ök 11 s. 8%.
6 LKHMANN
Avird und dass dies aiu'li trotz der verwnliruiii;' des könig-s bei ihm
geschieht '.
Im ührig-eu erinnern einzelne zügc in diesem berieht an die
l»ekannte stelle der Hyrbyg-gja von f)6rülfr Mostrarskegg : 'J^orulfr
nannte das land zwischen dem Vigrafjorör nnd Hofsvägr |)örsnes.
Auf dieser landzunge ist ein berg. Diesem berge zollte J^orulfr so
grosse Verehrung, dass niemand ihn ungewaschen anblicken durfte und
man nichts auf dem berge töten durfte, weder vieli noch menschen.
Diesen berg nannte er den Heiligenberg (Helgafell), und er glaubte,
dass er dahinein fahren würde, wenn er stürbe, und alle seine ver-
wandten auf der landzunge' -. Jsörölfr wird nach seinem tode aller-
dings nicht hier, sondern in Haugsnes bei Hofstaöir bestattet. Aber
als später ein schäfer am Heiligenberg vorübergeht, sieht er, dass der
berg aufgetan war; er erblickt darin grosse teuer und hört grossen
Jubel und hörnerschall, und als er lauschte, ob er einige worte ver-
stände, hörte er, dass f>örsteinn, der söhn p)6r61fs, begrüsst wurde
nebst seinen begleitern und ihm der sitz im hochsitz gegenüber seinem
vater eingeräumt wurde. Denselben tag war J^örsteinn beim fischfang
ertrunken ^. Was hier gemeinsam mit dem vorigen bericht ist, ist die
Verbindung des aufenthalts des toten mit der heiligkeit der statte.
Als Freyr-Yngvi auf den tod lag, verheindichte man seinen zu-
stand, baute einen grossen hügel mit tür und drei Öffnungen, trug
ihn nach seinem tode heimlich in den hügel und sagte den Svear,
dass er noch am leben sei. Die abgaben wurden in den hügel gelegt,
in die eine Öffnung gold, in die andere silber, in die dritte kupfer.
Infolgedessen dauerten fruchtbare zeiten und friede fort *. Der letzte
satz- zeigt die anschauung, dass der tote noch segen aus dem hügel
stiftet.
Als Hälfdan svarti starb, baten sich die grossen von Raumariki,
Vestfold und Heiömörk aus, dass sie die leiche erhalten und in ihrem
Volksland 'behügeln' sollten. Denn es schien fruchtbare zeit
dem zu erwachsen, der sie erhielte. Man einigte sich, die
leiche in vier teile zu zerlegen; das haupt ward in den hügel zu
1) Diesen und anderen Zeugnissen gegenüber ist die behauptung von
S. Müller, Nordische altertumskundc (übers, von Jiriczek I s. 124), dass im
Norden bestimmte Zeugnisse für totenverehrung und opfer am grabe mangelten,
nicht aufrecht zu halten.
2) cap. 4; La n du am a II 12 vgl. II 16; dazu Mogk bei Paul- III s. 385.
3) cap. 9, 11.
4) Heimskr. Yngl. saga cap. 10 (Finnur Jöiissons ausg. I, 28 fg.).
GRABHÜGEL UM) KOXIG8HUGEL IX NOKDtSCHEIt HEIDEXZEIT 7
Stein in Hringariki gelegt, die anderen nahmen jeder einen teil mit
nnd bargen ihn in hügel 'nnd das alles hiessen hügel des Halfdan' ^.
In der Ketils saga hjengs eap. 5 (FAS. II, 132) wird vom wikinger-
könig Framarr erzählt: 'kann vor blötmadr ok bitu eigi järn; kann dtti
r'/ki i Hunaveldl ä Gestrekalandl; hann blotadl Arhaug , par festi eigi
snjö a nnd nachher: ' Ketill . . . koni jolaaftan fil Arhaugs; hann var
blötadr nf Framai-i ok landsrngmium t il ä r s' . Dass auf dem «r7i«?<yr
sich nicht schnee halten kann, erinnert an die Gisla saga Surssonar ^,
wo vom grabe joorgrims gesagt wird, 'nt aldri festi snce iitan simnan ä
haugi Porgrlms, ok ekki fraus; ok gätu menn pess til, at hann myndi
Frey svd ävai-dr fyrir hlötin, at hann munde ekki vilja, at ftwi d
milli peira' lind an die Landnäma II cap. 7 (Finnur Jönssons ausgäbe
s. 27 ^^ und s. 149 ^^): Laugurbrekku-Einarr car heygdr skamt frd Sig-
mimdarhaugi ok er haugr hans dvallt gnenn vetr ok sumar'. Danach
dürfte bei dem Arhaugr der Ketilssaga an einen grabhügel zu denken
sein '\
Von Grimr kamban berichtet die Hauksbok, dass 'ihm aus
dankbarkeit nach seinem tode geopfert wurde' ^.
Sehr eigentümlich ist der bericht von der expedition des Karli
haleyski nach Bjarmaland. Er betrifft zwar die anschauungen und
kultgebräuche der bewohner von Bjarmaland, allein es ist anzunehmen,
dass hier zugleich Vorstellungen über die eigenen früheren zustände
mit unterlaufen. J^orir hundr erzählt seinen kameraden, man könne
sich leicht geld verschaffen. Es wäre da sitte, wenn reiche männer
stürben , dass die fahrhabe zwischen dem toten und seinen erben
geteilt werden sollte; der tote sollte die hälfte oder ein drittel oder
mitunter weniger erhalten. Das geld trüge man hinaus in die wälder
oder auch in hügel und bedecke es mit erde; mitunter baue man
häuser dazu. Daraufhin wird ein raubzug in das innere des landes
unternommen. Man gelangt in einen wald und dann auf eine lich-
tung, wo ein hoher zäun einen hügel umgab, in dem gold, silber und
erde vermengt lagen. Dabei stand das götterbild des Jömali . . . Der
hügel, wie das götterbild, wird geplünderte Es ist hier nicht recht
klar, ob der hügel der grabhügel der verstorbenen, oder ob es sich
1) Heimskringla, Halfd. s. svarta 9 (Finnur Jönssons ansj^-. I, 97).
2) Gisla saga cap. 18, 2 ( Altn. sagabibl. 10, 1;3).
3; Keys er, Samlede Afhandlingr s. :342 lässt es daliingcsteJlt, oli man an
einen grabhügel zu denken habe.
4) Landnäma I cap. 14 (Finnur Jönssons ausg. s. 12 33).
5) Heimskr. Olafs s. h. helga cap. 133 (Finnur .Jönssons ausg. IT, 292 fg.).
um einen reinen opfcrlüigel handelt. Aber der Verfasser bringt beides,
wie es scheint, in inneren znsaninienhani;-. Denn sonst wäre die be-
nierkung über das toteuteil nicht verständlich.
Die Orvar-Oddssag-a cap. 7, 7 (Altn. sagabibl. 2, 16) enthält ähn-
liches, wo sie von Bjarmaland spricht: 'Ein hüg-el steht an der Dvinn.
Er ist aus zwei bestandteilen, erde und silber, errichtet. Dahin soll
man eine handvoll silber nach dem tode jedes, freilich auch, wenn
jemand geboren wird, bringen, und ebensoviel erde'. Der bericht ist
noch dunkler, zeigt aber jedenfalls Zusammenhang zwischen Opferung
und totenkult. Und klar tritt dieser Zusammenhang in der Snorra-
Edda' hervor, wenn der grabhügel könig Helgis aus schichten aus
gold und silber - das als opfergeld {hlötff) bezeichnet wird - und
von erde und stein hergerichtet wird, Aveshalb das gold 'Uekja haug-
pgh' heisse.
Nach alledem scheint der hlöthaugr ein grabhügel zu sein, dem
mau wegen des grabbewohners opfert, und wenn die G])!. 29 ver-
bieten, bügeln zu opfern, so dürften sie wiederum an grabhügel ge-
dacht haben-. Der grabhügel wäre danach zugleich altheidniscbe
kultstätte gewesen.
Von hier aus dürften gewisse w^eitere berichte über die bedeutung
von bügeln erklärung finden -^
Als Haraldr härfagri die kleinkönige bekämpft, da lässt könig
Herlaugr im Nanmudalr einen grossen hügel bauen, in den er mit
12 begleitern sich einschliesst. König Hrollaugr dagegen besteigt
den hügel, auf dem die könige gewohnt waren, zu sitzen,
lässt des königs hochsitz dort errichten, setzt sich hinein, steigt dann
her^ib und erniedrigt sich zum jarP. Wir ersehen hieraus, dass der
kleiukönig herkömmlich einen bestimmten hügel als sitz einzunehmen
pflegte.
In der liäkonar saga gööa' wird erzählt, dass die Droutheimer
von dem hochlandskönig Eysteinn vor die wähl gestellt wurden, zum
könig seinen Sklaven |5Örir faxi oder den hund Saurr zu nehmen.
Sie zogen das letztere vor, richteten ihm einen hochsitz ein, und er
1) Skäldskaparmäl cap. 45 (Aruarn. ausg. I, 400).
2) Vg-1. schon Mogk iu Pauls Grundriss III 2 s. 385.
3) [Zum folKcndcu vgl. Olrik, Danske Studier, 1909, 1 ff. Red.]
4) Heimskr. Har. s. h. härf. cap. 8 (Finnur Jönssous ausg. I, 106).
5) cap. 12 (Heimskr. ed. Finnur Jönssou I, 182 fg.). Über die gleichstelluug
von Sklave und hund Fritzuer s. v. '}iuiidr\ Hertzberg iu Germauist. abh.
für M a u r e r s. 324.
GRABHÜGEL UND KOXIGSHÜGEL IX XOKDISCHEU HEIDEXZEIT 9
sass auf einem hü gel wie könige {ok kann sat ä hawii sein
konungar). Er wolinte auf der Insel löri ; seinen sonstigen aufenthalt
hatte er auf dem Saurshaugr. Zum Verhängnis wurde es ihm, dass
wölfe sein vieh anfielen. Er lief vom hügel herab und fiel den
Wölfen zum opfer.
Das Agrip cap. 12 erzählt, dass künig Hersir im Naumudalr aus
kummer über den tod seiner frau sich das leben nehmen wollte. Da
er aber hörte, dass dies nur jarle, nicht könige getan hätten, da
begab er sich auf einen hügel und wälzte sich von ihm herab ^ und
erklärte, er habe sich aus dem königtum gewälzt und hängte sich
dann als jarl auf.
Ein bestimmter hügel erscheint in diesen fällen als königssitz.
Ist au einen natürlichen hügel oder an einen künstlichen hügel zu
denken ? Dass es kein natürlicher hügel war, ergeben folgende stellen
des Stjornu-Odda draumr (Nord. Oldskr. XXVII) :
Cap. 5. König Geirviör von Gautland verrichtet, 12 jähre alt
(d. h. grossjährig geworden), heldentaten, um sich den thron zu ver-
dienen. Hierauf beruft er ein thing zusammen und wird vom volke
belobt. 'Es errichteten die leute dem könige den hügel,
auf dem er sitzen sollte. Da ward der könig auf den
stuhl gesetzt, der auf dem hügel stand', und die leute er-
wiesen ihm königliche ehren.
Cap. 8. Nach weiteren heldentaten im ausländ zieht der könig
heim. Es ward ein thing einberufen, das sehr besucht war; 'es ward
der könig Geirviör von neuem auf den stuhl gesetzt und auf
denselben hügel wie früher erh oben- und nun zum könige
und herrsch er über alles Gautland genommen; es gieng da
ein häuptling mit dem anderen hinauf auf den hügel und erwies dem
könige ehre und achtung, jeder danach, wie er mittel und Stellung hatte'.
1) for J>a a kauf/ necquern oc veltisc fyrir <>f(in. An anderen stellen, wo
von veltaz ör konungdömi, jarldömi gesprochen wird, wird an ähnliches zu denken
sein. Fritzuer, Ordbog s. v. velta: K. Maurer, Vorlesungen über altnord. rechts-
geschichte I s. 146.
2) hafidr upp d enn sama hang. Du die altnordischen quellen eine schild-
erliebung nicht kennen, dürfte in den fällen, wo sie von hefja til konungs, til
ri'his sprechen, für die ältere zeit an das setzen auf den königshügel zu denken
sein, während später der norwegische könig auf den hochsitz im thing zu Xiöaröss
vor der Christkirche THiröskrä cap. 5) und zuletzt auf den steinernen thron an dei-
nordseite der domkirche erhoben wird (Daae, De norskc kongers hyldning og
kroning 1906 s. 17). Hat das Haugalnng von Haugar bei Tönsberg, das der hul-
digung der könige diente, von königshügeln den nanienV
10 LEHMANN
AVenu in cliristlicher zeit ' der norwegische könig- einen natür-
lichen berg oder hügel als sitz benützt oder auf einen stein tritt, um
zum Volke zu reden, so geschieht dies nur gelegentlich, nicht zu
dauerndem sitz.
Was den sinn des brauches betrifft, so sollte der künstliche
hügel die majestät des königs zum ausdruck bringen ; der hügel ist
der Vorläufer des thrones.
Aber es fragt sich, ob dieser hügel nicht noch eine weitere be-
deutung besass. Der Stjornu-Odda draumr ist eine späte quelle.
Die stellen der Heimskringla sprechen von einem herkömmlichen
königshügel (auf dem die könige gewohnt waren zu sitzen). Andere
(luellen belegen, dass der aufenthalt auf einem bestimmten hügel
heidensitte war. In der Flateyjarbok ^ wird erzählt, dass der skalde
llallfreör von Olaf Tryggvason nach den hochlanden gesendet wird,
um den beiden f>orleif zur annähme des Christentums zu bewegen
oder ihn zu töten. Er begibt sich auf die gefährliche reise. Als er
an das gehöft jjorleifs kam, fand er den |3orleif auf einem hügel.
Denn er war, heisst es, gewöhnt, wie es sehr der leute art
in alter zeit war'\ lange drausseii auf einem hügel nicht
weit vom gehöft zu sitzen*. Hier wird der aufenthalt auf dem
hügel als heidensitte hingestellt. Erinnern wir uns der stelle aus der
papierhandschrift der Gula|)ingslog, wo des hügels in der nähe des
gehöfts gedacht wird '\ so ist kaum zu bezweifeln, dass man es mit
einem grabhügel, dem 'ödahhangr , zu tun hat. Der heidnische Xord-
mann liebt es, auf dem grabhügel der vorfahren zu sitzen.
Im Styrbiarnar |)ättr Sviaka})pa (Fiat. II 70) setzt sich der
12 j^hre alte (also grossjährig gewordene) söhn des Schwedenkönigs
Olaf auf den grabhügel seines vaters und verlangt sein erbe.
In der Friö|5J6fssaga'' wird könig Beli im hügel am fjord be-
stattet und ihm gegenüber in einem anderen hügel sein freund f>or-
steinn. Als Friö|)jofr um die band von Ingibjorg bei ihren brüdern
anhielt, traf er die kJiniffe auf dem hüii-el ihres vaters.
1) Fornm. sögur I s. 280 ; Heimskr. Ol. saga Tryggv. c. 55.
2) I s. 330.
3) [fornmemiis hättr'. Der fornmaör ist der lieide (Fiat. I, 189), der fornsidr
das heidentnui (Fiat. I, 349).
4) Dasselbe berichtet die Hallfreöar saga cap. 6.
5) In der Ketils saga hsengs cap. 5 ist der drhaugr in der nähe des gehüfts
von Byömöör, dem söhne von könig Framarr.
6) cap. I.
GRABHÜGER UND KÖXIGSHÜGEL IX NORDISCHER IIKIDEXZEIT 11
König Gautrekr sitzt jeden tag auf dem grabhügeU seiner ge-
mahlin. Jarl |)orgnyr 'hatte seine gemahlin sehr geliebt-, ihr grab-
hügel lag in der nähe der bürg. Es sass der jarl da oft bei gutem
wetter, sei es, dass er Verhandlungen (mcUstefmir) zu führen hatte
oder von ihm veranstalteten spielen zuschaute' -.
In der p)rymskviöa^ trifft Loki, als er nach jQtunheim kommt,
den riesenherrscher Ji^rymr auf einem hügel sitzend:
Prymr sat d hmigi
pvrsa dröttinn.
Ebenso sitzt in der Voluspa^ Egg|}er, der riesin hüter, auf einem hügel
'Sat par d hauyi
ok slo hgrpu
gijgjar hirdir
glnör Eggper' .
Es ist anzunehmen, dass das sitzen auf dem hügel, dessen die
Eddalieder erwähnung tun, eine kennzeichnung der herrscherstellung
sein soll, also in demselben sinne gemeint ist, in dem Snorri von
dem hügel als königssitz berichtet.
Von hier aus eröffnet sich eine möglichkeit (mehr ist es für mich
zurzeit noch nicht), die schwedische sitte der königswahl zu erklären.
Die wähl des königs der Svear geschah in der art, dass der
neugewählte auf einen erhöhten stein gestellt wurde, den Morastein
in der nähe von Upsala^ Olaus Magnus" schreibt von ihm: Est
etiam lapis ingens et rotundus, circiimcirca duodec/m minores adjaceutes
habens, cuneatis petris paululum e terra ehvatus, non procid a metro-
poli Upsalensi Morasten dictus: siqjer quem novus Bex cligendus iii-
■ßnitn popidi midfifudine pi-eserife suscipitnr - und an anderer stelle ' :
1) Gautrekssaga cap. 8; Hrölfs saga cap. 1.
2) G^iigu-Hrölfss. cap. 6. 10.
3) Str. 6.
4) Str. 42 (ed. B u g g e;.
.5j Scheffer, Upsalia aiitiqua 1G66 p. 336 ff.; Töriier, Disscrtatio de
Mora Steen, Upsala 1700; Wett erb lad (praes. Frondin), Specimen historicum
electionem regum ad lapides Morenses, Morastenar, sistens Upsala 1741; Sclilyter,
Juridiska afhandlingar p. 3. 4, der das Mora{)iug mit dem Mulal)ing in Öl. s. li.
helga cap. 81 in Verbindung bringt; H. Hildebrand, Sverigcs medeltid II s. 8. 9;
E. Hildebrand, Svenska statsförf. 1897 s. 69.
6) Historia de gent. septenti'. I cap. 31. Was Johannes 3Iaguus, Gotorum
Sveorumque historia 1568 lib. XXI cap. 1 berichtet, ist viel kürzer und nielits-
sagender.
7) üb. Vin cap. 1.
12 LKH:\rANN
Unde (d. li. bei lT|)sal;i) )tou procid est lapü cmnpestris amplus, ab
incol/s perpetno tempore Morasten appellatus, in circuitu XII continens
lapides paulo minori forma humi firmatos: in quo loco p>raedictl sena-
tores, seu reyni consüiarü ac nuntii confluere solent. Ibidem ex senatu
praecipmis oratione circumspectu proponit, quam necessarium sit pro
regni, omniumque incolarum Ubertate, in uniim Regem, ac Principem
consentire, prout a majoribus sup>ra talem lapidem, qui flrmi-
taiein signat, 'profidentius fuerit observatuw.
Die deutnng- des wahlsteins als Sinnbild der festig-keit der herr-
seliat't ist natürlich rein rationalistisch. Ahnlich sagt schon Saxo Gram-
maticus': Lecturi regem veter es affixi hwno saxis insistere suffra-
giaque promere consuevernnt, subj ectorum lapidum firmitate
facti constantiam ominaturi.
Ob Saxo vom Morastein gewusst hat oder ob ihm brauche in Däne-
mark vorschwebten, ist zunächst die frage. Sicher wird das letztere
anzunehmen sein. Denn die Esromsche chronik erzählt, dass, als die
Juten beschlossen, Dan zum könige zu nehmen, sie ihn zu einem stein
führten ^qui dicitur Daurerugh' 'posueruntque eum super lapidem, im-
ponentes ei nomen rer/is'\ In der Hervarar saga ok Heiöreks ' verlangt
Hloör bei der teilung des erbes von seinem bruder Angantj'r
'Hafa eil ek hälft alt
pat er Heidrekr ättl
grgf pä ina helgu
1) lil). I im anfang. [Vgl. Gering, Weissag, u. zauber s. 24 (anm. 2). Deu dort
gesammelten belegen sind hinzuzufügen : Haröar s. Grimk. c. 14 (Isl. sögur II -, 42)
und forst. s. boejarm. c. 6 (FMS. III, 185). Red.]
2) L a n g e b e k , Scriptores rer. Dauic. I, 224. Ob dieser stein identisch ist
mit dem, von welchem 0. Worm, Danicorum monumentorum libri sex 1B43 p. 89
spricht: In Cimhria j)rope Viburgum in ejus ferme situm . . . exstat quoque saxum
in cnmpo Danerliung dicto, in quo Daiium primtim inauguratum volunt. Vgl.
A. Huitfeld, Danmarckis rigis kronicke I, 1662 p. 5: TJdvalgelse slceede udi
Judland hos en sto r St e e n paa den Hede, som effter den Hendelse er kaldet
DanarUung. — 0. Worm behauptet, dass auch in Leire ein 'königsstuhl' existiert
habe '■grandi saxo inter reliqua conspicuus'. In seiner abbildung von Leire auf
p. 22 ist der mit 0 bezeichnete ^Hyldehoy' wie es scheint, ein grabhügel, der da-
neben befindliche natürliclie liügel 0 soll dazu gedient haben, dass der zum köuig
gewählte ihn betrat '■jura populo daturus et omnibus conspiciendum se praebiturus\
Waren zu Worms zeit die alten denkmäler in Leire noch erhalten, so würde seine
abbildung von bedeutung sein.
3) ed. Buggc p. 270.
GRABHÜGEL UXD KÖXIGSHÜ(iEL IX NORDISCIIEIt HEIDEXZEIT 13
er stendr ä GoÖpjödu
steinn pnnn enn fayra
er stendr ä stgöimi Daiipar'.
Schon ]\[iiiich^ hat darauf hingewiesen, dass hiermit wolil der
stein 'Danserugh' gemeint ist, und ihm schliesst sich S. Bugge in den
anmerkungen zur Hervararsaga ^ an. Dass der bericht Saxos also
ganz unglaubwürdig sei, wie Müller und Velschow'' und neuesten»
auch Jantzen^ annehmen, ist kaum richtig. Nur seine deutung ist
so wenig glaubwürdig, wie die des Olaus Magnus. Dagegen ist die
trage zu erheben, ob wir es nicht mit grabdenkmälern zu tun haben.
Die steine, die zu JMora den grossen stein umgeben, sind wohl die
Umfriedung, der grosse stein der deckstein des heidengrabes. Es lag
nahe, dass die wähl des königs an heiliger stelle erfolgte. Dazu
benutzte man das grab eines königs aus alter zeit {steinn ä stgdum
Danpar). Wie der deutsche könig später auf den stuhl Karls des
grossen zu Aachen, wo der grosse kaiser ruhte, gesetzt wurde, so
wurde der schwedische könig schon in der heidenzeit" auf das grab
eines heidenkönigs aus alter zeit gestellt. Der tote erteilte ihm ge-
wissermassen seine weihe.
Königshügel und thingstätte mögen nicht selten zusammengefallen
sein. Der grosse umfang der königshügel konnte sehr wohl zur ab-
haltung einer Versammlung hinreichend sein und die heiligkeit des
grabhügels teilte sich der Versammlung mit. Vom jarl |3orgnyr wird
ja berichtet, dass er 'mxUstefnur auf dem grabhügel seiner gemahlin
abhielt.
Ob Saxo " etwas derartiges vorschwebte, wenn er von 'Hotherus'
berichtet : 'Consueoerat autern in editi montis oertice consulentl poindo
plebiscitff depromere, ist allerdings zweifelhaft. Der editus mons ist
ja mehr als ein immerhin niedriger hügel. Man wird an das %-
berr/ und die p'mgbrekkur Islands erinnert', von denen Saxo vielleicht
1) Det u. f. liistorie I s. 218.
2) s. 362. 363.
3) Notae uberiores zu der stelle Saxos.
4) Übersetzung- von Saxos ersten neun büchern s. 17 auni. 2.
5) Die ansieht Scheffers und Törners, dass die eiuführung des Mora-
steins erst in eine spätere zeit gehöre, ist willkürlich.
6) Lib. III p. 122 (ed. Müller- Velschow).
7) In der Olafs saga Tryggvas. (Fornm. sögur I s. 280) heisst es: 'en er
l>iiigit var seit, stöd konungr ä hergi nQkkuru oh hans menn umhverjis'.
14 I.KIIMANN, CKAI'.llCOEI. UND KÖXIGSHÜGEL IX NORDISCHER HEIDEXZEIT
ii-eliört hat. Aber es ist erklärlich, dass später bei wachsender grosse
der Verhältnisse ein fels oder berg- den grabhügel ersetzte'.
Wenn die kultstätten, wie nach den isländischen Überlieferungen
anzunehmen ist, mit den thingstätten in Zusammenhang stehen, und
wenn der grabhügel zugleich opferhügel ist ^ so ist wahrscheinlich,
dass die grossen königsgräber zugleich thingstätten darstellten, dass
das 'sitja a haiuji' des heidenkönigs ein ausüben seiner regierungs-
gewalt bedeutet, und dass die heiligkeit des grabes zugleich das thing
heiligt. Die Umfriedung mit den steinen war dann das, was später
die vehgnd darstellten ; die steine waren zugleich 'döimteinar.
J. Grimm führt in seinen Rechtsaltertümern '' zu dem jähre 789 ein
placUum ad tumidum qui dicitur Walinehoug an. Tiimulus ist
grabhügel {timiidus j^aganorum in Capitul. de partibus Saxoniae) K
E. H. Meyer, Mythologie der Germanen s. IIG bemerkt:
,Da der altgermanische opferliof häufig zum gerichts- und ver-
sammluugsplatz diente, so erklärt sich, warum man noch im mittel-
alter auf grossen grabhügeln, als auf früheren totenopferstätten, ge-
richte und Versammlungen abhielt; so auf dem Gunzenle bei Augs-
burg und dem Birtinle bei Rottenburg am Neckar. Bei dem schitf-
förmigen grab von Blomsholm in Südschweden steht ein ^dom-
hringr\ ein gerichtssteinring mit einem mächtigen (opferPjstein in der
mitte'. Diese bemerkungen erfahren eine wichtige bestätigung in der
thatsache, dass die berühmte thingstätte der Friesen, der ehemalige
T pstalsboomer hügel bei Aurich, nach den urnenfunden zu schliessen,
eine heidnische grabstätte gewesen zu sein scheint l Dass ähnliches
bei manchen anderen hünengräbern anzunehmen ist, lehrt der augen-
scheiu. Die grosse des grabes wie die Umfriedung erwecken mit-
unter den gedauken, dass hier gerichtsversammlungen abgehalten
wurden. Gewiss war es schief, die alten steingräber lediglich als
1) Käluüd, Histor. topogr. beskr. I s. 368 aum. 1 wei^t darauf hin, dass
auf der {)iugbrekka in der MVTasysla (dem Pverärjjing) sich ein grosser stein befand,
der, wie es scheint, mit dem thingweseu in Verbindung stand.
2) Index superstitionum in Mon. Germ. Leges sect. II 4 °. I p. 223 : De sacri-
legis ad sepulchra mortuorum und hierzu Golther. Handbuch der geriu. mythol.
s. 92 ff.; E. Mogk bei Paul III s. 257.
3) 4. aufl. bd. II s. 422.
4) Mon. Germ. Leg. sect. II (4"). Tom. I p. 69.
5) Vgl. über den ort Upstalsbom v. Eichthofen, Untersuchungen über
friesische rechtsgeschichte I s. 297 ff. und die dort wiedergegebenen angaben von
Wiarda und Arends, welche mir durch den vorstand der gesellschaft für kunst
und vaterländische altertümer in Emden bestätigt werden.
KAPPE, HIATUS l'XD SYXAL()PHE BEI OTFRID 15
thingplätze aufzufassen. Hiermit hat die neue altertumsforschung auf-
geräumt. Aber dass sie zugleich nicht selten thingversammlungen
dienten, dafür sprechen die obigen quellenbelege und es ist die frage
aufzuwerfen, ob die thingversammlungen nicht gerade ursprünglich
an oder auf grossen heidengräbern stattfanden.
ROSTOCK. KAKI. LEHMANN.
HIATUS V^D 8YNAL0EPHE BEI OTFRID.
(Fortsetzung.)
§ 18. Partikeln.
1. Die negationspartikel iii.
A. Im aiiftakt.
I. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden
auftaktsilbe.
1. Die zweite auftaktsilbe lautet mit /- an.
a) Der sonant der negation ist elidiert.
Vor ?>-..
11824 nirzi'yi, thes s/u häti. II 173 nirft'ilen in then siiiiton. II 196 nirgeii
imo iz zi gi'tatc. IUl'235 Nirmcginot sili, ivisist lliüz. III 18 23 nirste'rbetit sie in
eivon. 1112432 nirstirbit er in eivon.
Vor int-.
II9S ni intrdtent sie nihi'inan. V ninträtent. 1184(5 ni intraUst scädon nia-
mer. P nintratist. II 12 30 ni intivirkit icörolt, ella. 111920 ninticeih imo iowanne.
11120 149 NintMizit mir iz inuat min.
Vor ir.
II 22 28 ni ir si'diii sculit niazan. P nir.
Vor iz.
III 22 54 nis allo icüroltfristi.
b) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
IVI38 ni iz Mar in drdriche. IV 1346 ni ili gahi seht mina. V23i4o ni in
jungistemo thinge.
2. Vor dem prou. er als zweiter auftaktsilbe.
Alle hss. zeigen stets die vollformen nebeneinander.
III 2338 ni er blintilingon werne. R" löaa ni er alla frilrna u-esti. IV 26 21
ni er uniar uns hiar icörahii. V1735 ni er ubarf aar i ferro. V19 4 ni er queine
zi themo thinge.
II. An zweiter stelle des auftakts vor vokaliscii
anlautender h e b u n g.
IV 9 7 Wir ni eigun sdr, theist es mäst. Y 23m thaz ni aharwintcn wir vier.
16 KAl'PE
B. lu der senkuug:.
I. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden
Senkungssilbe.
An zweiter stelle der Senkung- stehen nur die präfixe ir- int- in-.
1 , Der s 0 n a n t der n e g a t i o n ist elidiert.
Vor tr.
12 18 21 ivise nirgcmge. 111 5 ouh iviht es io nirdaältin. 127 00 t /uro unduno
nt irzthu. P nirzlhu. II 12 31 ther geist joh icdzar nan nirbere. 6S nah niJiein
nirwelit thdz. II 168 er lamer thar nirstirbit. II 22 22 tha hungiru nirstirbist.
III 12 34 thaz sie nirgängen thanan üz. III 18 32 er iamer sar nirsterbe. III 26 34
tliaz tvir nirwürtin furdir dl. IV 2 32 5 le 44 612 15 32 16 32 20 25 36 11; V5i7
7l 7 9 19 21 12 23237 261 274.
Vor int-,
IliiQ iz alles, tcio uintsidiite. II 348 foii herzen iz ni intfi'iarti. P nL II()i4
tlidz sies wiht nintsdzin. 111124 tlioh mdnn es io ni intgülti. P ninigiilti. 111256
tldu hält ni intfdhet ir thaz. P nintfdhet. II 21 3 thaz ihir es wiht ni intfälle.
P nintfalle. III 9 is bi thiu nintw^ih er mo thdr. III 10 36 dlle man nintneineiit.
III 186 bi Idii niiitduat sih iuer müat. IV 16 28 thdz er iu nintslnpfe. V438 drof
nintwerfet iuer müat.
Vor in-.
IV 626 so ninbizit es /dar. IV 16 20 mit niawi/da er ninglangi.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
in 768 furdir zi uns ni irri/itc. IV 2038 fon reue iz io ni iröugta.
IL An zweiter stelle der Senkung vor v 0 k a 1 i s c h
anlautender h e b u n g.
1. Der sonant der negation ist elidiert.
124/ gebe t/iemo, ni Mgi. rV645 Er wi/it es ou/i tito ni dlta. P ni.
III 25 24 io/t //• ou/i wiht thes ni dJitot. V ni (/ zukorrigiert). rV^47o se mo innoiro
ni Sndun. V ni (i zukorrigiert).
2. Alle hss. zeigen die vollform.
1111049 suli/i ni dba/ioti. H 153 Ni Idzet, ni ir gi/iugget.
Die negationspartikel ni erhält im verse nur selten einen iktus.
In der regel erscheint sie in der proklise in auftakt und Senkung.
Mit dem adv. io und der verbalform iM verschmilzt sie in betonter
und imbetonter satzstellung ausnahmelos zu nio nist. Von diesen
formen ist daher in der Statistik abgesehen.
Mit einer zweiten, auf i- anlautenden auftaktsilbe wird die
negation regelmässig kontrahiert; es stehen 13 sprechformen 3 schreib-
formen gegenüber. Vor dem pronomen er als zweiter auftaktsilbe
zeigen alle hss. in 5 halbversen stets die vollform. Hier scheint der
Vortrag also keine elision des -/, sondern ein diphthongisches kontrak-
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTl'KID 17
tionsprodukt nier zu fordern. Au zweiter stelle der Senkung begegnen
nur die präfixe ir- int- in-. Die proklitische negation wird stets auf
den anlautenden konsonanten reduziert; es finden sich nur 2 schreib-
formen gegen 39 kontrahierte formen. An zweiter stelle des auftakts
und der Senkung vor vokalisch anlautender hebung hat die Schwund-
stufe der negation statt; sie ist 4mal in der Senkung bezeugt. Die
vollformen finden sich 2mal im auftakt und 2mal in der Senkung.
2. Die affirmativpartikel Ja.
Es kommen nur 2 belege in frage. IV 12-20 ja iz herzo min ni
ruarit. Das pronomen steht in der enklise hinter der partikel und
besitzt ausserdem weit geringere schallfülle. Es ist daher der sonant
des pronomens zu elidieren. IV 12.24 meistar, ja ih iz ni hin.
Der Vortrag hat hier vermutlich keine synalöphe eintreten lassen.
Vor der partikel liegt eine zäsur. Auf der bekräftigenden partikel
liegt ein bedeutender sinnesnachdruck, der eine elisiou des sonanten
auszuschliessen scheint. Es fragt sich, ob nicht gar auf die partikel
ein iktus zu legen ist. Ein sinnvoller Vortrag würde dies gebieten,
obwohl eine zweisilbige Senkung im dritten fuss des zw^eiten halb-
verses sehr ungewöhnlich ist; doch sind diese senkungssilben leich-
testen gewichts.
§ 19. Die Interjektion wola^a.
Sie findet sich 2mal unter dem hauptakzent vor vokalisch an-
lautender hebung. Eine kurzform erweist die vollform als schreibform :
15 67 Wolaga ötmuati, P Wölaga. I I825 Wolaga elilenti.
§ 20. Der konjunktiv sl
Hier wird noch der konjunktiv st nachzutragen sein. Er konnte
den übrigen verbalformen nicht angereiht werden, weil sein lautkörper
ihn synalöphegesetzen unterwirft, für die erst die letzten gruppen
genügendes raaterial brachten.
A. Im auftakt.
I. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden auftaktsilbe.
11224 si in erdii fridii ouh dllen.
IL An zweiter stelle des auftakts vor vokalisch
a n 1 a u t e n d e r h e b u n g.
1. Der sonant des verbums ist elidiert.
1285 Thaz si uns ihtu wintworfa. P siuns {i übergeschrieben). IVJioo nl
si dcur mit then selbon. IV 31 36 ihtih si emmiziger scdlk l/iin. P si.
ZEITSCHRIFT F. BEUTSCHK I'III LOLOGIE. BD. XLIT. 2
18 KAPPE
2. Alle hss. zeigen die vollform.
II 4 10 ni st dkordi thie sine. IV 822 ni si e/cordo in girihti. IV 12 57 ni si
ekord einlif thegana. V2387 ni si einfalte thie giiate. III 2494 ni si dl sos ih thih
bäti. 11125 10 ni si uha ivir hirjlnnen. V2394 ni si öba iz qui'ine uns mtiadon.
B. In der senkuii;^.
I. Vor einer zweiten .vokalisch anlautenden «enkungs-
silbe.
V3i7 Mit thiu si ih 10 bifangan. P tJi/u.
IL An zweiter stelle der Senkung vor v 0 k a 1 i s c li
anlautender h e b u n g.
1. Der sonant des verbums ist elidiert.
11225 In miiate si iti yifestit. P si. 142 zi giiate s/ er ginnnto.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
L5 tJu'mo si iamer heili. IV 2637 Tliaz sdlig si in gixvlssi. III9 thardna
si er gizdlter.
Wenn der konjunktiv I 12 24 im auftakt mit der praep. in,
V 3 17 in der Senkung mit dem pron. ih zusammentrifft, lässt der
vorti-ag zweifellos kontraktion der beiden gleichen vokale zu einem
langen / statthaben. Wahrscheinlich liefen in der Umgangssprache
doppelformen um: eine betonte form mit langem vokal und eine quanti-
tativ verkürzte unbetonte form. Diese kurze satzdoppelform werden
wir in auftakt und Senkung voraussetzen dürfen. Vor vokalisch an-
lautender hebung an zweiter stelle des auftakts und der Senkung wird
sie auf die Schwundstufe reduziert. Es finden sich 3 sprechformen
im auftakt, 2 in der Senkung, gegen resp. 7 und 3 vollformen.
§21. Pronomina.
A. Ungeschlechtige pronomina.
1. D. pl. iu.
Es handelt sich hier nur noch um einige belege des unbetonten
pronomens in der Senkung.
I. Vor einer zweiten v 0 k a 1 i s c h anlautenden s e n k u n g s-
s i 1 b e.
Vor iz.
a) Das pron. iz verliert seinen sonanteu.
V448^'a ^vds iuz er giMizan.
b) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
III633 Ni diiet tu iz ouh zi riiachon. 112123 so minu wört iu iz süczent.
III 2350 'ih Wille iu iz Zeilen' quad er, Vr'. IV 159 sliumo saget/ ih iu iz sdr.
V2O92 ih scal iu iz Zeilen ubar dl.
HIATUS UXD SYXALÖI'HE BEI (riFlilD 19
Vor in (praep.).
11239 Sic sint iu in dnaratin. IV 22 9 Jet ist tu in thesa sUi.
Vor es.
S29 hno ia es bUdlicho.
Vor ouh.
V451 Ih zella iu ouh scono liuhi.
IL An zweiter stelle der Senkung- vor vokalisch
anlautender liebung-.
12728 ^ii hin ih ther; ih sagen iu ein.
Eine in unbetonter satzstellung umlaufende reduktionsstufe des
dat. plur. iu lässt sich in den Otfridhss. nicht belegen. Die Senkung
bleibt also überfüllt, wenn 12728 das pronomen an zweiter stelle der
Senkung vor vokalisch anlautende hebung tritt. Vor einer zweiten
vokalisch anlautenden senkuugssilbe kann synalöphe nur dann statt-
haben, wenn die zweite senkungssilbe sich enklitisch dem pronomen
in unterordnet und nur geringe schallfülle besitzt. Das pronomen iz
ist V 4^8 hinter iic auf die Schwundstufe herabgesetzt, indem der aus-
lautende konsonant dem pronomen angeschlagen ist. Danach sind
die 5 belege der vollform des pronomens iz einzuschätzen. Ebenso
wird der Vortrag vermutlich den sonanten der praep. in (II 289 IY229)
und des pronomens es S29 elidieren, die sich beide dem pron. iu
unterordnen. Dagegen ist synalöphe unmöglich, wenn eine schwere,
diphthongisch anlautende senkungssilbe folgt: V45i Ih zellu iu ouh
scono üubi. Hier muss der hiatus zugelassen werden.
2. thu.
Es handelt sieh hier nur noch um die belege des unbetonten
pronomens in auftakt und Senkung.
A. Im auftakt.
I. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden auftaktsilbe.
1. Der sonant des pronomens ihn ist elidiert.
111 02 thu uns helpha druhtin dciti. P thu.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
Vor i~.
n 22 24 ihu is ('dies ivio gifärawes.
Vor es.
V22ii thu es i<> gilöuho ni bist.
20 KAI'I'K
IL All zweiter stelle des aiiftakts vor vokalisch
anlautender li e b u n g-.
1. Der sonaut des pronomens thu ist elidiert.
a) Die hebiing- lautet mit u- an:
1239 Sar tliuzar theru meniyi. V tlmt'tzar (erstes u uud acc. rad.). P thiia-
zar theru. 119 12 thaz t/m lins thia frilma haltes. P thuns. rV45i Thaz thünsih
Mar gihdltes. m22ii scheint der akzent in P die synalöphe anzudeuten: thaz
tha unsili spenis sus zi thir. P tliü.
b) Die hebung lautet mit einem qualitativ abweichenden vokal an.
11122 12 ivil du iamer thes /rwizzen. P dij. 1112494 thaz thu alles wio ni
däti. P ihn.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
a) Die hebung- lautet mit u- an :
112438 thaz thu uns es muazis thdnkon. IV 1949 Thaz thit wisih nü
gidua w/'s.
b) Die hebung lautet mit . einem qualitativ abweichenden vokal an.
117 18 ivar thu 4mmizlgen hlruicis. II 9 89 wil du alla w6roU Zellen.
II 14 53 Then thu afur mi nahis. II 21 32 so thu 4ngilon daist nu thdre.
III 2492 thaz thu Smmizen io föllon. IV21i6 thaz thu iro küning nu ni bist.
IV 2332 thaz thu io zi thisu ivurti. V9i7 Bist thu eino ir dlilente. V22i6 thaz
ihu io gihöran wurti.
B. In der seukuug.
I. Vor einer zweiten v okalisch anlautenden
s e n k u n g- s s i 1 b e.
Vor iz.
a) Der sonant des pronomens iz ist elidiert:
1188 ni mahtu iz öuh noh thanne. P mühtu iz. II 2 15 thaz thu iz hdz
wizist. II 84 selho mäht thu iz lesan thar. P mahtu iz. III 2462 sölbo rnahtuz
sehan thar. V mahtu : z (i rad.). V lOs ni tveiz, ivar thu iz avur f indes. V thuiz
(i erst ausgelassen).
b) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
1227 in V gegen P: thdz thu is harto hältes. P ihaz thii iz. V 133 selbo
mäht thu iz lesan thar.
Vor ir-.
a) Der sonant des pronomens thu ist elidiert.
V22i3 Ni mahtu irzMen thaz in ivdr. P mahtu.
b) Hl 52 zeigt P die form a, w^ährend V den präfixvokal elidiert.
111 52 thaz thu irrimen ni mdlit. P Ihii irj-lineu.
c) Alle hss. zeigen die vollformcn nebeneinander.
II 923 Tharana muht thu irth^nken. P mahtu. V662 ni maJitu irsc'han,
wizist thdz. V2555 Ih weiz ouh, thaz thu irkinnist.
HIATUS UND .SYXALÖPHK BEI OTFRID 21
Vor es.
a) Der sonant des pronomens thu ist elidiert.
II 9 19 thdz thu es weses wizo. P thaz thu. V 146 in P gegen V: war thü
es lisis mera. P tcar thu es llsis.
b) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
II 848 ih iceiz, thu es mnana bist. V i960 ihöh thu es thar highmes.
Vor 7ins.
115 18 thia heili, thia thu uns gdrotos.
Vor in (praep.).
II 22 23 Gidtian ni mahfu in wdra. IV 12 44 thaz thu in müate fuaris. P thdz.
Vor io.
V 10 7 Ni scaltu io nu so gidüan.
Vor ouli.
V22i5 thero drilto bistu ouh einer. P bist thu.
II. An zweiter oder dritter stelle der Senkung vor voka-
lisch anlautender hebung.
1. Der sonant des pronomens thu ist elidiert,
a) Die hebung lautet mit u- an.
12724 thaz gizeli du uns nu sdr. P du. V243 thaz habest thu uns gi-
heizan. V duuns (erstes u hinzukorrigiert). IV 23 41 giu-a.lt ni hdbetistu ubar
mih. P hdbetist.
b) Die hebung lautet mit einem vokal abweichender qualität an.
111735 in P gegen V: Öba thu ra rüachis. P Öba thu ira. in20i32«MWto'-
thu inio folges. P thu (u übergeschrieben). IV 21 4 öba thu iro hiining sis. V thu.
II 20 7 Ion ni hdbes thu es nihein. P thii es. IV 28 20 öba thu es ouh so gch-o bist.
P Hill. V 23 202 thaz hörist thu alias thdnne. H2G thiz flndistu ana dudla.
II 21 1 Oba thu ouh biginnes. P thu.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
a) Die hebung lautet mit u- an.
IV 30 27 öba tliu unser hüning sis.
b) Die hebung lautet mit einem vokal abweichender qualität an.
II 922 erzelist thu ouh thia guati. m so dr/nkist thu io mit irillen. ss ni
drunki thu io in war min. 91 irfülli thu io mit mdhti. 111777 Thar findist thu
io thuruh not. P findistu. 85 Joli findist thu öuh ana thdz. P findistu.
IIIIO21 Ja hilfist thu io mit willen. DI 20 173 GiUuhistu in then gotes sun.
Y 1231 Hiar lisis thu öuh gizami. V 193i Läsi thu io thia rMina. 59 Ni ivari
thu io so richi. V2337 Thaz w/'sist thu in giia'ssi. 203 'Thaz nluzist thu iagili'cho.
V 23276 thia sihistu alla thdre. H25 Alla wörolt zeli thu dl. 32 thaz l/sist thu
ouh zi icdru. 40 thaz lisistu ouh in büachon. 105 Öba thu es biginnis. 121 vo Ziu
feristu inti döufist. P fMst thu.
Auf grund der synalöpheerscheinnngen setzte schon Wilmanns
a. a. 0. § 59 neben dem betonten pronomen mit langem vokal eine in
unbetonter satzstellung- quantitativ reduzierte form an. Diese kurzforni
erscheint bei Otfrid entweder proklitisch oder enklitisch in auftakt und
Senkung. Häufig steht das pronomen enklitisch hinter seinem verbum.
In 7 halbversen folgt auf das unbetonte pronomen ihn das pronomen
iz in der Senkung, das sich wieder enklitisch an das pronomen thu
anlehnt. Der sonant des pronomens ?^ wird daher elidiert-, in 5 halb-
versen ist die elision vollzogen; 2mal zeigen alle hss. die vollformen
nebeneinander. Vor den pronominibus es und uns erweist sich jedoch
das pronomen thu als phonetisch leichter. II 9 19 V 146 ist es vor
dem pronomen es auf die Schwundstufe herabgesetzt: die druckstärke
beider wörter wird in diesen versen gleich sein; hier entscheidet die
schallfülle. Danach sind II 843 V196o einzuschätzen, wo alle hss. die
vollformen nebeneinander zeigen. Ilöjs steht das pronomen thu pro-
klitisch vor dem pronomen uns; alle hss. zeigen die Schwundstufe.
V22i3 steht das pronomen ihn in der enklise hinter seinem verbum
vor dem präfix ir-; P elidiert den vokal des pronomens. Dieselbe
art der synalöphe bezeichnet P 111 52, während V den sonanten des
präfixes unterpunktiert: lllr,^ thaz thu irrbnen ni müht, F thu irri-men.
Man wird sich hier für das konsequente verfahren der hs. P ent-
scheiden und in jenem vereinzelten beleg der hs. V ein versehen
des Schreibers annehmen. 3mal zeigen alle hss. die vollformen
nebeneinander. Auch hier tritt das phonetische gewicht der senkungs-
silben als bestimmender faktor der synalöphe hervor. Vor den senkungs-
silben in io onh kann man mit Sicherheit den sonanten des pronomens
tilgen. Die belege der Senkung vermögen die schreibformen des auf-
takts zu erhellen. 1 11 62 erscheint das pronomen in der proklise vor dem
pronomen uns; V unterpunktiert den sonanten des pronomens thu. II 22.24
lehnt sich das pronomen iz enklitisch an das pronomen thu an; hier
ist der sonant des pronomens iz zu elidieren, wie auch die analogen
sprechformen in der Senkung beweisen. V22ii wird man vor dem
pronomen es als zweiter auftaktsilbe das pronomen thii auf die
Schwundstufe herabsetzen, wie die geringere schallfülle des pronomens
ihn, und die analogen sprechformen der Senkung nahelegen.
An zweiter und dritter stelle des auftakts und der Senkung vor
vokalisch anlautender hebung wird das pronomen thu stets auf den
anlautenden konsonanten reduziert. Im auftakt erweisen 6 sprech-
formen 11 vollformen als schreibformen; in der Senkung stehen
11 sprechformen 20 schreibformen gegenüber. III 7 35 zeigt V eine
HrATUS UND SYXALÜPHE I!EI OTFKID 23
andere auffassung- des verses und daher eine andere rhythniisierung-
als die hs. P: III 7 35 Oba ihn ra ri'iachis, P Oba ihre ira. Doch be-
weisen die verse III 20 132 und IV 21 4, dass die auffassung des Schreibers
von P die geläufigere ist.
B. (ifeschlechtiges pronomeu der 3. porson.
1. imo.
A. imo unter dem haupt- oder nebeniktus auf der Wurzel-
silbe vor vokalisch anlautender Senkung.
I. Vor endbetontem iaän.
Unter dem hauptiktus.
II 843 30h zi lino naii gihölota. P shno.
II. Vor iz.
1 . Der e n d V 0 k a 1 des p r 0 n 0 ni e n s i ni 0 ist elidiert.
a) Unter dem nebeniktus.
II 1499 thdz man imo is hrdhti. P imo. 112122 er ir imo iz zellet. P imo.
IV 2229 Zi hönidu imo iz dätun. P imo. VI 39 zeigot imo iz suniar. P imo.
V2337 thoh imo iz dbioertnz si. P imo Iz (acc. rad.).
b) Unter dem hauptiktus.
V 20 102 mit Imo iz niaze nöti. F im iz io zi iioti.
2. Der sonant des pronomens iz fällt hinter der voll form
imo.
a) Unter dem nebeniktus.
IV i960 mit Imo iz säman z unitin. P iz.
b) Unter dem hauptiktus.
II 642 joh fon imo iz wanta. P (z.
3. V zeigt die form 1, P die form 2.
1276 iher imo iz untarsdhi. P imo iz. F imo iz.
4. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
I82 ivas imo iz harto üngiinali. III 2 36 thaz imo iz drtihtin so giliaz. F imo.
VI 31 = 38 iz zeigot imo iz allaz. V2;34i Thoh imo iz dbtoertae si.
b) Unter dem hauptiktus.
III 738 er imo iz ni giniizta. IV 18 38 thaz imo iz Mar al gdganta.
III. Vor es.
1. Der endvokal des pronomens imo ist elidiert.
Unter dem nebeniktus.
l\\(ö int imo es zäla irgdbin. F imo es.
24 KAPPE
2. V P zeigen die form 1; F elidiert den sonanten des
pronomens es.
Unter dem hauptiktus.
V18i6 er im es alles reda duaf. P imo (o zugeschrieben). F iinos.
3. P zeigt die form 1; VF elidieren den sonanten des
pronomens es.
Unter dem nebeniktus.
II Ig ni brdst imos lo ihar. P imo es io.
4. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
11433 ther liungar dinf imo es not.
lY. Vor in (praep.).
1. Der endvokal des pronomens ist elidiert.
a) Unter dem nebeniktus.
II 3 18 sie brdhtun imo in hdnton. P imo. II 4 84 int imo in mt'taf qudmi.
P imo. V 23 143 Leident imo in brüsti. P imo.
b) Unter dem hauptiktus.
nil89 Ni bi'rut ir fon imo in war. P imo.
2. P zeigt die form 1; V elidiert den sonanten der praep.
Unter dem nebeniktus.
1112346 nu quimit l/htida imon müat. V imo:n (/ rad.). P lihtidq imo in
(i übergeschrieben; vorher in übergeschrieben und radiert). D /'mo in.
3. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
I820 ki'indt er imo in droitme. 121 4 quam hnbot imo in dröume. II439T/JO
sprüh er zi imo in thesa ivis. III 22 10 spraclmn sl imo in fdrun. IV 426 thaz
thibnoti imo in wdru. IV 926 joh thie mit imo in nöte. IV ITe thoh slüag er imo
in wdra. IV 22 21 Joh sdztun sie imo in höubii. P sie. IV35i9 Ther brdng mit
imo in wdra. V2561 ist itbilo imo in müate.
b) Unter dem hauptiktus.
III 2084 joA imo in thera fr/sti. R^ 1822 mit imo in therit noti.
V. Vor ist.
1. Der endvokal des pronomens imo ist elidiert.
Unter dem hauptiktus.
11039 Mit imo ist sin githigini. FDP imo. II He- Wanta imo ist al
intMkit. P imo.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
111241 thara imo ist müatwillo. II 13? /ora imo ist bötoscaf ouh min.
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 25
b) Unter dem hauptiktus.
II 23 15 thaz imo ist io gislähtaz. VI 27 theiz !mo ist cd ginuinit. H43 Iit
inio ist ans thiu fvrahta.
VI. Vor rt/.
1. Der end vokal des pronoinens ist elidiert.
a) Unter dem nebeniktiis.
IV 9 18 mit imo al sdman aziii. P imo (acc. rad.).
b) Unter dem hauptiktus,
V2O7 mit imo al sin githigini. P imo.
2. Alle liss. zeigen die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
II 1833 thaz imo alliebesten ist.
b) Unter dem hauptiktus.
II 1340 fon imo al so girtkUnot.
VII. Vor uns.
Unter dem hauptiktus.
III 21 16 fon imo uns is ni qudmi. P imo.
VIII. Vor ouh.
1. Der end vokal des pronomens ist elidiert.
Unter dem nebeniktus.
III 20 162 sus sjn-dchun zi imo ouh liärto. P imo.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
II 103 Ni sint, thie imo ouh derien. 117 50 joh imo ouh geba bringe.
III 2 27 zdltun imo ouh innan thes. V20gi Sie öugun zi imo ouJi ivi-ntcnt.
b) Unter dem hauptiktus.
II 837 Thaz sie zi imo ouh giangin. IV 7 1 mit imo ouh sine thegana.
IV 9 24 ni fon imo ouh ferron. P ni fon imo.
IX. Vor io.
1. Der endvokal des pronomens ist elidiert.
Unter dem hauptiktus.
III 43 Iz was in imo io que'gkaz. P /mo.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
in 7 10 tvir nnsih imo io ndhen. III 9 20 nintweih imo iowatine. P imo.
b) Unter dem hauptiktus.
II 1294 thaz er iz zi imo io fuage. IV I832 mit imo io ni giddti.
26 KAPPE
X. Vor er.
Alle hss. zeigen stets die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
II 9 37 In Imo er snazo lebeta. 1112029 fon imo er si'ilih Jiiar ni sprüh.
V450 mit imo er vier ni fihiit.
b) Unter dem banptiktns.
1 17 41 Zi imo IT ouh iho Iddota.
XL Vor ingegin ingegini ein.
Es finden sieb 3 belege der vollform unter dem nebeniktus,
1349 Ther imo ingegin gärota. 11 log Thie hrdhtuu imo ingegini. 13 cd
queman imo ingegini. 1112025 Nünt er imo ein wäzar.
XII. Vor ir-.
Alle hss. zeigen stets die vollformen nebeneinander.
a) Unter dem nebeniktus.
II 1248 /o« imo irhoran werdent. III 228 the)i ndmon imo incilita. Y\ Si er
w!g zi imo irhi'tabi. IV 1730 ni gidörstun zi imo irwlntan. IV 23 20 ni mag ih in
imo irf/ndan. IV 2623 tliia frätna in imo irUsgen. IV 35 10 hfaz er imo irgeban sar.
b) Unter dem hauptildus.
L37 In !mo irhugg ih ihrdto. IV^ I230 er zi imo irfrägeti. P imo. IV 21 10 er
iz fon imo irthahti.
XIII. Vor in-.
Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
Unter dem nebeniktus.
ni20ni loer thiu öugan imo inddti. P thiu. IV23i6 ingegin Imo inhran
thaz Vi dat.
B. imo unter dem nebeniktus auf der endsilbe.
Es folgt stets eine unbetonte silbe.
I. Hinter einer konsonantisch auslautenden haupt-
heb u n g.
a) In zweiter hebung.
L36 siiaz imo sin IIb al. LsB läz imo thie ddga sin. 1 1 121 waz gut imo
gibiete. 11733 Er imo iz gizeinta. P Imo iz (acc. rad.). II 19g nirgeit ittw iz zi
güaie. 119 33 in thiu wds imo gimiagi. 53 ouh trihi imo ni ddroti. 11126 then
Siin imo giheiUi. III 11 24 thia thürft imo gikidgoii. IV U 8 dl imo zi henti.
IU54 thaz %oirs imo ni tvürti. 1111123 then not imo gizeliti. rV436 then weg imo
gistreicitin. IV 27 30 thaz st4it imo giseriban thar. IV32ü joh sdh imo thaz jdmar.
b) In dritter hebung.
II 4 16 tho ni loärd imo ther sdnd. D imo. III24ioi Quek ward sdr imo
thaz mtiat. IV 4 12 saget thio thürfti imo in wdr.
HIATUS UXD SYXALÖPHE BEI OTFRID 27
II. Hinter dem prouomen er als senkungssilbe.
V1326 ni möht er mo (jistHlen. 11 5 19 in D gegen V P F: thöh er mes ni
hörti. P imo es. D mos.
III. Hinter dem pronomen er als auftaktsilbe.
in 5 3 Tho er mo firhöt thio dclli.
IV. Hinter einer volvaliscli auslautenden senkungssilbe.
1. In mindestens einer hs. findet sieh die form mo.
a) In zweiter hebnng.
L7 Höhe mo gimucito. 55 sin richi mo gihriitta. 75 kr Ist löko mo thaz
müat sin. P krist. 12 2s gisdwa mo firlihe. 11 21 10 seih so mo ther hals dual.
II 248 fölgete mo githiuto. IV 18 40 so rüarta mo thaz hirza. Vllii ir siinta mo
bildzet. V 23253 ri'iere mo thaz hlida miiat. III144iioA zälta mo ihiu werk thar.
F imo. IV 11 26 iz siiazo imo gisdgeta. P imo. II 4 84 theiz wciri mo gizäini.
P wdri imo. F ivari imo. IV 1723 so er rüarta imo thaz ora. F ruarta mo.
P rüarta imo.
b) In dritter hebung-.
Le druhtin hohe mo thaz güat.
2, Alle hss. zeigen die voll form imo.
a) In zweiter hebung.
11617 zalta imo thia güati. 111252 er scöno imo iz gizeintu. III 10 s zdlla
imo thaz ira se'r.
b) In dritter hebung.
rVSSe bat, man gdbi imo then mdn.
C. imo im auftakt vor vokalisch anlautender hebung.
I. imo steht allein im auftakt.
1. Der endvokal ist elidiert.
II 7 25 Imo ilt er sar gisdgen thaz. P Imo. IV 18 19 imo dngust ouh tho
gröza. P imo.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
11482 imo ellu loöroltridn. II 67 imo übilo iz gisäzi. IV 46 imo einan.
esil holetin.
IL iino an zweiter stelle des auftakts vor vokalisch
anlautender hebung.
V 23 141 T/iiu mo dllaz Hob inselzit. P mo.
D. imo in der Senkung.
I. Hinter einer konsonantisch auslautenden hebung vor
einer konsonantisch anlautenden hebung.
II lies in P gegen V: ni was imo thurft thera frdga. V 7vds (acc. rad.). P /(/
lods imo. V 23 142 duit imo widarmnati. III 20 28 brahta imo seihen guat gimdh.
V imo (iicc. rad.). P brahta.
28 KAPPE
IL Hinter einer auf -r ausgehenden hebung vor einer
konsonantisch anlautenden h e b u u g.
1. In mindestens einer hs. findet sich die form mo.
In allen hss.
1. fuss.
IV 1063 Thaz er mo sie gihialti. V mo {i riid.). 1 25 14 soso er mo selho
gibot. 1275 thaz er mo llld ihes thiu mer. II 6 4 thaz er mo hdrto firsprdh.
6 thaz er mo hörgeti thiu haz. 11726 want er mo l/obosto ums. 4o thaz er mo
fölgeti sar. II12ii tliaz er mo war zalta. II 13 13 thes er mo zuagisprichit.
III 1 39 tholi er mo sere sinas mi'iat.
2. fuss.
143 Zi hiun er mo quenun las. II 7 3 Mit zühtin sier mo huldta. e2 joh
zeihan er mo zälia. 11936 In berge, the er tno zeinti. 1111227 Githdnkota er mo
hdrto. 124 18 gihöafot er mo manag guat. II 937 zi herzen er mo hlebeta.
3. fuss.
in 9 18 hi thiu nintweih er mo thdr. 1447 harto föraht er mo thoh.
In mindestens einer hs.
112240 gtiat ob ir mo folget. F imo. V 11 33 Hiaz er imo thdnne. F mo.
15 65 tJiar gidi'iat er imo ive. P imo. F dual er mo. 1166 Hdrto sageta er imo
thdz. P sdgetq er imo. D imo. 111 %i Sliumo sdgeta er mo thdz. P imo.
2. Alle hss. zeigen die vollform imo.
1 1 122 thaz ivir imo Mar gisiingun. 15 56 giditat er imo f remidi. II 12 51
Scono zdlt er imo thdz. II 4 33 in P gegeu V: Nu scephe er imo Mar bröt.
P er imo.
III. Hinter einer vokalisch auslautenden hebung- vor
einer konsonantisch anlautenden hebung.
1. In mindestens einer hs. findet sich die form mo.
In allen hss.
1. fuss.
II 1326 thaz sie mo thoh gilöuhen, II2220 thu mo llahara bist. 32 thaz
thu mo steina bietes. 1111046 oba sie mo ivollent hören. III20i4o thaz sie mo
batin übiles. IV 29 50 Tho simo sküaf thaz gifdnk.
2. fuss.
II 449 Thiu prüanta simo mera. IUI 37 Mit henti siu mo scirmit. 10 2461
Gihöt er sie mo zelitin. IV 4 45 zi wörolti si mo heili. V1546-£V mit thiu mo zdlta.
In mindestens einer hs.
in 129 Sie imo rddinotun. F mo. III 20 121 Wio mo so gizdmi. P Wlo
imo (imo erst ausgelassen). IUI 34 süntar si imo münto. P imo. rV1973 Thiu
öugun sie imo büntun. F mo. IV26i6 ivaz tvizm sie imo drühtin. F mo.
HIATUS UND SYXALÖPHE BEI OTFRID 29
2. Alle liss. zeigen die voll form iino.
IV 823 Sie imo Sflr thuruh thcts. rV266 tvaz sie imo Uwes irlzzin. IV 16 37
in P gegen V: sie imo sar iz zi'dtan. P Sie imo sdr.
IV. Hinter einer konsonantisch auslautenden silbe vor
V 0 k a 1 i s c h anlautender h e b u n g-.
1. Es geht eine hebung voraus.
a) In mindestens einer hs. ist der endvokal des pronomens elidiert.
1 1628 want iz was imo anan Mnti. P imo. I-iis ni was imo dnawaiü.
P mo. F imo in. II 496 thaz man imo iogilicho. P imo. Lge inliuhte imo io
thar iciinna. 125 10 kündtq imo, er iz loölta. P er. F ktindt imo. III 828 jok
diofo imo ouh ginigen. P dhfo imo. V23u4 ist incra imo in theru brusti.
P mera imo (punkte rad.). 18 13 Er thdhta imo ouh in gdhi. P imo. F im .'ouh
(das / als trennungszeichen zwischen m und o gesetzt). IV 629 joh gerno imo
ängusi giduan. P imo.
b) Die elision ist nicht bezeichnet.
1. fuss.
Lö joh frewe mo emmizeii thaz müat. L52 sclrmtq imo iogilicho. 54 gilihlq
imo ellu sinn jdr. L23 Biat göt imo ofto in nötin. L43 Riat imo io gimüato.
L53 Biat imo lO in notin. I811 Iz was imo üngimuati. II 437 thdz imo io zi
scdden ward. 42 ni wds imo es nihein not. II 69 Thdz imo ouh ni wdri. D thaz
imo. II 939 Wdrd imo ouh thaz ioüntar. II 1830 joh geh imo al zi heiiti.
1111332 in V gegen P: thaz sint imo untar henti. P sint imo. IV 20 11 = 2821 ^a/'
imo dntwurti. IV 22 15 Biaf imo dl iiigegini. rV2334 ni gab imo dnticurti.
V2567 thaz diiit imo tibil herza.
2. fuss.
116 25 Wizzi tlieh imo ana sdr. 07 G6ies geist imo dnatcas. IITss ivdn, iz
qudmi imo in sin miiat, HI 15 17 tluiz er giddti imo, einan düam. IV 2423 Ther
Hut mit thisu imo dnalag. II 8 40 es wiht ni qudm imo ou/t, in wdn. 119 n Druhtin
kos imo einan u-lni. IV818 er wolta duan imo einan duam. rV1525 thiz selba
wds imo untar zuein. IV 22 13 Tiianne wds imo aciir t/ier. W26j thie fölgetiin
imo alle.
2. Es geht eine Senkung voraus.
Es findet sich nur ein beleg der volltbrm.
1278 g/angun imo al giliche.
V. Hinter einer auf -r auslautenden silbe vor vokalisch
anlautender silbe.
1. Hinter einer betonten vor einer unbetonten silbe.
a) imo wird auf den inlautenden konsonanten reduziert.
Vor iz.
II 1228 joJi er mo iz al gisüazta. P mo.
Vor es.
in 25 II oba ic/r mes diien ihie fristi.
30 KAPPE
b) Hinter der kurzform mo ist der soiiant des präfixes ir- elidiert.
1067 Thoh habet er mo /rdeilü. P imo irdeilit. F mo irdeilit.
2. Hinter einer unbetonten silbe vor einer betonten silbe.
a) imo wird auf den inlautenden konsonanten reduziert.
1166 Tker gutes geist, ther mo dnawas. P mo. D mo. F imo. II 767 Gab
£!• mo äntivurti. P mo. F enn. 111227 Gab er mo üntwurti. P mo. I653 tlidr
er imo !o instrtche. F ermo io. P er imo io. 11 5 19 in V F P gegen D : thöh er
mes ni hörti. P iinq es. D mos.
b) In mindestens einer hs. ist die form mo belegt.
1350 thie wega riht er (mo ubar dl. P imo (i übergeschrieben). F mo.
14:68 wds er mo aviir sdgenti. II 938 wdrd er mo ouh zi rtiavie. IUI 40 thoh düat
er mo avur bitherbi. 11129 = IV 11 25 gab er mo dnttvurti. IITei thdz er mo er
hünd ivas. IV 15 0 l<:ert er mo dllesivio thaz mnat. IV 30 32 nii helf er mo, ob er
wolle. F imö.
c) Alle liss. zeigen die vollform into.
II 491 Tho gab er imo dnitvurti. II 1334 thaz glbit er imo alias dlangaz.
IV 8 8 er er imo io ingiangi. P er er.
3. Zwischen zwei unbetonten silben.
II 5 10 tlio irbonth er imo io tliös sindes.
VI. imo in vokalischer umg-ebung.
1. Hinter einer betonten silbe vor einer unbetonten silbe.
II 5 12 iii sdweta imo es n/atoiht. P iniq. IV 145 ni s/ imo in t/tiu ginuagi.
P si / mo.
2. Hinter einer unbetonten silbe vor einer betonten silbe.
imo wird auf den inlautenden konsonanten reduziert.
III1632io7t ^vdz sie imo alle wizun. P imo. F mo. lösi gab si imo dnt-
irurti. P simq. F si imo.
Die ahd. normalform des dat. sg. m. n. seit dem 9. Jahrhundert
ist imo. In dieser gestalt erscheint das pronomen auch in den Otfridhss.
regelmässig, wenn in neutraler Umgebung auf der Wurzelsilbe ein
haupt- oder nebeniktus liegt. Vor vokalisch anlautender Senkung
verliert die betonte vollform ihren endvokal; hier hat die ablautstufe
Im Im statt. In 6 halbversen ist vor dem pronomen iz das auslau-
tende -0 elidiert, 5mal in P, Imal in F; V hält hier auffallend zähe
an den schreibformen fest. 2mal hat jedoch der Schreiber von P den
sonanten des enklitischen pronomens iz hinter der vollform imo unter-
punktiert. 127 6 zeigt V die form 1, P die form 2: 127 6 iher imo iz
iintarsähi, P imo iz, F imo iz. Dem endvokal des pronomens müssen
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 31
wir danach den wert eines irrationalen vokals zuschreiben. In der
Umgangssprache des 9. Jahrhunderts lief also schon die gestalt des
pronomens um, die wir als ime erst für die mhd. zeit anzusetzen
gewöhnt sind. Zu demselben schluss führen noch andere sprech-
formen der Otfridhss. Vor der praep. in ist 4mal das auslautende
-0 des betonten pronomens elidiert. III 23 46 zeigt P diese form 1,
während V die sprechform imon aufweist, die infolge der notwendigen
gleichwertigkeit beider darstellungsformen den endvokal als irrationales
-'I kennzeichnet: 11123 40 nu quiniit ühtida imon mi'iat, V imo : n (/ rad.),
P lihtida imo in, D mio in. Endlich finden sich beide darstellungs-
formen auch vor dem pronomen es: I lle int imo es zcila irgäbin,
F imo es. VI816 er im es alles reda dual, P imo {0 zugeschr.), F imos.
II 1 9 ni bräst imos io thar, P imo es io. Eignet jedoch dem an-
lautenden vokal der senkungssilbe stark abweichende qualität, so
findet sich nur die form 1. Sie ist belegt vor al uns ouh io. Nur
die schreibformen begegnen vor den Senkungssilben er ingegin{i) ein
ir- in-. Überall ist der endvokal des pronomens zu elidieren.
Das pronomen imo kann in den Otfridversen auch auf der
zweiten silbe betont sein. Einen akzent erhält sie in den hss. jedoch
niemals. Die betonungsstufe imo stellt sich am reinsten dar, wenn
das pronomen hinter einer auf einen konsonanten — ausser r — aus-
lautenden hebung vor einer unbetonten silbe steht. Die Wurzelsilbe
füllt die Senkung. Der Vortrag erreicht regelmässigen Wechsel von
hebung und Senkung, indem er auf die zweite silbe des pronomens
einen uebeniktus legt. Einen sprachlichen iktus trägt das pronomen
hier nicht. Es handelt sich um eine rein im vortrage des verses be-
gründete rhythmische erscheinung. Dabei gilt als co)tditio sine qua
non, dass stets eine unbetonte silbe folgt. Schon bei Lachmann und
später bei Wilmanns s. 93 findet sich die beobachtung, dass end-
betontes iml) meist in der 2. hebung, selten auf 3. liebung auf-
tritt. Beide fassen die erscheinung als enklise; vgl. AVilmanns s. 93:
'von der ersten hebung war das enklitische ])ronomeii selbstverständ-
lich ausgeschlossen ; auf der dritten hebung konnte es nur gebraucht
werden, wenn der vers auf eine Stammsilbe ausgeht, was ja viel
seltener ist als akzentuierung des ersten iktus'.
Lachmann und Wilmanns lassen es unentschieden, ob in der
ersten hebung des zweiten halbverses imo inan ira vor einer konso-
nantisch anlautenden unbetonten silbe (II 15 7, 4 100, IV 33 g) wurzel-
oder endbetont seien. Es scheint mir richtig wurzelbetonung anzu-
nehmen. Otfrid kennt keine reimbrechuni;-. (Icwiss sind seine verse
32 KAPPE
lang-zeilen und zeigen eine enge syntaktische Verknüpfung. Gewiss
hat Wihiiauns nachgewiesen, dass sich diese Wesenheit der Otfrid-
verse auch in ihrem rhythmischen Charakter ausprägt, dass am ende
der ersten halbzeile die stimme gehoben bleibt, um auf das folgende
liinzuweisen. Aber wir sind doch nur dann befugt, die erscheinung
als enklise aufzufassen, wenn sich das endbetonte pronomen unmittel-
bar einer haupthebung unterordnet. Davon kann nun in jenen 3 verseu
kaum die rede sein: II 499 tho warun engilo thär. 100 {ni bräst iro
ioiranne) imo zi thiononne. Hier ist ein selbständiger satz ein-
geschoben, der den abhängigen Infinitiv rhythmisch isoliert; die
enklise ist unbedingt aufgehoben. Wir werden auch II 167 und
IV 33 6 nicht von enklise sprechen dürfen, wo die zweite hälfte des
1. halbverses von erweiternden präpositionalen Wendungen einge-
nommen wird: II 15 7 Sie (jf'rotim al In manne inaii zi rlnannc
IV 33 6 ni liaz in Hcinnn fhuruh thäz ira gisiuni hlißaz. Ausserdem
scheint mir die endbetonung den rhythmischen Charakter des 2. halb-
verses zu zerstören. Die wurzelbetonung bringt in die erste hälfte
des halbverses ein rasches, durch die leichten seukungssilben noch
erhöhtes tempo, wie es der rasch zur haupthebung im 2. fuss auf-
steigenden rhythmischen bewegung angemessen ist, die dann langsam,
feierlich absteigt. Die endbetonung würde das gewicht des zweiten
iktus wesentlich herabsetzen, zumal in der Senkung nur die leichten
Silben zi gi- stehen. Der zweite halbvers würde durch die end-
betonung einen leisen bruch in seinem rhythmischen tluss erleiden.
Das endbetonte pronomen imo verliert seinen wurzelvokal, wenn
er in der Senkung mit einem laut grösserer schallfülle zusammentrifft.
X)iese ablautstufe mö bat statt hinter einem zweisilbigen wurzel-
betonten vokalisch auslautenden wort. Da dem wurzelvokal des end-
betonten pronomens infolge der akzentversetzung nur sehr geringes
phonetisches gewicht eignet, muss er last immer dem vorhergehenden
senkungsvokal weichen. Nur ganz selten ist einmal der endvokal
elidiert; regelmässig findet sich dann aber auch die form m,(j hinter
der vollform des zweisilbigen Wortes; es ist damit die phonetische
gleichwertigkeit der in der Senkung zusammentreffenden sonanten er-
wiesen. 14nial ist in einer oder in allen hss. die form mo belegt;
4mal ist sie aus der orthographischen vollform herzustellen. Hinter
dem unbetonten pronomen er ist V 13 26 und III 5 3 der wurzelvokal
des endbetonten pronomens gefallen. Der wurzelvokal erlangt keine
silbenbildende geltung, indem der Vortrag von der artikulation des
gerollten r gleich zur artikulation des nasals übergeht. Zwischen den
HIATUS UXl) SVXAI.ÖPHK llEI OTFIMD 33
])ciden stark hervortretenden artikulationsmomenten wird der wnrzel-
vokal unterdrückt. Abweichend von V P wählt D diese form der
rhythmisierung- in vers II 5 19 thoh er nies ni hörti, P imo es, D mos.
Es erhebt sich die frage, inwieweit diese endbetonung auch
für die Umgangssprache in anspruch zu nehmen sei. Das streben
nach regelmässigem Wechsel zwischen betonten und unbetonten silben
ist ein wesentlicher zug deutschen Sprachgefühls seit alter zeit. Es
beherrscht in weitem umfang die naive gesprochene rede und ging
so als ein konstituierender faktor in unsere künstlerische, rhythmisch
geordnete rede über. Aber die spräche des verses unterscheidet sich
von der Umgangssprache gerade dadurch, dass die versbetonung die
nebenakzente verstärkend herausgreift. So kräftig wie die endbetonung
dieser formen - es handelt sich um imo inan iru ira iro luisili —
uns heute aus Otfrids versen entgegenklingt, so dass wir sie ohne
Störung des Wohlklangs der verse nicht umgehen können, wird sie in
der Umgangssprache wohl kaum 1)estanden haben. Unter allen um-
ständen ist aber daran festzuhalten, dass diese endbetonung der ge-
sprochenen spräche geläufig gewesen sein niuss. Eine Vergewaltigung
des Sprachgefühls, ein Widerspruch zwischen Satzbetonung und vers-
betonung kann durch diese endbetonung unmöglich in den vers hinein-
getragen sein. In der Umgangssprache müssen nach hochbetonter
silbe vor unbetonter silbe sich endbetonte formen entwickelt haben.
Dieser nebeniktus auf der endsilbe wird in der Umgangssprache nur
schwach gewesen sein, so dass der wurzelvokal nicht auf die Schwund-
stufe herabgedrückt wurde. Er fällt erst, wenn er mit einem sonanten
grösserer schallfülle zusammentrifft.
Unter den ausnahmen von der regel, dass zweisilbige Wörter
nicht in der Senkung stehen, lässt Wilraanns s. 69 das pronomen ii)io
nicht gelten. Ein ganz einwandfreier beleg, der dafür spräche, ist aller-
dings nicht beizubringen: II lies ni ivas imo thurft thera fräga, V was
(acc. rad.), P ni was imo. Die korrektur in V lehrt, dass die Stellung
in der Senkung jedesfalls ganz ungebräuchlich ist; die akzentuierung
der hs. P andrerseits beweist, dass sie nicht sprachwidrig ist. III 20 23
hrahUp im,o seihen guat gimäh, V hno (acc. rad.). Hier wird man das
verbum als auftakt fassen und danach auch vers V 23 ,4.2 lesen:
V 23 142 duit imo wldarmiiati.
Neben der betonten kurzform im läuft eine satztieftonige kurz-
forin im her. Sic tritt im auftakt vor vokalisch anlautender hebung
heraus; 2 sprechformen beweisen für 3 schreibformen. Dieselbe ab-
lautstufe hat in der Senkung statt hinter einer konsonantisch ans-
ZEITSClIJtlFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. o
34 KAl'l'E
lautenden betonten oder unbetonten silbe vor vokaliscb anlautender
hebunj;-. 9 sprecbformon bestätigen liier das synalöpbegesetz ; in
29 lialbversen zeigen alle bss. die ortbograpbiscbe nornialform imo.
An zweiter stelle der Senkung ist nur einmal 1 27 g die scbreibform
belegt. In 2 balbversen ist jedocb auch der wurzelvokal der kurz-
form im hinter konsonantisch auslautender hebung elidiert. II ^ge thaz
nu'in imo iogilicho, P wan imo logilicho. 1448 ni was imo dncnvani,
V wax (acc. rad.), P mo, F imo in. Da derselbe Schreiber 2mal diese
darstell ungsform wählt, erscheint es unzulässig, hier ein versehen an-
zunehmen. Wir werden das -m- in diesen versen als nasalis sonans
interpretieren müssen. Der übergangslaut vom auslautenden konso-
nanten der hebung zu dem folgenden nasal mochte wohl dem wurzel-
vokal des unbetonten pronomens im entsprechen, dem sicher nur
geringste druckstärke und schallfülle zukam.
Diese ablautstufe im ward auf die Schwundstufe, d. h. auf den
inlautenden konsonanten reduziert, wenn eine vokaliscli auslautende
betoute oder unbetonte silbe vorausgeht. Das pronomen lehnt sich
enklitisch an das vorhergehende wort an ; der sonant geht auf in der
artikulationsbewegung des vorhergehenden vokals. Die Schwundstufe
ist V23ui «'^ii zweiter stelle des auftakts vor vokalisch anlautender
hebung belegt. In der Senkung ist 4mal die reduktion auf den in-
lautenden konsonanten bezeichnet, 2mal hinter betontem, 2mal hinter
unbetontem vokal.
Die Schwundstufe -m- hat auch statt, wenn die vorhergehende
betonte oder unbetonte silbe auf -r auslautet und die folgende betonte
oder unbetonte silbe vokalisch anlautet. 8mal haben die Schreiber
die reduktion auf den inlautenden konsonanten bezeichnet, wenn
sich das pronomen enklitisch an eine auf -r ausgehende senkungs-
silbe anlehnt und eine vokalisch anlautende hebung folgt. Häufig
ist nur eine der beiden elisionen in den hss. vollzogen, zuweilen in
der einen die des wurzelvokals, in der anderen die des endvokals.
9mal zeigen alle hss. die sprechform mo, 3mal die orthographische
vollform. Ein beispiel mag die verschiedenen darstellungsformen
veranschaulichen: II Ts? Gab er mo dntwurti, V enno, F erm, 11129 =
IV 11 25 Gab er mo äntivurti. II 4 m Tho gab er imo äntwurti in
allen hss. Die Schwundstufe ist für den Vortrag auch einzusetzen,
wenn eine vokalisch anlautende senkungssilbe auf das enklitische
pronomen folgt: IIöio tho irbönth er imo io thes sindes. In 3 balb-
versen steht das pronomen in der enklise hinter einer auf -r aus-
lautenden hebung, während in der Senkung die pronomina iz es
HIATUS UXD SYXALÖPHE BEI OTFHID 35
und das prüiix ir- folgen. Über die apokope des wurzelvokals
kann kein zweifei obwalten; sie ist in allen 3 belegen von allen
oder der mehrzahl der hss. vollzogen. Vor den prouominibus iz
und es ist auch der endvokal elidiert. Der regel gemäss fällt der
vokal geringeren phonetischen gewichts. Hier wird also in jedem fall
der endvokal des pronomens hno elidiert, da das pronomeu imo sich
enklitisch an die hebung anlehnt, während die pronomina iz und es
satzrhythmisch zu den folgenden Satzgliedern gehören. Dieselben
rhythmischen Verhältnisse liegen I557 vor; es muss also wohl ein
versehen des Schreibers sein, wenn hier V den prälixvokal unter-
punktiert: Thoh habet er mo ircUilit, P imo irdeilit, F mo ircleilit.
Oder wäre auf grund der qualitativen eigenart des endvokals anzu-
nehmen, die darstellungsform in V sei phonetisch gleichwertig mit der
Unterpunktierung des endvokals?
Eine satztieftonige ablautsform mo tritt heraus, wenn das pro-
nomen in der Senkung hinter vokalisch auslautender vor konsonantisch
anlautender hebung erscheint. Das pronomen steht regelmässig in der
enklise. Es finden sich 16 kurzformen, 4 vollformen. Dieselbe ablauts-
form hat hinter einer auf -r auslautenden hebung statt, wie 24 sprech-
formen gegen 4 schreibformen dartun. Auch hier erscheint das pronomen
stets in der enklise. Diese reduktion des unbetonten pronomens imo
hinter einer betonten oder unbetonten, auf -r auslautenden silbe ist der
Umgangssprache des 9. Jahrhunderts allgemein geläufig gewesen. Mit
seltener Übereinstimmung und häufigkeit ist sie von den Schreibern
bezeichnet. Noch heute beobachten wir diese apokope in derselben
form, wie sie uns schon in den Otfridhss. entgegentritt '.
2. in an.
A. inan unter dem nebeniktus auf der endsilbe.
Es folgt stets eine unbetonte silbe.
I. Es geht eine konsonantisch auslautende hebung \- 0 r a u s.
1. Der Wurzel vokal füllt die Senkung.
In 2. hebung'.
I827 Jieis inan ouh heilant. 111 49 iJdj inan ni rlnlt. I15i3.yo7i luiah inan
in sinan arm. II 5 6 gireh inan gimüato. 11 7 53 krist inan irkndta. II 952 er hlae
inan irwintan. III 4 20 oh innn givurti. F ohanan. HI 840 ni druag innn thaz
1) Die zugTunde liegende phonetische tendenz macht sich in ahd. zeit nocli
in anderen gruppcn bemerkbar, die hier vielleicht zum vergleich herangezogen
werden dürfen. Im spätahd. werden kurze mittelvokale uacli r und l häufig syn-
kopiert, besonders nach kurzer Wurzelsilbe, obwohl sonst diese vokale in ahd. zeit
:}*
36 KAPPE
zu/val. in 14 15 Thrdng inan thiu mSnigi. III 18 47 Ih w^iz inan gmtsso. HI 20 15
joh näht inan ni rinit. FVöio ni kann inan himldan. lY 8 s jöh inan irshlagi.
rVM264 1522 248, VI 45 751 10 14 23260.
In 3. hebuug.
III 2481 joh sliumo düet inan in ein. H84 ther selbo nid inan ßncdnt.
In 4. hebung.
IV 24 16 H/na, hlna mm inan.
2. Der wurzelvokal ist apokopiert.
IV 1251 finstar naht nan Intflany.
II. Es geht eine vokaliscli auslautende silbe voraus.
1. Es geht eine hebung voraus.
TU 8 IG joh tliie nan firliazun. 1111631 tlioh sie nan ni i'retin. 11755 in P
gegen V: sdr sie nan gisdhim. P sar sie.
2. Es geht eine unbetonte silbe voraus,
a) In mindestens einer hs. findet sich die form nan.
Alle belege stehen auf 2. hebuug.
13 19 Thaz leria nan sin niilti. 111 33 Wdr sinan gibddoti. joh rcdr sinan
qiUgiti. 35 biwdnt sinan thoh thdre. 111 42 scöno nan insuehita. inti hi tru nan
giUgita. 117 52 er ivölta nan irthueshen. 55 in V gegen P: sdr sie nan gisdhun.
P sar sie. I 2359 thaz sinan ni höuwe. P thds. I 262 mit döiifu inan gibddoti. P inan.
II 220 thdz sinan nirkdnta. II 44 so rtiarta nan tho hüngar. n joh gerne nan
giirlnnan. 11 8 is joh zi imo nan gihölota. 46 so Idngo nan gispdraios. 11 12 67, /o/t
/löho nan irhdhe. II 1494 thdz sie nan gisdhin. P sie (acc. rad.). III 8 44 rdfsta
nan tho ivörto. III 9 u So teer so nan biriiarta. III14i8 thdz siu inan hirtiarti.
P thaz siu, inan. F si inan. 1112080 in thiu sie nan irkndtin. P .sie. 99 zl krlste
nan gizeliti. 177 in V gegen P: thdz thu nan gisdhi. P thaz thii nan. III 23 49
wio bi nan gilegan was thaz wdr. :nan (i rad. V). D inan. IVI3 tvlo sie inan
ßrllesen. P nan. IV 5 40 ."fo tvöla nan, ther thdr ist. F nen. IV 1969 zi tothe nan
irdeilta. IV 2230 wio sie inan gihöntin. P nan. IV 26 13 So wer so nan birtiarit.
IV 36 11 mit stdlu, nan nirzt'icken. 15 tcio sie nan gihtaltin. Y sinan (e übergeschr.).
IV37i3io/t w6la nan gihdltes. V622 toio sie nan bigriiahun. V732 thdz sie nan
gihiirgin. V842 Si irkdnta nan, so er ivölta. P so. V9ii thaz sie nan irkndtin.
P thds. 29 zi töde nan ßrsdltun. VII36 thdz sie nan irkndtin. V1546 in krüci
nan irhlangi. VI63 in Mllu nan gistrewita. V23i40 thoh elti nan githulnge.
141 joh mdhto nan gihelzit. III 25 31 thaz mdnota nan thes w'dres. VIO4 tho
nöttun sie nan ginuagi.
durchaus fest sind, soweit nicht die analogie der \vg. svarabhaktivokale eingreift.
Braune, Ahd.gr.'-' § 66 anm. 2 zitiert z. b. aus N: gemdlnemo verlörnez ervdrner :
auch nach nebensilben: dndermo ünserro luzzelmo, aber auch manegero Idzzelerv.
Den ausschlag über die synkopierung oder erhaltung dieser vokale gibt natürlich
in jedem fall der fluss der rede, wie er vom deutschen akzentgesetz beherrscht
wird. Aber jene belege zeigen doch, dass die nachbarschaft des r und l den
Schwund des vokals begünstigt.
HIATUS UND SYXALÖPHE BEI OTFIIID 37
b) Alle hss. zeig-eii die vollforni inan.
II 9 84 thie h'uti inan thar iidtnun. IUI 21 l'^on dothe inan irqmctos.
IV 8 7 So wer so inan insünbi, 24 so gisudso inan giluti.
III. Es geht eine auf -r auslautende silbe voraus.
1. Es g-eht eine hebung voraus.
II 637 in P gegen V: tvdnt er nan birüarta. P want er. III Hg in P gegen
V: ihäs er nan tJidr giMilti. V thdr (zukorrigiert). P thaz er nan giheilti.
2. Es geht eine unbetonte silbe voraus.
Es findet sich stets in mindestens einer hs, die form nan.
Nur in 2. hebung.
L55 Uns er nan giUitta. I658 thäz er nan in heche. 126 24 so slium er
nan gibddota. II 224 ni was, ther nan intfiangi. 11444 tlioli, bat er nan zi nöte.
101 furi man er nan ni lidbeti. 107 -A^ möht er nan birüaren. 11637 tüdnt er nan
birüarta. P want er. 11949 suntar nan firhrdnti. 1112128 ther fdter nan ni sdnti.
IV 8 19 thaz selbo er inan firldti. P nan. IV 16 25 ni wdnu, ir nan irkndhet.
52 intflang er nan mit thiUti. IVlTu Werit er inan giwisso. F wsrita er nan.
IV 22 17 Tho hdft er nan, so er wölta. V : nan (irad.). IV24i thaz er nan firliazi.
lY 24:37 Trgdb er nan, so ih zdlta. V : naa (2 rad.). sld er nan bifilta. IV 37 11 ni
Idz tliir nan ingdngan. 12 nl Idz t/iir nan irzüken. V1269 Sid gdh er nan fon
öbana.
IV. Es geht eine auf -n auslautende unbetonte silbe
voraus.
IV 1022 thes laman inan giJn'iie. V i vor nan übergeschrieben.
Sonst findet sich stets in mindestens einer hs. die form nan.
In 2. hebuug.
Iji^i uaz wir lidhen nan gisi'mtan. 11 n in thiu man nan irkeiine. I24i Tho
hdtua nan thie liuti. 12725 so man nan gindnta. F manan. II 985 Sie hdftun
nan mit wiinton. se joh höntun nan bi lierton. in8i fdhan nan bi noti.
1111037 sudhtun nan thar Mizo. IIII674 thaz man nan gifiangi. 1111729 Sie
zlgin nan in ivdra. 1112030 ni tvöltun nan irk^nnen. III 25 38 thdz man nan
irshiagi. 1112344 wir sct'dun nan iriceken. V : nan (i rad.). III 26 53 Sid man
nan bifdlta. 54 joh man nan gidötta. IV 3 10 er man nan irshiagi. IV 4 4 thdz
man nan gifiangi. IV 84 ivio man nan giiviinni. V :nan (vorgeschriebenes / rad.).
IV 8 6 thdz man nan gifiangi. n tvlo man inan irshiagi. V nan. 20 thdr man nan
gifiangi. V : »o« (i rad). FV I620 thdz man nan gifiangi. V :nan (i rad.). 82 thäz
man nan irkndti. man (acc. rad. V). :iian (i rad. V). IV 18 20 thaz man nan
irkndti. IV 20 24 in thiu man nan firldze. IV 23 17 thaz man inan irshiagi. V nan.
IV BO 19 höntun nan mit wörton. IV20i 21io leittun nan thie h'uti. Y :nan (z rad.).
IV 22 19 Ndmun nan tho thdnana. IV26i Tho ndmun 7ian, so ih zdlta. 2 joh
leittun nan mit zörne. IV 30 20 sci'dtun nan zi JHze. IV 35 21 Löstun nan tho
thdnana. Y 1 31 thdz man nan irshiagi. 33 wlo man nan firquisti. 34 joh ic/o
man nan firdudsbti. V 1046 thaz man nan gifiangi. Vlöu //// erstdntan nan
38 KAPPE
gisdhun. F dierstantinan. V 23 262 thaz man nan higrähe thar. Hioi tvto man
nan irslilagi. 1111542 löbotun nan ei gt'iate. III 26 15 6ha man nan nirsliiagi.
IV 30 3 m^/ häbetan nan zi htiahe. Y 11 32 sie habet mi nan in hanton. 111229 Thie
JiUhon nan bisfüantun. F nen. V172 tho frei getan nan gim4ino.
In 3. hebung.
III 20 170 thaz sie firwürfiin nan bi thaz.
In 4. liebung.
11749 I?i tc/llu faran beton nan. P beton nän.
B. inan in der Senkung:.
I. In neutraler Umgebung-.
L65 SO frani so inan läzit thiu craft.
IL Hinter einer vokalisch auslautenden hebung.
1, In mindestens einer hs. findet sich die form nan.
a) Die hebung geht auf -/ aus.
I 2854 suntar siu nan suente. I Ilse in thia krippha sinan Ugita. III 14 10 so
sUumo siu nan rüarta. V755 joh sinan sar irkdnta. 66 sageta in thö, thaz sinan
sah. V 8 33 Si nan sar irkdnta.
b) Die hebung lautet mit einem vokal abweichender qualität aus.
N. pl. masc. sie.
II 104 thaz sie nan umbiriten. 12222 ni fiintun sie nan wergin thdr.
II 1470 thaz sie nan gdistlicho. lu so sie nan thar tho bdtun, 111823 so sie nan
tho gisdhun. LEI 15 17 Lertun sie nan, einan rüam. III 16 9 Ni sdhun sie nan slz^n.
67 Fdhan sie nan woltun. 1111722 thaz sie nan mohtin riiagen. III 20 53 Leittan
sie nan ubar thdz. les Sie inan sllumo tho in trdr. P naii. III 22 34 thaz sie
nan steinotin. es FdJian sie nan tcöltun. 1111924 so wöltun sie nan plnon.
ni20i83 so wöltun sie nan steinon. III2461 ^vdra sie nan legitin. IV4i8 zi
küninge sie nan qudttun. IV 7 e frdgetun sie nan suntar. IV 8 15 thaz sie nan
uns nirziiken. V :nan (i rad.). IV 16 38 thaz sie nan thoh irkndtin. IV 1925 Thaz
sie nan thoh mit lüginon. 28 thaz sie nan in ther fdru. 64 thaz sie nan, so ih
thir rdchon. V :nan (i rad.). IV 20 15 bigönäun sie nan rüegen. 40 zi töthe sie
nan brilngun. rV23i6 So sie nan tho gisdhun. rV25i er sie nan sus nu quellen.
rV2623 Ziu sie nan sus nu thuesben. IV 27 7 In thaz crtici sie nan ndgaltun.
rV29i2 mit thiu thdkent sie nan ümbi. IV 33 19 Sie nan ouh tho qudltun.
IV 35 26 oba sie nan thäna fuartin. 27 'Thaz sie nan muasiii fiiaren. VI 11 Mit
fiuru sie nan brdntin. VlOu dl so sie nan beitun. 35 wio sie nan ouh irkndtun.
V1740 thar sdhun sie nan ndhist. V20e3 biglnnent sie nan scötron.
Varia.
L54 thiu nan thühtun filu sudr. 1 1 103 in thiu nan Frdnkon werien.
1 11 io joh miiater, thiu nan qudtta. 41 Wöla thiu nan tüzta. 43 Sdlig thiu nan
tvdtta. 45 Salig thiu nan werita. 1 21 1 joh hina fuarta inan lod. P nan.
U37 thanne in theru ist, thiu nan bdr. II 839 Drank er tho, so nan liista.
II 1433 thaz er mit thiu nan wihta. II 194 zi thiu nan es giliiste. 111839 Ther se
nan sdr tho sankfa. III 18 bg war sdhi thu inan thdnne. \ inan («zukorrigiert). P inan
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTKKII) 39
thanne. F ihn nati. 1112029 thie nan er gisalum. P inan. 77 thiu selbun, thia
nanhürim. III 228 tliaz man zi Ihiu nan ztlita. in24i8 so wes so tha nan ßrgos.
V43 Joh icio nan fHuntilili gisäli. Vöa thie inan minnotun meisf. i in V, / in
P übergesclirieben. n mit thiu nan thie biwüntun. 12 thie nan thdra legitim.
V749 oha thü nan ndmis. V929 Joh wio nan ouh irquältuv. VII24 bi thiu nan
thoh irkndtin. ¥1220 ihiu nan bdr, so er wüJta.
Anmerkung: II 7 54 zeigen V F die kurzforra nnn in der Senkung hinter
vokaliseh auslautender hebung, während P ein -» an die hehung anschlägt:
Il7ujo/i löhota nan s/'oro. P l6bota.it..
2. Alle liss. zeigen die vollform inan.
IV 1726 so sliumo sie inan fnntun.
III. Hinter einer auf -r auslautenden silbe.
1. Es geht eine unbetonte silbe voraus.
nille in V gegen P: ihdz er nan thdr giheilti. V thdr zukorrigiert.
P thaz er nan giheilti. 111438 nah dvur nan thiirst gilhu/nge.
2. Hinter einer betonten silbe.
Alle hss. zeigen stets die kurzform nan.
1426 tho er nan scluhen gisah. I IO23 thaz ivir nan harto rtiunm. 1 12 n ivio
Ir nan sculut findan. 11725 ni sdhun tvir nan er io. II See thaz er nan ni fir-
senke. 67 joh wir nan ouh irbarmen. es ther nan sdlbo ubartvdnt. 11427 Wania
er nan harto förahta. V : nan (i rad.). II 4 51 Thdnaua er nan füarta. 11522 in
tfiiu er nan beton wolti. II 6 23 joh ans zi leide er nan köu. a joh uns zi sere
er nan ndm. 26 want er nan köu joh firddnt. 27 thaz er nan üz thoh ni spe.
II 7 35 so er nan erist gisah. 44 thaz loir nan eigun füntan. 53 So er nan zi imo
brahta. P eman. 58 thaz er nan zdlta so guaf. 11 9 36 thaz er nan thdra leitti.
45 er er nan fdsto gibant. 47 In then dlteri er nan legita. 111228 so ives soso er
nan gniazta. P soso. III 14 14 so dr nan t/iar tho hdti. 30 «'eV nan thar tho
ruarti. 1112090 thaz wir nan bh'ntan barun. 1112133 Joh unr van munzin
scöuwn. III2471 ivio er nan minnoti. IV 3 14 thaz er nan möhta ana wdn.
16 ther er nan töde binam. IV 1262 in einwigt er nan streivita. IV 18 22 quad, er
nan in ther gdhi. 31 thaz er nan sar nirkndti. IV 195 Fraget er nan sdre.
74 wdr inan thanne sli'iagi. IV 20 14 thaz wir nan Ih/'r brahtin. 30 unz man Mar
nan nu gif lang. 31 ziu brdhiut ir nan mir bi thiu. IV 22 17 joh er nan selbo fllta.
IV 247 bi thia gdbun ivir nan ih/'r in hant. IV 27 is joh thar nan üfirrihtun.
IV 31 6 rdfst er nan hdrto. IV 3327 joh zi ferehe er nan stdh. IV35i8 um er
nan tho thdna nam. V 4 26 so er nan erist birdin. i2 jo?i Mar nan ouh bigräabun.
48 ni thürfat ir nan riazan. 62 sid er nan thdr ubarwdnt. V1328 toant er nan
minnota so fram. H79 Erata er nan filii frdin.
IV. Hinter einer auf -u auslautenden hebung.
In mindestens einer hs. findet sieh die kurzform nan.
II 126 in frdnkisgon nan löbotan. 111 57 In kripphu man nan Ugita.
1144 hiazun inan heilant. P nan. 12222 sie ni hrdhtun nan sar. 12736 frdgelun
nan hdrto. 11144 m kriahhisgon nnn n^nnent. IV 16 55 inti fidngun nan sar.
40 KAPI'E
V : nan (i rad.)- rV2224 ''nti ddtun inau in. P nan. 25 si hue häbetun inan
io. P nan. rV2436 giböt, thaz man nan ndmi. IV 25 2 tho man nan bismerota.
IV 2622 nu sct'dun nan siintilosan. IV 27b mit siintigon nan zdltun. 17 in thaz
cri'ici man nan ndgalta. IV 30 2 interetun nan herton. IV 35 24 icära man nan
Ugiti. IV 36 20 thaz man nan ni firstdli. VTsg ^vdra man nan ddti. 40 wdra
man nan Ugiti. V1739 Sie irli'iagatiin nan hi'imo.
y. Hinter einer auf einen beliebigen konsonanten aus-
gehenden liebuug in der form nan.
III I621 süachit thes, nan sriitit. P ihes. rV"23i8 cnizo les nan, criizo.
V 1523 Er tlirittun sinnt nan gri'iazta.
Unter dem liaupt- oder nebeniktus auf der Wurzelsilbe erscheint
das pronomen in den Otfridhss. stets in der ahd. normalform hifin.
Der nach regelmässigem Wechsel von hebung und Senkung strebende
Vortrag legt häufig einen nebeniktus auf die endsilbe des pronomens.
Es treten ganz analoge erscheinungen heraus, wie wir sie schon bei
dem dat. imo beobachten konnten. Hinter einer auf einen konso-
nanten ausser r n ausgehenden hebung füllt der wurzelvokal des
endbetonten pronomens die Senkung. IV 24 15 ist die endbetonung
durch das homöoteleuton gesichert: H/na, hina nhn inan : man. Der
wurzelvokal ist durch die akzentverschiebung auf ein minimum von
druckstärke und schallfülle herabgesetzt. IV I251 zeigen alle Schreiber
die kurzform nan: finstar näht nan intfiang. Der wurzelvokal
kommt als gleitlaut von der lösung des -/-verschlusses zur j^-artikulation
zur geltung. Geht ein laut grösserer schallfülle als auslaut der vor-
hergehenden betonten oder unbetonten silbe voran, so wird der wurzel-
vokal des endbetonten pronomens unterdrückt. 3mal ist die kurzform
hinter diphthongisch auslautender hebung belegt, 44mal hinter voka-
lisch auslautender senkungssilbe. Danach ist 11984, Uli 21, IV 824
hinter dem zweisilbigen, vokalisch auslautenden nomen die endbetonte
vollform in die kurzform nan umzusetzen. Nur IV 8 7 So wer so inan
inmahi ist die vollform beizubehalten, da hier das rel. so auf die
Schwundstufe herabgesetzt wird. Auch hier wird hinter auslautendem
-r der wurzelvokal des pronomens apokopiert, wie wir dies schon beim
dat. imo beobachteten; das endbetonte pronomen ist nur in der kurz-
form l)elegt: 2mal hinter einer auf -r ausgehenden hebung, 21mal
hinter einer unbetonten silbe. Eine neue tendenz der Umgangssprache
tritt am acc. iyian zutage, indem der unbetonte wurzelvokal hinter
einer auf -n auslautenden unbetonten silbe apokopiert wird. Das
endbetonte pronomen ist in 48 halbversen gleich als kurzform in den
text gesetzt, nur IV 15.22 ist die Sprech form noch nachträglich in die
HIATUS UNI) SYKALÖPHE BEI (JlKIUl» 41
schreibform g-eändert. Das pronomen erscheint stets in der enklise.
Der Vortrag geht von der artikulation des auslautenden -n unmittel-
bar in die des anlautenden -n über ; es entsteht eine geminata nh mit
deutlicher druckgrenze zwischen beiden silben. In der hs. F sind
127.25 gleich beide formen in ein wort zusammengeschrieben: so man
nan fjmantn, F man an.
In der Senkung zwischen 2 betonten silben kennt Otfrid nur
die kurze ablautsform nan. In der enklise konzentriert sich die
artikulationsenergie auf der zweiten silbe des pronomens ; der wurzel-
vokal wird apokopiert. Die Schreiber haben nur ganz vereinzelt die
schreibform inan in den text gesetzt; meist findet sich in mindestens
einer hs. die kurzform nan. Dass diese ablautsstufe hier durchgeht,
dass also die Qualität des auslauts keinen einfluss hat, beweisen die
folgenden 3 verse: IIII6.21 suachü thes, nan sentit, P thes. IV23i8
cri'izo les nan, crüzo. V1523 Er thitten stunt nan grüazta. Ferner
finden sich 20 kurzformen hinter einer auf -n auslautenden hebung.
49mal erscheint die kurzform hinter einer auf -r auslautenden hebung,
2mal hinter einer auf -r auslautenden ersten senkungssilbe. In 70 halb-
versen zeigt mindestens eine hs. die sprechform nan. Nur IV 17 20
belegen alle hss. die schreibform.
3mal beg-egnet in den Otfridhss. die Schwundstufe des pronomens
inan als auslautendes -}i, das dem betonten, vokalisch auslautenden
Worte angeschlagen ist. III 20 176 sconon es girlhta. IV 35 35 Legita
nan tho ther eino, F Legitan. \ll ^i joh löhota nan zioro, P lohotan.
Auszugehen ist bei der erklärung dieser form von der reduktionsstufe
in, die in unbetonter satzstellung schon in ahd. zeit durch rcduktion
der zweiten silbe der unbetonten vollform inan entstanden sein muss.
Ein kriterium dafür, dass schon in ahd. zeit der sonant der zweiten
silbe auf dem wege der abschwächung war, besitzen wir in den formen
inen und neu der hs. F.
inen.
IIII844 zi t/u'u fr inan nennet. Y inen. III 20 170 thas sie firwi'irfun naii
hi ihaz. F inen. IV 1 3 irh sie inan Jirh'esen. V nan. V inen. III 22 3-1 thaz sie
nan stein oiin. P inen.
nen.
III 20 91» zi krlsii nan gizcliti. F ncn. IU2531 tliaz mdaota nan thes teures.
F nen. 11122«) Thie Jüdeon nan bistüaniun. F ncn. 1112616 oba man nan
nirslüarji. F nen. IV 3 15 dvur nan irqu/cti. F nen. IV 5 40 so tvöla nan, ther
thdr ist. F nen. 1112090 thaz wir nan hh'ntan harun. F nen. 1112133 Joh wir
nan muazin scöwon. F neti. III20i83 so wöltun sie nan sieinon. Y nen.
IV 20 40 zi töthe sie nan hrüngun. F nen. IV23i6 -6'o sie nan tho gisdhun. F nen.
42 KAPPE
Die nbschwächung des (i > e ist also auf der ganzen linie vor
sich g-egani;en - bei wurzelbetonuug wie endbetonung- und in un-
betonter Satzstellung-. Die wurzelbetonte form inen hat sich bis in
die mhd. zeit erhalten. Aus ihr ist durch weitergehende reduktion
der zweiten silbe die mhd. betonte normalform in entwickelt. In ahd.
zeit hat sie noch nicht bestanden, \yohl aber muss schon in ahd.
zeit derselbe prozess an der unbetonten form inen sich vollzogen
hal)en, und zwar wohl in enklitischer Stellung in mehrsilbiger Senkung.
Lehnt sich diese reduzierte form in enklitisch an ein vokalisch aus-
lautendes wort au, so verliert sie ihren sonanten \
Bei Otfrid scheint nach III 20 176 und IV 35 35 diese Schwundstufe
des pronomens an zweiter oder dritter stelle der Senkung hinter voka-
lisch auslautender silbe herauszutreten. Man wird daher vers II 754
in P dreihebig lesen müssen : joh löbota nan zioro, P lobotan.
Neben der betonten zweisilbigen vollform inan lief in satztief-
toniger Stellung eine unbetonte zweisilbige form um. Sie ist in den
Otfridhss. nur Les belegt, w^o sie durch reduktionsvorgänge an der
vorhergehenden silbe geschützt ist: Les so fr am so inan läzit thiu croft.
3. iru ira iro.
A. Unter dem uebeniktus auf der wui'zelsilbe vor vokalisch anlautender
Senkung.
1. Der endvokal des pronomens ist elidiert.
ira vor ir-.
IV 33 13 joli druhtin ira irhängan. P ira.
iro vor ist.
ni23i Iro ist fllu thrato. V Ero. P Erq (0 hin zukorrigiert). D Er ist.
'F Ero ist.
2. Alle hss. zeigen die voll formen nebeneinander.
Vor ir-.
iru.
18 18 er sih jon iru irflrti. 1232 thaz kr Ist sih iru irougti. III 17 10 thdz
man iru irdeilti.
iro.
IV 243 Sttmma sie iro irhüabun.
Vor ist.
1111025 Iro ist filu irioörtan.
1) Sowohl die form in wie die Schwundstufe -n sind in ahd. zeit helegt, vgl.
Musp, 19 b daz in es sin muot kispane. T1348 then ther fater giheilagota intt
santan in uueralt. T 1636 santan tho Annas gibuntanan.
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 43
B. Unter dem nebeuiktus auf der endsilbe.
I. Hinter konsonantisch auslautender h e b u n g-.
iru.
19 15 was iru ther stin druf. P was. I14i8 -vo thfa fdrt ira ni in'rituti.
ni479 Gab iru mit milti. IlllOic ihes hat iru thiu niüater. III 1422 thas hliiat
im firstülti. 1112312 joh weis ira ihaz stlazi. 1111126 intfiang iruz zi yiiatv.
ni24io irgiang iruz zi gi'iate. n aiiz tliaz müat iru, so wiaJ.
ira.
IV 166 tho mera ira ni hdbeta. P merq. IV29i8 thaz idht ira ßrzäri.
22 thaz uu'ht ira firhrdchi.
iro.
II 4 100 ni brdst iro iowdnne.
IL Hinter vo Italisch auslautender senkungssilbe.
III 2439 thaz deta ru ther wlUo.
C. Im auftakt vor vokalisch anlautender hebung:.
I. Allein im auftakt.
1. Der endvokal ist elidiert.
II 16 39 Iro dnon ouh so ddtun. P Iro.
2. Alle liss. zeigen die voll form.
II 11 20 iro dllero i'mdati. III 15 31 iro drmilichun ddti.
IL An zweiter stelle des auftakts.
111 27 Want ira dnon waruu thdnana. P Wantq. V ira (a zukorrigiert).
D. In der Senkung.
I. Hinter konsonantisch auslautender hebung- vor
V 0 k a 1 i s c h anlautender hebung.
1. Der endvokal des pronomens ist elidiert.
ira.
12226 iz was ira einego sun. P ira.
iro.
II 1290 mickil ist ir ühili. IV 2 13 Ldzarus er was iro ein. P i)o.
2. Alle hss. zeigen die voll form.
iru.
1178 iz was iru anan heiiti. III 10 12 ther diufal ist ira iiine. III 14 12 thir
htilfi iru in theru noii. P hälfi.
iro.
1114 115 Gilöubta iro oult, tho in ivdra, P Gilöubta.
44 KAPPE
II. Hinter v o k a 1 i s c h a u s I a u t e u d e r h e b u u g- vor konsonan-
tisch anlautender hebnng.
1. Der Wurzel vokal des pronomens ist in mindestens
einer lis. elidiert.
ira.
III 735 in V gegen P: 0ha thu ra rüachis. P Öba thi< ira.
iro.
r\''204o mit icdssidu iro züngun. P iro.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
r\'21i5 thas thu iro kiining nu ni bist.
III. H i n t e r V 0 k a 1 i s c li auslautende]- Senkung v o r v o k a 1 i s c h
anlautender h e b u n g.
III 14 12 thoh si ira al spentoti. P si ira ql.
Da die formen im ira und iro schon häufig ineinander über-
gehen, wird eine zusammenfassende betrachtung der drei pronomina
angebracht sein. Die orthographischen normalformen sind für den
dat. sg. f. iru, für den gen. sg. f. ira und für den gen. pl. iro. Zu-
weilen findet sich für den dativ schon eine abgeschwächte form iro;
die mehrzahl der belege gehört der hs. F an: II 815 Spräh tho ziru
siiazo, F zi iro. II 1266 thara zi Iru sahi, F ziro. II I479 Gab iru
mit m'dti, F iro (u über 0 geschrieben). Die hs. Y kennt diese form
iro auch; wo sie aber dem Schreiber in die feder kommt, wird sie
in die normalform korrigiert: II 1435 Quad unser drithtiti zi iru tho,
V im {u aus 0). III 2447 bei endbetontem iru: iinz thaz m/iaf im
so wk/l, V im {u aus 0). Der endvokal ist also schon auf dem wege
der reduktion begriffen. III 23 12 erscheint in F für den endbetonteu
dativ die form ira: joh was im thaz si'iazi, F ira. Da dieser beleg
ganz vereinzelt ist, lässt sich nicht entscheiden, ob darin blosser
Schreibfehler, ob eindringen der genetivform oder ob darin eine ab-
geschwächte form zu sehen ist, deren endvokal phonetisch als bai-
risches a anzusprechen ist.
Die beiden formen iru iro finden wir in den Otfridhss. zuweilen
auch für den gen. sg. fem. gebraucht. Bisweilen steht iru in allen
hss. oder auch iro; bisweilen zeigt eine hs. die normalform ira, die
anderen iru oder iro; endlich begegnen in den Varianten desselben
verses gar alle drei formen.
iru in allen hss.
I62 zi ther iru mdginnu. 1726 si zi iru siine ivegonU. 113 17 thiu irört
in ira hrilsti. IV 2 17 mit iru fdhse sie gisudrb.
HIATUS UXD .SYXALÜl'HE 15EI OTFIMD 45
iro m allen hss.
L87 oba er habet iro riaih. II65 thes h'obes zi iro gömman. III 14 43 end-
betont: joh öuh iro githänko. IV 29 67 thio iro suester ztui. IV 32 2 thio rüartun
iro briisti. V 23 124 sint dllo thio iro gtiati. P thio. 125 zua suester iro güaio.
V ira. P iro.
1334 irbiat er ira gtiati. P iro.
V ira. P iru.
in 1752 was ira ser thaz ira mnat. P iru.
V iru. P iro.
12221 joh rüartun t/iio iru brüstt. P iro.
V ira (a korrigiert aus u). D iru. P iro. ¥ ira.
116 7 joh Uita si ira daga thar. V ira (a korrigiert aus u). F ira.
D iru. V iro.
V P iru F ira.
I 16 3 si gote rlJita si iru müat. F im.
Die -?iformen im gen. sg. fem. könnten allenfalls ans dem so-
genannten offenen a verlesen sein. Doch wird man von dieser er-
klärung keinen gebrauch machen wollen, da es sich um ein neben-
einander der drei formen iru iro ira handelt, das sich überdies auch
im gen. plur. wird nachweisen lassen. Kelle ^ Avill diesen bunten
formenwechsel aus dem qualitativen vokal charakter der jeweiligen
Umgebung erklären. Ein blick auf die zusammengestellten belege
zeigt jedoch, dass dieser gesichtspunkt uns ebensooft im stich l'asst,
wie er uns helfen könnte. Erdmann (anm. zu I 62) nimmt fehler-
hafte Schreibung an. Nach Braune, Ahd. gr.- § 283 a. 1 g wäre hier
die dativform in den genetiv gedrungen. Für das eindringen des
genetivs in den dativ wäre nur jener mehrdeutige beleg aus der hs.
F beizubringen : III 23 12 70/« weis iru thaz suazi, F ira. Aber das auf-
treten der form iro im gen. sg. fem. bliebe unerklärt, vollends dass
jener dreiklang von formen sich auch im gen. plur. ündet. Während
F für den dativ oft die form iro vorzieht, setzt sie im gen. plur.
wiederholt die form iru:
IV 931 Nu ist uns thiu iro gömaheit. F iru. V13i7 tvanta iro icas f/lu
thrato. V iru. I4i6 sie wdrun iro henti. F iru. IV 3a gibütun iro irörton.
F iru. IV 26 9 S'iu bliiun iro brüstt. F iru.
Zuweilen zeigen V oder P oder beide die form ira statt iro:
IV 166 fher alla ivörolt nerita. tho mera ira ni hdbeta, F iro. Vgl,
4 thie nötgistallon. IV 3425 Kldgetioi thö thiu selbun w'ib. thaz ira
eigena lih. Doch könnte an beiden stellen ein Wechsel der syn-
taktischen auffassung massgebend gewesen sein. Dieser umstand
1) Kelle II 333.
46 KAI'l'E
scheidet in den folg-enden belegen uns, wo es sich um männer
handelt: VBaa sie zältun, so man ofto düat, thaz iro seraga muat,
P F iro, V ira. VII15 Firgdb in thaz zi rüame, theiz wari in iro
duame, \ F ira. In beiden halbversen nimmt Erdmann Schreibfehler
an lind setzt iro in den text. Bei dem Charakter unserer überlieferung-
erscheint es gewagt, hier zweimal der hs. V einen Schreibfehler zuzu-
muten, zumal VII15 F der hs. V folgt. Da ausserdem F 5mal die
form im für den gen. plur. aufweist, wird man diesen formenwechsel
nicht von dem ganz gleichen Wechsel im gen. und dat. sg. fem. trennen
können. Dieser bunte willkürliche formenwechsel, der sich auch auf
die endbetonten formen erstreckt, wird sich nur durch die annähme
begreifen lassen, dass die 3 formen im ira iro in der Umgangssprache
des 9. Jahrhunderts nicht mehr auseinanderzuhalten waren, wenn sie
natürlich auch in der Orthographie der hauptsache nach noch geschie-
den wurden. Der phonetische wert des auslautenden vokals dieser
formen stellte sich den Schreibern wohl am ehesten in dem Schrift-
bild iro dar. Daher drängt sich die form iro schon in den Otfridhss.
hervor, bis sie bei N für alle 3 formen alleinherrschend ist. Die Um-
gangssprache des 9. Jahrhunderts zeigt uns also auch in dieser kate-
gorie den ahd. endsilbenvokalismus schon in auflösung und auf dem
wege der entwicklung zu mhd. sprachzuständeu.
Die sprechformen aller 3 casus können sich wechselseitig er-
hellen. Vor vokalisch anlautender Senkung verlieren die betonten
pronomina regelmässig ihren endvokal. Eine kurzform des gen. sg.
fem. vor ir- und eine zweite des gen. plur. vor ist sind beweisend
für 5 vollformeu vor denselben Senkungssilben. Der unbetonte end-
vokal fällt als der phonetisch leichtere sonant.
Unter denselben rhythmischen bedingungen, die wir bei imo und
inan kennen lernten, werden auch iru und ira auf der endsilbe betont,
wenn sie hinter einer hochbetonten vor einer unbetonten silbe stehen.
Lautet die hebung konsonantisch aus, so füllt der unbetonte wurzel-
vokal die Senkung; es finden sich 9 belege für den dativ, 3 für den
gen. sg. fem. Hinter einer vokalisch auslautenden senkungssilbe
wird der nachdruckslose wurzelvokal des endbetonten pronomens
unterdrückt. Es begegnet nur ein beleg für den dativ: 1112439 thaz
dCta ru Hier willo. Diese ablautsstufe rit ist also der form mö des
dat. m. n. analog. Lachmaun, Kl.schr. I 380 bemerkt, dass sich für
den gen. plur. die endbetonuug nicht belegen lasse. Vielleicht haben
wir sie jedoch II 4 100 anzunehmen: ni bräst iro ioivdrme. ioivänne
ist gewöhnlich auf zweiter silbe betont, während die erste in die
HIA'irS rXD SYXALÖI'HE BEI OTI'ÜH) 47
seiikimg- tritt; es können jedoch auch die beiden ersten silben betont
sein. Die letzte betonungsweise würde im vorliegenden fall das adverb
ungebührlich hervorheben. Die endbetonung scheint mir die flüssigste
rhythmisierung des halbverses zu ergeben; ist doch dieser satz nur
eingeschoben, um ein reimwort zu beschaffen.
An zweiter oder dritter stelle des auftakts und der Senkung wird
der endvokal der satztieftonigen pronomina vor vokalisch anlautender
hebung stets elidiert. In auftakt und Senkung finden sich je 2 sprech-
formen gegen 2 und 4 schreiljformen. Neben der betonten ablauts-
stufe '/)■ läuft also eine satztieftonige parallele ir her.
In der Senkung zwischen vokalisch auslautender und konsonan-
tisch anlautender hebung treten die ablautsstufen ra 111 7.35 und ro
IV 20 40 heraus. Der schwache anlaut der pronomina geht unter in
der artikulationsbewegung des betonten vokals. III 7 35 wird der
Unterpunktierung des Schreibers von P eine abweichende auffassung
des verses zugTunde liegen. IV 21 15 trägt das pronomen thu den
stärkeren logischen nachdruckt thaz thu iro küning nu ni bist. Man
wird daher auf das pronomen thu den nebeniktus legen und das
pronomen iro auf die ablautsstufe ro herabsetzen.
III 14 1-2 liegt der logische akzent zweifellos auf der einleitenden
konjunktion: thöh si ira äl qjenioti, P sl ira ql. Die vokale gleicher
qualität verschmelzen in der Senkung; der endvokal des prouo-
mens ira fällt vor der hebung dl. Die elisionspunkte in P treffen
phonetisch das richtige; der akzent ist sicher fälschlich gesetzt'.
Das pronomen ira ist hier auf die Schwundstufe, auf den inlautenden
konsonanten reduziert. Es treten in dieser gruppe dieselben ablauts-
formen heraus wie im dat. imo: die wurzelbetonten vollformen; die
endbetonten vollformen; die betonten kurzformen rii rä ro; die in
neutraler Umgebung auftretenden unbetonten vollformen, für die sich
allerdings nur 1 beleg {l 11 ^s ira) findet; die betonte kurzform h- und
die satztieftonige parallele ir; die unbetonten kurzformen -ru -ra -ro ;
die Schwundstufe ->•-.
4. X. acc. [)1. m. sie.
A. Unter dem haupt- oder nebeniktus.
Vor konsonantisch und vokalisch anlautender Senkung erscheint
regelmässig in zahllosen belegen die form sie. Daher fällt auf:
1) Vgl. Pipers Variante uii dieser stelle: 'P si>'ra al. (unter ;• und unter der
zeile zwischen a und / ein punkt)'.
48 KAPI'IO
Acc. pl. m.
11431 Mit imti si ihar werita. D sie. P sier.
B. Im auftakt.
I. Im einsilbigen auftakt vor konsonantisch anlautender
h e b u n g-.
Es erscheint regelmässig in zahllosen belegen die vollform sie.
Ausnahmen sind ganz vereinzelt.
IV 28 9 zeigt V die form si: si iviirßn iro löza. P sie. IV 612 ist in V si
zu sie korrigiert: sie wlht niregisota. V sie (e zukorrigiert). IISis zeigt F die
form *e; sie hrähtun imo in hdnton. F se.
II. Als erste silbe im zweisilbigen auftakt.
1. Vor konsonantisch anlautender zweiter auftaktsilbe.
1 27 13 Sie thaz drunti giriatun.
2. Vor vokalisch anlautender zweiter auftaktsilbe.
a) Vor iz.
a) Der sonant des pronomens iz ist elidiert.
1 1 105 sie iz al mit göte wirkent. P F siez. 1 1823 Sie iz dllaz thar irkdntim.
F siez. IV 22 5 sie iz alles wio girintin. P siez. IV 30 22 siez dllaz frdmbrahtnn.
V siez (e aus i korrigiert).
ß) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
III 16 sie iz allaz sdmnn rietiui. III 19 19 Sie iz allaz dhahotu.it. IV 613 Sie
iz öuh tiio gimeintuH.
b) Vor imo.
IV 4 70 sie mo Innoivo ni undun. P mo.
c) Vor es.
II 24 sies dlles wio ni rtlachent. IV 8 10 si es dlles tcio ni thdhiin.
d) Vor ouh.
1474 sie ouh wari wihenti. P sie.
e) Vor in (praep.).
1 1 88 sie in sibbn joh in dhtu.
f) Vor ir-.
y) Der sonant des präfixes ist elidiert.
1112330 si erqudmun odo in Ihrdti. F sie irquamuu. V2347 Si erhtiggent
kristes tvörtes. F Sie irhuggent.
ß) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
11120161 Sie irbülgun sih in wdra. P Sie. V 1739 Sie irlüagatua nan kümo.
g) Vor in-.
12744 sie insdzun iz hdrtu.
HrATUS UND SYNALÖPHE «EI OTFHID 49
IIL In zweiter auftaktsilbe.
1. Vor konsonantisch anlautender liebung.
a) In der form se.
IV 1559 So er ss lerta thö in thera näht.
b) In der vollform sie.
II 10 9 lliaz sie Idsun er In rihti.
2. Vor vokalisch anlautender hebung.
a) Das pronomen ^ie wird auf den anlautenden konsonanten reduziert.
11121 er siro zins gidtin. 1125 so sinan dnasalinn. P sie inaii. lll^ithaz
sie iino geha hrahtun. P sitno.
Eine kombination verschiedener darstellungsformen bieten die
Varianten folgender verse:
II2 tliuz sie iro namon hreittin. P se iro (e aus i korrigiert). F siro.
IV ISöi thas sie imo lo r/iioangtin. P simo. F sie imo. III 2252 loas sie iu io
sägen scoltiiu. P se iu. D sie iu. F siu io. lies uns se inan eigwi heilan.
P F sinan. Ills tliaz se erdrihes niesen. F se. II049 thas se er ju halun länge.
D se er. F ser. 11 14 100 uns se odo tvärun si titer u hiirg. P se. III 16 54 then
se er irslähan woltun. P se er. V 23 155 wio er se inimizigen skre'n/cit. V se (e zu-
korrigiert). P sie (/e übergeschrieben). F seuimizigen.
Ebenso ist die Schreibung sie in P zu interpretieren :
ni20io2 thaz sie untar in er ivorahtun. P sie. V650 tlinz sie after themo
gi'iate. P sie. VII24 tliaz sii älleswio ni ddtin. P sie. V2O50 thaz sie er io
minnotun. P sie. IV24i4 so sie inan änasahun. P sie. F 7ian. Vgl. 1 125.
b) Die form sie findet sich Imal in V P, 9mal in P.
lUö Thaz sie 4rdrichi zdliin. F sie. III 17? so sie i'tbihrillig wärun. Y sie
(i übergeschrieben). P sie. lYlujoh sie alles wio ni ddtin. P sie. IV 5 27 Thas
sie linsih muadon funtin. V sie. 28 t/ias sie unsih simo leittin. P sie. TV 15 ss joh
sie lamer, sar thäs icürti. P sie. IV 36 10 thas sie ünsih ni bisuichen P sie.
V 17 23 joh sie after imo sahun. P sie.
c) V F zeigen die form se.
III 16 10 ther se inan lerti ivanne. F sia (i zAvischengeschrieben). Piper:
sia inan] saman : zwischen s und a ist unten ein i eingesclioben ; nach dem ersten
strich des m ist ein piinkt. IV 208 duent se ünsih nngaate.
d) Alle hss. zeigen die vollform sie.
III 637 thar sie alle süasahun. IlISs thaz sie ouh giwär warin. lUVdi^ wio
sie ouh mit linredinon. III 14 115 ihoh sie öugtin argan willon, IV 2645 thaz sie
luih theken öbana. IV 294 sint sie älang io si giiate. II 87 Wio sie avur göt
thar drösta.
ZEITSCHKIFT F. DEUTSCHE PIlILüLOCaE. BD. XLIT. 4
50 KAI'I'K
IV. In dritter aiiftaktsilbe vor a' okalisch anlautender
h e b u n g.
II 9 14 7nit thiii sie üasih iagüicho. P sie.
C. In der Senkung Yor konsonantisch anlautender hebung.
I. Das pronomen allein in der Senkung.
1. In mindestens einer lis. findet sich die form se.
Im ersten fuss.
a) 1. halbvers.
N. pl. m.
II 1280 in tJtiu se thes hig innen. 112412 tliia se thdr innan thes. Y 2Siso mit
tliiit se tht'n warbon. isi Mit thiu se dräta sine. IIts ni sie hi iro gi'iati. P ni
se hlro. Ills in thiu se thdz giliezen. lYSis Bi hiic se thes ni högetin. F si.
IV 637 Wio se minnotun thdr. F sie. IV 7 17 ITVo se scoltun fdhan. F sie.
rV7i4 korrigiert V se in sie: thie sie scoltun n'nan. Y sie (/ zukorrigiert). P thie
sie. IV 3 13 Bi hiu se thes ni högetin.
Acc. pl. ru.
12744 nirthroz se ihero wörto. 124 15 Tliaz er se kiar h'rit. P e'r. IllSai
Bizöh se, tho iz si ddge ivant. 11120 152 thas er se sar ni hörit. IV 782 gideta er
se filu r/che. PVlSeo gizöh se thar tho föllon. 1111545 in V gegen P: Joh er se
thes gihntti. P Jöh er se. II 2328 ändert V se in sie: theih er sie hdl ju lange.
P 4r. V sie (^ übergeschrieben).
b) 2. halbvers.
X. pl. m.
111 7 in thiu se wollen haben lib. V964 thia se seribun thanana. Y 23^2 thas
se thdra ivollent.
Acc. pl. m.
II 20 12 thas sie se löbon thanne. II 21 11 ther Hut se löbo bi thiu. P löbo
thar. II 22 38 thas ir se ni bisuichet. lY Qi joh wio er se brcdigoti. IV 15 53 want
er se selbo welita. F sc (e aus i). V 12 es mit thiu er se drösta sidor meist. P (h:
IV 621 er sh'iag sie sdr joh sie rdh. F se. Die Varianten der ausgaben lassen
nicht unzweideutig erkennen, ob die form se in F sich auf beide formen des halb-
verses oder nur auf eine der beiden beziehen soll. rVösa wio er se wolti vrinnon.
F sie. IV16i2io/j sie thdra leitta. F se. V138 thar er sie fisgon gisah. F se.
IV 6 37 thaz man sie hiazi meistar. V «zV (« zukorrigiert). P s/e (/übergeschrieben).
1471 ändert V se in sie: irds sie filu wüntar. V sie (korrigiert aus se).
Im zweiten fuss.
a) 1. halbvers.
X. pl. m.
III 439 Frägetun se thuruh not. IV 54 joh thie esti, tliie se setitun.
IV 929 Irlhionotun sc hdrto. rV2627 Weinotun se Idngo. IV 3537 Wtillun se, er
se fuarin heim. III 1525 Ni giloaptun, so se scoltun. F sie. rV65i Ouh ddtun,
so sie Wültun. F se. V 1737 Kdpfetun sie Idngo. P se. 117 19 ändert V se in
sie: Sdgetun, thaz sie gdhun. V sie (i hinzukorrigiert).
HIATUS UND SYXALÖPHE BEI OTFRID 61
Acc. pl. m.
II 102 jo7i züihit er se reine. IV 467 IJdges er se lerla. IV 11 31 iu P gegen
V: Ni wasgu ih sie, quad er, thir. P wdsgu ih se.
b) 2. lialbvers.
N. pl. m.
1 12 34 thar zämun se scono.
Acc. pl. m.
II 773 sehet ir se silgan. V 16 38 so sllumo so ir se rnaret. V se (e aus 0).
Im dritten fuss.
a) 1. halbvers.
N. pl, m.
II 11 47 Thaz ziwiirfan se, les. IV 14 13 Bnthtin, quddun se scir. IV28ii Ny
düeines, quddun se, les. 11737 Thia bürg ndntun se sdr. P sie. 1112462 dnihtin,
quadun se sdr. F sie. r\''2227 Heil tJiu, quddun sie, krlst. P se.
b) 2. halbvers.
N. pl. in.
1111749 hi thiu so shluhiun se thdr. IV 9 28 thaz githlonotun se thar.
V422 hi thiu hintarqudmun se sä. H 102 thaz irfüliun se sdr. 1111632 M ihiu
inkunnun sie mih. V sie (i übergeschrieben). P se. F sie.
Acc. pl. m.
IV 621 er shiag sie sdr j oh sie rdh. F se. Die Varianten iu den ausgaben
lassen nicht unzweideutig erkennen, ob die form «c in F sich auf beide formen des
halbverses oder nur auf eine der beiden bezieht.
2. Alle hss. zeigen die form sie.
Im ersten fuss.
a) 1. halbvers.
N. pl. m.
1 1 108 thäz sie thaz gilernen. 109 tltdz sie thes bighinen. 12m jöh sie thili
irhndtin. P sie (acc. rad.). 11759 Thaz hüs sie tho gisähun. 62 thaz khid sie thar
tho hetotun. II337 7l6 II30 1236 85 1328 14l2 I626 173 2212; III643 1341 47 1487
107 I611 33 2488 26l6(V); IVI22 46 8 525 642 54 744 Hl 1250 275 36li; V443 65
71 9ll IO9 1245 70 13l3 17 15l I81 2626 67 73 74 75 I631; H20 69 103. 12029 Steht
sie für den n. pl. fem.: Qudd, sie thaz ni ivöUin. Sc. thiu wib.
Acc. pl. m.
II 118 ther sie zhno holeta. P ther. III 7 eo ni man sie sus hnvdnne.
IV 552 nu loir sie Mar zi guate. IV 1.564 16 49 29 19; V1269 23i69.
b) 2. halbvers.
X. pl. m.
1 1 62 SO sint sie sdmabalde. 1 1 94 ni si tlu'e sie zugun hrime. 11774 then
weg, sie fdran scoltun. 11228 842 128o; JII87 21 149i 1746 2474; IV 11 15 I643
2036; IV 2229 26ii; V89 IO15 1738 232si.
Acc. pl. m.
1112250 thaz man sie nennit thar zi thiu. IV 6 50 thaz biiah sie ddan hiazun
VI611 joh sie süazlicho intfiang.
4*
52 KAPPE
Im zweiten fuss.
a) 1. halbvers.
N. pl. m.
1222 sie fliszun, thaz sie gißtin. s so iltun sie heim sar. II 837 Tho qudd
er, thaz .v/e skdnctin. IIllu ihie stüala ouh, thar sie sazun. II 23 17, III 232 ISss
I658; IV9l8 I642 1940 60 2435 3615; VlOlS I67 2521.
Acc. pl. m.
13 12 thes wdges er sie ivista. 12237 Wiintar was sie Jtcirto. II 2 12 suiitar
quam, sie mdnoti. IV 623 lOss; V2065 2I3.
b) 2. halbvers.
N. pl. m.
1937 ih sagen thir, wio sie datun. II 3 17 thaz kindilin sie sdhan. II 15 17
ndhor, so sie miiasun. 111229 ni inestun, was sie fnartan.
Acc. pl. in.
12236 inti frdgeta sie kleine. III89 jo/i dngusti sie ruartim.
Im dritten fuss.
a) 1. halbvers.
N. pl. m.
V2345 Thara xuftent sie ziia. H99 Er ist dhtuii sie sin.
Acc. pl. m.
III 12 11 Stime, qtiadun, duent sie wls.
b) 2. halbvers.
N. pl. m.
11761 thes guates irdrun sie hdld. IV 7 44 so ivar in wörolti sie s/n. 66 bi
thiu missigiangun sie ihar. V224 hiar githienetun sie thdz.
Acc. pl. m,
IV 920 giwerdan möhta sie thes.
IL Das pronomen an zweiter stelle der Senkung-.
Alle belege gehören dem ersten fuss an.
1. In mindestens einer hs. findet sich die form se.
a) 1. halbvers.
N. pl. m.
111636 Thanne se zälent tliwruh mih. F sie. IV 7 39 S'o sehent se mit
githninge.
Acc. pl. m.
II 1279 Sanier se zi imo leitti. III 22 27 -A7 nlmit se vu'nnisgen hdz.
b) 2. halbvers.
X. pl. m.
V 20 113 biginnent sie thdna keren. P sie.
2. Alle hss. zeigen die vollform sie.
a) 1. halbvers.
N. pl. m.
III 102 wanta sie icdruit thunih not. IV 4: 13 FMaran sie tho iro pdd.
IV27i Ni ndmun sie thla meina.
HIATUS UND SYXALÜPHE 15Er OTFRID 53
b) 2, halbvers.
N. pl. lu.
IV 123-2 hübetun sie mihila dra. V sie (zukorrigiert). IV 3 13 öba sie thaz
gifriimitin.
Acc. pl. m.
IIT 757 hi hiu man sie körbt heizit. P hiu. V 173? was ivüntar sie thero thingo.
D. In der senknng vor yokalisch anlautender silbe.
I. Vor vokalisch anlautender zweiter senkungs silbe.
1. Vor es.
a) Das pronomen sie wird innerhalb des kontraktionsproduktes sies
auf den anlautenden konsonanten reduziert.
N. pl. m.
Ulis so iiyls ses io gidcitun. 1111632 er zdlta, bi hin si es jlizun. P si es.
111267 joJi ivas sies clnan scoltin. P si es.
Acc. pl. m.
IV 19 12 in th/'u sies fragen icolles. V sies (i zukorrigiert). P s{es. F in
diu du ses fragen wolles.
b) Alle hss. zeigen das kontraktionsprodukt sies.
N. pl, m.
II 106 ni diient sies iviht in noti. JI6u thciz sies tviht nintsdzin. YllietTiaz
sies alles loialtin. 17 Thaz sies wlaltin fila frdm. H19 Wöla sies io ginitzzun.
II 105 Wanta dUaz, thaz sies tMnkent. III 26 7 Sie rletun, was sies wöltin.
IVlOio gibdt, thaz sies dzin. 11325 thöh sies tho ni rtiahtin. 111129 todz sies
alle hörtun. IIII838 tholi triht sies ni firndmin. IV3022 so was sies thö githdhiun.
IV 3727 thdz sies ni gitn'iagin. VIO25 so sies tviht ni ivestun. Vl3ii thdz sies
wiht ni hdbetun. V2525 thaz sies göte thankon.
Acc. pl. m.
II 24 11 T/idz sies tvola lilsti. III 20 42 was sies ivüntar thrato. 1111854 bi
thiu ivds sies filu wüntar.
2. Vor ir-.
a) Das pronomen wird auf den anlautenden konsonanten reduziert.
V 21 4 suntar zia se irgdzin. P se. F .sie.
b) Es finden sich die reduktionsstufen si und se in mindestens
einer hs.
1116 18 thaz iro leid sie irbarme. F se. Y in Sie thdhtun, thaz sie erbdtin.
P si. F sie irbatin.
c) Die form sie findet sich :
II 24 13 in P gegen V: thaz sie irtcdchetin friia. P Thdz sie irwdehelin frua.
3. Vor i7it-.
n 15i4 mit ougon bilden er sie intflang. P sie. F se.
4. Vor in-.
I 24 2 wio sie inglangin dlle. P se.
5. Vor ouh.
II 431 fon hiinile sie ouh nerita. P sie.
54 KAPPE
6. Vor iz.
a) Das pronomen sie wird auf den anlautenden konsonanten reduziert.
II 110 joh sie iz ouh ir füllen. P jöh sie iz. V46 in friadag sie iz dätun.
P sie iz.
b) In mindestens einer lis. findet sich das kontraktionsprodukt siez.
V67 Joh iclo siez ouh firndmun. F sie iz. V2568 thdz siez io hlMllen.
F sie iz. V2046 ni mugun siez thar giiceizen. 198 thdz sie iz ouh giqudttin. P iz.
c) Alle liss. zeigen die vollformen nebeneinander.
11744 in P gegen V: bat sie iz ouh biriiahtin. P bdt sie iz. II 16 32 in
th/u sie iz iogillcho. 111754 in büah sie iz duent zisdmane. IVlie thdz sie iz
mer intri'etin. IV 18 3 zi wlu sie iz ouh bibrdhtin. V sie (acc. rad.). IV 16 38 ndles,
thaz sie iz ddtin. 11 5 17 in thlu sie iz ni firbdrin. P siu. HI 5 15 thoh sie iz
dbahotin so. nil3i = 67 thaz sie iz hdlin thuruh not. rV7i6 so frdm sie iz
mügun bringan.
7. Vor endbetontem inäri.
a) Das pronomen sie ist auf den anlautenden konsonanten reduziert.
1112080 in th/u sie nun irkndtin. P sie. rV36i5 wio sie nan gihialtin.
V sinan (e übergeschrieben).
b) Alle hss. zeigen sie nan.
11756 sdr sie nan gisdhun. P sar sie. 111494 thdz sie nan gisdhin. P sie
(acc. rad.). V622 wio sie nan bigniabun. V732 thdz sie nan gibiirgin. V9ii thaz
sie nan irkndtin = 1136. P thdz.
c) Die hss. zeigen sie inan oder sie nan.
rVls ivio sie inan firliesen. P nan. F wia sia inen. rV2230 n'io sie inan
gihöntin. P nan.
d) Das pronomen sie steht an zweiter stelle der Senkung vor
endbetontem nan.
V 10 4 tho nöttun sie nan giniiagi.
8. Vor imo.
III 16 32 joh icdz sie imo alle wizun. P imo. F mo.
9. Vor al.
V 16 10 tJiia fdrt sie al so gisitotan.
10. Vor uns.
se.
IV 659 Thar dnent se uns io zi müats.
sie.
III 756 in P gegen V: tliaz sie uns scono zelitun. P thdz sie uns.
11. Vor in (praep.).
a) In mindestens einer hs. findet sich die form se.
N. pl. m.
ini5i3 TTVo sie in thesa redina. P se. V IO36 joii ivio sie in tliera ferti. P se.
Acc. pl. m.
II 2 28 gieretq er se in then sind.
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI DTFIUD 55
b) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
IV 032 thia tvcit sie in thih iii Uggeii. IVSOs Thdz sie in then gizitin.
IL Das pronomen an zweiter und dritter stelle der
Senkung- vor vokalisch anlautender hebung.
1. Das pronomen ist in mindestens einer hs. auf den an-
lautenden konsonanten reduziert.
a) Durch die Schreibung sie.
N. pl. m.
1. fass.
I 1 14 iz md'chont sie al (jirustit. P se al (e aus i korrigiert). F sie.
133 Zellent sie uns hiar fihi frdm.. F sie. P sieuns (ie nach dem s übergeschrieben").
Mar fehlt in P. I9io sih warun sie einonti. F seinonti. 1126 fürahtun sie in
tho gdhun. P sie (ie übergeschrieben). I IS? Tho fuarun sie ilenti. P F sie.
12722 fragetun sie ävur ihuruh not. P sie. F savur. 43 bi thiu fragetun sie
dvur mera. P se. F snvur. II 66 hi thiu sint sie unscante. P se. F sie. II9i6SO
skenkent sie ans then giiatan win. P sie. F sie. 15 so so'nkent sie uns mit
iciinnon. P sie. F sie.
2. fuss.
1 144 thes nanien W(^stun sie ouh giwdnt. P se. F sie.
Acc. pl. m.
II 83 Sie lertun sie iz tnit suerton. P sie. 12334 joh rdfsta sie iogillcho.
V io hinzukorrigiert; dabei ie von sie unterpunktiert. VII9 Ouh hh'as er sie dna
(so thu iv^ist). P sie.
b) Durch die Schreibung se.
N. pl. m.
1. fuss.
132 uns zellent se ana hdga. P sanabdga. F se. 1020 ivdrun se allo
woroUi. F sie. 120 4 Joh ädtun se ana fehta. P se. F sie. HI 21 10 ni liazun
se unsih fröioon. P se. IV 9 le thes zilotun se io thuruh not. P se. F sie.
IV 3537 Wüllun se, er se fuarin häm. P se. Lss niazen se tamer, soso ih qudd.
1 1 80 al eigun se iro forahta. P se iro. 100 thero eigun sie io ginüagi. P se io.
F sie (io fehlt). II 16 36 thas l/egent sie dl thuruh mih. P se. F sie. V233i thoh
sdgent se alle thdnana. P se.
Acc, pl. m.
110 22 inti se ouh iricdnte. V souh (e hinzukorrigiert). F sie ouh. II 76 sie
eigun se uharwunnan. F se. Hill i joh lerta se dcur (so imo zdm). P se.
c) Durch die Schreibung sie.
N. pl. m.
1. fuss.
V 20 111 Biginnent sie dngusten. P si/. IV2221 Joh sdztun sie imo in
höubit. P sie.
2. fuss.
V4]o zi themo grdhe se iliun. P sie (i übergeschrieben).
Acc. pl. ra.
V 1335 Joh hiaz er sie ouh giwlsso. P sie. V 20 112 er drlbit sie alle thdnana.
P sie. IV 1236 fon suörgon sie al irretiti. P sie.
56 KAPPE
d) Durch die Schreibung sie vor folgendem '/-.
N. pl. m.
1. fuss.
II 97 Tkes eigiin sie io nuzzi. P sie io. 11324 thes lobotun sie iogilicho.
P sie. 11774 in dröume sie in zelitun. P sie in. IV I646 thaz sMba sie imo
säget an. P sie. imo. lY 20ib Tliaz, quddun sie, in ni dohti. P sie. IV 28 2 in
fieru sie iz gideiltun. P sie iz. rV2232 so hlüun sie imo thiu orun. P sie thiu.
IV 2322 ni möhtun sie in gistälen. P sie. IV 6 40 thaz nigin se in bi nötin. P sie
(i übergescliriebeu). F sie in.
2. fuss.
V54 zi thenio gi'cihe se iltiin. P sie. F sie. *
2. In mindestens einer hs. findet sich die form se.
N. pl. m.
1. fuss.
14 10 so wdrun se unzan elti. 121 ih Sprachun se dvur sliumo. F sie. V4i3
Dniagun se iro scilbun. V732 stiniar se ouh biwiirbin. V2I23 Thar brlnnent sie
unz in ihcon. F se. 196 so icnrun se alle sämant thar. F sie. P al. IV 11 le ict'tasgin
se unz in enti. IV 33 20 thaz ddtun se al bi nide. VIO26 then nuthont se dna-
sahun. H92 then wöltun se ofio irsldhan thar. IV 1725 thes thahtun sie er ju
filu förn. F se. P tlies thdhiun sie er.
2. fuss.
II 11 29 In imo sähwn se odoivdn. IV3024 thaz scMtan Uezun se allaz
frdm. F sie.
Acc. pl. m.
1. fuss.
nilio uzstlaz er se iagilicho. P üzstiaz. F sie. 11 21 12 ,/o7? sie se eren
thuriih thdz. 1111477 So heilte se dlle druhtin sdr. VI612 tJioh rdfst er se erist
härto. V IO20 tho ruartun se dngusti. V 1736 alle drdt er se untar fuaz.
■3. Vor einer nicht auf /'- anlautenden hebung findet sich
in mindestens einer hs. die form sie.
N. pl. m.
1. fuss.
12730 uns zdltun sie ofto ivdhaz. P sie. III 18 11 Bigondun sie änticurten.
F sie. III I826 so wurtun sie timblide. P sie. TV 2Si6 so riafun sie alle gdhun. F sie.
2. fuss.
II5 Thardna ddtun sie ouh thaz düam. P sie. IV 1732 zi themo leittun
sie erist. P sie. IV 2620 thaz Üb bigondun sie dvaron. P sie.
Acc. pl. m.
1112236 lerta sie dvur tho thaz gi'iat. P Urta sie. V2096 biginnit sie dna-
fartoii. P sie. III 2832 nu süachist sie avur thänne. P sie.
Mit dem betonten pronomen er kontrahiert.
II 73 Mit ziihtin sier mo hdldta. F sie ermo.
HIATUS UND SYNALÖPHe BEI OTFKII) 57
4. Alle hss. zeigen die vollform sie.
N. pl. m.
1. fuss.
III 24-1 bcHun sie in gisUUin. IVB 4 siintar sie in then fertin. IV 4 30 thes
Utun sie io zi nöti. ^^^529 Mit leru sie unsih ihäktin. iy620 urlnta sie in iz
sdgetnn. so wanta sie dl firliazun. TV 1 2 öugtun sie Imo innan thes. IV 96 Bigon-
dun sie änttourten. IA"12i9 llio sprachun si alle fon in. IV 19 71 Tho spiun sie
öuh ubar thdz. IV 24 3 Stiinma sie iro irhtiabun. IV 266 273 9; V4i9; H90.
111762 thia scrlbent sie uns zi nüzzi. V sie zukorrigiert. P übergeschrieben.
1111497 thaz f aarin sie 4inluzze. F si. III2O20 in V gegen P: thes sin sie io
giiL'isse. V io übergeschrieben. P thes sin sie io gi wisse. IV 1^9 thar icdrun sie
al gisamanoi.
2. fuss.
IV 2641 Sulili quement sie iu noh heim. V619 zi ivizzanne sie dltun.
II H 63 iiera losen sie dlle.
Acc. pl. m.
IV 2424 ni mäht er sie io gitveichen. IV 25 13 Er nägalta sie in thaz crüzi.
Vlöos t(nifei sie inti bredigot. IVllis lerte sie ötmuati.
Unter dem haiipt- und nebeniktus erscheint in den Otfridhss. in
zahllosen belegen stets die iovm. sie. Yerf^llAsi m/'t ivoti si thar tverifn,
F si, D sie, P si er muss daher in V ein blosser Schreibfehler vorliegen ;
P beseitigt ihn durch einschieben des pronominalen Subjekts, D setzt
die regelmässige vollform sie; nur F übernimmt den fehler.
Im auftakt vor vokaliseh anlautender hebung wird der konso-
nantische faktor des diphthongen unterdrückt; hier tritt die ablaut-
stufe si heraus. Vor konsonantisch anlautender hebung begegnet
durchgehends die vollform .^ie. Als Schreibfehler ist daher IV 28., in
V die form si gegen sie P F einzuschätzen; IV28<, si wi'irfin iro löza
P F sie\ IV 612 ist daher die Schreibung d in V noch nachträglich
in .s/e geändert. IV 6 12 sie wlht niregisoto, V sie (e zukorrigiert). In
F tindet sich endlich noch einmal die form se gegen sie V P IISis.
Man wird auch 127 13 vor einer zweiten konsonantisch anlautenden
auftaktsilbe die vollform sie gelten lassen; eine sichere entscheidung
ist nicht möglich, da sich kein Vergleichsmaterial bietet.
Auch die synalöpheerscheinungen vor einer zweiten vokalisch
anlautenden auftaktsilbe beweisen, dass wir im auftakt nur mit der
vollform sie zu tun haben. Das pronomen iz verliert an zweiter stelle
des auftakts seinen sonanten; es erscheint hier in der enklise hinter
dem pronominalen Subjekt sie. 4mal ist die synalöi)hc in den hss.
bezeichnet durch die sclircibungen siez und sie iz; 3mal zeigen alle
hss. die sehreibformen nebeneinander. Ebenso wird das enklitische
1) Piper scheint übrigens von dieser abweichung in V nichts zu wissen.
58 KAl'PE
pronomeu imo hinter seinem pronominalen Subjekt auf die Schwund-
stufe lierabg-esetzt. Vor auftaktsilben von grossem i)honetischen gewicht
wird jedoch das pronomen sie reduziert; das consouantische dement
des diphthongen wird unterdrückt. Die ablautstufe si ist I474 vor
otih, II 04 IV 8 10 vor dem pronomen es belegt. Vor dem präfix ir-
erweist sich das pronomen als gewichtiger; 11123:30 V2347 ist der präfix-
vokal hinter der vollform sie elidiert; III20igi VI739 zeigen alle hss.
die schreibformen. Auf grund dieser belege wird man I2744 hinter
der vollform sie den sonanten des präfixes in- elidieren. Wahrschein-
lich ist auch II 88 die praep. in auf die Schwundstufe herabzusetzen.
Doch sind dies singulare fälle.
Die erste auftaktsilbe erhebt sich deutlich über die senkungs-
silben im versinnern ; ihr eignet eine entschieden .£:rössere artikulations-
'fo
energie. In einsilbiger Senkung vor vokalisch anlautender liebung
wird das pronomen auf den anlautenden konsonanten reduziert, während
wir im einsilbigen auftakt vor vokalisch anlautender hebung die ab-
lautstufe si vorfanden. An erster stelle des auftakts vor konsonantisch
anlautender hebung hat nur die vollform statt. In der Senkung vor
konsonantisch anlautender betonter silbe kennt die Umgangssprache
nur die ablautstufe se. Diese sprechform findet sich in zahlreichen
belegen in allen 3 fassen beider halbverse. Sie beweisen mit Sicherheit,
dass in unbetonter satzstellung vor konsonantisch anlautender hebung
nur diese reduktionsstufe geltung hat. Darnach sind die belege der
vollform umzusetzen.
1. fuss:
1. halbvers: 66 sie 19 se
2. halbvers: 24 sie 14 se.
2. fuss.
1. halbvers: 25 sie
11 se
2. halbvers: 6 sie
3 se.
0. fuss.
1. halbvers: 3 sie
6 se
2. halbvers: 5 sie
6 se.
An zweiter stelle der Senkung stehen 5 sprechformen 7 schreib-
formen gegenüber. In der mehrzahl aller belege erscheint das prono-
minale Subjekt oder akkusativobjekt in der proklise oder enklise neben
dem verbum. Die sprechform se wird sich in satztieftoniger Stellung
aus der diphthongischen form entwickelt haben. Aus dem fallenden
wurde ein steigender diphthong; das konsonantische / schwindet wie
HIATUS UND SYNAI.ÖPHE BEI OTFKID 69
jedes postkonsonantisclie / in frühahd. zeit. Die tiefstufe des ablauts
hat auch an zweiter stelle des auftakts vor konsonantisch anlautender
hebung- statt: vgl. IV 15 59 So er se Urtn thö in thera naht beweist
für II 10 9 Tliaz sie Idsun er in r'thti.
Diese tiefstufe des ablauts wird auf die Schwundstufe s- herab-
gesetzt, wenn das pronomen in unbetonter satzstellung vor eine voka-
lisch anlautende betonte silbe tritt. An zweiter stelle des auftakts vor
vokalisch anlautender hebung ist die reduktion in 17 versen durch
die Schreibungen s- sie se sie und sie (vor l-) eindeutig gesichert. In
den Varianten dieser verse finden sich wiederholt auch die übrigen
nicht ohne weiteres eindeutigen darstellungsformen sie (vor einer nicht
auf /' anlautenden hebung), se neben der schreibform sie. Die synalöphe
ist somit auch für die übrigen belege bewiesen. An dritter stelle des
auftakts ist II 9u die reduktion auf den anlautenden konsonanten durch
die Schreibung sie dargestellt. Genau dieselben graphischen Varianten
treten an zweiter und dritter stelle der Senkung hervor. Für 44 verse
sind die Schreibungen s- sie se si sie beweisend. 19mal begegnet
die form se, llmal sie, 27mal die vollform sie. Das pronomen erscheint
regelmässig in proklitischer oder enklitischer Stellung, meist neben
dem verbum.
Vor einer zweiten vokalisch anlautenden Senkungssilbe wird die
tiefstufe des ablauts auf die Schwundstufe herabgesetzt. Die in der
Senkung folgenden wörter erweisen sich als gewichtiger. Die Ver-
hältnisse treten hier nicht überall klar hervor, da die Schreiber sehr
oft die orthographische vollform des pronomens gesetzt haben. Die
Schwundstufe ist zunächst handschriftlich belegt vor den präfixen ir-
int- und vor ouJi: V2I4 simtar ziu se irgdzin, P sc, F sie. lIlSu mit
oiigon bilden er sie inffinng, P sie, F se. II 4 31 fon himile sie ouh
nerita, P sie. Die Varianten dieser 3 verse weisen alle nur vorkom-
menden darstellungsformen des pronomens auf. Die ortliograi)liic ist
von konstanz der darstellung hier noch weit entfernt, wenn sicii die
vollform auch schon stark in den Vordergrund drängt. Das gleiche
bunte bild gewähren die verse, in denen die synalöphe nicht bezeichnet
ist vgl. II 16 18 V4i7 II 24 13. Vor dem pronomen es ist der n. a. pl. m.
in 4 versen auf den anlautenden konsonanten reduziert; die hss. zeigen
die formen ses sies, in den Varianten sies. Die beiden vollformen sie
es finden sich nirgends nebeneinander. In 19 halbversen haben die
Schreiber das kontraktionsprodukt sies in den text gesetzt, das also
wohl durch die Orthographie sanktioniert war und als schreibform zur
sprechform ses sies aufzufassen ist. Ähnliche zustände, nur weniger
60 KArri:, iiiatts rxn syxat.öi'he v.va otfrid
konsequent durclig-et'ührt, treten in die erscheinung, wenn das jjro-
nomen iz an zweiter stelle der Senkung- steht, llmal finden sich die
vollformen beider pronomina nebeneinander; 4mal begegnet das kon-
traktionsprodukt siez sie iz. Nur Ilioo und V46 haben die Schreiber
die vollform des grammatischen Subjekts angetastet: Uno joh sie iz
ouh irfidlen, P jöh sie iz. V46 in fr'iadag sie iz dätun, P sie iz.
V llno belegt die sprechform [s/s], die allein hier der Umgangssprache
geläufig gewesen sein wird. Der Schreiber wird den punkt hier mit
vollem bedacht gesetzt liaben, da er von der akzentuierung des verses
in V bewusst abwich und dies durch die sprechform zum ausdruck
bringen wollte. V 46 hat er wahrscheinlich erst den sonanten des
pronomens iz unterpunktiert; dann hat er die vollform des pronomens
sie in V in die sprechform umgesetzt. Dabei hat er den punkt ent-
weder falsch gesetzt oder er vergass den punkt unter iz wieder zu
tilgen. Vielleicht aber waren ihm auch die formen [siz\ und [sez]
phonetisch annähernd gleichwertig, da man den sonanten der tief-
stufe f<e wohl am ehesten als irrationalen vokal ansprechen wird. Die
elision vor den präfixen //•- und int- beweist jedenfalls für das ganz
geringe phonetische gewicht der form se. Vor dem prätix in-, der
praep. in, vor cd und vor uns ist danach mit Sicherheit die Schwund-
stufe des pronomens anzusetzen ; die liss. zeigen hier die formen se
und .sV^. Tritt das pronomen sie vor das endbetonte pronomen inan,
so zeigen die hss. 5mal die darstellungsform sie nan, 2mal sie inan V,
de nan P. Die Statistik für das pronomen inan hat gezeigt, dass die
endbetonte form m)n in den Otfridhss. durchaus orthographische Selb-
ständigkeit gewonnen hat; nur selten schreiben die hss. s?'e «m)n. Wir
können hier sie nan also als normale schreibform ansprechen. Die
zugehörige sprechform springt heraus, wenn P III 20 so sie nan schreibt:
in th'ni sie nan irhiätin, P sie. IV 36 15 ist in V die form sinan durch
überschreiben des e in sienan geändert. Diese sprechform sie nan
kann nur besagen, dass hier das pronomen sie, das in satztieftoniger
Stellung in der tiefstufe se umläuft, auf die Schwundstufe s- herab-
gesetzt wird, während der wurzelvokal des endbetonten pronomens
inan in die Senkung tritt. Der tiefstufe se eignet nur geringste druck-
stärke und schallfülle; das pronomen weicht allen in der Senkung
folgenden silben, selbst ganz leichten silben wie ir- iz int- inan. Da-
nach ist auch III 16 30 die sprechform [s/m] einzusetzen.
KIEL. RUDOLF KAPPE.
(Schluss folgt.)
CÜRVES, STUDIEN ÜBER DIE NIBELINGEXHANDSCHKIFT A 61
STUDIEN ÜBER DIE NIBELUNGENHAND8CHKIFT A.
(Fortsetzung- und schluss'.)
Kapitel IL
Beiträge zur textkritischen beurteilung der hs. A.
1. Das yerliältnis der Schreiber zu dem stroplienbestande der Torlage.
Unter ausscheidung der für diesen zweck unergiebigen, weil zu
wenig umfangreichen partien des dritten bis sechsten Schreibers unter-
suche ich den anteil der beiden baupthände an den veräDderungeu
im Strophen- bezw. zeilenbestande der beiden gedichte ~ gemessen im
allgemeinen an dem umfange der rezension B* -, um die verschie-
dene Stellung beider zu ihrer vorläge, die die Untersuchung
der Orthographie ergeben hatte, auch in diesem stücke nachzuweisen.
In der ganz von der zweiten band geschriebenen Kl. sind,
abgesehen von dem in A mit recht fehlenden Schlüsse (4323-60), der
in B erst nachträglich aus C* interpoliert ist-, folgende diiferenzen
festzustellen. In A fehlen: 171-72, 2205, 2445-48, 3849-56. Schon
Lachmann hat diese 15 zeilen gegen das zeugnis von A in den text
aufgenommen, ihr fehlen also auf fiüchtigkeit des Schreibers zurück-
geführt^. Über ihre uneutbehrlichkeit besteht kein zweifei.
Eine nur scheinbare diiferenz liegt vor bezüglich der in Lach-
nianns texte fehlenden zeilen 3769/70, die auch in dem Varianten-
apparat von Bartsch^ und Edzardi^^ als der hs. fehlend verzeichnet
sind. Aus ihrem übereinstimmenden fehlen in A und C zog dann
Bartsch- den schluss'', dass sie 'als ein zusatz betrachtet werden
müssen' und setzt sie eingeklammert in den text. Tatsächlich
stehen beide zeilen nach aus weis der phototypie in der
hs. (fol. 57 r, sp. a) und sind von Lachmann übersprungen,
was merkwürdigerw^eise Vollmer, der zwei andere von Lachmaun
ausgelassene verspaare entdeckte ', entgangen ist. Zu bedauern ist,
dass der alte fehler noch in die neueste beliandhing der frage bei
1) Vgl. zeitschr. 41, 271. 487.
2; Vgl. die zutreöenden ausfüiiruiigen von Ursinus. a. ;i. o. s. 38—40. Souiraer-
meier (Diss. Halle 1906, s. 50) schreibt die entlehnung- des Schlusses bereits 'einer
direkten Vorstufe von B' zu.
3) So auch zuletzt von Ursinus (Diss. Halle 1908) s. 38 beurteilt.
4) Die Klage, s. 195 zu 3769 f.
5) Die Klage, s. 226 zu 4105 f.
6) A. a. 0. s. XVI.
7) Der Nibelunge not (Leipzig 1843) zu 294 7-8 und zu 3o7 i5-ifi.
62 CORVES
Ursiniis^ übergeg-angen ist, obwohl ihm Laistners publikation vorlag:
auch er s])richt das verspaar dem echten texte ab unter der irrigen
Voraussetzung seines fehlens in A. Da es sonst nur in B und d
überliefert ist, dient es weiter dazu, eine engere Verwandtschaft zwischen
diesen beiden hss. zu begründen ^. Die durch A B d bezeugten verse
sind aber jetzt mit Edzardi-^ dem original zuzuweisen: in C* sind sie
ausgeschieden; dass sie mit C* übereinstimmend zufällig auch in b,
an dieser stelle dem einzigen zeugen von Db*, fehlen, kann ihre
echtheit nicht ernsthaft in frage stellen.
Durch die tatsache, dass Lachmann dies verspaar übersehen hat,
sind auch die 'abschnitte zu dreissigen'^ endgiltig beseitigte
Die aus der betrachtung der Zeilendifferenzen in der Kl. ge-
wonnene einsieht in die gelegentliche flüchtigkeit des zweiten
Schreibers ist auch für die von ihm geschriebene liedpartie zu
verwerten: das fehlen von str. 1818 5_8 ist konsequenterweise auf
auslassung infolge von flüchtigkeit zurückzuführen ^
Weit bedeutendere diflferenzen im strophenbestande weist die
von dem ersten Schreiber stammende partie der hs. auf: gegenüber
B fehlen hier 62 Strophen. Von diesen sind 60 allein in A, zwei
{str. 102 5_i2) dagegen auch in Id nicht vorhanden. Beider Zugehörig-
keit zu der rezension C* hat Braune ' hinreichend wahrscheinlich ge-
macht; sie sind 'nur von der hs. B oder einer ihrer direkten Vor-
gänger' aus ihr aufgenommen ^, A hat also in diesem punkte das
1) A. a. 0. s. 38; danach ist auch Ursiuus s. 59 zu berichtigeu. [Vgl. jetzt
Afda. 33, 314. Eed.]
2) A. a. 0. s. 44. Damit fällt ein mchtiger grund für diese annähme.
3) Auch Sommerraeier s. 52 f. hält sie ohne kenntiiis des tatsächlichen zu-
standes der Überlieferung für echt.
4) Lachmann, Der Nibelunge not, s. XII. So sind auch z. b. die bemerkungen
Scherers hinfällig, vgl. Kl. sehr. I, los; ferner Deutsche stud. I, 303 und 308.
5) In genau entsprechender weise hatte Vollmers entdeckung die ursprüng-
liche einteilung der Kl. in abschnitte zu 28 versen (vgl. Lachmanu, Anmerkungen
a. 163) unmöglich gemacht.
6) Dies tat auch Z a r n c k e ; vgl. Edzardi, Die Klage, s. 3.
7) PBB 25, 64 f.
8) Mit unrecht spricht Eoediger (Herrigs Archiv 108, 159) von dem 'unwahr-
scheinlichen auswege einer entlehnung aus der rezension C\ Die handschriftliche
Überlieferung berechtigt, die Strophen 102 6—12 anders zu beurteilen als die übrigen
plusstrophen. (So auch Panzer, Zeitschr. 34, 539.) Andererseits bietet der schluss
der Kl. ein entsprechendes gegenstück einer solchen entlehnung in hs. B (vgl. s. 57).
STUDIEN ÜBER DIE NIBELUNGENHAXDSCHKIFT A 63
ursprüng-liche gewahrt. In Verbindung mit der Überlieferung entscheidet
auch der stil dieser Strophen gegen ihre echtheit \
Da die weiteren differenzen erst nach str. 338 auftreten, ist A an
der gruppe Db* zu kontrollieren, die von str. 2682 ab den text von B*
bietet. Db* fordert sämtliche 60 fehlstrophen für die gemeinsame
vorläge ADb.
Die Verteilung der fehlstrophen ist folgende:
In av. 6: 11 str. (auf 64 str, nach Bartsch)
n Ti ' • 1'-' 7i ( 7? 93 „ )
8:
1
„ (. 47 „ )!
9:
8
„ ( „ 50 „ )
10:
12
., ( „ 111 „ )
11:
4
„ ( „ 44 „ ).
Von fünf weiteren vereinzelten Strophen entfallen zwei auf die
16., eine auf die 17. und zwei auf die 27. aventiure.
Während La eh mann alle in A fehlenden Strophen dem original
des XI. absprach, nahm v. d. Hagen ^ an, manche Strophen seien 'offen-
bar nur vergessen' •, 'die meisten könnten daher fehlen, wenn dies nicht
in einer gewissen partie so häufig wäre und mehrere sich nicht als
merkliche zusätze kenntlich machten'. Holtzmann hielt sämtliche
Strophen für echt und suchte für einzelne den nachweis der unent-
behrlichkeit zu erbringen^; so gelangte er zu dem ergebnis*: 'einige
Strophen sind absichtlich übergangen, einige aus versehen'. In der
Sache mit ihm eins, nahm Bartsch^ allzu äusserlich in zahlreichen
fällen 'graphische auslassungen' an, entsprechend der auch sonst feststell-
baren flüchtigkeit des Schreibers. Unter den Verteidigern von A gieng
Seh er er soweit, dass er in dem von ihm berechneten umfange des
urkodex *eiue art äusserer begiaubigung des strophenbestandes' in A
sah^ Die von Bartsch kaum gestreifte absichtlichkeit in den aus-
lassungen betonte erst wieder Braune'^ mit nachdruck unter abwei-
sung des subjektiven kriteriums der 'Überflüssigkeit'. Andererseits
versuchte er für eine reihe von Strophen den nachweis ihrer unent-
behrlichkeit. So hält er die fehlstrophen für 'auslassungen von a',
1) Vgl. Zwierziua, Zfda. 44, 67 f.
2) Der Xibelungen lied, 3. aufl. (Breslau 1820), s. XLVI.
3) Untersuclumgeii, s. G ff.
4) A. a. 0. s. 9.
5) Untersuchungen, s. 304 if.
6) Wiener sitzungsber., pliil.-hist. kl., 1870, bd. 64, 306.
7) A. a. 0. s. 79 ff.
64 couvES
der durch planmässige tätig-keit eines bearbeiters entstandenen vorläge
von A, 'soweit nicht einige davon etwa erst versehentliche auslassungen
von hs. A sind' K Da die lesartendifferenzen von A gegenüber B*
'durch das ganze gedieht hindurch ungefähr die gleichen sind' ^, da
sich also in dem abschnitte zwischen der 6. und der 11. avent. kein
anderes Verhältnis der lesartendifferenzen entdecken lasse als in den
übrigen teilen des gedichts, sei eine mechanische mischung eines
kürzeren und eines längeren textes, wie sie Hofmanu'^ und Rauten-
berg* annahmen, abzuweisen.
Während Zwierzina^ ursprünglich in A 'eine klasse' sah, 'die
B* gegenüber vor allem im Strophenbestand das ursprünglichere be-
wahrt hat', erkennt er unter dem eindruck von Braunes beweisführung
nicht nur die fünf Strophen ausserhalb der partie 324-666 als aus-
lassungen von A an '', sondern will auch innerhalb dieses abschnittes
den ausfall der einen oder der anderen Strophe durch unachtsand^eit
des Schreibers zugeben, zumal sie 'dem Zusammenhang der erzählung
nach als zusätze nur schwer ihre erklärung linden'. Dass A mit ab-
sieht einzelne auslassungen begangen habe, hält er nicht für wahr-
scheinlich ^ Gegen 6285, 392 b und 53 le bleiben stilkritische bedenken
bestehen, zumal die möglichkeit "* vorliegt, dass Db aus einer B-hs.
Strophen aufgenommen haben, A jedoch 'innerhalb der gruppe ADb
von dieser zutat frei geblieben sein' kann.
Eine ähnliche vermittelnde Stellung nehmen auch Roediger
und Panzer ein. Ersterer ist der ansieht, Braune habe A 'nament-
lich in bezug auf den Strophenbestand' unterschätzt^. Nicht alle
plusstrophen von B seien in A absichtlich ausgelassen'"; zur stütze
der auffassung, dass der Strophenbestand in A 'ursprünglicher' sei,
wird 'nachdrücklich' auf Zwierzinas an die reime anknüpfende er-
örterungen hingewiesen ^^
1) A. a. 0. s. 75.
2) A. a. 0. s. 76 f.
3) Münchener sitzungsber. 1870, s. 527 f. Münchener abhandl., phil.-philol.
kl, 1872, bd. Xm, 1. abt., s. 3 ff.
4) Germ. 17, 433 ff.
5) Zfda. 44, 32.
6) Zfda. 45, 393 f.
7) Ebd. s. 394.
8) Ebd. s. 394 f.
9) Jahresbericht 22 (1900), s. 89.
10) Herrigs Archiv 108, 159.
11) Ergebnisse und fortschritte s. 594.
STUDIEN ÜBER DIE NIBELUXGENHAXDSCHKIFT A 65
Panzer 1 vermag dem Standpunkte Zwierzinas 'eine gewisse
prinzipielle berechtigung' nicht abzusprechen. 'Die anstösse sind min-
destens an zwei stellen (531 7, 3925-6) sehr bedeutend.' Überhaupt
sei 'in noch ausgedehnterem masse, als Braune angenommen hatte,
mit der entlehnung einzelner Strophen aus einer anderen handschrift
als der jeweiligen vorläge zu rechnen'.
Jegliches kompromiss verwirft Kettner-'; er bestreitet die echt-
heit aller sogenannten 'plusstrophen'. 'Ob die eine oder andere zum
original gehören und von A übersprungen sein mag, kommt nicht in
betracht'^. Insbesondere bemüht er sich, die unursprünglichkeit der
von Braune aus dem Zusammenhang als notwendig erwiesenen Strophen
darzutun, doch scheinen mir seine gründe gegenüber letzterem in
keinem falle durchzuschlagen ^.
Mit Braune ist die annähme einer mechanischen nüschung des
textes in A abzulehnen. Andererseits weist nicht nur die Verteilung
der fehlstrophen, sondern auch die tatsache, dass gelegentlich vor und
nach ihnen durch den neuen Zusammenhang erforderlich gewordene
textänderungen vorgenommen sind^, gebieterisch darauf hin, dass
diese Strophen zum teil mit Überlegung ausgeschieden
sind. Die frühere, z. b. von Bartsch vertretene meinung, dass ihr
fehlen auf flüchtigkeit des Schreibers zurückzuführen sei, ist offen-
bar lediglich aus seiner sonst oft erkennbaren nachlässigkeit ge-
folgert; aus ihr werden nun auch die meisten Strophendifferenzen
erklärt. Dem widerspricht ausser den oben angeführten tatsachen
der besondere, nur auf planmässige änderung zurückführbare Charakter
zahlreicher lesarten, deren Zusammenhang mit den ditferenzen im
strophenbestande nachdrücklich zu betonen ist (vgl. unten s. 68 ff".).
Daher suchte Braune ein überlegtes vorgehen in den strophenauslas-
sungen wahrscheinlich zu machen, glaubte aber dies dem sonst so
nachlässigen Schreiber ebensowenig zutrauen zu dürfen als die zahl-
reichen Varianten von ausgeprägtem charakter und kam so zur auf-
stellung eines bearbeiters a. Für die Kl. hat allerdings Ursinus " die
1) Zeitschr. 34, 539.
2) Zeitschr. 34, 323—39.
3) A. a. 0. s. 323.
4) Ablehnend verhält sich gegenüber dieser schon in den älteren arbeiten
Kettuers (Zeitschr. 20, 202 ff., 26, 433 ff.) vertretenen einseitigen bevorzuguug von A
Koediger (Ergebnisse und fortschritte s. 594): Kettner -überschätzt A und ver-
wirft mit unrecht alle plusstrophen von B'.
5) Braune a. a. 0. s. 79.
6) A. a. 0. s. 39; vgl. Zeitschr. 41, 279.
ZEITSCIIKIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 5
66 «oiivEs
unnötigkeit dieser aiifstellung behauptet. Die tatsächliche existenz
einer von ADb abweichenden vorlag-e yJ wird aber sichergestellt
durch eine anzahl von Varianten, die noch altmodische, den Schreibern
von A nicht mehr geläufige orthographische eigentümlichkeiten aufweisen.
Man vergleiche z. b. 37O4 schüne (= schcene) vromven st. hdhgemuote
V)-.-; 6864 ez seiet von clannen manic degen st. daz wolde Günther der
degen^; 9603 Sigmunt der rike st. Mrre^. Zweifelhaft bleibt dagegen,
ob das fehlen der Umlautsbezeichnung in folgenden fällen über die
hs. A hinausreicht: vgl. 3844 des kuonen (st, starken) SuTzdes lotp ;
3344 in grozen noten (st. sorgen)] 463, Albrich ivas kuone (st. vil grimme).
Nicht nur der orthographische habitus, sondern vielleicht auch das ähn-
liche gepräge einzelner Varianten bei beiden Schreibern (vgl. s. 95 zu 1681 4
und 1901 1, S.95 zu 1922 4) weisen auf ein älteres Stadium der textgeschichte,
eine vorläge a, zurück. Diese halte ich jedoch nicht für eine wesentlich
mit A gleichlautende Überarbeitung der hs. ADb, sondern ich glaube,
zwischen a und ADb keine wesentlichen differenzen ansetzen zu dürfen.
Denn das f ü r d i e p a r t i e n der beiden h a u p t h ä n d e v ö 1 1 i g
verschiedene Verhältnis von A zu den hss. der gruppe ADb (und
ferner auch zu allen übrigen hss.)'' spricht nicht für die annähme eines
redaktors y. - man müsste sonst eine ungleichmässige bearbeitung an-
nehmen -, sondern erklärt sich am einfachsten aus der abweichenden
Stellung zweier verschiedener Individualitäten zu ihrer vorläge :
der text A ist im wesentlichen nicht älter als die hs. A; erst aus
der einschneidenden, in Strophenausscheidungen und textumgestaltungen
erfassbaren, planmässigen arbeit des ersten Schreibers stammt der
text A mit seinen charakteristischen besonderheiten gegenüber sämt-
lichen übrigen hss. Ein wesentlich anderes bild zeigt er in der von
der zweiten band herrührenden Schlusspartie des XI. und dem texte
der Kl.: dieser Schreiber steht seiner vorläge keineswegs
so selbständig gegenüber wie der erste.
Wenn in A eine planmässige bearbeitung eines älteren textes
A'orliegt, so muss es gelingen, einige der für die tätigkeit des redak-
tors richtunggebenden tendenzen blosszulegen. Ich behandle zunächst
1) Hiernach ist Zeitschr. 41, 27« zu berichtigen.
2) Vgl. Zeitschr. 41, 291.
3) Vgl. Zeitschr. 41, 3i4.
4) Vgl. Zeitschr. 41, 310.
5) Dies abweichende verhalten tritt gieichmässig in den Veränderungen des
Strophenbestandes und in der Verteilung der erheblichen Varianten heraus. Über
die Stellung der Schreiber zur vorläge vgl. s. 75 ff.
STUUrEX lliKU IHK XinELUNGENHANDSCIlKlFT A 67
den zusammenhaug- zwischen der Verteilung- der fehlstrophen und der
der Varianten, abgesehen von denen rein sprachlichen Charakters ; ferner
versuche ich nachzuweisen, dass das fehlen einer reihe von Strophen auf
dieselben gründe zurückgeht, die auch für die Umgestaltung vieler lesarten
massgebend waren. Danach beruhen die Strophendifferenzen zum grossen
teil auf bewusster tätigkeit eines der Überlieferung gegen-
über allmählich selbständig werdenden bearbeiters; nur wenige
Strophen dürften daneben durch seine Unachtsamkeit übergangen sein.
1. Die av. 1-3 (nach A 137 str.) bieten verhältnismässig wenige,
bedeutungslose Varianten. Aus av. 4 sind als stärkere abweichungen
etwa die Umstellung der zweiten halbzeilen in 146 1_2 und die einen
formelhaften ausdruck durch einen individualisierenden ersetzende ^
lesart 1434 zn notieren. Im übrigen handelt es sich fast ausschliess-
lich um differenzen in einzelnen Wörtern beziehungsweise um kleine
auslassungen ; etwas stärker geändert sind 227 4 und 2454; durch eiu-
f ügung des höfischen Arrz-ew ^ wird die langzeile 2044 metrisch zerstört.
Die durch A I bezeugten Varianten reichen zum teil ^vahrscheinlich in
ein älteres Stadium der textgeschichte zurück.
2. Nachdem der anfangs nur in geringem umfange ändernde
Schreiber sich in der 4. av. schon etwas erheblichere eingriffe erlaubt
liat, nimmt er in der durch ihren Inhalt dazu besonders herausfordern-
den 5. av. eine tief eingreifende Umarbeitung- in höfisch minniglichem
Stile vor^: in den 60 Strophen häufen sich die Varianten, darunter
qualitativ sehr bedeutende; auch der reim wird angetastet (292 i-o).
Der Strophen bestand bleibt jedoch noch gewahrt.
3. Die freiheit der bearbeitung setzt sich fort in den lesarten
der 6. av.; zugleich fallen 11 von den 64 Strophen dem bestreben des
bearbeiters, die komposition straffer zu gestalten, zum opfer-, obwohl
er keineswegs ohne geschick verfährt, hat er sich doch nach Braunes
nachweis bezüglich 3385_i2^ und 3485-20'' vergriffen.
1) Vgl. Braune a. a. 0. s. 112 ff.
2) Vgl. Bartsch, Nib. not, II 2, XXI f. ; Braune s. 107.
3) Den von Bartsch festgestellten höfischen charakter der in A vor-
liegenden Überarbeitung des Nl. erkennt nicht nur Braune (s. 106 ff.), sondern auch
Eoediger (Herrigs Archiv 108, 159) au.
4) A. a. 0. s. 81; dagegen Kettner s. 325 f. In 3389-12 mochte der höfische
bearbeiter austoss nehmen an 3389 wir suln in recken tvise varn; mau ver-
gleiche zu diesem zuge Roth. 560 in recke vis ovcr mere varn. Die Streichung
von 3385-8 mag der von Kettner (Zeitschr. 26,435 und 34, 32B f.) berührte Wider-
spruch zwischen 3385—7 und 3394 veranlasst haben.
5) S. 81 f.; dagegen Kettner s. 326.
5*
68 CORVES
4. In der 7. av. streicht er 19 von 93 Strophen, also mehr als
ein volles fünftel. Von seinem durchaus absichtsvollen vorgehen zeugt
der zwischen kürzungen und textänderungen bestehende Zusammen-
hang. So wird die dem höfischen geschmack anstössige dienerrolle
des k ö n i g s s 0 h n e s Siegfried, deren völlige beseitigung die spätere
bedeutung dieses zuges verbot, planmässig abgeschwächt^: ausge-
schieden wird zunächst str. 376 5_8, in der Siegfried sein auftreten
als Günthers mann motiviert und dadurch die aufmerksamkeit beson-
ders auf diesen zug hinlenkt. Die details des dienens (str. 383 5 -le)
werden konsequent beseitigt. Durch die weitere Streichung von
3945_2o wird nicht nur erreicht, dass Siegfried besonders hervortritt,
sondern zugleich auch eine konzentration der handlang herbeigeführt.
Völlig entsprechend zeigt sich in den lesarten eine durchgängige ab-
schwächung des angeblichen dienstverhältnisses. Das 399 4 unentbehr-
liche mm herre wird 400 4 durch ein farbloses er ersetzt. Noch cha-
rakteristischer sind folgende änderungen: 401 3 durch dich mit im ick
her gevarn hau »t. ja gebot mir her ze varne der recke wol getdn^
und 401 4 ivcerer niht min herre, ich hetcz nimmer getan st. möht
ich es im gew eig ert haben, ich het iz gerne Verlan. Während
zeile 4 sehr glücklich geraten ist, ist der rhythmus von zeile 3 höchst
ungeschickt. Es muss also keineswegs '400. 401 in der fassung A
vom Standpunkt B* aus als eine sachlich völlig zwecklose stilistische Ver-
schlechterung des durchaus unanstössigen B*-textes angesehen werden' ^
vielmehr ist ein w^ohlüberlegtes vorgehen des bearbeitenden Schreibers
in A erkennbar. Dass jedoch hierbei infolge der in ihren motiven
begreiflichen auslassung von str. 3835_i6 der Zusammenhang zerrissen
wird, woraus die unentbehrlichkeit jener Strophen folgt, hat Braune^
1) Kettner findet dagegen (Zeitschr. 26, 437) bei dem redaktor B* 'eine inelir-
fach liervortretende neignng, den gegensatz von scliein und wirkliclikeit
möglichst klar zu machen'.
2) Hierdurch wird zugleich das unliöfische cpithetou für den könig der recke
ivol getan beseitigt; vgl. s. 73, aum. 1.
3) Kettner a. a. 0. s. 326. Zeitschr. 26, 437 erkannte K. selbst dem redaktor
B ein planvolles vorgehen zu : dieser bemühte sich, 'der sache einen möglichst
scharfen ausdruck zu geben'.
4) S. 82 f. Kettners einwände (s. 326) bleiben völlig erfolglos. Aus der
äusserung: '377—81 reden nur Günther und Siegfried, auch 382. 383 werden die
beiden anderen nicht genannt' scheint hervorzugehen, dass K. die allgemeinen Wen-
dungen 3823 die fremden, 383 1 die iinkundai, 3834 die hclde statt auf alle an-
kömmlinge gewaltsam nur auf G. und S. beziehen will oder vielmehr muss. Denn
das in der unmittelbar folgenden zeile 384 1 begegnende den heldin, das klärlich
STUDIEN ÜBER DIE MBELUXGEXHAXDSCHRIl'T A 69
zwing-end aufgezeigt. Damit ist auch str. 385 5-8 als notwendig an-
erkannt. Abgesehen von Braunes bemerkungen ^ bestätigt dies die von
Kettner gemachte beobachtung 'der 8887, le, 885 8 durchgeführten Wieder-
holung' ^. Wenn Kettner dagegen geltend macht, dass 885 s-s den
parallelismus von 884. 385 und 886. 887 aufhebe, so ist dies argu-
ment nicht ausreichend, die strophe für unecht zu erklären '^
Überlegung verrät ferner die nach der auslassung von 428 5_8
vorgenommene änderung von 429 1, die eine allerdings nur sehr harte
Verbindung herstellt ^ ; ebenso ermöglichte erst die änderung von 442 4
die beseitigung der folgenden drei Strophen^; wenn Kettner"
A 442 3_4 als 'altepische formel' verteidigt, so ist demgegenüber zu
konstatieren, dass es die Wendung leides vergezzen im Nl. nicht gibt,
und dass die berufung auf Roth. 1337. 2507 deshalb unzulässig ist,
weil dort die beiden bei speise und trank ihr leid vergessen, nicht
aber bei den trauen wie in der fraglichen, von höfischem geiste er-
füllten A-lesart ^. In ihr ist überdies 443 1 mcere hart, w^eil der aus-
gang des kampfes Siegfried noch nicht mitgeteilt ist, wie es nuere
voraussetzt. Der inhalt der 3 Strophen - der ein wenig plumpe ver-
such, Brunhilde zu täuschen - gab dem bearbeiter die veranlassung
zu ihrer Streichung ; seinem geschmacke widerstrebte auch ein epitlieton
wie der listige man (442 8) für Siegfried (vgl. s. 85 zu 4344).
In ergänzung von Braunes ausführungen sei hier auf die un-
entbehrlichkeit der fehlstrophe 392 5_8 verwiesen: zu dem höfischen
besuchszeremoniell gehört unumgänglich die offizielle anmeldung fremder
gaste, wenn sie auch schon längst gesehen sind ; vgl. die parallelszene
Str. 80'^ (vgl. auch 5183 ff.).
nur auf S. und G. allein gehen kann, muss dem zusammenhange in A nach identisch
sein mit 8884 die Jielde, d. h. es muss auf alle vier helden bezogen werden. So
führt Kettuers auffassung zu offenharen Widersprüchen oder zu gewaltsamer Inter-
pretation. Eine solche ist aucli 429 1 erforderlich; vgl. Zeitschr. 26, 4:38 anm. 1.
1) S. 83f.
2) A. a. 0. s. 827. Wenn aber von einer dieser Strophen erwiesen ist, dass
sie in A absichtlich ausgelassen ist, so sind alle vier als echt anzuerkennen.
3) Bartsch, Unters., s. 305 nimmt fehlerhaftes überspringen der str. an, weil
3855 und 386 1 mit Mit beginnen.
4) Anders Kettner, Zeitschr. 26, 438 f. Gezwungen erscheint, was a. a. 0.
anm. 1 zur rettung der ursprünglichkeit des Zusammenhanges bemerkt ist.
6) Braune s. 79.
6) A. a. 0. s. 328. leides vergezzen begeguet z. B. Er. 6410.
7) Auch 37O4I1 findet sich die ervvähnung der schcenen froutveii nur in A!
Dem entspriclit auch die stärkere betonung des fruuendienstes in A: Braune s. 108 f.
8) Dagegen Kettner, Zeitschr. 26, 435.
70 COIIVES
Die berührte tendeuz, unliöfisclie züge zu tilgen bezw. zu
uiildern, liegt auch der Streichung von 419 6_8 niid 421 b-s zugrunde:
ihr fällt die an feigheit grenzende äusserung des königs Günther ^
ebenso zum opfer wie die drohung Dankwarts. Brunhilde gegebenen-
falls zu töten (zu beachten ist auch 4216.').
Für 432 5_8 muss man die von Kettner (Z. 26, 435 f.) dargelegten
Widersprüche anerkennen; dennoch ist es an sich unwahrscheinlicher,
dass ein zudichter die Widersprüche in den text gebracht haben soll,
als dass ein bearbeiter, der auch sonst an Widersprüchen anstoss nahm
(vgl. s. 67 anm. 4), hier ebenfalls besserte. Die echt s p i e 1 m ä n n i s c h e
Übertreibung, dass das stumpfe ende des gers den schild durch-
schlagen und teuer aus den ringen habe stieben lassen, lag dem
dichter des Originals deswegen nahe, weil das sprühen der funken
ein durchaus stereotyper zug der kampfschilderungen ist: sie stieben
vom Schilde (430 4, 1552 3), von den ringen (4312, 433 1, 1980 1, 2215 1),
von der brünne 20093 usw.
Neben den eiugriifen in den Strophenbestand legen auch erheb-
liche Varianten in grosser zahl zeugnis ab für die umgestaltende tätig-
keit des bearbeiters.
5. Ein stark abweichendes bild bietet die 8. av. Stärkere les-
artendifterenzen treten nur 470 4, 485 4 und etwa 4884 heraus. Hötische
retouche zeigen 4784 und 493]. Für die änderung von 494 4 bot das
reimwort s/nt wahrscheinlich den anlass (vgl. unten s. 85 f.). Der
(auch angesichts des geringen umfangs der av. [47 str.]) wenig ein-
greifenden änderung des Wortlauts entspricht das festhalten am strophen-
bestande; nur 486 5_8 wurde gestrichen, aus demselben gründe Avie
Str. 882 5_8: beide male beseitigte der Schreiber den für ihn geschmack-
losen, aber echt spielm an ni sehen witz; so nahm er auch an dem
'grimmen humor'^ Hagens 497 5 _8 anstoss.
6. Diese fehlstrophe fällt schon in die 9. av., die von 50 auf 42
Strophen reduziert ist. Dass, abgesehen von dem erwähnten zuge,
Str. 497 5_ 8 auch sonst anstössig war, beweist die Streichung von str.
499 5_8. In beiden fällen lässt der redaktor die unhöfische und schein-
bar zwecklose Weigerung Hagens beziehungsweise Siegfrieds aus'
(beachte 49981,!); zugleich erzielt er hierdurch einen schnelleren fort-
1) So scheint mir auch 15302 durch die auslassuug der worte vor leide eine
abschwächung des uuritterlichen crschreckens beabsichtigt zu sein.
2) Braune s. 80, anm. 1.
3) Damit ist Kettners frage (Zeitschr. 26, 438) beantwortet, weshalb A nicht
str. 4995—8 habe stehen lassen, obwohl die Strophe Siegfrieds Unabhängigkeit bezeuge.
STUDIEN ÜBER DIE NIBELUXGEXHAXDSCHKIFT A 71
schritt der handliing. Dennoch führte der ausfall von str. 499 5_8
zu einer härte: das folgende er sprach 500 1 ist wegen 499 0 störend
und übertiüssig-; verständlicher ist es, wenn Günthers rede durch Sieg-
frieds anfängliche Weigerung unterbrochen worden ist. (Doch vgl.
601 5 und 602 1). Die Streichung der übrigen 6 Strophen zeugt von
einer geschickten band. Die Varianten sind kaum zahlreicher als in
der 8. av. : von geringeren lesarten abgesehen, begegnen immerhin
einige energische Umstellungen (503.2, 519 1_2) beziehungsweise ände-
rungen (502 1, 504.2, 522 4, 526., 533 2).
7. In der 10. av. fehlen 12 von 111 Strophen. Als abschwächung
anstössiger stellen^ ist die auslassung von 582 5_8, 585 5_8, 628 5_8
aufzufassen: durchweg werden hier die details des nächtlichen
kampfes bezw. des beilagers Günthers gekürzt. Auch die Günthers
Sinnlichkeit betonende str. 607 5_s fiel fort'''. Die ausscheidung von
Str. 589 5_8 schränkte die details der fatalen läge des königs Günther
ein und verringerte ihre dauer zugleich auf eine kurze zeit^; die not-
wendigkeit dieser Strophe und die von 582 5_8 scheint mir jedoch durch
Braune* hinlänglich erwiesen zu sein.
Die auslassung von 601 5 _8 veranlasste eine otfensichtliche härte:
602 1 er sprach m u s s man nach dem zusammenhange in A durchaus
auf Günther beziehen; erst nachträglich sieht man, dass Siegfried
spricht (vgl. oben s. 68, anm. 4). Wenn man Kettner glauben darf,
so hat erst diese härte 'die interpolation der aus völlig leerem gerede
bestehenden Strophe veranlasst'! 'Ahnlich noch 438/; '<iw.n\\ er sprach
in 429 1 hat diese merkwürdige Wirkung gehabt''.
Bezüglich der übrigen 7 Strophen ist durchaus das bei ihrer
Streichung bewiesene geschick anzuerkennen. Nach beseitigung von
607 5_8 wurde der anfang von 608 geändert, wobei das allein in A
vorkommende verbum beiten '' in den text drang. Von den wenig
zahlreichen lesarten der ersten 25 Strophen ist nur bemerkenswert die
ersetzung des dem Schreiber unverständlichen reimwortes kradew 558 1
1) Dass diese tendenz auch die gestaltung der lesarten beeinfliisst liat, zeigt
Braune s. 109.
2) Bartsch, Unters., s. 304 nahm hier rein graijhischen ausfall an: 'beide
Strophen fangen mit der künec an'; doch ist dies in 608 1 erst von A des Zu-
sammenhanges wegen eingesetzt.
3) Vgl. Braunes berechtigte bedenken s. 86 ; dagegen Kettner s. 327 f.
4) Braune s. 85 f.; dagegen Kettner s. 327.
5) Zeitschr. 26, 439, anm. 1.
6) Bartsch, Nib. not II 2, IX.
72 CORVES
(:gadem) durch das dem siüne nach passende, den reim aber zerstörende
schal. (Der zweite Schreiber leistet sich 2007 2 ein sinnloses starcken.)
In den letzten 75 Strophen hingegen begegnen zahlreiche Varianten
von bedeutung (z. b. 5684, 565 4, 568 1, 569 3, 572 4, 577 4a, 593 3-4,
599, _2, 6144, 6174, 6204b, 6864), charakteristisch für die freiheit der
bearbeitung.
8. In der kurzen 11. av. (34 str.) sind geschickt 4 Strophen aus-
geschieden. Gleich im eiugange der av. bietet sich dem bearbeiter
ein anlass zum eingreifen : er beseitigt die im texte B* vorliegende
zwiespältige Stellung Siegfrieds und Kriemhildens in der frage der ihr
auf Burgund zustehenden anspräche. So fällt zunächst str. 637 5_e,
in der Kriemhilde die Siegfried höchst unwillkommene absieht aus-
spricht, vor der abreise ihre anspräche durchzusetzen \ Er verzichtet
denn auch str. 640 4.5 in Kriemhildens namen auf den ihnen angebotenen
teil des landes trotz ihrer in str. 637 7 ausgesprochenen gegenteiligen
absieht. Die Streichung der str. 637 5_8 verdeckt diesen gegensatz,
der nun erheblich abgeschwächt, aber dennoch deutlich ausgeprägt, in
str. 641 hervortritt. Sie verzichtet hier keineswegs völlig auf ihre
anspräche, sondern fordert eine tcilung der burgundischen beiden. —
Die gewandte änderung von 640 4 beseitig-te die unhöfische wendung
diu liebe tvhie" min, führte aber zum ausfall der mit str. 640 1_4 gram-
matisch eng verbundenen str. 640 5 _s
Fär 655 5_8 ist darauf hinzuweisen, dass das bei feierlichen ge-
legenheiten äbliche schenken von festkl eidern -^ durchaus ein fester
bestandteil des Zeremoniells ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit
Str. 662 5_8: der hinweis auf die sorgfältige beaufsichtigung und er-
ziehung des jungen prinzen ist auch sonst geläufig (vgl. 24 ,) und hier
um so unentbehrlicher, als sein fehlen den parallelismus zu 660 4 auf-
heben würde. Offenbar sind die Strophen 659. 660 und 662. 662 5_8
ursprünglich beabsichtigte parallelschilderungen.
An Varianten ist auf 30 Strophen nicht viel zu erwarten ; als
etwas stärkere abweichungeu sind nur 639 3, 6482, 652 4, 6564 zu
nennen.
9. In der 12.-15. av. bleibt der Strophenbestand intakt. Gleich-
1) Ganz anders versteht Kettner (Zeitschr. 26, 436") die Strophe. Für ihre echt-
heit spricht die tatsache, dass 6374 und 6378 einander, sicherlich nicht zufällig,
korrespondieren; auch schliesst sich 638 1 zuo im besser an 6378 an.
2) Ebenso wird 841 2 dies wort ersetzt, wie selbst Kettner zugesteht, dazu
von dem 2. Schreiber 1684i; vgl. Braune s. 112 aum.; Kettner s. 352 zu 1684i.
3) Vgl. 42i, 6342, 6352,3, 1309 1 f. und Kettner, Zeitschr. 16, 50 f.
STUDIEN ÜBER DIE XIBELUXGEXHAXDSCHRIFT A 73
zeitig- nehmen in der 12. av. die lesarten an zahl und insbesondere an
bedeutung- ab; erwähnenswert sind nur etwa 670 4, 6824, 701 j. Un-
höfisches hdhlUhe ist 689 4 durch zierUche, recke als epitheton von
Gere 693 1 durch riter ersetzt. Auch die 13. av. bietet auf 36 Strophen
nur ca. 4 stärkere Varianten; 7363.4 sind die reime verändert und
die hütischen färben stark aufgetragen ; daneben ist noch die moderni-
sierung von 7274, ferner 7344 und 751 j hervorzuheben. Zu dem er-
satz von unhöfischem frumte 7554 durch schuof ist zu ver-
gleichen 432 4 : hier ist frumte ersetzt durch i<ch6z.
10. Die 56 Strophen der 14. av. sind wiederum stärker mit les-
arten durchsetzt. Ausser der beseitigung einzelner un höfisch er
Wörter {eigendin 771 4 und 781 4, criedel 790 3 und 7984) zeigt sich
816 ib klar das bestreben, un höfische Wendungen abzu-
schwächen: während in der echten lesart ir muget ivol stille dagen
Hagen seinen herrn, den könig Günther, zum schweigen auffordert,
beseitigt A diesen Verstoss gegen die etikette durch die allgemeine,
sonst unbeiegte redensart: Idt iu ez wol behagen!
Eine rhetorische, keineswegs ungeschickte belebung der ausdrucks-
w^eise tritt daneben klar zutage: vgl. 779 4, 797 4, 800 3-4, 801 1, 965 1 :
auch die Umstellung von 9544 und die beseitigung des formelhaften
ich tvame zugunsten einer rhetorischen wendung mit vorangestelltem
nie rechne ich hierzu.
11. Unter den ziemlich unerheblichen Varianten der 15. av. be-
gegnet wieder der ersatz un höfisch er wMirter: 84l2?«"'we ist be-
seitigt (vgl. s. 72 anm. 2); 858 1 bekommt Siegfried das epitheton riter
st. recke ^; über den höfischen charakter von 832 1 rater mhi her
Sigemunt st. tnin vater Sigemunt A'gl. unten s. 93 (zu beachten ist
auch 836 1, 935 1). Ähnlich w^ie her wird vrouive in den text gebracht :
948.2, 3944, 14363 und besonders 976 4 orouwe liep als stilwidrige an-
rede (vgl. unten s. 93).
12. In der 16. av. sind 2 Strophen ausgeschieden: über 882 6-g
vgl. oben s. 70; auch 8865-8 dürfte wohl absichtlich ausgelassen sein
(vgl. 886 g).
Bemerkenswert unter den zahlreichen Varianten ist: 8684 wunder-
1) So wurde 2403 die unhöfischc wendung- der tv (etil che recke S'ivrit der
junge man gebessert in S. der junge der uKctliche man. Dass S'ivrit der junge stil-
widrig ist, betont Braune s. 108, anm. 3. (Der plur. inrtliche recken wird 547s ge-
duldet, vgl. Kettner s. 355 f.) Der könig Günther verliert 324 1 das epitheton recke und
die völlige abänderung von 401 3 tilgt das unhöfische beiwort des königs: der recke
wol getan (das adj. gilt auch vom manne, vgl. 18592); zu vergleichen ist G93i.
74 COKVES
schoene, weil dies wort sonst dem NI. fremd ^ ist; 869 3 die einführiing
Siegfrieds, der 891 4 degen (auch in J) statt recke lieisst; 904* das
epitheton stolz st. edel (s. unten s. 95 zu 1502 4).
13. Einschneidende änderungen erlitt die 17. av. Das fehlen
von 999 5_8 ist nicht zufällig, sondern erklärt sich aus der absieht des
Schreibers, das spielmän nische dement zurückzudrängen:
die erwähnung der fahrenden ist getilgt. Charakteristisch sind auch
die Varianten 6343 A küene man st. varnde mcui'- und 1613 1 A der
seihe sjnhnan st. der edele s'pilman (1416 1 ist dies bewahrt). 39.2 i^nd
42 1 blieb die erwähnung der fahrenden stehen, weil stärkere, von
grösserer freiheit der vorläge gegenüber zeugende eingritfe des Schreibers
erst später einsetzen. Höfisches her bezw. nun her wird 974 1 und
9993 zugesetzt. Zu 988 1 ist die änderung 927 4 zu vergleichen.
14, Während in der 18. av. noch einige stärkere Varianten be-
gegnen, treten sie in der 19.-26. av. an zahl und bedeutung auffällig
zurück. Der Schreiber hat hier, aus welchen gründen steht dahin,
die Stellung zu seiner vorläge wesentlich verändert. In
der 27. av., der letzten von seiner band, erscheinen wiederum einige
erhebliche lesarten (1614 1, 1633 4, 1596 2); ferner sind die str. 1598 ö^s
und 1614 5_s ausgelassen; die fehlerhafte Umstellung von 1633 und
1634 ist wohl veranlasst durch anfängliches überspringen von 1633
(infolge des gleichen anfangs von 1634) ; dann bemerkte der Schreiber
das versehen und trug die ausgelassene strophe nach ^.
Die Übersicht über die Verteilung der lesarten und die der fehl-
■ Strophen dürfte gezeigt haben, dass oft zwischen ihnen ein Zusammen-
hang besteht; daraus folgt zwingend, dass einzelne partien des liedes
eine energische, wohlüberlegte, keineswegs stümpe rhafte
be arbeitung erfiihren habend die den für uns erfiissbaren motiven
nach einerseits das s p i e 1 m ä n n i s c h e e 1 e m e n t z u r ü c k d r ä n g t ,
andererseits das h (j f i s c h e dement entschieden b e v 0 r-
zugt und sich so als von einem entwickelteren geschmacke einge-
geben erweist.
1) Vgl. Braune s. 108, anra. 2.
2) Anders Kettner, Zeitschr. 26, 446 f. und Üsterr. Nibel. s. 139.
3) Bartsch, Unters., s. 75.
4) Vgl. die beraerkung- Braunes (s. 115), dass die von zahlreichen lesarten
durchsetzte partie str. 292—470 'sich wenigstens zum teil deckt mit derjenigen, in
der a auch so viele Strophen seiner vorläge ausgeschieden hat'.
STUDIEN UBEK DIE XIBELUXGEXHAXDSCHÜU T A 75
Wenn Kettner ^ in dem gelegentlich hervorbrechenden witz (vgl.
4]95_f, 486 5_8, 882 5_e) ein spielmännisches dement erblickt und
ähnliches 607 5_8, 6285-8 und in der originalen lesart von 599 0 fest-
stellt, so ist dies gewiss zutreffend; wenn er jedoch- behauptet, der
spielmännische einfluss sei nur in den 'plusstrophen' nachweisbar, so
verkennt er die originale kunstform des Nl., die, auf stilmisch ung
beruhend, eine Veredelung des stils der spielmannspoesie durch den
der höfischen poesie darstellt.
Unter den für den bearbeiter charakteristischen stilclementen
wurde die rhetorische färb ung des ausdruckst schon hervor-
gehoben (s. 73, Vgl. auch s. 85 zu 4344). Eine w^eitere stilistische
manier ist bezeugt durch folgende A-lesarten, die sämtlich ein ähn-
liches gepräge tragen: 485 4 ez ivas ir swcere unde leif {st. ez tvas ir
wccrUche leit), 820 4 grözer iämer unde leit (st. diu edler grcezesten leit),
845 4 des hCm ich sorge unde leit (st. des ist mir sorgen eil bereit),
15944 si imren hübsch unde dar (st. daz ist an den triinven imr)'^
ferner 401 1 ein künec rieh unde her (st. und ist ein k. her), 568 1 i-'on
liebe und ouch von vrönden (st. von lieber ougen blicke). Wertvoll sind
auch Braunes beobachtungen s. 112 ff. Von geschickter stilistischer
retusche zeugt nicht nur die Verwendung kleinerer nüancen (vgl. 981 1
wie vil da glokenklanc, 841 4 diu vil bezzer ivceren Verlan, 591 4 sdlea
st. nimmer), sondern auch die nicht seltene beseitig ung des ein-
förmigen do im strophenanfange : vgl. 347 1, 508 1, 555 1, 879 1, 883,,
950 1, 968 1, 972 1, 1574 1; nu st. dö 343 1, 735 r, doch st. ci^6)495i; dar
st. da 530 1 (durch Umstellung). Im stropheninnern sind beispiele für
ersparung des dö viel häufiger.
2. Die Schreiber und die lesarteu.
a) Die Stellung der Schreiber zum t e x t der vorläge.
Für jeden der 6 Schreiber ist das Verhältnis zur vorläge an-
näherungsweise feststellbar aus der zahl und l)edeutung der Varianten
gegenüber Db + B (als repräsentant der ADb-lesart) •, wo der textzeuge
Db versagt, ist auf B allein zurückzugreifen (nur für str. 89).
In den partien des dritten bis sechsten Schreibers, die
im zusammenhange vorab behandelt werden, sind die differenzen ge-
ringfügig.
1) Zeitschr. 26, 448.
2 1 A. a. 0. s. 444 ff.
3) Über die vergrösserung von zahlangabeu (474 1, 70441 vgl. Bartsch, Unters.,
s. 191, anm. 2.
76 CORVES
1. Für den dritten Schreiber fehlt die kontrolle durch Db;
gegen B weist die von ihm geschriebene Strophe nur folgende ab-
weichungen auf: 89 3 A als mir ist geseit (B daz ist mir wol yeseit).
Nach Kettner ' hätte A hier die originale lesart, jedenfalls darf man
sie schon ADb mit Wahrscheinlichkeit zurechnen; 894 vil vremde {eil
fehlt in B).
2. Schreiber 4: 16652 waz (B: wes, abhängig von wägen,
also rein sprachlich); 1665 3 her fehlt ADb; 16654 manich ADb, menigiii
B; 1666 2 nü fehlt AD.
3. Schreiber 5: 1768 2 ich fehlt; 1768 3 hemt der schilfwach
st. der schiltwahte h/nte.
4. Schreiber 6: dem (st. den) tischen.
Abgesehen von Schreibfehlern (dazu gehört auch das fehlen von
ich 17682) und der Umstellung 1768 3 sind diese lesarten älter als
die hs. A, also schon in der vorläge vorhanden gewesen, die diese
bände ziemlich treu kopierten.
Ein weit klareres bild lässt sich von der tätigkeit der beiden
haupthäude gewinnen. Der umfang der betreffenden partien beträgt
1658 '/■) bezw. 652 V4 Strophen + text der Kl.; für das Nl. ist also
das umfangsverhältnis etwa 2\/-2 : 1. Dass für die Stellung jeder hs.
neben dem strophenbestande vorwiegend die lesarten in anschlag
zu bringen sind, betonte schon Lachmann'"^ und noch nachdrücklicher
Zacher^. Auch Braune^ erkannte im verlaufe seiner Untersuchungen
das Zeugnis der lesarten als für die handschriftenfiliation
allein entscheidend. Der nachweis der unursprünglichkeit von A
in diesem punkte, den zuerst Holtzmann in seinen Untersuchungen
.unternahm, wäre nach Zarnckc^ überzeugender geworden durch eine
derartige gruppierung der lesarten, 'dass aus ihnen sogleich die art
und weise deutlich geworden wäre, wie die Schreiber von A (ob beide
gleich schuldig waren, darauf geht der Verfasser nicht ein, so nahe
die frage liegen musste) verfuhren'. Die von Zarncke geforderte Zu-
sammenstellung der Varianten gab z. b. Bartsch**; unbeachtet blieb
1) A. a. 0. s. 338.
2) Kl. sehr. I. 216.
3) Briefe über neuere erscheiuungen auf dem gebiete der deutschen phil. =
Neue Jahrb. f. phil. u. pädag-ogik 78, 232.
4) A.a.O. s. 3. Vgl. dazu Roediger (Ergebnisse und fortschritte, s. 594):
'Braune hält sich, wie notwendig, vor allem an die lesarten.' Ferner Panzer,
Zeitschr. 34, 530.
5) Literar. zentralblatt 1854, sp. 116.
6) Nib. not II 2, einieitung.
STUDIEN ÜBER DIE XIBELUXGENHAND.SCHRirr A 77
jedoch die anregung Zarnckei?, die Stellung- der beiden Schreiber-
individiialitäten zu ihrer vorläge zum gegenständ der
Untersuchung zu machen. Dass sich erst aus der Scheidung
beider autoren bezüglich ihres anteils an den textabweichungen ein
anschauliches bild von ihrer individualität gewinnen lässt, zeigt die
nachfolgende Statistik der von Bartsch gesammelten belege.
Charakteristisch ist die liste bewusster Umänderungen meist ganzer
Zeilen, 'die . . . den charakter der höfischen lyrik und ejjik des 13. jalir-
hunderts an sich tragen' ^ oder statt der typischen tbrmel einen indi-
vidualisierenden ausdruck bieten. Unter berücksichtigung eines aus
Nib. not I, XIX nicht wiederholten beispiels sind es 30 fälle ^: davon
entfallen 4 auf die partie des zweiten, 26 auf die des ersten Schreibers :
im Verhältnis zum umfange würde man nur ca. 10 erwarten.
Von den nur in A vorkommenden Wörtern^ entstammen 6 der
partie des zw^eiten, 26 (davon vielleicht 3 Schreibfehler) der des ersten
Schreibers (statt ca. 15).
Eine dritte kategorie von belegen^ erscheint 19mal bei 11, 99mal
bei I. Lehrreich für die Verschiedenheit beider Schreiber ist auch die
Sammlung Kettners ^: von 67 fällen, an denen in B stärkerer parallelis-
raus vorliegt, A also vom stilistischen Standpunkte aus verdächtig er-
scheint, gehören 9 dem zweiten, 58(!) dem ersten Schreiber; unter An-
rechnung der 4 von Kettner eingeklammerten belege sind die zahlen
10 bezw. 61 (statt ca. 25).
Das aus dem strophenbestande gewonnene bild von der gänzlicli
verschiedenen arbeitsw^eise der beiden Schreiber erhält aus der Verteilung
der lesarten seine ergänzung und bestätigung : während II sich bei den
änderungen Zurückhaltung auferlegt, steht I der vorläge selbständig
redigierend gegenüber.
b) Zur frage des stilkritcriums.
Eine umfassende beurteilung der lesarten vom Standpunkte des
Stils aus hat neuerdings Kettner" vorgenommen. Kr geht von dem
1) Bartsch a. a. o. II 2, xix f.
2) In 9044 riter sph^i st. richer spisc sehe icli einen lescfehlcr (t für c, vgl.
Zeitschr. 41, 309 ohen).
3) A. a. 0. s. IX ff. Ich ühergeh(! die in der erstgenannten tahelle schon
enthaltenen, bei Bartsch hier zum teil wieder erscheinenden fälle.
4) A. a. 0. s. XIV ff.
5) Zeitschr. 34, 355- (;2.
6) Zeitschr. 34, 335 ff. Vgl. dazu die ältere arbeit Kettners, Zeitschr. 20, 202 ff
78 C ORTES
prinzip aus: 'der text, der die meisten und stärksten parallelstellen
hat und innerhalb der g-enieinsamen parallelstellen die g-rössere ähu-
lichkeit zeigt, steht dem original am nächsten'. So kommt er zu dem
ergebnis ', dass der text A entweder 'den anderen texten übergeordnet'
ist, 'oder, wenn er dem texte B*(+ Db*) nur nebengeordnet ist, so
befindet er sich doch mit dem weit überwiegenden teil seiner ab-
weichungen in Übereinstimmung mit dem original'.
Dies überraschende ergebnis zwingt zu einer genaueren prüfung
der tragweite des Stilkriteriums im allgemeinen und der art seiner
anwendung im besonderen. Unzweifelhaft geben beobachtungen über
den Stil eines werkes ein objektives kriterium für die textkritik
ab; insbesondere ist dies für das Nl. der fall, in dem die 'epische
formel' noch eine bedeutende rolle spielt. Kettner hält sich je-
doch nicht an diesen begriff', sondern an den umfassenderen, aber
jiuch unbestimmteren des 'p a r a 11 e 1 i s m u s' ^. Für die parallel-
stellen ist indessen eine grössere Variabilität möglich als für die for-
mein im engeren sinne, und dementsprechend ist bei ihnen die text-
kritik nicht so sichergestellt.
Kettner verkennt keineswegs die möglichkeit des sekundären
Ursprungs solcher parallelstellen, sondern gibt zu, dass auch an dem
Originaltexte vorgenommene änderungen den stilcharakter getroö'en
haben können, wenn eben 'ein bearbeiter eine ihm nicht genehme rede-
form in ermangelung von besserem durch eine der in seinem gedächtnis
haftenden redensarten und formein ersetzte, von denen manche fast
überall hinpassen' ^. Infolgedessen sei zwar nicht jeder parallelismus
für die echtheit der betreffenden lesart unbedingt beweisend, 'wohl
aber ist das zahl- und w^ortverhältnis des gesamten parallelismus be-
weisend für die ursprünglichkeit ganzer rezensionen' *.
Damit nimmt aber die Unsicherheit, die jeder einzelnen lesart
gegenüber bestehen bleibt, auch der summe der lesarten gegenüber
keineswegs ab '. Zuverlässiger wird das stilkriterium erst in Verbindung
1) A. a. 0. s. 362.
2) Nach Kettner (Zeitschr. 20, 202 f.) ist das bestebeu eines formelliaften
epischen stils nur eine der Ursachen des parallelismus. Neben diesem traditio-
nellen demente kann ferner die individuelle eigentümlicbkeit des dichters oder
drittens die tätigkeit eines 'bearbeitenden und ergänzenden dichters' parallelstellen
verursachen.
3) Zeitschr. 34, 336.
4) A. a. 0. s. 337.
5) Roediger sagt zutreffend mit bezug auf Kettners ältere arbeiten (Zeit-
STUDIEN ÜBER DIE XrBELUXGEXHAXDSCHRIFT A 79
mit den anderweitig- gewonnenen einsichten in das handseliriftenver-
hältnis; für sich g-enonimen kann es jedoch keine entscheidung über
die 'ursprüngiichkeit ganzer rezensionen' herbeiführen. Gegenüber
dem Zeugnis aller anderen hss. eine A-lesart wegen eines stärkeren
parallelismus zu bevorzugen, ist nur möglich, wenn für A eine Sonder-
stellung auf grund des handschriftenverhältnisses als schon erwiesen
angesehen werden darf.
Wenn ich das vertrauen Kettners auf das prinzip des parallelis-
mus nur in sehr beschränktem masse, d. h. unter berücksichtigung des
anderweitig festgelegten handschriftenverhältnisses, zu teilen vermag,
so erscheint mir sein verfahren im einzelnen nicht minder bedenklich.
Das oben berührte moment der Unsicherheit ist konsequenterweise für
beide zeugen, A und B* (die prinzi])ielle berechtigung dieser gegen-
überstellung sei einmal zugegeben), entweder zu ignorieren oder gleich-
massig geltend zu machen. Kettner nimmt aber einseitig nur
für B* innerhalb des stilcharakters sich bewegende än-
derungen an, setzt also damit die zu erweisende Sonderstellung
von A als bewiesen voraus.
Für 10143 1, giht er zu', dass 'eine der lesart A entsprechende
Wendung sich nicht findet', während die von BDbdJCa gebotene
Variante noch durch die parallelen 523 4 und 20534 gesichert ist.
Kettner scheint zwar geneigt, A hier preiszugeben-; 'aber für A3b
teil tuon in triiven schhi spricht der gegensatz zu dem Vordersätze
Sld claz uns untriuwe dne hat getun^l Auch 10144 haben Bd eine
gut epische formel, also sicher ein kriterium der echtheit nach Kettner,
und doch konstatiert^ er, dass 'die Schlussformel, für die Ca und J
eine andere eingesetzt haben, den eindruck einer willkürlichen än-
derung' mache. An anderer stelle (s. 360) heisst es: 'doch ist der
wiederholte gebrauch solcher leicht sich einstellenden, zur vcrsfüllung
besonders geeigneter formein kaum als ein beweis für Originalität zu
betrachten' *. Damit wird willkürlicher anwendung des stilkriterinms
scbrift 20, 202-25, 26, 433-48) : 'Kettner baut auf einen anfechtbaren grundsatz'
(Erg-ebnisse n. fortschritte, s. 594).
1) A. a. 0. s. 360.
2) A. a. 0. s. 321.
3) A. a. 0. s. 320 f.
4) So sei auch in C* die formel des sulf ir änc zwlvel s/u an den stellen
1434 b und 13924 b nicht original. Die unnrsprüniilichkeit von C- folirt hier aber
nicht ans dem stil, sondern aus der überlieferuno' und d(T arbeitsweise des redaktors
C*. Da die stilforni nach Kettner für Originalität .sprechen müsste, zeigt sich die
Unsicherheit des formalistischen kriteriums, sofern es für sicli allein genommen wird.
80 CORVES
für und tor g-eöflfnet. Wo es überhaupt versagt (wie 1014 3,, A)
versucht Kettner, z. b. auf grund eines 'g-egensatzes zu dem Vorder-
sätze' die A-lesart für echt auszugeben. Dies ist um so weniger
einleuchtend, als gerade hier ein verständlicher grund für die offen-
bar von A vorgenommene änderung in dem rührenden reime
vorliegt: für 10143b ist durch alle hss. ausser A als echt bezeugt:
ich ivil iu ivcege srn. Dazu bieten BdCa 10144b den rührenden reim
des sult ir dne ztvtoel {gor cm angest Ca) sin. ADb beseitigte den me-
trischen anstoss : für den zweiten inf. shi trat das possessivum sin ein
{und durch des edelen h'ndes sin ADb) ^ Während A dies beibehielt,
in 10143 b aber für die formel ein stilistisch anfechtbares ich tuon
iu triu-en schin einführte, begnügte sich Db mit dem durch ein gleiches
bedenken veranlassten ersatz von sin in zeile 4 b durch dhi -. Für
die form der änderung 10143^ A mag der von Kettner angedeutete
gegensatz mitbestimmend gewesen sein. Immerhin führt Kettner
diesen fall unter den stellen mit stärkerem parallelismus in ß* auf.
Für 292.2 B* wird zugegeben (s. 339), dass B* 'eine auch sonst
im Nl. begegnende Wendung' enthält, die B* ausser 292 2 noch 5263
und (in einer 'plusstrophe') 6625 gegenüber A bietet: Kettner schliesst
hieraus nicht auf die echtheit der B*-lesart 2922 und weiter der beiden
parallelstellen, sondern es heisst"^: 'dass B diese wendung gern an-
bringt, zeigt ihr vorkommen an drei stellen, wo sie A nicht hat, unter
denen 5263 der Zusammenhang anders (A) statt tvie rehte (B*) ver-
1) Anders Braune s. 48. Doch vermied der Schreiber von ADb auch 14332
den rührenden reim : als lückenbüsser trat hier ein stilwidriges als ich {nü) ge-
sagen kein ein (vgl. Bartsch, Unt., s. 179 f. ; Braune s. 42). Derselbe grund führte
1066 2 zu der schlimmbesserung gesunder sin gewiesen Ab (selbständig auch a);
D zog der sprachlichen Unmöglichkeit die metrische härte vor und setzte das echte
gewesan wieder ein (anders Braune s. 73). Der von ADb eingeführte rührende
reim 1988 3-4 beruht sicher auf einem Schreibfehler (vgl. Braune s. 42). Nicht aus-
geschlossen erscheint es dagegen, dass die gruppe ADb 759 1—2 mit dem rührenden
reim das echte bewahrt (vgl. Bartsch s. 179 ; Braune s. 48).
2) Um des rührenden reimes willen behilft sich A 327 2 mit dem höchst auf-
fälligen ein riiter tcol verstau (st. ivol getan)-, Jh ändert in lohesam! (1245 3-4
duldet A die härte); vgl. Bartsch s. 179. Auch 5092 war für A und Jd metrisch
anstössig, vgl. Bartsch s. 179, Braune s. 74; bei der änderung 1168 1—2 wurde der reim
meit : gemeit in den kauf genommen; vgl. Zeitschr. 41, 288 und unten s. 94. A er-
zeugte irrtümlich rührenden reim durch dittographie des r e im worts (vgl. 19883-4
ADb;: 273i-2, 382i_2, 532i-2, 697 1-2, 14013-4 und 14983-4; vgl. ferner Bartsch,
Unters., s. 72f. (Wieder getilgt 6863-4, II863-4.)
3) S. 839.
STUDIEN ÜBER DIE NIBELUNGENHANDSCHIUFT A 81
langt'. Ferner wird die 'eigentümlichkeit' mehrerer stellen betont',
'dass die lesart A in engerer logischer Verbindung mit der ganzen odei
der folgenden Strophe steht', ... 'wo B* überall formelhafte Wendungen
zeigt, über deren wert ich mich oben ausgesprochen habe'.
Die in diesen äusserungen liegende durchbrechung des voran-
gestellten prinzips schlägt auffälligerweise stets zu Ungunsten von R*
aus : verständlich ist dies nur unter stillschweigender annähme der erst
nachzuweisenden ansieht, dass B* eine Überarbeitung des A-textes ist ^.
Eine weitere Verletzung des prinzips sehe ich darin, dass Kettner
trotz des von ihm selbst gelieferten ^ überzeugenden nachwcises, dass
der Stil der 'plusstrophen' durchaus zu dem des Originals stimmt, jene
Strophen dennoch für unecht erklärt. Der konsequenten anerkennung
ihrer echtheit kann er nur dadurch entgehen, dass er den begriff der
'nachahmung' einführt. Wenn das sekundäre entstehen von paral-
lelismus bei geläufigen formein auf 'eine momentane eingebung des
gedächtnisses' zurückgeht, 'so sind stellen von grösserem umfang oder
individuellerem ausdruck bei ihrer nachahmung wohl meist nachgelesen
worden' ^ Dies verfahren ist nicht allein bei dem hinzudichten der
plusstrophen in B* befolgt worden ■% sondern auch der selbständig
arbeitende redaktor C* scheute sich nicht davor ^ Zahlreiche nach-
ahmungen weisen auch die dJ-zusatzstrophen auf (Kettner s. 323-25).
In keinem dieser fälle kann meines erachtens aus dem mit dem ori-
ginale zusammengehenden stile der plusstrophen ein schluss auf ihre
uuechtheit gezogen werden. Gegen die echtheit, z. b. der angeführten
C*-plusstrophe 622 i2_i6 spricht ausser dem zustande der Überlieferung
1) S. 363.
2) Die zahl der inkonsequeiizen lässt sich noch vermehren: zu 10382 wird
(s. 349) für 6 fälle 'eine besondere Vorliebe' von B für das wort sini (adv.) kon-
statiert; zu 868 2 bemerkt Kettner (s. 357) : 'der kreftige man ist ein häufiger vers-
schluss, der sich bei der aus metrischen gründen erfolgten ändernug in B* leicht
einstellte'. An anderer stelle (s. 346) behauptet er wiederum einige änderungeii für
B* : 'bei diesen änderungen haben reminiszenzen eingewirkt, weshalb jede der beiden
lesarten sich durch parallelen stützen lässt'.
Aus einer älteren arbeit Kettners schlagen folgende stellen hier ein: Zeit-
schr. 20, 207 wird ein 'textverderb an nicht wenigen stellen von B' angenommen ;
ebd. s. 216 wird entstehen von parallelismus durch abweiciuing vom original nur
für B* konstatiert.
3) Zeitschr. 20, 217—21 und 26, 440 ff.
4) S. 386.
5) Ihr Verfasser hat nach Kettner, Zeitschr. 20, 219 it. die Lachmaiinschcn
lieder XVI-XVIII 'stark ausgenutzt'.
6) Kettner gibt s. 323 eine beweisende probe davon.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE iMII LOL(>(; I K. liD. XLII. 6
82 CORVES
die arbeitsweise des redaktors C^, die es wahrscheinlich macht ihm
die Strophe zuzuschreiben. Der stil allein würde in der mehrzahl
der fälle für echtheit sprechen.
Nachahmung- soll aber nicht ausschliesslich in zusatzstrophen an-
zutreffen sein, doch ist sie 'l)ei änderung- des textes selten, und sie
kommt mehr auf die zusatzstrophen''. Immerhin soll ein solcher fall
in dem folgenden parallelismus vorliegen:
C 1352 3_4 . . . daz nüner frouwen friunde darziio mügen komen'^
des ivart der kiineginne ir leides harte eil benomen.
AB 1751 a_4 . . . daz ir mir sU bekomen
des ist der kiineginne vil michel trüren benomen.
Der parallelismus ist hier keineswegs auffällig und beruht wesent-
lich auf einer formelhaften wendung: vgl. vreude benemen 9563, 1140 4;
tvunne benemen 1445.); leit benemen 6543, vgl. ferner 699 o, 1249 4.
Auch in einer plusstrophe (519 8) begegnet die durchaus übliche aus-
drucksweise. Der redaktor C" hat also keine 'nachahmung' begangen,
bei der ihm der text von AB 1751 :j_4 als muster vorlag, sondern er
griff geschickt aus dem s])rachschatze des Nl. einen viel gebrauchten
ausdruck auf und traf so den ton des gedicktes.
Der redaktor B'^ soll sich nicht darauf beschränkt haben, ent-
fernt liegende partien zur dichtung der plusstrophen auszubeuten, auch
der text soll davon zeugen. So hat nach Kettner z. b. 1691 0 er ist
geborn von Tronije zur 'Umformung' von 400 1 Er ist kilnec ze Blne
in Er ist geborn von Eine gedient ' !
Der versuch Kettners, das prinzip der nachahmung als das
treibende motiv an text Varianten nachzuweisen, ist völlig unbe-
friedigend. Ein solches prinzip aber allein für die plusstrophen
aufzustellen, ist unzulässig und in sich haltlos. Es ist leicht ersichtlich,
dass in Kettners Statistik die zahl der parallelstellen von B* mit 67
viel zu niedrig angesetzt worden ist. Andererseits ist die zahl von
114 parallelstellen in A beträchtlich zu reduzieren. Zunächst entfallen
14 von ihnen auf ADb-varianten (als solche bezeugt); hinzu kommen
noch 11084 AD (b fehlt hier); 1445 4 AB (Db ändert die fehlerhafte
vorläge); 16744 Ab holden ivillen (D ändert in giioten willen); 792 4 Ab
Ij S. 336.
2) S. 336. Zeitsclir. 20, 219 wurde die lesart 398-2 B* iiuf benutzimg- von 1661 2
zurückgeführt: 'der interpolator hat also diesen entfernt gelegenen abschnitt
(= Lachmanns XVI. bis XVIII. lied) nicht bloss für seine zusätze, sondern auch
für abänderuüg des textes ausgebeutet'. Zu 400 1 A vgl. unten s. 89 f.
STUDIEN ÜliEl! DIE NlliELUNGENHANDSCHKIlT A 83
i)/?)i fehlt (D setzt inhi lieber zu). Diese 18 ADb-varianten sind (als
nicht für A allein charakteristisch) abzuziehen ; al)er auch unter den
verbleibenden 96 stellen werden noch einige, allerdings nicht sicher
nachweisbare ADb-lesarten enthalten sein. Von den 7 aus str. 1-268
- hier ist A einziger Vertreter von ADb - in betracht kommenden
stellen^ halte ich mindestens 3 für ADb-varianten: in 13 1 und 18 1
sehe ich die echten lesarten ; für 150 4 veranlasst mich die ent-
sprechende äuderung 1507., ADb zu der annähme, die lesart schon
ADb zuzuschreiben.
Eine reihe der von Kettner beigebrachten parallelen kommt aber
ferner als nicht zutreffend in wegfall. Ich greife nur einige beispiele
heraus.
253 1: die s. 338 angezogenen parallelen betreffen (vil) güeülche
pflegen; in betracht kommt jedoch nur die Steigerung von rool. Das
von B* gebotene groezUche ist vor adj. und adv. in steigernder funktion
durchaus üblich: vgl. 1044-2, 6244, 6544 AD (wohl hs. ADb) ; hingegen
ist güeÜtcJie in dieser Verwendung nur hier belegbar! Bei der ab-
neigung des ersten Schreibers von A gegen groezlkh ^ ist die änderung
in A durchaus begreiflich; beeinflusst scheint sie durch 2b'di güetUchen
pflegen.
275. 2 : B* der edelen wade 'nur hier' (s. 339); A der guoten
zccete 'so oft'. Kettner w^ar allerdings berechtigt, diesen fall zu zählen.
Wenn man jedoch erwägt, dass 5923 schcene ivat, 380.2 sneivtze ivat,
3923 fürstliche wät auch nur je einmal belegt sind, so zeigt sich eine
Variabilität des epithetons, der gegenüber die lesart von B* um ihrer
Isoliertheit willen nicht von vornherein verdächtig ist. Andererseits
ist für die A-lesart die möglichkeit einer Wiederholung des gnot aus
der vorhergehenden zeile nicht abzuweisen.
292-93 : Kettner gegenüber (s. 339 f.) stelle ich die v.~v^ zip-qj-i^x
in A noch einmal zusammen. Str. 292: 1. 292 1 genäde bieten, 2. 292.2
gen einander twingen'\ 3. 292.2 senede minne, 4. 292o der minne not.
1) Kettner s. 338.
2) Einige stellen verzeichnet Kettner s. 340 zu 3074 (gegen B*). Vgl.
Bartsch, Unters., s. 212; Braune s. 115 (9 stellen!). Hinzu kommt noch lB:-354 A
vreisliche not st. groszUche n. (mit g zusammen). (Bequem überschaut man die
Überlieferung in der übersichtlichen tal>€llc IX u [und XIX zu ]r)3B4] bei Alice
Vorkampff-Laue, Leben und vergclieii einiger mhd. Wörter). Die lOmalige beseitigung
Tun gr'fzUche zeigt, dass das wort im liöflschen stil als veraltet empl'uudeu wurde.
3) Kettner verweist (s. 339) für A si twanch gen einander der sencden minne
n(k irrtümlich auf die ziemlich häutige wendung mich ticinget eines dinges not:
das allein in betracht kommende gen ^««anc^cr ^r///^c/t ist völlig beispiellos im XL
84 convEs
Zwar bemüht sich Kettner, die zwei ganze halbverse füllende 'reini-
formel' in B* zu verdächtig-en, doch muss er 2922 B* als 'eine auch
sonst im Nl. begegnende Wendung' anerkennen. Aber auch 292 1 B*
b^ der hende vcihen ist ein durchaus üblicher zug im höfischen zere-
moniell (vgl. z. b. 737 1 usw.). Die Varianten halten sich also nicht die
wage, vielmehr sind zwei zu den B*-parallelen hinzuzurechnen (292 1 u..,).
Str. 293: zu 293 1 A kann allerdings 6093 verglichen werden; dagegen ist
für 2934 zivei minne gerndiu herzen der verweis auf rfer ere gernde man
(733 1, 21553) deshalb unzulässig, weil aus dieser wendung eine ganz
andere anschauungsweise spricht. Auch individuell gefärbtes ^loer ir
minne gerte (326 2) darf man nicht in parallele stellen zu der abstrakt-all-
gemeinen A-lesart 2934. inis.ietiioii 2934: der gebrauch des verbums
an dieser stelle ist ganz isoliert. Die gekünstelte wendung heten
anders miaseidn ähnelt 5263 ander,^ (st. ivie rehte) m'ninecl'iche, wodurch
eine gute formel ohne zwingende inhaltliche gründe beseitigt wird.
Der einen A-parallele 293 1 entspricht auf selten von B* die
formel holder wille 2934; die wendung holden ivillen kunt tuen ist
zwar nur hier belegt, doch genügt dies nicht, sie zu beanstanden, da
sie durchaus nicht stilwidrig ist (vgl. holden willen tragen 3554 usw.,
andererseits für den gebrauch von kunt tuon: 1551 4 strUen kunt tuon)^.
So ist in Str. 293 für A (293 1) und für B* (2984) je eine parallele
nachweisbar. Die von Kettner anscheinend für A gerechneten zwei
parallelen kommen in fortfall ; die entscheidung für B* bringt die tat-
sache, dass A in den beiden fraglichen Strophen 6 alleinstehende
ausdrücke enthält, die man nur dann für echt ansehen darf, wenn
die ausnahmestellung von A völlig gesichert ist.
3074: hier versagt das formalistische kriterium; die s. 340 an-
gezogenen drei parallelen stehen in der 6. halbzeile, die verglichene
stelle aber steht in der achten, also unter veränderten rhythmischen
bedingungen. Nicht der parallelismus, sondern nur die metrik kann
hier für großzUch entscheiden: der dreihebige vers si heten niichel
kraft ist bei dem ersatz von groszlUh durch michel (s. zu 253 1 s. 83,
anm. 2) entstanden.
3192 er ivände niht eriverben: in der fälschlich zitierten parallel-
stelle 14134 (s. 340) ist ivmnen mit se + inf. konstruiert, ivmnen mit
blossem inf. ist 3192 vereinzelt und (ganz abgesehen von dem zeugnis
der hss.) an sich auffällig ; gegenüber dem geläufigen trüwen - inf.
1) Vgl. Zwierzinas treffende bemerkuugen über die für fragen der echt-
heit entscheidenden d-ag elpr/iisva: Zfda. 44, es.
STUDIEX ÜBEIl DIE XI15ELUNGENHAXDSCHRIFT A 85
der anderen hss. erweist es sich als sekundäre änderung-. Die A-
parallele scheidet also aus ; zu den B*-parallelen ist diese stelle hinzu-
zurechnen, oder es sind 2 A-parallelen in abzug zu bringen.
3693a: ebene stän (vgl. s. 341) ist nirgends sonst belegt; die
konstruktion mit einem verbum der ruhe ist im Nl. unerhört, ebene
ist irrtündich von dem Schreiber aus der folgenden zeile übernommen,
in der er oiich hinzufügte, um die folgen seines Irrtums abzuschwächen
(vgl. 253i, 275,).
351 1 (s. 341): der ersatz des stilgemäss umschriebenen imp.: ir
sult pH rehte merken durch prosaisches merket rehte ist auch sonst
von dem Schreiber vorgenommen: 390 1 gebet uns ^t. ir sult uns geben ;
961., so vernemet selbe st. so muget ir seihe hceren.
Was die parallelen zu 321 1,„ 356;3, 3864 (s. 340f.) beweisen
sollen, ist, da es sich nicht um formelhafte elemente handelt, um so
weniger einzusehen, als die fraglichen stellen sich nicht völlig decken.
4342a (s. 342): je eine parallele für A und für B*, d.h. das
Stilkriterium versagt; entscheiden kann nur die anderweit gewonnene
einsieht in das handschriften Verhältnis.
4344: die s. 342 beigebrachte parallele scheint für A zu sprechen.
Die B*-lesart ir was darnach geslichen . . . konnte jedoch einem
höfischen bearbeiter zu einer änderung anstoss geben ^ Für die form
nein, si hete gecellet ist zu beachten, dass der Schreiber auch 801]
ein rhetorisches nein ich und 951 3 (unter Zerstörung der metrischen
kunstform) ein weiteres lebhaftes nein einführte.
469.2: degenlich als adj. zwar nur hier, aber nicht stilwidrig.
47O4: die s. 342 angezogenen parallelen reichen nicht aus; die
Wendung in A leit geschehen läzen ist singulär. Auf grund der ähn-
lichkeit von 47O4 B* und 17134 ADb wird s. 336 konstatiert, dass
B* 47O4 'veranlasst' ist durch die parallclstelle 17134 ADb.
4944 (s. 343): den anlass zu der glücklich den stil des Nl.
treffenden änderung bot das reimwort sint (vgl. 9434, 9884, 9894,
1038., und die fehlstrophe 54O5-8). Bei den Umgestaltungen geriet
9884 das stilwidrige nazzes blint in den text; 9434 ist sprachlich
falsch; 1038-2 führt gleich zwei vereinzelte Wendungen ein. Zu 1038.2
sorgen äne vergleicht Kettner ^ zwar die beiden kurz vorher begeg-
1) So heisst es auch 6704 von Brünhilde: in vil höchverten (st. listigen)
siten. (Db setzte kunstigen ein.) Das epithcton der listige man wird 4428 für
Sicirfried gemieden: es ist spielmännisch (vgl. Salman und Morolf).
2) A. a. 0. s. 349.
86 CORVES
nenden Verbindungen diie sorge vani (1030 1) und vröuden une rUen
(IO343); m. e. reicht dies nicht aus, weil das Nl. nur dne tiion mit
gen., nicht dne bringen kennt, sorgen dne bringen ist also eine ände-
rung" von A, auf deren form vielleicht die von Kettner zitierten
Wendungen gewirkt haben. Jeden zweifei daran, dass A geändert
hat; schliesst der in derselben zeile begegnende ausdruck hi leide sin
aus, zu dem es kein analogon gibt. Wenn sich nun diese härten
beziehungsweise stilistischen mängel in A gerade an den stellen zeigen,
wo B* das nur im reim belegbare adv. sint hat, so muss geschlossen
werden, dass der modernisierende Überarbeiter versucht hat - keines-
wegs ohne geschick — , das ihm anstössige sint gelegentlich zu be-
seitigen \ nicht aber, dass der Verfasser von B* 'eine besondere Vor-
liebe für das wort' - besass, der er auffallenderweise nur dann fWint,
wenn sich sint in reimstellung befindet; ausserhalb des reimes per-
horresziert er das wort.
9683 (s. 348): die Variante in disem küse st. in dirre bürge ist
noch von der rein sprachlichen seite zu beleuchten. Dem Schreiber
war im gen. und dat. sg. die form hure geläufig (nicht bHrge)\ ^11 2
(dat.) und 456 1 (gen.) führte er diese form ohne bedenken ein.
Schwierigkeiten ergaben sich, wenn die form in der zäsur stand; hier
hätte burc eine nebenhebung ausfallen lassen. So wurde 391 1 und
7273 gleichzeitig mit der einführung der sprechform eine Umstellung
vorgenommen, um dem verse aufzuhelfen; 393.2 wurde die anstössige
form entfernt und bei der improvisierten änderung ich vergessen;
9683 wurde eine form liuse st. bürge eingesetzt'. Neben den 6 ge-
änderten belegen sind 8 fälle vorhanden, wo der Schreiber aus seiner
schon berührten Inkonsequenz (vgl. sint usw.) bürge stehen Hess, ausser-
halb der zäsur jedoch nur 6533. (391 1 entschied sich z. b. Hofmann ^
für B).
9694: für A ist eine parallele angeführt (s. 348), unter den B*-
parallelen fehlt aber die formelhafte B*-lesart; das stilkriterium kann
widerum nicht entscheiden. Andererseits zeigt Braune (s. 113 f.), dass
es sich in A 9274 und 969 4 um den er s atz der forniel des gie im
iimrlichen not handelt. Eine Individualisierung des formelhaften ez was
ir wcerltchen leit ist nicht nur 9734, sondern auch 4854 durchgeführt
1) Vgl. seine Stellung zu den rührenden reimen (s. 80).
2) So Kettuer s. 349.
3) So erklärt sich wahrscheinlich auch 6204 ftv dem bette an einen schrm
st. zwischen der wende und einen schrin.
4) Zur textkritik der Nib. s. 85.
«TUDIEN ÜBER DIE NIBELrXdEXHAXDSCIlKIFT A 87
(vgl. s. 75); darauf beruht auch die änderung von 970 4 daz was ir grcez-
Uchen leit. Dass 3774 A daz was im tvcerltche leit (st. Gunthere leit)
eintrat, hängt zusammen mit dem ersatz des eigen namens (bezw.
Substantivs) durch das pronomen (vgl. 7884! 3334, 3464, 62O2,
7744, 7794, 9593, IO3O3, 10544) Schon Schmedes (Kieler Diss. 1893,
s. 49) gab 7744, 7884 und 10544 die A-lesart preis.
11034: zu der lesart von A wird (s. 349) mit recht auf 261 4
verwiesen, wozu 15934 fast völlig stimmt. Während jedoch 261 4 alle
hss. von schoenen frouwen bieten, steht 15934 in AD und B wiben,
in d maiden, in Jh frawen. Danach ist mit Lachmann wtbeit zu lesen
gegen Bartsch, der frouwen schrieb. Da nändich schwniu w/p ' ebenso
stilgemäss ist als schoene crouwen, so besteht keine Veranlassung,
gegen das zeugnis von ADB einem äusserlichen Schematismus zuliebe
zu uniformieren. Ebenso steht es nun 1103 4: da schoeniu kint auch
sonst belegt ist (z. b. 5543), so besteht kein stilistisches bedenken
gegen die B*-lesart ; ADb (b fehlt hier) setzt vromven st. kini - ein. Die
3 belege 261 4, IIO34 und 15934 sind ein schöner ausdruck des wesens
der epischen formel: in ihren festgefügten rahmen können je nach
bedürfnis variable, auch ihrerseits formelhafte glieder eintreten".
Ich breche die naehprüfung ab. Sie dürfte gezeigt haben, dass
das sehr dehnbare prinzip des parallelismus vielfach eine entscbeidung
nicht gestattet; erst in Verbindung mit den anderen raitteln der text-
kritik kann es sich als fruchtbar erweisen. In fällen, wo die Über-
lieferung auseinander geht, kann der stil den ausschlag geben, jedoch
nur, soweit es sich um völlig aus der diktion des Nl. herausfallende les-
arten handelt (z. b. 102 n tvizze Krist). Doch reichen die stilkritischen
bedenken Zwierzinas*, deren wert zum teil unverkennbar ist (so zu 392 5,
5316, 6285), für mich nicht aus, das fehlen von Strophen in A als etwas
ursprüngliches zu stützen. ^Mindestens ebenso schwer wiegt die tat-
sache, dass eine grosse anzahl Strophen als von A absichtlich aus-
geschieden erkannt worden ist; und durch diese tatsache halte ich
mich für berechtigt, das 'kritische grundgesetz' Za rucke s"' zu adop-
1) Die belege jetzt am bequemsten bei Hawel: 'Das sclimUckende beiwort in
den mhd. volkstümlichen epen', Diss. Greifswald 1908, s. 84; für frouwe [mit
schoene verbunden] s. 81.
2) 477 1 setzte A wip für kint ein, sah sich aber des reimes wog-cn genötigt,
wip zu tilgen und liint wieder einzuführen.
3) Eine höchst treffende Charakterisierung des wesens und der bedcutung
epischer formcln gibt Vogt, Salnian und Morolf, s. CXXXVI.
4) Zfda. 44, go ff.
B) Lit. zentralbl. 1854, sp. 116.
88 CORVES
tieren: 'jede stroplienditferenz ist auslassung in A, wenn sieh von ihr
nicht das g-ej^-enteil besonders beweisen lässt' (wie z. b. für 102 5-12).
Durch Kettners 'ergebnisse' halte ich Braunes grundlegende auf-
stellungen nicht für ernstlich bedroht. Andererseits sehe ich in dem
von diesem als dem Nl. adäquat nachgewiesenen stil der plusstrophen,
für deren absichtliche auslassung zum teil gründe wahrscheinlich zu
machen waren, ein argument für ihre echtheit, das im verein mit der
von Braune für eine reihe von Strophen erwiesene unentbehrlichkeit
durchschlagend sein dürfte.
Zur ergänzung der Sammlung Kettners bespreche ich - ohne
Vollständigkeit anzustreben - eine reihe von A-lesarten, die, abgesehen
von der handschriftlichen Überlieferung, auf grund des stils als ände-
rungen des Schreibers erscheinen.
8O3 rhhe briinne A: nur hier belegt, wtze bn'inne (B*) wird
durch 187 2 gestützt (vgl. Bartsch, Unters., s. 219).
1023 sm Ifp der ist so schcene A (st. küene), von Siegfried
gesagt (vgl. Braune s. 108); so heisst es bezeichnenderweise in der
'zudichtung' des Schreibers^ 21 1. 2: Ich sage tu von dem degne ivie
schoene der wart. Dazu stimmt die änderung 4224 der schoenen
(st. starken) crouwen tthermuot; auch Db nahm hier anstoss und
änderte. Ferner vergleiche man 6354 schoeuiu (st. und oiich diu) ros;
das attributive adj. steht hier völlig isoliert, üblich ist guot; vgl.
Hawel s. 94 (69 1, 863).
1463 hdn ich guoter {st. getrimver) iemen: substantiviertes guot
ist als diu guote nur 142 im reim bekannt. 18 2 (im zäsurreim) stellt
es die C*-lesart dar, das echte bieten AJ '-. So ist guoter iemen ver-
einzelt; B wird gestützt durch 1759 2 hat er getriuwen iemen; zu ver-
gleichen ist auch 10202, wo A ebenfalls ändert.
2303 degenltchen tuon + oh'].: die alleinstehende A-lesart durch-
bricht den formelhaften gebrauch von willecltche tuon, das B* bietet
(vgl. 26O2, 348i6, 5132, 516 3, 811 4 usw.).
2644 b ros imde {herlwh fehlt) gewant: das fehlen des formel-
haften Mrltch fülirt zu einem metrischen anstoss: alle vergleichbaren
stellen haben einen takt mehr als A 2644 1,: 284, 7054, 12224, 14694.
A hat also herlick ausgelassen.
1) Vgl. darüber Braune s. 179. Mau beachte, dass aucli die betouung der
stärke gelegentlich unterbleibt, vgl. s. 90 (zu 417 1).
2) So auch Braune s. 180 ff.
.sTUDiEx Cbeh die nibelungenhand.schrift a 89
2724 {hie fehlt) zen Burgonden sint: die parallelen 121 4 iiiul
12004 erweisen zwingend die notwendigkeit des hie und damit die
viertaktigkeit der balbzeile (vgl. 481 4, 10324, 23044).
2704 sich zierte riferiiche (st. vllzecHche) manic ivcctlwhiu meit:
schon Bartsch, Nib. not II 0, xvn betonte, dass dies epitheton, auf
frauen angewandt - offenbar stilwidrig -, nur hier belegt ist. Kurz
nachher (292 1) wird vltzecltche ebenfalls ersetzt (durch minnecHche) ;
zu beachten ist, dass A auch 681 4 für der chitnig hiez mit geleite die
boten vUze cUch bewarn BDhd die änderung der kiinic mit gewfdte{\)
{mit cleidern Jh) Jiiez die boten ivot beivarn vornimmt; J ändert in
her lieh beivarn, während C ivol bewarn bietet.
301 1: si . . . kam gestdn A: die anstössige lesart ist sonst nicht
belegbar.
3084 ze dienste tiion A: die formel d-enst tuon (bezw. ril, lützel
d. t.) wird von A durchbrochen.
321 3 ich wolde sin ze lant A (st. Ja loold ich in mtn laut)', ab-
gesehen von der form se lant statt des allein üblichen ze lande be-
fremdet die bedentung 'zu liause', 'in meinem lande' : ze lande bedeutet
'heimwärts' (siehe Bartsch II 2, 189).
342:3 3^ lobe (st. ze wiimche) ivol gekielt A: für A kein beleg,
zu -B* ist zu vergleichen: 45:3 ze lounsche wol getan; 16032 den was
tvol ze ivitnsche geschaffen der irp.
3534 diit {vil fehlt) herliche meit: dass ril ebenso wie 554 aus-
gelassen^ ist, beweisen 5I4, 594, 1224 (mit auftakt). 6234 ist es
durch Umstellung beseitigt.
398 2 zuhtecliche sprechen A statt einer von B* gebotenen formel-
haften Wendung kommt zwar 1126 1 noch vor, ist aber verdächtig, wenn
man berücksichtigt, dass A 1615 4 zuhtecliche antwiirten (sonst unbelegt!)
und 2983 zuhtecliche gän als plus gegen B* bietet (letzteres nur 1126 1
belegt). Die 3 gemeinsamen belege des höfischen Wortes vermehrt
der erste Schreiber von A um 3 weitere"-'! Den anstoss zu der än-
derung 398.2 gab die echt spielmännische formel: nu muget ir
gerne hmren (vgl. Vogt, Salman und Morolf. s. CXXXIX und CXLI;
Piper, Si)ielmannsdichtung I, 70). Während II sie 1661 2 duldet, bietet I
ein höfisches Surrogat.
400 1: kilnec ze Mine {A) st geborn ron R/ne (B*)"- A ist falsdi.
1) Ebenso Hofmaiin, Zur textkritik d. Nib., s. 88 und 84.
2) Vg-1. Braune s. 108.
3) Nach Kettner (s. 33H) hat 16912 er ist gehnrn von Tronije 'zur unifor-
90 COHVE.S
denn CS g'ibt nur die Verbindung- künec von Rhie (mehrfach). Der
Schreiber vergreift sich bei dem bestreben, die ihm offenbar zu wenig
aussagende echte lesart zu verbessern. Hier, wie auch sonst, kam es
ihm darauf an, die bezeichnung des ranges als könig anzu-
bringen; so erhält Siegfried 6882 die völlig stilwidrige anrede
künec (st. her) Slfrä, so heisst er 635 1 der künec S^frit st. Slfrit der
herre: der titel steht im echten text nur 700 4 (vgl. 0694). 80 ändert
auch A (mit G zufällig zusammentreffend) 523 3 die von BDbdJh als
echt gesicherte lesart wes iuch bittet Günther in ives iuch der künec
bittet, was schon Hofmann aus metrischen rücksichten aufgab (Zur text-
kritik der Nibelungen s. 87).
Auch Brunhilde bekommt so den königinnen titel: vgl. 403 4
ein ahe s,chcene künigin A (st. magedhi), siehe auch Braune s. 108;
450 4 der küniginne A (st. Prünhilde); 614 1 der küniginne A (st. der
iuncfrouweit) ; 1222 1 diu clagende kunigin A {i^i. vrouwe).
408 4 . . . schein liehte dar an st. daz sach man sclünen daran:
die gut epische, umschreibende wendung ist präziser wiedergegeben;
siehe oben zu 351 1 (s. 85).
412 4b die ivärheit sagen: eine völlig ungebräuchliche wxndung,
nur hier allein in A belegt.
410 3 nianiger leie A (st. hande B"): die dem Nl. fremde ausdrucks-
weise ist, gegen die geläufige in B^' gehalten, auffällig.
417 1 der degen Hagne (st. der starke Hagne): hier verletzt A in
schroffer weise die diktion des Nl. Während Hagene der degen eine
weit verbreitete formel ist, gibt es die A-lesart der degen Hagene
nirgends ; sie ist unzweifelhaft eine ungeschickte änderung des Schreibers,
der gleich darauf 422 4 der starken vrouwen ebenfalls beseitigt. So
trat auch 3484 für des starken Stvrides ivtp ein: des küeneti IS/vr. iv.
und ebenso verliert Siegfried 3682 das epitheton der kreftige man.
4243 der küene {st. sn eile) man A; auch 591 1 ist die formel ge-
tilgt: der edel (st. snelle) man! Weitere belege für die abneigung
des Schreibers gegen snel^: 22 1 der selbe (st. snelle) degen guot A
unter Zerstörung der formel, die Hawel s. 37 belegt; 514 1 Giselher
der iimge (st. snelle) A, ebenso geändert 14312 A; nur 1232 1 bleibt
die echte lesart stehen. Auch 1596 2 beseitigt nur A Rüedeger der
snelle. Alle diese eingriffe entspringen offensichtlich dem höfischen
mung' von 400 1 Er ist künec ze Rtne in Er ist geborn von Eine 'gedient'. Dies
ist eine der stellen, die 'bei ihrer nachahmung wohl meist nacligelesen worden' sind !
1) Auffälligerweise führt A das wort 4363 ein (vgl. s. 91).
STUDIEN ÜBER DIE NIBELUXUEXHAXDSCHRIFT A 91
geschmack des ersten Schreibers; der zweite duldet 2021 2 die von I
2nial g-eänderte forrael der snelle man.
4254 der küenen helde unde snel : die unnatürliche Wortstellung-, für
die es kein seitenstück gibt\ beruht auf einer änderung; es hätte
noch unde getilgt werden müssen (vgl. die änderung 397 4 die küenen
helde gemeü A st. die helde küene nnde yemeit, dazu 1036 4).
434 1 . . . halde lifapranc A st. wie holde si üfspranc B*. Gegen
die dem stil des Nl. konforme Wendung, die in .B* erhalten ist, zeigt
der Schreiber auch sonst seine abneigung durch auslassung des
formelhaften icie (vgl. 795., 799 2, 503 4, 0263, 1034 1, 1507 2, 1596,).
Auch 292 2 ist tvie bei der änderung beseitigt. Der grund für
die änderungen des Schreibers liegt darin, dass in der Verbindung
tvie + adv. ein festes dement des spielinännischen stils vorliegt (vgl.
Vogt, Salman und Morolf, s. CLIV).
4363 der snelle Sifrit A st. der Jierre S. B*. Diese lesart gibt
es nirgends ; wohl ist Stfrit der snelle belegbar (442 1) ; die änderung
führte ähnlich wie 417 1 zu einer entgleisung.
5644 min swester ivan aleine A st. niwan min sivester eine B*:
vgl. 2274 wan aleine Sifrif A st. unz eine an Sifriden B*. wan aleine
ist nur an diesen 2 stellen von A nachzuweisen. Kettner belegt zu
2273-4(8.355) den stärkeren jDarallelismus in B*; unverkennbar zeigt
aber A 5644 dasselbe gepräge wie A 227 4. Das Nl. kennt nur niwan . . .
aleine 1698., 1769 3, 2245 2 ADb (b lässt aleine aus), 22584; weder
ivan (st. niwan) an beiden stellen von A, noch die Stellung entspricht
dem Sprachgebrauch des Nl. Ausser 227 4 und 5644 wird aleine noch
941 3 gegenüber eine bevorzugt.
580 4 noch ivas ez beidenthalben üne nit st. noch ivas ez an ir
beider nit. Den durch änderung entstandenen fehlerhaften halbvers
besserte Lachmann in beidetdhalp an nit und brachte damit gegen
den klaren Sprachgebrauch des Nl. (belege in Bartschs Wb.) den ein-
zigen fall von beidenthalp als adv. in den text. Die zweifelnd vor-
getragene konjektur Hofmanns (Zur textkritik der Nib., s. 87) ist gegen-
über der einwandfreien lesart aller hss. überflüssig.
587 3 eime starken borten A st. daz was ein starker borte B''- : vgl.
887 4 einen beren wilden A st. daz ivas ein bere ivilde. Unter Vermeidung
des formelhaften daz was strebt der Schreiber nach engcrem syn-
taktischen anschlusse; auch 619 2,652 4,655 4 legen davon zeugnis ab.
1) Vgl. die samiiikiugeu vou Radke, Epische fonnel im Nl., s. 25 f. (Progr.
von Fraustadt 1890j.
92 COKVKS
593 3_4 triTrec was shi muot (st. ivas yenuoc) der herre defs landes
(st. von dem lande), ir fröude diiht in nikt ze giiot (st. swie er des
fages kröne truoc). Kettner versucht (s. 344) die A-lesart durch paral-
lelen zu verteidigen : 593 3 1, in der fassung- von A ist in der tat stilistisch
einwandfrei ; ebenso aber die B*-lesart (vgl. 442 1 usw.). trürec ist in
der formelhaften Verbindung adj. + ivas (bezw\ wart) genuoc zwar nur
5933 belegt; dies spricht aber keineswegs gegen diese lesart, da das
adj. in der formel variabel ist. So versagt 593 3 das formalistische
kriterium, entscheidet aber 593 4 zugunsten von B*. Die gekünstelte
Wendung niht ze guot dünken^ ist nur 669 4 aus C* belegbar, fehlt
sonst dem Nl., denn 409 4 niht ze guot ivesen (auch 1249 2, 1246 4, wo A
ze auslässt) wird man nicht anziehen dürfen. Andererseits ist der zug
des kröne tragen (in B^) häufig belegt, auch gerade im reim auf genuoc
(vgl. 559 3_4, ähnlich 772 3—4). Braune versucht in seiner textkritischen
behandlung der stelle (s. 72 f.) hier ADb einen fehler zu vindizieren;
wahrscheinlicher ist, dass das von hs. b gebotene gemuof st. genuoc
5933 - eine auch sonst vorkommende vertauschung, wie die von Braune
(s. 72) angeführten fälle zeigen - erst ein Schreibfehler dieser hs. ist ;
damit hat Db die korrekte lesart erhalten, und nur A weicht mit einer
die reime antastenden änderung ab; zu ihr vgl. man den ähnlichen
Charakter der änderung von 324 3_4.
595 4 under kröne . . . schöne (B" vroeltchen) stein : in der Verbin-
dung under kröne stdn (bezw. gdn) begegnet sonst kein epitheton ; doch
berechtigt die Verbindung vroellchen stdn 807 4, 1949 4, die BMesart
zu bevorzugen. Die eiusetzung von schöne (hs. schoe.ne) durch den
Schreiber ist bezeichnend, vgl. oben zu 102$ (s. 88).
618 2 iu zimet niht zefi'teren A st. ir sult mir niht zefüeren^.
Die höfisch stilisierte A-lesart entspricht der schon gestreiften
tendenz zur milderung starker ausdrücke: so bedient sich hier Brun-
hilde dem scheinbaren Günther gegenüber einer zeremoniell höflichen
ausdrucksweise, vgl. s. 73 zu 816 j: hier steht A infolge der änderung
allein, während die lesart der anderen hss. genau gleich 575 1 ist, wo A
ebenfalls, wenn auch in geringem masse, änderte. (Zur sache vgl.
1145], wo die formulierung weniger anstössig ist.)
6224 cersuochende angestlichen an usw\ A st. er versuoht ez an-
gestlichen usw. B*. Gegen das auffällige partizipium in A spricht
entscheidend, dass cersuochen einer beziehung bedarf, ausgedrückt
1) Sie ist vielleicht auf reimzwang zurückzuführen (vgl. Zeitschr. 41, 287 f.).
2) Die hs. bietet sinnloses mich niht zefiicren.
.STUDIEN ÜKEK DIE XIBELUNGENHAXD.SCHKIFT A 93
entweder durch ein acc- obj. oder einen abhängigen satz: A durchbricht
hier den Sprachgebrauch des Nl. (vgl. 1049 4).
6393: das bei der änderang ausgefallene ncÄe ist unbedingt auf-
zunehmen, weil ein plur. diu icifen nicht vorkommt.
6564 siis pflnc vUzecUchen ir diu edel kunigin: die unnatürliche
Wortstellung genügt zum mindesten, A für verdächtig anzusehen.
832 1 cater nun her Sigemiint A st. min vater S. B'^. Über den
höfischen Charakter der lesart von A vgl. Braune s. 107; stilistisch
betrachtet dürfte sie ein unikum sein: es gibt nur min vater oder mit
adj. vil liebe)- vater min.
841 2 man den liehen min A st. den holden (bezw. lieben siehe hss.)
wine min B* (vgl. s. 72, anm. 2): die Wortstellung in A sucht ihres-
gleichen; es kchinte nur heissen den liehen man mm, aber dies kommt
ebensowenig vor als die A-lesart. Es heisst stets min {eil) lieber man.
Da nun in der nächsten zeile 841 3 den minen lieben man begegnete,
musste der Schreiber, um die Wiederholung weniger fühlbar zu machen,
auch hier die feste formel antasten: daz du wol behüetest mir den
liehen wem A st. daz du mir tvol hehüetest den minen lieben man;
vgl. dazu 8433, 8443, 1841 3, ferner 9763, 17273, wo den fehlt - eine
rein sprachliche änderung jüngeren alters gegenüber dem echten text.
Der austoss zu den änderungen gieng aus von der un höfischen
Wendung 841 2 der holde wine min.
8861 den lagern tvol geborn (st. üzerkorn): woL geborn erscheint
an den drei sonst belegten stellen 3263, 1369 4, 2087 4 noch nicht in
abgeblasster bedeutung, sondern wird nur von personen aus königlichem
geschlechte gebraucht.
9764 vrouive licp, daz si getan A st. daz sol werden getan: die
höfische anrede geht gegen den stil des Nl.; es gibt nur (vil) liebiu
vrouwe mit vorangestelltem adj.
992 i Sifrides wörtlichen lip A st. den sinen wcetlichen Up B* = 1455 4;
vgl. 1086 4.
10304 b das von A zugesetzte guoten zerstört den achten halbvers;
um es zu retten, schrieb Lachmann gnade (st. genäde) gegen die hs. ;
ferner änderte er die von der hs. l)eibehaltene echte zäsur: seine zäsur
ist aber auffällig, weil sie das adj. vom zugehörigen subst. trennt: in
guoten/reken. Auch die zäsur 333 2, beruht nur auf dem festhalten
an der A-lesart in daz lant statt der von allen hss. (ausser D) ge-
botenen her in ditze lant. llofmann (Zur textkritik d. Nl., s. 84) las
94 f'ORVES
deshalb mit B. Vg-1. die ziisiir 1530 2; Hofmann (s. 93) folgte auch
hier B^\
10974 init ivarheite iehen A st. mit rehter ivürheite ieJien B"".
Auch 844 hat A die tautolog-ische verbindiiDg der rehten wurheite iehen
mit auslassung- des adj.g-eändert zu hie der wärheiie veriehen.
1168 1_2: 1168 1 DÜ manige schcene nieit A st. ?v7 man/'c schoene
lüip B*. Kettner (s. 349) verweist für A auf 1237 2 ; da jedoch die
BMesart gleich 806 1 ist, scheidet die stelle aus. 1168 2 steht dem
vereinzelten diu vroiiwe vil gemeit A in B* Kriemhilde Up gegenüber,
das alle hss. 1961 0 bieten; ebenso 779 4, wo nur A stärker änderte
Der Stil entscheidet also 1168. für B".
11734 einen A (st. ein den heden): die zum mindesten unver-
ständliche lesart von A ist eine änderung des Schreibers: vgl. 6663
daz er wcere der beste A st. ein der beste W' (1157 2 hat auch A ein
der (dler beste bewahrt).
1270 1 Der bischof vriuntliche (st. minnecliche) oon shier nifteln
schiet A: vriuntliche scheiden ist nur hier in A belegbar; andererseits
repräsentiert minnecliche scheiden die stehende formel (ausser dieser
stelle noch 4 weitere belege).
1272 1 A der kilnec uz Hinnen lernt st. von H. laut W' ] letzteres
bestätigt der gemeinsame text 1108 3 und 1190 3 (hier schreibt Bartsch
mit unrecht rlz). Vgl. 689 2 A Gere tiz (st. von) Burgonden lant. (695 1
hat A nicht geändert).
1340 4 daz vil wcetUche (st. herliche B") wip; das epitheton ivcet-
Uch wird nie von einer einzelnen, bestimmten frau gebraucht: es in-
dividualisiert nicht, sondern gilt von der gattung; nur der plur. oder
die unbestimmt allgemeine formel vil manec ivcetlichez ivip kommt vor.
daz vil herliche wip ist feststehende bezeichnung für Kriemhilde 336 4,
10 10 3. Auch 2864, wo A manec wadlichez (st. herlichez) wip bietet (Kettner
s. 339), ist die B*-lesart stilistisch zu rechtfertigen, da 273 2 und 753 1
1) Auch 470 2 hat der eingriff des Schreibers die zäsur der besten j reken
veranlasst; doch vgl. z. h. 3932, 13072.
2) Hs. B hat die verschreibung rehter ereii mit maniger wdrheite iehen
st. maniger eren mit rehter wärjieita iehen.
3) Vgl. Zeitschr. 41,288. Dass die änderung von 1268 1 gedankenlos geschah
unter psychologischer einvvirkung einer sonst geläufigen wendung und dann die
Variante 1168 2 improvisiert wurde, zeigen z. b. folgende, wieder getilgte fehler:
1047 3 der Niblunge lant golt (:hoU); 1263 1 der Niblunge hart golt {-.holt)] 1156 1
da er Krietnhilte vant sack {: .sprach. Vgl. ferner 477 1, 1145 3, 1186 1, 6312. 1049 1—2
da das icas geschehen (st. getan) : gan.
STUDIEN ÜBER DIE NIBELUNCiEXIIAXDSC IIKIFT A 95
das epitheton Mrltch in allgemeiner Verwendung aufweisen. Die von
Kettner urgierte Verbindung mit schcene meide spricht nicht gegen die
zulässigkeit des epithetons herlich in str. 2864.
1411 4 eil iverllcheii (st. gewedUhen B*) viini; B" wird bestätigt
durch 15284, 1958 0.
14484 A got inüeze si (st. ir ere) da beivarn. Für B* spricht
4402 got müeze iuwer ere die ztt tvol beivarn.
15024 den {stolzen fehlt) Burgonden kunt; hier wollte auch Lach-
mann eventuell stolzen aus B* aufnehmen. 802 4 ist die formel die
stolzen Burgonden ersetzt (erhalten 231 3) durch die von Burgonden
(ohne lant!), eine wendung, die derselbe Schreiber 1602 4 an den von
Burgonden (st. an den B.) ein zweites mal einführt; sie begegnet sonst
nur 202 1.
Aus der partie des 2. Schreibers greife ich folgende Varianten
heraus. Sie tragen überwiegend leichteren Charakter: Umstellungen,
ersatz einzelner Wörter, kleine zusätze mehren sich allmählich, worin
das selbständigerwerden des Schreibers klar wird. In den ersten
100 Strophen von seiner band sind ernsthafte Varianten nur spärlich
vertreten.
Die Varianten charakterisieren sich gelegentlich durch ihre stil-
widrigkeit als änderungen; das streben, formein zu ersetzen, ist
jedoch weniger oft belegbar als bei I.
1681 4 des hän ich ztt vil swcere und manegen trürigen tac A
st. des han ich alle zite vil m. tr. t. B*. Da zit nie mit einem adj.
wie sivcere verbunden ist, kann die lesart nicht original sein. Kettners
parallele 9984 (s. 352) versagt. Der stil des höfischen romans war
für die änderung massgebend; man vergleiche etwa siva'ren tac Iw.
1740, übele ztt Iw. 1741. Über ähnliche änderungen des ersten Schreibers
siehe oben zu 820 4 (s. 75).
17664 A ivend ez (st. so genese) danne swer der mac: mit neu-
tralem ez ist wenden nicht nachweisbar: 155.j A icenden elliu iuriii
leit, ähnlich 1183 0-3, wo ADb swenden bietet.
1901 1 sprach Wcerbel sun A st. sprach Wau-bel der spileman:
vgl. dazu 1710i ein wimdernküene man (st. ein kiiene spilman), wohl
um videlmre und spilman in einer zeile zu vermeiden. Auffällig ist
die 1901 1 ähnelnde änderung von I 1614, sprach der degen sdn (st.
dei- spileman)] vgl. s. 74.
19224: der Schreiber ersetzt die formelhafte zeile durch einen
individuellen ausdruck nach seinem geschmack: vgl. dazu die ände-
rungen der ersten band in 9274 «nd 9884. 19224 A iihners sorge
96 (OKVES, STUDIEN Ül'ER DIE XmELUNGENHANDSC HKIIT A
steht aber völlig- allein; ebenso verhält es sich mit ez gut mir an des
l^bes not. Kettner belegt die stelle nicht, führt sie aber auch nicht
zugunsten von B* an. Braune (s. 113) verweist mit recht auf 988 j-,
über die Verwendung von twingen vgl. weiter 9274 A (nicht ganz
dazu stimmt 2922 A).
19303 hat A allein: daz was von den herrnn durch triuwe getan.
Gegenüber Kettner (s. 353) ist zu unterstreichen, dass die Verbindung
durch triuwe tuon nur hier vorkommt: vgl, 1221 4 mit grözen tri ii wen
getan; 14324 ez was mit triuiven getan (ebenso I77O4 daz st. ez).
durch triuwe ganz allgemein gefasst ist nicht nachweisbar, wohl aber
mit Personalpronomen: 1007 4 durch iuwer triuwe, IOI84 durch dine
fr., 11534 durch die tr. din. Dagegen begegnet durch triuwe im
höfischen roman, z. b. Er. 3415, 3961 ; Iw. 3151 usw.
19784 Guntheren der Burgonden künic st. Guntheren von den
Bürgenden: A singul'ar. Dieser und der folgende beleg sprechen
deutlich für die auch bei dem ersten Schreiber nachweisbare Vorliebe,
den titel bezw\ rang hinzuzufügen, siehe oben zu 400 1 (s. 90).
1980 3 der kunic Gernöt st. der starke Gernöt direkt stilwidrig.
Vgl. Kettner s. 362.
2036i A^/ere reken st. Hiimen reken B*; eine ähnliche änderung
ist 22683 A ziere reken st. guote reken B*. Diese dem XI. fremde
Verbindung setzte auch I 15124 in den text (statt riche reken): das
Zeugnis von Hd verbürgt ihre echtheit nicht ausreichend. Bartsch
setzte sie ohne grund 7524 (= 809 4 seines textes) ein, obwohl BAJd
ziere riter überliefern.
21523 zorns was (st. gie B*) im not: mir id not eines dinges
bedeutet im Nl. nur 'ich bedarf eines dinges' ; so liegt die änderung
auf der band. Der parallelismus von B* wird durch A nicht auf-
gehoben, w^eil A keinen befriedigenden sinn gibt.
2199 3_4 ... er hat getan (st. began) an uns eil groze triuwe:
triuwe tuo}i fehlt dem XL; zu triiiice began ati + dat.-obj. vgl. 937.2.
2251 2 A des get mir gröziu not st. {ein idmer) vor aller miner
not B*. Kettner (s. 354) sucht A zu verteidigen: mir get groziu not
mit gen. ist aber schlechterdings unmöglich im stile des Kl., denn in
der formel mir get not mit gen. steht nie ein adjektivum. Vergleichbar
ist nur 1812. C!
2299 3_4: die ausserordentlichen Schwierigkeiten dieser stelle be-
hebt auch Braune (s. 145 f.) nicht gänzlich. Hier nur einige stilistische
bemerkungen zu A: 22993,, ist nicht nur metrisch anfechtbar, sondern
stilistisch geradezu falsch : das epitheton ein helt uz Bürgende lant
GERHARDT, ZU AMBRO.SIUS ÖSTERREICHERS SCinVEItDTTANZ 97
kommt Günther nicht zu (kein beleg!). Zu seiner führung ist ledig-
lich Dankwart berechtigt; sonst erscheint es nur pluralisch. 22994 b
ist ein höchst verdächtiges a-ai; £ip7;[yivov, in dem ein ähnlicher ge-
schmack zutage tritt wie in den änderungen 9694 und IOI43 des
ersten Schreibers. B* bietet dagegen 22994 b eine formelhafte, von
Kettner allerdings nicht zugunsten von B* aufgeführte wendung.
Höfisches her ist analog dem geschmacke des ersten Schreibers
zugesetzt in 22654, 2276 1 vgl. Bartsch, Nib. not II 2, xxi.
KIEL. CARL CORVES.
MISZELLE.
Zu Aiubrosius Österreichers Schwerdttanz.
(Zeitschr. 40, 349 ff.)
So verdienstlich es von M. Schneider war, uns den text dieses godichtes ab-
zudrucken, so bedauerlich ist es, daß seine einleitung und anmerkungen in so vielen
punkten der berichtiguug und ergänzung bedürfen. Um es kurz zu sagen, ist näm-
lich kaum weniger als alles falsch, was sich auf die topographie der Stadt Nürnberg
und auf ihre reichsstädtische Verfassung bezieht. Aber auch einzelnes andere. Ich
bin weit entfernt, dem herausgeber des gedichtes daraus einen Vorwurf zu machen.
Handelt es sich doch dabei größtenteils um dinge, deren Verständnis ebensowohl
eingehende kenntnis der Verfassungsgeschichte wie eine nur an ort und stelle er-
werbbare Vertrautheit mit der topographie meiner Vaterstadt voraussetzt. Es gilt
eben auch für diese kulturhistorisch so lehrreiche, ästhetisch aber recht unbedeutende
dichtung das wort
'Wer den dichter will verstehen,
muss in dichters lande gehen.'
Bei der bedeutung, die der Nürnberger meistergesang in der literaturgeschichte,
der schwerttanz in der Volkskunde spielt, sind daher vielleicht die folgenden bemer-
kungen manchem leser der Zeitschrift nicht unwillkommen.
Was zunächst die person Österreichers betrifft, so wäre es ein grosser Irrtum,
mit Schneider s. 3489 anzunehmen, er habe fingiert, 1561 dem schwerttanz 'als
kleiner knabe' zugeschaut zu haben. Denn auch wenn wir nicht durch Goedeke '
und Tli. Hampe ^ wüssten, dass bereits 1558 meistergesänge Österreichers im druck
erschienen sind, die er also sozusagen als säugling müsstc gedichtet haben, so sagt
ja Schneider selber eine seite vorher und wenige selten nachher das gegeiiteil seiner
erstangeführten behauptung. S. 354 druckt er ja das schon im folgenden Jahr 1562
erschienene geistliche gedieht Österreichers auf die pestilenz ab, und s. 347 anm. 1
1) Grundriss 2, 260, 41 f.
2) Hans Sachs-forschungen, licrausg. von A. L. Stiefel, Niirnl)erg 1894, s. 399.
ZEITSCIIKIFT F. DEUTSCHK IMII I-OLOC IK. JU). XUI. 7
98 GEP.HARDT
stellt er selber ihn uns im jähr 1B66 als bürger und poeten vor. Fürwahr, ein
sehr plötzliches ausziehen der kiuderschuhe !
Österreichers worte (vers 326 f. )
Ich lieff mit als ein kleiner pub
Und wolt auch sehen diesen strauss
besagen doch auch sprachlich nichts weiter, als dass er wie ein kleiner junge, mit
der neugierde eines kleinen jungen dem meuschenschwarm nachgelaufen ist.
Wir wissen nicht viel über Österreicher. Herrn direkter Hampe verdanke
ich den nachweis, dass in dem IV., die jähre 1569 bis 1571 umfassenden Nürn-
berger totenbuch des kgl. kreisarchivs daselbst sich zum 31. mai 1571 auf blatt 177
der eintrag befinde: 'Ambrosius Österreicher, maier in der Ledergassen, f im Spittal'
und gegenüber 'der vormundtpieter hat angetzaigt er konns nit erfragen [nämlich,
wie es sich mit der Verwandtschaft, den erben usw. verhält], actum den 21t. july
1571'. Ob aber dieser maier A. Ö. mit dem dichter und 'teutschen Schreiber' iden-
tisch ist?
Als ich mir am 10. September 1909 das buch am kgl. kreisarchiv selber vor-
legen Hess, las ich aber deutlich Lodergasseu, nicht Ledergassen, was für uns von
bedeutuug ist.
'Das buch d^ ustorbe' des Heilig-Geist-spitals ' enthält zum 31. mai 1571 nur
den eintrag:
'81 / starb arabrosi9 / Österreicher ein maier'.
Nun besitzt nacli den 'Libri literarum' des Nürnberger Stadtarchivs, d. h. den
bei amte verbliebenen abschriften gerichtlicher Verlautbarungen, band XIII, blatt 62''.
63, ein Hermann Österreichler) am Eritag vor Sannt Mertinstag 1495 ein haus in
der Lodergasse, der jetzigen Ottostraße, das er nach Libri lit. XI, 25'», wo aber die
belegenheit nicht angegeben ist, am montag nacli Bonifacius 1494 von Michel und
Elsbeth Schmid gekauft hatte-.
Wenn nun unser Ambrosius Österreicher identisch mit dem 1B71 mai 31
begrabenen maier A. Ö., oder wanin er der erbe jenes Hermann Österreicher war,
möglichkeiten von denen sowohl die eine wie die andere, wie auch aUe beide
denkbar sind, so stimmt zur läge seines hauses in der Lodergasse vortrefflich seine
angäbe vors 22, dass er nicht weit von seiner wohnung in die Kotgasse kommt.
Es ist nämlich ein widriges schicksalsspiel, dass von den zwei nach dem
alten druck möglichen lesungen Kotgassen und Korgassen der herausgeber nicht
die einzig mögliche erste, sondern die sachlich unmögliche zweite in den text auf-
genommen hat.
1) Nürnberger Stadtarchiv S XVII a, 120 in fol., ohne seitcnzählung, aber
nach der zeit angeordnet, umfassend die jähre 1536—1577.
2) Wenn Hermann Österreichers haus, Lib. lit. XXII, 18 'J, am Pflnztag nach
sant Franciscen tag 1506 und, XXIII, 111, mitwoch nach Martini 1508 als in der
Ledergassen gelegen erwähnt wird, so beruht diese angäbe sicher gleich Hampes
zitat auf einem nicht allzu seltenen lesefehler e für o, also Ledergasse für Loder-
gasse, denn das haus kommt, XXFV, 10, zum 29. november 1507 vor als austossend
an das hinterhaus eines anwesens 'an der Schmidgassen', d. i. der jetzigen Ludwigs-
strasse und gegenüber der Jakobskirche. Lodergasse und Schmidgasse aber laufen
parallel zu einander an beiden selten eines häuserblocks, während die Ledergassen
gauz wo anders liegen.
ZV AJimtosirs (Österreichers schwerdttaxz 99
Denn eine Korgasse hat es in Nürnberg nie gegeben, wohl aber eine
Kiitgasse. Und zwar werden wir unten sehen, dass sicher diese gemeint ist. Kot-
fjasse ist der alte name für die jetzige Brunnengasse, eine der nächsten und
bequemsten Verbindungen von der gegend bei St. Jakob nach Sanct Lorentzen.
Dieser name Kotgasse ist im täglichen verkehr noch in der Jugend der jetzt
zum absterben kommenden geueration, also noch bis über die mitte des 19. Jahr-
hunderts, gebräuchlich gewesen, und so finde ich ihn auch noch 1842 in einem
halbamtlichen adressbuch in klammer neben dem jetzigen namen Brunnengasse
aufgeführte Auch in der literaturgeschichte ist sie nicht ganz unbekannt: in ihr
war Hans Sachs geboren -.
War nun auch die Kotgasse eine der bequemsten, so war sie doch nicht die
bequemste Verbindung zwischen den gegendeu um die Jakober und die Lorenzer
kirche an sich. Allein wenn Österreicher vorgibt, er sei zufällig zum schwerttanze
gekommen, so fällt er gerade damit aus der rolle, dass er in die Kotgasse kommt
und verrät sich, dass es seine absieht war, zu des 'alten herrn Im Hoff' hause zu
gehen, wo er wusste, dass die messerer tanzen würden.
Und abgesehen davon, dass vermutlich der schwerttanz der messerer eine auf-
führuug war, auf die die Nürnberger damals mit vielleicht der gleichen Spannung
warteten wie kürzlich auf das luftschiff des grafen Zeppelin und heute auf den
Parseval-ballon, und der tanz vor den ältesten im rat jedesmal stattfand, abgesehen
davon glaube ich, dass unser dichter höchstwahrscheinlich nahe beziehungen zu
messerermeisteru seliger hatte.
Nach dem Protokoll des schwerttanzes 1561^ befand sich unter denjenigen
meistern 'die neben vnd vmb die Eosen getantzt', auch Endres Österreicher, und
unter den gesellen ein Hanns Österreicher*, vielleicht Endres' söhn.
Und wenn wir auch trotz der gleichheit des immerhin nicht gerade sehr
häufigen familieunamens noch nicht auf Verwandtschaft zu schliessen brauchen, so
war der messerer Endres Österreicher ein nachbar des maiers Österreicher in der
Lodergasse, denn wir finden in dem Verzeichnis der ins Hl. Geistspital aufgenom-
menen^ in der rubrik mit der Überschrift 'Ao 1605 hereingekommen' folgenden
eintrag 'Margretha Österreichin. Andreaß Osterreichen geweßnen messerschmidts
hind'laßue Tochter. In der Engletsgaß. bürg, den 23 Marti 1605', und in der
zweiten 'hinaus, den 14. October. Ao 160.5'. Zwar können in dem namen der gasse
der fünfte und sechste buchstabe ebensogut als n und d oder als blosse Schnörkel
gelesen werden. Allein die abkürzung kann nicht anders verstanden werden denn
als Engelhardsgasse und diese stösst im rechten winkel auf die Lodergasse,
und zwar an dem nach dem stadtinneren gehenden, also verkehrsreicheren ende
1) Vollständiges adressbuch und handlungssclicmatisuius der stadt Nürnberg
und des ganzen Burgfriedens. Nach den besten quellen bearbeitet. Nürnberg 1842.
Verlag von Carl Felssecker, s. 104 f., 109 ff.
2) Ernst Mummenhoff, Hans Sachs. Nürnberg 1894, s. 6f.
3) Der Messerer Schwcrtttantz, wie der Im 1661 ten lar von einem ganntzen
Hanndtwerck In der Löblichen Eeichsstadt Nuremberg von Maisteni Gesellen vnnd
Puben zu löblicher gedechtnus Irer Alke« Freyiieiten gehallten vnnd getanntzet
worden Ist, in einem sammelbande der messererzunft — dem von Müllenhoff, Festg.
f. Homeyer s. 119 für verschwunden erklärten? - jetzt im städtischen archiv zu
Nürnberg unter der sign. 'Messerer 1', fol., blatt 6 rückseite.
4) Ebd. blatt 10 vorders.
5) Städtisches archiv S XVII ->, 122 fol., blatt 132.
100 OEBHARDT
beider gassen, sodass wir annehmen können, die beiden männer hatten schon
manches stückleiu weg miteinander gemacht.
In dem protokoll über den schwerttanz 1570 ' hab ich keinen Österreicher
melir gefunden, wohl aber in dem stück 'Steur augelegt In das verprentt greifcn-
burck 1567 lar an 16 ~ Junius' '• -. Da gibt Hanns Österreicher 15 ^.
Bei der Sammlung zum ersatz für drei aus der truhe des messererhandwerks
in der Lorenzkirche um 1567 gestohlenen Leücht-Tüecher gibt Endres Ostereicher
mit noch fünf anderen zusammen 20 J) ^
Auch hieraus können wir vielleicht auf eine Verwandtschaft unseres Ambro-
sius mit der niessererfamilie Österreicher schliessen, dass diese 1567 zum letzten
mal vorkommt, und dass nach Ambrosius' tode der Vormundbieter keinerlei Ver-
wandtschaftsverhältnisse ausfinden kann. Aber beim heutigen stände der akteu-
repertorisierung sind das alles vorläufig noch offene fragen.
Was aber Schneider mit den Worten s. 348 25 'zur stadt hinaus zum hause
des ersten ratsherrn' meint, das ist mir schlechterdings unverständlich. Von einem
austritt aus der stadt ist mit keinem werte die rede. Denn wenn der dichter sagt
35 Als ich kam durch die gassen nauss
Fürs alten Herren im Hof hauss
so bedeutet das [hijnaus eben nur den Übergang aus der engen Kotgasse,
die gelegentlich im gegensatze zu der ihr näclist liegenden Breiten auch die
Schmale gasse hiess ^, auf den offenen, freien Loreuzer platz. Dieser aber und
sämtliche au und nahe bei ihm liegenden Imhötfischen häuser lagen und liegen in
der inneren stadt, nicht nur innerhalb der dritten und letzten um 1380 angelegten
umwallung, sondern noch innerhalb der vorhergehenden zweiten.
Nach Lochner* waren zu beginn des 16. Jahrhunderts eine ganze anzahl von
häusern in der nähe der Lorenzkirche in Imhöffischem besitz. In betracht kommt
aber höchstwahrscheinlich nur das tafel XVHI angedeutete jetzt bankier Kohnsche
eckanwesen Königsstrasse 24, 26 und Bruunengasse 2, alte nummern L 367, 368,
369, also die ecke der hier zu einem platze erweiterten Königsstrasse und der ehe-
maligen Kotgasse, dessen aussen- und Innenansichten um 1700 uns in Zeichnungen
von J. A. Böner '" erhalten sind.
Schon die ganze darstellung Österreichers, sein weg durch die Kotgasse und
vor allem das sichstauen der menge gerade am ausgang der Kotgasse sprechen
deutlich für dieses unter den vielen ImhöfSschen häusern, das auch sonst bekannt
ist durch die legende, die sich daran knüpft. Im jähr 1386 soll nach einem gast-
mahl der damalige besitzer dieses hauses, auch schon ein Im Hoff, einen goldenen
becher vermisst und des diebstahls daran seinen alten treuen dieuer bezichtigt
haben, der denn auch trotz allen leugnens hingerichtet wurde. Als dann Im Hoff
1) Im sammelband 'Messerer 1' des Stadtarchivs.
2) Das nürnbergische Städtchen Gräfenberg — Wirnts Vaterstadt — war am
4. juni 1567 vollständig abgebraunt durch die Unvorsichtigkeit eines pferdeknechtes,
der beim reiten in die schwemme den kienspan an einer hölzernen säule im stall
hatte brennen lassen. Vgl. G. K. Adler, Geschichte und beschreibung des Städtchens
Gräfenberg, Nürnberg 1850, s. 52 f.
3) Mummenhoff a. a. o.
4) Topographische tafeln zur geschichte der reichsstadt Nürnberg. Heraus-
gegeben von Georg Wolfgang Karl Lochner. Dresden [1874], tafel XVII. XVIIl.
5) Nachgebildet bei Hugo Barbeck, Altnürnberg, niappe 7, Nürnberg 1896,
tafel 5 und mappe 11 [o. j., zwischen 1896 und 1900], tafel 7.
zu AMBROSIUS ÖSTERUEICHERS SCHWERDTTAXZ 101
den becher in seinem eignen geheimschranke fand, wurde zum ewigen gedächtnis,
dass er eigentlich selbst den tod durch den strick verdient habe, ein solcher über
seiner haustüre aufgehängt, wo er Jahrhunderte lang zu sehen gewesen sein soll '.
Dieses haus ist auch auf dem plane hinter dem XI. bände der Chroniken
deutscher städte mit dem titel 'Nürnberg im 16. und 16. Jahrhundert' unter nr. 43
als 'Andi-eas Imhofl' bezeichnet. Freilich ist die quelle für diese angäbe nicht
nachgewiesen. Allein da dieser plan nach angaben Hegels s. 888 unter mithife des
damaligen stadtarchivars Lochner gefertigt ist, so dürfen wir die bezeichnung als
zuverlässig betrachten.
Auf diesen plan verweise ich auch für andere noch vorkommende örtlich-
keiten, und kann mit rücksicht darauf die ursprünglich beabsichtigte beigäbe einer
kartenskizze zu diesen ausfükrungen unterlassen. Das haus Furtenbachs wäre auf
diesem plane in feld C 3 einzutragen, da wo die buchstaben b und L von 'unter-
hall) Lorenzen' an den häuserblock östlich davon rühren. Der 'Herrenmarkt' steht
auf ihm als 'Salzmarkt'.
Es ist nämlich ferner ein irrtum, wenn Schneider s. 349 8 und anm. 6 angibt,
die bezeichnungen 'Herrenmarckf vers 7. 240. 319, marckt 286. 309. 324 und platz
31.5 seien ein und dasselbe. Der dichter sagt ja ausdrücklich, dass er an den
Herren Marckt hinaufgeht (819), weil ihm am Marckt (309) der platz zu eng wurde
(316). Unter Herrenmarckt ist also etwas anderes zu verstehen als unter Marckt,
nämlich der strassenähnliche nordwestliche ausläufer des marktplatzes, etwa vom
Schönen brunuen bis zur Sebalduskirche -, während Marckt bei Österreicher eben den
eigentlichen markt platz meint. Dass heute auch offiziell beide unter dem einen
namen Hauptmarkt zusammengefasst sind, und eine häuserzählung durch beide
durchgeht, tut nichts zur sache: noch in meiner jugeud wurden in der täglichen Um-
gangssprache beide als Herrenmarkt und Markt oder Marktplatz auseinandergehalten.
Da beim Schembart bisweilen die 'hölle' vor dem rathause gestürmt oder verbrannt
wurde, so sind uns gerade in den Schembartbüchern des öfteren abbildungen der
obersten, dem rathause schräg gegenüberliegenden häuser am Herrenmarkt, vor
allem der alten von Bayern abgerissenen 'Schau', als hintergrund erhalten, so auf
blatt 12/13 des Schembartbuchs der Hamburger stadtbililiothek'' als hintergrund zur
abbildung der hölle beim letzten Schembart 1639, sodann in demjenigen, das
M.M.Mayer benutzt hat, als hintergrund zum 'zämertanz' der metzgerS und wie
es nach Müllenhofts andeutung'' scheint, auch im Berliner cod. Germ. fol. 442, 3,
blatt 86 \
Dass endlicli platz (315) kein eigenname einer bestimmten örtlichkeit,
sondern gleichbedeutend ist mit räum, ergibt sich schon aus dem Wortlaut der
platz wurd beengt.
1) J. M. Lotter, Sagen, legenden und geschichten der Stadt Nürnberg, Nürn-
berg 1896, nr. 106.
2) Lochner, tafel VIE.
3) Herausg. von Karl Drescher, Weimar 1908.
4) Des alten Nürnbergs sitten und gel)räucbe geschildert von Moritz Maxi-
milian Mayer, I. abteilung, erstes lieft, Nürnbergisches Schembartbuch, Nürnberg
1831, abb. vor seite 25.
5) Festg. für Homever s. 119.
6) Nach einer pause, die mir herr professor Drescher davon zu nclimcii die
gute hatte, ist es die den westlichen abschluss des marktplatzes bildende südliche
fortsetzung jener häuserreihe (korrekturnote).
102 GEBHARDT
Nach seinen Worten 349 n, der tanz am abend des zweiten tages finde statt
'am Fortenbach', scheint Schneider den Fortenbach für ein dnrch die stadt fliessen-
des gewässer zu halten.
Des dichters werte (vers 352)
Sie gieugen ein zum Fortenbach
besagen aber deutlich, dass die schwerttänzer iu das nachmals Waldstromerische,
jetzt Kuglerische, haus, alte nr. L 11, neue Königsstrasse 11, eintraten, das der
bekannte Bonaventura Furtenbach 1503 erworben hatte und bis zu seinem tode
1564 juni 24 bewohnte K
s Stromers haus (vers 328) vermag ich nicht zu bestininien, wie es denn
gerade bei den angehörigen der ratsfähigen geschlechter mit ihren ruhigen ge-
sicherten Verhältnissen überhaupt oft sehr schwierig ist, festzustellen, wo sie ge-
wohnt haben, da nach Nürnberger recht nur verkaufe, nicht aber besitzüber-
tragungen im erbgang verbrieft wurden. Nach Biedermann - waren damals nur
zwei erwachsene männUche glieder dieses geschlechts in Nürnberg vorhanden :
Hans IV, des reiches Stadt-, blut- und bannrichter, geb. 1517 nov. 1, -{- 1592 und
Fritz Friederich, alt genannter, geb. 1522 juli 8, ■]- 1580 aug. 30, von denen aber
nur der letztere in betracht kommt, da Hans 'um Entleibung eines Edelmanns
Tfillen durch das Kriegsrecht zum Todt verurteilt, aber von E. E. Rath zu Nürn-
berg zu ewiger Gefängniß erbetten' sich von 1554 au bis zu seinem tode 1592 'in
solcher gefängniß' befand ^ Darum nennt auch das protokoU wie deii Fortenbach,
so auch nur den herrn Stromer, während alle anderen, dort sowohl, wie bei Am-
brosius Österreicher, entweder durch den vornamen oder den titel näher bezeichnet
sind, z. b. 'der alte herr Im Hoff' oder 'Enndres Im Hoif' , 'heiT Barnabas Bömer'.
Al)er wo Fritz Friederich gewohnt, liesse sich wohl nur feststellen, wenn sein haus
einmal als nachbarhaus zur bestimmung der läge anderer angegeben ist. Darauf-
hin sind aber leider die Libri lit. aus der zeit um 1560 noch nicht repertorisch
bearbeitet. Das stattliche, jetzt Meisenbachische, haus des berühmten Ulmann
Stromer am Markte, alte nr. S 880, neue Obstgasse 2*, war seit 1479 nicht mehr
in Stromerischem besitz ^, und 'Stromer zu den Rosen' " kommt wiegen seiner läge
in der Dillinggasse, der jetzigen Theresienstrasse, wohl nicht in betracht.
Wenn Schneider s. 348 anm. 4 sagt 'wie der zusatz „alter herr" ergibt,
kann 1661 kein anderer als Johann II Imhoff... der gemahl der Felicitas
Pirkheimer . . . gemeint sein', und sich dafür mit einem hässlichen druckfehler auf
Witt statt Will, Nürnberg. Gelehrteulexikon II, 231 beruft, so behaupte ich mit
mindestens eben derselben Sicherheit: wie der zusatz 'alter herr' ergibt, kann 1561
unmöglich Johann II Im Hoflf, sondern kann kein anderer gemeint sein als sein
jüngerer bruder Endres Im Hoff (der ältere), geboren 1491 nov. 29, der 1523 in
den rat und zum jungen bürgermeister, 1529 zum alten bürgermeister, 1539 zum
1) [Georg "N^'olfgang Karl] Lochner, Die noch vorhandenen abzeichen Nürn-
berger häuser. Nürnberg 1855, s. 45 und desselben Topographische tafeln, tafel XVII.
2) Johann Gottlieb Biedermann, Geschlechtsreirister des hochadeligen patriciats
zu Nürnberg. Bayreuth 1748, tafel 467. 469.
3) AVappenbuch des Germ. mus. 7178 foL, s. 77.
4) Plan hinten iu Chron. d. deutsch, städte XI, nr. 36, feld C 2.
5) [Lochner,] Abzeiclien s. 9 f.
6) Plan, nr. 37, feld C 2.
zu AMBROSIUS ÖSTERRER'HEKS S(H\VI-:UI)rr.\NZ 103
alten herrn, 1544 zum obersten hauptmann und losungsherrn gewählt worden war
und als solcher 1579 okt. 28 gestorben ist, nachdem er 56 jähre 'regiert' hatte '.
Ein bildnis von ihm gibt Reicke in dem in der nächsten anmerkung an-
geführten werke s. 282 wieder. > In seiner jugeud war Endres Im Hoff selber der
beteiligung au öffentlichen lustbarkeiten nicht abgeneigt gewesen, und so wissen
wir von ihm aus den Schembartbüchern, z. b. demjenigen der Ambergerschen
Sammlung in der Nürnberger stadtbibliothek nr. 427, blatt 60, dass er 1518, also
in seinem 28sten jähre, im Schembart mitgelaufen ist.
Es ist eben das missliche, dass man solche dinge aus dem alten Nürnberg
nicht kommentieren kann, ohne zu beachten, dass iu dem damaligen Nürnberger
Sprachgebrauch, der ebenso verknöchert war wie die ganze streng oligarchische
reichsstädtische Verfassung, dass da die wortgruppe alter herr durchaus nicht im
natürlichen sinn zu verstehen ist, sondern eine ganz bestimmte Stellung innerhalb
des rates angibt, genau wie ein jeder angehörige der 'geschlechter' von seinem
eintritt in den rat an den titel alter genannter führte, wenn er auch noch so
jung war, im gegensatz zu den gewöhnlichen genannten, die aus den 'ehrbaren'
gewälilt waren und kaum ein anderes recht hatten, als dass sie siegelmässig waren.
Da auch bei Hans Sachs und anderen dichtem öfters auf die Nürnberger
Verfassungsverhältnisse angespielt, beziehungsweise ihre kenntnis voraus-gesetzt wird,
so mag es erlaubt sein, auch hier in dieser germanistischen Zeitschrift die Zu-
sammensetzung des rates in der 'freien' reichsstadt Nürnberg kurz, scheniatisch,
anzugeben, unter vorausschickung, dass in der regel nur derjenige zu den höheren
ämtern berufen werden konnte, der vorlier die niederen bekleidet hatte, und dass
die 8 handwerker überhaupt zu keinen eigentlichen ämtern zugelassen wurden. Sie
wurden auch nicht regelmässig zu den Sitzungen zugezogen und hatten auch dann
kaum etwas zu sagen, sondern waren bloss eine art saalordncr und türschliesser.
Es Sassen also im rate :
2 losunger, duumviri, . 3 .^erstehauptleut
quaestores, , , .
' ' triumviri,
7 fbisw. 8) alte
herren, eheste,
septemviri.
13 alte bürger-
iiieister,con-
sules,
1 Obersterhauptmann,
4, bisweilen 5, alte herren, elteste,
6, bisweilen 6, alte bürgerraeister,
13 junge bürgermeister,
26 bürgermeister,
8 alte genannte,
34 ratsherren, durchweg aus den 'geschlechtern',
8 handwerker, je einer aus acht bestimmmten gewerben,
42 bürger des rats.
1) Biedermann, tafel 244. Ferner u. a. handscliriftliches -Eathsliuch der Statt
Nurmberg . . . von mir N. M. beschriben Anno Cliristi 1619', in kleinstem 4'° auf
der Stadtbibliothek, Sign. Amb[ergersche Sammlung] 88 4*", angeordnet nacii den
jähren der wähl in den rat, zum jähr 1523.
Ein anderes anonymes 'Nürnbergisches Eathsbucb', Amb 376 fol.. mit schönen
gemalten wappen, nach dem abc der geschlechternanien angelegt ende des 17. Jahr-
hunderts, letzter eintrag 1737, lässt ihn blatt 41 vord. schon 1543 zum obersten
hauptmann und dann das jähr darauf zum losunger, 1565 zum schultheissen wählen.
Er war der erste, der mit dem losungeramte das des reiclisschultheissen ver-
band, das vorher stets von nichtpatrizischen adeligen bekleidet war.
104 GERHARDT
Aus dieser Zusammenstellung ist zugleich ersichtlich, wie die inhaber der
obersten amtssteilen alle zugleich aucli noch der nächstfolgenden gTuppe angehören.
Mit der einteiluug der 26 bürgermeister in 13 alte und 13 junge kreuzte sich aber
noch eine andere in 13 eigentliche bürgermeister, consules i. e. s. und schöpfen,
scabini '.
Da nun einerseits 1561 Endres Im Hoff (der ältere) losuuger war, ein Johann
Im Hoff aber überhaupt nicht im rate sass, so ist es schon deshalb ausgeschlossen, au
Hanß II zu denken. Denn angenommen, er wäre damals der an jähren älteste ge-
wesen, so spielt das lebensalter dem zeremoniell gegenüber nicht die mindeste rolle.
Selbst wenn wir es aber nicht aus zeremoniellen gründen für ausgeschlossen
halten müssten, dass der von Österreicher gemeinte alte herr Im Hoff Johann II,
der gemahl der Felicitas Pirckheimer gewesen sei, von dem es Schneider mit solch
bestechender Sicherheit behauptet, selbst dann hätten wir einen sicheren beweis,
dass er es nicht war : Hanß II. Im Hoff war nämlich bereits vor mehr als einem
dritteljahrhundert, am 2. juli 1526, gestorben-.
Wenn nun Österreicher sagt:
V. 251 Sie werden tantzen in der stat
Für den vier eltesten im rat,
Hans Sachs dagegen in 'Der mesrer schwertancz im 1640 jähr':
die gestert mit
V. 35 Auch haben gedanczet zu ern
Vür den hewsern der sieben hern,
so ist dieser Widerspruch nur scheiul)ar.
Wir sahen aus unserer Zusammenstellung der höchsten ämter, dass unter den
eigentlich regierenden sieben alten herren oder sieben eltesten dreie noch eine be-
sondere Stellung iuue hatten, nämlich als die obersten hauptleut, und unter diesen
"wieder zweie als die losunger von dem dritten sich abhoben.
Wenn nun die schwerttänzer von des alten herrn Im Hoff haus abziehen und
noch vor denen der 'vier eltesten' zu tanzen haben, so gebraucht eben Österreicher
die bezeichnung die vier eltesten in dem sinne 'diejenigen vier unter den sieben
eltesten, die nicht ein noch höheres amt bekleiden', während Hans Sachs, wenn
er am zweiten festtage von den begebenheiten des ersten erzählt, die drei obersten
hauptleut und die übrigen vier eltesten als die sieben hern zusammenfasst.
Ja, vielleicht können wir sogar einen weitereu schluss auf das zeremoniell
aus der erzählung Österreichers ziehen.
Im rate vollzog sich nämlich die abstimmung nicht so, dass zuerst der erste
losunger, dann der zweite losunger, dann der dritte oberste hauptmann, dann der
viertälteste herr seine stimme abgegeben hätte usw., sondern es war eine andere
1) Vgl. hierzu z. b. Merlans Topographia Franconise, Frankfurt a. M. [1650],
s. 69 oder den, übrigens sehr schwer verständlichen, brief Christophs Scheurls an
.Johann Staupitz vom 15. dezember 1516, abgedruckt bei Joli. Christoph AVagenseil,
De civitate Noribergensi commentatio, Altdorf 1697, p. 191 ff. und in alter deutscher
Übersetzung in Chroniken deutscher städte Bd. XI : Nürnberg, Bd. V, Leipzig 1874,
s. 785 ff., oder Emil Reicke, Geschichte der reichstadt Nüi-nberg, Nürnberg 1896,
s. 260 ff.
2) Biedermann, Tafel 235.
zu AMBROSIU« ÖSTERREICHERS SCHWERDTTAXZ 105
mit grossem Scharfsinn, um nicht zu sagen, grösster Spitzfindigkeit ausgetüftelte
reihenfolge üblich \
Nach der handschrift des Germauischen museums 31 794, einem bis 1762
reichenden Rathsbuch in fulio, in der gleichfalls bei jeder neuaufziihlung des rates
vor jedem namen eines ratsmitgiiedes die zahl beigefügt ist, nach der er 'an der
frag' war, war Endres Im Hoff, obgleich losunger, dennoch der dritte an der frag.
Wenn nun beim wegzug von Im Hoffs hause noch vor vier eltesten zu tanzen
übrig war, so scheint daraus hervorzugehen, dass auch bei solchen huldigungen der
Itürgerschaft vor den herrschenden die gleiche reihenfolge eingehalten werden
iiiusste, wie sie innerhalb des rates bei der abstimmung üblich war.
Möglich ist aber auch eine andere auffassuug der zahlangabe. Im Protokoll
blatt 14, rückseite, finden wir unter den einnahmen auch verzeichnet, es habe ver-
ehrt: 'H. Endres Im Hoff 3 thaler, H, Linhart Tucher vnd H. Iheronimus Baumgartner
leder 3 thaler, H. Jacob Muffel 3 thaler, H. Barnabas Bemer 4 thalcr und H. Sebald
Haller 3 thaler'.
Also haben fünf herren den gleichen betrag von 3 talern gegeben. Da
wir nun wissen, dass vor Endres Im Hoff getanzt wurde, und da ferner die übrigen
4 drei-taler-schenker auch 'alte herren' waren, so fällt es auf, warum die beiden
übrigen alten herren dieses amtsjahrs, Jobst Tetzel, der damals 'der erste an der
frag' war, und Caspar Xützel sich weniger erkenntlich für die huldigung zeigten
als die anderen. Caspar Nützel war aber schon im laufe des jahres 1560 gestorben -;
und vielleicht war Tetzel damals abwesend, so dass also 1561 vielleicht
nur vor 5 alten herren getanzt worden ist, und wenn etwa bei Endres Im Hoff
angefangen war, so blieb nachher noch vor vieren zu tanzen übrig, wie Österreicher
vers 261 sagt, während die oben besprochene andere möglichkeit nur dann anzu-
nehmen ist, wenn für den im amtsjahr gestorbenen ein anderer zum eiteren herrn
aufgerückt ist, was ich nicht weiss.
Der ratsherr, der sich freigebiger gezeigt, als diejenigen eltesten, die durch
ihre 3 taler ihre erkenntlichkeit für die huldigung durch den tanz vor ihren häusern
ausgedrückt haben, Barnabas Pömer, war seit 1567 'Zeug-Herr' ^ und hat durch
seine gäbe eiue sehr reichlich bemessene gegengabe geleistet für ein andenken, das
ihm die zunft überreicht hatte, wie wir gleich sehen werden. Dass dem haudwerk
'ein E. Rath Auß gemeiner statt Losungstuben verehrt 50 thaler' ', daran hatte er
wohl keinen anteil, er, der ja kein losunger, ja nicht einmal alter herr, sondern
nur altbürgermeister war^. So hatte der gute wille, den er bewiesen, und für den
er ein ganz besonderes andenken erhalten hatte, wohl darin bestanden, dass er als
zeuglierr sich für die Stellung von stadtknecliten und reitern, stadt- und ratspfeifern
un 1 trommlern verwendet haben dürfte.
Vielleicht mag nämlich den lesern der Zeitschrift auch mir einer weiteren
rechnerischen mitteilung gedient sein, nämlich der, dass sowohl der herr Stromer,
als der Fortenbach durch ein andenken dafür entschädigt wurden, dass sie ihre
häuser zur verfüouns: cestcllt haben. Wir lesen nämlicli in dem Protokoll über
1) Chroniken XI, 805 nach hs. Germ. mus. 5052, 4 1».
2) Germ. uius. 31 794 zum jähr 1560, blatt 97.
3) Biedermann, Tafel 573 B.
4) Protokoll im sammelband 'Messerer 1' des Stadtarchivs, blatt 1, rückseite.
5) Rathsbuch des Germ. nius. 31 794 fol. blatt 97.
106 (JEBHARDT
den schwerttauz ' 'Item so haben wir vier Credentz schaiden mit eyseren messeren
machen lassen, die wir hernachuermellten heiTn gescheuckt vnnd verehrt haben
Costen In alles fl 7/ 3 •*? 23 nemblich [1] herrn Barnabas Bömer eine d* vns dann
allen guten willen hewisen hatt. [2] Mer dem herrn Stromer eine, bey dem sich
die 2 preutt, auch Frauen und Juuckfraueu versamblet haben. [3] Mer dem Forten-
pach eine da d« sehwerttantz außgangen vnnd nachuolgeundts d^ Frauen vnd Junck-
frauen tanntz gewest. [4] Mer dem Jörg Thraiuer eine, d^ vns dz haus darlnu ett-
lich maister gezecht vergunth hat'.
Über den empfänger des vierten gedenkmessers finde ich in der Topochrouo-
graphia Noribergeusis - folgende angäbe 'Görg Trainer stehet unter den Genanten
zu Nürnberg im jähr 1537, wurde ein Yiertheilmeister der Burgerschaft im Jahr 1562".
Er war also 'ehrbar', was die Vorbedingung zum genanntenamt war, aber ebenso-
wenig ratsfähig wie der Fortenbach, wie schon äusserlich an dem mangel des titeis
herr zu erkennen.
Sieht man schon aus der 'Verehrung' für den guten willen an den herrn
Pömer, dass damals den regierenden die annähme kleiner geschenke nicht als un-
recht erschien, so darf vielleicht bei dieser gelegeuheit noch auf einen auderen
ähnlichen umstand hingewiesen werden.
Die entstehung des Schenibarts der metzger wie des schwerttanzprivilegs der
messerer sind in das gleiche mystische dunkel gehüllt wie der ganze aufstand von
1349, auf den sie zurückgeführt werden. Bei diesem aufruhr 'sollen^ die messer-
schmiede (und die metzger) dem rate treu beigestanden haben' sagt Schneider
s. 348 anm. 2 : ist es nicht merkwürdig, dass gerade diejenigen züufte ihre standes-
genossen im kämpfe um die bürgerlichen rechte im stich gelassen haben sollen,
die fleisch und w äffen liefern? Gerade diese erwägung ist wohl am besten
geeignet, die richtigkeit der alten begründuug für die Privilegien zu bestätigen,
so dass wir eigentlich des hilfszeitworts sollen nicht bedürfen. Und selbst dieses
Privileg haben zwar nicht die messerer, wohl aber die metzger wiederum gar oft
um schnöden mammon verkauft, indem sie den Schembart an die 'ehrbaren' — d. h.
ratsfähigen und einige wenige aridere, nicht ganz rechtlose, bürger — 'vmbs geld
zu kauffen geben' ; oder, wie es meist umgekehrt ausgedrückt ist, wurde der Schem-
bart durch die ehrbaren 'bestanden von Metzkern' um so und so viel Ü.''.
Zu der angäbe des Hans Sachs, es hätten beim schvverttanz 1540 431 fechter
mitgewirkt, macht Schneider s. 348 ein ausrufezeichen. Das staunen über diese
hohe zahl ist begreiflich, und nach dem protokoll kommt auch diese zahl für 15til
nicht zustande, wenn wir bloss die eigentlichen schwerttänzer rechnen. Wohl aber
mag die gesamtzahl aller beteiligten diese höhe annähernd erreicht haben. Wir
finden darin ausgegeben :
maister so in der ersten rosen getanzt haben 28
„ „ „ „ anndern „ ,, „ 27
„ „ „ „ dritten „ „ „ 27
,, „ ,, vierten ,, „ ,, 28
,, ,, neben und um die ., „ „ 48
1) Stadtarchiv, im samnielband 'Messerer 1', blatt 14 vorn.
2) Germ. mus. 7178, fol., s. 842.
3) Von Gebhardt gesperrt.
4) Z. b. 1485. 1489. 1490 usf. Schembartbuch der Hbg. stadtbibl., hrsgg. von
Drescher s. 8 ff.
t
zu AMBROSIUS ÖSTERREICHERS SCHWERT) ITANZ 107
summa aller maister 158
gesellen 89
meistersöhne und lehrjungen 114
alte maister so vor dem schwerttanz vorhergegangen sind 21
382'.
Dazu kamen aber noch, wie v.ir aus den kostenherechnimgeu ' sehen:
die stattpfeiffer
der vorhengela ^
der herrn Trummelschlager uud pfeifi'er
die Stattknecht
Jörg Zeyh maisterpott
10 Reuter, so daß, wenn wir 'der herren — d. h. des rats — trummel-
schlager und pfeifi'er' als eine gruppe rechnen, auf sie und die stadtpfeiffer und
stadtknechte nur je 12 oder 13 mann kommen, um die zahl tou 431 teilnehm ern
voll zu machen. Eechneu wir aber die ratstrommler und pfeifer als zwei gruppen,
so besteht durchschnittlich jede aus 9 oder 10 manu. Dass nämlich die stadtpfeifer
und die ratspfeifer nicht die selben sind, ergibt sich aus dem posten in der kosten-
rechnung : 'Item bey dem Suessen wein für d. Statpf eiffer vnd pf eiffer vnnd Drummel-
schlags> Stattknecht vnd 10 Reutter fl 5 / "*.
Dringend hätte übrigens vers 285 einer anraerkung bedurft, am nächsten
festtag
Zu morgens frü, da es vier schlug,
Gmachsam am Marckt ich fürhin zug,
Des Tantz het ich lust in gedanckeu.
Vier ubr früh am 17. februar alten stils, das war also 2^ji stunden vor
Sonnenaufgang, eine zeit die auf ein festfieber schliessen Hesse, das noch weit über
das eines kleinen hüben (vers 326) hinausgienge. Und auch der beginn des tanzes
zwei stunden später (vers 289), also 7-' stunde vor Sonnenaufgang, wäre in der
februarkälte kaum von den tänzern zu verlangen gewesen.
Hier war eine anmerkung zu machen, dass es sich selbstverständlich um
4 uhr auf der sogenannten 'grossen uhr'* handelte, also '/l» 11 unserer heutigen,
von den alten Nürnbergern, Rothenburgern, Windsheimern usw. 'die kleine uhr'
genannten Stundenzählung.
AVas sollen wir aber mit der sprachlich und sachlich gleich unbegreiflichen
angäbe s. 348, aum. 3 machen, das wort Göckelman vers 262 sei = Gökelhahn?
Es bedeutet doch, wie sich auch mit Österreichers darstellung aufs beste verträgt,
nichts anderes als einen spassmacher, oder wie wir heute sagen würden, einen
clown, vgl. Dwb. IV, I, I, 1552 samt den zahlreichen belegen daselbst. Damit fällt
auch Schneiders behauptung in sich zusammen, dieses wort sei nicht nachweisbar.
Ebenso ist diese behauptung völlig aus der luft gegriffen bezüglich Waidner
1) Protokoll, auf verscliiedenen blättern.
2) Vortänzer oder ausrufer; vgl. Schmeller-Frommann, I, 1069 und die dort
angeführten stellen.
3) Protokoll 12, rückseite.
4) Vgl. Wagenseil s. 137 ff'., Friedrich Nicolai, Beschreibung einer reise durch
Deutschland und die Schweiz, I, Berlin und Stettin 1783, s. 107 ff.
108 GEiniAKDI-, ZU AMBROSIUS ÖSTERREICHERS SCHWERDTTAXZ
vers 134 = waidmesser und tussecke vers 191 = eine waffe zum stoss. Ersteres
war schon mittelhochdeutsch (Lexer III, 740), und über das letztere handelt
Schmeller-Frommann I, 549 eine viertel, das Dwb. 11, 1189 gar eine halbe spalte
lang. Unter anderem kommt es aber auch vor bei Nikolaus Pol in seiner beschrei-
bung des schwerttanzes der kürschnermeister zu Breslau 1620, in dem satze 'da
hielten sie ihren schwerttanz, schlössen einen zirkel, fochten im schwert und
tussaken', den Müllenhoff beibringt auf seite 121 seines auch von Schneider benutzten
und mehrfach augeführten aufsatzes über den schwerttanz in den Festgaben für
Homeyer. Es durfte also höchstens heissen, dass ÖsteiTcicher ausser hartzhittel
noch ein nicht nachweisbares wort, weittorff, und von den übrigens bekannten
Wörtern göckelman und tusseck diese bisher nicht belegte wortgestalt oder
Schreibung gebraucht.
Doch scheinen die beiden Wörter hartzkittel und tusseck gerade für die beim
schwerttanz 1661 verwendeten gegenstände die technischen bezeichnungen gewesen
zu sein. Das protokoU spricht blatt 21 vord. von 3 par Busseckeii und vom
macherlohn solcher hartzkitl.
Zum schwerttanz selber könnte jetzt nachgetragen werden, dass alte hand-
zeichnungen dieser aufführung nunmehr allgemeiner zugänglich sind durch nach-
bildung auf der neunten und zehnten bildseite von 'Das Nüi'nbergische Schönbart-
buch. Nach der Hamburger Handschrift herausgegeben von Karl Drescher. Mit
97 Abbildungen auf 78 handkolorierten Tafeln', Weimar 1908, Gesellschaft der
Bibliophilen.
Ein paar stellen im texte sind der entstellung durch druckfehler dermassen
verdächtig, dass im anderen falle der herausgeber zur beruhigung der leser einen
hin weis hätte bringen soUeu, dass es wirklich so im alten drucke steht:
1. vers 109: 'Für den Ehrnuesten Herren hauss im Hof ist wohl zu lesen:
'Für des' usw. ;
2. vers 146: 'Hupauff' gegenüber s. 348 drittletzte textzeile 'Hupfauf ';
3. vers 265: 'An einem grossen kam der klein', wohl: 'An einen'?
4. vers 274: 'Ich sah in zu': im?
5. vers 307 : 'Die Eatsherren theten zuschawen,
Stunden oben bei unser Frawen
Gegen dem Marckt auft" einen gang;
Dem gfiel ir weiss wol . . .': 'auff einem gang'? 'Deu gfiel'?
6. vers 349: 'Yegkliche Junckfraw zu dem tantz
Het iteu fürer gebn ein krantz' : ireu oder noch eher irem für- iten ?
Endlich hiess der s. 347 unten und 348 anin. 2 genannte gelehrte nicht
Siebenkaes, sondern Siebenkees.
ERLAXGEN. AUGUST GERHARDT.
STOLZENBÜRG ÜBER DIEL.S, DIE STELLUNG DE.S VEKIUMS IM AIII). 109
LITERATUR.
Paul Diels, Die Stellung des verbums in der älteren altliocli-
deut sehen prosa [Palaestra LIX]. Berlin, Mayer & Müller 1906. 206 s.
7,60 m.
Das buch bietet mehr, als der titel besagt. Seit Braune ' den begriff der
'gedeckten anfangsstellung' eingeführt hatte, musste den formwörtern- eine grössere
rolle bei der Untersuchung der Wortstellungsprobleme zufallen. So hat auch Diels,
obwohl er die Stellung des verbums als einteilungsprinzip beibehält, dem demou-
strativpronomen, persönlichen prouomen und den unbetonten adverbien eine eiji-
gehende Untersuchung gewidmet und sah sich, um diese im Zusammenhang be-
sprechen zu können, genötigt, von dem ursprünglichen einteilungsprinzip vielfach
abzuweichen. Er behandelt im ersten teil die Stellung des verbums im hauptsatz,
und zwar nacheinander die mittelstellung, anfangsstellung und Schlussstellung des
verbums -. Das material wird für die einzelnen teile ausgebreitet und dann in be-
sonderen, an die einzelnen teile sich anschliessenden abschnitten besprochen. Für
die materialsammlung, die unter genauer Scheidung der belege nach ihrem jeweiligen
Verhältnis zur lateinischen vorläge angelegt ist, sind neben den Glossen und der
Benediktinerregel in erster linie Isidor, die Monseer fragmente, der Tatiau und die
kleineren prosadenkmäler verarbeitet. Für die spätere prosa ist (mangels eines ge-
nauen index für diesen Schriftsteller) nicht Notker, sondern Williram berücksichtigt.
Die kleineren poetischen denkmäler sind gelegentlich zum vergleich herangezogen.
Bei der dürftigkeit des zur Verfügung stehenden materials, seiner abhängigkeit
vom lateinischen und bei der Schwierigkeit, sich von der rhythmik der ahd. prosa
ein bild zu machen, nimmt es nicht wunder, wenn Diels trotz seiner eingehenden
und sorgfältigen Untersuchungen häufig zu keinen positiven resultaten gelangt ist *.
Ich weise jedoch auf die folgenden bedeutsamen ergebnisse seiner arbeit hin :
1. Einige betonte Wortklassen erweisen sich in bezug auf die Wortstellung
als einheit, nämlich das prädikatsnomen, die nominale ergänzung des prädikats
(infinitiv und partizip), die von adjektiven abgeleiteten o-adverbien und die präpo-
sitionaladverbien. Sie alle sind zur einleitung des hauptsatzes ungeeignet*.
2. Das ergebnis der Untersuchung über die formwörter findet sich auf s. 112:
'dass die sogenannte gedeckte anfangsstellung ein sekundäres produkt sei, d. h.
dass der satz ursprünglich nur mit einem betonten wort oder mit dem verb be-
ginnen konnte, nicht aber mit einem proklitischen wort'.
Für die beiden hauptgruppen der proklitika, das demonstrativ- und Personal-
pronomen, ergeben sich nämlich folgende Stellungsmöglichkeiten :
a) die durch besondere bedeutungsmomeute (emphasej bedingte voraustellung ;
1) Forschungen zur deutschen philologie, festgabe für K. Hildebrand.
2) Hierbei ist nur der unabhängige aussagesatz berücksichtigt, da der Ver-
fasser zur erkenntuis des fragesatzes, Wunschsatzes und der partizipialkoustruktioneii
'nicht wesentliches beizutragen verinoclite'.
3) Das gilt z. b. von der Schlussstellung des verbums, für die eine allgemeine
erklärung sich 'noch nicht versuchen' lässt.
4) Ungeeignet ist offenbar auch die reilie: io, iiio, ioman, nioman, iowihi,
7liOKiht.
110 STOLZENBUKG
b) die Stellung hinter dem satzbegiunenden verb in reiner anfangssteUung.
Diese Stellung ist jedenfalls in den älteren denkmälern noch nachzuweisen und
hält sich bei vorantretendem inti auch noch länger';
c) aus der Stellung b erst entwickelt hat sich oifenbar die in späterer zeit
ganz allgemein durchgeführte Stellung als deckung des satzbegiunenden verbs.
Bei dem demonstrativpronomen ist die entwicklung von b zu c noch deut-
licher zu verfolgen als beim persönlichen pronomen, wo sich belege für die ältere
Stellung ausser nach inti nur bei gleichzeitigem auftreten eines demonstrativprono-
mens finden.
Was von dem pronominalen Subjekt gilt, triift bei den unpersönlichen verben
auch für die casus obliqui zu. Im übrigen lässt sich über die casus obliqui des
persönlichen pronomens nur sagen, dass neben einigen fällen von voranstelluug,
die durch emphase ihre erklärung finden, doch 'eine reihe anderer bleibt', die ihrem
Inhalt nach durchaus als uubetont gelten müssen.
Für das demonstrativpronomen kommt noch die Stellung hinter einem verb
in mittelstellung in betracht. Gegen die oben ausgesprochene anschauung lässt
sich nicht die anfangssteUung gewisser unbetonter adverbia wie ouh, abur, doh, in
(schon) ins feld führen, da diese werte erst 'im verlaufe der Sprachentwicklung die
fähigkeit, vor den fertigen satz zu treten'. geM'innen (s. 109). Auch die untrenn-
baren verbalpräfixe widersprechen dieser anschauung nur scheinbar (vgl. s. 112 f.).
3. Nach den fällen von gedeckter oder gestützter anfangssteUung, die bereits
in dem abschnitt über die formwörter behandelt sind, bleiben noch die fälle von
echter anfangssteUung zu erledigen. Im anschluss an sie gibt Diels nochmals eine
Übersicht über sämtliche fälle von anfangssteUung des verbums und kommt (s. 136 f.)
zu dem ergebnis, dass es sich fast in allen fällen um verben handelt, denen ein
schwach betontes persönliches pronomen folgt -'. Diels liat die verben zu diesem
zweck in drei gruppen geordnet. In den beiden ersten gruppen geht das gesetz
unmittelbar aus den belegen hervor. Die dritte gruppe aber 'braucht nicht anders
erklärt zu werden, denn diese reihe ist fast identisch mit der reihe der sogenannten
medialen verben, d. h. der verben, die im as. und ags. (auch in der mlid. Volks-
sprache) mit einem unbetonten reflexiven pronomen verbunden werden. Dahin ge-
hören toesan, werdan, queman, arqueman, gangan, faran, stantan' usw. (s. 135).
Die anfangssteUung im angeschlossenen hauptsatz gleichen Subjekts scheint die-
selbe erklärung zuzulassen, wenn sich hier auch eine reihe von belegen der
obigen regel zu entziehen scheinen (vgl. s. 124).
Eine besondere Untersuchung ist auch der Inversion im nachsatz, die von
den konjunktionen des Vordersatzes abzuhängen scheint, und der anfangssteUung
des verbums nach der negation gewidmet.
Der zweite teil des buches untersucht die Stellung des verbums im neben-
s a t z. Den angeführten erscheinungen der hauptsatzstellung treten die folgenden
ergebnisse über die nebeusatzstellung zur seite:
1. Die zur einleitung des hauptsatzes als ungeeignet erscheinenden Wortklassen
1) Bei dem demonstrativpronomen bleibt diese Stellung auch lebendig in
Sätzen, die sich unmittelbar an einen satz gleichen Subjekts anschliessen.
2) Diels schliesst sich dabei an den schon von Todt (Auglia XVI) und Reis
(Zeitschrift 33) geäusserten gedanken an, dass es sich bei der anfangssteUung um
die eigentümlichkeit gewisser verben handelt.
TBEll DIELS, DIE STELLUNG DES VERBUMS TM AIID. 111
erweisen sich auch ia bezug auf ihre Stellung im nebensatz als einheit. Der älteste
zustand, vertreten durch den Isidor und die Monseer fragmente, ist der, dass nach
einem andern betonten wort (subjekt usw.) diese Wortklassen hinter dem verbum
stehen^; im laufe des 9.— 12. Jahrhunderts werden sie jedoch vor das verbum ge-
drängt und sind nun ziemlich streng an die stelle direkt vor dem verbum gebannt.
Sell)st bei den verben, die sonst anfangsstellung zeigen, treten sie vor das verbum
und 'stören so das bild', das sich von der anfangsstellung dieser verben ergibt. Es
lässt sich daher ein entwicklungszustand rekonstruieren, in dem für liaupt- und
nebensatz Übereinstimmung herrschte, und sich die regel aufstellen: 'von den voll
betonten Wortklassen hat keine im nebensatz vor das verb treten können, die es
nicht auch im haupt.-atz konnte, und wir gewinnen für eine unzahl von häufigen
typen die dem hauptsatz völlig entsprechende doppelheit: das verbum geht allen
l>etonteu gliedern voran (reine oder gedeckte anfangsstellung), oder es schliesst sich
einem dazu geeigneten, voll betonten wort, am häufigsten natürlich auch hier dem
Subjekt, an' (s. 203). Der hypothetische Charakter dieses Schlusses lässt sich freilich
nicht leugnen. Diels sucht die rückwärtsverlängerung der entwicklungslinie noch
dadurch zu stützen, dass er auf ihren verlauf in der neuesten zeit lünweist. Hier
liabe das verbum im nebensatz auch die andern betonten Wortklassen (die inhalts-
reichen akkusative, präpositionalverbindungen usw.) übersprungen und als regel der
unendlichen häufigkeit die endstellung eingenommen (s. 202). Das trifft zwar für
die Schriftsprache, aber nicht für die Umgangssprache zu, auf die wir uns doch
wohl in erster Knie zu beziehen haben -.
2. Für die Stellung der enklitika lässt sich das gesetz aufstellen, dass sie
im nebensatz vor alle andern Satzteile an den anfang, d. h. hinter die einleitung
des nebensatzes, treten. Ein älterer zustand wie im hauptsatz, wo sie anfangs
hinter dem satzbeginnenden verbum stehen, ist für den nebensatz nicht nachzu-
weisen.
3. Die anfangsstellung im nebensatz erweist sich als 'weseusgleieh mit der
im hauptsatz' (s. 201). Sieht man von den abhängigen finalsätzen und den ange-
knüpften nebensätzen ab, so sind auch im nebensatz zur anfangsstellung nur die-
jenigen verben befähigt, denen ein dativ oder akkusativ des persönlichen pronomens
folgt, beziehungsweise die sogenannten medialen verben.
'Vielleicht der einzige unterschied zwischen hauptsatz- und nebensatzstellung,
den man als von anfang an gegeben anerkennen muss', ist demnach in der ver-
schiedenen Stellung der enklitika zu suchen : 'im hauptsatz können die enkliticae in
älterer zeit dem satzbeginnenden verbum folgen, im nebensatz gehören sie unmittel-
bar hinter die einleitung und stets vor das verb'.
Das buch liest sich nicht gerade leicht. Durch die grosse fülle des aus-
gebreiteten materials werden die einzelnen erörterungen und ergebnisse vielfach
weit voneinander getrennt. Im zweiten teil sind die belege, die der lateinischen
vorläge entsprechen, fortgelassen, und Sammlung und darstellung sind zum vorteil
für die lektüre 'nach möglichkeit verwoben'. Der Verfasser selber bat ülirigens die
1) Deutlich nachweisen lässt sich diese entwicklungsstufe allerdings luir bei
der nominalen ergänzuny des prädikats (insbesondere bei der passivunisclircibung).
2) Vgl. Reis, Zeitschr. 33, 348. R. gelangt, hier zu dem resultat: die end-
stellung des Zeitworts ist im alid. entschiedener durchgeführt als in der mhd. Um-
gangssprache.
112 BOEK
inängel der darstellung empfunden (s. 8) und seinem buch eine einleitung voraus-
geschickt, die von der begrenzung und anordnung des Stoffes rechenschaft gibt.
Am schluss derselben glaubt er 'den Vorwurf, zu mechanisch gewesen zu sein',
zurückweisen zu müssen. Dieser Vorwurf soll gewiss gegen die sorgfältige und
reichhaltige arbeit nicht erhoben werden. Aber wenn der Verfasser sagt, 'das recht,
ein allgemeines und umfassendes bild der germ., der indogerm. Wortstellung zu
zeichnen', könne erst der erwerben, 'der zugleich alle eiuzellieiten an ihren platz,
der vor allem jeden beliebigen querschnitt durch die geschichte dieser Wortstellung
als ein in sich widerspruchsloses System aufzuweisen vermöchte', so hiesse das
wohl auf ein bild der germ. Wortstellung verzichten. Gegen wen diese bemerkung
in erster linie gerichtet ist, ersieht man aus einer anmerkung auf s. 4, wo gegen
Braune der Vorwurf erhoben wird, seine Schlüsse zu leichtfertig, ohne eindringende
Untersuchung des materials, gezogen zu haben : 'Die an. und ae. fälle der schluss-
stellung werden ohne weiteres in parallele zu den deutschen gesetzt. Und
dieses chaos, in dem der einzeluntersuchung nur noch die aufgäbe zufällt, die
typen zu zählen, wird als der Weisheit letzter schluss ausgegeben : die urgerm.
Wortstellung war eine freie.' Dass die Braunische arbeit ihrem ganzen Charakter
nach nichts anderes ist und sein will als eine die detailforschung durch allgemeine,
vielfach hypothetische richtliiiien vorbereitende skizze, scheint Diels übersehen
zu haben.
Ohne solche hypothesen werden wir aber auf dem gebiete der Wortstellung
am allerwenigsten auskommen können. Jedesfalls aber erscheint es schwer ver-
ständlich, warum Diels die Wackernagelsche hypothese gegen die von Braune in
schütz nimmt. Spricht doch das ergebnis seiner eigenen arbeit dafür, die Scheidung
zwischen hauptsatz- und nebensatzstellung nicht als ursprünglich, sondern als
sekundäre, erst germanische entwicklungsstufe anzusehen. Eine ursprüngliche fülle
von stelluugsmöglichkeiten macht im laufe der Sprachentwicklung einem sich immer
mehr ausbreitenden Schematismus platz, das ist das bild, das auch die Dielsschen
Untersuchungen wieder bestätigen. Dass eine entwicklung von freier Wortstellung
zur Stabilisierung auch vom psychologischen Standpunkt die einzig fruchtbare theorie
ist, darf dabei nicht unbeachtet bleiben. Wundt hat in seiner Völkerpsychologie *
der Stabilisierung der Wortstellungen einen besonderen abschnitt gewidmet, in dem
es heisst: 'da nun bei einer solchen Stabilisierung der satzordnuug die assoziative
einübung eine hauptroUe spielt, diese aber natürlich einer gewissen zeit bedarf, so
ist von vornherein zu erwarten, dass innerhalb derjenigen sprachfamilien, die wir
in längerer entwicklung verfolgen können, die älteren formen in der regel über
eine freiere Wortstellung verfügen werden als die jüngeren' (s. 362).
1) Bd. 1, teil 2.
HA^rurin;. haxs stolzexf.i'kg.
Bruno Crome, Das Markuskreuz vom Göttinger Leiuebusch. Ein
Zeugnis und ein exkurs zur deutschen heldensage. Mit einer tafel. Strass-
burg, Karl J. Trübner 1906. 1 m.
Der Verfasser dieses büchleins besitzt ein bedeutendes kombinationstalent,
aqer ein geringes mass von Selbstkritik und von philologischer methode. So kommt
ÜBEU CKOME, DAS MAKKUSKKEUZ VOM GÖTTIXGElt LEFNEBUSCH IIB
es, dass der leser wiederholt sich über die scharfsinnigen einfalle \vundert, aber
nirgends durch die beweisführung- überzeugt wird.
Auf einem steinkreuz, dessen Jahreszahl (durcli absprengung) unsicher ist —
aus zwei zuerst von dem Verfasser angenommenen möglichkeiten wählt er die, dass
1260 die richtige zahl sei — , steht eine zirka 20 buchstaben umfassende Inschrift.
Zu lesen ist am anfang der name Willehelm, ferner ein e, die buchstaben iry, und
mit Wahrscheinlichkeit noch ein e und ein /. Die lückenhafte stelle wird zu
ejs wylaendis ergänzt; dass weder das d noch das s noch das n die zu erwartende
form aufweist, wird liiuwegerklärt, für die beiden zuerst genannten buchstaben mit
einem argumente, das der Verfasser gleich am fuss derselben seite zu widerrufen
genötigt ist; von den übrigen zeichen beruhen x und a auf zum teil nicht unbe-
denklicher konjektur, während das l unsicher bleibt^). Aus der Zeichnung lässt
sich ferner ersehen, dass zwischen dem angenommenen l und a noch platz für einen
buchstaben ist ; also fehlt entweder ein buchstabe, oder mit dem l schliesst ein wort.
Der auf diese weise gewonnene Inhalt der inschrift wird zum ausgangspunkt
der weiteren Untersuchung. Die worte sollen bedeuten : 'Wilhelm aus dem ge-
schlechte der Wielande'. Wunderlich ist das ae der vorletzten silbe. Aber damit
'werden wir uns abfinden müssen' (s. 9); auf welche weise, wird nicht gesagt. Die
möglichkeit, dass eine familie ihre herkunft von Wieland hergeleitet haben sollte,
sowie die andere, dass ein kunstfertiger handwerker von anderen leuten Wieland
genannt worden sei, wird dann s. 10 abgefertigt als eine denkbare Vermutung
weniger 'skeptische(r) leute . . . noch dazu in einer zeit, wo das kritische vermögen
sich so gerne zu eitler Spiegelfechterei verkehrt', bezw. als eine Vorstellung, die
zeugt für ein 'sich Scheuklappen vorbinden, damit man die hier sich bergenden
rätsei in ihrer Wirklichkeit nicht sehe', was dann weiter noch in anderen für die
heutige Wissenschaft wenig schmeichelhaften worten ausgeführt wird. Und so bleibt
denn s. 11 nur die möglichkeit übrig, dass das kreuz zur erinnerung an einen sagen-
haften AMlhelm aus Wielands geschlecht gesetzt worden sei.
Das veranlasst einen exkurs über die AVielandsage, dem 15 seiten, d. h. nahezu
ein drittel des büchleins gewidmet sind. Der versuch, aus den quellen eine ursprüng-
liche sagenform zu konstruieren, muss methodisch als vollständig misslungen be-
zeichnet werden. Die heutige forschung ist wohl so weit gekommen, dass sie weiss,
dass durch addierung der quellen und auswalil nach belieben keine einsieht in die
geschichte einer Überlieferung gewonnen wird -'. Die methode erklärt sich ans dem
1) Nach der beigegebenen Zeichnung lässt es sich auch als ein i mit darauf-
folgendem rest eines verlorenen buchstaben deuten.
2) Auch im einzelnen ist hier vieles fehlerhaft und willkürlich. Dass Slagßdr
nur eine fähigkeit A\'ielands bedeute (s. 12), ist eine leere beliauptung. Von anfang
liat er mit Wielaud gar nichts zu schaffen (Arkiv 23, 129 f.), und da dasselbe für
seinen bruder Egill gilt, ist ein alter zusammenliang zwischen diesem und dem
Egill der tiörekssaga sehr unsicher. ~ S. 12-13 heisst es, die darsteüung eines
bogcnschützen auf dem ags. runenkästchen 'gehöre' zu der A\'ielandsage. Im besten
fall kann die frage aufgeworfen werden, ob dieser Egil genannte schütze derselbe
ist, den die 1)S Velents bruder nennt; dass aber ein kämpf eines schützen gegen
i-ine Übermacht jemals in irgendeiner Überlieferung ein teil der Wielandsage ge-
wesen sei, wird nicht leicht zu beweisen sein, und wird auch durch die Vorderseite
des runenkästchcns nicht bewiesen, selbst dann, wenn man die darauf befindlichen
darstellungen richtig auf \\'ieland bezogen hat, was übrigens sehr uiisiclier ist.
Denn auf dem kästchen stehen sehr verschiedene dinge, die weder zu Wieland noch
zu Egil gehören, noch untereinander zusammenhängen. Bezeichnend aber ist die
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. S
114? BOER ÜI5EU CKOME, DAS MAKKlSKKErZ VOM GÖTTINGEi: l.EIXEBUSCH
bei liebhabern bestehenden hang, in den Varianten einer Überlieferung versi^reugte
reste einer alten, nicht nur reichen, sondern auch breiten tradition zu erblicken.
Im gründe hat diese ausführung für den zweck der sclirift, die nicht Wieland,
sondern Wilhelm zu seinem recht verhelfen soll, eine verhältnismässig geringe be-
deutung; der Zusammenhang mit dem folgenden besteht darin, dass auf das resultat
hingesteuert wird, dass die sage von dem bogenschützen, der in der f'iörekssaga
als Wielands bruder auftritt, ein 'uralter bestand der Wielandsage' sei. Die annek-
tierung der erzählung von Wielands Jugend verhilft ferner zu dem schluss, dass
Wate und Wieland von anfaug an zusammengehören, und daraus wird wiederum
geschlossen, dass diese von der blinden Wissenschaft unserer tage für aus- und an-
wüchse der sage angesehenen erzählungen ihr schon angehörten, als das iirinzip der
alliteration noch die namengebung beherrschte. Zu diesem behuf werden auch
Viöga und sogar die nur einem gedichte von der Zuverlässigkeit der Eabenschlacht
bekannte mutter Wates, Wächilt, herbeigeholt. Damit ist dann der weg zu der
später (s. 26) folgenden behauptung, der schütze könne unmöglich Egil geheissen
haben, sein richtiger name aber sei notwendigerweise Wilhelm, und Egil sei ein
beiname dieses Wilhelm, gebahnt.
So wird nun eine brücke zu der Teilsage hinübergeschlageu. Dass A^'illlelm
Teil mit dem Egill der t'iörekssaga und ferner mit dem beiden der bailade von
William of Cloudesly, die Wadsteiu mit den sagen von Wieland und von Egill
verglichen hat, sowie mit dem schützen auf dem deckel des angelsächsischen runen-
kästchens und schliesslich mit dem auf dem kreuze genannten Wilhelm identisch
sei, daran zweifelt herr C. keinen augenblick, und dieser schütze wird nun dem
leser vorgestellt als ein 'göttlicher held, ein helfer der menschheit', der 'von dem
ausgehenden mittelalter politisch tendenziös ausgedeutet, des ursprünglich auf ihm
liegenden himmlischen glanzes beraubt und in den kreis menschlicher Wirklich-
keiten herabgezogen' wurde (s. 34). Der name Teil soll ein spottname sein. Dass
die Sagenforschung die göttliche bedeutung dieses beiden nicht eher erfasst hat,
leichtigkeit, mit der s. 16 über die schwer verständlichen darstelluugen geurteilt
wird. — S. 16, 17 geht der Verfasser in seiner darstellung der sage sehr willkürlich
von der t)S auf die Volkv. über und umgekehrt; ähnlich s. 20. — Ganz haltlos ist
die wunderlicberweise von Heusler gutgeheissene Verdrehung der erzählung von
dem einen ring, der aus 700 anderen allein fortgenommen wird ; die diebe sollen
knechte des königs sein, die den ring 'als Wahrzeichen' mitnehmen, und dem dichter
des Völkv. wird eine fälschung der Überlieferung zur last gelegt, die den zweck
haben soll, vorzeitig einen erst später in der erzählung auftretenden flugring zu
erwähnen. Aber dass der fortgenommeue ring ein flugring ist, sagt der dichter
gar nicht ; er bat das als allbekannt vorausgesetzt, während die heutige forschung,
der die Voraussetzungen des dichters nicht bekannt sind, das erst aus dem zusam-
menbang des ganzen hat schliessen müssen. — Über die bedeutung der durch-
schneidung der sehnen (s. 19) ist Arkiv 23, 139 zu vergleichen. — Dass der schlaf- .
trank, den Völundr der Bgövild kredenzt, ein liebestrank gewesen sei (s. 21),
wäre zu beweisen ; dass sie nach dem, was zwischen ihr und ihm vorgefallen, sich
ihm verbunden fühlt, ist etwas ganz anderes ; aus der Piörekssaga, die 'hätte lehren
sollen', 'dass hier ein auch für Wielands geschick bedeutsames tragisches moment
der alten sage hervorblickt', habe auch ich das nicht gelernt. Denn dass Boövild
und Velent vorläufig die sache dem könige verheimlichen, versteht sich auch ohne
liebestrank. Der friede, der c. 79 geschlossen wird, ist natürlich eine zutat aus
der zeit der genealogischen Verbindung mit Yiöga. — S. 23 findet sich eine berufung
auf die autorität des gedichtes von Friedlich von Schwaben, die man zurzeit nicht
mehr für möglich halten sollte.
iii,Hi!ic!i (üEi; l;^:[(■lll•:l;T, dik üueslaueu familiexxamkn 115
liegt daran, dass sie zu ausschliesslich damit beschäftigt gewesen ist, den nationa-
listisch-euhemeristisohen tendenzeu der schweizerischen gelehrten, die Teil zu einem
nationalen beiden herabwürdigten, entgegenzuarbeiten, und in ihrem eifer, zu be-
weisen, dass die gestalt aus dem norden importiert sei, 'das kind mit dem bad
ausschüttete' (s. 27 f. und passim).
Über den Ursprung der Teilsage ist das letzte wort noch nicht gesprochen.
Ein gewisser Zusammenhang mit Wielands bruder lässt sich freilich nicht leugnen,
aber im gründe haben die beiden gestalten nur das motiv von dem ajjfelschuss
gemein, und für diese gleichheit sind eine reihe erklärungen denkbar, zwischen
denen sich nicht im handumdrehen eine wähl treffen lässt. An Egils geschichte
ist das motiv augenscheinlich sekundär angehängt worden, und auch bei Teil gehört
es nicht zu der haupthandlung. Dass es auch ein Avandermotiv sein kann, das in
sagen von meisterschützen leicht aufgenommen wurde, fällt herrn C. gar nicht ein.
Dass der Verfasser auch schweizerisclie quellen in die Untersuchung liineinzieht, ist
zu loben, aber um ein resultat zu erzielen, müsste das weit gründlicher und metho-
discher geschehen, als hier geschehen ist. Wenn sich hie und da ansätze zu der
auffassung des nationalen beiden als eines heiligen finden, so ist der schluss geAviss
nicht berechtigt, der held sei von anfang an eine heidnische gottheit, der als
katholischer heiliger einen teil seiner alten göttlichkeit bewahrt habe. Ziehen wir
dann in betracht, dass die einzige stütze für eine allgemeinere Verbreitung dieses
Willielmkultus das kreuz vom Leinebusch mit seiner unsicheren Inschrift ist, so
werden wir schliessen müssen, dass der göttliche Ursprung Wilhelms, des bruders
Wielands, ungeachtet der datierung auf dem kreuze i. crastino. ßfi. Marci. (ewn).
vorläufig im fabelland seine heimat hat.
Für die meinung des Verfassers, dass das kreuz für einen verwandten Wie-
lands errichtet worden sei, werden auch die darauf beflndlicbeii bildliciien darstel-
lungen angeführt. Hammer und zauge passen zu Wieland, aber auch zu jedem
beliebigen schmiede. Eine dritte figur, die ein beil darzustellen scheint, wird für
einen tittig ausgegeben und soU sich auf Wielands flugmaschine beziehen. Weshalb
auf einem dem Willielm zu ehren errichteten denkmal hammer, zange und fittig
anstatt pfeil und bogen dargestellt sind, vernehmen wir nicht.
AMSTEUDAM. U. C. liOEl?.
Hermann Reichert, Die deutschen familiennamennach Breslau er
quellen des 13. und 14. Jahrhunderts. [Wort und brauch. Volks-
kundliche arbeiten, namens der Schlesischen gesellschaft für Volkskunde in
zwanglosen heften herausgegeben von Theodor Siel)s und Max Hippe. 1. heft.]
Breslau, M. u. H. Marcus 1908. IX, 192 s. 6,40 m.
Die Schlesische gesellschaft für Volkskunde, 1894 gegründet
von Friedrich Vogt, schuf zunächst in ihrer Zeitschrift, den 'Mitteilungen", ein
Organ, das in weiten kreisen zu beobachtungen, mitteilungen und Sammlungen an-
regen und über das geleistete rechenschaft geben sollte. Daneben l)egauu alsbald
die wissenschaftliche Verarbeitung des gewonnenen materials, und so konnten be-
i'eits als weihiiachtsgruss für 1900 Friedrich Vogts 'Schlesisclie wcihnachtsspicle'
erscheinen, denen sich 1903 und 1906 Paul Drechslers 'Sitte, brauch und volks-
116 Ol.HlUCH
glaube' (2 teile) anschloss, der erste versuch einer zusammenfassenden behandlun.ü:
schlesischen Volksglaubens und volksbraucbes und ein ergebnis langjähriger sammel-
arbeit. Diesen drei ersten bänden von 'Schlesiens volkstümlichen Überlieferungen'
(herausgegeben von Theodor Siebs, verlag von B. G. Teubner) werden in den nächsten
Jahren weitere folgen, die sage, märchen, Volkslied usw. behandeln. Daneben be-
ginnt, von dem rührigen Vorsitzenden der gesellschaft angeregt und gefördert,
seit 1908 unter dem kennwort 'Wort und brauch' ein neues Sammelwerk für volks-
kundliche einzelarbeiten in zwanglosen heften zu erscheinen, das auch Untersuchungen,
die nicht aus der gesellschaft hervorgehen, und arbeiten, die nicht der schlesischen
Volkskunde angehören, aufnähme gewäliren soll. Von den vier bisher erschienenen
abhandlungen bewegen sich die drei ersten noch auf rein schlesischem gebiete.
Wolf von Uuwerth behandelt die schlesische muudart in ihren lautverhältnissen.
Jäschke gibt ein lateinisch-romanisches fremdwörterbuch der schlesischen nmndart,
und Reichert bearbeitet die deutschen familiennamen nach Breslauer quellen des
13. und 14. Jahrhunderts.
Die neuhochdeutsche namenkunde ist ein interessantes, immer wieder zur
bearbeitung anregendes gebiet, und mehr oder weniger wissenschaftlich gehaltene
einzelarbeiten sind auch schon in menge vorhanden. Einen überblick über den
gesamtbestand und die cntvvicklung aller deutschen familiennamen zu gewinnen,
dazu reichen freilich die vorhandenen eiuzelarbeiten bei weitem nicht aus; das ist
der Zukunft vorbelialten. Um so dankenswerter aber ist es, wenn in gründlicher
Vorarbeit das material mit möglichster Vollständigkeit in örtlicher und zeitlicher
beschränkung gegeben wird, wie es in Eeicherts arbeit geschieht. Von den frühereu
Untersuchungen über schlesische personennamen [Hoffmann von Fallersleben, 'Bres-
lauer nameubüchlein', 184.3; Damroth, 'Die schlesisch-iiolnischen personennamen älterer
zeit (anhang zu 'Die älteren Ortsnamen Schlesiens", 1896); Ondrusch, 'Die familien-
namen in Neustadt O.-S., 1894—99; .Techt, 'Beiträge zur Görlitzer namenkunde', N.-
Laus, magaziu bd. 68 (1892)] ist Jechts arbeit vor allem wertvoll ; ihm standen ja
auch die reichen arcbivalischen schätze der 700 jähre alten, einst gewaltigen Stadt
Görlitz zur Verfügung, so dass seine 'Beiträge' über Görlitzer namen des 14. Jahr-
hunderts unser wissen von den mittelhochdeutschen namen erfreulich bereichert
haben. Eine erkenntnis des mittelhochdeutschen namensystems ist aber, wie auch
Socin erkannte, die unumgängliche Vorbedingung für unsere kenntnis der neuhoch-
deutschen; wie aber Socin trotz des allgemeinen titeis 'Mittelhochdeutsches uamen-
buch' (1903) sich auf das 12. und 18. Jahrhundert und auf Basel und Umgebung
beschränkte, so hat auch Reichert trotz des scheinbar allgemeinen titeis in richtiger
erkenntnis des vorläufig möglichen nur die Breslauer namen des 13. und 14. Jahr-
hunderts behandelt.
An erster stelle stehen die taufnamen, dann werden die aus taufnamen ent-
standenen familiennamen besprochen; ihnen schliessen sich die au, welche von
örtlichkeiten, ländern oder stammen hergenommen sind. Unter dem kennwort
'Übernamen' zusammengefasst, erscheinen dann die von allerlei eigenschaften, Zu-
fälligkeiten oder vergleichungen hergenommenen, darauf die zusammengesetzten
familiennamen. Reichert legt dabei, wozu die Verleitung oft nahe lag, absichtlich
nicht das hauptgewicht auf die erklärung der einzeloen namen — die nur aUzu oft
unsicher bleibt — , sondern auf die namenbildung als System. Hier sind denn auch
gewisse richtlinien gewonnen, an die weitere Untersuchungen sich halten können ;
unter 6. (Übernamen) Hessen sich durch noch schärfere disposition später vielleicht
ÜBER JÄSCHKE, LATEnslSt'H-lt()MAX[S(IlKS FliE.MDWÜKTElUU'CIl 117
Übergeordnete gesichtspunkte herstellen, die den überblick erleichtern würden. Das
matcrial ist überall mit Sorgfalt und genaiügkeit zusammengetragen, durch besonders
charakteristische beispiele gut erläutert, durch kulturgeschichtliche hinweise, ver-
gleichende rückblicke, parallelerscheinungen aus der neuzeit belebt und beleuchtet.
Besonders anregend sind die eingestreuten statistischen Zusammenstellungen, z. b.
über das verschiedene Verhältnis der deutschen und der fremden (biblisch-kirchlichen,
slawischen, wallonischen) vornameu bei beiden'gescblechtern (s. 6 und 30), über die
Wandelungen im bestände der verbreitetsten namen (29. 30. 36), wo durch ver-
gleichung sich bereits eine grosse Stetigkeit über weite strecken ergibt, die
Zusammenstellungen über die Verschiebungen der frequenz in den einzelnen klassen
(1. alte taufnamen, 2. ortsuamen, 3. berufsnamen, 4. Übernamen) in den jähren
1287—1400 mit dem charakteristischen ergebnis, dass gegenüber der stetigen klasse 1
die namen von 2 und 4 stark schwanken, 4 allmählich überwiegt und andererseits
die doppeluamigkeit begünstigt u. a. m.
Eeichert hat in mühevoller arbeit seinen stoff aus teils handschriftlichen,
teils gedruckt vorliegenden quellen (handwerkersatzungen, Schöffen-, bürger-, sig-
naturbüchern — Grünhagen-Wutkes regesten, Korns Breslauer urkundenbuch, Mark-
graf-Frenzels Breslauer stadtbuch) gewonnen. Es wäre wünschenswert, dass auch
anderwärts, namentlich, w^o reiche alte archivschätze zur Verfügung stehen, gleich
gründliche und vollständige arbeiten entständen ; nur so kann, wie oben betont
wurde, allmählich eine allgemeindeutsche namenkunde entstehen.
BRESLAT'. K. ol.l'.KK 11.
Erich Jäschke, Lateinisch -romanisches f r e m d w ö r t e r b u c h der
schlesi sehen mundart. [Wort und brauch, heft 2.] Breslau 1908. XVI,
160 s. 5,60 ni.
Wenn 'Schlesiens volkstümliche Überlieferungen' zur mitteilung mundartlicher
texte reichlich gelegenheit gegeben haben und noch geben werden, wurde für die
grammatikalische und lexikalische bearbeitung der mundarten von Vogt zunächst
die form von selbständigen 'beiheften' der Vereinszeitschrift als am meisten geeignet
gewählt. Die von Siebs und Hippe neu herausgegebene Sammlung 'Wort und
brauch' kann jetzt auch umfangreichere arbeiten auf diesem gel)iete in ihren rahmen
aufnehmen, wie bereits die abhandlungen von W. von Unwerth und E. Jäschke zeigen.
Während die versuche einer darstellung der schlesischen mundart nach ihren
lautverhältnissen, ihrer grammatik, der geographischen Verteilung ihrer abarten usw.
seit Weinholds grundlegenden Vorstudien nie völlig aufhörten, ist für die fremden
bestandteile des dialekts nur wenig geschehen. Eingehender untersucht wurden
bisher nur die slawischen bestandteile (vgl. 'Mitteilungen' I, 17 ft. Xehriug : 'Sla-
wische niederschlage im schlesischen deutsch') ; über die lateinisch-romanischen sind
so gut wie gar keine arbeiten vorhanden. Und doch sind sie in grosser zahl ver-
treten: der Schlesier gebraucht noch heute in vielen fällen das vielleicht schon
veraltete fremdwort lieber als das entsprechende gute deutsche wort. Freilich gilt
dies nicht vom Schlesier allein, sondern trotz aller sprachreinigungsljcstrcbungen
auch vom Deutschen im allgemeinen; aus dieser unendlichen frcindwörtertiut das
118 OLBUICH ÜUEH JÄSCHKE, LATEIXISf'II-KO.MANISCHES FKEMDWÖUTEKBUCH
spezifisch eclit schlesische herauszuheben, war gewiss keine leichte arbeit und erfor-
derte einen geschulten, sicheren blick. Jäschke hat solche gemeinsamen Wörter
nur dann aufgenommen, wenn sie in der dialektform grössere abweichungen vom
deutschen zeigten, als durch die regelmässigen lautveränderungeu bedingt sind.
Da dabei, wie bei den slawischen bestandteilen, die Volksetymologie umformend und
angleichend besonders tätig war, musste sie häufig erklärend herangezogen werden.
Auch bei der gewinnung des Stoffes war grosse vorsieht geboten. Gesell-
schaftliche konvention und literarische tradition, ja, willkürliche selbstbildungen
setzen den wert der dialektschriftsteller als quelle für solche forschungen sehr
herab; mit recht zieht daher Jäschke sie erst in zweiter linie heran und stützt
sich bei der feststellung eines fremdwortes, einer volkstümlichen redensart, wo es
ihm möglich ist, vor allem auf ihr auftreten im noch lebenden dialekte, von dessen
zahlreichen Schattierungen er meistens den am leichtesten verständlichen 'kleiu-
städterdialekt' zur darstellung wählte ; eine ganze anzahl von Wörtern musste natür-
lich in der form des flachland- resp. gebirgsdialekts aufgenommen werden, in dem
sie üblich sind. Einen anspruch auf Vollständigkeit, sowohl bei der aufzählung
der fremdwörter selbst als ihrer formen, darf man bei einer solchen arbeit nicht
erheben; was aber fleissige, oft recht mühevolle arbeit leisten konnte, ist hier ge-
schehen ; was etwa noch fehlen sollte, wird gewiss unter der anregung dieser Ver-
öffentlichung bald nachgetragen werden.
Durcli kirchen- und Staatsterminologie, Jurisprudenz und mcdizin sind, wie
anderswo, so auch im schlesischen lateinische fremdworte in die Volkssprache ein-
gedrungen ; aber auch in der bezeichnung von pflanzen, in der landwirtschaft, liei
haus und kleidung usw. treten sie auf. Die französischen bestandteile sind zu
verschiedenen zeiten unter dem überwiegenden einflusse dieser nation auch in die
unteren schichten eingedrungen und bilden auf manchen gebieten (heerwesen, handel,
verkehr, putz, kleidung usw.) einen festen bestandteil der spräche. Die italienischen
lehnworte sind vielfach durch die oberdeutsch-österreichischen dialekte von Süden
her nach Schlesien eingewandert und konkurrieren auf manchen gebieten mit dem
lateinischen und französischen ; nicht wenige können ebensogut aus zwei von diesen
sprachen stammen.
Die gewählte form der lexikalischen darstellung ist durchaus anzuerkennen:
auf das in annähernd mundartlicher form gegebene Stichwort folgt die phonetische
lautform (ev. in anehreren abarten) ; bedeutung und anwendung wird dann au pho-
netisch transskribierten, selbst gehörten volkstümlichen redensarten und stellen aus
schriftlichen quellen (in ihrer Schrift) gezeigt und belegt. Am schluss jedes artikels
steht in einer anmerkung die (mit kluger vorsieht gehandhabte) etymologische
erklärung nebst kritischen bemerkungen und verweisen auf andere dialekte. An
Übersichtlichkeit und praktischer brauchbarkeit kann so dieses Wörterbuch vorbildlich
für ähnliche arbeiten auf dem gebiete anderer dialekte sein. Einer späteren for-
schung wird es vorbehalten bleiben, auf grund einer genaueren keuntnis der schle-
sischen einzeldialekte mit ihren Unterschiedsmerkmalen zu verscliiedenen zeiten
festzustellen, wann und in welcher gestalt das fremdwort in die mundart eintrat,
ob und welchen lautwandel in der heimischen entwicklung es mitmachte, ob es
vielleicht mehrmals aufgenommen wurde u. a. ra.
BRESLAU. K. OLBKICH.
V. PAULS ÜBER BOKCHLINC, I»[K XU. UECHTSQUELLEX ( )SIKi;iESLAXUS 119
C. Borcliling, Die nieder deutscheo recbtsqu eilen Ostfrieslands.
Bd. I: Die rechte der einzellaudschafteu. Aurich, A. H. F. Dunckinann, 1908.
[Quellen zur geschichte Ostfrieslands. Herausgeg. vom kgl. Staatsarchiv zu
Aurich. Bd. 1.] CXL, 282 s. und 1 taf. 8 ra.
Die nd. rechtsquellen Ostfrieslands, die sämtlich in dem Jahrhundert von
1460—1560 entstanden sind, schliessen sich zeitlich und inhaltlich eng an die alt-
friesischen rechtsdenkmäler an und sind daher in gleicher weise für den sjjrach-
forscher wie für den rechtshisturiker wichtig. Der rechtshistoriker erkennt liier,
wie nach der 1464 erfolgten grUndung der reichsgrafschaft Ostfriesland die rechts-
bildung allmählich von der freien Volksgemeinde auf die laudesherren übergeht.
In den küren und landrechten treten die 'herren' an die stelle der 'lüde', des freien
volks. Daneben macht sich seit der wende des 15. und 16, Jahrhunderts das ein-
dringen des römischen rechts in die altheimischen rechtssatzungen in immer stärke-
rem masse bemerkbar.
Für den Sprachforscher bieten diese nd. ostfriesischen rechtsquellea eine
hauptquelle für altfriesische sprachreste im ostfriesischeu niederdeutsch. Um 1450
dringt die nd. spräche in die rechtsprosa Ostfrieslands ein. Aber durch den engen
Zusammenhang mit den rechtsquellen in friesischer spräche, die teilweise als direkte
vorlagen der nd. Übersetzungen gedient haben, ist friesisches in die nd. fassungen
hinübei'gerettet. Ausserdem gestattet die Überlieferung dadurch, dass ältere und
jüngere fassungen derselben rechte vorhanden sind, reiche beobaclitungen zur ge-
schichte der alten rechtstermiui.
Die einleitung Borchlings gibt zunächst eine kurze historische Übersicht über
die einzelnen rechtsgebiete und ausführliche haudschriftenbeschreibungen. Die
nähere Untersuchung über die Verwandtschaft der quellen und ihre abliäugigkeit
von der friesischen vorläge ist nur für das Eüstringer recht eingehend be-
iiaudelt. Für die schwierigeren Emsgauer texte gibt Verfasser nur die resultate
spezieller Untersuchungen ; die genaue quellenanalyse soll an anderer stelle ver-
öffentlicht werden. An Emsgauer texten enthält dieser band alle dem allgemeinen
ostfriesischen landrecht von 1516, dem der zweite band dieser publikation vor-
behalten ist, vorausgehenden geistlichen und weltlichen rechte. Die älteste rezen-
sion, wie .sie in einer hs. der zweiten hälfte des 15. jahrlmnderts vorliegt, zerfällt
in drei abschnitte, die auf drei verschiedene friesische vorlagen zurückgehen, und
zwar ist der erste teil — die grösseren allgemeinfriesischen rechtsquellen : die
17 küren und 24 landrechte mit der kurzen vorrede — aus einer nicht mehr erhal-
tenen friesischen vorläge geflossen. Die direkte quelle des zweiten teils, einer
Sammlung von kürzeren nachtragen und ergänzungen zu den allgemeinfriesischen
gesetzen des ersten teils, ist die bei Richthofen, Fries, rqu. als E I bezeichnete
friesische hs. des Emsgaus. Die stücke des dritten hauptteils — Spezialgesetze
des Emsgaus: emsiger dornen von 1312, das penningschuldbok, die speziellen buss-
taxen und die sog. bischofssühne von 1276 — haben eine ebenfalls verloren ge-
gangene, aber der friesischen hs. E II bei Eichthofen nahe verwandte friesische hs.
zur Vorlage gehabt. Die fremdrechtlichen teile dieser rezension - liiiiter küre 3
und küre 6 und das erbrecht (s. 27-3Bj - sind Übersetzungen aus den italienischen
Juristen des 14./15. Jahrhunderts. Die fussnoten des textes enthalten die nachweise
zu den römischen und kanonischen quellenzitaten. Was sonst nocli an Emsgauer
rechten mitgeteilt ist, entstammt jüngeren hss., die zwar von der ältesten rezension
ausgegangen sind, aber infolge selbständiger quellenbenutzung, erheblich von dieser
120 hlDZBAIWKI
abweichen. Das seendrecht, die bestinimungeu des seendgerichts, bescliliesst die
Eiusgauer quellen.
Einfacher liegen die Verhältnisse bei den nd. Rüstringer texten. Die Über-
lieferung ist zwar jünger, dafür aber einheitlicher. Zwei rezensionen, an umfang
verschieden, nicht aber nach ihren quellen, gehören beide derselben Übersetzung
an, die auf das alte Rüstringer asegabok, die älteren der grossen Rüstringer
friesischen hss. (RI bei Richthofen), zurückgeht. Neben den allgemeinfriesischen
küren, landrechten und busstaxen enthalten sie die speziellen gesetze des Rüstringer
landes. Als anhang I folgen jüngere Rüstringer texte: Butjadiuger küren von 1479,
Wurster Willküren von 1508, die jüngeren Wurster busstaxen, das Würder buss-
buch von 1627. Anhang n enthält die sagenhaften stücke der Wurster hss.
Den dritten haui)tabschnitt umfasst ein kurzes stück von 12 kapiteln aus
dem Harlingerland und ein bruchstück eines seendrechts für Ostringen und AVanger-
land, der einzige beitrag aus dem Jeverland.
Ein reichhaltiges lesartenverzeichnis beschliesst diesen ersten band. Ein
glossar soll am schluss des zweiten baudes folgen.
TÖXXING (SOHLE.SWKi-HOL.STEIX). V. PAULS.
Hermann Möller, Semitisch und indogermanisch. Erster teil. Konsonanten.
Kopenhagen, H. Hagerup 1907. XVI, 395 s. 16 m.
Die Sprachwissenschaft stand in Europa in ihren anfangen, wie fast alle
disziplinen, unter dem einflusse der biblischen Urgeschichte. Gott und die ersten
menschen, bis zur Sprachverwirrung, sprachen hebräisch, das hebräische war die
'alma mater omnium linguarum', also müssen sich alle sprachen daraus ableiten
lassen. Seit dem aufkommen der hebräischen Studien in Europa suchte mau, wo
man überhaupt dem Ursprünge der sprachen nachgieng, sie auf das hebräische
zurückzuführen. Das 19. Jahrhundert räumte auch hiermit auf. Kein ernster gelehr-
ter stellte mehr das hebräische als die mutter der europäischen sprachen hin, aber
es wurden noch oft genug versuche gemacht, eine Verwandtschaft zwischen der
neuentdeckten indoeuropäischen sprachen familie und den schon früher als einheit
erkannten semitischen sprachen nachzuweisen. Möller strebt in dem gross angelegten
werke, dessen erster band vorliegt, demselben ziele zu. Sein versuch ist gründ-
licher, gediegener, wissenschaftlicher als alle seine vorlauter, und doch ist auch er
abzulehnen. Eine Verwandtschaft zwischen den . indogermanischen und semitischen
sprachen ist nicht a limine abzuweisen. Von den Wörtern sicherer oder möglicher
entlehnung und der dehnbaren masse der onoraatopöien abgesehen, zeigen beide
Sprachenfamilien berühruugspunkte, die vielleicht zufällig zusammengetrotfen sind,
aber aucli auf gemeinsamem Ursprünge beruhen können. Dies fällt auch dem semi-
tisten auf, und schon mancher hat sich die frage vorgelegt, ob das problem sich
nicht mit sicherer methode untersuchen und nach der einen oder anderen seite hin
entscheiden lasse. Aber die Überzeugung drängt sich bald auf, dass die semitische
Sprachwissenschaft nicht soweit vorgeschritten ist, um über sie hinaus fäden nach
dem arischen hin zu ziehen. Die semitische Sprachwissenschaft ist weit hinter der
indogermanischen zurück, und es kann nicht anders sein. Die zahl der semitisten
ÜBER MÖLl.EU, SEMITISCH UND INDOGERMANISCH 121
ist verhältnismässig gering. Durch die ummterhrocheneii ausgrahungen und viele
einzelfunde wird ihnen neues sprachliches material in so rascher folge und in
solchem umfange zugetragen, wie auf keinem anderen linguistischen gebiete. Es
vergeht fast kein monat, ohne dass neue funde, kein jähr, ohne dass umstürzende
entdeckuugen gemacht würden. Dabei steht mau erst am anfange der ausgrabungs-
tätigkeit. Der reichtum an neuem, so erfreulich er an sich sein mag, hemmt eine
gründliche durchforschuug des alten, und darunter leidet auch die Sprachwissenschaft.
Schon vor der trenuung der uns bekaunteu semitischen Völker war das semitische
triliteral ausgeViildet. Dies kann aber nur ein sekundärer zustand sein, durch eine
weitgehende, straffe analogiebildung durchgeführt. Die Voraussetzung für eine
gesunde semitisch-indogermanische Sprachvergleichung ist eine auf grund exakter
forschung vom semitischen aus durchgeführte analyse der semitischen wortstämme,
eine beantwortung der frage, bei welchen die triliteralität primär, bei welchen sie
durch erweiterungen entstanden ist, ob und wie die afformative die älteren bestand-
teile beeinflusst haben, welcher zusanimeuhaug zwischen ihnen und den flexions-
affixen bestehe. Ob es uns aber möglich sein wird, diese fragen, die in zeiten
hineinreichen, die um viele Jahrtausende vor jeder schriftlichen aufzeichnung liegen,
mit einiger Sicherheit zu beantworten, lässt sich jetzt nicht voraussehen. Manche
aufklärung wird das ägyptische bringen, und wenn erst nach fertigstellung des
ägyptischen thesaurus die ägyptische w^ortforschung eine sichere grundlage erhalten
hat, wird auch auf die ältere geschichte der asiatischen semitischen sprachen ein
licht fallen. Die lautliche erforschung der w^irzeln muss hand in band mit dem
versuche gehen, die Wortbedeutungen möglichst weit nach rückwärts zu verfolgen.
Hier sind aber die Voraussetzungen jetzt noch weit uugünstiger. Seihst bei inner-
semitischen Studien hemmt die mangelhaftigkeit der lexikalischen hilfsmittel. Nur
für das hebräische, d. h. das kleine buch des alten testaments, besitzen wir ein
wissenschaftlichen anforderungen genügendes Wörterbuch. Für das arabische, das
wegen des reichtums seines Wortschatzes und seiner literatur wichtigste semitische
idiom, gibt es kein Wörterbuch, das auch nur bescheidenen ansprüchen genügte.
In keinem sind die übrigen semitischen sprachen berücksichtigt, kaum dass sich
aus ihnen altes und neues sprachgut auseinanderhalten oder sich unterscheiden
lässt, was aus den einheimischen lexikographen geschöpft, was der literatur ent-
nommen ist. Man bedenke, was herauskäme, wenn jemand auf grund eines
griechischen, lateinischen und deutschen Wörterbuches, nicht etwa der Thesauri und
des Grimm, sondern des Passow, Freund und des alten Adelung arische urwurzeln
herstellen und daraufhin eine indogermanisch-finnische Sprachvergleichung aufbauen
wollte. Wenn der Verfasser die vorhandenen hilfsmittel gewissenhaft benutzte, auch
verstecktes erspähte, das für die lösung seiner frage von nutzen sein konnte, so
ist es bei der weiten entfernung der semitischen linguistik von seinem eigenen
arbeitsgebiete ganz besonders anzuerkennen; der objektive wert seiner arbeit
gewinnt dadurch nicht. Im jähr 1875 schrieb \\'hituey (Leben und Wachstum der
spräche, übersetzt von Leskien, s. 269) : 'Es kann niclit stark genug l)etunt werden,
dass es verfrüht ist über die Verwandtschaft des semitischen mit irgend welcher
andern spräche eine meinung auszusprechen, ehe die besonderheiten desselben
wenigstens annähernd erklärt sind.' Diese Warnung gilt noch jetzt.
GKKIFSWAM). M. LH •/.HAUSK I.
122 VOSSLEI :
Jac. Villi Criiinecken, Priiicipes de li n guist iq iie p sy chologiqu c , essai
de syutliese. Paris, Leipzig, Amsterdam 1907 (Bd. IV der Bibliotlieque de
Philosophie experimentale). VIII u. 552 s. 10 m.
Auf den letzten selten dieses umfangreichen und fleissigen werkes steht
zu lesen :
'Unmöglich wäre mir die Synthese gewesen, wenn ich nach der positivistischen
inethode, wie sie in der indogermanischen Sprachvergleichung als die einzig sichere
anerkannt ist, hätte arbeiten müssen. Sehr leicht wäre mir die synthese geworden,
wenn ich mich blindlings auf eine rein idealistische theorie hätte werfen wollen,
etwa so, wie es einst Bopp und Pott getan haben und wie es neuerdings wieder
K. Vössler und B. Croce tun möchten. — Eine richtige synthese wäre ferner diese
Synthese niemals geworden, wenn ich mich auf den Standpunkt derer gestellt hätte,
die mit H. Paul an der spräche immer nur die geschichte sehen, oder derer, die
als gefolgsleute der phonetiker und dialektologen sich lediglich mit aktuellen tat-
sachen beschäftigen. Diese sind gerade so einseitig wie jene.
Vielmehr habe ich getrachtet, mir von allen zusammen etwas anzueignen.
Von den positivisten die Sicherheit ihrer methode, von den Idealisten den zusammen-
fassenden überblick, von den historisten die einsieht in entst^hung und Wechsel der
spräche, von den phonetisten . und dialektologen die einsieht in die beschaft'enheit
und in die kleinen einzelheiten der spräche.'
So mangelhaft und anfechtbar mir immer die Zusammenstellung und Charak-
teristik dieser 4 Massen von -isten erscheinen mag, so muss ich dennoch anerkennen,
dass der Verfasser mit den obigen worten sein werk in durchschlagender weise
charakterisiert hat. Es ist in der tat eine auf dem wege teilweiser entlehuungen
und aueignuugen zustande gebrachte synthese, in Wirklichkeit also keine synthese,
sondern eine eklektische kompilation. Ein haltbarer grundgedanke, der das ganze
beherrschte, ist, soviel ich sehe, nicht vorhanden. Der Verfasser versichert uns zwar,
dass er kraft eines solchen grundgedankens, kraft einer solchen 'virtus in medio'
die vier genannten -isten-klassen umsclilungen und bezwungen habe, und dass dieser
grundgedanke der psychologische sei. — Indessen bezeugt uns ein psychologe von
fach, dr. K. Bühler, auf grund einer eingehenden besprechung, dass das werk für
die heutige psychologie keine sonderliche bedeutung hat, ja sogar von psycho-
logischen Irrtümern wimmelt (Zeitschr. f. psychol. und physiol. d. Sinnesorgane, Leipzig
1908, I. abt. s. 274—294). Aber es wäre denkbar, dass Ginneckens psychologischer
grundgedanke sich dafür um so fruchtbarer für die Sprachwissenschaft erwiese.
Die spräche von ihrer entstehung beim Sprecher bis zu ihrem Verständnis
beim hörer zu verfolgen und all die typischen Vorgänge, die sich auf diesem wege
abspielen können, in ein möglichst genaues begriff'ssystem einzugliedern, das ist in
kürze der grundgedanke. Dabei wird natürlich vorausgesetzt, dass das psychologisch
typische immer auch ein sprachwissenschaftliches typicum zu sein hat; denn, wäre
dem nicht so, bestände zwischen den gesetzen, die der psychologe lindet, und den-
jenigen, die der Sprachforscher konstatiert, keine durchgängige kongruenz, analogie
oder korrelation, so müsste entweder auf eine linguistique psychologique verzichtet
werden, oder es müsste durch irgendwelche art der bearbeitung das gesamte psycho-
logische begriffssystem in das sprachwissenschaftliche eingepasst und eingefügt
werden. Diese einpassuug wäre eben gerade die hauptaufgabe einer linguistique
psychologique.
ÜBER VAX GINNECKEX, PRINCIPES DE LINGUISTIQUE PSYCHOLOGIQUE 123
Eine psychologie linguistique, d. h. eine eingliederung und auflösung sprach-
wissenschaftlicher begriffe, v>ie z. b. kuitwandel, flexionssystem, kasus, modus usw.,
in eine psychologische begriffsordnung, wie z. b. ausdrucksbewegung, assoziation,
apperzeption, aifekt und dergleichen, ist etwas rafJgliches, wünschenswertes und zum
teil auch schon vollbrachtes. Es werden dabei tj-pische Vorgänge des sprachlichen
lebens auf typische Vorgänge des Seelenlebens überhaupt zurückgeführt, und der
grammatiker sowohl wie der psychologe gewinnen, jeder in seine besonderen Pro-
bleme, eine vertiefte einsieht.
Welchen vorteil wir uns aber von einer linguistique psychologique zu ver-
sprechen haben, ist mir unerfindlich. Denn so gewiss es ist, dass alles sprachliche
leben ausnahmslos und unterschiedslos aus dem leben der seele quillt und nur
von hier aus zu begreifen ist, ebenso sicher ist es, dass entfernt nicht alles seelische
leben von der spräche aus begreiflich wird. Wir kennen unterhalb sowohl wie ober-
halb der sprachlichen Sphäre ein reiches seelisches leben. Es ist darum für eine reihe
jüngst erschienener psychologisch-sprachwissenschaftlicher arbeiten charakteristisch,
dass sie eine unmasse von tatsacheu, begriffen und gesetzen mit sich schleppen,
die mit den Interessen des Sprachforschers nicht das geringste mehr zu tun haben.
Sie hoffen unsere kenntnis zu vertiefen, indem sie uns in die breite führen. Wenn
man von dem werke W. W'undts, das ich übrigens nicht als linguistique psycho-
logique, sondern als psychologie linguistique ansprechen möchte, absieht, so wüsste
ich nicht, was die anderen uns nennenswertes oder brauchbares gebracht hätten.
In der hauptsache haben sie uns nur schuft herbeigeschleppt, den der kritiker seine
liebe mühe hat, wieder auszuscheiden und wegzuschaffen. Aus dem untersprach-
lichen reiche kommend, erzählen sie uns von den ausdrucksbeweguugen der tiere,
vom herzschlag, von kongestioncn und krankheiten. Aus dem übersprachlichen
himmel herab werfen sie uns die ganzen logischen kategorien wieder auf das
dach, nachdem wir doch längst erkannt hatten, dass die kategorien der spräche
(verbum, nomen, adjektiv) weder logisch noch unlogisch, sondern eben sprachlich,
d. h. alogisch sind.
So bringt denn auch, wie sicli bei dieser Sachlage erwarten liess, das werk
Ginneckens eine flut von material, von tatsachen, beobachtungen, begriffen, begrifl's-
tabellen, begriffskombinationen, unter denen man nur mit grosser geduld und an-
strengung das wenige, das neu und zugleich brauchbar ist, sich suchen muss.
In dem streben, vollständig zu sein, ist der Verfasser ermüdend geworden;
das streben nach neuen gesichtspunkten hat ihn oft von den spezifisch sprach-
wissenschaftlichen Interessen abgeführt. Kurzum, der leitende grundgedanke ist
nicht sprachwissenschaftlich genug, um dem psychologen, und nicht psychologisch
genug, um dem Sprachwissenschaftler eine wesentliche förderung zu bringen. In
der hauptsache bleibt es bei einer fleissigen, emsigen, unermüdlichen Sammlung und
verquickung ungleichartiger dinge. Die ganze einteilung ist dogmatisch und para-
graphenmässig, denn gedankenmässig konnte sie scliAverlicli gestaltet werden.
Das erste buch handelt von sach- und wortvorstellungen, von ihrer jeweiligen
sinnlichen färbung und von den Verbindungen, die sie eingehen. Das zweite handelt
vom verstehen (intelligence et son adhesion). Dieses verstehen oder einwilligen in
die Vorstellungen der Sachen und würter ist, wie rünnccken zu beweisen suclit, der
eigentliche lebensnerv alles Sprechens. Das verständnislose vorstellen und ver-
knüpfen von Vorstellungen macht noch keine spräche. Trotzdem der Verfasser diese
lehre erst im zweiten buche entwickelt, mutet er uns sclion im ersten eine unter-
124 SOKOLOWSKY
Scheidung von Avorteu und Sachen zu und spricht uns von den quatre phases daus
la comprt^hension du niot, macht also den zweiten schritt, bevor er den ersten
getan hat.
Aus dem begriff des verstehens (adhesiou) werden nun sämtliche wortkate-
gorien der grammatik abgeleitet. Verstehen wir etwas ols existierend, so entspricht
diesem Vorgang die Wortklasse der substantiva oder die des präsens Indikativ. Ver-
stehen wir etM'as als möglich, so pflegt sich das in adjektiven oder modal- und
tempusformen, die nicht präseutisch oder indikativisch sind, darzustellen. Ist unser
A'erstehen isoliert, einmalig, neu, absolut, so drückt es sich im Zeitwert aus; ist es
zusammeuhängend, mehrmalig, auf etwas früheres bezogen und relativ, so kommt
ein nomen zustande. Verstehen wir etwas durch rein abstrakte bezeichnung, so
bedienen wir uns der klassen des hilfszeitwortes, des pronomens, der Zahlwörter,
der eigennamen und dergleichen ; verstehen wir es in seiner anschaulichen gegen-
ständlichkeit, so treten adjektive, Substantive und Zeitwörter zutage.
Wie man leicht sieht, liegt dieser subtilen Spielerei ein kolossaler Irrtum zu-
grunde: nämlich die gleichsetzuug von logischem oder wissenschaftlichem und
sprachlichem oder künstlerischem verstehen und der glaube, dass diese grundver-
schiedenen formen unserer geistigen tätigkeit auf dem boden einer alles nivellierenden
Psychologie sich miteinander kombinieren lassen.
Derselbe irrtum setzt sich im dritten buche fort, indem hier die psychologische
kategorie des gefühles mit der grammatischen der iudeklinabeln oder unflektierten
worte in kausalzusammenhang gebracht wird.
Das vierte, letzte und längste buch versucht, die psychologische kategorie
des willens in die grammatik hineinzuarbeiten. Automatismus und bewusster
wille liegen allen dynamischen erscheinuugen des sprachlichen lebens zugrunde,
eine tatsacbe, die, richtig verstanden, gewiss von niemand bestritten wird. Aber
selbst in diesem vierten buche, wo der oben gekennzeichnete grundirrtum sich hätte
neutralisieren können, selbst hier verdirbt die psychologisch-spekulative barbarei
des Verfassers den reichen schätz von kenntnissen, tatsachen und beobachtungen,
den er zusammenhäuft. Auf vier psychologische grundgesetze, die selbst von den
Psychologen noch als fragwürdig bezeichnet werden, führt er durch zahlreiche kom-
binationen hindurch sämtliche Wandlungen der spräche zurück. Also auch hier
liegt der wert nicht in der synthese, sondern in den einzelheiten. Solcher einzel-
heiten, teil- und einzelerklärungen findet man eine fülle. Das buch ist eine fund-
grube instruktiver beispiele, lelirreicher kuriosa, interessanter exkurse, scharfsinniger
polemik und ein staunenswertes zeuguis allseitiger sprachgeschichtlicher gelelirsam-
keit. Um so mehr ist zu bedauern, dass eine so überaus tüchtige arbeitskraft sich
in spekulativen Spielereien vergeudet, und dass der Verfasser den schätz seines ge-
diegenen linguistischen wissens in den dienst eines hinfälligen gedankensystems ge-
stellt hat,
WL'RZBURG. KAKL VUSSLEK.
Hans trerhard Graef, Goethe über seine dichtungen. II. teil: Die drama-
tischen dichtungen, IV. band. (Des ganzen Werkes VI. band.) Frankfurt a. M.,
Literarische anstalt, 1908. VIII, 711 s. 20 m.
Die hoffnung, mit der ich meine besprechung des letzten bandes schloss,
scheint sich nicht im vollen umfange, oder wenigstens nicht so rasch, erfüllen zu
ÜBER GKAEF, C40ETHE CHER SEINE DICHTUNGEN 125
solleu. Der Verfasser sieht sich bei dem vorliegenden bände leider zu der er-
kiärung- veranlasst, dass er infolge der übergrossen, diesem seinem geliebten
schmerzenskinde gebrachten pekuniären opfer von ihm abschied nehmen und die
Vollendung des dritten, die lyrischen dichtungen behandelnden teiles 'wo nicht ganz
aufgeben, so doch bis auf unbestimmte zeit vertagen' müsse. So sehr man das
bedauert, so muss man ihm und der Verlagsbuchhandlung auch dankbar sein, liegt
doch mit diesem VI. bände der II. teil des Werkes, der sich auf Goethes dramatische
dichtungen bezieht, als ein geschlossenes ganzes vor. Nach anläge und stoffbe-
handhmg schliesst er sich seinen Vorgängern würdig an. Eine grössere menge
kleinerer arbeiten und entwürfe, die er umfasst, weist deutlich auf eine anzahl
Micken in der heutigen Goetheforschung hin, von denen allerdings ein gut teil wohl
niemals ausgefüllt werden wird. Dass Goethe sich 1767 in Leipzig mit einem
K 0 m e 0 Stoff trug und damit das bürgerliche trauerspiel von Chr. Felix Weisse
übertreffen wollte, ist bekannt. Ob er seiner arbeit aber wirklich, wie Minor
(Zeitschr. für allgem. geschichte IX, 655) meint, den titel 'Der neue Romeo' geben
wollte, welcher art sein plan und seine absiebten waren, und ob er schon an die
ausführung gegangen ist, muss dahingestellt bleiben, so sehr auch die kenntnis des
Leipziger Studiosus Goethe der kombination tür und tor zu öffnen scheint. Eine
ansprechende Vermutung, wenngleich vorläufig auch nichts weiter als eben eine
solche, ist es, wenn Graef die möglichkeit hervorhebt, dass der gleichfalls schon in
das jähr 1767 zurückreichende plan einer dichterischen behandlung des buches
Ruth nicht ein drama, sondern ein epos zum ziel gehabt habe. Bielschowsky (I, 40)
und andere bringen diese arbeit in Verbindung mit jener heerschar dramatischer
dichtungen nach französischem typus, denen die theaterbegeisterung des jungen
Goethe in der Frankfurter zeit das leben schenkte. Möglich ist das natürlich,
zwingend aber nicht. Es kann sich hier ebensogut um einen epischen plan handeln,
und wer weiss, ob sich nicht noch einmal geheime fäden aufdecken lassen, die von
1767 in die mitte der 90er jähre, von Euth nach 'Hermann und Dorothea' hinüber-
führen? Berichtet doch Schiller selbst, dass Goethe sich mit dem letzteren werke
mehrere jähre herumgetragen habe, und leiten doch auch sonst manche brücken
(vgl. unter anderem den Richter und Goethes gleichzeitige beschäftigung mit dem
Mosesstoff) von 'Hermann und Dorothea' zur biblischen geschichte zurück. Interes-
sant ist es ferner, im vorliegenden bände des Graefschen werkes im zusammenhange
zu beobachten, wie sorgsam Goethe bei 'Scherz, list und räche' das kompo-
nieren seines stückes durch Christoph Kayser verfolgt, eine sorgsamkeit, die freilicli
ilurch Mozarts auftreten mit der 'Entführung aus dem serail' um den erhofften
lohn kam. Dass die theaterreden von grosser bedeutung für die kenntnis von
Goethes tätigkeit als theaterleiter und dramaturg sind, liegt auf der haml. Eine
wichtige frage bleibt dabei aber die, ob der 'Epilog zu Schillers g locke'
als eine selbständige theaterrede (Graef) oder als ein teil, und zwar als das 'einzig
ausgeführte stück' von 'Schillers totenfeier' (Morris 2. aufl. I, 318 ff.) aufzufassen
sei. Nicht mit unrecht führt Graef an, dass Goethe das Vaterland doch nicht selbst
die am sciüusse der ersten fassung des 'Epilogs' sich findenden worte hätte sagen
lassen können:
0 möge doch den heil'geu letzten willen
das Vaterland vernehmen und erfüllen !
Neben dem 'Tasso' und der 'Stella' sei hier noch auf einige kleinere
plane beziehungsweise dichterische vorwürfe hingewiesen. Aus dem jähre 1771 auf
126 KAUFMANN ÜBEU GEBHARDT, GUAJnrAirK DER NÜRNHERER MUNDART
den 'Sokrates'. Bekanntlich sieht ein moderner, viel gelesener und belesener
Schriftsteller (Chamberlain) in dem griechischen philosophen nur einen abergläuhischea,
von priesterinnen belehrten und von dämonen besessenen philister. Was muss
dieser sagen, wenn er sieht, wie ein Goethe einerseits den lehrer des Plato mit
Christus vergleicht, anderseits in ihm einen grossen menschen erblickt, den er mit
'liebcuthusiasmus' an die brüst drücken möchte. Das sind Worte aus Goethes
Jünglingszeit. Wie wunderbar aber erscheint uns der dichter, wenn wir ihn dann
als greis im höchsten alter mit gleichem feuer seiner augenblicklichen laune nach-
geben und vor den erstaunten zuhöreru (Eckermann beziehungsweise graf Kozmian
und anderen) plan und gedanken zu einer 'Moses' oper oder zu einem epos
'Kasimir, der mönch' äussern hören! Für die Goetheforscher sei noch erwähnt,
dass der vorliegende band das ausführliche register für die bände III— VI (drama-
tische werke) und eine vollständige Übersicht der dramatischen dichtungen nach
den jähren ihrer entstehung bringt, und Verfasser und Verleger sei endlich die frage
vorgelegt, ob es nicht ratsam ist, sich zugunsten der beeudigung ihres ganzen
Werkes an die GoethegeseUschaft zu wenden ^
1) Dies ist inzwischen geschehen und die fortfahrung des Graefschen werkes da-
durch gesichert worden.
ALTONA. RUDOLF .SOKOLO\VSKY.
Grammatiken deutscher mundarten bd. MI: Grammatik der Nürnberger
mundart von August Gerhardt, unter mitwirkung von Otto Bremer. Leipzig,
Breitkopf & Härtel 1907. XVI, 392 s. 12 m.
Die besondere aufgäbe, vor die sich die bearbeiter der Nürnberger mundart
gestellt sahen, lag darin, dass sie es mit einem städtischen dialekt zu tun
hatten. Ich hätte darum den ausdruck 'Nürnberger mundart' lieber vermieden
gesehen. Denn ein stadtdialekt ist etwas anderes als eine volksmuudart des platten
landes. Gebhardt deutet dies mit der bemerkung an, dass in den einzelnen Stadt-
vierteln die zahl der mundartsprecher grösser oder kleiner ist (s. 3). Als beobach-
tungsfeld hat er das Egidierviertel gewählt: 'hier herrscht noch der kleinbürger,
der mit wenigen gesellen sein geschäft betreibt, beim abliefern seiner waren an
den exporteur selbst nicht in berührung kommt mit fremden — es sind meist rot-
giesser, zirkelschmiede und verwandte haudwerker, die hier in betracht kommen —
und abends nach des tages last und mühe unter seinesgleichen in einer kleinen, aber
säubern bierstube der nachbarschaft, am sonntag aber auf einem Spaziergang mit
seinen angehörigen erholung sucht' (s. 5). Der sprachkreis ist also etwa dem zu
vergleichen, aus dem Hans Sachs hervorgegangen ist ; durch die werke dieses autors
gewinnt er seine bedeutsame Perspektive. Leider erfahren wir s. IX (vgl. s. 311
anm. 2), dass 'eine mehr als gelegentliche herauziehung der spräche der Chroniken
und der mundai'taukläuge bei Hans Sachs grundsätzlich ausgeschlossen war'. Wir
erwarteten vergeblich von dem umfangreichen buch die entscheidenden aufschlüsse
über den sprachtypus des alten Nürnberger meisters. Denn der wird als gross-
städter ungefähr ebensoweit von der volksmundart der Pegnitz sich entfernt haben
wie der von Gebhardt bevorzugte Grübel (vgl. s. 312 f.) und wie die heutigen klein-
NEUE ERSCHEINUNGEN 127
biirg-er seiner raterstadt. Die aualyse eines modernen stadtbürgerdeutsch ist nun
al)er an und für sich willkommen. Gebhardt spricht von einer Zwischenstufe zwischen
mundart und Schriftsprache (s. 8), will jedoch diese 'halbmundart der gebildeten'
von dem echten nürnbergerisch strenger auseinandergehalten sehen als in den älteren
darstellungen seines Vorgängers Frommann (s. 34). Die 'nürnbergerische Volkssprache',
die sich einerseits von der gesellschaftssprache der gebildeten, andererseits vom
Jargon des pöbeis sondern lässt, ist aber darum noch nicht ein und dasselbe wie
eine 'alte mundart' (s. 9; vgl. z. b. s. 62 f. 86,2). Im vorwort sagt uns der Ver-
fasser selbst: 'rein wird die mundart nie mehr gesprochen'. Darum hätte statt
des allzu bequemen ausdrucks 'mundart' ein adäquater terminus gewählt werden
sollen, durch den zugleich die ältere, dialektische literatursprache Nüi-nbergs gedeckt
und in die erörterung einbezogen worden wäre (vgl. s. 10 und die dankenswerte
Übersicht s. 35 ff.). Weil die ältere Sprachüberlieferung Nürnbergs nicht genügend
berücksichtigt wurde, haben die sehr breit vorgetragenen Vermutungen über die
Chronologie der lautveränderungen fast bloss den wert einer Spekulation (vgl. s. 245 f.).
Auffallend wenig Idiotismen entliält der Wortschatz, den Gebhardt vor uns aus-
breitet; auch dies moment beeinträchtigt in hohem grad den 'mundartlichen'
Charakter der spräche (s. 141) und steigert ihren ausgeprägten mischcharakter, der
auch für die phonetischen demente immer wieder erwogen werden musste. Ich
kann mich z. b. nicht davon überzeugen, dass die belege für stimmhaftes -d- (§§ 112,
114) oder für -g ^ -l- (§ 121,4; vgl. s. 133, 140, 184) beweiskräftig und die weit
hergeholten argumente des bearbeiters erforderlich seien. Auch die 'ausnahmen'
von dem quautitätsgesetz (§ 130 aum. 2) werden schwerlich dialektgemäss sein (vgl.
§ 131 anm. 1 u. ö.).
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANX.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaktion ist bemüht, für alle zur besprechunfj geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundifie referenten zu gewinnen, üliernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete hücher zu rezensieren. Eine z u r ii c k 1 i e f e r u n g der r o z e n s i o n s - e x e m-
plare an die lierren Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Brugmann, Karl, Das wesen der lautlichen dissimilationen. [Abhandl. der philol.-
hist. klasse der kgl. sächs. gesellscli. d. wiss. XXVII, 6]. Leipzig, Teubner 1909.
(II), 40 s. I,ß0 m.
Busch, Wilhelm. — Volkmann, Otto Felix, Wilhelm Busch der poet. [Unter-
suchungen zur neueren sprach- u. lit.gesch., herausg. 0. F. Walze 1. K f. V.]
Leipzig, Haessel 1910. (VI), 85 s. 2 m.
Egils s.aga Skallagrimssonar. — Bley, A., Eigla-studien. [Universite de Gand.
Recueil de travaux publies par la faculte de philosophie et lettres, fasc. 39.]
Gand, E. van Goethem & cie. 1910. X, 2B3 s. 13 fr.
Fischer, Frank, Die lehnwörter des altwestnordischen. [Falaestra LXXXV.] Berlin,
Mayer & Müller 1909. X, 233 s. 6,B0 m.
(iroethe. — Doli, Alfred, Goethes Mitschuldigen. Mit anhang: Abdruck der
ältesten handschrift. [Bausteine zur gesch. der neueren deutschen lit., herausg.
von Franz Saran. III.] Halle, Niemeyer 1909. XIII, 275 s. 5 m.
— Francois-Poncet, Andre, Les Affinites electives de Goethe. Avec une
preface de H (> n r i L i c h t e n b e r g e r. Paris, Felix Alcau 1910. VII, 276 s. 5 fr.
128 NEUE ERSCHEINUNGEN — NACHRICHTEN
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Vm, 161 s. 2,50 m.
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Manacorda, GJiiido, Germania filologica. Guida bibliografica per gli studiosi e per
gli insegnanti di lingua e letteratura tedesca con circa 20 000 indicazioni.
Cremona, Pietro Fezzi 1910. 280 s. 10 1.
Ordbok öfver svenska spräket utgifven af Svenska akademien. Hafte 40. Bibe-
hällighet — bildning. Lund, Gleerup (Leipzig, Nils Pehrsson) 1909. Sp. 2401
bis 2560. 1,50 kr.
Ranke, Friedr., Die deutschen volkssagen. [Deutsches Sagenbuch . . ., herausg.
von Friedr. V. d. Leyeu. IV.] München, Beck 1910. XVII, 294 s. Geb. B m.
Römverja saga (AM. 595, 4") herausgegeben von Rudolf Meissner. [Palaestra
LXXXVIIL] Berlin, Mayer & Müller 1910. IV, 330 s. 14 m.
Rübezjilil. — de Wyl, Karl, Rübezahl-forschungeu. Die Schriften des M. Johannes
Prätorius. [Wort u. brauch . . ., herausg. von Th. Siebs u. M.Hippe. V.]
Breslau, Marcus 1909. VIII, 159 s. 6,60 m.
Sagen, Sclilesische. I. Spuk- und gespenstersagen. "\'on Rieh. Kühn au.
[Schlesiens volkstüml. Überlieferungen . . ., herausg. von Th. Siebs. III, 1.]
Leipzig, Teubner 1910. XXXVIH, 618 s. 8 m.
Schiller. — Thiemann, Georg, Schiller und Goethe in den Xenien. [Münsterer
dissert.] Borna-Leipzig 1909. (X), 58 s.
Stockmayer, Gertrud, Über naturgefühl in Deutschland im 10. und 11. Jahrhundert.
[Beiträge zur kulturgesch. des mittelalters und der renaissance, herausg. von
Walter Goetz. 4.] [Tübinger dissert.] Leipzig, Teubner 1910. (VI), 86 s.
2,40 m.
Weise, Oskar, Unsere mundarten, ihr werden und ihr wesen. Leipzig u. Berlin,
Teubner 1910. XII, 279 s. Geb. 2,80 m.
NACHRICHTEN.
Der ordentl. professor an der Universität Strassburg dr. Ernst Martin
tritt am 1. april 1910 in den ruhestand. An seine stelle ist der bisherige privat-
dozent au der Universität Bonn dr. Franz Schultz berufen worden.
Dem ordentl. professor au der uuiversität Ki-akau dr. Wilh. Creizenach
wurde der hofratstitel verliehen, dem ausserordeutl. professor an der Universität Prag
dr. Ad. Häuften titel und rang eines ord. professors. ^o
BRAUT UND GEMAHL.
Bräiitig-ara und braut einerseits, gemahl und geniahlin anderer-
seits werden in der nhd. Schriftsprache so unterschieden, dass jene
bezeichnungen durch die Verlobung, diese durch die Vermählung oder
trauung begründet erscheinen. Die 'magd' (junges mädchen) und
der 'knecht' (junger mann) heissen nach ihrer Verlobung 'braut' und
'bräutigam', und ihre Vermählung- wird erst durch die nachfolgende
trauung vollzogen. Der moderne Sprachgebrauch hängt also mit der
zeremoniellen trennung und zeitlichen aufeinanderfolge von 'Verlobung'
und 'Vermählung' zusammen: nicht durch die Verlobung, sondern erst
durch die trauung wird ein junger mann zum eheraann und ein mädchen
zur ehefrau erhoben ; denn in den neueren zelten wird nicht durch die
Verlobung, sondern durch die kirchliche bezw. die ziviltrauung eine
ehe geschlossen.
Nach alter deutscher sitte ist aber die ehe durch den kauf-
vertrag ('heirat') einer Verlobung, die zugleich Vermählung war, be-
gründet worden. Die nachfolgende laientrauung hatte nur die funktion,
den 'verspruch' oder den vorhergehenden heirats vertrag zu erfüllen.
Dieser ursprüngliche Sachverhalt ergibt sich sofort, wean man die in
den neueren zeiten zu einer selbständigen Zeremonie gewordene kirch-
liche trauung auf ihre Wesenheit prüft und erkennt, dass sie nur
dazu dient, ein Verlöbnis unter gottesdienstlichen formen zu wieder-
hol e n \
Eines der frühesten und anschaulichsten beispiele liefert der mhd.
Lohengrin.
Hier wird erst eine Verlobung und danach deren Wiederholung
als sogenannte kirchliche trauung erwähnt. Beiden partien ist der
entscheidende Verlobungsterminus verjehen gemeinsam: der e man
heidenthalh verjach heisst es v. 2308 und ein andermal (v. 6811 ff.):
dem Lutrlnger gegeben wart heiser Heinrichs tohter. Auf diese
1) R. S 0 h m , Das recht der ehescUiessung s. 101 ff.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 9
130 KAIFFMANN
'trauung' (als hingebimg) folgt das beilager. Am anderen tag, nach-
dem die niorgengabe überreicht worden ist, lädt der giocken klang
die vermählten zur kirchlichen trauiing, und diese ist im text aus-
drücklich als wiederholte Verlobung bezeichnet (v. 6837): der e nu
an der IV ei de verjaliens. cor des münsiers tür dem b/schof von Alenze \
Die eheleute wurden also kirchlich getraut, indem sie vor der
kirchtür noch einmal ihren auf die ehe gerichteten willen bekannten.
Diese kirchliche Wiederholung der Verlobungsformalitäten ist seit dem
ausgang des mittelalters allgemeine volkssitte geworden. Auch im kano-
nischen recht liess man auf die traditio prima die traditio secunda
folgen ^, und bis auf den heutigen tag weist die kirchliche trauung die
Wiederholung der Verlobungsformeln auf^ So ist es gekommen, dass
auch die alte verlob ungsterminologie unserer spräche auf die neu-
modische trauung übergegangen ist^ Es gab eine reihe von syno-
nymen Wörtern für 'verloben'. Aus ihnen konnte jetzt eine auswald
für die verschiedenen akte der veränderten eheschliessungszeremonie
getroffen werden. Tatsächlich hat sich der ausdruck 'vermählen', der
bisher 'verloben' bedeutet hatte, bei der trauung eingebürgert. Folge-
richtig ist auch bei 'gemahl' ein bedeutungswechsel eingeleitet worden.
Denn seitdem dies Wort bei der wiederholten Verlobung, bei der trauung
sich festsetzte, kam es im 15.-16. Jahrhundert nicht mehr den ver-
lobten, sondern den getrauten eheleuten zu (vgl. Luthers traubüch-
lein) ''. Dies konnte um so leichter geschehen, als nicht bloss das
Volk, sondern auch die kirche vorerst an dem fundamentalsatz fest-
hielt, dass die ehe durch die Verlobung geschlossen werde *^ ; erst im
17.-18. Jahrhundert haben sich die dinge noch weiter gewandelt, als
die trauung an stelle der Verlobung der allein zulässige und recht-
1) Vgl. Zfda. 13, 159 f. Zeitschr. 1, 272 anm. So hm a. a. o. s. 101 aum. 61;
s. 177 anm. 53.
2) S 0 h m s. 149, vgl. s. 159 ff.
3) So hm s. 104. 105 anm. 70; 'es waren während des ganzen mittelalters
nur Verlobungsformen, welche in die kirchliche trauungshaudluug aufnähme ge-
funden hatten' s. 179 (vgl. s. 216. 217 ff.). Aus dem mähelring (d. h. verlobungs-
riug) ist ein trauring geworden, weil er nicht mehr bloss beim Verlöbnis, sondern
nochmals bei der trauung gegeben wurde.
4) S 0 h m s. 104 f. ; in Deutschland gehört dieser Vorgang der zweiten hälfte
des mittelalters an (s. 166. 185).
5) So hm s. 170. Braune, Beitr. 32, 33.
6) Sohm s. 197; 'vermählt' : 'verlobt' : 'getraut' traten in freien Wechsel s. 213
(vgl. Braune, Beitr. 32, 32 anm. 2); eine 'Verlobung' wird noch im 16. Jahrhundert
eine 'Vermählung' und ebenso die 'braut' ein ehelich 'gemahl' genannt (s. 198).
BRAUT UND GE^rAHL 131
lieh unentbehrliche bestandteil der eheschliessung geworden ist K Be-
deutete fortan 'g-emahlin' nicht bloss die vermählte (bezw. verlobte),
sondern die getraute ehefrau, so fehlte im deutschen Sprachgebrauch
eine Sonderbezeichnung der verlobten frau. Hiefür ist in Ostmittel-
deutschland als neuerer ersatz der name 'braut' aufgekommen-.
Will man von diesen neuerungen absehen und die ältere bedeu-
tung von 'braut' und 'gemahl' ergründen, so dürfen diese ausdrücke
keinesfalls in die seit dem 13. Jahrhundert in stärkere aufnähme
gekommene trauung (Vermahlung) eingestellt veerden. Sie könnten
eventuell höchstens auf die altdeutsche Verlobung bezogen werden,
und es ist in der tat sowohl ahd. hrilt als ahd. gemalda für die
verlobte belegbar '^ Auch ist niemals bestritten worden, dass seit
ältester zeit 'gemahl' ein epitheton der verlobten gewesen ist. Während
man aber früher das wort 'braut' ebenfalls durch 'verlobte' wieder-
gegeben hat, ist neuerdings von W. Braune mit erfolg erwiesen worden,
dass man sich dabei im Irrtum befand, dass für 'braut' die bedeutung
'verlobte' vollständig ausgeschaltet werden muss. Wenn Braune sagte,
es müsse der begriif 'verlobte, versprochene' von dem wort bnU in
allen älteren germanischen sprachen vollständig ferngehalten werden,
so fügte er positiv hinzu, als wesentliches moment habe vielmehr bei
diesem ausdruck der Vollzug der ehe zu gelten^. Es lag ihm zwar
fern, das wort 'braut' in die trauungszeremonie einzuschalten, er
empfahl vielmehr als kennzeichen der braut die am abend des hoch-
zeitstags beginnende geschlechtliche aktivität, hielt es aber doch für
den neuhochdeutschen Sprachgebrauch charakteristisch, dass die be-
zeichnung 'braut' von der am hochzeitstag jung vermählten auf eben
diesen hochzeitstag als den letzten tag ihres jungfräulichen Standes
ausgedehnt worden sei^. Braune spricht in diesem Zusammenhang
davon, 'dass der hochzeitstag nur durch eine art vorausnähme schon
zum zustand des neuvermähltseins hinzugezogen wird'. Jedoch nach
altem deutschen recht ist die braut schon durch die eidliche bekräfti-
gung des verlöbnisvertrags vermählt und hat seit alters ihren hoch-
1) Doch ist der unterschied zwischen katholischer und protestantischer auf-
fassung in den konfessionell gemischten deutschen landschaften nicht zu übersehen
(Sohm s. 272 f. u. ö.); bei den Protestanten ist die alte deutsche Verlobung ganz
verloren gegangen (s. 283), bis die ziviltrauung sie wieder hergestellt hat (s. 286;.
2) Braune, Beitr. 32, 53 if. 56.
3) Braune, Beitr. 32, 44 f. uum.
4) Beitr. 32, 36.
5) Beitr. 32, 45.
9*
132 KAUFFMAXN
zeitstag- als 'vermählte' gefeiert; denn dieser ausdruck hat dieselbe
Bedeutung wie 'verlobt' \
Die darlegung Braunes leidet also zum mindesten unter den
von ihm gebrauchten Wendungen, die den Irrtum befestigen könnten,
die Synonyma 'verloben' und 'vermählen' auf zwei zeitlich getrennte
Vorgänge zu verteilen. Eine weitere Unklarheit entstand dadurch,
dass Braune unter 'Vermahlung' zwar nicht die trauung, wohl aber
die hochzeitsfeierlichkeiten verstanden wissen will. Er bemerkt z. b.,
in der altnordischen prosa gelte h-üpr nur von der braut während
der hochzeitsfeierlichkeiten, zu denen auch schon die reise zum
haus des bräutigams, wo die hochzeit gehalten wurde, proleptisch
eingerechnet werde". Nun ist aber diese 'reise zum hause des
bräutigams' gerade eine der allerwichtigsten hochzeitsfeierlich-
keiten ^ und unter dem namen heimführung oder heimholung all-
gemein bekannt. Neben ihr sind von hochzeitsfeierlichkeiten nur
noch das hochzeitsmahl und der hochzeitstanz zu nennen. Braune
fügt allerdings auch das beilager hinzu als den nach seinem urteil
letzten und entscheidenden akt der hochzeitsfeier. Er meint, erst
durch das beilager werde die ehe vollzogen; er hält das beilager für
den wesentlichsten moment der eheschliessung und leitet aus ihm
gerade das wo-rt 'braut' ab. Erst nach der durch das beilager voll-
zogenen 'Vermählung' soll von haus aus die bezeichnung des mäd-
chens als 'braut' berechtigt gewesen sein.
So gelangte Braune zu der Schlussfolgerung, für 'braut' sei als
zentrale bedeutung gesichert: uxor quae concumbit cum viro.
Diese these ist aus wortgeschichtlichen gründen schon von Kluge
angefochten worden*; ich möchte sie auch sachgeschichtlich widerlegen.
Braune scheint anzunehmen
1. zur hochzeitsfeier gehöre die copula carnalis auch in dem
sinne, dass sie nicht auf die 'Verlobung', sondern erst auf die zeitlich
davon getrennte 'Vermählung' folge ;
2. das auf hochzeitsmahl und hochzeitstanz folgende beilager
bedeute den Vollzug der ehe^.
1) Zfda. 2, 548. S o li m s. 78. 198.
2) Beitr. 32, 49.
3) Wolfram von Eschenbach nennt schon der hrütloufte hochgezit.
4) Beitr. 34, 561 ff.
6) Er stellt es z. b. als ganz unzweifelhaft hin, 'dass das nord. brud, welches
nur noch den anfangstermin der altgermanischen brautzeit, die hochzeitsfeier fest-
hält, das hauptgebiet seines alten bedeutungsumfangs eingebüsst hat'.
BRAUT UND GEJrAHL 133
Dem ersten satz steht die im deutschen volk zähe sich erhaltende
lebensauffassung entgeg-en, dass die copula carnalis vorwurfsfrei vor dem
hochzeitstag- nach der Verlobung schon am heiratstag eintreten könne.
Diese gegeninstanz hat übrigens Braune selbst anerkannt, wenn er
den bedeutungswandel, den. das wort 'gemahl' erfahren hat, sachlich
auch dadurch bedingt sein lässt, dass in vielen fällen der 'Vollzug
der ehe' unmittelbar auf die Verlobung gefolgt sei', also ein braut-
stand entfiel. Verhält es sich so, dann durfte das entscheidende kenn-
zeichen der braut nicht auf den hochzeitstag datiert werden, weil in
vielen fällen nichts im wege stünde''^, dass die 'braut' bereits als
solche, und zwar nicht als 'jung vermählte' (Beitr. 32, 52), sondern als
verlobte lagergenossin, in die öffentlichen feierlichkeiten des hochzeits-
tags einträte. Ferner brauchte Braune keine Schwierigkeiten darin zu
sehen, 'dass der hochzeitstag- nur durch eine art vorausnähme schon
zum zustand des neuvermähltseins hinzugezogen wird', würde es sich
doch unter jener volkstümlichen datierung der copula carnalis von
selbst verstehen, dass das hochzeitsfest in dem sexualbegrifi* 'braut'
enthalten wäre ^.
Gegen den zweiten satz kann ich mich kurzerhand auf Sohm
berufen. Dieser scharfsinnige historiker hat mit der in der älteren
rechtsliteratur herrschenden und auch noch die ausführungen Braunes
beherrschenden lehre aufgeräumt. Früher glaubte man in der tat, in
dem auf die Vermählung oder die trauung folgenden beilager die ehe-
schliessung des deutschen rechts gefunden zu haben *. Mit dem feier-
lichen, als beilager bezeichneten akte wird aber nicht die ehe ge-
schlossen ; mit ihm beginnt vielmehr das genossenschaftsverhältnis und
die Standes- und lebensgemeinschaft der eheleute. Nachdem die eheliche
Verbindung durch Verlobung und hingäbe (trauung) in vollem sinn tat-
sächlich geworden ist, tritt mit dem rechtssymbolischen beilager das
1) Beitr. 32, 33 f.; vgl. insbesondere Sohm s. 233 f. Weinhold, Deutsche
frauen 1', 347. 'Mit dem heiratstag beginnt gewissermassen die ehe; wenigstens
findet man, sobald er vorüber, das leben der brautleute auf ehelichem fusse nicht
mehr anstössig'. Birlinger, Aus Schwaben 2, 271. — Über den mlid. Lohen-
giin ist bereits s. 129 f. gehandelt.
2) Braune hebt ausserdem hervor, dass zwar das wort braut sich in allen
lebenden neugermauischen Schriftsprachen nur auf das legitime Verhältnis beziehe,
dass aber diese beschränkung in dem älteren Sprachgebrauch nicht vorliege (vgl.
Beitr. 32, 47 f. 51 f.).
3) Beitr. 32, 45. 52.
4) Sohm, Das recht der eheschliessung s. 88 ff. 233 ff. 264 ff.
134 KArFF^rA^•^•
eheliche, d. h. das genossenschaftliche güterrecht in kraft \ Die jung
vermählte frau ist also bereits e h e frau, bevor sie das lager des ehe-
herru teilt; durch das beilager wird sie seine ehegenossin. Für die
bettgenossin kommt übrigens der aiisdruck hraiit auch deswegen nicht
in frage, weil wir dafür eine treffende bezeichnung in dem wortpaar
gatte — gattin besitzen, das in seiner westgermanischen form (ags. ;^e^acl'f,
and. gigado, ahd. gegafo) zwar im allgemeinen nur irgendw^elche 'ge-
nossen', aber gewisslich auch die ehegenossen bezeichnete (vgl. schon
got. gadil/gg ff, d.gs. ;jcedelin^, and. gaduling^ nhd. gatul/7ig verwandter)-.
Die erörterung Braunes führt unS; von welcher seite wir sie
kritisch beleuchten, zu dem ergebnis, dass auf grund der von ihm
erwähnten beziehungen die 'braut' der altgermanischen verlobungs-
terminologie angehören müsste. Dem steht nun, wie gerade Braune
mit voll überzeugenden gründen bewiesen hat, der tatsächliche Sprach-
gebrauch konträr gegenüber. Aus dieser antinomie gibt es nur einen
ausweg: Braunes argumentation muss an irgend einer stelle unrichtig
sein. Sie fordert demnach zu einem erneuten versuch heraus, dem
Worte 'braut' seinen platz in dem ritual der altgermanischen ehe-
schliessung anzuweisen und dadurch seine grundbedeutung anders zu
bestimmen.
Eine eheliche, d. h. legitime Verlobung spielte sich ehemals unter
unserem volk in vier akten ab. Der zeremoniell gebundene hergang
wurde durch eine sippen Versammlung eingeleitet; diese beriet
über den kauf vertrag (heirats vertrag), dessen erfüllung durch ein
handgeld in rechtsverbindlicher wettform sichergestellt werden musste
(vgl. got. gawadjon) ; den abschluss der Verhandlung bildete die rechts-
symbolische bekräftigung ihres ergebnisses durch handschlag einer-
seits und gern ein Schaft Strunk andererseits. Mit dem handschlag
als der alten deutschen schwurgebärde ist eine neu zu begründende
eheliche lebensgemeinschaft zwischen den angehörigen zweier sippen
eidlich gelobt oder beschworen worden. Erst der feierliche gemein-
1) Sohm s. 96. 97. v. Amira in Pauls Gruudr. 3-, 109 ('auf bettes zeugung
gründet sich alles erbrecht'). Der von Braune für die braut verwertete terminus
'bettgenossin' gewinnt dadui-ch einen ganz neuen sinn; vgl. dat wif is ok des
mannes genotinne tohant alse sie in sin hedde trit (Sachsenspiegel 3, 45, 3). Auch
nach dem kanonischen recht hat das beilager nicht die bedeutung des ehevollzugs
(Sohm 8. 114 f.), sondern macht die ehe unauflöslich (s. 142. 1521 2391). Aus
analogem gedankengang wird man and. sinhiun (ehegatten) ableiten müssen.
2) Es ist schliesslich noch an ahd. gimahhidi > nhd. gemachte (ehegatten) zu
erinnern.
r.RAUT UND GEMAHL 135
schaftstrimk bildet die volkstümliche ausdrucksform dessen, was wir
die eigentliche Verlobung neuneu, denn durch gemeinschaftliches essen
und trinken wird der wille zur lebensgemeinschaft zum erstenmal rituell
betätigt; kraft dieser symbolischeu handlung- verloben sieh die ledigen
leute, der knecht und die magd\
Zu geschlossener anschaulichkeit sind die als ein feierliches ge-
lübde bezeichneten Verlobungszeremonien von Neocorus gebracht
worden. Er berichtet-: Up erkmgeür iinde bescheidener tidt holden
linde, schicken sick beide parte thom gelöffte
1. bidden ehre f runde im de andere gude luede, so se gerne darbt
hebben ^, erschinen am benömeden orde, itt sl in einem hiise edder, wo
nun an etlichen orden am meisten gebr ucklich, in der kercken.
2. iiha erorteringe edler corlopener hendele bereden se sick verner
der uthredinge, brndtwagen, brudtschatt, medegiffte unde wat demsiUven
bifeUig, ico it np vormotlichen dodffall beides deles schole geholden
werden.
3. wan solches vorgeliket unnd bigelecht, danket mit fruntliker
ehr unnd handbeding de brudegam unnd sin bistand der brut f runde
unde affgeferdigede, unnd beide dehel vorcögen sick gemcinichlik tho-
samen in eines iverdes hus, dar de cordrach in de kercken gescheen;
is acerst solches in einem huse thogegaen, bliven se dar.
4. önnd geit denn de lövede-beker . . . wertt desulve einem iedern
anwesenden dorch einander volgeschenket nnde mot ein ieder demgeliken
ehn gar up den Lodden leddigen, It wahret averst de brudegam den
beker gar genow . . . de ohrsake acerst, warumme de brudegam den
beker so genoive achtet unde vorwharet, is . . . dat he densulcen der
brut up den avent mit einem stattlichen ehren-penning , an dem orde,
dar 'Se is, bringe unnd thodrinke'^. Is averst de brut in demsulven
1) Über das genossenschaftssymbol der Speisegemeinschaft vgl. Wörter und
Sachen, herausg. von Meringer 2, 20 if. Bewirtung durch hier und brot stellt sym-
bolisch die gegenseitig geschlossene freundschaft dar (Beiträge zur deutsch-böhmischen
Volkskunde 6, 138) ; das hauptbeisi«el ist der in Hessen und Thüringen übliche
'weinkauf bei der Verlobung.
2) Chronik des landes Ditmarschen, herausg. von Dahlmann 1, 106 f.
3) Vgl. aus den Prager Statuten bei Rö ssler, Deutsche rechtsdenkmäler
aus Böhmen 1, 49: zum ersten, loen das ist, daz ain man ain jungfraiven oder
wittewen nennen wil, so schol er und sie von paiden tailen ir frund bitten oder
ander piderh gesessen leute zu heirezlenten und daz sint recht hcirezlcute, vor den
das gelilh geschieht (Friedberg, Das recht der eheschliessung s. 25 anm.).
4) Vgl. das Kölner Verlobungsformular (14. jahrh.), Zfda. 7, 553 f.: dan sal
de hrutgem der brut schenken ussc eime kopp ind der brut gern sal irst drinhen
136 KAUFFMANN
huse, dar dat gelöffte geschieht, kumbt de nun allererst thom imrschine
int gelach . . . entfenget den heker . . . wen nun solche dinge vorrichtet,
wert tq)gedecket unnd np der brut unde hrudegammes Unkosten ivol-
geteret, offt . . . wo de Ditmerschen singen: de leve nacht beth an den
lichten morgoi.
In diesem bericht ist fast alles - nur nicht die bezeichnung der
verlobten als brudegam und brut, sowie das der braut statt ihrem Vor-
mund eingehändigte handgeld {ehrenpenning) - hoch altertümlich. Die
Verlobung vollzieht sich noch nicht zwischen bräutigara und braut,
sondern zwischen den beiden sippen. Von ihnen wird die erfüllung
des gelöbuisses (kaufvertrags) durch handreichung (handschlag) ^ fest-
gemacht. Dies handgelöbnis ist aber nur eine abbreviatur des älteren
eidschwurs. Ursprünglich war die formelle Vereidigung der beiden
Sippen oder ihrer bevollmächtigten Vertreter erforderlich gewesen. Noch
im Nibelungenlied und in der Gudrun ist dieser verlobungsakt vor-
trefflich überliefert. Es heisst im Nibelungenlied str. 1681 :
man besciet der iuncfrouwen bürge unde lant.
des sichert da mit ei den des edelen küneges hant
und auch der herre Gernot
und Gudrun str. 665:
do vestente man die schcenen dem recken an der stunt
ferner str. 1043:
Ir wizzet wol her Hartmuot . . .
daz man mich bevestent einem künege hat
mit vil sta'ten ei den zeim elichen wibe
und Str. 1245:
do sprach der vürste Herwic . . .
diu mag et ivas in in ivip
si IV as mir bevestent mit ei den also sta'ten^.
Nach solchen Schwurzeremonien heisst das mädehen anord. festar-
mey^: es ist damit dem jungen manu eidlich versprochen oder zu-
ind der brut dar na schenken. Weiteres bei Weinhold, Deutsche frauen 1-, 382 ff.;
Friedberg, Recht der eheschliessung s. 62 f. (Roman de Perreforest) ; 42 (engl, to
drink to each other). Auch in Tirol und andernorts 'trinkt sich das paar einig',
Hochzeitsbuch s. 119.
1) Da der verspruch durch handschlag, den der brautvater dem bräutigam
noch in manchen dörfern erteilt, bekräftigt wird, so heisst er auch 'handstreich'
wie in Tirol 'handschlag' (E. H. M e y e r , Badisches Volksleben s. 257).
2) Vgl. S 0 h m s. 35 f. 46 ff. (handfeste).
3) Braune, Beitr. 32, 31 f. 32 anm. 2; vgl. den schwäbischen 'festwein' am
BRAUT UND GEMAHL 137
,i::eschworen und erhält darum im altertum das altnd. (und afries.)
epitheton anthHi^. Also nicht der knecht und die magd verlobten
sich durch eidliche Vereinbarung-, sondern die mag-d wurde dem knecht
von ihrem mundwalt gelobt und versprochen, durch ein feierliches
gelübde mit mund und band zugesagt {do siviwr man im ze ivibe
Nibel. 1680 A).
Durch den eid wurde der junge ehemann mit der brautsippe
verschwägert oder in die sippe der braut aufgenommen. Er heisst
darum e i d a m. Sehr treffend kommt dieser Zusammenhang noch im
Tristan des Heinrich von Freiberg zutage. Bei der Verlobung der
Isot sagt der herzog Jovelin zu Tristan (v. 496 ff.):
'nu sult ir . . . mir ivilkome sin
sun und lieber ei dem min.
iuch sol ivesen undertan
lernt und Hute und swoz ich han.^
waz sol ich lange hie von sagen?
daz heilictuom ivart dar getragen
und wart Tristande vür gehabet
und wart im der eit gestabet.
nu sivuor auch her Tristan,
daz er walte Isoten hau
und nemen sinem Übe
zu eime elichen wibe.
Als wertvollen beleg für die herbeiführung einer 'künstlichen' Ver-
wandtschaft im rechtsgebiet der Westgermanen hat schon M. Pappen-
heim das wort ei dam angezogen, denn es deutet auf die durch einen
eidschwur vermittelte aufnähme des verlobten mannes in die sippe der
haustochter hin (engl, son-in-laiv) ^. 'Eidam' ist nicht der name für
den tochtermann, sondern für den an sohnesstatt angenommenen
'Schwiegersohn'. Der formalismus der Verlobung enthüllt sich uns
von dieser seite her als ein a d o p t i o n s r i t u s ^.
heiratstag bei Birlinger, Aus Schwaben 2, 294. Tis eher, Schwab. Wörterbuch
2, 1444 f.
1) Braune, Beitr. 32, 32. Verf. Wörter und Sachen 2, 25 vgl. ahd. antheisit:
uouitur Ahd. gl. 4, 24, 20.
2) Zeitschr. d. Savignystiftung für rechtsgeschichte, germanistische abteilung
29, 312.
3) Unter den bekannten adoptions gebrauchen kommt für den cidam die
eiuhüllung des zu adoptierenden iu das gewand des adoptierenden für Deutschland
in betracht (Pappen he im a. a. o. s. 318 f.), denn hier ist es allgemein verbreitete
138 KAUFFJrANN
Wie nun der verlobte mann durch eidschwur in die sippe des
umworbenen mädchens aufgenommen und durch die anknüpfung künst-
licher verwandtschaftsbande als Schwiegersohn adoptiert wurde, so war
für die verlobte frau, die in die sippe ihres mannes einheiratete, eben-
falls die adoption erforderlich. Ihren sprachlichen ausdruck fand die
vollzogene adoption der ehefrau von selten der Schwiegereltern durch
das wort 'braut': braut ist das suppletive fem in in um zu
eidani^. Diese behauptung soll im einzelnen begründet werden.
Wie die eitern des mädchens, so mussten auch die eitern des
barschen auf künstliche herstellung eines kiudschaftsverhältnisses be-
dacht sein. Das verfahren, durch das es zustande kam, ist aber nicht
von vornherein so deutlich wie die adoption des eidams. Die betref-
fenden hochzeitsgebräuche sind von philologischer seite zwar wieder-
holt berührt, aber noch ganz ungenügend erläutert worden.
Wir haben gesehen, dass bei einer eheschliessung als erste In-
stanz die Sippen Versammlung (s. 134) aufgeboten ward'-. Diese
heisst in der Lex Wisigotorum placitmii (3, 1, 4). Das altdeutsche
wort dafür ist mahal. Davon sind 'gemahl' und 'vermählen' ab-
geleitet ^ In diesen Wörtern kommt die für die sich verloben-
den entscheidende fuuktion der Sippenversammlung oder, wie wir
auch sagen können, der geschlechtsvormundschaft zum ausdruck.
'Gemahl' und 'vermählen' beziehen sich also auf eine durch die ge-
schlechtsvormundschaft in der Sippenversammlung nach förmlicher
beratung vollzogene Verlobung. J. Grimm und andere (vgl. DWb. s. v.
gemahl) hatten dafür gehalten, 'mahl' sei auch in diesem fall als
'gerichtsversammlung' zu interpretieren ; aber dafür ist, wie Sohm
sitte, dass die verlobte ihrem bräutigam ein hemd schenkt. Mau wird gerne der
Vermutung räum geben, dass angesichts der unselbständigen rolle, die das mädchen
beim Verlobungsgeschäft spielte, ursprünglich ihr mundwalt es war, der den ver-
lobten in sein 'hemd' hüllte.
1) Wie im ledigen stände magd zu knecht.
2) intersunt jinrentes et lyropinqiii Tacitus. Germania c. 18 (vgl. c. 22 de inn-
gendis affiiiiiatibus). Si quis ßliam alienam ad coniugium quaesien't praesenfibus
suis et puellae jjarentihus Lex Salica 70; vgl. E. Kost 1er, Muntgewalt und ehe-
bevrilligung. Zeitschr. d. Savignystiftung, germ. abteil., 29, 96. 130 ff. R. Schröder,
Geschichte des ehelichen güterrechts in Deutschland 1, 3 ff. u. a.
3) ahd. mahal: concio, pactio, foedus nuptiarum (Ahd. gl. 2, 147, 30); maha-
lon : causas agere ; gimahaUa : pacta, desponsata ; gemahala : sponsa ; gemahelo :
sponsus; tnaliaJscaz: arrha (handgeld, Verlobungsring); maheltac: dies sponsionis.
Vgl. dän. giftermaal (Verabredung über die hingäbe eines mädchens: hoi-ttinge
en ])ige).
BHAUT UND GEMAHL 139
s. 62 f. mit recht eingewendet hat, nicht der geringste beleg beizu-
bringen, denn 'wohl werden zeugen und verwandte, aber niemals wird
das gericht zur trauung oder Verlobung zugezogen'. Auch ist es nicht
angängig, im altgermanischen Sprachgebrauch *mapla und ^maßlian auf
gerichtsverhandlungen einzuschränken; wie *maj)liaii in den altger-
manischen sprachen einfach 'reden' bedeutet \ so kommt auch dem
grundwort eine weitere bedeutung zu (vgl. ags. mceöel): es mag über-
haupt für Versammlungen gebraucht worden sein, in denen über ge-
meinsame angelegenheiten verhandelt wurde ^.
Der ausdruck 'gemahl' stammt also aus einer zeit, da die ehe-
schliessung noch nicht sache der einzelnen, sondern der sippe bezw.
der geschlechtsvormundschaft gewesen ist. Nun hat sich aber bekannt-
lich die Sippenverfassung im lauf des deutschen mittelalters aufgelöst.
Die folge war, dass die jungen leute sich aus der geschlechtsvormund-
schaft befreiten und dass demgemäss eine vollständige neuordnung der
Verlobungsformalitäten platzgriff. Der bräutigam konnte sich in den
neueren zeiten ohne Vermittlung der sippe verloben und das von ihm
umworbene mädchen, das bisher nur objekt des Verlobungsvertrags
gewesen war, konnte nun ihre Verlobung auch als persönliche an-
gelegenheit betreiben. Die jungen leute waren nunmehr für sich
selbst verlobungsfähig. Der wichtigste ausdruck für diese veränderte
Situation ist die sitte, dass jetzt nicht mehr der vormund, sondern das
mädchen von ihrem verlobten das handgeld empfängt ^ Auch der
eidschwur, den die im ring stehenden sippegenossen auf die er-
füllung des ehevertrags zu leisten hatten, ist fortan zu einem persön-
lichen treuegelöbnis zwischen den beiden ledigen personen geworden.
Nach dieser veränderten rechtsordnung des deutschen mittelalters
gehörte zum tatbestand einer Verlobung vor allen dingen die Willens-
erklärung der jungen eheleute. Im übrigen ist nach volkstümlicher
weise der herkömmliche formalismus einer Verlobung vielfach bestehen
1) 'gemahr ist confabulatus, Wörter und Sachen 2, 25 ; die verlobten wurden
durch die sippenvertreter 'zusammeugesprocheu'.
2) Vgl. colloquium ubi familiäres pactioues voventur: alder ma sueslika triua
liiuad (Rieh thof en , Friesische rechtsquellen s. 20, 14 f.).
3) Gerne schon nach römischer sitte in der gestalt des eherings:
do bevestente si der gtiote ehneht
so ivas geivonlich unde recht :
er gap ir sin vingerlin,
daz was rechte gemahelin (Hochzeit 226 ff.).
Vgl. Sohm s. 33f. ; 'Ist der finger beringt, ist die Jungfer bedingt' (s. 55 f.).
140 • KAUFFMANN
geblieben. Die äussere form darf aber nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die heirat jetzt anders verläuft als im altertum. Mindestens ist
der realkontrakt des älteren deutschen Verlobungsrechts in einen
formalkontrakt umgesetzt worden. Und diesen tiefgreifenden Um-
schwung begleitet wiederum ein veränderter Sprachgebrauch: 'trauen,
vertrauen' traten jetzt an die stelle von 'vermählen' ; der alte ausdruck
für das handgeld mahelschcdz wandelte sich zu 'treuschatz' ^, und folge-
richtig ist der mahelrinc zum 'trauring' geworden ; aus den vermählungs-
bezw. Verlobungsfragen wurden traufragen, denn der formalkontrakt
einer mittelalterlichen Verlobung ist ein treugelöbnis ^. Diese neuere
trauungsterminologie ist im gründe die terminologie der Verlobung^,
aber bemerkenswerterweise beherrscht sie später nur die vor dem
priester wiederholte Verlobung, während die nicht auf die treue, sondern
auf das gelöbnis gestellte terminologie bei der ersten, die ehe schliessen-
den Verlobung geblieben ist. Aber die grundtatsache, dass auch die
'trauung' eine Vermählung oder Verlobung*, nur eben in der Wieder-
holung, darstellt^, kommt sehr gut in der Übertragung der Wortsippe
von 'vermählen' auf die trauung heraus. Seitdem die geschlechts-
vormundschaft verschwunden und die entscheidende mitwirkung der
sippe aus den Verlobungsformalitäten ausgeschieden ist, waren die
alten, aus der Sippenversammlung stammenden verlobungsausdrücke
'vermählen' ^ und 'gemahl' in der gefahr, mit der zu ihnen gehörenden
Institution ebenso unterzugehen wie mahelschatz, mahelring u. a. Sie
waren für das Verlobungsgeschäft überflüssig geworden. Diese alt-
1) 'wenn die eheberedung (d. h. Verlobung) zwischen den ehegemahlen ge-
schlossen, sie einander ihre treue verheissen, auch treuschatz daraufgegeben
haben' (So hm s. 57 anm.).
2) So hm s. 33; trauen, vertrauen = auf treue versprechen s. 213 (vgl.
anord. trülofa).
3) Eine interessante stelle findet sich schon im Passional (ed. Köpke)
119, 6ff. : 'du Salt vertruwen dich darohe mit Agneten der guten . . . und sie
zu, einer hrut tizlesen, die ouch dir nutze mac gesin.' ein harte richez vingerlin
gab er do dem guten man . . . daz solt er Agneten gehen, der gute man so hin
beneben in sante Agneten closter trat, da was ir bilde an einer stat gemäht rich-
lichen genuc. das vingerlin er hin truc und bot ez der iuncvrouwen. ein wunder
liez sich schouwen an dem bilde sanzuhant. einen vinger von der hant ez gegen
im do rechte, daz vingerlin er steckte im an den vinger . . .
4) Im 16. jahrh. wird 'trauen' für 'verloben' gesetzt (vgl. die belege bei
So hm s. 213).
5) Vgl. z. b. Sohm s. 217 ff.
6) Noch im 16. jahrh. wird es im sinne von 'verloben' gebraucht (Sohm
s. 198\
BRAUT UND GEMAHL . 141
modischen bezeichniingen sind uns nur dadurch erhalten geblieben,
dass sie mit der wiederholten Verlobung in Verbindung traten. Seit-
dem gebrauchen wir nicht mehr 'verloben' und 'vermählen', sondern
'trauen' und 'vermählen' als Synonyma \ und seitdem ist das epitheton
'gemahl' den getrauten personen vorbehalten. Im sinn von 'verlobte'
ist das wort 'gemahl' vollständig durch 'braut' ersetzt worden.
Zum unterschied von 'gemahl' gehörte das wort 'braut' von haus
aus nicht zur terminologie der Verlobung, sondern, wie J. Grimm meines
erachtens richtig gesagt hat, zur heimführung (s. DWb. 2, 331).
Schon in der alten benennung dieser hochzeitszeremonie treffen
wir das wort bnit an seinem richtigen platz; vgl. ahd. brutleiti, mhd.
brutleite und noch altertümlicher mhd. brutlouft, ahd. bnithlaiift, mnd.
bnäloft, fries. brölep, ags. brijdMop, anord. bniphlnup. Dieser uralte
ausdruck führt uns in den für die grundbedeutung der 'braut' ent-
scheidenden zusammenhangt Bis zum brautlauf war das verlobte
mädchen des ledigen mannes 'gemahl {sponsa)\ durch die heimführung
wurde sie seine 'braut {uxory ^.
Die durch die Verlobung vertragsmässig geschlossene ehe wird
durch die heimführung vollzogen. Im stand der Verlobung war die
ehe ein rechtsverhältnis, nun wird sie ein tatverhältnis ^ Dazu kommt
es erstens dadurch, dass das verlobte mädchen aus dem haus ihrer
eitern scheidet, nachdem sie ihrem verlobten oder dessen Stellvertreter
übergeben und anvertraut worden ist (sog. altgermanische 'trauung');
zweitens dadurch, dass sie, in das haus ihres verlobten zeremoniell
eingeführt, mit ihm die eheliche lebensgemeinschaft beginnt.
Der heiratsvertrag forderte seine erfüllung, wenn er nicht gelöst
wurde. Zu dem zweck seiner erfüllung musste das verlobte mädchen
nicht bloss in die munt ihres neuen eheherrn übergeben, sondern sie
musste auch in seine hausgenossenschaft aufgenommen und mit seiner
familie verschwägert werden. Die erfüllung des Verlobungsvertrags
1) der geist tvirt gotes eigen . . . aher in geistlicher vrouden icirt er gelruicet
und gemäht (Mystiker 1, 23, 13j.
2) Kluge, Beitr. 34, 562 f.
3) Vgl. brautführer; dazu ein frowethe imrt tho unter in sam sie einehr ut
scolten fuoren (Eolandslied 7746 f.). einen boten... sande er... für die brout
junge . . . das si sceme siiiem Hute vil tool zuo einer braute . . . do cliomen mit der
braute heremuode loute ... da was diu beste ivirtschaft die der ie dehein man ze
sinen broutlouften gewan (Hochzeit 247 ff. 317 ff.; dazu afries. breid hala Beitr. 35,
306 anm.).
4) So hm s. 91.
142 • KAUFFMAXN
geschieht nach altem deutschen brauch in zwei Stadien: das eine ist
die trauung-, das andere die heimholung.
Die altgermanische trauung beginnt mit der sogenannten 'braut-
auslösung' \ sofern der bräutigam den Kaufpreis für das mädchen
bezahlte, wie er im heiratsvertrag vereinbart worden war^; darauf
folgt die sogenannte 'hingäbe', sofern der bisherige muntwalt das
versprochene mädchen ihrem verlobten übergab -^ ; den dritten akt bildet
die förmliche besitzergreifung, sofern der junge ehemann das ihm an-
vertraute weib als ihr nunmehriger muntboro in seine herrschaftliche
gewalt nahm \
Die trauung als hingäbe des mädchens an den eheherrn ist aber
eine Übergabe zur heimholung. Erst wenn die vermählte frau in
die familie des mannes eingeführt ist, beginnt die ehe als haus- und
Wirtschaftsgemeinschaft der frau mit ihrem 'wirte'. Nach volkstüm-
licher sitte sucht sich die junge frau dieser über ihre zukunft ent-
scheidenden heimholung noch im letzten augenblick zu entziehen.
Unterwegs, ehe sie ihr zukünftiges heim erreicht hat, entläuft sie dem
in Waffen sie geleitenden hochzeitsgefolge (druht) ^, wird aber ein-
geholt, endgiltig ihrem eheherrn ausgeliefert und in ihr hochzeitshaus
eingeführt.
Um die Vorgänge bei der nun folgenden aufnähme in die neue
hausgemeinschaft und bei der mit ihr verbundenen verschwägerung
zwischen braut und bräutigamssippe zu erkennen und das wesentliche
von dem unwesentlichen beiwerk zu entlasten, müssen die rechtswirk-
samen Symbole aufgesucht werden. Nun hat man längst gesehen, dass
1 ) A. J 0 h u , Sitte brauch und Volksglaube im deutschen Westböhmen s. 133.
2) Vgl. ags. witumbora (Boeder, Nachrichten der gesellsch. d. wissensch.
zu Göttingen, hist.-phil. kl. 1909, 14 ff.).
3) Vgl. den schluss der schwäbischen trauformel MSD=^ 1, 320, 23 ff. Aus
dem formalismus der hingäbe (traditio) stammen die alten eheschliessungstermini
wie got. frag ifts, anord. gif t gipta, ags. giß, mnd. to liope geven u. a.; nach neuerem
Sprachgebrauch wird das mädchen dem mann anvertraut oder angetraut (vgl. Sohm
s. 69. 70. 73).
4) de man is ok Vormunde sines wiues to haut als sie ime getruwet wert
(Sachsenspiegel 3, 45, 3; Sohm s. 61). Er umhüllte sie mit seinem mantel. Rechts-
wirksam war aber insbesondere das symbol, dass der junge ehemann dem ihm über-
gebenen mädchen auf den fuss trat (Meier Helmbrecht 1507 f. Weinhold,
Frauen 1-, 371. Zeitschr. d. Ver. f. volksk. 4, 173 f.).
5) Dargun, Mutterrecht und raubehe s. 127 ff. Roeder a.a.O. Das ist
der eigentliche brautlauf, nach dem die ganze Zeremonie der heimführung be-
nannt worden ist (Weinhold, Frauen 1-, 384. 411 f. Henning, Die deutschen
runendenkmäler s. 100 ff.).
BKAUT UND GEMAHL 143
ein uraltes Symbol für die aufnähme der jungen fremden frau in die
sippe ihres mannes uns in den brautschuh en erhalten geblieben
ist, die nach weit verbreiteter sitte der verlobte zur hochzeitstracht der
braut spenden rauss \ Dieses überlebsel hat noch nicht die ihm ge-
l)ührende Würdigung gefunden, weil man bisher bei den hochzeits-
gebräuchen zu wenig auf die im Zeitalter der sippenverfassung und
-eschlechtsvormundschaft blühenden, später verwelkten formalitäten
geachtet hat. Sie bestehen in der durch die eheschliessung gefor-
derten verschwägerung zweier sippen. Die verschwägerung wurde
in der rechtssymbolischen form der sogenannten künstlichen Verwandt-
schaft vollzogen '. Insbesondere handelt es sich hierbei um eine alt-
deutsche geschlechtsleite. Diese darf man als den klassischen fall
der künstlichen Verwandtschaft bezeichnen, und gerade hierzu liefern
die hochzeitsgebräuche wertvolle materialien.
Pappenheim hat im einzelnen ausgeführt, wie es auch unter
den Germanen zu einer künstliehen erzeugung der Verwandtschaft
kommen musste. Als nachbildung natürlicher Verwandtschaftsverhält-
nisse ist eine künstlich herbeigeführte Verwandtschaft zum bedürfnis
geworden, wo rechtswirkungen der Verwandtschaft unter umständen
sich geltend machten, bei denen die natürliche Verwandtschaft aus tat-
sächlichen gründen versagte. Sollten jene rechtswirkungen aber, doch
eintreten, obwohl es an Verwandtschaft fehlte, so konnte dies nur
geschehen, indem unter den beteiligten die fehlende Verwandtschaft
hergestellt wurde. War sie künstlich geschaffen, so knüpften sich
daran die gleichen rechtswirkungen, wie die natürliche Verwandtschaft
sie besass ^ Die erzeugung künstlicher Verwandtschaft ist zum guten
teil auf ein verwandtschaftsverhältnis in der art der verschwägerung
gerichtet. Diese ist aber nur ein Spezialfall der adoption oder
wahlkindschaft.
Da die eheschliessung in erster linie ein familienrechtlicher Vor-
gang ist, bildet die verschwägerung oder, wie wir uns besser aus-
drücken, die adoption einen ihrer hauptbestandteile \ Unter den
1) J. Grimm, Rechtsaltertümer 1', 214. E. H. Meyer, Badisches volks-
lehen s. 259 u. a.
2) M. Pappenheim, Zeitschrift der Savignystiftung für rechtsgeschichte,
germanist. abteil. 29, 304 ff.
3) Pappenheim a. a. o. s. 305.
4) 'Die trauung wurde, da der brautkauf nicht die bedeutuug eines sacheu-
kaufs besass, sondern ein familienrechtlicher akt war, als eine hingäbe der braut
144 KAUFFMAXX
hocbzeitsgebräuchen kehren denn auch typische adoptionsriten in
verhältnismässig gut erhaltenem zustand wieder.
Bei der adoption der braut handelt es sich darum, sie als ge-
sehlechtsfremde in die sippe des bräutigams nach der sogenannten
geschlechtsleite (anord. cettleipimj) aufzunehmen. Das symbol der durch
geschlechtsleite herbeigeführten adoption ist nun aber das schuh-
steigen. In Deutschland gehört zu den verbreitetsten und unver-
brüchlichsten hochzeitsbräuchen, dass die braut, wenn sie die hoch-
zeitstracht anlegt, in die vom bräutigam geschenkten schuhe steigen
muss. Folglich steckt dahinter eine echte adoptionszeremonie. In der
Verbindung brautschuhe hat anscheinend das wort braut seine grund-
bedeutung bewahrt.
Vom Standpunkt der bräutigamseltern aus erscheint eine Ver-
lobung als die Stiftung einer wahlkindschaft; das von ihrem söhn
erwählte mädchen wird ihnen als 'tochter' ins haus geführt. Damit
sie die Zugehörigkeit zum väterlichen geschlecht ihres mannes er-
lange, muss sie mit ihm verwandt gemacht, muss die wahlkind-
schaft legitimiert werden. Welche massnahmen hierzu getroifen
wurden, zeigt uns am anschaulichsten der formalismus der alt-
norwegischen geschlechtsleite eines illegitim geborenen sohnes: aus
der haut eines frisch geschlachteten ochsen fertigt unter beobachtung
bestimmter riten der vater des zu legitimierenden einen schuh. In
ihn tritt zunächst der vater selbst, dann der zu legitimierende söhn,
darauf der nächste erbe, dem die entfernteren folgen. Der vater
spricht dabei die einführungsformel, die auf volle gleichberech-
tigung des in das geschlecht geführten mit dem ehelich geborenen
hinweist. Der legitimand und die gesippen, die schon vorher um ihre
Zustimmung angegangen worden sind, erklären wohl nur nochmals
in förmlicher weise ihr ja. Ausdrücklich gesagt wird dies in den
quellen nicht. Die hauptsache ist der sichtbare formalismus des
schuhsteigens ^.
An einer klassischen stelle wird im König Rother (v. 2021 If.)
geschildert, wie aus dem schuhsteigen eine heirat wird ^, und ähn-
iu adoption aufgefasst' (E. Schröder, Eechtsgeschichte ° s. 71. Brunner,
Rechtsgesclüchte 1-, 103. 131. M. Pappenheim a. a. o. s. 318 u. a.).
1) J. Grimm, RA. 1^ 213. M. Pappenheim a.a.O. s. 310. A. Olrik,
Nordisches geistesleben s. 15 f.
2) Die ältesten belege liefert Gregor von Tours (IVIGH. Script, rer. Meroving.
1, 724 f. 741, 27 cum poculis frequentibus etiam calciamenta deferret . . . dato
BRAUT rXD GEMAHL 145
liches ist ja auch aus dem Volksmärchen bekannt. Weit besser hat
der volksbrauch konkrete einzelheiten aus der geschlechtsleite der
braut bewahrt '. Zwar wird uns aus dem neueren hochzeitsritual nicht
mehr bekannt, dass der bräutig-am oder der bräutigamsvater sich
selbst entschuhte, oder dass bräutigani und braut in den gleichen
schuh gestiegen w^äreu; unsere volkssitte legt jetzt nur noch wert auf
das beschuhen der braut von selten des bräutigams, und zu dem
zweck genügt es, wenn sie neue schuhe von ihm bekommt. Es ist
aber von Wichtigkeit, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass diese
spende nicht zu den Verlöbnis-, sondern zu den trauungs- bezw. heim-
führungszeremonien gehört^. Auch bedeutet der schuh nicht, wie man
schon gemeint hat, das zeichen der muntschaft des mannes, in die
das verlobte mädchen übertritt-^, sondern das beschuhen der braut ist
das rechtswirksame symbol ihrer verschwägerung^ Aus dem west-
fälischen Süderland und dem Bergischen wurde die redensart beige-
bracht: 'unsere vorfahren haben einmal mit holzschuhen getauscht';
womit man ausdrücken will: wir sind weitläufig miteinander ver-
wandt'. Wie dieser Sprachgebrauch entstanden ist, lehrt der alte
adoptionsritus, der besonders in Siebenbürgen fortbestand. In der
nähe von Schässburg findet die verschwägerung statt, wenn der hoch-
zeitszug des bräutigams die braut zur trauung abholt. Nachdem sich
die eine partei rechts, die andere links aufgestellt, und nachdem man
sich gegenseitig in die freundschaft aufgenommen, tritt
von jeder seite eine frau vor; die des bräutigams hält in einem tuch
■sponsae anulo, porregü osculum, praehet calciainentum, caelebrat sponsaliae diem
festuni).
1) Sar tori in der Zeitechr. d. ver. f. volksk. 4, 166 ff.
2) stvan man auch hochzit hat, so sol man nieman chainen schlich geben,
tz welle ein man danne siner hiisfrouwen zwene sc/iuch bringen (Birlinger, Aus
Schwaben 2, 305, Augsburg).
3) E. H. Meyer, Badisches volksieben s. 259. Hier ist die Zeremonie des auf-
den-fuss-tretens (s. 142 anm. 4) und die bekannte mautelzeremonie (S o h ni s. 66)
mit dem schuhsteigen verwechselt.
4) Besonders interessant ist das Statut von Geseke a. 1360: vortmer mach
de brudegam gheven dre jjar scho der brut und eren nesten (Jahrb. d. ver. f.
nd. sprachforsch. 1877, 127) ; vgl. dazu den analogen neueren beleg aus Böhmen :
'in Karlstadt erhält erst kurz vor der heimführung der braut auch der brautvater
vom bräutigam seinen betrag, der immer in einem paar Stiefel besteht, während
alle Schwägerinnen und die Schwiegermutter ein geldstück empfangen' (Zeitschr. d.
ver. f. volksk. 4, 168).
5) Jahrb. d. ver. f. nd. sprachforsch. 1877, 127.
ZI-:iTSCHEIFT.F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLH. 10
146 KAL'FFMANN
ein paar neue schuhe verdeckt, während die frau der brautpartei für
den bräutigam ein hemd^ und eine schürze verhüllt darbringt. Beide
bieten nun tauschhandel an, wobei jene nicht ermangelt, ihre schönen
schwarzen rosse (die schuhe), diese dagegen die weissen (hemd und
schürze) anzupreisen. Der bräutigam geht im neuen hemde wie die
braut in den neuen schuhen zum altar".
Von dem adoptionsritus des schuhsteigens her wird auch die
weit verbreitete hochzeitssitte des schuh stehleus'" aufgehellt. Das
bemerkenswerte dabei ist, dass der gestohlene schuh für die braut
den höchsten wert besitzt und sie ihn, wie teuer sein preis auch ge-
steigert werden möge, notwendigerweise einlösen muss. Denn der
schuh ist das symbol ihres neuen Standes^. Gelingt es den ledigen
burschen, der braut den schuh wegzunehmen, so ist sie aus der sippe
ihres bräutigams gelöst. Jetzt ist es ja nur noch ein hochzeitliches
spiel, dem aber von haus aus die rechtswirkuug so wenig gefehlt
haben kann wie der mit dem schuhstehlen ganz nahe verwandten flucht
der braut aus dem hochzeitszug, dem sogenannten brautlauf \
Zum adoptionsritus gehört ausser der prozedur des schuhsteigens
eine einführungsformel, die auf verwandtschaftliche gleichberech-
tigung der in das geschlecht geführten jungen frau hinweist. Die
formel ist uns, wenn auch in verschiedenartigem Wortlaut, erhalten
und gehört jener wichtigen szene der heiniholung an, die schon an
der pforte des hochzeitshauses spielt, bevor die gildefeier des hoch-
zeitsmahles beginnt.
Neocorus schildert die aufnähme der braut in das neue heim
oder in die neue hausgenossenschaft folgendermassen": de brat kwnht
mit rütern, ivagen und spellüden na des brudeganimes begeren unde
royordening an . . . vöget sick vor de dore und bllfft darhuten bestahen,
1) Vgl. oben s. 141 f.
2) Zeitschr. d. ver. f. volksk. 4, 168 = J. Mätz, Die siebenbürgisch - säch-
sische bauernhochzeit (progr. Schässburg 1860) s. 52; vgl. ebenda s. 70 f. : der
bräutigam bittet den vater, seiue liebe junge braut zu einem kiud, zu einer tochter
anzunehmen; der brautknecht bittet die freundschaft der braut bei dem vater des
bräutigams ein.
3) Zeitschr. d. ver. f. volksk. 4, 169 f., vgl. 10, 382. E. H. Meyer, Volks-
kunde s. 181. Badisches Volksleben s. 242. 246. 248. 261. 299 f. 310 u. a.
4) In Hessen bekommt die braut, ehe sie sich unter die verheirateten
setzen darf, ein paar neue schuhe (Zeitschr. für mythol. 2, 78 f.).
5) Weinhold, Frauen 1-, 411 f.; vgl. Zeitschr. d. ver. f. volksk. 10, 171.
380. Hochzeitsbuch s. 125 f. u. ö.
6) ed. Dahlmann 1, 115; vgl. ags. hwman, hcemed, hcemed ictf (uxor).
BRAUT UND GEMAHU 147
mit ehren mltgehrochfen bisiüern, de achter ehr stahen. Als den kumht
de hrudegam buten vor der döre to der brut blotes hövedes, fraget dre-
mal : mag ik tvol mit ehren mine brut intrechen? dremal wert ehm ivedder
darup geantivordet: trecket se in in gades namen. Als den nimbt he
se bi der handt, leih se dremal herumme kamen und mit dem lesten
schivenget he sine brut glimplich int hues lienin unde sprickt: Mit ehren
trecke ik mine brut in. Geleidet se also bi der handt beth vor de pisel-
döre, dar kueselt he se avermals dremaal und de drudden reise schwenget
he se höfflich henin in den piiscl, vorleth se unde rorvöget sik in sin
gemak ... Es folgen hochzeitsmahl und hochzeitstanz ' unmittelbar
auf diese einführungsszene. Und das ist zweifellos der ursprüngliche
Zusammenhang.
Neuerdings hat er sich nicht bloss topographisch, sondern auch
chronologisch verschoben, aber diese Veränderungen sind von neben-
sächlicher bedeutung. Wesentlich scheint mir zu sein, dass die un-
persönliche einführuugsformel des Neocorus (trecket se in in gades
wmien) in älterer, das will sagen in persfjnlicher form beigebracht
werden kann. Besonders gut entwickelt ist nämlich die aufnähme
der braut in die bräutigamssippe im ostmitteldeutschen volksbrauche.
Wenn in Böhmen das heimzuführende mädchen ihr eiternhaus verlässt
und vom vater abschied nimmt, reicht es als braut dem Schwiegervater
die band mit der bitte: nehmts mi oan wöi enka eigens kind^. Feier-
lich zieht sie danach ins haus der Schwiegereltern ein. Gewöhnlich
tindet sie die haustür verschlossen. Es wird ihr erst nach dreimaligem
klopfen oder nach längeren Unterhandlungen aufgemacht. Die mutter
als schwieger besprengt die braut als schnür mit Weihwasser und
macht ihr auf stirne, mund und brüst das kreuzeszeichen ; dann reicht
sie ihr ein gefülltes triukglas, w^elches die braut leeren und zu einem
guten Vorzeichen hinter sich werfen muss. Im Egerlande gar bewill-
kummte die schwieger die braut mit der die adoption begleitenden
echten einf ührungsformel :
Willst du eine gute schnüre sein,
werd ich eine gute schivieger sein;
1) Diese festlichen veranstaltungeu, die über den rahmen der familienfeier
hinaus unter beteilig'ung der gemeinde stattfinden, dienten wohl auch zugleich der
besiegelung des neuen Verwandtschaftsverhältnisses (Zeitschr. d. ver. f. volksk.
7, 41). — Erst nachdem das kränzlein abgetanzt und die braut unter die haube
gebracht ist, wird sie 'fr au' genannt (Hochzeitsbuch s. Iü9. 202 u. ö.)-
2) John, Sitte in Westböhmen s. 142.
10-
148 KAUFFMANN
tritt ein in mein haus
und mach dir nichts draus ^.
Ahnlich spielt sich die szene in Schlesien ab. Der hochzeitszug
findet die tür zum hochzeitshaus verschlossen. Die Schwiegermutter
erhält von der braut einen mutterkuchen und gibt der jungen frau
ein brautbrot ('schneid dir meine tochter brot, damit du bei meinem
söhne leidest keine not') und ein glas bier, das die braut antrinkt
und im kreise der verwandten weitergibt. Darauf umwickelt die
Schwiegermutter die rechte band der jungen frau mit einem handtucb
und zieht sie so ins haus '^ In Rösnitz kommt die junge frau ins
bräutigamshaus mit ihren basen und muhmen und lässt sich ohne
weitere förmlichkeit zum brautessen nieder; alsbald tritt die schwieger
ins zimmer und wirft der braut ein geschenk mit den werten zu : 'lass
dir meinen söhn lieber sein als mein geschenk' -^ In Iglau (Mähren)
aber singen die weiber auf dem kammerwagen vor dem bräutigams-
haus:
Macht auf, herzliebe frau schivieger, das thürl:
Wir bringen euch ein sauberreiches schnürt . . .
Die Schwiegermutter wird von der schnür um gütige aufnähme
gebeten und verspricht ihr, sie in ehren zu halten^.
Andernorts finden sich andere aufnahmezeremonien. In der Mark
musste der bräutigam die braut ins haus tragen und mit ihr dreimal
den kesselhaken umwandeln ^. Auch in Westfalen wird die braut
begrüsst. Der vater oder, wenn er nicht mehr lebt, der nächste ver-
wandte des bräutigams händigt der braut ein stück brot und ein glas
branntwein ein - als genossenschaftssymbole -; es wird ihr ein stuhl
1) John s. 147 f.; vgl. die Variante s. 161 f. Andernorts erfolgt nämlich der
'eintritt in die hausgemeinschaft' (John s. 423) so, dass der bräutigam erst an die
verschlossene tür klopfte, worauf von innen seine mutter antwortete: Svas bringst
du, mein söhn?' 'Euch eine neue tochter und mir eine hauswirtin . . .' Nun
tritt die schwieger vor und küsst die braut mit den worteu : 'Sei mir willkommen
und nimm dies zum willkommtrunke', wobei sie ihr zur betätigung der nahrungs-
gemeinschaft ein glas wasser reicht.
2) P. Drechsler, Sitte brauch und Volksglaube in Schlesien 1, 243.
263 ff. 280 f.
3) Hochzeitsbuch s. 202.
4) Zeitschr. d. ver. f. volksk. 6, 256. 260. Bei der anfahrt findet sie das tor
gesperrt und bekommt nach langem klopfen zu hören, man nehme keine fremden
auf (8. 257j.
5) Kuhn, Märkische sagen und märchen s. 361 ; vgl. Kück-Sohnrey,
Feste und spiele des deutschen landvolks s. 225 u. a.
r.UAUT UND GEMAHL 149
an den herd g-erückt; sie muss sich niederlassen, zange und feuer-
brand ergreifen oder, wie im Süderlande, dreimal ums herdfeuer und
um den kesselhaken schreitend Eine ausgiebigere Schilderung lautet
folgendermassen : 'Der eintritt der braut ins haus ist sehr zeremoniös,
aber überall ziemlich gleich, nur dass hier mehr, dort weniger von
dem ursprünglichen verwischt ist. Die braut wird von der Schwieger-
mutter oder der köchin an der grossen tür bewillkommt, und zwar
mit einem krug süssen, d, h. verzuckerten branntweins. In Grafeid
wird ihr darauf branntwein ohne zucker und endlich eine irdene tasse
mit Wasser gereicht; sobald sie aber hiervon gekostet, wirft sie die-
selbe in die luft : zerfällt sie, so bedeutet das glück in der ehe. Dann
wird ihr ein kleinbrot gereicht, welches so eingeschnitten ist, dass sie
leicht ein stück davon abbeissen kann. Dieses stück, den brint-
ImiKst, hebt die frau auf . . . das übrige brot erhalten die armen.
Dann reicht die Schwiegermutter dem bräutigam forke und schaufei,
während die braut einen eigens hingestellten besen ergreift und damit
kehrt, bis er zerbricht. Die braut wird darauf zum herde geleitet,
dreimal um ihn herumgeführt und ihr hcfhl (kesselhaken) und schleif
(löffel) in die band gegeben. Das ist die eigentliche rechtliche ein-
leitung. Lebt die Schwiegermutter noch, und will und kann sie herrin
bleiben, so übergibt sie den schleif nicht, denn er ist das symbol der
herrschaft im hause. Tut sie es aber, dann erhält sie einen taler von
der braut' ^.
Diese hausherrschaftssymbole wollen wir fein säuberlich von
den verschwägerungsriten fernhalten, denn sie sind ganz anderer a.Yt\
während der formalismus der adoption gleichförmig in den grund-
zügen wiederkehrt. Ich verweise beispielshalber auf die Schweiz. In
Stilli an der Aare pflegten der junge ehemann und seine eitern nach
dem schmause sich unter der band heimzumachen und verschlossen
hinter sich thür und fensterladen. Alsbald kam der brautführer mit der
braut ihnen nach ... mit dem brautstock klopfte er an der schwieger-
1) Hochzeitsbiich s. 222. 223. E. H. Meyer, Volkskunde s. 179 ('um die
junge frau in die familie und in das heim des gatten einzuführen'). — Wie beim
einzug des gesindes muss die braut zuerst ins ofenloch sehen (Witzschel, Sagen
Sitten und gebrauche aus Thüringen 2, 228). — Der nächste verwandte führt die
braut ins neue heim (Zeitschr. f. Niedersachsen 1861, 107).
2) Jostes, Westfälisches trachtenbuch s. 101.
3) Vgl. z. b. A. Heimreich, Nordfriesische chronik 1 (1819), 51 f. Sohm,
Altdeutsche reichs- und gerichtsverfassung s. 551 f. Brunn er, Rechtsgeschichte
1-, 102.
150 KAUFF.AIANN
eitern türe. Auf die durch die geschlossenen fensterladen kommende
frage, wer draussen, erwidert er, eine person, die gern ins haus auf-
genommen sein möchte. Viel verlangt, sagt der Schwiegervater, ist sie
fromm, ordentlich, arbeitsam? Der brautführer bejaht, und der fragende
fährt fort: Kann sie auch kochen, spinnen, nähen, stricken, waschen,
backen? So geht die anfrage endlos fort . . . nun wird zwar die haus-
türe geöffnet, aber für die braut ist nur eine kammer ohne licht vor-
handen. Hier hinein muss sie, während der brautführer sich in die
Wohnstube begibt, die erleuchtet und geschmückt ist. Gewöhnlich steht
hier der schullehrer aufgepflanzt, um den brautsegen abzusprechen; . . .
hierbei werden alle fenster und laden geöffnet, damit die ums haus
versammelten nichts überhören. Hat er geendigt, so wird die braut
ins kerzenhelle zimmer hereingeführt . . . aus dem selbstgebauten rot-
wein der schwiegerschaft erfolgt hierauf der ehrentrunk; den Zuschauern
wird ihr teil durchs fenster verabreicht ^
Es möge noch ein beleg aus Hessen folgen. Im Schaumburger
laud überreicht ein naher verwandter des bräutigams als brautführer
der braut, wenn sie nach dem brautlauf l)ei dem neuen heim angelangt
ist, erfrischungen und bittet sie, in ihr neues heim einzutreten. Nach-
dem man ihr kuchen und wein gespendet und der brautführer mit be-
redten Worten das glück geschildert hat, das ihr entgegenwinkt . . .
schreitet das junge paar band in band dem hause zu, wo es am ein-
gang der stube von den verwandten begrüsst und die braut herz-
lich willkommengeheissen wird. Im hessischen hinterland hebt der
bräutigam, wenn der braut wagen bei seinem hofe angekommen ist,
seine verlobte vom wagen. An der haustür wird ihnen ein krug bier
gereicht. Nachdem er, die braut, sowie der brautvater und die nächsten
verwandten getrunken haben, wirft der bräutigam den krug hinter
sich. Alsdann geht das paar in das haus ; tränen vergiesst die braut
jetzt nicht mehr; statt dessen klagt sie über den druck der engen
schuhe, welche sie dem herkommen gemäss bei dieser
gelegenheit tragen musste'.
1) Roch holz, Deutscher glaube und brauch 2, 245 f.; vgl. Hochzeitsbuch
8. 107 f. — Im französischen Jura bleibt das haus den neuvermählten so lange ver-
schlossen, bis die mutter des bräutigams aus dem fenster mehrere bände voll körner
und bohnen auf sie herabgestreut hat. Dann zeigt sie sich auf der schwelle und
bietet ihrer Schwiegertochter ein stück brot und ein glas wein ... als Sinnbild des
gemeinsamen lebens. Dann wird ihr das haus gezeigt. Endlich geht man zu tisch,
wobei alle ehrenbezeugungen ausschliesslich für sie sind (Hochzeitsbuch s. 253 f.).
2) Hessische Volkskunde 2, 561. 209. 287. 420 f.
IIKAUT TNl) (lEMAHL 151
Bei dieser hinterländischen heimführung-szerenionie kommt in
unverstandener tradition die eigentliche bedeutung- der braut schuhe
(s. 144) vortrefflich heraus. Den adoptionsritus begleiten im übrigen
die genossenschaftssymbole gemeinsamen essens und trinkens, bei
denen die sprachlichen benennungen brautessen (brautknust, braut-
brot) und brautsegen das wort braut in seiner ursprünglichsten be-
deutung (= adoptierte tochter) bewahrt haben. Mit ihnen darf viel-
leicht mhd. hnUnmos und ags. brydealo (> engl, hrldal) vereinigt werden.
Jedenfalls stehen diese ausdrücke alle im schönsten einklang mit braut-
lauf (dazu anord. hri'ipferp, hrüpfgr) und gestatten die sichere schluss-
folgerung, dass in keiner szene des hochzeitsrituals das wort 'braut'
fester verankert ist als in der die eheschliessung vollziehenden heim-
führung ^ Durch sie erhält nun auch schliesslich das wort 'bräutigam'
(got. hrupfajjs, anord, J)ri'iJmumi, ags. hrijd^umü, and. hrudigwno, ahd.
hrütigomo) seinen vollen sinn. Denn wenn man eine hypertrophische
tautologie vermeiden will, dass der junge ehemann etwa der mann
seiner gattin wäre, bleibt offenbar nur die von uns erschlossene be-
ziehung auf ein konkretes, rechtliches und soziales Verhältnis übriger
der bräutigam ist der tochtermann, genauer der mann der adoptiv-
tochter seiner eitern.
Nun kann es doch nicht mehr zufällig oder okkasionell sein, dass
uns der älteste literarische beleg des wortes gerade die nämliche bedeu-
tung liefert. Matth. 10, 35 lesen wir in der gotischen bibelübersetzung :
qam auk skaidan maanan wipra attan is jah dauhtar ivipra aipein izos
jah hriip wipra sioaihron izos (vu[7.(pr,v /.axa tt;? — sv^O-spa? auTr;). Wie
uns die hochzeitsgebräuche der heimführung die braut im persön-
lichsten Verhältnis zur Schwiegermutter gezeigt haben, so tritt sie uns
aus dieser bibelstelle entgegen. Es ist ungenau, ja es ist streng ge-
nommen geradezu unrichtig, wenn man, wie die späteren bibelüber-
setzungen es getan haben, anstatt brat das wort 'schnür' gebraucht
(Tatian, vorlutherische und lutherische bibel). Denn 'schnür' heisst
1) Dazu füge ich nocli anord. brüßfe, das die J)rymskvil)a im selben sinne zu
verwenden scheint wie der neuere deutsche volksbrauch die 'briuitstücke', die die
braut den verwandten spendet (E. H. Meyer, Badisches Volksleben s. 269 ; Hoch-
zeitsbuch s. 122). — Vortreff licli ist also der alte zustand bewahrt, wenn Braune auf
gTund der angaben von Gallee mitteilen konnte, dass in der grafschaft Zütphen
bruid für junge frau nur von dem tage ab galt, an welchem sie feierlich aus dem
haus ihrer eitern in das haus des raanncs abgeholt wurde (Beitr. 32, 561).
2) 'In den alten Zusammensetzungen tritt nirgends eine sexuelle bedeutung
(des Wortes braut) zutage, sondern nur eine rechtliche' (Kluge, Beitr. 34, 562 f.).
152 KAUFFMANX
nach der üblichen etymologischen deutung 'söhnerin' oder 'sohnstrau';
die zitierte bibelstelle fordert aber einen dem modernen kompositum
'Schwiegertochter' adäquaten ausdruck, und den haben wir nicht, es
sei denn, dass wir ihn besitzen in dem nach seiner ursprünglichen
bedeutung richtig verstandenen worte 'braut', als dem femininen kor-
relativ zu 'ei dam'.
Ich hoffe damit die behauptung von Braune, got. hrups werde
fälschlich als Schwiegertochter aufgefasst, widerlegt zu haben. Auch
seine Vermutung, es würde uns Matth. 10, 35, w^enn im griech. vjo?
gestanden hätte, das echt gotische wort snuzo für Schwiegertochter
erhalten sein, hat keinen bestand, wenn man zugibt, dass snuzo zwar
'söhnerin", aber nicht 'Schwiegertochter' bedeutet, und dass die bibel
die adoptivtochter nicht in ihrem Verhältnis zum ehemann, sondern
in ihrer beziehung zur schwieger nennt. Mir scheint, dass Braune die
im neueren Sprachgebrauch durchgedrungene differenzierung zwischen
'schnür' und 'Schwiegertochter' (oder 'tochter' der Schwiegereltern
schlechtweg) ausser acht gelassen hat. Ich glaube, man kann diese
differenzierung auch für das germanische altertum noch einigermassen
zur anschauung bringen. Denn das Wortpaar suniis und '^^smczo bezieht
sich vermutlich auf das gen ossenschafts Verhältnis der ehegatten,
das zwischen dem söhn der familie und seiner ehefrau durch den Voll-
zug des beilagers begründet worden ist (s. 133 f.). Das wort brupfaps
für den eheherrn der *snnzo drückt aber ein h er r Schafts Verhältnis
zwischen dem ~6aic und der adoptivtochter seiner eitern aus. Wie
es sich damit auch verhalten möge, die etymologisch verschieden ge-
arteten w^örter öriijjs und '^s)iiizo werden wir auch auf verschieden
geartete rechtsverhältnisse beziehen müssen.
Got. briips = adoptivtochter (Schwiegertochter) steht keineswegs
isoliert da. Braune selbst hat schon erklärt, dass auch in der Sphäre
des in die westeuropäische soldatenspraehe übergegangenen lehnwortes
lat. bnita die bedeutung 'Schwiegertochter' auftrete (Beitr. 32, 41 ff.),
und V. Domaszewski hat auf grund einer erneuten prüfung der ost-
europäischen Inschriften, die das lat. lehnwort brut/'s nennen, die be-
deutung 'verheiratete tochter' angesetzt. Er bemerkte, dass lat. nurus
in Verbindung mit dem söhn, dem sie angetraut war, auftrete, dass
folglich - im einklang mit meinen darlegungen - brutis von nunis
(= schnür) unterschieden werden müsse. Seine feststellungen nötigen
uns nun zu der annähme, dass in der soldatenspraehe die junge frau
1) Yj Toö 'jlou Y'jvY) (Braune, Beitr. 32, 38 anm. 1).
BRAUT UND GEMAHL 153
nicht mehr bloss vom Standpunkt der Schwiegereltern, sondern auch
vom Standpunkt der eigenen eitern aus, nachdem ihre leibliche tochter
heimgeführt und mitglied einer anderen sippe geworden war, hnitis
genannt worden ist. Aber dieser Sprachgebrauch darf keinesfalls in
der deutschen heimat des grundwortes als usuell betrachtet werden,
denn auch im ahd. ist brnta, hroid als synonymon von 'Schwieger-
tochter' belegbar (Ahd. gl. 1, 216. 20. 21. 4, 82, 1. 2)'; in Überein-
stimmung mit nordfranzösisch hru und rätoromanisch hrit (< hrut —
Schwiegertochter) -. Diese bedeutung ist also aus älteren und jüngeren
quellen für braut so gut bezeugt, dass ich sie für unanfechtbar halte
und aus ihr allein den von Braune nachgewiesenen bedeutungswandel
allseitig zu begreifen vermag^. Denn nicht vor, sondern erst nach
der altgermanischen trauung (heiniführung) heisst die verheiratete frau
im haus ihrer Schwiegereltern als adoptivtochter brnt, in demselben
sinn, in dem der ehemann bei seinen Schwiegereltern eirlmn hiess.
Wortforschung ohne Sachforschung dürfte auch in diesem falle
sich als ungenügend erwiesen haben.
1) Dazu kommt noch Corp. gloss. lat. 5, 314, 32. Wie die von Braune nicht
berücksichtigten komposita gezeigt haben dürften, ist er nicht ganz im recht, wenn
er das Zugeständnis machte, dass wir 'in diesen ahd. glossierungeu die einzigen
belege der bedeutung „Schwiegertochter" für hrut aus dem lebendigen und zu-
sammenhängenden westgerm. Sprachgebiet' besitzen (Beitr. 32, 41 f.).
2) Auch Braune schien 'die tatsache der beachtung wert, dass die bedeutung
'Schwiegertochter' unabhängig in drei verschiedenen lateinisch-romanischen ent-
lehnungsgebieten sich festgesetzt hat, obwohl die lebenden germanischen dialekte
das wort in dieser bedeutung nicht gebrauchen' (Beitr. 32, 43) — nur hätte er statt
'nicht' sagen sollen 'nicht mehr'.
3) Zur erklärung des neueren Sprachgebrauchs, in dem 'braut' das wort
'gemahl' ersetzt hat, bedarf es jetzt nur noch der annähme, die hochzeiterin sei
schon vor der heimholuug 'braut' genannt worden (vgl. z. b. den niederländischen
Sprachgebrauch, Beitr. 32, 51 oder eine wendung wie ivenn mir meine braut stirbt,
ehe ich sie heimhole bei Braune, Beitr. 32, 55). Aber lange zeit blieb auch in
Deutschland das wortpaar 'braut — bräutigam' auf den hochzeitstag beschränkt
(Beitr. 32, 53).
KIEL. FRIEDRICH KAUFFMANN.
154 ORAHEK
HEINEICH VON DEM TÜKLIN UND DIE SPRACHFORM
SEINER KRÖNE.
I.
Die Krone und ihr dichter.
Ungefähr um dieselbe zeit, da Neidhart von Reiiental in Oster-
reich eine neue heimat fand, verpflanzte Heinrich von dem Turlin die
höfische romanliteratur nach Österreich.
Er hat in einer über dreissigtausend reimzeilen zählenden dich-
tung anfangs die lebensgeschichte des königs Artus behandelt, aber
nach etwa vierzehntausend versen Gawein in den mittelpunkt der
handlung gerückt. Durch flüchtige erwähnung einzelner abenteuer
Gaweins werden die leser schon im ersten teile auf die ausführungen
des zweiten vorbereitet. So gibt sich dieser gleichsam als eine fort-
setzung der ersten hälfte des gedichtes (bis 13 901), welche in ihrer
komposition selbständig war und vielleicht auch für sich veröifeutlicht
wurde. Singer gebührt das verdienst, im artikel 'Heinrich von dem
Turlin' der Allgem. deutsch, biographie zuerst eine klare analyse und
ein günstigeres urteil über komposition und poetischen wert der 'Krone'
gegeben zu haben.
Überliefert ist die Krone in einer vollständigen handschrift
und drei brachstücken. Das ganze gedieht umfasst die Heidelberger
papierhs. (Codex pal. 374. 495 blatt fol.) aus dem jähre 1479, welche
prof. Keller für die Tübinger Universität abschrieb. Ihr gilt die be-
zeichnung P.
Dem Schreiber dieser hs. fällt zur last, dass er oft den Wortlaut
willkürlich ändert, ältere ausdrücke durch solche aus seinem dialekte
ersetzt, ja die verse manchmal mit eigenen Zusätzen versieht. Aber
eine gewisse Sorgfalt im abschreiben kann ihm nicht abgesprochen
werden, da sich in der grossen mehrzahl der fälle der ursprüngliche
text mit verhältnismässig geringer mühe auch da herstellen lässt, wo
uns die übrigen hss. im stiche lassen. Das eingreifen des Schreibers
gibt sich immer zugleich in Störungen des metrums oder reimes kund.
Reissenbergers Untersuchung zufolge stammt diese hs. aus dem Sprach-
gebiet, wo sich alemannisch und fränkisch berühren.
Mit ihr steht in näherem Verhältnis das bruchstück D, welches
die verse 12 898-13 505 und 14116-14 725 enthält und bei Diemer
in den Kleinen beitragen H, s. 85 if. abgedruckt ist. Es steht auf
HEINRICH VON DEM Tl'RLlN UND DIE SPKAt'HFOKM SEIXBR KRONE 155
vier pergamentblättern des 14. Jahrhunderts und stammt aus Steiereck
in Oberösterreich.
In mancher beziehung verlässlicher und um ein Jahrhundert älter
als P ist die pergamenths. V, die aber leider nur bis vers 12 281 reicht.
Sie befindet sich in der Wiener hofbibliothek als uo. 2779, bl. 131^
bis 170^. Eine abschrift dieses bruchstückes besitzt die Berliner
bibliothek von Goldhann, eine andere, von prof. Keller besorgte, die
Universitätsbibliothek in Tübingen. Diese letztere hs. bildet die grund-
lage für Scholls text. Eine kollation dieser ausgäbe mit der Wiener
hs. wurde von Schönbach im 33. bände der Beiträge s. 340 ff. gegeben.
V wurde nach Schönbach um die wende des 13. und 14. Jahrhunderts
zu Wien geschrieben. Nebst kleineren gedichten enthält diese hs, auch
die Kaiserchronik und Hartmanns Iwein. Ihr Schreiber befleisst sich
keiner grösseren genauigkeit als der von P, denn auch er gibt manche
stellen seiner vorläge ganz sinnlos wieder und lässt sich häufiger als
jeuer auslassungen zuschulde kommen. Sein vorzug aber besteht darin,
dass er sich nicht so willkürliche änderungen des textes erlaubt. Diese
hs. trägt entschiedene merkmale des österreichischen dialekts.
Endlich ist ein kleines bruchstück der Krone, G, enthaltend die
verse 3122-3258 auf einem pergamentblatt aus dem 14. oder 15. Jahr-
hundert erhalten (abgedruckt in no. 12 und 13 der Literar. beil. zu
Idunna und Hermode 1814-15 und wiederum in den Altd. blättern II,
s. 155 f. von Haupt). Das blatt war auf eine bücherdecke aufgeklebt
und hat sehr stark gelitten, weshalb der text mehrere lücken aufweist.
Die spräche zeigt mitteldeutsche eigentümlichkeiten, doch schliesst sich
G im wesentlichen mehr an V an.
Da die hss. P V G von Scholl . in den Varianten nur sehr un-
genügend, und wie die abdrücke einiger stellen bezeugen, oft fehler-
haft, D aber gar nicht berücksichtigt wurde, kann einem künftigen
herausgeber der Krone die neuerliche kollation sämtlicher vier hss.
nicht erspart bleiben. In der vorliegenden Untersuchung habe ich
selbstverständlich auf die lesarten aller texte rücksicht genommen.
Was die zeit der ab f a s s u n g des Werkes betrifft, so lässt
sich aus der literarischen stelle der Krone, v. 2348-2455, die obere
grenze mit Sicherheit feststellen, vor der das werk nicht entstanden
sein kann.
Dort erfleht Heinrich in warmen worten die göttliche gnade für
den 'reinen Hartmann , der 'shi herze besitzet'. (Hartmann starb frühe-
stens 1210.) Jeder, der nach weltlicher freude strebe, müsse seinen
und Reinmars (des alten) verlust auf das tiefste beklagen (Reinmars
166 OKAIiEK
todesjalir ist 1210.) Auch Dietmar von Aist (am spätesten erwähnt
in einer Urkunde von 1209), Heinrich von Rugge (um 1178), Friedrich
von Hausen (gestorben 1190j, Uh'ich von Guotenburc (in einer Urkunde
von 1170) und Hug von Salzä (urkundlich im jähre 1174 belegt), habe
der tod hinweggeraift. Die allerfrüheste zeit, da Heinrich v. T. seine
Krone zu dichten begann, wäre also das jähr 1210. Radolf von Ems,
der in seinem 'Alexander' hohe worte auf das lob der Krone wendet,
stellt Heinrich v. T. zwischen Blikker und Freidank. All dies würde
stimmen, die entstehung unseres werkes etwa in die zeit von 1215
bis 1220 anzusetzen.
Über die heimat des dichters sind mannigfache Vermutungen
aufgestellt worden. Docen, Mus. I, 174 anm., hielt Heinrich für einen
Schwaben, ohne diese ansieht näher zu begründen. Aber schon Diemer
lässt die möglichkeit offen, dass er ein Franke oder Kärntner
gewesen sei, unterlässt es jedoch, die eine oder andere Vermutung
durch einen beweis zu stützen. Es bleibt daher das verdienst von
der Hagens, zuerst für die kärntische herkunft des dichters eingetreten
zu sein. Ausser v. d. Hagen hat sich nur Wackernagel (Gesch. d.
deutsch, literatur) für die kärntische qualität der spräche in der Krone
erklärt. Nach Lachmann und Müllenhotf war H. v. T. ein mann von
bürgerlicher abkunft.
In bezug auf die lebensdaten, die abstammung und die persön-
lichen Verhältnisse Heinrichs erfahren wir aus der dichtung selbst so
gut wie nichts ; es müsste denn sein, dass man v. 2938-2988, w^elche
Niedner in seinem buche 'Das deutsche turnier' nach emendations-
vorschlägen Müllenhoffs mitteilt, als einen hinweis des dichters auf
seine kärntische abstammung nehmen dürfte-, hier stellt sich Heinrich
zu denen von Friaul und Kärnten. Durch Schönbachs erklärung
dieser stelle Beitr. 33, 363 ff. gewinnt diese annähme viel Wahrschein-
lichkeit. Eine urkundliche bestätigung dieser ansieht ist noch nicht
erbracht worden.
Nimmt man mit ßeissenberger an, dass der dichter wirklich dem
geschlechte des von Ottokar in der Reimchronik 60 609 Kuonrät
von dem Turnlin und 61183 K. v. d. Turlin genannten mannes
zugehört, so beweisen mehrere ungedruckte Urkunden, dass die namens-
form Turlin die einzig richtige ist; ferner, dass sie keineswegs einem
ml. turricella, titrriculus und ähnlichem entspricht, wie Schönbach a. a. o.
s. 362 meint. Nicht nur, dass der dichter selbst sich im akrostichon
der Krone (v. 182-216) Heinrich von dem Turlin nennt, bringt auch
die Reimchronik an zweiter stelle diesen namen ; die form Turnlhi
HEINRICH VON DEM TURLIX UND DIE SI'RACHFORJI SEINER KRONE 157
mag durch ein missverständnis Ottokars entstanden sein, der die
lateinische namensforni jedenfalls niclit kannte.
Das St. Veiter geschlecht, dem jener Konrad von dem Turliu
angehörte, heisst nämlich in lat. Urkunden de Porta oder de Portula.
Wie in der von Schönbach aus den Monumenta ducatus Carinthiae
(IV, no. 2966) angeführten Urkunde des Jahres 1268 findet sich der
name Chonrad con Tnrleine, purgere zu St. Veit, noch in einer Urkunde
aus deii jähre 1284. (Das original liegt im Wiener Staatsarchiv, das
regest im archiv des Geschichts Vereins für Kärnten in Klagenfurt.)
In diesem Schriftstück bestätigt Albrecht, söhn des schenken Ulrich
von Osterwitz, dem söhne seines vetters, dem schenken Hermann von
Osterwitz, den verkauf seines anteils an bürg und herrschaft Osterwitz.
Unter den namen der St. Veiter bürger, die als zeugen unterschrieben
sind, befindet sich auch Konrad von Turlin, vermutlich derselbe, der
am Überfall gegen den söhn herzog Meinhards, 1292, sich beteiligte.
Und in einer lat. Urkunde vom 4. dezember 1289 wird derselbe zeuge
angeführt als Chunradus de Portula. Sollte über die Identität der
beiden noch ein zweifei bestehen, so genügt der hinweis, dass beide
Urkunden aus demselben interessenkreis stammen, zu seiner entkräf-
tung: der in der erstgenannten Urkunde als rechtsbeteiligter angeführte
schenk Hermann von Osterwitz erscheint auch in der späteren und
sein Siegel hängt nebst zw^ei anderen bei.
Einen söhn dieses Konrad v. T., der 1292 von herzog Meinhard
hingerichtet wurde, dürfen wir wohl in Chuonrat pei dem Türlein;
bürger zu St. Veit, vermuten, welcher in einer
Urkunde vom 17. märz 1328 (orig. im Wiener
Staatsarchiv) ^ durch Unterschrift und Siegel
dem Michel, des Laurenzen eidam, einem
St. Veiter bürger, den verkauf einer mühle
bestätigt. Das Siegel trägt die Inschrift:
CVNRADI DE PORTVLA und ist auch des-
halb höchst wertvoll, weil es uns das wappen
derer von Turlin zeigt: auf dem vom oberen
teile des wappeus durch eine querlaufende,
dreimal geteilte spitzenlinie getrennten felde eine fünfblättrige rose.
Derselbe Chunrat pei/ dem Türlein erscheint noch fünfmal auf
1) Die einsieht in die Urkunden verdanke ich dem liebenswürdigen entgegen-
kommen des herrn landesarchivars in Kärnten, dr. Aug. Jaksch, R. v. Wartenliorst
in Klagenfurt, dem ich an dieser stelle meinen herzlichsten dank aussprec^he.
158 GKABEK
Urkunden als zeuge; so bekräftigt er nebst anderen bürgern am
23. märz 1330 den verkauf einer hübe zu St. Veit 'ze nest vor dem
Turlein'. Auch ortolf vor dem Ttirlein, ein bruder oder anderer ver-
wandter Konrads steht unter den zeugen. Dass man zu diesem rechts-
geschäfte zwei Türlein heranzog, erklärt sich wohl am besten daraus,
dass gerade sie wegen der läge ihres stammgutes vor dem Turlein,
an besitzveränderungen in der nähe desselben ein natürliches Interesse
besassen.
Am 26. mai 1330 beurkundet Konrad als zeuge die aussteuer,
w^elche Katrey, gemahlin Heinrichs des roten, purgers ze sand Veyt,
ihrer tochter Perchten, nonne im Klarissenkloster der Stadt, verschreibt.
In einer Urkunde vom 23. dezember 1330 vermacht eine witwe
Dyemüt dem Klarissenkloster gründe unterhalb des klosters und spitals,
sowie eine mühle und zwei guter ausserhalb der Stadt, aus deren er-
trägnis jährlich an ihrem Sterbetage zwölf feierliche totenämter bezahlt
und sämtliche brüder, Schwestern und priester mit wein, semmein,
fleisch und anderen chuchenspeys beschenkt werden sollen. Unter
den zeugen kommt unmittelbar nach den adeligen Chiinrat peij dem
Türlein, dann folgen andere bürger.
Noch zweimal finden wir den namen Cünrat pey detn Türlain:
in einer Urkunde vom 14. juni 1338, die den verkauf eines hofes in
St. Veit bestätigt. Und zum letztenmal wird er erwähnt in einer Ur-
kunde vom 20. märz 1341 : Jcekel, Chilnrates aydem peij dem Turlein,
jnlrger ze sand veif, und seine frau Soffey (Konrads tochter), verkaufen
ein gut zu Lint unter dem Drcesenpery einem anderen bürger der Stadt.
Der schon in der Urkunde vom 23. märz 1330 genannte Ortolf
begegnet uns wieder in einer Urkunde vom 31.jänner 1350 als Ortel
peij dem Tor. Diesmal schenkt er seinem freunde, dem abt Niklas
von Viktring und dessen kloster ein gut. Da er selbst kein Siegel
besitzt, lässt er das stadtsiegel von St. Veit und das des deutschen
Ordens in Friesach au der schrift anbringen.
Aus den angeführten Urkunden ergibt sich für die beurteilung
des geschlechtes derer von Turlin, dass sie weitverzweigte Verbin-
dungen besassen, begütert und angesehen waren und sowohl zu welt-
lichen als zu geistlichen herren in nahen beziehungen standen.
Noch zu erwähnen bleibt eine Gretel Truscha (Gertrud) vor dem
Turlein, die in einer Urkunde vom 20. jänner 1384 (orig. im St. Veiter
Stadtmuseum) den verkauf eines gutes au die bruderschaft der schuchster
7Ai St. Veit bekräftigen lässt.
Geht schon aus diesen Urkunden mit Sicherheit hervor, dass die
HKINKICH VON OKM TIKlix UND DIE SPKACHFOKM SEINEK KKUNK 159
namensform des dichters Tiirlin einem lateinischen Porta oder Portula
entspricht, so ergibt sich ein anderer beweis aus dem umstände, dass
sich sogar die läge jenes türleins, nach dem das geschlecht benannt
ist - offenbar, weil sein stammgut in der nähe des türleins stand -
unzweifelhaft bestimmen lässt. In St. Veiter Verkaufs- und Schenkungs-
urkunden des 14. Jahrhunderts und der folgenden zeit bis zum jähre
1537 wird nämlich zur bezeiehnung der läge der betreffenden liegen-
schaften oft jenes türleins gedacht, das in der nördlichen Stadtmauer
angebracht und wahrscheinlich nur für fussgänger bestimmt war,
während durch die grossen haupttore auch der wagenverkehr erfolgte.
Die häuser und grundstücke, um die es sich in den genannten Schrift-
stücken handelt, liegen sämtliche 'vor dem turlein, oh dem türlein, vor
dei)i Tivrlein, Tiierlein, vor dem stadthürlem, also ausserhall) der
Stadt, auf derselben seile der ringmauern. Der bestimmte gebrauch
des Wortes türlein für einen mauerdurchlass, dem diese stehende
bezeiehnung zukommt, erleichtert so die auffindung desselben. In
allen fällen kann nämlich nur die nördliche Stadtmauer in frage
kommen, weil durch sie die Strasse ^m den Döber ['in die Dober']
- wahrscheinlich der westlich von St. Peter befindliche Dobern berg,
von der stadt St. Veit aus auf dem wege nach nordosten zu erreichen -
sowie die Strasse 'ge7i Swartzenfnrt' und 'der gemeine iveg gen Kreig'
führt. An diesen Strassen liegen die in den Urkunden beschriebenen
guter. Auch später noch war das türlein vorhanden, wie aus Urkunden
des 17. und 18. Jahrhunderts sowie aus Valvasors buch 'Erzherzog-
thum Kärndten', Laibach-Nürnberg 1688, hervorgeht; darin heisst
es (s. 234) von St. Veit : hat drey Hauptthor und ein kleines Thürlein.
Doch ist das türlein weder auf der abbildung dieses werkes (fig. s. 235),
noch auf dem bilde von St. Veit, welches Merian in seiner Topo-
graphia prov. Austr., Frankfurt 1649, bringt, zu sehen. Beide
bilder zeigen vielmehr gegen den Kalvarienberg, das ist gegen nord-
westen einen runden türm, woraus man schliessen kann, dass das
von Valvasor erwähnte türlein östlich vom genannten türm, also in
der nordmauer zu suchen ist. Weder der Mon. car. III, no. 2751
(II, no. 643) als zeuge erwähnte Heinrich auf dem Turm noch die
Wolfsberger de Porta dürfen mit der St. Veiter familie identifiziert
werden.
Geben so einesteils die Urkunden auskunft über das geschlecht
derer von Turlin und die ablcitung des namens, so gewinnen wir
andernteils aus der Krone doch ein annähernd deutliches bild der
persönlichkeit des dichters, der diesem St. Veiter bürgergeschlechte
160 GRA15ER
angehörte.. Heinrich v. T. hat, ähnlich wie Hartmann und Gottfried,
eine gute Schulbildung genossen ^ Die menge lateinischer, griechischer
und französischer Wörter, die anspielungen auf Ovid und Horaz scheinen
mir (trotz Afda. 6, 114 f.) Heinrichs gelehrsamkeit zu bekunden. Das
kriterium der bildung allein aber vermöchte nicht zu beweisen, Heinrich
sei ein bürgerlicher gewesen, wie Lachmann und Wackernagel an-
nehmen, falls uns nicht andere gründe, namentlich die urkundlichen
Zeugnisse, dazu bestimmten.
Das ganze werk ist von ritterlichem geiste durchAveht : der dichter
überträgt wappen von innerösterreichischen, namentlich kärntischen
ministerialen und herren auf die ritter der tafeirunde; seine anschau-
ung vom rittertum, die auffassung des minnedienstes und der lehens-
pflichten, seine einsieht in einen prunkvollen hofhalt und endlich seine
genaue kenntnis des ritterlichen kampfes und aller höfischen gesell-
schaftsspiele weisen darauf hin, dass er eigenen einbliek in ritterliche
kreise genommen hat, seine wappenkenntnis sogar auf engeren Um-
gang mit adeligen. Alle diese tatsachen lassen sich auch aus den oben
angeführten Urkunden erklären. Gelegenheit, das ritterliche leben aus
nächster nähe zu betrachten, hat Heinrich v. T. am hofe des Spon-
heimers Bernhard genug gehabt: einmal genossen die Turlin grosses
ansehen und verkehrten viel mit adeligen herren ; dann aber herrschte
in St. Veit ein reges leben und buntes treiben, denn es war bis zum
aussterben der Sponheimer, 1269, die residenz der kärntischen herzöge,
von denen besonders Bernhard ein freund der künste und geselligkeit
war. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Heinrich am herzogshofe
irgendeine beamtensteile bekleidete und als ministeriale Bernhards
waffenberechtigt war, avozu dann die stelle 10449 der Krone passen
würde, wo der dichter, nachdem er sich einige zeilen früher von dem
TiirUn der iverlt kint Heinrich bezeichnet hat, von sich sagt : ick trage
daz iväfen M mir da, daz valschen man versnidet. Als hofmann weiss
er auch, wie die Krone beweist, in der romanliteratur der höfischen
1) Gelegenheit zum Schulbesuche war ja in 8t. Veit vorhanden. Unter den
Sponheimern besass St. Veit eine schule. So werden in der rechuung bischof Wolf-
gers V. Passau über die ausgaben auf seiner reise nach Italien durch Kärnten die
scolares aput S. Vitum angeführt, denen er am 7. april 1204 ein geldgeschenk
macht (Mon. car. lU, no. 1563). No. 1813 desselben bandes führt einen Hainricus
scolasticus de S. Vito (10. jan. 1220) als zeugen an. Ein Hainricus magister scola-
sticus s. Viti wird erwähnt in einer Urkunde vom 30. jan. 1233 (Mon. car. II, no. 543).
Endlich wissen wir von einem Bernhardus scolasticus (1248j in S. Vito plon. car. II,
no. 585).
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SFRACHFORM SEINER KRÖNE 161
sowohl, als der volksepen, sowie im mimiesaDg seiner zeit gut bescheid,
zeigt sich aber auch der bibel in manchen auspielungen kundig. So
erklärt es sich, dass seine geschichten fast ausschliesslich der lektüre
französischer werke entnommen und nur zum geringsten teile dem
leben nachgebildet sind oder eigener ertindung entspriessen.
Das hochgefeierte vorbild, das er nicht genug rühmen kann
und dem er nachzustreben versucht, gibt Hartmann ab. Heinrich ent-
nimmt ihm nicht nur gewisse motive, sondern richtet sich auch in der
wähl bestimmter Wortarten im reime nach Hartmann ; freilich erreicht
ihn der nachahmer weder in sprachlicher feinheit, noch in dichte-
rischer kunst.
An Wolframs darstellung lehnt er sich oft genug an. Von ihm
nimmt er eine reihe von Wörtern an ; viele derselben erklären sich
aber auch aus der gemeinsamen bayrischen heimat der beiden dichter.
Wie jener liebt Heinrich französische und lateinische fremdwörter in
der darstellung, nur dass er sie immer richtig versteht und auslegt.
Mit Wolfram hat er auch gewisse märchenhafte Stoffe und manche
wunderlichen gelehrten auspielungen gemein. Grosse partien des Par-
cival sind in der Krone einfach ausgeschrieben und mit anderen namen
und Worten in Heinrichs spräche wiedergegeben. Schon Zingerle hat
(Germania V, 468 If.) aus stellen der Krone, die in nahem Verhältnis
zum Parcival stehen, den beweis erbracht, dass beide dichter dasselbe
werk Chrestiens von Troyes zum vorbild gehabt haben und die wohl-
begründete Vermutung ausgesprochen, dass Heinrich Wolframs gedieht
in seipem ganzen umfange gekannt habe. Ich bin der ansieht, dass
eine darauf gerichtete einzeluntersuchung die ansieht Ziugerles vollauf
bestätigen würde, da sich mir Übereinstimmungen mit ganz späten
partien des Parcival ergeben haben. Übrigens bemerkte schon Lach-
mann, dass Heinrich der französischen vorläge näher stand als Wolfram.
Nach diesem und Hartmann ist es Wirnt von Gravenberc, in
dessen spuren unser dichter wandelt. Der 'Wigalois' gilt als bekannt
und wird inhaltlich stark benutzt (der glückspendende gürtel, das
rad des glückes u. a.). Wirnt verdankt Heinrich die äussere gestaltung
des Werkes; dessen dreizeilige Schlüsse von abschnitten und dessen
Ungebühr zu reflektieren, ahmt er aufs getreueste nach. 2942 nennt
er seinen gewährsmann auch mit namen. Doch sind in der Krone
die reflexionen noch nicht ins masslose gesteigert, ja manche bean-
spruchen mit recht einen hohen dichterischen wert und zählen zu den
schönsten stellen des gedichts. Sicher ist es auch, dass Heinrich den
'Tristan' gelesen hatte, als er sein werk dichtete.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 11
162 (IRABER
Endlieh g-ab auch Ulrichs von Zatzikoweu 'Lanzelet' für die
Schilderung- des mit edelsteinen geschmückten palas der frau Sjielde,
Krone 15 679 ff., einzelne züge her.
Als grundlage für die Untersuchung der spräche Heinrichs von
dem Turltn haben mir Zwierzinas 'Mhd. Studien' sowie die beobach-
tungen 'Über den reimgebrauch Hartmanns und Wolframs' gedient.
Es hat auch sehr der sache genützt, seine rezension von Junks arbeit
über den reimgebrauch Rudolfs von Ems (Beitr. 28) heranzuziehen und
die darin für jede reimuntersuchung aufgestellten Vorschriften zu
befolgen.
In erster linie kam es darauf an, aus den lauten und formen
der reimwörter in der Krone diejenigen merkmale herauszufinden,
welche auf bayrisch-österreichischen und speziell kärntischen charakter
der spräche hinzuweisen schienen. In allen fällen, wo dazu die mög-
lichkeit geboten war, habe ich aus der heutigen mundart Kärntens
mehr oder weniger belege angeführt und auf grund einer sorgfältigen
vergleichung festgestellt, welchem Sprachstande die betreffenden laute
und formen zuzuweisen sind. Lessiak, Ma. von Pernegg, die reich-
lich benutzt wurde, bot die beste fundgrube mundartlicher beispiele.
Das ergebnis meiner Untersuchung ist dies: viele erscheinungen
in Heinrichs Krone stimmen mit der kärntischen landessprache über-
ein, manche Sonderentwicklungen bei Heinrich lassen sich nur aus
dieser erklären; ebenso stark sind die Übereinstimmungen im Wort-
schatz. Der dialektische einschlag ist trotz aller nachahmung Hart-
manns so stark wie vielleicht bei keinem anderen mhd. dichter, so
tief eingewurzelt steht Heinrich im boden seiner mundart.
Durch meine Untersuchung glaube ich zugleich die grundlage für
eine neue ausgäbe der Krone gegeben zu haben, indem ich einerseits
die beziehungen der spräche Heinrichs v. T. zur literarischen spräche
des 12. und 13. Jahrhunderts und andererseits zur kärntischen mundart
in betracht gezogen habe.
n.
Die sprachform der Krone.
I. Vokale.
A) Die rt - 1 a u t e u u d deren u m 1 a u t.
1. Bindiingeu von a : ä.
a : ä reimt in der Krone 358mal,und zwar: vor auslautendem k (c) iu stumpfen
reimen nur 2mal: lac : pflac : iväc (subst.) 17 248; tvdc : tif wac (praet.) 27 572.
Durch Singers ansprechende konjektiu- zu 20 007 schantliche tat : mac erscheint
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFOKM SEINER KRONE 163
dieser doppelt unreine reim nunmehr beseitigt und die stelle lautet: schantlichen
slac : viac.
4mal wird a vor auslautendem ch (in stumpfen reimen) gedehnt. So reimt
sach (praet.) : ?'er*jrtrit7t fadv.) 3368; : gäcli 14 813; sach (subst.) ; n«c/t (praep.j
25 412. Denn warum soll man, ohne dass weder die Überlieferung, noch der text
selbst hierfür anlass bieten, roubes schdch für roubes sach setzen, wie Haupt vor-
schlug, bei einem dichter, der in soviel fällen die a ungleicher quantitäten zusam-
menbindet? Parataktisches aneinanderreihen von abstrakten gehört überdies zum
gewöhnlichsten kunstmittel Heinrichs ; 6509 nach (praep.) : geschach.
Niemals bindet Heinrich a : d vor d und nie vor g. 5401 muss wohl mit
Lexer (Wb. in, 633) gelesen werden: Die vamt iemer enwage (P varent ! iemer
enweg, V varen in mir zewage): sage 'Meine gedankeu sind fortwährend in be-
wegung, allzeit unstet'. Daher sind die verse 30003 gnaden : überladen und 30 027
gnade : entlade Heinrich abzusprechen und der abschnitt, in dem sie stehen, auch
aus sprachlichen gründen als schreiberanhang zu bezeichnen. (Andere gründe für
diese behauptung s. im letzten abschnitte.)
Der typus -ade- findet sich in der Krone überhaupt nicht, weil es sehr schwer
ist, zu gnade ein reimwort zu finden. Für -dge- dagegen steht eine grosse menge
von Vokabeln zur Verfügung, noch mehr für -age-. Wenn dessenungeachtet Heinrich
V. T. solche bindungen meidet, muss es wohl absichtlich geschehen, d. h. die dehnung
der kurzen a hatte vor d und g eben noch nicht stattgefunden. 24672 mägen :
jagen : betragen wurde entweder bei Scholl verdruckt (wie so häufig), oder es liegt
ein schreiberfehler vor. Denn dies wäre der einzige fall von dehnung des ä vor g.
Auch Singer hat, vermutlich aus inhaltlichen gründen, jagen verdächtig ge-
funden und lügen vorgeschlagen, welches sich Heinrichs spräche trefflich fügt. Des-
gleichen muss die bindung 26 345 von -age : -dge abgewiesen werden. Singer schlägt
wieder vor: Sus sliefen sie dri tage und naht, Daz sie nie lourden enwaht. Er
entfernt sich dabei aber allzusehr von der hs. Ich meine, Scholl habe nur fälschlich
über ivage den Zirkumflex gesetzt und durch weglassung desselben erziele man den
richtigen sinn : Älsus sliefen sie dri tage, Das sie nie wurden enwage. 'So schliefen
sie drei tage lang, ohne sich zu rühren', enwage werden steht auch im Lohen-
grin 19.52.
a : ä vor ht in stumpfem reim lässt sich 4mal nachweisen: 685 etlicher slaht :
andäht, 6551 vaht : gedäht (cogitare) ; 22 801 endaht (tegere) : anddht, 24 053 ge-
daht:äht; 21418 wird nach Krügers Vorschlag gelesen werden dürfen: Und reit
in der ahte, Daz in vil gar bedahte Grimmer muot usf. Kurzes a wird demnach
auch vor ht nur in einsilbigen reimen gedehnt.
a : ä steht ferner fünfmal vor auslautendem l (stumpfe reime): über al : mal
911; mal: tal 1454. 14 067; : enhal (praet.) 24 498. äl (ahle) ; über al 19 687'.
1) Die reime, wo Scholl den namen Parcivdl zu kürze bindet, dürfen nicht
mitgezählt werden, da sie dem dichter nicht für unrein galten. Bei Heinrich wechseln
nämlich wie bei Wolfram, der anfangs diesen namen ständig auf -al und erst später
nur auf -äl reimte, die nameusformen mit kürze und länge der endsilbe regellos
ab. Farcival reimt auf kurz -al 2211. 25 921 ; al : 23 865. 25 861 ; zal ; nur 2mal
steht der name mit äl : Farcival : grül 13 996 und 29 485. Dagegen kommen für
die bewertung des a im selben namen gar nicht in auschlag die neutralen reime
2291 Farcival : Lenval und 1547 ; dal. Erwägt man noch, dass der reimmöglich-
keiten auf -dZ in der Krone nicht wenige sind, so scheint Heinrich v. T. die naniens-
forni mit kürze der endsilbe .• Farcival zu bevorzugen.
11^
164 (iUABEK
12 964 druckt Scholl entw^U (praet.) : m^lt (praes. von malen). Doch scheint
es fast, als ob nach dem sprachgebrauche Heinrichs die 3. sg. ind. praes. zum sin.
malen eher er malt lauten müsste, zumal das praet. mit rückumlaut entwalüe) in
der Krone sich häufig findet. Auch dieser reim also zählt zu den fällen der deh-
uung des ä.
Vor m im stumpfen reim wird a 5mal gedehnt : sträm : mitesam 310. (Ad-
jektiv-ableitungen auf -sam reimen meist auf kürze, brauchen daher wegen einzelner
bindungeu zu länge nicht als lange silben beansprucht zu werden.) : kam 12 837,
: nam 14 509, ; nam : sorgesam 20 541, nam (praet.) : squdm 15 166. Wieder zählen,
abweichend von Scholls text, die reime von eigennamen nicht mit. Das vorkommen
des Wortes Amurßnäm im reim zeigt vielmehr, dass wir es auch hier mit doppel-
formen zu tun haben. Der nom. reimt durchwegs auf langes ä : so 7795. 7937.
8297. 8662. 13 610. 13 673. 17129. 231i7 :dd; .•««17196. Vermischung der quanti-
täten des a tritt endlich vor m auch ein 14 287 vreissam : rdm, was bei Scholl nicht
ersichtlich ist.
In klingendem ausgang steht gedehntes a vor m 4mal : 566 qudmen : natnen
(subst.) : Hrtwew (praet.) ; : namen 620; namen : squämeii 960; : gerdmen 1712. In
zweisilbigen Wörtern wagt Heinrich also nur in den ersten 2000 versen des gedichts
a vor m zu dehnen, bezw. die gedehnten formen aus seiner mundart in die dichtung
aufzunehmen, und vermeidet diese später sorgfältig.
a : ä vor n steht am häufigsten in stumpfen reimen, im ganzen 204mal. Das
material für solche bindungen geben auf der einen seite die reimwörter vian, han,
sican, tan, han (subst.); began, getvan, ran, versan, hran , kan, gan; dan und an
(praep.), auf der anderen die Wörter wän, grdn (stf., scharlachfarbe) ; gdn, gegdn
(part.), stdn, hdn, kdn (1. pers.), getan und an (praep.) '.
Dazu kommen noch die beiden reime ha nt : vant 29 968 und : gemant 2685;
507 grdn : hran ist bei Scholl nicht als 'unreiner' reim erkennbar. Desgleichen
13982 casieldn : swan. Durch ein nachfolgendes m oder n, welches den vokal
nasaliert, wird der unterschied der quantitäten verwischt, weshalb dann a : d ohne
dem hörer aufzufallen, gereimt werden kann -.
Der zahl nach kommen die dehnungen des a vor r denen vor n am nächsten.
In diesem falle wird a 90mal zu d gebunden ; darunter aber nur 3mal in klingen-
dem reime: 7415 heivarie : gehdrte; 7565 : värte: 12 514 beicarten : vdrten, also wieder
nur in der ersten hälfte des gedichts. Folgende stellen müssen noch hinzugezählt
werden: 941 ff. lautet: Ditz mcere nü konien was Artus ze wa^re (P hat zu wäre),
1) An eine form ich han ist für Heinrich bei der füUe von anderwärtigen
belegen von a : d vor n gar nicht zu denken. Aus dem heutigen kämt, i hQn aber
lässt sich auf die frühere quantität des vokales nicht schliessen, da jetzt sämtliche
d und d lang gesprochen werden.
2) Die bei bayr. dichtem beliebte form sdn wird von Heinrich konstant ge-
mieden. Wolfram gebraucht sdn, Hartmann nur sd. Nicht ein reim enthält diese
adverbialform, so dass man wohl schliessen muss, sie sei im dialekte des dichters
nicht vorhanden gewesen. Diese form der partikel müsste sich bei der grossen zahl
von reimmöglichkeiten für sdn überall leicht einfinden, zumal Heinrich die typen
-an und -dn ganz anstandslos auch untereinander reimt. Von diesem gesichtspunkte
aus zeigt es sich, dass der dichter sdn bewusst und absichtlich gemieden hat. Denn
es wäre bei Heinrich unerhört, dass ihm nicht ein einzigesmal sein eigenes ma. sdn
entschlüpft wäre, falls er es in seinem dialekte besessen und nur in hinblick auf
Hartmann vermieden hätte.
HETNKICH VOX DEM TURlIn UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 165
Wie (h'i ein ritter wwre Erbeizet vor dem sal (V uud Singer), wcere stf., hat hier
unmöglich die bedeutung 'wahrheit, Wirklichkeit', der sinn fordert unbedingt war
oder wäre (stf.) 'Wahrnehmung, beobachtung'. Nun kann aber Heinrich v. T. nicht
(B auf a gereimt haben, wie sich später bei behandlung der e-laute herausstellen
wird. Daher liegt die Vermutung nahe und erhebt sich zur gewissheit, dass Hein-
rich den coni. praet. von wesen (srn) aus seinem dialekt entlehnte und die grob
mundartliche form ich unlr statt wcere auch in sein poetisches werk aufnahm. Die
stelle muss daher gelesen werden : ze war : ein ritter ivdr. (Andere belege aus der
Krone für diese coni. -form s. seite 165, 166, 168 und 180.)
1075 dagegen ist das bewcere^ welches auf woire (coni.) reimt, zu zweideutig,
als dass man sich bestimmt für die unumgelautete form entscheiden dürfte. Es
passt sowohl die bedeutung 'beweisen, als wahr dartun', als auch bewarn 'sich wo-
vor hüten, unterlassen', d. h. 'in abrede stellen' mit folgendem negativem satze.
Im übrigen wird das reimniaterial gestellt durch die Wörter: dar, schar, bar,
gevar (adi.), war (praep.), gewar (praet. und praep.-adv.) und gebar, denen hdr, jdr,
dar und ivär gegenüberstehen. Vers 2415 scfiar : Reinmär zählt nicht hierher, da
das -ar des namens als anceps gilt. Ebenso darf man auf die bindung offenbar :
bar (praet.) : schar 25 157 nicht allzu grosses gewicht legen, da Heinrich auch diese
ableitungssilbe als anceps gebraucht. Vgl. 2282. 29 588 : ivdr.
Dagegen druckt Scholl 15 733 hlär : adeldr, während gerade diese bindung
eine 'unreine' ist. Das wort adelar wird von keinem dichter auf lang c? gereimt
und auch Heinrich v. T. bindet es immer zu kürze : 22 673. 23 516. 25 157 : gar,
nie ausser in diesem falle zu länge.
Es erübrigt noch, die reime von gar (adv. und adi.) : här, ivdr, jdr zu er-
wähnen. Die Krone weist deren 33 auf. Ausserdem reimt gar gegen 70mal zu
-var, dar, gewar (praet. und adj.), war, adelar, beioar, swar (praet.), tar, Leiga-
mar u. a. '.
a wird sonst noch gedehnt vor r + cons. in offener silbe : ivdrn ; am (subst.)
8235. 18 438; : varn 8715; : beivarn 21463. 27 608; vdrn (nachstellen) .• fee^rara
10 816; jdrti : sparn : varn 30 031; ferner bewart (-paYt.) : besivdrt (praet.) 2906.
22 667 ; : gevdrt (part.) 27 045 ; : vdrt (praet.) 28 568 ; ; enbart (praet. zu tnbarn)
: bestcdrt 20 343. Dehnungen unter sonst gleichen umständen in gedeckter silbe
(klingendem reim) sind wieder nur drei zu belegen, und zwar alle nur aus der
ersten hälfte des gedichts : bewarte : gebdrte 7415 ; : vdrte 7565 ; bewarten : vdrten
12 514.
Zu den dialektischen reimen zählen noch, ohne dass sie in Scholls ausgäbe
als solche ersichtlich wären, folgende stellen: 1266 bewaren : vdren ; bewart : gevdrt
(zu swv. vdren 'auf den willen eines anderen rücksicht nehmen, ihn zu erfüllen
suchen, gewähren') 6734. Das Wb. gibt belegstellen aus Gregorius, Frauendienst
und Lohengrin. Daher möchte ich dort nicht mit Singer gewart lesen. 2360 muss
1) Die zweisilbige form des adv. begarwe : varwe reimt 121 (V P begarbe) ;
6495. 8211 (V P begarbe). 14 341. 20 135. 21 132 (P farwen : begarbe) und 23 177.
Nacli Zwierzina hat es den anschein, als ob in der Krone kein begarwe vorkäme.
Die angeführten stellen belehren uns eines anderen und weisen darauf hin, dass
auch die zweisilbige form im dialekte des dichters ihren wolilberechtigteu platz
einnalim. Freilich konnte Heinrich sie nicht so oft im reime gebrauchen, aus dem
einfachen gründe, weil die drei reimwörter harwe, vanve, marve nicht au allen
Stelleu der erzählung ohne weiteres herangezogen werden konnten.
166 (JRABEK
es heissen lodren : hewaren (inf.), ahd. pewarön 'verhüten, unterlassen', weil hewdren
hier ganz sinnlos ist. Derselbe reim liegt vor 6660, nur dass hier hewaren die be-
deutung 'servare' trägt (hss. waren : beivaren). wären aber vertritt die gew. oberd.
conj.-form wceren. Der satz 6659 f. Weder und oder las Der dder siege Ovaren ist
der von 6658 D6 greif er aber vi'irhaz abhäugifie indirekte fragesatz und verlangt
demnach den conj. des verbs. Dies ist also der zweite fall, dass Heinrich die aus-
schliesslich mundartliche form tvur für liuere setzt.
Ein reim von a : d ist aber auch für 24 377 zu erschliessen. 24 376 0'. lautet:
SU man vor die rrouwen hat Da mit (sc. mit dem hantschnoch) alle bewart. Ohe
ir in holt wärt usf. 'Da man vorher doch auch alle damen mit dem handschuh
bekleidet hat', tc^rn (got. wasjan) hat bei Heinrich im praet. und part. immer
a. Das part. bewart steht so 24 005 u. ö.
wärt vertritt wieder das 'regelmässige' ivteret. 20 343 bewart ('bekleidet' ) :
enbart : bestvärt. Endlich muss es 25 848 heissen: ,90 wo'ren übel bewart Dver laut,
der (P!) vil maneger värt 'nach dem viele in feindlicher absieht trachten'.
Bei der sogenannten dehnung des a vor l und r handelt es sich weniger um
eine Verschiebung der quantität als viel mehr der qualität. l, insbesondere aber r
üben auf den vorausstehenden vokal einen starken einfluss aus. Durch folgendes
l wird in Kärnten auch heute noch vielfach der vokal infolge der lippenrundung,
welche die ausspräche des l erfordert, verändert. Auch ein folgendes ;•, nament-
lich, wenn es im silbenauslaute steht, beeinflusst den vokal. Unterliegen nun ä
und (/ in derselben weise der einwirkung folgender liquiden, so ist es begreiflich,
wenn die laute in ihrer qualität sich nahekommen und im reime gebunden werden
können.
Vor s steht gedehntes a nur 3mal in stumpfen reimen: 13 088 was : cicläs :
2399 hast : last .: : gast 29 467.
Vor i in 21 stumpfen reimen, welche gebildet werden aus den Wörtern stat
(subst.), blat, bat (praet.), trat und parät, h/rät, rät, wät, tat, sigelät, er lät, hat.
Nur ganz zu anfang des werkes findet sich auch eine dehnung des o in klingen-
dem reim : 481 laten < ladeten : täten. (Vgl. Paul, Mhd. gr.^, § 86, anm. 2.) Zwier-
zinas behauptung, dass a : ä in geschlossener silbe bei Heinrich 'ein unerhörter
reim' wäre, widerlegt sich auch noch durch ein zweites beispiel aus der Krone:
19 686 täte7i (praet.) : gestaten (inf.). (Vgl. Zwierzina, Zfda. 44, s. 367, anm. 2.).
Die reime von hän, hast, hat auf -an, asf, at sind sicherlich als unrein an-
zusprechen, da es an gründen fehlt, die bei Heinrich für hau, hast, hat sprechen
könnten. Er bindet getan, län, stän und gän in ihren formen ebenso auf länge
wie auf kürze, er muss daher hän, hast, hat gesprochen haben.
Eeine binduugen sind daher entgegen Scholls Schreibung: 7622 beraten : ver-
späten : laten. Aus V lässt sich der 3. vers also rekonstruieren: Dem gotts herde
täten (mit enklise des pronomens 'in'), hert (erde) steht ausserdem noch 25 073.
22 461.
Auch vor z kennt Heinrich keinen unterschied in der quantität des a, denn
er bindet zehnmal a : ä. Um die Verstösse bei Scholl zu berichtigen, gebe ich
sämtliche belegstellen : 7655 praet. az : wäz. Es wird kaum anzunehmen sein,
Heinrich habe wie Rudolf v. Ems B. 173. 13 und Wehr. Germ. 30, 180. 19, auf das
altertümlichere äz zurückgegriffen; in der Krone findet sich wohl 6mal äz, niemals
aber äz belegt, obschon die reimmöglichkeit dafür vorhanden war. 9055 ungäz :
HKINKICH VON DEM TURLIN rXD DIE SPRACHFOKM SEINER KRONE 167
vergaz; : hesaz 26 997; : sas 29 324. güz : saz 13 629. 28 876. 29 856; : gesaz
14 803; : vaz 27 804. strdz : maz (praet.) 14 219.
Aus dem vorgeführteu reiramaterial ergibt sich, dass Heinrich v. T. o mit
ungleiclieii quantitäteu bindet, und zwar am häufigsten vor liquiden m, n und r,
aber auch vor c (A)? c^»> ''^> h ^j * "i^d 2. Weiter steht fest, dass in der mundart
des dichters die quantitativ verschiedenen a meist in einsUbigen, selten auch in
zweisilbigen Wörtern, qualitativ gleich oder doch so ähnlich waren, dass sie unter
ein reimband gestellt werden konnten: gelängtes a fiel mit altem d zusammen.
Wie die heutigen mundarten beweisen, erlitt das kurze alte a auf dem ge-
samten bayr.-österr. Sprachgebiete dehnung, nicht bloss vor einfachen konsonanten,
sondern auch vielfach vor doppelten. Diese erscheinung in der Krone kann daher
nicht als ein kennzeichen ihres kärntischen, wohl aber ihres bayr.-österr. Ursprunges
gelten ^
2. Widerstand gegen den u m 1 a u t des ä und d.
Umlautfähiges kurzes a finden wir in der Krone vor germ. h erhalten. So
lautet der inf. praes. sivachen und reimt '.lachen 1891; : suchen 11649. 23 923;
: machen 21 214:. 21548; geswachen : lachen (suhst.) 24:879. 28 788; sivachen : suchen
(subst.) 27 675. Das präsens swachet : tcachet 10 436 ; der coni. sivache : suche
10 580; das Präteritum sicachte : machte 16 656. 22 235. Das participium {ge-,
ver)swachet : {ge-, ver)machet 2253. 3978. 8170. 14 866. 15 787. 19 772. 21 157.
27 486; : muchet 5941. 8776. 10 305.
Ausserdem gebraucht Heinrich Imal die form brachen statt brechen und reimt
jene auf machen 27 400. Im kärnt.-wind. dieselbe erscheinung bei späh(n) speck.
Der inf. tivuhen : trahen (subst.) steht 2mal: 22 071. 16 993". Der umlaut tritt
endlich nicht ein in stuheUn : shi (inf.) 20 859. Demnach vermute ich auch für
13 222 stahelm, wo Scholl keine lesart verzeichnet.
Noch viel häufiger und in ausgedehnterem masse leistet ä dem umlaut wider-
stand, wie die reime beweisen; es hat sich erhalten vor r: 12 989 wcere : durnare
(PI) = da ndr. Scholl druckt ganz sinnlos ncere, da er die umlautlose form für
den reim nicht brauchen zu können vermeint. Eine andere lesart lautet: den het
er dd mcere Vil gerne gevrdget 'er hätte ihn gern um auskunft gefragt'. Aber das
ndre in P scheint eine solche koujektur nicht zuzulassen. Interpretieren wir zu-
nächst die stelle nach dieser hs. ivdr : den het er da ndr vil gerne gevrdget 'er
ll In der Kärntner mundart wird a ohne rücksicht auf den folgenden konso-
nanten bald zu p, bald zu ä entwickelt: sirpl schwall, sipdl stadel, fpsn fassen,
gpr gar, pg» flachsspreu (mhd. agene) , hpmr hammer, fiba < *abher 'herunter',
spfjua spanne ; änul (mhd. U7ie) 'aviu\ äujtse die gabeldeichsel an einspännigen
fuhrwerken, zu got. ans 'der balken'. ksümig zu sQmon sich schämen, ivädl und
wQdl Tuihd. ivadcl) fächer, Sprengwedel, isüxr zähre, häsn, häsig (Drautal und ur-
kundlich) schlüpfrig, glatt zu ahd. haf<an, hasnisto, venicstus, ijolitissimus u.v.a.
Ganz gleich entwickelte sich mhd. d : jpmm oder jämm jammern, klagen,
trQm oder träm querbalken, sQm same, spgn spahn ; hkOr zur weide benutzter berg-
teil, gräte {m\\(l. grdt) gräte, imba (vi\h.^.bdbc) altes weih; slpj'n schlafen, mQsl
narbe, fphn fangen, u'(>r wahr, Ipsn lassen u. v. a.
Auf grund dieses dialektischen Zusammenfalls von d und d konnten die beiden
laute auch aufeinander gereimt werden.
2) Auffällig ist das sonst nicht belegte rahen : slahm 10 758. Es ist wohl
spezifisch kärntisch, denn diese ma. bewahrt noch heute die Wörter rähl und ralihl
'Stange'.
168 GRÄBER
(Gawein) hätte ihn sehr gern, dar dorthin ' ndr, kontr. aus naher „genauer, deut-
licher, eindringlicher'-, um das, was dort drinnen vorgieng, gefragt'. Wenn die
richtigkeit dieser auslegung einleuchtet, erhalten wir zugleich einen neuen heweis
für den rückumlaut im coni. praet. von vesen, welcher schon 3mal in der Krone
begegnete. Um alle zweifei zu beheben, genügt es, 27 754 anzuführen, wo ervarn
(inf.) ; warn (conj. praet.) gereimt wird, ein deutlicher beweis für den frühen ein-
tritt des sogenannten rückumlauts.
6454 migtbdre (subst.) : Ä/?re ,• : seivdre (adv.). 11278. 19 812 ze wäre : un-
ddre (appositionell nachgesetztes adj.).
Am meisten unilauthemmend wirkt auch hier germ. h.
1248 geivcehet (part.) : vwhet (3. pers. sg. ind.) P hat gewahet : vahet! 24249
versmdhe (adj.) ; vdhen; gevdhe (conj.) : versmdhe (conj.) 1015; versmähet (2. pl.)
: enpfdhei 7604. Der inf. versmdhen : enpfdhen 11773, : jähen : fidhen 13 751,
; vähcn 18 483, : ndhen (adv.) 6862. 20 053. Das part. versmdhet : gdhet (2. pl.)
': enpfdhet 3174.
19 651 wwhe (adv.) : jcehe (conj. praet.). Die vorläge von P hatte tvahe und
daraus nahm es der Schreiber dieser hs. herüber. Daher dürfen wir auch für 7762
icdhe (adv.) ; spcehe ansetzen.
Der Umlaut unterbleibt auch vor h -\- s und h + i: 5663 ncehste : gcehste,
P den aller gahste! ; 8070 hrwhte : fchte, 24 869. ; bedachte : (ehte 11 121. In den
beiden ersten fällen schreibt P brehte : a h i e. Wahrscheinlich stand in der vorläge
beidesmal ahte und der abschreiber meinte den conj. in die ihm geläufige form
mit Umlaut 'bessern' zu müssen. Der ständige Wechsel von a und w in der hs. P
kann keineswegs der willkür des Schreibers zugemutet werden. Wie die Charak-
teristik von P bei Reissenberger s. 4 f. zeigt, ist es nicht seine art, ce durch a
wiederzugeben. Wir dürfen also darin einen beweis dafür erblic^cen, dass in allen
fällen, welche in betracht kommen, sich in der dem original ziemlich nahestehenden
Vorlage von P das schriftzeichen a befunden habe.
Scholl druckt 21418 fälschlich: üz der ähte : beddhte (unumgelauteter conj.
praet. zu denken), während die stelle heisst: Und reit in der ahte, Als in vil gar
hedahte Grimmer muot . . .
Ferner tritt der umlaut nicht ein vor t.
19 173 mi SS erat et (3. sg. ind.) ; bestätet (part.). Letztere form wird durch
den Zusammenhang gefordert: 'Jede sache, die gut ausgehen soll, muss vorher in
ihrem anfang und ende festgesetzt, d.h. überlegt werden.' 20 329 wiltprcete (pl.)
• rcete (dat. sg.). Heinrich verwendet sehr selten die zweisilbigen uragelauteten formen
der casus obliqui der masc. /-stamme. Dazu kommt das zeugnis von P, welches
michelem rät bietet. 7622 beraten (inf.) ; verspäten (inf.) : läten (imper. mit
enklise des pron.).
Einmal widersetzt sich ä dem umlaute auch vor/, 3698 släfen : g ewäfen
(subst.) und 7351. Was endlich noch Eeissenberger anführt: b es warte : vdrte
17 024 ist einfach rückumlaut, der bei Heinrich in seltenen fällen und nur dann nicht
eintritt, wenn der 'bindevokal' zwischen stammauslaut und endung erhalten blieb.
1) Vgl. Paul, Mhd.gr. §322: Bezeichnungen der richtung werden häutig zu
Verben gesetzt, die au und für sich keine bewegung ausdrücken, bei denen man die
Vorstellung einer bewegung erst infolge der beigefügten richtungsbezeichnung er-
gänzen muss.
HEINRICH VON DEM TURlix UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 169
Vor ^: 19 938 häzen (pl. stm. 'rock, 'klei^') : verwäsen : geläzen, Das wort
heisst auch hcez, pl. hmze, Heinrich verwendet also die umlautlose form. lu all
den angeführten reimen handelt es sich nicht um 'unreine' reime, sondern um
sprachlichen ausgleich: unumgelautetes ä oder a konnte, wie heute in der mundart,
so auch im 12. oder 13. Jahrhundert, schon zu erhalten gebliebeueiu, des umlauts
nicht fähigem ä oder u gebunden werden. Aber auch diese erscheinuug weist nicht
auf Kärnten speziell hin, denn sie erstreckt sich wieder auf das ganze bayr.-österr.
Sprachgebiet.
3. d aus kontraktiou entstanden.
d < äire: 16 188 kUu (dat. pl.) ; hün (inf.); Uä (acc. pl.) ; da 10 551. 17 838.
17 922. 18 486. 18 505; : «Zd (dat.) {: wä) 10 697. 11834. 12 117. 13 002. 13 960.
14023. 14922. 16215. 16 266. 16 387. 16 921. 17 624. 18 240. 18698. 18854. 19029.
21975. 22 899. 26 218. 28 363. 28 745. 29 132.
d < äht: 19 399 vervdn : ergän.
ä < aJie 2842 gestälet : gemälet. Das d hat sich hier nur scheinbar dem
Umlaut widersetzt, denn die kontraktion zu d musste bereits eingetreten sein, bevor
der Umlaut erfolgt war; stäle : male 7482; : sträle 10 526; : male 14 291. 15 262.
17 164. 19 222. 23117. 23 791. 28112; ; «^m^e 26 716; sträle 10 626.
4. ce aus kontraktion entstanden.
ce < ahe : 6353 locelen < wahelen : gevcelen.
Die verba pura erscheinen im präteritum nicht umlautlos, wie etwa bei Hart-
mann, auch nicht im Wechsel von umgelauteten und unilautlosen formen, wie bei
Wolfram, sondern durchweg mit dem charaktervokal des präseus : 6687 metc (conj.)
: icete: wwte (ind.) : skete 6032 (P wcet.), 14 374 (P ivote : state), 15 834.
Das participium lautet gedrcete : süete 8209 ; 19 679 gebUet : gesfet (P gehlat :
gesät). Formen wie gedrät oder gedrän fehlen vollständig.
Das präsens erscheint immer ohne ./ ; 25 539 nnet : bl(et (3. sg.). P hat wat :
hlat! Mit unrecht druckt Scholl 3806 und 3860 underivcejet : hlmjet. V bietet Wöe< ;
hlret, auch P hat ivat : hlat.
6. 0 für a; 6 für d.
Die anlautende Verbindung qua (denn quälte musste Heinrich v. T. als praet.
von qiieln gesprochen haben) wird zu ko. 11156 kolde : wolde. 19 068 kolten :
emrolten ; 24 055 verdolt : kolt (praet.).
Dementsprechend wird die anlautende Verbindung qua zu ko. Kan'döl : köl
(= quäfe) 11 506.
Auch im kämt, dialekt zeigen sich noch spuren dieser lauterscheinungen :
zwar lautet das subst. quäl khwgl < quäle. Die zusammenziehung findet aber statt
in khptemhr •: quatember ; köpe m. kaulkopf, < quahbe.
6. Bindungen von a : o.
Der Übergang der gruppe ar < or muss noch immer als bayr.-österr. eigen-
tümlichkeit der spräche eines dichters angesehen werden, wenngleich er nicht aus-
schliesslich auf dieses gebiet beschränkt blieb.
In der 'Krone' reimt 2mal a : o: 3430 worte : harte ; 11 203 vart : irort. Die
übrigen angaben bei Eeissenberger beruhen auf Irrtum. Denn 1025 sal : schal muss
zwar angeführt werden zum beweise, dass Heinrich die uebenform sal zu .9«/«,
Suhl gebraucht, der reim ist aber ein 'reiner' a-reim. Das nämliche gilt für das
praet. niaht : naht 26 332.
170 GKABEU
16 347 dagegen liegt ein fehler SchoUs vor, denn das von der hs. P weist
auf den reim gedon hin. gedon (stf.) bedeutet 'spaunung, anstrengung, bemühung',
gedon tuon beschwerlich fallen, gewalt antun, quälen. Heinrich v. T. kennt also
noch kein ran^. Auf hochdeutschem gebiet erscheint diese form ausser bei Gott-
fried nur bei Fleck (Flore 239) und selbst dieses van wird aus dem Tristan ent-
lehnt sein.
B. Die e - 1 a u t e. (r, (, e, ä und w.)
1. Die e-laute gleicher quantität.
In der behandluug der verschiedenen e gibt sich Heinrich von dem Turlin
als Inuerösterreicher, ja speziell als Kärntner zu erkennen.
Zuerst werden die sogenannten 'unreinen bindungen' von f ; f behandelt.
a) f und f vor m ata.
( reimt auf e vor b : lebet : begrabet 4970. gehabe (subst.) ; lebe 13 018. leben
: hfbeii 13 494. inderrfde : streben 18 039. In Heinrichs spräche nahm daher das
offene e vor b den geschlossenen laut des f an.
Diesen vier reimen von ( : e vor b steht nur ein einziger von f in sich ge-
reimt gegenüber: h^bet : ents^bet 7229, und selbst dieser muss als 'literarischer
reim' bezeichnet werden, da entseben, wie Zwierzina nachweist, dem österreichischen
Sprachschatze fremd ist und nur aus dem md. entlehnt sein kann. Die vereinzelte
bindung c •' e vor b findet ihre erklärung daher nicht in der spräche des dichters,
sondern im wortmaterial. Der typus -^b- enthält nämlich niu- die worte begrabet,
hfben und gehfbe, entbehrt aber sonstiger reimwörter. Es überwiegt daher die zahl
der bindungen mit leben, geben, stveben, streben, weben, reben und eben ganz be-
deutend.
Ähnlich steht es mit f und e vor g. Heinrich gebraucht fünf reimpaare in
-(ge(n) : gge : sl^ge 11536; : bewege 15 081. g^gen : verlegen 3349; ; sUyen 18 387.
Ugest : m(^gest 13 122, also 5mal mehr als im t}i)us -^he-. Dagegen finden sich
61 reimpaare des typus -ege-. Die bindungen auf traget, Ifget usw. kommen für
die betrachtung nicht in anschlag, da diese formen bei Heinrich, mit eiuer einzigen
ausnähme, immer kontrahiert werden.
Die Wahrscheinlichkeit für bindungen von -(ge- im Verhältnis von reimen auf
1) Der Vorgang, dass a : o vor /• reimen kann, findet seine erklärung in der
heutigen mundart. Das kärntische insbesondere liebt es, die lautgruppe -or als -ar
zu sprechen. Es handelt sich also auch in obigen reimen nicht um verdumpfung
des a, sondern um öfiuung und erhöhuug des o vor r. Beim Übergang vom vokal
zum zäpfcheu-r macht sich nämlich ein ganz leiser vokalischer übergaugslaut be-
merkbar; dadurch wird der vokal etwas diphthongisiert, er erscheint gebrochen:
nr)»r narr, fo^r fahre usw. Diese übergangslaute unterscheiden sich wesentlich von
den diphthongen und können auf diese nie gereimt werden. Auch die ursprüng-
lichen oa sind vor ;• zu p* geworden und so mit einfachem q zusammengefallen.
Ein derartiger zusammenfall von einfachem vokal und diphthong wird durch die
reime schon fürs mhd. erwiesen. Urk. varderen die altvorderen, verdarm (jjt. pf.),
nrgelmeisttr. Im kärntischen wird jedes mhd. o vor r zu q. q aber, der velar-
vokal, entwickelte sich in derselben Stellung noch weiter zu a: die zunge nimmt
eine höhere läge ein als sonst und der laut ähnelt nun einem a. So erklären sich
die dialektformen marg» morgen, u-ai-t wort, fart fort usw. Sogar das aus ver-
dumpfung des a entstandene p muss sich dieser Wandlung unterziehen: icär i (mit
hellem a) < ^icör i = icaz ich.
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE .Sl'RACHFORM SEINER KRONE 171
-ehe- ist daher bedeutend grösser. Tatsächlich bringt Heinrich 53 derartige reime.
Bei der geringen möglichkeit, in jenem typus zu reimen, boten sich binduugeu auf
-(ige in fülle dar.
-(ge reimt auf -ege in folgenden beispielen : engqgen : degen l&l. 1995. 4267.
6950. 9824. 18 472. 18 732. 27 389; : uvgen 5130. 8160. 10 912; : ige-, er)wegen (part.)
• pfl^'g^'*' 15 716. 26 677 ; : pflegen : gelegen 17 537 ; tcnerwegeti 27 438 ; shge(n) : degen
826. 28 043. 29 138; -.pflegen 3973; : vertvegen 6538; : icege 13 165. 13 377. 20 916.
28 743; : underwegen 19 057; : erlegen 19 797. (ge)kgen : degen 9297. 19 499.20556;
: pflegen 3621. 10 107. 13 324. 15 339. 15 628. 18 812. 25 465. 25 854. 26 743; hget :
pfleget (2. pl.) 17 400; ; wege 3645. 12758. 29 907; : erivegen : degen 28 093; : under-
wegen 2Ab7G. 24 373. kge : pflege : wege 17 779. (ge : wege 1750; : jyflege 10 70^3.
22 620. Iggent : 2)flegent 2631. 'mfge(n) : wege 24.911; : segen 2Q 031; und endlich
Wege : b(ge (franz.) 25 641.
f und (" unterscheiden sich demnach auch vor g nicht voneinander, ihre aus-
spräche muss in dieser Stellung dieselbe gewesen sein.
f u n d (" V 0 r t.
An reimwörtern, welche f vor einfachem t enthalten, stehen Heinrich nur
st{te und k(te zur Verfügung. Beide erscheinen ein einzigesmal im reim beisammen:
26 486. Nur einmal (s. unten) gebraucht er auch sqte 'Sättigung'.
Nun enthält die Krone aber 68 reine bindungen von het, tet, gewel(e), bet(e)
(bitte), bret, treten, claret und den -et der eigennamen, wodurch die möglichkeit
geboten ist, jene zwei Wörter auf qt- in mannigfacher weise zu diesen zu binden.
Die 31 beispiele hierfür sind:
st(t: bret 6579. 18 867. 22 116; .• brunet 6886; : tet 3681. 5713. 4631. 5901.
6362. 9304. 12 987. 13 230. 19 370. 20 142. 23 828. 25 511. 25 692; : bet(e) 1664.
4856. 7521. 19 951. 21802. 23 438. 25 335. 30 020; s?te : hete 6854. k?ten : geweten
8466. 14 364. 28 705 ; : treten 13 245. Es ergibt sich daraus, dass Heinrich f und
e vor t unterschiedslos zusammenwirft.
Vor muta erscheint mhd. (" in der mundart als ö-ähnlicher, sehr geschlossener
laut, welcher sich deshalb am besten durch das schriftzeichen ö wiedergeben lässt.
Da auch dem mhd. f im kärntischen ein ö immer vor einfacher muta entspricht,
fallen e und f in diesen fällen in einem einzigen laut zusammen. Jedesmal tritt
aber die mundartliche dehnung des betreffenden e- lautes hinzu, lobm — leben,
göbni — geben, glogr zu legeren; trötn — treten, pflog u — pflegen; tete (conj.) >
mundartlich tot, bet > pot usw.
Davon sind ohne Zuhilfenahme der histor. worterklärung die f-formen gar
nicht mehr zu unterscheiden : höbm — hfben, rüdn — reden, nögl — nqgel, khötn —
kfte, slög — slqge, stöt (urbes) — stqte.
Aus diesem vergleich steht der zusammenfall von Heinrichs mundart mit der
in Kärnten noch heute gesprochenen vollkommen fest.
e in der Stellung vor tt steht in der Krone nur 4mal und zwar immer f.
hqtte (dat.) ; wf^ie (dat.) 1585. 20 661; : verwette (1. pers. sg.) 8302. betten (dat.
pl.) : errqtten (inf.) 11 572. Dass sich trotzdem keine bindungen von -?tte(n) : -ette{n)
finden, kann noch immer nicht die Unmöglichkeit eines reimes von f ; S vor doppelt t
beweisen. Der mangel solcher bindungen erklärt sich teils aus dem wortscliatze
Heinrichs von Turlin (es stehen ihm viel weniger Wörter in -i'ttc zur Verfügung
als in -(:tte), teils, und das ist das entscheidende, aus seinem dialekte.
172 GRABER
In der Kärntner mundart werden nämlich e und f vor tt ungleich behandelt :
fdtsötn — Z(tten Verstreuen, tsötl — zettel, frötn — vt-ftten weisen noch zusammen-
fall beider e-laute auf. Dagegen unterscheidet eine ganze anzahl von Wörtern f
yoü (' auf das strengste: letn, mhd. l(tte, khletn, rahd. klftte, pöt — b^tte bett, petln
— bettelen; smötn < *sm§tte zu smatzen fett, schmalz, rahm.
Was früher nur zufall schien, gibt sich nun als absieht des dichters zu er-
kennen ; er meidet die bindungen von f ; e vor doppel / deshalb, weil die ausspräche
in der mundart keine gleichmässige war. Darin erblicken wir abermals einen beweis
für den kämt. Charakter der spräche Heinrichs.
Im anschlusse hieran erörtere ich noch alle jene fälle, in denen ausserdem
e zum laute des geschlossenen f hin sich entwickelt hat. In gewissen Stellungen
konnten beide aufeinander reimen, ohne dass die bindung als eine 'unreine' auf-
gefallen wäre.
Zunächst vor / (v). 14 687 steft : geschfft (part.) und 12 471 hfven (inf.) :
neven (acc). Die Seltenheit derartiger bindungen hat ihren grund einzig im wort-
material. Reimworte in den typen -even, -Qven und -eft fehlen ausser den ange-
führten überhaupt und belege finden sich nur in -(ft, die aber mangels der gleichen
formen auf e nur in sich reimen können: es sind dies kr^fte : schifte 801. 18 577;
: ritter schifte 11931. 26 779 und haften : schiften 16 486; : hr^ften 15 367.
Weiter tritt Vermischung beider e-laute ein vor st, und zwar nur in einem
reimpaar: 1514 ne'st : test, dem auf der anderen seite 45 bindungen auf -?«<- gegen-
überstehen: g (Stein) : b?ste(n) 446. 754. 2281. 3263. 5968. 30 014; : tv?ste (^met.
Yon wizzen) 5828.* 17 947; : v?ste(n) 2591. 17 102. 18 071. 19 389.26140.27 416.
27 746; : ksten 18 962; v(ste(n) : b(ste(n) 1574. 5719. 6011. 9784. 13 423. 24 288.
26 778. 27 096. 27 665; : iv^ste 3126. 8501. 10189. 12 748. 15 178. 20 771. 22 810.
28 384; v^st : geio^st (part.) 3671. 16 690. vi:ste{n) : iste{n) 11638. 12 200; : hste
15 705. 19 473. 22 766. 25 207 ; ; r^ste 5699. w^ste (praet.) ; b^ste 17 221 ; r^ste
15 263.
Daneben zähle ich 20 reime, welche e und f vereinigen, ein beweis, dass die
ausgleichuug vor st schon zu Heinrichs zeit völlig durchgeführt war: g^ste : veste
{dies festus) 613 ; : föreste 18 253. 22 558 ; : gebreste 22 400. 24 846 : eng^sten : bresten
15 491; Vfste (&dj.) : gebreste 6363. 15 904. wgste (]^ra,et.) : beste : gebreste 21816.
«f6<e(n) : bresten 9100. 28 629. 28 945 ; bresten : lösten 7710. 7241 ; : (sten 16 009 ;
;&fsim3027; : totsten 12 219,. v(ster : swester 14:^.0. 11177. 17 176. 23 897. Das
fehlen von bindungen mit e und f vor einfachem s kann nichts beweisen, da es an
reimworten in -^s gebricht.
Die e-laute vor ic.
f und e werden auch gleichmässig behandelt vor iv. Die möglichkeit, so zu
reimen, ist nicht gross. Es findet sich nur e i n derartiger reim : 18 141 lewen
(leonem) : Ansgqiven (dat.) ; immerhin fällt an diesem reime die namensform auf,
weshalb es sich hier schickt, einen exkurs über -gou, -gftce in Zusammensetzungen
und im anschluss daran über turnoi einzuschalten.
Bei Heinrich steht der alte wo-stamm .90« 3mal im reim. Als w^T-stamm,
nach knie flektiert, erscheint er 2962 : Ilespelgou : Brisgou {Phesjielgamv : hrysz-
gauw), als ja-stamm, nach künne flektiert, in 18 141 Ihoen : Ansgfiven. Endlich
als goi in Ansgoi : turnoi 18 546. Im versinnern steht immer nur die fonn Ansgil
(Vgl. das namenverzeichuis bei Scholl).
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 173
Die form turnoi wird von dem dichter bevorzugt; so reimt sie in folgenden
Versen: 806. 2984. 18 049. 18 411. 18 546. 22 644; turnei kommt nur 2mal vor:
10 084 und 13 927. (Über die stelle 2939-90 S.Medner, 'Das deutsche turnier' s. 16 f.)
An der besagten stelle der Krone muss es nach F. Lichtenstein (Afda. 8, 15) heissen:
wol priset den turnoi dort, als der (hs. den) franzoiser croi (hs. twei) iuot mit uns
und M dem Bin (hs. he dem R/n). Zur bestätigung dieser konjektur diene die stelle
804 ff. (der oder diu croi fehlt bei Lexer I, 1725. 1746 und im Mhd. Wörterbuch).
e vor w steht nur noch 2mal als e: 10 557 und 12 760 Tcewen : lewen. Laut-
licher zusammenfall von (' und f vor w lässt sich auch in der Kärtner mundart
konstatieren : ströw, mhd. strfu-e, löiv, mhd. Wwe. (Denn diese mhd. form ist für
die ma. vorauszusetzen, da aus löuioe ein *l(eiiv hätte entstehen müssen.)
Zum Schlüsse mögen die e-laute vor kk und zz zur besprechung gelangen '.
e vor kk und zz.
Vor kk überwiegen die reimmöglichkeiten auf f. Die Verhältnisse werden
durch die zahlen aufs genaueste verdeutlicht. Es sind nämlich 33 reimpaare -(cke-
überliefert : rücken (subst. und inf.) ; decken (inf. und pl.) 2026. 4376. 4584. 6636.
7262. 7904. 11802. 13 016. 16 576. 16 976. 17 796. 18 128.21478; : tv^cken 771.
12 216. 22 612. 26 608. 26 82b; ■: backen 13 093; : strecken 19 721; : stocken 26 735;
stfcken : decken 14 537; r^cke : d^cke 706. 10 542. 25 838; : bgcke 29 280; sm^cke •
decke 1577; kcke (subst.) ; ?cke 16 675; decket : wecket 23 681. 23 948. 25 840;
: hacket 23 848 ; bestücket : blicket 12 962.
Da der dat. sing, oder der plur. der beiden Wörter st'ec und «-ec, welche in der
Krone allein diesen typus mit e ausmachen, für reime auf -(cke- nicht zu brauchen
sind, würde sich daraus die Seltenheit der Vermischung von e und ? vor doppel-Ä;
zum teil erklären lassen. Ein derartiger reim ist nur in 13 469 dfcke : vlecke vorhanden.
Immerhin fragt es sich, warum Heinrich worte wie kec, zwec, slee, slecken,
lecken, die doch nicht nur einem begrenzten dialekte, sondern dem ganzen obd.
gebiete angehören, nicht für reimzwecke verwendet; von Worten wie s^jec, zec, snec
u. ä. ganz zu geschweigen, da sie in einer ritterlichen erzählung nicht leicht in ge-
brauch kommen können. Die Versuchung, obige Wörter in den reim zu stellen,
musste bei dem mangel an sonstigen reimwörtern doch wohl verführerisch wirken!
Die erkläruug für das verhalten des dichters ergibt sich aus der mundart.
Es zeigt sich nämlich, dass im Kärntischen auch heute noch ein starkes schwanken
in der auffassung der e vor geminierten gutturalen herrscht. So spricht man khökh,
drökh, spökh, tswökh, aber slekhn, lekhn, tsekx, snekx, tsekkatsn, zappeln, scherzen,
(mhd. zecken), sekh9t, mhd. scheckeht usw.
Dieses auffällige schwanken in seiner mundart hat den dichter bewogen,
zweifelhafte formen nicht in den reim zu stellen.
In manchen Wörtern fällt allerdings die ausspräche von c und ( vor kk zu-
sammen, wie der oben angeführte reim zeigt.
Ganz ähnlich wie für die e vor kk liegt die sache für f und e vor gemi-
niertem z.
Auch hier überwiegen die reimmöglichkeiten in einer gruppe : -ezse-. Es
1) Die bindungen -eize sind für die betrachtung selbstverständlich belanglos,
da sich nur f finden können. Der Vollständigkeit halber zähle ich sie auf: sgtzet :
ergötzet 8434. 12.334. 29 521; ergötzet : gel(tzet 10 059; setzen : ergötzen 11327.
25 852; : ktzen 18 315. 20 663; : h(tzen 24193; endlich noch n(tze : Iftze 21850.
174 GRABE 1{
Stehen 42 -ezze- gegen 2 -(zse. Die beispiele für den ersten typus sind : (be-, ver-)
sezsen : ezzen 2138. 5850. 7669. 8324. 12 633. 13 095. 14 729. 20 362. 28 920. 29 304.
29 319; : vergezzen 1124. 2462. 7131. 9889. 11861. 14 984. 18 001. 19 833. 26 865.
27 802. 28 160. 28 440. 29 258; (ver-, ge)mez2en 18 787. 23 798. 5579. 7057. 9350.
17 729. 28 064. vergezzen : {ge)mezzen 7901. 2B98. 3634. 8805. 11252; .■ iizzen 6471.
20 332. 26 627 ; ezzen : (ver-, ge)mezzen 9067. 8756. 13 204. Die beiden f-reime sind
bfzzer : rn^zzer 9642 ; mfzzern : hfzzern 8848, doch ist zu bedenken, dass diese zu
reimen mit den obigen nicht taugen. So bleibt nur n^sze (subst.) und das verbum
n^zzen übrig. In der tat reimt der dat. sing, nfzzen : hesezzen 6682. Trotz der
geringen reimmöglichkeit der beiden e in dieser Stellung beweist der vereinzelte
reim doch die identität von f und e vor doppel-^r in manchen Wörtern. Die be-
handlung der e-laute in der kämt, mundart stimmt mit der in der Krone völlig
überein: no/ = «eye, höfn = 7i(ven hafen, topf, stöftn ~ steft stifte haben dieselbe
ausspräche des e wie Wörter mit mhd. f .• khröftn kraft (aus den obliquen casus des
sg. krqfte entstanden), h^fte , ma. höft. nöst = nest nest; i)öste = beste, föst —
vest stark , fest, und vfste festung. swöstr = swester. Zusammenfall beider e vor kk :
flökh — vlecke, spökx = sp'ec ; smökhn = smecken kosten, riechen, schmecken, dökhn
— decke(n). fdrökhn, die giieder starr ausstreckend sterben, mhd. verrücken u. a. m ;
vor zz : nösn — nfzzen, pösr — bfzzer, sösl — sezzel, mösn — mezzen, frösn —
vrezzen u. a.
Bei Vermischung der ungleichartigen e reimt Heinrich immer nur f ; e, nie-
mals e oder gar f.- ä. Wo überhaupt ä im reime erscheint, wird es nur in sich
und zwar jedesmal vor ht gereimt: gesläht (3. pers. sg. zu slagen, slahen) : tiväJit
(ttoahen) 21. 2055. 2370. 7320, also bloss ganz zu anfang des Werkes. Diese rein-
liche Scheidung vollzieht auch die heutige kärntische mundart:
Vor germ. h + cons. hat sich der sekundäre umlaut des kurzen a überall ein-
gestellt: naxhi gestern abends, mhd. nähten, praxtn grosssprechen, mhd. brühten,
pfaxtn eine stute probieren, mhd. brähtm. taksn und tasn nadelholzäste, mhd.
dähsen ; dazu r/eda^-* buschwerk. icaks und u-äs schneidig, xükA. ivöhse. khraksn
g^estell zum tragen auf dem rücken, mhd. krnhse u. v. a. Als Vorstufe dieses se-
kundären a ist überoffenes ä anzusetzen. Dass ä schon im 13. Jahrhundert in
Kärnten annähernd den gleichen lautwert besass wie heute, erhellt daraus, dass
Heinrich bindungen von ä zu e sichtlich meidet; denn e nahm uur vor liquiden
die qualität eines offeneren e an, behielt aber seinen geschlossenen laut vor allen
übrigen konsonanten. « und e waren daher von anfang an grundverschiedene laute
und konnten von einem dichter, der wie Heinrich fast aUe bloss 'papierenen reime'
unter steter rücksichtname auf seine eigene spräche meidet, niemals im reime ver-
einigt werden.
Es stehen in der Krone 135 reime mit sehen, jehen, geschehen (~fhe- fehlt).
Aber gegen 92 -("/«^-bindungen (reht, kneht, sieht [adi.], tr jeht, seht, speht ; vehien)
hätte doch wenigstens eine von -eJit : -äht gebracht werden können, faUs es möglich
g:ewesen wäre, sie auf eine der vorigen zu reimen. Dieses verhalten Heinrichs ist
umso auffallender, als doch e im mundartlichen khnext, slext, rext, fextn seine alte
offene qualität bewahrt hat. Daraus folgt der ziemlich sichere schluss, dass ä
schon im 13. Jahrhundert ein überoffener laut war, der stark zu a hinneigte. So
«röifnet sich uns ein blick auf die historische entwicklung des ä zum heutigen
kärntischen a, dem 'sekundären umlaute'.
HErNKK'H VON 1>KM Tl^Rlix UND DrE .Si'IJACHFOUM SEINER KRONE 175
Nunmehr fällt auch licht auf eine bisher unaufgeklärte stelle der Krone. Da
d und ff vor germ. h + cons. in der ma. als kurzes a erscheinen, darf 11 268 nicht
gelesen werden ersr/ien : wcehen (wobei das zweite reimwort als nachgestelltes attribut
zu glast aufzufassen wäre; vgl. Scholl, anm.), sondern die stelle lautet: Unde den
ritter ersehen Und hars swertes glast wehen {wehen, ahd. tvehan 'blinken, strahlen').
b) e vor liquiden,
e vor h Es reimen: kastei : gel 728; : hei 934; .• sinewel 6993. 14 576. 17372;
; stiel 12 709. 15 393. 20 272. 20 960. 27 205. 28 766; : marel 6911 ; : schappel 21 667.
snel : sinewel 4:U6. 69Q6 ; : spei 9901. 10 054. 23 808. 29 944; : gel 10 476; : vel
17144; : schappel 21389. gel : schappel 3703. 14173. 21150. 22 049; : kel 8196;
:panel 7759; : vel 7124. 17 080. 19 636. hei (adi. und coni) : schapel 10 202; : spei
24 640; : panel 19 921. kel : spei 17 433. vel : sarantel 7723.
-fl fehlt. Innerhalb des typus -elde reimen die subst. velde : gezelde 3mal :
815. 18 728. 22 255; melde 4mal: 2943. 3896. 18 081. 18 291; dagegen reimt hflde
mir zu naJiisdde 7885. 15 019. 15 306. 17 383. 18 831. 22 722. 26 252.27 728.28 755.
Ebenso reimen 7mal snelle, welle, helle und hellen, snellen, hellen, vellen
{pelles), schellen untereinander; von diesen bindungen erscheinen auf das strengste
getrennt die des typus -iUe-. Hier reimen pf(lle, geselle, wflle (coni.), gev^lle
(subst.), kflle, hflle sowie fllen, vollen, gesellen, stallen, pf^llen, iv^llen mit ihren
formen 67mal nur untereinander. Typus -ein hält dieselbe Scheidung ein. Die
sechs p-bindungen bestehen aus heln, stein 4443. 7018. 8403 und denselben reim-
wörteru in der bindung zu kein (dat.) 1614. 3415; speln 3960. Für f gibt es eben-
soviel reime: z^ln, wein, iivfln, S(ln kommen in unterschiedlichen bindungen vor:
11788. 15 085. 15 646. 16 209. 16 311. 17 025.
Auf gleiche weise reimen die substantiva seit, velt, gelt und die worte selten,
gelten, schelten nur untereinander, im ganzen 40mal, während hflt nur zu ir wfll,
gesflt, z(U, tiv^lt usw. 26mal gebunden wird. Aus der bisherigen Untersuchung er-
gel)en sich demnach folgende tatsachen : vor l, II und / + cons. werden c und
e strenge geschieden. Seit Zwierzina steht fest, dass die beiden e-laute in dieser
Stellung bei allen Österreichern grundverschiedene laute waren und niemals auf-
einander reimen konnten.
Auch iin heutigen kärntischen erscheint e als offener laut; viel niehl, gel
gelb, fahl, stein stehlen, khelr keller, gelt geld, spelta (mhd. spelte) Spaltholz für
zäune usw., mhd. f aber wird durchwegs mit geschlossenem Charakter als ö wieder-
gegeben : söln schälen, wüln — u^^len wollen, ksöl geselle, gehilfe, khöln — kflle
gefängnis, gwölte imstande, mhd. geiv^ltec, öltn — ^Ite das alter usw.
c vor r.
r und e behalten wie vor /, so vor r ihre ganz heterogene qualität, weshalb
kein e : q in dieser Stellung reimt. Die Wörter w^r (subst.), m^r (mare), h(r (exer-
ciius), n(r (alo), das vp- (in den Wbb. nur der v?r, vqrje, v^rge fährmauu) nur aus
der Krone bekannt, reimen 25mal nur aufeinander, dagegen her nur auf ge'r, geicer
(bürge, gewährsmann), sjiiir, er (pron.), der, teer (prou.) oder diese formen werden
zueinander gebunden. Solcher reime zähle ich mehr als hundert.
Typus -^rbe- wird durch zwei reime vertreten: 7811 verderbe: p-he; 23 766
verderbet : ge^rbet, typus -erbe durch acht. Hier reimen verderben (intr.), loerben,
sterben unter sich; -erc, -erch und erde stehen nur als e zusammen 25mal, -grg
reimt nur Imal in sich : (rgcr : kerger 1276 ; -erg in berge, herberge, halsperge 5mal.
176 GRAUER
Ferner kommen sieben reime auf -^rh- vor: m(rk(en, -et) : st(rk(.€n, -et).
Etwas verwickelter sind die Verhältnisse bei den folgenden typen. Ich bespreche
-ern und -ert zusammen, da die sache dies erfordert.
-ern reimt 49mal nur in sich. Die beispiele sind wem (jtraebere), spern,
gwern (acc. bürge), hini (inf.), gern (adv. und inf.), kern, stern und swern (dolere).
Für die zweite e-gruppe stellen folgende Wörter das reimmaterial: sivert, wert (adj.
und verbum), gert, geteert oder sicertcn usf. Solche bindungen finden sich gegen 90.
Typus -fj-n ist vertreten durch 25 reime von sw^rn (jurare), n^rn, ivfrn
{arcere), verz^rn, (be-, ver)h?rn, typus -^rt, -^rte{n) durch 56 bindungen von n^rt,
gew^rt, sw(rt (iuratis), beschert, v(rt (currit), h^rte, gev^rte, überb^rt {b^rn schlagen,
klopfen), rerwpien, beh^rten usw. in sich.
Bisher Hess sich eine reinliche Scheidung der beiden e vor r + cons. konsta-
tieren. Nun stehen aber in der Krone zehn reime, bei denen die von Zwierzina
für alle Österreicher aufgestellte regel, dass f und e vor r und r + cons. niemals
zueinander gebunden werden können, nicht zutrifft. Zum genaueren Verständnis
führe ich die stellen vollständig au.
Zusammenfall von «"und f vor r -\- n tritt ein:
15 962 ff. Er künde mit eren Z(rn, Swas sie mohte üf in gewern.
16 677 ff. unde bat, Das er ime an siner stat Aamans hieze sw^rn Und
hegunde vaste an in wem Darumbe vlehe unde bet.
18 299 ff. Ob sie ieman da runden. Die in der stat gunden. Da sie möhten
an gewern Zivo tjoste und diu sper v erzürn.
Zusammenfall von e und f vor ;• + i findet statt :
4675 ff. (mit neuer Interpunktion) doch enkunder Des ritters niht gewinnen
Mit deheinen sinen sinnen, Sit in der schilt Wfvte: Dez ir ieglicher gerte. Des
häte er rnere danne vil.
11 916 ff. Do wart slac unde stich So manl/chen an gewert, Daz mich
wundert, was sie nfrt.
18 308 Barüz ouch daz selbe tet Melden und durchstach daz swert; Daz
in der stahel lützel w^rt. Jeclicher vant, des er heg ert.
20 237 ff. Gelilcke unde maiiheit Gäwein da erngrten, Als sie in dicke
werten, Des ime dürft geschach.
21 281 ff. swar dem man sin muot stat, Daz ist im dicke unerw^rt. Der
so (Singer) gar nach eren vfrt, Da ist (Singer) diu reise an gewert.
23 882 ff. mit konjektur: Wan sie vil käme daz vertruoc, Daz er sie so lange
wqrt. Sehet, wie sie der minne gi'rt.
Und endlich 27 009 ff. Die Stiche zeiväre Wol wurden an gewert: Niemanne
daz sin herze wfrt.
Die tatsache, dass in der Krone t'' zu f vor r + cons. gebunden wird, kann,
wie mir scheint, trotz Zwierzinas 'regel', dass kein Österreicher f und S vor liquida
zusammenwirft, nicht mehr bestritten werden *. Es fragt sich nun nur noch : in
welchen laut fielen die e und f in dieser Stellung zusammen? Hat manchmal offenes
a entgegen der allgemeinen tendenz dieses lautes vor r den i-ähnlicheu Charakter
angenommen, wie er für f aus der Krone schon im 13. Jahrhundert nachweisbar ist
(17 437 ungehirme : ivirme^., oder neigte in manchen Wörtern f vor r + cons. zu einer
offenen ausspräche hin?
l) Vgl. Zwierzina, Zfda. 44, 274 und a. o.
HEINRICH VON DEM TURLIX fXD DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 177
Die kämt. ma. vermag auch hier aufschluss zu geben, denn sie besitzt Wörter
mit ursprünglichem e, das im heutigen kärntischen ganz offen, d.h. als helles a
gesprochen wird : z. b. warn; gwärn, mhd. wem dauern ; praet. i wärdi, part. gwärt
(Lesach- und Lavanttal) ; harts, mhd. herse (Oberkärnten, Lesachtal) ; pärig zu hern
'trächtig'. Diese entwicklung des e zu a hängt enge zusammen mit der sonst nur
vor h eintretenden 'brechung'.
Aber auch vor r und r + cons. ist brechung des P eingetreten, nur ist meist
der prozess auf der stufe eines diphthonges ea ins stocken geraten und das ur-
sprüngliche e hat sich dann nicht ganz zu a hin geöffnet wie bei her, hear, här,
mhd. her; learn — lernen, hearf focus, earndst ernst, hhearn kern, stearn stern,
pearg berg (Gaü- und MöUtal, Mittelkäruten).
Umgekehrt gibt es auch Wörter im kärntischen, in denen ganz abweichend
von der sonstigen entwicklung f, das vor r mundartlich meist überall als / erscheint,
zu a geworden ist: Arndorf, urk. Erbendorf und Arhindorf, lat. hereditas; garhm,
whdi. g^rwen : bärii entzaubern, mhd. brrcii 'ferire, caedere' ; drwartn schmerz,
Seitenstechen bekommen, part. drwaHnt lendenlahm — ahd. irwerten : därstubm dörr-
stube zu d(rren, särn, mhd. zerren, zQrge < zarge*, mhd. 2(rge holzeinfassung, loeare,
wäre, mhd. werre, varix.
Auch dieses f kann auf dem lautstande ea stehen bleiben, wie e: ivearn
neben wörn, lolrn, mhd. w^rn abwehren, abhalten ; nearn — ngrn . spearnQdl Steck-
nadel, spear- nnA sptr- gehen auf altes spör wxiA sper zurück; hartn neben hirtn,
mhd. harten : pearstlin barsch.
Die möglichkeit, e und f vor r + cons. nach dem lautstande seiner mundart
zu reimen, hat sich daher Heinrich ausreichend zunutze gemachtv Denn ein deut-
licherer beweis dafür, dass er für die Krone die kärntische landessprache verwendete,
wird sich wohl schwerlich erbringen lassen.
Der von Zwierzina (Zs. 44, 2.52) aufgestellte satz, 'dass alle diese öster-
reichischen denkmäler (er hat vorher auch die Krone genannt), die ältesten wie
die jüngsten, f und *" vor r, rr und ;• + cons., vor l und l + cons. auf das pein-
lichste, und ohne dass wir auch nur eine ausnähme von der regel zugeben
dürften, auseinanderhalten', diese regel muss nunmehr die entsprechende ein-
schränkung erfahren.
Ebenso stimmt darin die heutige mundart mit Heinrichs spräche trefflich
überein, dass in der übergrossen mehrzahl der fälle die heterogene qualität des f
und e vor r gewahrt bleibt: f wird noch als geschlossener laut gesprochen und
geht in i über: firte — viertle, tri eiie, firtn — vgrte vor einem jähre; tvirt — tv^rt
insula : Mari» tvirt Maria Wörth ; ir-ts- in Zusammensetzungen : erz- ; inv erbe,
incl ärmel; {f9)sirg)j klagen, zu scherge; m'ir = m^r, mare.
Nochmals aber muss betont werden, dass sich e und f abweichend von ihrer
ui'sprünglichen tendenz manchmal gleich entwickelt haben (wie der umlaut ä vor
r + cons.), nämlich zu a hin ; und hierin liegt die erkläruug für die auffallenden
reime von e : f vor ;• + cons. in der Krone, üb diese entwicklung im kärntischen
bodenständig oder durch einen einfluss von aussen her verursacht war, muss frei-
lich dahingestellt bleiben.
Die Verschiedenheit des e von f kommt noch zum ausdruck vor gemin. r.
In dieser Stellung erscheint e nur im typus -erre: herrein) reimt auf iverren (inf.),
ZKTI S( IIKIKT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 12
178 (lUAUKK
vi''rre (adi.), vi'rren (iut.) 29mal. An reiminöglichkeiteii für -(vre- fehlt es in der
spräche Heinrichs. •
c) Die beiden c vor nasalen.
Das material ist hier gering, da nur biuduugen von f vor nasal + cons. sich
finden können. So reimt unser dichter niemals -finen auf sich selbst, wohl aber
19mal -em{en, -et, -e) untereinander: ni'me(n) : zrmein geziemen) 3503. 4:188. 10 863.
25 432. 1375. 7703. 8612. 10 243. 13 593. 13 807. 20 984. 21 612. 23 083. 23 966.
24 222. 26 906. 29 961; sement : nement 8780; wem ; mm 23 215.
Nie reimt Urnen 'lähmen' etwa auf zfinen 'zähmen', greinen; dagegen stellen
drei bindungen von e.-f: leinen : gezemen : verneinen 5468; nemen : lernen 14 058;
: m/ssezemeii : Iftnen 23 348. h^mde : vremde sind bindungen (3409, 10 194), denen
die gleichberechtigten c fehlen. Im allgemeinen also ist nach ausweis der reime
zusammenfall von e und f vor m für Heinrichs spräche erwiesen.
Ähnlich liegen die dinge bei e vor «. Die typen -gn und -en sind nur durch
je einen reim vertreten: 9417 V(n 'leerheit' : ^rf?j (dentes) und 2264 eteswen : den.
Mit f findet sich noch denen : s^nen : getvenen 19 877 und 924. Bei diesem kärg-
lichen material kann das fehlen von bindungen e : c nichts beweisen. Denn der
von Zwierzina angeführte reim sene : den 11 123 ist in der Krone nicht auffindbar,
sfnen steht überhaupt nur 924: j^nen : spien (subst.). An reiramöglichkeiten von
e vor n -{- d gebricht es vollständig, dagegen finden sich hundert derartige f • bin-
dungen : hehtndic : umvendic 5489 ; ferner 23 -^ndet : die reimwörter sind wandet,
sendet, schuldet, verendet, geendet, ern^ndet, {ver)siv(ndet. Dazu kommen noch
76 bindungen von fnde(n) (subst. und verb.) : h(nde(n) : gehende : eilende, wende{n)
(subst. und verb.), senden, brende, rfnde (pl.), ivaltsw^nde, behende, schänden und
banden.
Das fehlen einer bindung f ; e im reime erklärt sich aus dem Wortschatz des
dichters. Auch 22117 bedeutet keine Vermischung beider e. Die stelle 22 116 ff.
lautet: Und ivurden sä zuo der stet Gehangen zuo den wanden Die schilde und
■in den gründen Diu sarwät gereinet. Es liegt kein grund vor 'üon den grenden'
zu konjizieren. Wohl aber gibt die heutige mundart aufschluss über die stelle : das
fragliche wort lautet im kärntischen gvQnt, dim. grantl 'ein länglicher schrank zur
aufbewahrung des getreides, getreidekasten ; dann überhaupt 'schrein' (mhd. grant).
Die folgenden Wörter bieten nur f-reime: lengen. i^fr^ngen, strengen (adj.),
hangen (6raal). Ausserdem stehen 11828 Ipiger : gnger : 23 499 gelanget (part.)
: hanget ('zahlt') und aneggnge : Ignge : gnge : gedrgnge : verenge ; strenge (9 belege).
27mal reimt f vor n + k. Die beispiele sind krfnke{n) (verb. und subst.), Schenkeln),
tvgitken, denken, sanken, h(nke{n) (verb. und subst.), irenken, schvfnken (inf.), J^nken,
btnken (pl.) und Schenkel : enkel (knöchel am fuss) 15 484.
Aus etymologischen gründen fehlen ferner reimwörter mit /" vor doppel n,
so dass nur der typus -enne sich findet. Die möglichkeit, hier zu reimen, ist eine
mannigfaltige: kennen, ivenne (adv.), nennen, rennen, denne (adv.) und brennen.
Typus -ent endlich enthält nur präteritaiformen von verben mit einfachem
wurzelhaftem n : (ge)dent (praet. und part.;, spent, gewent (von getvenen und loenden),
versent (senen). Mit e steht als entsprechende bindung nur das ableitungssuffix
-ent zur Verfügung: pigment : gewgnt (part.) 2517.
Aus den obigen betrachtungen steht nunmehr folgendes fest: In Heinrichs
spräche fallen i' und e vor m (durch drei reime belegt) und n (in einem falle) in
HEINRICir VON DEM TUltLlX UND DIE SPKACHFOKM SEIXEK KRÖNE 179
einen laut zusammen. Dieses ergebnis stimmt genau zum heutigen Sprachgebrauch
des kärntischen. Hier erscheinen nämlich mhd. f und mhd. e als gleichwertige laute,
beide werden Tsrtreten durch ein offenes e. So wird g gesprochen in frem fremd,
sUmpfn stampfen, Umprn lämmer werfen, kliempm die zahne am kanimrad ; ten
tenne, mengl die mängel, gebrechen, spengl , spendliu <~ spfuala spilliug, gelbe
pflaume, slenkrn dahinbaumeln, icenkh» krümnmng, ausbiegung machen, tenkh,
tenkh9s linkisch, mhd. t^nke die linke band, khensn, netidn, rendn, prtndn^ 2^^^ndr
die brande, ceinwende inwendig, frswendr Verschwender; pengln sich abmühen,
mhd. hangeln, pfrengr zwinger, bürde, drembl knüttelstock, prügel, ungeschlachter
meuscli, ahd. dr^mil, mhd. dr^mel u. v. a.
Die beispiele für e sind seltener : sembl semmel ; preme bremse, demrn dämmern,
ncm^n, khemdn kommen; strtn strähne, sensf senf, sensn sense (mit ausfall des g),
die pronn. wen, dm u. a.
Überblicken wir nun das ganze, so stellt sich für die behandlung, welche die
e-laute gleicher quantität bei Heinrich v. T. erfahren, folgendes resultat heraus : c
und e sind der qualität nach identisch und werden daher gleich behandelt vor
den mutae h, g, t und tt, vor / (v), st, w, zs und den nasalen, teilweise auch
vor hk, und r + n oder r ■\- t: f unterscheidet sich aber von e vor l, r, r + cons.
ausser n und t, und vor rr; es fällt mit diesem aber wieder teilweise vor ?• -\- n
und r + t zusammen. Ich betone nochmals, dass die Untersuchung in allen punkten
die vollkommene Übereinstimmung der spräche der Krone mit der kämt. ma. er-
geben hat.
2. Die e-laute ungleicher quantität.
e-laute verschiedener quantität bindet Heinrich nur vor r und zwar immer
nur e mit e. Es reimen folgende Wörter: 2877 sper : niht mir (P nit mere, nimvi^r
kann für unseren dichter nicht angenommen werden, da er e und f vor einfachem
r stets aufs genaueste trennt). 4694 mer ; der; 1856. 4405 : her (adv.) ; : sper 3700.
21295; 20 672 .-^eV (1. pers. sg. ind.); er : ker 26 215. Vers 11880 sperrt : kern,
welchen Eeissenberger dazustellt, ist nach Lexer, Wb. I, 1555 als reiner reim zu
betrachten, kern bedeutet 'das innere holz'. So allein erhält die stelle einen sinn.
wert (subst. ) : gunert 6847 ; giirt : kert 3827 ; gewert : bekert 26 161.
Heute erscheint mhd. e ausser vor r, l und h als offenes e: erst erst, rem
weinen, sei seele, Ur lehre; tsehnt zehc; sextn laugwäsche, sextndn auslaugen,
sextin gerne trinken (sämtliche zu seihen).
In diesen Stellungen fällt es also mit e zusammen. Daraus und weiter aus
den reimen der Krone von e : e vor r ergibt sich die offene qualität des e vor r.
Soweit stimmen die tatsachen auch zu Zwierzinas ergebnissen. Nun findet sich
aber Krone 19 001 der reim kert : getv^rt, den Zw. selbst als einen, der zu seiner
'regel' nicht stimme, bezeichnet.
Aber selbst dieser reim lässt sich mit einzelentwicklungen der kärntner mund-
art vergleichen und erklären. Wenn man bedenkt, dass auch mhd. f im kärntischen
vor r ausnahmsweise zu a sich entwickeln konnte, und im Drautale ein wort plärn
(mhd. bleren) 'das schreien der kälber, schafe und schweine; weinen' im gebrauche
steht, so erklärt sich jener reim der Krone zur genüge aus der mundart des dichters.
Es wird also in einzelnen Wörtern eine Sonderentwicklung des mhd. f und e statt-
gefunden haben, welche es dann ermöglichte, solche ausnahmsfälle aufeinander zu
reimen.
12*
180 GUABEK
Für diese aut'falleude erscheinmig, dass sich e vor r, wie mauchinal f, zu a
entwickelte, steht mir aus dem känitischeu nur dies eine beispiel zu geböte. In
allen übrigen wörteni entspricht einem mhd. e vor r heute geschlossenes e. Aber
es braucht die Öffnung des e zu a hin nicht einmal gänzlich vollzogen gewesen zu
sein, ich denke eher an eine mittelstufe, wie sie im dialekte noch vielfach erhalten
ist und ungefähr durch ea wiedergegeben wird; eigentlich aber ist dieser laut der
diphthong e», der sich vom alten ea sehr wohl unterscheidet: mear mehr, rearn
heulen, weinen, sear wund, ear früher. Da sich auch f vor r vielfach zu diesem
'gebrochenen' laut hin entwickelte (s. s. 177), so war dadurch die möglichkeit
gegeben f und e vor r zu reimen. Wenn dieser erklärungsversuch zutrifft, so muss
auch das letzte bedenken gegen die richtigkeit des reimes 22 278 iccere : mcere :
sere fallen. Sobald ein beispiel aus der mundart den zusammenfall von mhd. ce
und mhd. e vor r nachweist, muss auch bei dem kärntischen dichter Heinrich v. T.
die möglichkeit zugestanden werden, dass er beide laute zueinander binden konnte.
Der beweis aus der ma. wü'd tatsächlich durch mehi'ere beispiele erbracht: mhd. ce
erscheint im kärntischen vor r immer als ä : märn schwätzen, erzählen, mhd. rmeren ;
märl eine erlogene erzählung, märcheu , mhd. mcerlhi: Jcfäre — gev(erec: sära
scheere, jarlio jähriges tier, sivär schwer u. v. a.
Dieser laut, aus ce entstanden, konnte mit jenem e, welches seine eigenen
wege gieng, ohne weiteres im reime zusammenstehen, ohne dass ein kärntisches ohr
eine solche bindung auffällig fand. Und wenn Heinrich v. T. seinem heimatlichen
dialekte in der dichtung einen so weiten Spielraum Hess, müssen wir wohl an-
nehmen, dass sie zuvörderst für das kärntische publikum, die hof-
gesellschaft herzog Bernhards, niedergeschrieben wurde.
Mir scheint übrigens Zwierzinas versuch, v. 19 003 als 'die vom Schreiber
angestrebte Vervollständigung des dreireims' zu streichen, schon deshalb unerlaubt,
weil dann in einer längeren reihe von abschnitten, welche je 13 zeilen umfassen,
dieser eine ausnähme bilden würde. 24 377 darf weder betvp-t noch heivceret gelesen
werden, sondern wie 24 005 und 24 026 beweisen, lautet das praet. zu bew?rn,
bew^rren, got. wasjan 'bekleiden' (Lexer III, 785) heioarte, bewart. Der reim
hat also zu lauten : bewart : wärt. Der conj. praet. ivär für wcere begegnet nun
schon zum fünftenmale in der Krone*.
3. e in endsilben von eigennamen.
Das e der endsilben fremder eigennamen behandelt Heinrich als aneeps ; er
bindet dieselben namen oder dieselbe ableitungssilbe bald mit c, bald mit f.
Erec und Gigamec sind durchwegs nur auf rvec, stec gereimt : 2170. 23 858.
26 862 ; 16 499. 16 704. 17 314. 28 546. Zu tv^r, h^r und gern werden die verschie-
denen casus von tger, vorwiegend aber zu -ern gebunden : 18 043. 18 404. 13 569.
20 456. 21070. 22 313. 23 694. 27 267; Jetiover : sper 791, : tder 588; Alverne :
gerne 5698 ; Gansguoter : geivcr 27 242 ; tlamert : v(rt 15 346.
Käles, Orcades, Gäles und alle übrigen namen auf -es sowie Auguintester,
1) Bei besprechung der e-laute im Seifried HelbUng (Zs. 44, 268) bemerkt
Zwierzina, es könnte auffallen, dass S. H. nie — und sowie er nicht, auch kein
anderer der von Zw. untersuchten Österreicher — get oder stet : -et reimen. In der
Krone, 2482, steht aber zu lesen : claret : stet. Für daret ist ganz sicher (i anzu-
setzen, da es Wolfram immer zu ii bindet, Heinrich v. T. aber nie zu sicherem f.
Wahrscheinlich liegt also ein 'literarischer' reim vor.
HEINRICH VON DES! TURLIN UND DIE Sl'KACHFORM SEINER KRONE 181
Cluniester und Secester aber reimen nur mit e oder untereinander. Ebenso er-
scheint Serre und Serren nur zu Jicrre, herrcii, gew'erren gebunden: 7797. 7910.
8719. 8912. 13 534.
Dochel : snel 9036; Isel : kel 1617; Tintaguel : isnel 2335; Dariel : Loventel
2339; Amurelle : snelle 6925, : Canelle 1612, : Mancipicelle 20 526; dagegen h^lle
: Galangelle 9004.
Die männlichen französischen eigennamen auf -et reimen mit f und e, die
bindungen auf -et herrschen aber vor: Azet : st(;t 18 554, : Kar et 18 170; Aclaniet
: stft 24 227 ; : tet : hret 8639. 8321 ; st^t : Giwanet 5730, : twanet 22 998; tet, het :
Levenet 17 475, : Marmor et 18 308.
Von Lanzelet reimt nur Imal der dat. auf st(te 2073, Der nom. und acc.
stehen sonst immer im reime auf tet und bet : 5988. 22 971. 24 075. 24 496. 25 950.
29 001. 29 452; : Gladet 9017.
4. Apokope des e.
I. Nach konsonanteu.
Apokope nach liquiden.
Formen wie ich ner, won, hol, der ar, nam, sivan, diu scham^ hol usw.
stehen bei Heinrich so häufig, dass ich nicht aUe einzeln nennen zu müssen glaubte.
Im allgemeinen lässt sich die eigenart des dialektes Heinrichs folgendermassen
fixieren : das unbetonte e fällt immer fort nach m, n, l und r, nicht bloss nach
kurzer hauptsilbe, sondern geradeso nach lauger. Im ersteren falle wird mit apo-
kope des e meist wohl auch die dehnung der Stammsilbe eingetreten sein ; nur lässt
sich diese nicht überall, ausser bei bindungen von länge mit kürze, zwingend
nachweisen.
Erhält durch die apokope das idiom Heinrichs ein stark dialektisches gepräge,
so wird dieser eindruck noch verstärkt, wenn sich apokope mit synkope verbindet;
auf diese weise schwinden sehr oft die ganzen endungen des Präteritums. Durch
das häufige vorkommen derart verstümmelter formen im reime ersclieint die Krone
besonders eigenartig. Doch steht der dichter auch damit nicht allein, sondern die
meisten bayrisch-österreichischen dichter vom 13. Jahrhundert an scheuten sich nicht,
diesem zuge ilires dialektes nachzugeben.
Zur Charakteristik der apokope nach liquiden seien einige reimbeispiele an-
geführt :
Nach n: ziven : sten 2468. 2990. 4205. 9678. 10 603. 16185. 20 590. 20 880.
21443. 23 104. 23 530. 29 152; : gen 3895. 4281. 4853. 5135. 6939. 6138. 7440.
12 038. 15 467. 17 875. 18 560. 19 196. 24 180. 26 285. 29 099. 29 259 ; sardonicen
15 691; der an (dat. ahne) : dan 22 285; : hegan 21 730; ; man 20 426; grau : ran
(praet.) 19 677 ; ; hran 6838 ; : man 988. Der dat. von man lautet sowohl manne
(9381), als auch man 3154. 4690. 11018. 15 614 u. ö. kon : geivon 8671. 10 936.
Babüön (dut.) : Ion 18 343; krön : Utpandragoii 1009. 362. 18 748. 20 390; smn
(nom.) itiion (inf.) 4042. 5616. 7542. 11129. 11694. 12 179. 20145. 24 998. 25 722.
28 183; gemein (fem.) : schein (praet.) 15 874. dehein (fem. flektiert) : schein (praet.)
28 430; : Gäivein 7801. 21884; : halshein : Gasozein 11282; zorn {A»X.) : verlorn
9509. 9286. 5894. 5230. 11243; -.sporn (pl.) 6343. 10 044; : vorn 8251; (Zorn (dat.)
; gehorn : zorn 4278.
ich mein: Gasozein 4834. 4939; ich schin : min 29 532. schin (conj. praet.)
:in 8916. 18 669. 22 241. 24 635; : in (praep.) 11 795.
182 <;rabei;
dn (praep.) : gciäti 5908. 14 130. 26 947 ; cnstelän : sivan 13 982.
Das adverbium erscheint mit und ohne -e: gemein 21768. 22 480. 22 977.
23 326. 27 209 u. ö., daneben gemeine ebensooft: 3624. 14 807. 15 729. 17125 u. ö.,
gern : geweni 1676. 6634. 28 069; ; gern (inf.) 2702; : {en)hern 10 371. 21 529. 26 587.
Aber auch die zweisilbige form ist ihm geläufig : 9989 gerne : sierne. Eeissenberger
behauptet, in der Krone finde sich kein einziges geringe (adv.). Doch steht 27 144
ringe (dat.) : gedinge : geringe (adv.); das adj. geringe : bringe reimt 27034
(s. Lachmann, Iwein 11. 6514; Sommer, Flore 1259).
Der iufinitiv. Die mit einer praep. versehenen Infinitive präsentis haben
nie das flexions-e. Immer heisst es ze sehen, geschehen, ze tuon, ze Ugen usw.
Nach m: schäm (ßxihst.) : lain 88. 6029. 17 253; : gezam 21590. 24 271;
:nam (praet.) 25 964. 1273. 1394. 1447. 3436. 5190. 10 367. 8167. 20 847. 22 281.
23 919; :lobesam 200. 5932. 8330. 10 438; : sani 4781. 13155.
nam (subst.) : alsam 1144. 25 858. 24 335. 24 808; : nnm (praet.) 8674. 16 520.
Daneben findet sich auch die form namen (acc.) ; schämen 1667. 4539. 5111; : :amen
(inf.) 2425. Immer lautet das adv. eben, enebeii (nie ebene).
Nach Z: äl (ahle) ; über al 19 687; u. v. a.
Nach r: vuor (mhst.) : vuor (praet.) 7150. 22 386. 23 946. 24 618; : siruor
9956. 22 962. 23 844. 29 842 ; er (subst.) ; her 24 794.
A p 0 k 0 p e des e nach m u t a.
1. Bei Substantiven.
Nach t: bei {^rex) : tet 1040. 1149. 3747. 4039. 4703. 5444. 6136. 6181.
8387. 6076. 13 882. 16 213. 16 329. 16 681. 17.544. 18 664. 18 997. 21718. 22 709.
23 154. 23 390. 23 533. 24 415. 24 941. 25 902. 27 710. 27 257 ; : tet : Lovenet 17 476;
: getvet Q75o; : het 26 055; : stet : tet Ö89d ; : La)izeht : tet 22 972] stet (siih st)
: bret 6579. 18 867. 22 116. Apokopc in beiden reimen tritt ein: siei : bei (subst.)
1664. 4856. 7521. 19 951. 21802. 23 438. 25 335. 27 884. 30 020; : tet .8682. 4631.
5713. 13 231. 6362. 9304. 12 987. 19 370. 20142. 23 828. 25 511. 25 692; : hrunet
6886; : Äset 18 554; : Aclamet 24 227; ; GHwanet 5730; : Iwanet 22 998; s(t (Sät-
tigung) : het 6853 (V het, P hett : seit), zeit (dat.) .• velt (nom.) 8807; nest
(dat.) : test (nom.) 1541; vest (suh st.) : gewest (part.) 3671. vest (adj.) : gewest
16 690; reht (dat.) ; ir jeht 5044; er speht : kneht 6970; : kneht (nom.) 9842;
: gespeht (part.) 20 251; : ir seht 24 039. 24 354; jcert (dat. 'insula') : verhört
(part.) 5699.
geleit (dut.) : beit (prät.) 11104 (bei Scholl ist fälschlich beite gedruckt).
hamit (dat.) ; slrit 26137. lieht (dat.) ; niht 10 197. rät (dat.) ; tat 12 584;
; hat 7258; : tat : hat 24 822; : stät : tat 19 385; : tut : gdt 1587; sit (dat.) ; mit
: ZI« (acc.) 19 714. : schrit 23 451; bot {angelus) : kldnöt 24 805; not (singnote)
: spot (nom.) 16 922. trost (d?it.) : erlost (part.) 26 888. 19 309. 19 565; huot
(dat.) : tuot 15 814; ; guot 26 812; ; muot 20514; vluot (nom.) 27 626; guot (dat.)
: tmt 1484; : gemuot 30 039; inuot (dat.) ; guot 7170. 27 362; : vluot 14 409;
: huot (acc.) 26163; : tuot 7277. 24 302. gebot (dat.) : got (nom.) 8433. 28147.
29 581; : spot 12 573; : spot: rot (nom.) 10 610; rot (nom.) : gebot 5434; got
(dat.) : Spot (acc.) 4666. 29 064. 29121; : gebot 26 033; bot (nom.) : gebot 25 332;
: got 19 321. 25 167; : got (d&t.) : spot (acc.) 24 387; : spot 1389. 1434. 1702. 1817.
2493. 2720. 23 636. 24 988; : spot: rot (nom.) 2288; spot (dat.) : got : gebot
24 571 ; port (dat.) ; ort (acc.) 14 603.
IIKINUICH VON DEM TUKLIN UND DIE Sl'KACHFORM SEINEU KltONE 183
stunt (dat.) ; hunt 166. 3462. 27 278 und sehr oft. Der dat. von stunde steht,
wenn er in adverbialen Verbindungen, wie ze maneger staut u. ä. gebraucht wird,
immer flexionslos,
2. Apokope im präteritum schwacher verba.
Nach langer Stammsilbe.
bes IV ä r t : beivart (part.j 2906. 22 667. v ä r t : bewart (praet.) 27 045. 28 568.
geddht : vaht 6552; bräht : (ver-, ge)däht (part.) 1183. 2647. 6991. 11 750. 12 135.
18101. 20169. 20 860. 21246. 24 723. 25 492. 27 360. 28 341. 29 824; gäht:{be-,
ge)ddht (part.) 3797. 7849. 9456; : hrciht (part.) : gedeiht (part.) 19 956. 22 937;
gtdäht : bräht (part.) 6557. 14 466. 15 240. 22 592. 23 421. 23 986. 25 135. 27 796.
29 408.
kert (praet.) : getr(rt (part.) 19 001 ; ; geert (part.) 9770. 2287. 16 247. 22 940.
28 420; : gesert (part.) 11993. 6846. 4589; : g eiert (part.) 26193; : gekert 6832;
hielt (conj. praet.) : icielt (ind.) 12 378; hört (praet.) ; betört 10 802; : zestört
(part.) 27 669 ; : dort 26 703 ; : hört (subst.) 20 386 ; erlöst : tröst (acc.) 6660. 12 622.
19.566. 25 563.
v/iort (praet.) ; sivuort (2. pers. pl.) 14556; rruort (praet.) : antwurt (acc.)
27 280. : vurt 20 187. 9139. 18 077. 18 243; beweint : geleint (part.) 13 985.
Nach kurzem vokal.
spart (praet.) ; war^ 16236. 20920. 24543. 27371. 27859; : vart 10636.
16 236 ; : vart : ivart 20 046. 2857. 12 123. 15 291. 16 766 ; ; bart (acc.) 11 180 ; : gart
CstAcheV) : wart 10 918. enbart (praet. zu enbern, das sonst nur stark konju-
giert) .• bewart (part. 'bekleidet') 20 343 (hier trat bereits Vermischung ein mit dem
swv. bcm schlagen, klopfen), gart (p r a e t. ) : ivart 13 431 ; z a rt (praet.) : wart 6530.
12 234. 12 891.
st alt (])rtiet.) : gewalt : galt 20 139. 25 033; salt : gewalt 9774. 22 415;
; gwalt : salt (p r a e t.) 20 Ol 1 ; ; imlt 17 316. tioalt : galt 24 703 ; : gestalt : ein-
vnlt 19137. : walt 5659; -.kalt 6441. : gevalt (part.) 3321; z alt : geivalt (a.cc.)
23413; gezalt (conj. praet. V) : geioalt (uom.) 6248; -.schalt 16295; -.walt
16 997. g es walt : galt 12 250; wandelt (Tarnet.) : gehandelt (pai't.) 10 786.
smaht (praet.) ; mäht (subst.) ; daht (praet.) 9361. 28 725. bedaht (praet.
von decken) : mäht (subst.) 8686. 12 380. 14 951. 16 888. 27 121 ; : naht 9658. 10 199.
26 276; ; aht 11 268. 16 032; : vaht : slaht 15 670; ; gestaht (part. nur in D) 14 254;
: unerschraht 7121; mäht (p raet.) ; «a7/i 26 332; bläht: bedaht (part.) 26126.
schämt (praet.) : eHam< (praet.) 23 487; : samt 1230. 11793. 20 207; : ge-
nant : samt 17 633; : genant : gezamt 3898; rant : vant 28 676; ; gemant 26 719.
brant : sivant 28 400; : verswant : haut 16 383; : tvant (subst.) : vant 16 017; ; hant
14 843; ; lant 5101 ; : hant : sivant 13 485. kant : vant 2219. 18 823. 19 606. 26 827.
27 2.32. ihant 4389. 12 771. 23 611. -.genant 18 727; : gewant 2236. bekant
(pr&ot.) : hant (nur in D) 14 609; mant : givant 21289; : hant 20 647; : laut :
kant (praet.) 17 351; : gesaut 9981. want (praet. von ivendeu) : Gomomant
13 999. nant : hant 7096.
gert (praet.) : sivert (gen. pl.) [V gert, P begert !\ 9891; : sivert 8629.
14 087. 16 445. 18 409. 28 972; : swert : getvert (part) 11 890. 17 477. 25 353. 26 900.
27 216; : ictrt (adi.) 22 966; : gewert {pari.) : loert (subst.) 6221; : gewert (praet.)
15 577. 16 081. 28 073. 28 633; : entivert {p&xX..) : geivert (part.) 20 320. 25 920.
{eut-, ge-)nu"rt (praet.) : gewert (part.) : swert 15335; -.begert (praes.)
184 GRABER
15472; :begert (part.) 27838; :begrrf (praet.) 17 618. 18 969. 19411; : siceii
12 730. 13 427. 22 003. : wert (adi.) 23 248; -.geivert (praet.) 14535.
n^rt (-pruet.) : geirert (pt.) 11917; : behert (imrt) : icert (praes.) 19 820;
: (be-, ver)hert (part.) 22 593. 28 620; : gewert (part.) 11400. w(rt : geirert (part.)
27 010; : stvert : begert (praet.) 18.309; :gert (praet.) 10289. 23883; : v erzer t
(part.) 9739; : verliert (part.) . 6583 ; tvelt (praet.) [! nicht, wie sonst bei Heinrich,
mit rückumlaut gebildet] : helt (subst.) 2033 ; ; melt (praes.) ; zeit 12 964.
erspeht (pra et.) ; A-weAi : rf/(< 24 955; lebt : sn-tht (praet.) 8454; sirebt
8871. sj)ilt:wilt (Adi.) : schilt 10 573; : schilt 13 445. 14 874. 17 013.
kort: hört (subst.) 10509; : ort 6603; worht (praet.) ; «tiwä? 24451;
Dahamorht 22 655 ; ; Ordohorht 15 245 ; : geworht 4645 ; vorht : verworkt (part.)
19 256; erholt : gedolt i^Qxt.) 2d>9i'dh; holt : verdolt (ji-äxi.) 24 056; dolt: geholt
21376. 17 826; : galt 3169; solt: geholt (part.) 316. 2875. 10569. 21749; -.geholt
(praet.) 22 406; : verdolt (part. u. praet.) 8967. 23 903; : tcolt (2. pers. pl.) 19 595;
: erbolt (part.) ; golt 7772. (Daneben befinden sich aber die vollständigen formen
solde und icolde in der überzahl.)
spurt (praet.) : vurt 14 515; g elust : äkust (acc.) 19438; : brüst 10 661.
ivundert : hundert 21012. 24 692; erbeizt : erstreizt (part.) 12815.
Wie bereits einige reime oben s. 182 zeigten, erfährt auch das praeteritum
von tuon häufig apokope. tet {^vAtt.) : gebet (oratio) 2403. 14 652; : bret 644.
14 961. 22 753. 18 800. 27 054. 29 250; : Aclamet 8640; : Marmoret 18 307; : Lanzelet
5987. 24 074. 24 497. 25 951. 29 002. 29 452. Daraus ergibt sich abfall des e auch
für 19 051 und 26 576 : tet : gewet .■ : het 14 786.
Demnach steht tet als die dem dichter der Krone allein geläufige form fest.
Eine ziemlich sichere handhabe bieten auch die hss., die mit ganz seltenen aus-
nahmen stets die apokopierten formen überliefern.
Ebenso tritt apokope ein im praet. von haben, hän:
het:claret 1196. 1301. 1449. 1681. 1897. 2603. 18276; : Giwanet 5646;
Lanzelet 12 876; : Laudelet 16 663; : Seimeret 18 880. Aber auch für 1346 steht
die apokopierte form Lunet : het fest (V und P überliefern lunet : het). Das gleiche
gilt für 27 781 ; het : gewet (P bietet hett, das erste reimwort verzeichnet Scholl
unter den Varianten nicht).
Den beiden praeteritis het und tet, welche Heinrich v. T. in der Krone
verwendet, entsprechen die formen höt, tot des heutigen kärntischen lautlich genau.
Das tat des ,bäuerischeu' geht auf trete zurück, ein beweis, dass höt gewiss nichts
mit mhd. hcete zu tun hat.
Vollformen nach 1 a u g e r und kurzer Stammsilbe: betraget (praet.j
: ir wäget 3940; : gevräget (part.) 19 958; läget : genräget (part.) 12 991; be-
swär et : gebäret (part.) 11604. 16 262; hat (praet.) : gät 20 822.
meret (praet.) ; gekeret (part.) 9181; neiget : {er)ze/get (part.) 3022. 10293.
27 769; : geseiget (part., visiert) 27 444; : gezeiget (part.) 28 611; zeiget (praet.i
1226; zeiget : geneiget (part.) 21202. 24 019; gesiveiget (praet.) 11676:
m eil et : teilet (praet.) 1882 ; v eilet : geteilet (part.) 21 447 ; einet : geleinet
(part.) 26 398; bescheinet : meinet (praet.) 25 416; meinet : geleinet (part.)
17 679; IV ein et : vereinet (part.) 24 624; arbeitet (^pi-det.) : geleitet (part.) 25 872.
zieret (praet.) : geparrieret (part.) 24783; gefiirrieret (part.) 7721; tjo-
stieret : gecroyieret (part.) 873 ; pungieret : gecroyieret (part.) 824. drot (praet.)
:b(>t (praet.i 21426. {ver-, geMoubet (praet.) : Äow&ei (acc.) 6674. 17192; be-
HErNlUCH VON DEM TUHLIN UND DIE SI'KACHFOKM SEINER KRONE 186
raubet : houbct 97b2. 13386. so um et (praet.) : ^m/w^ (praet.) ; t^erswme^ (part.)
835; ervlöuicet (praet.) : ströme et (part.) 6792; vr out : gestaut (part.) 1778.
16 845; : beströut (part.) 8163. 12 265. 22 225. 29 214; hoeret (\)raet.) : ervraret
(part.j 4025; trür et : dürct (praet.) 1874; stiuret : gehiuret (part.) 24 059; be-
riu7ret (praet.) : ermuioet (part.) 17306.
lachet: krachet (praet.) 11167; m a c h et : erwachet (part.) 7376, 29450
: erwachet (praet.) 24 664. 27 981. 28 897; er lach et (praet.) 1872; geswachet (part.)
10 306. s wachet (praet.) : gemachet (part.) 29 382; : erlachet (praet.) 23 719
wachet (praet.) : gemachet (part.) 8666; swachet (praet.) 10 437.
ladet : geschadet (part.) 11 868. 15 013 ; schadet : geladet (part.) 10 129
erarnet : geivarnet (part.) 16119; ha zz et : gevazzet {i^axi.) l'ili'^ öZecÄ; ei (praet
sonst blähte!) : bedecket (part. sonst bedaht!) 23849; ; bestecket (sonst bestaht) 12 953
g es eilet : gestellet (part.) 15 399; verendet : icendet (praes.) 7229; er-
getvendet (part.) 10 116. 21271; er n endet : geschendct (part.) 2564; volendet
: besendet (part.) 24 844. er g et z et : gesetzet (part.) 29 620.
g esiget : pfliget (praet.) 16 665; erv oll e t : gezollet (part.) 6487; sorget
: gtborget (part.) 27 116.
Die verba mit langer Stammsilbe haben zuerst das endungs-e abgeworfen.
Von ihnen hat sich dieser lautvorgaug auch auf die verba mit kurzer Stammsilbe
fortgepflanzt. Da nun bei allen schwachen verben der ind. und conj. praet. gleich
behandelt wurde, d. h. ein und dieselbe form sowohl ind. als conj. funktionen über-
nehmen konnte , erklärt es sich , dass im heutigen kärntischen kein ind. praet.
mehr vorkommt.
Weiter erhalten wir einsieht in die merkwürdige erscheinung des kärn-
tischen, dass auch die starken verba im conj. praet. die enduug der schwachen,
welche — 9t lautet, annehmen. Es hat nämlich die 2. pers. pl. der starken praeterital-
konjunktive gelautet wie der sing, derjenigen schwachen verba, welche das praet.
mit apokope bildeten. Über diese brücke hat sich allmählich der ausgleich voll-
zogen, welcher heute völlig durchgeführt ist. Daneben haben sich bis jetzt einige
starke praeteritalformen erhalten ; doch sind diese sichtlich im absterben begriffen.
Endlich tritt apokope des e ein nach t :
sieht (adv.) : reht (acc.) 24 583 ; reht (adv.) ; kneht (uom.) 25 183. ungenöt
(adv.) ; tot 4627 ; : rot 23 842, dazu participium praes., welches z. b. nie sehende,
scheltende , laufende usw., sondern immer sehent^ scJiehent, laufent lautet (vgl.
28 748 u. V. a.).
Nach h {p.)\
äleip (nom.) ; bleip (praet.) 9302; l^p (dat.) : ivtp (nom.) 24 776.
Nach f:
h u of (dat.) : schuof (praet.) 18 263. t i ef (adv.) : rief ( ind. praet.) 9445. 14 592.
Nach ch :
lieh (dat.) : gellch 20 081; daz g elic h : rieh : iegel/ch 18 658. suoch
(acc.) ; tuoch (acc.) 8790; versmdch (adv.) : ersach 3369; gelich (adv.) : iege(s)-
Uch 5140; : eislich (adj.) 9.330; -.Heinrich (nom.) 10 445; : rüich 18 341.
j (er lieh (adv.) : ie gelich (nom.) 5479. Doch kommt auch die vollform vor:
gell che : riche 4352; : kumberliche 4917; auch heisst es immer späte, nie spät.
Nach c (g, k) :
wäc (dat.) : lac : pflac 17 248; zoc (dat.) : stoc (acc.) 28 364; hoc (dat.) : stoc
186 (IRABEH
(acc.) 24 736; ■'<tec (dat.) : ircc (acc.) 27 499. Immer aber heisst das a.dver'b g{e)nii0Cy
nie genuoge.
Nach *:
has (uom.) ; icas (erat.) 18722. 28615; nas (subst.) : was 7502. 9353; was
(swm.) : iras (erat.) 17 470; 1s (dat.) : piis (uom.) 1740; ris (nom.) ; FJois (nom.) 5582;
: geivis 27 074; genis (1. pers. sing.) : gewis 3969; ; tvis 15 091.
Nach z:
hnhis (dat.) ; vlh 2149. 15 406; tcis (subst. weissheit, weisse färbe) ; vVtz 8178.
griez (dat.) ; Zi'e^ 18 581. 12 926; lös {di&t.) : schös (acc.) 1280; gruoz (dat.) : »jmojS
(1. sg.) 24331; huoz (nom.) : muoz : gruoz 8039. 26 580; : vuoz (acc.) 14 968. 21387.
24 535; : muoz 25 990; schoz {ö.dX.) : genoz (nom.) 17 096; ich geniez : hiez (praet.)
25 247; liez (conj. praet.) : ^eÄze^t (ind.) 17 462.
Die endung -e n fällt nach stamraanslautendem n:
Inugen (in f.) : tougen 1492. 19397. 23906. 29466; : ougen (pl.) 7592.
1308. 8887. 9848. 11152. 20339; ougen (i n f.) : laugen (adi.) 23852; : tougen
17 709. 23 568; laugen (inf.) 16 0.55; ; laugen : tougen 7473; orden (inf.) : worden
fpart.) 7909. 9549. 14 790. 15 388. 29 886.
S u b s t a n t i V a d e r / - d e k 1 i u a t i 0 n :
Es ist zu bemerken, daß die meisten unflektiert bleiben und eine form, die
umlautlose, durch deu ganzen sing, beibehalten. So lautet der sing, durchweg kraft,
ritterschaft , geselleschaft , vart , ivät (gen. pl. trat! : bat [praet.] 13 212), inziht,
geschiht (immer apokopiert), z/t, tat, hirdt, diet, not, kleinöt, kunst, zuht, vruht,
vluot u. a.
Die umgelauteten und mit endung noch versehenen formen des sing, der
V-stämme verschwinden als literarische reime an zahl vor den zuerst besprochenen
völlig. Mit dieser kargheit in der Verwendung von zweisilbigen (und mit umlaut
versehenen) formen gleicht Heinrichs spräche der Hartmanns. Es stehen in der
Krone nur folgende flektierte formen : die dat. sing, riterschefte : krefte (plur.) 11 930
und 26 780 ; krefte : schefte (plur. ) 801 ; verte : herte 17 809.
Eine gesonderte besprechung erheischen tugent und jugent. Die im-
flektierten formen sind :
i[iom. tugent : dat. jugent 1719. 21159; nom. jugent : d&t. tugent 11186; acc.
jugent : dat. tugent 17 489 ; : tugent (nom.) 23 781.
Die flektierten formen sind : jugende (dat.) : tagende (nom. pl.) 352 ; .• tugende
(acc. sing.) 2044; jugende (uom.) : tugende (dat. sing.) 1533. jugende (gen.) : tugende
(gen.) 17 004] jugende (äat.) : tugende (dat.) 27 226.
Im heutigen kärntnerdialekte flektieren die fem. /-stamme nicht und ent-
behren daher auch des umlauts. Doch weisen ihn einzelne Wörter auf: z. b.
khröftn kraft. Dieses wort beweist, dass früher normal flektierte formen vor-
handen waren.
II. Apokope nach vokalen.
Scholl hat in seinem texte von 9096 ämU (dat.) : hlU (nom.). Mehr Wahr-
scheinlichkeit aber gewährt die annähme, -e in dmie sei weggefallen und ämi habe
auf l>li gereimt. Ein flektierter nom. vom stn. hli kommt sonst nirgends vor. Der
gleiche fall begegnet 25 162, wo auch Singer masseni (dat.j : vri vorgeschlagen hat.
Der dativ bli wird 1240 zu bli gebunden, : s/ 4978.
HKINKICH VOX DEM TlKl^IX rND DIE SPKAC'HFOKM SEINEU KRONE 187
Zur apokope stelle ich auch die reime, iu denen alte ?fa-stämme im dat.
sing, uQflektiert bleiben. Das auslautende w ist lautgesetzlich geschwunden: dat.
se reimt : Tiiitague 468. 10 160 ; : e (adv.) 16 365. 15 657 ; : we 28 316 ; : me : ge
iconj.) 24 520. Sonst finden sich noch noni. und acc. sing. 14 664. 15 929. 17 324.
17 466. 18 066. 28 292.
dat. S7ie steht im reime : we 4327. 9201. 9474. 11275; ; me 7518. Der nom.
und acc. reimt 9324. 3313. 3399. 6889. 12 469. 14 627. 16 382. 17 461. 18 350. End-
lich reimt noch der dat. kle : schre 17 612.
Dadurch, dass diese gekürzten formen so häufig im reime stehen, erhält das
gedieht aufs neue einen stark dialektischen charakter; doch leistet sich Heinrich
in der apokope bei weitem nicht soviel wie etwa Wolfram; die feinheit der Hart-
raannschen verse freilich geht ihm ganz ab ^
5. Synkope des e.
Bei Heinrich fällt synkope zumeist auch mit apokope des -e zusammen,
weshalb es ein müssiges beginnen wäre, zu den beispielen abermals die reimbelege
zu bringen.
1. e wird synkopiert nach liquida vor muta.
a) in Verben mit langer Wurzelsilbe:
bestvärt, gevdrt, geert, gesert, gekert, gelert, gehört, betört, sestort, wobei die
formen sowohl für das praet. als das partic. gelten.
warn (3. pers. pl.) : am (dat. acc. sg.) 8235. 18 439 ; ; ervarn 8716 ; varn
: hewarn 2360. 10 816. 21 463. 27 607.
b) Im Substantiv ; järn (dat. pl.) : varn : sparn 30 032.
c) Im part. praet. : vülde -^ vülende : schulde 4438.
d) In der 1. klasse der swv. : vröut, gestaut, beströut.
2. Zwischen d + t oder t + t.
geioent < geivendet (part.) : gedeiit (part.) 8180 ; laten < ladeten : täten 481 ;
leite < leitete : spreite < spreitet 6669 (P leite : spreite) ; gehleit < -Meidet : bereit
1) Mhd. -e im silbenauslaut wird im kärntischen dialekt heute auf einem
viel weiteren gebiet abgeworfen als in Heinrichs spräche. Der prozess, welcher
schon im 13. Jahrhundert begonnen hatte, und wie die reime der Krone zeigten,
ziemlich weit vorgeschritten war, hat in der späteren entwicklung Wörter ergriffen,
die früher nicht apokopiert wurden. Fast für alle fälle von apokopierung bei
Heinrich gibt es in der ma. die genauen entsprechungen.
Die tatsachen gewähi-en uns aber gleichzeitig einen interessanten ausblick
auf die zustände der kärntischen landessprache im 13. Jahrhundert.
Heute wird auslautendes tonloses e apokopiert: 1. im nom. sg. aller schwachen
masculina (in der Krone noch nicht bei allen subst. durchgedrungen) : pöt böte,
her herr, n(}m name, sgm same, fQii fahne usw. 2. In allen starken masc. und
neutr. ivüts weizen, möt meth , stukx stück, pilt bild usw. 3. Im dat. sing, aller
starken subst. (bei Heinrich bereits sehr stark verbreitet). 4. Bei den koUektiv-
bildungen: gnmt gemüt, girent gewände, felswand. 5. Bei femininen subst. der ä-
und i-dekliuation : md scheide, iräd weide, stät statte, p7t bitte, er ehre, ler lehre,
/ms furcht; kinderkrankheit 'fraisen'; .si««^ stunde u. v. a. 6. In früher zweisilbigen
ableitungen : -nusse, -inne, -uiige, -<ere, -tete usw.
In der flexion schwindet e: 1. im dat. sing, aller starken subst. (bei vielen
schon in der Krone). 2. Im nom. und acc. plur. der masc. und fem. /-stamme, und
3. in den casus obliqui sing, der grösstcn mchrzahl der fem. /-stäuune.
Beim verbum 1. in der 1. und 3. pers. sing, des ind. und conj. praesentis aller
verba und ebenso im conj. praet. der schwachen vcrl)a. 2. Im imp. der schwachen
verba. 3. Im substantivierten infiiiitiv. 4. im part. praes. (< ende).
188 GKABEK, IIKIXKICH VON DEM TlRliX UND DIE SPUACIIFORM SEINER KR(;NE
(adj.) 13 660. 22 464; schoeiiheit 14 356; : reit (praet.) 17 535; : breit 21131; leiten
< leiteten : breiten 18 096; kleiten < kleideten : bereiten < bereiteten : breiten (adj.)
22 343; beleiten < beleiteten : beiten (inf.) 23 006; versmit < -smidet : mit (praep.)
58. 29 931 ; : lit (subst.) 1074 ; erglast (part.) : grast (praet.) 19 818.
2. pers. plur. : 6189 seit < seitet : arebeit ; 19 594 wolt < woltet : solt ;
21 531 möht < möhtet : töht. Doch geht es nicht an, formen wie tat (für tat ei)
Heinrich zuzumuten; wir haben vielmehr für 1812 überschüssiges t anzunehmen.
Ein apokopiertes adv. sjxit ist bei Heinrich nicht belegbar, daher lautet der reim
: tätet : späte : rate.
Sonstige synkopierte formen sind noch : ervorht (part.) 24 450 ; vorht (praet.)
4645; gelust < gelüstete : äkust 19 438; ; brüst 10 661. koste < kostete : tjoste 10 668.
gehaft (part.) ; Ära/it 19 356; : schuft 14 588; zünden (praet.) : gunden (pl.)
10 643; nöte (-pmet.) : ertöte (praet.) 11569; -.töte (pl.) 6596; ; rd<e (adj.) 4242.
huote (praet.) ; muote 1045. 2648. 20 626. 20 903. 27 044 ; huoten (praet.) ; guoten
2829; be/mot (part.) : tuot 1483. 16 041; : muot 1917. 20 606. 21506. 23152; : giiot
2200. 15 301. 21618; : bluot 6872; : vluot 24 146; behuote (praet.) : geimote 6526.
tvuote (praet.) : vluote (dat.) ; Imote (nom.) 8284; : muote 11863. 27 434; huote
(pva.et.) : gluote 8493; : guote 24 iGO ; behuot (part.) ; wwoi 28 506; : guot 28^70;
.■ muot : bluot 29 034; armuot : guot 29 208; : muot : tuot 29 339.
3. Im präfix g e-.
a) Vor w:gwete 26 577. reisegivant 21289. isengioant 6709. 10 469. 10908.
12 905. 13 384. 14 205. 15 114. 17 672. 19 127. 20 856. 21289. 23 395. 27 341 und
öfter, gioin, gwinnen 2454. 2467. 3129. 3221. 4354. 4771. 4887. 5151. 8831. 9496.
9911. 9149. 9973. 16 890. 17 636. 17 929. 18 084. 18 629. 19 119. 20 501. 21676.
23 159. 29 181.
b) Vor l: glanc : lanc 9344; heute kärntisch klQv, schlinge zum Vogelfängen.
glichen, glich 21 582. 27 952. 29 385 und sehr häufig.
c) Vor n: gnäde 30 003. .30 027 und sehr oft; gnuoc, gnöz (praet.) 8189.
179 u. a.
d) Vor g: gangen (part.) 18 753. 29 273.
4. Im präfix b e-.
bliben (inf.) 13 902. 14192. 17 998. 17 343. 25191 und öfter, ir blib et 10 695;
hübe (praes.) 12 575. 26042; blibe (conj. praet.) 2267. 4536. 23 356. 24067; ind. bliben
13682. 13950. 14523. 26287. 27 473 und öfter; part. bliben 20 loh. 26 803 u. v. a. '.
1) Auch in bezug auf die synkopieruug des e erweist sich die spräche der
Krone als vorläuferin des heutigen kärntischen dialektes.
Hier wird -s in tonlosen silben zwischen cons. unter allen umständen syn-
kopiert. Ferner zwischen dentalen ; er rot redet ; khröt geredet ; nach r vor n :
tsärn zerren, dlrn döiren. Für- ersteren fall sind beispiele: sQmp < schamede, pbmp
< abend; bei adj. auf n verschmilzt das n der flexiousendung vöUig mit dem
Stammauslaut, da vorher synkope eintrat: sean,_khlän = sean(a)n, khlän(;i)n. Infolge
.synkopierung ist assimilation eingetreten bei nöm nehmen, ts(>m zusammen.
Die .synkope der vorsilbe ge- trat in der ma. nur vor dauerlauten ein: kfptr
gevatter, yt/i(7^ gehabt, khern gehören, gnäkh genick, khceimn (mhä. gehöuu-en) stossen,
sich kümmern, gläbm glauben, khr'itn geritten u. v. a.
Vor Verschlußlauten ist sie gesetzmässig unterblieben.
Bei der vorsilbe be- tritt synkope nui' ein vor s, s und h (l), sonst bleibt
der vokal erhalten : plceibm bleiben. psQfm beschaffen, psUsn besitzen, pfiatn be-
hüten u. a.
KL.\(;ENFrHT. G. GRABER.
KAPPE, HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 189
HIATUS UND SYNALOEPHE BEI OTFKID.
(Schluß.)
5. N. acc. pl. neutr. sin.
Die form s/u für den n. acc. pl. neutr. hat keine andere sprech-
form neben sich. In derselben vollform begegnet das pronomen auch
ohne ausnähme im auftakt und in der Senkung vor konsonantisch
anlautender silbe. Denn es ist daran festzuhalten, dass eine ab-
schwächung- der form siu zu sie oder ein eindringen der maskulinform
in die funktion des neutrums in den Otfridhss. noch nicht vorliegt.
Der Wechsel zwischen der maskulinform sie und der neutralen form
sin erklärt sich mit Erdmann ^ aus syntaktischen gründen. Damit
erledigen sich auch die fälle, wo den neutralen formen in der einen
hs. maskulinformen in einer anderen hs. gegenüberstehen.
Nur durch synalöphe werden auch die neutralen formen im
Vortrag reduziert. An zweiter stelle des auftakts und der Senkung
vor vokalisch anlautender hebung wird das pronomen auf die Schwund-
stufe herabgesetzt. Yers Uli thaz siu ellu tlirin rüarit, ¥ sellu beweist
für III 2080 thaz siv dllesivio ni ddtin. In der Senkung ist V15io die
Schwundstufe eindeutig bezeichnet: Y Ibiofuatiri siu io zi ivdru, 'P sia.
Danach sind folgende verse zu bewerten: Illle nist mdn, ther siu cd
irzelle, P siu. 11524 bithdlit er siu iogiUcho. 120 13 Sie zalatun siu
io ubar ddrj. II 1296 ß>' Inzit sclnan siu ana ivdn.
6. N. acc. pl. fem. sio.
Die form sio des n. acc. pl. fem. kommt in den Otfridhss. nur
noch an drei stellen vor; sonst ist sie durch die maskuline plural-
form sie ersetzt. Da dieser prozess schon völlig durchgeführt ist,
kann die form sio in jenen 3 fällen unmöglich phonetischen wert
haben. Es ist allerdings auffallend genug, dass die macht ortho-
graphischer tradition die längst abgestorbene form überhaupt noch
bewahren konnte.
Einmal begegnet sio unter dem nebeniktus: V2599 tlioh scöivon
sio zi rugge, V sio (0 aus e?), F sie. Piper bemerkt in seinen Varianten:
'0 scheint in e korrigiert zu sein, es ist aber nichts radiert'.
Ferner I3i im auftakt: sio zeigotit ßlu scono. Piper: F sio die
rechte rundung des 0 scheint radiert.
Für den letzten vers nimmt Erdmann an, dass die form sio
1) Vgl. Erdmann zu 120 29; IV2Ü6fg. 35 24 fg. und Syntax 11 §57.
190 KAPPE
durch die vielen o des halbverses auf assimilatorischem wege ein-
g'edrungen sei. Diese annähme lässt sich vielleicht auch für V2599
i;eltend machen. Ausserdem scheinen doch die Varianten beider halb-
verse darauf hinzuweisen, dass den Schreibern die form sio durchaus
ungewohnt und anstössig war. V2599 setzt F denn auch die geläufige
maskulinform sie ein. Vielleicht war nur das bedürfnis grösserer syn-
taktischer deutlichkeit die Ursache, die längst vergessene form wieder
einzuführen. Recht wahrscheinlich ist dies für den dritten beleg
III 163 ivanta er ni lerneta sio er, sio (0 in V, 0 in P übergeschrieben).
An zweiter stelle der Senkung ^vird das pronomen hier auf den an-
lautenden konsonanten reduziert. Die Schreiber suchten im Schrift-
bild die syntaktische beziehung deutlich zu machen und setzten daher
-die form sio in V, sio in P nachträglich ein.
7. N. sg. fem. siu-si.
A. siu-si unter dem haupt- oder nebeniktus.
I. Vor konsonantisch anlautender Senkung.
a) Unter dem hauptiktus.
a) Alle hss. zeigen die form slu.
III 1437 So siu tJio thaz gihoria.
ß) Alle hss. zeigen die form si.
I83 sr ni mohta inheran sin. 1146 er si zi theru gihürti. IV 29 21 Was
ai nu thero ivörto.
b) Unter dem nebeniktus.
a) Alle hss. zeigen die form siu.
12241 So SIU gisah then l/oban man. r\^2i7 So siu thaz sdlbon tho birvärb.
P stu. ISei Nust siu gibnrdinot thes. I7i thaz siu zi hüge hdbeta. Il-li thaz
siu thaz khid sougta. II 9 2 breitit siu sih hdrto. II 1485 So sliumo siu gihorta
thdz. III 767 Thaz siu mit themo iverke. V siu (acc. rad.). 72 thaz siu thir wiht
ni derre. III 11 10 thaz siu sia thära brahti. VTs so hdrto siu sin rtiahta.
12 ni süahta siu thar thes thiu min. V 23 123 wio in büachon siu gilöbot ist.
ß) In den Varianten stehen die formen sin und si nebeneinander.
111245 so siu thia kiinft gihörta. P siu. F si. IV 6 36 siu was alles zi
breit. F 67'. VIT 21 wanta wlrdig si ni icds. F siu.
Y) Alle hss. zeigen die form si.
111 31 Stin bar si tho zeizan. 116 3 Si was förasagin giiat. e war si then
drost suahti. 111473 Si nam gouma hdrto. Illllie sliumo fuar si sar Mim.
III 1445 thaz si thia trddun ruarta. IIIlöis si fon göte queme thir. III 1755 si
gab äntirurti, so zdm. III 24 11 so si zi kriste giilta. 37 thia suester si sar höleta.
HIATUS UND 8YXAI.ÖPHE BEE OTFRID 191
43 thaz si SO gahuii i'ifirstuant. 48 thar si tlien hruader liohon roz. 49 Iröugta
si tho seraz miiat. 47 Si zi fiiaze kriste fial. P SI. III 24 48 mit zciharin si thie
bifföz. P si. IV 231 duan thiu tverk, thiu si higdn. IV 2943 Selbo si thaz ivölta.
46 sid si sia selbo spünni. 47 sid si sia selbo sct'tafi. 52 si noh liiutu ana wank.
IV 33 12 si giMH in harto tfidz. V77 Si thia stuf noh tho nirgdh. 43 So sliumo
si tho thaz gispräh. 48 icaz süahti si so hdrto. 56 zi füazou si sar Uta. es zen
jüngoron si sar Uta. V 12 ss hi thiu ist si so mdri.
S) IV 29 24 zeigt P die form de gegen si in Y, F ändert den text in So.
IV 29 24 si thie faduvia alle gab. P sie. F So.
II. Vor vokaliscli anlautender silbe.
a) Unter dem hauptiktus.
7.) In den Varianten stehen die formen siu und si nebeneinander.
11114 18 thdz siu inan hintarti. P stu inan. F thaz si.
^) Alle hss. zeigen die form si.
III 1751 joh si ekrodo einu. P si ekrodo. VT 55 joh sinan sar irkdnta.
F *•/ inan. V2oi5 Wanta si ist in war min. V833 Si nan sar irkdnta.
IV 29 44 thaz si in thera nahi. P si. 1726 thaz si uns allo ivörolti. P thdz si.
II 12 39 Joh si iz ni himide. P Joh si.
b) Unter dem nebeniktus.
a) Alle hss. zeigen die form siu.
III II7 Ni deta siu es avur mer. 12354 suntar siu nait sue'nte. IUI 37 Mit
henti siu mo scirmit. 11114 10 so sliumo siu nan ri'iarta. IV 232 thaz siu iz nir-
fülle nu thiu min.
ß) In den Varianten stehen die formen siu und si nebeneinander.
II 3 8 thaz si ist ekord eina. F siu.
y) Alle hss. zeigen die form si.
IV 11 43 thaz si in iuih gigät. 111134 siintar si imo munto. P imo.
n'2960^/iO simo ski'iaf thaz gifdnk. Illse in thia kripplia sinan legita. N 1 hz Ni
ndnta si nan dröf er. 66 sageta in tho, t/iaz sinan sah. F si inan.
B. siu-si iin auftakt.
I. Vor konsonantisch anlautender hebung.
1. Alle hss. zeigen die form si.
II 36 si hdhet thoii thia rihii. 15 70 si quad, si ivdri sin thiu. 172 si was
sih bUdenti. I825 II54 14i7 I61 17; III 10 5 20 27 lli; IIIUio is 21 244o; IV2io
473 29öi 55 329 33ii; V72 43 40 54 14? 23216. III 1428 so füalta sar thes güates.
V so (0 aus i). P F si.
2. In den Varianten stehen die formen siti und si neben-
ein a n d e r.
122 12 si wanta in dlawari. F siu. II 823 si tvessa thoh in diawar. F siu.
V7c si stuant thoh, weinotn thar. P sin.
192 KAITE
II. Vor vokaliseh aul nuten der bebiing.
Es finden sich 4 belege ; alle hss. zeigen die form ai.
II611; Vis; III Uoo 23.
III. V 0 r e i n e r z w e i t e n v 0 k a 1 i s c h anlautenden a u t't a k t s i I b e.
In 5 belegen zeigen alle bss. die form si; synalöphe ist nirgends
bezeichnet.
Vor is.
IV 29 26 si iz alias göte reisot. V7ii si iz al irsiiachit haheta.
Vor //•-.
V 8 42 si irkdnta nan, so er xvölta. P sq.
Vor in (praep.).
117 7 si in ihoon ni firivürti.
Vor ist.
IV 29 56 si ist Ulla sit ioivänne.
IV. An zweiter stelle des auftakts vor vokalisch
anlautender h e b u n g.
1. Das pr Gnomen ist auf den anlautenden konsonanten
reduziert.
1 14 12 thaz si unreini thera gihürti. F si.
Die hebung lautet mit i- an.
II 1274 thaz si iamer sin ginilzzi. P s! iamer. III 11 22 ni si imo föhjeti.
P si imo. III 26 14 tlioh si in si linthrati. P sin. F si in.
Nur 1723 begegnet die form stu V:
1723 Was siu dfter thiu mit iru sar. P si. F si.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
III 10 19 tfiaz si unsih Idze haben lih. IV29i6 thaz si älang mit giwnrti.
C. Das pronomen in der Senkung vor konsonantisch anlautender silbe.
I. Allein in der Senkung vor konsonantisch anlautender
hebung.
1. Alle hss. zeigen die form sl.
II 35 N/st si so gisiingan. 122 eigan thiu ist si thin. I670 si quad, si
tvdri sin thiu. Ha so füar si zi iro selidon. 111 30 37 I65 7 9 2 4 13 14 16
2225 42; 11825 1273 14 14 19 20 85 17 27 55 87; III 1 35 10 13 29 9 ll2 3 9 20 31 32;
III 1426 45 39; m 1444 16 13 1756 246 13 23 34 37 38 39 40 46 50 ; III 23 12; rV^2ll 32
474 2927 28 33 43 322; V424 7 13 17 21 44 47 49 65 834 1221 24 81 ; V23l21.
2. In den Varianten stehen siu und si nebeneinander. •
1065 '/Ä bin', quad si, 'gutes thiu'. P siu. Illös Miiattr ist si mürn,
Y siu. 113 10 in ira barm si sazta. F siu. III 14 41 Quam siu förahtalu sdr. V si.
3. Alle hss. zeigen die form siu.
i486 thaz siu scolta in clti. V I254 joh wdz siu Mar bizeine. 111266 =
V 1241 so siu thar giscriban. stat. IV 29 31 joh s6 siu bczist biquam. Se oba siu
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 193
fri'mia wesan scal. Hss in sunton ward sm missilih. II 8 24 nirzlgi, thes sin hdti.
rV28i2 weliches siu wesan scal. III 11 15 hi thiit, gisceinta sia tliaz. 27 Bi fhni
gihölota siu thctr.
IL Au zweiter und dritter stelle der s e n k u u g vor
k 0 n s 0 n a u t i s e h anlautender li e b u n g.
1. Alle hss. zeigen die form .s/.
V73 Hdbeta si nu in loar min.
2. In den Varianten stehen siu und si einander gegenüber.
1111128 wanta si hdbeta sulili miiat. P siu.
D. In der Senkung vor vokaliscli anlautender silbe.
1. Allein in der Senkung vor vokalisch anlautender
h e b u n g.
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanten
reduziert.
15 10 then sang si unz in enti. P si.
2. In den Varianten stehen die voll formen siti und si
nebeneinander.
n 1443 'Thu mohtis^ qudd siu, '■einan riiam'. P si.
IL Vor einer zweiten vokalisch anlautenden senkungs-
silbe.
1. Vor iz.
Es findet sich nur die form si.
a) Das pronomen si ist auf den anlautenden konsonanten reduziert.
111 34 ni wdnu, tliaz si iz tcessi. P siz. II 631 In then bouin, thar si iz
näm. P si. II 17 14 tlio siz gerno wolle.
b) Die vollformen stehen nebeneinander.
im 33 Thöh si iz sero fille. 37 mit theru si iz miihont fillit. IV 2929 Joh
si iz dllaz gimdz. 35 Bisdh si iz iogiliclio. II 12 39 in V gegen P: Jöh si iz ni
bimide. P Joh si.
2. Vor in (praep.).
a) Das pronomen si ist auf den anlautenden konsonanten reduziert.
I63 So si in ira hüs giang. P So si. III 17 u bifdngan ist si in drdti. V si.
b) Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
si in allen hss.
116 16 Tlio quam si in the'sen stunton. IV2i6 thia göz si in sine ftiazi.
l rV2949 Siintar selb si in gd/ii. VP siu F si. II 1449 'Th ni haben', quad siu,
Hn tvdr' F si.
3. Vor ir-,
III 1444 bi hiu si irbdldota so frdm. P bi htu si.
ZEITSCIIKIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 13
194 KAl'l'K
4. Vor uns.
1338 thaz f<i lins heran scolti. P si uns. F snuns. I7jc in P gegen V:
t/iae st uns alJo worolti. P thdz si uns.
5. Vor in (dat. plur.).
IV 338 irzeh si in thes si nöti.
6. Vor dl.
ni 10 35 'Dnihtin' quad si, 'al ist iz s(j'. P sia.
7. Vor imo.
1534 gab si imo datwurti. P simo. F si imo.
8. Vor endbetontem inän.
Alle liss. zeigen sinan.
111 33 War sinan gihädoti. joh war sinan giUgiti. 36 Bitodnt sinan thoh
thäre. 12359 thaz sinan ni houtn'. II 2 20 thciz sinan nirkdnta. V zeigt die form
siu inan: III14i8 thdz siu inan hirüarti. F thaz si. P thaz sia inan.
III. Das p r 0 u 0 m e n in z w e i t e r s e n k u n g s s i 11) e v 0 r v 0 k a 1 i s cli
anlautender hebung.
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanteu
reduzier t.
a) Alle hss. zeigen die form si.
1 163 zi gote rihta si iru miiat. P siru. F si ira. D si iru. 1166 so
hdbeta si in githdhti. P si. 7 joh leita si ira ddga thar. P siro. D si im.
III 2445 Quddun, silti löufan. V s : ilti (i rad.). P si Uli {/ zwischen- und über-
geschrieben). F D si ilti. IV 2 11 Ni loäni, si ouh thes ivdiigti. P si.
b) Alle hss. zeigen die form .mt.
15 12 thaz deda siu io gerno. P siu.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
a) si.
11812 joJi kriste si iz gisdgeta. III 1 33 nist, ni si ävur ivolle. III 11 10 ni
lodnu, si ouh thes thdhti. III 14 40 thaz wdnia si, er ni westi. IV 29 25 thiu werk
bisi/iit si ellu. 30 scöno si iz gifüagta. IV 31 34 mih scdden si io intfüarta.
IV 334 ni wölta si in then riuon. V52 deta si in sar mdri. V 1222 ni tht'dta si
in giwissi. V2041 thaz fiirdir si iz ni finde.
b) siu.
III 11 17 Hdbeta siu ouh in thia stünt.
Die gemeinahd. form des n. sg. fem. im 8. und 9. Jahrhundert
ist sin. Diese form ist auch in den Otfridhss. mehrfach belegt, doch
findet sich weit überwiegend die form si. Die form si begegnet un-
gefähr 220mal, sin nur 43mal. Beide formen sind allen Schreibern
bekannt. In den Varianten stehen sich sehr häufig beide formen
gegenüber. Die Umgangssprache Otfrids kennt nur die form si. Die
HIATUS UND SYNALÖPHE HEI OTUKID 195
form siu hat für die Schreiber der Otfridhss. nur die bedeiitimg einer
rein graphischen normalform. Dies lehrt die Statistik auf schritt und
tritt. In dem Schriftbild si haben wir 2 sprechformen zu unterscheiden :
eine betonte form mit langem vokal und eine in unbetonter Satzstellung
quantitativ reduzierte sprechform .s/. In 50 halbversen trägt die form
67 einen haupt- oder nebeniktus ^ Erscheint die form si allein im
auftakt und in der Senkung in der proklise vor vokalisch und konso-
nantisch anlautender hebung, so werden wir den sonanten als kurz
anzusprechen haben. In einsilbiger Senkung vor vokalisch anlauten-
der hebung wird diese unbetonte kurzform si auf die Schwundstufe
herabgesetzt. Unter dem haupt- oder nebeniktus, in der Senkung vor
konsonantisch anlautender silbe, im auftakt vor konsonantisch oder
vokalisch anlautender hebung ist die form siu für den vorti'ag des
gedichts durch die sprechformen s^ ai zu ersetzen. Wenn IV 2924 si
thie fäduma alle gab, F so, P die form sie zeigt, wird man kaum
ein eindringen der akkusativform annehmen dürfen. Wohl be-
gegnet dieser ausgleich bisweilen in spätahd. zeit. Aber für Otfrid
ist sia die normalform des acc. ; die abgeschwächte form sie erscheint
nur 2mal IV 29 19 in F und II2O11 in P. In P wird also Schreib-
fehler vorliegen, vielleicht in anlehnung an das folgende thie. 111 33
vertritt sie den acc. pl. fem.; es ist nicht mit Kelle hier si einzusetzen:
{TJw bot si mit giliisti, thio küulisyun brüsti) ni eid msih, simfar sie
övgti, P sie, F sio vgtl. Die Umgangssprache Otfrids kennt nur die
beiden formen .-v und si - wie in mhd. zeit.
An zweiter stelle des auftakts und der Senkung vor vokalisch
anlautender hebung wird die kurzform si auf die Schwundstufe herab-
gesetzt. Im auftakt beweisen 6 sprechformen für 2 schreibformen.
17 23 zeigt deutlich die rein graphische bedeutung der form sin: Was
siu äfter thiii mit iru sar, P si, F si. In der Senkung stehen 6 Schwund-
stufen 12 vollformen gegenüber.
Vor einer vokalisch anlautenden zweiten senkungssilbe entscheidet
das phonetische gewicht über den Charakter der synalöphe. Vor dem
pronomen iz, der praep. in, dem präfix ir- und dem pronomen uns
sehen wir das pronomen si auf den anlautenden konsonanten reduziert.
Vor den mit /- anlautenden silben findet sich der elisionspunkt aus-
schliesslich unter dem sonanten des pronomens si; es ist nicht daran
zu zweifeln, dass hier die synalöphe an dem pronomen statthat. Vers
133s t/iaz ni uns beran scolti, P si uns, F su uns liegt in V natürlich
1) Die länge des vokals ist durch N gesichert.
13*
196 KATl'K
ein versehen in der Setzung des pimktes vor. Danach ist auch IV 33 g
vor dem d. pl. in und III 10 35 vor al die Schwundstufe des pronomens
einzusetzen. Anders ordnen sich die Verhältnisse 15 34^ gab si imo änt-
wurti, P shno, F ^i imo. Hier steht der dativ imo in der enklise hinter
dem Subjekt si und wird als phonetisch leichtere silbe auf die Schwund-
stufe reduziert. Ebenso behauptet sich das i)ronomen n/ vor end-
betontem imhi. Die Schreibung siu man lehrt die Schreibung- s/nun
beurteilen.
Ebenso liegen die dinge im auftakt. Die phonetisch leichtere
silbe fällt. Der auftakt erfährt jedoch stets eine grössere artikulations-
energie als die Senkung. Im einzelnen können sich die Verhältnisse
im auftakt also anders ordnen. Es finden sich 5 vollformen si vor
den zweiten auftaktsilben iz ir- in (praep.) ist. Vor der praep. i7i, der
verbalform ist und dem verbalpräfix ir- wird man das proklitische
pronomen auf den anlautenden konsonanten reduzieren. IV 2026 nnd
V7ii steht jedoch das pronomen iz in der enklise hinter dem prono-
minalen Subjekt si; man wird den sonanten des pronomens iz elidieren
müssen.
8. Acc. sg. fem. sia.
A. Im auftakt.
I. Vor konsonantisch anlautender hebung.
111 60 sia sdtanas gindmi. III 24 12 sia ri'iartaz filu Jidrto.
II. Vor einer vokalisch anlautenden zweiten auftaktsilbe.
1 3 32 sia ist engilo mmigi. P sia ist.
III. In zweiter auftaktsilbe vor vokalisch anlautender
h e b u n g.
sa.
IV 28 16 tvir sa dlanga gihüUtn.
sia.
IV 29 19 thas sia dinlicher ndmi. F sie.
B. Das pronomen in einsilbiger senliung- vor konsonantisch anlautender
hebung.
1. In mindestens einer hs. findet sich die form sa.
Lss tluis er sa lesan heizit. I82 tho er sa hdfta gisah. F sa. P sia.
III 1727 Qudti er, man sia Uazi. P Qudii er, man sa liazi. III 2453 so er sa
rlazan gisah. IV 12 38 inti bot sa ludase sar. V 7 47 Frdgeta er sa säre. 05 Bi
nämen er sa ndiita. V 16 42 nuh ir sa heilet säre.
2. In mindestens einer hs. findet sich die form sie.
II 20 11 thit duent sia lütmara. V sia (a aus e). P sie. F sia.
HIATUS UND .SYXALÖl'HE BEI OTFRID 197
3. Alle hss. zeigen die form sia.
IÖ9 fnnd sia drürenta. 69 Drtihtin kos sia güater. 1117 35 thu fhar sia
dlofo suachis. P t/idr. III 11 10 thaz siu sia ilidra hrahti. 19 zi ht'inton er sia
zdlta. III 1731 thaz man sia steinoti. IV 222 quad, man sia molUi scioro. F man
fehlt, si. 31 Ldz sia, quad ther meistar. IV 2924 joh sia selbo giwdb. 46 sid st
sia selbo spünni. 47 sid st sia selbo scilafi. IV 32 4 ni sia rüarti thaz ser. F si.
9 Thaz er sia zi imo nami. P er. IV 33 u then selbon, ther sia imrahta.
V738 ob ih sia niazaii ni muas. V829 Bi ndmen sia druhtin ndnta. ziünz er sia
wib hiaz. Y 12 ^o joh liiad sia hdrto guates. V1722 thaz er sia fiirdir drati. F er.
C. Das pronomen in der Senkung vor Tokaliscli anlautender silbe.
I. Allein in der Senkung- vor vokalisch anlautender
h e b u n g.
1. Alle hss. zeigen die Schwundstufe.
V850 thiu ndtara gispiian ses.
2. Alle hss. zeigen die form s/a.
I 8 7 Er sia erlicho söh.
n. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden senkungs-
silbe.
IV 34 1 thiu götes kraft sies tiotta.
III. An zweiter stelle der Senkung vor vokalisch an-
lautender h e b u n g.
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanten
reduziert.
I63 thiu ivirtun sia erlicho intßang. I 8s joh brdhta sq. afur thdnne. P sa.
F saviir.
2. V P sia. F sial.
II 89 mit suSrtu sia al gistretcita. F sial.
3. Alle hss. zeigen die form so.
IV 28 10 iveli/t, sa imo nami.
4. Alle hss. zeigen die vollform sia.
III 16 18 od ih sia eigine mir.
Die gemeinahd. form des acc. sg. fem. ist sia. In dieser gestalt
erscheint das pronomen in den Otfridhss., wenn es einen haupt- oder
nebeniktus trägt. Diese form galt den Schreibern als normalform für
die Orthographie. Sie ist häutig dort eingesetzt, wo die Umgangs-
sprache andere ablautsformen des pronomens verlangt. 2mal erscheint
eine form sie als orthographische normalform: IV 29 19 thaz sia ein-
lic/ier nämi, F sie. II20ii thie dumt sia lüfmara, V sia (a aus e),
P sie, F sia. Vermutlich sind diese formen nur auf ein versehen der
198 KAIM'K
Schreiber zurückzuführen. TT20ii verbessert sich V; P übernimmt die
unkorrigierte form, F dagegen die gewöhnliche form sia, obwohl F
IV 29 19 sie schreibt ^ Vereinzelt begegnet jedoch in ahd. zeit die
abgeschwächte form .s/g bei T. ; im spätahd. bei Will, verdrängt xie
die form s/rr. Man kannte also die beiden s/e-formen der Otfridhss.
ebenso auffassen (vgl. z. b. Braune, Ahd. gr.^ § 283, anm. 1, h). IV 29.24
fand sich in P für den n. sg. fem. die form sie. An ein eindringen der
für Otfrid nur in jenen zwei fraglichen versen belegten abgeschwächten
form des acc. sg. fem. wird kaum zu denken sein. Auch hier liegt es
näher, ein versehen der Schreiber anzunehmen.
In unbetonter satzstellung hat sich aus der betonten form sia eine
unbetonte sprechform sa entwickelt. Wir haben darin ein analogon
zu der tiefstufe se des n. acc. pl. m. sie zu sehen. Der fallende di-
phthong setzte sich in einen steigenden diphthongen um ; das postkon-
sonantische / fiel, wie stets im 9. Jahrhundert". Die tiefstufe sa stellt
sich bei Otfrid am reinsten in einsilbiger Senkung vor konsonantisch
anlautender liebuug dar. 8 belege der sprechform sa beweisen gegen-
über 19 schreibformen, dass hier für den Vortrag nur die tiefstufe
des pronomens geltung hat. Ausserdem begegnet die form sa neben
der vollform sia zuweilen als schreibform an zw^eiter stelle des auf-
takts und der Senkung vor vokalisch anlautender hebung, wo der
Vortrag nur die Schwundstufe s- des pronomens kennt. In der Senkung
ist die Schwundstufe 188 durch die Schreibung sq, 1 6 3 durch sia
dargestellt. In den andern 3 belegen finden sich die formen sia sa
xia. Im auftakt begegnet IV28i6 die form sa, IV 29 19 sia. Die
hs. F zeigt in der Senkung 2mal die form si, obwohl ihr die tiefstufe
sa durchaus geläufig ist: 1\ 2.21 qua d^ man sia niohti scioro; man fehlt
in F, si F. IV 324 ni sia raarti thaz ser, F sl. Diese form findet
wohl am einfachsten ihre erklärung, Avenn man sie als form des
n. sg. fem. anspricht.
Wir haben schon wiederholt beobachtet, dass die eingangssenkung
nicht mit der Senkung im versinnern auf eine stufe gestellt werden
darf. Der auftakt setzt mit erheblicher druckstärke ein. Wie bei den
übrigen diphthongischen einsilbigen formen des anaphorischen pro-
nomens haben wir auch hier für den auftakt die vollform sia auzu-
1) Noch bei N lautet der acc. sg. fem. sia.
2) Solche redaktionell von diphthongen unter schwächerem akzent und in
satztieftoniger Stellung finden sich sehr gewöhnlich in volkstümlicher rede. Winteler,
Kerenzer mundart s. 118 hat sie zuerst in den heutigen dialekten nachgewiesen.
HIATUS UND SVNALÖPHE BEI OTFlilD 199
setzen. Sie ist Illeo nnd III 24 12 vor konsonantisch anlautender
liebung- belegt. 1 3 32 erscheint die vollform sia vor der verbalform
ist; der sonant des verbums fällt als der vokal geringerer schallfülle :
1832 i^ici ist enyilo nu'niiji, P ^^ia ist.
In der Senkung vor vokalisch anlautender hebung hat nur die
Schwundstufe des pronomens statt. V850 ist der anlautende konso-
nant der hebung vorgeschlagen; I87 zeigen alle hss. die vollform sia.
Die satztieftonige ablautsstufe des pronomens vermag sich in ein-
silbiger Senkung vor vokalisch anlautender hebung nicht zu behaupten.
Die ganz schv^ach artikulierte tiefstufe des pronomens werden wir
daher vor dem pronomen es als zweiter senkungssilbe auf die Schwund-
stufe herabsetzen müssen. Wenn sich IV34i thiu götes kraft sies
nötta in allen hss. das kontraktionsprodukt sies findet, werden wir
darin eine schreibform zu sehen haben, die nach analogie der für den
n. acc. pl. m. in betonter und unbetonter satzstellung umlaufenden form
sies gebildet ist.
C. DemoustratiTprononiina.
1. Die Präposition zi vor den formen des demonstrativ-
pronomens.
A. Das pronomen trägt einen haupt- oder nebeniktns.
I. Die praep. füllt allein den auftakt oder die Senkung.
1. Den auftakt.
ni926 si then, ir b/rut filu setz. VlSas si then ginöson uharlut. Ibe si
theru itis frono. 111 26 zi tfteru steti ft'iart er. II 11 2 zi thent, lieimingi. V ISe
zi thera selbun ivisun. 1 183 zi ttiemo kästelte. I14i9 zi themo drtlhtines hus.
118 32 zi themo laute in gdhe. 12234 zi themo fierote. 1126 ei themo ouh thie
4warton. P themo. 11 3 55 zi tliemo felitanne. 11452 zi ttiemo drilhtines hüs—lii.
11764 zi ttiemo flghoume. 11 14 117 zi tliemo seihen wlhe. 11102 zi ttiemo heiminge.
niSs si themo scönen laute. 20 zi ttiemo götes biete. 111224 21 23 2445 93; IV 536
16u 1732 2O4 29b5 355 864; V4l0 04 lOl 20b6 23264 2328 = 130 172 184 206 220
232 242 256 270 284 296.
2. Die Senkung.
nSso ttio zi ttien rächen. IV 35 40 ouh zi tlien raction. 12335 Er sprdti
zi tfien es rüahtun. HI 4 15 Thar zi th4n gizaltan. 1146 er si zi ttieru gibiirti.
I23i quam zi theru stüllu. 2 ouh zi ttieru zlti. III 440 er sar zi th4ra fristi = 2062.
in 23 17 sar zi ttieru fristi = Y 2569. V1727 Sar zi ttieru stullu. I25i quam,
kr ist zi ttiemo thlnge. II 824 ttidr zi themo götes tius. II 10 22 joti ivir zi ttiemo
giiate. II 11 62 tho zi ttiemo sinde. II 1438 nist lang zi ttiemo thinge. 1111490 tho
zi thdmo friste. IV 16 28 sar zi ttiemo ivipjilie. IV 20 3 thdr zi themo pdlinzJms.
VSe^o/i er zi ttiemo grabe quam. Y Gib joh quam zi ttiemo grabe ouh er.
200 KAPPE
n. Die Präposition steht an zweiter stelle der Senkung
oder des auftakts.
1. In der Senkung,
a) Der sonant der präposition ist synkopiert.
V2561 Er bieget zemo güate. 1112454 thie qudmun zi themo thinge. Y zemo.
b) Alle hss. zeigen die orthographischen normalformen nebeneinander.
12242 tho sprdh si zi themo klnde. III 20 54 thära zi themo thinge. 1112360
mit imo zi themo fälle. 1112464 thära zi themo Hoben man. 97 thära zi themo
döten. III 253 Thära zi themo ringe. 5 qudmun zi themo thinge. IV 63 thära zi
themo götes hus. IV 1021 ther queme zi themo fäter sar. rV274 zuene zi themo
mze. V 194 ni er queme zi themo thinge. V25ö8 er scöwot zi themo giiate.
11026 joh sprdh ouh zi theru mi'caier. 111225 Thas er zi tMru icisun. P Thdz.
II 14 100 unz se odo u-driin zi theru bi'irg. IV 934 nu främmort zi theru redinu.
2. Im auftakt.
ni253io/t zi themo selben thinge.
B. Das pronomeii steht im auftakt.
I. Der sonant der präposition ist synkopiert.
zen.
1222 zen höhen gizitin. 1225 Zen tvihen zitin füarun. 128 11 zen gotes
driittheganon. II i486 zen liutin, sägeta thiz al in. 11192 zen seltsanen werkon.
m 1034 zen wihen zitin fiiarun. 36 zen stetin filu tvihen. 1112342 zen jüngoron
slnen. rV1249 zen östoron toaz giwt'inni. IV 346 zen liutin in thia biirg in.
26 zen östoron quamun. V 7 16 zen höubiton ther ander. 60 zen jüngoron si sar Uta.
ses.
I 23 4 zi thes eivarten kinde. P si thes.
zir - zer (dat. sg. fem.).
1 26 10 zir heilegun undu. I 6 2 sind die schreibformen in V erst durch den
korrekter hergestellt: zi ther iru mäginnu V zetheriru (the vom korrekter über-
geschrieheu). F ze thero. P zi ther. 11162 sind die schreibformen in V erst
durch den korrekter hergestellt : ze thero öberostun noti. V the und 0- zukorrigiert.
P zi theru. F ze theru.
z e m 0.
11146 zemo öphere scolta. 111324 zemo siine, sih nu zdlta. 1112662 zi
iliemo höhen himilriche. P zemo.
IL Alle hss. zeigen die orthographischen normal formen
nebeneinander.
z i t h e n.
II 363 zi then drühlines ginddon. II 11 59 zi then östrigen gizitin. lliliozi
then kristes göumon sizzen. in 17 5 zi then hdroston allen. V459 zi then jüngoron
sinen. V7i5 zi then füazon saz ther eino. VI67 zi then süben sconen zitin.
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 201
zi thes.
II 448 si thes mennisgen ziihti. IIIlSco zi thes götitisses güati. III 24 90 zi
thes fater banne filu frdm. IV 1 26 21 thes krüzotines heile,
zi theru.
112 19 Zi theru hiirgi faret h/'nana. 1172 zi theru drühtines gihiirti.
12231 zi theru bürg, thar siu ivärun. 12351 zi theru wiirzelun gisezzit. II 3 11 zi
theru drühtines gibiirti. II 9 8 zi theru brüti ginanle. II 13 14 zi theru stiinmu
fräwnlicho. TV 21 2 zi theru ihrdu. thia er in zelita.
zi fhero.
1112054 zi thero füristono ringe. IV 1922 zi thero b/skofo thinge.
zi themo.
ISs zi themo ira heiminge. 19 ig zi themo sdligen wibe. 116 7 zi themo
gotes hüs fuar si sär. 126 5 zi themo Jieilegen döufe. 128 12 zi themo hohen
Mmilriche. 1X837 zi themo Mresten sih tvantin. 111421 zi tliemo wdzare imo
zeinti. IV 48; V23i88.
C. Das pronomen steht in der Senkung.
I. Der sonant der präposition ist synkopiert.
zen.
II14i fudr hrist zen Mimingoa. V zi then. P zen (aus zi). 117 35 -£/V
sprah zen ewarion. 1 1812 joh zen inheimon. EL lös joh sih zen sinen guatin.
III 2327 Er sprah zen jiUigoron thö. IV 37 19 So er zen wlbon thar tho sah.
111789 io zen göumon sinen. III Sie thie thar zen göumon sazun. 11124 103 tho
zen ji'mgoron thar. IV 3 17 ther zen ostoron quam. IV 9 31 so iz zen thürftin
gitjeit. 1112480 spräh er tho zen sinen. IV 7 91 in then öliberg zen ndhton.
IV225 Sprdh er tho zen liutin. IV23i Pildtus giang zen h'utin. V436 sprah
tho sar zen ivlbon. V 5 1 tho zen jüngoron sar. V 8 17 Tlier zen höubiton sdz.
19 Tiien man zen fuazon gisdh. V I272 mit thiu zen gotes minnon. H79 tho er
zen alten ddgon quam. An zweiter stelle der Senkung: V 10 2 thdra zen iro selidon.
zes.
II 1445 Theih zes püzzes diufi. P Theih zi thes.
zer — zeru.
IV 5 35 thih zer heimivisti. III15i8 thaz er zeru flru quami.
zeni — zenio.
11969 thaz loas zem öpphere gimah. V zem (aus zi). 1111455 tho zemo
dbande. IV 2 7 Tho zemo dbande sdr. 196 tho zemo dntdagen sdr. VII5 Ni
zemo dntdagen min. V2567 Liiagent io zemo drgen.
II. Alle hss. zeigen die orthog-raph i sehen normal formen
nebeneinander.
zi theru.
IV 439 so iz thö zi theru reisu biquam.
zi themo.
II 5 11 mit thiu zi Ihemo dndremo man. IV 11 11 tho zi themo abande.
202 KAI'I'E
Die Statistik lehrt ein doppeltes. Otfrid braucht die kontrahierten
und unkontrahierten formen nach versteehnisehen i;esichtspunkten, die
sieh in festen rei>eln ausdrücken. Innerhalb des bereiches der kon-
trahierten formen erscheinen die nicht kontrahierten formen als schreib-
formen. Kontraktionen geht die präposition zl mit folgenden formen
ein : then thes tlicru thcro themo.
Trägt das pronomen einen Raupt- oder nebeniktus oder tritt die
präposition allein in den auftakt oder in die Senkung, so hat keine
kontraktion statt. 46mal findet sich im auftakt, 22mal in der Senkung
die vollform der praeposition.
Steht die präposition dagegen an zweiter stelle des auftakts und
der Senkung vor dem betonten pronomen, so lässt der Vortrag stets
kontraktion eintreten. Es lassen sich allerdings nur 2 belege für den
dat. zemo beibringen; diese beiden verse genügen jedoch, in den übrigen
12 halbversen die vollformen zl fliemo als schreibformen zu erweisen.
Danach wird man auch für 115 26, III220, 14 100, IV 9 34 die kontra-
hierte form zeru an stelle der vollform zi tlieru postulieren müssen.
Nach analogie der Senkung wird man den auftakt behandeln: III 253
joh zl themo selben th'inge.
Wenn das pronomen mit in den auftakt oder in die Senkung
tritt, kennt der Vortrag nur die unbetonten kontrahierten formen. Die
belege sind sehr zahlreich. Im folgenden abschnitt wird dargetan,
dass im auftakt und in der Senkung nicht die vollformen thera titcru
thero sondern die unbetonte kurzform ther geltung hat. Der Vortrag
erreicht durch die kontraktion also regelmässigen Wechsel von hebung
und Senkung. Es stehen sich gegenüber:
im auftakt
13 zen 7 zi then
1 zes 4 zi thes
1 zir 2 zer 8 zi theni
2 zi thero
3 zemo 9 zi themo
in der Senkung
22 zen —
1 zes —
1 zer 1 zevu 1 zi theni
1 zem 5 zemo 2 zi themo.
Diese kontraktionserscheinung regelt sich also nach genau den-
selben gesetzen, die sich für die synalöphe ergaben.
I
HIATUS UND SYNALÖl'HK BEI OTFRIÜ 203
Die karolingische Orthographie verlangte die unkontrahierten voll-
formen. Die kontrahierten formen gehören der archaischen Schreib-
weise an. Zuweilen stehen sich in den Varianten sprechform und
schreibform gegenüber; zuweilen hat der korrekter in V die sprech-
form in die schreibform umgesetzt - doch ohne konsequenz; die
sprechformen nehmen noch einen breiten räum ein.
2. Dat. sg. fem. theru; gen. sg. fem. thera; gen. plur. thero.
Dat. sg. fem. theru.
A. Unter dem liaiipt- oder nebeniktus vor konsonantisch anlautender silbe.
I. Vor konsonantisch anlautender h e b u n g.
1. In mindestens einer hs. findet sich die kurzform ther.
Das prouomen trägt einen nebeniktus in einer präpositionalen wendung, die
durch eine zweisilbige präposition eingeleitet ist : 1 22 44 mir üntar theru henti.
P ther. rV 1544 quad, after tlieru thidü. P theru.
2. Alle hss. zeigen die zweisilbige form.
a) Unter dem nebeniktus in einer präpositionalen wendung, die durch
eine zweisilbige präposition eingeleitet ist.
1239 Sar thuzar thiru menigi. 11 11 32 ingegin thera ddti. 11216 innan
theru hriisti. V 21 is inti innan theru hn'isti.
b) In zahllosen Wendungen, die durch eine einsilbige präposition ein-
geleitet sind, ti'ägt das pronomen einen haupt- oder nebeniktus. Es
hat nur die zweisilbige form in allen hss. statt.
Z. b. 111 26 zi thiru uteti füart er. 111140 sar in theru noti. 11526 joh
sprüh ouh zi thera müater. V52i Er stuant fon theru steti früa. 1232; 111225
2I20; in44o 848 9i9 1026 45 1496 2084 23i7; I23i II34; IIII2 14ioo; HI 20 58 -e
2642 52; IV148 3l5 458 757 934 1067 1822 1559 242 285 2944 36 18 ; VIO2O 36
11 18 1727 21 18 2368 2559.
IL Vor konsonantisch anlautender Senkung.
2 belege der vollform unter dem nebeniktus: 1146 er si zi theru giburti.
Eni 37 mit theru si iz mithont fillit.
B. Unter dem liauptiktus vor vokalisch anlautender Senkung.
Das pronomen hat demonstrative funktion.
1. Der sonant der senkungssilbe ist elidiert.
U37 thanne in tMru ist, thiu, nan här. P ist.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
V857 i'oii theru intfdiient (theist ouh ivib).
204 KAi^rE
C. Im auftakl vor konsoiiautisch anlautender silbe.
I. Das pro 110 111 eil steht allein oder mit der praep. zl im
auftakt.
1 . Die k 11 r z f o r m e r s c li e i n t i ii mindestens eine r h s.
12251 ther thineru gisi'mti. I26io zir lieüeguu undii.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
1247 theni thinera giscefti. 1476 theru sp7-dhq er bilemit ivas. 194 theru
drühtines gifti. 19 30 10 s 2229 274; III 7 832 449; IHllu 20 172 22 30; V2677.
zi theru.
I12i9 Zi theru hi'irgi faret hlnana. 111 2 223i 235i; EESn 98 13i4; IV 272.
IL 'ni theru vor konsonantisch anlautender hebung-.
II 50 in theru sibuntun girestes. 12 15 17 70; II Is; 111202; VlGso.
D. Im auftakt vor Tokalisch anlautender hebung.
1. Die kurzform erscheint in mindestens einer hs.
11162 ze thero öberostun noti. V {the und 0 zukorrigiert). P zi theru.
F ze theru. I62 zi ther iru mäginnu. V zetheriru (the vom korr. übergeschr.).
F ze thero. P zi ther iru.
2. Alle hss. zeigen die voll form.
12246 tJiera cinigun muater. 12350 theru luwcru gilati.
E. In der Senkung vor konsonantisch anlautender hebung.
I. Das pronoinen allein in der Senkung.
1. Die kurzform ther erscheint in mindestens einer hs.
rV635 thih zer heimwisti. 19 14 thdz man in ther ndmiti. I20i8 nem iz
foti ther brusii. II 5 21 i^r sih ouh fori ther höhi. III 12 36 ir stentit in ther fösti.
1112063 Thanne 6uh fon ther menigi. IV 828 was er ouh in ther fdri. 17 n gisciad
foii ther güati. F theru. 122 11 er tvdri mit ther mitater. F thera. 12333 I'''uar
er mit ther brddigu. F theru. II 446 thoh iv6lt er in ther fdri. F thera. 111442
süntar fon ther menigi. F titer u. 111822 wdrun in ther nöti. F deru. 1111041
irkdnt er in ther brüstt. F theru. III 20 104 ther wönet in ther giiati. F dero.
IV 755 ther Mime ist in ther festi. F dera. IV 16 31 Tho wdnt er, in ther nöti.
F dera. IV 18 22 quad, er nan in ther gdhi. F deru. IV 1928 ihaz sie nan in
ther fdru. F deru. I64 joh spilota in theru mdater. F theru. P theru (quer-
strich des r rad. und u angeschrieben). 121 10 sdman mit ther mdater. P thera
(a zugeschr.). III 11 22 ni firliaz ouh in ther noti. P thera. F theru. III 14 40 tho
mit hont in theru fristi. P theru.
2. Alle hss. zeigen die vollforni.
114 19 Siu füarun fon theru bürg uz. 120 13 thdr iz in theru wdgun lag.
11025 Thaz ir theru selbun ferti. II 756 ni hdbet in theru brusti. II 8 4 thetno
Wirte joh theru briUi. II 11 4 so füar er fon theru bürg uz. 64 thie in wdrun
in theru brusti. II 1493 fon theru bürg alle. III 56 then Ifdin joh thera sSla.
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRIU 205
ni8i4 tliaz u-etar in theru ferti. V theru (acc. rad.)- III 14i2 ther lit'dfi im in
theru nöti. 51 Mäht lesan in theru redinu. lUlSis thas er zerti firu quami.
HE 19 18 thdr thera selbun menigi. III 22 1 Gisiüantun in thera nähi. IV 2223 Sie
ndmun in thera dciti. 1112262 gilöubet thoh thera dciti. rV439 so iz thö zi theru
reisu hiquam. 17 26 19 sie scrigtin fon thera bdru. IV 283 thie in ihent ddtiwari.
V741 Thas ih thoh in thera döti. ¥ deru. V9io giang üuh in thera ferti. P ouh.
VI 44 then rüarta mit theru lichi. V1245 instüantin in thera Uchi. 94 tvi er zdlta
in fon theru minnu, V2O27 fon theru fdlawisgu. V 23 144 ist mera imo in thera
brüsti. H 32 joh fon theru sübun farii. V fön fdru (akzente rad.). H i44 fon
theru minnu managaz er.
IL Das pronomen an zweiter stelle der Senkung-.
1. Alle hss. zeigen die kurz form iher.
IV462io/t lizar ther biirg thringit.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
Die vorhergehende hebung hat kurze Wurzelsilbe: II 820 thaz htmil theru
wörohi ougit. III 614 fora theru wihun ziti. IV 18 9 Tho sprüh er fora theru
menigi.
F. In der Senkung vor vokalisch anlautender hebung.
I. Das pronomen allein in der Senkung.
1. In mindestens einer hs. findet sich die kurzform ther.
ni3i9 Ther fon ther erdu hinana ist. 1456 int uns ist iz in ther elti.
1 9 12 then fdter in ther elti. I 23 es thir sdgen ih fon ther dkas. F tliero.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
1112321 Thaz in thera ümmahti. P in. VI613 Tiiaz in thera üngiivurti.
V 25 101 Si giiallichi thera ensti.
II. Das pronomen au zweiter stelle der Senkung.
III8i8/«5/o oba t/itr i'mdu.
Gen. sg. fem. thera; gen. plur. thero.
A. Im auftakt Tor konsonantisch anlautender silbe.
I. Das pronomen allein im auftakt.
Der gen. sg. fem. thera erscheint nur in der vollform.
L84 thera selbun küninginna. I812 thera fr eisun ouh irlosta. 1226 82? 28
483 816 176 2O14; II 649 936 IO2I 1240 Us; HI 6l9 7 61 72 IO4O 1355 1770 ; IV 521 22
1350 2945; V645 820 1251 1029 23248; H 128.
Der gen. plur. thero erscheint Imal in der kurzform.
III 26 8 thera selbun götes dato. P ther. F Dera.
Sonst stets in allen hss. in der vollform.
IJI206i zi thero füristono ringe. IV 1922 ^i thero btscofo thinge. IIS 22 thero
ivdrono wortn. 128 thero stnero ivorto. 1459 70 II22 154 173o 19ii 2238; 11726
94 12 93 II37 1473 I639 2I16; ni4i7 655 750 1038 12i8 1443 100 15i6 20i62 23 1 ;
206 KAIM'E
IVllO 35 124 U 22 15l4 52 194 2321 27 1 31 1 g; V6i2 748 1262 1420 1537 22 15
23ii 2B35; H 106 111 113 119; Ho.
IL Der gen. plur. thero au zweiter stelle des auftakts.
1. In mindestens einer hs. findet sich die kurzform ther.
V 1729 julc ther ivdgano yistelli. F dero.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
II 10 9 in thero biiahstabo sUhtü III 7 75 in thero hüahstaho herti.
B. Im auftakt vor vokalisch anlautender hebunj?.
1. Die pronomina allein im auftakt.
1. lu mindestens einer hs. findet sich die kurzform ther.
a) Gen. sg'. fem.
12349 thera iuivera sldhta. P ther. F therro. IV 33 3 thera drmaUchun
ddti. P ther. F Dera. V 12 88 thera ira frdmhari. F Der.
b) Gen. plur.
12750 thero ündono ni irsihu. V thero (0 hiuzukorrigiert). P ther. F thera.
2. Alle hss. zeigen die vollformen.
a) Gen. sg. fem.
111844 t/iera nngilouha hdrto. III 23 30 thera ererun ddti. IV 16 24 thera
drmilichun fdra. V934 12 50.
b) Gen. plur.
II 100 t/iero eigmi si 10 glmiagi. II des thero engilo stiura. IV 5 12 thero
ümmezlicha hürdin. IV 34 20; V47 28293 25 7 97; H 71; -HI 22 20.
IL Der gen. plur. thero an zweiter stelle des auftakts.
12746 in thero dmbaht is gigange. P in thero. F in tJienc.
C. In der Senkung- vor konsonantisch anlautender hebun^.
I. Die pronomina allein in der Senkung.
1. In mindestens einer hs. findet sich die kurzform ther.
a) Gen. sg. fem.
117 21 thoh tvir thera bürgt irron. F P thera.
b) Gen. plur.
II 1289 W(^rko joh thero dato. V thero (0 zukorrigiert). P ther. F thero.
H 1 Oba ih thtro büacho giiaii. V thero (o zugeschrieben).
2. Alle hss. zeigen die vollformen.
a) Gen. sg. fem.
118 45 So thti thera heimtoisii. II 1165 ni was imo thurft thera frdga.
II 1234 bitharf thera r^inida meist. II 1467 Thoh quimit noh thera siti frtst.
HIATUS UND SYXALÖPHE BEI OTFRID 207
III 16 14 er thera lera wdiit. III 1930 hri'stit uns tliera ddti. IIl20io6 qiiädan, siJi
tJiera ddti. r\^420 so er thera reisa higunni. IVSi Gisiüant thera z/ti guati.
IV 25 12 irlösta nnsih thera htirdin.
b) Gen. plur.
13 17 Thaz ivas David, thero gomono ein. 1459 Ih bin ein thero sibino.
llSi ni girinnit mih tliero worto. II 9 19 S'ehsu sint thero fdszo. II 11 01 in thero
lluto fara. 11122 fdristo thero li'uto. ii ther güato man thero wärt 0. U IS 3 thehein
thero förasagono. P theheinan. II22i6 so ein thero blüomono thar. III 6 55 thero
fisgo joh thero leibo. III 7 12 io so spör thero ftiazo. III 20 10 is werk thero för-
dorono. 4,2 jo7i frag etun thero dato. 119 eiscoiun thero dato. 1112307 Qua d Thomas,
ein thero knehto. IV 5 2 joh in tliero Uuto sänge. 8 ni miduh mih thero wörto.
r\'b25 Nihein, quad, thoh thero vidnno. IV 7 9 Göumet, quad er, thero dato.
r\'19i3 ein thero männo simo sah. n joh rdfsta inan thero wörto. IV 24 13 heri-
scaf thero Uuto. IV 26 5 Thiu uih thero Idntliuto. IV 8827 Ein thero knehto thiz
gisdh. P Ein. V825 Gihögat er ouh thero fiiazo. V14i9 ther rim thero fisgo
meinit. H109 dhta tho thero dri'do.
IL Die pronomina an zweiter stelle der Senkung.
Es begegnen nur die vollformen.
a) Gen. sg. fem.
II 722 sie nuzzun thera heinnoist-i.
b) Gen. plur.
III 1938 firdregist thero manno frdvili. Hsg thas deta thero werko githig.
III 20 33 Quadun sume thero knehto. 11 18 3 in P gegen V: thehein thero förasagono.
P theheinan:
D. lu der senkuugr vor vokalisch anlautender Iiebuug.
Es finden sich nur belege für den gen. plur. als einzige
Senkungssilbe.
1. In mindestens einer hs. findet sich die kurzform ther.
V 23 179 io thero engilo sank. P thero.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
III 20 24 in thero öugono stat. IV 15 15 er ein thero einlifo ivas. P ein.
III 6 üö Joh ward thero dleibo.
Es empfiehlt sich, die 3 formen fherrt thern thero zusammen zu
behandeln, da sie im 9. Jahrhundert schon nicht mehr deutlich aus-
einander gehalten werden. Neben der orthographischen normalform
des dat. thern begegnet zuweilen eine form thero. Die mehrzahl der
belege (12) gehört der hs. F an (vgl. Kelle II, 357 oben). Einmal er-
scheint diese form auch in D : 1 23 1 nuäm zi theiii stiHlu, D tJtero.
Auch V scheint sie zu kennen, und zwar ist sie von der band des
208 KAI'l'K
korrektors nachträglich in den text gesetzt: Illea ze thero oberostim
iioti V (tl/e und o zukorrigiert), P zi tlwrii, F ze theru. Man wird
in diesen formen ein kriterium dafür sehen, dass der auslautende
vokal schon auf dem wege der reduktion begriffen ist. Wenn hier
die form des gen. plur. eingedrungen wäre, müsste sie auch im gen.
sg. fem. wiederholt vorkommen. Es lassen sich jedoch nur 2 belege
beibringen: IV 2639 thera ivmeg]ieiti,Y thero. \ ^ ^2 furista thera güati ,
V thera {a aus u), P thero. Für den dat. erscheint ferner ungemein
häufig die form thera unter allen akzentbedingungen in allen hs. (vgl.
Kelle II, 356). Wiederholt stehen sich theru und thera in den Varianten
gegenüber. Umgekehrt findet sich für den gen. sg. fem. die form theru
(Kelle II, 356) I 3 22 auch die form thero : I 3 22 furista thera güati,
V thera {a aus 11)., P thero.
Die ««-formen im gen. sg. fem. könnten allenfalls ihre erklärung
darin finden, dass das kursive oifene a der vorläge in u verschrieben
sei. Der bunte Wechsel im dat. sg. fem. bliebe jedoch unaufgeklärt.
Derselbe formenreichtum stellt sich endlich auch für den gen. plur.
ein; es lassen sich die formen tJiero thera theru there aufzeigen (vgl.
Kelle II, 353 n) 358 6- Braune^ nimmt, wie für die analogen formen
des adjektivs und des anaphorischen pronomens, formenausgleich
zwischen dem gen. thera und dem dat. theru thero an : danach sei
die dativform schon früh in den genetiv gedrungen, der gen. nur
selten in den dativ. Aber gerade die form thera begegnet überaus
häufig im dativ; ausserdem treten auch für den gen. plur. alle formen
hervor. Wir stehen hier vor demselben formenkreis wie bei den ent-
sprechenden formen des adjektivs und des anaphorischen pronomens.
Man wird den tatbestand der hss. auch hier nur durch die annähme
begreifen, dass der endvokal dieser 3 formen in der Umgangssprache
des 9. Jahrhunderts schon auf die stufe des irrationalen vokals redu-
ziert war. IV 5 57 scheint in der jüngsten Otfridhs. F schon die rein
mhd. form dere für den gen. plur. aufzutauchen. Sogar die betonte
einsilbige mhd. form tlter lässt sich in erster spur schon in der Um-
gangssprache des 9. Jahrhunderts aufzeigen. Der dativ sg. fem. ist
2mal in der betonten kurzform vor konsonantisch anlautender hebung
belegt: l22uiMr nntar theru henti, V ther. V^ Xh^^^ quad, after theru
thidti, P theni. Beide verse zeigen das pronomen in einer präpo-
sitionalen wenduug, die durch eine betonte zweisilbige präposition
eingeleitet ist. Der artikel ordnet sich als nebenhebung der ersten
1) Alid. gr.2 § 287 aum. 1 d.
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 209
dipodie der präposition unter. Mit dem Substantiv beginnt ein neuer
Sprechtakt. Der endvokal des artikels fällt also an die schwächste
akzentstelle. Und eben unter diesen akzentbedingungen wird sich im
9. Jahrhundert die betonte kurzform ther entwickelt haben. Wird die
präpositionale wendung durch eine einsilbige präposition eingeleitet,
so erhält je nach dem bau des verses entweder die praep. oder das
pron. den akzent. Trägt das pronomen den akzent, so zeigen die
verse stets eine ganz andere rhythmische gliederung, als wir in jenen
beiden halbversen vorfanden. Vgl. z. b. 1 1 yi Joh fand in theru redinu.
Die satzrhythmische pause liegt hinter dem verbum ; das pronomen
schliesst sich mit dem Substantiv zu einem Sprechtakt zusammen. Hier
erhält das pronomen einen stärkeren nebenakzent als hinter der hoch-
betonten zweisilbigen präposition am ausgang des Sprechtakts. Ganz
ähnlich liegen die rhythmischen Verhältnisse z. b. III26 ^i theru sf(;ti
fuart er. Die pause liegt hinter dem Substantiv. Unter diesen um-
ständen behauptet sich der auslautende vokal des pronomens. Die
hs8. zeigen ohne ausnähme die vollform. Die kurzform haben wir für
den Vortrag nur dann einzusetzen, wenn das pronomen unter dem
abgeschwächten nebenakzent in einer durch eine zweisilbige präposition
eingeleiteten präpositionalen wendung erscheint. Diese bedingungen
sind nur in 4 versen erfüllt: 12 39 Sar thuzar theru menigi. II 11 32
ingegin thera ddti. II216 /iinan theru hrnsti. V 21 ig intl hinan theru
hri'isti. Diese betonte kurzform ist jedoch nur im dat. und nicht für
die g-enetivformen belegt. Der genetiv des pronomens bildet mit dem
folgenden Substantiv im genetiv eine geschlossene syntaktische gruppe,
die sich auch rhythmisch als ein Sprechtakt darstellt. Vgl. z.b. 13 28
miiater thera mdrun. 14lz6 fon reue thera müater. IBs Adam thero
gömono. I 27 44 m'rfhroz se thero ivorto. Die satzpause liegt hinter dem
sb. oder vb. Der syntaktische Charakter des genetivs schliesst also
die akzentverhältnisse aus, an die im 9. Jahrhundert das auftreten
der betonten einsilbigen form noch gebunden war. Der gen. sg. fem.
und der gen. plur. erscheinen daher unter dem haupt- und nebenakzent
vor konsonantisch anlautender betonter und unbetonter silbe stets in
der zweisilbigen form; die belege sind so zahlreich, dass ihre Samm-
lung unnötig erschien. Die kurzform des dativs wird aber allmählich
ihren geltungsbereich erweitert haben. Mit der fortschreitenden ab-
schwächung der endvokale bildeten sich auch im gen. analoge kurz-
formen. Schliesslich mag auch die analogie der vor vokalisch an-
lautender unbetonter silbe hervortretenden kurzform ther fördernd
eingewirkt haben. In den Otfridhss. ist nur der dat. 2mal vor vokalisch
ZEITSCHRIFT E. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLH. 14
210 KAPPE
anlautender Senkung belegt: II 3 7 th(i)ine in theni ist, thiu nein bar,
P ist. Der endvokal des betonten pronomens wurde also mit erheb-
lichem nachdruck artikuliert ; die verbalform lehnt sich hier enklitisch
an das kräftig demonstrative betonte pronomen an und verliert daher
ihren sonanten. Wahrscheinlich wird man auch V857 Fon theru inf-
fdhent (theist ouh wib) den sonanten des präüxes hinter dem hoch-
betonten demonsti'ativum elidieren ; sichere entscheidung ist unmöglich,
da der beleg vereinzelt ist.
In unbetonter satzstellung kennt die Umgangssprache für alle
3 formen nur die kurzform ther. Sie ist besonders für den dativ in
präpositionalen Wendungen oft belegt; vor konsonantisch anlautender
hebung stehen 23 kurzformen 29 schreibformen gegenüber. An zweiter
stelle der Senkung beweist eine kurzform für 3 vollformen des dativs.
Im gen. haben die Schreiber wohl aus gründen grösserer syntaktischer
deutlichkeit nur ganz vereinzelt die kurzform durchschlüpfen lassen.
Für den gen. sg. fem. findet sich nur 1 sprechform gegen 10 schreib-
formen: 117 21 thoh wir tJierq hilrgi irron, P F thera. Für den gen.
plur. lassen sich 2 belege der sprechform beibringen: 1112^9 werko j oh
thero dato, V thero (0 zukorrigiert), P ther, F thero. H 1 scheint in V
die sprechform in die schreibform geändert zu sein: Hi Oba ih thero
büacho güati, V thero (0 zugeschrieben). Die belege genügen jedes-
falls auch für die genetivforraen die satztieftonige kurzform ther zu
sichern. An zweiter stelle der Senkung vor konsonantisch anlautender
hebung begegnen 4 schreibformen für den gen. plur., eine für den
gen. sg. fem. ; sprechformen sind in den hss. nicht belegt. Hier
sind für den Vortrag natürlich die kurzformen einzusetzen. Spär-
lich sind die kurzformen im auftakt vor konsonantisch anlautender
hebung. Es finden sich 4 kurzformen: 2mal für den dativ, Imal für
der gen. plur. in • einsilbigem auftakt, Imal für den gen. plur. an
zweiter stelle des auftakts. Die vollformen sind überaus zahlreich;
den gen. sg. fem. erscheint 30mal in der schreibform, der gen. pl. 53,
der dat. 22mal ; an zweiter stelle des auftakts steht der dat. 6mal in
der vollform, der gen. plur. 2mal. Die wenigen sprechformen, die
sich der normalisierenden Orthographie zum trotz durchgesetzt haben,
genügen zum beweis, dass auch im auftakt nur die satztieftonige kurz-
form ther statt hat.
Wenn wir an erster oder zweiter stelle des auftakts und der
Senkung vor vokalisch anlautender hebung die kurzform vorfinden,
handelt es sich also nicht um synalöphe, sondern lediglich um die
Umsetzung der orthographischen normalformen in die ablautsstufe ther,
HIATUS UND SYXALÖPHE BEI OTFRID 211
die hier allein statt hat. Vgl. die belegstelleu dat. s. 204 D 205 F,
gen. sg. fem. s. 206 B gen. plur. s. 206 B und II s. 207 D.
3. Dat. sg. ni. n. themo.
A. Unter dem haupt- oder nebeuiktus vor rokalisch anlautender senkang^.
1. In mindestens einer hs. erscheint die kurzform tliemo.
a) Unter dem nebeniktus.
Vor iz.
19 25 thia Idz ih themo, iz lisit tJiar. P themq iz.
Vor ouh.
112b Zi themo ouh thie ('warton. P themo.
b) Unter dem hauptiktus.
Vor ouh.
ni 1242 ni will ih tliemo ouh widoron. P themq.
Vor er.
VI63 Fon themo er unsih retiia. P themq.
2. Alle hss. zeigen die voll formen.
a) Unter dem nebeniktus.
Vor ist.
II 1284 thaz themo ist giioisso irdeilit.
Vor ih.
IV 1237 themo ih hiutu tids hröt.
Vor in (praep.).
II 21 44 (jizelit sint themo in drdti.
Vor ir-.
1117? fora themo irstdnttiisse. IV 8622 in themo irstdntnisse. IV 37 43 =
V 8 12/0« themo irstdntnisse.
b) Unter dem hauptiktus.
Vor ist.
III 20 i:,i j oll themo ist io gimiiati.
Vor ih.
11116 14 /on thimo ih hin gisentit.
Vor ir-,
V 21 10 ^oaz ivanist themo irgange.
Vor ouh.
VSs Weiz, themo ouh haz zdweta.
B. Im auftakt vor vokalisch anlautender hebung.
I. Das pronomen steht allein oder mit der praep. zi im
a u f t a k t.
1. Der endvokal des pronomen s ist elidiert.
II 5 15 Themo dlten det er snazi. P Themq.
14*
212 KAl'PE
2. Alle hss. zeigen die vollform.
1242 themo egislichen fälle. II 1337 Thema avur thäz, ni gidilat. IV6i8
thetno Einigen kinde. IV 7 86 themo egisen intfliahet. IV 18 21 themo er thaz 6ra
thana sliiag. IV 2651 themo ümbiderben wälde. H34; III 46; ISg; V23i88.
II. Das pronomen steht an zweiter stelle des auftakts.
1. Der endvokal des pronomens ist elidiert.
122 14 in themo dfteren gange. P themo. 1112122 fon themo alten ßnstar-
nisse. P themo alten.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
1285 in themo ürdeile helfa. Hln in themo e'winigeii miiate. II 24 41 in
themo hvinigen llbe. IV 7 27 fon themo endidagen thdre. V 20 28/0« themo irdis-
gen herde.
C. In der Senkung vor vokalisch anlautender hebung.
I. Das pronomen steht allein oder mit der praep. z i in der
s e u k u n g.
1. Der endvokal des pronomens ist elidiert.
1234 in themo einote Inne. IV 36$ mit themo alten nide. P themo 11959
thaz was zem öpphere gimah. V zem (aus zi). IV 2 7 Tho zemo ähande sdr.
P zemg.
2. Alle hss. zeigen die voll form.
n 146 in themo ägileize. II 22 14 thie in themo dkare Stent. rV468 in themo
öliberge = 76. V25 Zi thiu ouh in themo ende. V 23269 Ni wirthit in themo erbe.
II 978 noh themo einigen ni leip. rV22i ther io in themo ärgeren icas. 196 tho
zemo dntdagen sär. II 5 11 mit thiu zi themo ändremo man. III14öö tho zemo
äbande. IV 11 11 tho zi tliemo ahande. VII5 Ni zemo dntdagen min. V2567
Liiagent io zemo argen.
II. Das pronomen steht an zweiter stelle der Senkung.
114 11 Thier in themo eristen man. P Thicr.
Der dat. sg. m. n. themo erscheint unter dem haupt- oder neben-
iktus vor konsonantisch anlautender betonter oder unbetonter silbe
regelmässig in der zweisilbigen vollform. Die belege sind überaus
zahlreich. Wenn daher IV 18 24 thär In themo gärten, P them in P die
form them hervortritt, kann hier nur ein versehen vorliegen, das
111839 beseitigt wurde: in themo kdrkare thar, V themo (0 zuge-
schrieben).
Wo die kurzform zu recht besteht, haben die Schreiber sie stets
durch den elisionspunkt bezeichnet. Selbst in satztieftoniger Stellung
scheint die unbetonte vollform zu herrschen ; eine unbetonte kurzform
them scheint sich noch nicht herausgebildet zu haben. Datür spricht
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 213
zunächst ein argumentum e silentio. Dat. sg. fem., gen. sg. fem. und
der gen. plur. begegnen wiederholt in der Senkung, weil die zwei-
silbigen formen hier nur graphischen wert haben und für den Vortrag
durch die kurzform ther zu ersetzen sind. Der dat. sg. m. n. tritt nur
2mal in die Senkung: IV 7 ^i ni suorget fora themo liute. V835 so
ist themo götes drute, P ist. Für den letzten vers ist es ausserdem
noch fraglich, ob der erste akzent rhythmisch gemeint ist; mit P
könnte man auf das pronomen den ersten ictus legen. Auch im auf-
takt vor konsonantisch anlautender silbe lässt sich nur die zweisilbige
form aufzeigen (vgl. Wilmanns, s. 71 oben). Das pronomen themo geht
hier also andere wege als die formen thero, theru thero. Die betonte
und die unbetonte kurzform them tritt nur vor vokalisch anlautender
silbe heraus. Die betonte sprechform them ist 4mal vor den senkungs-
silben iz er ouh durch die Schreibung themo belegt; die akzentstufe
des pronomens bleibt wie immer irrelevant. Danach sind die schreib-
formen vor ist ih in ir- ouh einzuschätzen. Die unbetonte kurzform
ist 3mal im auftakt, 4mal in der Senkung vor vokalisch anlautender
hebung belegt. Diese sprechformen beweisen, dass an erster und
zweiter stelle des auftakts und der Senkung vor vokalisch anlautender
hebung nur die kurzform them geltung hat.
4. N. sg. fem. n. acc. pl. neutr. thin.
A. Im auftakt vor vokalisch anlautender silbe.
I. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden auftaktsilbe
(in relativer funktion).
1. In mindestens einer hs. ist synalöphe bezeichnet.
aj N. sg. fem.
V 23 141 Thiu mo dllaz Hob inselzit. P ino.
b) N. acc. pl. neutr.
Vor in (praep.).
11022 thiu in allen then stuntun. P in fehlt.
Vor er.
II 11 58 thier Mar gisprah so hdrto.
Vor uns.
II 2427 tili uns zellent alla redina.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
N. acc. pl. neutr.
Vor er.
113 in thiu er forasagon sdgctin. IUI 3 thiu er d6ta Mar in riche. V thiu
(w korrigiert aus e). III 1452 thiu er dein saman ellu.
214 KAPPK
Vor iz.
II 21 26 thiii iz allaz gdralicho.
Vor ir-,
rV 26 5 thiu irwHnotun tho liito.
II. An zweiter stelle des auftakts vor vokalisch
anlautender hebung (als artikel).
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanten
reduziert.
a) N. sg. fem. thiu.
12351 Ist thiu dkus ja giwezzit. P thiu. F thakus. III 22 thar thiu erda
ligit üfe. V thiu (tu zukorrigiert).
b) N. acc. pl. neutr.
1112091 iver thiu ougun tmo inddti. P thin. III 2489 huah thiu öugun uf
zi himile. F diu.
2. Alle hss. zeigen die vollform.
N. sg. fem.
12358 iiian thiu dkus ni siiide.
B, In der Senkung- vor vokalisch anlautender silbe.
I. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden senkungs-
silbe (in relativer funktion).
a) N. sg. fem.
Vollform vor der praep. in: 112 12 joh dl giticaft, thiu in wörolli.
b) N. acc. pl. neutr.
Der sonant der senkungssilbe ih ist elidiert: 11122 17 Thiu werk, thiu ih
mfrka innan thes. P / übergeschriebeu. F diu ih.
IL An zweiter stelle der Senkung vor v 0 k a 1 i s c h
anlautender h e b u n g.
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanten
reduziert.
a) N. sg. fem.
Art. 12228 hebig loas in thiu IIa. F thiu. Art. IV 293 Bizeinot thiu ira
redina. P thiu.
b) N. acc. pl. neutr.
Rel. V 20 lu in tv/zi, thiu in ni libent. P thiu. Ebenso wird zu inter-
pretieren sein: Art. IV 2232 so hli'iun sie ivio thiu örun. P sie. P thii}.
2. Alle hss. zeigen die voll form (als art.).
a) N. sg. fem.
III 7 58 tvanta thiu iro guati. IV 220 irfuUa thin ira giiati. D ira. IV 9 31
Nu ist uns thiu iro gomaheit. P ist uns. IV 136 ni Mißt iuih thiu ila.
HIATl'S UND SVNALÜPHE BEI OTFltlD 215
b) N. acc. pl. ueiitr.
III 21 4 tliaz horo in thiu öugun giklan.
Die form thiu des n. sg. fem. und n. acc. pl. iieiitr. zeigt in ahd.
zeit keinerlei reduktionsstufen neben sich. In der gestalt thiu er-
scheint das pronomen in neutraler Umgebung unter dem akzent wie
in unbetonter satzstellung ; in derselben gestalt geht das pronomen
in die mhd. zeit über. Es erübrigt nur eine betrachtung der synalöphe-
erscheinungen. Die belege beider pronomina können sich wechsel-
seitig erhellen. Trifft das pronomen in auftakt oder Senkung mit
einer zweiten vokalisch anlautenden unbetonten silbe zusammen, so
entscheidet das phonetische gewicht der beiden formen über den
Charakter der synalöphe. Die pronomina imo und ih und die präpo-
sition in verlieren ihren sonanten, während vor auftaktsilben von be-
deutendem phonetischen gewicht die form thiu auf die ablautsstufe
thi herabgesetzt wird •, der konsonantische faktor des diphthongen geht
unter in der artikulation des folgenden sonanten. Das pronomen hat
in allen belegen einen erheblichen nachdruck, da es in relativer funk-
tion einen nebensatz einleitet. Die sprechformen ermöglichen eine
beurteilung aller halbverse, in denen die vollformen nebeneinander
stehen. Mit dem pronomen er resultiert das kontraktionsprodukt thier;
die formen iz ir- in (praep.) werden auf die Schwundstufe reduziert.
An zweiter stelle des auftakts und der Senkung vor vokalisch an-
lautender hebung erscheint fast ausschliesslich der proklitische artikel,
der in der mehrzahl der belege auf den anlautenden konsonanten
reduziert ist. Im auftakt stehen 4 Schwundstufen des artikels einer
schreibform gegenüber. In der Senkung ist I 22 28, IV 29 3 die Schwund-
stufe des artikels, V 20 lu die des relativpronomens in den hss. be-
zeichnet. Danach sind die 5 vollformen des artikels und der nicht
ohne weiteres eindeutige beleg IV 22 32 einzuschätzen: so hli'mn sie imo
thiu (Wun, P sie, V tltiu.
5. Acc. sg. fem. ihia.
A. Im auftakt vor Tokaliscli aulautender silbe.
I. Vor einer zweiten v 0 k a 1 i s c h anlautende n a u f t a k t s i 1 b e.
1. Die beiden silben sind verschmolzen.
V 12 92 thia er Uria tvörolt alla. P Thiacr. V thiaer (e zukorr., später rad.).
P thi
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander,
V 1033 ihia ih zdlta thir Mar öbana.
216 KAPPE
II. A 11 zweiter stelle des a u f t a k t s vor v o k a 1 i s c h
anlautender h e b im g.
13 11 Ther thia drca sinen klndon. F tharca. P thq.
B. In der Senkung'.
I. Vor konsonantisch anlautender liebung.
1. In mindestens einer lis. findet sich die ablautsstufe tlia.
V1292 hl thia selbim minna. P thia.
2. Alle hss. zeigen die vollforra thia.
Sa ther io thia sdlida thar fand. L46 Eigun ivir thia giiati. 124 in thia
zi'cngun viina. I69 giang er in thia pdlinza. I618 814 927 1225 1752 I842 192 12
2O36 229 60 283 9; 11617 922 II48 12 14 63 13io i486 108 USW. All zweitcr stelle
der Senkung nur II 9 48 ufin thia wUavina.
II. An zweiter stelle der Senkung vor vokalisch
anlautender hebung (als art.).
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanten
reduziert.
111208 in V gegen P: zdlta in thia lingimacha. P salta in thia.
2. Alle hss. zeigen die voll form.
1 25 26 thuruh thia ira guati. IV 7 51 so er erist thia drcha ingigiang.
VI626 giwHhti thia iro he'rti. V 172i Firliaz er thia erda ouh thuruh thdz.
ni320 in silmen thuruh thia era. VIO5 'Ni düa thir', quaditn, Hhia drabeit'.
III1729 thaz er thia dltun lera.
Die orthographische normalform des acc. sg. fem. ist thia. Allen
Schreibern ist jedoch auch die forai tliie geläufig.
V P thia. F thie.
12743 Jsli firndmun sie thia lera. F thie. 1113 12 thia ünsera ditmpheit.
F thie. V2O58 thia winistrun ni biwenkent. F die. V 1223 mit thiu thia ivörolt
froiven. F thie.
y F thia. P thie.
n I89 Wtzut ir thia redina. P thie.
P F thia. V thie.
II 1263 thas er thia ndtarun irhiang. Y thie. 12322 thia heristraza insh'ere.
V thiei Vllio thia selbun krdft sina. V thie. V1726 Thia si'mnun joh then
mdnon. V thie.
F thia. V P thie.
II 46 in frdnkisgon thie regula. F thia. 122? thie fira gientotun. F thia.
Y2572 sie Ihoh, bi thie meina. F dia.
In den letzten 3 versen könnte die form thia als bayrische dia-
lektform für den n. pl. m. thie gefasst werden, der im 9. Jahrhundert
HIATUS UND SYNALÖI'HE BEI OTFRID 217
den u. pl. fem. sclioii stark bedrängt. 123 02 1118 9 I 27 43 könnte der
plural von den Schreibern beabsichtigt sein. Nur III 3 12 V2O58 I223
1112 63 Vllio V17 25 kann man die form fMe mit Sicherheit als ab-
geschwächte form des acc. sg. fem. in anspruch nehmen. In der zweiten
hälfte des 9. Jahrhunderts hatte der diphthong ia wohl schon die
stufe ie erreicht ; die form ihie ist auch sonst im 9. Jahrhundert schon
bezeugt, wie Braune, Ahd. gr.", § 287, anra. Ic angibt. Ein phonetisches
kriterium der abschwächung bietet meines erachtens vers V 12 92 thia
er lerta wörolt alla, F Thiaer, V thiaer {e zukorrigiert, später radiert),
P tJu'er. Unter der meines erachtens notwendigen Voraussetzung, dass
die beiden darstellungsformen th/'ar und thier gleichwertig sind, wird
man die form thia phonetisch als [thie] interpretieren. Mau wird kaum
fehlgehen - obwohl sich zuverlässiges nicht ausmachen lässt -, wenn
man VISsb den sonanten des prouomens ih elidiert: VI533 thia ih
zälta tliir Mar öbana. An zweiter stelle des auftakts und der Senkung
vor vokalisch anlautender hebung wird das pronomen auf die Schwund-
stufe herabgesetzt. Es findet sich je 1 beleg im auftakt und in der
Senkung, denen 7 schreibformen gegenüberstehen. Sie sind mit Sicher-
heit auf die Schwundstufe herabzusetzen. Läuft doch das pronomen
in neutraler Umgebung in unbetonter satzstellung in der reduktions-
stufe tha um (s. u.). Ausserdem können die analogen zahlreichen
belege für den n. sg. fem. n. acc. pl. neutr. thiu, n. a. pl. m. thie, n. a.
pl. m. sie zum beweisenden vergleich herangezogen werden.
Wir haben schon wiederholt die beobachtung gemacht, dass dem
auftakt eine etwas grössere artikulationsenergie zukommt als der
Senkung. Im auftakt vor konsonantisch anlautender silbe erscheint
ohne ausnähme die vollform thia. Dagegen scheint in der Senkung
vor konsonantisch anlautender silbe die reduktionsstufe tha heraus-
zuspringen: VI292 b't thia sellmn m'inna, P thia. Für die Senkung
lässt sich allerdings nur dieser eine beleg beibringen. Sonst ist diese
ablautsstufe noch I3ii an zweiter stelle des auftakts in P bezeugt:
Ther thia circa sinen k'mdon, F tharca, P tha. An der existenz
dieser ablautsform ist also nicht zu zweifeln. Sie stellt ein analogon
dar zur ablautsstufe sa des acc. sg. fem. sia; sie ist in der proklise
ebenso durch akzentversetzung und ausfall des konsonantischen / ent-
standen wie die ablautsstufen sa und se des anaphorischen pronomens.
Wir werden also für den Vortrag des gedichts in der Senkung vor
konsonantisch anlautender silbe stets diese form tha ansetzen, obwohl
die Schreiber in zahlreichen versen stets die vollform in den text ge-
setzt haben.
218 KAT'l'R
6. N. acc. pl. m. tliie, n. a. pl. f. tliio.
A. Im aut'tiikt.
I. Vor konsonantisch anlautender liebung.
Das femininum erseheint stets in der vollforni. Auch für das
niasc. findet sich in der regel die form thie.
Ausnahmen.
114 18 thia ddga, thie tvir na ndgetun. F Ihe. 12327 'Thie icega rihtet alle.
V Th/e. P Thie.
IL Vor einer zweiten v okalisch anlautenden auftaktsilhe
(in relativer funktion).
1. Eine Verschmelzung der beiden auftaktsilben ist in
mindestens einer hs. bezeichnet.
Es finden sich nur belege für die maskulinform.
Vor der praep. in.
1460 thie in sinenc yisihti. P in.
Vor ir-.
117 9 thie irkantun sünnun fort. P irkdntun. F thierkantun. VI614 thi
erstdntan nan gisdhun. F Dicrstantinan.
Vor er.
1461 Thi er Jiera in loorolt sentit. III 8 49 thier fön then freison retita.
V2O17 thi er zöh Mar selbo in Übe.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander,
a) N. pl, masc.
Vor in (praep.).
111620 thie in herzen ni eigun niheinas ivlg. 11198 thie in thnoizzin icarun.
V82 thie in kristes grabe sazun.
Vor ih.
III 1473 Thie ih al irzellen ni mag. P Theih.
Vor uns.
V8i3 thie uns scribent kristes redina. 14 thie uns scrlbent sino ddti.
b) N. acc. pl. fem.
Vor in (dat. plur.).
II 11 64 thie in ivdrun in theru brüst i. P in.
III. An zweiter oder dritter stelle des auftakts vor voka-
lisch anlautender hebung.
Es handelt sich stets um den proklitischen artikel.
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanten
r e d u z i e r t.
Es finden sich nur belege für die maskulinform : 1 13 u thaz thie e'ngila in
iröugtun. V thie punkte unten radiert, oben stehen geblieben. P thie. 23 so thie
^iigila in gizdJtun. P thie. III 26 2 so thie (hrarion qudtun. P thie (ie zugeschr.)
HIATUS UNI) SYNALÖPHE BEI OTFRID 219
2. V zeigt im masc. die form the.
IV 64 joh thie dsti, thie se setitun. V joh the.
3. Alle hss. zeigen die voll form.
a) N. acc. pl. m.
1116 17 joh thie ärmu wihti smerze. IV li Nu thie eioarton hi nöti.
IV 16 13 Joh thie ewarion rehto. V8i waz thie engila bizeinen. F thia. H 23 joh
tliie andere gikerit.
b) N. acc. pl. fem.
V45 joh thie egislichun däti. V2O95 joh thie iihili in ßrwlzit. P tliio.
Hi62 jo thio ewinigun zi'ari. Au dritter stelle des auftakts: 128 14 thurult thio
('winigon ivunni,
B. An zweiter stelle der Senkung vor vokalisch anlautender hebung.
1. Das pronomen ist auf den anlautenden konsonanten
reduziert (als art.)
a) N. acc. pl. m.
I IO2 spräh er, thaz uns thie dltim. P thie. F thie. 112 15 In Be'ihlem —
thiiie küninga.
b) N. acc. pl. fem.
12224 joh riiarluii thio iru hrnsti. P thio iro. F thiru. II 21 44 allo thio
tindati. P thio. F thundati. 12346 bisct'rmen tJiiwo ddti. III 10 5 ki'imta thio iro
thürfti. P thio iro. V 23 124 sint dllo thio iro giiati. P thio. II 144 ni lazent
thie draheit es fr Ist. P thie araheiti. Ebenso ist 111434 zu interpretieren: III 4 34
tho drühtin thio t'mganzi ndm. F thio.
2. Alle hss. zeigen die vollform,
a) Als artikel.
a) N. acc. pl. masc.
II 9 83 Hdftetun thie ärmon.
(i) N. acc. pl. fem.
S9 Mir lodrun thio itvo wizzi. II 1446 himidi thio drabdti. 11162 in tldu
ir thie dnnuati. II 21 20 ni firlidsest thie draheiti. IV 2 28 odo inan thie drmuati.
IV 6 27 so miinit thio iro frdvili. V634 irweichent thio iro bnisti. IV 16 56 daiun
thio iro henli. IV 269 thuruh thio dngusti = Y 10 30. IV 1976 thuruh thio t'cnsero
ubili. V I84 in P gegen V: ziu sint thie iuo tvizzi. P ziu sint. F thio. V 23
Otih Zellen thio draheiti. V7i7 Sie sprdchun tluo ünthuUi. V2552 thurah thio
iro giiati.
b) In relativer funktion.
rV255 Thio snnta, thio unsih stechent.
In vielen versen haben wir die maskulinform die funktion des
femininums erfüllen sehen. Wiederholt standen sich die formen thie
thio in den Varianten gegenüber. Dieser ausgleich kann durch system-
zwang veranlasst sein. Vieles spricht jedoch dafür, dass die beiden
220 KAIM'E
formen im 9. jalirlmndert auch schon phonetisch identisch waren.
Einmal schon der Wechsel beider formen in den Varianten desselben
halbverses ; danach werden die formen für die Schreiber nur graphisch
diflferenziert gewesen sein. Für beide formen lässt sich mehrfach die
Schreibung tliia beibringen, vgl. Kelle II 352, 7 und 354, 11, 358 und
359. Wir haben ferner gesehen, dass beide formen in einsilbigem
auftakt und in einsilbiger Senkung vor vokalisch anlautender hebung
die gleichen synalöpheerscheinungen zeigen, die sich wesentlich von
denen der übrigen formen des demonstrativen pronomens unterscheiden.
Die beiden formen sind zweifellos schon in der Umgangssprache des
9. Jahrhunderts phonetisch gleichwertig gewesen. Die neutrale form
ist im 9. Jahrhundert noch intakt.
Im einsilbigen auftakt und in einsilbiger Senkung vor vokalisch
anlautender hebung werden die proklitischen artikelformen fhie und
thio auf den anlautenden konsonanten reduziert. In relativer funktion
hat hier die vollform statt; nur die maskulinform geht in einigen
belegen im auftakt mit dem betonten pronomen er die kontraktion tJiier
ein. Die beiden formen stellen sich hiemit auf eine stufe mit dem
acc. sg. fem. thia und den formen sie und sia des anaphorischen
pronomens. Wir sind daher genötigt, auch für die formen ihie und
tJdo - oder kurz für thie - eine analoge satztieftonige reduktionsstufe
vorauszusetzen, die für den proklitischen artikel in auftakt und Senkung
umliefe. Und eine satztieftonige sprechform ist handschriftlich belegt.
Im auftakt vor konsonantisch anlautender hebung haben die Schreiber
durchgehend die orthographischen normalformen gewählt. Nur ganz
vereinzelt hat sich eine sprechform durchgesetzt: 114^ thia däga, thie
wir im sagettm, F the. 123 27 Thie tvef/a rihtet alle, V Thie, P Thie.
Die ablautsstufe the ist noch III 262 in F belegt: so thie ewarton
qiidtun, F de; auch dem Schreiber von V ist sie bekannt : IV 5 4 joh
thie esti, thie se zetitun, V the. Die form the scheint also die geläufige
tiefstufe darzustellen ; diese gestalt wäre auch a priori zu erschliessen.
Die Schreibung thie in V steht ganz ohne parallele ; der Schreiber ver-
suchte noch nachträglich der Umgangssprache gerecht zu werden. In
auftakt und Senkung vor konsonantisch anlautender silbe werden wir
für den Vortrag stets die tiefstufe the des proklitischen artikels an-
setzen. Diese tiefstufe des ablauts ist ein analogon der ablautsstufe
se des n. acc. pl. m. sie und ist ebenso zu erklären. Tritt diese redu-
zierte form des proklitischen artikels an zweiter oder dritter stelle
des auftakts und der Senkung vor eine vokalisch anlautende hebung,
so wird sie auf die Schwundstufe tJi- herabgesetzt. Im auftakt stehen
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFKID 221
3 sprechformen 10 schreibformen geg-enüber; iu der senkimg beweiscD
8 Schwundstufen für 17 schreibformen. Dem pronomeu in relativer
funktion eignet ein ungleich stärkerer uachdruck. Es finden sieh
zahlreiche belege des relativums vor einer zweiten vokalisch an-
lautenden auftaktsilbe. Die praep. in und das prätix ir- verlieren
ihren sonanten hinter der vollform des relativums, während vor dem
prouomen er das relativum sein konsonantisches element aufgibt. Vor
dem pronomen uns wird man dieselbe ablautsstufe thi ansetzen ; das
pronomen ih wird hinter der vollform des übergeordneten relativums
seinen sonanten einbüssen. Vor dem dat. plur. in ward der Vortrag
das konsonantische element des rel. fallen lassen ; die sonanten gleicher
Qualität werden kontrahiert: II 1164 thie in wcirun in theru hrmti,
P In ivarun. Der akzent in P sollte vielleicht nur andeuten, dass
der sonant nicht zu elidieren sei. Stets entscheidet das phonetische
gewicht der zusammenstossenden silben ; wo sich kein vergleichs-
material bietet, können nur aus der bisherigen erfahrung heraus Ver-
mutungen geäussert werden. IV 25 5 Tkio si'rnta, thio unsih stechent:
es ist immerhin fraglich, ob hier das relativum auf die Schwundstufe
zu reduzieren sei; hinter das sb. fällt eine sprechtaktgrenze, das pro-
nomen leitet einen neuen satz ein. Da das pronomen sich proklitisch
an die folgende hebung unsih anlehnt, ist trotzdem Schwundstufe des
relativums wahrscheinlich.
7. Instrumentalis thiu.
A. An zweiter stelle des auftakts vor rokaliscli .aulautender hebnng.
1. Der instr. ist auf den anlautenden kousouanten
reduziert.
12229 bt thiu tttun siu sar wldarori. P thni.
2. Alle hss. zeigen die voll form.
121 8 hi thiu ili io thes sintkes. 11 3 es Bi thiu iltmes, io gigdhon. II 57 zi
thiu ('inen wesan lingimah. II 6 53 si thiu einen missidäti. IV 37 44 hi thiu ('ig in
iamer frdivaz muat. Eel. V254 mit thiu ih fuar ßrienti.
B. In der Senkung vor konsonantisch anlautender hebung.
Es handelt sich nur um adverbiale Verbindungen.
1. Der instr. erscheint in mindestens einer hs. in der
sprechform thi the.
IV 25 14 thas uns es iamer si the hdz. F di. IV 33 30 nl was thes Idchanes
thi baz, r diu. 1 1 se nüb in es thiu wirs si. V thi uuirsi. P thiuulrs si.
222 KAI'l'R
Die sprecliforin ist nachträglieh in die schreibform geändert.
1249 thuz mir es io mer si thiu bas. V thiu (aus tht korr.) 12247 liuarta
mili ouh thes ihiii vier. V tliiu (tu korr. aus e, daun raiL).
2. Alle hss. zeigen die voll form.
Alle belege gehören dem 3. fuss an.
12257 ni u-as er drühtin thes thiu mm. 1275 thaz er mo Ifbi thes thiu mer.
II S 5 ihaz wir iz bit henken thes thiu häz. 11 5 3 thaz wir giwdrten uns thiu bäz.
II65 thaz er tno börgeti thiu haz. II 8 34 siu mohtun weren thes thiu bdz. II IS eni
sägen iz nu ouh thes thiu m/n. II 15 15 thes uns iamer ist thiu bdz. II 17 21 man
iuih lühon thes thiu mer. II 21 1-2 bi thiu nist es loiht in thiu baz. 19 thaz thes
gibetes st thiu bdz. 111847 IGes 22i9 47; IY232 769 1847; V625 7i2 12i6 2039.
Wir haben gesehen, dass jedes vokalisch auslautende einsilbige
wort an zweiter stelle des auftakts vor vokalisch anlautender hebung
auf die Schwundstufe herabgesetzt wird. Obwohl sich für den Instru-
mentalis nur 1 beleg der Schwundstufe beibringen lässt, können wir
also mit Sicherheit auch für die übrigen 6 schreibformen die ablauts-
stufe tk- in anspruch nehmen. In der proklise vor dem komparativ
kennt die Umgangssprache nur die tiefstufe des ablauts, die sich als
thi^ weiter abgeschwächt the darstellt. Sie ist 5mal von den Schreibern
in den text gesetzt, 2mal allerdings wieder in die schreibform korri-
giert. Die orthographische normalform thiu hat sich also in der
mehrzahl der belege durchgesetzt.
8. the ist, theih, theiz.
I. the ist — thaz ist.
Das auftreten der formen theist und thaz ist hängt ab von den
jeweiligen rhythmischen bedingungen des halbverses.
Die form thaz ist hat statt, wenn im sinngemässen vorti'ag eins
der beiden wörter einen besonderen nachdruck erhält. Das pronoraen
trägt einen hauptiktus, wenn es ausgeprägt demonstrative bedeutung hat:
III 26 69 Tlidz ist in gißstit. Y85 Joh thaz ist mihil loi'mtar. 15 Thdz ist
uns iröugit. V12i3 thaz ist selisani. V 23 177 Thdz ist in gin'hti.
V660 erhält das relativum einen hauptiktus:
(Bizeinot in gitvissi ther duah tliaz götnissi) thaz ist in giwelti, dna theheinig
e'nti. P thdz.
Einen nebeniktus trägt das pronomen in der beteuerungsformel
thaz ist war; sie bildet stets den schluss des halbverses:
Leo so iz gote zimit, thaz ist wdr. 112231 Nist iuer nihein (thaz ist wdrh
III 9 18 ther selbo se, thaz ist ivar. IlllSse in allen r ichin, thaz ist war. III 1427
2O59; W427 928 1146 1521 I639; V751 14l4 2042 105.
HIATUS UXD SYNALÖPHE liEI OTFiaD 223
II 1463 ist in V nachträglich die kurzform in die rhythmisch
notwendige vollform geändert:
711 betot fhen fdter, thaz ist weh: V thaz (aus the corr.j.
Die verbalform int trägt einen hauptiktus nur, wenn sie präg-
nante bedeutung hat; das pronomen steht dann in relativer funktion:
1233 AI gisüngilo, thaz Ist. II 22 20 tlianne al giftigiles, thaz ist.
Um regelmässigen Wechsel von hebung und Senkung zu erreichen,
hat Otfrid bald auf das pronomen bald auf die verbalform einen
nebeniktus gelegt :
III 1335 Ni mag er, thaz ist al niin'ht. IV' 13 31 thaz w/g thaz ist so hebigaz.
In diesen versen kommt weder dem pronomen noch dem verbum
ein besonderer sinnesnachdruck zu. In derselben rhythmischen tendeuz
hat Otfrid die nebenbetonte form tkeist in den text gesetzt, w^enn
eine unbetonte silbe vorausgeht und folgt:
2. hebimg-.
1262 thaz ivazar theist giwihit. IV 104 gitr/sso theist gilümplih.
3. hebung.
II 2226 Bi thiu laz thia suörga (tJieist es giiat). r\'"3326 so er qudd hiar
föra. theist gizdlt. V857 i''o« therii intfdhent {theist oah wib).
Zuw^eilen findet sich unmittelbar hinter einer haupthebung die
betonte form iJirist. Hier gaben W'ohl stilistische rücksichten die ent-
scheiduug; durch die synkope der Senkung wird die autithese ver-
stärkt, auf die der syntaktische bau dieser verse hinarbeitet:
II 21 13 thaz selba lob theist thaz Ion. IVösg Thaz ander dl, theist nitctht.
IV 9 7 Wir ni eigun sdr, theist es meist.
Es lassen sich nun 15 halbverse aufzeigen, die durch ueben-
betontes theist eingeleitet w^erden. Ihnen stehen 9 halbverse gegen-
über, in denen alle hss. thaz ist schreiben, bald mit, bald ohne akzent
auf der verbalform, ohne dass dem pronomen oder dem verbum ein
deutlicher sinnesnachdruck zukäme. Es ist nicht einzusehen, warum
in den ersten 15 versen auf den auftakt verzichtet ist, da ein syn-
taktischer unterschied zwischen beiden gruppen sich nicht erweisen
lässt. Hier müssen die formen theist und thaz ist im Verhältnis von
sprechform und schreibforni zueinander stehen, theist lebte als iso-
lierte form im volksmund-, tJiaz ist stellt eine neubildung im sinne
der Orthographiereform dar. Es zeigt sich, dass der 2. Schreiber der
hs. V der volkstümlichen sprechform vor der neuen orthographischen
vollform den vorzug gibt. Es handelt sich stets um das demonstrativ-
pronomen; nur III 22 19 zeigen alle hss. die form thaz ist in relativer
funktion: thaz ist in öj'to gizdlt.
224 kappp:
thaz ist.
1. Schreiber.
12753 thaz ist thoh drunti min. P ist. II 857 TItaz Ist uns Mar gihilidot.
D ist. 11199 Thus ist giwdra mera. 1111840 thaz ist niwiht allaz. III 20 145 'Thas
isV quad er, 'nu wiintar'. 1112637 Tha.: ist nu loiintarlichaz thhig.
2. Schreiber.
V1925 Thas Ist oufi dag hörnes. V2355 Thaz ist in thar in llbe.
thei a t.
1. Schreiber,
1525 thcist min drunti. II 1284 theist ju sar gimiinit. II 13i6 Theist thaz
mhiaz heila miiat. P Theist. III 629 theist si th/'u thoh niwiht. III 7 13 theist in
fr^nkisgon rcid. lYöss Theist giscrth heiJag. IV 15 51 Theist giböt minaz zi iu.
2. Schreiber.
VII14 theist ouh festi ubar dl. V I233 Theist giwis io so ddg. 63 Theist
ther /leilego geist. 91 Theist es dller 0 meist. V23i63 Theist al ander gimah.
164 theist al einfoltaz gilat. 291 Theist thiu wünna jo/i, thaz güat. 248 theist in
6uh gimeini. P titeist in ouh gimeini.
Treten endlich beide formen - das pronomen und das verbum -
in den auftakt oder in die Senkung, so bat nur die form theist statt.
Sie ist ohne ausnähme von allen Schreibern gesetzt:
A. Im auftakt.
1 1 17 theist mannes last si Übe. 20 theist göuma filu reini. 48 theist sconi
fers sar giddn. II 55 l'he.ist süasi joh ouh ni'izzi. I34i theist imo thlomuati.
112 14 29 24 15 2813; II2l9 1234 I619; IIIIO37 1756 194 2050 2229 2429; IV 57 39
730 1938; Vi 33 34 725 8 16 19 10 27 2386 292; H 57 129.
II 14 10 scheinen sich die volkstümliche sprechform und die
schreibforra in V und P gegenüberzustehen: theist dayes heizesta,
P thaz ist. Der Schreiber von P wollte jedoch vielleicht einer anderen
rhythmischen auffassung des verses ausdruck geben, indem er auf
das pronomen einen nebeniktus legte.
B. In der Senkung.
11231 thaz wort theist man u-ortan. III 759 Körp theist scdlklichaz fdz.
112134 joA föllon ouh, theist mera. 111122 irquicki in mir, theist mera. II 855 joh
sina güallichi, theist wdr.
II. theih — thaz ih.
Die formen theih und thaz ih stehen sich schon fast völlig selb-
ständig in getrennten gebrauchssphären gegenüber. Nur 1 beleg weist
auf eine berührung der beiden kreise.
Die vollformen erscheinen nebeneinander, wenn der rhythmus
des verses in seinem streben nach Wechsel von hebung und Senkung
einem der beiden Wörter einen iktus zuweist. Ein deutlicher sinnes-
HIATUS UND SYNALÜPHE BEI OTFRID 226
nachdruck kommt dem gehobenen worte nur selten zu. Die form
thaz hat in den meisten fällen die funktion der konjunktion.
I. Die form thaz erhält einen iktus.
thaz als conj.
a) 1. hebung mit auftakt.
in I27 Joh thaz ili liiar nu zellu.
b) 1. hebung ohne auftakt.
125 Thaz ih lob thinaz. 15 Thaz ih, drühtin, thanne. P Tlidz. 12 55 Thaz
ih iamer, druhtin min. 1.536 tltaz ili dnihtine. 37 thaz ih werde suängar, P thaz.
1540 thaz ih einluzzo. IUI 25 73; IV 11 35 1344 21 n 234; VI65 2O75 25ii u.
c) 2. hebung.
III 20 13 Mir liinphit, thaz ih thenke.
/^Är/2 als rel.
a) 1. hebung ohne auftakt.
III 6 1 Thaz ih Mar nu zellu. IV 1 28 thdz ih gerno ivölta. P thaz ih gerno.
1V2730 thaz ih screih, in alatcdr. P thaz ih. V 1034 thaz ih wllle, so thu weist.
b) 2. hebung.
I 25 20 dllaz, thaz ih wille.
IL Das pronomen ih erhält einen iktus.
thaz als conj.
1. hebung.
128 thaz ih gitvar si härto. u Thaz ih ouh Mar giscn'be. 12 17 Thaz ih
ni scrtbu thuruh rtiam. 43 Thaz ih in himilriche. P ih. 48 thaz ili thanne iamer
löbo thih. 49 Thaz ih ouh nu gisido thaz. löss 2248; II 126o 14ig 2326; III2I2;
IVI27 37 39 IO3 128 1327 42 45 I647 2I32; VSs 741 51 16l7 24l8 25l0 31 32 33 34;
He 13 15.
2. hebung.
1242 in thiu thaz ih is künni. 12243 Wio ivdrd, thaz ih ni westa.
12760 zi thiu, thaz ih inhlenhe.
thaz als rel.
1. hebung.
I 1926 thaz ih giwlsso ni weiz. IV 11 27 Thaz ih nu meinu mit thiu. V23i76
thaz ih irzellen ni mag. 212 thaz ih thir hiar nu zdlta.
2. hebung.
115 10 in hus, thaz ih nu sdgeta. 119 17 in Idnt, thaz ih nu zdlta.
Zuweilen weichen V und P in der rhythmisierung solcher mit
thaz ih eingeleiteten versc von einander ab; P zieht es vor, das pro-
nomen ih durch einen akzent hervorzuheben.
Conj. 12754 thdz ih iu gizdlti. P thaz ih. II 138 thdz ih fon niivihte.
P thaz ih. 1112258 t/idz ih thes gin^ndu. P thaz ih.
Rel. IV 27 30 thaz ih screib, in alawdr. P ih screib in dlatvar.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOOIE. BD. XLH. 15
226 KAl'l'E
Den zahlreichen, mit thaz '/h eingeleiteten halbversen steht nur
ein beleg gegenüber, in dem alle hss. die form theih im eiugang zeigen:
II 1445 Theili zes pitzzes dii/ß, P Thrik auf rasur,
Sie ist im eingang des verses schon völlig durch die neuen
vollformen verdrängt. Nur im versinnern greift Otfrid, um einen
flüssigen rhythmus zu erzielen, auf diese volkstümliche betonte form
zurück; sie hat statt, wenn eine unbetonte silbe voraufgeht und folgt:
Conj.
1. liebung mit auftakt.
1241 Joh theih thir Mar nu ziaro. P theili. III 10 24 ni si theih gidue
githi'ati.
2. hebung.
12364 = IV 29 27 ni wdne theih thir gelb 0. 1\ 11 ii giUmphit, theih thiz wolle.
V839 Ndles, theih thih zeino.
Rel.
11028 thu thlarna, theih thir .sägen scal. II 6 4 ohaz, theih hiar föra quad.
II 9 71 = in 144 Lis selbo, theih thir redion. V 20 104 leithes, theih gitJu'dta. H 120
thaz selba, theih thir redinon.
In antithetischer teudenz scheint hinter einer betonten silbe die
form theili gesetzt: V2O79 Ward ouh thaz, theih irstärb.
Treten beide formen in den auftakt oder in die Senkung, so hat
Otfrid stets die unbetonte form tlieih gewählt: sie allein ermöglicht
einsilbigkeit des auftakts und der Senkung.
Im auftakt.
theih allein im auftakt.
Conj. L9 theih sinaz lob zellu. 10 theih scribe ddti sino. I25o thei?i tMo-
nost thinas fülle. 1464 25i8 2758; II818 1446 102 2328; 111123 41 841 42 IO26
I634 44 63 2O13 148 175 226i; IV 1 33 llsO 36 134 48 2130 31 24l8 3136; V736 38 60
1625 2074 248 19.
Rel. n8i4 theih mithon ouh nu westa. II 9 1 tlieili zdlta nu hiar obana.
H 48 theih hiar thir se'lle, thaz firn/'m. III 1473 in P gegen V: Thie ih al irzdllen
ni mag. P Theih.
theih als erste auftaktsilbe.
1 2 / 20 theih so höhan mili gizelle.
In der Senkung.
Conj. IUI 14 er düe, theih hiar ni hinke V P theih (e zukorrigiert). VTei
Joh theih fdru in rihti. P theih (acc. rad.). 12254 jah Umphit mir, theih icerbe.
II 927 ni thiihta mih, theili qudnii. R"2l29 'Thu quis\ quad er, 'theih Jcüning bin'.
Rel. V157 Quad er: theih thir giblete. VI622 dl, theih iu gibi'ete. 111435
firnim nu, wib, theih redino. H 54 so niuzis ihn, theih zdlta.
III. theiz — thaz iz.
Es handelt sich stets um die konjunktion thaz. Im Wechsel
HIATUS UXD SYNALÖPHE BEI OTFRID 227
von hebung- und Senkung- erhält die konjunktion oft einen uebeuiktus;
das pronomen iz füllt die Senkung:
1. hebung.
1117 18 thaz iz liuhte uhar al. II21i8 thaz is göt gihore. 1112036 thaz iz
ther ni tvari. III 26 13 thaz iz Ubosamaz si. IV 2 12 thaz iz dl gizcimi. P thaz
(acc. rad.). R'llsa Thaz iz io ni werde. VI234 thaz iz mag, so ih n'dinon. P
thdz. V2538 thdz iz hiar ni merre.
Einmal scheint der Schreiber zunächst die form fhe^z haben setzen
zu wollen; sie ist in die rhythmisch erforderliche vollform korrigiert:
III 448 thdz iz iras ther hcilant. V tlidsiz {dz korrigiert aus e).
2. hebuug.
I8ii ni wölta, thaz iz tnirdi.
Das pronomen iz hat nur 2mal einen nebeniktus erhalten im
Wechsel von hebung und Senkung:
III 10 28 thaz iz irhdrmeti inan )ii(-r. r\'l34 t/iaz iz zi sudr ni zdlti. P tz.
In den übrigen 8 versen findet sich die form iheiz im eingang:
12748 theiz sin dmbaJit iciis. 111235 theiz thiii z/t tvas in wdr. III 132 theis
ni icurti mdri. 1112424 theiz ouh man ni firgt'it. IV 3728 theiz ni wurti irfüntan.
V746 tlieiz in dlatvari. V258f> theiz bithekitaz nist. V1923 theiz ist dbulges dag.
Otfrid hat es offenbar vermieden, auf das leichte pronomen iz
einen nebeniktus zu legen. Daher konnte sich die sprechform theiz
im verseingang erfolgreich gegen die neuen orthogi-aphischen vollformen
behaupten. Im übrigen hat auch hier jede form ihren rhythmisch
fest begrenzten geltungskreis.
Die betonte form theiz hat statt, wenn eine unbetonte silbe
vorausgeht und folgt:
1. hebung.
I81S joh theiz gidöugno tcarti. II 3 13 Joh theiz ni wds ouh böralang. V
tlii^iz. IV 720 quad, theiz ni ivdri hi dUeswaz. P b}. V32 joh theiz io Mar in libe.
2. hebung.
I 026 Tho scre/'b er, theiz ther Hat sah. V 11 30 thoh förahtit, theiz ni megi sin.
Im auftakt und in der Senkung erscheint wiederum ohne aus-
nähme die unbetonte form theiz.
Im auftakt. ^
II 37 theiz scöno thoh gilute. I84 theiz alles wesan möhti. 19 12 theiz wari
gidfaronti. 11768 2344 208 272; II 2 ig 36 32 49 484 629 840 42 9 40 II52 149 17 10
2I4 2434; III I34 75 824 1925 2036 55 158 2I2O 35 22 3 24l5; IV 1 39 Uso 1329 I633
1959 29l7 46 3O12 376 14; VI25 27 5 17 18 854 936 11 16 12 12 1324 17 7 23228 2565.
1 1 22 theiz gihistlichaz ivürti. V theiz {z korrigiert aus st).
In der Senkung.
115 12 er bifdnd, theiz was niviht. III 12 so ni theiz mdn gidati. 1228 gi-
lb*
228 KAPPK
nada thtn, theiz thlhe. 11728 v^zun ouh, theiz war ist. 111491 so thihikü mih,
theis megi sin. V 938 nust thritio dag, theiz izt gidtin. V 2 17 iJaa, theiz in thir seine.
9. Die relativpartikeln fhi und the.
A. Im auftakt.
I. Vor konsonantisch anlautender li e b u n g.
V856 thiu töd giscankt iu enti. V ihiii (korrigiert aus the). P the.
II. Vor einer zweiten konsonantisch anlautenden
auftaktsilbe.
12827 the ze herzen iu gigdnge. P thie.
III. Vor einer zweiten vokalisch anlautenden auftaktsilbe.
1. Der sonant der partikel ist in mindestens Ihs. elidiert.
Vor ih.
I 16 15 thi ih zdlta hi then dltoii. P thih. D thiih.
Vor ir.
12733 the ir eiscot nu so gemo. F thir. P t/ieir.
Vor er.
110 18 thi er uns ist Uhenti. P thi. F ther. 115-26 ther unsih erist bisueih.
28 ther nnsili ju biskrdnkta.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
IV 625 thi ih hera nu bat so gemo.
B. In der Senkung'.
I. Vor y okalisch anlautender hebung-.
Es findet sich nur ein beleg der vollform der partikel the.
IV 16 29 fon then, theiz gisähan.
IL Vor einer v 0 k a 1 i s e h anlautenden zweiten
Senkungssilbe.
1. In mindestens 1 hs. ist die partikel auf den anlautenden
konsonanten reduziert.
Vor //*.
11741 thie wisun man, theih sdgeia. V theih (e korrigiert aus i). P thih.
F thie ih. IV 11 47 widar thie, thih wältu.
Vor in (dat. plur.).
V 6 19 thio biiah, thin frtima zaltan.
Vor er.
II 4 66 tJten it^eg, ther f dran ivölle.
2. Alle hss. zeigen die vollformen nebeneinander.
Vor ih.
I81 Ther man, theih noh ni sügeta. III 128 iver quedent sie theih sc tili sin.
Hi3B Altan nid, theih redota.
HIATUS UND SYNALÖPHE BEI OTFRID 229
Vor iz.
111439 ^ver ther ivdri, theiz gihöt. 111193 Nist untar uns, theiz thi'dte.
III. An zweiter oder dritter stelle der Senkung vor
vokalisch anlautender hebung.
1. In mindestens 1 hs. ist die partikel auf den anlautenden
konsonanten reduziert.
Vor ih.
111 36 bi nöte, thih nu sdgeta. F theih. 111 25 Bi tJiiu ivard, thi ih nu
sdgeta. V thi ih (i übergeschrieben). P tliih. F theih (e aus i korrigiert). IV 9 30
thia selhun era, thih un quää. F dia ih.
Vor unsih.
1269 In döufe, the unsih reinot. V the (hinzukorrigiert). P thiu.
Vor er.
11935 In berge, the er mo zeinti. P ther. II 7 2 joh meistera, ther uns önda.
V ther (acc. rad.).
2. Alle h SS. zeigen die vollformen nebeneinander.
Vor ih.
IV 33? T/ies seltnen, thi ih nu zelita. V 143o thesses, thi ih nu hiar gi-
wiiag. P ih.
Vor imo.
V 23 3 themo, thi imo thionot. F der imo.
Vor uns.
IV 1633 Sin kraft ouh, thi uns giscrihan ist. V thi: (u rad.). F diu uns.
Zur relativen anknüpfung braucht Otfrid gern die partikeln thi
the. Die formen werden promiscue gebraucht; doch ist the allen
Schreibern geläufiger. Die partikel erscheint in auftakt und Senkung
gern, wenn die vollform des pronomens das tempo übermässig be-
schleunigen würde. Vor vokalisch anlautender silbe wird die pro-
klitische partikel auf die Schwundstufe herabgesetzt. Diese ist häufig
in den hss. bezeichnet; zuweilen findet sich dann in den Varianten
die vollform der partikel oder die vollform des pronomens. Vor einer
zweiten vokalisch anlautenden auftakt- oder seukungssilbe erweist
sich die partikel stets als phonetisch leichter. Im auftakt ist die
Schwundstufe vor ih ir er belegt ; IV 6 25 zeigen alle hss. die voll-
formen thi ih im auftakt. In der Senkung stehen 4 Schwundstufen
vor ih in er 5 vollformen gegenüber, die stets mit den folgenden
pronominibus ih iz als theih theiz zusammengeschrieben sind. An
zweiter und dritter stelle der Senkung vor vokalisch anlautender
hebung wird die partikel auf den anlautenden konsonanten redu-
ziert; 6 Schwundstufen vor ih er um^ih beweisen für 4 vollformen vor
ih imo lois. Wegen der proklitischen natur der partikel wird man
230 KAl'l'E
sie auch in einsilbiger Senkung vor vokalisch anlautender hebung auf
den anlautenden konsonanten reduzieren, obwohl sich nur einmal die
voUtbrm tJieiz belegen lässt: IN IQ^^ fon then, theiz (/iaa/iwi. Im ein-
silbigen auftakt vor vokalisch anlautender hebung ist IV 1841 thi Ih
es wurti winlly, V thi: (11 radiert), P tlüihes durch den akzent in P
völlige synalöphe eindeutig bezeichnet. Man wird auch H 150 thi unsih
ticöno, so yizäm die partikel auf die Schwundstufe herabsetzen. Er-
scheint doch auch der proklitische artikel thie thio im einsilbigen auf-
takt vor vokalisch anlautender hebung in der Schwundstufe.
I). Interrogativa.
1. tveih weist.
Die formenpaare iveih — tvaz ih und iveist — waz ist scheiden
sich nach denselben regeln, die sich schon bei der betrachtung der
analogen formenkreise des demonsti-ativpronomens ergaben.
Im regelmässigen Wechsel von hebung und Senkung erhält das
pronomen ivaz einen nebeniktus: IV 23 35 ni iceidu, waz ih sagen thir.
In derselben tendenz hat Otfrid die form iveih gesetzt, wenn eine un-
betonte silbe vorausgeht und folgt:
13 29 Hiigi, iveih thir aägöti. II818 theih äuge, tcei/i fon thir nam. II 21 13
Weist thu, iveih thir redinon.
Ebenso weist:
III 13 50 quad, er wdri (weist es mer !). V I46 er sälta (tveist es mera).
Vielleicht haben wir hier eine echt volkstümliche redewendung
vor uns, die Otfrid in fester prägung übernahm, und zeigt, wie echt
der dichter sich der Volkssprache bediente. Sie findet sich IV 6 32
hinter einer betonten silbe: thiu hnbeta ji'i (weist es mer!).
Vers V 9 13 ist in allen hss. durch die hauptbetonte kurzform
weist eingeleitet: 'Weist', quad, 'iiier redina. V 9 21 tritt das pronomen
in den auftakt ; das verbum erhält den hauptiktus , ohne dass es |
einen merklichen sinnesakzent trüge: Waz ist thaz', quad er, 'sidihes'? \
Dieser vers erfüllt die forderungen der Orthographiereform ; der erste i
schliesst sich an die volkstümliche redeweise an.
2. wemo. I
Der dat. wemo ist bei Otfrid nur 5mal belegt, stets unter diesem i
Schriftbild: V2i7 fon wemo quami sMihthimj. III 18 35 wemo thih '
ivolles ebonon. Dass die form in der Umgangssprache des 9. jähr- i
hunderts aber schon den mhd. lautstand erreicht hat - wie auch der i
dat. /?no - beweist 115 32 so wemo jz ni (jilöiihit, P iremo iz, Y ivemoa j
HIATUS UND SYNALÖI'HE BEI OTFRID 231
D wemo /c. Vor den senkungssilben er und //• hat die hoehbetonte
satzdoppelform iremo statt: IV12i6/o» ivemo er suWi qudti. Vlln
'So iremo ir quacl, 'giheizef.
3. Instrumentalis.
Der instrumentalis des interrogativums läuft in ahd. zeit in der
doppelten gestalt hin und wiu um. Auch Otfrid braucht beide formen,
hin 16mal, 'wln 6mal. Vgl. z. b. :
II 14 19 Thaz offonot Johannes tlulr, bi hiu si so qtiad in lodr. ?,o hi wiu
si thaz so zelita. ini4ii3 bi km er hera in wörolt quam. F wiu.
Möglicherweise ist bi hin als biu zu lesen ; eine handschriftliche
gewähr bietet sich nicht. Die präposition zi verbindet sich mit dem
instr. hiu unter allen akzentverhältnissen zu ziu. Die schreibform zi
hiu zur sprechform siit begegnet in den Otfridhss. nicht; doch kommt
sie sonst vor, vgl. z. b. Tatian 64, 4 183, 4, Mit der form iviu hat
keine kontraktion statt: IV 18 3 Zi ivhi sie iz ouh bibrähtin. Alle
anderen verse sind durch ziu eingeleitet:
Z. b.: 1472 ziu ther iwarto. 11120 126; IV 19 11 8817; V747 18 4. II 57 Ziu
sculun Frdnkon, so ih qudd. 12745; 1119-26; IV 19 20 20 31 26 11; VI84. N 1 w Wib,
ziu kümistu thar?
Vor vokalisch anlautender silbe begegnet der unbetonte instru-
mentalis nur 3mal vor einer zweiten vokalisch anlautenden auftakt-
silbe. In allen 3 belegen stehen die vollformen nebeneinander:
Vor ist.
nil43i ^Ziu ist, drühtinl' quad tho Petrus. 1111643 Ziu ist thdnne in
Widarmuati.
Vor er.
111845 Ziu er scölti io thes yithenhen.
III 1431 16 43 ist zweifellos der sonant der verbalform zu eli-
dieren. Das pronomen er bringt stets seine bedeutende schallfülle
zur geltung; hinter den betonten oder unbetonten formen wio thia
thiu thie bleibt das pronomen er stets intakt, während die synalöphe
durch reduktion des vorhergehenden wortes vor sich geht. Man wird
daher das richtige treffen, wenn man III 8 45 das konsonantische de-
ment des diphthongen unterdrückt.
III. Zusammenfassende Übersicht.
Der Übersicht halber seien die gesetze für den hiatiis und die
synalöphe noch einmal zusammengestellt.
Der Vortrag der Otfridverse lässt den h latus in folgenden fällen zu :
282 KAl'PK, HIATUS UND SYNAL«')PHE HEI OTFUrD
1. Wenn eine vokaliscli auslautende hebung- vor eine vokalisch
anlautende bebung- tritt.
2. Wenn ein vokalisch auslautendes einsilbiges wort allein im
auftakt oder in der Senkung vor vokalisch anlautender hebung erscheint.
Ausnahmen für den auftakt.
a) Die präpositionen In zi, die relativpartikel thi und das präfix
gi- werden auf die Schwundstufe herabgesetzt.
b) Die neg'ation ni verliert ihren sonanten, wenn die hebung
auf /- anlautet; sonst hat keine synalöphe statt.
c) Der u. a. pl. m. sie wird auf die ablautsstufe si herabgesetzt.
d) Der n. a. pl. m. thie und der n. a. pl. fem. thio werden je nach
ihrer syntaktischen funktion verschieden behandelt: Der pro-
klitische artikel wird auf den anlautenden konsonanten redu-
ziert. Das relativpronomen thie verbindet sich mit dem pro-
nomen er zu dem steigenden diphthongen thier; vor einer
hebung mit qualitativ abweichendem anlaut hat keine syna-
löphe statt. Das demonstrativpronomen erscheint stets in der
vollform.
Ausnahmen für die Senkung.
a) Die präpositionen hi zi und das präfix gi- werden auf die
Schwundstufe reduziert.
b) Der n. sg. fem. si, der acc. sg. fem. sia und der n. a. pl. m. sie
werden auf die Schwundstufe reduziert.
c) Der acc. sg. fem. thia, der n. a. pl. m. thie und der n. a. pl. fem.
thio werden je nach ihrer syntaktischen funktion verschieden
behandelt: der proklitische artikel wird auf den anlautenden
konsonanten reduziert, das relativpronomen erscheint stets in
der vollform.
3. Wenn auf eine vokalisch auslautende hebung eine vokalisch
anlautende einsilbige Senkung folgt.
Ausnahmen.
a) Das betonte adverb lolo geht mit dem pronomen er die Ver-
bindung iv'ier ein.
b) Enkliticae geringsten nach drucks wie das pronomen iz und das
endbetonte pronomen i}u))i verlieren den unbetonten sonanten.
4. Wenn zweisilbige wurzelbetonte werter mit kurzer Wurzelsilbe
vor eine vokalisch anlautende hebung treten.
Der Vortrag der Otfridverse lässt synalöphe eintreten nach fol-
genden gesetzen:
GERING, ALTNORDISCH V 233
1. Der eudvokal zweisilbiger wurzelbetonter würter mit langer
Wurzelsilbe wird vor vokaliscb anlautender hebung elidiert.
2. Tritt ein einsilbiges vokalisch auslautendes wort an zweiter
stelle der Senkung oder des auftakts vor eine vokalisch anlautende
dritte senkungs- oder auftaktssilbe, so hat stets synalöphe statt.
3. Tritt ein zweisilbiges vokalisch auslautendes wort im auftakt
vor eine dritte unbetonte vokalisch anlautende silbe, so wird stets der
endvokal des zweisilbigen Wortes elidiert.
4. Vokalisch auslautende dreisilbige wurzelbetonte wörter ver-
lieren ihren endvokal vor einer vokalisch anlautenden unbetonten silbe.
5. Der Vortrag erstrebt einsilbige Senkung, wenn ein vokalisch
anlautendes einsilbiges wort in zweisilbiger Senkung hinter vokalisch
auslautender hebung erscheint : schwach anlautende einsilbige enkliticae
(/> ist hno ih in) werden auf die Schwundstufe herabgesetzt. Pho-
netisch gewichtigere w^örter gehen mit diphthongisch auslautender
hebung kontraktionen ein, deren jeweiliger Charakter von dem phone-
tischen gewicht der zusammentreflfenden sonanten abhängt. Hinter
vokälisch auslautender hebung verliert das prouomen es seinen sonanten.
6. Der endvokal wurzelbetonter zweisilbiger wörter fällt vor
vokalisch anlautender Senkung. Nur wenn schwach anlautende enkliticae
iz imo incoi in (= inqn) ist ir- in (praep.) folgen, kann die synalöphe
auch an diesen eintreten, wenn der endvokal phonetisch gewichtiger
ist. Finden sich beide formen der synalöphe nebeneinander für die-
selben Wörter, so ist der endvokal dadurch als irrationaler vokal
charakterisiert.
7. Eine vokalisch auslautende zweite oder dritte silbe des auf-
takts oder der Senkung verliert ihren sonanten vor vokalisch an-
lautender hebung.
8. Tritt ein vokalisch auslautendes einsilbiges wort im auftakt
oder in der Senkung vor eine zweite vokalisch anlautende unbetonte
silbe, so hat stets synalöphe statt.
KIEL. ]{UDOLF KAI'l'E.
MISZELLE.
Altnordisch v.
Meine ausführuugen im 13. bände der Beiträge (s. 202 ff.), die sonst, soweit
ich sehe, allgemeine Zustimmung gefunden haben, sind neuerdings von Eugen Mogk
in den ludogerm. forschungen (26, 209 ff.) angefochten worden. Obwohl ich nicht
fürchte, dass seine einwürfe genauer prüfende leser überzeugen werden, lialte ich
es doch für geboten — damit das Sprichwort Qui taeet consentire videtur nicht auf
mich, anweuduug finde. — in den nachstehenden zeileu kurz darzulegen, warum ich
234 GERING
weit davon entfernt bin, die ergebnisse meines Ideinen vor mehr als zwanzig jähren
geschriebenen aufsatzes als gefährdet zu betrachten.
Die Statistik hat unzweifelhaft auch bei philologischen Untersuchungen unter
umständen ihren grossen wert, falsch angewendet führt sie aber notwendigerweise
zu fchlschlüssen. Wenn Mogk seinen Unglauben an die vokalische Qualität des v
in den älteren altnordischen denkmäleru dadurch begründet, dass die fälle, in denen
V mit vocal alliteriert, gegenüber den anderen, wo v mit v gebunden ist, selten
sind, so hat er nicht mit der möglichkeit gerechnet, dass in der zeit, der unsere
handschriften entstammen, zahlreiche verse der ersten art, in denen man damals
einen korrekten Stabreim vermisste, geändert worden sind, einer möglichkeit, die
meines erachteus durch meinen hinweis auf die merkwürdigen Varianten der Hug-
svinnsmöl* (s. XII meiner ausgäbe), die g'ar nicht anders erklärt werden können,
als realität erwiesen ist. Dadurch wird es auch verständlich, dass in den skaldischen
dichtungen, wo ein Verstoss gegen die strengen kunstregeln noch unangenehmer
empfunden ward als in der volkstümlichen poesie, die belege für die alliteration
von V mit vokal beinahe ganz fehlen ".
Wären die von mir a. a. o. gesammelten verse nicht vorhanden, so wäre da-
durch über den ursprünglichen Charakter des altu. v noch nichts erwiesen, da ein
argumentum ex silentio nicht beweiskräftig ist: das englische w ist noch heute,
wie in den tagen könig .EJfreds, ein halbvokal, und dennoch suchen wir in der
stabreimenden poesie der Angelsachsen vergeblich nach einem verse, in dem «■ mit
vokal alliteriert. In der altu. dichtung aber gibt es solche verse, die sich nicht aus der
weit schaffen lassen, und weil sie da sind, muss das v in der zeit ihrer entstehung noch
die vokalische ausspräche gehabt haben. Mogk hat freilich nicht übel lust, diese
verse als alliterationslos in ansprach zu nehmen. Er zählt in der von ihm aus der Edda
zusammengestellten liste 24 solcher verse ^, von denen jedoch die 4 aus den Här-
bar^sljöj) gestrichen werden müssen, da es mindestens möglich ist, dass diese zeilen
als prosa gemeiut sind, ebenso die galdralag-zeile Skm 28 ^, die an die vorhergehende
langzeile angereimt ist, und Vkv 8 ^, wo offenbar svd und sinnar die reimstäbe
sein sollen. Dagegen fehlen die folgenden*:
H(iv 36 1 (= 87') hii es betra \ pött lltit se
Vm 5 ^ at hpllic kann kom j ok dtti Ims fapir
Vm 34 ' segpu pat et dtta | aus pik fröjjan kvepa
1) Dieses gedieht glaube ich nunmehr doch in das 12. Jahrhundert setzen zu
müssen. Dass der lateinische Cato schon so früh in Island bekannt war, beweist
ja das zitat in dem 1. grammat. traktate der Sn. Edda (ausg. von V. Dahlerup und
Finnur Jönsson s. 34).
2) Zu den Beitr. 13, 208 angeführten belegen ist hinzuzufügen Gunnlaugr
ormstunga (Guunlaugs saga ed. Mogk-, s. 11'):
truep) honum vart \ hann's illr ok svartr,
und Auör (Laxd. c. 35, 12) :
vel es ek veü pat \ vas'k ein of Idten.
Ein weiteres zeugnis enthält die dröttkvsett-strophe der Karlevi-inschrift,
denn ich zweifle nicht, dass Wimmer, der antils als eine verkürzte oder fehlerhafte
Schreibung für uandils erklärt (De danske runemindesmserker I, CXXIV), das richtige
getroffen hat. Die namensform Yndill ist sonst nirgends nachgewiesen.
3) HH n 20^ ist unrichtig zitiert; der vers lautet nach der handschritt:
vanntatta vigi \ vas per pat skapat.
4) Offenbar verstümmelte verse sind nicht berücksichtigt und die Härbart)sljö{>
gänzlich ausser betracht gelassen.
ALTNORDISCH V 235
Vm 38 ^ hvapan NjQrpr of kom \ mep dsa sunuin
Skm 1 * R/'stu nü, Skirnlr \ ok gakk at heipa
Alv 11^ live sä himinn heitir \ erakeudi
Hdl 49 - svd at pü eigi kemz \ d braut hepan
Sg 49 ' pQgPiU allir \ hugp>u at rdpmm
Akv 38 ' skcevapi en skirleita \ veigar peim at hera.
Es ergeben sich somit 27 verse aus einer gesamtsumme von rund 6400, d. h.
2,4 7o. Diese verse sind natürlich sämtlich verderbt (auch Höv 36 '), wie denn
mehrere von ihnen neben der reimlosigkeit noch irgend ein anderes stigraa der
korruptel au sieh tragen. Zählt man die verse, in denen v mit vokal alliteriert,
hinzu — ich will nur sechs davon als absolut sicher gelten lassen ' — , so erhöht sich
die zahl auf 33, von der sie also nahezu '/s (18 7«) ausmachen. Hier ist die Statistik
— und die Wahrscheinlichkeitsrechnung — am platze, die es als ausgeschlossen
erscheinen lässt, dass ein so hoher Prozentsatz von zeilen mit dem — vermeintlichen
— gleichen fehler auf das konto des zufalls gesetzt werden könnte. Überdies ist
auch der urasta.nd in anschlag zu bringen, dass keiner jener sechs verse sonst irgend
einen anlass zur Verdächtigung bietet. Der schluss dürfte also erlaubt sein, dass
sie fehlerlos überliefert sind und den dichtem und hörern, die das v ohne jede
frage noch als halbvokal empfanden, als korrekt gereimte zeilen gegolten haben.
Auf den Verfasser des ersten grammatischen traktats (der zweite kann, da
er schon in das 13. Jahrhundert fällt, ausser betracht bleiben) sollte sich Mogk nicht
berufen, denn die Zusammenstellung der Wörter austr, earn, eu; eör, eyrir und lu'ii
beweist, dass ihm a vor vokal ebenso als vokal galt wie a und e (i), und wenn
er sich über die qualität des u nicht näher auslässt, so ist die einfache erklärung
die, dass die ausspräche dieses lautes stets die gleiche war, d. h. daß zwar earn
statt iarii gesprochen wurde, niemals aber oln statt uin. Noch weniger beweisend
ist die bekannte tatsache (die nicht durch umständliche Zählungen erhärtet zu werden
brauchte), dass die isländischen Schreiber v und u gewöhnlich unterscheiden. Sie
folgten hierin nur der angelsächsischen tradition. Auch die Angelsachsen bezeich-
neten das unsilbische u durch die rune P, die nach ihrem vorgange bekanntlich
auch in norwegischen und isländischen handschriften verwendet wird, das silbische
u dagegen durch u — und doch hat noch niemand den schluss daraus zu ziehen
gewagt, dass in weox, loeord, nnchlor usw. die spirans gesprochen wurde.
Im anschlusse hieran sei noch gegen eine andere behauptung Mogks einspruch
erhoben. Er schliesst: weil die Lokasenna der 'isländischen frührenaissance' an-
gehört, ist anlautendes vr in diesem gedichte unmöglich. Mir ist es unverständlich,
wie man ein sicheres mittel, ein literarisches denkmal zeitlich und örtlich zu fixieren,
so leichten herzens preisgeben kann. Da die Verbindung vreipan vtga, die durch
Fm l'\ 17-. 28^ Sd 27^ als eine feste alliterierende t'ormel erwiesen wird, auch
an drei stellen (15^. 18*. 27*) der Lokasenna'niehr als wahrscheinlich ist, so folgere
ich, was mir methodisch richtiger erscheint, umgekehrt : weil der dichter anlautendes
vr vor hellem vokale noch sprach, kann das lied der sogenannten 'isländischen früh-
renaissance' — ich bin ein feind derartiger prätentiöser Schlagwörter, weil sie falsche
"Vorstellungen erwecken und schiefe vergleichungen veranlassen — nicht angehören.
1) Ls 2K 10'. 36 ^ hk 28-', Q^r II 20', (Jd 15-.
KIKL. HTCO GEUING.
236 GERING
LITERATUR.
NEUERE SCHRIFTEN ZUR RUNENKUNDE.
IV ^
1. De danske ruuemindesmserker uudersogte og tolkede af Ludv. F. A. Wiiumer.
Afbildiiiugerne udforte af J. Magnus Petersen. Undersogelserne foretague med
understottelse af det kgl. uordiske oldskriftselskab og ministeriet for kirke- og
undervisQiugsvsesenet; udgivelsen bekostet af Carlsbergfondet. I, 1: Forord.
Almiudelig indleduiug. Kobenhavn, Gyldeudalske boghaudel 1907—1908. 19,
CXCV s. gr. 4. 20 kr. - IV, 2: TillsKg og rettelser. Ordsamling. (VI), 20
(s. 215-234) + XCVn s. Kobenb. 1908. 15 kr. (I-IV kompl. 175 kr.).
2. Ell iiidskrift med «Idre runer fra Floksand i Nordhordlaud. Av Magnus Olsen
og Haakon Schetelig. (Bergeus museums aarbog 1909 nr. 7.) 44 s.
TryUerunerne paa et vaevspjeld fra Lund i Skaane af Magnus Olsen.
(Cbristiania Videnskabs-selskabs forbandlinger for 1908 ur. 7.) 26 s.
3. Kylfverstenen. Eu 24-typig runrad af Otto Ton Friesen ocb Hans Hansson.
[Antikvarisk tidskrift för Sverige 18 nr. 2.] Stockb. 1908. 25 s.
1. Mit diesen beiden schnell hintereinander erschienenen halbbäuden hat das
monumentale werk seinen würdigen abscbluss gefunden; dass sie sich durchaus auf
der höhe der voraufgegaugeuen halten, braucht kaum ausdrücklich liervorgehoben
zu werden.
Der erste (I, 1) enthält neben einer kurzen Vorgeschichte der im jähre 1875
auf wünsch des Kgl. nordiske oldskrift-selskab übernommenen arbeit und einem
bericht über methode und technik der Untersuchung, welcher jedes eiuzelne denk-
mal — mit einziger ausnähme des Londoner leichensteines — an ort und stelle von
Wimmer persönlich unterzogeu wurde, während zugleich der rühmlichst bekannte
künstler, prof. Magnus Petersen, seine vortrefflichen Zeichnungen ausführte, eine
ausführliche, in 13 kapitel gegliederte einleitung. Das erste handelt über zweck
und bestimmung der runensteine, über ihre äussere gestalt, lokalität und
Umgebung. Wenn wir von den im 4. bände behandelten leichensteinen der
christlichen zeit absehen, sind diese steine nicht eigentlich als grabsteine, sondern
als denk st eine zu liezeichnen, da sie in zahlreichen fäUen gar nicht auf oder
neben der ruhestätte der verstorbenen errichtet wurden und sich öfter geradezu
selbst als kenotaphien bezeichnen, indem die inschriften melden, dass der tote fern
von der heimat im auslande, auf einer heerfahrt, im kämpfe oder auf der see, sein
ende gefunden habe ; es kommt daher auch vor, dass au verschiedenen orten steine
gesetzt worden sind, die das andenken desselben mannes feiern. Gewöhnlich sind
allerdings sowohl die verstorbenen wie die errichter der denkmäler in der gegend,
wo diese aufgestellt wurden, heimisch und ansässig gewesen, aber es haben zu-
weilen auch Dänen in der fremde und ausländer in Dänemark verwandte oder
freunde durch herrichtung eines erinnerungssteines geehrt.
Zu diesen denkmälern, von denen das grösste (der schonische stein von
Lundagärd) die ansehnliche höhe von 3,82 m erreicht, während das kleinste (der
1) Vgl. Zeitschr. XXVIII (1896) s. 236-245; XXX (1898) s. 368-379;
XXXVIIl (1906) s. 124-143.
NEUERE SCHRIFTEN ZUR RUNENKINDE 237
Sjoriugstein in Jütland) nur 86 cm misst, sind in der regel die im laude zahlreich
vorhandenen erratischen granitblöcke verwendet worden, unter denen man mit ver-
liebe solche von der nach oben sich verjüngenden form der alten bautasteine aus-
wählte ; Sandstein ist fast nur auf Boruholm benutzt, dessen boden dieses leichter
zu bearbeitende material lieferte. Künstliche glättung ist nur selten vorgenommen
worden, doch hat man natürlich in der rege] für die Inschrift die breitesten und
ebensten flächen ausgesucht. Im gegensatz zu den späteren leichensteinen, die man
auf das grab legte, haben die eigentlichen ninensteiue aufrecht gestanden, indem
das untere, breitere ende in die erde eingegraben ward, daher die Inschrift auch
stets ein gutes stück oberhalb des fnsses beginnt. Eine seltene, aber mehrmals
sicher bezeugte, ausnähme ist es, dass die steine innerhalb des grabhügels an-
gebracht wurden; in der regel bevorzugte man einen ort, der von dem allgemeinen
verkehr stark berührt wurde, die fjordküsten, wasserläufe, landstrassen oder die
weithin sichtbare spitze eines hügels, der zuweilen, aber durchaus nicht immer,
der grabhügel des toten war, sei es, dass man diesen (wie in Jsellinge) frisch auf-
schüttete oder ein altes hügelgrab aus der stein- oder bronzezeit benutzte. Sehr
häufig ist auch der denkstein von anderen steinen umgeben worden, meist wohl
in der elliptischen form einer 'schiffssetzung' (skeid), wodurch ein denkmal (kumbl)
von oft sehr beträchtlichem umfange geschaffen ward.
Das 2. kapitel beschäftigt sich mit der äusseren gestalt der Inschriften.
Zu diesen ist in der mehrzahl der fälle nur eine (die glatteste) seite des steines
benutzt worden, öfter aber auch mehrere (bis zu vier), sowie die kanten. Eine
seltene ausnähme ist es, dass die Inschrift von der Vorderseite über die spitze des
Steines nach der rückseite hinüberführt. Kegel ist es, dass die Inschrift unten
beginnt und nach oben läuft; das umgekehrte, sowie die wagerechte richtung,
ist nur durch wenige beispiele bezeugt. Besteht die Inschrift aus mehreren zeilen,
so laufen entweder alle von unten nach oben, oder die richtung wechselt (ßouaxpo-
(pT]Sdv); gewöhnlich wird links angefangen, doch gibt es auch Inschriften, die
rechts oder in der mitte beginnen. Meist, aber nicht immer, sind die zeilen durch
striche voneinander getrennt oder von strichen eingerahmt. Auf späteren deiik-
mälern verläuft die Inschrift oft in einem diu'ch zwei striche gebildeten bände,
das — meist links beginnend — an der kante des steines entlaug läuft; wenn das
band nicht ausreichte, ist die fortsetzung auf verschiedene weise angebracht, zu-
weilen in einem zweiten, inneren, mit dem äusseren parallel laufenden bände. Hier-
aus entwickeln sich dann die jüngeren Schlangenwindungen, die jedoch in
Dänemark nur auf den jüngsten sclionischen steinen und auf Bornholm zu völliger
ausbüdung gelangt sind und vermutlich auf schwedischen einfluss zurückgeführt
werden müssen. Die länge der runen ist sehr verschieden (0,039—0,366 m) und
wechselt sogar häufig innerhalb derselben Inschrift; die eigennamen sind öfter
durch grössere runen hervorgehoben. Die einzelnen Wörter sind gewöhnlich durch
trennungszeichen von einander geschieden, die jedoch auf den ältesten denk-
mälern noch zuweilen fehlen. Am häufigsten gebraucht ist der doppclpunkt, seltener
der einfache und dreifache; öfter sind statt der punkte auch kleine senkrechte
striche verwendet worden. Erst in christlicher zeit wird ein kleines schräg liegen-
des (mitunter auch doppelt gesetztes) kreuz als trennungszeichen ü1)lich, neben dem
jedoch (bisweilen sogar in derselben Inschrift) auch die punkte noch benutzt sind.
Von dem modernen gebrauche weicht (wie in den handschriften) die worttrennung
dadurch ab, dass sehr oft die glieder eines compositums von einander geschieden
2b8 OERINd
■werden, umgekehrt aber zwischen i)rä[)osition und regiertes nomen kein trennunirs-
zeichen gesetzt ist.
Im 3. kapitel geht der Verfasser zur besprechuug der runenformeu über,
woran im 4. kapitel die Untersuchung über den lautwert der runenzeichen
sich anschliesst. Da die hier in betracht kommenden fragen bereits in dem be-
kannten buche des Verfassers über die runenschrift behandelt sind und neues kaum
geboten wird, unterlasse ich es, darüber zu referieren.
Kapitel 5 erörtert die spräche der r u n e n i n s c h r i f t e n. Diese unter-
scheidet sich in der älteren zeit (bis c. 950) nicht wesentlich von der sprachform
der älteren altnordischen gedichte und der ältesten isländischen handschriften, wenn
sie auch in einzelnen fällen altertümlicher ist, z. b. run. Eröulfr gegen altisl. Hrölfr;
Godamundr — Goötnundr ; sunu (acc. sg.); modrgin — iiwögin: kumhl — kiiml: liga
(got. ligan) ~ Uggja; rceispi — reisti ; die formen des demonstrativprouomens sdsi:
die Vergleichspartikel pqn (altisl. an, en); (eft als präposition u. a. Erst mit dem
Schlüsse des 10. Jahrhunderts beginnt das ostnordische sich deutlich von dem west-
nordischen zu scheiden: jenes bewahrt noch lange zeit nebeneinander die beiden
r-laute, die westnordisch bereits früh zusammenfielen, und den alten diphthongen
ni, der westnordisch vor dentalen in iö übergeht, bietet öfter d an stelle des
westn. ü (bö, bru, Glömr) und // an stelle von o {b//r), wandelt e (e) zu re («),
hat den zt-umlaut des a in der regel nur dort erhalten, wo der umlautwirkende
vokal später geschwunden war — die von Wimmer nicht erklärten ausnahmen
(sautu, faupur, fojmr) scheinen auf Schonen und Bornholm beschränkt zu sein,
so dass hier eine ostdänische eigentümlichkeit zu statuieren wäre — ; es hat ferner
nur geringe spuren des ii^-iunlauts aufzuweisen und anlautendes h vor r früher ab-
geworfen als das westnordische \ während die organischen formen satti, sattr (gegen
westn. setti, settr) sogar ins neudänische hinübergerettet sind. — Von abweichungen
und eigentümlichkeiten auf dem gebiete der flexionslehre notiert Wimmer die
deklination des Wortes drengr, das im altdänischen zur Ja-klasse, im altwestnor-
dischen dagegen zur t-klasse gehört, das fehlen des pronomens enn, inn (altdänisch
begegnet nur hinn), die analogiebildung soe neben sd, die altertümlichen formen
des zusammengesetzten demonstrativprouomens sdsi, sü-si, pai-si, das in der späteren
zeit auch das zweite glied flektiert, und die erhaltung des nom. sg. m. hwd, der ja
bekanntlich, wenn auch in sehr eingeschränkter Verwendung, im neudän. Iivo fort-
lebt. — In der syntax und Wortstellung sind unterschiede kaum zu bemerken,
dagegen enthält der Wortschatz ein paar dem ostnordischen fremde nomina
{heim-J}egi, kollr, würing, glamull). Recht bedeutend ist die zahl der von Wimmer
verzeichneten personennamen, die auf westnordischem gebiete bisher nicht
nachgewiesen sind {Ödinkdrr, Gormr, VegStr, Fradölfrnsw.); doch wird seine liste
vermutlich eine einschränkung erfahren, sobald vollständige und zuverlässige Samm-
lungen des gesamten altskandinavischeu namenmaterials vorliegen werden -. Be-
1) w vor anlautendem r ist uur in ?-/'ta und den zu diesem verbum gehörigen
ableitungen verloren gegangen, wie ich vermute, durch den eiufluss des sinnver-
wandten rt'sta.
2) Nur als eine vorläufige abschlagszahlung betrachte ich das fleissige buch
von E. H. Lind: Norsk-isländska dopnamn ock fingerade namn frän medeltiden
(Upps. 1905 ü.), das leider in der sorgfältigen registrierung der orthographischen
nuaucen sein behagen und genügen findet und daher höchstens den dialektforscher
NEUEiaC SCHRIFTEN ZUR RUNENKUNDE 239
fremdend ist s. LXXVI die behauptung-, dass der name Hüdalfr in Norwegen und
Island unbekannt sei, während doch bereits bd. II s. 460 und im nameuregister des
IV. bandes (s. XLIX) die bekannten belege aus den Härbarösljöö und der Snorra
Edda angeführt sind und an der letzten stelle auch auf norwegische Ortsnamen
hingewiesen ist, welche die existenz des personennamens auch für Norwegen be-
weisen. Auch der name Finnulfr wird mit unrecht für Island geleugnet, da in
der Hungrvaka (c, 2, 16 u. ö.) ein Guthormr prestr Finnölfson bezeugt ist,
der schwerlich (wie Lind vermutet) dänischer nationalität war.
Im 6. kapitel, das den Inhalt der r u n e n i n s c h r i f t e n behandelt, wird
zunächst festgestellt, dass die später beinahe stereotype formel: "X errichtete diesen
stein (dieses denkmal) nach (d. h. zum andenken an) Z' erst allmählich sich durch-
setzte, daher in der älteren zeit verschiedene andere, kürzere oder längere, formein
nebeneinander begegnen. Abweichungen von der fest gewordenen formel sind selten
zu finden, so z. b. die ausdrückliche angäbe, dass X das denkmal durch einen andern
herstellen Hess. Gewöhnlich wird aber hinzugefügt, in welchen verwandtschaftlichen
oder freundschaftlichen beziehungen der errichter des denksteins zu dem verstorbenen
stand; öfter wird auch der name von des toten vater (sehr selten dagegen der der
mutter) angegeben. Sehr beliebt ist auch die beifügung eines kurzen, den dahin-
geschiedenen preisenden elogiums (harda gödan pegn bezw. dreng ist das üblichste).
Nicht selten ist auch die gesellschaftliche Stellung oder der beruf der durch den
denkstein geehrten person mitgeteilt, hin und wieder auch der ort oder die näheren
umstände des todes. Die angaben über die errichter der denkiaäler sind in der
regel noch sparsamer und lakonischer. In der heideuzeit ist zuweilen am Schlüsse
eine ausdrückliche warnung vor der Zerstörung oder Schädigung des denkmals hin-
zugefügt oder der wünsch, dass 'Thor die runen weihen' möge; dies ist dann in
christlicher zeit durch ein häufig bezeugtes kurzes gebet für das heil der seele er-
setzt worden.
Ein zweiter abschnitt beschäftigt sich mit den in den Inschriften vorkommen-
den versen. Keine dänische runeninschrift ist von anfang bis zu ende in metrischer
form ; es sind immer nur einzelne sätze, die durch Stabreim, Wortstellung, rhythmik
verraten, dass poetische fassung beabsichtigt war. In der ansetzung solcher verse
ist Wimmer lobenswerterweise vorsichtiger gewesen als andere, mitunter wohl noch
nicht vorsichtig genug, wie ich z. b. in der Inschrift des grösseren Steines von
Sender -Vissing (I, 73 ff.) die dichterische form nicht zu erkennen vermag. Um-
gekehrt möchte ich aber in ein paar fällen gegen Wimmer verse statuieren, da
ich mich nicht davon überzeugen kann, dass ein satz, der in versform beginnt,
mit gewöhnlicher prosa schliessen oder dass ein prosaischer satz in die metrische
gestaltung umschlagen konnte. Ich glaube daher nach wie vor (s. Zeitschr. 30,
372 fg.), dass die Inschrift des Sjörup-steines (durch auslassung eines adverbiums)
verstümmelt ist; meiner Vermutung, dass hier wie auf dem ersten steine von Hälle-
und grammatiker befriedigen kann, nicht aber den etymologen und noch viel weniger
den genealogen und historiker. Ein Wörterbuch der altnordischen personennamen
sollte zugleich eine gedrängte altnordische biographie darstellen und von genea-
logischen tafeln begleitet sein: jede dieser tafeln müsste sämtliche nanien durch-
numerieren, damit in den einzelnen artikeln (jede person hätte naturlich einen be-
sonderen artikel zu beanspruchen) darauf verwiesen werden könnte.
240 GERING
stad ein zu elireu des Asbji^ru Tökason verfasstes gedieht zitiert wird, ist Wimmer
ja nunmehr beigetreten. Ebenso beharre ich gegen Wimmer, der nur das fornyr-
öislag und den mälahättr auch dem ostnordischeu vindizieren will, bei der annähme
(.Zeitschr. 38, 131 fg.), dass in dem von ihm so überaus glücklich ergänzten und
gedeuteten Schlüsse der inschrlft von Sender -Vinge der helmingr einer Ijööahättr-
strophe erhalten ist, da hierfür nicht nur der entschieden sprichwörtliche Charakter
der beiden zeilen spricht, sondern auch die form : auf eine völlig korrekte langzeile
A + B folgt eine ebenso korrekte voUzeile des typus AC (Zeitschr. 34, 476), die
zwar nicht in sich selbst alliteriert, wohl aber an die vorausgehende langzeile an-
gereimt ist, indem sie dieselben beiden reimstäbe enthält, die in jener die
gekreuzte alliteration bilden. Meine hypothese erscheint mir daher entschieden
wahrscheinlicher als die annähme einer sententia hybrida, eines aus poesie und
prosa gemischten satzes, für dessen möglichkeit man sich nicht etwa auf Brätes
Runverser berufen soll, die zur guten hälfte gar keine verse sind, und ich verstehe
nicht, warum man dänischerseits sich so sehr dagegen sträubt, dass man auch
Dänemark einen bescheidenen anteil an der gnomischen dichtung des nordens, deren
gefäss der Ijoöahättr gewesen ist, zuweisen will.
In einem dritten abschnitte des kapitels wird noch die frage: Von wem und
zu wessen gedächtnis die runensteine errichtet wurden ? dahin beantwortet,
dass in der regel diese wie jene mann er waren, und zwar sind die fälle am
häufigsten, dass von dem söhne (bezw. von mehreren söhnen) dem vater oder von
dem bruder (bezw. von mehreren brüdern) dem bruder (oder mehreren brüdern)
der denkstein gesetzt ward; ziemlich häufig sind auch die denkmäler vertreten, die
kameraden oder freunde einander weihten, seltener schon diejenigen, die der treue
diener dem herrn oder der herr dem diener stiftete. Dass frauen aktiv und passiv
so wenig beteiligt sind, entspricht der bescheidenen rolle, die das weih des nor-
dischen altertums im öffentlichen leben spielte : die einzige ehefrau, deren gedächtnis
der trauernde witwer durch ein monument ehrte, war eine königin, f'yri Danmar-
karböt, und ebenfalls nur einmal bezeugt ist die rührende anhänglichkeit des ver-
lobten an die durch den tod ihm entrissene braut (auf dem steine von Rygbjaerg),
während die dankbarkeit der tochter gegen die mutter auf zwei denkmälern zum
ausdruck kommt; sonst wird die mutter noch ein paarmal entweder allein oder
neben dem vater oder bruder von den hinterbliebenen erwähnt. Wenn die frau
handelnd aus ihrer reserve heraustrat, um den namen des gatten der nachweit zu
überliefern, gaben gewiss immer besondere umstände die veranlassung, sei es, dass
männliche erben nicht vorhanden waren oder die söhne das alter der mündigkeit
noch nicht erreicht hatten. — Dass ein lebender zu seinem eigenen gedächtnis einen
stein errichtete, ist nur einmal (auf dem läländischen steine von Tillise) ausdrück-
lich bezeugt, aber auch für den seeländischen stein von Fjsenneslev mit Sicherheit
anzunehmen; in Schweden ist die zahl dieser fälle häufiger. — Am schluss des
kapitels gedenkt der Verfasser auch noch der Steinmetz en, die die inschriften
und die nicht selten diesen beigefügten bildlichen darstellungen einmeisselten: ihre
namen haben diese leute, die in der späteren zeit sicherlich ihre kunst handwerks-
mässig übten, öfter, und bereits auf den älteren denkmälern, der nacliwelt nicht
vorenthalten.
Von den oben erwähnten bildlichen darstellungen und figuren, zu
denen Winimer im 7. kapitel übergeht, sind einzelne, und zwar die seltsamen, noch
unerklärten runden (schalenförmigen) und ovalen (fusssohlenähnlicheu) Vertiefungen
NEUERE SCHRIFTEN ZUR RUNENKUNDE 241
älter als die Inschriften, da sie vermntlich lange vor dem beginne der eisenzeit in
die später zu den runendenkmälern verwendeten steine eingehauen wurden. Gleich-
zeitig mit den inschriften sind dagegen aus der heidenzeit verschiedene religiöse
symhole (das hakenkreuz, der Thorshammer und vielleicht auch die noch nicht ge-
deuteten drei ineinander verschlungenen hörner auf dem steine von Snoldelev; an
ihre stelle tritt dann nach der bekehrung das christliche kreuz, das auf dem grossen,
von Harald blauzahn errichteten steine von Jaellinge sogar durch ein vollständiges
bild des gekreuzigten Christus ersetzt ist. Als beiden der wikingerzeit werden eine
beträchtliche anzahl der auf den denksteinen verewigten männer durch die meist
rocht roh ausgeführten schiffsbilder bezeichnet; eine höher entwickelte, durch
irische und angelsächsische muster beeinflusste kunst bezeugen dagegen die reich-
lich vertretenen darstellungeu phantastischer tier gestalten, die Wimmer nicht
für einen lediglich ornamentalen schmuck ansehen möchte, ohne jedoch eine deutung
zu wagen. Auch ein wunderlich stilisierter männerkopf kommt mehrfach vor. Auf
dem grösseren steine des Hunnestad-monuments in Schonen findet sich das bild
eines behelmten, mit einer Streitaxt bewaffneten kriegers, das vielleicht den Gunni
h9nd darstellen soll, den vater der vier brüder Asbjgrn, Tomi, R(Mr und Leikfreör,
von denen die ersten beiden den beiden letztgenannten jenen stein errichteten,
während der kleinere inschriftstein von AsbJ9rn allein dem später verstorbenen
Tomi gestiftet ward: vermutlich hat Gunni wegen der gewaltigen kraft, mit der
sein arm die waffe schwang, seinen beinamen erhalten. Ein dritter, inschriftloser
stein desselben monuments zeigt das bild eines auf einem wolfe reitenden weibes,
das eine schlänge als zäum benutzt und in der rechten band statt der reitgerte
ebenfalls eine schlänge führt, also einer zaubergewaltigen riesln, wie sie das nor-
dische altertum nach dem Zeugnisse der Snorra Edda und der Helga kviöa Hjgrv.
sich vorstellte. Zwei weitere, ebenfalls nur mit bildern geschmückte steine sind
leider verloren und nur aus den sehr mangelhaften abbildungen in Worms Monu-
menta und Göranssons Bautil bekannt. Wimmer deutet sie nicht; da jedoch auf
dem einen stein sicher ein geweihtragendes tier, also — trotz des langen, aller
Zoologie hohnsprechenden Schweifes — ein hirsch abgebildet scheint und auf dem
andern ohne alle frage ein eher, so wüsste ich nicht, was uns hindern könnte, in
diesen beiden tieren den Eikjjyrnir und S?ehrimnir zu erkennen. Das Hunne-
stad-monument, das auf dem jüngeren inschriftsteine bereits das kreuz trägt, zeigt
also eine für das übergangszeitalter charakteristische mischung von heidnischen und
christlichen Vorstellungen : Gunni h^nd und seine beiden älteren söhne waren viel-
leicht noch als anhänger des asenglaubens gestorben, und deswegen brachte man
auf dem denkmale darstellungeu an, die an die freuden von Valh9ll erinnerten.
In früheren zeiten hat man mehrmals auf steinen runen zu erkennen geglaubt,
die sich nachher bei sorgfältigerer Untersuchung als natürliche ritzen und schrammen
erwiesen, die das eisen der pflugschar oder das gletschereis der diluvialzeit ver-
ursacht hat. Diese fälle, von denen Finn Magnusens deutung der sogenannten
Euuamo-inschrift in Blekinge der bekannteste ist, behandelt Wimmer im 8. kapitel
und gibt als beispiel die abbildung des Värst-steines in Jütland, auf dem P. G. Thorsen
spuren von buchstaben hatte finden wollen. Hieran schliesst sich im 10. kapitel die
besprechung der beiden dänischen runendenkm äler im auslande, von
denen die Inschrift des Karlevi-steines auf Öland die interessantere ist. Diese In-
schrift war zuletzt von Sven Söderberg herausgegeben worden (vgl. meine anzeige
Zeitschr. 38, 141 fg.), dessen lesung und deutung Wimmer nur in ein paar minder
ZEUrSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 16
242 CKKING
wesentlichen punkten berichtigt hat'. So liest er in zeile 7 der dröttkviett-strophe
'imtils' als Vaudils, was unbedingt wahrscheinlicher ist als Söderbergs Yndils, da
diese namensform sonst nirgends vorkommt, während Vandill in einer nafna{jula
der Sn. Edda (I, 548) unter den siekonmiga heiti aufgeführt wird; wir erhalten
durch diese einleuchtende besserung zugleich einen neuen beleg für die neuerdings
mit unrecht geleugnete vokalische Qualität des altnordischen v (s. oben s. 233 fg.). In
dem prosaischen teile der Inschrift, den Wimmer wohl mit recht an die spitze setzen
will, glaubt er am anfange aus den an dieser stelle stark verwitterten runen eher
stain. sasi. is. satr als stain. sa. uas. satt- herauslesen zu sollen und erklärt lipi für
den nora. sing, des bekannten sw. masc, während Söderberg ein sonst unbezeugtes
st. n. lipi 'gefolge' ansetzen wollte (Wimmer bezieht das wort auf den mann, der
dem toten am nächsten stand und die errichtung des deukmals veranlasste). Der
durch abbröckelung verstümmelte schluss endlich, den Söderberg nicht zu ergänzen
gewagt hatte, lautete nach Wimmers Vermutung: en. hqns. lipi. sati. at. u. taus[.]
aipj[ar. mini], d. h. en hqns liöi satti at ey dauös heiflarminni 'sein gefolgsmann
aber errichtete an der insel (d. h. auf dem ufer) das ehrendenkmal des toten'. Diese
ergänzung ist offenbar glücklicher als die früheren versuche, wenigstens gebe ich
den meinigen ohne bedauern auf. Der Verfasser der dröttkvsett-strophe ist auch
nach Wimmers meinung ein norwegischer skalde gewesen, dagegen schreibt er
den prosaischen teil der Inschrift einem dänischen gefolgsmanne des Sibbi zu,
was ein paar ostnordische eigentümlichkeiten (wie satti st. setti) zu beweisen scheinen:
dieser umstand gibt ihm denn auch das recht, den Karlevi-stein als ein dänisches
denkmal in ansprucli zu nehmen. Mit der schlacht auf den Fyrisvellir bei Upsala
hat dasselbe übrigens nach Wimniers urteil nichts zu tun, der das deukmal reich-
lich 20 jähre später ansetzt (um 1000). — Das zweite ausserhalb Dänemarks er-
richtete monument ist das auf dem kirchhofe der Paulskirche zu London gefundene
bruchstück eines runensteines aus der 1. hälfte des 11. Jahrhunderts, auf dem leider
nur wenige werte erhalten sind: yina : let : lekia : stin : pensi : auk : Tuki. Der-
selben zeit gehört der schonische stein von Valleberga an, dessen Inschrift die mit-
teilung enthält, dass Mauni und Sweni, zu deren gedächtnis er errichtet wurde, zu
London ihre i-uhestätte gefunden haben. Wimmer hält es daher für möglich, dass
der Londoner stein das grab dieser beiden männer bedeckt habe ; bedenklich ist
jedoch der umstand, dass nur ein skelett in demselben gefunden wurde.
Etwas grösser ist die zahl der fremden runendenkmäler auf däni-
schem bodeu, mit denen das 10. kapitel sich beschäftigt. Von diesen ist der
zweite stein von Gunderup in Jütland (aus der 2. hälfte des 10. Jahrhunderts)
das älteste. Die kurze Inschrift: Anstain sati stain pansi abt AsuV> fapur sin
erweist sich durch die Verwendung der ruuenzeichen 'j, Y und ', sowie durch das
zweimal an stelle von / gebrauchte h als schwedisch. Etwa derselben zeit wird
der jütische stein von Lavrbjserg angehören, dessen legende: rulnausanstain \ uili
ein noch ungelöstes rätsei ist; jedesfalls aber beweist die rune Yt welche die geltuug
a haben muss, dass wir es nicht mit einem echt dänischen denkmal zu tun haben.
Aus der 1. hälfte des 11. Jahrhunderts stammt der stein von Hobro in Jütland, der
1) Seine ausführungen über den Karlevi-stein finden sich bereits in einem
anhange der von Sv. Söderberg begonnenen und von Erik Brate vollendeten aus-
gäbe der öländischen runeninschrifteu (Ölands runiuskrifter, Stockb. 1900 — 1906, 4)
s. 136—139.
NEUKRE SClIRItTEX ZUR RUXENKL'XDE 243
die Inschrift trägt: Purin rispi stin fmasi aufti Karl hin kiipqa fElaka sin harßa
hapqan U-eJc : liemerkenswert ist in dieser die dreimal bezeugte Verbindung an (:^'|')
und daneben der umstand, dass die rune ^ nicht bloss h, sondern zweimal auch
einen e-laut bezeichnet, für den Wimmer die transskrii)tion e gewählt hat. Diese
zweite eigentümlichkeit zeigt auch ein w^estgötländischer ruuenstein von As socken,
Ase härad (Torin, Vestergötlands runinskrifter II, nr. 42), und da die Inschriften
der beiden steine (bis auf das epitheton Mnn göda^ das auf dem As-steine fehlt)
identisch sind, so hat Wimmer mit seiner Vermutung unzweifelhaft recht, dass beide
auf veranlassung desselben mannes, des Westgoten i*6rir, errichtet sind, der eine
in seiner eigenen heiraat, der andere in der heimat seines 'kameraden' Karl. Eben-
falls schwedischen Ursprungs ist sodaun der im jähre 1897 aus den fundamenten
des Schleswiger doraes hervorgezogene stein, der bald nach seiner entdeckung von
Wimmer im verein mit Eochus v. Liliencron publiziert ward (Kiel 1898). Die
ergänzung dieser, nur fragmentarisch erhaltenen Inschrift, die unter sorgfältigster
berechuuug des raumes, der für die zerstörten niuen zur Verfügung stand, vor-
genommen wurde, macht dem Scharfsinne des herausgebers, der jetzt bei der er-
neuten behandlung des Stoffes nur ein wort zu ändern für nötig fand (urustu statt
utfaru) alle ehre. Hiernach lautete diese Inschrift:
[I'uki] lit r(a)i(s)a stain e[fi\
{ir Half](t)an Sul[ka sun felaga]
[sin CE uarp i\{a)upjr [i) [uriisUi\
[Saai'\)i auh Kup^muntr pnr r[istii\
[run'\{a)R a Unr/lanti i Skia [h]uilis Kr[istr\
[hialhi ont hans].
In 'Skia' erblickt Wimmer nicht mehr, wie in der Kieler publikatiou, die Hebriden-
insel Skye, die man schwerlich als 'in England' belegen bezeichnen konnte, sondern,
einer vernuitung Konr. Maurers sich anschliessend, das heutige dorf Skidby in East-
Eidling (grafschaft York). In der nähe dieses ortes wurde am 25. September 1066
die Schlacht von Stamford- bridge geschlagen, in der kurz vor ihrem untergange
die sonne des sieges noch' einmal den Angelsachsen leuchtete und der norwegische
könig Haraldr haröräöi den tod fand. Dass nordische wikinger in den dienst aus-
ländischer fürsten traten, ist ja oft genug vorgekommen, und es ist daher keine
unwahrscheinliche annähme, dass in demselben kämpfe auch Halfdan Sulkason (auf
norwegischer oder angelsächsischer seite) gefallen ist. Vermutlich war er dänischer
nationalität, aber der Steinmetz, der die runen einhieb (und doch wohl auch sein
auftraggeber) stammte, wie Wimmer meint, aus einer der schwedischen landschaften
am Mälarsee, was Wortwahl, spracli- und runenformen zu beweisen scheinen.
Ein gotländisches denkmal endlich ist der taufstein von Akirkeby auf
Bornholm, den Wimmer bereits 1887 in einer besonderen schrift (dem ersten Vor-
läufer seines grossen ruuenwerkes) in mustergiltiger weise untersucht und erläutert
hat (vgl. meine ausführliche anzeige Zeitschr. 21, 487 ff".). Er konnte sich daher
jetzt damit begnügen, seine resultate in kürzerer fassung zu wiederliolcn und ein-
zelne kleine berichtigungen einzuschalten, die er zum teil den besprcchungen ' seiner
älteren arbeit verdankt.
1) Die existenz eines in einer Kopenhagener zeitung (Dagbladet) erschienenen
referats von F. Dyrlund ist erst jetzt durch Wimmers bezugnahme auf dasselbe zu
meiner kenntnis gelangt.
16*
244 (;kkix(;
Im 11. kapitel bespricht AVimmer die mittel, die dem forscher zu geböte
stehen, um das alter der runeninschriften zu bestimmen. Die sichersten
anlialtspunkte gewähren natürlich die im ersten bände vereinigten 'historischen'
denkmäler, da diese genau datiert werden können und glücklicherweise nahezu
300 jähre umspannen (von c. 940 bis c. 1210). Ein weiteres hilfsmittel gewähren
die schriftlichen oder bildliche» Zeugnisse auf den runensteinen für ihre errich-
tung in heidnischer oder in christlicher zeit. Wo derartige Zeugnisse fehlen, müssen
die sprach- und runenfonnen über die zeitfrage entscheiden: zu den sprach-
lichen kriterien gehören die bewahrung oder aufgäbe der alten diphthonge
sowie die Unterscheidung der beiden r-laute (r und b) und der beiden a-laute
(a und ff), zu den paläographischen die Verwendung der punktierten runen
(seit dem letzten viertel des 10. Jahrhunderts), die verschiedenen formen der ??i-rune
(in der älteren zeit <p, seit dem beginne des 11. Jahrhunderts ^), die nebenformen
der s-rune h H (seit der zweiten hälfte des 10. Jahrhunderts), die jüngeren formen
der a-rune H und der n-nme f*, die jüngeren formen der «-rune, die schliesslich
den lautwert o erhält, und die wechselnde gestalt der trennungszeichen. Mit recht
macht jedoch Wimmer darauf aufmerksam, dass der ganze Charakter und gesamt-
eindruck eines deukmals in betracht gezogen werden mnss, und dass, um eine relativ
sichere Zeitbestimmung zu ermöglichen, für den untersuchenden eine auf autopsie
begründete beherrschung des gesamten materials unerlässlich ist. Trotz alledem
können die Schätzungen nur approximativen wert haben, da z. b. mit der möglicli-
keit gerechnet werden muss, dass ein Steinmetz, der um 950 in die lehre trat, noch
im anfange des 11. Jahrhunderts mit der ausführung eines denkmals betraut werden
konnte, aber zu konservativ war, um sich an die neumodischen punktierten runen
zu gewöhnen. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass selbst der tüchtigste kenner
um ein paar Jahrzehnte sich irrt. So datiert Wimmer selber jetzt (I, CXXXVII)
den stein von Yalleberga und den gleichzeitigen stein vom St. Paulskirchhof in
London um 1030, Wiährend er früher (in band III) den genannten schouischen stein
hinter den steinen von Hyby, Alstoi-p und Holmby einordnete, die er dort geneigt
war, bis zur mitte des 11. Jahrhunderts hinabzurücken; auch trägt er kein bedenken,
sich jetzt der hypothese von Magnus Olsen (I)anske studier 1906, s. 37 fg.) anzu-
schliessen und den Bornholmischen stein von Nyker mit dem dänischen Wenden-
kreuzzug des Jahres 1147 in Verbindung zu setzen, obwohl er früher c. llbO ('frühe-
stens 1125, wahrscheinlicher aber ein paar jähre jünger') als terminus ad quem
angenommen hatte.
Das 12. kapitel handelt über die geographische Verbreitung der
runendeukmäler. Die sitte, denksteine für verstorbene zu errichten, ist, wie
Wimmer annimmt, in den verschiedenen gegeuden des landes nicht zu allen zelten
gleichmässig verbreitet gewesen. Obwohl er mit recht davor warnt, voreilige Schlüsse
zu ziehen, da der zufall seine band im spiele gehabt haben kann, so dass möglicher-
weise in einer landschaft eine grössere anzahl von steinen durch günstige umstände
erhalten blieb, während anderwärts durch besonderes missgeschick eine umfang-
reichere Zerstörung stattfand, scheint doch im 9. Jahrhundert besonders in Seeland
und Fünen der brauch in blute gewesen zu sein, während im 10. Jahrhundert, be-
sonders von 960 an, und bis tief in das 11. Jahrhundert hinein Jütland und
Schonen durch die bei weitem grösste anzahl von denkmälern repräsentiert sind
und auf Bornholra erst von c, 10.30 ab — dafür aber desto länger (bis ins 13. Jahr-
hundert) — Steininschriften sich nachweisen lassen. Im ganzen ist Jütland durch 68
NEUERE SCHRIFTEN ZUR RUNENKUNDE 245
Steine vertreten (während der umstrittene boden von Schleswig nur 5 aufweist), von
denen die mehrheit den östlichen, von jeher besser bevölkerten teilen der halbinsel
augehört, Fünen durch 8, Seeland durcli 10, Lähiud durch 6, Falster durch 1 (auf
Mou und Langeland ist kein einziger zutage gekommen), Sclionen durch 42 und
Bornholm durch 38 : die gesamtzahl beträgt somit 168.
Das letzte (13.) kapitel unterrichtet über die benennung der steine
(die häufiger mit dem namen des kirchspiels, dem der fundort angehört, als mit
dem namen des letzteren bezeichnet sind) und über ihren gegenwärtigen aufbewah-
rungsplatz. Nur der kleinere teil befindet sich noch auf der ursprünglichen statte
seiner errichtung oder in der nähe derselben; eine grössere anzahl ist in kirchen
oder in deren unmittelbarer Umgebung, zum teil auch auf herrschaftlichen land-
sitzen untergebracht worden. Mehrere sind auch in museen übergeführt, wo sie ja
der wissenschaftlichen benutzuug am bequemsten zugänglich sind: 15 in die (übri-
gens viel zu enge und dürftige ^ 'runenhalle' des nationalmuseums in Kopenhagen,
6 nach Arhus, 2 nach Randers, 2 nach Maribo, 7 nach Lund und 3 nach Kiel.
Pie Schlusshälfte des IV. bandes eröffnen mehrere wichtige nachtrage zu den
früheren bänden ; erfreulicherweise konnten hier auch ein paar neu entdeckte
denkmäler veröffentlicht werden. Das interessanteste von diesen ist der im jähre
1905 in den fundamenten der alten klosterkirche zu Arhus gefundene prächtige
runenstein (Arhusstenen V) aus dem anfange des 12. Jahrhunderts mit der Inschrift:
[T]usti X auk X Hufi x auk x ßiB x Frebiurn x
rispu X still x pqnsi x iftiR x Asur x
Sahsa x filaka x sin x harpa x kupan x
trik X saii x tu x mana x mest x unipikR x
saR X ati x skib x mij) x Arnq x
die in mehrfacher hinsieht beachtenswert und merkwürdig ist. Eigentümlich
nämlich ist die auf dänischen ruuensteinen sonst nicht begegnende bezeichnung Azur
Saxa statt Azur Saxasun (sonst ist, wenn das wort smi fehlt, der vatername im
genetiv vorangestellt: Gorms T6ki\\.'A.)\ bemerkenswert ferner die fornyröislag-
zeile säR dö manna \ mest unidingr, die das wort unidingr 'ein vollendeter ehren-
mann' für Dänemark zum erstenmal belegt, während das elogium in fast ganz
gleicher form auf schwedischen steinen öfter begegnet, sowie die angäbe des schluss-
satzes, dass der verstorbene in gemeinschaft mit einem andern ein schiff besessen
habe, was auch auf dem zweiten Stro -steine (DE III, 112) und durch isländische
quellen mehrfach bezeugt ist (zu der von Wimmer angeführten stelle der Gunnlaugs
saga vgl. ferner Eyrbyggja c. 22, 7 nebst der note). Endlich ist es ein immer-
hin seltener fall, dass zwei von den auf diesem steine genannten personen, und zwar
die beiden männer mit den nicht gerade iiäufigen namen Höfi und FreyhJQrn, bereits
bekannt waren, und zwar durch die Inschrift des etwas jüngeren steins von Alstorp
in Schonen (DR III, 154 ff.) : Hals : auk : Freyhiurn : rispu : stina : pjesi : efÜR :
1) 'Prindsens palais' ist überhaupt der denkbar ungünstigste aufbewahrungs-
ort für so reiche und kostbare Sammlungen. Keine europäische grossstadt hat durch
wiederholte feuersbrünste so schmerzliche Verluste an wissenschaftlichem matcrial
erlitten wie Kopenhagen, und man sollte daher, nachdem endlich die schätze der
königlichen bibliothek ein so schönes, würdiges und sicheres heim gefunden haben,
nun auch nicht zögern, den nicht minder wertvollen beständen des rauseuras eine
ähnliche geräumige und vor allem gegen brand geschützte statte zu bereiten.
246 GEIUNG
Hufa : ftlaga : sin. Die walirscheinlichkeit, dass diese gleichnamigen personen
identisch sind, ist nämlich überaus gross, und die von Wimmer nur als möglich
bezeichnete Vermutung, dass Freybjyrn, der zusammen mit Höfi und Tösti seinem
kameraden Azur den stein von Arhus errichtete, den Höfi überlebt hat und diesem
in gemeinschaft mit einem andern genossen den stein von Alstorp als denkmal
setzte, hat sicherlich das richtige getroffen. — Neu entdeckt (im jähre 1906) ist
ferner der stein von Stora Harrie in Schonen (aus dem ersten viertel des 11. Jahr-
hunderts) mit der kurzen Inschrift: Birla : satt : iftiit : Tuka : mak : sin 'Birla (offen-
bar ein frauenname) errichtete [diesen stein] zum andenken an ihren verwandten
(Stiefsohn?) Töki', in der die auslassung des Objektes (stiu) auffallend, aber nicht
beispiellos ist. — Ebenfalls noch nicht publiziert war die inschrift des taufsteins in
der kirche von Lilla Harrie in •Schonen: Marfen : mik : giar/jf, sowie das frag-
ment eines bunten glasfensters aus der kirche von Give in Jütland (um 1300) mit
der inschrift: furöi{k), die Wimmer nicht deutet.^ — Ergänzt endlich wird die
l)d. ni, 159 ff. publizierte inschrift des schonischen steines von Holmby durch den
früher (infolge der einmauerung in die kirchenvvaud) nicht sichtbaren anfang : Suiii
rispi. Der von Wimmer a. a. o. ergänzte schluss (c/ööan ßegn) steht nicht auf dem
steine, vielmehr endet die inschrift mit sin. Auch das auf dem denkmal (von dem
natürlich eine neue abbildung gegeben wird) eingemeisselte schiff, dessen vorder-
und hinterteil in tierköpfen auslaufen, ist jetzt vollständig sichtbar geworden.
Den grössten teil des halbbandes (s. HI— LXXXII) füllen die unentbehrlichen
und mit peinlicher Sorgfalt bearbeiteten lexikalischen beigaben (glossar und
namenregister). Der Wortschatz, den die Inschriften der runeusteine uns liefern,
ist ja begreiflicherweise nicht gross (er umfasst nur 104 substautiva, 54 adjektiva,
11 pronomina, 2 Zahlwörter, 60 verba, 24 adverbia, 11 präpositionen, 7 konjunk-
tionen und 2 präfixe, also in summa 275 Wörter). Dazu kommen 292 eigenuamen
(235 männliche und 31 weibliche personennamen, 21 Ortsnamen und 5 völkernamen),
die zum teil noch ungedeutet sind und den etymologen wohl noch für längere zeit
reichlichen stoff für ihre kombiuationen liefern werden -. In den beiden Verzeich-
nissen hat übrigens bereits Wimmer verschiedene male gelegenheit gehabt, früher
ausgesprochene meinungeu zu berichtigen oder eine neue erklärung vorzuschlagen;
mau vgl. z. b. s. XXII s. v. swdss, wo er diesem worte nunmehr mit recht die be-
deutung des gotischen sires vindiziert (Zeitschr. 38, 131), oder s. LX s. v. Sasurr,
wo die schon von Bugge erwogene, seltsamerweise aber wieder aufgegebene hypo-
these, dass das anlautende s in den eigenuamen Sazwrr, Sasgerör und Smstrlär aus
der endung des vorangestellten vaternamens stamme, die «-losen nebenformen Azurr,
Asgerör, ^iEstridr also die ursprünglichen seien, als die allein mögliche bezeichnet
wird, was wohl allgemeiner Zustimmung sicher ist^
1) An die lesung fordl?] i(esus) k(ristr) 'adjuvet J. Chr.' ist kaum zu denken,
denn auf einem so jungen denkmal müsste mau doch statt des H ein ^ erwarten.
2) Überzeugend gedeutet ist inzwischen von Evald Liden der männliche
eigenname Sbarla (d. i. Sp?erla < * Sptieröla) in der neuen, vom Svenska litteratur-
sällskapet i Finland herausgegebenen Zeitschrift: Studier i nordisk filologi utg.
genom Hugo Pipping I, Helsingfors 1910, s. 1 ff.
3) Sollte nicht auch der alte name des heutigen dorfes Spragelse (zwischen
Ringsted und Ntestved), Sbnlklusu in gleicher weise als * s-Balks-losa zu erklären
sein ? Die sw. form Balki ist auf westnordischem gebiete als männlicher eigen-
name mehrfach nachgewiesen (Lind sp. 109), die st. Balkr nur als beiname {Gunnarr
NEUERE SCHKIFTEN ZUK KUNEXKUNDE 247
Auch in den angehängten Till ieg og rettelser (s. LXXXIII— XOII) sind zahl-
reiche schätzenswerte exkurse und nachtrage zu allen vier bänden enthalten. So
ist z. b. der interessanten Inschrift des Bornholmischen Steines von Vester Marie VI
noch eine volle seite gewidmet (s. XC— XCI). Wimmer erklärt jetzt das trebinu
dieser Inschrift nicht mehr als den genetiv eines weiblichen eigeunamens, sondern
als den genetiv des appellativs trce-hena '(mühle) mit hölzerneu füssen', bleibt aber
im übrigen (mit der modifikation, dass Trcebenu syni{ii) die 'söhne vom Mühleuliofe'
bezeichne), bei seiner früheren deutung. Ich beharre demgegenüber auf meiner
emendation (Zeitschr. 38, 132; 40, 318), die von der Voraussetzung ausgeht, dass
die von dem Steinmetzen nicht verstandene und unrichtig wiedergegebene vorläge
auf ein zu ehren des toten verfasstes gedieht anspielte, wie ein gleiches für die
Inschriften von Hällestad und Sjorup anzunehmen ist (Zeitschr. 30, 371 ff.). Diese
emendation erscheint mir weit weniger 'voldsoni' als die versuche, den überlieferten
Wortlaut zu retten. In diesem ist der nominativ clrinr kopr^ der zu dem unmittelbar
vorausgehenden akkusativ Alfar brupur sin die apposition bilden soll, zum min-
desten auffallend — trotz der von Magnus Olsen (Danske studier, 1906, s. 38) aus der
Viglundar saga beigebrachten parallele (die übrigens in literarischen quellen
zahlreiche seitenstücke hat: s. zur Njäla c. 13, 19) — ; geradezu unmöglich ist aber
der Singular s«eA- und nicht minder unmöglich die plural form syni statt syniir. wenn
Wimmer sagt, 'at indskriften tilhorer en tid, da -r i endeiserne i mange tilfselde
var pä veje til at falde bort' (III, 308), so muss ich mich gegen Wimmer auf
Wimmer selbst berufen, aus dessen Bornholmisclier formeulehre (in J. C. S. Espersens
Bornholrask ordbog, Kbh. 1908) s. < 77 > zu ersehen ist, dass gerade in diesem
falle die mundart der insel das pluralische -r bis auf den heutigen tag bewahrt
hat. Endlich glaube ich auch nicht an die existenz des männlichen eigennamens
Skögi, der sonst nirgends nachgewiesen ist und, soweit ich sehe, auch durch keine
analogie gestützt wird. Diese häufnng von Sonderbarkeiten mutet unserer gläubig-
keit doch allzuviel zu, während durch die von mir vorgenommeneu geringfügigen
änderungen eine formell und inhaltlich durchaus korrekte legende gewonnen wird.
Im allgemeinen ist natürlich, wenn es sich um Inschriften handelt, eine vorsichtige
und konservative kritik durchaus am platze, und meine einwendungen haben selbst-
verständlich nicht den zweck, das grosse und unsterbliche verdienst Wimmers, der
nicht nur der forsch ung eiu unbedingt zuverlässiges material geliefert, soudern auch
die meisten Inschriften richtig gedeutet und chronologisch fixiert hat, zu schmälern.
Möchte man doch nun, diesem über alles lob erhabenen vorbilde nacheifernd, auch in
Schweden die band ans werk legen, wo — von Öland abgesehen — noch so gut
wie alles zu tun ist, da die Sammlungen von Dybeck, Torin, Wiede und anderen,
die in unbegreiflicher kurzsichtigkeit noch immer George Stephens als ihren lehrer
und meister verehrten, auch den bescheidensten ansprüchen nicht genügen können.
Dem würdigen Nestor der nordischen philologen aber spreche ich zur Vollendung
seines grossen lebenswerkes meine aufrichtigsten glückwünsche aus: möge es ihm
vergönnt sein, auch die beiden wissenschaftlichen arbeiten, die er schweren herzens
beiseite legen musste, um sich ganz der ihm übertragenen riesenaufgabe widmen zu
können, noch zu einem glücklichen ende zu führen !
halky, Hyndl. 22 M. Vgl. über die häufigen Ortsnamen auf -lose 0. Nielsen in den
Bhindinger til oplysning om dansk sprog i leldre og nyere tid II (1890), s. 27 ff.
248 GEKINCl
2. Von den zahlreichen, in verschiedenen Zeitschriften zerstreuton runo-
logischen abhaudlungen Magnus Olsens, die uns die sichere gewähr geben, dass
die fortsetzung der grossen, von Sophus Bugge begonnenen ausgäbe der sämt-
lichen norwegischen runendenkmäler den besten bänden anvertraut ist, greife ich
nur die beiden heraus, die ihrer kulturgeschichtlichen bedeutung wegen von all-
gemeinerem Interesse sind. Die erste behandelt die iuschrift eines 1864 in der urne
eines frauengrabes aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. gefundenen knöchernen schabe-
messers, das nach den sachkundigen erörterungen Scheteligs, der einen ausführlichen
fundbericht beisteuert, dazu gedient hat, die fleischseite einer abgezogenen tierhaut
zu reinigen. Diese Inschrift enthält nur elf von rechts nach links laufende, durch
keine trennungszeichen von einander geschiedene runen, von denen die neunte und
zehnte zu einer auch sonst begegnenden ligatur vereinigt sind, und ergibt die lesung :
linalaukaRa.
Diese gliedert Olsen in die drei komplexe: lina, laukan, a und erkennt in
in dem ersten das altn. st. n. lln 'lein, linnen, leinwand', in dem zweiten das altn.
st. m. laukr 'lauch' (beide in der urnordischen form des nominativs) und in dem
dritten den ersten buchstaben des in den älteren runeninscliriften oft begegnenden
Wortes alu, das den die Inschrift tragenden gegenständ als ein Schutzmittel,
ein amulet kennzeichnen soll. Zur erklärung verweist er auf den kürzlich von
Andr. Heusler (Zeitschr. des Vereins f. volksk. 13, 24 ff.) ausführlich behandelten, in
der Flateyjarbök überlieferten Vglsa ^ättr, in dem von der abergläubischen Ver-
ehrung berichtet wird, die im nördlichen Norwegen zur zeit Olafs des heiligen von
einer bauernfamilie dem in lein wand eingewickelten und durch lauch vor der
Verwesung geschützten membrum eines hengstes erwiesen sein soll, wie auch ander-
wärts ein solcher phallusdieust, diu'ch den man dauerndes Wachstum und gedeihen
des viehstandes sich sichern wollte, bezeugt ist. Durch eine reihe von belegen aus
der alten und neuen literatur, die von der belesenheit und gelehrsamkeit des Ver-
fassers ein rühmliches zeugnis ablegen, wird ferner festgestellt, dass die leinpflanze
vielfach als symbol der fruclitbarkeit angesehen wurde und der lauch neben anderen
liliazeen als ein aphrodisiakon galt. Den umstand, dass das letzte wort, obwohl
genügender platz vorhanden war, nicht ausgeschrieben, sondern nur durch den ersten
buchstaben angedeutet ist, sucht Olsen dadurch zu erklären, dass man der zehnzahl
eine besondere bedeutung beigemessen zu haben scheint, da auch in anderen Inschriften
magischen Inhalts dieselbe anzahl von runen verwendet ist, und hierauf deutet ja
auch die Vereinigung der beiden schlussrunen des wortes ImikaE zu einem einheit-
lichen zeichen, die also ebenfalls vorgenommen ward, um die geheiligte zahl nicht
zu überschreiten. Ich halte es für möglich, dass diese scharfsinnige deutuug das
richtige getroffen hat; einleuchtender aber würde sie sein, wenn das Instrument, auf
dem die runen eingegraben sind, ein zur abtrennung der genitalien geeignetes Werk-
zeug wäre: hierzu ist jedoch die dünne klinge aus knocheu schwerlich verwendbar
gewesen.
Magischen zwecken hat auch, wenn seine erklärung (woran ich nicht zweifle)
richtig ist, die zweite, von Magnus Olsen behandelte inschrift dienen sollen, die
auf einem knöchernen webetäfelchen eingegraben ist, das 1906 zu Lund in einem
alten, wahrscheinlich dem 13. Jahrhundert angehörigen frauengrabe gefunden wurde.
Die inschrift läuft an den vier kanten des täfelchens entlang und lautet (die erste,
durch einen stern bezeichnete rune der dritten kante ist zerstört) :
skuaraii ; iki\mar : afa : *an : mn : krat \ aallatti :
NEUERE SCHRIFTEN ZUR RUNENKUNDE 249
Aus den ruiien der ersten drei kanten gewinnt Olsen die lesung: S[t]gvaraR-
I(n)gimar [h]afa man m[e]n- grdt ,Sigvgrs-Ingimar soll unheilvoller kummer wider-
fahren', während der letzte teil der Inschrift seiner m einung nach keine wirklichen
Wörter enthält, sondern nur aus zeichen besteht, denen man eine besonders zauher-
kräftige Wirkung zuschrieb. S\i]gvaraR ist der genetiv des frauenuamens SigvQr,
und die bezeichnung StgvaraE-Ingimar hat, wie Olsen nachweist, mehrfache paral-
lelen, wie z. b. der in einem J)ättr der Morkinskinna und im Skäldatal erwähnte
isländische dichter l'örör, der in Norwegen Verwalter der reichen witwe Asa (GuU-Asa")
wurde und sie nachher heiratete, infolgedessen den namen Asu-f'örör erhielt. In
einem intimen Verhältnisse haben vermutlich auch die beiden in unserer Inschrift
genannten peisonen zueinander gestanden, und ein hierüber erzürntes, eifersüchtiges
weib hat die runen in das täfeichen eingeritzt, um dem Ingimar unheil zu weben.
Die Vorstellung vom spinnen oder weben des Unglücks ist bekanntlich alt und war
Aveit verbreitet, was der Verfasser durch eine reihe von Zeugnissen nacliweist.
3. Zu den drei denkmälern, die das gemeingermanische runenfu|)ark von 24
zeichen in im wesentlichen gleicher anordnung — jedoch alle unvollständig — über-
liefern (der Spange von Charnay, dem Themsemesser des Britischen museums und
dem brakteaten von Vadstena) ist kürzlich durch einen glücklichen fund ein viertes
hinzugefügt worden, das bereits in einer trefflichen schwedischen publikatiou vor-
liegt, über die ich wegen der Wichtigkeit des gegenständes für die geschichte der
runenschrift kurzen bericht erstatte.
Die dünne kalksteinplatte, auf der das fuj)ark eingeritzt ist, diente nebst
anderen (gleichartigen, aber unbeschriebenen) steinen, die sämtlich lotrecht standen,
zur einfassung eines grabes, das 1903 zu Kylfver auf Gotland aufgedeckt wurde
und nach archäologischen kriterieu dem 4. Jahrhundert n. Chr. angehört: die Inschrift
würde somit als das älteste schwedische runendenkmal anzuerkennen sein. Das
aiphabet, an dessen erster und achter rune die beistriche nicht mehr deutlich er-
kennbar sind und dessen zwölfte rune sich nicht mehr mit Sicherheit ihrer form nach
feststellen lässt, hat die folgende gestalt (trennungszeichen, die auf dem brakteaten
von Vadstena die drei gruppen von je acht zeichen voneinander sondern, fehlen):
rnMR<XF>H+i[c:)]ix>rAn^MMrciM5^f
Auffallend ist, dass drei runen : a (nr. 4), s (nr. 16) und b (ni-. 18) nach links ge-
wendet sind, und dass die p-rune (nr. 13) der e-ruue vorausgeht, während die oben
genannten drei denkmäler (auch handschriftliche — ags. — runenalphabete) die um-
gekehrte rcihenfolge zeigen (in der anordnung der beiden letzten runen schwanken
die bisher bekannten alphabete), ferner dass die 7i'-rune (nr. 15) die beistriche unten
ansetzt und abwärts kehrt, während als die ältei'e form bisher die mit oben an-
gesetzten und aufwärts gerichteten beistrichen (Y) gegolten hat — die ursprüngliche
form )j^, die aus einer alten form des griechischen ^(T) durch brechung der beiden wag-
rechten linien und Verlängerung des hauptstabes nach oben und unten hervorgegangen
sein wird, ist auf der Charnayspange erhalten: aus iiir sind meines erachtens die formen
Y und /l^, die als Vereinfachungen sich darstellen, entstanden — . Die p-rune
(nr. 1:^) stimmt genau mit dem entsprechenden zeichen des Themsemessers überein,
während die handschriftlichen ags. alphabete eine etwas abweichende gestalt
zeigen ([:|) und der brakteat von Vadstena, der die runde form ß zur bezeichnung
des b verwendet, die alte p-rune durch das eckige zeichen ^ ersetzt hat. Das der
250 .TÜKGENSKN ÜBEIJ WKIIHHAN, KINDEKLIED UND KINDERSPIEL
24. ruuo folj^ende zeichen, über das v. Friesen sich nicht äussert, halte ich für ein
sieben(oder acht-y)mal wiederholtes 'f, durch das vermutlich der schütz des gottes
Tvr angerufen werden sollte. ' — Ausserdem finden sich rechts von dem fut)ark
und durch einen grösseren Zwischenraum von diesen getrennt noch die runen
^nriPlH (oder ^riMDHO) doren deutung noch nicht versucht ist.
1) Vgl. Sigrdr. G :
Sigrimar skalt kunna, ef rill sigr hafa,
ok rlsta d hjalti hjprs,
sumar ä rettrimmn, sumar d valbpstum,
ok nefna tysvar T ;/.
KIEL. KUGO GERING.
Kiuderlied und kind erspiel von Karl Wehrhau. [Handbücher für Volks-
kunde IV.] Leipzig, W. Heims 1909. VIII, 189 s. 2 m.
Die vorliegende arbeit will 'das für weitere kreise wissenswerteste aus dem
anmutigen gebiete des kinderlieds und kinderspiels bringen'. Sie bespricht in
gedrängter kürze, alle gattungen des kinderliedes und -Spieles. Von der histo-
rischen, mythologischen, pädagogischen, metrischen, musikalischen und sprachlichen
Seite wird an dieses gebiet der Volkskunde herangetreten und so dem freunde dieser
Wissenschaft eine nicht ungeschickte einführung geboten. Der Verfasser bringt keine
selbständigen forschungsergebnisse, sondern nur eine auswahl dessen, was bisher auf
diesem gebiete gearbeitet worden ist. Leider spricht er sich garnicht über die
methode der kinderliedforschung aus. Dass der häufig unverständliche sinn eines
liedes, die dunklen neubildungen und Überreste nur durch saminluug und verglei-
chung der Varianten möglichst vieler, womöglich aller lieder gedeutet werden kann,
wird von ihm mit keinem worte erwähnt, und ist doch auch für weitere kreise,
auf deren Sammeltätigkeit der forscher angewiesen ist, von erheblicher Wichtigkeit.
Bedauerlich ist ferner, dass der Verfasser die bedeutung der geographischen Ver-
breitung der lieder nicht erkannt hat. Seine ansieht, dass man 'von jedem reim
ruhig vermuten darf, dass er auch irgendwo anders nicht fremd ist' (s. 169), muss
ich, in dieser allgemeinen fassung, entschieden widersprechen; ich erinnere nur an
die rummelpott-, todaustreibe-, sommer- und Martinslieder, deren gebiet genau ab-
gegrenzt ist. Gerade in der geographischen Verbreitung einzelner liedergruppen
liegen die bedeutsamsten fingerzeige für die ausdehnung eines kultes, für siede-
lungsverhältnisse, bevölkerungsverschiebungeu, für den Wirkungskreis historischer
und literarischer erscheinungen u. a. m. Wenngleich schon zahlreiche Sammlungen
von kinderliedern vorliegen, so wird die wissenschaftliche forschung doch erst dann
zu befriedigenden resultaten gelangen, wenn die Voraussetzung für ein derartiges
arbeiten gegeben ist, d. h. die mehrzahl, womöglich alle lieder, die von kindern
gesungen werden, aufgezeichnet und systematisch geordnet sind. Eine solche arbeit
wird allerdings ohne staatliche Unterstützung kaum möglich sein. Der Verfasser
hat ihr vorgearbeitet mit einem systematischen und einem landschaftlich geordneten
literaturverzeichnis, welches, allerdings nicht lückenlos, doch das reichhaltigste dar-
stellt was für dieses gebiet bisher vorlag. Dafür sind wir ihm zu danke verpflichtet.
FLENSBURG. ■ WILHELM Ji'RGENSEN.
liÖTZE ÜBER MOSER, FRÜHXEUHOCHDEUTSC'HE SCHRIFTDIALEKTE 251
Virgril Moser, Historisch-grammatische einführuug iu die früh-
neuhochdeutschen Schriftdialekte. Halle a. d. S., Waisenhaus 1909.
XII, 266 s. 8 m.
Karl V. Bahders verdienstvolles buch 'Grundlagen des uhd. lautsystems' ist
seit Jahren vergriffen und sein Verfasser noch auf lange so völlig durch die grosse
iirbeit am Deutschen Wörterbuch beansprucht, dass eine neue aufläge nicht abzu-
>ehen ist. So ist es doppelt erfreulicli, dass das schwierige und wichtige gebiet von
anderer band eine bearbeitung erfährt, die, was v. Kahder und andere seither er-
arbeitet haben, zu einem gesamtbild zusammenstellt und die reiche einzelforschung
der letzten Jahrzehnte verwertet, dabei auch wohl mehr auf eigene beobachtuugen
und Sammlungen sich stützt, als das zurückhaltende Vorwort erkennen lässt. 'Es wird
noch viele einzeluntersuchuugen erfordern, ehe eine geschichte der hegründung der
nhd. Schriftsprache versucht werden kann', hatte v. Bahder 1889 geschrieben, und
das wort ist lieute noch nicht veraltet — nicht als abschliessende geschichte ist
denn auch Mosers buch gemeint, sondern als ein grosses, übersichtliches fachwerk,
in das sich künftige einzelforschung eintragen lässt, das kommenden arbeitern
auf diesem gebiete den blick auf das ganze richten hilft und gerade auch in seinen
lücken anregend wirken kann, indem es dazu auffordert, sicli um solclie dünne
stellen mit besonderem ernst zu bemühen. Ich verweise hier beispielsweise auf die
bemerkungen über die kanzleisprache von Worms und Spej'er s. 40, über die spätere
entwickluug der Schriftsprache in Bern s. 69, die kürzung mhd. längen s. 117.
Moser scheidet sein buch in zwei hauptabschnitte, von denen der erste, histo-
rische die entwicklung der schriftdialekte von 1350 bis 1650 durch kanzlei und
literatur, praxis und theorie in grossen zügen verfolgt, der zweite, grammatische
die sprachlichen erscheinungen in laut- und formenlehre, Wortbildung und syntax
darstellt. Die angehängten bemerkungen zum Wortschatz geben nach des Verfassers
eigener absieht nur einige allgemeinste Charakteristika, die beigefügten urkundlichen
und literarischen textproben können auf 30 selten reichtum und Vielseitigkeit des
deutschen Schrifttums jener zeit eben nur andeuten. Es wäre gegenüber dem
tapfern und mühevollen Verstoss, den Mosers buch beim jetzigen stand der forschung
bedeutet, unbillig, es hier auf einzelheiten hin durchzusprechen, dagegen soll der
versuch gemacht werden, au je einem punkte seiner hauptabschnitte Mosers ver-
fahren zu würdigen.
Mosers urteil über Luthers Stellung zur Schriftsprache läuft darauf hinaus,
'dass Luther nicht nur nichts absolut neues geschaffen hat, sondern dass seine
Sprache von dem, was wir heute schlechthin als 'neuhochdeutsche Schriftsprache'
bezeichnen, viel weiter entfernt ist, als dies gewöhnlich angenommen wird' (s. 50).
In dem bestreben, diese these durchzusetzen, die in solcher fassung gewiss eine
beachtenswerte Wahrheit enthält, geht Moser hie und da entschieden zu weit, und
manches in seinen urteilen, das zum Widerspruch herausfordert, widerlegt sich schon
aus seinen eigenen angaben. Wenn nur die eine äusserung Luthers bestehen bliebe,
er habe so geschrieben, 'das mich beide Ober- und Xiderländer verstehen mögen',
80 hätte er ein unvergleichliches verdienst um die einigung der nhd. Schriftsprache.
Dieses bestreben bei Luther, das man nicht 'unwillkürlich' (s. 50) nennen darf,
würde ihn über seine Zeitgenossen hinausheben, schon wenn es erfolglos gewesen
wäre, dass er aber nachfolge gefunden hat, wenn auch nicht allgemein und sofort,
bestätigen Mosers laut- und formenlehre fast iu jedem paragrapheu. Dazu ist die
252 «('n-zK
grundsätzliche aclitung vor der Lutherspraclie so gut bezeugt wie immer eine spracb-
geschicbtlicbe tatsacbe des 16. und 17. Jahrhunderts, und mau darf diese Zeugnisse
nicht beiseiteschieben, weil sie 'meist von parteiischen gewährsmännern' (s. 62)
herrühren : wo soll man Zeugnisse von neutralen beobachtern hernehmen, wenn die
ganze deutsche weit in freunde und feinde Luthers geteilt war?
Wie sich Mosers buch im lichte künftiger einzelforschung behaupten wird,
kann durch die gunst dos zufalls schon jetzt an einem beispiel gezeigt werden.
t'ber die gutturaldiminution, die er s. 220 auf 10 zeilen behandelt, erscheint eben
eine Freiburger doktorschrift von Hans Gürtler, die er noch nicht benutzen konnte.
Moser teilt seine Übersicht über das suffix in einen absatz über seine Verbreitung
und einen zweiten über seine verschiedenen formen — eine sachgemässe einteilung,
die sich zum nutzen des Verständnisses oft in dem buche widerholt. Nicht glücklich
ist in unserm falle nur, dass er hier den ersten absatz über das suffix -ichin handeln
lässt, da doch diese form nur im östlichsten teile des md. gebiets gilt und schon
seit dem 14. Jahrhundert völlig zurücktritt. Gürtler stellt fest, dass das sufiix
seit dem 10. Jahrhundert sporadisch, seit dem 14. in breiter geltung auftritt,
und dass Hessen, Sachsen und Schlesien die masse der belege liefern. Damit
Averden Mosers angaben 'seit dem 14. Jahrhundert' und 'in allen teilen des
gebiets' nicht berichtigt, aber doch präzisiert. Gürtler zeigt aber auch, dass das
suffix für eigennameu viel früher und in breiterer geltung fest ist als für
andere substantiva, und gewinnt damit einen neuen gesichtspunkt, den Moser
noch nicht haben konnte. Dass das suffix 'weiterhin in der zunähme begriffen
ist', bestätigen Gürtlers Sammlungen durchaus; dass es bis 1650 etwa gegen
-lin noch weit in der minderzahl bleibt, ist im allgemeinen richtig, dabei gibt es
aber doch autoren, die dem (f)chen den Vorzug geben, wie Eothe in seiner 1421
vollendeten Thüringischen chronik. Die weitere angäbe, dass Luther -ichen nur in
seinen ( familien- ibrief en verwende, wird haltbar nur durch die eiuschränkung 'öfters',
die iu der notiz bei Moser s. 48 fehlt. Im übrigen zeigen schon die artikel heil-
gichen, kaninchen, kröncheu, pfinnchen im Dwb., sowie bapsteselclien, bierichen,
canonichen, catönichen, engelchen, faulbettchen bei Dietz, dass er das suffix auch
in seinen tischreden, polemischen Schriften, predigten und in der bibelübersetzung
nicht verschmäht. Dass -chin bei Alber recht wenig im gebrauch ist, bestätigt sich
dagegen durchaus: Gürtler hat nur 20 belege bei ihm gefunden.
Mit grossem sprung geht Moser von Luther und Alber sogleich zu den
schlesischen dichtem über. Gürtler ermöglicht uns hier einzufügen, dass Fischart
22 -chen neben vereinzelten -ken, ßullenhagen (nennt ihn Moser absichtlich stets
Rollhagen, oder ist's ein lapsus wie bei dem stets so geschriebenen Zarnke und bei
Fromann 62, 32, Koldwey 76, 33?) 9, Ambrosius Pape 16, Martin Einckart in
seinen volkstümlichen Schriften sehr viele -chen bietet und dass, während sich gram-
matiker, lexikographen und Sprachgesellschaften ablehnend verhalten, das suffix
im Volkslied früh herrscht. Die bemerkung 'etwas häufiger M'ird es unter den
Schlesiern' lässt sich jetzt bestimmter fassen: -cheii ist die regelmässige und fast
ausschliessliche form der diminution bei Opitz, Logau, Gryphius, auch Fleming;
das gleiche gilt von herzog Heinrich Julius und den Königsberger dichtem, namentlich
Simon Dach. Dass Schottel das suffix fast nicht gelten lassen will, bleibt bestehen:
nur in drei redensarten, die er nicht gut anders widergeben konnte, lässt er es
stehen.
ÜBER JIOSEK, FRÜHNEUHOCHDEUTSCHE SCHRIFTDIALEKTE 253
In Mosers Übersicht der formen des suffixes können wir jetzt statt der drei
autornamen, die er nennt, die landschaften einsetzen : -ichin gilt wäe bei Opitz im
ganzen osten des md. gebiets, in Schlesien und zum teil in Meissen, -chin wie bei
Alber im ganzen westen, besonders in Hessen, -icJien im Obersächsischen und Ost-
thüringischen, wie es bei Luther die gangbare form ist, -igen in manchen seiner
tischreden scheint nur auf rechnung des Termittiers Mathesius zu kommen. Endlich
-gen, nicht erst seit dem 17. Jahrhundert so geschrieben, ist am Mittelrhein zu hause,
rückt seit dem 15. Jahrhundert nach osten vor und drängt, sich in kanzlei- und
Schriftsprache (Kinckart, Olearius, Stoppe, Finckelthaus, Zinkgräf, Moscherosch) so
stark ein, dass man sagen darf: das suffix hat in dieser form seinen endgültigen
einzug in die Schriftsprache gehalten.
Nicht für alle einzelfragen werden wir so gründliche Untersuchungen be-
kommen, wie jetzt von Gürtler über die gutturaldiuiinution, und nicht jede einzel-
schrift wird das bei Moser gegebene gesamtbild so sauber präzisieren können. Um
so mehr dürfen wir es zum guten zeichen nehmen, wenn sein passus unserer mikro-
skopischen betrachtung so gut standhält und den eindruck übersichtlicher Zu-
sammenfassung wenigstens des hauptmaterials bewahrt, soweit sich das so knapp
überhaupt darstellen liess. Denn das ist freilich eine gefahr bei Mosers verfahren,
dass die mitteilangen über einzelheiten in ihrer nötigen kürze gar zu inhaltarm
werden, wie denn beispielsweise der letzte paragraph seines grammatischen teils:
'Anakoluthe sind während des 16. Jahrhunderts häufig. Sie finden sich hei Luther
nicht selten, besonders beliebt sind sie bei Fischart' keinen leser ernsthaft fördern
kaim. Eine andere Schwierigkeit ist die, dass jeder seiner hauptabschnitte zum
völligen Verständnis den andern voraussetzt, dass das buch also erst beim zweiten
lesen wirklich fruchtbar wird. Das wird zu bedenken sein, namentlich wenn man
das buch aufängeru empfiehlt, für die es nach der absieht des Verfassers zuerst
bestimmt ist. Etwas blutleer dürfte diesen der erste, historische teil mit seinem
verzieht auf beispiele in jedem falle vorkommen, denn hier hat auch, wer sich
schon längere zeit in frühnhd. texten bewegt, mühe, sich jede angäbe Mosers an
passenden belegen lebendig zu machen. Gerade der anfänger wäre wohl auch
dankbar, wenn ihm die wichtige einzelliteratur vollständiger genannt würde, als bei
Moser geschieht, etwa zu s. 66 Baeseckes einleitung zum neudruck von Fischarts
Glückhaftem schiff; zu s. 101 § 26 v. Bahders artikel W im Dwb. XIII 11; zu
140 anm. der artikel Reuter in Kluges Etymologischem Wörterbuch ; zu s. 162 Ernst
Reuters Freiburger doktorschrift von 1906 Neuhochdeutsche beitrage zur west-
germanischen konsonantengeminatiou ; zu s. 212 §200 Bohnenberger Beitr. 22, 209;
zu gesein 215, 24 die mhd. regel z. b. bei Paul § 309, die nach sämtlichen be-
legen des Dwb. unter gesein frühnhd. noch gilt, dazu etwa Luther, "N^'eim. ausg.
30 II 147, 9 mit nachtrag; zu 216, 5 gewest — gesein auf H. Fischer, Atlas zur geo-
graphie der schwäbischen mundart, karte 2J.
]\Ian versteht, dass der Verfasser bei der korrektur auf wichtigeres hat achten
müssen als auf die kleinen druckfehler, sonst wären 39, 28 ethymologisch ; 63, 19
gemminate ; 113, 4 virgil statt virgel; 128, 33 passatim statt passim; 196, 31 scliir
statt schrir nicht stehen geblieben ; der gebrauch von zahlreich statt oft oder häufig
25, 21. 90, 1. 93, 30. 97, 21 wäre revidiert worden. Sachlich etwas tiefer gehen
die folgenden änderungsvorschläge : 19, 28 lies reichskanzlei statt rcichsgewalt ;
37, 1 im Unterelsässischen statt im Elsässischen ; 43, 34 barfüsscr sciiulmeister
Kolruss statt barfüssermönch und Schulmeister; 46, 27 umlaut statt es; 53, 12 ober-
254 MEYEK ÜltEK ÜKAEGEH, TIF. MUN'DT UND DAS JUNGE DEUTSCHLAND
doutsclien muudarteu statt mundarten; 115, 29 silbengrenze statt silbenakzent;
172, 7 mittelbaren auslaut statt inlauteudeu auslaut; 215, 6 kontaminationsform
statt koinpositionsform.
FI!EinT-l!(! I. 1!K, ALFKED GÖTZE.
Otto Draeger, Theodor ]\I u n d t und seine b e z i e h u n g e u zum Jungen
Deutschland. Harburg, Elwert 1909 [Beiträge zur deutschen literaturwissen-
schaft, herausgegeben von Ernst Elster, nr. 10]. 179 s. 4 ni.
Der Verfasser bemerkt mit recht, dass die literaturgeschichte den 'kritiker
des Jungen Deutschland' bisher ungebührlich vernachlässigt hat. Seine schrift hat
besonderen wert durch die mitteilung ungedruckter briefe Hundts, worunter (s. 165)
ein sehr merkwürdiger und sehr unerfreulicher an den geheirarat Tzschoppe. Und
von dem 'verleger des Jungen Deutschland', Lövventhal (dem einzigen Juden der
'jüdischen schriftstellergruppe') erhalten wir (s. 149. 162) Urkunden, die die gleichen
prädikate verdienen. Ferner werden zwei wichtige momente in der geschichte dieser
schule urkundlich näher beleuchtet: die inhibieruug von Hundts habilitatiou und
vor allem die geschichte des berüchtigten 'Herodischeu Iteschlusses' wider das
Junge Deutschland. Stücke eines briefwechsels zwischen den fürsteu Metternich
und Wittgenstein, auch an sich sehr interessant, beweisen gegen Geiger, dass das
traurige verdienst der initiative doch Österreich zukommt und nicht Preussen. —
Hübsch sind auch die geheimberichte (s. 157) und die zensurakten des widerwärtig-
sten der Zensoren, des geh. hofrats John, leider Goethischen angedenkens (s. 85.
94. 101. 107). Der minister v. Rochow, der verantwortliche adoptivvater des wortes
^ vom 'beschränkten untertauenverstand', kommt viel besser fort. Aber die uns so
seltsam anmutende auffassung, dass die herren minister die schriftsteiler zu erziehen
und zu 'bessern' haben (vgl. z. b. s. 162), teilt er natürlich durchaus.
Weniger ergiebig als in biographischer hinsieht ist die schrift in literatur-
historischer — was freilich für die '.Fung-Deutschlandforschnng' fast allgemein gilt,
seit Houben ihre führung übernommen hat. Der abschnitt über Hundts 'Psychologie'
gibt nur das allgemeinste : kein naturgefühl, interesse an genieinbegriffeu ; nur etwa
die religiöse Stellung wird (s. 140) genauer beleuchtet. Aus Hundts Verhältnis zu
Goethe (s. 154), Heine (s. 156), Börne (s. 159) werden keine ästhetischen folgerungen
gezogen, die ahhängigkeit von Tieck (s. 34), Hippel, J. Paul (s. 6B) nicht ins einzelne
verfolgt. Die analysen der werke sind nicht übel geraten, ermangeln aber der
hinweise auf weitere zusammenhänge. Dagegen werden für schlagworte und titel
wie 'bewegung' (s. 39) und 'Zodiacus' (s. 32 anm.j hübsche nachweise gegeben.
I'^brigens wird die bezeichnung 'Junges Deutschland' selbst auf dem titel in anfecht-
barer weise verwandt: kann einer in 'beziehungen' zu dem stehen, wovon er einen
integrierenden bestandteil bildet?
BERLIN. RICHARD M. MEYER.
OLSEN ÜBEK BLEY, EIGLASTUBIEX 255
A. Bley, Eiglastudien. Geut, van Goethem & cie. 1909. X, 253 s. 13 frcs.
Es war mir sehr erfreulich, aus Bleys buche zu ersehen, dass wir über die
Verfasserschaft der Egilssaga einig sind, und zwar um so mehr, als er unabhängig
von mir zu demselben resultat wde ich gekommen ist und zu den von mir hervor-
gehol)euen gründen für die hypothese, dass Snorri Sturluson der autor der saga sei,
sehr beachtenswerte neue hinzugefügt hat. Seine abhandlung ist klar und bündig
geschrieben, liest sich sehr angenehm, wirft auf viele fragen neues licht und wirkt
überhaupt sehr anregend.
Dennoch kann ich Bley in bezug auf viele einzelheiten nicht beistimmen.
Zum beispiel glaube ich zwar, dass er mit recht gegen den allzu einseitigen Stand-
punkt Maurers und Finnur Jönssons in der Hildiriöfrage einspruch erhebt. Aber er
selbst geht doch auch zu weit, wenn er behauptet, dass das ganze recht auf der
Seite der Hildiriösöhne sei. Meines erachtens hat der Verfasser von anfang an die
rechtsfrage absichtlich als diskutabel hingestellt. Das "wort lausabrullaup (und noch
entschiedener lausangarhrullaup ß) bezeichnet doch unzweifelhaft ein bruUaup,
das nicht in den festen, vom gesetze vorgeschriebenen rechtsformen abgeschlossen
wird. Von dem Standpunkt der erben BJ9rg6lfs ist es eine 'lose Verbindung'.
Skyndibrullaup (K) bedeutet im neuisländiscben ganz dasselbe. Aber wenn man
auf das letzte glied des Wortes nachdruck legt, ist es doch — vom Standpunkte
der Hildririösöhne — ein brullaup. Der ei/r-ir galls wird nicht ausdrücklich als
mundr l)ezeichnet, höchstens — durch 'ket/ptf — als solcher angedeutet. Von dem
Standpunkte der einen partei konnte die Zahlung als hvilutollr (vgl. bolstrverd
Arinbjkv. 6 und meine erklärung im Arkiv f. n. fil. 19, 120), von demjenigen der
anderen als mundr gelten. Dieselbe Zweideutigkeit zeigt sich darin, dass einer-
seits die besteigung des gemeinsamen bettes erwähnt wird, andererseits von vor-
hergehenden festar, von zeugen an dem brullaup und von der öffentlichkeit der
bettbesteigung ('/ Ijösi') keine rede ist. Die absieht des Verfassers war offenbar,
beiden parteien, wenn nicht hinreichende, so doch wenigstens plausible gründe
für ihre behauptungen und psychologische raotive für ihre haudlungen zu geben.
Darin zeigt sich eben seine meisterschaft, dass er sich in die denkweise der
handelnden personen möglichst hineinlebt. Die ähnlichkeit der rechtsgründe Onunds
und Pörölfs erklärt sich einfach aus der ähnlichkeit der Situationen ('Eu lignende
Situation skaber en lignende fremstillingsform med lignende udmaling af enkelt-
heder', s. Arboger f. nord. oldk. og bist. 1904, s. 222 mit den dort und im Skiruir
1906, s. 366 — 867 angeführten belegen).
Ich bin kein anhänger des köhlerglaubens an die absolute historische Zu-
verlässigkeit der isländischen geschlechtssaga. Trotzdem finde ich Bleys auffassung
der Egilssaga allzu einseitig ästhetisch, und besonders glaube ich, dass er die be-
deutung der mündlichen tradition für die entstehungsgeschichte der saga nioht
hinreichend gewürdigt hat.
Er l)etrachtet I*örölfr Kveldülfsson als eine fiktive persönlichkeit und den
konflikt zwischen Kveldülfs geschlechte und Haraldr bärfagri als vom Verfasser er-
dichtet. Damit gerät er selbst in konflikt mit der ältesten, von der Melabök ver-
tretenen Landnämatradition, die sowohl den durch Har^aldr angestifteten totschlag
Pörölfs als auch die räche Grims und somit den konflikt mit dem könige kennt.
Bley hat mit recht auf einige Widersprüche zwischen Egils authentischen ge-
dichten und der saga aufmerksam gemacht. Aber er hat den gegenständ nicht er-
256 ()L,SEN ÜBEU lU.EY, EKiLA.STUDIEN
schöpft. Bezüglich der vorhänge in York möchte ich auf eine ältere abhandlung
von mir im Timarit hins isl. bökmentafjelags (1897j hinweisen. Den Widerspruch,
der hier zwisclien der saga und den gedichten hervortritt, kann ich mir nur durch
die annähme erklären, dass der Verfasser, der doch die gedichte sehr wohl kannte
und verstand, sich ihnen gegenüber auf den Standpunkt der ihm vorliegenden münd-
lichen tradition gestellt habe. Dies ist einer von den gründen, weshalb ich glaube,
dass die saga nicht in Snorris reiferen jähren geschrieben, sondern — - von einigen
unerheblichen späteren Zusätzen abgesehen -— schon vor ca. 1207 auf Borg voll-
endet ist. Snorri war damals noch nicht von der historischen bedeutuug der gleich-
zeitigen gedichte so überzeugt wie später, als er die Hkr. schrieb. Dass die Egils-
saga älter als die Hkr. ist, lässt sich durch mehrere gründe erhärten.
Überhaupt sind in der isländischen saga Wahrheit und dichtung so innerlich
miteinander verflochten, dass es sehr schwierig und in den meisten fällen ganz
unmöglich ist, die grenzen zwischen beiden zu ziehen. Dass der Verfasser der
Egilssaga in der ausmalung von einzelheiten eine bedeutende Selbsttätigkeit ent-
wickelt hat, das unterliegt meines erachteus keinem zweifei und ist auch von Bley
zur evidenz erwiesen. Dass er einzelne züge, z. b. die erweiterung von Skalla-
Grims landiuim, hinzugedichtet hat, scheint mir wenigstens nicht unwahrscheinlich.
Besonders verdächtig — auch in betracht der Yorker Vorgänge — ist die tötuug
des sonst nicht erwähnten königssohues E9gnvaldr Eiriksson. Aber im ganzen war
der Verfasser doch durch die mündliche tradition, aus der er schöpfte, gebunden,
und dass diese in der umgegend von Borg sehr reich war, beweisen z. b. die zahl-
reichen, der Landnäma ursprünglich fremden, lokalsagen aus dieser gegend, womit
der Verfasser die landnämsgeschichte Skalla-Grims ausgeschmückt hat. Von modernem
Standpunkte aus kann man wohl dem Verfasser verschiedene Versündigungen gegen
ästhetische gesetze zur last legen. Aber dies wurde wahrscheinlich von seinem
Publikum nicht in diesem masse empfunden. Und die meisten von diesen Verstössen
sind wohl durch die dem Verfasser vorliegende mündliche tradition veranlasst.
Warum hat der Verfasser den abschnitt über I^orölfr und überhaupt über den
konflikt zwischen seinem eigenen und dem königlichen geschlechte in die Hkr. nicht
aufgenommen? Zum teil wohl aus dem von G. Storm hervorgehobenen gründe
(Eiglastudien s. 150), hauptsächlich aber ohne zweifei aus persönlichen gründen. Der
bericht der saga über diesen konflikt ist von einem starken republikanischen geiste
getragen, der sehr wohl zu Snorris jüngeren jähren passt, der aber den norwegischen
machthabern in den zwanziger und dreissiger jähren des 13. Jahrhunderts, nachdem
sie ihre äugen auf die annexion Islands gelenkt hatten, missliebig sein nuisste. Die
Heimskringla ist aber zweifellos mit rücksicht auf eben diese raachthaber geschrieben
und wohl auch in erster reihe auf sie berechnet und für sie bestimmt. Es begreift
sich leicht, dass Snorri sich scheute, die Opposition seiner ahnen gegen die ahnen
Häkons (und Skülis) in dem neuen werke in einem so grellen lichte hervortreten
zu lassen, und lieber das ganze übersprang, besonders nachdem er selbst ein lendr
madr des königs und gewissermassen sein geschäftsträger auf Island geworden war.
KEVK.JAVJK. BJÖltX M. (U.SKN.
EHRISMANN ÜBER WILHELM, LEGEXDEX IND LEGENDÄRE 257
Friedrich Willielin, Deutsche legenden und legendäre, texte und Unter-
suchungen zu ihrer geschichte im mittelalter. Leipzig, J. C. Hinrichs'sche
buchhandlung 1907. XVI, 234 + 57* Seiten. 8 m.
Wilhelms Untersuchungen sind sehr zu begrüssen, da sie über ein bis jetzt
wenig und auch dann vielfach nur mangelhaft bearbeitetes gebiet, das der heiligen-
geschichten, sich erstrecken und dazu mit fleiss und strenger methode geführt sind.
Es ist die entwicklung der Thomaslegeude, die hier speziell zur darstellung gelangt,
eine der ältesten und wichtigsten, die das leben und wirken eines apostels enthält,
der weite teile der heidenschaft für den christlichen giaubeu gewonnen haben soll.
Ein grosses, meist nur in handschriften überliefertes material war zu bewältigen
und in geordnete historische folge zu bringen.
Das einleitende kapitel ist 'der entwicklung der Thomaslegende im okzident'
von ihrem Ursprung in der griechischen literatur an durch die lateinischen be-
arbeitungen hindui'ch bis zum späteren mittelalter gewidmet. Darauf folgen die deut-
schen Übertragungen : die im mhd. Passional (Hahn s. 244—260) und in dem auf dem
Passional beruhenden prosaischen Legendär Cgm. 361 ('Münchener apostelbuch'), einer
gereimten legende des Cgm. 16 (geschrieben 1284 in Wetterauer mundart), und vier
weitere prosabearbeitungen : eine aus der elsässischen Übersetzung der Legenda aurea
(vielleicht erste hälfte des 14. Jahrhunderts), die aus Hermanns von Fritzlar Heiligen-
leben (Pfeiffer s. 23—26), eine aus der grossen Sammlung 'Der heiligen leben' und eine
aus dem Cgm. 257, einem im kloster Bebenhausen im 15. Jahrhundert geschriebenen
legendär (Bebenhausener legendär). In den daran sich schliessenden textabdrücken
sind die meisten der obigen stücke, soweit sie bis jetzt nicht gedruckt sind, ver-
öffentlicht, das dem prosaischen Heiligenleben entnommene in kritischer bearbeitung
unter benutzung von fünf handschriften.
Verschiedene dieser fassungeu sind von W. erst ans Licht gezogen worden
und durch ihre Veröffentlichung ist es nun möglich, sich von den Wandlungen dieser
literaturgattung ein deutliches bild zu machen. Das Passional, mit seinen zierlichen
Versen und seiner gewählten spräche noch der guten mittelhochdeutschen erzählungs-
kunst angehörend, Hermanns von Fritzlar aus erzählenden und spekulativen teilen
bestehende legendenpredigten als beispiel für die anforderungen , die die mystik
an die behandlung religiöser stoffe stellte, dann die ungelenke reimerei des Cgm. 16,
die schlichte und doch meist fliessende darstellung der prosabearbeitungen — es
spiegelt sich in diesen verschiedenartigen behandlungen desselben gegenstands ein
stück bildungsgeschichte des späteren deutschen mittelalters ab.
Bei der Untersuchung der einzelnen Versionen ist W. sorgfältig auf die quellen-
fragen eingegangen und hat dadurch wertvolle beitrage zur kenntnis auch solcher
werke geliefert, die schon lange .der literaturgeschichte angehören, so vor allem
für das mhd. Passional, für Hermann von Fritzlar, für das prosaische Leben der
heiligen. Letzteres, die bekannte grosse, in winter- und sommerteil zerfallende
Sammlung, nennt W. Wenzelpassional, und zwar deshalb, weil in ihm die legende
vom heil. Wenzel aufgenommen ist, woraus er schliesst, dass dieses legendär zur
zeit des deutschen königs Wenzel verfertigt worden sei, dessen Schutzpatron der
heilige gleichen namens war. Daraus ergibt sich zugleich die abfassungszeit : es
ist zusammengestellt zwischen 1391 und 1400, und zwar in Nürnberg. Die hypo-
these wird dadurch gestützt, dass in dem Hicronymusleben jener Sammlung, wie
W. nachweist, das werk Johanns von Neuraarkt benutzt ist. Wie gross der einfluss
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 17
258 NEUE ERSC'HEINUXOEX
der durch Karl IV. und seinen kauzler in Böhmen hervorgerufenen literatur auf
Nürnberg gewesen ist (s. 213), wird allerdings noch weiterer forschung bedürfen.
Durch ein sorgfältiges register hat W. die benutzung seines wertvollen buches
sehr erleichtert. — Was den persönlichen ton betrifft, so wäre es schöner, wenn
der Verfasser die Objektivität, die er den dingen entgegenzubringen bestrebt ist,
auch auf seine mitmenschen, ausdehnen würde.
HEIDELBERG. G. KHIUS.MAXX.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaktion ist bemüht, für alle zur besprechung geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu rezensieren. Eine zurücklieferung der rezensions-exem-
plare an die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Bälmisch. Alfred, Die deutscheu personennanieu. [Aus uatur und geistesweit
nr. 296.] Leipzig, Teubner 1910. VIII, 140 s. Geb. 1,25 ni.
'Bonaventura'. — Schultz, Franz, Der Verfasser der nachtwachen von Bona-
ventura. Untersuchungen zur deutschen roraautik. Berlin, Weidmann 1909.
VIII, 332 s. 8 m.
Buchmauu, Rudolf, Helden und mächte des romantischen kunstinärchens. Beiträge
zu einer motiv- und stilparallele. [Untersuchungen zur neueren sprach- und
lit.gesch.. herausg. von 0. F. Walzel, n. f. VI.] Leipzig. H. Haessel 1910.
XVL 236 s. 4,60 m.
Edda Saemuudar. — Ussiug, Henrik, Om det indbjrdes forhold mellem helte-
kvadene i .Eldre Edda. [Kopenh. dissert.] Kobenh., G. E. C. Gad 1910. 176 s.
Erzählungen, fabeln und lelirgedichte. Kleinere mittelhochdeutsche. IL Die
Heidelberger liaudschrift cod. Pal. germ. 341, herausg. von Gustav Eosen-
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geistesvvelt nr. 75.] Leipzig, Teubner 1910. (IV), 136 s. Geb. 1,25 m.
260 NEUE EKSOHEININGEN — NACHRICHTEN
Studier i nordisk filologi utgifna genoin Hugo Pipping. Första bandet. [Skrifter
utg. av Svenska litteratursällskapet i Finland. XCII.] Helsingfors 1910. (VI),
52 + 24 + 183 s.
Inhalt: E. Li den, Äldre nordiska tillnamn. — H. Pipping, Fornsvensk
lagspräk. I. — E. Saxeu. Fiiiländska vattendragsnamn.
Ulrich von Zaziklioven. — Beywl, Cleophas, ßeimwörterbuch zu Ulrichs
Lauzelet. [Prager deutsche Studien. XV.] Prag, C. Bellmann 1909. VI, 91 s.
Vetsch, Jakob, Die laute der Appenzeller mundarten. [Beiträge zur schweizer-
deutschen grammatik . . . herausg. von Alb. B a c h m a n n. I.] Frauenfeld,
Huber & co. 1910. VIII, 255 s. und 4 beilagen. 2,40 m.
Waltlier yon der Vogelweide. — Schönbach, Anton E., W. v. d. V., ein
dichterleben. 3. aufl. [Geisteshelden, begründet von A. Bettelheim. L]
Berlin, Ernst Hofmann & co, 1910. YLII, 233 s. und 2 abbild. 2,40 m.
Wipf, Elisa, Die mundart von Visperterminen im Wallis. [Beiträge zur schweizer-
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Witkop, Phil., Die neuere deutsche lyrik. Erster band. Von Friedrich von Spee
bis Hölderlin. Leipzig und Berlin, Teubner 1910. (11), 366 s. 5 m.
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Giessen von Paul Glaue und Karl Helm. Giesseu, Alfred Töpelmann 1910.
(II), 38 s. 1,50 m.
NACHRICHTEN.
Der ausserordentliche professor dr. Paul Pietsch in Greifswald, der seit
1896 von seinen amtspflichten entbunden war, um an der kritischen gesamtausgabe
der werke Luthers mitzuarbeiten, hat seine lehrtätigkeit wieder aufgenommen. Zu-
gleich ist ihm der charakter als geh. regieruugsrat verliehen worden.
Professor dr. Erich Schmidt in Berlin wurde von der Ungarischen akademie
der Wissenschaften in Budapest zum auswärtigen mitgliede gewählt. Zu ehren-
mitgliedern ernannte das Islenzka bokmentafelag in Eeykjavik die Professoren
dr. Hugo Gering in Kiel und dr. Eugen Mogk in Leipzig.
Für germanische philologie habilitierten sich: in Freiburg i. Br. dr. Hans
Schulz und in Strassburg dr. F r i e d r. E a n k e.
^6.'
DAS TOTENTANZPROBLEM.
Wilhelm Seelmann (Die totentänze des Mittelalters, Niederdeut-
sches Jahrbuch XVII) war der erste, der das Totentauzproblem, los-
gelöst Yon allgemeinen kulturgeschichtlichen liypothesen und scharf
formuliert, in den mittelgrund stellte und es mit den mittein der philo-
logischen forschung zu lösen versuchte. Was vor ihm für den ver-
gleich der texte geschehen war, war über unbrauchbare ansätze nicht
hinausgekommen. Die anregungen, die in seiner arbeit liegen, sind
so stark, dass sie ihre grosse bedeutung behalten wird, auch wenn
sie in ihren hauptresultaten nicht den glauben gefunden hat, den sie
beanspruchte.
Die hypothese vom Totentanzdrama, das Seelmann auf text-
kritischem Avege erschlossen zu haben glaubte, darf heute als erledigt
angesehen werden. So bestechend die beweisführung erschien, die
den Zusammenhang des lübisch-revalschen (niederdeutschen) textes mit
der spanischen Danca general de la muerte und der Pariser Dause
macabre nachwies und als quelle für alle totentänze ein altfranzösisches
Totentanzdrama postulierte, das fundament erwies sich doch als zu
schwach, den bau zu tragen. Die geringen formalen und textlichen
parallelen, die Seelmann nicht nur zum nachweis des Verwandtschafts-
verhältnisses, sondern auch als wichtige bausteine für seine hypothese
vom Ursprung der totentänze benutzte, lenkten den blick vielmehr auf
die grossen inneren gegensätze, die zwischen den texten bestehen und
die Seelmann fast ganz übersehen hatte. Und von hier aus zeigte es
sich zunächst, dass das bild, das sich Seelmann von dem ursprüng-
lichsten totentänze gemacht hatte, falsch war. Nicht das drama vom
tod, der die einzelnen Vertreter der menschlichen stände zum tanz auf-
fordert, ist die ursprünglichste form der totentänze, sondern der reigen
der toten, die die lebenden in ihren reigen hineinziehen. Ich habe
an anderer stelle (Ursprung der totentänze [Halle 1907], s. 30 ff.)
gezeigt, dass der vierzeilige oberdeutsche totentanztext am klarsten
diese anschauung beibehalten hat, die auch in den andern texten
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. IS
262 FEHSK
noch nicht völlig' verwischt ist und in den reig-enbildern der franzö-
sischen und niederdeutschen totentänze dargestellt erscheint. Es lag
daher nahe, in dem oberdeutschen text, der allein das ursprüngliche
motiv rein bewahrt hat, den ältesten erhaltenen totentanztext über-
haupt zu sehen, um so mehr, da er seinem ganzen wesen nach nicht
ein abkömmling der französisch-niederdeutschen gruppe sein kann.
Aber meine in dieser Zeitschrift (40, 67 ff.) veröffentlichte Unter-
suchung über das handschriftenverhältnis des vierzeiligen oberdeutschen
totentanztextes endete mit einem resultat, das den schluss, die ent-
stehung der totentänze in Oberdeutschland zu suchen, wieder in frage
stellt. Es ergab sich, dass die Heidelberger handschrift Cod. pal. 314,
bl. 79 -'-80'' von den haudschriften und blockbüchern des oberdeutschen
totentanzes den ursprünglichsten text bietet. Diese handschrift enthält
nur die den menschen des grossen reigens untergelegten Strophen.
Die Strophen der toten fehlen. Dafür enthält diese handschrift aber
eine lateinische fassung des textes, und es stellte sich bei dem ver-
gleich mit dem deutschen text heraus, dass die lateinische fassung- die
ältere ist. Diese braucht nun natürlich nicht auf deutschem boden
entstanden zu sein. Offenbar entstammt dieser lateinische totentanz
der geistlichen literatur des mittelalters, die auf internationalem boden
steht. Und nunmehr verlangt die frage nach dem Verhältnis dieses
textes zu der französisch-spanisch-niederdeutschen gruppe gebieterisch
ihre beantwortung. Andere totentanztexte als diese vier kommen für
die frage nach dem Ursprung der totentänze nicht in betracht. Von
der spanisch-französisch-niederdeutschen gruppe könnte nur die Dause
macabre den anspruch erheben, der ursprünglichste totentanz zu sein.
Die Danga general de la muerte bezeichnet sich selbst als transladaclon,
und in Lübeck wird wohl niemand den ursprungsort des totentanzes
suchen, auch wenn im texte nicht sprachliche spuren nach den Nieder-
landen hinwiesen, die zum mindesten einen flämischen maier vermuten
lassen. Die Pariser Danse macabre (1424) ist bisher als ältester toten-
tanz in Frankreich festgestellt worden. Künstle ^ sucht dieses resultat
dadurch in zweifei zu setzen, dass er für den totentanz in Kermaria
(Cotes du Nord) ein höheres alter als für den in Paris forderte. Doch
wenn Künstle in der naiven und schlichten darstellung das zeichen
einer früheren zeit sieht, erkennt Male- darin die kennzeichen einer
1) Karl Künstle, Die legeude der drei lebenden und der drei toten und der
totentauz, Freiburg i. B. 1908, s. 68 f.
2) E. Male, Revue des deux raondes 1906, s. 667.
DAS TOTEXTAXZPROBLEM 263
ungeschickten künstlerhand \ Das hindert ihn nicht, au der von Dufour'-
gegebenen datierung 1450-60 festzuhalten. Dies ist um so wichtiger,
als er sein urteil vor dem gemälde selbst sich gebildet hat und es
durch einzelheiten der kostümierung bestätigt findet. Die spuren, die
von dem text in Kermaria noch erhalten sind, zeigen, dass dieser mit
dem der Danse macabre identisch war. Nur die zahl der paare ist
nicht die gleiche. Selbst wenn Künstle mit seiner datierung dieses
totentanzes (vor 1400) recht haben sollte, so würde dies also für den
textvergleich von untergeordneter bedeutung sein.
Der lübisch-revalsche text (Seelmann a. a. o. s. 68 ff.) und der
spanische text (zuletzt abgedruckt von Appel in den Beiti'ägen zur
romanischen und englischen philologie, dem X. deutschen neuphilo-
logentage überreicht, Breslau 1902) gehören nach form und Inhalt
näher zusammen. Beide texte weisen achtzeilige, ganz eigenartig ver-
knüpfte Strophen auf. Eine Strophe spricht der mensch, der gerade
den tanz antritt. Seinen gefühlsäusserungen antwortet in den ersten
sieben zeilen der nächsten Strophe der tod, um sich in der achten
zeile derselben Strophe an seineu nächsten partner zu w^enden. Dieser
eigenartigen form entspricht es, wenn in beiden texten über den
Charakter der gestalten (oder richtiger: der gestalt), die die einzelnen
menschen zum tanze abrufen, kein zw^eifel bestehen kann. Es sind
nicht die toten, die die Vertreter der menschlichen stände in ihren
reigen ziehen, sondern es ist der tod, der einen nach dem andern
zum tanze auffordert. Zum spanischen texte gehört kein bild, aber
in Lübeck und Reval widerspricht das reigenbild mit den vielen toten-
gestalten durchaus der anschauung, die dem text mit seinem einen
tode zugrunde liegt. Eine weitere Übereinstimmung zwischen der
Danga general de la muerte und dem lübisch-revalschen text, etwa in
einzelheiten des Wortlauts oder auch nur in der auswahl der persouen,
lässt sich nicht konstatieren. In seltsamer weise stellt sich nun der
französische text zwischen den spanischen und den niederdeutschen.
Mit dem spanischen hat er bis auf eine abw^eichung die kunstvoll
gebaute strophenform gemein, während die niederdeutsche strophe
paarweise gereimt ist. Dafür beginnt der niederdeutsche text mit
dem gleichen verse wie die Danse macabre: Och redelike creatuer —
0 crcatiire raisonable. Dies ist aber auch wieder die einzige über-
1) Er nennt den totentanz von Kermaria 'une oeuvre rustique, oü abondent
les maladresses'.
2) La cimetiere des SS. Inuocents et le quartier des luilles, Paris 1878.
18*
264 FEHS 10
einstinmumg im Wortlaut. Der französische text unterscheidet sich
von den beiden andern am auffälligsten dadurch, dass der dialog
einen anderen Charakter erhalten hat. Die regelmässige Verkettung
der Strophenpaare, die dadurch zustande kommt, dass der tod in den
sieben ersten versen seiner strophe antwortet und in der achten sich
weiter wendet, fehlt hier. Im französischen texte enthält die ganze
erste strophe die aufforderung des todes, die ganze zweite die ant-
wort des menschen. Sehen wir von jenem stereotypen achten verse
des todes im spanischen und niederdeutschen texte ab, dann hat sich
hier also die reihenfolge geändert. Aber dennoch findet sich an drei
stellen des französischen textes eine ähnliche Verknüpfung der strophen-
paare wie im spanischen und niederdeutschen text, nur dass sie hier
durch ein rückwärtsgreifen des todes erzielt wird. Es ist dies der
fall beim kaufmann, beim arbeiter (bauer) und beim kleriker.
1.
Le mort.
Marchant regardez par deca.
Pluseurs pays avez cercliie
A pie, a clieval, de pieca
Vous nen seres plus empeschie.
Vecy vostre dernier marchie
II couvient que par cy passez
De tout soing seres depechie
Tel coQToite qui a assez.
Le marcliaut.
Jay este amont et aval
Pour marchander ou ie povoye
Par long teraps a pie, a clieval,
Mais maiDtenant pers toute ioye.
De tout mou povoir acqueroye
Or aye ie assez, mort me contraint.
Bon fait aller moyeune voye,
Qui trop embrasse peu estraint.
Le mort.
Alez marchant sans plus rester.
Ne faites ja cy resistence.
Vous ny povez rien conquester.
(zum kartäuser:)
Vous aussi homme dastiiieuce etc.
2.
Le mort.
Laboureur qui en soing et painne
Avez vescu tout vostre temps.
DAS TOTEXTANZPROBLEM 265
Morir fault, cest chose certaiune,
RecuUer uy vault ue contens.
De mort deves estre contens,
Car de grant soussy vous delivre.
Approchez vous, ie vous attens :
Folz est qui cuide tousiours vivre.
Le laboureur.
La mort ay souhaite souvent,
Mais volentier ie la fuisse.
Jamasse niieulx feist pluye ou vent
Estre es vignes ou ie fouisse
Encore plus grant plaisir y prisse,
Car ie pers de peur tout propos.
Or nest-il qui de ce pas ysse :
Au raonde ua point de repos.
Le mort.
Faictes voye, vous avez tort
Laboureur.
(zum frauziskaner :)
Apres cordelier etc.
3.
Le mort.
Cuidez-vous de mort eschapper
Clerc esperdu, pour reculler
II u sen fault ia defripper.
Tel cuide souvent hault aller
Quon voit a cop tost ravaller.
Prenez en gre, alons ensemble
Car rien ny vault le rebeller:
Dieu punit tout quant bon luy semble.
Le Clerc.
Fault il qun ieusne clerc servant
Qui eu Service prent plesir
Pour cuider venir en avant
Meure si tort, cest desplesir.
Je suis quitte de plus choisir
Aultre estat, il fault quainsi danse :
La mort ma pris a son loisir.
Moult remaint de ce que fol pense.
Le mort.
Clerc point ne fault faire refus.
De dancer, faictes vous valoir.
Vous nestez pas seul, levez sus
Pour tant moins vos en doit chaloir. fzum oremiten :)
Venez apres, cest mon voloir,
Homiue uourrv en hermitage etc.
266 VEHSE
l)jis g-lciche /Airückgreifen findet sich beim eremiten, nur dass
es hier wahrscheinlich durch das gcmäkle bedingt ist, das den reigen
mit einer totengestalt beginnen und schliessen lässt, so dass eine
überzählig- ist.
Der schluss liegt nahe, dass auch in diesem texte wie in dem
spanischen und niederdeutschen im gegensatz zu den vielen toten-
gestalten des gemäldes durch jenes auffällige zurückgreifen die ein-
heit des todes sich erweist. Aber so einlach wie dort lässt sich dieser
schluss hier nicht ziehen. Freilich wenn Kupka ^ die bezeichnung le
mort in den Überschriften der ausgäbe von Marchaut aus dem jähre
1486 und eine reihe von fällen, in denen in den Strophen der toten-
gestalten vom tode in der dritten person gesprochen wird, als hin-
reichenden beweis dafür ansieht, dass nicht der tod, sondern die toten
hier sprechen, so zeigt dies nur, dass die Schwierigkeit dieser frage
gar nicht erkannt ist'^. Denn wenn Marehant die Überschrift le mort
hat, so sagt dies für die auffassung des textes gar nichts, denn es
ist nicht nachgewiesen und nicht einmal wahrscheinlich, dass das
gemälde derartige Überschriften gehabt hat. Mit demselben rechte
könnte Kupka behaupten, der oberdeutsche totentanztext sei ein tanz
des todes, nicht der toten, denn die Überschrift lautet hier in den
handschriften : der tod. Die fälle aber, in denen die totengestalten
vom tode in der dritten person sprechen, sind doch nur dann beweis-
kräftig, wenn die möglichkeit ausgeschlossen erscheint, dass der tod
von sich selbst in der dritten person spricht, um den eindruck einer
würdevoll gehobenen Sprechweise zu erzielen. Wenn die totengestalt
zum erzbischof sagt: Nest |w.s tousiours la mort empres tont komme?
so kann man daraus noch nicht den schluss ziehen: hier kann nicht
der tod, hier kann nur ein toter reden. Derartige beispiele lassen
sich allerdings viele vorbringen. Aber ebenso häufig sind die andern
beispiele, aus denen man das entgegengesetze folgern muss.
Le mort (zum kaiser).
Jeumainne tout, cest ma maoiere,
Les filz Adam fault tous morir.
1) P. Kupka, Zur geuesis der mittelalterliclien totentäuze, s. 28.
2) Wenn Kupka ferner hier als beweis eine stelle zitiert, die nur in der
zweiten erweiterten ausgäbe von Marehant vorkommt, so ist mir dies unverständlich.
Ein solches zitat kann doch nur für die auffassung zeugen, die der Verfasser der
erweiterungen gehabt hat, nicht aber für die auschauung, die der alten Danse ma-
cabre zugrunde liegt.
DAS TOTENTANZPIIOBLE.M 267
Lerapereur.
Je ne scay devant qui iapelle
De la mort, quaiisi ine demaiune.
Jenes 'cest iiu/ maniere passt doch nur auf den tod, und der
kaiser sagt es imanfeclitbar, wer ihn denn wegführe. Im oberdeut-
schen text ist die totengestalt als toter klarer umrissen. Zwar lautet
hier gerade die Überschrift 'der tod'. Aber wenn hier die totengestalt
zum kaufmanu sagt:
Der tod nimt weder miet noch gaben.
Tanzt mir nach, er wil euch haben.
(Zeitschr. 40, 88.)
so ergibt sich daraus unzweifelhaft, dass es nicht der tod ist, der
hier redet, ganz abgesehen davon, dass der text wiederholt in mannig-
fachen bezeichnungen von den toten spricht (vgl. Ursprung der toteu-
tänze, s. 13 ff.). In dem französischen texte findet sich nur an einer
einzigen stelle le mort, nämlich in den Worten des acteur, mit dessen
predigt der text beginnt v. 12tf.
L e mort le vive fait avancer.
Tu vois les plus grans commencer.
Car il n'est nul que mort ne fiere.
Die stelle ist charakteristisch, wxil gleich darauf wieder die Personi-
fikation tod eingeführt wird. Derselbe Wortlaut wie in dem ersten
verse kehrt in der sti-ophe des Wucherers wieder:
Je vais morir, la mort m'avance.
Auch hier ist der tod für den toten eingetreten.
Dennoch lässt sich von der Pariser Danse macabre nicht ohne
weiteres sagen, dass in ihr ein tanz des todes, nicht ein tanz der
toten gegeben ist. Jedenfalls kommt an einzelnen stellen eine andere
anschauung deutlich zum durchbrach. Der sergent sagt:
Moy qui suis royal offlcier.
Comme m'ose la mort f rapper?
Je foisoys mon office hier
Et eile me vient huy happer.
Je ne scay quel part eschapper.
Je suis pris de ca et de la.
Der letzte vers zeigt, dass dem textdichter ein reigenbild vorschwebt.
Dieser reigen kann aber nur durch tote gebildet sein. Diese stelle
steht in auffälligem widersprach mit dem dazugehörigen bilde, denn
der sergent steht am schluss einer jedesmal zwei paare umspannenden
arkade, ist also niclit von links und rechts ergriffen. Sodann steht
268 FEIISE
sie im widerspriu-h mit der einheit der persoii des todes, wie sie durch
das oben darg-eleg-te zurückgreifen der totengestalteu gegeben war.
Eine entscheidung ist nicht möglich. Es ergibt sich nur das
eine, dass dem textdichter der Pariser Danse macabre eine klare an-
schauung von dem Charakter seiner totengestallt gefehlt hat. Sie
schillert zwischen dem personifizierten tode und den toten. Auch wenn
es durch unsere Untersuchung sich nicht anderweitig erwiese, könnten
wir schon hieraus den schluss ziehen, dass der text der Pariser Dansc
macabre nicht der ausgangspunkt, sondern ein durchgangspunkt in
der entwicklung des totentanzmotivs ist.
Noch schärfer springt ein anderer unterschied zwischen dem
spanischen und dem niederdeutschen text einerseits und dem franzö-
sischen andererseits in die äugen . "Während die beiden ersteren näm-
lich wirkliche dialoge sind, ist der letztere aus anreden der toten-
g-estalten und aus monologen der menschen zusammengesetzt. Während
dort die menschen den tod vielfach anreden und ihn um Schonung
bitten, findet sich hier nur eine einzige apostrophe, und diese ist in
einer form gehalten, die sie auch in jedem monolog am platze er-
scheinen lässt. Der bourgois sagt:
Grand mal ine fait si tost laissier
Eentes, inaisons, cens, norritnre.
Mais pouvres, riches abaissier
Tu faiz, mort teile est ta uature.
Sage n'est pas la creature
D'amer trop les biens qui demeureut
Au. monde et sont siens de droitiu-e.
Ceulx qui plus ont plus enviz meurent.
In allen übrigen Strophen, die den menschen in den mund gelegt
sind, reden diese vom tode in der dritten person. Nirgends findet
sich eine bitte an den tod. Der mannigtach variierte inhalt jener
Strophen ist im gründe immer der nämliche: das bewusstsein der
nähe des todes, das unabänderliche des herben Schicksals, von dem
es keine rettung gibt, die reue ob des im leben versäumten. Dass
die Strophen der menschen keinen dialogischen Charakter tragen, ist
um so auffälliger, als im französischen text ja im gespräch der toten-
gestalt die anrede, dem menschen die antwort zugewiesen ist. Im
spanischen und niederdeutschen texte ist es (von dem verse des todes
abgesehen, der die kurze aufforderung enthält) umgekehrt. Hier ant-
wortet der tod, und infolgedessen w^äre hier ein monologischer Charakter
der Strophen der menschen leicht erklärlich. Dennoch ist gerade hier
der text durchaus dialogisch.
DAS TOTEXTANZPROI?LE:.r
269
Es frag-t sich nun, wie die Verwandtschaft und wie die innere
Verschiedenheit der drei texte sich erklärt.
Da der niederdeutsche und spanische text unmöglich direkte
beziehungen zueinander haben, wie sich schon ohne weiteres aus dem
Verzeichnis der personen des reigens ergibt, so müssen wir eine ge-
meinsame quelle postulieren, welche die eigentümliche äussere form
gehabt hat, die wir an den beiden texten durchgeführt und im fran-
zösischen text in drei fällen angedeutet fanden. Dass diese quelle
ein französischer text gewesen ist, liegt sehr nahe. Damit ist noch
nicht ausgemacht, dass dieser text der 'urtext' aller totentänze gewesen
ist. Jedesfalls aber hat er erst einmal alle die merkmale aufgewiesen,
die in den drei achtzeiligen texten sich finden. Dies ist freilich wenig
mehr als die äussere form. Aber ausserdem dürfen wir für diesen
text auch die merkmale in ansprach nehmen, die zwei von den drei
totentänzen gemeinsam haben und die sich nicht anderweitig ohne
mühe motivieren lassen. Das ist einmal die einleitung, die in der
Dause macabre dem 'acteur', im niederdeutschen text dem prediger
zugew^iesen ist, und die schon in dem quelltext den anfang 0 ereatnre
raisonable gehabt haben muss. Das ist sodann die reihenfolge der
personen, die zwar im französischen und spanischen text nicht iden-
tisch ist, aber doch noch in den ersten gruppen erkennen lässt, wie
ungefähr die paare in dem quelltext gruppiert waren. Dass nur die
ersten gruppen für diesen vergleich in frage kommen, erklärt sich aus
der wachsenden freiheit, mit der der bearbeiter seiner vorläge gegen-
übertritt. Ausserdem ist eine einschiebung gegen ende hin leichter
als am anfang, da alle totentänze eine gewisse rangordnung einhalten.
Stellen wdr die ersten zwölf glieder des französischen, spanischen,
niederdeutschen und lateinischen tcxtes (Cod. palatiuus) nebeneinander:
franz.
1. pape
2. cinpereur
3. Cardinal
4. roi
5. patriarche
6. conestable
7. archeveque
8. Chevalier
9. eveque
10. esquier
11. abbe
12. baillif
span.
1. padre Santo
2. emperador
3. cardenal
4. rey
5. patriarca
6. duque
7. argobispo
8. condestable
9. opispo
10. Caballero
11. abad
12. escudero
niederd.
1. papst
2. kaiser
3. kaiserin
4. kardinal
5. könig-
6. bischof
7. herzog
8. abt
9. ritter
10. kartäuser
11. edclmann
12. doniherr
lat.
1. papa
2. cesar
3. caesarissa
4. rex
5. cardinalis
6. Patriarch a
7. archiepiscopus
8. dux
9. episcopus
10. conies
11. abbas
12. miles
270 FEHSE
Der spanische und französisclie text haben bis gegen ende streng-
durcligeführten Wechsel zwischen geistlichem und weltlichem stand; im
lübisch-revalschcn text wird dieser Wechsel schon in der mitte unter-
brochen, im lateinischen ist er gar nicht beabsichtigt. In den ersten
beiden texten zeigt sich ausserdem bis paar 11 bzw. 12 genaue Über-
einstimmung in der reihenfolge, die nur durch die einfügnng des Duque
in die weltliche reihe vom spanischen text gestört wird. Auffallend
ist ferner, dass in diesen beiden texten nur männliche gestalten er-
scheinen^, während die beiden anderen gleich hinter dem kaiser die
kaiserin einfügen und auch sonst das weibliche geschlecht in ihren
rahmen ziehen. Da der niederdeutsche text auch im vergleich mit
allen andern totentänzen in der auswahl der personen grosse Selb-
ständigkeit zeigt, so ist die reihenfolge der ersten 11 glieder des
reigens, wie sie im französischen und spanischen text erscheint, höchst
wahrscheinlich auch für den qiielltext in anspruch zu nehmen und
damit auch der konsequente Wechsel zwischen geistlichen und welt-
lichen personen.
Dann verlangt aber die frage, wie die auffällige einführung der
kaiserin im niederdeutschen text sich erklärt, ihre beantwortung. Dass
er an dieser stelle mit dem lateinischen text übereinstimmt, kann kein
Zufall sein. Seelmann hatte angenommen, dass der lateinische text
eine Übersetzung des oberdeutschen sei, und diesen hatte er für eine
ableitung aus dem französischen urtext erklärt (Seelmann a. a. o. s. 30).
Aus unserer Untersuchung des oberdeutschen textes hatte sich die halt-
losigkeit dieser ansieht ergeben. Es waren zwei stellen aus dem nieder-
deutschen text, die an den oberdeutschen gemahnen und so Seelmauus
Vermutung stützten : die eingangsformel Och redelike creature (0 diser
ivelt Weisheit hind) und die beiden verse des kindes:
0 dot, wo schall ik dat vorstan,
Ik schal dansen unde kan nicht gän - ?
Wir hatten (Zeitschr. 40, 75) gesehen, dass die eingangsformel 0 vos
üiventes huius mundi sopientes durchaus original im lateinischen texte
1) Von den 'dos Doncellas', die im spanischen text der tod vor dem eigent-
lichen reigen zitiert, ist hier abzusehen. Der tod redet sie nicht an, sondern spricht
von ihnen in der dritten person ; auch sind ihnen keine autwortstrophen zugewiesen.
Sie sind sicher zutat des dichters, der ja auch sonst so frei mit seiner vorläge um-
gesprungen ist, dass die bezeichnung 'trasladagion', die sein gedieht führt, nur in
sehr übertragener bedeutung zn verstehen ist.
2) Oberdeutscher text: Wie wiltu mich also vertan?
Musb ich tanzen und kau nit gau?
DAS TOTENTANZPROBLEJI 271
ist. Sie kann also für Seelmanns Vermutung nicht als stütze dienen.
Ebenso kann die Übereinstimmung des einen verses aus den Strophen
des kindes nicht das beweisen, was Seelmann will. Im französischen
text ist nicht einmal eine inhaltliche entsprechung dieses verses vor-
banden, und der spanische text hat keine Strophe für das kind. Nun
sind die oben zitierten verse auf eigentümliche weise uns überliefert
worden. Das Lübecker bild in der Marienkirche ist ursprünglich auf
holztafeln gemalt gewesen. Es stammt aus dem jähre 1463, Im
jähre 1701 ist dann das gemälde von dem maier Anton Wortmann,
wie man aus der tracht der gestalten und aus dem vergleich mit dem
Revaler bilde schliessen muss, ziemlich getreu auf leinwand übertragen
worden. Bei dieser gelegenheit wurden die alten niederdeutschen verse,
die unter den figuren standen, durch neue hochdeutsche ersetzt. Was
von dem alten text zu jener zeit noch erhalten war, wurde von dem
damaligen pastor der Marienkirche Jakob Melle abgeschrieben und ist
in seiner handschriftlichen 'Ausführlichen beschreibung von Lübeck'
erhalten. Die oben angeführten verse des kindes sind in dieser nieder-
schrift aber nicht wiedergegeben. Sie wurden in dem handschriftlichen
werke Melles 'Lubeca religiosa' von einem seiner nachkommen auf-
gezeichnet. (Vgl. Der totentanz in der Marienkirche zu Lübeck. Nach
einer Zeichnung von C. J. Milde mit erläuterndem text von W. Mantels,
Lübeck 1866, s. 9.) Diese art der Überlieferung hat schon früher die
Vermutung hervorgerufen, dass diese beiden verse nicht zu dem von
Melle kopierten text gehört haben, sondern die letzten spuren eines
älteren vierzeiligen textes sind, der im jähre 1463 durch jenen anderen
achtzeiligen niederdeutschen verdrängt wurde (vgl. Mantels a. a. o.).
Jener ältere text wäre dann eine niederdeutsche version des vierzeiligen
oberdeutschen textes zu 24 paaren gewesen. Diese Vermutung wird
nun dadurch unterstützt, dass sich die auffälligen abweichungen vom
französischen und spanischen text aus dem oberdeutschen bei dieser
annähme sehr einfach motivieren. Die einführung der weiblichen ge-
stalten, namentlich die der kaiserin, erklärte sich dann sehr einfach
daraus, dass sie vorhanden war, als der aus Frankreich direkt oder
indirekt importierte text einer durchgreifenden erneuerung des toten-
tanzes in der Marienkirche zugrunde gelegt wurde. T'nd vielleicht ist
dann damit auch eine erklärung gefunden für die beschränkung des
lübischen gemäldes auf 24 paare. Durch den oberdeutschen text war
dieser rahmen angegeben worden, und er wurde 1463 beibehalten.
Die geschichte der totentänze lehrt ja, dass bei fortschreitender cnt-
wicklung der rahmen des bildes sich eher erweitert als verengert.
272 FEHSE
Jede verkürz Ulli;' des rci^ens bei einer nachahmiing ist infolgedessen
auffüllig.
Nach diesen erörterung-en kann der niederdeutsche text also
getrost bei der bestinirauug der personenauswahl und -anordnung für
den französischen quelltext ausgeschieden werden. Wir dürfen an-
nehmen, dass dieser text wie die Danse macabre und die Danca
geueral nur männliche Vertreter und einen regelmässigen Wechsel von
geistlichen und weltlichen gliedern des reigens aufgewiesen hat.
Es bleibt uns als letzte frage die, die für uns die grösste be-
deutung hat: hat der quelltext der drei achtzeiligen totentänze aus-
gesprochen dialogischen Charakter gehabt? Oder haben die Strophen
der menschen in ihm wie in der Danse macabre monologische form
getragen ?
Es liegt auf der band, dass der vollständig durchgeführte dialog
von grösserer dichterischer freiheit zeugt. Er bringt grössere lebendig-
keit in den text und lässt infolgedessen die dargestellte Situation an-
schaulicher werden. Als grad der eutwicklung bedeutet der aus-
gesprochene dialog also eine höhere stufe. Es ist infolgedessen kein
wunder, wenn in dem dichterisch freiesten der drei achtzeiligen toten-
tänze, im spanischen, der dialogische charakter am schärfsten aus-
geprägt ist. Er ist in diesem text sogar noch dadurch weiter aus-
gebildet, dass die sterbenden menschen nicht nur den tod, sondern
mitunter auch andere mitmenschen anreden und anrufen. So ruft der
könig seine vasallen zu hilfe, der knappe sagt den damen, denen sein
dienst galt, lebewohl. Durch diese Weiterentwicklung der form wird
freilich der rahmen des totentanzes in derselben weise durchbrochen
wie durch Holbeins bilder: aus dem tanz der toten werden bilder
des todes.
Wäre der dialog das ursprüngliche gewesen, dann würde es
schwer erklärlich sein, wie in den späteren uachahmungen die halb-
monologische form zur durchführuhg gelangt wäre. Der absichtliche
verzieht auf eine künstlerisch höher stehende, freiere behandlung würde
sich schwerlich motivieren lassen. Es muss also die form der Danse
macabre, in der die menschen den tod nicht anreden, sondern ihren
gefühlen in gestalt eines monologs ausdruck verleihen, die ursprüng-
liche und darum auch im quelltext vorhandene gewesen sein. Bestärkt
werden wir darin durch die gleiche entwicklung, die wir im ober-
deutschen texte nachweisen kJhinen. Der text zu 24 paaren, wie ihn
uns die blockbücher und handschriften bieten, ist nicht dialogisch.
Die menschen antworten dem tod nicht und reden ihn nicht an,
DAS TOTEXTAXZPROBLEM 273
sondern änssern sich im selbstg-espräch. In den 15 zusatzstrophen,
die diesen text in Klein-Basel (Klingental) erweiterten, haben wir
jedoch den dialog', wenn er auch nicht überall streng- durchgeführt
ist. Das ist er ja auch im spanischen und niederdeutschen texte
nicht. Vielfach scheint der ursprüngliche charakter noch durch. So
spricht im niederdeutschen text die kaiserin erst im Selbstgespräch
vom tode in der dritten person, um in dem letzten verse ihrer Strophe
den tod anzureden :
Ick wet, my inent de doet!
Was ick ny vorvert so grot !
Ik meude, he si nicht al bi sinne,
Bin ick doch junck und ok eine keiserinue.
Ik uiende, ik hedde rele macht,
Up em hebbe ik ny gedacht,
Ofte dat gement dede tegen mi.
Och, lat mi noch leuen, des bidde ik di !
Wenn wir nun den monologischen charakter in den Strophen der
menschen für den quelltext in ansprach nehmen, so übersehen wir
dabei nicht, dass uns die aufgäbe bleibt, diese auffällige eigenart be-
friedigend zu motivieren. Fassen wir unsere resultate zusammen, so
ergab sich für die Danse macabre, die Danca general de la muerte
und den lübisch-revalscheu text ein quelltext, der die charakteristische
äussere form des spanischen und niederdeutschen totentanzes wahr-
scheinlich mit der reinibindung des französischen besass. Dieser text
begann mit einer predigtartigen einleitung, deren erster vers 0 crea-
iure misonable lautete, und zeigte die Vertreter der menschen in einem
regelmässigen Wechsel von geistlichen und weltlichen gestalten. Weib-
liche glieder fehlten in ihm ganz. Dieser text war kein eigentlicher
dialog. Er bestand aus anreden des todes und monologischen äusse-
riingen der menschen. In diesem text schillerte sodann die totengestalt
wahrscheinlich in derselben weise zwischen tod und totem wie in der
Danse macabre. Von den drei achtzeiligen totentänzen hat nur der
inhaltlich freieste, der spanische, die Personifikation tod in aller konse-
quenz durchgeführt. Im niederdeutschen text sagt der papst zum tod:
AI was ik hoch geresen in State
Unde ik altohant moet werden
Gelik als du een slim der erden V
Der dichter denkt hier also an einen toten, indem er vom tod spricht.
Und ganz ähnlieh ist eine stelle in der Danse macabre. Die toten-
274 FEIISE
g-cstalt des kaisers ist mit einer hacke, einem spaten und einem leiclien-
tuch auf dem l)ilde dargestellt. Der kaiser sagt nun :
Armer me fault de pic, de pelle
et d'uu linseul, ce m'est graut paiuue.
Es soll durch diesen Wortlaut ausgedrückt werden, dass der kaiser
der totengestalt gleich wird. Darum scheint hier nicht an den tod,
sondern an einen toten gedacht zu sein.
Bemerkenswert an allen drei achtzeiligen texten, und also auch
wohl an dem quelltext, ist die tatsache, dass in ihnen die konkrete
anschauung vom reigen der toten fast vollständig verblichen ist. Die
abstrakte idee hat sie vollständig überwuchert.
Neben diesen quelltext, den Seelmann (s. 5if., s. 11 ff.) als pro-
totyp aller totentänze und zugleich als das von ihm erschlossene
totentanzdrama ansah, stellt sich nun als einziger rivale der lateinische
text Codex palatinus 314, bl. 79-80.
Der auffälligste unterschied zwischen beiden ist das fehlen der
in allen andern texten den totengestalten in den mund gelegten Stro-
phen im lateinischen texte. Es fehlt hier ferner die schematische ein-
teilung der menschen in geistliche und laien. Dafür sind unter den
24 personen, die den reigen bilden, auch einige weiblichen geschlechts
(caesarissa, nobilissa, monialisj mater). Im auffälligsten gegensatz zu
den achtzeiligen texten ist im lateinischen text sodann die anschauung
vom tanz der toten scharf und unzweideutig zum ausdruck gebracht.
Zwar schillert der charakter der totengestalt au einigen stellen auch
hier. Man könnte meinen, wenn der arzt sagt: 'Mihi mors contraria
iurat'f so sei damit die totengestalt gemeint, die ihn auf dem bilde
zum tanze zieht. Aber es ist doch bier zu beachten, dass im latei-
nischen text der gedanke an einen dialog zwischen tod und menschen
vollständig ausgeschaltet ist und infolgedessen die tatsache, dass der
mensch in der dritten person vom tode redet, noch viel weniger auf-
fällig ist als in irgendeinem andern text. Jeder zweifei aber, wer
mit der totengestalt gemeint sein soll, der tod oder die toten, wird
durch die folgenden stellen beseitigt.
Papa:
Frivole uuuc dueor ad mortem, vane reluctor.
Cardmalis :
Mortis p r 0 1 e r V a m uunc stringor adire c a t e r v a ra .
Patriarclia :
Et mortis dirae cogor consortes adire.
DAS TOTENTANZI'ROBLEM 275
Arcliiepiscopus :
Metropolitauus uunc sum cum vauis vanus.
Dux:
Sed iiuüc ut adeam cogor cum morte choream.
Episcopus :
Heu nunc distorti praesumunt me dare morti.
Comes:
Morte nunc perii corisantibus associatus.
Miles :
Contra iura mea ducor in ista Chorea.
So klar wie hier ist in Iveinem andern totentanztexte die anschauung
vom reig-en der toten ausgesprochen. Und dies ist um so bedeutungs-
voller, je kürzer und einfacher der text im vergleich zu den andern ist.
Es lässt sich leicht zeigen, dass alle diese merkmale, die den
lateinischen text von den übrigen absondern, für die Originalität jenes
sprechen. Wäre er eine nachahmung des von Seelmann erschlossenen
*urtextes', so dürfte es grosse mühe machen, die auslassung der Stro-
phen der toten einigermassen einleuchtend zu motiviren. umgekehrt
erklärt sich die hinzufügung der Strophen für die toten zu dem ur-
sprünglich monologischen text ohne weiteres, und der in Basel er-
weiterte oberdeutsche text selbst ist ja ein sicheres dokument für
diese entwicklung. Ausserdem erklärt sich uns aber dadurch auf
überraschende weise die seltsame tatsache, dass die Strophen der
menschen in der Danse macabre ebenso monologisch gefärbt sind wie
im oberdeutschen text. Hier wie dort erklärt sich dies daraus, dass
die Strophen der toten erst später hinzugefügt sind. Das heisst natür-
lich nicht, dass der französische quelltext keine totenstrophen gehabt
hat; aber indem er einen text nachahmte, der nur aus Strophen der
menschen bestand, gab er auch unwillkürlich den naturgemäss mono-
logischen Charakter dieser Strophen wieder.
Ursprünglicher ist ferner die freie, ungezwungene auswahl der
personen im lateinischen text, der, wie oft hervorgehoben, in seinen
24 personen die menschlichen gegensätze hoch und niedrig, reich und
arm, alt und jung hinreichend erschöi)fend zum ausdruck bringt und
der auch das weibliche geschlecht nicht übergeht. Die hier gegebene
auswahl seheint der dem toteutanze zugrunde liegenden dichterischen
anschauung m.ehr zu entsprechen als der gezwungene, schematisierende
Wechsel von geistlich und weltlich.
Dass endlich die anschauung vom tanze der toten, wie sie im
276 iKiisE
lateinischen texte klar zum ausdruck gelangt, ursprünglicher ist als
die abstrakte todesidee der achtzeiligen texte, bedarf keines beweise«.
Dadurch, dass die form eine breitere wurde, wurde neuer Inhalt nötig,
und die moralisierenden gedanken, mit denen sich die Strophen füllten,
Hessen das hauptmotiv verblassen. Der Inhalt wurde immer abstrakter,
und w^ahrscheinlich ganz unmerklich für die nachahmer trat an die
stelle der toten die abstraktion tod. In den Baseler zusatzstrophen
des oberdeutschen textes habe ich (Urspr. d. totent. s. 47) die gleiche
entwicklung nachgewiesen .
Es bleibt uns noch eins von den beweisstücken zur erledigung,
mit denen Seelmanu (s. 30) seine behauptung stützte, dass der ober-
deutsche text eine nachahmung des französischen sei. Es ist dies die
merkwürdige Übereinstimmung des oberdeutschen textes mit dem fran-
zösischen und niederdeutschen in der ersten zeile der einleitung.
franz. : 0 creature raysonahle.
uiederd. : Och redelike ereatuer.
oberd.: 0 diser tcelt iveisheit kint.
lat. : 0 vos viventes hiiius mundi sapientes.
Ich habe schon früher die ansieht Seelmanns zurückgewiesen, dass
die oberdeutsche version eine ungelenke Übersetzung des französischen
ausdrucks sei (Urspr. d. totent. s. 28 f.). Dadurch, dass sich uns nun
der lateinische text als grundtext des oberdeutschen ergab, erklärt sich
der ungelenke ausdruck 0 diser weif, iveisheit k/'nt ohne weiteres. Ich
habe aber ferner gezeigt, dass der lateinische ausdruck 0 ros viventes
huius mundi sapientes biblischen Ursprungs (1. Korinth. 1, 20) und also
durchaus original im lateinischen texte ist (vgl. Zeitschr. 40, 75 anni.).
Wenn also überhaupt ein schluss aus dieser textparallele gezogen
Averden darf, dann kann es nur der sein, dass die französische version
0 creature raysonahle, die wir ja oben auch für den quelltext der
drei achtzeiligen texte in anspruch genommen hatten, im vergleich zur
lateinischen sekundär ist.
Wir stehen damit vor dem resultat, dass der latei-
nische text der älteste und ursprünglichste totentanz
überhaupt ist, dass alle totentänze direkt oder indirekt
auf ihn zurückgehen müssen. Durch dieses resultat, das einem
lateinischen gedieht, das nur aus Strophen der menschen besteht, die
Priorität unter den totentanztexten verleiht, wird nunmehr ein anderes
lateinisches gedieht des späten mittelalters in neue beleuchtung gerückt.
Douce (Dance of Death, London 1833, s. 24) hat zuerst auf ein in
DAS TOTEXTANZPRCBLEM 277
zwei lateinischen bandschriften ^ des 14. Jahrhunderts unter echten und
apokryphen gedichten Walter Mapes überliefertes dichtwerk hingewiesen,
das sich Lamentatio et deploratio pro mo)ie et concilimn de vivendo
deo betitelt. Neuerdings glaubte es E. Male (Revue des deux mondes
1906, s. 653) neu entdeckt zu haben, indem er es in einer handschrift
der Bibliotheque Mazarine (nr. 900, fol. 93) nachwies. Ausserdem findet
sich das gedieht in einer Erfurter handschrift ^ überliefert. Dieses ge-
dieht ist deshalb von hoher bedeutung, weil es eine grosse Verwandt-
schaft mit den totentänzen aufweist und sicher älter ist als diese.
Ich gebe das gedieht hier nach der Erfurter handschrift, die
schon Schuni (a. a. o.), leider nicht ganz zuverlässig, abdruckte, und
füge die lesarten des bei Douce (a. a. o.) gegebenen Stückes hinzu.
Dum mortem cogito crescit mihi causa doloris,
Jam cunctis horis mors venit ecce cito.
Pauperis et regis communis lex moriendi,
Dat causam flendi si bene scripta legis.
5 Gustato pomo nuUus transit siue morte.
Heu! inisera sorte labitur omnis homo.
Vado mori, papa, qui iussu regna subegi.
Mors mihi regna tulit — eccine vado mori.
Vado mori, rex sum, quid honor, quid gloria regni?
10 Est via mors hominis regia, vado mori.
Vado mori, presul, cleri populique lucerna,
Qui fueram validus, laugueo, vado mori.
Vado mori, miles, victor certamine belli,
Mortem uon didici vincere, vado mori.
15 Vado mori, munachus, mundi moriturus amori,
Ut moriatur amor hie mihi, vado mori.
Vado mori, 1 e g i s t a fui defensor egenis
Causidicus, causas resero, vado mori.
Vado mori logicus, aliis concludere novi,
20 Conclusit breviter mors mihi, vado mori.
Vado mori, medicus, medicamine uon redimendus,
Quidquid agat medici potio, vado mori.
Vado mori, sapiens, micbi nil prudeutia prodest,
Me reddit fatuum mors fera, vado mori.
25 Vado mori dives, ad quid mihi copia rerum,
Dum mortem nequeat pellere, vado mori.
1) Ms. Bibl. reg. 8 B VI. und Lansd. MS 397.
2) Vgl. W. Schum, Beschreibendes Verzeichnis der amplonianischen haud-
Bchriftensammlung zu Erfurt, s. 41.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLH. 19
27& FEHSI-:
Vado mori cultor, collegi farris acervos,
Quos ego pro vili computo, vado inori.
Vado mori, pauper, quem pauper Christus amavit,
30 Hunc sequar evitans omnia, vado mori.
V. 1. Douce: Cum... meditor nescit mihi causa doloris. — Die lesart von Erf.
wird durch cogito — cito bestätigt.
V. 2. Douce: nam. Schum: veniet.
V. 4. Douce: leges — vgl. den reim regts — legis.
V. 5. Hs. : pamo. Schum: pane. Douce: pomo — vgl. den reim liomo — pomo.
Douce : miss us transit.
V. 6. Douce: missa sorte.
V. 7. Hs. : regni subegi.
\. 8. Hs.: mors in regno. Schum: eccine fehlt.
Y. 9. Douce: quod honor, quod gloria verum.
V. 19. Hs. : Iny cus.
V. 25. 26. Ms. Mazar. : Vado mori, dives, aurum nee copia rerum Nulluni respec-
tum dat michi, vado mori — vgl. F. Neri, II trionfo della morte etc. in
Studi medievali III, p. 75 anm.
Die ähnlichkeit dieses V^ado mori mit dem lateinischen texte der
liandscbrift H^ des oberdeutschen totentanztextes liegt auf der haud.
Beide gedichte führen uns eine abgestufte reihe von Vertretern der
menschlichen stände vor, die in kurzen monologen dem bittern ge-
danken ausdruck verleihen, dass es zum sterben geht. Diesem Yado
mori fehlt nur das eigentliche totentanzmotiv, und es wäre seinem
Charakter nach identisch mit dem totentanztext, der sich uns als der
älteste ergab. Diese Übereinstimmung kann keine zufällige sein. Der
gedanke, das Vado mori verdanke seinen Ursprung den toteutäuzen,
wäre, auch abgesehen von der Überlieferung der verse, absurd, denn
das Vado mori hätte dann aus den totentänzen ein nebensächliches
abstraktes motiv entnommen und das anziehendste und fruchtbarste
motiv ganz beiseite gelassen. Der entgegengesetzte schluss liegt viel
näher: das Vado mori wird durch heranziehung der volksauschauuug
vom totentanze zum totentanztext. Damit wird in überraschender
weise die entwicklungslinie, die wir nach rückwärts verfolgt haben,
zum abschluss gebracht.
Das Vado mori weist aber auch eine andere hypothese zur
lösung des totentanzproblems als überflüssig und darum als haltlos
zurück. Künstle ^ wiederholte mit neuen beweisgründen den schon
vor ihm gemachten versuch, den totentanz aus der legende von den
drei lebenden und den drei toten abzuleiten. Da in der legende von
1) A. a. 0. s. 98 ff.
DAS TOTENTANZPROBLEJI 279
einem tanz nicht die rede ist, musste er für dieses motiv sieh auf die
Volksanschauung vom tanze der toten berufen. Es blieb ihm für die
herleitung' des toteutanzes aus der legende nunmehr nur noch die ab-
stufung der menschlichen stände übrig. Diese soll nach ihm in der
weise entstanden sein, dass die drei lebenden in der legende nach
ihren lebensstellungen von der bildenden kunst variiert wurden. Als
urkundliche Zeugnisse dafür weist er eine reihe von darstellungen der
legende nach. Aber im vergleich zu der zahl der darstellungen der
legende überhaupt sind die bilder, auf denen die drei lebenden nach
ihren lebensstellungen variiert werden, viel zu selten, als dass darauf
eine so folgenschwere hypothese gebaut werden könnte. Und wahr-
scheinlich wird sich durch die forschuug, die sich neuerdings der
legende zugewandt hat, dieses Verhältnis noch mehr zu Ungunsten von
Künstles hypothese verschieben. Ausserdem erörtert Künstle mit keinem
wort die möglichkeit, ob sich die von ihm hervorgehobenen eigentüm-
lichkeiten in der darstellung der legende nicht einfach durch beein-
flussung von selten der totentänze erklärt. Wichtiger aber als all diese
einwände ist für unsere frage die tatsache, dass Künstle selbst seiner
hypothese den boden entzieht. Nach ihm findet sich die erste voll-
ständige Überlieferung der legende am schluss jener Walter Mapes zu-
geschriebeneu Lamentatio et deploratio pro morte, unseres Vado mori
(Künstle s. 30 f.). Worauf diese behauptung beruht^ weiss ich nicht.
Douce (Dance of Death s. 24), der dieses gedieht zuerst erwähnt, das
er in den beiden obengenannten englischen handschriften fand, weiss
nichts davon, dass die legende den schluss des gedichtes bildet. Wahr-
scheinlich liegt hier ein missverständnis vor. Wie dem nun sei, mag
die legende den schluss des Vado mori gebildet haben oder nicht,
jedenfalls wirft dieses lateinische gedieht den kern von Künstles be-
weisführung über den häufen. Denn offenbar erscheint es höchst
zwecklos, ein resultat mühsam durch den nachweis einer umständ-
lichen entwickluug aus der legende zu erklären, das bei dem ersten
auftauchen der legende im abendland schon fertig vorlag. In dem
Vado mori haben wir ja die abstufung der menschlichen stände schon,
die Künstle aus der bildlichen darstellung der legende entwickeln will.
Für das tanzmotiv bietet seine hypothese keine erklärung, für die
entwicklung der reihe der menschen im totentanz ist sie überflüssig.
Damit aber fällt sie in sich selbst zusammen. Die legende von den
drei lebenden und den drei toten scheidet also für die frage nach
der entstehung der totentänze aus.
Auch das Vado mori hat eine geschieh te, die durch Jahrhunderte
19*
260 l'KHSE
geht. Wahrselieinlich dem 15. jahrlmiulert g-ehört die französische
Version ;ui, die in einer Pariser haiidsehrift (Bibl. nat. 7595) entlialten
ist, in der sich auch die legende von den drei lebenden und den drei
toten tindet. Sie trägt den titel 'Mireueur du monde' und besteht aus
45 sechszeiligen Strophen, die mit den worten 'Je vais morir beginnen
und schliessen. Der anfang lautet:
Je Tois morir: venes avant,
Tant eil qui ore estes vivant:
Jeunes et vielz, febles et fort,
Nous sommes tuit jugiez a luort.
Bien povons dire saus mentir,
Chascun de nous: Je vois morir ^
Kastner (a. a. o.) zitiert unter dem gleichen titel (Miroir de niort)
zwei gedichte von Alain Chartier und de la Marche (15. Jahrhundert).
Leider gibt er keine genaueren notizen darüber. Es ist sehr wahr-
scheinlich, dass diese gedichte gleichfalls bearbeitungen des Yado
mori sind.
Es ist bekannt, dass der totentanz im 15. Jahrhundert vielfach
in die gesang- und gebetbücher (heures) eindringt. Gegen ende de»
15. Jahrhunderts erschien in Paris ein solches buch, das zwei toten-
tänze enthält: Las horas de nuestra senora con muchos otros oficios
y oraciones, Paris 1495. Der erste totentanz entspricht der Danse
macabre des hommes et des femmes; der zweite bietet keinen eigent-
lichen tanz, sondern bilder, in denen der tod mit einer gruppe von
personen dargestellt ist. Die lateinischen Unterschriften zeigen deut-
lich die beeinflussung durch das Yado mori.
Nr. 5. Vado mori, dives auro vel copia rerum.
Nr. 6. NuUum respectum dat michi, vado mori-.
Nr. 19. (Kind in der wiege :) Aaa vado mori, nil valet ipsa iuveutus.
Nr. 24. (Eremit:) Forte dies hec ultima, vado mori.
Melchior Goldast, der die französische Danse macabre ins latei-
nische übersetzt hat (Chorea ab eximio macabro enthalten in der
kompilation: Speculum omnium datuum orbis terrarum auctore Rode-
rico episcopo Zamorensi, Hannovriae 1613) stellt vor jedes strophen-
paar ein distichon, das mit Vado mori beginnt und schliesst.
1) Vgl. Les danses des morts; dissertations et recherches historiques, pbilo-
sophiques, litteraires et musicales etc. par Georges Kastner, Paris 1852, s. 21.
2) Nr. 5 und 6 gehörten ursprünglich zu einem distichon zusammen. Siehe
oben die Variante zu v. 25. 26 des Vado mori. Durch die hier gegebene änderuug
ist der hexameter zerstört worden.
DAS TOTEXTAXZPr.OIiLEM 281
Am umfassendsten ist das Vado mori bearbeitet worden von
Anton Steinhauer: Vado mori, sive via omnis carnis, morte dnce.
Mortalibiis in processione mortuorum, monstrata authore Antonio
Steinbavero Argentoratis typis Melcbioris Pauscbing-erii 1731. Der
Verfasser hat sich die möglichste Vollständigkeit zum ziel gesetzt, und
für all die unzählig vielen kleinen und grossen Variationen der
menschlichen stände variiert er sein kärgliches thema.
Diese kompilatorische Zusammenstellung macht keinen ansprach
auf Vollständigkeit. Im gegenteil, ich bin der Überzeugung, dass sich
im laufe der zeit noch manche handschrift des ursprünglichen Vado
mori auffinden lässt und noch zahlreichere bearbeitungen nachgewiesen
werden. Aber aus dem vorliegenden schon zeigt sich deutlich, dass
das motiv des Vado mori eine weite Verbreitung neben den toten-
tänzen erlangte und mit den totentänzen in Wechselwirkung stand.
Wann und wo die anschauung vom reigen der toten in den im
Vado mori vorgezeichneten rahmen eingetreten ist, bleibt eine oifene
frage. Möglich ist es, dass Künstle recht hat, wenn er das totentanz-
motiv aus dem Orient gekommen sein lässt. Dafür könnte sprechen,
dass auch die beiden andern gedickte, die ähnliche themen behandeln,
das gespräch zwischen seele und leichnam (Visio Fulberti) und die
legende von den drei lebenden und den drei toten, orientalischen
Ursprungs sind. Die einleuchtendste von all den vielen erklärungen,
die der französische ausdruck Danse macabre gefunden hat: = arab.
tanz-d-maquabiri (kirchhofsspiel) weist zudem nach derselben richtung.
Notwendig ist indes die herleitung aus dem morgenland nicht. Die
Verbindung der anschauung vom tanz der toten mit der im Vado mori
gegebenen aufzählung der menschlichen stände konnte sich überall
vollziehen, wo diese anschauung im volke vorhanden w^ar. Und dass
sie auch ausserhalb der literarischen und kunstgeschichtlichen tradition
der totentänze im abendlande vorhanden Avar, haben wir gezeigt.
Wir haben uns bisher bei der aufdeckung der fäden, die sich
zwischen den einzelnen totentänzen ziehen, in A^oller absieht auf die
texte beschränkt. Wenn Künstle (s. 94) meint, der natürlichere weg
bei der erklärung des totentanzproblems sei der, der von der bild-
lichen darstellung ausgehe, so erscheint uns dies reichlich theo-
retisch gedacht. Tatsache bleibt doch, dass die entwicklung der toten-
tänze in den texten deutlichere spuren hinterlassen hat als auf den
bildern. Ausserdem bilden die texte eine ziemlich lückenlose ent-
wicklungsreihe, während in der reihe der bilder die wichtigsten selbst
noch Problem sind, (lewiss bieten die totentänze der kunstgeschichte
282 FEHSB
noch anfgrtl)en i;emig-. Aber niemand wird sie olme die engste fühlnng
mit der philologischen forschung lösen wollen, nnd dann wird, wie
A\ir jetzt sehen, das resultat jener noch ausstehenden einzelunter-
suchungen auch nur die ergebnisse der textkritik stützen; denn wir
sehen keinen punkt, wo die bildlichen darstellungen mit dem ent-
vvicklungsgang, der sich uns ergeben hat, im Widerspruch stehen.
Zu beachten ist freilich, dass die bildliche darstellung den text
von anfang- an begleitet. Auch im lateinischen text findet sich eine
notiz, die auf einen Codex albus verweist, der die dazugehörigen
bilder enthält. Leider ist uns dieser Codex, der uns vielleicht den
Zusammenhang der bilder des Heidelberger blockl)uches (Codex palatin.
nr. 438, bl. 129" — 142-') mit den Baseler bildern erklären würde, nicht
erhalten geblieben.
So bleibt als ältestes totentanzbild das zu dem französischen
text gehörige, das im jähre 1424 an die wände der beinhäuser des
kirchhofs des innocents in Paris gemalt wurde. Solange die kunst-
geschichte uns nicht die von Künstle (s. 83 anm.) angeregte neue
Untersuchung des totentanzes von Kermaria gibt, müssen wir das
Pariser bild für das älteste in Frankreich halten. Dieses bild freilich
ist nur noch in der kopie, die uns der druck von Guyot Marchant
(1485) bietet, vorhanden. Zum glück sind uns von dem text noch
handschriftliche kopien erhalten, die vom druck unabhängig sind und
uns, wenigstens soweit es den text anlangt, zeigen, dass der druck
seine vorläge treu wiedergibt. Für das bild ist das nicht ohne Aveiteres
festzustellen, aber es zeigt sich doch, dass in Marchants reproduktion
an vielen punkten bild und text übereinstimmt, so dass tief eingreifende
abweichungen von dem Pariser freskogemälde schwerlich anzunehmen
sind. Wir haben freilich oben (s. 30) einen vers des sergent zitiert,
der im Widerspruch zu dem bilde steht. Es heisst dort: Je suis pris
de ca et de la. Das bild aber in Marchants ausgäbe lässt den sergent
nicht zwischen zwei totengestalten erscheinen. Er ist also nur von
einer seite aus ergriffen. Doch dieser Widerspruch zwischen text und
bild erklärt sich sehr eintach daraus, dass die von Marchant heraus-
gegebene reproduktion eine andere einteilung des reigens aufweist
als das urbild. Der druck zerlegt den ganzen reigeu (einleitnng und
schluss mit eingerechnet) in 17 arkaden, die links und rechts von
zwei Säulen begrenzt werden. Jede arkade enthält (mit einigen leicht
erklärlichen ausnahmen) 4 achtzeilige Strophen mit den dazugehörigen
bildern, Dass dies nicht die alte einteilung des gemäldes an den
beinhänsern des innocents war, geht aus einer alten handschriftlichen
DAS TOTENTANZPROBLEM 283
([uelle hervor: L'epitaphier de Paris (Collection Clerarabaiüt cabinet
des nianuscrits, fonds frangais iir. 8220). Hier wird arkade für
arkade der zustand der beinhäiiser des kirchhofs beschrieben. Bei
der 17. arkade heisst es:
'Icy commence la Dause luacabre qui dure dix a read es desquelles
il y a six huitains, doiit le premier cy-apres; les quatre dernieres ar-
cades an ont huit: 0 creature raysonuable' etc. (.Vgl. Valentin Diu our, La danse
raacabre des SS. Innocents de Paris d'apres l'edition de 1484 precedee d'nne etude
sur le cimetiere, le charnier et la fresque peinte en 1425, Paris 1874, s. 65 f.).
Danach wird die eiuteilung- des reigens ursprünglich folgende
gewesen sein:
1. arkade: acteur, pape. — 2. arkade: empereur, cardinal, roi. — 3. ar-
kade: patriarche, conuetable, archeveque. — 4. arkade: Chevalier, eveque, ecuyer. —
5. arkade: abbe, bailli, maitre. — 6. arkade: bourgeois, chanoine, marcbant. —
7. arkade: chartreux, sergeut, moiue, usxirier (pauvre homme). — 8. arkade:
m^decin, amoureux, avocat, menestrel. — 9. arkade: eure, laboureur, cordelier,
enfaut. — 10. arkade: clerc, ermite, roi mort, un maitre.
Nach dieser einteilung ist der sergent also ursprünglich von zwei
totengestalten eingeschlossen gewesen, und der text 'Je suis pris de
ca et de la' stimmte danach mit dem bilde überein.
Noch durch eine andere stelle wird diese einteilung bestätigt.
Bei Marchaut sind die gestalten, die in einer arkade untergebracht
sind, zu einem reigen miteinander verbunden. Da infolgedessen nur
die toten, die am aufang einer arkade stehen, einen arm frei haben,
führen nur diese ein charakterisierendes Werkzeug (hacke, spaten,
sarg, pfeil). In der zweiten arkade des druckes (papst und kaiser)
ist diese anordnung jedoch unterbrochen. Die beiden paare stehen
unverbunden nebeneinander. Der tote des kaisers hat die linke band
nicht frei, um den papst zu ergreifen. Er trägt nämlich spaten und
hacke im arm. Wahrscheinlich hätte der druck ohne bedenken diese
Werkzeuge fortgelassen, wenn sie nicht durch den text verlangt würden
{Armer nie fault de pic, de pelle). Auf dem freskogemälde leitete
jedoch der kaiser die zweite arkade ein, und dort hatte der tote also
seinen arm frei.
Seelmann hat an dem bilde des Wucherers gezeigt, dass der text
der Danse macabre erst zur erläuterung des gemäldes hinzugesetzt sei
(»Seelmann s. 22). Um den Charakter des Wucherers verständlich zu
machen, hatte der maier diesem einen armen mann zur seite gestellt,
der von dem Wucherer geld empfängt. Der text gibt nun auch diesem
armen mann eine Strophe. Wäre der text das primäre, so wäre dies
284 FFJISK
uiivcrstäiidlii'li. Auch die oben mit dem bilde in vergleich gesetzten
textstellen lassen diesen schluss als richtig erscheinen. Es geht daraus
also hervor, was schon Seelmann in das richtige licht setzte, dass im
jähr 1424 der quelltext der drei achtzeiligen totentänze für die Unter-
schriften des Pariser gemäldes bearl)eitet oder doch benutzt wurde.
Der gedanke, der diese bearbeitung geleitet hat, war der, dass jede
vom maier dargestellte gestalt eine Strophe des textes zugewiesen er-
halten sollte. Damit tiel die eigenartige form, die der quelltext besass.
Dieser quelltext nun ist sicherlich nicht als begleittext zu einem bilde
geschrieben worden. Dem widerspricht die form (kurze anrede des
todes, Selbstgespräch des menschen, erwiderung des todes) und die
länge der Strophen. Dieser quelltext war dasselbe, was der si)anische
totentanz sein will: ein moralisches gedieht, das selbständigen daseius-
wert besass. Der begleittext zu einem totentanzgemälde hatte den
hauptzweck, dem besehauer des bildes den stand der dargestellten
personen anzugeben. Im übrigen sprach das bild für sich allein. Ein
kurzer vers genügte diesem zweck vollkommen. Auch Strophen der
toten waren dazu nicht nötig. Diese einfache und zweckentsprechende
form des begleittextes ist im lateinischen totentänze gegeben. Jede
Strophe enthält die Standesbezeichnung des betreftenden menschen und
dazu den kurzen gedanken : ich muss sterben. Dieser gedanke er-
scheint meist unter dem bilde des totenreigens. Alles moralisierende
beiwerk fehlt gänzlich. Es war nur da am platze, avo das bild fehlte,
eben als ersatz für die ernste lehre, die das bild in die seelen prägte.
So weit uns also auch der lateinische text hinaufgeführt hat,
zuletzt gibt er die priorität doch an das totentanzbild ab. Aber die
frage, ob text oder bild das ältere ist, hat jetzt nicht mehr die ent-
scheidende bedeutung, die sie für Seelmanns Untersuchungen haben
musste, weil dieser sich mit dem widersprach zwischen seinem
'dramentexte' mit dem einen tode und dem reigeubilde mit den vielen
toden abfinden musste (Seelmann s. 12 ; Ursprung der totentänze
s. 8 f.). Denn das bild, das wir aus dem lateinischen text gewinnen,
ist das gleiche, das der maier uns vor die äugen stellt: der reigen
der toten.
Wo dieses gemälde, unter dessen figuren die lateinischen verse
standen, seine statte hatte, wird vielleicht für immer geheimnis bleiben.
Dass die erklärenden Unterschriften in lateinischer spräche abgefasst
waren, lässt auf ein kloster schliessen. Vielleicht fand sich in der
bibliothek dieses klosters eine abschrift des Vado mori, und dies gab
den ersten anstoss zu bild und text.
DAS T0TEXTAXZPROBLE>[ 285
Wir fassen noch einmal kurz zusammen, was sich uns schritt
für schritt als entwicklung-sgang- der totentänze ergab.
1. In handschriften des 14. Jahrhunderts existiert ein lateinisches
gedieht, das den Vertretern der einzelnen menschlichen stände je ein
distichon in den mund legt, das mit 'cado mon beginnt und schliesst
und den gedanken des todes je nach dem stände des betreffenden
menschen variiert.
2. Der lateinische totentanztext (Codex palatiuus 314) behandelt
unter verzieht auf die stereotype form (vado man) in g-anz ähnlicher
weise das gleiche thema. Wie im Vado mori sind die einzelnen Stro-
phen monologische gefühlsäusserungen der menschen. Das sterben
wird hier unter dem bilde dargestellt, dass die toten die lebenden in
ihren reigen hineinziehen. Dieser text hat von anfang an keine selb-
ständige bedeutung gehabt, er ist begleittext zu einem totentanzbilde
gewesen.
3. Angeregt durch dieses oder ein davon abgeleitetes totentanz-
bild und beeinflusst durch diesen lateinischen oder einen ihm ähn-
lichen text, ist ende des 14. oder anfang- des 15. Jahrhunderts ein
moralisierendes gedieht vom totentanz entstanden, das ursprünglich
nicht in irgendeinem Zusammenhang mit einem bilde gedacht war.
Dieses fi-anzösische gedieht fügte den Strophen der menschen Strophen
des todes zu ^ Trotzdem behielten die Strophen der menschen den
ursprünglichen monologischen Charakter. In diesem gedieht ist ferner,
wie die eigenartige form erweist, aus der Vielheit der toten die ein-
heit des todes geworden. Hier findet sich ferner der in g-rösster breite
ausgeführte, mannigfach variierte gedanke, dass der tod der sünde
sold ist.
4. Dieses französische gedieht hat drei schösslinge gezeitigt: die
Danse macabre, die spanische DauQa general de la muerte, den lübisch-
revalschen text. Von diesen dreien blieb der spanische text wie seine
vorläge ohne Verbindung mit einem totentanzbilde. Für das Pariser
bild wurde die ältere vorläge zu einem begleittext umgearbeitet, und
dabei verschwand bis auf drei restspuren die ursprüngliche äussere
form, es l)lieb aber der alte monologisciie Charakter der Strophen der
menschen gewahrt. Der spanische und niederdeutsche text bewahren
getreu die äussere form, entwickeln die innere form aber weiter zum
reinen dialog. Die benutzung eines älteren gedichtes, das infolge
1) Möglicli ist natürlich auch, dass ein Zwischenglied des lateinischen und
dieses textes die Strophen des todes resp. der toten eing-eführt hat.
286 FEHSE, DAS TOTENTANZIMIOBLEAI
seines niornlisiereiulen Zweckes die toten durch den tod ersetzt, als
beg-leittext eines totcntanzreigens hat in Paris und in Lübeck zur
tolg-e, dass zwischen text und bild ein Widerspruch entsteht.
5. Der lateinische text findet mit dem dazugehörigen, in
einzelne paare aufgelösten bilde handschriftliche Verbreitung.
Gegen anfang des 15. Jahrhunderts etwa wird er in vierzeiligc deutsche
Strophen übersetzt. Diese Übersetzung wird später durch vierzeilige
Strophen der toten erweitert. Diese Strophen der toten sind aus der-
selben anschauung heraus geboren w^ie der totentanzreigen. Der ober-
deutsche text spiegelt also die ursprüngliche gestalt des totentanzes
getreu wieder, wlihrend die dazugehörigen bilder, weil sie infolge
der handschriftlichen Verbreitung in paare zerlegt sind, nicht mehr die
toten, sondern den tod zu zeigen scheinen. Bilder und text fanden
weitere Verbreitung als holzschnittzyklus im Heidelberger blockbuch,
das wahrscheinlich die in der lateinischen handschrift H^ erwähnten,
leider verloren gegangenen bilder benutzt hat. Die gleichen bilder
haben dann durch irgendein mittelglied nach Basel hingewirkt und
die indirekte vorläge für das Klingentaler bild abgegeben. Auch hier
wurde der reigen, w^ie die bilderhandschriften und blockbücher ihn
boten, in einzelneu paaren dargestellt. Der rahmen wurde hier durch
15 neue paare erweitert. Der text, der zu diesen 15 paaren neu
gedichtet wurde, hat die alte anschauung vom reigen der toten ver-
loren, er führt statt der toten den tod ein.
Während die ähnlichkeit der bilder des Heidelberger block-
buches H ^ mit den Baseler bildern die annähme einer ganz bestimmten
tradition bedingt, ist das Münchener blockbuch (Codex xylogr. monac.
nr. 39), wie schon Götte (Holbeins Totentanz und seine Vorgänger)
gezeigt hat, eine nachträgliche Illustration des textes \ die ausserhalb
des Zusammenhangs steht, der sich zwischen dem Heidelberger block-
buch und den Baseler bildern zeigt.
1) Ein schlagender beweis dafür ist das bild, das zum strophenpaar des
ritters gehört:
Her ritter, ir seid angesehribeu
Dar ir ritterschaft nii müst treiben
Mit dem tod und seinen knechten usw.
Der tote hält auf der illustration dem ritter ein blatt vor, auf dem er 'ange-
schrieben' ist.
BURG BEI ÄIAGDEBURG. WILHELM FEHSE.
GRABE!?, HEINKICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 287
HEINRICH YOX DEM TÜRLiN UND DIE SPRACHFORM
SEINER KRÖNE.
(Schluß.)
C. M h d. ei < -age, -^9^, -ede '.
In Heinrichs v. Turlin munclart hat es neben den formen saget, jaget, klaget,
maget auch kontrahierte auf -eit gegeben, welche nach Zwierzina bei bayr.-österr.
dichtem gegenüber den ei < e^e-bindungen in überwiegender mehrzahl btehen.
In den md. mundarten ist der aus der kontraktion von -aget resultierende
diphthong ei nicht gleich dem alten ei. Bei den bayr.-österr. dichtem kommen im
Verhältnis zu seit, geseit u. a. die binduugeu leit, geleit viel seltener vor; eget hat
hier seine besondere entwicklung.
Zu diesem resultate Zwierzinas stimmt auch die Untersuchung der reime der
Krone. Ich zähle 130 seit, seist, geseit < -aget, welche zu altem -eit usw. gebunden
sind: 161. 261. 917. 1022. 1540. 2012. 2598. 2942. 3802. 3986. 4036. 4126. 4335.
4456. 4526. 4725. 4852. 4896. 4943. 5039. 5221. 5254. 5693. 6189. 6966. 7315.
7826. 7912. 7949. 8154. 8410. 8508. 8763. 8953. 9799, 9863. 10105. 10 262. 10 348.
10686. 10790. 10811. 11036. 11511. 11743. 11812. 11858. 12311. 12466. 12738.
13079. 13 745. 13 898. 14 639. 15261. 15,362. 16137. 16342. 16776. 16836, 16997.
17 4.56. 17 557. 17 563. 17 605. 17821. 17 856. 18119. 18233. 18 705, 19190. 19 295.
19 568. 19 979. 20 083. 20 170. 20597. 20882. 21171. 21200. 21291. 21336. 21656.
21706. 21742. 21805. 21835. 21864. 21959. 22 039. 22 238. 22 309. 22 569. 22 688.
23190. 23 405. 23504. 23618. 23 992. 24823. 25 268. 25450. 25 734. 25980. 26 622.
26 656. 26 819. 26 976. 27 261. 27296. 27 483. 27 512. 27630. 27 798. 27 824. 27976.
28 474. 28 591. 28 667. 28 721. 29 044. 29 205. 29401. 29 448. 29 476. 29563. 29 578.
29 615. 29 701. 29 778. 29 817.
Wichtig ist, daß Heinrich zwischen er seit, du seist, ir seit (< saget usf.)
im praes. ebensowenig einen unterschied kennt wie zwischen dem nach seiner art
apokopierten ind. und conj. praeteriti. Das part. praet. der weiter unten ange-
führten verba zählt durchweg zu den kontraktionsformen. Ausserdem findet sich
nieit < maget 19 mal: 7638. 7718. 8611. 8702. 9773. 12 427. 13 836. 16 260. 18 798.
20 365. 20 420. 20 595, 21230. 21680. 21752. 22 993. 25 043. 25688. 28696, welche
auf altes -eit gereimt sind und 55 meide{n) als form für die casus obliqui des sing,
und den ganzen plur. Bei Heinrich geht meide auf mägede, nicht auf megede
zurück. 1936. 3137. 6105. 6984. 7134. 7844. 8417. 8525. 9013. 9295. 9604. 9680.
10 915. 11525. 12 680. 13.524. 13671. 13696. 13 769. 14 261. 14 754. 16735. 17 038.
17 127. 17 381. 17 853. 17 946. 18013. 18 713. 18 941. 19 005. 19043. 19102. 19 449.
20 869. 20 599. 20 776. 20996. 21783. 21927. 22194. 23125. 23 770, 24 256. 24727.
25016. 25 113. 25572. 25 961, 28414. 28422. 29357. 29411. 29611. 29672.
Zu seit (< saget) steht bei Heinrich auch jeit.
jeit (< Jaget) reimt 21 mal auf altes -eit: 2036. 2081. 2256. 2417. 3872. 9964.
11753. 12488. 14198. 14266. 15 243. 15565. 16231. 16777. 18474. 21587. 22628.
23 275. 23 364, 25 426. 25 522; 12 mal kleit < klaget : -eit : 463. 1868, 11477. 13981.
1) Vgl. s. 1.54. 162. 170.
288 «RAP.KR
16 944. 20 071. 20 852. 21279. 21 4G8. 21837. 25 425. 28 698; sechsmal verzeit
(< versaget) auf -eit : 4397. 6565. 21337. 21494. 22 041. 28 950.
Dazu kommen dann noch die 26 reime, wo Jeit, verseif, meit, kJeit, geseit zu-
einander gebunden sind: 6904. 7065. 7699. 9523. 9692. 9593. 9827. 12 612. 13 556.
14142. 14 089. 15 390. 15985. 16 503. 16465. 16155. 16 516. 17309. 18 844. 18893.
18 859. 19 163. 19 474. 21 098. 23 041. 27 748.
Ebenso wird hchdt (< behaget) und verdeü (< verdagct) zu seit (< saget)
gebunden: 27 912 und 5360. 25 557.
Diesen kontrahierten formen steht vielleicht gar kein (ge)saget, hejaget,
maget usw. gegenüber, da die bindungen von versagt, magt, gesaget, klaget, be-
haget, taget, jaget untereinander ebensogut ei- als ^^-formen vorstellen können. Denn
es findet sich darunter auch nicht ein beispiel, für das bei Heinrich nicht zugleich
kontraktion feststünde : 2225. 2388. 3573. 3S76. 4518. 4799. 7143. 7867. 8393. 8903.
9661. 10 245. 10 385. 11244. 13 214. 13 657. 14 933. 16 084. 16 276. 16 574. 17 069.
17 487. 17 614. 17 742. 17 891. 17 995. 18 615. 18 959. 19178. 19 413. 19 453. 20 458.
20 627. 21304. 21542. 21792. 21950. 22 216. 22454. 22 836. 22 904. 23035. 23 213.
23 302. 23 382. 23 994. 24693. 24796. 25061. 25124. 25 221. 25 232. 25612. 25585.
25 631. 26 656. 25 818. 26 090. 26966. 27284. 27 833. 28 083. 28 603. 28678. 28 938.
29 390. 29 729. 29 784.
Dieser grossen zahl von -eit < -o^ei-reimen stehen auf der anderen seite
nur 27 leit < leget, reit < regete und gepfleit < gepfleget gegenüber: 191. 519. 1100.
3407. 6801. 6929. 7116. 7746. 8436. 11308. 12603. 13925. 14303. 14919. 19203.
19 806. 20 236. 26 390. 23 263. 23441. 24 330. 25 941. 28860. 29 311 und 29 978.
leit < legete : reit (praet.) 1816 ; geleit < geleget : gereit < geredet 3204.
freit wird dreimal zu altem -eit, zweimal zu ^jfleif < pfleget (1753. 1136,
also nur ganz zu anfang des gedichtes) gebunden, steht daher nicht wie das oben
erwähnte jeit < jaget zu saget, sondern zu leget. Sonst reimt es noch auf bereit
< beredet 4344; auf altes -eit: 1314. 15 914. 24 276; und nur einmal auf verkleit
< verklaget 18 749.
Ein teit < tagef(e) findet sich in der Krone 13138 zu leit < legete gebunden;
daher ist die konjektur Ehrismanus für 4013: ald das es schiere feite sehr gut an-
nehmbar. Trotzdem möchte ich mit Singer mich näher an die hs. halten und lesen:
ald das er schiere reite.
Das subst. gejeide reimt 4 mal auf altes -eide. Wie meide geht es daher auf
gejägede zurück: 6528. 18 69C. 22 698. 24162. Zwierzina weist nach, dass die eut-
wicklung von altem agi über äyi zu ei etwas spezifisch österreichisches ist.
Zu den auffallenden bindungen gehören die 16 reime (den bereits zitierten
V. 13 138 mitgezählt) von eit < cget : eit < aget : 8054 gepfleit < -eget (part.) : meit
< maget: 212-10 : seit < saget; dazu tritt der schön erwähnte v. 18 749; geleit
< -leget : seit < saget 10 607 ; : seit : r/chheit (hier zugleich mit altem -eit ver-
bunden!) 22 201; ; bejeit < bejaget 20 314; bejeit < bejagete : Sicherheit (wieder mit
altem eil) 18,526; : meit < maget 18 660; 20 689; : geseit < gesaget 24 664; : seit <
sagete 24 996; : verseif < versaget 23 671; : verseif < verzagete 14498; ferner iveit
< wegete : leit < legete 665 und geleit < -eget : gepfleit < -eget 22 123 ; doch kann
es sich in den beiden letzten beispielen auch um ^-formen handeln.
Damit, dass reime vorhanden sind, die -eit < -aget mit -eit < -eget und beide
kontraktionen mit altem -eit vereinen, ist noch nicht bewiesen, dass die laute in
Heinrichs spräche ganz gleichstanden. Sie können in einzelnen werten, wie es
HEINRICH VON DEM TURLlN UND DIE SPKACHFORM SEINER KRÖNE 289
sich bei ei und / zeigt, auf dem wege der ausgleichung gewesen sein, aber durcli-
geführt war dieser prozess noch nicht: das beweist das Verhältnis der cit < aget-
reirae zu den eit < c^ie^-reimeu (welches beiläufig so wie 7:1 steht) bis zur evidenz.
ei < ege gieng bei Heinrich wie bei den übrigen Österreichern seine eigenen
wege. Dass die kontraktion nicht obligatorisch war , erhellt aus den ^-formen : 13 122
legest : mögest und 17 399 ir pfleget .- ir l^gei. Diese verschwindend kleine zahl von
-ege kann nicht auffallen, da die binduugen -egest, -cget in der Krone überhaupt
fehlen und die 2. pers. sing, sowie die 2. pers. plur. im reime bei allen dichtem zu
den seltensten bindungen gehören. Aber auch diese zwei fälle sprechen es deutlich
aus, dass in Heinrichs v. T. spräche die kontraktioneu aus -(ge und -age i-äge) ver-
schieden behandelt wurden. Das ergebnis ist also folgendes:
In der Krone treten die bindungen von -ei < cge zu ei < age oder zu altem
rahd. ei so auffällig zurück, dass man annehmen muss, die ei < f^/e-formen seien
der mundart des dichters nicht geläufig gewesen, in den wenigen kontrahierten
-f,9f-formen aber lägen sogen, 'literarische reime' vor. Nochmals betone ich, dass
-af/L-forraen neben den -e«-formen gänzlich zu fehlen scheinen ^
Ahnlich wie ei < ege verhält sich der diphthong ei, welcher aus der kon-
traktion von -ede entstanden ist.
Es reimt eit < ecZei; altem eit in folgenden versen : ^22 gereit {< geredet}
geivonheit,- : bereit (adj.) 4574; : behendeJceit 7466; : reif (praet. riten) 18 779; praet.
reit (< redete) : törperheit 11 786.
eit •<: edet wirdzu eit < eget gebunden in folgenden reimen: reit : ireit 5;
bereit : treit 4344 ; gereit : gtleit 3203.
eit < edet : eit -^a g et erscheint in der apokopierten form reit : jeit 14560.
Dazu treten noch folgende reime, welche von Zwierzina (Zfda. 42, 366) über-
sehen worden sind. In die erste gruppe gehören: 16 622 Sicherheit : leit (adj.) : gereit,
in die zweite 1815 gereit : leit, in die dritte 10214: gej-eit : seit ; 8^67 : meit und
endlich 6058 reit : jeit.
Wieder ergibt sich also, dass ei < ege seine gesonderten wege geht, denn
das aus -(ge resultierende ei reimt nur viermal mit ei < ede, während es anderer-
seits sechsmal zu altem ei und dreimal zu ei < age gebunden wird. Es fällt auf,.
wie gesetzmässig und genau Heinrich v. T. reimt, wenn wir erwägen, dass die
1) Ein blick auf die lautverhältnisse der heutigen kärntkschen mundart
bestätigt die Vermutung über die verhältnismässig grosse anzahl der reime von
eit <. eget : eit < aget oder altem -eit. In einzelnen mundarten muss die ausspräche
des aus -fge kontrahierten ei dem ei < age einerseits und dem mhd. ei andererseits
nicht sehr ferngestanden haben, wie die wenigen erhalteneu kontraktionsformeu der
heutigen südkärntischen dialekte beweisen: das ei in mhd. getreide, gejeidc, eide
<^ egede, nageber fällt mundartlich in eins mit der ausspräche des mhd. diphthonges
ei: beide werden als hohe ä gesprochen: fräd, giäd, ädn, näin: In den nördlichen
dialckten ist aber der unterschied zwischen trnad, gipad und ädn noch lieute deut-
lich erkennbar.
Aus den gegenwärtigen verbalfornien lässt sich weder für die ei - age- noch
fiir die ei < e//e-gruppe ein urteil über die voraufliegenden Verhältnisse bilden, da
die kontrahierten formen der liicrhergehöri;;eu verba nicht mehr gesprochen werden.
Denn schon zu mhd. zeit giengen die ,9-formen neben den e«-formcn her und ver-
drängten diese im laufe der zeit infolge des systemzwanges. .Jedcsfalls aber geht
aus der behandlung, welche der aus age, resp. cge resultierende diphthong in der
Krone erfährt, das eine mit Sicherheit hervor, dass Heinrich v. d. Turlin in die
bayr.-österr. gruppe von Fischers tabelle einzureihen ist.
■290 GRABER
summe der biudungen ei <; ede mit ei < age und ei -; ede mit altem ei zur auzahl
der binduugen ei < ede : ei < f^e sich verhält wie 9:4; gleichviel beträgt die
summe der biudungen von ei < ede mit ei < af/e + ei < prfe mit altem ei im
Verhältnis zu den reimen ei < ede : ei < f^e, nämlich 32:16, das heisst:
Der aus der kontraktion von ede entstandene diphthoug ei unterscheidet s^ich
in der ausspräche von dem laute ei < ege genau in gleichem masse, als dieses ei
< ege vom alten diphthong ei verschieden war. Umgekehrt ist die differenz der
laute ei und ei < ede viel geringer als der unterschied von el < ege und altem ei.
Zieht man nun noch die ergebnisse der Untersuchung über die kontraktion von
age > ei in betracht, so zeigt sich, dass der laut ei < age dem alten ei bei weitem
näher kommt als ei < ege. In der mitte zwischen ei < age und ei liegt aber
noch ei < ede.
Auch bei dieser lautgruppe fehlt die möglichkeit, aus der heutigen mundart
irgendeine Schlussfolgerung auf den lautwert des ei < ede in früheren spracli-
zuständen zu versuchen, da der dialekt die kontraktionsformen verloren hat. Xur
im Lesachtal spricht man noch seit für sagt^.
Die nun folgende reimgruppe führt uns aufs gebiet der verschiedenen i-
biudungen.
In der Krone wird nämlich dreimal I : ei gebunden, und zwar: saniit : geleit
< geleget 2831; zit -.geleit < geleget 25.566 und arzenl : ensirei 8840.
An diesen reimen fällt sofort auf. dass zweimal nur ei > ege, nicht aber
altes ei oder gar ei > age zu i gebunden wird. Demnach steht zwar fest, dass in
Heinrichs dialekt ? bereits diphthongiert wurde, der neue laut ei aber dem alten
so unähnlich war, dass sie nicht unter einem reimbande stehen konnten, während
ei < ege über äge dem diphthongierten / doch wenigstens nahekam.
Gehen doch bis in die jetzige kärntische mundart hinein die wege beider
laute meist auseinander-.
Wohl aber geht altes ei mit ei < ege in der mundart dieselben wege: beide
erscheinen als hohes a : lad leid und träd getreide, wähi-end mhd. i davon gesondert
steht und als wi erscheint.
Für Krone 8840 schlägt Zwierzina ärzetei vor. Dieses eie, ie wird nicht
diphthongiert, sondern hier hat man es mit Wucherbildungen zu tun (Zfda. 44, 382j.
Zwierzina verbietet ferner, die bindungeu von ei : ■/ als keunzeichen bayr.-
österr. provenienz anzusprechen.
Wie schon Warnatsch erwähnt, gehören 1137 treit : pfleif, 1754 2)fleit : trat
und 25 942 zageheit : leit nicht dazu. Denn erstens gebraucht Heinrich v. d. Turlia
'pflegen'' auch als schwaches verbum, wie das part. gepfleit < -eget wiederholt beweist
1) Im anschluss an die ez-reime sei auch erwähnt, dass Heinrich zu scheiden
ein unorganisch gebildetes schiden, scheit, schiden. geschiden kennt, welches sonst
bei keinem dichter belegbar ist : 24 827 schcit : reit.
2) So werden die aus mhd. ei entstandenen hohen a in lud glatt, Jtälig heilig,
rän rain, anhöhe, fdst feist, jjrät breit, läfu, äg» = Itädn beide usw. ganz anders
gesprochen als der aus mhd. i entstandene diphthong cei in tseeit zeit, pueii biene,
rwidn zu rideti die Windung. Daneben finden sich beiderseits abweichungen : neben
spceil, tsceil, pfceil spricht man auch späl usw., neben drsceider seither, später, ütneit
streit und drceifms auch noch die älteren formen drsldr, stnt, drifuas, rncmsn
rcibeisen; ebenso statt des zu erwartenden, sonst regelmässig eintretenden a ein cei
in geeist geist, ft(ei^ fleisch, rcein rein.
HEINRICH VON DEM TURLlN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 291
(8054. 8437. 21 240. 22 124), und dauii lässt sich aus der Kroue kein einziges pflit
< pfliget im reime nachweisen.
In klingendem reim i : ei zu binden, gestattet die spräche Heinrichs noch
nicht so durchgehends. Nur ein reim scheint dafür zu sprechen: Scholl druckt
27 394 Als er iif von der Uten Den herc loolte sUgen, Von ietwederm sigen . . .
Vernarn er vil micheln schal. Ehrisraann schlägt vor, seigen 'tälchen, durch welches
das wasser abfliesst, schlueht' für s^gen zu setzen. Und in der tat passt kein anderes
wort wie dieses an die stelle. Dazu ündet sich im heutigen kärntischen das ent-
sprechende sägn oder säg 'Wasserscheide, bergrücken'. Die bedeutung 'bergrücken'
nehme ich für das wort auch an der bezeichneten stelle der Krone in anspruch.
Mit sigen, welches Lexer II, 917 belegt, 'das sinken', ist hier nichts anzufangen,
obschon das verb. sigen 'sinken, niedersteigen' 3mal im reime steht : 1425. 6039.
26 203.
D. Die (■ -laute.
1. Bindungen von i:t werden in der Krone ausnahmslos gemieden. Bei
Eeissenberger (s. 20) stehen folgende reime: hüneghi : in 1297. 11220. 11480;
kiinigin : hin 2102. 10 998. 11 634. 24 512. Heinrich reimt aber künigin immer nur
auf-/« (Vgl. 751. 2102. 4837. 12 401. 13 754. 18 755. 22 214.22 296.22 931.29 772.).
Auch die zwei femininbildungen auf -in oder -in : vriundin und wirtin werden
konstaut mit kürze gebunden: 16 271. 12 017. 13 661. 6940. 7338. Wirnt v. Graven-
berc und Hartmann reimen das fem.-sufiSx auf kürze und auf länge. Doch zieht
jener -in vor, während Hartmann -inne bevorzugt wie Heinrich von Turlin, bei
dem ich abweichend von Zwierzina 25 femininbildungen auf -inne zähle:
moerinne : tiocrginne 1602; vriundinne : minne 1909. 9087. 10 804. 13 704.
24098. 24185. 24 214; : dar inne 9198; -.sinne 23 914; ivirtinne : minne 6757;
gotinne : minne 14 990. 23 227. 24 518; : inne 28 406; gottinnen : sinnen 22198;
välantinne : kinne 9375; : inne 9466; kilniginne : sinne 2386. 10 391. 11628; -.ge-
winne 4997. 5393. 12 353; -.minne 20 388.
Heinrichs geläufigere formen sind also, gerade entgegengesetzt der behauptung
Zwierzinas, die auf -inne.
AVas in Scholls text sonst noch zu den bindungen i : i zu zählen wäre, ist
durch glückliche konjekturen als beseitigt anzusehen. Warnatsch vermutet 4547
wizzct fimperat.) ; vlizet (2. pers. plur.) mit recht statt des 2. reimwortes ein ur-
sprüngliches vUzzet ^ Ebenso ist mit Haupt 13 522 wissen : enh/zen (inf.) der zweite
vers so zu lesen: E du noch sist enbizzen; nicht nur, weil dadurch der ungenaue
reim eliminiert wird, sondern der sinn der stelle es erfordert. 12 716 durch solher
rede sit : hochzit kann nicht bestehen gegen die konjektur von AVaraatsch: Er
sprach: sit (weil) ir her komen, vrouwe, durch solhe rede s/t. Die Verbindung von
sit mit einem abstraktum läge Heinrich v. T. gar nicht so fern (183 in tagende sit:
419 heiles sit; 891 gUcher ivirde ganzer sit; 6229 mit vröuden siten ; 20 038. 20 489
vröuden siti^^), wenn sich nur die bindung -ii : -U aus der Krone sonst belegen liesse.
Für die sogenannte 'dehnung' des i führt Weinhold, B. gr., § 51 aus der
Krone den vers 28 395 an: hi (praep.-adv.) ; liin. Der ausdruck 'dehnung des /'
1) Bezüglich des Zeitenwechsels vom haupt- zum ncbensatz init sioie vgl. z. b.
10 874, wo auch im hauptsatze das praes. und im konzessivsatze mit swie das
praet. steht!
2f»2 GRAUER
ist unhaltbar, da die belegstellen deutlich ergeben, dass Heinrich in nur auf -ia
und nicht ein einziges mal auf -ia reimt: in : hin 862. 5762. 9494. 13 302. 20 585.
26 721. 27 142. 28 826. 29 804; : geivin 6643. 25 220; : imgewin 5797; : unsin 11 692;
: seh in (couj. praet.) 11795; : bin 1673. 4492; : sin 1121 \ küui/jin : dar in 3366
und 12 377.
Im gebrauche der kurzen form zeigt sich Heinrich als uachahmer Hartmanns,
während Wolfram nur in sagt, Wirnt aber die formen beider dichter verraisclit.
Desgleichen sprach unser dichter den dat. drin nur kurz, weil er ihn nur
auf -/«reimt: 3287. 3599. 4310. 5344. 26 099. 27 234. 28 245. 28 446.29 298.29 7.55.
Wieder folgt er im gebrauche von drin seinem vorbilde Hartmanu, aber auch Wirnt,
während Wolfram drin sagt.
Warnatsch behauptet, dass Heinrich v. T. in der Krone i : i nur vor aus-
lautendem n reime: 4888 Sgardin (nach V) : in und givin; Flarsenstphin : hin
17 894; : sin 17 943; : hin 18 609, obwohl der dichter sonst in und -in streng aus-
einanderhalte. Allein die reime von -in zu den endsilben fremder eigennamen be-
weisen noch immer nicht die dehnung des /, da Heinrich die ersteren als anceps
behandelt.
Noch in zwei fällen wäre man durch Scholls text versucht, eine solche
'dehnung' des kurzen i anzunehmen: 6056 und 27 062. Besieht mau aber die erste
stelle genau und erwägt, dass von vers 6035 an bis 6070 jede zeile zwei gegeu-
sätze enthält, so ergibt sich von selbst der richtige Wortlaut für 6057 : ez vcrtreit
undt richet 'es (das glück) lässt etwas nachsichtig hingehen und bestraft es doch
wieder'.
Dass endlich 27 063 hin : sin nur eine falsche konjektur Scholls vorliegt, hat
bereits Zwierzina betont.
Von adjektivableitungen auf -l7ch mit kürze verzeichnet Zwierzina 3 reime:
hillich : ich : t:ich 5062. 10 756; ferner lobelich : ich 2356. Dazu finde ich noch
4966 billich : mich.
Nie gebraucht Heinrich v. T. gelich, sondern reimt gelich immer auf länge.
gelichie) {näj.) : lich{e) (corpus) 99. 14 380. 16 526. 20 080; : riche 15 686. 17 728.
18 618. 18 668. 29 385; acc. glichen : riehen (inf.) 21582. Daher beweisen sämtliche
bindungen von -lieh mit gdich auch für jene die länge des i — es sind deren 14.
Ferner erhellt, dass das adj. gelich und das suffix -lieh getrennte wege gehen,
wenngleich die -Itch gegen die -lieh fast verschwinden. Die adjectiva auf -lieh
werden ausser in den oben angeführten reimen sonst konstant zu länge gebunden.
Man kann also behai;pten:
In der Krone herrschen die -lieh gegenüber den kurzen -lieh vor. Die
adverbia auf -lieh, -liehe, -liehen bieten eine grössere mannigfaltigkeit als die
adjectiva. Heinrich bildet drei adverbialformen: gelich mit apokopiertem e reimt
auf rieh 1884. 4352 ; : Heinrich 10 444. Aus den beiden ersten reimen steht die
länge für das adv. gelieh fest. Um so mehr muss die namensform Heinrich auf-
fallen. Der name reimt bei Hartmanu nie anders als auf kürze.
Demnach darf man auch den indifferenten reim Friderieh : Uolrich 2443
mit länge schreiben.
4mal wird das adv. auf adjektivableitungen gereimt: gelich : kiimberlieh 4917;
: iegesUeh 5141; : eislich 9331 ; ; rilich 18 341; das ad\.j(eirUeh : iegelich (adj.) 5479.
Die zweite adverbialform hat das e erhalten: geliche : iegliche 25 388; eivic-
liche : himelriehc (dat.; 30 037; : riclie (pl.J 4445. Die übrigen adverbia auf -Z/c/Js
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRÖNE 293
sind: sicherlkhe : riche 2708; : besiviche (conj.) 4731; gezogenUche : heteliche 5032;
hoveUche : r/che 6016.
Endlich gebraucht der dichter noch adverbia auf -liehen : icirtlichen : riehen
7333. 8745 ; büterl/ehen : strichen 14 027 ; rilichen : geliehen (inf.) 22 196 ; nffen-
Itchen : riehen 22 910. 25 650; : strichen 24: 127 ; spotlichen : sliehen (inf.) 25 057;
garlichen : riehen 27 329.
Aus der betrachtung der reime geht hervor, dass Heinrich v. T. i immer nur
zu einem /-laut derselben quantität stellt. Das bedeutet aber für seine spräche die
Unterscheidung zweier qualitäten, die voneinander so stark abwichen, dass ihre Ver-
einigung unter einem reimbaud ausgeschlossen war. Denn da der dichter wohl aUe
übrigen vokale in ihren ungleichen quantitäten reimt, beweist diese durchgehende
Scheidung, dass die qualität der ungleichen / und i der entscheidende gruud war,
warum er diese biudungen mied, und dass die beiden nicht zusammengefallen waren *,
2. Bindungen von i : ie.
Die reime i : ie sind dialektischem einflusse zuzuschreiben. Heinrich reimt
nämlich altes echtes ie mit sogenanntem 'gebrochenem ;'. Bei ihm tritt die ent-
wicklung von / zu ie nicht nur vor r und h, sondern Imal auch vor ng ein,
d. h. der dichter nahm aus seinem heimatlichen dialekt die diphthongierten formen
auf: 24 800 bringet : vienget; vor r reimt i auf ie in folgenden versen: girde : oierde
18 522; : gezierde 3157. 26 393. Am häufigsten vor h: lieht : siht 1512; : geschiht
2018. 14 730; : niht 93. 3339. 7456. 7890. 8254. 9196. 9.556. 9991. 10196. 16 053.
18 345 muss abweichend von Scholl ein poie, rieh imde lieht gelesen werden, weil
1) Auch die Verhältnisse in der kärntner mundart ergeben, dass ein reim
von i : i von jeher in dieser spräche unmöglich war. Denn mhd. i bleibt in seiner
qualität erhalten, nur die quantität wird ausser vor r geändert: f'ulrn elitblättern,
abblättern, m\i(\. videm : plbmaii beben, mhd. bibenen ; ic'nla sträng aus zweigen,
mhd. Wide; tsic'isl gabelffjrmiger ast, mhd. zwisel. gliidn gähnen, keuchen, mhd.
ginen. sinrsle lämpchen, zu scherbe. slUs, mhd. sliz, spalte, Öffnung, u'ispln, mhd.
iL'ispeln flüstern.
Dagegen wird mhd. i durchwegs durch cei wiedergegeben und erscheint nur
in einigen alten formen noch gewahrt: frceithöf, mhd. vrithöf. tsceihn zeihen, fcei-
fcltr Schmetterling, mhd. vivalter. h(eint-hint heute abends, heute. Iceitn, mhd. Ute
leite, hhneistn, mhü. kristen stöhnen; spceil, mhd. spil s-plitter; nur drsldr, mhd.
darsider seither, später, strit streit, drifuds dreifuss, r'nowisn reibeisen, rlbtsceit
'reibzeit', strichzeit der fische, kommen neben den diphthongierten Wörtern noch vor.
Die entwicklung von i zu wi war folgende : die erste stufe gibt mhd. / wieder :
wind, nid neid; bllsdk fleissig, ts/ha gefänguis, mhd. J^iche ma. khieixn. r'tbala
reiben, uilse fegefeuer, mhd. irlze u. v. a.
In der zweiten stufe war die diphthongierung eingetreten, und zwar mit
einem ziemlich geschlossenen laut öi bezw. o : röitr, ma. rteitr sieb, tsubözh draht
= zugeisen, tsöla keil u. a.
In der dritten stufe endlich wurde dieser laut geöffnet, und es entstand unser
ai: licHldsn geizig, m&. g(eit?s. bciisatQ 'weissen', übertünchen, hlüitn knapp, ma.
gheim, mhd. gelinie.
Aus den reimen / ; ei des vorigen kapitels und dem soeben behandellen voll-
ständigen fehlen von bindungen wie / : i kann nunmehr leicht festgestellt werden,
dass Heinrichs spräche bereits die erste der angegebenen stufen überschritten liatte.
Nur so erklärt es sich, warum er langes i mit kurzem / niclit binden konnte; jenes
hatte eben schon einen anderen lautwert als dieses, und eine derartige bindung wäre
überhaupt kein reim mehr gewesen. Ganz dieselbe erscheiuung weist auch der von
Waruatsch untersuchte 'Mantel' auf.
ZEITSCHRIFT ?• DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 20
294 GRABER
nur lieht und nicht liht als epithetou von galt gelten kann; weiter stehen Jielit :
nilä 22 069. 2B 357. 28 980. 29 284; ; ieht 878. 15 753. Dass der dichter niht und
iht als literarische formen kannte, beweisen, wenn man von den 13 unmassgeblichcn
binduugen \on niht : iht absieht, 114 reimbänder, in denen niht hezw. iht mit altem
-iht zusammengestellt werden (geschiht [subst.], ungeschiht, viht, enwiht, er siht,
es geschiht, missegeschiht, bwsewiht, pfliht, giht u. ä.). Die grosse zahl der reime,
in denen iht und ni/ä gesichert erscheinen, spricht laut dafür, dass Heinrich selbst
die diphthongierten formen icht und nicht als ausnahmen betrachtete, welclie er
seinem dialekte zuliebe in die Krone aufnahm.
3. ? aus kontraktion von ige oder ibe entstanden.
In der Krone reimt 6raal er liget : gesiget 2414. 5878. 7329. 8104. 11 394.
16 772 ; und Imal ir liget : gesiget 15 602.
Diesen 7 ^r-formen stehen 14 aus altem -igi kontrahierte /-formen gegenüber,
die aber, in merkwürdigem gegeusatze zu den kontraktionsformen age, ege > ei, nur
für die 3. pers. sing, des praesens gebraucht werden {ir lU weist die Krone nicht
auf): er lit < liget : zit 18 955. 29 935; : ir s/t 20 306; : s/t und strit 26 957; : dis-
sft 26 675 ; : strit : zU 25 726.
er IH : er gU < gihet 7234. 7995. 24 015. 28 109; : git : samU 8794; : gtt :
strit 17 228. 23 111. 26 464. Die kontrahierten formen überwiegen. Von geben
kommt ausschliesslich er git zur anwenduug: er git : str/t 107. 174. 3794. 5875.
6142. 13073; ; str/t : nit 7180. 22 449; ; //• sH : strit 12 289. 20 870; : nit 2544. 25 798;
; zU 276. 318. 5934. 11210. 12 633. 25 642; : (V sit 2795. 4531; : stt (adv.) 428.
er pflit fehlt vollständig, obschon der verse, deren reim den typus -it auf-
weist, mehr als 80 sind, während typus -iget ausser den oben genannten keine
anderen Vertreter enthält. Die tatsache erregt unsere aufmerksamkeit. Heinrich
sagte daher er pfliget und reimt es zu gesiget 18. 177. 454. 4909. 11723; vers
26 636 er p)ßig^t : liget und 18 759 : gesiget : geliget sind als ^-formen anzusprechen.
In dieser differenzierung von pfliget und lit dürfen wir vielleicht eher ein
kennzeichen des dialektes Heinrichs als literarische beeinflussung durch Hartmann
erblicken. Denn noch heute bestehen in einzelnen kärntischen dialekten die kon-
trahierten formen er leit, geit = liegt, gibt, während solche von piflög)} fehlen, wie
auch schon Heinrich dieses verbum nur als schwaches verbum kennt.
E. Die o-laute und deren umlaut.
1. Bindungen von ö : 6.
Wie a, so hat auch o vor manchen konsonanten 'dehnung' erfahren. Nament-
lich hat r in diesem sinne auf vorangehendes o gewirkt. In der Krone steht ge-
dehntes 0 vor r llmal: vor : tör 2227. 2.576; : mör 14 396. 19123. 27 598; : mör
und enbor 5577; enbor : mör 6997; gehört : kort (nach hs. V) 1575; z?störte : parte
7672 ; hört : gehört (praet.) 20 384 ; hört : dort 26 703 ; uwt : gehört 29 227 ; aber
auch vor t: 6927 surköt : gebot; : spot 7727. kleinöt und surköt werden konstant
zu länge gebunden, können daher sicher als längen angesprochen w^crden : kleinöt :
bot 24 804; tot (suhst.) : sot (praet.) 11563; 16 922 not : spot muss nunmehr ge-
strichen werden, da Singer den text sehr sinngemäss hergestellt und den 'unreinen'
reim eliminiert hat. Danach lautet die stelle 16 922 ff. : Und gesiveic manic süeze
not. Von kurzwile reiner spot Gelae und äventiiire sage. Ane allen tröst jämers
klage usw.
HEINRICH A'OX DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 295
Noch weniger gehört die gleichfalls von Reissenberger hierherbezogene stelle
19 273 hierher. In der richtigen erkenutnis. dass es sich in P, welches eintost
bringt, um einen Schreibfehler handelt, konjiziert Singer endöst (part. perf.) von
doesen < dösjan 'zerstreuen, zerstören'; also lautet 19 275: Sele und lip würden
endöst.
Auch 371 wol : Karidöl zählt nicht zu den unreinen reimen, wie es nach
SchoUs text scheinen könnte. Denn Heinrich gestattet sich für einen und den-
selben namen meist verschiedene reimformen. Karidol mit kurzem o ist llmal
belegt: 5322. 5459. 9637. 10117. 12 345. 13 571. 21813. 22 502. 23 281. 27 752.
29 750 ohne reimband, 29 873.
Weil der typus -ol reichliche Vertreter besitzt, war diese reimmöglichkeit
die bequemere. Karidöl : hol (quäle) 11 506 repräsentiert auch allein den reim-
typus -öl.
Vor n: Utpandragön wird immer nur zu -ön gebunden: 361. 1009. 18 747.
20 391.
Vor s : Typus -os besitzt nur 2 reime, und selbst diese werden von eigen-
namen getragen: 595 Orgoillos : li ros: 2313 Quarcos : Uudos. Es ist daher nur
eine Verlegenheitsauskunft, wenn der dichter 293 Atropos : kos reimt, und man hat
zu lesen: Ätropös.
Die binduugen von ö : ö vor r, n und t, wie sie sich in der Krone finden,
beweisen, dass Heinrich v. T. die alte kürze des o nicht gewahrt hat. Vor /■,
r 4- cons. (und n) liegt, wie die heutige mundart beweist, auch eine Verschiebung
der qualitäteu vor. In dieser Stellung erhält nämlich sowohl ö als auch ö einen
««-ähnlichen klang: tcurt wort, durt dort, fürt fort, urt ort, surgv sorgen; ämurl
ein kleiner amor; muri, dim. zu mhd. mör ein kleiner mehr; khür, mhd. kor chor
in der kirche ; um obren ; rür röhr u. v. a. Auf diese weise fielen dem dichter ö
und ö sprachlich zusammen: wir haben also für ö : ö wie für ci : ä nicht 'unreine'
tindung zweier verschiedenen laute anzusetzen, sondern mundartUcheu zusammenfall.
ö und ö vor t werden im dialekt als offenes ö gesprochen: iät tod, khröt,
mhd. krote, lötr, mhd. loter : spötn — spotten, rot — röt, not — not (subst. und
adj.). In einzelnen nördlichen kärntner mundarten, wie in der von Pemegg, wird
mhd. ö vor t als ()a, o vor t als geschlossenes ö, mhd. ö vor ;■ als p gesprochen.
Die beiden laute fallen dort also vollständig auseinander, und Heinrich v. T. kann
80 nicht gesprochen haben.
Die reime von ö : ö vor t sind also auf dehnung des o zurückzuführen und
haben im dialekte des dichters ihren Ursprung ^ Immerhin hält er mit derartigen
mundartlichen formen ziu'ück. Denn die 4 reime 'Ot : -öt verschwinden unter der
menge von reimraöglichkeiteu, welche dem dichter zur Verfügung gestanden hätten;
ist doch typus -ot 40mal, typus -öt an ISOmal belegbar.
2. Widerstand gegen den umlaut des ö und o.
Der dialekt äussert gegen den umlaut von ö ziemlich starken widerstand.
Die Heidelberger hs. hat auch dort, wo V umgelautete formen bietet, die um-
1) Zur betonung des mundartlichen, und wie sich vielleicht genauer sagen
lässt. kärutisch-numdartlichen Charakters dieser reime o : ö sei erwähnt, dass gerade
im kärntischen die starke neigung vorherrscht, alle geschärften silben zu dehnen:
i sül ich soll, söjjf schöpf, ksötn gesotten, rös ross, rökx rock, wohn woche u. v. a.
20*
296 GRABER
lautlosen, selten die schriftmässigen, ein beweis dafür, dass sie diese formen aus
ihrer vorläge entnommen hat.
a) Vor n: Das adj. schoen{e) in unumgelauteter form steht: \or 1620 schone:
Iröne: : löne 8481. 13 530; : kröne 12 614. 14 745. hone für hosne (subst.) steht
im reim auf kröne 10 351. Noch öfter unterbleibt der umlaut beim subst. sehane :
schöne : löne 1371. 7740. 8219; : kröne 8285; : kröne : löne 20 998; ; döne (subst.)
15 878; : paviltöne 8219. Das adv. erscheint auch in der Krone regelmässig ohne
umlaut.
ß) Vor r: betören (inf.) .- ören (dat. pl.) 16162. Daher hören (inf.) ; betören
(inf.) 25 297 und stört : hört (praes.) 1492 ; das part. betört : erhört (praet.) 10 803 ;
daher 4025 ervröret (part.) : höret (conj. praet.).
Das part. praet. dieser verba bildet Heinrich nur unumgelautet : 29 648
zestört : erhört: 29 227 ivort : ungehört. Auch vom conj. praet. nimmt er lieber die
umlautlose form: 27 669 gehört (conj.) ; zestört (part.). 28 816 zestörte (conj.) : hörte
(conj.); im versinnern 3485 u. ö. Unumgelautete formen dürfen auch für 1575
beansprucht werden : P hat gelioert : kört, V gehört : chort. Dass P hier im un-
rechte ist, erhellt aus den heutigen Verhältnissen: mhd. os wird heute als ea oder e
gesprochen, mhd. ö aber erscheint im kärntischen als kurzes oder langes ö. Quali-
tativ verschiedene laute aber können aufeinander nicht gereimt haben. Bei Hein-
rich V. T. findet sich denn auch kein fall von ce : ö-bindungen.
Y) Vor t: ungenöt (attributives adject.) reimt 7164 auf bot (praet.). Hierher
gehört auch 13 279: töten (eicc.) : röten (inf.) 'sich röten' und der unumgelautete
dat. kleinöte : röte (pl.) 18 600.
S) Vor s: Von unumgelauteten formen sind belegt der inf. bösen : kosen
1835 und nach P auch 23 644 zelösen (mf .): bösen (adj.) [urk. böse]. Wie von
hoeren lautet in Heinrichs dialekt auch der conj. praet. des verbums loesen nicht
um: löste (conj.) : ^ros/c (dat.) 9246. 11136. 24 871; erlöst {con].) : tröst (acc.)
12 623. Das part. bildet der dichter wieder auf o ; erlöst : tröst 5635, 5725. 9663.
10 098. 11286. 13 626. 19 309. 21028. 19 274. 26 889. 28 061. 29 483. 29 526. 29 728.
Überhaupt lässt sich die regel aufstellen, dass in der Krone bei sämtlichen schwachen
/a/i-verben im part. praet. der umlaut unterbleibt ^
e) Vor z : Krone 25 039 wintgestöze : gröze (adv.).
Q 0 widersteht dem umlaute im conj. praet. von mugen und tagen: 2735
enmohten (conj.) : gevohten; : gevlohten 14 040. mähten (ind..) : tohten (conj.) 11928.
Diese unumgelauteten formen sind als die älteren und als dialektische anzusehen.
3. Reime zwischen u- und o -lauten.
sl) QU für u.
Das verbum der II. cl. bliuwen lautet bei Heinrich im plur. des praeter.
blotmen statt des zu erwartenden bluwen; 777 matzomcen : blouiven (3. plur. praet.)
1) Aus dem jetzigen Sprachstande Kärntens lässt sich diese eigenart des
dialektes im widerstände gegen den umlaut des o nicht mehr erklären, wohl aber
kommt derselbe zug in der urkundlichen spräche Kärntens sehr stark zur geltung
(auch die spräche des Welschen Gastes weist ihn auf).
Im kärntischen ist mhd. (r zu ea oder e geworden. Auch die annähme wäre
irrig, dass zu Heinrichs zeit im kärntischen ce und ö der ausspräche nach zusamnieu-
gefallen wären. Dem widerspricht die augenscheinliche dift'erenzierung der beiden
laute in der mundart : altes ö in starktonigen silben erscheint wieder als ö oder pa.
HEINRICH VOX DEM TURUN UXD DIE SPRACHFORM SEINER KRÖNE 297
; schomven bietet. P die lesart matzüiven : hlüwen und darauf noch eiu gesondertes
reimpaar schouweii : vromcen. V hat maziven : plawen : schoiven, und schon
Scholl bemerkt in den Varianten, dass diese hs. die nur in P überlieferte zeile
780 'mit recht' weglässt. Für diese annähme spricht ausserdem der umstand,
dass man mit beibehaltung der lesart in P den notwendigen dreireim empfindlich
vermissen würde. Aus diesem gründe hat auch Singer dieselbe änderung vor-
geschlagen.
b) ou für ü.
Diese biudungen zählen zu den häufigsten sogenannten unreinen reimen der
Krone und stehen in klingendem und stumpfem reim: 6036 rou : gelou: wahr-
scheinlich auch 19 658 rüch : gelüch; 8660 zouher : süher ; 11622 trübe : loube, •
üftlouf 7676. 9063. 18 887. 25 099; : kouf 8764. 20 054. 23 875. 24 216; : trouf
27 149; : slouf 12 374; zoumtt : rümet : versümet 835; gerümet : versümet : getroumet
23 466; küme : troume 3725; : sfalboume 6791; : zoiime 12 396. 19 939. 20 050;
: toume 12 522; troume : pflüme 12 222. sevenboum : rüm : ßiim 12 812; flürn : zoum
14 435. rouvi : soum 8366 setzt Reissenberger fälschlich hierher.
Bemerkt sei noch, dass Heinrich gemäss seiner mundart nur die formen
boiiwen, tromcen und gebromren kennt: bouioen : vrouwen 7813; : verhomcen Tpart.)
8799; gebouiven (part.) : vrouiven : schouiven 13 720; erbouwen fpart.) : vroinven 1419.
11 523. 23 030. 28 409. 29 182 ; : juncvromcen 13 041. 20 461. 26 392. 29 363 ; ; schou-
wen 14 643 ; : erbouwen (part.) 26 203. bouivet : schouwet 1311 [vgl. das ui'k. ge-
poioen!]; getrouwe : vrouwe 1916] : juncvrouwe 13 771. 21184. getrouiven : vroutoen
2731. 3468. 3521. 4743. 10 856. 12 361. 21780. 23 913. 24 238. 28 936. vrouwen :
getrouiven : schouwen 12 435. 26 012; getrouiven : juncvrouwen 734S>. 21633; : er-
houioen (part.) 6132. schouwen : gebrouwen (part.) 1704. bauten : getrouten 2450.
Die entwicklung von ü zu ou begann im 12. Jahrhundert und war über das
ganze bayr.-österr. Sprachgebiet gleichmässig verteilt, weshalb ich es für überflüssig
erachte, beispiele aus dem dialekte anzuführen. Beide laute fielen in Heinrichs spräche
vor b, f, m, ch und w zusammen. Ob dieser einem o + u entsprach, lässt sich nicht fest-
stellen. Dass schon im 18. Jahrhundert die monophthongierung des o«< stattgefunden
habe, wie sie sich heute festgesetzt hat (lab laub, läfn laufen, khäfen kaufen, dpch-
träf dachtraufe; päm bäum, rämdn räumen, pnpän anbauen u. a.), müsste erst be-
wiesen werden.
c) ou : uo findet sich in der Krone niemals, daher muss 19 634 bescliuof als
textverderbnis angesehen werden. Auch die Sinnlosigkeit dieses Wortes au der be-
sagten stelle bestätigt diese Vermutung. Wohl aus dieser erwägung hat Singer
besouf = tränkte, zu besüfen (stv.) vorgeschlagen und damit wahrscheinlich den
richtigen Wortlaut hergestellt. 9139 ist bei Reissenberger zu streichen ; seine an-
gaben sind unvollständig.
d) tu : öu. Dem heimischen Sprachgebrauch entstammen die beiden reime :
4776 Hute : Jiiute : vröute: 27 169 ; lantUuten : vröuten. Das alte iu hatte
den lautwert von nhd. eu angenommen, so dass es auf öu reimen konnte.
F. Die «(-laute und deren u m 1 a u t.
1. ü : u.
Als einzig feststehender beleg kann nur 4437 verzeichnet werden, schulde
(dat.) : vülde (part.) ; V hat volde, P nuild. Aus der konil)iiiation beider lesarten
298 GRABER
rekonstruierte Ehrismann vülde und gab damit eine geistreiche konjektur, die dem
sinn der stelle vollkommen entspricht. Zu einer zeit, da altes ü noch nicht diphthon-
giert war, konnte es bei einem dichter wie Heinrich v. T., der in solchem masse
wie kein anderer mhd. epiker ungleiche quautitäten bindet, sehr wohl auf ä reimen.
Überdies findet sich für vtilde < vülecle < vültnde heute die ma. form fauht, welche
der mhd. genau entspricht. Das dim. heisst faubldt. Ersteres bedeutet 'in fäulnis
begriffen, faulend', letzteres 'nach fäulnis riechend, schmeckend'.
Die übrigen reime von ti : u, welche SchoUs text bietet, betreffen französische
namen: 6406 li ptluz : üs ; 12 882 sun {filius) : Ansgün (denn so ist mit heran-
ziehung von 7009, wo von demselben lokal die rede ist, zu lesen) ; endlich 17 598
Britun : Sempite Brün. Da aber Heinrich v. T. bei fremden eigennamen schwankt,
lässt sich der dialektische Charakter solcher reime nicht mit Sicherheit feststellen.
Die reime von Artus : us können deshalb nichts anderes erweisen, als dass
der dichter in der ersten hälfte seines werkes die form AHus reimte, nicht aber,
dass hier bindungen ungleicher quantität vorliegen. Man hat die verse 1637. 3254.
3495. 4486. 5732 und 10 830 nur aus der irrtümlichen auffassung Scholls heraus für
dialektische reime gehalten.
2. II : uo und ü : üe.
Bindungen von u : uo finden wir auf bayr.-östeiT. Sprachgebiet seit dem
12. Jahrhundert sehr häufig. In der Krone stehen 55 derartige reime: nuo : zuo
255. 8086. 16 447. 20 172. 20 084. 22 633. 23 021. 24 382. 24 811. 25 174. 25 882.
26 493. 27 370. 27 620. 27 910. 28 249. 29 424; : vrm 25 750. 22 246; : tuo 3867.
6965. 12 363. [Nicht dazu gehört 12 415 (von Weinhold angeführt), denn dort muss
es heissen huoben : schuoben (praet. von schaben).] u : uo steht ausserdem 14 819
wistuom : drum / : vrum 11; drutn und vrum 19 175. vrum : ruom : drum 214;
: ruom 2676. 5117. 12 029. 16 787; : erzentuom 7560; : siecht uom 8275. 8552;
; Tichtuom : ruom 22 397 ; ; r/chtuom 24 802. 28 960. Dazu kommen noch die bin-
dungen mit eigennamen : Sgoidamür : swuor 8483 ; : vuor 7924. 13 088. 13 563.
13 725. 22 205. 23 773. Rohur : vuor 17 473 ; Eigrün : tuen 9941 ; sun : tuoii 5028.
21605. stuont : unkuiit 8021; : munt : hunt 25 092. vuor : Tcur 26 237; vuort :
antwuri : ruort 27 280; : vurt 4261. 9140. 18 077. 18 242. 20187; : spurt 18 602;
: enburt (praet.) 16 375; : antwurt 11223; : gurt 4617; : gegmicurt 4002; hurten:
zevuorten 18 381. [Vgl. urk. würden (ind.), gegenwuort u.v.a.]
Nach dei Überlieferung ist auch 26 440 hierherzuzähleu. P bietet zefuort :
spurt. Nun sind aber umlautlose conj. praet. dieser klasse von sw. verben sonst
bei Heinrich nicht belegbar. Die stelle 26 439 f. heisst: Und liez ir niht ze gäch
Sin, daz siz niht zevuorte Und einz daz ander spurte. Die beiden formen können
also auch ind. sein, denn der daz — satz braucht nicht unbedingt als abhängiger
konjunktivsatz betrachtet zu werden.
Aus dem reimmaterial ergibt sich, dass in Heinrichs dialekt auslautendes ü,
dann u vor m, n und r als uo gesprochen wurde. Der umlaut hinderte die diph-
thongierung nicht: il : üe reimt vor r,
2067 tür : vüer (conj. praet.) : gevüer; : vür (praep.) : gevüer (subst.) 3474.
16 537. 18 201. 23 831. 28 313; : erster (conj.) 10 362. verlür (conj.) : gevüer (subst.)
; kür (coni.) 7583.
ä : üe reimt aber auch vor g : vlüge (pl.) : büege (subst. plur.) ; züge (stf.)
1000, was bei Scholl nicht ersichtlich wird, und 24 177 büege (pl.) : lüge (conj.).
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 299
3. Der u m 1 a u t des ic, ü und uo.
a) Umlaut des u.
Um der frage, wo Heinrich «, wo ü gebrauchte, auf den gruud zu kommen,
ist es notwendig, sämtliche belegstellen anzuführen. Bei dem schwanken der hand-
schriften und der Unsicherheit der textgestalt kann eine entscheidung nur aus den
reimen gefällt werden.
Von den reimen auf -uge- ist der einzige beleg für u 18 629 vlugen (ind.)
zugen (ind.); dagegen sind formen mit ü häufiger: vlüge (conj.) : ^%e (pl.) 7189
vlüge (-pl.) : lüge (conj.) 18 176; : bezi'ige (couj.) 18 423; vlüge (pl.) : ftwe^e (pl.)
Züge (subst. sing.) K
muge : Züge (conj.) 36; ; lüge (conj.) 10 875; : züge (pl.) 16 618; mügen (conj.)
: Zügen (subst.) 18 992; zugen (subst.) : ^»^en (conj.) 6416; betrüge (conj.) ; Zwr/e
(conj.) 26 244; erzüge (conj.) 11785.
Darans ergibt sich, dass Heinrich den conj. praeteriti der starken verba der
II. kl. und den conj. praesentis von toitc und vtac mit umlaut gebrauchte".
Typus -u7it.
u steht 1219 zuJif (acc.) : Lanplmhi ; 4561 : viderbniJd; 8717 : vruht (dat.);
25 048 : vruht (nom.); 25 939 : vruht (acc); 1686 vluht (&cc.) : unzuht (dat.); 2782
: zuht (dat.); vluht (nom.) : ztiht (nom.) 6316. 3373 hovezuht (acc.) : tvider-b ruht ;
7172 zuht (dat.) ; vruht (nom.); 11 762 unzuht (acc.) ; vruJit (acc). 17 979 : vruht
(dat.) ; nach ausweis dieser bindungen sind daher umlautlos 19 379 unzuht (dat.) :
vruht (dat.) ; 10 983 suht (dat.) ; zuht (dat. ; Scholl druckt sühte). ü bleibt wahr-
scheinlich in 10 726 zühten (lA.) : vlühten (pl.)^.
Typus -ühse.
Die reimmöglichkeit ist hier zu gering, als dass man sich entscheiden könnte :
3326 vühse (plur.) : lüJise.
Typus -ucke-.
2441 brücke : rucke (V hat nach Haupts Liedern und büchleiu XV brvke :
ruke. P belegt wenigstens ein u: ruch). Für 4602 bietet V druchen : stitchen,
P nur drucken, so dass wir auch hier drucken (inf.) ; stucken (dat.) ansetzen dürfen.
6829 überliefert V brukke. P setzt ü in beiden reimworten. Für 6880 gibt Scholl
die lesart nicht an.
u ist ferner anzunehmen für denselben reim in 15 616. 20 894. 27 496, 28 926
und 27 240 brücke : berücke (adv.), wo Scholl keine Varianten verzeichnet. Ursprüng-
liches u für ü 13 685 rucken (subst.) : brücken ist noch aus P zu erkennen, welches
1) Bemerkenswert ist, dass züge (stf.) bisher in den wbb. nur bei dem stei-
rischen reimchronisten Ottokar belegt ist.
2) Für u vor g gibt es urkundliclie belege, mag (conj.) und müg u. a. ; sie
widersprechen nicht der Übung Heinrichs. In seiner mundart kann der dichter um-
lautlose formen gekannt und sie in der dichtung gemieden haben, weil sie gegen-
über der spräche anderer dichter einen allzustarken dialektischen beigeschmack
besassen.
3) Ein vergleich mit der heutigen mundart wird dadurch erschwert, dass der
sing, der jetzt noch vorkommenden fem. »-stamme ohne umlaut, der pl. bei den
meisten mit umlaut gebildet wird: suxt — sixt, fruxt — frixt, tsuxt einförmig im
ganzen sing. usw.
300 GRABE K
rucken : brücke überliefert. Der umlaut unterbleibt auch im conj. des swv. lücken:
19 844 lucke : bogenrucke (adj.) ; desgleichen 7484 vlucken (inf.) : stucken (subst.
pl.) ; V hat fluchen. 8450 erdrucket (part.) : enzucket (part.). In der hs. V steht
erdrücket : ensucJiet, aus P verzeichnet Scholl nur entzücket.
Sichere «-formen sind auch erdrucket (part.) .- rucket ( praet.) 27 060, obgleich
die einzige hs. P umgelautete formen überliefert; denn Heinrich von dem Turliu
bildet das praet. der swv. I. kl. immer ohne umlaut.
6349 ducken (pl.) : erkucken (inf.). Y schreibt tüclien : chüchen, was das
richtige trifft (vgl. Weinhold, B. gr., § 30, aum.)-
Zwischen ü und u schwanken tücke : geläcke 712. 2934. 20 511. [urk. kärn-
tisch rugge, rukke, geluk, pruke u. V. a.]
Ähnlich wie im typus -wäsö liegen die dinge bei -usse: 7600 vancnüsse (dat.)
; küsse (verb.). Möglicherweise lautete im kärntischen letzteres küssen (vgl. das
windische lehnwort kusntä 'küssen'). Zum ersten reimwort bleibt zu bemerken, dass
der sing, der starken fem. heute des umlautes und der endung entbehrt: finstrnus,
hintnms, p'itrnus, irgrnus usw.
Typus -ust.
u steht fest in folgenden reimen: 23 727 hrust : äkust (dat.); vlust (acc.) :
äkusi (dat.) 24 724; verlast {nom.) : äkust (dat.) ; ö/'M*i (acc.) 27 051; brüst {diCC.) :
gelust (praet. ind.) 10 660. vlust (nom.) ; äkust (nom.) 1743. kuste (ind.) ; gelüste
(ind.) 11 610; gelust (praet.) : äkust (acc.) 19 438. kuste (ind.) ; gelüste (ind.) 24 622.
hrust (acc.) .• gelust (nom.) 20 226 ; gelust (dat.) : hrust (acc.) 26 583 ; daher auch
sicher u in 5391 gevruste (dat.) .- vluste (dat.). Endlich sind ohne umlaut 21 967
kusten (ind.) ; brüsten (dat. plur.) ; daraus lässt sich u auch für 9385 erschliessen :
brüsten (dat.) ; berusten (inf.). V bietet überdies noch brüsten : herusten. Heinrich
lautet die abstrakten femiuina und die sw. verba nicht um ; die fem. bleiben im
sing, zugleich flexionslos (vgl. Junk, Reimgebrauch Eudolfs v. Ems, s. 465) \ Auch
Hartmann braucht stets die umlautlosen formen ; Gottfrieds reimgebrauch ist der-
selbe, während Wolfram nur die umgelauteten formen kennt.
Tj'pus -utze.
12 076 antlütze : nütze.
Im typus -uzze- weisen 4 reime sicheres u auf: 24 125 rluzzen (ind.) :
schuzzen (ind.); 26 454 sluzzen (ind.) : g uz zen (ind.); 2204 guzzet (inä.) : genuzzet
(ind.); aber auch ein conj. praet. wird auf feststehendes u gereimt: 24 596 nuzze
(conj.) : schuzze (dat. sg.). Demnach muss folgender neutraler reim ohne umlaut
bezeichnet werden: 2262 heguzze (couj.) : rerdruzze (conj.); endlich muss mau 8504
lesen: verdruzze : entsluzze (V bietet verdrnz : entsluz, P virdrüzze : entslüzze)-.
Für den reimtypus -ulte lassen sich nur aus der ersten hälfte des gedichtes
belege beibringen : 8358 gulten (ind.) ; vuUen (ind.). In den übrigen fällen druckt
Scholl u und ü, V überliefert die j<-forraen. Danach sind diese in den text auf-
zunehmen. 3550 schulte (conj.) : g ulte (conj.); 12 089. 6812^.
1) Im kärntischen gebraucht man den sing, der jetzt noch vorkommenden
fem. /-Stämme einförmig ohne umlaut. Der plur. wird bei den meisten umgelautet.
2) Auch diese formeu haben in der mundart ihren Ursprung.
3) Ähnliche koujunktive sind im jetzigen kärutischeu ausgestorben, dagegen
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KR(3nE 301
Typus -urnen repräsentiert sich wieder nur mit einem reime, 6493 gevrunien
: sich trumen; u lässt sich nicht anzweifeln.
Von den reimen auf -unde- sind sicher ohne umlaut immer folgende reim-
wörter: künde (m&. -^rsi^t.) : stunde 226. 5621. 7245. 7620. 11098. 14 221. 17 605.
21 861. 25 056. 26 108. 27 066. 27 335. 28 000. 28 599. 28 701 ; ; gründe 2127. 27 606;
: munde (sing.) 2663. 3165. 6124. 8651. 17 106. 24 666; : gunde (subst.) 4269. 5826.
16 107. 21910. 27 271. 29 820; -.hegunde (ind.) 6854. 6396. 6804. 7785. 11314.
12 081. 12 203. 12 934. 19 011; : gunde (mä.) %12%. 6962. 12 131. 13 731. 24 065.
29 693; : gunde : stunde 6369; : hunde (sing.) 9161; : schünde (ind. praet.) : iai'eZ-
runde 13 971; : beg unde : stunde 14 320. 26 793; : gründe (dat.) 14 448; : schünde
(ind. praet.) 16 555 ; ; stunde : munde (sing.) 19 676 ; : gunde (suhst.) : wunde (subst.)
27 182 ; : enhunde (ind.) 22 805. stunde : begunde (ind.) 377. 4950. 18 560. 20 968.
21361. 26 096. 25 338. 27 758; : munde 1141. 2248. 8147. 9858. 16 902. 23 927;
: gunde (ind.) 1275. 3080. 19 976; : unde {!): munde (sing.) 1993; : gunde (subst.)
8425 ; : tcunde 9960. 20 446. 27 147 ; : enzunde (ind. praet.) 13 701. 18 512 ; ; gründe
14 505 ; : gunde (subst.) : schünde (ind.) 18 738 ; ; tavelrunde 19 375 ; ; gunde (subst.)
; tavelrunde 22 563; gunde (subst.) : begunde (ind.) 2667; : tavelrunde 12 485. 22 301.
29 801; : Urkunde (!) 16 661; : enzunde (ind.) 26 469. gunde (ind.) ; tavelrunde 8996;
pfalenzrunde : tavelrunde 1889; ; munde 1932. enzunde : schünde (ind. praet.) 8568;
; hegunde (ind.) 14 099. 16 201 ; : munde 15 113 ; begunde (ind.) ; munde (sing.) 11 272.
16 948; -.Urkunde (sing.) 16 610. Urkunde : stunde (subst.) 22 849. munde (sing.)
; enhunde (ind.) 23 646.
Reime auf -unden mit unzweifelhaftem u sind:
kunden (ind.) : hunden 3306. 6523; : begunden (ind.) 8003. 18 032. 22 399;
: wunden (subst.) 8478. 11963; : vunden (part.l 21519. 25 634; : wunden (ind.)
28 296. : gebunden : erwunden (ind.) 26132; : verswunden (part.) 26 807; : vunden
(ind.) 27 203 ; ; stunden (subst.) 27 682 ; vunden (part.) ; stunden (subst.) 187. 432 ;
: unkunden 1115; : gebunden 21402. 22 151. 22 429; : gesunden (acc.) 21886.
: künden (adj.) 1163. 1631. 19 390. 21824; : wunden (acc.) : kunden (dat.) 22 006.
: stunden (dat.) 22 730. 26 692; : gewunden 12 070; : verstunden (ind.) 13 647.
: wunden (suhst.) : gebunden (part.) 24 047; : ivunden (T^art.) : gesunden (acc.) 8162;
; wunden (subst.) 4767 ; ervunden (ind.) : gesunden (acc.) ; stunden 20 798. vunden
(inä.) : kunden (inf. !) 4705; : unkunden 11805; : wunden (acc.) 11484. : tc unden
: gesunden 6418 ; : gebunden 29 685. 29 714 ; ervunden (part.) : hunden 18 689 ;
: verswunden (ind.) 21463; : Urkunden 13 823; hevunden (ymxt.) : wunden (acc):
gebunden (part.) 13 899.
begunden (ind.) : kunden (dat.) 1426; ; unkunden 3218; ; versicunden 16158;
; wunden (ind.) 19 045; ; stunden (dat.) 23 330. 25 282; unkunden : tavelrunden 841;
kunden (dat.) ; stunden (dat.) 28 250. ivunden (subst.) ; überwunden (part.) 6546 ;
'.überwunden (nur in D) 13 4651». 13 744; -.gebunden 6730. 8839. 12 331. 14133.
19 360. 19 527; : unden (dat. i±) 9447. 11921; : swunden (ind.) 10 Oßli ; : rerslungen
(part.) 13 610; : gesunden (acc.) 18 878; : verswunden (ind.) 28 056. gebunden:
wunden (inf.) 11028; : gewunden (part.) 6885. 14 766. 19 911. 28 086; ohne reim-
band 19 945 ; unden (adv.) 14 366. 28 715 ; cnpf unden (part.) ; verswunden 9374
(Ind.); : schunden (ind.) 15 480. zünden (ind.) : g unden (subst.) 10 643; gesunden
in urk. und älteren Volksdichtungen erhalten. Zu geltn lautet der conj. praet. goltat
(durch analogiebildung aus dem part. perf. entstanden), seltener gtdt9t und nur frgult.
302 GRABKU
(acc.) : giwunden 12 810; : übenvunden {^art.) 16 699. gewunden {^&r\j.) : stunden
(dat.) 17 164.
Auf gleiche weise bindet Heinrich die betreffenden koujunktive praeteriti, und
zwar nicht nur der praeteritopraesentia (wie etwa Gottfried und Wolfram), sondern
auch der starken verba. Die belege dafür lauten: künde (ind.) ; tcunde (conj.) 3034;
künde (conj.) : gunde (lud.) : stunde (dat.) 6369. Mit enklise gebildet: kimder (conj.)
; besunder. Alle reime des typus -under anzuführen wäre zwecklos (vgl. ind. kunder
: under 4675, 10 218 ; ; besunder 20 983).
künde (conj.) ; munde (sing.) 11 670; künde (ind.) .• enpfunde (conj.) : munde
7668; : vunde (conj.) 7935; künde (conj.) : beg und e (ind.) : stunde 19 503: -.stunde
(dat.) 24 258 ; : gunde (subst.) 25 739. 27 779. 29 598.
gunde (conj.) ; munde 5347 ; : stunde 6929. erbunde (conj.) : munde : Urkunde
4097; begunde (conj.) : stunde 25 754; vunde (conj.) : beg und i (ind.) 28 818. Sicher
sind «-formen ferner:
runden (part.) : gunden (conj.) 20416. sunden (peccare) : stunden (subst.)
24 491; unknnde (^Ay) : künde (ind.) : gunde (ind.) 25 910.
Typus -undtt wird nur durch einen reim vertreten, 4212 ervundet (ind.):
kündet (1. pers. sing. conj. praet. zu künden).
Sicherlich hat daher Heinrich auch enzunden : geschunden (inf.) 11 711 und
verkünden (inf.) ; unden (subst.) 24 119 gesprochen.
Dass er die schwachen ./n^-verba auch im praesens umlautlos sprach, erweisen
24 491 und 4705. 4212. Ebenso sind die unumgelauteten formen der substantivischen
jo-stämme (unde) im sing, und plur. erwiesen (1993. 9447. 11 921). Das gleiche
gilt für die fem. «-stamme (urkunde 4097. 13 823. 16 661. 15 610. 22 849).
Demnach werden umlautlose formen auch in folgenden neutralen fällen
angesetzt : es reimen substantiva mit dem für Heinrichs spräche feststehenden u auf
konjunktive praeteriti starker verba:
ervunde (conj.) ; Urkunde : bestuonde (conj.) 2108. Hier liegt ausserdem die
in der Krone nicht ungewöhnliche bindung von u : uo vor; ; Urkunde 3546. 4850.
u steht ausserdem fest für folgende binduugen : künde (subst.) ; sunde (subst.)
4931; -.munde (plur.) 26 449; : runde (conj.) 5645; runde : unde (subst.) 17 345;
künde (mhst.) : ervunde Xconj.) 228. 11791b. 26 381; : urkunde 22 609. 23 986.
In folgenden reimen werden koujunktive praeteriti der praeteritopraesentia mit
Substantiven gebunden :
gunde (conj.) ; künde (subst.) 4085; : urkunde 21 175; künde (conj.) ; urkunde
28 524.
Ty^ns -undet ist durch 2 reime vertreten: 4175 kündet (conj. praet.j : gundet
und 6182 erzundet (part.) : schundet (praes.).
Zuletzt folgen die bindungen von konjunktiven praeteriti starker verba zu
solchen der praeteritopraesentia: 1911 underb un de : künde; 3347 vunde : tvunde;
4249. 14 423. 14 645 ; künde, ebenso 19 096. 21811; : künde : bunde 12 605; ; bunde
10 292. 25 824 ; künde : gunde 17 307. 27 648. begunde : enpfunde 28 129. vunden
: gunden 18 299.
Heinrich v. Turlin scheint dem sprachgebrauche Hartmanns zu folgen, der
die unumgelauteten conj. vunde usw. und künde gebraucht, während Gottfried und
Wolfram nur den umlautlosen conj. der praet. praes., nicht aber der starken verba
kennen. Um das resultat übersichtlich zusammenzufassen, gebe ich die zahlen:
In der Krone stehen 21 gunde (subst.), 6 urkunde, 3 unde (subst.), 2 künden (nun-
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 303
tiare), 1 sunden (peccare), 8 umlautlose couj. praeteriti von kan, gan und erbau,
5 iileiche formeu starker verba.
Sichere rt-binduugen fehlen gänzlich. Denn auch 1121 beweist nicht sicher
den umlaut für apgründe (pl.) ; künde (subst.), da gerade für künde es an einem
beweis durch einen sicheren ü-reim mangelt, nrkutide aber immer auf u reimt. Es
reimen, wo es sich um eventuelle »-formen handelt, immer nur neutrale formen
aufeinander. Nach Zwierzina und Kraus wäre dies ein zeichen dafür, dass der
dichter seine mundartlichen umlautlosen formen dem leser oder hörer nicht auf-
drängen woUte. Er selbst sprach ii statt ü vor n + d in femininen ^ undjo-stämmen
der substantiva, im plural der maskulinen u- und (der damit zusammengefallenen)
t-stämme, ferner im praesens der schwachen Jau-verba und im konjunktiv praeteriti
der starken verba sowie praeteritopraesentia.
Einen anhält scheinen mir noch die hss., insbesondere P, zu geben. Hier
steht entweder wenigstens eine w-form im reime, oder es finden sich die fraglichen
formen mit o geschrieben, vielfach beide reime in unumgelauteter form (selbst wo
V il schreibt). Für die beuiteilung von P ergibt sich also, dass sie in manchen
punkten doch nicht so unzuverlässig ist, als sie gemeinhin angesehen wird. Bei
einer neuen ausgäbe müssen die u-tormen durchgeführt werden.
Es reimen conj. praet. starker verba, denen bei anderen dichtem umlaut zu-
kommt, auf formen mit ic:
1831 Zunge : (jelunge (conj.); : misselunge (conj.) 24117; gelunge (conj.):
zerunge (subst.) 17 606; misselunge (conj.) ; sicheruiige 3878; temperunge : verdränge
(conj.) 8549; gerunge : sunge (conj.) 10 461 ^
Typus -unft.
Für die drei vorhandenen reime wird nach analogie der vorhergehenden
substantiva wohl auch tc angenommen werden dürfen, obgleich man aus den reimen
selbst nicht zu einem sicheren resultate gelangt: 8^19 vunfte : kunfte (dat.). 10 090
sigenunft (dat.) : kunft (gen.) ; dagegen steht 20 948 sigenunft (acc.) : zuokurtft (acc.)
als w-reim fest.
Typus -unke.
Im vergleiche zu anderen dichtem könnte der durch den reim auf den dat.
sing, fr unke gesicherte umlautlose conj. praes. vom swv. dunke 1414 auffallen.
Nach all dem obigen aber ist auch diese form für Heinrich v. T. nichts ausser-
gewöhnliches.
Reimtypus unne{n) oder ünnt{n).
Die beispiele für sicheres u sind folgende : 12 808 sunne : hrunne. (subst.) ;
2202 hrnnnen : sunnen; denn so ist wohl zu lesen, da sunne bei Heinrich in der
dekliuation keine ausnahmestellung einnimmt. Die form hrunnen für den nom. ist
aber zu erschliessen aus dem acc. hrunnen : sunnen 12 051. 26 705). 5861 hegunnen
(part.; : gewunnen (part.) ; : versunnen (ind.) 7547 ; verbrunnen ipart. ) : entrunnen
9018; geicunnen (-part.) : enirumitn 11117; : verbrunnen (part.) 15 210; gewunnen
l) Vergleichen wir die resultate mit dem heutigen Sprachstande Kärntens,
80 ergeben sich für den widerstand des kurzen u gegen umlaut vor n + d nur noch
geringe belege.
Die conj. praet. der starken verba (mit nd) sind nicht sehr geläufig; in der
überwiegenden zahl werden diese präteritalkonjunktive umschrieben {i tat pintn).
304 GRABER
(in6..) : versunne» (iiid.) 11984; : errunnen (part.) 12 412; : runiien (ind.) 17 147;
versunnen (-psLi-t) : errunnen 12 169; : brunnen 26 810; endlicli hegunnet (ind.):
gewännet 16 069.
Einmal wird auch der conj. praet. eines starken verbums auf sicheres u ge-
bunden, was bei Hartmann nie vorkommen könnte; dieser hiutete die hierhergehörigen
conj. wie Wolfram und Gottfried um; damit steht also Heinrich ganz selbständig
da: 6645 brunne (s\i})st.) : getvunne (conj.) : versunne (conj.). Auch die praeterito-
praesentia erscheinen im infinitiv und indikativ des praesens durch den reim als
umlautlos gesichert :
gunnen (\üf.) : bägunnen (part.) 1640; : geivunnen (-psiVt.) : versunnen 23 371;
: gewannen {-j^Mt.) : erkunnen (inf.) 21057; : gewannen (]}Art) : enbunnen 30 000;
gunnen (mä.) : gewunnen (part.) 11685; hunnen (vnA..) : versunnen (part.) 6166;
brunnen (ind.) : erbunnen (ind.) 27 431; geivunnen (part.) : bannen (inf.) 1385;
gewannen (part.) ; kannen (ind.) 7209.
Demnach sind als «-formen anzusprechen die neutralen reime : hunne (conj.) ;
gunne (ind.) 25257 ; kannen (conj.) : gunnen (inf.) 24 164; kunnen (inf.) .-gunnen 2713.
Reime mit feststehendem u sind ferner: 16 161 sunne (subst.) : dünne (adj.)
und 3384 begannen (part.) : dünnen. Daraus ergibt sich mit gewissheit u auch
für folgende neutrale fälle: danne : wanne S2Qb. 14 279; : brunne (con].) 15 123;
: kunne (conj.) 2512; unmne : brunne 15 745; : ver gunne (conj.) 12 677; : verbanne
(conj.) 26 408 und endlich auch 3945 gunne: kunne (subst.). Es ist gar nicht so
ausgemacht, dass gunne hier konj. funktion hat; die stelle lautet mit Singers Inter-
punktion 3943 ff. : Ich bringe es daran ( Wil ich iutver genäde hdn, Däz ich iu
leben gunne) lach und iawer kunne, Swas ir des bekennet, Das ir mir das nennet.
Typus -an,<it.
Sicheres u zeigen die reime : 10 633 kunst (dat.) : urbunst (nom.) ; 25 185
; ganst (nom.) ; 26 549 : gunst (acc.) ; 27 603 : runst (nom.). Daher kann u auch
angesetzt werden für 7388 kunst (dat.) ; urbunst (dat.) und 23 271 : ga^ist (dat.).
Wie schon erwähnt, bietet das kärntische für unterbleiben des Umlaufes an fem.
^■-stämmen keine belege, da der ganze sing, einförmig ohne, der plui'. mit umlaut
gebildet wird: prunst — prinst, khunst — khinst.
Typus -ur-.
Mehrere anzeichen scheinen auch hier darauf hinzuweisen, Heinrich habe in
einzelnen fällen die unumgelauteten formen gesprochen. Für das subst. kur (dat.)
beweist die umlautlosigkeit der reim auf vaor (ind.) 26 238.
In- allen übrigen fällen stellt er den reim in schwebe: 2995 vür : kür (couj.);
V vaor, P kuoi-; 4379. 16 582 kilr (conj.) : verliir (conj.); 6219. 10 672. 14195.
14 420 : verlür (conj.). Für 6219 schreibt P verlöre (o steht öfter für u): tür
12 761, P türe, 13 006. 13 234, P türe; 17 678. 17 959. 18 890. 20 900. 21009.
21 979. 25 301. 25 376. 26 329. 26 658. 28 821. 29 342 ; ; spar (conj.) 23 484, P spuor,
23 885, 28 732. 28 735 ist gleichfalls vür : spür zu schreiben; P bietet wie 23 484
spuor; : tür : kür (dat.) 29 695; : tür : verlür 15 821, P thüre; verlür (conj.) : kür
(conj.) 7947. P verluore : erkaore, V erchur; 29 070; ; tür 7217. P verlüre : türe,
Y flar: 15 958; dialektische binduagen sind tür : vüer (conj.) : gevüer (subst.) 2067,
P cuor : gefuor; vür : gevür (subst.) 3474. 16 637. P gefür; 18 201 V für.-gefür:
23 831; : vüer (conj.) 10 362, V erfüre, Y ervür; .-gevüer (mhsX.) : vüer (conj.)
HEINRICH VON DEM TURLlN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRÖNE 305-
28 313, P gefuor : für; verlilr : gevüer (?,\\}o?,t.) : kür (conj.j 7583, P verliere : un-
gefäre : küre, V verlur. 24 017 spürn : tinhürn.
Aus den mangelhaften angaben Scholls lässt sich doch so viel erkennen, dass
die handschriften stark zwischen ü und u schwanken. Hätte ihre vorläge einheit-
lich M gehabt, so wäre dieses gewiss auch von den abschreibern so wiedergegeben
worden. Ich meine also, der archetypus besass unumgelautete formen, welche der
muudart des dichters entstammten. Auch der einwand, Heinrich hätte, wenn dies
wirklich der fall war, die zweifelhaften forme:; doch öfter als das einzige mal auf
sicheres u gereimt, ist nicht unwiderleglich. Wir haben eben in anderen reim-
typen wiederholt bemerkt, dass der dichter auch dann, wenn er verhältnismässig
viele formen, die bei anderen dichtem umgelautet werden, auf feststehendes u
reimt, doch auch ebenso viele und meist mehr indifferente reime daneben bringt.
Der grund für dieses verhalten lag in dem bestreben, durch dialektische eigen-
tümlichkeiten dem publikum nicht aufzufallen.
Meine annähme erfährt durch urkundlich belegte kärntische formen wesent-
liche Unterstützung.
Über die namens form des dichters derKrone sind wir durch Scholls-
lesarten aus den hss. schlecht unterrichtet. 245 verzeichnet er aus V tuerlein : sm.
10 442 türleiii : min. Die Schreibung des namens in P erfahren wir überhaupt
nicht. Angaben fehlen auch für 3047.
Es ist meines erachtens duixhaus nicht nebensächlich, dass Heinrich selbst
sich im akrostichon, Krone 182—216, das prädikat 'von dem Turlin' und nicht 'von
dem Türlin' beüegt.
Zieht man noch die Schreibweise der oben s. 157 ff. angeführten ui'kunden in
betracht, so besteht kein zweifei mehr, dass unser dichter auch seinen namen in
unumgelauteter form sprach, wie es im dialekte üblich war ^
Typus -urde.
Das schwanken der handschriften zwischen u und ü spricht weder für noch
gegen das ansetzen von u in den zweifelhaften reimen. 899 wurde (couj.) .• bürde
(subst.), Y ivurde, F würJ. 2100Vwürd:purd; V nicht verzeichnet. Q^IY bürde,.
P bürden. 10 629 V wurde : bürde, P würd : bürd. 12 090 V icurde, P würd : bürd;
14 971 hat P wieder umlaut, V nicht. Da tcurde hier conj. ist, hätte Scholl mit
gleichem recht auch alle übrigen fälle ohne umlaut drucken sollen. Sind schon
hier die lesarten mangelhaft angegeben, so fehlen sie ganz für 5283. 6688. 21 299.
22 958. 23 399. 29 644 und 30 029 aus der unechten nachrede.
Obschon in diesem typus die umlautfähigen u von Heinrich selbst nie auf
eichergestelltes u gereimt werden, können wir auch hier annehmen, dass in des
dichters spräche der umlaut unterblieben sei; durch die Stellung im reim war es
1) Für sämtliche beispiele bei Heinrich die heutigen formen aufzufinden, wird
nie möglich sein. Dazu reicht der Wortschatz des kärntischen nicht mehr aus; viele
Vokabeln sind im laufe der Jahrhunderte ungebräuchlich geworden und in Ver-
gessenheit geraten; der rest aber musste sich die beeinflussung durch die immer
weiter um sich greifende spräche der 'gebildeten' gefallen lassen. Immerhin gcnüi^t
68 für den beweis, dass Heinrich die kärntische mundart in seinem gedichte durch-
blicken lässt, für jede wichtigere gruppe wenigstens spureu im heutigen dialekt
noch vorzufinden.
306 (IRAIJKK
dein leser immer müglicli, die ihm etwa ungeläufige, nicht umgelautete form im
reime durch die umgelautete zu ersetzen (vgl. Paul, anm. zu Greg. 503).
In kärntischen Urkunden bildet das verhum der 3. klasse loern = werden den
conj. praet. ohne unilaut: wurd. Heinrichs form bürde für bürde entspricht genau
urk. gebärde, purd.
Typus -urfe.
10 446 venvurfe (conj.) : dürfe (conj.). V hat vencurf : darf : aus P ver-
zeichnet Scholl nur bedilrffe.
Typus -urge-.
3066 icürge II : bürgen (subst.) ; kärntisch urk. ^jwr^er.
Typus -urret.
Die neutralen reime 10 699 bewurret (conj.) : geturr et (conj.) und 26 923 ver-
unn-ret (conj.) ; geturret (conj.) erklären sich daraus, dass Heinrich wie immer
dialektische biudungen, die einem auderssprechenden leser oder zuhörer wider-
wärtig sein könnten, nur untereinander zu reimen liebt. Aus den lesarten scheint
hervorzugehen, dass in den vorlagen der hss. umgelautete formen nicht gestanden
haben. Im ersteren falle verzeichnet Scholl aus P venverret, aus V bewerret, im
zweiten aus P verwerret. Diese Schreibung beweist, dass jedenfalls nicht ü über-
liefert war.
Typus -urste-.
1804 viirsten (acc.) : erdnrsten: kärntisch urk. fursten (pL), gefursten (pt.),
dursten.
Typus -arte-.
u steht fest für 27 279 anticurt (acc.) : zevuort (praet.). 4261 rurte (dat.) :
vuorte (praet.). 20 186 vurt (dat.) : vuort (praet.) ; 18 243 vuort (praet.) ; ^-urt (acc),
9139. 18 078; 4001 vuorte (inä.) : gegemviirte (dat.); : antivurte (acc.) 11228. Dem-
nach dürfen als it-reime angesehen werden die neutralen bindungen: 10 237 vuorte
(conj.) : antwurte (dat.). Man wird hier vuorte um so sicherer auffassen können,
als auch V und P auf fehlen des umlautes hinweisen. P hat fürte : antworte :
T fuort : antworte. Ein völlig sicherer beweis für aniivürte ist dieser reim nicht.
Die stelle lautet : 10 236 ff. : Ich vrägte , iver im het gegeben Diu ors , diu er
vuorte (vüerte). Er tvas zer antivurte {antwurte) usw. 4157 antwurt (dat.) : spurt
(3. pers. sing, praes.). Die lesart von P lautet bei Scholl antwort. Nun setzt aber
diese hs. für u öfter o (vgl. Reissenberger, Zur Krone s. 4). Kärntisch (»ittvurt
einförmig in allen casus.
Aus den letzten reimen ergibt sich also, dass Heinrich die hierhergehörigen
fem. f-stämme in den casus obliquis nicht umlautet. Nur bei Wolfram stehen diese
umlautentbehrenden formen noch auf sicheres u gereimt. Hartmann und Gottfried
schwanken zwischen u und ü.
b) Der u m 1 a u t des ü.
Reime auf sicheres iu sind: Hute (honiines) : bediute (conj.) 7106. 29 438.
Unten : bed inten (inf.) 26373; : triuten (inf.) 17746. geriutet (3. sing.) : diutet.
Hingegen kommen keine belege vor für das unterbleiben des umlautes. Die liand-
HKINRICH VON DEJI TUKLix UND DIE SPKACHFORM SEINER KUuNE 307
achriften bestätigen die diphthongierung. Daher ist in folgenden bindungen, wo
Scholl ü druckt, iu zu setzen: 7990 liate (stf. sonitus) : hediute (couj.). V Uuie :
bedeute, P li'ite : betüte. 10 929 Uuten : triuten, V Unten, uüd 16 883 ; endlich iu
dem conj. praet. bediate : h'titc 13 622, P betaute : laute.
Nicht so gesichert steht in vor tv. Der Inf. rimven erscheint in den verseu:
1350. 3905. 7138. 11185. 15 588. 16 266. 17 260. 20 647. 26 069. 27 939 zu iriuwen
gebunden; : entriuwen : nimven (Inf.) 4655; : bliuioeii 26 015. : vertriuwen 10 872,
P vertyiiwen : ruwen. Das praes. riuwet : ernitiwet (part.) 17 306; : veruntriuivet
(part.) 25 215. ernimcet (part.) ; veruntriuwet 28 027. Da trüwen nirgends durch
einen reim erwiesen ist, wird 25 203 gelesen werden müssen : getrouivcn find. ) :
erhouwen (part.).
Dagegen muss ü geschrieben werden in 13 277 gi-uwen : rmven, da für griuiceii
in den wbb. sich kein beleg findet; dazu bringt P grawen : krawen, woraus eher
noch ein grouwen : krouwen erschlossen werden könnte. Ferner ist nach ausweis
dieser stelle auch 3823 zu ändern in rüwen (inf.) ; hüwen (dat. sing.) 'nachteule';
V roiven : howen (P führt Scholl nicht an). 18 116 reimt der acc. pl. goltgrüs auf
üz. Da das wort auch iu die f deklinatiou übergegangen ist, würde man im plur.
Umlaut erwarten.
Widerstand gegen den umlaut des ü lässt sich sonach nur vor w und Imal
vor z feststellen. Mit diesem ergebnis stimmen auch die Verhältnisse der inundart
Kärntens. Die Scheidung beider laute (ü und iu) zeigt sich nocli deutlich, ist aber
schon im begriife, verwischt zu werden ^
c)Umlautdeswo.
Typus -uoh-.
uo statt üe wird nach V zu setzen sein im rückumlautenden praet. 473 uobte
: betruobie. P bedruebte, und 23 867. Dagegen bleibt im text üe im praesens dieser
verba, da kein einziger beleg für sicherstehendes uo vorhanden ist. Heben : be-
trilfbeu 24 272. 25 610. üebet (ind.) : betriiebet (part.) 1326; : t Hiebet (md.) A902.
Auch die gegenwärtige mundart hat überall umlaut:
triaic — iriiebe, tridbm — trüebe)i, einidbm — Heben usw.
Typus -uog-.
Nicht umgelautet sind folgende beispiele: 4479 uiigevuoge {a.d\.) : genuoge
(plur.); gevuogen (eLdl) : truogen (praet.) 9738. 27 015. 29 278. : sluogen 20 709;
: sluogen : truogen 18 543. Nie werden zu sicherem uo gebunden die conj. praet.
slüegc : trüege 4245. 11967. 14 054. 20 166. slüegen : irüegen 4481. trüegen (conj.):
rüegen (inf.) 23 522. Aus diesen bindungen ergibt sich auch für das adj. gevüege
üe statt des dial. uo.
gevüege : trüege (conj.) 289. 1197. 29 348; : gevüege 4723. 12186. 24107;
: ttcüege 914; : nüege 8215; : vürbüege 7766; : vürgebüege 19 913; : hüege 14 862.
1) Mhd. iu wird heute vor w und r nicht umgelautet und als oi gesprochen:
kiuwen — khoiudn, bliuweu — ploinsn, triuwe — tröi, riuwen — kJiroinan, tiure —
töir, kiure — höir. Daneben besitzen schon die der stadtsprache entlehnten formen
geltung: tceir, haeir, troei usf.
Es tritt aber umlaut ein vor t (wie bei Heinrich!). Mhd. iu wird zu (fi:
liute — losit, diuten — dositn, diuisch — tceitsch, kriuter — kliroeitr usw.
308 GRABER ^Hj
: slüege 3874; trüege : slüege : Janfrüege 15 258; ungefüege : sliiege 12 030. slüege
: Janfrütge 15 289.
Durch diese bindungen ist kaum der beweis erbracht, dass Heinrich v. T. die
uinlautlose form des adj. geimoge aus seinem dialekt im gedichte verwendet'.
Typus -aof-,
uo muss gesetzt werden in 7108 ruoftnt : wuofent (V rueffent : wueffent.
P licffent : wiefent); in den inff. 9211 riiofen : wuofen. Hier gibt Scholl die les-
arten nicht an; 11237 V rueffen, P ruoffm ixud endlich 16 886, wofür bei Scholl
wieder die Variationen der hss. fehlen.
Heute spricht mau ruofn neben ri^fn 'rufen'.
Typus -U01C-. f
Sicheres uo haben 26 736 muowen (inf.) : ruowen. Daher nehmen wir die |
berechtigung, auch in folgenden reimen uo anzunehmen : 3277 nmoiven : vruotven \
(inf.), V bietet hier muogen : frven, P frven. 7525 geruowet : gevruotcet -. i
Typus -uor-.
uo wird vor r nicht umgelautet : 20 704 ruoren (inf.) : viioren (praet.). Den-
noch besitzt dieser vereinzelte reim zu wenig beweiskraft, als dass man bei einer
neuausgabe der Krone uo statt üe vor r allgemein durchführen dürfte. Für uns
genügt es, festzustellen, dass Heinrichs dialekt diese umlautentbehrenden formen
kannte. Wahrscheinlich hat er sie auch in den neutralen reimen gesprochen, die
er in dem für ein grösseres publikum bestimmten werke deshalb in schwebe Hess:
rueren : vüeren 1455. 9866 Y fuerii, 10 718 V vnern : rueni. 11680. 15 356.
19 013. 25 084. 26 316. Auch die conj. praet. der starken verba (YI. kl.) werden
immer nur zueinander gebunden: vüere : sicüere 5113. Y gesicüer. 9762 F fuor :
sivuor. 11063 V ervür. 16 094. 16 634 P füre. 18 918. 22 773. 29 574. Da» i
part. herüeret : gevüeret 28 401 P gerürt : gefürt. Beide hss. stimmen 4064 in der
vokalisation überein: gevücre (dat.) : r//p;e (conj.) 'P fuor, Y gefuore : vuore. Die
stelle 4062 ff. ist mit Singer zu interpungieren : Gdles was an der rede karc Und
icarp nach gevüere; Das im nü widerväere Guot wider guot, des gert er, Sit guot
guoies ist gewer. Er usw. 9151 P fuore : wuore, doch soll vüere (conj.) : wüere
(pl. von wuor) stehen bleiben (vgl. auch den umlaut im plur. von gluot 10 331).
Ebenso 20 291, wo die Varianten bei Scholl fehlen: vüere (ind.) : wüere (stf. sing.).
Ganz sichere beweise für das unterbleiben des umlautes von uo im conj.
praet. der VI. kl. liegen nicht vor.
Mundartlich ist mhd. uo vor r zu l geworden: rlrn — rüeren; flrn — vüe-
ren usw. Die conj. praet. werden nicht mehr abgelautet: fprH zu fprn = mhd.
vorn: subst. wüere (wuore) mundartlich iclra u. a.
1) In der heutigen spräche Kärntens gibt es keine uo vor g : kßag, unJcß9g usw.
Selbst die beiden allein noch erhaltenen starken praeteritalformen sliagat von s/figi)
und tridgat von trfigu sind schon umgelautet.
2) In der heutigen mundart ist der umlaut im allgemeinen schon durch-
gedrungen: riawe =■ rüeivec, {pd)tn(andn = muowen. Doch zeigen sich noch spuren
von altem uo in hemt lign i mi fdfrudt 'ich bin heute zu früh gekommen', und im
windischen lehnwort müdja mühe.
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRuNE 309
Typus -UOZ-.
uo statt üe haben die reime 23 739 ; suoze (adj.) ; gruoze (dat.) ; : vuoze
26 456. Andere reime, die den widerstand gegen umlaut des uo vor z beweisen
würden, finde ich nicht. Daher müssen die sw. Jaji-verba mit langem wurzel-
vokal und einfachem kousonauten im ind. und conj. des praesens sowie das
praeteritopraesens müezen umgelautet in den text genommen werden: 1841 müezen
(iad.) : büesen (Inf.); müeze (conj.) : siiese (subst. und adj.) 4555. 19 569. 24 594;
: siieze : grtteze (plur.) 17 212 ; süeze (subst.) .• grilese (ind.) 28 183. mutzen (ind.) :
süezen (adj.) 17 294; : vüezen 26 644; vüezen : biiezen 11170; : gesüezen 19 768.
süeze [diA].) : grüeze (plur.) 130. 13 894; : vüeze 9412. vüezen : grüezen {-^hiv.) 6458;
.• süezen (adj.) 15 775 '.
Aus der angestellten Untersuchung ergeben sich nachstehende tatsachen :
Heinrichs dialekt weist sehr starken widerstand gegen den umlaut des u auf. Uni-
lautfähige u reimen in der Krone auf solche, denen der umlaut nicht zukommt,
vor jm, nft, nd, ng, nk, nst ; vor cl; dann teilweise vor einfachem auslautenden r,
weiter vor rd und rt, st und zz. Unumgelautetes ü begegnet vor r, g, w und z.
Im grossen und ganzen zeigte es sich, dass die nicht umgelaiiteten formen im
dialekte Heinrichs wohl begründet waren, da einige lauterscheinungen seiner
spräche, wie sie durch die reime festgelegt sind, mit der heutigen mundart und der
spräche der Urkunden grosse Übereinstimmungen aufweisen. Die annähme ist daher
nicht allzukühn, Heinrich habe den kärtner dialekt gesprochen und in ilim sein
gedieht geschrieben.
Es gelingt dem dichter nur schwer, von mundartlichen formen loszukommen
und in all der mühe lässt sich sein streben nach jener literatursprache, die auch ihm
als ideal vorgeschwebt haben muss, noch deutlich erkennen.
II. Konsonanten.
Im konsonantismus weist die spräche der Krone mit den lautgesetzeu der kärnt-
ner mundart ebensoviel oder noch mehr Übereinstimmungen auf als im vokalismus.
A. Lippenlaute.
1. Reime von h : v und b : lo.
In den reimen der Krone werden manchmal b und v vertauscht, d. h. die
Verschiebung des germ. bh war im kärntischen nicht zum verschlusslaut b gelangt,
sondern der reibelaut hatte sich zu bilabialem v entwickelt.
2'dO'i fabele : runttavele; 29 231 schachzabel : tavel. 12 471 heben (inf.) : neven.
Ausserhalb des reimes stehen 17 775 ein vrabeler hneht. 26 468 vrabd".
1) Zum Schlüsse dieses kapitels sei noch erwälmt, dass das stf. der ?-dekl.
gluot, welches früher zur w-dekl. gehörte, im plur. umlaut annimmt: 10 331 glätte
: hüete (conj.) .• geivüefe (conj.).
Bemerkenswert bleibt endlich auch, dass der conj. des praesens von tiioii bei
Heinrich nie tüeje, sondern immer nur ttw lautet. So reimt er 8542. 7199. 17 930:
zuo; 4863. 964i : vruo (adv.) ; 7301. 18 910: zuo : vruo. Dialektisch zu nuo 3866.
6964. 12 362.
2) Am besten spiegelt sich der frühere sprachzustand des kärntischen in
ZEITSCHEIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 21
310 GRABER
2mal setzt Heinrich v. T. w für h : 2049 salbet : valwet und 26 027 salben
(iuf.) : valwen (für das subst. salben (dat.) ist b gesichert durch die reime : halben
6732 und 12 538). Diesen Wechsel weist bereits die urk. Schreibung mancher Wörter :
gegenbuH für gegemourt; gebis für gewis u. a. Auch v steht in urk. häufig für b:
gewerve, aver u. ä. K
Es liegt kein grund vor, b für w in den reimen der Krone varbe : begarbe
anzunehmen, wie es Reissenberger will; begarbe ist bei keinem dichter belegbar,
zudem hat auch P 21 132 farwen : begarbe, wenn auch in zwei anderen von Scholl
mit Varianten versehenen versen nur die ft-formen stehen.
2. Germ, p ./.
Germ, p erscheint im adj. scharf immer nur als / (kein scharpf), scharf
reimt wie bei Wolfram nur auf warf und bedarf: 9395. 12 162. 13 498.
13 597. 14 916. 17 255. 20 835. 20 9271
a) Im auslaute : 10 528 hosen (acc.) ; rosemie) (acc. sg.) flecken, vreissam :
geican 15 575. vreissam erscheint festgelegt durch 6 reime auf -am; dazu 4367
an : alsam : mediam : an 6668.
b) Vor t. geschämt : genant : samt 3898 (V genant, P gemant) ; : schämt
4132; ; beidensamt 16 562 (P beiden sampt)^.
B. Zahnlaute.
1. a) t : d.
10 498 strite : Galam/de (P stryde, V calamit) ; 14 629 geliden : riien ver-
schwindet aus der reihe der ungenauen reime, da D folgende lesart enthält: Daz
er niht moht erliden, Ob er sich umbe rtden Wolt ab der stat iender, Wan er
enmoht sich niender Gerüeren, loan als er saz. Das wort sich umb rtden findet
sich sonst nur bei Konrad v. Megenberg (= 'sich umdrehen') ^.
b) Abfall des t im auslaut.
1812 ir täte (praet.) ; sj^aie (adv.) ; : rate (subst.) 17 265; ir möhte : töhte
(3. pers. sg.) 21531. Man könnte mit apokope und synkope auch lesen: möht :
tüht, nur scheint mir dagegen zu sprechen P mähten : dohte.
urkundlichen formen, wie z. b. berublich = beruflich, und in alten lehnwörtern des
windischen. Hier erscheint germ. / in der regel als b auch dort, wo die mundart
schon / hat: blrtax = fürtuch, schürze, bllsäk fleissig. bdhdta (< *bolgatf) folgen.
isebr käfer. trlbos (ma. drlfuds) dreifuss. pulbr — jmlfr. tabiia schreibtafel, sibra
(mhd. schiver) splitter, glasscheibe.
1) Noch heute spricht man in- und auslautendes b als tc : säw schaub, kh^Itv
— khölwr kalb, irw erbe, hiriv9st herbst, möswurg Moosburg, ivöwr weher. Die-
selbe entwicklung hat b in fremdwörtern durchgemacht: looste Sebastian, wäbm
(wind, bäbci) alte frau. tlwats, wind, tlbdtse Tiebitsch (ortsname). wäicdU Bai'bara,
wendl Benedikt u. a.
2) In der kärutuer mundart sQrf, dagegen harpfn noch mit pf.
3) Vgl. kärntisch: khrüsngelt spende des taufpaten (mhd. kresem chrisam).
g^dn — gadem schrank, getreidekasten. gtn athem, f<jdn faden; pan = bei dem;
aber auch inlautend in haupttonigen silben: gränan, er grünt sd grämen, er grämt
sich; gegrünt gegrämt, grän kummer, gram u. v. a.
4) In der mundart erweicht sich t inlautend zu d besonders gern nach langen
vokalen oder diphthongen : da sgnkx fceidr die St. Veiter (bürger) ; fteidl (dem. zu
HEINRICH VON DEM TURlIn UND DIE SPRAf!HFORM SEINER KRÖNE 311
Für 13 414 vil:wil (2. pers. siug.) : spil braucht nicht ahfall des t auge-
nommen zu werdend
cl d für t nach liquiden.
a) Nach /.
Ahd. t, westgerm. d erscheint nach l in Heinrichs spräche als d und f. Reime
der o-reihe mit sicherem d sind nur ivalde : holde 5mal, Imal halden (iuf.) : halden
(dat. sing.). Dagegen dat. cfetvalte : valte (praet.) 3mal ; haltest : alten (inf.) 13 849 ;
: stalten (praet.) 20 224; : v alten (praet.) 26 148. Sonst reimen nur noch geivalte
(dat.) ; tvalte (ind.), halfen, walten : gevalten (part.) in 10 belegen.
gezelde reimt Smal auf velde (dat.) 815. 18 728. 22 255, jedoch gelten, schelten
und selten nur unter sich.
4942 müie (subst.) : erhilte (praet.) ; 29 229 muten (adj.) .• spilten (praet.). Da-
neben milde (subst. und adj.) auf bilde (pl.), loilde, gevilde und schilde, für welches
d feststeht, 7mal gereimt. Dazu gehört auch 13 373, obschon Scholl t druckt.
schilde(n) reimt 15mal auf bilde, gevilde, ivilde ; sonst stehen im gleichen typus
nur noch 21 reime von gevilde, bilde, icilde untereinander. Über hielten, wielten,
vielten lässt sich keine entscheidung treffen, weil sie nur zueinander gebunden
werden (6mal).
Für solde, tvolde (praet. ind. und couj.) steht d durch (31): Micholde (dat.),
Isolde, solde (dat.), golde (dat.), holde (plur.) ; vergolten : malten 3037. 6507. 12 020 ;
daher 6426 vergolten : ivolten (praet.), : gescholten 17 836. 22 761 ; desgleichen 8615,
engolten (i^art.) : gescholten 17 899; : wollen 17 244-.
Der reim dulden (inf.) ; schulden (zu schelten) beweist d für dieses praet.
17 851. Daraus erschliesst man d für 8358 gülden (praet.) ; schulden (praet.) und
6812. 3550. 12 089 schulde (conj. praet.) ; vergulde (conj.). Die übrigen 16 reime
von hulde(n) (snhst.) : schulde(n) (s\i\)St^ : Überguide (aäj.) kommeri nicht in betracht.
ß) Nach n.
Nirgends hat Heinrich den leser im zweifei gelassen, wie er zu lesen habe.
Er reimt 23 satide (ind. und conj. praet.) auf lande, ande (praep.-adv.), rande (subst.),
Schande, sande (subst.), bände (subst.), dagegen nie auf -ante. Daher ist auch 10 232
sande ; bekunde (praet.), 15 285 ; brande (praet.) und 23 374 ; swande (praet.) zu
lesen. 17mal kehrt wände (ind. und conj. praet.) wieder. Derselben regel sind da-
her auch folgende reime unterzustellen (wo SchoU t druckt): 9157 wände : Jeande;
wanden : randen (praet.) 19 197. Das praet. wände, welches 8316 auf lande reimt,
hat dort auffallenderweise die intransitive bedeutung 'wandte sich'. Das praet.
kande stellt 14mal im reime aber nie auf sichere ^-formen, weshalb es auch in
Veit) = schlechtes tascheuinesser. Im Lesachtal: mujda mutter, fpda vater, 2)röd9
bretter, plöda blätter usw.
1) Vereinzelt finden sich noch jetzt in der niundart formen, bei denen aus-
lautendes / abgefallen ist: mgrkx markt (auf dem Wechsel zwischen scliriftsprache
und dialekt beruht auch der brauch ungebildeter leute, Steiermarkt mit t zu schreiben);
pluo, plur. 2)1119 < blaot blute; grts arzt, is er ist; gmp (< *ambt), er Jirp färbt;
pringg bringt ; SQnhx sankt usw. ; rwinfrös reinfrost, pfantsl (mhd. pfunselte) pfann-
kuchen ; QdlprQx hausname 'Adelbrecht' u. v. a.
2) d hat man ferner zu setzen: 5148 wolde : holde (praet.); : kohle 11155.
kolden : wolden 19 068. In der schwebe bleiben die 52 übrigen bindungen von
solde : wolde.
21*
312 GRABER
foli,'eiideii beispielen mit d gelesen werden muss : 2823 ; mnnile, 29 397 ; : nande
6015. 18 638. 16 524. 17 642. 21053. 29 262 und : rande (praet.) 11276. 5mal
reimt nande, dazu zählt dann auch 16 274 nanden : mandea; je 5mal reimen
sicande (sivcndeii) und rande und Imal brande [brennen) auf sichere rf- formen.
Daraus ergibt sich d auch für 15 172 brande : sivande. /-formen fehlen in diesem
typus gänzlich \
13 752 voJenden < *volenttm (praet.) : senden (P volendten!). Für die praet.-
formen iveinie, bescheinte, meinte, leinte, die 9mal zueinander gebunden werden, lässt
sich d auch mit hilfe der hss. nicht festlegen. SchoU verzeichnet nur für 1 1 756
V weint : bescheint, P bescheinte.
Bemerkenswert sind je 8 praeterita schunde(n), zunde(n), welche gesichert
werden durch reime auf gunde{n) (subst.), tavelrunde, künde (praet.), stunde, be-
g linde, munde usw.
Y) Nach ;•.
Nie gebraucht Heinrich v. T. d-formen im praet. kerte, erte, merte, lerte. Es
finden sich in der Krone 16 derartige reimpaare. Warnatsch führt aus dem 'Mantel'
vers 225 an : bekerden : werden und daneben aus der 'Krone' 17 646 kerde : erde :
erde. Doch beruht dieses zitat auf einem Irrtum. Das reimpaar 17 546 lautet kerte-
: erte, dasjenige von 17 548 erde : icerde".
Im allgemeinen bietet t : d noch keine gewähr für den kämtischen Charakter
der spräche der Krone.
2. Abfall des s.
11127 geben : des lebens ; 19 131 scharsachs : brach (praet.); : ungern ach
6796. Vermutlich auch vil : spils 22 701; denn gen. muss nach /^j^a^/en wohl an-
genommen werden. Die form scharsach findet sich auch noch bei Gottfrid, Bert-
hold V. Eegensb. und bei den bayr.-österr. (Mchtern Ulrich v. Lichtenstein, Heinr..
V. Neustadt, im Sigenot und in Seifrids Alexandreis ^.
1) Dem reimgebrauch im gedichte 'Der Mantel', welches vermutlich ebenfalls
Heinrich v. d. Turlin zum Verfasser hat, entspricht es, dass auch in der Krone 8213
und 23 505 mandel : icandel reimt. Die Storni kennt der dichter nicht.
2) nd erscheint kämt, in frtsandhi verunstalten (zu schände), sindl schale,
rinde (stadtspr. sm<Z). Igndrds ländlich. jjs<e«f/f beständig, standet stünde (dagegen
stantrle Ständchen), aniddum 'umundum' (städtisch: umjtmn). frswendr Ver-
schwender (dagegen swentr roder), sindr sünder, sindin sündigen.
Sonst nt: grante verdriesslich, Ighntr lachend, saalentH mit schwach ent-
wickeltem hinterteil. hant'e bitter, hintle hündchen, montl mantel, tsuntr zunder usw.
Wie Heinrichs spräche so schwankt auch die heutige muudart noch im ge-
brauche von d und t (< germ. p) nach l und r : sald'e schuldig und sultn schulden ;
feit, feltle feld, wildrn wildern und iviltusn 'sich roh, ausgelassen benehmen'.
t vor r .• fakher t e ivelt verkehrte weit, gepirte gebürtig, fahirtn verhärten.
p-trweis 'orterweis' = hie und da. hamkhertr heimgekehrter.
d nach r; gepirda (gleich wie gepirte), wirdn würden, purdn aufbürden.
'Höfisch' sind pirtn, gtvortn, ertn, ortnmig usw.
3) Abfall des ä im gen. von subst. lässt sich an lebenden formen der mund-
art nicht mehr nachweisen. Doch kann dieser lautvorgang für eine frühere sprach-
epoche ermittelt werden aus zahlreichen noch ungedruckten volksdramen und -liedern
wie auch aus kärntischen Ortsnamen, bei denen die gen. enduug geschwunden ist:
fridlax Friedlach (urk. Vrideloseiche oft belegt), plsldprf Pischeldorf (urk. Pischol-
fesdorf). pjJsofpjerg Bischofsberg u. a. m. Ferner entbehren die ursprünglichen
HEINRICH VON DEM TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 313
3. s : s und ss : z s.
1223 liegt in SchoUs text ein druckfehler vor, es soll heissen üz : grüs (körn).
niht umbe den grüz ist in der Krone beliebte Umschreibung des begriffes 'nichts'.
Lnnders : unkundez (comp, neutr.) 548; 18 117 griezen (dat. pl.) ; vliesen.
Pfeiffer (Freie forschung s. 120) schlägt vor: dar umbe ich nicht verlieze (conj.
praet.) das ich der namen niht enseit. P selbst scheint durch die doppelung sz
in verlieszen auf eine vorgenommene änderung hinzuweisen. Aber ein sicheres bei-
spiel für bindung von s : z bildet dieser reim nicht.
ivirs : mirz 24 423; saz : was 26 579; rossen : mervlozzen 982 ^
4. Abfall des n.
18 039 ividerrede (subst.) .• streben (inf.). 2202 brunne (nom.) .• sunnen (dat.),
P hronn : sonn, V sonne. Der acc. sunne steht fest durch den reim auf den nom.
^unne 12 809. brunnen (dat.) .• gewänne 6645 '-'.
21 533 zuo vehten : eime knehte. 25 710 muss mit Ehrismanu gebessert
•werden: Und obe iiich hete holden Gansguoter von Micholde. Dass der dat.
Micholde lautet, beweisen die reime auf golde und wolde 20 129 und auf wolde
13 033. Auch dafür gibt es einen beleg, dass Heinrich v. Turlin das praed. adj.
in beziehung zu einem objects-acc. setzt und mit diesem in formelle Übereinstim-
mung bringt : 26 085 Des müesten si in holden Haben . . .
n fällt am wortende weg: 2982 Virgiule (dat.) : hiulen (inf.); 20 986 sin
(inf.) .• undervie gehört wahrscheinlich nicht hierher, sondern es liegt textverderbnis
vor, der Singer beizukommen trachtet, indem er vorschlägt: desirdre moht es auch
wol sie.
Im inf. fällt n weg: 15 174 geheize (acc.) : smelzen. In den unechten verseu
des schi'eiberanhangs 30 021 ee erkennen : eteswenne (P erkennen : ettwenne). 24 249
vdhen : si sint iuch niht versmähe (adj.) s. Lexer III, 235. Im acc. sg. nam < namen
: vernam 8374; .• lobesam 10 438 ; .■ benam 16 520; .• gezam : vernam 21 590 ; .■ alsam
starken persönlichen subst. heute jeglicher flexion im gen.: s hansl des hans, s nisl,
s drakslr u. a. Die endung -s wurde endlich fallen gelassen in adverbialen Ver-
bindungen, wo ursprünglich zwei flektierte genetive nebeneinander standen: mästn-
täl meistenteils, änstäl, greastntäl eines-, grösstenteils, hnlbmtul 'halbenteils', zur
hälfte; hceintikstrig heutiges tages, heutzutage.
1) In der kärntner mundart erscheinen s und z sowohl im in- als auslaut als
stimmlose lenes: vgl. gidsn, vridsn, häsn (heizen), frlidsn, griasn, gratis grausen,
grgas gross ; ebenso flösn = vlozsen iron. für bände oder füsse, rösr rösser u. a.
Dass die beiden 5-laute aber in einer früheren sprachperiode verschieden waren,
geht mit Sicherheit aus ihrer verschiedenen Lautung in deutschen Ichnwörtern des
windischen hervor. Hier vertritt deutsches z durchweg ä.- ^JwsÄa busse, /a-Ma.s- gruss,
pösrnisd besser, füsl = ma. fäsl fässchen. Mhd. .s dagegen wird ^wiedergegeben
durch z: zihata sinnen, zmax (mhd. smac) geschmack; mza weise, huaz glas, farouz
pfarrhaus usf. oder durch s: hulsnö gewiss, mesä messe, kustä küssen, sj) und st
als .sp und st: spei spiel, fernst dunst.
Diese Verhältnisse ergeben für das deutsche s und z verschiedene artikuhi-
tionen. Das alte s muss .s-ähnlich gewesen sein, während z wie das s unserer
heutigen mundart mehr coronal gebildet wurde. In kärntner Urkunden wird erst
seit dem ausgang des 14. Jahrhunderts ss oder s für mhd. zz oder z geschrieben.
2) Infolge frühzeitigen wegfallens der endung -en ist nebst anderen auch
das subst. (ursprünglich «-stamm) pniii 'brunnen' in der mundart in die starke
deklination übergetreten.
314 GRABER
25 858. schat (acc.) < schaten : stat 8318. 25 323. schat (dat.) : stat 11634; : pfat
19 348. Im dat. plur. vriundinne : minne 1909 \
5. 11 n : n d.
27 431 brunnen (3. pers. pl.) ; erwimden (praet.) ; erivinden 'ablassen vou etwas^
aufhören'. Nur durch Ehrismanns konjektur wird die möglichkeit geboten, aus der
stelle 27 432 f. den richtigen sinn herauszubekommen: Unde doch encunden Sienie
von dein muote -.
6. Id : II.
Wahrscheinlich liegt 12 608 ein fehler in der hs. vor und dieser an-
scheinend dialektische reim hat fortzubleiben ; es muss heissen statt ze vilde : wil-
len — ze, Villen : willen 'auf den dörfern' ; villen begegnet auch 2119. 22 170.
C. Gaumenlaute.
1. gg : ck.
15 675 legge : ecke. Niemals wird inlautendes kk im kärntischen zu g oder
gg, wohl aber zu kh: Igklm (ahd. laccJia) lache; kröklin krachen machen, mhd.
krecken; nokhdle klösschen, srikhn bersten, mhd. seh riehen : lukhH durchlöchert.
Auf der anderen seite wird g (westgerm. gg) inlautend durch k (bezw. kk)
in anderen kärntner mundarten wohl auch durch aspii'iertes kh vertreten: ökkn
neben ögn Qgg&. rekkln neben regln quaken, plaudern, lökkn, daneben löggn reihe,
aufgeschichtetes holz, rakkrn sich abplagen (iterat. zu regen), glogge glocke.
Dieser Wechsel tritt auch nacli cons. ein: glinggern baumeln u. a. murkhn
girren, rceinkhdle in schmalz gebackenes brötchen, slankhlspui 'geriebener bursche'.
2. k : eh.
Heinrich v. T. bindet im in- und auslaute k zu eh. Die beispiele für In-
laut sind: linUrachen : kinnebacken 12 788; eiteräraeken : kinnebacken 13 645;
backen : drachen 13 406 ; drache : gesmacke 13 497 ; ; kimiebacke 26 648 ; für a u s-
1) Sch^vund des n lässt sich auch im heutigen kärntischen auf ziemlich breitem
fehle nachweisen; es ist abgefallen in allen mit dem dem.-sufiix -Ihi gebikleteu zu-
sammensetzuugen : isaunkhiniugle zaunkönig, sternle sternlein, pUdml'e blümlein,
wplgrU kosename für 'mädchen', (wplgv einen runden gegenständ wälzen), stanle
steinchen usf. (im plur. dieser subst. tritt n wieder zum Vorschein : dö sfernlan die
sternlein usw.).
n fiel ferner ab in fürwörtern vor konsonant. Anlaut des folgenden wortes:
m(ei JJU9 mein liebhaber, scei khint sein kind, ä pröt ein brett ; kha träm kein
ti'aum. Desgleichen hat das attribut. adj. nach präpositionen das auslautende n
verloren : mit plgase fii>sii mit blossen füssen ; j)«»! mere f/rtn an mehreren stellen ;
fgr einige stuntn vor einigen stunden usw. Dann ist n geschwunden bei der un-
flektierten form im neutr. einiger adjectiva, die in pausa auf« auslauten, und zwar
nur in Verbindung mit subst., die konsonantisch anlauten : ä khla pisdl'e ein kleines
bisschen; ä sea dirndlc ein schönes mädchen usw. und in adj., die mit dem suffix
-in gebildet sind: .sivceina fleis 'schweinernes' fleisch, häwra prgt 'habernes' brot u. a.
In einzelnen kärntner mundarten (Gurk-, Glan- und Lesachtal) gebraucht man
sogar noch intinitive auf-« ; spriuga, siuga, räfa springen, singen, raufen u. a., doch
sind diese formen im absterben begriffen (vgl. Lexer, Kämt, wb., spalte 149). Zahl-
reiche wichtige belege solcher inf. finden sich in ungedruckten volksschauspielen
und -liedern.
2) Im Lesachtal hört man noch heute formen ßmidn finden, drfinndn erfinden,
Kunne = Kunigunde. Im Glan- und Gurktal: dgs wilnrt w.'c das wundert mich.
HEINRICH VOX DEM TURLlN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 315
laut: 1232 beicac : l-yaeh (V ditz vngeluckes chrach, P slag). 5946 mac : krach
(P trag) ; toarch : harc 80 ; iverc : verch 12 089 ; neic (praet.) .- seic : gesiveich 6548
(zur Sicherung der form gesiveich beachte man die reime 3554. 8678. 8860. 9451.
9919. 28 320!). Wahrscheinlich dünkt mir auch Singers konjektur für 28 663:
neic : gesiveich : seic. Es heisst nämlich hier formelhaft : er gie unde gesiveich 'er
gieng und verschwand'.
Dagegen möchte ich 28 432 nicht unter die 'unreinen bindungeu' stellen.
Der passus lautet, wenn wir anders als Scholl und Singer interpungieren, 28 432 ff. :
Wan d'rre vrouiven dehein Dühte ivider sie zeniht{e) Kleider, schöne, geschiht;
Mit den er vil gerne gie. Im ersten satze sind Kleider, sc/iöne und geschiht die
gen. der Ursache, abhängig von dühte: 'was kleider, Schönheit und schickliches
gebahren anbelangt, verschwanden die anderen frauen vor ihnen ganz' {schöne
kommt als unumgelautetes subst. auch im reim vor)^
3. ch am Worten d e.
hö (adv.).-ivö 1423. 4163. 23 717. 22 947; : drö 3749. 4567 2.
D. Lautwech sei.
1. Wechsel z w i s c li e n c h und g.
Krone 6630 gesivichen (part.) .■ trsigen ; von sivichen ist das part. mit ch
belogt 11297: erblichen; der conj. praet. gesiviche : stiche 13 226. 20 231. 9313
gesivichen (part.) ; erivigen (part.) .• ligen. 11 947 entswichen : sigen (praet. von
sihen) : gcdigen (part.). ch ist für den infin. gesichert : 12 825 entswichen : st?'tchen,
3330 geswichen : entwichen; vgl. 6042 gesivichet : richet. Daher muss auch 8585
gesivichen : stgen gelesen werden. Der inf. hesivichen lässt sich 1768 nachweisen;
das praes. heswichet : gtrichet (part.) 4877; der conj. hesiviche : sicherUche 4732.
2. W e eil s e 1 zwischen g und h.
22 131 digen (= diJten) : gesigen ^.
3. l- wechselt mit h.
Es reimt das part. und apokop. praet. (be)daht {decken) 26mal auf naht,
mäht, aht{c) (subst. und praet.), betrahte, praet. vaht, slaht usw. smaht (praet.
von smecken) : mäht 9361 ; ; mäht : daht {decken) 28 725. Durch diese beiden reime
1) Aus dem heutigen sprachstaude Kärntens ergibt sich, dass sämtliche bin-
dungeu von k : ch zu fassen sind als .r-reime: urk. stoch i'nde stein, mach = mac,
werch u. ä. ksviQhn < gesmac, plöx block.
Germ, rk und rh erscheinen sowohl urk., als auch dial. als rch im in- und
auslaut; urk.: Vreiberh, püreh, march u.v.a.; dial.: mQvh mark (kuochen), werx
werk, werg, iverxtgg Werktag, pirxe birke u. a.
2) Auslautendes x ist in vielen fäUen geschwunden: 7 ich, ml mich, dl, si,
89 dich, sich, glcei sogleich, ä auch, h^a oder he < '^heach, hcch höher, -lieh in
liddrU lüderlich, grausla grauslich; koll.-suft'. -aclt: stauda, röna ■^: ronach. sio
neben smx schuhe, hpa oder Ifjax lohe.
3) Diese art des gramniat. wechseis hat sich bis lieute in den kärutuer muud-
arten erhalten. Zwischenvokalisches h oder x wird zu g: i säg.U = sa'he : ksegv —
geschehen, ksägdt — gesclia'he, kseg» gesehen. In der stadtsprache ist die form
des part. auf das praes. übertragen worden: slg i < *sich ich < sihe ich; feiner
tritt Wechsel ein in tsiihn — conj. praet. tsügdt, getsögn. susgdlan (pl.) 'schühlein'
< schuochclin u. a.
316 GRÄBER
wird h sichergestellt für 7322 smahte : dahtc und 26 419 uud für das ])?ivi. gestraht
{strecken) 11 631. 26 707 uud praet. rahten (recken) 14 683. Weiter aber ergibt
sich ht für blaht(e) 978. 16 860. 26 126 (auch wo Scholl et di'uckt: 16 812. 19 743.
23 703. 24 477). Diese form hinwiederum stützt das part. bestaht (stecken) 14 447.
14 254 gestakt (part.) .• daht (decken) wird durch D bestätigt. Daher ist ht
auch zu setzen 14 844 uud 15 812.
Endlich sichert das praet. daht die form unerschraht 7121 (part.), 5601 un-
erschraht : verdaht (praet.).
4. Wechsel zwischen ^^^ uud r.
26 879 genären (praet.) .• ■zürfre«, es tritt aber s für r ein in 12 534 genäsen:
mdsen (subst.) 'narben'.
III. Doppelformeu.
Wo Heinrich v. Turliu doppelformeu zur Verfügung stehen, hält er sich fast
immer au Hartmann und wählt dessen formen. Er wird nicht in dem grade herr
über die spräche, dass er die dialektischen formen gänzlich zu unterdrücken im
Stande wäre ; uud so bleibt es immer ein leichtes, die mundartlichen nebeuformeu
in den reimen ausfindig zu machen, auch dort, wo sie der dichter vermeiden will.
Darüber aber kann man sich bei einem dichter wie Heinrich, der ein un-
hebautes feld pflügt, wahrlich nicht verwundern. Leider war es nicht möglich, aus
der heutigen mundart in allen fällen belege für die eiue oder andere form anzu-
führen: teils sind sie hier ausgestorben, teils mir nicht zugänglich gewesen.
1. bede oder beide.
Beide formen stehen im reime. 2230 beden : Leden (dat.), also ganz zu an-
fang des werkes in der bindung zu einem gr. fremdwort, welches iu den übrigen
teilen der Krone uicht zur Verfügung stehen konnte.
Für beide zähle ich 64 reime (auf meide, gejeide, bescheide(n), kleider, heide,
leide, ireide usw.) '.
2. bin (apis) : hin 17 807.
Mau würde bei Heinrich eher die form ble oder bin erwarten, welche als
Vorstufe zu dem heute in Kärnten grösstenteils üblichen worte ^pceis oder pmia'
anzusetzen ist. Daneben aber kennt man auch dö p'in und pl. pJndn.
3. P r ä t e r i t a 1 f 0 r m e n von hä n und hab e n.
Zwierzina sagt darüber: 'das praet. von hdn muss für die Verwendung
schwankender und dialektisch unsicherer formen im reime einen prüfstein geben,
denn bei keinem wort wechselt der sprach- und reimgebrauch so wie bei diesem'.
Dies bestätigt sich auch bei Heinrich v. Turliu.
Die vorzugsweise österreichische form het, welche Wolfram und Hartmanu
meiden, reimt in der Krone: het und stet 313. 7500. 18 640. 22 291. 29 386. 29 677;
: Dahilet 7380; : get 22 291. 19 816. 16 309. 8120. Wahrscheinlich ist auch 20 822
het : erget statt der r?-formen anzusetzen ; hierher zählen ferner 1091 het : ToUt
und 15 721 .- magnet.
1) Auch im heutigen kärntischen sind noch beide formen zu hören : 2)eade
entspricht dem mhd. bede (e wurde vor d regelrecht zu fo) ; jj«c?e < mhd. beide
HKINRICH VOX DEM TURÜK UND DIE «PRACHFORM SEINER KRt'jNE 317
Es rnuss auffalleu, dass im ganzen werke keiii einziger reim vou Icct oder
hi'te zu sl^te u. dgl., welclies unter den f-reimen einen grossen räum einnimmt, und
nur Imal (6853 .• st<;te [dat.jj zu finden ist. Daraus ist mit voller siclierlieit zu
schliessen, dass diese form Heinrichs dialekt fremd war.
Wo er sieh des hete bedient, reimt er es immer auf e: hüte : clarete Krone
1195; : Lunete 1346; : bete 2820; : bete und tete 3086; : geivete 27 781. : claret
1301. 1449. 1680. 1897. 2503. 18 276; ; Giwanet 5646; : Lanzelet 12 876. : La ade-
let 15 653; : Seimeret 18 880; : bet 26 055; : tet 14786.
Heinrich meidet sichtlich alle reime auf die conj. form Mete oder hiet, welche
sonst bei innerösterreichischen dichtem gerne verwendet wird ^ Das mag sich aus
dem bestreben erklären, grobdialektische formen im reime zu unterdrücken. Der
einzige beleg für diesen conj. ist 3548, Jiiete : verriete und der kann dem dichter
folglich nur entschlüpft sein. Die offenbare absieht, hiet und hiete im reim zu
meiden, fällt um so mehr auf, als ihm ja reichlich reimmöglichkeiten dafür zur
Verfügung stehen : bieten, miete, gertet(e), schiet, diet u. v. a.
Für häte und häten gibt es in der Krone nur 2 beispiele: 13 867 hdten :
beraten ; : taten 25 892. An reimmöglichkeiten hätte es auch hier nicht gefehlt.
Während Hartmann im reime hdte gebraucht, folgt Heinrich hier Wolframs
beispiel, dessen heimat er näher stand. Wolfram kannte zwar het und hete im
sing., hatea im plur., hcete im ind. und conj. aus seiner mundart, reimte sie aber
nie. Ebenso sucht Heinrich v. Turlin dem gebrauch von hwte (conj.) im reime aus-
zuweichen. In den ersten 7000 versen der Krone fehlt die form gänzlich. 7038
lesen wir hcete : rcete : tmte; dann nach einer pause von mehr als 4000 versen
2 fälle: 11494 tiete : hwte und 11780 hwte : rcete und endlich wieder nach fast
4000 versen 14 864 ; vederwcete. hiete und hceten sind vorzugsweise Hartmanns
reimformen. Dass der dichter diese absichtlich vermied, geht aus der grossen zalil
von reimmöglichkeiten hervor, welche dafür zur Verfügung stehen.
Das ergebnis ist also folgendes: Heinrich v.T. kennt als ind.- und conj.-
formen des praet. von hdn und haben: het, het, hiet, hüte und hctte, gebraucht im
reime aber nur het und A^Y regelmässig, während er die übrigen formen mied, weil
sie einem ausserhalb des kärntisch-bayrischen dialektes stehenden damals anstössig
klingen mochten.
4. gdn — gen und .'^ichi — sten.
Der iuf. g d n erscheint im reim .• hchi 13 076. 14 809. 17 927 ; .• getihi 12 776.
18 815. 27 239; : vertcln 28 003; .• Christidn 16 942; .• remi« (part.) 19 398; : vertan
21608. 25 044. 25 296. gdn : tan 12 753; : an 12 137. 13 008; ; «ta?» 27 793. 20 681.
: dan 28 437. Daneben die indifferenten biudungen : gän : stein 10 989. 17 398.
2808. 15 424 : besiän : län ; : stdn 25 708 ; missegiln : siän 29 067.
Von a-formen kommen nur noch vor : die 3. pers. sing, indic. gcH : hat 20 395
•riU 10 770; : wät B953; : tat : rctt 1589; : hat : erldt 24 447; : hcH 20 248; : rät :
hat 6081. 15 271; vergCit : rät : stdt 24 862. zergät : hat 7312. 400. 96; begät : lät
9632; missegdt : lät 6564; gät : stät : lät 10 151 ; .• stät 14 486. 21 129; ergät : bestä
1168; : stät 28 555.
Die 3. pers. plur. cjdni : bestänt 25 261.
Die 1. pers. sing. conj. begd : Id 24 968.
1) Vgl. oberkärntisch hist (conj. praet.).
318 GRÄBER
Die 3. pers. sing. couj. ergu : da 12 022.
Das part. praet. weist nur -ä auf: (jegän : stän (inf.) 7378; : getan 17 123.
29 352. 25 489; .-getan und stän 20 263; : stän 12 996. gegän : an 12 158. 21003;
.• man 13 143. 20 594. ergän (part.) ; hän (inf.) 10 891. 16 531 ; ; getan 12 868.
27 468; : län 22 276; : an 18 289. 18 622. ?1 219. 24 427. 24 675. 24 852; : an und
län 27 567 ; .• geioan 21 457.
Das part. (ge)gangen ist das gewöiiülichere : gegangen : empfangen 1213.
9572. 13 691. 15 227. 17 380. 28 459; : gevangen 8119. 9540. 16 852; : langen 9187;
.-bevangen 12 397. 20 966. 23 002; : vervangen 14 784; : belangen 17 715; gangen:
bevangen 18 754. 29 274; .-langen 29 340. begangen : gevangen 3093. 23 553; : ge-
hangen 19 810; ergangen : gevangen 893. 3307. 3850. 4806. 5156. 5637. 7029. 9768.
9947. 12 453. 18 558. 29 780; .-vervangen 1969; .-bevangen 9052. 20 737; 11612;
: belangen 13 031; : langen 16 373. zergangen : gevangen 7617. 26135. 11528.
25 574; übergangen : bevangen 6880. 14 340; : enpfangen 7605; : gevangen 21848;
: undervangen 22 158; .-belangen 28 624. missegangen : enpfangen 5506; : gtvangen
29 021. 29 060.
Der inf. gen reimt : zwen 4280. 6134. 6938. 12 037. 17 874. 24179. 29 260;
:n-en(we) 12 387; ergen : zwen 3894. 4852. 19195. 29 100; .• ^H-e« .- */en 6139. 7439.
18 561. 26 283. übergen : zwen 15 466.
Indifferente biudungen sind wieder: gen : besten 6242. 16 600. 24 647; : gesten
15 215. 19 840; ': sten 18 886; : versten 28 828; gegen : gesten 26 781; ergen : besten
2608. 3244. 6207. 7536. 16 362. 25 785; .-gesten 7855; : understen 28 540. misse-
gen : besten 5964. 13 203. undergen : sten 3719. begen : sten 1683; : besten 5S73.
vergen : besten 4507; .-gesten 6624. zergen : sten 15 916; .-gesten 25 452.
Ferner sind e-formen die 3. pers. sing-, praes. ind. : g et : stet : Met 24 252;
:het.-siet 22 293. 311; : het 16 310. 16 817; g et : stet 32 (P) 3440. 6046. 7296.
2021. 25 476. 25 784.
Die 2. pers. plur. des imperat.: get! : het 8121. Die 3. pers. plur. praes.
indic. ist nur auf Stent gereimt: 1161. 19144. 23 742. 7104.
Von der 3. pers. sing. conj. praes. sind die e-formen in der überwiegenden
mehrheit: ge : e (adv.) 3508. 6362. 13 315. 24 008; : se (dat.) und me 24 522; : erge
.- e 3139. 3914. 9647. 13113. 14832. 20 678; .-beste 10 582; : tve 5881; zerge : me
22 779; : e 13838.
Der inf. stdn ist belegt : cappelän 8704; ; län 11388. 14273; : getdn 17 878.
23511; -.hdn 21958; : man 120. 21040. 27 717. 28829; : dan 1636. 7837. 21397.
-.an 12 872. 14907. 16 356: : an : ran 14495; began 22 678. 27 806; : hän 24339;
bestän : tvän 9729; ; gestän 12 481; ; verlän 20498; ; hän 17982; ; län : hdn 22844;
: an 1528. 29 474; : man 9628. 21907; v er stän : getan 26635; : tan 13 961; : an
25 846; : gestän : began 9926; ; mderstdn : getan 25 927.
Die 3. pers. sing. ind. .• stät : hat 240. 1106. 8063 usf. in 44 reimen. Endlich
gibt es a-formen ftlr die 1. pers. sing. ind. praes. verstän : man 17 689. 1. pers.
plur. praes. gestän : hdn 17 613 und 2mal für die 2. pers. pl. praes. bestät : lät 12 317;
verstät : hat 23 219. Die e-formen sind auch von sten viel seltener belegbar.
Der in^n. sten : zwen 2469. 2989. 9677. 4204. 10602. 15 773. 16184. 20 589. 20879.
21442. 23103. 23531. 29153. Endlich nur noch die 3. pers. sing, praes. stet:
claret 2483: : het 7500. 18 641. 29386. 29 678, und die 1. und 3. pers. sing, des
HEINRICH VON DEM TURLlN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRÖNE 31^
ronj. praes. sie : e (adv.) 23 953 ; wie 27 914 ; gesie : e (adv.) 7239 ; beste : e (adv.) 21 661.
23185; versie: e 24 710.
Die Verhältnisse liegen also folgcndermassen : Heinrich gebraucht ydn und
stän 146mal (das part. ffcgdn [23] mitgezählt), gen und sten nur 69rQal; die f?-formen
überwiegen ums doppelte. Hat Heinrich aber gdn, siäii, gut und stdt ge-
sprochen, welche der bayr.-österr. mundart erst durch entlehnung aus dem west-
deutschen zugeführt worden sind, so braucht man noch nicht zuzugeben, dass der
dichter sie in anlehnung an Hartmann, der ausschliesslich die ri-formen reimte,
verwendete ; sie werden nämlich auch in kärntischen Urkunden des 13. und 14. jahr-
liuuderts häufig gebraucht. Für die 1. und 3. pers. sing. conj. bevorzugt er die
e-foruien. Im ganzen gleicht er, was diese verba anbelangt, Hartmann, unter-
scheidet sich wesentlich von Wolfram, der gen und sien sprach und nur vereinzelt
die d-formen verwendete.
5. weste, loiste — ivesse, ?r is z e.
Von den präteriatalformen gebraucht Heinrich nur iv^ste im reim. Es findet
sich 14mal: 5828. 3125. 8501. 10188. 12747. 16178. 15263. 17 221. 17 947. 20771.
22809. 28 384. 12277. 21816.
Niemals reimt er (etwa wie Wirnt v. Gravenberc) wesse, obwohl ihm die
UQöglichkeit dazu geboten wäre; denn j^^^sse, messe, esse (subst.) könnten zu einem
reime doch verleiten. Aber selbst wenn die form in seinem dialekte vorhanden
gewesen wäre, hätte er es wohl nicht gewagt, von seinem vorbilde Hartmann abzu-
weichen (dieser reimt ausschliesslich weste). Die «-formen: ivisse und wiste, welche
bei Gottfrid vorherrschen, waren Heinrich gar nicht geläufig, sonst hätte er sie auf
miste, Ustt{n), vriste(n), krist{e), histe{n), ametiste{ii) reimen müssen, zumal dieser
reimtypus durch annähernd 100 reimpaare vertreten ist. Dem praet. entsprechend
lautet das partic. in den zwei reimen, wo es verwendet wird, gewgst (P gewisst)
3671. 16690.
6. k d m — k d in en, ko in — ko ni e n.
Heinrichs iufinitiv-form war koinen, wie sie auch bei Hartmann ausschliesslich
zur Verwendung gelangte. Hätte Heinrich nach seiner mundart gereimt, so müsste
sich auch quemen belegen lassen, da die heutige form khöiiidii {kliemdn) darauf
zurückzuführen ist.
Dagegen trifft er in der nachahmung Hartmanus mit seinem eigenen Sprach-
gebrauch zusammen, wenn er im praet. kam und kämen (nie hom, kämen und kövi,
kd'men) sagt. Denn der niundärtl. conj. praet. kJiäm9t setzt ein k(eme voraus und
diese form gehört wieder zu kam.
Wir finden kam im reime 2090. 3075. 3362. 5780. 7001. 7443. 8030. 8876.
9497. 9913. 10131. 10921. 12662. 12871. 12975. 13330. 15851. 16754. 17670.
18 692. 18904. 18994. 19 371. 20092. 20 621. 20840. 22504. 24620. 24731. 26117.
26764. 27 601. 27 700. 28125. 29666 und 12837, den plnr. kämen 566. 620. 5146.
5884. 9881. 12 078. 13935. 14413. 14 770. 18042. 22 799. 26 833. 27 429. 28 283.
kämet: nämctU^Q; der conj. lautet kceme{n) 3298. 15 984. 18923. 21206. 28344.
28 868. Das part. lautet immer homen.
Es zeigt sicli also (?), dass der dichter den inf. praes. aus Hartmann geholt hat,
das praet. aber nach seiner mundart beibehielt, schon weil sie in dieser form mit
Hartmanns spräche übereinstimmte.
320 GRABER
7. he(jan : heg un de.
hegan steht im reime 13mal (zur praep. an, zum subst. an, man, adv. dan,
praet. gewan) und 9mal zu hän üuf.), getan (part.), Idn (inf. und part.), stän, praep.
dn{e), im gauzeu also 22mal gebunden.
begunde (nie hegonde) reimt 39mal auf kunde(n) (subst. und praet.), ver-
siounden, wunden (subst. uud praet.), besonders gern auf Ständern) (subst.), vunden
(praet.), munde, Urkunde, gundc (subst. uud praet.) und enzunde.
Auch Wolfram uud Hartmauu befolgen im gebrauche dieser doppelformen
keine feste regel. Was aber nicht von diesen als 'literar. reim' entlehnt sein kann,
ist die auffallende 2. pers. plur. ind. praet. begunnet : gewunnet 16069. Dieser plur.
zu began muss wohl aus Heinrichs eigenem dialekte stammen. Das part. begunnen
kann nur aus den ersten 8000 versen der Krone nachgewiesen werden, und zwar
reimt es .• gunnen (inf.) 1639 ; .- gewunnen (part.) 5861 ; ; versimnen (praet.) 7547.
Aus dem starken überwiegen der sw. praeteritalform geht hervor, dass began
gewiss nicht Heinrichs form war, sondern dass er unter dem banne des vielbewuu-
derten Hartmann neben der einheimischen auch die fremde form verwendete.
8. läsen — Idn ; li ez — li c.
Die kurzen nebenformen (nach dem muster von gän, stau) werden im reime
häufiger gebracht als die vollen, und zwar für die 1. pers. sing. ind. praes., die
sonst nur selten belegt ist, ich lä, llmal : er{lä) : da 7297. 16662. 22 565. 25 013.
28462. 28 581. 29 910; : loä 22 242. 23 435; ; sd : da 25 549. 26177; ht (conj.)
; begä 24 968. Für die 2. pers. ind. {du last) in 5 reimen .- hd.it 10 377. 13 159.
13585. 17236. 26630. Für die 3. pers. (er Idt) : gdt, hat, stät, rät, tat. unvlät
in 11, für die 2. pers. plur. ind. (/r lät) in 7 reimen; für die 2. pers. plur. des
imperat. verldt ! in 1 reim .- rät, 8000. Sonst steht nur noch der inf. {Idn) in 35, das
part. (län, geldn) in 13 reimen.
Auch aus diesen formen gewinnt man die Überzeugung, dass Heinrichs r? -formen
gän und stän in seinem dialekte heimisch waren. Denn nur so konnten sich ana-
logische formen des verbums läzeti herausbilden. Die 2silbige form läzen wird gegen-
über einsilbigen (län) immer nur in prägnanter bedeutuug gebraucht, während letztere
die funktionen eines hilfsverbs übernommen hat (wie bei Hartmann).
Die 2silbigen formen gelten für das ganze praesens : ich läze (ind.) 3641.
16802. 19899. 23256. 27 378. 29097; ich, er Uze (conj.) 6213. 11373. 24314; ir
läzet (ind.) 26 046. läzen (inf.) ist 26mal, part. {ge)lazen 23mal gereimt.
Überwiegen also im praesens die einfachen formen, so liegen die dinge gerade
umgekehrt im praeter., wenngleich hier das Zahlenverhältnis bei weitem nicht so
grosse differenzen zeigt. Heinrich sagt liez uud lie annähernd gleicli oft; lies
überwiegt nur um 8 reime (lie gebraucht er nämlich 47mal, während liez 55mal
zu finden ist).
9. vähen, van, enpfdn — vienc, vie, en^ifie.
Heinrich kennt kein van, enpfäii im praes., wohl aber gebraucht er einmal
das part. praet. vervän : ergän (inf.) 19 399. Der inf. praes. heisst ausschliesslich
vähen und enpfähen. Beide stehen 33mal im reime auf nähen (adv.), versmähen,
ersähen, verjähen, gähen ; ausserdem findet sich einmal die 3. pers. sing. ind. praes.
cnpfähet 19613, und 3mal die 2. pers. pl. enpfdhet 3174. 7604. 19 533; vähet 4418.
Die 3. pers. sing. conj. praes. lautet gevähe 1015.
HEINRICH VON DEM TURLlN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 321
Im praet. stehen vie, enpfie neben vienc und enpfienc. vie reimt 34mal auf
gk, knie, hie, verlit usw., enpfie steht 7mal iin reime. Dagegen stehen aber 50 vienc
und 13 enpfienc.
Das part. heisst mit einer einzigen ausnähme ge-, hevangen und enpfangen..
Jenes findet sich im reime 51mal, dieses nur 12mal.
10. Farticipia der sio. v c rha auf — (nden.
-pidet : -ant gebraucht Heinrich in verschiedener weise. So findet sich neben
2mal sicher belegtem {vol-, ver)endet 23024 und 25 658 kein einziges geant, wie-
wohl dieser typus einen ausserordentlich breiten platz ausfüllt, -ant muss also seiner
heimatlichen mundart fremd gewesen sein.
Desgleichen findet sich nur geschendet im reim ; ernendet (praet.) 2564, dem
kein geschant zur seite steht. Aber bei den folgenden verben lassen sich doppel-
formen konstatieren.
Auf versivendet 29 553 folgt verswant : laut 29 652. Das Verhältnis ist hier
noch ein symmetrisches, 1:1. Die differenz wird aber grösser bei senden. Sichere
e-formen sind nur {ge-, be)sendet 1019 und 24844, und die beiden im reime auf
gleiche part. stehenden 12819 und 18 642. Die bei Scholl als -ant-iormen gedruckten
gesendet 22 884 und 27 816 müssen in schwebe bleiben, obschon in der gleichen
ausgäbe die neutralen reime gewendet: ernendet 11080; : gesendet : gelendet 19 311,
; volendet 27 309 und unerwendet ohne reimband 28 236 als 2silbige formen stehen,
gesant hat über die längeren formen das übergewicht. Es reimt 25mal, und.
zwar :lanl UAS. 5491. 6.562. 5701. 7903. 20 887. 22 491. 23 769. 24 867. 27 750.
28 601 ; : hant 561. 1958. 8122. 23 606. 24897. 25670; ; er-, gemant (part. und praet.).
7799. 9248. 9981. 24 728; ivigant 11.577; : hekant 1011; : Gant 505; : Gornomant
3308. Das Verhältnis der formen auf -endet zu denen auf -ant beträgt schon 6 : 25..
Es wird nahezu gleich bei dem part. von tvenden. Zu 7 {ge-, er)wendet
treten noch 2 hinzu : 21270 und 10115. geivant ist in bedeutender überzahl : er-,
geivant : hant 1708. 2123. 6999. 14368. 16353. 18026. 20148.20377.23 095.24 679.
26050. 26098. 28508; ; Za«i 4614. 18671. 21789. 27316. 27538. 27632. 29175.
29 499; ; vant 194. 29 851 ; : enpfant 6406. 18386. ; erkant (praet.) 22.35; ; hant 22349;
•.genant 19 368; -.hekant 237. 1681. 4089. 10 832. 11790g. 18 596.24 247, es ergibt
sich also das Verhältnis 9 : 37.
11. sit : sider.
Der gebrauch dieser partikel lässt deutlich erkennen, wie der dichter in ein-
zelnen, man möchte sagen, unwichtigen dingen sich von Hartmann führen lässt.
In der Krone wird für reimzwecke ausschliesslich sU verwendet : 428 ; git.
lUO-.m (subst.); : strit 4966. 22 018. 22 637. 23862. 26 986; : nU 8256. 15 288;
: zit 6462. 20 941. 29 874. Dieses nur 12malige auftreten des wortes im reime
muss entschieden auffallen, da es erstens eines der häufigsten formwörter bei den
höfischen epikern ist und überdies eine menge von bindungen auf -U zur Verfügung
standen.
Es bedarf aber ebenso der aufklärung, warum Heinrich sicli des gebrauchs
von sider so konsequent enthalten hat, wie sonst kaum bei anderen doppelformen.
sider war eben Wolframs form und ist die fast allein geltende im kärntischen
dialekt. Heute lautet das wort {dr)sidr, wogegen man nur selten s(eit, drswit < sit
hört. Man wende nicht ein, für sider seien die reinnnöglichkeiten viel beschränkter
322 (ii'wVr.ER
gewesen: bindet tloeli Hciurich iu 23 reiinpaareu nider : toider : glider : lider : gevider.
sit ist eben die von Hartmann ausschliesslich gebrauchte form ; allerdings bleibt es
eine wunderliche inkonsequenz Heinrichs, wenn man die zahlreichen grobdialek-
tischcn merkmale seiner spräche mit der diktion Hartmauns vergleicht.
Nun erklärt es sich auch, warum s/t doch verhältnismässig selten im reime
steht. Seine eigene form wollte er nicht anwenden, die fremde aber lag ihm doch
nicht 80 im munde, dass er versucht gewesen wäre, sie häufiger zu bevorzugen.
12. Zwierzina betont, dass der dat. plur. des pers. pron. der 2. pers. im reim
bei jedem dichter untersucht werden müsse; denn es sei gar nicht so ausgemacht,
dass die Scheidung von iu und iuch in der ersten hälfte des 13. Jahrhunderts
noch allgemein w^ar.
In der Krone steht der dat. iu : umbe diu 4147. 4791. 7824. 23 490; : driii 4522.
IV. Der Wortschatz.
Eine anzahl von Wörtern weisen auf das innerösterrichisch-kämtische Sprach-
gebiet hin. Bei ihrer behandlung konnte ich mich im wesentlichen an das fast
erschöpfende Verzeichnis bei Reissenberger halten, nur wurde dieses um einige
Wörter vermehrt. Da sich auch die belegstellen daselbst vorfinden, glaubte ich den
hinweis nur dort anbringen zu sollen, wo er bei Reissenberger fehlt. Ich gieng
darauf aus, die spuren, welche auf die kärntische herkanft des gedichtes schliessen
lassen, durch belege aus den heutigen kärntner muudarten möglichst aufzudecken.
agenhuof (adj.) 19852 mit dem hufspalt behaftet (eine pferdekrankheit).
Dazu gehört kärntisch pgn 'splitter, Stachel, spreu vom gebrochenen hanf oder
flachs'. Aber Heinrichs form ist genau auch erhalten in dem missverstandenen
obvh U9f9t: dies wii'd von einem pferde gesagt, dessen huf gespalten ist (Gurktal.
Fehlt bei Lexer, K. Wb. und Schmeller).
agleistervar (adj.) gefleckt wie eine elster; w. e. elster aussehend 24754.
27996. Dazu gehört kärntisch pgbstr elster (Tiffen, Feldkirchen, Pernegg) und
Qghstrfarwe wie eine elster gefärbt, bunt (Strassburg, Gurktal).
{sich) helüchen (stv.) eiuschliessen 12073. 19462. 19 706. 22 053. 27 641;
kärntisch si 'pelaux)) (auch lu'kundlich) 1. sich erholen, sich gütlich tun, ursprünglich
sich eiuschliessen, sich von der arbeit zurückziehen; 2. betrügen; 3. sich ein-
schleichen und stehlen, heimlich nehmen (Mittel- und Oberkärnten; vgl. Lexer 173).
berthel (adj.) 9556. 12948 glänzend, licht.
Kärntisch de perxtl lichtschein, den ein spiegel wirft, wenn die sonne hinein-
scheint (Lesachtal; vgl. Lexer 21).
berücke (adv.) < bi rücke hinten, hinterher 27241.
Kärntisch berükx oder berüks hinter; h. fyln nach rückwärts fallen; in Zu-
sammensetzungen hat das wort auch die bedeutung 'heimtückisch' (Gurktal).
bit (stf.) 10 125 = Verzug, in der Krone öfter. Bisher kannte man das wort
nur als stn. aus Bonerius und dem 'Mönchlein'. Kärntisch da plt (?) das warten, der
aufschub, die Verlängerung, das borgen; s' hgt ivol plt es hat ja keine eile; af plt
nenidn auf borg. Auch p>eitn, warten, harren, auf borg geben, leihen gehört hierher
(im ganzen westlichen Kärnten).
bogenrucke (adj.) mit gekrümmtem rücken 19 845 (pferdeki-ankheit).
Kärntisch pögm-ukhdt = khrceitskrump mit derselben bedeutung (Gurktal; vgl.
Schmeller I, 217).
HEINRICH VOX DEM TURLiX UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 323
beere (stf.) 9410. 25678 höhe, erhebung, erstreckung. Dazu kärntisch ^jör
der erhöhte teil der tenue (Nockgegend) ; po"r der erhobene platz in der kirche,
emporkirche ; di po"rlnhm vorhof der kü-che (Lesachtal ; Lexer 36.)
bräme 17111. 2-4 690 (rubus, vepres) bildlich niht ein bräme gar nichts.
Erhalten im kärntischen promiigl m. narae eines waldes im Gailtal ; pt-gmlim die
birkhenue ; jjrpmitse geliöft, wald (Mittelkärnten ; Lexer 88. j
bi'( chstcezec (adj.) 19 845 bauchstossend (fehlerhafte gangart des pferdes).
Das wort müsste heute pauxSteasat lauten, doch ist es mir nicht bekannt.
dar chv allen 19 767 zerfallen, mit dem hochton auf der 2. silbe. Kärntisch
durxf'gln oder drfpln : a ärfglm stol ein zerfallener stall (Gurk-, Glan-, Gailtal,
Oberk.).
durchrihen (stv.) in reihen diu'chziehen, aneinanderreihen 29 220. Dazu
kärntisch rlxl die egge, weil darauf die zacken in reihen geordnet sind ; in jlgks
r'ixlii den flachs durch die kämme ziehen, dass er in reihen daliegt (ob. Drautal,
Mittelkärnten, Lesachtal).
(ukel (stm.) ein obd. und ud. weitverbreitetes wort: fusskuöchel 15 485.
Kärntisch e>jJM, auch in e^glpo^^ge eUenbogen (Gailtal; Lexer 84.)
en tri den (stv.), D sich umbe riden winden, drehen, wenden 14 630 und
sich ent riden sich loswinden 24892. 27 300 u. ö. kärntisch r'idn (schwach
flektiert) drehen, wenden, in Unordnung bringen, zerrütten; riddx (collect.) das
abgedroschene, zerrüttete stroh. Dazu gehört ferner reidn (f.) krümmung, wendung
beim gehen und fahren; a reidn mgxn einen grossen umweg macheu; af dr reidn
scein auf dem rückweg sein (Lölling) ; reidn drehen, wenden, umkehren (allgem.
kärntisch ; Lexer 208, 206).
Die form entriden flndet sich ausser in der Krone nur noch bei Heinrich
V. ]\Ielk 'Von des todes gehügede\
sich erboln (swv.) sich aufwerfen, erheben 19 647.
Kärntisch p<^lnan oder palnan sich erheben; in der Jägersprache ; dr hirs
PqU se, wenn er sich gegen die verfolgenden hunde stellt (Nockgegend) ; si pöln
sich aufwerfen, anschwellen (von wunden), di pöln Aie ^ch^fiele. dicke haut (Gaütal ;
Lexer .35).
err ecken (swv.) ganz aussprechen, zu ende erzählen, ergründen 13016.
16 975. 25232.
Dazu kärntisch rekkln und regln plaudern, schwatzen, viel reden, gross-
sprechen und rixln wiehern (von pferden). (Osaiachersee, Feldkirchner gegend,
Oborkärnten; Lexer 206.)
ervlöuwen (swv.) ausspülen, auswaschen 6793.
Kärntisch {aus)jleaicrn, {aus)pleawrn oder -fleicrn auswaschen, ausschwemmen
(Schmeller I, 783.J Mit konsonantenwechsel fleadrn und fl(>drn mit wasser plätschern,
damit den boden beuässeu; flfidr wasser, worin gewaschen wird (Gurk- und Glantal,
Nockgegend, Lesachtal).
ertveben (stv.) durchweben, ganz zu ende weben 7725. 10514.
Kärntisch drwöbm ganz durchwehen, eine webearbeit vollenden (Gurktal, n. vom
Wörtherseej.
värslac (stm.) hinterlistiger schlag 27136.
324 GRAUER
Dazu kärntisch /rfr/^, liintrfurig verkehrt, hinterlistig; ^/j7r« jeinandeu reizen,
in gefahr bringen (Drau- und Lesachtal, MöUtal).
d az V ()• {: n-fr), P das vare fahrgelegenheit zu wasser, fähre, kahu 17 341.
15 378. 17 348.
das far die fälire, ort der überfalirt bei Schnieller I, 737. In den iiihd.
Wörterbüchern fehlt das wort und noch bei Grimin 3, 1247 steht zu lesen, dass im
nihd. kein ver {= fähre) belegt sei.
vermeinen (swv.) 4149 verwünschen, verfluchen. Sonst noch belegt aus der
Kaiserchronik, dem Rolandslied und Hug v. Langensteins 'Martina',
Kärntisch äa frmändn bezaubern ; s frmdnte (entstanden aus dem part. perf.)
eine krankheit, welche neugeborene kälber (aber auch kinder) befällt, wenn sie
durch den jbösen blick' eines menschen verwünscht werden (Lexer 189).
vi ur wilde (adj.) 26 726.
Kärntisch fairioilt oder fmirtsQrne sehr wild, sehr aufgebracht, sehr zornig.
Besonders von wildgewordenen rossen gebraucht ((Iberkärnten, Tiffen).
gaudUi (stf!), auch daz (jaudm. 3308. 3389. 3413. 3721. 4247. 10215. 12156.
12635. Die hunde werden gegen die gaud/n gezogen. Sie kann in flammen stehen.
Der gesang durch tönt sie, dass sie davon erklingt. Die königin sitzt darin und
wärmt sich. Die Artushelden reiten in die gaudin und lauern dort auf Gasozein,
der ansprüche auf Ginover erhebt. Es kommen leute in die gaud/n geritten : 'gein
der gaudin üf einem salK
Was an der Verwendung des wortes auffallen muss, ist, dass die im Wörter-
buch stehende und bei Reissenberger nachgeschriebene bedeutuug 'freude, freuden-
gelage' nirgends passt. Man hat sich unter gaud/n immer eine örtlichkeit
vorzustellen, sei es nun ein vollkommen abgeschlossener räum oder ein platz im
freien. Dazu passt das altfranzösische gaudine 'gehölz, wald', welches mit gaudium
nichts zu tun hat. Von dieser Urbedeutung ausgehend wird man das wort dann
verwendet haben im sinne: saal mit holz ausgetäfelt oder hölzerner saal und weiter
vielleicht für einen abgesteckten platz, z. b. 'burghof überhaupt. Die ursprüngliche
bedeutung 'wald' blieb daneben bestehen.
gaz hän satt sein, vollgegessen sein 13 629. 14 344. 14803. 27 804. 28 876.
Dazu kärntisch gatsn ätzen, füttern; gats9x speise, ätzung; gats die speise, der
frass der jungen vögel : dr fögl hpt nö di gats wird noch von den alten gefüttert;
aasgatsn ausschelten, vorwürfe machen (in Oberkäruten allg., Tiffen, Feldkirchen,
St. Veit; Lexer 110, 11).
gelanc (stm.) gelenk, das gebogene, biegung, kräuselung (vom haar)
9845. 19 686.
Kärntiscli glonhx, in älteren liedern und dramen Glauk, Gelank.
gelest (adj.) glänzend, schimmernd 4660. 19 635.
Dazu kärntisch gipst < gelast < gelest mit derselben bedeutung (Nockgegend) ;
gleist schimmernd, glänzend (Gailtal). Man sagt auch: frglgst hersaumn feucht-
glänzenden augcs.
g enicsam (adj.) hinkend (i)ferdekrauk]ieit).
Kärntisch khniksgm heisst ein pferd, das arbeitsunfähig, hinkend, an den
füssen schwach ist (Gurktal, Glantal; fehlt bei Lexer und Schmeller).
geraten (stv.) entbehren, entraten 19 077.
Kärntisch khrptn, grptn entbehren, sich enthalten (allg. kärntisch).
g espranc (stn.) hautkraukheit der pferde 19854.
HEINRICH VON DEM TURLlX UND DIE SPRACHFORM STEINER KRÖNE 325
Kärntisch kspravg und ksprev(jl hautwurm der pferde; infolge der begleit-
erscheiuungen auch 'rotzkrankheit' genannt (Gurktal, Nockgegend). In den Wbb.
nicht belegt, gsprenglt buntfarbig, fleckig (Tiffen).
g es pur (stn.) spur, fussspur 28 733.
Kärntisch kspür fussspur, anzeichen; in der Jägersprache häufig. Man sagt
auch: gfjr kha gspür davon ist keine rede, das ist weitentfernt.
gestin (stf.) fremde, weiblicher gast 1632.
Kärntisch göstiii eine (arme) frau, die bei fremden leuten einquartiert ist
aber zu anderen auf tagewerk geht; einwohnerin, die weder haus noch grundstück
besitzt, auch einlegerin ; wind, guost, guosija. Dieselbe bedeutung besitzen ^^f7(^^w<m
und göstireihJe (Allg.).
getarnen verhüllen, behüten 23587.
Käi'ntisch gdtgrndn verhüten, behüten (Nockgegend).
getöl (stn.) tolles wesen 17 452.
Kärntisch getöl mit derselben bedeutung (Mittel- und Oberkärnten).
gewi'te (swm.) der mit einem andern zusammengejochte, genösse, ein gleicher.
27 781 u. ö. Kärntisch gwöt das joch, welches mit riemen an den hörnern der zu«--
oehsen befestigt ist; wötn einjochen, zusammeuriemeu (Lexer 256).
giel (stm.) maul, rächen, schluud 7511. 9465. 13269.
Kärntisch dr gial kehle, Schlund (Lesachtal); rotwelsch di gial mund, raaul
(Lexer 114).
giten (swv.) gierig, habgierig sein 24 580.
Kärntisch gceitn oder gceitnsii geizig, habgierig sein ; gieit (subst.) geiz, ueid,
habsucht; gieitas und gceüikx geizig, knauserisch, aber auch in mildem sinne
'sparsam' (Westkärnten vom Wörthersee an).
glunkern (swv.) baumelu, schlenkern 18 242.
Kärntisch kJdut/khrn, khle»klirn mit den füsseu baumeln (Pernegg); ^3s
khlunkhrt di glokhn'' die glocke schlägt an. (Schmeller I, 1335.)
(golt)grüz 2023, 15 728. 18116 goldkorn.
Dazu kärntisch grceisl < *griusel etwas geringfügiges, ein wenig.
gneishi oder griashi in kleineu körneru hageln oder schneien, sich zu körnern
gestalten (Lesachtal, Gailtal Lexer 123).
grant (stm.) trog 22118.
Kärntisch grgnt, dim. grantl ein länglicher schrank zur aufbewahrung des
getreides, getreidetrog, getreidekasten (Oberkärnten), schrank überhaupt. (Lexer 121.)
grüwen (13 277) grausen empfinden, sich grausen.
Kärntisch kraunsn mit derselben bedeutung (Tiffen — Feldkirchner gegend).
hol er (P) stm. hollunder, ein blasinstrument 22104.
Kärntisch ho1rj)fceipl->n pfeifen, Avelche man im frühjahr aus weiden und
erlen (nie aus hollunder) macht, wenn die bäume in saft schiesseu. höh- oder holdr
hollunder, flieder, holrpjr hollunderbeere (Lesachtal, Oberk., Nockgegend).
kletven (swv.) grasen, gras schneiden, weiden 24253.
Dazu kärntiscli khleaiva, khleawdx ein dorf bei Liesing, in der amtssprache
kleewas gescM'ieben, in einer Urkunde von 1.548 die klehser, im 17. Jahrhundert
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLH. 22
326 GKABEK
khlebass, khlebixs; übersetzbar etwa mit 'Weidciiau', dorf in einer wieseureichen
gegend.
kr a geh ein (stn.) lialsknochen 19 701.
Dazu kärntisch hhiygt) hals, nackeu, schluud ; pbkhragJn den hals abdrehen,
umbringen (allgem. kärntisch).
Crinale haarschmuck 667. 732, lulat. Crinale, ornamentum. Nur aus der Krone
bekannt. (Vgl. Lexer 160.)
hör de (swf.) schnür, seil (mlat. cor^a) 1737.
[Dazu vielleicht kärntisch ggrl < *gordl. Hier wurde vielleicht das d assi-
miliert, g^rl bedeutet eine aufgewickelte schnür, aufgewickeltes seil und dgl. c er-
scheint im anlaut als g auch in garling < karren.]
leitsn aar (stf.) leitseil 14 507.
Kärntisch Igatsnur zügel, seil, au welchem das vieh geführt wird (Nock-
gegend).
lezltcli (adj.) ermattend, mit schwindender kraft = mzY Ze£:Z;''c7te»i i<?2'<en 28 090.
Vgl. kärut. lots schlecht, krank, schwächlich (Oberkäruten, Drautal); läsla
oder läsh, z. h. di sud sceint son läsla die schuhe sind nicht mehr zu brauchen,
'ganz heruntergekommen, schlecht' ; auch von einem sterbenden gebraucht (Gurktal).
Itt (stn. m.) Obstwein 1941. 1950. 7332.
Kärntisch Iceit obstwein. most (Lesachtal, Peruegg). Besonders in Zusammen-
setzungen : Iceitgöh oder Iwiggam ein 'baueruwirt' ; z. b. Iceitguh ts guntsnperg,
Iwlggam ts plsivög, l. ts tSQmrsperg usw. Im Gailtal heisst Iceitgöh auch noch vater,
hausvater, hauswirt. (Vgl. Lexer 177.)
Itte (swf.) bergabhaug, halde, hügel 19 897. 27392.
Kärntisch dö Iceitn, loiiti wiese oder ackerfeld auf einem bergabhang, steile
wiese oder alpe, hügel, abhang (allgem. kärntisch). Im Drautal loitn.
mtle (stf.) ein brettspiel 642.
Im heutigen kärntischen sagt man m/l fprn und nül isidgi), was in den wbb.
fälschlich zu mühle in beziehung gebracht wird'.
misseg eschiht (stf.) unglücklich auslaufende begebeuheit. missgeschick
28182. 23 659. 26 058.
1) Auf einem brette mit nebenstehender Zeichnung
stellen die zwei Spieler abwechselnd je einen stein an
einem beliebigen Schnittpunkte der verschiedenen Knien
auf. Gelingt es einem, drei steine in eine linie zu be-
kommen, so darf er dem gegner einen stein nehmen ;
eine solche reihe von drei steinen heisst eine mile (wjZ).
Sobald jeder seine neun steine augebracht hat, geht das
eigentliche spiel erst an. Gezogen darf immer nur zwischen
zwei einander benachbarten Schnittpunkten werden. Mit
jedem Zustandekommen einer mile verliert der gegner
einen stein. Wer zuerst alle bis auf zwei verliert, bat
auch das spiel verloren. Hat man nur mehr drei steine, so darf man 'springen',
d. h. die steine auf beliebige Schnittpunkte setzen, ohne im zug der. Knien bleiben
zu müssen.
HEINRICH VON DEJI TURLix UND DIE .SPRACHFORM SEINER KRONE 327
Kärntisch imsksi.ct, durch volksetyinoloi;ie mistgsixt, schlimme, böse geschichte,
Unglück- oder nachteilbringendes ereignis.
in oie (stf.) möve 10035 als Wappentier 18144. 18460 (der wasservogel larus).
In Kärnten kann man von bauern noch hören : is a moia aufJcflögn, ein
wasservogel an bächen und teichen. Das wort steht sonst nur noch bei bruder
Wernher als moyn.
plmehen schnell atmen, schluchzen 11530.
Kärntisch: schnell atem holen, keuchen —jj/«exn oder JJ/'ne7^3isJ^, anfangen zu
weinen ; nom. ag. pfnexix, pfnexdtsdx (in ganz Kärnten Lexer 25).
rahe (8wf. stange 1496).
Kärntisch dim. i-älil stange ; rähl oder rpggl ästige stange zum aufhängen
von klee, getreide usw. (Pernegg, Gailtal Lexer 203.)
r^cke (swm.) erprobter held. In der Krone sehr liäufig.
Kärntisch so" a rölcx her ! so ein starker mensch, so ein gewaltiger mann !
(Schmeller II, 44.)
rciselaode r (stn.) lockspeise, lockmittel 11 054.
Die ursprüngliche bedeutung von luoder hat sich im kärntischen luodr noch
erhalten : die Überbleibsel vom leichnam eines tieres, aas (Tiffen).
runztn (stn.) kleines pferd 19605. 19947. 19983. 20026. 20066. 20197.
Altfranz, roncin. Kärntisch a roiitsn kleines pferd, dann überhaupt etwas
kleines, schmächtiges (Gurktal).
schiel (stm.) 4600. 11908. 5529. 6789. 9750 Splitter,
Kärntisch si9l, sblv grosser Splitter, der sich von einem holze losschält oder
davon abgehauen wird. In dieser bedeutung nur kärntisch. Sonst bayrisch: schölle,
klumpe. Dazu gehört aucli kärntisch selftr splitter (beide im Feldkirchner gebiet,
Mittelkärnten, Lesachtal Lexer 217).
Sicherung c (stf.) 832. 3879. 5178 (und öfter) sicherstellung, versprechen
der Untertänigkeit.
Kärntisch dQ muds mr a sixrung iKjhm sicherstellung, gewisses versprechen,
Vorsichtsmassregel, Versicherung (Treffen, Gurktal); sixrung beisst auch der bestand-
teil des gewehrs, welcher das losgehen verhindert (Klagenfurt, Ferlach).
sott noch 8791 tuch, welches flüssigkeit aufsaugt, durch das man siedende
flüssigkeit giesst.
Kärntisch sQcittidxle tuch, welches die mädchen unter dem mieder am busen
tragen, ursprünglich schweisstuch (Nock.); fehlt in den Wbb.
Spänen (swv.) 12130 reizen, antreiben, abwendig machen.
Kärntisch spendn der mutterbrust entwöhnen, abgewöhnen ; jemand von etwas
abziehen, entfremden; phspendn. Die ursprüngliche bedeutung '■laetare'' anlocken,
an die brüst ziehen lässt sich noch erkennen im kompositum dr spanawin k;>merad
(mit ahd. wi7ii freund, geliebter) und di spanmvin freundschaft, kameradschaft
(Oberkärnten, Drautal Lexer 236).
stalboum (stm.) waldbaum, unbehauener bäum 5532. 6790. 26 713.
Kärntisch siplpämr die grossen lärchenbäurae, welche das ganze obere gebäude
tragen, roh zubehauener waldstamm (Sirnitz, Gailtal) ; bäum, der vom boden bis
zum giebel ragt und das dach trägt (Nockgegend) ; der bäum, welcher an der
22*
328 (JKABEK
krippe zwischen zwei pferde gelegt wird, damit sie sich beim ausschlagen nicht
treft'en (Klagen furter Umgebung).
siv(nden (swv.) schwinden machen 23375. 24172. 24174. 24452. 24684.
24 602.
Kärntisch swentn {an wqU) einen wald ausliacken oder von einem bäum die
äste abschlagen, siventr der reuter, der einen wald ausrodet (CTailt.), .m'enfn ver-
brauchen, zugrunde richten, vernichten, verderben (Strassburg, Tiffen, Villach).
swentU/>g ein mistling, swentliQfr name. (Lexer 229.)
toum (stm.) dunst, rauch 6682. 9321. 12167. 12 522. 14913 u. ö.
Kärntisch lüm dunst, qualm, rauchige luft; temig (adj.) rauchig, schwül;
tämnudl '.Drautal) dampfnudel ; täimn oder fe;«a;t ausdünsten, fig. gi'ossmütig, hoch-
mütig sein, prahlen. Davon auch tämis (adj.) betäubt, närrisch, unsinnig, schwindlig,
irrsinnig (sämtliche in Mittelkärnten, Lesachtal Lexer 51).
ühervar (stn.) 20 495. 21319 platz, wo man überfährt, mittel zum übersetzen
eines flusses.
Kärntisch ibrff/r brücke über einen fluss (Gurktal). Überfuhr (Drautal). fpr
das fahren (Gaital).
üb er seh ü r e (swm .) 26 638.
Dazu kärntisch sau^r, mwr hagelwetter.
übertiure stf. überhoher wert 3195.
Als subst. zwar nicht erhalten, wohl aber Ibrtoior (adj.l allzu teuer.
undertwäle (stf.) 29050 auf enthalt, Verzögerung und
entu-ellen (swv.) aufhalten, zurückhalten, warten trans. und intr. 3321.
6659. 24703. Dazu gehören:
^ Kärntisch a jjäxle ticgln ein bächlein abstellen, ableiten durch einen quer-
damm (Nockgegend).
unerlö stliaft unlösl)ar 8466 (nach V) P unlezlichen. Da unlcezltche und
tmhezidfche bisher nur auf md. gebiete bekannt war, ist es von Interesse zu wissen,
dass im kärntischen dies wort vorkommt:
undrläsi{g) unerlässlich, unbedingt notwendig, iindrleasla = 7iit tsdti drlensn
nicht aufzulösen, unlösbar. Diese belege aus der mundart sprechen für die lesart
von P.
unhelfes am (adj.) 9613.
Kärntisch (un)hilfsQtn wird von einer medizin gebraucht, die (nicht) wirkt:
hüfsQm^bdhilfU hilfreich tätig (Gurktal, Nockgegend).
unk und er (stn.) untier 19629. 28704. 28708.
Kärntisch khuntr ■widriges, böswilliges tier, böser mensch, schlimmes kiud :
du khuntr du! Im MöUtal heisst der igel khuntr. Im Drautal khuntr oder
verstärkt un khuntr der wolf. Dasselbe wort bedeutet im Pustertal 'werre''
Gryllotalpa vulgaris ; im MöUtal auch s khuntr — vieh, hornvieh, daher khuntr-
pud hirtenknabe. In Mittelkärnten : unkhundr untier, gespenst, auch als Schreck-
gespenst für schlimme kinder: irgri, hidts kimp dps unkhundr! (Lexer 169.)
unlasterbcere (adj.) nicht schimpf bringend, d. i. ehrend, ehrenvoll 25 356.
Dazu kärntisch IgstrpQr scheltenswert, jemand, der unrechtes vollbringt, Igstr
schände, schimpf, leastrn und löstrn jemanden schmähen (Oberkärnten, Gurk- und
Glantal virl. Lexer 173).
HEINRICH VOX DEJI TURLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRONE 329
unvuoc (adj.) unpassend, unschicklich 27812.
Kärntisch ttnfujg unrecht, unpassend, unschicklich, unfuag Csubst.) pnrixtn
oder tneihm, a u»kfi,igs tgan ungehöriges Iteuehmen, Unschicklichkeit, a unhfidgr
lakhl ungeschickter, widerspenstiger mensch.
unioendic (adj.) unabwendbar 24 071. 25 795. 27540. 27 856.
Kärntisch umoendi 1. von einem Stoffe, der sich nicht wenden lässt. 2. dgs
steat unwendi föst das ist unausbleiblich, nicht zu ändern (Mittelkärnteu, nördlich
Tom Wörthersee).
IV (eleu (stn.) das fächeln 6354. 6685 und
wäle (stf.) fächer 14 370. 14368. 14374. 14 375 zu ahd. trden wehen, /«-formen
finden sich noch im kärntischen : dr toähl der fächer, dann überhaupt etwas, womit
man fächelt, das man schwenkt, flg. winhvrthl ein grosstuer, ivähln fächeln, wind
maclien (Gurktal).
ivarhel (adj.) beweglich 26452.
Dazu kärntisch iverhl die rolle (Gurktal), sumverbl 'Elitropiwn\ im volks-
munde auch 'nachtfräulein' genannt: blume, die bei Sonnenuntergang die blütcn-
kelche öffnet, bei -aufgang schliesst (Gailtal, Wörthersee vgl. Lexer 255).
wen (stf.) leerheit, runzelhaftigkeit der haut 9417. Zu mhd. wan 'leer', das
sich in der Krone nicht findet; got. ivans.
Kärntisch wön mit übertragener bedeutung: bug, Vertiefung in einer blech-
pfanne oder einem kessel, ursprünglich 'stelle, wo die regelmässige linie unter-
brochen wird' (Pernegg, Tiffen).
ivercgadem (stn.) arbeitsgemach, arbeitshaus 7080. 10 361. 21991. 25 729.
Kärntisch gpdn, dim. gädnle 1. speise-, Vorratskammer des hauses oder
eigenes nebengebäude zur auf bewahrung des getreides. 2. Stockwerk eines hauses ;
tverxgpdn arbeitsstube (Tiffen, Gurktal, Lesachtal Lexer 105).
s 10 i seil ein (swv.), ^ zwischel mac/ien, zweifach machen 445, übertr. trimve
zivischein die treue brechen.
Kärntisch se tswisln oder tswisln sich auseiuanderteilen oder spalten. Dazu
tswisl ein in zwei teile gespaltener ast, tswlsht (adj.) zweifach gespalten, tswisl
auch 'zacke einer heugabel' (Treffen, Pernegg, Lesachtal vgl. Lexer 268).
V. der schreiberanliaug.
Wackernagel hat zuerst in seiner literaturgeschichte die Vermutung aus-
gesprochen, dass die letzten 40 verse der Krone (30 001—30041), wie sie in der
handschrift P überliefert sind, von einem abschreiber, nicht aber von Heinrich
von Turliu selbst herrührten. Auch von der Hagen beanspruchte für diesen teil
einen anderen autor als Heinrich.
Aus sprachlichen und inhaltlichen gründen lässt sich nun der beweis erbringen,
dass der schluss des gedichtes in P tatsächlich zusatz eines fremden ist.
30026 ff. heisst es: Ouch hin ich armer hie Vil tief üf stne gnade. Sin
hilfe mich entlade miner sorgen bürde. Diese bettele! wendet sich an ''des buoches
herre\ den besitzer des buches, das der Schreiber soeben in abschrift vollendet hat.
Würden diese worte wirklich von Heinrich selbst stammen, so müsste man sich
arg verwundern, wie der allenthalben so selbstbewusste und ritterlich-vornehme
mann nun auf einmal sich zum bettler erniedrigt und mit '■ich armer^ bezeichnet.
330 GRABEK, HEINRICH VON 1)E>[ TUKLIN UND DIE SPRACHFORM SEINER KRUNE
Nach dem ton des ganzen werkes zu scliliessen, kann man dem dichter ein der-
artiges benehmen nicht zutrauen.
Um ein abhängigkeitsverhältnis zu seinem lehensherrn oder göuner auszu-
drücken, hätte Heinrich v. T. einen ganz anderen weg eingeschlagen. Vermutlich
wäre er in der darstelluug seiner persönlichen beziehungen zu edelleuten dem von
ihm angebeteten und vielfach nachgeahmten Hartmann von Aue gefolgt und hätte
wie dieser am eingange des 'armen Heinrich' schon zu anfang der 'Krone' sein
eigenes geschick in die erzählung verflochten; oder hätte es ein mann von der
Sorte des obenerwähnten bittstellers über sich bringen können, so oft und viel vom
'glück' und seiner wankelhaftigkeit zu sprechen, wie es Heinrich in der Krone
getan, und dabei sich selbst gänzlich zu vergessen?
Den 'Armen Heinrich' hat unser dichter sicherlich gekannt. In starker an-
lehnung an A. H, vers 1 und Iwein 21 reimt er Krone 222 ff. : Als er es getihtet
Ze Karlingen geschriben las, Wan er so geleret was, Das er die spräche künde.
Gerade hier musste es ihn drängen, persönliche Schicksale zu erwähnen, falls er
überhaupt die absieht dazu besass. Aber noch an etwa sieben anderen stellen der
Krone lässt sich an nachahmung der eingangsverse des 'Armen Heinrich' denken,,
ohne dass wir nur einmal über Heinr. v. Turlin selbst etwas erfahren.
Ein weiteres argument für die unechtheit des Schlusses geben die reime
30027 gnade : entlade und 30003 gnaden : entladen. Dehnung des kurzen a vor
d findet sich sonst in der Krone nirgends, obschon gerade das wort gnade dazu
oft eingeladen hätte.
Aus dem anhaug selbst erfahren wir zur bestätigung unserer ansieht, dass
dessen Verfasser ein Schreiber war. Schon Haupt und Pfeiffer haben 30010 als
verderbt bezeichnet und emendiert: Des uninschet uns der loolgemuot Heinrich der
schrihcer e, wozu der folgende reim Der ungern des verheere herausfordert.
Dazu kommt, dass Heinrich an mehreren stellen des werkes sich als den
dichter bezeichnet, doch niemals mit dem prädikat «'o?^c;««o^. Schon deshalb können
wir uns die beiden nicht als identisch denken. Die stärkste stütze hierfür liegt
aber in 30016 ff.: Wan er {der wolgemuot Heinrtch) das buoch geschriben Jiäf,
Als ez der edele selb e schiiof. Diese stelle spricht es ganz deutlich aus, dass
der Verfasser der letzten zeilen nicht die Krone gedichtet, sondern nur abgeschrieben
hat. Bezieht sich die bezeichnuug der edcle nicht auf den auftraggeber des Schreibers,
sondern auf Heinr. v. T., so gilt sie wohl nur seinen charaktereigeuschaften, die
dem Schreiber aus der Krone lebendig wurden, und könnte als beweis für die ritter-
liche abkunft des dichters schon deshalb nicht gelten, weil die handschrift P mehr
als zwei Jahrhunderte nach der abfassung der Krone hergestellt wurde.
Die textverderbnis und das aus Zerstreutheit wiederholte wort Wolgemuot in
vers 30011 statt schribcere scheinen mir den schluss nahezulegen, dass die in P
vorliegende abschrift der Krone im günstigsten falle bereits die zweite kopie des
gedichtes darstellt; denn dass die schreiberverse bereits in P'' der vorläge von P
standen, liegt wohl auf der band,
Px wurde von dem Schreiber Wolgemuot Heinrich im auftrage eines höheren,
in dessen dienst er stand, gegen entgelt hergestellt; P dagegen rührt von einem
uns gänzlich unbekannten manne des 15. Jahrhunderts her.
Alle diese argumenta in Verbindung mit dem 'derberen ton', der in diesen
schreiberzeilen herrscht, beweisen, dass hier fremder znsatz vorliegt. Mag man
Heinrich von T. immerliin einen rohen und ungeschickten dichter nennen, wenn
HOLTHAUSEN, ZWEI ALTENGLISCHE RUJsENINSCHRIFTEX 331
auch über sein kompositionsvermögen von nun an durch Singer (ADB) ein günsti-
geres urtei] sich bahn brechen wird: die geschmacklosigkeit und sittliche rohheit
der verse 30 032 : 'Mhi wtp von ahtzec jäm, Die tvil got ze lange sparn\ darf
man ihm nimmermehr zutrauen. Das ist nichts anderes als ein plumper schreiberwitz.
Und das passte zu den zarteren und von allem minnegeist durchwehten
verse 29989 ff.! Wie hätte auch ein dichter — denn diesen namen verdient Hein-
rich V. T. trotz aller offenkundigen mängel der 'Krone' — , wie hätte ein mann,
der von ritterlicher gesinnung völlig durchdrungen ist und im frauenlob sowie im
preise der edlen und reinen miniie immer echte gefühlstöue anschlägt, der die schöne
apostrophe an die lothes sileze gedichtet hat (28 133 ff.), sich in derart geschmacklose
äusserungen verirren können? Die widmung an die frauen bildete einen hübschen
abschluss, bei dem die letzten zeilen des Parcival vorgeschwebt haben können.
Es ist ferner eine schwierige sache, anzunehmen, dass der dichter, nachdem er
30000 verse hindurch seine erzähluug in abschnitte geteilt, die mit drei durch
einen reim gebundenen zeilen scliliesseu, das ganze gedieht mit einem reimpaare
geendigt habe.
So vereinigen sich alle anzeichen zu dem Schlüsse: der Schreiber, welcher
seinem 80jährigen weihe einen baldigen tod wünscht, und der manu, welcher im
verlauf des gedichtes an mehreren stellen in zartester weise von einem liebesver-
hältnis zu jener dame spricht, der zuliebe er arbeitete, und die ihn zur dichtuug
begeisterte — , diese beiden können unmöglich identisch sein. Jener war gewerbs-
mässiger abschreiber, der für einen edelmann das gedieht kopierte, dieser aber ist
Heinricli von dem Turlin, der dichter der 'Krone'.
klactEnfurt. g. graber.
MISZELLEN.
Zwei altcuglische ruueuiusclirifteu.
1. Die beinlamelle des Bri t. mus eum s.
Im 41. bände dieser Zeitschrift behandelt von Grienberger s. 428 ff. eine
schon bei H. Stephens, The old-northern runic monumeuts IV, 47 ff", mitgeteilte
Inschrift, die lautet:
15 in 15 20 24
d. i. transkribiert: gadgecnapauahaddapipiswrat. Stephens deutete dies p. 49 so:
god gccnäp ärce Hadda, [n Jns wrät und übersetzte es: 'God knoweth (showeth)
are (favor) to Hadda, the (who) this wrote'. Mit recht weist v. Gr. jedoch darauf
hin,- dass die Inschrift am anfang gad, ([. i. gftd, nicht god bietet, und dass offenbar
aua, nicht arx zu lesen ist. Wenn er nun aber gecnäp als subst. — uhd. hechnäd
erklärt, die vier folgenden runen in äu äh 'immer hat' zerlegt und in pi die kon-
junktion /jg 'daher, deswegen' sieht, so kann ich ihm hier nicht folgen. Vielmehr
glaube ich, dass der sonst sehr phantastische Stephens das richtige erkannt hat,
wenn er gecnäp als verbalform und Hadda als cigennamen fasste, denn eine nord-
332 HOLTIIAT'SKN, ZWEI ALTEXdMSCIIE RUNENINSCHRIFTEN
liumbrische form gcciutp für gecnwwj) ist ja belegt, uebeu der geciiüjj aualogische
aufgäbe des umlauts zeigt; aua ist offenbar =:äwa 'immer' (ein äw gibt es nicht)
und pi die ältere form der relativpartikel pe. Da aber das präfix gi- schon als ge-
erscheint, ist vielleicht pi nur ein fehler für pe, veranlasst durch das folgende pns.
Ich transkribiere und übersetze den satz: gäd gccnäp äiia Hadda, pi pis ivrät
— 'maugel kennt immer Hatto, der dies schrieb'.
2. Die Inschrift des Braunschvv^eiger reliquiars.
Auf dem boden eines aus walrosszahn gefertigten reliquienschreins, der sich
früher in Gandersheim befand, seit 1816 aber im museuni zu Braunschweig auf-
bewahrt wird, liest man au den vier rändern zweimal die deutliche runeninschrift :
NF^rj^if^riTnRit+MMiwMsrRi^rii+Mri
1 5 10 ir. 20 25 30
d. i. lueligcelicauritnepiisighirceliinmti, wobei J* als eine andere wiedergäbe des i
gefasst ist. Hinter dem letzten fl stehen einige häkcheu, die wohl als Verzierung
oder raumfüUuug angesehen werden dürfen. Stephens, der das denkmal in vol. I,
378 ff. zuerst abgebildet und in seiner bekannten weise erklärt hat, trennte die
inschrift ah: urit ne/ni sighyor celt, in mungpcelyo gceliea^ was heissen sollte: 'wrote
(carved-this) Nethii for-the-sig-herra (victory-lord, most-noble) .Eli, in Muugpislyo
(Montpellier) of-Gaule' = 'Nethii carved this for the most noble .Eli in Montpellier
of Gaule'. Die spräche sollte nach ihm nordhumbrisch, die zeit c. 620—50 sein!
Nethii hielt er für irisch, .Eli für den heil. Eligius, bischof von Noyon und Tournay.
Diese wüste Interpretation scheint lauge alle forscher von dem denkmal ab-
geschreckt zu haben, denn erst S. Bugge nahm sich desselben in seinem werke
Norges indskrifter med de seldre ruuer I, 119 wieder an und gab eine neue, bessere
lesung und deutung. Er liest: lutlig lelie auritne J)ii sig liine liinviu, luid übersetzt
dies: 'sancta Eliae hoc (titulo) inscripta aspice huius membra'; Eliae sollte der
genitiv von ae. i/%, dem heutigen Ely [sprich: ili] sein, wozu hirce 'eins' gehören
würde; pAi deutete er als pi7~vfs. pp, sig als den imperativ von seon 'sehen', liinmu
endlich setzte er = ae. Z?>«;/ 'glieder'. Trotz des ungeheueren fortschritts, den diese
deutung gegenüber dem versuch von Stephens bedeutet, bietet doch auch sie uoch
manches recht bedenkliche, ja unmögliche. Abgesehen vom rein grammatischen
(cslieiür anglisch elie, uritne für uritene, liinmu für limu, sig für seoh oder seh) ist
die wunderliche Wortstellung schon geeignet, unser höchstes misstrauen zu erwecken!
Es w^ar dämm dankenswert, dass v. Gr. a. a. o. s. 431 ff. einen neuen deutungs-
versuch unternahm. Er fasst pH als dialektische form für peow (in Wirklichkeit
heisst die form aber pieotve oder peoicu !), worunter er die Jungfrau Maria als ancilla
domini versteht, erklärt sig — s7 '■seV (imperativ!) und liinmu als ableitung von
leoma 'glänz, licht' (grundform Hiumi). Die inschrift soll dann bedeuten: 'sancta
Eliae ascripta virgo sis eins lumen' = 'heilige, der aalinsel zugeschriebene Jungfrau,
sei ihre leuchte!'
Aher auch diese deutung leidet an schweren mangeln und kann deshalb nicht
befriedigen. Von seinen vorschlagen ist mir bloss die erkläruug von sig = s'i annehm-
bar, das aber natürlich nur der optativ, nicht der imperativ sein kann; das merk-
würdige auritne lässt auch er unerklärt. Ich wage deshalb einen neuen versuch,
die rätselhafte inschrift zu deuten.
Zunächst ist hMig als nordhumbrische nebenform von hrdig 'heilig' sicher
FREDEKKINCt, zu GOETHES FAUST 333
richtig erklärt; das folgende (elie fasse ich als fehler für <elice 'gesetzlich' (vgl.
hagustadaE~hagustaJ(taji auf dem steine von Strand oder Kjolevigi; in auritne
und liinmii nehme ich dieselhen huchstabenverstelluiigen an, die auch sonst in runen-
iuschriften vorkommen (vgl. den = ntd oder end auf dem Clermonter runeukästchen
oder oidjm- für wolpu- auf der Torsbjerger zwinge). Gemeint sind gewiss auriien
— äioriten 'ge-, be-schrieben' und ///»«»i = Z^num 'leintüchern'. Die deutung Bugges
von pii als pi, J^y (offenbar beeiotlusst durch liwy < luvt) ist nicht zu beanstanden,
und es kommt nur noch darauf au, zu bestimmen, wo die inschrift beginnt. Ich
möchte in (??/[c](? den anfang sehen und konstruiere: a-licc ünriten, Jni sig liir<e
liinum hielig, wobei. ein P)is scrhi is in gedanken zu ergänzen ist. Entsprechend
übersetze ich: '(dieser schrein ist) gesetzlich beschrieben, darum sei (er) ihren lein-
tüchern heilig!' Wegen der auslassung des pronominalen Subjekts (hit) im zweiten
Satze verweise ich auf die bekannte abhaudlung Pogatschers im 23. bände der Anglia,
s. 261 ff. In dem reliquiar befand sich nach v. Gr. s. 436 'ein stück vom hemde der
heil. Jungfrau und ein stück von ihrem kleide'. Merkwürdig bleibt immerhin, dass
die frühere trägeriu so unbestimmt -durch den gen. hiro' bezeichnet wird!
KIEL. F. HOLTHAUSEX.
Zu (joethes FaKst.
344 Doch ihr, die echten göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig reichen schöne !
Das werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass' euch mit der liebe holden schranken. —
Der ausdruck 'umfass' euch mit der liebe holden schranken' bedarf wohl der
erklärung, denn er ist oft missverstauden worden : die engel, vor allen die drei
erzengel (siehe die einleitenden Strophen des prologs) sollen willig und freudig sich
der betrachtung des werdenden hingeben und darin aufgehen, wie der liebende in
dem bereiche seiner liebe, in dem 'zauberkreise' der geliebten sein volles genüge
findet. Vgl. 7444 Nun ist mein sinn, mein wesen streng umfangen (Faust nach
Helenas erscheinen) ; Elegie (in der trilogie der leidenschaft), 10. Strophe : Ins herz,
das fest wie zinnenhohe mauer sich ihr bewahrt und sie in sich bewahrt — sich
freier fühlt in so geliebten schranken — ; Weltseele, letzte strophe: Und
bald erlischt ein unbegrenztes streben im sei' gen wechselblick; an Schiller, 6. april
1801 : Die dichtkunst verlangt im Subjekt, das sie ausül)en soll, eine gewisse gut-
mütige, ins reale verliebte beschränktheit, hinter welcher das absolute
verborgen liegt.
554 Ja, eure reden, die so blinkend sind.
In denen ihr der menschheit Schnitzel kräuselt — .
'Der menschheit' ist hier gewiss nicht (mit Minor, Petsch u. a.) als dativ,
sondern als genetiv zu fassen; aber die bedeutung des wortes selbst ist nicht die
heute übliche kollektivische, konkrete, denn es hat hier keinen sinn, an abschnitzel
der menschen, der ganzen menschheit zu denken. Vielmehr ist 'menschheit' von
Goethe in dem damals geläufigen sinn von menschentum gebraucht, wie z. b. 1804
Der menschheit kröne zu erringen, auch wohl 4408 Der menschheit ganzer jammer
334 FUKDKRKING
fas^st micli an (siehe Erich Schmidt zu der stelle) und 6272 Das scluiuderu ist der
menschbeit bestes teil (vgl. Schiller, Ideal und leben : in der menschheit trauriger
blosse, und an vielen stellen der Philosophischen Schriften). Erst so scheint der
ganze ausdnick in v. 555, der doch manchem sonderbar erschienen ist, seine völlige
befriedigende erklärung zu erhalten.
1646 Ich bin dein geselle
Und, mach' ich dir's recht,
Bin ich dein dienei", bin dein knecht!
'Mach' ich dir's recht' wird wohl meistens in dem sinn verstanden : wenn
ich dich zufriedenstelle (durch meine leistungen) ; dann wäre aber der nachsatz
unverständlich. Die worte bedeuten einfach: wenn ich es dir damit recht mache,
wenn es dir recht ist, dass ich dein diener oder knecht bin und nicht dein geselle,
so trete ich in deinen dienst.
4715 So bleibe denn die sonne mir im rücken!
Der wassersturz, das felsenriff durchbrausend,
Ihn schall' ich an mit wachsendem entzücken.
Von Sturz zu stürzen wälzt er jetzt in tausend.
Dann abertausend strömen sich ergiessend,
Hoch in die lüfte schäum an schäume sausend.
Allein wie herrlich, diesem stürm erspriessend.
Wölbt sich des bunten bogens Wechseldauer,
Bald rein gezeichnet, bald in luft zerfliessend,
Umher verbreitend duftig kühle schauer.
4725 Der spiegelt ab das menschliche bestreben.
Ihm sinne nach und du begreifst genauer:
Am farbigen abglanz haben wir das leben.
Die letzten verse werden gewöhnlich gedeutet nach äusserungen Goethes
wie in der Pandora vom menschengeschlecht, 'bestimmt erleuchtetes zu sehen, nicht
das licht', oder in dem 'versuch einer Avitterungslehre' : Das wahre, mit dem
göttlichen identisch, lässt sich niemals von uns direkt erkennen, wir schauen es
nur im abglanz, im beispiel, symbol, in einzelnen und verwandten erscheinungen — .
Aber zu einer solchen deutung stimmt der Wortlaut unseres textes nicht: der
regenbogen spiegelt das menschliche bestreben ab, genauer: an ihm als dem
farbigen abglanz der sonne (nicht am regenbogen als solchem) haben wir das
(menschliche) leben. In ihm haben wir also ein gleichnis des menschlichen lebens
lind strebens in seinem Verhältnis zum göttlichen: wie der regenbogen ein abglanz
des Sonnenlichtes ist, so ist auch unser streben ein abglanz, eine oifenbarung des
göttlichen lebens. Und für diesen gedanken hätten wir eine parallele in einer
äusserung des dichters in dem theatervorspiel vom 19. September 1807 : 'So im
kleinen ewig wie im grossen wirkt natur, wirkt menschengeist, und beide sind nur
abglanz jenes lulichts droben, das unsichtbar alle weit erleuchtet'. Vgl. auch das
zahme Xenion: 'War' nicht das äuge sonnenhaft, die sonne könnt' es nie erblicken;
lag' nicht in uns des gottes eigne kraft, wie könnt' uns göttliches entzücken?',
und aus dem 'Proömion' (2.): 'Ihm ziemt's, die weit im Innern zu bewegen, natur
in sich, sich in natur zu hegen, so dass, was in ihm lebt und webt und ist, nie
seine kraft, nie seinen geist vermisst'. — Übrigens ersehen wir aus dieser stelle
des Faust (auch nach der gewöhnlichen erklärung) und ebenso aus dem ent-
zu GOETHES FAUST 335
sprecliendeu Paral. 63 (anfang: Er wacht aiaf, fühlt sich gestärkt, verschwunden
alle Yorliergehenfle ahhäugigkeit von Sinnlichkeit und leidenschaft. Der geist, ge-
reinigt und frisch, nach dem höchsten strehend), dass Faust sich schon jetzt 'dem
ideellen genähert' hat und nicht erst durch den besuch der mütter. —
5677 Seht, wie die grimmen ungestalten,
Bewegt im rasch gewonnenen räum,
Das doppelflügelpaar entfalten.
Es scheint nicht überflüssig zu sein, darauf hinzuweisen, dass 'bewegt im
rasch gewonnenen räum' nicht, wie man zunächst annehmen möchte, eine appositiou
zu dem vorausgehenden Subjekt 'die grimmen ungestalten' ist, sondern zu dem nach-
folgenden Objekt 'das doppelflügelpaar'. Die drachen selbst haben ja schon lange
halt gemacht (5520 ff.). Vgl. 9510 : Und sie beschützen um die wette, ringsum von
wellen augehüpft, nichtinsel dich.
Nymphen im chor (sie umschliessen den grossen Pan).
5872 Auch kommt er an ! —
Das all der weit
Wird vorgestellt
Im grossen Pan.
Ihr heitersten, umgebet ihn,
Im gaukeltanz umschwebet ihn;
Denn weil er ernst und gut dabei,
So will er, dass man fröhlich sei.
5880 Auch unterm blauen wölbedach
Verhielt er sich beständig wach,
Doch rieseln ihm die bäche zu,
Und lüftleiu wiegen ihn mild in ruh' usw.
Obgleich in v. 5881 die ausgaben wie die handschrift den Indikativ 'verhielt'
bieten, kann doch kein zweifei sein, dass der dichter hier den konjunktiv 'verhielt"
gemeint hat: auch würde sich der grosse Pan unter dem blauen wölbedach beständig-
wach verhalten, wenn die bäche ihm nicht zurieselten und lüftlein ihn nicht mild
in ruh' wiegten. Und mir eben, wenn er aus solch einem schlaf erwacht, erregt
der sonst gute und fröhlichkeit liebende gott durch den gewaltigen schall seiner
stimme (panischen) schrecken. Der apostroph ist iu der handschrift weggelassen
(wie nach Ericli Schmidt auch sonst oft; siehe in der Weimarer ausgäbe bd. 15, 2
zu 4943 und 5388) und auch in den ersten drucken nicht nachgetragen. Ebenso
lesen wir z. b. in v. 4830 gieng', in H aber und in den ersten ausgaben von 1828
bis 29 gieng. Umgekehrt scheint 5388 der Indikativ begieng, der in den hand-
schriften steht, richtig zu sein, nicht der apostrophierte konjunktiv begieng', den
schon die erste ausgäbe bietet: wie er es begieng (und geuoss, 5385), so muss er
es auch büssen (vgl. 5386). Siehe auch Morris, Goethestudien II, 263 (2. aufläge).
6249 Du spriclit als erster aller mystagogen.
Die treue neophyten je betrogen.
Nur umgekehrt. Du sendest mich ins leere,
Damit ich dort so kunst als kraft vermehre ;
Behandelst mich, dass ich, wie jene katze,
Dir die kastanien aus den gluten kratze.
336 rUEDERKING
Nur immer ziil Wir wollen es ergründen.
In deinem nichts hoff ich das all zu finden.
Zur erläuteruui;- der behauptung Fausts, dass Mephistopheles ihn umgekehrt
wie die mystagogen betrügen wolle, dient nur der erste satz 'Du sendest mich ins
leere, damit ich dort so kunst als kraft yerniehre', und zwar ist hier der hinzu-
gefügte nebensatz nur scheinbar ein flnalsatz ; denn es ist nicht Mephistos absieht,
Fausts kraft und kunst zu vermehren : es ist dies eine folge, die Faust von seinem
gange zu den müttern für sich erwartet. Der zweite satz 'Behandelst mich' (usw.)
knüpft wieder an die erste behauptung 'Du sprichst als erster aller mystagogen'
(usw.) an und fügt etwas neues hinzu, und der sinn dieser worte scheint der zu
sein: Du redest so, als handelte es sich nur darum, dass ich statt deiner die kas-
tanien aus dem feuer hole ; ich hoffe aber bei den müttern mehr als nur das 'idol'
der Helena zu finden. —
6473 Zum weihrauchsdampf was duftet so gemischt,
Das mir das herz zum innigsten erfi'ischt?
Die worte des ersten satzes sind ungewöhnlich gestellt, denn die natürliche
folge wäre: was duftet so, zum weihrauchsdampf gemischt? Das ergäbe auch einen
richtigen vers ; doch wären dann die beiden zueinander in beziehung stehenden
prouomina 'was' und 'das' zu weit von einander getrennt. Vgl. z. b. 2927 f. An
einer wohlgeweihten statte zum ewig kühlen ruhebette.
7152 Wer sind die vögel, in den ästen
Des pappelstromes hingewiegt?
Ursprünglich hat Goethe 'in den ästen des Peneusstromes' geschrieben und
dann in der haupthandschrift den fehlerhaften rhythmus gebessert durch die änderung
'des pappelstromes'. Dieser ausdruck erschien jedoch den ersten herausgebern des
Faust unverständlich oder allzu kühn, und sie setzten dafür 'der sti'omespappeln'.
Die handschriftliche lesart ist mit recht wiederhergestellt, der pappelstrom ist aber
nicht ein von päppeln umgebener ström, sondern eine dichte oder dicht erscheinende
reihe wogender päppeln. Der aus Goethes gedieht ,Die glücklichen gatten' angeführte
ausdrack pappelbäche (die das neu gebaute haus umschlingen) bezeichnet dagegen
wirkliche bäche (zwei arme eines geteilten baches), die den wohnsitz umfliessen
und von päppeln umstanden sind, hinter denen das haus freundlich herausschaut.
Vgl. noch im ersten bände der Jubiläumsausgabe von der Hellens anmerkung zu
V. 65 desselben gedichtes (waffeuwogen, blinkender waffenfluss) und im Faust 7207
(Wolltest du zu unsern gauen dich ans grüne meer verfügen), 7010 (von grauer
zelten woge) und 9204 (der herdeu woge).
7172 Das sind die säubern neuigkeiten.
Wo aus der kehle, von den saiten
Ein ton sich um den andern flieht.
Das trällern ist bei mir verloren :
Es krabbelt wohl mir um die obren.
Allein zum lierzeu dringt es nicht.
Unter den säubern (musikalischen) neuigkeiten sind nicht die gleitenden und
klingenden reime der romantiker zu verstehen, sondern, wie das 'trällern' in v. 7175
beweist, italienisclier koloraturgesang und -spiel mit langen trillern und dergleichen.
zu G0ETHE8 FAUST 337
7953 Auf meiuein Harz der harzig-e dunst
Hat was vom pech, und das hat meine gunst;
Zunächst der schwefel . . . Hier bei diesen Griechen
Ist von dergleichen kaum die spur zu riechen.
'Zunächst der schwefel' hat man nicht recht erklären können und deshalb
den text etwas voreilig geändert in 'das hat meine gunst zunächst dem schwefel'.
'Zunächst' wird aber von Goethe auch anders gebraucht als heute, nämlich auch
zur hezeichnung der nächsten zeit und folge, also gleich nächstens, demnächst,
nächstdem, sodann; z. b. im Faust 1419 Und wir besprechen das zunächst (= näch-
stens), 8252 Doch war' er gern zunächst verköi'perlicht (= recht bald), 11042 So
könnt' ich wohl zunächst das ganze reich verschreiben (= bald) ; besonders aber iu
dem aufsatz Die skelette der uagetiere (1824) in der zweiten hälfte die stelle:
Daher der sammeltrieb und zunächst gar manche handlung, die einer überlegten
kunstfertigkeit ganz ähnlich sehen möchte (= nächstdem, sodann). Vgl. auch Pur-
kinje in Goethes aufsatz Über das sehen in subjektiver hiusicht (1820): zunächst
diesem Hesse sich behaupten; und Lessiug im LaokoonlV: Nichts nötigt hieruächst
(= ferner, sodann) den dichter — ^
8852 Durch Kastor und durch Pollux aber bald befreit,
Umworben standst du ausgesuchter heldenschar.
Erich Schmidt verbindet 'Umworben' mit 'ausgesuchter heldenschar', wie 8117
(Jahrtausenden so schrecklich als gekannt) 'gekannt' mit dem dativ verbunden ist;
jedoch ist hier die Verbindung vermittelt durch das vorausgehende 'schrecklich',
und auch das participium 'gekannt' selbst lässt sich leichter als andere passivparti-
cipia mit dem dativ verbinden (vgl. bekannt, cognitus, notus) ; ähnlich 6218 Göt-
tinneu, ungekannt euch sterblichen; ferner im Paral. 173, 1. und 2.: allen doch
begehrt. An unserer stelle aber liegt es wohl näher, den dativ mit 'standst du' zu
verbinden (wegen der Wortstellung). Goethe hat selbst zwischen diesen beiden Ver-
bindungen geschwankt und in einem seiner handschriftlichen entwürfe 'Standst du
umworben von ausgesuchter heldenschar' geändert iu 'Umworben standst du aus-
gesuchter heldenschar' und also 'umworben' von dem nicht mehr zugehörigen dativ
abgerückt ; in einem andern aber versuchte er 'standst du' durch 'vor' mit dem dativ
'heldenschar' zu verbinden. In der haupthandschrift jedoch Hess er den blossen
dativ stehen trotz der sprachlichen härte. Vgl. 10961 'Mit stolz in tiefster brüst,,
mit demut an gebärde stehu fürsten dir gebeugt', wo eine handschrift ursprünglich
ebenfalls 'Vor dir gebeugt' hatte (im anfang des verses, worauf dann wohl 'stehu
fürsten' folgen sollte).
9346 Schwach ist, was der herr befiehlt.
Tut's der diener, es ist gespielt:
Herrscht doch über gut und blut
Dieser Schönheit Übermut.
Nicht sowohl der befehl des herrn als vielmehr die gewalt der Schönheit
Helenas, der neuen herrin, nötigt den diener zu den dienstleistungen, die er gern
1) Nachträglich finde ich in dem neuen Faustkommentar von Karl Alt die
kurze bemerkung zu v. 7956: zunächst — nächstdem ohne begründung oder quellen-
anffabc.
338 rKKDKKRixr;
uud leicht, wie spielend, vollzieht. — Zu 'dieser sehiiaheit üherinut' möclite ich lieber
auf den Spruch hinweisen, den Goethe in der dritten abteilung' seiner Maximen und
reflexionen anführt (nr. 362 bei Max Hecker): Vis superba forraae. Ein schönes
wort von Johannes Secuudus (und bald danach : Schönheit und geist muss man
entfernen, wenn man nicht ihr kuecht Averdcn will). Der Übermut der Schönheit
liegt eben darin, dass sie eine solche gewalt und herrschaft über andere ausübt.
984:3 Welche dies land gebar
Aus gefahr in gefahr,
Frei, unbegrenzten muts,
Verschwendrisch eignen bluts
Den nicht zu dämpfenden
Heiligen sinn
Alle den kämpfenden
Bring' es gewinn !
Hier ist die Interpunktion der haudschrifteu und der ersten ausgaben beson-
ders mangelhaft'; denn es fehlt jedes zeichen nach 'muts' und nach 'sinn', während
nach 'bluts' ein punkt steht. Dass nuu nach 'muts' ein komma nötig ist, wird
niemand bezweifeln; ebensowenig, dass nach 'sinn' mindestens ein komma stehen
muss, gleichviel, wie man den text lesen uud deuten mag. Aber schwierig ist die
Interpunktion nach 'bluts' und die erklärung des akkusativs 'Den — sinn' und über-
haupt die beziehung der sätze und Satzteile in der ganzen stelle. Die Überlieferung
mit 'Den — sinn' ergibt keinen sinn ; was Riemer dafür eingesetzt hat 'Mit nicht
zu dämpfendem heiligem sinn' ist formell unmöglich und ganz unwahrscheinlich.
Sicher aber scheint die beziehung des relativsatzes (nebst seinen beifügungen) zu
'alle den kämpfenden' zu sein. Diese beziehung würde jedoch gestört durch einen
andern, vorgeschobenen dativ singularis 'Dem — sinn', den Erich Schmidt in den
text gesetzt hat. Ich wage die Vermutung, dass 'Den' aus 'Im' entstellt ist, obgleich
'Den' auch in Goethes eigenhändigem eutwurf dieser verse in H - zu stehen scheint.
AVie die Verderbnis eingetreten ist, lässt sich wohl vermuten, aber nicht leicht ent-
scheiden ^ ; doch wird der text durch diese, immerhin leichte änderung wenigstens
lesbar. Nach 'bluts' wäre dann gar kein zeichen oder ein komma zu setzen und
dieses mittelstück als eng zusammengehörig anzusehen: die in ihrem nicht zu
dämpfenden heiligen sinn ihr eigenes blut verschwenden.
11243 Dort wollt' ich, weit umher zu schauen,
Von ast zu ast gerüste bauen.
Dem blick eröffnen weite bahn.
Zu sehn, was alles ich getan,
1) Vgl. auch z. b. 6287 gestaltung, Umgestaltung, des ewigen sinnes ewige
Unterhaltung. Umschwebt von bildern aller kreatur, sie sehn dich nicht, denn Schemen
sehn sie nur. Überliefert ist ein komma nach 'Unterhaltung' und ein punkt nach
'kreatur'. Siehe noch unten s. 339 ff.
2) Nur eins will ich andeuten: jene eigenhändige uiederschrift der verse in
H - braucht nicht der allererste eutwurf derselben zu sein. Bei einer, auch eigen-
händigeji, spätem abschrift aber konnte sich leicht ein versehen einschleichen.
Und in der tat finden sich auch sonst in Goethes eigenen manuskripteu sonderbare
versehen, z. b. 9601 schmerz geschrei für scherzgeschrei, 9660 sonnen dui'chstrah-
lenden äther für sonnedurchstrahlten äther, uud anderes mehr.
zu GOETHES FAUST 339
Zu überscbaim mit einem blick
Des menscbengeistes meisterstück,
Betätigend mit klugem sinn
Der Völker breiten wobngcwinn.
Die letzten verse bedürfen wobl einer erklärung (vgl. den kommentar von
Witkowski) : Faust will von dem lugiusland überschauen, was er schon geleistet
hat, während er noch weiter bemüht ist, mit klugem sinn zu betätigen, d. h. durch
taten zu erweisen, dass viel land für ansiedluugeu gewonnen ist, wie er ja auch
hald darangeht, das neulaud noch mehr auszunutzen (siehe 11 501 ff. 11 539 ff. und
11 559 ff.). Goethe hat das wort 'betätigen' gern gebraucht, siehe die deutschen
Wörterbücher und z. b. noch den brief an Zelter vom 11. okt. 1826 (nach der mitte):
Man sollte sich beizeiten sagen, dass alles zu vermeiden rätlich ist, was man sich
nicht im genuss aneignen oder produktiv, sich selbst und andern zur freude, be-
tätigen kann (d. h. tätig verwerten), und danach könnte man Fausts werte auch
so erklären : den gewinn an bewohnbarem land tätig verwertend. Das participium
ist übrigens nicht den iuflnitiven 'zu sehn' und 'zu überschaun' untergeordnet, son-
dern dem ganzen satze beigefügt.
11 685 Misstöne hör' ich, garstiges geklimper.
Von oben kommt's mit uuwillkommnem tag;
Es ist das bübisch-mädchenhafte gestümper,
Wie frömmelnder geschmack sich's lieben mag.
Ihr wisst, wie wir in tief verruchten stunden
Vernichtung sannen menschlichem geschlecht;
Das schändlichste, was wir erfunden,
Ist ihrer andacht eben recht.
Hier sind die kommentare ganz unzulänglich. Der gesang der uugeschlech-
tigen * engel, die deshalb mann und weib zu verführen vermögen (11 781 f.), erinnert
den teufel an das bübisch-mädchenhafte gestümper von kastraten, das einer
verkehrten frömmigkeit gefällt, und was die teufel ersonnen haben, um das mensch-
liche geschlecht seiner Vernichtung durch aussterben entgegenzuführeu, verwertet
diese art von frommen bei ihrer kirchlichen andacht. Eine solche ertindung der
teufel entspricht durchaus der tendenz, zu der Mephistopheles im ersten gespräch
mit Faust sich bekennt (1388 ff., 1357 f. und 1364 ff.).
Zuletzt möchte ich noch einige stellen besprechen, deren Verständnis erst
durch eine änderuug der Interpunktion gewonnen oder gesichert wird. Goethe
selbst war in der Zeichensetzung nachlässig, ungleichmässig und eigenartig, und seine
philologischen korrekteren haben daran nicht viel gebessert. Nun ist es allerdings
durchaus berechtigt, dass die Weimarer ausgäbe die ursprüngliche Interpunktion
möglichst genau festzuhalten sucht; doch nicht nur unnötig, sondern nachteilig für
das Verständnis eines weitereu leserkreises ist es, wenn auch andere ausgaben, wie
die Jubiläumsausgabe oder die von Witkowski kommentierte, unserer heutigen,
genaueren Zeichensetzung nur wenig sich anbequemen, während sie die jetzige
rechtschreibuug, die doch mehr nur dem äuge des lesers eine erleichterung bietet,
1) Später erscheinen sie ihm mehr als buben (11763, 11767 und 11794).
340 KHEDKUICING 1
vöUii,'- aiigeiiouniKMi haben. Ich mehic zunächst fälle von dieser art: 1696 Kannst
du micli mit iienuss betrügen; das sei für mich der letzte tag! Hier sind Vorder-
satz und nachsatz durch ein Semikolon getrennt und so auch sonst oft. Ferner 4644
Grosse lichter, kleine funken glitzern nah und glänzen fern; glitzern hier im see
sich spiegelnd, glänzen droben klarer nacht. Nach 'fern' ein Semikolon, obwohl der
folgende satz anaphorisch mit demselben verbum beginnt und dasselbe subjekt hat.
Noch auffälliger ist der punkt in v. 6243 Du sähst doch etwas. Sähst wohl in
der grüne gestillter meere streichende delphine; sähst wölken ziehen, sonne, moud
und Sterne. Andererseits fehlt sehr oft jedes verdeutlichende Satzzeichen, meist
ein komma, wo der satzbau und sinn es erfordern, während es in genau ent-
sprechenden fällen sogar von Goethe selbst gesetzt ist. Z. b. 9180 Würdig, o würdig,
dreifach würdig sei gesegnet ein solcher empfang! (Nach dem dritten 'würdig'
muss ein komma stehn, weil es nicht adverbial ist, sondern eine appositive bestim-
mung des Subjekts). 9482 Wer die schönste für sich begehrt, tüchtig vor allen
dingen seh' er nach waffen weise sich um. (Ein komma nach 'dingen' aus dem-
selben gründe: der sei vor allem selbst tüchtig, dann aber sehe er sich auch weise
nach waffengenossen um.) 9491 Unsern fürsten lob' ich drum, schätz' ihn höher
vor andern, wie er so tapfer klug sich verband, dass die starken gehorchend stehn
('so tapfer' müsste zwischen kommata stehn: der so tapfer ist; 'klug' dagegen ist
adverb, wie in der ersten strophe 'weise'; siehe oben). 9651 Kräftig und zierlich
aber zieht schon der schalk die geschmeidigen, doch elastischen glieder listig heraus.
(Ein komma nach 'aber'! Auch hier sind eine appositive und eine adverbiale
bestimmuug — 'listig' — vereinigt \) 9802 Deinem gleich ist unser wille nicht so
leicht hinweggerafft. (Ein komma nach 'gleich'!) Die richtige Interpunktion bietet
in ganz ähnlichen fällen der dichter selbst, z. b. 7375 Dann Orpheus, zart und
immer still bedächtig, schlug er die leier allen übermächtig. (Deutlicher noch,
wenn nach 'Orpheus' ein kolon gesetzt wird; denn 'zart und immer still bedächtig'
ist eine apposition für das folgende 'er'.) 9603 Nackt, ein geuius ohne flügel, faunen-
artig ohne tierheit, springt er auf den festen bodeu; und sogar 7425 Wie war sie
reizend! jung, des alten lust! (d. h. in ihrer Jugendblüte des alten lust). Und so
noch vieles andere, z. b. 9691 Lass der sonne glänz verschwinden, wenn es in der
seele tagt, wir im eignen herzen finden, was die ganze weit versagt. (Damit man
gleich beim ersten lesen erkenne, wie die sätze zu sondern und zu verbinden sind,
sollte nach der ersten zeile stärker interpunktiert werden, etwa mit einem kolon.)
Doch sind dies immerhin stellen, deren sinn nicht zweifelhaft sein kann,
wenn mancher auch einen augenblick stutzen mag, vorausgesetzt, dass er nicht eben
gedankenlos darüberhin liest. Aber bedenklicher sind andere fälle, in denen das
Verständnis des lesers, das doch, besonders im zweiteu teile des Faust, noch mit
ganz andern, sachlichen und gedanklichen, Schwierigkeiten zu
kämpfen hat, durch eine mangelhafte Interpunktion erschwert oder geradezu irre-
geführt werden kann; ja manchmal muss der sinn der stelle wohl erst überhaupt
neu gewonnen und festgestellt werden. Hier einige beispiele, nach der reihenfolge
der verse geordnet.
1) Noch auffälliger ist die zusammendrängung der bestimmungen in v. 9645 ff.
Ursprünglich hiess es : Diesen zierlich kräftig geborenen kaum faltet — .
zu GOETHES FAUST 341
338 Von allen geistern, die verneinen,
Ist mir der sehalk am wenigsten znr last.
Des menschen tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte ruh' ;
Prüm geh' ich gern ihm den gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muss als teufel schaffen.
Der letzte vers wird wohl gewöhnlich als relativsatz gefasst, im anschluss
an 'den gesellen' und der Interpunktion entsprechend. Und doch ist der maugel
der Inversion sehr hart ^^nd diese Wortstellung (statt : und als teufel schaffen muss),
obwohl bei Goethe, auch im Faust, nicht ganz unerhört, doch hier fast unerträg-
lich. Auch sollte man dann nicht 'den', sondern 'einen gesellen' erwarten. Aber
wenn wir annehmen, dass der dichter hier nur ungenau interpungiert habe, und
nach 'zu' ein kolon oder Semikolon setzen, so haben wir in dem verse einen regel-
rechten hauptsatz, und 'den gesellen' (= den gefährten 3243) bedarf keiner
ergänzung, weil es demonstrativ ist. Vgl. z. b. 3470 Dass ich dich in der gesell-
schaft seh', 3475 Als des menschen widrig gesiebt (etwas anders 3241 Du gabst
zu dieser wonne — mir den gefährten, den ich schon nicht mehr entbehren kann).
Es scheint mir, dass diese Sätze, die der herr nicht mehr zu Mephistopheles spricht,
bei solcher auffassung und Interpunktion auch in der deklamation gewinnen und
natürlicher, ausdrucksvoller und energischer klingen.
1799 Und euch, mit warmen jugendtrieben.
Nach einem plane, zu verlieben.
Das komma nach 'plane' ist sinnwidrig, mag man auch die kommata, die die
adverbiale bestimmung 'mit warmen jugendtrieben' einschliessen, gelten lassen.
3408 Ach dürft' ich fassen
Und halten ihn,
Und küssen ihn.
So wie ich wollt'.
An seinen küssen
Vergehen sollt' !
Der bloss empfindende und geuiessende leser wird bei diesem leidenschaft-
lichen lyrischen erguss nicht nach dem genaueren sinn und nach der interpunktion
fragen. Aber manchem philologen wäre das Verständnis erleichtert worden, wenn
hier das ausrufungszeichen von anfang an nicht am schluss, sondern nach 3411 (So
wie ich wollt') gestanden hätte. Man wäre dann schwerlich auf den einfall ge-
kommen, dass der letzte satz bedeute : sollte ich auch an seinen küssen vergehen ;
und auch einen aufschrei des Verlangens hätte man dann nicht darin gefunden
('sollt" als Wunschform). Es ist zu dem vorausgehenden Wunschsätze der nacli-
satz, in dem die folge, statt mit 'würde', mit 'sollte' bezeichnet ist, weil Gret-
cheiis wille daran beteiligt wäre.
4634 AVenn sich lau die lüfte füllen
Um den grünumschräukten plan.
Süsse dufte, ncbelhülleu
Senkt die dämmerung heran.
Lispelt leise süssen frieden,
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE rilll.OLOCaE. BD. XLII. 23
342 FKEDEKKIXG
Wiegt das herz in kiiidesruli ;
Und den äugen dieses müden
Schliesst des tages pforte zu.
Nach dieser Interpunktion müssen wir annehmen, dass 'lispelt' und 'wiegt'
und 'schliesst' imperativformen der zweiten person pluralis sind und dass also die
elfen sich gegenseitig auffordern. Nun werden die elfeu allerdings von Ariel ge-
mahnt, an Faust ihre schönste pflicht zu erfüllen (4621 ff.), wie sie später von ihm
gewarnt werden (4666 ff.) ; in ihren eigenen versen aber würden sie nur in dieser
ersten Strophe einander anreden. Dies scheint mir dem stil und Charakter dieses
gesanges zu widersprechen, in dessen ersten Strophen die wechselnden erscheinungen
des abends und der nacht als solche, in ihrem eigenen, natürlichen ablauf und wirken,
geschildert zu sein scheinen. Wenn wir den puukt am ende des vierten verses
nach unserem brauch in ein komma ändern, so bleibt 'dämmeruug' das Subjekt von
'lispelt', 'wiegt' und 'schliesst' (letzteres intransitiv, wie z. b. in der szenischen
bemerkung am schluss des prologs im himmel: Der himmel schliesst). So ergibt
sich eine folge reiner naturbilder ohne eine störende Unterbrechung; die elfen aber
vollziehen die befehle ihres ineisters eben dadurch, dass sie diese verse singen, in
denen sie zugleich die fortschreitende beruhigung und genesung Fausts teils fest-
stellen (4640 f.), teils durch die unmittelbare anrede des schlafenden und erwachenden
befördern (3. und 4. strophe). Mit der überlieferten Interpunktion vgl. die der oben
angeführten stellen 4645, 6243 und auch noch 9517, wo wir wenigstens in der
Sophienausgabe lesen : Das land — , das früh au ihr hinaufgeblickt. Als, mit Eurotas
Schilfgeflüster, sie leuchtend aus der schale brach.
Gärtnerinnen. Euren beifall zu gewinnen.
Schmückten wir uns diese nacht,
5090 Junge Florentiuerinnen
Folgten deutscheu hofes pracht;
Tragen wir in braunen locken
Mancher heitern blume zier;
Seideufäden, seidenflocken
Spieleu ihre rolle hier.
Da die jungen Florentinerinneu eben die gärtnerinnen sind, so scheint es
angemessener, v. 5090 als apposition zu fassen und nach 'Florentinerinnen' ein
komma zu setzen, als einen Wechsel des Subjekts anzunehmen mitten zwischen
einem vorausgehenden und einem folgenden 'wir'. In v. 5092 ist dann die Inversion
entweder ebenso zu erklären wie die in v. 5089 (dann sollten wir aber nach 'pracht'
nur ein komma setzen), oder wir haben hier eine uns nicht geläufige, al)er bei
Goethe nicht ganz seltene nachstellung des Subjekts. Siehe Erich Schmidt in der
Jubiläumsausgabe zu 4643 und Knauth, Goethes spräche und stil im alter, s. 136 ff.,
und z. b. 8235 Ergiess' ich gleich des lichtes menge, 9794, 9823, 11563, und vgl.
5383 ff., wo der zweite hauptsatz an sich auch zweiter nachsatz (mit der gewöhn-
lichen Inversion) sein könnte.
8206 Wir sind gewohnt,
Wo es auch thront,
In sonn' und mond
Hinzubeten; es lohnt.
zu GOETHES FAUST 343
Da 'in sonn' und mond' eine nähere bestinimuug des vorausg-eheuden relativ-
satzes ist (also: sonn- und mondgötter) und nicht in den hauptsatz 'wir sind ge-
wohnt — hinzubeten' gehört, so muss dieser zusatz zwischen kommata eingeschlossen
werden. Inhaltlich entspricht dieser strophe der sirenen die frühere in v. 8190 ff.
Dort raten sie, alle gijttlichen gnaden zu ehren und von allen göttern eine Schädigung
zw fürchten (8192 'Elirt ihr' ist natürlich ein imperativ mit hinzufügung und uach-
stellung des Subjekts, wie z. b. 8022, 8303 und sonst).
9827 Magst nicht in berg und wald
Friedlich verweilen,
Suchen wir alsobald
Reben in zeileu,
Reben am hügelrand,
Feigen und apfelgold.
Ach in dem holden land
Bleibe du hold!
Die handschriften und die ältesten ausgaben haben nach 'verweilen' ein komma ;
Erich Schmidt jedoch findet es 'sinnwidrig' in dem 'frage'-, nicht bedingungssatz und
hat dafür ein fragezeichen, sogar in die Weimarer ausgäbe, gesetzt, ebenso Wit-
kowski. Da aber Euphorion schon in v. 9811 if. erklärt hat, dass er in berg und
wald nicht friedlich verweilen mag, und da man reben in zeilen und feigen und
apfelgold auch nicht in berg und wald suchen darf, so kann kein zweifei bestehen,
dass die ursprüngliche Interpunktion richtig ist. — Beiläufig erwähne ich, dass Goethe
und auch die Sophienausgabe 9831 f. intei-pungiereu : Reben am hügelrand; feigen
und apfelgold, und füge die — vielleicht nicht ganz überflüssige — bemerkuug hinzu,
dass am ende dieser verse 'hold' nicht prädikativ, sondern adverbial gebrau clit ist:
sei so hold und bleibe in dem holden lande!
10 005 Schwestern! Wir, bewegtem sinnes, eilen mit den bächen weiter;
Denn es reizen jener ferne reich geschmückte hügelzüge.
Immer abwärts, immer tiefer, wässern wir, mäandrisch wallend,
Jetzt die wiese, dann die matten, gleich den garten um das haus.
Auch hier ist das überlieferte komma beizubehalten nach 'tiefer' (nämlich:
eilend — siehe 10 006 — , nicht adverbiale bestimmung für 'wässern').
10 166 Kaskadensturz, durch fels zu fels gepaart.
Was soll das bedeuten? 'Gepaart' kann hier unmöglich eine apposition für
^Kaskadensturz' sein ; vielmehr bezeichnet es die doppelheit der felsen, und die
kaskaden stürzen hindurch durch (zwischen) zwei getrennt neben (gegenüber) ein-
ander stehende (gepaarte) felsen oder felswände, ähnUch einem Wasserfall im gebirge.
Wenn hier also ein komma überhaupt nötig wäre, so müsste es nach dem ersten
'fels' stehen. Für die bedeutung von 'dui'ch' vgl. z. b. 7378 Das Iieil'ge schiff durch
klipp und Strand gebracht; auch 4716 Der wassersturz, das felseuriff durchbrausend.
11 292 Ich blick' in die ferne
Ich seh' in der näh'
Den mond und die Sterne
Den wald und das reh.
Nach 'näh" ist doch wohl ein komma vergessen. Das blicken in die ferne
und das sehen in der nähe ist beides zuerst ganz allgemein ausgesprochen, dann
23*
344 CUUSE, ZUM 'HKXNO' J)ES HAXS SACHS
folgen als beispiele für das eine wie das andere einzelne gegenstände, paarweise
zusammengestellt. Bei der gewöhnlichen interpunktion würde dagegen das sehen
in der nähe (in der nächsten Umgebung) vier ohjekte erhalten, und zwar nicht nur
nahe, sondern auch sehr entfernte.
11874 Ist um mich her ein wildes brausen,
Als. wogte wald und felsengrund,
Und doch stürzt, liebevoll im sausen,
Die wasserfülle sich zum Schlund,
Berufen gleich das tal zu wässern;
Der blitz, der flammend niederschlug,
Die atmosphäre zu verbessern.
Die gift und dunst im buseu trug,
Sind liebesboten, sie verkünden.
Was ewig schaffend uns umwallt.
So wird gewöhnlich iuterpungiert; die AVeimarer ausgäbe hat nach 'trug' ein
Semikolon (und nach 'verbessern' und 'verkünden' kein komma), vermutlich nach
den baudschriften und ersten drucken. Der gegensatz zu dem wilden brausen kann
aber nicht darin allein liegen, dass die wasserfülle sich in den Schlund stürzt.
Deshalb müssen wir entweder 'liebevoll' (in liebevoller absieht, trotz des sausens,,
da sie berufen ist — ) oder 'berufen' (mit dem beruf, zu dem zweck) in den haupt-
satz selbst hineinstellen, ohne trennung durch ein komma. Jedenfalls ist die stelle
so zu erklären, auch wenn wü- die Interpunktion nicht ändern. Weit auffälliger
jedoch ist das komma in v. 11881, denn so müsste 'Der blitz' das grammatische
Subjekt von 'Sind liebesboten' werden, mögen wir nebenbei auch noch an 'Die wasser-
fülle' denken. Das überlieferte Semikolon nach 'trug' darf nicht geändert werden.
'Sind liebesboten' (d. h. es sind liebesboten, wie z. b. 12 015 Sind büsserinnen und
sonst öfter) hat dann beide, die wasserfülle und den blitz, als subjekt, und die vor-
ausgehende äusserung über den blitz ist, wenn auch formell unvollständig, dock
nicht ganz zusammenhanglos, wenn wir nur den infinitiv 'zu verbessern' nicht ein-
fach als eine finale ergänzung von 'niederschlug' ansehen (um die atmosphäre zu
verbessern), sondern wie den vorausgehenden Infinitiv 'zu wässern' ebenfalls mit
'berufen' verbinden: — die wasserfülle, berufen gleich das tal zu wässern, ebeiiso
der blitz die atmosphäre zu verbessern.
WORMS. ARTHUR FREDERKING.
Zum *Heniio' des Hans Sachs.
Die komödie ist bekanntlich eine bearbeitung der 'Progymuasmata Scenica'
des Johann Reuchlin. Der bauernknecht Dromo hat den Schneider Danista um
ein stück tuch betrogen und wird von ihm gescholten:
0 j)rohe vir Dromo, Non inde sie evaseris, trilittere! 270.
Wir haben es hier mit einem humanistenscherz zu tun: 'trilittere' ist eine
bildung Reuchlins und nur dem verständlich, der weiss, dass damit auf Plautus,
Aulularia IV 4,6 angespielt wird; dort wird ein dieb als Hrium Utterarum Jiomo'
bezeichnet. Reuchlin selbst hat sich veranlasst gesehen, in seinem kurzen, nur in
HAUFFEX ÜBER HINZE UXD BEIXERT, MOSCHEROSCH 346
einer handschrift erhaltenen kommentar zu den 'Progyninasmata' zur erläuterimg'
auf die Plautusstelle zu verweisen:
trilittere i. e.fur. Plautus:
tri um litterar u m homo
(Holstein, Johann Reuchlius komödieu s. 104 zu v. 270,)
Der Schlettstadter humauist Jakob Spiegel übernahm in seine, Tübingen 1512
gedruckte, kommentierte ausgäbe der Trogymuasmata' ausser anderem material des
Üeuchlinscheu kommentars auch diese glosse, in folgender form : 'tri um litt er a r u m
homo, far sei licet. Jioc enim nomen continet tres litteras\
H. Sachs hat 'trilittere' nicht nur richtig verstanden, so wie es von Reuchlin
gemeint war, er hat es auch glücklich nachzubilden vermocht, mit Worten, die ganz
auffällig an die lateinische glossierung anklingen :
138, 19 0, o, du f rummer Unecht Dromo !
Ein mens eil drei/ er huchstab en scharff!
Ein dieb ich nit wol sagen darf f.
Du bist mir noch nit ubern graben.
Da es wenig w^ahrscheinlich ist, dass der handschriftliche kommentar Reuch-
lins H. Sachs zugänglich gewesen sein sollte, so lässt sich diese fast wörtliche
Übereinstimmung seiner Übersetzung mit der erkläruug Reuchlins nur durch die
Vermittlung des Spiegeischen kommentars begreifen. Da der 'Henno' vom 9. Januar 1531
datiert ist, so steht auch zeitlich der benutzung dieses hilfsmittels, sei es in der
■ersten aufläge von 1512 oder in der zweiten von 1619, nichts entgegen.
Für die frage, wie H. Sachs bei der Verwendung lateinischer quellen ver-
fahren ist, insbesondere für die noch immer nicht endgültig entschiedene frage
nach seinen lateinkeuntuissen, darf die eventuelle benutzung ähnlicher hilfsmittel
nicht übersehen w^ erden.
KIEL. PAUL CRUSE.
LITERATÜß.
W. Hinze, Moscherosch und seine deutschen Vorbilder in der Sa-
tire. Eine quelleustudie (Rostocker dissertation.) Rostock, C. Hinstorff 1903.
144 s.
Joh. Beinert, Deutsche quellen und Vorbilder zu H. 31. M o s c h e r o s c h s
Gesichten Philanders von Sittewald (Freiburger dissertation). Frei-
burg i. Br., C. A. Wagner 1904. 64 s.
Mit einem exkurs über Fischart und Moscherosch.
Aus anregungen Erich Schmidts (Zfda. 23, 76), Franz Munckers (All-
gemeine deutsche biographie 22, 356) und Ernst Martins (Jahrbuch der gesell-
schaft für lothringische geschichte 3, 9 f.) sind rasch hintereinander zwei disser-
tatiouen über die deutschen Vorbilder von Moscheroschs 'Gesichten' erwachsen.
Diese literarischen Vorläufer sind zum grössten teile Elsässer (auch insbesondere
Strassburger) und zumeist Satiriker. Ilir einfluss auf Moscherosch ist yanz natür-
346 HAUFFEX
lieh, denn dieser weilte zu verseliiedenen zeiten jahrelang in Strasshurg-, liat da
die wichtigsten eindrücke der knaben- und Studienzeit empfangen und stand später
auch in der ferne zu Strassburgs gelehrten in regen beziehungen, und andererseits
ist sein episch-didaktisches hauptwerk ausgesprochen satirisch und so auch in der
geistesart seineu Avichtigsten Vorbildern verwandt, besonders auch den elsässischen
Satirikern am eingang des 16. Jahrhunderts, welche in Strasshurg lange in leben-
digem angedeuken geblieben waren.
Ich möchte hier noch kurz einiges über Moscheroschs beziehungen zu Strass-
hurg nach neueren arbeiten, besonders nach der sehr ergebnisreichen Münchener
dissertatiou von Ludwig Pariser, 'Beiträge zu einer biographie von Moscherosch'
(1891), zusammenstellen. In Wilstätt, nahe bei Strasshurg, doch rechts vom Eheiu,
wurde Moscherosch geboren. N'atus ü,Wilstatn in episcojKitii Argentinensi
7. Martii 1601 (Selbstbiographie, mitgeteilt von G. Witkowski in dieser Zeit-
schrift 21, 185). Der frühreife knabe kam bald aus seinem geburtsorte in die
reichsstadt, wo er das protestantische gj^mnasium und ungefähr von 1620 an die
juristische fakultät daselbst besuchte. Im jähre 1622 unter dem dekanate des
geschichtsprofessors und uuiversitätsbibliothekars dr. Joachim Clutenius wird er
magister, im jähre 1624 in Genf doktor der rechte. Nach einem längeren aufent-
halt in Paris kehrt er in die heimat zurück, wo er zunächst 1626 erzieher wird
und sich 1630 mit seinem glücklichen mitbewerber Samuel Gloner vergeblich um
die lehrkanzel der poesie an der Strassburger Universität bewirbt. Er wird in dem
gleichen jähre amtmann in Kriechingen bei Metz, 1636 in Finstingen a. d. Saar,
wo er bis 1642 verbleibt. In beiden orten, unweit von Strasshurg, steht er in
regem brieflichen verkehre mit den lehrern und freunden aus der akademischen
zeit, besonders mit dem professor der poesie Johann M. Schneuber. Sie berichten
ihm über ihre arbeiten, beurteilen einander ihre neueren werke und dichten sich
gegenseitig lateinisch an. Schneuber gehört mit mehreren freunden Moscheroschs
dem von J. Rumpier 1633 gegründeten Sprachverein, der 'Aufrichtigen tannen-
gesellschaft', an, vielleicht auch Moscherosch selbst, der sich 1635 kurze zeit in
Strasshurg bei seinem bruder, einem Wundarzt, aufhält (vgl. G. Voigt, Die
dichter der Aufrichtigen tannengesellschaft. Jahresbericht des gymnasiums Groß-
Lichterfelde 1899). Seine gründliche wissenschaftlich-theologische bildung und
seine aufrichtige innerliche frömmigkeit verdankt er ebenfalls der zeit seiner Studien
in Strasshurg. Die Insomnis cura parentum (1643) widmet er seinem ehemaligen
lehrer, dem professor und Präsidenten des Strassburger kirchenkonvents dr. Johannes
Schmidt. Er sagt selbst in der vorrede dazu, das alles, was in dieser schrift 'recht
und gut' ist, den Vorlesungen und predigten seines gönners entnommen sei. Nach
Parisers Untersuchungen haben besonders Sclimidts predigtsammlung 'Geistlicher
schulbrunnen', aber auch Schriften der älteren Strassburger pädagogen Jakob Wimphe-
ling und Paul Fagius die Cura beeinflusst. Von den gi-eueln der kriegswirren als
amtmann schwer bedroht, flieht Moscherosch mit seiner familie nach Finstingen und
findet 1642 eine sichere Zufluchtsstätte in dem stark befestigten Strassbm-g, wo er
sich auch in dem gleichen jähre das bürgerrecht erwirbt. Hier versieht er von
1646—1656 das amt eines fiskals oder frevelvogts, d. h. polizeidirektors (Martin
a. a. 0. s. 5). In Strasshurg bei Joh. Phil. Mülbe und später bei Josias Stadel
erscheinen neben der Insomnis cura von 1642 an bis 1677 die 'echten' ausgaben
der 'Gesichte'. Hier hat er eine reihe von älteren werken zur elsässischen ge-
schichte, so Wimphelings Germania (1648 in deutscher, 1649 in lateinischer fassung),
ÜBER HINZE UND BEINERT, MOSCHEROSCII 347
herausgegeben. Hier schliesst er 1656 seine literarische tätigkeit mit dem 'Aus-
geübten Wörterbuch' Technologie allemande et franraise ab. So muss man ihn
unbedingt den Strassburger Schriftstellern zurechnen. In den letzten 13 jähren
seines lebens, ferne von Strassburg in verantwortungsvollen hohen Stellungen bei
verschiedenen landesherren dienend, hat er sich nur wenig literarisch beschäftigen
können und kein weiteres werk mehr veröffentlicht.
Die französische Übersetzung von Quevedos '■Los Suenos\ die Visions par
le Sieur de la Geneste (Caen 1633) benützt Moscherosch für den ersten teil der
'Wunderlichen und warhafftigen gesiebte Philanders von Sittewald'. Die sieben
gesiebte entsprechen den sieben träumen der vorläge. Moscherosch aber erweitert
deren ausführungen sehr, schiebt umfängliche, sachlich neue abschnitte und nutz-
anwenduugen ein. Besonders das 2., 3., 4. und 6. gesiebt entfernen sich weit von
der vorläge. In den späteren ausgaben werden diese einschübe noch erweitert und
vermehrt (vgl. Job. Wirth, Verhältnis der ausgaben der gesiebte zueinander und
zur quelle. Dissertation. Erlangen 1887). Die sechs gesiebte des zweiten teils
(1643) und das 1650 hinzukommende 7. gesiebt 'Reformation' sind ganz unabhängig
von Quevedo-Geneste.
Für diese erweiterungen im ersten teil und für die gesiebte des zweiten teiles
hat Moscherosch eine reihe deutscher dichtungen und schrifteu, deren Verfasser er nur
zum teil nennt, und zwar auch in freier weise, verwertet. Hinze und Beinert zeigen
nun in den genannten dissertationen die art und den umfang dieser beeinflussungen.
Sie gehen hierbei verschiedene wege, und ihre ergebnisse ergänzen sich. Da Hinzes
dissertation bereits erschienen war, ehe Beinert seine eben fertiggestellte studie
veröffentlichte, konnte dieser, zum teil mit benützung Hinzes, aber mit eingehen-
deren Untersuchungen und reichereu ergebuisseu, zu einem gewissen abschluss der
übernommenen aufgäbe gelangen.
Hinze behandelt wesentlich jene Vorbilder des 16. und des beginnenden
17. Jahrhunderts, auf welche bereits Gervinus (Geschichte der deutschen dich-
tnng^ 3, 469) hingewiesen hat, also Braut, Murner, Scheit, Fischart, Ringwaldt,
Spangenberg, Aventin, Weckherlin, und er fügt noch Geiler und Sommer hinzu,
auf die wieder Muncker bereits aufmerksam gemacht hat. Hinze geht so vor, dass
er jede quelle von Moscherosch einzeln in ihrer einwirkung auf die gesiebte be-
handelt. Besonders eingehend legt er den starken einfluss von Ringwaldts 'Lauterer
Wahrheit' dar. Er vergleicht die Übereinstimmungen im allgemeinen und die ver-
schiedenen motive und anschauungen mit nebeneinanderstellung der einander ähn-
licheren ausführungen. Am Schlüsse seiner dissertation fasst H. nochmals in kurzem
die gesamtergebuisse seiner vergleichungen zusammen. Er zeigt zunächst, dass
Moscherosch in der äusseren form natürlicherweise nur wenig von seinen Vorgängern
übernimmt, weil er ja meist verse in prosa umsetzt und durchaus im Wortlaut ab-
weicht, dass er sich ihnen aber in der inneren ausdeutung der verschiedenen vor-
geführten laster enger anschliesst. Ferner ergibt sich; dass Moscherosch seinen
vorlagen selten längere absätze entnimmt, dass er oft kurze andeutungen zu ge-
schichten, vergleichen und breiteren ausführungen erweitert, den ausdruck belebt
und steigert, die reiheufolge der gedanken und motive abändert, allgemeine aus-
sprüche auf ein engeres gebiet bezieht, so auf bestinunte stände, Soldaten, Studenten
oder auf die Franzosen, dass er für ironisches lob eines lasters offenen tadel oder
einfache beschreibung setzt und dass er im ganzen die zum teil viel älteren Vor-
bilder dem geiste, dem geschmack und dem ausdruck seiner zeit anpasst.
348 HAUFFEN
Beiuert bat aber bereits nacbg-ewieseii, dass Hinze durch die benützuug der
kürzeren ausgaben der Gesiebte (1642 und 1643), sowie durch eine unsicberlieit in
der wähl der belege manche verseben begangen und namentlich den einfluss
Fiscbarts, Geilers, Aventins und vor allem Brants, dem Moscherosch erst für
die ausgäbe von 1650, und zwar nach der Camerländerischen bearbeitung des
Narrenschiffes 1546, das meiste entnommen bat, nur ungenügend berücksichtigt.
Beinert geht im gegensatz zu Hinze die einzelnen gesiebte der reibe nach durch,
wobei er auch im ersten teil die abhängigkeit von der französischen vorläge betrachtet,
und untersucht eingehend die einwirkungeu der deutschen Vorbilder auf die ein-
scbübe und auf die selbständigen gesiebte. Am schluss stellt er den anteil der
einzelnen Vorgänger knapp zusammen. Beinert berichtigt und ergänzt die aus-
fiihrungen Hinzes und vergleicht darüber hinaus eine reibe neu gefundener quellen
mit den gesiebten, und zwar zwei geistliche Schriften : 'Das hellisch Sodoma' (1629)
und 'Vom jüngsten geriebt' (1638) von Job. Mattbaeus Meifart, ferner das Tburnier-
büchlein (1532) von Georg Rüxner, die Hoffartspredigt (1586) von Lukas Oslander,
den Kleiderteufel (1687) von Job. Strauß und neben nachweisen von zitaten noch
Martin Luthers 'Vom kriegs- und soldateustande' (1527), das au vielen stellen des
Gesiebtes 'Soldatenleben" seitenlang verwertet wird. Mit diesem nacbweis ist die
meinung Parisers widerlegt, der einen unmittelbaren einfluss Luthers auf Mosche-
rosch verneint.
Da Moscherosch so viele deutsche Satiriker benutzt, fällt es auf, dass er in
seinen gesiebten, wo er so oft Veranlassung gehabt hätte, auf die satirische be-
trachtung der Unsitten aller stände bei Hans Sachs einzugehen, keine bekanntschaft
mit dessen dichtungeu aufweist. Um so auffälliger, als sein Zeitgenosse Grimmeis-
hausen ein genauer kenner der dichtungen von Haus Sachs ist, motive und stoffe
daraus verwertet und seinen gewährsmann oftmals nennt (Vgl. F e r d. E i c b 1 e r,
Das nachlebep des Hans Sachs, 1904, s. 93—97).
Es erübrigt mir noch, die beziehungen zwischen Fiscbart und Moscherosch
zu beleuchten.
Von vornherein könnte man annehmen, dass Fischart, besonders mit seiner
. Gescbichtklitterung, auf Moscherosch, und zwar besonders auf dessen Gesiebte, nach-
drücklich eingewirkt habe. Denn beide Persönlichkeiten, sowie deren bauptwerke
sind in mehr als einer richtung wesensverwandt. Wir wollen dies näher betrachten,
um zu erfahren, ob diese annähme berechtigt ist. Erich Schmidt (a. a. o. 76)
und M u n c k e r (a. a. o. 366) drücken sich darüber sehr vorsichtig aus : 'Von
Fischart hat er (Moscherosch) nur einzelnes an bäufungen und wortverrenkungen
u. dgl.' — 'Fischarts sprachschöpferisches und spracbzerstörendes walten verführte
ihn seltener zur nacbabmuug als die anderen Elsässer schüler des gewaltigen
meisters.' Hinze (71 f.) bringt eine längere liste von Fischart und Moscherosch
gemeinsamen ausdrücken. Das beweist aber nichts, weil sich dieser Wortschatz bei
den meisten alemannischen Schriftstellern jener Jahrhunderte vorfindet. Nur die
beiden gemeinsamen wortspielenden etymologien (Hinze s. 72), wie 'Dockthor', 'Ab-
decker' für apotheker, 'hexecution', 'maulhenkolisch', 'pfotengramm', 'brachdickanten'
und andere (vgl. Hauffen, Fiscbarts Werke 2, XVIII und 'bexzeptieren' Eulenspiegel
Keimenweiß vers 12149) kann man als beweise einer nacbwirkuni;- ansehen.
Ich füge noch einige beispiele zur Wortbildung, zum stil und zum versbau
ÜBER HINZE UND BEIXERT, JIOSCHEROSCH 349
an, wo Moscheroscli ganz so vorgeht wie Fischart. (Ich zitiere nach der mir ge-
hörigen ausgäbe der gesiebte I 1650, 11 1666). Längere scherzhafte oder willkür-
liche andeutungen eines wertes, auch mit heranziebung antiker und moderner
sprachen, sowie des hebräischen, z. b. Wortspiele: buhlen (I 103), schuster und Schuh-
macher (11 5213), Vogesen (II 769); 'tag vnd nacht in... fatzerey zubrachten,
schwarmfest vnd faßnacht hielten, . . . dahero die faßnacht als fassaacht oder fatz-
uacht ihren vrsprung und namen bekommen' (II 3, vgl. Geschichtklitterung 7
8. 71 3); metze von amazoue (II 271). Lange anhäufungen von synonymen Wörtern
und Zusammensetzungen: infinitive im genitiv (11 23), verba mit der präposition
durch (n 20 f.), participia auf -iret (I 60), imperfekta auf -irte (I 486), substantiva
mit dem grundwort Bärtel (II 76), schimpfliche attribute für ein böses weib (II 318.
vgl. Geschichtklitterung s. 110) ein umfängliches Wörterverzeichnis der feldsprache
(II 633-655), teufelsnamen mit erklärungen (I 658 f.), namen von forsten des alter-
tums (1 497), in einer parodie der Marienlitauei beschimpfungen einer haushofmeisteriu
(1650 f.), rufsätze (I 419 f.), synonyme redensarten (1450 f.); sprüche in reimpaaren
von deutschen und fremden stammen, die mau ohne bestimmte eigenschaften 'auff
Erden nicht bald wird sehn' ; 'Schlesier, der nicht tranck Waitzenbier | Ein Schweitzer,
der nicht gern ißt Milch usw.' (II 456 f.), Unterschriften von komischen namen und
berufen in reimen: 'Meister Curtle, Zäpffelschläckers ; Meister Jobstle, Schaalen-
leckers' u. a. (II 538 und ebenso 578 f.). — Kreuzfiguren : 'in meiner lieblichen
thorheit vnd thorheitlichen Lieblichkeit, in meiner inbrünstigen zuneygung vnd
zuneiglichen Inbrünstigkeit' (193). — Maccaronische verse: 'führst Mistlinum auff
Waglinum auß' (I 95), ein gedieht in hexametern 'Fahrimus in SchUttis, cum Thal-
rihtia atque Ducatis usw. (I 697). (Beide erscheinungen häufig in Fischarts Trunken-
litanei.) — Reimprosa: I 59, 80; 11 14, u. a. auch bei laugen anhäufungen 123, 49;
n 20 u. a. — Übertragung antiker verssprüche in selbständiger, meist verbreiten-
der art und mit ganz frei gebauten verschieden langen versen und verschiedener
reimstellung, auch mit freiem Wechsel von hebung uud Senkung (I 76. 144. 147.
183. 187. 189. 192/4. 201 f. 217. 233. 291. 427. 550 usw.), nach dem französischen
(I 649, n 41), italienischen (II 42) usw. Komischer doppelreim : 'misch gemäsch'
I 'wüste wasch' (11 1'25).
Beinert versucht auch stoffliche abhängigkeit von Fischart bei den Gesichten
nachzuweisen. Gewiss haben einzelne verse des Jesuiterhütleins die scherzhafte
beschreibung der hörnerartigen kopftracht elsässischer frauen beeinflusst (Beinert
45 f.), doch seinen ausführungeu über das 'Pflaster wider das Podagi-am' (49—53)
kann ich nicht beistimmen. Ich habe (Euphorion 7, 699—702) nachgewiesen, dass
dei- dem 5. gesiebte eingefügte abschnitt 'Bedenken wider das Podagram' (II 458—506)
eine freie, erweiternde Verdeutschung der Apologia sea Podagras laus von Wili-
bald Pirckheimer ist. Da Moscherosch dieses kleine kunstwerk, eine Verteidigungs-
rede des angeklagten podagra, in einen tröstlichen ratschlag für podagristen um-
wandelt, niusste er schon viele einzelheiten an seiner vorläge ändern und streichen.
Ausserdem hat er eine menge von zitaten, beispielen und abschweifungen eingefügt.
Durch gegenüberstellungeu der drei in betracht kommenden texte habe ich ferner
gezeigt, dass Moscherosch nicht Fischarts bearbeitung der Apologie benützt hat.
Beinert verweist auf meine Studie, will aber darüber hinaus noch einflüsse der
auch von Fischart verwerteten De podngrae laudibus oratio von Joh. Carnarius
nnd des podagramischen trostbüchleins von Fischart selbst auf das 'Bedcnckcn' und
auch auf das 5. gesiebt feststellen. Eine beuinflussung von Carnarius ist möglich,
'650 HAUI'l'EX
(locli nicht erweislich, weil die drei hitcinischen verssprüche, die sicli bei Caniarius
und Moscherosch finden, aucli in anderen neulateinischen podagra-eukomien wieder-
kehren. Dass aber Moscherosch diese scliriften gekannt hat, ergibt sich daraus,
dass er neben seiner vorläge für das bedenken, Diapirckeimerion (442), auch die in
der bekannten Sammlung von Kaspar Dornavius' Amphitheatrum . . . Iioc est Encomia
(1611) erseliieneuen podagralobschriften (465), sowie Lukians Trago}iodagra und
G. B. Pontanus Triionphus Podagrae erwälint, denen er (452) grössere zitate ent-
nimmt. Von Carnarius und dem Trostbüchleiu dagegen ist nicht die rede. Bezeichnend
ist ferner, dass Moscherosch, der, dem allgemeinen brauch der deutschen schrift-
steiler des 16. und 17. Jahrhunderts folgend, antike verszitate in deutsche reime
umsetzt, völlig von Fischarts Verdeutschungen derselben sprüche im Trostbüchlein
abweicht.
Sehen wir uns nun die 'geringfügigen reminiszenzen' an, die Beinert für die
anlehnung Moscheroschs an Fischart heranzieht. Zunächst die beschreibung des
podagrischen (445), die 'getreu das in Worten umgesetzte titelbUd zum Trostbüchlein'
sein soll. Das wenige, das in der Schilderung und dem bilde übereinstimmt, ist
typisch, wie das 'ehrbare reputierlichc ansehen', die unten dicken beine und die
gekrümmten flnger. Die einzelheiteu aber sind alle verschieden. Der podagrische
im bilde geht nicht 'durch den Hof, sondern durch sein zimmer — hinter ihm
stehen sorgeustuhl und bett — , drum braucht er sich auch nicht vor den 'Steinen'
zu fürchten. Seine Stiefel sind nicht 'zerschnitten und zerhackt und gar leise zu-
geschnüi't', sondern ganze, mit pelz gefütterte röhrenstiefel. Er geht nicht 'au
einem stecken', sondern gestützt auf zwei krücken. Er schreit nicht, soiidern hat
die lippen fest geschlossen. Er hat nicht 'ein beltzin Brustduch vorm Magen',
sondern einen pelzkragen um die schultern und einen laugen mantel an. Schliess-
lich stehen neben ihm nur auf dem bilde Bacchus mit einem grossen glas wein und
Venus mit kissen.
Ferner ist es gar nicht auffällig, dass Fischart (Werke, Hauffen 3, 83 f.) und
Moscherosch (476 f.) an der gleichen stelle je einen reimspruch einfügen, weil sie ja
bei ihrer bearbeitung der- apologie das gleiche an sehr vielen stellen tun. Und
dass diese sprüche einander im stoff verwandt sind, erklärt sich aus dem Zusammen-
hang mit dem vorhergehenden, und wenn beide nach dem zitat mit ganz ähnlichen
Worten fortfahren, so ist es eine ziemlich genaue Übertragung der gemeinsamen
vorläge: quid enim divitihus Ulis delieathis? usw. "Weiter zählt Moscherosch (505)
alle griechischen beiden als opfer der gicht auf, die auch Pirckheimer an der
gleichen stelle nennt, erwähnt aber allein bald danach Erasmus Eoterodamus, der,
an der gicht leidend, seine trefflichsten Sachen geschrieben habe. Beinert (52) meint
nun, dass umfängliche ausführuugen in Fischarts Trostbüchlein (37—39), wo nach
Carnaiius mehrere gichtleidende griechische beiden (darunter auch andere als bei
Pirckheimer) genannt werden, auch deshalb auf Moscherosch eingewirkt haben
müssten, weil vor diesen ausführungen — nebenbei bemerkt in ganz anderem zu-
sammenhange — auch Erasmus Roterodamus erwähnt wird. Schliesslich kann es
auch nicht als einwirkung gedeutet werden, wenn Fischart (78) und Moscherosch
(470) nach Pirckheimer in aufzählungen von ständen, die voneinander im Wortlaut
abweichen, beide 'Bischof und Bader' anwenden. Denn diese stabreimende Zusammen-
stellung ist in früh neuhochdeutscher zeit allgemein üblich.
Finden sich uber nicht sonst in den gesiebten nachweisbare einilüsse von
Fischalts werken oder hinweise darauf?
ÜBER HIXZE UXD BEIXERT, MOSCHEROSCH
351
In einem längeren abschnitt über Eulenspiegel (I 217 f.) heisst es : 'ist der
nicht ein grosser narr und Eulenspiegel, der die gute zeit verschertzet und indeß
meynet, er begehe Doctors arbeit, wann er glossen und Kotas, Lehr und Trost über
und auß dem Eulenspiegel schreibet? wan er den Enlenspiegel in Keyraen und
Gesang stellet?' Diese anspielung kann meiner ansieht nur auf Fiscliarts 'Eulen-
spiegel Eeimenweiß' gedeutet werden, wo die vorrede, prolog und epilog die glossen
und die moralischen nutzanwendungeu am schluss der meisten kapitel die, Notas
darstellen. Alle ziehen 'Lehr und Trost' aus dem Volksbuch. 'In Gesang' hat
Fischart allerdings den Eulenspiegel nicht 'gestellet', aber am beginn seiner vorrede
erwartet Fischart, nachdem das Volksbuch schon 'in mancherley weiß außgangen',
dass es auch 'etwan mit der weil Gesangsweiß' vorgebracht werde (Hauffen 2, 11).
Auf die zwei lateinischen versbearbeitungen von Job. Nemius (1558) und Aegid.
Periander (1567) können Moscheroschs angaben nicht bezogen werden.
In dem gesicht '^ la mode Kehrauß' ereifert sich der dichter gegen die
Unsitte, deutschen kindern fremdsprachige taufnamen zu geben. Beinert (33) ver-
weist auf Aventins Chronica, woher Moscherosch die meisten altdeutschen namen
und die etymologie von 'Adelhoff' genommen hat. Das ist richtig. Doch zu den
allgemeinen nationalen erörterungen, die wichtiger sind als die auswahl der namen,
ist Moscherosch bestimmt von Fischart angeregt worden, dessen aussprüche (Ge-
schiclitklitteruug, kap. 10) er in anderer reiheufolge, auch zum teil mit anderen
Worten, doch wiederholt in genauem anschluss wiedergibt.
Fischart 161-163.
'Witzel . . . meynt, man soll die Kin-
der all Latinisch auf ein us vnd sus
nennen ... Ja auff Welsch. . . .
Der gut Herr acht seinen Griechischen
Bauernnamen hoch vnd veracht seinen
Teutschen ererbten Namen.
Was darf man sich nach den Juden
nennen, die sich doch nit nach vns
nennen. . . .
Icli glaube, man meint vnsere Vor-
fahren haben stäti3 geschlaffen vnd nit
eben mit so grossem bedacht gewußt
jreu lieben Kindern Namen zugeben, als
die Griechen vnd Latiner. Wir haben
jetz das frey Regiment, was dörffen wir
vns nach den Sclavischen Römern nennen,
die Herren nach den Knechten?
. . . solt ich bei Mannlichen Leuten
nicht angenehmer werden, wann ich ein
solchen . . . Namen bette, der von gethön
vnnd hall den Leuten außzusprecheu ein
lust gibt, als Eisenbart. . . .
Welclieii wolt es nicht gefallen, wann
einer heißt Gottliebe . . . wie können sie
Moscherosch I 69-71.
•Warumb dann so du ein Geborner
Teutscher bist, hastu nicht auch einen
Teutschen Namen? Wass soll dir ein
Griechischer vnd Hebreischer Name im
Teutschland? . . . warumb hastu dann ein
Wälschen Namen?
Was habt ihr vermeynte Teutsche
dan für Trew in ewren Hertzen gegen
ewrem Vatterland? wan ihr bedächtet,
wie durch die Römische Tyrannen in-
sonderheit den Caesar vnd durch die
Wälsche Vntrew alles in Zerrüttung
kommen, daß ihr gleichwohl ihre Namen
zugebrauchen noch gelüsten lasset?
. . . haben dann die Teutsche Namen
nicht lust vnd zierde gnug euch zu
nennen? Ewere Tugenden vnd Thaten
an tag zugeben? Ist euch dan das
liebe Teutsche so gar erleydet? dass
Ihr Erniau . . . Wolrat vnd andere Liebe
Schönklingende Teutsche Namen nur
über Achsel ansehet vnd verlachet?
362 IIAUKFEX
dann so gTcll inii Oven vniid viiangenem Muß encli dann in evveren Bocks-
seiu? Oliren das Grichische Philander, Philip-
. , . tluit es jhm so wol inu seinen pus . . . vnd andere besser lauten? . . .
Priscianischeii ^^'itzoren, wann man die Oder seinen Angebornen Teutsclien
Susnamen so schön veraoroelet, verjör- Xach-Xamen mit wälsche;: Nälitz . . .
gelot, verjoelet vnnd verliuudstutzet. . . . znülierzuckeru. Einzubeitzen vnd Einzu-
Sollen diese gemartete Wörter einen saltzen . . . Schämet jhr euch dann ewerer
angenem machen, da sie doch keiner seihest vnd ewrer redlichen Vorfahren?
verstellt. . . .' Schäme dich . . . daß du einen Auß-
ländischen Namen, vnd den du vielleicht
selbst weder verstehest noch weissest,
seist einem verständlichen behauten
Teutschen Namen vorziehen.'
Auch in der Patientia (nach der haudschrift herausgegeben von Pariser;
Munckers Forschungen zur neueren deutsclieu literaturgeschichte I 2, 1897) finden
sich ähnliche ausführuugen (68—70): 'Warumb die Teutsche nicht vnserer eigenen
spräche Namen gebrauchen, sondern vil mehr von den Griechen, bald von Lateinern,
bald von den Hebräern. . . .' Danu folgt eine liste 'teutscher' frauennamen, wie
sie damals in Strassburg noch üblich waren. Hier, wie in der Insomnis cum
(cap. 10) kündigt er ein 'Teutsches Namenbuch' an, das uie erschienen ist.
Auch Grimmeishausen hat in seiner schrift 'Pralerey vnd Gepräng mit dem
Teutschen Michel' 1673 caput VH in den drei letzten abschnitten, den brauch
deutsche kinder mit fremden, namentlich hebräischen nanien zu taufen, gerügt.
Doch ist hier keine beeinflussung von Fischart oder Moscherosch ersichtlich.
Beinert (43 f.) meint, dass Fischarts Ehezuchtbüchlein Moscherosch 'zu dem
Gedanken einer Abhandlung über die Frauen verholten' habe. Das ist wahrschein-
lich. Die Vorrede zu dem gesiebte 'Weiber-Lob', welche bestimmt die eigene
meinung des Verfassers ausspricht, wendet sich scharf gegen die frauenverächter,
findet, dass das gute au ihnen das böse 'vmb viel mehr übertreffe', dass edle weiber
Men Männern mit Gehorsam, Fleiss, Zierlichkeit vnd Freundlichen Geberden bevor
gehen' und schliesst mit dem schönen aussprach : 'Glückseelig ist der Mann, welcher
bekombt, was er liebet! Aber ein Weiser Mann, liebet was er bekombt.' Das ist
ganz im geiste Fischarts gehalten.
Im gesiebte selbst stehen sich zwei parteien gegenüber. Haus Tluirnmeyer
(Job. Turmair-Aventinus) und Freymund verspotten und beschimpfen die weiber
mit Sprichwörtern, liedern und beispielen; Weibhold und Philauder erwidern aber
mit weiberfreundlichen aussprüchen und beispielen bewuudern-^werter treue. Robertus
Expertus fällt zum Schlüsse das salomonische urteil, dass keine partei recht habe:
^Dann es wären eben so viel böse Männer, als böse Weiber, eben so viel gute
Weiber, als gute Männer'.
In Fischarts Ehezuchtbüchlein und im ehekapitel der Geschichtklitteruug
stimmt — abgesehen von der Verwandtschaft der auffassuug und des Stoffes — noch
einzelnes mit dem Weiberlob überein. Im mittelstück des Ehezuchtbüchleius werden
die weiber- und ehefeindlichen Sprichwörter und aussprüche klassischer autoren
von Fischart bekämpft und widerlegt (3, 207 ff., 267 ff.) ; im ehekapitel beispiele
von treuen gattinueu (s. 102 ; 107) und von buhlerischen weibern (s. 89 f.) in
langen listen aufgezählt. Doch sind die Sprüche und beispiele hier andere als bei
J
ÜBEK HINZE UND BEINERT, MOSCHEROSCH 353
Moscherosch ; ausserdem werden im Weiberlob diese beispiele zu breiten erzäh- ■
hingen ausgedelmt, während sie Fisch^rt nur mit wenigen worten andeutet.
Ferner preist und empfiehlt Fischart in beiden Schriften die ehe, was im Weiberlob
nicht der fall ist, im gegenteil wird hier gegen den schluss an einem streitenden
und lästerlich schimpfenden ehepaar ein abschreckendes bild vorgeführt. Beeinflussung
Fischarts im einzelnen auf dieses gesiebt kann nicht erwiesen werden. Eine an-
regung im ganzen aber muss doch angenommen werden.
In einem näheren Verhältnis stehen Fischarts Trunkeulitanei und die kneip-
szenen in dem gesiebt 'Hanß hienüber, Ganß herüber' (II 200, 209, 213-223, 230-233).
Obwohl die ausführung der trinkgelage bei beiden Schriftstellern sehr verschieden
ist, so ergeben sich doch, ausser einer allgemeinen ähnlichkeit, auch Übereinstim-
mungen in einzelheiten. Beide schildern Studentenkneipen. Bei Fischart ist von
dem riesenkönig Grandgousier und seinen zum Schlachtfest eingeladenen genossen
nicht mehr die rede, sondern er gibt auf grund des kurzen ö. kapitels von Rabelais
ein umfängliches lebensvolles bild akademischen trink- und singkomments jener
zeit, und zwar nicht auf einer wiese, wie bei Eabelais, sondern in einem Wirtshaus»
wie bei Moscherosch. In dem genannten gesiebt finden wir folgende Situation: ,ein
alter verlägener Academicus', verbummelter Student und tüchtiger zechbruder Lälius
geht mit etlichen jungen 'Purschen' in eine herberge. Auf drei tischen wird das
mahl aufgetragen. Eechts für die schweizerischen, links für die französischen
Studenten, in der mitte für Philander, Robertus und Thurmeyer. Lälius geht von
einem tisch zum andern, trinkt allen zu und mischt lateinische Sätze in seine deut-
schen reden. (Ein gast in der Trunkenlitanei macht es ähnlich 124, 126, 134 f.,
142 f., 150 f., 153 f.) Lälius schlägt vor, 'die Dische zusammenzustossen und in
eine Zech zu stehen" (213). (Vgl. Trunkeulitanei 'die Tisch aneinander trag' 151), aber
die drei mäßigen am mittleren tisch widerraten es. Was bei Fischart anschaulich
dargestellt wird, fasst Philander in wenige zeilen zusammen: 'In den hitzigen,
rasenden jungen .Jahren haben die versoffenen Purschen so viel Reguln, so viel
Caeremonien, so viel Spiel vnd Gesänge, die alle zum trincken erdacht vnd dahin
gehen, wie man truncken werden möge' (213). Dann werden trinklieder gesungen,
auch mit lateinischen versen (vgl. Tl. 135 f.). In diesen liedern werden Sprichwörter
und redensarteu, die den wein feiern, vorgebracht, z. b. 'Dann wer sich schewt ein
Rausch zu hau, Der ... ist gewiss kein Biederman' (220), (Tl. 'Wer sich nicht voll-
sauffen darff, hat entweder ein böß stuck gethan oder wills begehu' 151). 'Wenn
sich zwen vmb die haut geschlagen, | So ziehen sie hin zu dem Wein, | Thun ihre
sach allda vertragen' (220). (Tl. Zwei rauf er vertragen sich beim 'Richtwein' 141.)
Robertus bringt aber ganz andere Sprüche vor: 'Wein ein, Witz aus.' 'Allzeit voll
macht endlich doli'. Er beschwert sich über die nötigung zum zutrinken und dass,
wer 'nicht mit hetscht', als 'Schelm, Vnflat, Esel' beschimpft wird. Den drei
massigen wird 'vnder dem getöß' allmählich schwül (221—223). (Tl. Ein moralist
erhebt auch ab und zu seine warnende stimme: 'Wir zu vnscrer vnschuldigeu zeit
Trincken nur zu vil on Durst' 124. Und den zu früh weggehenden wird zuge-
rufen: 'Hieher jhr vnfläter, es soll noch diesen ständlingen gelten' 148). Mars,
Venus, und Bacchus werden in einem athem genannt (214 und Tl. 131). Lälius
fordert fürs zutrinken 'ein grosses Glaß von drey schoppen, welches er jhm biß oben
einscheucken ließe' (212). (Tl. 150 f.) Philaiuler sieht sich nach dem ende das
bild der Verwüstung an : 'Aber ich fände sie schlaffend darinnen. Einen mit der
Nase auff dem Ermel, deu andern zu rück auff dem Banck klebend, den Lälius
354 HAUFFEX
aber langen wegs anff dem boden. . . Schüssel, Deller, Messer, die Hüte vnd Mäntel,
eines hie, das ander da im Saal, vor den Fenstern, auif dem Boden, die Fenster zer-
schmissen. . . (dem Einen) die Augen waren erstorben als eines gestochenen Kalbs; der
Bart vnd das Maul hieng voller Brocken, dass einem eckelt, wan ers ansähe; vast ein
Ohme Wein floß vff dem boden vmb den Tisch . . .' (231 f.). (Tl. 'Er sinckt schon
auff die Banck, ... im getümmel als zerspalten; Nun zuck den Banck; Xun wirff
den Stul; . . . den Tisch vmb; Gläser all zerbrochen . . . seht, wie der kugelt dort
im Sehleim und hat die uoten noch im hart', 147 'vnd die den Wein verschütten
werden, lecken jr teil von der Erden' 150. 'Seh wie Dir die Stieraugen spannen-
weit vor dem Kopif ligen' 151).
In dem gleichen gesiebt findet sich eine grabschrift auf einen franzosen, der
'so lang (er) auff Erden gelebet . . . deß Wassers gehasset' und nur wein getrunken
und in wein gekochte speisen gegessen habe. Schwer krank trinkt er ein volles glas
Wasser aus und gibt danach den geist auf (238—240), Das erinnert an Eousards
grabsclirift auf Eabelais, die Fischart verdeutscht hat (Gesichtklitteruug 8 f.). Hier
heisst es von Rabelais, 'trinckeu war sein leben' und 'sein Gurgel starck den Wein
anzog', dass aber der tod ihm einen krug wassers gereicht habe. Die letzten drei
verse des sechszeiligen grabspi-uches bei Moscherosch lauten : 'War a gaatar prassar
I Starb doch letzt am Wassar [ Ist io immar schadt'. Dieses altertümliche ar für er
konnte Moscherosch der in einem grabe gefundenen rätselhaften Weissagung (Ge-
schichtklitterung 43 ff.) entnommen haben.
Das wären also einige einzelbeziehungen zwischen diesen beiden bedeuten-
den werken. Auch im grossen und ganzen haben sie viel gemeinsames, ohne dass
daraus eine abhäugigkeit erwiesen werden könnte. Fischart wie Moscherosch
hat eine romanische quelle frei bearbeitet in niclit ganz gleicher, docli ähnlicher
weise. Beide fügen noch der vorläge, neben umfänglichen einschüben in die über-
setzten kapitel, selbständige kapitel hinzu, so Fischart die erste von-ede, das ehe-
kapitel und die von Eabelais nur wenig abhängigen kap. 3, 4 und 8, Moscherosch
die sieben gesiebte des zweiten teils. Beide verwerten für ihre zusätze und selb-
ständige kapitel zahlreiche heimische quellen (vgl. Hauff en, Xeue Fischartstudien
263—289 und die oben besprochenen dissertationen). Beide erklären in der vorrede,
dass sie durch scherz belehren wollen und ihre werke sind im kern satiien mit
moralisierender tendenz. Alle stände und Unsitten der zeit werden beleuchtet vom
Standpunkt eines wahrhaften ethischen und nationalen gefühls heraus. Beide zeigen
sich bewandert in der antiken, der iieueren und auch der deutschen volkstümlichen
literatur. Obschon auf fremder grundlage aufgebaut, weisen beide uns l)ilder aus
dem deutschen sittenleben jenes Jahrhunderts vor, welche, soweit sie auf selbst-
geschautem beruhen, uns heute noch in voller frische vor äugen treten.
'Aber im guten wie im schlimmen erinnert Moscherosch daran, dass er nicht
nur aus demselbeu südwestlichen landeswinkel wie Fischart stammt, sondern auch
unmittelbar durch die schule des älteren Satirikers gegangen ist' (M, Koch,
Geschichte der deutschen Literatur II, Die neuere zeit s. 46), Die Schattenseiten
beider werke, wie der literatur beider Jahrhunderte überhaupt, sind die ermüdende
Weitschweifigkeit und die arge formlosigkeit. Dieses Übermaß von beispielen,
dieser wüst von zitaten, Avelche von beiden meist ungenau oder mit willkürlichen
änderungen wiedergegeben werden, diese zwecklose anhäiifung von sj'uonymen,
dieses ewige abschweifen, bei dem man immer wieder den zusammeuliang aus dem
.äuge verliert! In alledem ist Moscherosch noch viel massvoller, doch schreibt er
ÜBER HINZE UND BEINERT, MOSCHEROSCH 355
oft sehr trocken und eutbehrt des ülierschäuineudcn humors seines vorg-ängers.
Beide werke zeigen im ganzen etwas ungieichmässiges, eine unausgeglicliene
mischung volkstümlicher und gelehrter elemente, keine spur von einer kunstvollen
einheit und abrundung.
Noch einige werte über die Insomnis cura parentum (abdruck der 1. ausgäbe
1643 von L. Pariser; Braunes neudrucke 108/9), soweit Fischart hiebei etwa in
betracht kommt. In seiner dissertation (a. a. o. 39) meint Pariser, Moscherosch sei
Fiscliarts 'Anmanung zu christlicher kinderzucht' bekannt gewesen, weil deren
pädagogische anweisungen im wesentlichen in diesem 'Vermächnuss' wiederkehren.
Nur in den kapiteln 20—24 könnten diese beziehungen gefunden werden, wo
Moscherosch seine söhne und töchter belehrt, wie sie dereinst ihre kinder erziehen
sollen. Die Übereinstimmung zwischen beiden lehren liegt aber nur darin, dass
hier wie dort die eitern ermalmt werden, die kinder vernünftig, ernst, liebevoll
und im christlichen geiste zu erziehen, sie vor bösen beispielen, vor der ärgernis
der weit zu warnen. Beide schliessen mit der bitte : Gott, der die kinder liebt,
möge ihnen den weg zum himmel weisen. Die durchführung aber ist ganz ver-
schieden; wörtliche anklänge fehlen durchaus. Man könnte also höchstens eine
anregung annehmen.
Meusebach (Fischartstudien, hg. von Wendeler s. 319) hat sich folgende
stelle aus der Insomnis cura notiert (neudruck s. 79 f.) : 'Kauffet das schöne buch
der Biblischen Figuren, vndenzu mit Teutschen artigen Eeymen außgelegt'.
Es ist aber sicher, dass damit nicht die ausgäbe von Tobias Stimmer mit Fischarts
Eeimen gemeint ist, wie Meusebach vermutet. Weder in bild noch wort finden wir
hier die in Moscheroschs kurzer andeutuug des Inhalts erwähnte hcirat des Tobias,
den reichen mann und den armen Lazarus, Diua, die Jungfrau Maria. Ferner hat
die genannte ausgäbe den titel: 'Neue künstliche figuren Biblischer historien',
während drei andere Sammlungen von bildern und reimen in dieser zeit 'Biblische
figuren' betitelt sind (vgl. Neue Fischartstudien s. 180 f.).
Neben den vielen gemeinsamen eigenschaften ihrer Schriften, besonders der
grossen romane, haben auch die persönlichkeiten Fischarts und Moscheroschs mehrere
gemeinsame züge. Beide sind gelehrte Juristen und polyhistoren, doch trotz ihrer
gründlichen und vielseitigen gelehrsamkeit wenden sie sich mit warmem anteil den
breiten schichten und der Volksdichtung zu. Beide preisen die ehe und leliren eine
vernünftige erziehung der kinder. Beide sind erfüllt von innerer evangelischer
frömmigkeit und dichter geistlicher lieder. Freilich blieb Moscherosch sein leben
lang ausgesprochener Lutheraner, ohne den Calvinismus zu unterschätzen {Insomnis
cura s. 119 f.), während Fischart in späteren jähren sich immermehr dem Galvinis-
mus zuneigt. Wenn dieser zum unterschied von Moscherosch mehrere konfessionell-
polemische dichtungen verfasst und calvinistische Streitschriften bearbeitet hat, so
lag das an dem geiste der kampferfüllten gegenreformatiou. Beide lieben aufs
innigste ihre engere heimat Strassburg (vgl. Neue Fischartstudien s. 176 f. Ge-
siclite II 18. 817. 818, wo ein loblied auf Strassbui'g von Joh. Freinsheim wieder-
gegeben und als 'herrlicher gesaug' gepriesen wird Insomnis cura 1'23), sowie das
deutsche volk und die deutsche spräche (vgl. die obigen ausführungen über deutsche
namen ; vorrede zum Ehezuchtbüchlein s. 122 ; Geschichtklitterung 53 u. a. ; Ge-
sichte 13. 212. 498 f.; II 35. 60. 92-103. 126. 191-199).
Moscherosch nennt nirgends Fischarts namen oder eines seiner Pseudonyme,
er erwähnt, abgesehen vom Eulenspiegel, keine seiner Schriften, und doch muss er,
356 Simon üreij kiedek, dkk sogenannte st. geokgenek predicek
Avie oben gezeigt wurde, einige seiner scliriften, besonders sein hauptwerk gekannt
haben. Jedesfalls hat er sich aber mit Fischarts Schriften nur flüchtig beschäftigt,
sonst hätte bei der Verwandtschaft ihrer naturen und ihres schriftstellerischen
Wirkens der einfluss deutlicher zutage treten müssen.
l'K^Ul. ADOLF HAUFFEN.
Der sogenannte St. Georg ener j) rediger aus der Freiburger und der
Karlsruher handschrift herausgegeben von Karl Riedev. Mit 2 tafeln in licht-
druck [= Deutsche texte des mittelalters, herausgegeben von der Kgl. preuss.
akademie der Wissenschaften. Bd. 10]. Berlin, Weidmann 1908. XXIV, 382 s.
15 m.
Der St. Georgener prediger, der bisher nur auszugsweise bekannt war, er-
fährt in der vorliegenden publikatiou einen vollständigen abdruck nach der Frei-
burger hs. nr. 464, der einzigen hs., in der uns die predigten (es sind deren im
ganzen 86) vollständig überliefert sind. Für die ur, 36—71 ist auch die Karlsruher
hs. St. Georg 36, die älteste uns bekannte hs., herangezogen worden. Da sie mit
nr. 71 abbricht, trat an ihre stelle die Züricher hs. c. 76/290, auf die ebenso wie
auf die Wiener hs. 2702 auch schon vorher gelegentlich zurückgegriffen wurde. Die
lesarten der Strassburger hs. 810 b, auf die Eieder erst beim abschluss des druckes
aufmerksam wiu'de, werden im anhang mitgeteilt.
S. XI ff. stellt Rieder das handschriftliche material zusammen. Zu der Strass-
burger hs. vgl. jetzt Pahncke, Kleine beitrage zur Eckhartphilologie, s. 5 ff. (beilage
zum 34. Jahresbericht des gymnasiums zu Neuhaldenslebeu, 1909). Die predigt-
sammlung, die in erster linie die Verhältnisse klösterlichen lebens berücksichtigt,
trägt einen durchaus einheitlichen Charakter und geht zweifellos auf einen Ver-
fasser zurück, der vor 1300 gepredigt hat. Der Verfasser ist, wie Eieder s. XXI f.
und in den anmerkuugen zum text überzeugend nachweist, kein geringerer als
Berthold von Eegensburg. Die gründe, die für Berthold sprechen, mögen in ihren
hauptpunkten hier kurz wiedergegeben werden. Die ersten vier predigten — schon
Wackeruagel hatte nr. 1—3 mit Berthold iu Verbindung gebracht — gehen sicher
auf ihn zurück, das beweist ihre Übereinstimmung mit den deutschen und den latei-
nischen predigten, die wir auf Berthold zurückführen können. Ebenso deckt sich
predigt 24 mit einem stück, das kürzlich Schönbach mit recht als Bertholdisclies
gut in ansprach genommen hat. Nr. 75 ferner findet zwar nicht dem Wortlaut, wohl
aber dem inhalte nach in den 'Sermones ad religiöses' seine entsprechung. Auf
Berthold weisen endlich die kurzen skizzen, die sich in der grossen Heidelberger
Bertholdhandschrift Cod. pal. germ. 24 finden, in der vorliegenden predigtsaramlung
dagegen ausführlicher wiederkehren.
GOtTINGEN. OTTO SIMON.
EHRISMANN ÜBER BRILL, DIE SCHULE NEIDHARTS b57
Richard Brill, Die Schule Neidharts. Eine Stiluntersuchung. Palaestra
XXXYII. Berlin, Mayer & Müller 1908. VIII, 251 s. 8». 7,50 ni.
In klarer Übersicht gibt der Verfasser eine geschichte der Neidhartnach-
dichtuugen, die sich über die drei letzten Jahrhunderte des mittelalters erstreckt.
Der Überlieferung entsprechend gliedert sie sich in drei stufen: die pergament-
iiundschriften enthalten die frühesten änderungen, zusätze und unechten töne, die
zumeist noch ins 13. Jahrhundert fallen ; in den papierhandschriften ist die reich
ausgedehnte Neidhartlitei-atur von ca. 1350—1450 niedergelegt; eine Sammlung vor-
hergehender leistungen bildet der dnick 'Neithart Fuchs' vom letzten drittel des
15. Jahrhunderts. Der literarischen und kulturgeschichtlichen seite des themas ist
der Verfasser in gleicher weise gerecht geworden. Wir verfolgen das fortschreitende
sinken der bildung in der vergi'öberung der einzelnen ausdrücke und des gesamten
Stils, in der auffassung vou dem beruf des dichters und dem zweck der kunst.
Über die trutzstropheu der bauern handelt der Verfasser s. 38—44 und
schliesst sich mit recht den grundlegenden ausführungen R. M. Meyers an (Eeihen-
folge der lieder Neidharts von Reuenthal s. 136 ff.), wonach Neidharts ausfälle gegen
die bauern literarische Weiterbildungen der volkstümlichen, unter umständen zum
tanze gesungene spottliedchen sind ; Kögel hat dann in seiner Literaturgeschichte
an verschiedenen stellen das thema vou den spottliedern, ebenfalls wie R. M. Meyer,
im althochdeutschen und altnordischen verfolgt. Im gründe gehen die spottstrophen
aus einem verhängnisvollen charakterzug der Germanen hervor, der kampflust. Das
starke individualitätsgefühl, der stolz, mann gegen mann sich zu bewähren, trieb
sie nicht nur zu krafttaten im kriege, sondern auch dazu, proben der redegewandtheit
im Wortgefecht an den tag zu legen. So gehörte das streiten überhaupt zur ge-
• selligen Unterhaltung; wechselgespräch war die würze im männerverkehr bei gast-
luahl und trinkgelage, und leicht entwickelte sich daraus eine gereizte Stimmung,
die zum kämpf auf leben und tod führen konnte. Die beispiele für solche Streit-
gespräche sind zahlreich. Ich verweise hier nur auf die begebenheit zwischen
Alboin und dem Gepidenkünig Turisind, die Paulus Diaconus erzählt (Hist. Langob.
I, 24) und auf die höhnuug Beowulfs durch Hunferd (vgl. zu dieser Jantzen, Gesch.
d. deutschen Streitgedichts s. 29), Beow. 499 ff. {onband headurüne 501). Zu
der gattung der streitreden gehören auch die herausforderungen zum Zweikampf.
Der Inhalt ist oft so angeordnet, dass er in einer spitze gipfelt, das ist das Schlag-
wort (vgl. Beitr. 32, 287 ff.). Dieses ist z. b. auch der fall in dem gespräch bei
Paulus Diaconus: auf die reizung des sohnes Turisinds fetilae sunt equne quas
similatis antwortet der Langobarde experiri quam valide istce quas equas nominas
prwvalant. Und so ist es auch oft in den trutzstropheu der bauern gegen Neidhart:
hi shiem reiden häre 44, 23 = trutzstrophe 149, 9, iveihelruote 50, 3 = tr. 158, 21,
sine stelzen da hestrlchen 62, 11 = tr. 180, 8 f. das er heMricTien wil mir die stelzen,
<ui den fudenol 65, 12 = tr. 184, 3 üf den vudenol, ein würze 74, 17 = tr. 198, G,
hid)e und rngelin 86, 7. 8 = ti*". 217, 1. 2. 9, hwrin vingerlta 96, 35. 38 = tr. 231, 7.
So ist auch Reinniars ausdruck daz ist in mat 159, 9 aufgenommen durch Walther
deist mates buoz 111, 31, und desgleichen Reinmars ein küssen mac versteln 159, 38
und da heb i'z üf 160, 4 von Walther mit steine — küssen . . . geicinnen 111, 35 f.
und habe imz da 111, 39 (Wilmanns, Walther s. 375-378) ; vgl. auch Gotfrids des
liastn geselle 4636 gegen Wolframs bild vom verscheuchten hasen Parz. 19 f.
HEIDELBERG. (1. EIIRISMANN.
ZEITSCIIKIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 24
358 iciiiMsxAxx
Eiail Dickhoir, Das zweigliedrige wurt - asyudctou iu der älteren
deutschen spräche. Palaestra XLV, Berlin, Mayer & Müller 1906. 244 s.
8». 7 m.
Der Verfasser hat mit seiner reichhaltigen und wohl durchdachten arheit
ehre eingelegt. Das thema, dessen grundzüge Roethe zuerst aufgestellt und für
ein bestimmtes gebiet abschliessend behandelt hat (Reinmar s. 317—323), ist von
ihm auf den ganzen geschichtlichen verlauf vom althochdeutschen bis aufs neu-
hochdeutsche ausgedehnt worden. Es ist demnach in folgende kapitel geteilt:
I. Die althochdeutsche zeit s. 9—54, II. Die Übergangszeit s. 55—80, HI. Die
mittelhochdeutsche blütezeit s. 81—137, IV. Das aufiösungszeitalter s. 139 bis
167, V. Die frühueuhochdeutsche zeit s. 169—216, VI. Ausblick in das neu-
hochdeutsche s. 217—239. Innerhalb der einzelnen Zeiträume gliedern sich die
erscheinungen nach den Wortarten: A das substantivische asyndeton, B das ad-
jektivische asyndeton, C das adverbiale asyndeton, D das verbale asyndeton, wozu
im mittelhochdeutschen noch das partizipiale, im frühneuhochdeutschen das numeral-
asyndetou hinzutritt. Man verfolgt in der literarischen Überlieferung das schritt-
weise zunehmen des substantivischen asyndetons vom althochdeutschen bis zum
17. Jahrhundert, wo der rückschlag eintritt, das aufkommen und schnelle ausbreiten
des adjektivischen im mittelhochdeutschen, den raschen abfall des im althochdeutschen
sehr geläufigen verbalen wort-asyndetons zugunsten des verbalen satz-asyndetous.
Dickhoff ist über eine bloss historische auffassung hinausgegangen und sucht
überall die erscheinungen in ihrer psychologischen entstehung zu erfassen. Die
inneren veranlassungen zur bildung der asyndetischen form können, so möchte ich
auf grund seiner Untersuchungen zusammenfassen, in der hauptsache von zweierlei
art sein: das begründende moment kann in der logischen auffassung des Verhält-
nisses der beiden asyndetisch komponierten begriffe liegen oder in der absieht, einen
stärkeren affekt zum ausdruck zu bringen. Wesentlich die erste art ist in diesem
Buche vertreten, die zweite, unter welche die auf rhetorische Wirkung abzielenden
zweigliedrigen asyndeta fallen, wird gegebenenfalls berührt. Das logische Ver-
hältnis zwischen den beiden begriffen ist nach Dickhoff die 'koraponierung dua-
listischer begriffe im sinne einer höheren einheit'.
Den inneren bewegungen, die den grund zu dieser sprachliclien erscheinung
des zweigliedrigen wort-asyndetons bilden, ist der Verfasser mit verständnisvollem
eiuempfinden nachgegangen. Aber da bei manchen dieser fragen das exakte be-
obachtungsmaterial nicht ausreicht und darum dem Sprachgefühl eine wichtige rolle
in ihrer entscheidung zusteht, so ist leicht gelegenheit für andere auffassung
gegeben.
Als grundgedanken für die erklärung des zweigliedrigen wort-asyndetons stellt
also der Verfasser die Zusammenfassung der beiden begriffe unter eine höhere ein-
heit auf. Aber streng ist diese definition nicht durchzuführen. Für die althoch-
deutschen asyndetischen paare von personennamen wie üacce Gundüa cum
filiis suis (s. 18, hier vermisst man einen hinweis auf J. Grimm, Kl. sehr. 7, 78)
bemerkt D. mit recht, dass trotzdem ein zusaramenschluss in der Verwandtschaft
bezeichnet werde, doch der individuelle Charakter der komponenten betont bleibe
(s. 96). Ich möchte weiter gehen. Das moment der Zusammengehörigkeit, der
innern einheit scheint mir hier überhaupt nicht durch die asyndetische form aus-
gedrückt sein zu sollen, sondern umgekehrt: die beiden persouen sind lediglich
ÜBER DICKHOFF, DAS ZWEIGLIEDRIGE WORT-ASYNDETOX 359
individualisiert; sie stehen nebeneinander als g-leichberechtigte glieder, und zwar
bei einem rechtsgeschäft. Denn der mann konnte in fränkischer zeit über den
grundbesitz nur unter mitwirkung der frau verfügen ; das rechtsgeschäft wird nicht
aufgefasst als die handhing zweier in einer höhereu einheit, das wäre hier der
familie, verbundenen personeu, sondern jede war Vertreter ihres eigenen Vermögens-
anteils und vollbrachte vor gericht einen eigenen rechtsakt. Auch der singular
■des prädikats wie dedit . . . Wolflmrt et Ansbolt mansmn unum (s. 21) ist
für die einheit nicht beweiskräftig, weil bei zwei Substantiven noch im raittelhoch-
dentschen der singular stehen kann, ohne dass damit ein besonders enger zusammen-
schluss bezeichnet werden soll (vgl. Schachinger, Die kongruenz in der mhd. spräche,
s. 88). So steht auch der singular sageta vor den Unterschriften der zeugen in
der zweiten Würzburger markbeschreibung MSD. LXIV, wo doch die aussage eines
jeden einzelnen gemeint ist. Vorher heisst es so sagant . . . unte quedent,
mit dem plural, wo alle wissenden leute zusammengefasst waren; am Schlüsse der
besprechung bei der zeugenaufnahme sagt es jeder einzelne und beglaubigt es ein-
zeln durch seine Unterschrift. Ebenso steht der singular in dem zweiten Merse-
burger Zauberspruch, auf den D. s. 19 verweist. Auch hier bedeutet der singular
und damit das asyndeton (anders Kauffmann, Beitr. 15, 207—210) den jedesmal
•einzelnen akt: jede der walküren der reihe nach raunt die Zauberformel. So also
ist auch die mittelhochdeutsche Inkongruenz ursprünglich aufzufassen, z. b. Nib.
386, 1 Mit im kom dö Dancwart und ouch Hagene, ursprünglich so viel wie
Dankwart kam und Hagen kam, Nib. 489, 4 Günther und Hagne dar umbe lachen
began Günther lachte und Hagen lachte. Und nicht anders wird auch nomine
Siklfrit Uotni s. 19 aufzufassen sein.
Sehr beachtenswert ist das ergebnis, dass das substantivische asyndeton in
der streng höfischen Epik — Hartmann, Gotfrid, Konrad v. Würzburg — gemieden
wird (s. 87), dass es also einen volkstümlichen anstrich hat. Die fälle bei Wolfram
<s. 97 f.) verdienten eine einzelbehandlung. Zunächst gehören einige fälle streng-
genommen nicht unter das zweigliedrige asyndeton, da sie in längeren aufzählungen
stehen wie Parz. 12, 16. 206, 3. 267, 10. 278, 10. 668, 5, Willeh. 185, 1. Bei an-
dern ist die höhere einheit, unter der sie stehen, noch beigefügt; damit ist aber
syntaktisch schon eine dreigliederung gegeben, die gedankenreihe ist schon weiter
.ausgefülirt, z. b. juncfrouwen, kamercere, swaz der da bt ir wcere, die lie si nläfen
über al Parz. 192, 21 f., riter, sarjande, diu gröze mahinande Parz. 646, 29 f. ;
ferner Parz. 816, 18, Willeh. 116, 24 f. 186, 16 f. 225, 29 f. Auch unter andern ge-
sichtspuukten lassen sich gruppeu bilden: Parz. '646, 29. 662, 10. 663, 11. 667. 30
gehören insofern enger zusammen, als sie alle in das XIII. buch fallen; begrifflich
stehen sich nahe die rtter sarjande Farz. 646, 29, Willeh. 116, 25. 186, 16. 226, 30,
sarjnnde, rittr Parz. 816, 18, sarjande, garzüne Parz. 668, 5, turkopel, sarjande
Willeh. 185, 1 ; vil banier, niwe schilte Parz. 222, 20, herherge, bnniere Parz. 662, 10,
manc banier, wol gemdltiu sper Willeh. 330, 17. Auf diese stellen passt die deu-
tung, die D. dem asyndeton gibt, gewiss: sie stehen unter einer höheren einheit,
dienen nur, um ein ganzes sinnfälliger und lebendiger hervorzuheben ; hier 'erscheint
ein kollektivum begrifflich gespalten' (S. 96). Sic fallen unter die technische be-
nennung, welche lateinische Stilistik für das asyndeton hat: dissohäio, dissolutum.
Aber anders emfundeu sind wieder die aneinaiiderreihungen rnbbine, calcidone tvärn
da ze sivachem löne Parz. 735, 21, sahnen, lampriden hat er doch liltzel veile Parz.
491, 16, samit, härminer vedern man da vil lützel an im sikt Parz. 144, 28. Hier
24*
360 KiiinsMAXX
■wird erzählt, dass etwas nicht da war, dessen dasein man hätte voraussetzen können.
Das ist ironie. Damit liegt aber auf diesen begriffen, die schon an sich einen
starken interessewert haben, noch ein besonderer nachdruck, durch die unvermittelte
nebeneinanderstellung wird jedes wort für sich stärker gehoben. Beim Vortrag
sind diese, und wohl alle asyndeta Wolframs, in akzentuierung und tonfall in einer
entsprechenden weise deklamiert worden, die sie etwa von den mit und gebildeten
formein lanterschied. Es konnte zwischen beiden gliedern ein kleiner zeitraum
beim Vortrag freigelassen und das zweite wort mit einem stärkeren ansatz neu
intoniert worden sein, stärker als in der mehr gleichmässig weitergleitenden Sprech-
weise der mit copula versehenen zwillingsformeln. Betrachtet man so die asyndeta
Wolframs im einzelnen, so bekommt man den eindruck, dass er sie nicht aufs
geratewohl anbrachte, sondern als bestimmte ausdrucksformen erkannte. Man
könnte sagen, er hat sie mit dem ohr gebildet. Der unterschied zwischen künst-
lerischer und rein mechanischer Verwendung dieses sprachlichen gebrauches wird
deutlich, wenn man mit Wolframs stellen andere von D. zitierte vergleicht, wie
z. b. die in Eeinbots H. Georg.
Wiederum andern ui'sprungs sind asyndeta wie anger, heide (J. v. Warte, 3ISH.
I, 67 a), hluomen, loup, diu leide Neifen 7, 18. Hier schwebt ebenfalls nicht die
Vorstellung von einer höheren einheit vor, sondern es sind wohl blosse aufzählungen,
abgekürzte reihen, eingeschränkt aus mehrgliedrigen aufzählungen, wie sie im
minnesang so häufig sind, z. b. umlt heid anger vogel singen Xeifen 8, 23, loup gras
hluomen vogellin heide Neifen 9, 29. — Bei der nichtsetzung des bindeworts kann
auch manchmal der rhythmus von einfluss gewesen sein.
Den grössteu anteil an der ausbildung des asyndetons, besonders im späteren
mittelhochdeutschen seit der zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts, hat die didaktische
poesie, hauptsächlich die spi-uchdichtung. Das mehrgliedrige asyndetou ist so recht
eine eigenheit des lehrhaften stils (vgl. Eoethe, Reinmar s. 317 ff.). Und das liegt
in der natur dieser dichtungsgattung. Sie hat es mit begriffen zu tun und mit der
anordnung derselben in kategorien, mit fugenden, die scharenweise empfohlen,
und noch mehr mit lästern, die ebenso scharenweise gebrandmarkt werden. Die
ältesten asyndetischen reihen liefern die beichtformulare. Die Wirkung wird nicht
erzielt durch eindringende auseinandersetzung der einzelnen begriffe, sondern durch
häufung derselben. Die masse muss es machen. Das gibt die registerhafte auf-
zählung. Mit der wachsenden bedeutung der didaktischen dichtung ist auch das
asyndeton zu einer geläufigen stilistischen form geworden, und war man daran ge-
wöhnt bei der Zusammenstellung mehrerer Wörter, so empfand man es auch bei
nur zweien nicht mehr als aussergewöhnlich.
Die entwicklung des zweigliedrigen asyndetons scheint mir — und hier weiche
ich von dem Verfasser wiederum etwas ab — folgende zu sein : Ahd., auch in der
Umgangssprache, stärker im gebrauch, wird es im mittelhochdeutschen in der höfischen
literatur zurückgedrängt (die französische zweigliedrigkeit mit et wird geradezu
mode, z. b. bei Gotfrid und Konrad); es lebt in der gesprochenen spräche weiter,
da es der naturgemässe ausdruck für gewisse lebhaftere denkmomente ist, und wird
darum von denjenigen Schriftstellern, die die Volkssprache nicht ganz verschmähen,
beibehalten. Durch den einfluss des lehrhaften tons wird es im späteren mittel-
hochdeutschen zur stilistischen manier.
Es ist zu wünschen, dass die fleissige und wohl durchdachte abhandlung. die
ÜBER SOKOLOWSKY, MINNESANG — PRIEST, EBERNAND 361
•das thema iu grossen zügen entwickelt, anregung gebe zu sonderuntersuchungen
über einzelne teile des gebietes, vor allem über die späteren perioden der deutschen
Jiteratur.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
Dr. Rudolf Sokoloivsky, Der altdeutsche minnesang im Zeitalter der
deutschen klassiker und romantike r. Dortmund, Fr. Wilh. Ruhfus.
1906. IV, 169 S. 8».
Franz Schultz hat in einem im anschluss an das erscheinen von Soko-
lowskys Buche abgefassten artikel iu der D. lit.-zeitung 1907, 2949—58 die ziele
vorgezeichnet, welche eine darstellung von dem wiedererwachen des minnesangs
im 18. und 19. Jahrhundert sich stecken muss, und zugleich darauf hingewiesen, wes-
halb die geistigen bewegungen, welche jener erscheinung zugrunde lagen, hier
nicht genügend herausgearbeitet werden konnten : es beruht dies hauptsächlich auf
der anläge des werkes, die von vornherein hierfür nicht geeignet ist. Der Ver-
fasser behandelt das thema unter zwei gesichtspunkten : I. Die wissenschaftlichen
bemühungen um die auferweckung des altdeutschen minnesangs während der jähre
1773—1838, und II. Der altdeutsche minnesang in der deutschen dichtung der
jähre 1780—1845. Es sind also, wie er selbst im vorwort andeutet, eigentlich zwei
verschiedene abhandlungen, die erste ein beitrag zur geschichte der germanischen
Philologie, die zweite ein solcher zur geschichte der deutschen dichtung im Zeitalter
der deutschen klassiker und romautiker. Das aber hat den nachteil, dass nun die
«rscheinung in ihrer gesamtwirkung innerhalb des geistigen lebens nicht zur
geltung kommen kann, denn die bedingungen, aus denen heraus das Interesse für
den minnesang, jenen intimsten ausdruck mittelalterlicher romautik, hervorgeht,
treten nicht klar zutage : das kräftige einsetzen in der richtung aufs geistige, das
wachsen des bildungstriebes in verschiedenen äusseruugeu, iu dem erstarken des
wissenschaftlichen sinnes, der erweiterung und Vertiefung der fähigkeit poetisch zu
empfinden, dem erwachen der liebe zur nationalen Vergangenheit; und ferner, dass
in ein und derselben Individualität die wissenschaftliche und die künstlerische
funktiou, der den stolf beobachtende verstand und die denselben zu einem poetischen
«rzcugnis formende phantasie, getrennt sind. Aber die abhandlung bleibt trotzdem
wertvoll, weil der Verfasser, ein vorzüglicher kenner seines arbeitsgebiets, nicht nur
«in sehr reichhaltiges material gesammelt, sondern auch die innere Veranlagung bei
den einzelnen Persönlichkeiten, inwieweit dieselbe für die aufnähme des minnesangs
günstig oder ungünstig beschaffen war, vielfach treffend erörtert hat.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
Cleo. M. Priest, Ebemand von Erfurt: Zu seinem leben und wirken. IX,
102 s. 8". Jena, Anton Kämpfe 1907 (promotionsschrift).
Der Verfasser, der sich schon durch die mitteilung über die wiederauffiudung
der einzigen Ebernand-handschrift (Beitr. 29, 368) sowie durch Untersuchungen über
den text des gedichtes (Princeton Univers. bull. XV, 1, 1—24 und Journal of engl,
and germ. philol., vol. V, nr. 4, 505 tf.) vorteilhaft in die Wissenschaft eingeführt hat,
gibt in dieser arbeit weitere gehaltreiche beitrage zur kenntnis des Erfurter dichters
362 EHKISMANX
und seines Werkes. Das urkundliche material Avird vermehrt: achtmal findet sich
der name Ebernand in Erfurt zwischen 1192—1227. In einem 'Ebernand junior'
oder 'juvenis' (belebt 1212 und 1217) glaubt Priest den Verfasser erkennen zu dürfen.
Er war 'buraensis' in Erfurt und muss einem angesehenen geschlechte angehört
haben. Der dichter wäre also bürgerlichen Standes gewesen und P. sucht darum
die gründe, die für einen geistlichen als Verfasser sprechen und die von Bechstein
und Bech dafür aufgeführt worden sind, zu entki'äften. Aber die ui'kundlichen be-
lege sind meines erachtens doch nicht ausgiebig genug, dass man mit einiger
Sicherheit die person unseres dichters aus ihnen erschliessen könnte. AVar der name
Ebernand auch selten, so ist doch nicht ausgeschlossen, dass ihn noch andere ge-
tragen haben als gerade die uns in den zufällig erhaltenen Schriftstücken erwähnten
personen. Für- die zweite hälfte des 13. Jahrhunderts ist denn dann überhaupt schon
nach dem Verfasser selbst eine grössere Verbreitung des namens anzunehmen.
Dass Ebernand geistlicher war, haben Bechstein und Bech allerdings nicht
sicher bewiesen, aber dafür, dass er bürger gewesen, ist bis jetzt überhaupt kein
stichhaltiger grund geltend gemacht worden. Solange dies nicht geschehen ist,
wird man einen mann, der mit solchem eifer für das mönchtum eintritt, ja, der es
sich zur aufgäbe setzt, geradezu für dasselbe Propaganda zu machen, der literarisch
gebildet genug ist, um in so wohlgeordneter spräche und so wohlgeregelten versen
zu dichten, doch eher für einen geistlichen halten.
Denn wenn der dichter auch keine besonderen kenntnisse aufweist noch mit
hohem schwung begabt erscheint, so setzt doch die beherrschung der spräche
eine stärkere Schulung voraus. Eingang und schluss, also teile, die nicht unter
dem einfluss der lateinischen vorläge stehen, sind mit floskeln in auffallenden reimen
ausgeschmückt: got mac tcol mins herzen vaz mit srme gaste erfüllten 16, daz
ist ir edeln gebetes livi (:rim) 48, nocJi teil ich stricken einen knoten:
danket hruoder Meimboten 4517, von den cgiptschen mucken, von ir vil
bösen zucken 4723, ez hat vil manegen starken drück (:üch) 4749.
Der eigentliche titel des gedichtes ist, worauf P. mit recht nachdrücklich
aufmerksam macht, Kaiser und Kaiserinn (s. 40 f.). Des weiteren sei noch die
datierung der handschrift hervorgehoben (zweites viertel des 15. Jahrhunderts,
s. 41—43) und verwiesen auf die reichhaltigen textbesserungen (s. 43—53). — Den
zweiten teil der abhandlung (s. 64—102) bilden Untersuchungen über 'andere deutsche
dichtungen desselben Stoffes', besonders über die schon von Steinmeyer, Z. f. d. a.
16, 474—476 beigezogene prosaauflösung der Erlanger hs. und des sommerteils der
Heiligen leben sowie über des Xonosius 'Legend vnd leben kej-ser Heinrichs' (Bam-
berg 1511).
HEIDELBERG. G. EHRISMAXX.
Max Leopold, Die vorsilbe ver- und ihre geschieht e. Germanistische.
abhaudlungen, begründet von Karl Weinhold, herausgegeben von Friedrich
Vogt. 27. heft. Breslau, M. u. H. Marcus 1907. VIII, 284 -f- 2 s. 10 m.
Untersuchungen über die Vorsilben gehören zu den schwierigsten kapiteln der
wortgeschichte, weil die bedeutungen jener bestandteile so wandelbar und die formen
so vielgestaltig sind. Zumal ist dieses bei dem präfix ver- der fall, das im laufe
der entwicklung die mannigfachsten funktionen übernommen hat.
ÜBER LEOPOLD, DIE VORSILBE VER- 363
Die vorliegende abhandlimg enthält die geschichte der vorsilbe ver- vom
gotischen bis aufs neuhochdeutsche mit beiziehung- des niederdeutschen, friesischen,
englischen und nordischen. Hervorzuheben ist besonders die starke berück-
sichtigung des früheren neuhochdeutschen sowie der lebenden mundarten und beruf-
sprachen. Durch diese ausdehnung des Stoffgebietes und durch genaues eingehen
auf die einzelnen erscheinungeu liat der Verfasser gewiss einen dankenswerten bei-
trag zur deutscheu Wortforschung geliefert. Aber die Untersuchung leidet an einer
empfindlichen schwäche : die erörterungen über die bedeutungsübergänge von v e r -
sind vielfach unrichtig aufgefasst; damit ist die gruppierung der typen fehlerhaft
geraten und überhaupt die geschichtliche entwicklung verzeichnet. Zu seinem
schaden ist der Verfasser der darstellung von Wilmanns (D. gramm., II. abt.,
s. 157—166), die er zum vorbilde genommen hat (s. 54), doch nicht genau genug
gefolgt, und sehr viel hat er verloren dadurch, dass er den artikel '■oer- in Pauls
Deutschem Wörterbuch unberücksichtigt gelassen. So legt er z. b. seiner einteilung
die drei gotischen präfixe faar-, fair- und fra- zugrunde, während Wilmanns und
Paul nur von faur- und fra- ausgehen (Wilmanns zieht fair nur mit reserve bei,
§ 127, s. 163). Auf fair- legen sie aus guten gründen wenig gewicht, denn schon
im gotischen ist seine bedeutung unsicher; für den sinn von 'ringsumher', den
ihm der Verfasser zuschreibt (s. 13. 163), kann einzig nur fainveitjan als beweis
beansprucht werden. Dass ausser faur- und fra- in dem deutschen ver- noch eine
andere präfixstufe mit unterläuft, ist allerdings wahrscheinlich (Wilmanns hat des-
halb in §§ 127—129, s. 168—166 noch sondergruppen angefügt), aber das gotische
und althochdeutsche überlieferte Sprachmaterial gewährt dafür keinen sicheren
Stützpunkt.
Eine weitere Schwierigkeit schafft der Verfasser dadurch, dass er got. faur
als zwei getrennte Wörter auffasst : faur I bezeichne die richtung, faur U die ruhe
(s. 9) : aber das gotische kennt eine solche bedeutungstrennung nicht und in der
erklärung der deutschen komposita werden dadurch zusammengehörende erscheinungeu
auseinandergerissen.
Noch grössere Verwirrung aber ist dadurch eingetreten, dass der Verfasser
trotz der Zugrundelegung der typen faur-, fair- und fra- doch nicht den ur-
sprünglichen sinn (faur- = vor, für, über etwas hinaus, vorbei, fra- = weg ; beide
zugleich als fesultatsbezeichnungen) folgerichtig zum ausgang nimmt. Er legt
nämlich oft, wenn ein und dasselbe wort verschiedene bedeutung hat, den grund
dieses Unterschieds nicht in das präfix, sondern in das schon zusammengesetzte
verbum selbst. Hat z. b. ein wort zugleich einen günstigen und einen gehässigen
sinn, so sei diese Verschiedenheit nicht in der ursprünglichen bedeutung des präfixes
enthalten, sondern sie sei aus der Verwendung des wertes im Satzzusammenhang
entstanden. So kann z. b. ein 'versprechen'' 'frei herausreden' {ver- = faur- l) 'im
gefüge des satzes je nach dem inhaltlichen Zusammenhang freundlichen oder ge-
hässigen sinn annehmen, kann z;um befürworten oder verleumden werden' (s. 113,
8. auch s. 58). Damit ist aber ein ganz anderes prinzip in die erklärung herein-
gekommen, durch welches jene einteilung auf grund der gotischen präfixe stark
durchbrochen wird. Abgesehen aber davon: in solchem umfange ist ein eintiuss
der Sprechsituation auf den bedeutimgswandel undenkbar. Würde er wirklich in
diesem masse, wie er hier schon allein bei der vorsilbe ver- vorausgesetzt ist,
überhaupt im sprachlichen leben herrschen, dann würde alle Sicherheit in der gegen-
seitigen Verständigung der redenden aufliören. Bei dem obigen beispiel erklärt
3G4 KAUFFMANN
sich die beileutuno'sverscliicilenheit ja aber auch leicht genug schon aus dem sinn
der Vorsilbe : gegenüber dem faar- in 'befürworten', das zu der grossen gruppe mit
dem begriffe 'die stelle vertreten, eintreten für, sorgen für' gehört, steht in 'ver-
leumden' das verneinende bezw. verschlechternde ./>«-. Ebenso ist es z. b. in ver-
legen s. 82—86, versehen s. 58—63 : den bedeutungswandel dieser drei Wörter erklärt
Wilmanns restlos aus den beiden typen /aw;-- und /;•«-: versprechen ^-prohihev^ reuun-
tiare und defendere, loqui pro unter fawr- § 125, 2 bezw. § 125, 3, s. 159, dagegen
= sich versprechen unter /ra- § 126, 6 s. 163; verlegen = operire, verhindern § 125, 3,
s. 159 (2mal) unter faur-, aber = an einen unrechten ort legen § 126, 6. s. 162
unter fra- : versehen = prospicere, vorsorgend bedenken § 125, 3, s. 159 unter
fanr-, = respicere § 126, 3, s. 160, = versehen für, fälschlich halten für § 126, 6,
s. 163 unter fra- (= sich versehen, etwas erwarten § 127, s. 164, unter ver- in un-
bestimmterer bedeutung).
Lehrreich wäre auch eine Zusammenstellung der althochdeutschen rer-kom-
posita in sich (der Verfasser hat sie in die entwicklungsreihe des ahd. — mhd. —
uhd. eingestellt und nuter den einzelnen Wörtern untergebracht). Es würde dann
ersichtlich sein, wie ursprünglich, worauf Paul aufmerksam gemacht hat, die kom-
posita mit fra- jene mit faur- weit überwiegen. So haben z. b. Tatian (/or-, /itv-),
Otfrid {fir-)^ Williram {ver-) fast nur Zusammensetzungen mit dem begriffe des
verneinens bezw. verschlechterns und mit resultativem sinne, nur ganz wenige, die
unbedingt auf faur- zurückzuführen wären. Für die letztere bezeichnung dienen
die trennbaren Zusammensetzungen mit fora, furi und fram.
Trotz der ausstellungen möchte ich die abhandluug doch als eine tüchtige
und verdienstvolle leistung anerkennen.
HEIDELBERG. G. EHRISMANX.
Paul Habermann, Die Metrik der kleineren althochdeutschen Reim-
gedichte. VIII, 194 s. Halle a. S., M. Niemeyer, 1909.
Obwohl Klopstock als neutöner dem deutschen vers seine musikalische aus-
drucksform verliehen und die verswirkung nicht bloss auf den rhythmus, sondern
auch auf die melodie eingestellt hatte, * ist die deutsche verstheorie an der latenten
musik der deutschen dichtersprache wie an etwas unwirklichem vorübergegangen.
Eduard Sievers gebührt das grosse verdienst, die Sprachmelodie deutscher
dichtung der forschung zugänglich gemacht zu haben. Er forderte, dass nicht bloss
der rhythmische, sondern auch der melodische Charakter des einzelnen dichter-
werkes untersucht und beschrieben werde. Das bedeutet nichts geringeres als eine
vollständige um- und neugestaltung der metrischen theorien, an der die phonetische
einsieht in die schallformen der rede in erster linie beteiligt ist. Nach dem Vor-
gang von Sievers hat namentlich F. Saran die neue bahn betreten und eine pho-
netische analyse der schallformen dichterischer rede nach ihren musikalischen
qualitäten in angriff genommen. Dem beispiel , das ihnen ihre lehrer gegeben
haben, folgten die schüler, und so hat zunächst G. Eberhardt die metrik des Anno-
liedes nach den neuen anforderungen behandelt, - auf ihn folgte Sarans schüler
1) Vgl. K. Burdach in der Deutschen ruudschau 142 (1910), 236 ff.
2) Beitr. 34, 1 ff.
ÜBER HABERMAXX, MI:tRIK 365
Habermann mit seiner Studie über die kleineren (endreimenden) althochdeutschen
gedichte.
Es ist eigentlicli zu verwundern, dass man die unserem rhythmischen und
musikalischen empfinden ferner stehenden altdeutschen dichtungen zuerst in angriff
genommen hat, um die neue arbeitshypothese zu erproben. Es hätte näher gelegen,
mit einem so ausgeprägt musikalischen dichter wie Klopstock zu beginnen und das
melos seiner freien rhythmen festzustellen. Aber wir können den gang der dinge
nicht ändern und nicht auflialten uud wollen hoffen, dass sich bald eine gut vor-
bereitete wissenschaftliche kraft finde, die sich der musikalischen ausdrucksformen
der Klopstockschen verse bemächtige. Als interessante experimente begrüssen wir
vorerst auch die bisherigen Veröffentlichungen.
Ihre ergebnisse sind zwar noch einigermassen unbestimmt, reichen aber völlig
aus, um die zulässigkeit einer musikalischen Interpretation selbst des sprödesten
Stoffes darzutuu. Von der grundthese Sarans, alle deutschen metra gingen auf be-
wegungslieder zurück, ihr mutterboden sei die orchestische singmusik der Germanen
und erst, nachdem die orchestische melodie verschwunden, seien die sprechmetra
unserer poesie mit der ihr eigenen Sprachmelodie entstanden, versprechen wir uns
für die einzelforschung keinen gewinn, sie hat auch in den Untersuchungen von
Eberhardt und Habermann keine aufdringliehe rolle gespielt. Aber was Saran den
'monodisclien konzertvortrag' unserer altdeutschen dichtungen nennt, scheint bereits
für seine nachfolger die selbstverständliche Voraussetzung zu bilden. Engelhardt
definiert die verse des Annoliedes so : das gedieht liegt ziemlich tief, seine verse
müssen mit ziemlich grosser klangfülle und mittlerer Weichheit gelesen werden,
die klangfarbe ist im sinne der tiefen klarinette (Beitr. 34, 34). Im gleichen dialekt
spricht Habermann. Für das Ludwigslied ist die Stimmlage ziemlich hoch, für eine
tenorstimme bietet es keine Schwierigkeit, die klangfarbe ist gemischt: einerseits
etwas schmetternd und kalt, metallisch fest und von einer ziemlich gleichmässigen,
gewissen gepressten härte, doch fehlt auch eine beimischung von wärme und dunkle
fäi'bung nicht; instrumental kann sie als mischung von klarinetten- und trompeten-
ton bezeichnet werden (s. 13 1. Die klangfarbe des Petrusliedes ist weicher uud
dunkler als die des Ludwigsliedes, die stimme klingt mehr im sinne der klarinette
(erheblich weniger metallisch als beim Ludwigsliede), dabei kräftig und voll (s. 30 f.).
Die schallform des gedichtes 'Christus und die Samariterin' ist von auffällig hellem,
kaltem, palatalem klang, die stimme klingt im sinne der hohen klarinette, dabei
ist die allgemeine Stimmlage des gedichtes sehr hoch (s. 38). Die nachdichtung des
138. psalmes erinnert mit ihrer klangfarbe etwa an die mittlere läge der flöte, die
stimme klingt weich und etwas hohl, dabei ein wenig dunkel (s. 54 f.). Bei dem
Vortrag von De Heinrico klingt die stimme sehr hell und kalt mit einer etwas
grellen, schmetternden färbung, etwa im sinne der trompete 'der dichter
trompetet mit aller kraft, die allgemeine Stimmlage des liedes ist das hohe register
meines Stimmumfanges' (s. 71). Die klangfarbe des Memento mori ist im allge-
meinen der des Ludwigsliedes ähnlich, nur klingt die stimme weniger hell, das
knarrende beigeräusch, das beim Ludwigslied zu bemerken ist, ist hier gering;
die stimme hat einen harten, ein wenig trompetenartigen, fast gellenden klang, der
aber immerhin der wärme nicht entbehrt; die vorderreihen zeigen einen etwas
weicheren und wärmeren, mehr klarinettenartigen sprachklang als die hinterreihen,
die ihrerseits mehr den klangcharakter der trompete hören lassen (s. 88). Solch
temperamentvollen metapheru gegenüber möchten wir doch empfehlen, bei der
366 STOLZKXliURG
lüiebternou und saclilichen ausdrucksvveise von Sievers zu beharren. Wir hätten
es lieber gesehen, wenn der Verfasser seine vortragsgesten ausgiebiger beschrieben
hätte und begrüssen es, dass er den anfang damit gemacht hat, seine rurapflialtung
zu beobachten imd darüber nach dem system von Eutz zu berichten (vgl. z. b. s. 14 f. 55).
Dankenswert sind auch die von dem Verfasser aufgezeichneten melodischen kurven
und seine angaben über die von ihm eingehaltenen Intervalle. Doch haftet auch
ihnen an, dass sie, solange sie nur durch eine einzige (eingeschulte) Versuchsperson
gewährleistet bleiben, der überzeugenden kraft entbehren. Auf s. 97, 99, 101 hat
der Verfasser selbst die erforderlichen ein schränkungen seiner resultate angedeutet
und vor ihrer allgemeingültigkeit gewarnt.
Für die rhythmik der von ihm untersuchten verse ist der Verfasser zu neuen
resultaten nicht gelangt (vgl. die Statistik s. 102 ff.). Interessant waren mir einige
textkritische ergebnisse; insbesondere die erkenntnis, dass füi' die texte der ge-
nannten ahd. denkmäler von reduzierten endsilbenvokalen in weit grösserem um-
fang gebrauch gemacht werden müsse, als die beschreibende ahd. grammatik zu
fordern pflegt. In diesem stück ist Habermann mit Kappe (Zeitschr. 41, 137 ff.)
zusammengetroffen.
KEEL. FRIEDRICH KAUFFJrANX.
Die gotische bibel, herausgegeben von Wilhelm 8treitberg. Erster teil:
Der gotische text und seine griechische vorläge mit einleitung, lesarten und
quellennach weisen sowie den kleinen denkmälern als anhang. [Germanische
bibliothek, herausgegeben von W. Streitberg". Zweite abteilung. Unter-
suchungen und texte. III, 1.]. Heidelberg, Carl Winters universitätsbuch-
handlung, 1908. 484 s.
Seit langem wurde eine neue ausgäbe der gotischen bibel erwartet, denn
diejenige von Bernhardt aus dem jähre 1875 genügte in keiner weise mehr. Be-
sonders der von Bernhardt gebotene griechische paralleltext war seit den Unter-
suchungen Kauffmanns (Zeitschr. 29, 30, 31) gänzlich veraltet; aber auch der
gotische text, auf Uppströms lesung beruhend, bedurfte dringend einer neuen
kollatiouierung. So ist die neuausgabe von Streitberg auf das freudigste zu be-
grüssen. Allerdings ist, um dies vorwegzunehmen, der codex argenteus keiner
neuen durchsieht unterzogen worden und damit leider ein teil der aufgäbe ungelöst
geblieben. Sehr bedeutsam sind dagegen die Verbesserungen des textes, welche
auf den forschungen des herrn direktors Wilhelm Braun in Mailand benihen. Eine
ausführliche begründung der neuen lesarten der ambrosianischen hss. wird von ihm
selber an anderer stelle gegeben werden.
Der griechische text ist nicht ganz so einfach ausgefallen, wie man nach
Kauffmanns arbeiten hätte erwarten sollen. Vielmehr ist das handschriftensystem
V. Sodens zugrunde gelegt worden, nach dessen Ansicht Wulfilas vorläge ein K*-text
ist, in den I*-lesarten eingedrungen sind. Der von Streitberg gegebene griechische
text bietet durchweg die K"-lesarten und verzeichnet die abweichungeu der Itala (mit
den zugehörigen gr. hss.), wenn sie zum gut. text stimmen, im apparat. Bisweilen,
wenn z. b. Clirysostonuis auch die abweichende lesart hat, ist diese, die also mit
dem got. stimmt, in den text gesetzt und die K*-lesart in den apparat. Ob dies
ÜBER STREITBERG, DIE GOTISCHE BIBEL 367
eine glückliche uud eudgültige lösuDg des problems ist, wage ich nicht zu ent-
scheiden. Jedenfalls iat der fortschritt gegen Bernhardt ausserordentlich, wenn
auch auf manche Variante wohl hätte verzichtet und damit der apparat noch ein-
facher hätte gestaltet werden können.
Der apparat zum got. text ist bedeutend knapper als der Bernhardts; er
konnte es sein, weil vieles von dem, was wir bei Bernhardt finden, z. b. syntaktische
bemerkuugen, in Screitbergs Got. Elementarbuch behandelt wird.
Eine der wichtigsten ergebnisse der neuen ausgäbe ist offenbar in den
schlussworteu der einleitung (s. XLVI) zusammengefasst, die daraufhinweisen, 'dass
beinahe alle abweichungen des got. textes vom Wortlaut der gr. vorläge, die nicht
auf Interpolationen nach der lat. bibel beruhen, auf änderungen nach parallel-
stellen zurückzuführen sind'. Diese tatsache ist um so bedeutungsvoller, als der
herausgeber nicht mehr, wie Bernhardt es noch in weitem umfange getan, den
Codex Brixianus f zur erklärung zahlreicher abweichungen heranziehen konnte.
Hier drohte eine lücke in der erklärung des textes zu entstehen, die den über-
triebenen Vorstellungen von der Selbständigkeit des Übersetzers neue nahrung ge-
geben hätte. Im Lukasevangeliura z. b. sind es allein 24 stellen, wo Bernhardt
auf f als erklärung hinweist, während Streitberg eine parallelstelle (am häufigsten
aus dem Mt.) oder eine benachbarte stelle zur deckung anführt. Darunter sind
z. b. so auffällige zusätze wie Lk. IX 43 qa]) Paitrus: frauja, duhve weis ni mahtedun
usdreiban i)amma? i{) Jesus qa|): {)ata kuni ui usgaggij) nibai in bidom jah in
fastubnja, der unter benutzung der parallelstellen Mt. 17, 19 f. und Mk. 9, 29 zu-
stande gekommen ist. Oder Lk. V 20 du })amma U8lij)in (Mt. 9, 6. Mk. 2, 6) ; Lk. V 33
siponjos (Mt.9, 14. Mk. 2, 18) Lk. VI 20 ahmin (Mt. 5, 3). Lk. XIX 22 jah lata (Mt.25,
26) u. a. Die parallelstellen sind aber auch als erklärung wichtig, wo Bernhardt
nur andere handschriften (meist it.vg.) heranzieht. Obwohl sich natürlich nicht mit
Sicherheit feststellen lässt, ob die parallelstelle nicht zunächst in den gr. oder lat.
hss. wirksam geworden ist und dann durch sie auch auf den got. text gewirkt hat,
so ist es doch, nachdem einmal eine solche textkritische bearbeitung der got. bibel
feststeht, in vielen fällen das natürliche, sich unmittelbar auf die parallelstelle und
nicht auf irgendeine häufig ganz vereinzelt stehende hs. zu beziehen. So ist z. b.
Lk. XVI, 18 Änö dvSpög im got. ausgelassen. Bernhardt führt zur erklärung nur D
an, während wir bei Streitberg die parallelstelle Mt. 5,32 augezogen finden, wo
diese werte auch im gr. fehlen. In einer dritten gruppe von fällen endlich hatte
Bernhardt sich einfach damit begnügt, die abweichung zu verzeichnen, oder irgend-
einen andern, häufig gezwungenen erklärungs versuch gemacht, während die parallel-
stelle das rätsei auf die einfachste weise löst. Auch solche fälle finden sich in
grosser zahl (im Lukasevg. z. b. 26). Den auffallenden plural in Lk. VIII 4 gaqu-
manaim jjan hiuhmam auvidvxos Se ox^ou erklärt z. b. Streitberg durch den hinweis
auf Mt. 13, 2. Lk. XVI 20 namins hairtans öw[iOLzi wird durch Lk. 19, 2 verständ-
lich u. a. Diese stellen, die sich in den andern evangelien in ähnlicher zahl finden,
geben uns ein bild von der ausgedehnten kritischen Überarbeitung, die die got.
bibel erfahren hat, und sind ein neuer beweis dafür, wie vorsichtig mau bei der
feststellung von abweichungen des Goten von seiner vorläge verfahren muss.
HAMBURG. HANS STOLZENBURG.
368 KAHLE
Br on 11 u-Nj älss aga (Njäla), her. v. Fiiinur Jöusson (Altnordische saga-
liib Hot hole, her. v. Gustav Cederscliiöld, Hugo Geriug und Euareu Mos^k.
IB). Halle a. S., Max Niemeyer, 1908. XLXI u. 452 s. 8 \ in. 12.
Dass die sagabibliothek jetzt auch die umfangsreichste, künstlerisch hervor-
ragende, kiilturhistoriseh und rechtsgeschichtlich bedeutsame Njäla in ihre Sammlung
aufgenommen hat, ist mit freuden zu begrüssen. Bisher war diese saga verhältnis-
mässig schwer zugänglich. Ist auch immer noch der preis ein hoher, so wird doch
jetzt weiteren kreisen die anschaffung möglich. Wenn ein kenner des isländischen
Schrift- und altertums wie Finuur Jönsson sich der schwierigen aufgäbe unterzieht,
diese saga neu herauszugehen, darf man das beste erwarten. Die hauptarbeit be-
züglich der handschriften hatte ja freilich Konräci Gislason in seiner grossen zwei-
händigen ausgäbe bereits geleistet. Für die beliebtheit der saga zeugt die überaus
grosse menge dieser, und man hat sich verschiedentlich bemüht, deren gegenseitiges
Verhältnis zu bestimmen, ohne dass es gelungen wäre, sichere Ordnung in den Wirr-
warr zu bringen. Einigerraassen fest steht nur, dass alle auf eine gruudhandschrift
zurückgehen. Zwei Codices, der alten k. Sammlung zu Kopenhagen angehörig,
nr. 2868, 4° (G) und 2870, 4" (J), scheinen gegenüber den andern in manchen
fällen die bessere lesart zu haben, sind aber so lückenhaft, dass F. J. mit recht
davon abgesehen hat, sie seiner ausgäbe zugrunde zu legen. Es kommt noch hinzu,
dass in diesen handschriften der text vielfach nach der Landnäma umgearbeitet
worden ist. Daher hat F. J. gewiss recht getan, wenn er, ebenso wie Konräö
Gislason, cod. AM 468, 4" zugrunde legte, eine fast vollständige handschrift, mit
zwei kleineren lücken, deren eine noch dazu nach einer papierhandschrift ergänzt
werden kann. Wo G. und J. die bessere lesart zu haben schienen, ist sie in den
text aufgenommen worden. Obwohl nun, wie schon bemerkt, K. G. die gleiche
handschrift wie F. J. zugrunde gelegt hat, weicht sein text doch bedeutend von dem
F. J.s ab. K. G. suchte den ursprünglichen grundtext herzustellen und nahm zu
diesem zweck eine menge lesarteu aus den verschiedensten handschriften auf. F. J.
verzichtet mit recht auf dies vergebliche bemühen. Sein vorgehen hat aber noch
einen grossen vorteil: der text wird von einer grossen anzahl von Strophen, die
aus verschiedenen gründen für unecht anzusehen sind, entlastet, denn sie finden
sich nicht in F, sondern meistens nur in B und E. K. G. hatte alle diese in den
text aufgenommen; sie umschreiben aber in der regel nur das im text gesagte,
daher haben sie auch inhaltlich kein Interesse. Deshalb hat F. J. auch darauf
verzichtet, sie in einem anhang mitzuteilen, und man vermisst sie in der tat
nicht weiter.
Ich versuche nun, in kürze die ansieht des herausgebers über die entstehung
der saga so, wie sie vorliegt, wiederzugeben, wobei ich aber bemerke, dass es nicht
immer ganz leicht ist, zu verstehen, was gemeint ist. A. U. Bääth in seinen 'Studier
öfver kompositionen i uägra isländska ättsagor' (Lund 1885), die mir hier leider
nicht zugänglich sind, hatte geäussert: 'der Verfasser habe seinen stoff in solchem
masse beherrscht, dass, während er die erste zeile niederschrieb, sein blick sozu-
sagen bereits auf die letzte zeile geheftet war'. Für vollständig berechtigt hält
nun F. J. dieses urteil nicht, da man auf verschiedene eigentümliche Unebenheiten
stosse, auch nicht alle episoden organisch notwendige teüe des ganzen seien. Doch
enthalte das urteil ein gut teil Wahrheit. F. J. ist nun der meinung, dass der
historische Zusammenhang der saga offenbar nicht einem ersten Verfasser an-
gehöre, sondern einem be arbeit er. Die saga beruhe in der vorliegenden fassung
ÜBER JÖNSSON, BREXNU-NJAL.SSAfiA 369-
auf eiuer durchgreifenden Umformung und kontamination des Stoffes, anderer art,
als sie es in den ältesten sagas aus der zeit von 1150—1200 zu sein pflegt. Hierher
gehöre z. b. der abschnitt über die Christianisierung der insel. der an stelle einer
ursprünglichen kurzen notiz über den übertritt Njäls zum neuen glauben getreten
sei. Ferner die Schilderung der Brjänsschlacht. Der Kristni|)ättr seinerseits
(kap. 100— 105j stehe innerhalb einer Interpolation, in der die ermordung eines
unehelichen sohnes des Njäl und die dafür genommene räche erzählt wird (kap. 98,
99, 106). Ausser anderem, unbedeutenderem, wie z. b. dass personen ohne weiteres,
eingeführt werden, oder dass ein und dieselbe person an erster stelle einfach ge-
nannt, später aber durch anführung des geschlechtsregisters charakterisiert wird,
ist die hereinarbeitung einer Gunnarssaga anzunehmen. F. J. kommt zu dem schluss,
dass eine besondere Njälssaga existiert habe, die die gewöhnliche klassische gestalt
gehabt habe ; aus ihr stammen die kap. 107 ff. bis zum schluss. Wie der erste
teil gestaltet war, lässt sich im einzelnen schwer sagen. Die feindschaft zwischen
Hallgerö und Bergjjöra wird besser in die Gunnars- als in die Njälssaga gehören.
Seine auffassung vom Verhältnis dieser beiden sagas hat F. J. geändert. Früher
meinte er, eine ältere Gunnarssaga sei mit der älteren und ursprünglichen von Njäl
verschmolzen worden. Wegen der abweichenden mitteilungen der landnäma über
Gunnar, die, v.'enn auch nicht sicher, so doch wahrscheinlich einer Gunnarssaga
entstammen, meint er jetzt, dass diese nicht in die Njälssaga aufgenommen worden
sein kann, sondern dass die Gunnar betreffenden partien ein fabrikat nachklassischer
zeit seien, frühestens um die mitte des 13. Jahrhunderts entstanden. Der ver-
schmelzer ist wahrscheinlich auch der Verfasser dieser Gunnarssaga gewesen, die
auf alten, verblichenen erinnerungen, verderbter tradition beruht. Er hat auch die
alte Njälssaga umgestaltet. Diese so entstandene saga ist nun noch einem zweiten
uraarbeiter in die bände gefallen, dem die kap. 98, 99, lOG, vielleicht auch noch
einiges andere zuzuweisen sind. Noch wieder ein anderer fügte die Jugendgeschichte
der Hallgerö und die erzähluug von der Christianisierung der insel hinzu. In ihrer
gegenwärtigen gestalt geht die saga nicht über das letzte viertel des 13. jahr-
huüderts zurück. Sie ist verfasst in der landschaft, in der sie spielt, was aus der
genauen keantnis der örtlichkeit und der alten tradition geschlossen wird. Das
gleiche gilt vom Verfasser der Gunnarssaga; doch hat die Njälssaga ihre endgültige
g/3stalt in den landschaften um den BreiöifJQrö erhalten, wo das geschlecht der
Ilallgevö zu hause war. Hierfür spricht auch, dass die meisten handschriften aus
atiii Westlande stammen.
Gegen diese auffassung F. J.s von der entstehuug der saga wird sich nun
aber doch einiges einwenden lassen. Darin, dass in die Njälssaga eine Gunnarssaga
hineingearbeitet ist, wird man ihm zustimmen; das ist ja wohl auch die allgemeine
annähme. Dass nun aber F. J.s letzter bearbeiter auch der Verfasser dieser Gunnars-
saga, dieses 'fabrikats', gewesen sei, scheint mir durchaus unglaubwürdig zu sein.
Schablonenhafte Schilderungen von auslandsreisen und der dort erlebten abenteuer
finden wir auch in klassischen sagas, ohne dass wir in jedem fall genötigt sind,
das als Interpolation oder späteres machwerk anzusehen. Auch auf etwaige ana-
chronismen und chronologische fehler legt F. J. viel zu viel gewicht. Er neigt viel
zu sehr zu der ansieht hin, dass jede klassische saga ein werk aus einem guss,,
ohne Widerspruch, ohne chronologische fehler sei. Man braucht gar nicht bei jedem
Widerspruch innerhalb einer saga das werk eines späteren, bösen bearbeiters oder
interpolators zu suchen. Solche Widersprüche passieren auch nidderiien sclirift-
•370 KAHLE
stelleru ; warum sollte es uicht bei den alten der fall sein ? Wenn eine episode,
wie der Kristnii)ättr, zu ausführlich erscheint, wenn sie sich nicht mit dem strengen
auf bau der saga vereinen lässt, muss sie deshalb später eingefügt sein ? Gibt's
nicht auch eine lust, zu fabulieren? Njäl wird Christ; nun gut, warum sollte da
nicht den Verfasser die lust anwandeln, etwas ausführlicher von der Christianisierung
der Insel zu erzählen? Warum sollte nicht schon der Verfasser ein stück einer
quelle, die hiervon handelte, eingefügt haben? Solche benutzung von quellen ist
ja nichts ungewöhnliches. Nach F. J. hat dies stück keine direkte berührung mit
der Kr. Diese darstellung beruhe auf mündlicher tradition, zu der die verse als
fester bestandteil gehörten, nach seiner Literaturhist. 2, 581 der gemeinsamen quelle
auch der Kristnisaga. Nach Brenner, Über die Kristnisaga, s. 114 f. steht die dar-
stellung der Njäla 'der Aris sehr nahe; aber Ari habe diese nicht benützt, wenigstens
keine schriftliche, eine gemeinsame schriftliche quelle sei nicht vorauszusetzen.
Nur an einer stelle habe die Nj.äla einen anklang an die Kr., ohne dass Ari über-
einstimme. Diese letzte angäbe aber ist offenbar nicht richtig, wie mir überhaupt
das Verhältnis dieser drei darstellungeu einer erneuten prüfung zu bedürfen scheint.
Ich verweise nur auf folgende Übereinstimmungen zwischen Nj. und Kr.
Nj. 101, 7 peir ligföu allir verit knstnir langfeögr: Kr. 8, 1 peir vdru allir
skirMr langfedgar.
Nj. 101,10 en kann hljöp af hestinuin ok komz upp d hakkann: en hatin
hljöp af baki ok stöö d bakkanum [heill] '.
Nj. 104 en pd vard Oldfr konungr svd reidr, at kann let taka alla Islenzka
menn ok setja i myrkvastofu. . . . Kr. 11, 10 ßd vard konungr svd reidr, at kann
let taka viarga Islenzka menn ok setja i jdrn. . . .
Die letzten beiden stellen sind deshalb charakteristisch, weil in ihnen beiden
davon die rede ist, dass der könig die Isländer gefangensetzen liess, während bei
Ari an der entsprechenden stelle. Ib. 7, 4, nur von Verstümmlung und tötung die
rede ist. Diese Übereinstimmungen scheinen doch auf eine gemeinsame schriftliche
quelle hinzuweisen. Wie deren Verhältnis zu Ari war, müsste noch bestimmt werden,
und solcher schriftlichen quellen wird der, mag man ihn nun Verfasser oder be-
arbeiter nennen, also derjenige, der der Njälssaga die gestalt gegeben hat, in der
sie uns jetzt vorliegt, noch mehrere gehabt haben. Damit komme ich zu dem
gleichen resultat wie Heusler in seiner anzeige DL. 1909, sp. 735: es werden die
Gunnarssaga, die von F. J. genannte ältere Njälssaga gewesen sein, vielleicht auch
schon die Brjänssaga, aus der er die beschreibung der schlacht von Clontarf ge-
nommen hat. Diesem mann wird man dann auch die ausführliche Schilderung der
prozesse, sowohl in der Gunnarssaga wie in der eigentlichen Njäla, zusprechen
dürfen.
Zur aufhellung dieser prozesse selbst hat F. J. bereits früher wichtiges bei-
getragen, besonders in seiner abhandlung 'Om Njäla' (Aarb. f. nord. oldk. og bist.
1904, s. 89ff.), und ich glaube, dass sein Standpunkt, dass ein geschriebenes gesetz-
buch diesen Schilderungen nicht zugrunde liegt, der richtige ist, dass die Grägäs
1) [Im ausländ diese korrektur lesend ist es mir im augenblick nicht
möglich, die stelle der Kr., die im manuskript versehentlich fehlt, zu bestimmen.
Korrekturnote.l
ÜBER J('»X>SSOX, BKENXU-XJALSSAGA 371
nicht als absolut riclitiger massstab gelten darf, sondern dass man vielfach ältere
rechtszustände und rcchtsbestimmungen annehmen muss.
Dankbar wird man für die Zeittafel sein.
Es mögen nun noch ein paar einzelheiten folgen. Zu dem beinanien glgja
des Mgrö, I, 1, hätte vielleicht auf Hortense Panum ('De folkelige strengeinstru-
menter i Norden' in 'Aarsberetning for 1905 fra Foreningen til norke Fortidsmindes-
mserkers Bevaring', s. 134 ff.) hingewiesen werden können.
Der beinarae buna, I, 5, hätte eine beraerkung verdient, da die bedeutung
ungewiss ist und verschiedene erkJärungeu vorliegen (Möbius' Glossar, das doch
als Wörterbuch für die sagabibliothek gedacht ist, aber nur eine 'scaturigo' angibt,
vgl. Gering, Anm. zu Eyrb. I, 1 und Finnur Jönsson, 'Tilnavne i den oldislandske
Oldlitteratur', s. 222 f.). Zu der szene, in der Hrüt von den diebsaugen der kleinen
Hallgerö spricht, bildet die in der Sturla 1, 367 (ed. Kulund), erzählte eine gewisse
parallele : Porvald Gizuarson stellt dem Sighvat Sturluson seine kinder vor ; von
den einen sagt er, dass es wenige gäbe, die tüchtiger seien, bei einem aber der
zweiten gruppe schweigt er und sieht lange auf ihn hin und sagt schliesslich :
'nicht gefallen mir die gerunzelten brauen'. Die deuten nämlich auf eine tückische
gemütsart. In der anm. zu II, 12, in der darüber gesprochen wird, wo in Island
die hochzeit gefeiert zu werden pflegte, ob im hause der eitern der braut oder in
dem des bräutigams, hätte vielleicht meine abhandluug 'Der ort der hochzeit zur
sagazeit auf Island', Zeitschr. d. Ver. f. volksk. 11, 40 ff., erwähnt werden können,
in dem ich eine Statistik aus den sagas dariiber aufgestellt habe. Zu töti, III, 1.
das bei Möbius fehlt, hätte eine bemerkung gehört. Freilich weiss man nichts ge-
naueres über das wort (vgl. F. J. Tilnavne, s. 208). Ebenso hätten die beinamen söti
s. 179 -, elda s. 181 ^*, Viga- (Hrappr) s. 193 ^, sneplll s. 275 -", hrimUl s. 275 - er-
klärt werden können, man vgl. über sie F. J. a. a. o. Des öfteren finden sich in
den anmerkungeu hinweise auf andere Schriften, auch andere bände der sagabibliothek,
ohne dass angegeben wird, was dort steht. Das scheint mir nicht ganz richtig zu
sein. Die bände der sagabibliothek kommen doch vielfach in die bände von lernenden,
die nicht alle bände besitzen, geschweige denn in der läge sind, entlegenere buch er
oder abhandlungen einzusehen. Denen ist also mit blossen hinweisen wenig ge-
holfen. Solche finden sich z. b. zu s. 11 ", --, s. 64 ^". Zu s. 24 ' hätte sniUnhrok,
der in der Sturlubök der Landn. vorkommende andere beiname der Hallgerö eine
«rklärung verdient. F. J. übersetzt, Tilnavne s. 239, 'eine, deren hose sich gewendet
hat (umgekehrt ist). Man weiss nicht recht, was man damit anfangen soll. Viel-
leicht hilft ein anderer beiname zum richtigen Verständnis. Sturl. 1, 185 (ed. Kälund)
wird ein Rüuölfr snüinhn'mi genannt, der seinen beinamen davon erhalten hatte,
dass er ein geschenk, das er einem mann gegeben, zurückgenommen und dessen
gegner verehrt hatte. Wörtlich bedeutet der name 'mit gedrehten augenbrauen',
80 F. J., Tiln., s. 199; der sinn muss aber doch wohl ,wankelmütig' sein. Vielleicht,
dass solche augenbrauen das anzeichen solcher Sinnesart waren, vgl. das oben gesagte
über die auf tückische gemütsart deutenden gerunzelten brauen, wie man ja in
zusammengewachsenen augenbrauen auch etwas unheimliches sieht, das auf hexerei
deutet. Es könnte nun auch hrüni ableitung von hrün 'ein kleidungsstück, teil
t-'ines kleides', Fritzn., Ordb. 1,199a sein; snüa am wird vom umdrehen der kleider
gebraucht, Fritzn. 3, 466 a (vgl. Norges gamle love 5,594b). 'Einer, der sein klcid
umdreht' könnte ganz gut für die Situation passen ; es würde etwa den sinn des
dän. 'vendekaabe' haben, womit es schon Rygh übersetzt hatte. Ist diese ableitung
372 KA1I1.I-: ÜBER .I(')NSS()N, HHENNU-N.TALSSAGA
die richtiiiT, (hmii dürfte auch vielleiclit sninnhrük ähnliches bedeuten, was ja ganz
gut zum Charakter der Hallgerö stimmen würde.
Zu s. 27 -■' hätte die genauere hedeutung von siikk angegeben werden müssen,
da das wort bei Möbius fehlt. Dass bei diesem nicht vorkommende Wörter nicht
erklärt werden, kommt noch öfter vor. XIII, 16 eic)i sTcal tinn eidr alla verda will
F. J. mit 'keine regel ohne ausnähme' übersetzen ; mir scheint der sinn eher zu
sein: 'das gleiche trifft nicht alle'. Zu skarhand vgl. jetzt Gebhardt, Ark. f. nord.
fil. 25, 84 ff. Die anm, zu s. 75 '^ 'ganz wie hier treten die königinnen in den Atla-
mäl 68' auf, verstehe ich nicht. In den Atlamäl treten die königinnen, Brynhild
und Guörün, überhaupt nicht zusammen auf. Den zank zwischen Hallgerö und
BergJ^öra in c. 35 könnte man allenfalls dem berühmten zank der königinnen ver-
gleichen; der ist aber in einem Eddalied überluiupt nicht erhalten, sondern nur in
der Vglsungasaga. Zu grid s. 86 '-' hätte bemerkt werden können, dass das wort
hier und noch öfter falsch angewendet worden ist (vgl. Lehmann-Schnorr v. Carols-
feld 'Die Njälssaga usw.' s. 20). Der verweis auf Laxd. c. 34, 8 zu kinnhestr, s. 109 '°,
nützt wenig, da das wort dort gar nicht erklärt wird. Falk-Torp, Norwegisch-
dänisches etymologisches Wörterbuch , erinnern an foli 'fohlen' als scherzhafte
Umschreibung desselben begriffes und vermuten, dass die ohrfeige mit dem aus-
schlagen eines pferdes verglichen wird. Zur auslassung des verbums vera in der
konstruktion pv! at tnir skal ek per l rddum c. 49, 3 vgl. jetzt Neckel, Zfdph.
40, 475. In der Njäla begegnet diese konstruktion noch c. 58, 18 : at ßü myndir
göör af hestinum, und c. 131, 18: at ck skal irür Kara i plhiin »r/öw«?. Ob die er-
klärung des beinameus harnakarl, s. 125 **, nämlich er sei daher gekommen, dass
es sitte der AVikinger gewesen sei, kinder in die luft zu werfen und mit den Speer-
spitzen aufzufangen, und Olvir habe dies verboten, wirklich die einzig richtige ist,
erscheint mir doch zweifelhaft. Ist das grausame spiel in der tat so oft ausgeübt
Avorden, dass es als stehende sitte der Wikinger angesehen werden darf, und hat
nicht die nachrede der feinde oder entstellung späterer christlicher zeit mit dazu
beigetragen, die Wikinger in diesen üblen ruf zu bringen? Jedenfalls glaube ich
nicht, dass mau die von Fritzner, Ordb. 1,115 a ausgesprochene meinung, dass
Olvir seinen beinamen wegen kinderreichtums erhalten habe, wie z. b. Barna-Kiall-
akr, so kurzerhand abweisen darf (vgl. noch Boer, Anm. z. Grettiss. c. 3, 4 und
A. Bugge, Vikingerne 2. saml. s. 76). Zu der konstruktion in dem satz: Gunnarr
var i rauöam kyrtli ok hestastaf mikinn l henäi vgl. Nygaard, Xorr. syntax, s. 31a.
Die anmerkung zu s. 155-": '■dorn wird hier nach dem volkstümlichen gebrauche
angewendet; darin ist nichts auffälliges', ist so nicht verständlich. Sie bezieht sieh
auf die ausführung Lehmann-Schnorr s. 22, dass domr hier inkorrekt verwendet sei,
indem es sonst nur die wirklichen gerichte, nie Schiedsgerichte bezeichne. Solche
hinweise auf die erwähnte schrift vermisst man auch sonst noch, z. b. in der auin.
zu 8. 283 •""", zu dömendr. In der str. 6 " liat aj-gr eine weitere bedeutung als ,feige" ;
es heisst vielmehr 'unmännlich, weibisch, Zauberkünste treibend' und zielt auf die
langen priesterlichen gewänder (vgl. meine bemerkung zur gleichen stroplie. Kr. str. 4).
Dass Eyjölf B9lverksson, anm. zu s. 254 ^ c. 138, 2, der zweite grosse rechtsgelehrte
genannt wird, ist eiu versehen ; es steht dort pridi. Str. 14 ^ haughlipar, verdruckt
für baufjahl/par. In str. 15 - ist d lande doch wohl gleich d Islande.
Dass übrigens die anmerkungen eine reiche fülle von erklärungen bieten,
uns ausblicke nach allen seifen gestatten, ist wohl überflüssig, besonders hervor-
zuheben. Eiu nachtrag handelt über die alte geldwährung und geldberechnung.
WUNDERLICH ÜBER WILMANNS, DEUTSCHE GRAMTMATIK 373
Darauf, dass es mit der von F. J. zugrunde gelegten Grägässtelle nicht zum besten
steht, hat schon Heusler in seiner oben erwähnten anzeige hingewiesen. Zu der
schwierigen frage vgl. man jetzt Valtyi" Guömundsson 'Solvkursen ved är 1000' in
Nord. Tidsk. f. Filologi, 8. r., 7. bd., s. 55 ff. '.
1 ) [Vgl. ferner Neckel, Zfda. 52, 44. Korrekturnote.]
HEIDELBERG. K. KAHLE.
Deutsche grammatik (gotisch, alt-, mittel- und neuhochdeutsch) von W. Wil«
mauüs. 3. abteilung: flexion. Erste und zweite aufläge. Strassburg,
K. J. Trübner. 8». 1. hälfte: verbum. 1906. X, s. 1—315. 6 m. 2. hälfte:
nomen und pronomen. 1909. VIII, s. 317 — 772. 9 m.
Mit seiner darstellung der flexion hat der Verfasser die erste formenlehre
grossen stils gegeben, die den anregungen von J. Eies folgt und an die geschicht-
liche erklärung der verbal- und nominalformen unmittelbar auch die Untersuchung
ihres gebrauches knüpft. An die formenlehre schliesst sich also ein teil der bis-
herigen Syntax an, und so werden zwei gebiete vereinigt, die auf nachbarliches zu-
sammenrücken noch wenig vorbereitet sind. Bei einem darsteiler von den an-
sprüchen, wie sie der Verfasser gegen sich selbst erhebt, eine ungewöhnliche aufgäbe,
die es allein schon erklärt, wenn die neue abteilung 'später, als gewünscht und
gehofft', auf ihre Vorgängerinnen folgt (vgl. zu dieser Zeitschr. 27, 132 f., 33, 529 f.).
Auf die Vorzüge oder nachteile der neuerung hier schon einz^igehen, empfiehlt
sich um so weniger, als der Verfasser selbst erst bei der späteren darstellung der
Syntax glaubt, die Vorzüge ins volle licht rücken zu können. Hier im zusammen-
hange mit der formenlehre erscheint die gebrauchslehre als etwas fremdartiges, ohne
die berührungspunkte auch nur an den stellen auszunützen, wo schon die bisherige
Syntax gewohnt wai", die tatsachen der formenlehre heranzuziehen. Allerdings wäre
es wenig angezeigt gewesen, bei den vokalendungen schon die Wirkungen zur geltung
zu bringen, die der verfall dieser enduugen auf die modusverhältuisse ausübt, inso-
fern er die unterschiede zwischen Indikativ und konjunktiv (opt.) verwischt (vgl.
§ 106, 8. 207). Auch bei der flexion der adjektiva war wohl keine gelegenheit, die
syntaktischen grundlagen hervortreten zu lassen, auf die schon Jakob Grimm
in der einleitung zum IV. bände der Grammatik hinweist: 'eine der vorstechen dsten
eigenheiten unserer formenlehre, den unterschied starker und schwacher deklinationen
tut uns erst die syntax in seiner Wichtigkeit dar' s. VI. Der verf. holt dies später
nach (s. 437): 'in der allmählichen, von dem syntaktischen wert der worte abhängigen
ausbildung der adjektivflexion sehe ich den grund für ihre mannigfaltigkeit'.
Wohl aber hätte bei den passivformen schon die formenlehi'C anlass geboten,
den Zusammenhang mit der syntax herzustellen. In § 4 (s. 8) wird mitgeteilt,
dass die 'eigentümlichen endungen des medio-passivs in den germanischen sprachen
früh untergegangen sind'; dabei fehlt jeder hinweis auf die zusammengesetzten
formen, die ihrerseits in der gebrauchslehre (§§ 73 ff., s. 135 ff.) zum worte kommen,
ohne die frage hervorzurufen, ob und wie weit sie zur Verdrängung der alten
endungen beigetragen haben. Und wenn dann an seinem orte (§ 150, s. 302) der
ZEITSOHIITFT F. DEUTSCHE PIIILOLOfilK. Bü. XLH. 25
f\7l WUNDERLICH
gebrauch der passivforraen zur darstellung kommt, so mangelt diese des geschiclit-
lichen hiutergrundes, und diesem mangel helfen auch Verweisungen nicht mehr ab.
Sonst ist an der ausmalung des geschichtlichen hintergrundes wahrhaftig
nicht Sfespart worden. Gerade hier bewährt sich die kunst der verauschaulichuug,
die den Verfasser auch innerhalb der verwickelten fragen auszeichnet. Die tragweite
der gesicherten ergebnisse der forschung voll ausnützend, vermag er die Verbindungs-
linie von den deutschen oder den germanischen einzelheiten zu den rückwärtigen
der indogermanischen spracheiuheit zu ziehen, meist ohne sie durch hypotheseu zu
belasten oder gar durch beiwerk zu verhüllen. Vor allem aber werden in dieser
darstellung die kräfte wieder lebeadig, die alle jene Veränderungen herbeigeführt
haben. In der formenlehre des verbums ist nach dieser richtung des guten fast zu
viel getan. Unsere spräche hat in die Schubfächer, die für die vergleichende
Sprachforschung gelten, oft so wenig einzuwerfen, dass für manche ein wort der
einleitung oder eine anmerkung ausreichte. Da steht es doch im raissverhältnis,
wenn § 13 (s. 23) augmenttempora und aorist besprochen werden, obwohl nur
ganz vereinzelte' und dazu problematische entsprechungen zur seite stehen, wie iddjn
und scrirun.
In der erklärung der ablautverhältnisse ist W., wie schon angedeutet, zurück-
haltend und konservativ, dagegen bringt er in die gliederung der ablautreihen eine
neuerung. Er scheidet zwischen verben mit voll entwickeltem ablaut und solchen
mit schwächer entwickeltem oder ganz fehlendem ablaut. Gewiss liefert der erste
typus eine ziemlich geschlossene gruppe, die reihen, die man sonst unter 1-B zu-
sammenfasste, got. steigan, hiudan, niman, gihan, alles thematische verba aus
e-wurzeln mit wurzelbetonung im praesens. Aber im zweiten typus gehen die ein-
zelnen reihen doch zu weit auseinander, um sich in eine gruppe zu fügen: auf der
einen seite farax). mit ablaut zwischen praesens und praeteritum, auf der anderen
Seite Utan, hwöpan, haldan mit ihren im gotischen reduplizierten formen, die W.
nach der älteren auffassung auch für das e der deutschen praeterita verbindlich
macht. An der reduplikation als erklärung für den langen wurzelvokal im plural
des praeteritum der klasseu niman, gihan {nemun, nahmen; gebmi, gaben) hält
W. ebenfalls fest, wonach beim schwinden des wurzelvokals die reduplikutionssilbe
um so mehr an ton gewonnen habe. Die entfernung des wurzelhaft verlautenden
konsonanten will er aber nicht mit Osthoff auf streng lautgesetzlichem wege
erklären (ausgangspunkt die lautgesetzliche entwicklung von sed aus sesd), sondern
er rechnet mit einer 'freien beseitiguiig der störenden elemente', namentlich 'solcher,
die zu weit abstanden von den übrigen formen des verbums'. Dass sich diese besei-
tigung aber so glatt und vollständig restlos vollzogen haben soll, bleibt immer auf-
fallend. Das althochd. r im praet. von scrian, büan^ stösan will W. nicht aus der
reduplikation erklären, sondern er nimmt es mit Zarncke (P. Bb. 15, 350) als einen
übergangslaut, der sich nach kurzer offener silbe einstellte. Dafür tritt nunmehr
(P. Bb. 32, s. 490 ff.) auch Feist ein, der im übrigen der gotischen reduplikation
aufs neue das recht bestreitet, als ausgangspunkt des deutschen e-typus zu gelten.
Mit besonderem geschick gelingt es dem Verfasser, bei den ablautverhältnissen
die linie gesetzmässiger entwicklung jeweils im fortlaufenden flusse zu ziehen und
dann erst die eingriffe und die Störungen der gesetzmässigkeit unter gesichtspunkten
zusammenzufassen, die aus dem gewirr der einzelheiten auf die treibenden kräfte
weisen. Ein glanzpunkt ist hier der abschnitt 'Spaltung und Umgestaltung
der ablautreihen' (§§ 23-27, s. B9-48). Er umfasst die differenzierungen, die
ÜBEK WILMANNS, DEUTSCHE GRAilMATIK 375
in den einzelnen sprachen die besonderen lautverhältnisse verursachten (gotisch :
bairan, baurans neben niman, numans u. a., althochdeutsch geban, Juifan neben
bitten, bintan, biugu, neben biogan ; faru neben feris u. a.), die Spaltungen, die
die lautveränderungeu in der entwicklung vom mhd. zum nhd. erfahren {begonnen
neben gebunden; vergessen neben lesen; nehme zu nimmst u. a.). Als form-
iibertragungen des neuhochdeutschen' werden die ausgleichungen zwischen den
einzelnen formen im verbalsjstem behandelt (vgl. stieg, stiegen gegen steig,
stigun: vgl. galt, galten gegen galt, gulten ; gehen gegen gibe). Dazu kommen die
ausgleichungen in den vom grammatischen Wechsel betroffenen formen, die vom
althochdeutschen an (shiog nach sluogum zu slahan) bis zum neuhochdeutschen ver-
folgt werden, wo nur noch gewesen neben war und gediegen neben gedieh an die
alten Verschiedenheiten erinnert.
Die abschnitte vom gebrauch der wortformen zeichnet eine vollkommene be-
herrschung der syntaktischen literatur aus, die bei alleu einzelheiten nicht nur durch
nennung einschlägiger monographien, sondern auch durch hinweise auf die betreffen-
den stellen in den grösseren lehrbüchem angemerkt ist. Aber auch lückeu hat der
Verfasser in der bisherigen forschung festgestellt, und er hat sie teilweise — meist
durch arbeiten von schülern — auszufüllen gesucht. Dass diese arbeiten vorzugs-
weise der älteren Übersetzerliteratur sich zuwandten, steht im Zusammenhang mit
dem darstellungsprinzip des Verfassers, der bei der entwicklungsgeschichte der ein-
zelnen deutschen fügungen an erster stelle so viel belege aus der Übersetzerprosa
beibringt. Und wenn auch an manchen orten auf die abhängigkeit hingewiesen
wird, in der die Übersetzer zu ihrer vorläge und damit zu den fügungen einer
fremden spräche stehen, so können solche vereinzelte bemerkungen doch das bild
kaum mehr ändern, das dem leser aus der reihenfolge und der raumverteilung bei
diesem Stoffe entgegendringt. Gewiss ist vorsieht geboten, will man den poetischen
denkmälern, die von einer unmittelbaren vorläge nicht abhängen, anhaltspunkte
abgewinnen , die auf deutsche eigenart und heimische fügungen w'eisen , aber
solche anhaltspunkte sind da, und sie können an dem widerstand, den die Über-
setzer — selbst der des Tatian — da und dort dem lateinischen gefüge leisten, ge-
festet und weitergeführt werden. Gleich die betrachtung der nominalformen des
verbums, vor allem die des Infinitivs, hätte in dieser richtung an Übersichtlichkeit
und an ursprünglicher einfachheit gewonnen, wenn der Verfasser von dem gebrauch
ausgegangen wäre, der im Hildebrandsliede, im Heliaud, ja selbst noch bei Otfrid-
sich so deutlich von den latinisierenden Wendungen des sklavischen Tatianübersetzers
und von den etwas gekünstelten fortschritten bei Notker abhebt (vgl. besonders
§ 70 s. 125 f., s, 128 f. ). Mit dem verzichte auf die ausnützung der Heliandbelege
stossen wir an einen nachteil, der sich aus der behandlung der syntax innerhalb
dieser gesamtdarstellung der deutschen grammatik ergibt, insofern die bedingungen,
1) Auch für einige 'entgleisungen' im althochdeutschen sucht der Verfasser
anschluss an das obige Stichwort. Sie weisen aber teils in einen aiulercn Zusammen-
hang (vgl. § 17 zu girochan u. a.), teils gehören sie mehr der mittelhochdeutschen
zeit an.
2) Doch das gnomische Praeteritum (§ 95, s. 183), von dem W. sagt, es sei
in älterer zeit häufiger beobachtet als jetzt, und das er hauptsächlich aus Otfrid
belegt, führt deutlich" auf lateinische Wendungen zurück. Ganz aiulcrs verhalten
sich demgegenüber einige belege aus Walther, die sich mehr mit dem praeteritum
in Wunschformen berühren.
376 WUNDERLICH
die für andere teile gelteu, aucli für die syntax massgebend werden. Wälireud die
altsächsische dichtung an lauterscheinungen und formen wenig aufweist, was zum
Verständnis des althoclideutschen bestandes notwendig herangezogen werden müsste,
zeigt das gotische auch in der gattuuy der Übersetzerprosa, in der es uns fast allein
überliefert ist, so viel älteres und ursprünglicheres, dass es im allgemeinen ohne
schaden dem deutschen vorangestellt werden kanu '. A.ber auf dem gebiete der
Syntax ist ein Übersetzer, der dem Aveit fortgeschrittenen satzbau einer vorläge
gegenübergestellt ist, für die aufstelluug ursprünglicher heimischer füguugen wenig
in anspruch zu nehmen, zumal wo die kunst, die er in den dienst seiner aufgäbe
gestellt hat, noch nicht genau umschrieben ist. Hier wäre aus der altsächsischen
und auch der angelsächsischen dichtung mehr ursprüngliches zu gewinnen als
aus dem gotischen. Denn schon für jene zeit gilt der satz, den die syntax in der
heutigen mundartenforschung erweist, je weiter die Knien in laut und formen aus-
einandergehen, um so näher berühren sie sich in der satzfügung. Auch die scharfe
logik, mit der der Verfasser zu werke geht, wird den tatsächlichen Verhältnissen
der sprachgebung nicht immer gerecht. Wenn jemand sagt, '■mein verstorbener
freund dachte anders darüber'', '•schon der geschlossene landtag hat beschlossen\
so handelt es sich hier um die festen Verbindungen mein verstorbener freund etc.,
die auch in eine erzählung eingefügt werden, deren zeitstufe von ihrer eigenen ab-
weicht, nicht aber ''um ein partizip, das auf einen Vorgang u-eisen kann, der später
eingetreten ist, nur vom Standpunkt des redenden aus betrachtet der Vergangenheit
angehört'' (§ 57, s. 103; ähnliches gilt von § 58, s. 105 u. a.).
Mit recht ist § 69 (s. 123) die Substantivierung des infinitivs später auge-
setzt und sind die gotischen belege der vorläge zur last gelegt worden. Wirksam
wird das vordringen der Substantivierung in parallele gesetzt mit dem zurück-
weichen des einfachen verbalen infinitivs mit zu, so dass am ende fast nur die
beiden möglichkeiten übrigbleiben : u-i.i zaeme uns mit tu strlten ! Nibel. 123, 1
und im zaeme niht ze dagene 2044, 1. Freilich so reinlich, wie der Verfasser es
glaubhaft macht, scheiden sich die gruppen doch nicht; manchen unter den soge-
nannten substantivierten Infinitiven ist noch vollere verbalkraft zuzusprechen (s. 124).
Für die Verbindung 'um zu' beim Infinitiv (§ 71, s. 129) wären aus meiner Unter-
suchung zu Stcinhövvel und dem Dekamerou (Hen-igs archiv 84, s. 277) die
ältesten hochdeutschen belege aus Steinhöwel nachzutragen. Ebeudort habe ich
auch schon die erklärung angebahnt, die hier nach Pauls Wörterbuch gegeben wird.
§ 72, 2 wird für den abhängigen infinitiv die forderung aufgestellt: 'kommt das
Subjekt des abhängigen verbums im regierenden satz nicht vor, so kanu der Infinitiv
nur dann gebraucht werden, wenn sein Subjekt eine unbestimmte oder aus dem
Zusammenhang leicht erkennbare person ist und die bedeutung des regierenden
Satzes für den infinitiv notwendig ein anderes subjekt voraussetzt'. Das alles trifft
doch auch für die wendung 'ich wünsche wohl gespeist zu haben' zu, die zudem
in manchen gegenden noch in der ursprünglichen form 'ich wünsche ihnen wohl
gespeist zu haben' vorliegt. Dass man dem infinitiv das subjekt zubilligen sollte,
1) Dass auch dabei die Voranstellung des gotischen zu bedenken anlass gibt,
ist von anderen gegen die früheren abteilungen eingewendet worden. Auch in der
vorliegenden lässt sich manchmal zeigen, dass die ursprünglichkeit oder die eigen-
wüchsigkeit der deutschen formen hierdurch verdunkelt wird (vgl. z. b. § 23, 2;
§ 27, 1, vgl. die frage der reduplikation im deutsilien § 20 f.).
ÜBER WILMANN.S, DEUTSCHE GRAMMATIK 377
(las das regierende verbum bei sich hat, ist doch in der gesellschaftlichen Situation,
in der diese formel gebraucht wird, undenkbar. Bei dem versuche, den abhängigen
infinitiv gegen die konkurreuz durch umschreibende dasssätze abzugrenzen (§ 72),
sind nicht alle feststellungen gleich einleuchtend. Mit recht wird der grund der
Verschiedenheit in dem Verhältnis zwischen objekt Verbindung und regierendem satze
gesucht (§ 72, 5), während vorher (§ 72, 3—4) ein zu grosses gewicht auf äussere
begleitumstände gelegt war, die den kern des Sachverhalts nicht berühren. Die
abgrenzung der verba haben und sein neben dem partizip intransitiver verba (§§ 79 ff.,
8. 147 f.; vgl. auch § 77, s. 142 f.; vgl. ich habe im see geschwommen gegen: ich bin
in den see herausgeschwommen) gab gelegenheit, die von Behaghel aufgestellte,
von Paul in den abhandlungen der Münchener akademie (XXII. bd., 1. abt.) ein-
gehend begründete erklärung aus dem gegensatz imperfektiver und perfektiver
aktionsart zur geltung zu bringen. Die Schwierigkeit, einem doch früh aus dem
deutschen sprachbewusstsein schwindenden gegensatz gerade für die erst in jüngerer
zeit sich vollziehende ausgestaltung der zusammengesetzten verbalformen so nach-
haltigen einfluss zuzugestehen, löst der Verfasser durch energischeres zurückgreifen
auf die alten, in den früheren deutungen verwerteten vorstellungsgruppen der
handlung und der bewegung, die dem gegensatz der aktionsart allmählich erwuchsen
und die somit eine neue trennungslinie herbeiführten, als die alte sich verwischte. Wie
durch Störungen aller art, vor allem durch ausgleichungen, die mundartlich verschieden
verliefen, auch diese neue linie wieder verschoben wurde, das ist vor allem bei den
verbis sitzen, liegen, stelin, bleiben, sein gezeigt, die in besonderer gruppe behandelt
werden C§ 83, s. 1B4 f.j. Der Wichtigkeit, die die neuere forschung diesen und anderen
spuren des ehemaligen gegensatzes der aktionsarten beilegt, entspricht es, dass die
Partikel ge so ausführlich behandelt wird (§§ 107—109, s. 210—216). An vorarbeiten
dafür lag freilich nur wenig vor, und so beschränkt sich W. für die aufzählung
auf seine eigenen Sammlungen zu Walter, bei denen er im gegensatz zu seiner
sonst so erprobten gliederungskunst nicht zur Verarbeitung seines ersten Schemas
vordrang. Er stellt nicht weniger als 10 Unterabteilungen auf, von denen mehrere
zusammengelegt werden können (2, 3 und 4; 6 und 7), während in anderen die
eigentlichen gliederungsgründe durch äusserliche anhaltspunkte zui-ückgedrängt wer-
den. Im wesentlichen handelt es sich um relative und nicht relative funktionen
bei den Zeitformen des verbum finitum, um das praefix bei dem von hilfsverben
abhängigen infinitiv und um das praefix beim part. praet. Für die ersten beiden
gruppen lässt sich auch aus der darstellung im deutschen wörterbuche, wo alle die
mit ge verstärkten verben einzeln behandelt werden, manches beibringen (vgl. jetzt
z. b. getvirken). Zum Gebrauch der passivformen (§ 151, 1, 2) wird das wesent-
liche vielfach durch unwesentliches in den schatten gestellt. Hier war gelegenheit
geboten, die stilistische seite des passivgebrauches zu streifen, vor allem einzelne
berufssprachen, wie die Juristensprache, heranzuziehen. Bei der kongrueuz (§ 153)
wird zum ersten male, und in einer anmerkung, auf die alliterierende dichtung bezug-
genommen. Wenig anschaulich ist, was über den singular des verbums neben
pluralsubjekten gesagt wird; es werden wohl tatsachen angeführt, aber sie sind
nicht auf der seite beleuchtet, die zur erklärung führt. Bei den beispielen
aus Otfrid handelt es sich z. b. einfach um abstrakta, deren bedeutung den
Singular zulässt, so dass eine pluralform hier ganz überflüssig wäre. Treft'end da-
gegen wird § 154 der pluralis auctoris und majestatis (l.person) gegen den pluralis
reverentiae (2. person) in anschaulicher kürze behandelt; hier kommt färbe und
378 WIINDKKIJCH
leben in die aucli nacli der kulturgescliiclitüchen seite mustergültige darstelluiig.
Dagegen fehlt (§ 155, 1) bei der einbürgerung eines persönlichen pronomens der
1. oder 2. person im relativsatze (ihr fürsten, die ihr) der geschichtliche hinter-
grund. Die gruppe ist zudem nicht am richtigen orte eingeschoben. Die deutung
des koujunktivs praet. in Wendungen wie über den berg wären wir u. a. (§ 116, 4,
s. 234) hat mich wenig überzeugt, doch gebe ich zu, dass meine erklärung (vgl.
Satzbau I, 364 : Umgangsprache s. 214 ff.) auch vielfach angefochten wird — nach
meiner Überzeugung freilich nur deshalb, weil die gegner zu wenig mit der eigenart
volkstümlicher rede vertraut sind.
Kurz und treffend in der raumverteilung ist der abschnitt, der in der flexion
des nomens die Vorbedingungen kennzeichnet, aus denen die deutschen nominalforraen
erwuchsen (§ 156 ff.). Hier ist die mannigfaltigkeit der indogermanischen Verhältnisse
nicht zum schema benutzt worden für die darstellung der so viel einfacheren glie-
derung im deutschen ; nur zur erhellung des geschichtlichen hintergrundes wird das
alte kasussystem herangezogen, wobei sich der Verfasser vielfach der anmerkungen
bedient. Dass die ergebnisse der neueren forschung trotzdem hier nicht zu kurz
kommen, zeigen viele einzelheiten. So wird beim dativ-ablativ des pluralis (s. 323),
dessen endung ja nicht dem indogermanischen dativ-ablativ {bhyas, lat. bus)^ sondern
dem alten Instrumentalis entspricht, auf gleichartige lateinische dativformen ver-
wiesen. Bei den einzelnen strittigen fragen werden dem leser die auhaltspunkte
geboten, die ihm ein eigenes urteil ermöglichen. Dabei lässt der Verfasser über
seine auffassung keinen zweifei, ob er nun feststellt, dass die frage noch nicht
spruchreif sei (vgl. z. b. den gegensatz von got. baur, wair gegen ahrs s. 321), oder
ob er zu einer der vorgetragenen ansichten Stellung nimmt, wie bei der wendung
zi houbiton, die er nicht aus einem siugular des Instrumentalis, sondern mit 0 s t-
hoff aus dem gegensatz gegen zu fassen deutet (324) u. a. Bei der endung im
des dat. pluralis der i-maskulina schliesst sich W., wie auch sonst häufig, einer
erklärung B e t h g e s an, der gegen.Streitberg eine alte bildung mit tiefstufigem
Suffix aufstellt. Für die althochdeutschen endungen auf un und ün der n-deklination
in ihrem gegensatz gegen gotische an, ans, 6ns, 6n verwirft W. die etwas kompli-
zierten erklärungen, die bei der annähme, dass das idg. o zwar im got. allgemein
zu a geworden sei, im hochdeutschen aber seine dunklere färbung behalten
habe, nunmehr mit mannigfachen formübertragungen rechnen müssen. Er gesteht
der endung 6n mit Kluge eine neigung zu ün zu, die vor dem dentalen nasal
sich durchgesetzt habe, während vor dem kräftigen m das o sich behauptete (§ 167,
s. 348). Diese zweite erklärung, der W. beitritt, ist jedoch mehr als Vermutung
dargestellt und nicht weiter durchgeführt. Ansprechend ist bei dem unterschiede
von gebd im nom. plur. gegen sunte die Vermutung, dass das von N o t k e r als
länge gekennzeichnete a ursprünglich vielleicht kurz gewesen und erst später ge-
längt worden sei (§ 163 s. 334). Der abschnitt 'Verbreitung des Wort-
schatzes über die deklinationen' (§§ 175— 183, s. 359— 375) ist treffend unter
dem gesichtspunkt zusammengestellt, dass die typen, in denen eine grössere anzahl
von Worten sich bewegen, auch die grössere kraft, sich zu behaupten, besitzen. So
ist ein besonders dankenswerter abschnitt vorbereitet, die 'Jüngere ge staltung
derdeklination'(§§ 183-193, s. 375-398), bei der zu der älteren grundbedingung,
dem verfall der endungen, nunmehr weit stärker noch der einfluss eben jenes macht-
verhältnisses hinzutritt, dem zufolge die seltener gebrauchten, also wenig gestützten
formen untergieugeu. Wie sich die grenzen der alten deklinationen verschoben, und
ÜBER WIL^rANNS, DEUTSCHE GRAMMATIK 379
wie eng damit auch eiu gesclilechtsvvandel der substautiva vermischt war, das wird
hier mit einer dankenswerten fülle der belege ins einzelne verfolgt, wobei zum
schluss auch auf die Schicksale der namen und der fremdwörter (umlaut: Frohste u. a.,
zu einzelnen Pronomhia, nicht Proiiominen) neues licht fällt. Den schluss der formen-
lehre bilden die flexionslosen formen der nomin a (§§ 212—214, s. 447 ff.),
unter denen höchstens Wendungen wie ze erist vermisst werden.
Beim gebrauch der nominalformen (§§ 216 ff., s. 454 ff.) werden erst die be-
dingungen untersucht, die die Veränderungen und Vereinfachungen in unserem kasus-
system herbeiführten. Neben dem chronologischen prinzip, das mit der entwicklung
jüngerer und Verdrängung älterer gebrauchsformen rechnet, wird die möglichkeit betont,
eine räumliche beziehung verschiedenartig aufzufassen {im schiffe fahren, lokativ ;
mit dem schiffe, iustrumentalis). Ein weiteres moment, das die Unsicherheit steigerte,
sieht W. in dem bedeutungswandel der verba, die gewohnheitsmässig mit Substan-
tiven in einem aus der ursprünglichen bedeutung bedingten kasus verbunden sind,
und die nun in ihrer neuen bedeutung eine andere auffassung jenes kasusverhältnisses
entwickeln. Mit richtiger beschränkung setner darstellung auf den kasusgebrauch,
wie er sich in unseren ältesten * denkmälern zeigt, grenzt der Verfasser den nominativ
gegen die casus obliqui ab, bei denen er die engere oder losere form der abhängig-
keit und die verschiedenen Wortklassen, von denen sie abhängig sind, einzeln be-
obachtet; nur die kasus bei präpositionen sind in einer art anhang zusammengefasst.
Den schluss l»ilden die gebrauchsformen des numerus und genus der Substantive, die
adjektivformen und das wenige, was der Verfasser nach seiner abgrenzung der syntax
hier schon bringen konnte. Beim gebrauch des nominativs überrascht, dass die
verba, die neben der aktiv transitiven bedeutung auch eine intransitive, medial-
passive haben, erst und gerade hier behandelt werden (§ 216, 2, s. 457). Bei der
aufstellung (§ 216, 5, s.461), dass bei manchen verbis eine lokale bestimmung zum
Subjekt werden könne, ist für das beispiel aus deniTatian das lateinische vorbild
(mensuram superfluentem) zwar angegeben, aber zur erklärung nicht verwertet.
Eingehend und übersichtlich ist '■es als scheinsubjekt' behandelt (§ 218 ff., s. 463),
wenn auch die darstellung im Zusammenhang des pronoraens überhaupt, die nach
dem befolgten System ausgeschlossen war, noch helleres licht geworfen hätte. Erst
beim akkusativ werden die reflexiven verba behandelt, die ansprechend nach der frage
gegliedert werden, ob das reflexivpronomen ausschliesslich ein objekt zum ausdruck
bringt {sich tödten), oder ob es vielmehr die bedeutung des verburas differenziert:
sich setzen gegen jemanden wohin setzen (§ 231, s. 496 ff.). Beim genitiv folgt
der Verfasser den weitgehenden versuchen, für die abhängigkeit eines Substantivs
von einem anderen die Spielarten zu gliedern. Auch er erkennt einen genitivus
definitiv US und explicativus an (§ 275, s. 579 ff.), in Wendungen wie das
lastör des trunkes, die äugen des herzens. Dass die pronominalformen in diesem
Zusammenhang nur wenig gestreift werden, habe ich schon erwähnt. Diese zer-
reissung der natürlichen verbindungsbrücke ist durch das gewählte System bedingt.
Zur kongruenz (§ 355, 1, s. 765) macht W. darauf aufmerksam, dass sie beim pro-
uomen, das substautiva vertritt, nur auf numerus und genus, nicht auf den
kasus sich erstreckt. Ansätze zu letzterer sieht er in abweichungen im gebrauch des
1) Dass die ältesten dcMkinäler nicht immer auch den ältesten gcbraucli auf-
weisen, ist ja bekannt. Im vorliegenden fall ist dieser tatsache jedoch keine gewalt
angetan.
380 BINZ
akkiisativs und genitivs, die er § 2;^() a. 4 und § 333, 11 anführt und von denen
die letztere ohne weiteres einleuchtet.
Dies ist nur einer unter vielen, nicht immer hervorgehobenen fällen, in denen
des Verfassers Scharfblick punkte erspäht, die die syntaxforschung bisher wenig
oder gar nicht beachtet hatte, und mit freudiger erwartung dürfen wir nach dieser
leistung dem syntaxbaude entgegensehen.
BERLIN. HERMANN WUNDERLICH.
Griistav Trilsbach, Die lautlehr e der spätwestsäclieischen evangelien.
Bonn, kommissionsverlag P. Hanstein, 1905. 174 s. 8 ". m. 4.
J. Wilkes, Lautlehre zu Alfrics Heptatench und buch Hiob. (Bonner
beitrage zur anglistik, hg. v. M, Trautmann, heft 21). Bonn, P. Hanstein, 1906.
176 s. 8 ». m. 5.60.
Diese beiden, auf eine anregung Bülbrings zurückgehenden arbeiten haben
so vieles miteinander gemein, dass sie zusammen besprochen werden dürfen. In
der ganzen anläge sind sie sich völlig gleich. Im engsten anschluss an ihres
Ichrers Altengl. elementarbuch geben sie eine vollständige Statistik der in den be-
treffenden Sprachdenkmälern vorkommenden belege für die laute der betonten silben,
während für die unbetonten vokale und die konsonanten nur dann sämtliche beleg-
steilen aufgeführt werden, wenn von der regelmässigen entwicklung abweichende
formen vorlagen. 3Iit diesem verfahren sind beide Verfasser absichtlich über die
ihnen von ihrem lehrer gestellte aufgäbe hinausgegangen, die dahin lautete, solche
formen aus den texten auszuziehen, die im spätwestsächsischen wechselnde gestalt
zeigen. Man darf bezweifeln, ob die Verfasser nicht besser daran getan hätten,
dem rate Bülbrings zu folgen. Für die lautlehre der betonten silben standen die
grundzüge doch schon fest; eine vollständige Vorführung aller belege war für diesen
zweck überflüssig. Sie hat auch, zumal da die Verfasser sich fast ganz auf die
aufzählung der beispiele beschränken und auf erklärungen verzichten, den nachteil,
dass regel und ausnähme sich nicht deutlich voneinander abheben, um so mehr,
als zufällige Schreibfehler auf diese weise leicht zu einem ilinen in Wirklichkeit
gar nicht zukommenden gewicht gelangen. Andererseits ist zuzugeben, dass diese
sehr fleissigen und im ganzen auch richtig geordneten und zuverlässigen material-
sammlungen, die eigentlich spezialwörterbücher (in grammatikalischer statt in
alphabetischer Ordnung) der behandelten texte darstellen, für mancherlei sprachliche
zwecke, z. b. auch für die wortbildungslehre, nützlieh werden können.
Trilsbach legt seiner Untersuchung die Skeatsche ausgäbe der west-
sächsischeu evangelien zugrunde ; er stellt die den westsächsischen sprachtypus am
reinsten widerspiegelnde hs. Cp des Corpus Christi College in Cambridge in den
mittelpunkt, notiert die abweichungen von A, B und C und lässt die in der ihm
noch nicht zugänglichen Brightschcn ausgäbe (Gospel of St. John etc., Boston 1904)
benützten übrigen hss. (Lakeland fragment und die keutischen abschriften K und H)
ausser betracht. Er konnte dies ohne schaden tun, weil diese jüngeren kopien in
Reimanns dissertation über die spräche der mittelkentischen evangelien schon
systematisch ausgebeutet waren. In einer zusammenfassenden Übersicht am ende
versucht T. die für die verschiedenen hss. charakteristischen eigentümlichkeiten
ÜBER TRILSBACH UNO WILKE.S, LAUTLEHRE 881
hervorzuheben. Dass ihm das völlig geglückt sei, wird mau kaum sageu dürfen.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass T. sich selbst über den zweck dieser Zu-
sammenstellung nicht ganz klar war. Es gab verschiedene möglichkeiteu. Man
konnte versuchen, aus den abweichungen der handschrifteu voneinander Schlüsse
für die Scheidung nach unterdialekten innerhalb des spätwestsächsischen zu ziehen,
mit einiger aussieht auf erfolg, weil die handschrifteu alle ungefähr der gleichen
zeit entstammen und, zum grösseren teil wenigstens, ziemlich genau lokalisiert
sind, oder man konnte aus den verschiedenen Überlieferungen die lautformen der
originalhaudschrift wiederherzustellen versuchen. Auf beides hat T. verzichtet; er
begnügt sich damit, bei jeder handschrift einige von den nach Sievers und Bülbring
regelmässigen spätwestsächsischen formen abweichende erscheinungen zu notieren.
Dabei sind gerade die feineren nüancierungen der hss. nicht genügend heraus-
gearbeitet : in Cp wären z. b. die Schreibung cea statt ea in ceagan, ceagon, die
Wandlung von weor in ivur zu erwähnen gewesen ; A ist den übrigen hss. gegenüber
auch durch einige von T. nicht beaclitete züge charakterisiert, wie die verliebe für e
statt ea vor /*, g, c im silben auslau t, für entrundung von // > 7, für weor gegen
ivur von Cp B, für eo < e, i durch w/«-umlaut {cleopaö, heora, leofad, hleonmiga,
unaseoiood gegen clypad, hyra, lyfaö, hlinunga, unasiwod in Cp B), durch Schwund
eines anlautenden j in ear, earwiad, durch a im partizip gesawen, ofslagen gegen
gesewen in Cp B C. Die in B häufigen besonderheiten eines le statt ea {abieh,
gecies, died, dieöe usw.) und ie statt ea (bierme, civierterne, iert usw.),
eines auslautenden nc statt ng, der en düngen -gn, -ynd, -gr statt -en,
-end, -er werden von T. nicht erwähnt, ebensowenig der B C gemeinsame
zug des inlautenden u für /. So wäre wohl manches hinzuzufügen gewesen.
Die ausnahmslose Übereinstimmung sämtlicher hss. in den Schreibungen bleda, recels
(so auch bei Älfric nach Wilkes) lässt vermuten, dass deren Stammvokale nicht auf
westgerm. (e und au, sondern eher auf ö und iu, zurückzuführen sind. Dass das
handschriftenverhältnis doch nicht so einfach ist, wie T. in anlehnung an Skeat
annehmen will, hat Bright in seiner ausgäbe des Johannesevangeliums s. XXI f.
und XXXVII ff. gezeigt. Die T.sche arbeit leidet dadurch, dass text und belege
nicht typographisch geschieden sind, an einer Unübersichtlichkeit, die sich leiclit
hätte vermeiden lassen.
Der Druck der Wilkes sehen Untersuchung ist von diesem fehler zwar frei,
hat dafür aber den andern, dass weder ein inhaltsverzeichnis beigegeben nocli der
mindeste versuch einer Zusammenfassung der wichtigeren ergcbnisse unternommen
ist. Hier war die aufgäbe von der T.schen insofern verschieden, als eigcntlicli
nur eine einzige handschrift (Land B 19 der Bodleiana) zu beliandeln war. Da die
Greinsche ausgäbe derselben im ersten bände der Bibliothek der angelsächsischen
prosa nicht auf autopsie, sondern nur auf den drucken von Thwaites und L'Isle
aus den Jahren 1698 und 1623 beruhte, nahm W. zunächst eine koUation des
Greinschen textes mit der handschrift vor und teilt deren ergcbnisse auf s. 6—30
seines buches mit. Die handschrift weist einen im ganzen auffallend einheitliclien
lautcharaktcr auf; nur vereinzelte mundartliche oder zeitlich jüngere abweichungen
von der spätwestsächsischen norm sind zu bemerken. Nicht immer scheint laut-
gesetzliche entwicklung daran schuld zu sein, sondern es treten wohl gelegentlich
analogiewirkungen ein, welche eine Störung der im ganzen konsequenten orthograpliie
verursachen. W. hat mit gcwissenhaftigkeit, aber unter verzieht auf kritische
Würdigung die in seinem texte auftretenden Wörter unter die verschiedenen para-
382 M-:iIK KKS('|1KIMIN(JEX
graphtMi sciiiLT liiiitlchrc aufgeteilt. Dass ilini daliei einige versehen zugestossen
sind, hat sclion Weyhe in Engl. stud. 39, 85 tf'. hemerkt. Einige andere, die mir bei
der durchsieht aufgefallen sind, darf ich anzuführen mir ersparen, da jeder henützer
sie leicht selbst richtigstellen wird.
GUSTAV HINZ.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaktion ist bemüht, für alle zur besprechung geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referenten zu gewinnen, übernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu rezensieren. Eine zurücklieferung der rezensions-esem-
plare an die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Barth, Bruno, Liebe und ehe im altfranzösischen fablel und in der mittelhoch-
deutschen novelle. [Palaestra XCVII.] Berlin, Mayer & Müller 1910. X, 273 s.
7,80 m.
Beheiiu, Michel. — Gille, Hans, Die historischen und politischen gedichte
Michel Beheims. [Palaestra XOVL] Berlin, Mayer & Müller 1910. X, 240 s.
7 m.
Boer, K. C, Die sagen von Ermanarich und Dietrich von Bern. [Germanist. Inuul-
bibliothek. X.] Halle, Waisenhaus 1910. Vm, 333 s. 8 m.
Brentano. — Schubert, K., Clemens Brentanos weltliche lyrik. [Breslauer bei-
trage zur lit.gesch. 20.] Breslau, Hirt 1910. 81 s. 2,25 m.
Brunk, A., Osuabrücker rätselbüchlein. Osnabrück, Ct. E. Lückerot 1910. 84 s.
1,20 m.
Delbrück, Berthold, Germanische syntax. I. Zu den negativen sätzen. [Abhandl.
der philol.-histor. kl. der kgl. sächs. gesellsch. der wissensch. XXVIII, 4.] Leipzig,
Teubner 1910. (II), 64 s. 2 m.
Dichtungen aus mittelhochdeutscher frühzeit .. ., herausg. von Hermann Jantzeu.
2. aufl. Leipzig, Göschen 1910. 154 s. Geb. 0,80 m.
Eckhart, Meister. — Meister Eckharts Buch der göttlichen tröstung und Von dem
edlen menschen, herausg. von Phil. Strauch. [Kleine texte für theol. und
philol. Vorlesungen und Übungen, herausg. von Hans Lietzmann. 55.] Bonn,
A. Marcus und E. Weber 1910. 51 s. 1,20 m.
Edda Ssemundar. — Ussing, Henrik, Ora det indbyrdes forhold mellem helte-
kvadene i .Eldre Edda. [Dissert.] Kobenh., Gad 1910. 176 s.
Elsässer, August, Die kürzung der mhd. langen stammsilbenvokale in den hoch-
deutschen mundarten auf grund der vorhandenen dialektliteratur. [Heidelberg,
dissert.] Halle 1909 (G. Fock, Leipzig in komm.). (VI), 76 s. 1,20 m.
Friedemann, Käte, Die rolle des erzählers in der epik. [Untersuchungen zur
neueren sprach- und lit.gesch., herausg. von Oskar F. Walzel, n. f. VII.]
Leipzig, H. Haessel 1910. X, 246 s. 4,60 m.
(wedichte, Kleinere geistliche, des 12. Jahrhunderts, herausg. von Albert Leitz-
m a u n. [Kleine texte für theol. und philol. Vorlesungen und Übungen, herausg.
von Haus Lietzmann. 54.] Bonn, A. Marcus und E. Weber 1910. 30 s.
0,80 m.
NEUE ERSCHEINUNGEN 383
Cfot'tlu'. Schütte, ^I., Das Goetlie-aational-museum in Weimar. Crrosse aus-
gäbe des fiilirers. Leipzig, Inselverlag 1910.
(wross, Edgar, Die ältere romantik und das theater. [Theatergeschichtl. forschungen,
herausg. von B. Litzmann. XXII.] Hamburg und Leipzig, Leop. Voss 1910.
(Tin), 119 s. 4 m.
driiudacker Yon Judenburg, Christi hört, aus der Wiener handschrift, herausg. von
J. J a k 3 c h 8. Mit einer tafel in lichtdruck. [Deutsche texte des mittelalters.
XVIII.] Berlin, Weidmann 1910. XVHI, 92 s. 4 m.
(«üuderode, Caroline von. — Bianquis, Genevieve, Caroline de Günderode
(1780—1806). Ouvrage accompagne de lettres inedites. Paris, F. Alcan 1910.
XI, 508 s. 10 fr.
Haupt- und staatsactionen, Wiener, eingel. und herausg. von Kudolf Payer
von Thurn. 2. band. Mit einer beilage in lichtdruck. [Schriften des Literar.
Vereins in Wien. XIII.] Wien 1910. (VI), 439 s. Geb. 17 m.
Ilott'maun, E. T. A. — Otmar Schissel von Fieschenberg, Novellenkompo-
sition in E. T. A. Hoffmanns Elixieren des teufeis. Halle, Niemeyer 1910.
IV, 80 s.
Kiefer, Heinrich, Der ersatz des adnominalen genitivs im deutschen. Dissert.
Giessen, A. Hoffmann 1910. 89 s.
Kluckholin, Paul, Die ministerialität in Südostdeutschland vom 10. bis zum ende
des 13. Jahrhunderts. [Quellen und Studien zur verfassungsgesch. des Deutschen
reiches in mittelalter und neuzeit, herausg. von K. Zeumer. IV, 1.] Weimar,
Böhlau 1910. XI, 248 s. 8 m.
Kutsclier, Artur, Die ausdruckskunst der bühne. Grundriss und bausteinc zum
neuen theater. Leipzig, Fritz Eckardt 1910. 223 s.
Liederhandschriften, Zwei Leipziger, des 17. Jahrhunderts, als beitrag zur kenntnis
des deutschen volks- und Studentenlieds, herausg. von Emil Karl Blümml.
[Teutonia . . ., herausg. von W. Uhl. X.] Leipzig, Avenarius 1910. XXIII,
117 s. 3,50 m.
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1910. XX, 645 s. 16 m.
Olrik, Axel, Danmarks heltedigtning, en oldtidsstudie. Anden del : Starkad den
gamle og den yngre Skjoldung-raekke. Kebenh., Gad 1910. 322 s. 6,50 kr.
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1,50 kr.
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der deutschen literatur. [Progr. der staatsobeiTcalschule in Lail)ach.] 1910.
44 s.
Rudolf von Ems. — Lü dicke, Victor, Vorgeschichte und nachleben des Wille-
halm von Orlens von Rudolf von Ems. [Hermaea . . ., hrg. von Phil. Strauch.
VIII.] Halle a. S., Niemeyer 1910. (VIII), 178 s. 4,50 m.
Schmidt, Ludwig, Geschichte der deutschen stamme bis zum ausgange der Völker-
wanderung. I, 4. [Quellen und forschungen zur alten gesell, und geogr.,
herausg. von W. Sieglin. XXIL] Berlin, Weidmann 1910. S. I-VHI und
367-493. 4,20 m.
384 NKUE EUSCIIEINirXCKN - NACllKICUTKX
Yerhaudluuycu dur 50. Versammlung tlciit.sclier philologcii vmd schulmänucr in
Graz vom 28. sept, bis 1. okt. 1909, im auftrage des ausschusses zusammen-
gestellt vom ersten präsideuten univ.prof. dr. Heinrich Sehen kl. Leipzig,
Teubner 1910. VIII, 240 s. 6 m.
Yolksweiscn. — Islonzk [)j6()lög. ßjarni I'ors tein ss on prestur i Sigliifiröi
hefur safuaö lögunum 1880—1906 og saniiö ritgjöröirnar. Gefin Vit ä kostnaö
Carlsbergssjöössius. Kaupmannahöfn, prentuö hjä S. L. Möller 1906—1909. XI,
957 s. 15 kr.
'Wagner, Reiuliard, Die syntax des Superlativs im gotischen, altniederdeutschen,
althochdeutschen, frühmittelhochdeutscheu, im Beowulf und in der älteren Edda.
[Palaestra XCI.] Berlin, Mayer & Müller 1910. VIII, 117 s. H,50 m.
Walzel, Oskar F., Das Prometheussymbol von Shaftesbury zu Goethe. [Sonder-
abdruck aus den Neuen Jahrbüchern für das klass. altertum, geschichte und
deutsche lit., 25.] Leipzig und Berlin, Teubner 1910. 70 s. 2 m.
Weruher der gjirteiiiere. — Helmbrecht, ein oberösterreichisches gedieht aus dem
13. Jahrhundert, übertragen von Konr. Schif fmanu. 2. aufl. Linz, R. Piru-
gruber o. j. 69 s.
NACHRICHTEN.
Bj. M. 01s eil ist zum mitgiied der Kgl. dänischen gesellschaft der Wissen-
schaften ernannt worden.
Prof. dr. Roman Wörner in Freiburg i. Br. ist vom lehramt zurück-
getreten, an seine stelle ist der bisherige privatdozeut dr. P. Witkop in Heidel-
berg zum ausserordentlichen professor für neuere deutsche literaturgeschichte in
Freiburg i. Br. berufen worden.
Der privatdozeut für deutsche pMlologie an der Universität Strassburg dr.
Ernst Stadler ist an die Uuiversite libre in Brüssel, der professor dr. C. Borcli-
ling ist von Posen nach Hamburg berufen worden.
Der professor für deutsche spräche und literatur an der technischen hoch-
schule in Dresden dr. (). Walzel ist zum Geheimen hofrat ernannt.
Prof. dr. L. Wim m er in Kopenhagen tritt am 1. September 1910 von seinem
amte zurück.
Verstorben sind: Prof. dr. Leo Meyer (Göttingen) und prof. dr. Ernst
Martin (Strassburg) .
Druck vou W. Koblbammer, Stuttgart.
3f^
ZWEI KUNENINSCHKIFTEN AUS NORWEGEN UND
FRIESLAND.
1. Die Inschrift des Wetzsteines von Str0m auf Hitteren.
Jede neue urnord. inschrift ist ein erfreulicher gewinn für die
german. sprachg-eschichte.
Die einsichtnahme in das bis zum jähre 1903 reichende Verzeich-
nis der urnord. Wörter bei Noreen ^ lehrt den sachverständigen sogleich,
von wie hoher bedeutung diese ursprünglichen sprachformen ohne
umlaute, ohne nennenswerte lautverluste im wortinneru und mit gut
erhaltenen endsilben für die erkenntnis des ältesten german. sprach-
zustandes sein müssen, wie sie im verein mit den gotischen formen
und den german. lehnwörtern des finnischen die balken gewähren, vom
germanischen aus nach rückwärts zu den nächstverwandten sprachen
der ig. familie eine brücke zu schlagen und über die vorgeschichtlichen
geschehnisse, deren ergebnis die geburt des german. sprachtjpus ist,
wenigtens zu leitenden anschauungen zu gelangen.
Nicht gerade die ältesten Wörter sind es, die uns das urnord.
spendet; hinsichtlich des alters der Überlieferung werden sie von den
german. dementen, appellativen und namen, der antiken literatur viel-
fach übertroffen, aber es sind die ältesten german. texte, es ist intern
german. erbgut, unverändert durch griechische oder lateinische laut-
auffassung, unberührt in den endungeu, die ja im antiken gebrauche
zumeist durch den tlexivischen apparat der bezüglichen spräche, des
griechischen oder lateinischen, ersetzt sind und selbst dort, wo sie
noch zutage liegen, leider nicht immer eindeutig sind.
Die bei Plinius (23-79 u. z.) überlieferten germ.-latein. handels-
wörter ylaesum, gantae, sapo sind weitaus älter als irgendeine urnord.
inschrift, aber die ursprünglichen german. endungen dieser entlehnungen
sind nicht ersichtlich; sie müssen herausgerechnet werden, und ich möciite
1) Altnord, grammatik I •', Halle 1903, s. 414-18.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLH. 26
386 vox (:i!ii:Ni!r.i;(iKK
nicht beliauptcn, dass dies in jedem falle mit ausreichend verl)ürg-ter
Sicherheit zu machen sei.
Man kann unter der Voraussetzung, dass das genus der späteren
g-erman. entsprechungeu dem der jeweiligen vorläge dieser latein. lehn-
wörter gleich sei, für das erste (Pliu. 37, 42 certum est [sucinum] . . .
ab Germnnis appellai-i glaesiim, itaque et ab nostr/s ob id imani insulam
Glnesariam appellatam . . ., ags. gld'r, angeblich neutrum bei Bosworth-
Toller, gen. gld'res 'sucini' S mnd. gldr 'gummi') ein german. neutrum
^glilzo erschliessen, als pendant zu den umgekehrten entlehnungen, den
neutris got. lein, wein aus lat. '^Hiuo, *vmo, wie dono CIL. 10, 4632 ^
hochlatein. Imiwi, vmimi, die otfenbar zu einer zeit erfolgt sein müssen,-
da das ig. neutrum -om im german. auf -o und noch nicht dem ur-
nord. gemäss auf -a ausgieng.
Man kann ferner die einbringung des zweiten wortes (Plin. 10, 53
candidi [anseres] ibi [in Germania], verum minores, gantae vocantiir,
ags. qanot, gen. ganotes 'fulix') in die erste latein. deklinationsklasse
den latein. maskulinen derselben auf -a, selten -as : hosticapäs, pari-
cid.as'^ zuschreiben und eine german. form ^gantaz, acc. '^ganta,
verlangen.
Man darf endlich für das dritte wort (Plin. 28, 191 prode.st et
sapo . . . optimus . . . spissus ac liquidus, Martial 14, 26 attrito mpone
genas pnrgare memento, ags. Bosw.-Toll. readre deage [marg. sdpe]
'rubre stibio') ein german. femininum auf -o, ig. a : ^saipo zugrunde
legen, zu dem sich german. -finnisch saipio, ags. sdpe, -an, ahd.
Graft 6, 172 seifa, acc. saiffun als sekundäre Jö«-ableitung und be-
zeichnung einer saftart* verhält. Aber diese bestimmungen sind doch
keineswegs die einzig möglichen und nötigen ausserdem, insofern
man sie aufrecht hält, zur annähme verschiedener entlehnungszeiten.
Das, was die urnord. inschriften bieten, sind dagegen direkte
Zeugnisse, bei denen auch für das verbum und die übrigen redeteile
des Satzes etwas abfällt.
Im September 1908 wurde nach dem berichte Magnus Olsens"'
auf der besitzung .0vre Sageidet bei Strom auf der norwegischen insel
1) Old Engi. glosses ed. l)y Napier, Oxford 1900; 1, 1074.
2) Sommer, Handbuch der lat. laut- und formeulehre, Heidelberg 1902, § 209.
3) Sommer, § 191.
4) Klug-e, Nom. «tammbildunyslchre . . ., 2. aufl., Halle 1899, §§ 80-82, e; s. 42.
5) Runerne paa et nyfundet bryne fra Stram paa Hitteren. Af Magnus
Olsen, Trondhjem 1909 = Det kgl. norske Videuskabs Selskabs Skrifter, 1908,
nr. 13, 20 ss., 1 taf.
ZWEI RUXEXINSCHRIFTEX AUS NORWEGEN UND FRIESLAND 387
Hittereu unter einem Steinhaufen, V2 eile unter der Oberfläche, ein kleiner,
prismatischer Wetzstein gefunden. Ausser diesem kamen, auf ein brand-
grab deutend, spärliche reste von kohle zutage, aber keinerlei andere
altsachen.
Der stein, feinkörniger, glimm erhaltiger Sandstein, von 14,5 cm
länge, 1,9 cm grösster breite und 1,2 bis 1,3 cm dicke ist an den
beiden Schmalseiten beschrieben, und zwar an der einen Schmalseite
vom einsatze einer gegen die spitze zu schief abfallenden fläche, der
ganzen länge folgend, bis zu dem der spitze entgegengesetzten ende
mit 10,2 cm, an der andern, von der spitze bis etwas über die hälfte
der läugenerstreekung hinaus mit 7,2 cm zeile.
Die erste rune der ersten zeile P steht dicht an der kante der
Seitenfläche und der abdachenden fläche, und zwar so, dass die auf-
rechte hasta des buchstabens dieser nicht senkrecht orientierten, sondern
schief nach rechts oben verlaufenden und nicht geradlinigen, sondern
etwas gekrümmten kante folgt, was mit Olsen s. 5 ein beweis dafür
ist, dass sie der ruuenschreiber schon vorfand, dass also vor ihr
keinerlei verlust von runen durch abschleifen stattgefunden haben
könne.
Während aber Olsen a. a. 0. der meinung ist, der vier glatte
Seiten aufweisende Wetzstein habe auch noch nach anbringung der
Inschrift zum schärfen gedient, wird dies von K. Rygh in einer Zu-
schrift an Olsen ^ in zweifel gezogen: 'es stünde nichts im wege, an-
zunehmen, dass die inschrift unmittelbar vor der niederlegung des
Steines im grabe ausgeführt worden sei; die schlifPspuren an Wetz-
steinen zeugten durchaus nicht bindend für geschehenen gebrauch, sie
können auch während der Zubereitung des Steines und infolge dieser
zustande kommen'.
Es ist also möglich, dass der Wetzstein von Str0m überhaupt
niemals zum schärfen bestimmt war, weder für sensen oder äxte,
denen seine grosse nicht genügt, noch für kleinere gerate, messer
oder Pfeilspitzen (Olsen s. 4), sondern dass er ein zum zwecke der
beigäbe in ein grab ausgewähltes und mit inschrift versehenes Schau-
stück sei, bei dem es auf die tatsächliche Verwendbarkeit zum flngierteu
zwecke gar nicht ankam.
l) Smaastykker 11 (M. 0.) 'Runenie paa et nyfundet l)ryne fra Stram paa
Hitteren'. Nye oplysninger tilligemed et spersmaal : Maal og ininne, 1909, s. 100.
26*
388 VOX GKIKXI5KKGEU
Die beiden reehtsläu%en zeilen der in den älteren nordischen
runen geschriebenen legende ergeben die transliterierung:
w.atehalihiiiohorna , liahasksiliihalmligi
wozu in grapliischer liiusicht einiges zu bemerken ist.
Sämtliche lia, vier an zahl, sind ligiert; das eine s, sonst schief /,
ist senkrecht aufgestellt und gestreckt S; das eine k hat nicht die
älteste, im mittleren zeileuraume schwebende form <, sondern die etwas
spätere, auf einen stab gestellte Y; das n in Jiorna ist nach Olsen s. 6
mit dem folgenden vokal zu einer binderune na : ^ verschmolzen,
während man nach der abbildung, die hier allerdings auch täuschen
kann, versucht Aväre, au ein zuerst ausgelassenes und dann im oberen
zeilenraume nachgetragenes >< ; R^f^ zu glauben; die zeichen für die
lautgruppe ^^^■ ; IXI nähern sich der gestalt eines runischen <f;M, inso-
fern die beiden I an die fusspunkte des X stark herangerückt sind ;
aber die distanzen an den kopfpunkten sind deutlich in acht genommen,
und ein urnord. auslaut Id wäre nur bei annähme von kürzungen
oder als vokativ möglich.
Die buchstabenformen beider zeilen sind die gleichen, doch ist
die ausführung der zweiten zeile etwas sorgfältiger geraten als die
der ersten, was Olsen zu der alternativen Vermutung veranlasste, die
beiden zeilen rührten entweder von zwei runenmeistern her, oder sie
seien allerdings von einem, aber nicht zu ein und derselben zeit
geschrieben. Dessenungeachtet erklärt er die Inschrift als zusammen-
hängenden text: 'das hörn soll diesen stein netzen, dann mag kampf-
gefahr drohen' und denkt an eine rituelle weihe des Wetzsteines mit
dem inhalte des beim mahle kreisenden trinkhornes, so dass vom
steine magische kräfte auf die mit ihm geschärften wafien übertragen
würden, die in kampfgefahr Sicherheit böten. Im nachworte äussert
sieh Olsen doch sehr skeptisch über diesen Zusammenhang und bringt
in Maal og minne a. a. o. den sachlichen nachweis des deutschen
dialektforschers Wolf von Unwerth zur kenntnis, dass die mähder in
Schlesien den Wetzstein für die sense in einem ivetzkleze genannten
hörne (ochsenhorn) trügen, in dem sich etwas wasser befindet; 'hier
könne also vom hörne gesagt werden, dass es den stein netze, was
vielleicht zu einer in mehreren hinsichten geänderten auffassung vom
inhalte der Inschrift führen werde' '.
Zu der gleichen ansieht, dass das hörn ein kumpf sei, ist selb-
1) Einstimmende nachweise aus Norwegen trägt 31. 0. in 3Iiial og minue 1909,
s. 163 nach.
ZWEI RUNENINSCHRIPTEX AUS NORWEGEN UND FRIESLAND 389
ständig' August Gebhardt ^ gelaugt, der daraus mit recht folgert, dass
der zweite abschnitt der iuschrift Avohl weniger kriegerisch aufzufassen
sein werde.
Der gebrauch des Wortes hieze in der hier angezogenen bedeutuug
ist im DW. V, 700 unter 4 des weiteren aus Sachsen, dem Erzgebirge
und Nordböhmen nachgewiesen, doch fehlt hier eine angäbe darüber,
ob diese kieze aus ochsenhorn verfertigt sei oder w-enigstens aus
solchem verfertig-t sein könne.
Die von Olsen proklamierte, in mehreren punkten geänderte auf-
fassung von dem inhalte der Inschrift, den wir nun schon ahnen, hängt
an dem worte hapu. Dass Olsen dasselbe als casus, Instrumentalis,
des bekannten, in compp. auftretenden german. wortes für 'kämpf ur-
nord. liapu- und hactti-, ags. heapo-, ahd. hadii-, an. auch unkomp. als
gottname ügpr, in anspruch nahm, w^ar nahezu selbstverständlich;
niemand hätte eine andere bcziehung gesucht, aber eine erfolgreiche
deutung der Inschrift war damit nicht zu erzielen.
Ich erkläre häpu als kontraktion aus *hawipu, einem verbal-
abstraktum zu der urnord. entsprechung von nhd. hauen, anorweg.
hofigua, gleichbedeutend mit nhd. 'die mahd', semasiologisch und ety-
mologisch zusammengehörig mit nhd. heu, got, hawi, au. hey 'afslaaet
gras' (Fritzner) als 'umgehauenes'. Hinsichtlich der suffixalen bildung
lässt sich urnord. *liawipu mit den ahd. sekundären verbalen abstrakten
gilwrida 'auditus', miösida 'absolutio, redemtio', fjlscihida 'casus' zu
giiioren, arlösen, giscehan vergleichen, i. b. mit dem letzteren, das Ja
gleichfalls von einem starken verbum ohne / im suffixe ausgeht.
Die kontraktion zu hapic ist im sinne des altnordischen regulär.
Noreen^ § 77, 2 (s. 64) bemerkt unter u : 'nur unmittelbar nach kurzem
vokal, in welcher Stellung es überall aus iv entstanden ist, ist es so
rasch synkopiert worden, dass es keinen umlaut hinterlassen hat:
sträpa < "'strdiida < "strawläö, got. strnwida, nur, got. nann leiche'.
Dass freilich der gang der entwicklung gerade der von Noreen
angegebene, über eine mittelform au führende gewesen sei, möchte
ich nicht für durchaus gesichert halten. Im praeteritum ek Häpn z. b.,
urnord. taividö, zu "teyia, got. taujaii 'tüoiöiv', oder in hdpa, das w^äre
m\\ov([.'^haivktü zu heyia 'ausführen', dürfte eher silbische synkope
wi eingetreten sein, die sogleich länge a hinterliess. Das gleiche kann
man auch für das abstraktum "hajm aus "hawipu in anspruch nehmen,
1) Doutsclie litcraturzeitunji- 1910. iir. 14. sp. 872-3.
390 VON GUlENHEK(iEU
nur (lass diese synkope in einem iirnordischen texte als frühforni
bezeichnet werden niuss.
Die Synkopen der 3. sinj;-. praet. adän. run. Helnjes fäpi, Flemlose
faapi neben nrnord. Einang fnihiäö werden von Noreen P, § 224, 1
um 800 angesetzt, aber die J-synkope in HaukopUB, Vänga, ist wesent-
lich älter. Noreen a. a. o. s. 347 verlegt den stein ins 6. Jahrhundert;
der gleichen zeit niuss, nach dem gesamteindrucke der sprachformen
geurteilt, die Inschrift des Wetzsteines von Strom angehören. Olsen s. 19
meint, die Inschrift sei etwas jünger als die des Steines von Varnum
(Järsberg), und verlegt sie in die erste hälfte des 7. Jahrhunderts; da
aber der stein von Varnum nach Noreen gleichfalls dem 6. Jahrhundert
angehört, so lässt sich die forderuug Olsens auch innerhalb dieses
Jahrhunderts realisieren.
Die konjimktion Jn ist, wie Olsen s. 17 ganz richtig gesehen
hat, mit got. pyei 'oTt, Iva, ut' identisch, also sicherlich auch in der
an. ursprünglicheren form Jn, an stelle des späteren, nach hol ana-
logisch umgestalteten dat. sing, neutrius pvl des demonstrativprono-
mens sä fortgepflanzt, der im sinne von 'deshalb, diew^eil, in dem falle'
gebraucht wird; aber keine dieser an. bedeutungen ist hier in anwen-
dung zu bringen, und von ags. py, einem eigentlichen Instrumentalis,
als konjunktion 'deshalb' ist überhaupt abzusehen. Die urnord. kon-
junktion pn ist vielmehr, nicht nur formell, sondern auch der Wirkung
nach mit dem got. lokativ pjei in seiner finalen funktion Joh. 6, 12
P)el ivaihtai ni fraqistnai 'damit nichts umkomme' durchaus identisch
und so, wie in diesem got. finalsatze mit einer 3. sing, praes. U(ji,
zu an. liggia, got. Ugan, gebunden, deren endsilbe -t von Olsen auf
älteres -ij, -ial zurückgeführt wird.
j)! hapH ligi heisst also 'auf dass die mahd liege', wozu ich die
Olsensche interpretierung des voranstehenden hauptsatzes dem sinne
nach völlig unverändert übernehme, nur dass ich wate nicht als 3. sing,
praes. optativi eines ^/r/n-verbums, sondern lieber als 2. sing, imperativi
eines alten ^n-verbums, got. -ai (habai), ahd. -e {habe), an. -e (vake):
'netze diesen stein hörn!' betrachte.
Das empfiehlt sich sowohl stilistisch als auch aus dem gründe,
dass man für die in rede stehende optativflexion einerlei form mit
der des konjunktivs ligi, d. h. -?, nicht -e erwarten müsste.
Dass auch mit einem r//-verbum die erforderliche kausative
l)edeutung 'nass machen' verbunden sein könne, ergibt sich aus
got. gaainan 'vereinzelnen' ; ains , anapncan 'dienstbar machen' zu
pnus, weihau 'weihen' ; loeihf^ 'y-yw;', alle drei mit nominaler basis. Es
ZWEI RUNEXINSCHRIFTEN AUS XORAVEGEN UND FRIESLANI) 391
steht also nichts dawider, einem verbnm der ae'-klasse got. ^^wetr/n,
iirnord. ^^watm zum adj. an. vätr, ags. iccff. 'nass' die bedeutimg- der
/V/n-verba : an, va'ta {tt) 'gjore vaad', ags. wcHan, praet. ivcvtte 'hiimec-
tare' zuzuerkennen.
Spätere nachweise zum /-thema Jial<l>i neben got. halliis, urnord.
Stenstad hal<l>aB, aisl. hallr (: lit. kdlnas 'der berg' !) hat G. Neckel '
in runenschwed. heli, aschwed. hwl beigebracht.
Zu hinö, von Olsen als acc. sing. masc. des demonstrativprono-
mens got. "^his, und hina dag Mt. 11, 23 erklärt, ist ausser urnord.
Kjulevig mininö, got. meinana, auch got. ainnöhun, sonst oinana, hivanöli,
sonst hwana, hwctrjanöh, ungedeckt hwarjana zu vergleichen.
Die akkusative sing. masc. dieser pronomina nach nominalem
stand sind durch hl-, meina-, aina-, hwa-, hivarja- (ig. -im und -om!)
repräsentiert; die diesen ursprünglichen akkusativen angeschlossene
Silbe -nö, got. im reinen auslaut -na, muss demnach eine deiktische
Verstärkung sein.
Ich erkläre sie als ig. acc. sing. fem. *näm des pronominalstammes
'^)io, formell identisch mit der lat. konjunktion natn.
Es erübrigt mir nur noch, die Zugehörigkeit des zwischen beiden
Sätzen stehenden wortes hahaska zu entscheiden, das nach Olsens
interpretierung urnord. entsprechung zu an. häske, haske m. 'gefahr'
und Subjekt des zweiten war, nunmehr aber anders bestimmt werden
muss, da ja die grammatische position des Subjektes im nachsatze
schon mit hapu besetzt ist.
Dabei wird man diese etymologische gleichung doch keineswegs
zu verlassen brauchen. An. hdske, grundform nach Olsen 14 "^lianhaskan,
ist ein adjektivabstraktum, zu den bei Kluge ^ gegebenen beispielen
gehörig, und auch die semasiologische entwicklung des begriifes 'gefahr'
aus dem des 'drohend über jemand hängenden' führt auf ein adjektiv
mit der bedeutung 'pendulus', das man aber, da es im finalsatze nicht
unterzubringen ist, als attributiven nachsatz zu horna beziehen wird,
mit dem es in der flexion -a, ig. -om übereinstimmt.
Sachlich erläutert sich dieses adjektiv aus der art, wie der kumpf
von den mähdern getragen wird.
Einschlägige angaben hierüber finden sich bei Krünitz-': 'im
1) Afda. 33 (1909), 234-5.
2) Nominale stammliildun<j,sle!ire . . ., s. 107.
3) Ökonomische enzykloi)ä(lie . . . von Jolianii Geoi'g- Krüiiitz, teil 55. Brunn
1793, s. 61.
;>92 v()\ (:i;ikm!K1!(;kk
fürstentume Hohenlohe heisst kumpf das steinfass, ein hölzernes
Ji-efäss, worin der Wetzstein steckt, und an einem giirtel am hinteren
teil des leibes hängt', sowie im DW. ^ zu kumpf m. '. . . 3, die wetz-
kieze der Schnitter, gefäss von holz, zugleich für den Wetzstein und
Wasser zum netzen des Steines, am giirtel getragen' mit drei älteren
belegen aus Helmbrecht, Kellers Altd. erz. und Wickrams Rollw., aus
denen zu entnehmen ist, dass der kumpf von den heumachern getragen
wurde und dass der in ihm steckende stein zum schärfen der sense
diente.
Einige Überlegung erfordert nur die genauere gestalt dieses ur-
uord. adjektivs.
Die .?^•(r-adjektiva mit mittelvokal a sind kein produktiver typus;
was es mit den namen german.-lat. Gannascus Tac. und Wnraso' v. n.
des 7. Jahrhunderts auf sich habe, die Jakob Grimm ^ hierherrechnete,
wäre erst zu untersuchen. Hätten wir aber eine urnord. form *hahnskaii
anzusetzen, so würden wir sie doch für nichts anderes halten als eine
bildung mit dem produktiven suffixe isht, die nur im mittelvokal vom
thema des nomens got. in faura-, faiir-hah n. beeinflusst wäre. Aber
diesen adjektiven kommt die bedeutung der Zugehörigkeit sowie mora-
lischer eigenschaften zu, während die präsentisch-partizipiale bedeutung,
z. b. von an. beiskr 'scharf, d. i. 'beissend', am mittelvokallosen typus
dieser ableitungen haftet.
Man wäre also sehr viel mehr geneigt, das adjektiv unmittelbar
aus dem verbum hahan in der form *häh-ska- abzuleiten, die ja wohl
auch schon urnord. mit synkope der gutturalis '^Jiaska- ergeben musste.
Wir haben demgemäss im ersten ftille eine eigentliche form
"haJiiskd, etwa 'zum Umhang, gürtel gehörig' anzusetzen, im zweiten
aber vokalische dopjjelschreibung mit zwischengesetztem, nicht-etymolo-
gischem h anzunehmen. Altgerman. beispiele für diese orthographische
besonderheit habe ich schon vor längeren jähren an anderem orte^
gegeben. Graphische gemiuata aa bietet zweimal die urnord. Inschrift
der Spange von Vi.
An der nominalen, vokalischen endung des adjektivs -et, die ja
den urverwandten alten sprachen gemäss ist, lat. 'cornu pendulum',
wird man nicht anstoss nehmen dürfen, wenn mau auch nach got.
1) Bd. V (1873), sp. 2614.
2) Deutsche grammatik von Jakob Grimm, 2. teil, neuer verm. a!)dr., Berlin
1878, s. 354.
3) PBB. 19 (1894), s. 527 ff.
ZWEI RUXENIXSCIIKIFTEX AUS Xf)mVEGEN UND FRIESLAXD 393
gebrauche gerade beim vokativ eher das konsonantische adjektiv,
im neutrum auch urnord. auf -ö\ oder nach nordischem die mit -t
erweiterte pronominale form erwartete.
Die ganze inschrift hiiitet mit mutmasslich angegebener Satz-
betonung: ivatc h(il<l>i hinö hönui liäska, pi häpii Ihji! 'madefac
lapidem hunc cornu pendulum, ut fenum iaceat', und ich bin der
ansieht, dass sie keineswegs metrisch verfasst, sondern eher nur ge-
hobene prosa sei.
II. Das seh wert eben von Ar um.
Der an sich löbliche grundsatz, nicht zweimal in einer sache zu
sprechen, lässt sich im wissenschaftlichen betriebe nicht aufrechter-
halten. Man käme nicht weit in der forschung, wenn es dem ein-
zelnen benommen wäre, einen unzureichenden einfall durch einen zu-
reichenderen zu ersetzen, wenn man sich mit dem urteil, das man sich
einmal über eine sache gebildet, bescheiden müsste, wenn man sich
durch die tatsache, dass man schon einmal über eine frage geschrieben,
die bände gebunden hätte, sie ein zweites mal anzufassen.
An diesen grundsatz haben sich daher mit gutem rechte hervor-
ragende forscher wie Jakob Grimm oder Sophus Bugge niemals ge-
kehrt und sich keineswegs bestimmt gefunden, mit dem zurückzuhalten,
was ihnen in irgendeiner sache an neuen zusammenhängen , neuen
erklärungen durch eigenes und fremdes nachdenken am horizonte sich
mälich formend auftauchte.
Ich nehme demgemäss für mich die erlaubnis in ansprach, auf
das runische wort des Arumer schwertchens abermals zurückzukommen
und die meinung, die ich vor zehn jähren über dasselbe hatte-, nach-
zuprüfen.
Schon in seiner ersten ausführlicheren publikation ■' — die aller-
erste vorläufige mitteilung war 1899 im Nederl. Spectator erschienen —
hat P. C. J. A. Boeles eine treff'liche abbildung des 23 cm langen
scliwertchens aus eibenholz gegeben, die hinsichtlich der lesung der
7 ags. runen: edceboda nicht die geringsten zweifei zurückliess, und
1) Stamm-Heynes Ulfilas . . ., neu hrg. v. Wrede, 11. aufl., I'aileiliorn 1908,
§ '2721).
2) Neue beiträte ziii- ruiienlelire in Zeitsclir. 32, s. 298—9.
3) Het zwaavdje van Arum; overi;ed)ukt uit het 71. Verslag- der Haiuleliuiieii
van het Friescli Genootschap van Geschied-, Oudheid- en Taalkunde te Leeuwarden,
1898-99; I und 10 ss.. 1 taf.
394 VON (;K[ENl!KK(iKK
scholl in dieser Veröffentlichung- hat Boeles darauf aufmerksam gemacht,
dass das schwertchen seiner äusseren erscheinung nach völlig der zwei-
schneidigen fränkischen spatha gleicht, und zum behufe des vergleich»
das miuiaturbild einer in der terp bei Wirdum auf einem skelette
aufgefundenen spatha beigegeben, sowie auf die beschreibung einer
anderen, nahezu gleichartigen, dem 8. oder 9. Jahrhundert angehörigen
spatha von Lutkesaaxum (Groningen) durch den fries. gelehrten Pleyte
verwiesen. Ebenso hat Boeles schon in dieser publikation der ansieht
ausdruck gegeben, dass das schwertchen wegen seines kurzen griffes
und des benutzten materials unmöglich einem praktischen zwecke ge-
dient haben könne, daher notwendig ein symbol sein müsse.
Die bestimmung dieses schwertchens, dessen spitze angekohlt
ist, suchte Boeles mit beziehung auf die von J. Grimm in der einleitung
seiner Deutschen rechtsaltertümer gesammelten nachrichten über sym-
bolische gegenstände, i. b. auch angebrannte stäbe als ankündigungs-
mittel zum krieg oder zu einer rechtsversammlung, und mit hinblick
auf den abschnitt boda, in dem das ags. und afries. wort für 'böte'
nicht zu verkennen ist, innerhalb der kategorie alter rechtssymbole
und urteilte, der gegenständ und die inschrift sei allem ermessen nach
friesisch und müsse, wenn ags., zu solchen ags. stammen gehören, die
in Friesland angesessen waren.
Das erscheinen einer neuen lesung und erklärung der inschrift
durch Theodor Siebs \ der Boeles mit dem rechte des besser unter-
richteten die Zustimmung verweigern musste, bestimmte ihn, eine neue,
mit einer photographischen abbildung ausgestattete publikation'-' über
die Sache zu veröffentlichen, in der er vorher vermisste nachrichten
über die fundumstände hinzuzufügen in der läge war.
Der finder des schwertchens, Schiffer Wieger Sijtsma, der das-
selbe 1895 an das museum zu Leeuwarden verkauft hatte, war um nähere
auskunft ersucht worden und gab nun an, dass er dasselbe ungefähr
15 fuss vom gipfelpunkte einer terp unterhalb Arum in der schwarzen
torferde mit einigen knochen, vermutlich von tieren, gefunden habe,
und dass die spitze des schwertchens bei der auffindung bereits ver-
koldt gewesen sei.
1) Friesische literatur von Theodor Siehs: Grundriss der fjerman. philologie,
hvix. V. Hermann Paul, 2. aufl., II. hd., 1. ahteilg, Strasshurg' 1901—09, s. 521—3.
2) Nogmaals lict zwaardje van Arum en de Hada-munt . . . door P. C. J.
A. Boeles; overgedrukt uit de Vrije Fries XX. vierde reeks, 2e deel, afl. 2 (1903),
20 SS. (= 190-208), 1 taf.
ZWEI RUNENINSCHKIFTEN AUS NORWEGEN UND FRIESLAND 395
Die neue photographische wiedergäbe lehrt, dass die trenuung-s-
pimkte zwischen ce und b, die sieh nach der ersten al)bihlung als eine
vertikale reihe von fünf punkten darstellen, auch zufällig sein können,
was Boeles schon im jähre 1899 für möglich hielt ^, dass jedesfalls
ihre angenommene funktion als trennungszeichen nicht auch durch
eine entsprechend weitere buchstabendistanz unterstützt werde. Der
abstand von den eudpunkten des seitendetails am 1^ zur aufrechten
hasta des ^ ist gleich dem vom e zum ersten d und geringer als der
vom zweiten d zum a.
Dass der erste teil des glaublichen kompositums edwhoda in
afries. eth, ed, '■eid^ zu suchen sei, hat van Helten gleichfalls schon
im jähre 1899 mit der begründung bestritten, dass die interdentale
Spirans im fries. bis ins 15. Jahrhundert ihre spirantische qualität be-
wahrt habe ^, d. h. van Helten erwartete in diesem falle Schreibung
mit ^om-rune. Ich fände es doch noch bedenklicher, dass der dem
a von got. *aipa- entsprechende themavokal (v nach vokalisch langer
Stammsilbe bewahrt wäre. Man wird demnach eine Verbindung mit
mild, eithot 'aufforderung zur eidesleistung' nicht wagen dürfen. Da-
gegen scheint es formell unbedenklich den ersten teil als &d&- gefasst
mit dem german. präfix *eda-^ gleichzusetzen, das besonders im ags.
(ed-) reichlich vertreten ist und in seiner ahd. zweisilbigen form /ta-
(mhd. ite-) neben reduziertem it- den themavokal noch darbietet.
Die funktion des prätixes, bei Bosworth-Toller mit 'rursus, denuo,
iterum' angegeben, deckt sich mit dem präfixe re- der meisten lateinischen
glossenworte zu den bezüglichen ags. belegen, d. h. der begriff der
wiederholten identischen handlung: edrecan 'wiederkäuen, nochmals
kauen' ist aus dem der kompensierenden handlung: edcßfan 'wieder-
geben', nicht gleich 'nochmals geben', sondern gleich 'zurückgeben'
als kontrast zu 'nehmen', entwickelt, und die bedeutung 'zurück' muss
älter sein als die bedeutung 'abermals'. Da nun ahd. itlon, ags. edlean
'retributio' nach sinn und bildungsweise von ahd. uuidnrlon 'recom-
pensatio', andd. müthirlöii 'retributio', ags. wiperlean nicht verschieden
ist, wird man als ältesten wert des präfixes (adverbiums !) eda- den
des örtlichen 'adversus, contra' zu erschliessen haben, der ja auch in
der adversativen konjunktion got. ip 'Ss, vero, aber' erkennbar ist.
1) Brieü. mitteiliuig ; Leeuwarden 17. VIII. 99.
2) Briofl. mitteiliiiiiü-; Oroiiiiiiieu 5. IX. 99.
3) Wortschatz der iierin. spraclieinlieit . . . von Alf Torp, Göttinii-en 1909, s. 24.
3fl6 V(>\ CRIKXUEKOEK
Auf welcher stufe der bcg-rift'seiitwicklung das prätix in dem
kompositum edaboda stehen könne, muss doch erst überlegt werden.
Was zunächst die eben erschlossene, ursprüngliche bedeutung
'contra' angeht, so ist ihre einführung deshalb gewagt, weil *edrf- un-
gleich dem ahd. uuidar als freie präposition mit dem sinne eben dieses
Wortes nicht vorkommt, weshalb man die anscheinend aus der mhd.
gruppe daz iciderbot und diu widerbiete 'fehde-, kriegsankündigung',
verbum widerbieten 'aufkündigen, fehde ansagen, krieg ankündigen' sich
ergebende analogie nicht mit voller beruhiguug heranziehen darf. Aber
auch die bedeutung 'nochmals' kann ich nicht wahrscheinlich finden,
da sich aus derselben die Vorstellung eines periodisch wiederkehrenden
boten ergäbe und man wohl zweifeln muss, dass z. b. eine in festen
fristen wiederkehrende Versammlung überhaupt eines boten bedürfe.
Ich glaube, dass das kompositum mit 'renuntius' zu übersetzen
und auf grund der dem latein. re- g-anz eig-eutlich entsprechenden be-
deutung- 'zurück' als 'rückkehrender böte', d. h. als ein böte zu er-
klären sei, der an jemand einen auftrag zu bestellen oder eine anfrage
zu richten und die erteilte antwort dem auftraggeber zurückzubringen
hat, wobei natürlich die Unterscheidung vorschwebt, dass es auch boten
gebe, die lediglich eine sache anzusagen, ein gebot aufzutragen haben,
ohne eine antwort zurückbringen zu müssen.
Dass es neben der nominalbildung edceboda auch ein verbum
*edbiodan 'renuntiare' gegeben haben werde, darf man annehmen, und
es wäre dann möglich, die im Zusammenhang mit mhd. widerbieten
erwogene bedeutung des Wortes auf grund einer begrififsentmcklung
'aufkündigen, absagen', wie sie dem lat. verbum zukommt, zu erreichen.
Am einfachsten ist aber doch die reine gleichung mit lat. renuntius,
und dann, muss man schliessen, ist das runische Avort nicht benennuug
des Symbols, sondern desjenigen, der das symbolische schwertchen zu
tragen und vorzuweisen hat, um sich mit ihm als beauftragter in
irgendeiner sache zu legitimieren, wobei man, um ein modernes bei-
spiel zum vergleich zu stellen, an die abzeichen der geheimpolizisten
erinnern kann.
Diese auffassung des gegenständes, die sich hinsichtlich des In-
halts dessen, was der renuntius zu besorgen hatte, jeder näheren Ver-
mutung enthält, scheint mir auch auf die eigentliche bedeutung des
Stäbchens von Britsum licht zu werfen ; auch dieses Stäbchen, dessen
inschrift den träger mit uamen nennt und die funktion des tragens
- biriä ml, was auch heissen kann überbringt mich - ausdrücklich
erwähnt, ist am ehesten ein legitimierendes abzeichen, glaublich für
GUNTERMAXN, AHD, ARUNTI, MHD. KRNDE 397
einen boten, und meine frühere anffassuug^ über die bestimmnng-
desselben demnach zu modifizieren, wobei aber doch die versuchte
deutung- der inschrift nach Worten und wortsinn durchaus unberührt bleibt.
Das Verhältnis von edce- zu ags. ed-, ahd. ita~ zu it.-, ist das von
got. anda zu and, ahd. aba zu got af, got. ana zu ags. on, d. h. die
jeweils erste ist die volle, die andere die gekürzte form des adverbiums.
Der lautwechsel a zu ce in edce ist ags. gleich den runen, die ja
wegen der zeichen P und ^ keinem anderen germ. aiphabet angehören
können. Die Wahrscheinlichkeit ist demnach nicht gering, dass die
inschrift des Arumer schwertchens ags. sei und jenen Angelsachsen
zugeschrieben werden müsse, als deren relikte in Friesland von Boeles
'Nogmaals het zwaardje', s. 6-7 spezifisch ags. leichenurnen des 5. bis
6. Jahrhunderts und sceattas des 7. bis 8. Jahrhunderts aufgezählt
werden. Zu den letzteren rechnet Boeles auch den solidus von Har-
lingen mit der inschrift N^M^, ersichtlich einem personennamen, von
dem man nur nicht ohne weiteres wissen kann, ob er als ags. Häda,
ahd. Hcito, oder als Hadda neben Headda, ahd. Hatto (grundlage ags.
-heard, ahd. -hart) zu deuten sei. Dem Zeitabschnitte dieser sceattas,
nicht dem der urnen, mag auch das etwa um 650 zu datierende Arumer
schwertchen zuzurechnen sein.
1) Drei westgermanische runeninscliriften ; Zeitschr. 41 (1909), s. 425.
CZERNOWITZ. VON GRIKXBERGER.
AHD. ARUNTI, MHD. EBNDE.
Ahd. arnnti hat der lautlichen erklärnng immer besondere Schwierig-
keiten gemacht und noch keine befriedigende lösung gefunden. Dass
es in irgendeinen Zusammenhang mit got. airinon, oirus, ags. är, cerende
gebracht werden muss, ist meist anerkannt worden. Sehe ich von
J. Grimms tastenden versuchen ab, so hat sich Holtzmann in seiner
Altdeutschen grammatik (1870) um das wort bemüht. Er schreibt
s. 239 f.: 'got. fu entspricht a, wo ai für e steht, in saian, vakm usw.;
anders ist das schwierige wort änmti. Man stellt es zu got. airus,
aber nirgends ist ahd. (/ gleich got. di. Nord, ercndi, Qrendi deutet
auf arunti mit kurzem o, wozu mhd. erende, aber Otfrid liest drimti
und Notker schreibt mit Zirkumflex drende, und dazu passt ags. (erende.
398 G UNTERM ANN
Es ist also die länge des a gesichert, aber die ableitung von got. airinon
ist schwierig. Auch alts. är für got. dir ist unerhört.' S. 140 gieng
er beim Heliand über diese blosse formulierung der tatsachen hinaus :
In C steht d einigemal für altes ai, sonst alts. e : ciras, sdrag, scan,
hdlag ; ebenso in Abr. hdloc/na, gast; dies ist ags. . . . hierher drundi
zu ere {mmtii), got. äirns. Diese andeutung hängt mit Holtzmanns
unbegründeter ansieht vom ags. originale des Heliand zusammen und
hat vielleicht deshalb das Schicksal gehabt, dass man sich nicht weiter
darum bekümmerte. Job. Schmidt beleuchtete in seinem buche
Zur geschichte des indogerm, vokalismus II (1875), 476-478, das
problem von einer ganz anderen seite, war jedoch gewiss weniger
glücklich, da er mit unhaltbaren gründen, nämlich aus der kürze von
ne. errand und dem Lachmannschen betonungsprinzip zuliebe, gegen
das ausdrückliche zeugnis Notkers, für (erende, arundi, arunti kürze
ansetzte. Dieser offenbare fehler wurde denn auch von Kluge (PBB. 6
[1879], ssö) vermieden, doch sind dessen sonstige bemerkungen keines-
wegs gutzuheissen. Anstatt das schwierige wort in empirischer weise
aus den verwandten zu erklären, konsti'uiert Kluge eine form urgerni.
erundi und vergewaltigt das überlieferte, indem er ein nicht vorhandenes
ags. (h- benutzt und das wohlbezeugte alts. eri am liebsten unter den
tisch fallen Hesse, was ihm Sievers (PBB. 6, 570) mit recht vorhielt ^
Eine lösung aber brachte auch er nicht, und sie ist noch immer nicht
gefunden. Man hat sich zwar nicht bei den ersten versuchen beruhigt,
sondern neue unternommen (wie Bugge, PBB. 24, 430 »., Wood, Modern
language notes 8, gi ff., v. Grienberger, Untersuchungen zur got. wort-
kunde, s. 15), aber keine dieser hypothesen hat sich durchzusetzen
vermocht, zumal man die sache nicht von einer neuen seite anpackte.
Man ist vielmehr zum teil von zwei verschiedeneu wurzeln ausgegangen,
was mir ebensowenig wie Uhlenbeck (PBB. 30, 253) einleuchten will.
Soviel ist gewiss klar geworden, dass die streng lautgeschichtliche
betrachtung hier nicht am platze ist. Vielleicht gewinnt man mehr
Verständnis, wenn man mit entlehnungen rechnet, und bei einem lehn-
worte tritt natürlich ganz besonders die goldene regel: Wörter und
Sachen oder hier: wörter und gedanken in ihr recht. Was bedeutet
1) Übrigens ist die Klugesche ansieht in verhesserter fassung in das New
english dictionary III (1897), 275, sp. 1 ühergegangen : the Os. and OHG. forms
seem to i)oint to an 0. Teut. type ^'cerundjo-m^ and the ON. forms to *ärundjo-m,
neither of wliich is easy to reconcile with tlie otherwise plausible (and generally
accepted) connexion with Got. dirus, ON. d>-r, OS. eru,, OE. dr messenger; if any
relation exists, the ai of 0. Teut. *airns raust he due to epenthesis.
AHD. ÄKUNTI, MHD. ERNDE 399
das vvort? Da hilft uns zunächst R. v. Raum er mit seiner 'Einwir-
kung des Christentums auf die ahd. spräche' (1845) weiter. Er stellt
s. 326 ärunti als kirchlichen fachausdruck gleich hinter gotspel. Zwar
sind die belege, auf die er sicli stützt, lange nicht erschöpfend; auch
hat Raumer nicht erwähnt, dass nicht alle fälle unter der von ihm
gewählten rubrik untergebracht werden können, aber das beeinträchtigt
die richtigkeit der von ihm gemachten beobachtuug nicht wesentlich.
Berücksichtigen wir nun in gleicher weise, dass (wie ich noch
zeigen werde) die mehrzahl der fälle das wort in geistlicher bedeutung
zeigt, und zugleich die möglichkeit einer entlehnung, so kann diese
auf zwei verschiedenen wegen vor sich gegangen sein. Wie schon
V. Raumer s. 278 f. ausgeführt hat, können kirchliche fachausdrücke
german. sprach Charakters im ahd. aus dem gotischen oder aus dem
ags. entlehnt worden sein. 'Ohne zweifei hat die ags. muttersprache
des Bonifacius und seiner genossen auch auf ihre hochdeutsche predigt
einfluss geübt. Dieser einfiuss ist jedoch meist so versteckt, dass er
sich mit bestimmtheit weder behaupten noch leugnen lässt. Die haupt-
frage, auf die es hier ankommt, ist: haben die ags. missionare durch
einmischung ags. demente der ahd, spräche gewalt angetan? Und
diese frage lässt sich mit bestimmtheit verneinen. In ihren predigten
sind sie sicherlich oft genug ins ags. verfallen; allein die hochdeutsche
spräche hat diese ags. demente in ihre wortmasse entweder gar nicht
aufgenommen oder, wo sie es in einzelnen fällen tat, sich dieselben
völlig assimiliert.' So ergibt sich denn ein merkwürdig verzerrtes bild,
der sprachliche einfluss der Goten, von deren mission in Deutschland
wir eigentlich gar nichts wissen \ soll stärker sein als der der Angel-
sachsen, die für die bekehrung so unvergleichlich viel mehr getan
haben. Und die sache ist neuerdings durch Kluges aufsatz über
gotische lehnworte im ahd. (PBB. 35, i24£f.) nur noch mehr verschoben
worden '-. Kluges darlegungen enthalten sicherlich manche gute be-
1) Raumer hat das wohl erkannt, und deshalb lievorzuiit er aucii das reich
des Thoodorich als kulturvermittler, Zfda. 6, 402, 404.
2) Kluge spricht mehrfach von gotischen missionareii in Deutschiaml, als oh
sie etwas ganz gewöhnliches gewesen und von der forschung allgemein anerkannt
wären. Demgegenüber muss docli darauf verwiesen werden, dass wir von gotieclier
missionstätigkeit in Deutschland nur durcli rückschlüsse etwas wissen. Vgl. Hauck,
Kirchengeseh. Deutschlands I, s. 90, 331 ff., 348. Danacli ist bei den Alemannen
nur ein christlicher, und zwar arianischer häuptling, Gibuld, im 5. Jahrhundert vor
der fränkischen und irischen mission bekannt. Bei den Thüringern möchte Hauck
durch got, einfluss (man denke an die heirat der got. prinzcssin Anialal)erga mit
könig Irmenfrid) teilweise bekehrung des königsliauses und von d;i aus wieder ein-
400 (lUNI'KKMANX
merkuug, aber als ganzes scheinen sie mir doch über das ziel hinaus-
zuschiessen.
Anderseits glaube ich in as. ärundi, ahd. äninti ein ags. lehn-
wort zu erkennen. Die lautliche beschaifenheit stellt dem nichts in
den weg'. Wir haben von ags. wrende auszugehen. Nun entspricht
aber ags. w im as., ahd. a, so dass also die Deutscheu in wrende nur
den sprachüblichen laut einzusetzen brauchten. Wir haben einen ganz
ähnlichen fall im Heliaud, nämlich tins; auch hier wurde der dem
ahd. z korrespondierende laut eingeführt. Und wie ich glaube, dass
tins aus dem hd. in das as. mit der sache, das heisst mit den steuern
und kontributionen der siegreichen Franken kam, so urimdi mit der
ags. mission.
Dann ist natürlich geistliche bedeutung für das wort im deut-
schen zu verlangen. Die überwiegende mehrzahl der belege genügt
dieser forderung, und zu ihrer Untersuchung wende ich mich im folgen-
den. Ganz klar liegen die Verhältnisse in der as. Gen., für die
schon E. Schröder (Zfda. 44, 2230.) engeren Zusammenhang mit der
ags. missionssprache annahm. Im rein as. teile finden wir 844 ft". :
ac hiet sie threa faran
is engelos ösfan an is arundi,
sidon te Sodoma.
Sieht man sich, was bei der geringen Sprachbegabung des Geuesis-
dichters ja nicht aussichtslos ist, danach um, ob im ags. teile ent-
sprechendes begegnet, so trifft man auf 262 on Ins ehrende (wo mit
his gott gemeint ist), ebenso auf gott bezogen 319 ff. :
pcet git ne Iwstan wel
hwilc cerende, sicä he easfen hider
on pysne sW sended. Nu sceal he sijlf faran
to incre andsware ; ne mrrg his d'rende
his boda beodan.
Der engel heisst dann noch 423 wrendsecg (ähnliche komposita
werden uns noch begegnen), 447 dr; vgl. Hei. 559 eri. Ausserdem
ist 430 he ma'g unc cerendian to pdm alwaldan anzuführen, wofür
Wirkung auf das volk annehmen. Günstiiier steht die saclie für die Bayern, \vo-
durcli Kluges ansiclit, dass nur Bayern als vernnttlungsgebiet für gotische lehn-
wörter im ahd. in frage kommt, l)estätigt wird. Für Bayern erklärt Hauck s. 335:
katholische Romanen, heidnische und arianische, vereinzelt wohl auch katholische
Deutsche lebten demnach in Bayern nebeneinander, als das land in abhängigkeit
vom fränkischen reiche kam.
AHI). AKUNTI, lIHD. ERNDE 401
wir ein as. anmdian einsetzen dürfen, da dieses verbnm durch den
Heliand bezeugt ist.
Dieser bietet folgende fälle. Bei der Verkündigung der geburt
Christi 282 aftar theni ärundie = nach der engelsbotscliaft, 289 godes
drundi, 2456 drundl godes für gottes lehre; 1889 ist dnuuli der mis-
sionsauftrag Christi an seine jünger; 121, 719 handelt es sich uin
eine engelsbotschaft, 553, 564, 638 um die fahrt der heiligen drei
könig-e. ärundi ist 3966 die botschaft, die Maria und Martha an
Christus senden und in der sie ihn bitten, Lazarus zu heilen, 5816
das g-eschäft der frauen am grabe des auferstandenen, 5941 die Ver-
kündigung des auferstandenen durch Maria. 5958 ist darunter die
fahrt der jünger von Emmaus, 918 die Sendung der pharisäischen
boten an Johannes den Täufer zu verstehen. Lässt sich dieser letzte
beleg nur mit einiger mühe in unsere kategorie einordnen (doch sind
es immerhin geistliche boten), so fügt sich der einzige beleg des ver-
bums urundian wieder gut: 2157 habda tlio giurundid, al so he uuelde,
er hatte seine bitte bei Christus nach wünsch angebracht, Dass der
begriff der bitte oder auch der fürbitte oft in diesen Worten liegt,
zeigt auch Gen. 430: Eva will den wünsch des angeblichen gottes-
boten erfüllen; wir haben seine gunst nötig; er kann beim allmäch-
tigen ein wort für uns einlegen; auch Hei. 3966 Hesse sich anführen.
Dass an einer derartigen bedeutung nicht gezweifelt werden darf,
zeigen ferner die ahd. glossen. Sie bieten 1, 250 12 (in Gl. K. wie Ra.)
aruntporo für supplex. Eine genauere bedeutungsbestimmung für diesen
beleg wie für 1, 2542? (Gl. K. und Ra.) epistola, foranondic, fornoniic
armiti^ wird sich bei der anläge des keronischen glossars wohl kaum
geben lassen. Geistliche bedeutung kann man hier allerdings nur
vermuten; ziemlich sicher ist sie 218 12 f. (nicht Ra., w^ohl aber Gl. K.)
-preceiHa uel mandata pipod edho arimdi.
Dieses arundl ist auch seiner lautlichen gestalt wegen interessant,
da es gegenüber dem sonst allgemein üblichen anmü ein d zeigt.
Immerhin möchte ich in K. diese Schreibung nicht lautlich interpre-
tieren, sondern orthographiegeschichtlich ansehen ^. Es handelt sich
1) Diese seltsame Übersetzung soll offenbar besagen eine botschaft, die man
vor äugen hat, was für aruiiti die bedeutung der mündlichen botschaft als ursprüng-
lich sichert.
2) Auch aronthi 1, 600 le gehört hierher. Es handelt sich hier offenbar nur
um eine orthographische Variante, denn der cod. p, aus dem dieser beleg stammt,
schreibt auch 6ÜO12 uothmcgir (= exactor notmeior)^ 597 52 niht yenneith wirt (— non
putahitur, gianitmi ni uairdit), 597 go gihooth ivirt (= fodietur giJiouot uulrdit).
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLH. 27
402 OUNTEiniAXX
Ulli die altertümliche c?-sclireibiiiig', im letzten gründe um den weclisel-
gebrauch von d und t, während in Ra. 'die raodernisierung radikal
vollzogen' ist\ Doch ist 2,42 29 legacionem arundi ~ ebenfalls ein
sehr alter beleg (vgl. Ahd. gl. 4, 66632) -, wie ich glaube, anders zu
beurteilen. Hier vermag ich in d nur noch ein anzeichen mehr für
die entlehnung zu sehen ^
Wenden wir uns nun wieder zur bedeutung, so kommt zuerst
Otfrid in betracht. Er gebraucht aranü für die engelsbotschaft bei
der Verkündigung der geburt Johannes' I, 4) 48, 58, 65, 67 (dieses
letzte mal direkt gotes arunti), der geburt Christi I, 5) 4, 25, 42, 72,
auch 7) 2, bei den hirten in der heiligen nacht I, 12) 10. Dazu
kommen folgende worte Johannes des Täufers I, 27) 53 f. :
tviht ni wizut ir sin, thaz ist thoh arunti min,
thaz ih iu gizalti, waz er hera wolti.
Und entsprechend ist IV, 14, 1 (wie Hei. 1889) arunti der mis-
sionsauftrag der apostel. Zu Hei. 918 stimmt es andererseits, wenn
das wort bei jener botschaft der Pharisäer an Johannes den Täufer
I, 27) 13, 16, 69 verwendet wird.
Wie die stellen aus Otfrid so passen auch die aus den gl os-
sären im allgemeinen gut in die hier vertretene bedeutungssphäre.
Der einzige beleg für das verbum ist 1, 725 39 euangelizans arintonte
(Lucas 81 praedicans et evangelizans regnum Dei). Dazu das substan-
tivum: 1, 384 19 f. uerhum aronti, arenti, arunote, arnntin (Richter 3, 19
dixit ad regem : verbum secretum haheo ad te, 0 rex; in vers 20 variiert
zu verbum Dei habeo ad te); 1, 600 15 f. uerbuni aronti, aronthi, arunti,
rünunga, rununga (Jesaias 98 verbum misit Dominus in Jacob.), 1,400 38 f.
in uia aronte, arunte (1. Sam. 15 20 et ait Saul ad Samuelem : immo
audivi vocem Domini et ambidavi in via per quam misit me Dominus).
Dann 2, 42 29 legacionem arundi (vgl. Migne, Patrologia latiua 39, 2171
iubente enim Christo legationem pauperum apud vos agimus; der priester
ist hier als göttlicher Stellvertreter, als anwalt der armen gedacht:
inter vos et 'p<^up)eres quasi mediatorem me p)osuit Deus). Und schliess-
lich als auftrag des heiligen Stuhls zu Rom 2, 117i8ff. in mandatis
in aronten, in aronton, arontun, arontvn:, vgl. Canones, Koncil von
1) Z. b. 252 1 Gl. K. scanda, Ra. scanta ; i4 Gl. K. rahchondi, Ra. raJionti usw.
Vgl. Kauffmann, Das keron. glossar, Ztschr. 32, 168 ff.
2) Denn sonst bevorzugt der allerdings sehr kurze text stets die «-Schreibung :
41 17 altercantes pacanti, 4224 exacturus est arpeitenti ist, 42 27 iuhente pipeotan-
temo, wie er überhaupt zur fortis neigt.
AIID, AUUNTI, MHD. ERXDE 403
Carthago von 419 iu der einleitung-, wo der päpstliche legat sagt':
Inmncta nobis sunt a sede cqjostolica aliqua per scripturam, aliqua
etiam in mandatis'^.
Nicht so glatt fügen sich folgende glossenstellen 1, 403 1 uia
nronüK Da es sich hier um 1. Sam. 21 5 handelt, ist klar, dass dieser
fall vom oben erwähnten beeinflusst ist, wo via aronti der ursprüng-
lichen bedeiitimg gerecht wurde. Dazu stellen sich 1, 482-28 uacnos
unarentes (Judith In)"* und 1,699 28 ff. in mandatis marentim^, aron-
tun, 0 er inte ".
Wende ich mich nun zu Notker, so bietet sich bei diesem vor
allem anderen seine psalmenübersetzuug, in der sich schöne belege
finden. Psalm 32.5 (Piper II, 107) uuanda euangeliimi chomen ist, wo
ecancjelium noch mit kuijt urende [= yotspel] übersetzt ist ; 85 le ßot
mihi seciüidiwi verhum tuum nah dinemo drinde so bescehe mir (II, 358);
1034 (II, ^34:) tiuntios tierbi tut pötin dinis drindis; 10427 (II, 44:7) posuit
in eis cerba signorum siiorum et prodigiorum in zuein bnuilh er diu
unort unde diu urende smero zetcheno; 126 5 (II, 558) an imo staut sie
unz sie die überuuindent die iro ärende loügenent. Das wort ist also
in der geforderten bedeutung Notker ganz geläufig. Daneben gebraucht
er es in seiner Übersetzung des Martianus Capeila aber auch in anderer
zweimal : Piper I, 723 so sie darachümen unde iro ärende tüon müoson '
wie 727 unde er sdmoso Mmüozig er stn ärende so er gebiite trihen nemähti^.
Gehe ich nun zu den belegen der mhd. periode über, so
empfiehlt sich (was im ahd. noch nicht nötig war) eine geographische
1) Gillivray, The inflneuce of christianity on tlie vocabularj of old englisli,
§ 130: But apart from the possibility of au O.E. legat, there is to be found with
some degree of certaiuty only the native vocable cBrend-raca, 'messenger' in general,
for the 'legatus' of the pope.
2) Die bedeutung des mündlichen auftrags tritt bei diesem gegensatze scharf
hervor, die griechische fassung schreibt sogar aYpäcptüs.
3) J^t respondit David sacerdoti: Equidem, si de muUeribus agitiir : eon-
iiniiimus nos ab heri et nudiustertius , giiando egredichamur et fuei'unt vasa
pueroruni saiicta. Porro via haee polluia, sed et ipsa hodie sanctificahitur in vasis.
4) Jud. 1 10 ad hos omnes misit nuntios Nabuchodonossor rex Assyriorum,
11 qui omnes uno animo contradixerunt, et remiserunt eos vaciios et sine Jionore
ahjecerunt.
5) Lies in arentun.
6) 2. Maccab. 813 at ille pro Ms, quae habebat in mandatis a rege, dicebat
omni genere regi ea esse deferenda.
7) qui postquam introgressi et coram data copia fandi.
8) ne ... cyllenius . . . velut maritali uacutione feriatus discursare sab pre-
cepiis iouialibus denegarei.
27*
404 GUNTKKMANN
gliedernug der belege. Zunächst das mitteldeutsclie Sprachgebiet.
Die Eheingegend bietet (könig Rother 2912 mit lievem erande) einen
fjill mit allgemeinerer bedcntnng; gut geistlich ist dagegen eine andere
stelle, ans des armen Hartmann rede vom glouven. P]s handelt sich
dabei um den segensspruch ^ Christi an Maria Magdalena, die froh
dahingeht mit liebin erinde 2209. Doch je weiter wir in das mittel-
alter gelangen, desto mehr tritt die ursprüngliche bedeutung zurück.
So bei Herbort von Fritzlar 13 868 er sprach er ivere es gerende daz
im gut erende zu iverbende geschee (als man den jungen söhn des
Achilles nach Troja zu hilfe holt). Ebenso in dem viel späteren
(zweite hälfte des 14. Jahrhunderts) nordostmitteldeutscheu, vielleicht
preussischen schachbuch, Zfda. 17, 343 3-4 daz si des vatir erne vol-
brengin woltin gerne. Genau so liegt die sache in der Düringischen
chronik des Johann Rothe: § 101 her hette eigne ere ze icerbin zu
Dario, § 520 hastu die ere geworben''., wobei es sich sogar um einen
mordauftrag handelt. Geistlichere färbung hat aber wieder die schon
von Diemer, Genesis und Exodus H, 80 zitierte stelle des väterbuchs
ivelh zu im tvere ir ernde. Es kommen da zwei junge leute zum
heiligen Macharius; dieser fragt in jener weise, und sie erklären darauf-
hin, ein heiliges leben bei ihm führen zu wollen. Die bedeutung ist
demnach hier zwar allgemein, aber der stil weist doch auf geistliche
grundbedeutung "'.
Besser hat sich die alte, überwiegend geistliche bedeutung im
alemannischen Sprachgebiete gehalten. An der spitze steht hier
arnebote ^ (in einem gebete an den heiligen Petrus aus dem kloster
Muri): daz du mir zi iinsirme trehtine arnebote siest (Wackernagel,
Lesebuch I ^, s. 436 7 f.). Geradezu auffallend ist die stelle aus Walthers
von Rheiuau Marienleben II (Tübinger Universitätsschriften aus dem
jähre 1852), s. 9 von dem ernde der heiligen magt Marian. Nur dieses
1) wih, nü ganc du hine,
gesegeiit in minem fride,
vergehen sint dir drne sctilde
und habe dir gotis htilde
und tu, als ih dih lere
und ne sunde niivit mere.
2) Die zweite haupthandschrift des Werkes, die, nach den sprachformen zu
schliessen, etwas älter ist, hat das unverkürzte \rnde, vgi. die ausgäbe von Lilien-
cron 8. 699.
3) Diese angaben beruhen auf einer freundlichen mitteilung von G. Holz.
4) arnebote ist gewiss eine kurzform von arndebote. Solche zusanimensetzuugeu
sind auch sonst belegt: cerendsecg, aruntporo. Zu arne vergleiche md. erm.
AHD. ARUNTI, MHD. ERNDE 405
eine mal in dem langen gedichte findet sich das wort, und hier bandelt
es sich um die engelsbotschaft bei der Verkündigung Christi. Dazu
stellen sich noch die belege aus den Grieshaberschen predigten II, wo
das subst. ernder und das verb. er7iden vorkommen; s. 92 wird jene
geschichte erzählt, wo Christus der ihm nachlaufenden und nachrufen-
den frau die erbetene hilfe zunächst nicht gewähren will: tmn diziii
frowe vll geruofte und vil gescrai, da von getvan si mit ir scrigende
und mit ier vuefende vil ernder und vil bitter, dann erkanden wir . , .
die ernder und die bitter so ruoften ivir och mit unserem gebet, und
schliesslich zem dritten mal son ivir ruefen und scrigen hinz got, daz
wir unser ernder tmd unser bitter envegen und uf bringen; dazu noch
auf s. 96 darumbe daz wir unser ernder und. bitter erwegen und hinz
sich die iunger unsers herren über si erbarmoton und daz si ier ern-
doton umbe got. Es handelt sich hier immer um f Ursprache beigott'.
Nur Lanzelet 5796 macht in Alemannien eine ausnähme '^. Es ist stil-
geschichtlich interessant, dass gerade der Verfasser des Lanzelet, der
doch wohl jener capellanus Uolricus de Cecinchovin, plebanus Lou-
nieissae war, das offenbar in der konversation nicht übliche wort ver-
wendet. Er steht darin mit dem dichter des königs Rother auf einer
stufe. Hier aber sind noch zusammenhänge mit der geistlichen dich-
tung vorhanden. Wo sich dagegen die laiendichtung ganz von dieser
befreit hat, hat sie auch dieses wort gemieden: Hartmann, Wolfram,
Gotfrid gebrauchen es nicht. Die stilistisch von diesen meistern
abhängige geistliche dichtung aber kann es doch wieder zulassen.
Walthers von Rheinau stil ist so weit verrittert, dass er I, 48 von
Maria als gotes muoter und annen sprechen kann, aber anderseits
findet man in seinem Averke das geistliche ernde.
Ein eigentümliches bild bietet die bayrisch-österreichische
Überlieferung. Sie verwendet das veraltete wort kaum noch. Mir ist
nur ein fall bekannt aus der älteren fassung der Genesis: er chot sin
herre hete in dare gesant umb einen michelen ärant (Fundgruben II, 34 30).
Trotzdem die Originalfassung einen bequemen reim bot, hat der bear-
beiter, der wahrlich wenig sprach- und reimtalent hatte und schon
deshall) das wort hätte stehen lassen, wenn es ilini nicht gar zu uii-
1) Vgl. oben supplex aruntporo, besonders aber Gen. 430 he mirg unc <eren-
dian tö Jxrm alwaldan.
2) 5794 ff. als ich tu nu sagele,
so sült ir fiirhas verstau
wie der megede ernde was getan,
sit irs haerent gerne.
406 OUNTEinrAXN, AHD. AHUNTI, MIU>. KUNDE
modern vorgekommen wäre, hier i;eändert in: er sprach: min herre
hat mich her gesant, sine hotschaft hat er c/eivant. Und dieser fall
steht nicht allein. Schon am aiisgang- der ahd. zeit lässt sich der-
artiges feststellen. Das beweist die Wiener fassnng von Notkers
psalmenübersetzung. Notker hatte in seiner Übertragung das wort
fünfmal gesetzt. Davon kommt 85 le von vornherein nicht in betracht,
da in der jüngeren handschrift die psalmen 51-100 fehlen. Aber 325
hat man die glossierung kiwt arende unterdrückt. Zweimal ist sogar der
Wortlaut verändert, 103 4 poton dines uuortes, 126 5 die ira botesccfte
loiigenent. Nur 1040? dei arende sinero zeichenne ist stehen geblieben.
Die bearbeitung aber stammt aus dem kloster Wessobruun. Ahnlich
hat die Wiener handschrift des Lanzelet an der betreffenden stelle
ernde ausgelassen und schreibt wie das megete was getan (vgl. die
ausgäbe von Hahn, s. 260). Und dazu gesellt sich ein noch ein-
leuchtenderer fall aus der tirolischen bearbeitung des md. väterbuehs ^
(Zingerle, Wiener sitzungsber. 1870, s. 237). Jene stelle vom heiligen
Macharius lautet da zeile 51 f.:
Si fragten mich der maere,
wa die seile waere,
da sie Macharium fanden.
Do pat ich mir kiinden,
weihe z zu im waer ir ende?
„Da sei wir des gernde,
daz tvir durch gut in ivellen sehen,
ob uns daz mach an im geschehen."
Hier hat der bearbeiter dadurch, dass er ende an stelle des ihm
sicher nicht bekannten ernde einführte, es sich sogar den reim kosten
lassen. Jedenfalls wird man mit einigem rechte behaupten können,
dass ernde in der mhd. zeit auf dem bayrisch-österreichischen Sprach-
gebiete so gut wie ungebräuchlich war^.
1) An ein sclireibversehen wird jemand, der die ol)igeu fälle berücksichtigt,
nicht glauben. Zudem bemerkt Zingerle s. 145 ausdrücklich, dass die handschrift,
die sprachlichen änderungen abgerechnet, sorg-fältig und treu gefertigt ist und dass
schreib Verstösse oder nachlässigkeiten selten begegnen.
2) Bemerkenswert ist, dass das einzige arant der Genesis im reime stellt.
Ebenso sind die stellen bei Hartmanu, Herbort, im väterbuche und im schachbuche,
reimbelege. Im versschluss aber haben sich gern die veralteten liestandteile der
spräche gehalten; vgl. Steinmeyer, Über einige epitheta der mhd. poesie, Erlanger
Programm 1889, s. 15.
K[EL. K. GUNTERMANX.
KAPPE, DEUTSCHE SYNALOEPHEN IX DEN OTFRIDHANDSCHKIFTEN 407
DEUTSCHE SYNALOEPHEN IN DEN OTFRID-
HANDSCHKIFTEN.
Baeseckes ausfülirungen in den Beitr. 36 374 fg. geben mir er-
wünschte gelegenlieit, noeli einmal die prinzipien darzulegen, die meines
erachtens die beurteilung- der synaloephe in den Otfridhss. leiten
müssen. leb kann nicht umhin, hier wiederum den wichtigen passus
über die synaloephe aus der vorrede Otfrids an Liutbert wörtlich an-
zuführen; es hängt alles daran, wie diese sätze richtig zu interpretieren
seien: Patitur quoque metaplasmi figuram nhnium (non tarnen assidue),
quam doctore.^ grammaticne artis vocant sinnlipham, et hoc nisi legentes
praevldeant, rationis dicta deformius sonant, lüeras interduni scriptione
serocmtes, interdum vero ehraicae linguoe more vitantes, quihus ipsas
lüeras ratione sinaliphae in lineis, iit qiiidani dicunf, penitus amiUere
et transilire moris habetur ; non quo series scriptionis hujus 7netrica sit
subtilitate constricta, sed Schema omoeoteleuton assidue quaerit. Äptam
en/'m in hac lectione et priori decentem et consimilem quaerimt verba in
ßne sonoritatem, et non tantum per hanc inter diias vocales, sed etiafn
inter alias literas saepissime patitur co7ilisionem sinahphae ; et hoc nisi
ßat, extensio sepius literarum inepte sonat dicta verhorum. Quod in
commtmi quoque nostra locutione, si sollerter intendimtis, nos agere ni-
mium invenimus. Quaerit enini linguae hujus ornatiis et a legoitibus
sinaliphae lenem et conlisionem lubricam praecavere et a dictantibus
omoeotelenton , id est consimilem verborum terminationem, observare.
Die vorrede an Liutbert erörtert im ersten teil die literarischen Vor-
aussetzungen, tendenz und einteilung des werkes, um im zweiten teil
einige eigentümlichkeiten deutscher spräche aufzuzeigen. Otfrid be-
spricht die Verbindung uuu, den vokal unbestimmter klangfarbe u. a. ni.
Es heisst dort: Et etiam hoc elementum lingua haec horrescit inter-
dum, nulli se caracteri aliquotiens in quodam sono, nisi difficile, jiingens ;
k et z sepius haec lingua extra usurn latinitatis utitur, quae gram-
niatici inter litteras dicunt esse snperßuas. Ob stridorem autem inter-
dum dentium, ut puto, in hac lingua z utuntur. h autem ob fautium
sonoritatem. Dann folgt unvermittelt der satz : Patitur ... Es scheint
mir in der tat nötig einmal ausdrücklich festzustellen, dass Otfrid in
den einleitenden sätzen des zweiten teils der vorrede (von Hujus enim
linguae barbaries . . . an) ganz allgemein von charakteristischen zügen
deutscher spräche {haec lingua) redet. Der satz, der mit patitur
beginnt und mit moris habetur endet, bringt nur einen neuen beitrag
408 KAl'l'E
zur Charakterisierung der deutschen spräche. Er besagt: neben jenen
anderen Sonderheiten der deutschen spräche ist wichtig zu wissen,
dass sie auch jene figur des metaplasmus kennt, die die lateinischen
grammatiker svnaloephe nennen; sie macht von dieser synaloephe
ausgedehnten gebrauch (nimium), aber sie verlangt sie doch nicht
immer, was Otfrid selbst noch ausdrücklich hinzuzufügen für gut be-
findet {no7i tarnen ass/due) ; und wenn die leser deutscher spräche die
synaloephe nicht durchführen, klingen die worte des satzes miss-
gestaltet ^. Der schluss des satzes bringt eine analyse dieser synaloephe.
Wie sollte Otfrid sie wohl anders und besser beschreiben als durch
den ihm und seinen standesgenossen geläufigen hinweis auf ähnliche
dinge im lateinischen und hebräischen ^ ! Er erläutert die synaloephe
durch die analogie der vokalpunktuation des hebräischen und natürlich
in erster linie durch die analogie der synaloepheregeln der lateinischen
poesie. Damit aber diese analogie nicht zu weit getrieben werde, be-
eilt sich Otfrid hinzuzufügen: non quo series scriptionii< hujus
metrica sit suhtilitate constricta. Nicht als ob die folge des
hier vorliegenden werkes an diese synaloephen wie an eine metrische
feinheit. an ein kunstprinzip metri causa gebunden sei. Ich stelle
fest: erst mit diesem satze geht Otfrid auf sein gedieht über. Der
gedankengang' ist in breiter ausf ührung folgender : wenn ich die deutsche
synaloephe mit der lateinischen synaloephe (die ein kunstprinzip metri
causa ist) verglichen habe, gilt das nicht in dem sinne, als bedeute
die synaloephe in meinem gedieht - wo ich sie natürlich auch znr
1) Es ist sicher riclitig, ''dicta raiionis'' hier allgemeiu zu fassen als Svorte
des satzes', in der prosa uat'ürlicli. In dieser liedeutimg hegeguet ratio hei Cicero.
"Anzuführen ist aucli, was Erdmann z. st. s. 328 anmerkt: jene hedeutung erkläre
sich vielleiclit dadurch, dass das wort als gleichbedeutend mit ahd. recla = vernünftige,
in sich zusammenhängende rede galt. Den heweis liefert weiter unten der satz:
Duo etiam negativi, dum in latiniiate rati onis dicta confirmant , in hiijtis
linguae usu pene assidue negant. Hier wie oben liehandelt Otfrid eine deutsche
Spracheigentümlichkeit und veranschaulicht sie am gegensatz lateinisclieu Sprach-
gebrauchs, wobei dictn rationis doch wohl nichts anderes meinen kann als die folge
eines prosasatzes.
2) Otfrid fällt hier aus der konstruktion. Auf den parenthetischen satz et
hoc nisi legentes jiraevideant . . . folgt literas interdum scriptione servantes, inter-
dum vero ehraicae linguae more vitantes. Ich möchte als Subjekt zu 5en;rt«^es nicht
die doctores grammaticae atiis einsetzen, sondern legentes oder deutlicher: sie, die
Deutschen, wenn sie deutsch lesen. Sie bewahren bisweilen die buchstaben in der
sckrift, bisweilen aber lassen sie sie aus wie im hebräischen. Will sagen: sie
brauchen in ihren hss. schreibformen und gekürzte sprechformen — eben wie Otfrid
es auch halten will.
DEUTSCHE SVXALOEPHEX IX DEX OTFRIDHAXDSCHRIFTEX 409
geltuiig,' bring-en nniss, weil es eben ein deutsches gedieht ist - ein
kiuistgesetz, eine feinheit rein metrischen Charakters, an die mein ge-
dieht zwingend gebunden sei wie die lateinische poesie an ihre hiat-
und synaloepheregeln. Das kuustgesetz seines gedichtes, und darum
obligat, ist der endreim : sed Schema omoeoteleuton assidue quaerit.
Otfrid weist ausdrücklich eine gleichsetzung der deutschen synaloephe
mit der lateinischen von der band ; daher die gegensätzliche anknüpfung
mit non quo, die ihn zugleich durch den zwischen den zeilen schwe-
benden gedanken an die lateinische poesie zu seinem eigenen gedieht
überleitet. Er stellt die deutsche synaloephe als sprachliche erschei-
nung in gegensatz zum endreim als kunstprinzip seines werkes; drum
die gegensätzliche anknüpfung mit sed und diese Zweiteilung des satzes,
die unten noch einmal wiederkehrt. Ich fasse demnach schema omoeo-
teleuton als akkusativ und setze als Subjekt series scriptionis Intjus.
Schema hier als nominativ zu nehmen, scheint mir schon das verbum
zu verbieten. Man sollte mit non quo einen neuen, selbständigen satz
beginnen. Der folgende satz bringt denn auch die definition des kunst-
prinzips, das für sein gedieht obligat ist: Aj^tam enim in hac lectione
et priori decentem et co)ismiIem quaenmt verba in fine sonoritatem.
Es folgt dann nicht etwa eine blosse Wiederholung dessen, was schon
oben über die synalöphe ausgesagt war, vielmehr die anwendung der
synaloephe, die oben als Charakteristikum deutscher spräche aufgezeigt
war, auf das vorliegende, in deutscher spräche abgefasste kunstwerk:
um des reimverses willen ' ist die conlisio slnaUphae nicht nur zwischen
zwei vokalen, sondern auch zwischen anderen buchstaben sehr häufig
(saepissime) nötig. Will sagen : Otfrids vers ist zwar nach lateinischem
muster gebildet, beruht aber auf deutschen betonungsgesetzen. Für
seinen reimvers gilt als oberstes prinzip, dass die rhythmische be-
tonung sich mit der phonetischen betonung decken muss. Es gibt
keine sprachwidrige betonung im verse. Drum, meint Otfrid, soll es
auch keine sprachwidrigen vollformen im verse geben. Er hat die
gesprochene spräche belauscht und möchte die synaloephe in seine
neue kunstform einführen, auf dass sie den erdgeruch volkstümlich
deutschen sprachklangs nicht vermissen lasse. Das scheint ihm ein
erfordernis seines verses (per haue!). Er hat oben gesagt, man be-
komme beim lesen eines deutschen satzes eine ungehörige Vorstellung,
wenn die synaloephe nicht beachtet werde. Er wiederholt es hier mit
l) Sollte man nicht jhv hanc auf in hac lectione beziehen küunen: durch
den ganzen verlauf dieses gedichtes ist synaloephe erforderlich?
410 KAPl'K
rücksicht auf den Vortrag seiner versc : et hoc 7iisi ßnt, extensio sepius
literarum inepfe sonnt dicta verborum. Otfrid bedient sich bei diesen
darlegungen immer der ausdrücke, die ihm von lateinischer spräche
und kunst her geläufig' sind. Wenn er für die conlislo smi/liphne
inter alias literas den ausdruck ecthlipsis meidet, steht wenigstens zu
vermuten, dass hier die analogie des lateinischen unzulässig sei ^ Die
deutsche sj^naloephe zeigt hier ein anderes gesiebt, und Otfrid geht
immer vom deutschen aus und redet nur von deutscher synaloejjhe.
Es folgt der strittige satz: Quod in commujii quoque nostra locutione
si sollerier intendimus, nos agere tiimium invenimus. Quod in rela-
tivischer anknüpfung bezieht sich auf den Inhalt des ganzen vorauf-
gehenden Satzes. Der satz mit quod schliesst den kreislauf des Ot-
fridschen gedankenganges. Er geht aus von der Umgangssprache: sie
duldet die synaloephe nimium ; man hat beim lesen darauf zu achten,
sonst klingen die sätze ungehörig. Mit bezug auf sein gedieht: man
hat saepissime synaloephe eintreten zu lassen, sonst ruft die schrift
einen falschen eindruck des Werkes hervor, und zur begründung noch
einmal als schlusssatz den ausgangssatz (den er wiederholt wie die
beziehung auf den eindruck des Schriftbildes): der Vortrag soll sich
so darstellen, wie die alltägliche spräche es zeigt, wenn wir sie einmal
aufmerksam belauschen. Das wörtchen nimium im rahmen der Um-
gangssprache bildet grundstein und schlussstein. Nicht auf den satz
mit quod allein stützt sich demnach die these, dass die synaloephe
bei Otfrid in der deutschen rede gegründet sei. Ich weiss nicht, ob
man dies nicht hie und da vorausgesetzt hat.
Diese erörterung über die synaloephe, wie überhaupt die ganze
vorrede an Liutbert, dokumentiert, dass Otfrid immer vom gesprochenen
deutsch, nie vom papiernen deutsch ausgeht. Wie kann's auch anders
sein bei dieser ersten beschäftigung mit deutscher spräche und in
diesen anfangen deutschen Schrifttums! Otfrid zeigt auf schritt und
tritt, dass er die eigenheiten der Volkssprache im wesentlichen wohl
zu fassen und zu würdigen versteht, wie dies die handhabung der
synaloephe im text auf das lebendigste bezeugt. Er bemüht sich, von
der Orthographie zum lebendigen klänge vorzudringen. Vom a, e, i,
u zum 1/ ist derselbe weg, wie von den vollformen der schriftwörter
zu den synaloephen des gesprochenen deutsch. Unter diesen gesichts-
punkten ist mir Otfrids vorrede nicht 'eine kleine weit bornierter
klassizistischer Überlegenheit' - die andernorts nicht geleugnet werden
1) Vg-1. Zwierziua, Zfda. 81 295.
DEUTSCHE SYXALOEPHEN IN DEN OTFRIDHANDSCHRIFTEN 411
kann und soll -, vielmehr eine kostbare erste äusserung lebendigen
deutsehen sprachbewusstseins. Hier hören wir die ersten töne klingender
deutscher spräche. Hier zum erstenmal vernehmen wir den herzschlag
unserer mutterspraehe, die noch fast unentdeckt im schösse des Volks-
lebens schlummerte. Der letzte satz des passus über die synaloephe
fasst alles zusammen, was Otfrid über Vortragsweise und kunstprinzip
seines gedichtes sagen will. Wie er in den Worten non quo series
scriptionis hnj'us metrica sit subtilitate constricta, sed Schema omoeo-
teleuton assidue quaerit scharf unterschieden hat zwischen der synaloephe,
die deutschen lesern durch ihr Sprachgefühl lebendig ist, und dem
kunstprinzip des endreims, sondert er hier zusammenfassend: die
spräche der poesie in dieser mundart verlangt ein doppeltes: von den
lesern, dass sie, geleitet durch ihr Sprachgefühl, die synaloephe in
den Vortrag hineintragen, dagegen vom dichter, dass er den endreim
beachte. Nur der reim als kunstprinzip ist sache des dichters; die
synaloephe, weil sie sprachläufig ist, könnte eigentlich dem leser über-
lassen bleiben. Warum Otfrid und die übrigen Schreiber sie dennoch
bezeichnet haben, werden wir noch sehen. Man spürt zwischen den
Zeilen, wie sorglich, ja wie ängstlich fast Otfrid diesen Zusammen-
hang seiner neuen kunst mit der Umgangssprache ins rechte licht zu
rücken sucht. Der schluss der vorrede enthält weitere bemerkungen
über deutschen Sprachgebrauch, nicht mehr so allgemein wie die ein-
leitenden Sätze, vielmehr in stetem hinweis auf die handhabung dieser
fragen in der vorliegenden dichtung, und läuft in eine literarische
Würdigung der deutschen spräche aus. Mir scheint diese vorrede recht
verständig und kunstvoll disponiert.
Ich habe diese Interpretation breitspurig erörtern zu müssen ge-
meint, weil ich daraus die berechtigung der prinzipien entnehme, die
meiner einschätzung der synaloephen in den Otfridhss. zugrunde liegen.
Ich halte für erwiesen, dass Otfrid in dieser vorrede aussagt, die
synaloephe, die er in seine verse einführt, stamme aus der gesprochenen
deutschen rede. Keine silbe gibt anlass zu vermuten, Otfrid habe
eine lateinische kunsttheorie auf seine verse zu übertragen versucht.
Man hat eingeworfen: 'warum bezeichnet Otfrid denn die synaloej)he
durch elisionspunkte, wenn sie spracligemäss ist? zumal er dafür in
der lateinischen poesie, die die synaloephe als selbstverständlich un-
bezeichnet lässt, kein Vorbild hatte!' 'AVenn es also jene wundersame
Sprechsprache (im gegensatz zur schreibsprache) wirklich gab, so waren
die punkte nur um so überflüssiger; dann brauchte sich jeder leser
nur an sein Sprechsprachgefühl - sit venia - zu halten.' Sehr ein-
412 KAIM'E
fach. Die hiteiiiische poesie kann leicht die synahjephe als selbst-
verständlich unbezeichnet lassen, weil es sich hier um rein mechanische
kimstregeln handelt. Hätten Otfrids deutsche synaloephen denselben
eliarakter, so hätte er wohl auch auf die elisionspunkte verzichtet,
hätte vielleicht ein paar allgemeine regeln vorangeschickt. Aber seine
synaloephen entstammen der gesprochenen rede, wo sie naturgemäss
von den jeweiligen satzrhythmischen bedingungen abhängen. Es war
nun für Otfrid und die Schreiber der hss. seines werkes eine schwierige
frage, wie sie die ihnen von der muttersprache her geläufigen syna-
loephen in die rhythmischen bedingungen des ungewohnten neuen
versmasses einfügen sollten. Die handhabung der elisionspunkte,
korrekturen, gegenseitige abweichungen zeigen, wie die Schreiber ge-
schwankt haben, wie sie oft verschiedene wege einschlagen. Aber
eins steht fest: Otfrid und ebenso die übrigen Schreiber sind sich
stets bewusst gewesen, es gälte hier etwas sprachgemässes dem wider-
spenstigen neuen verse anzupassen. Jede synaloephe, die irgend-
einer der Schreiber einzuführen für gut befindet, ist unter allen um-
ständen sprach gemäss. Die frage ist nicht, ob sie 'immer gleich
das natürliche sprachgemässe gepackt haben', vielmehr war für die
Schreiber der Otfridhss. die frage, wie sie das Sprachgefühl des lesers
durch die neuartigen rhythmischen bedingungen des verses leiten und
ihm anweisungen zur rhythmisch richtigen einführung der syna-
loephen geben sollten. Anstoss und vorbild gewannen die Schreiber
aus Otfrids vorrede und der handhabung der elisionspunkte in der
hs. V. Nun hat freilich die hs. V elidierte formen weit spärlicher ein-
gesetzt als etwa die hs. P. Zahlreicher sind die kurzformeu nur im
ersten buch. Die tendenz des korrektors die vollformen wiederher-
zustellen, ist nicht zu verkennen. Warum sucht Otfrid die kurzformen
schon vom zweiten buch an nach möglichkeit durch die vollformen
zu ersetzen ? Weil er unter dem einfluss der Alcuinschen schriftreform
steht, weil er mit ernst und prinzip nach orthographischen vollformen
strebt. Ihm sind die orthographischen Spiegelbilder der kurzformen
<ler gesprochenen rede im gründe etwas ungehöriges. Er ist an rein-
liche schriftformen des einzelwortes vom lateinischen her gewöhnt.
Wenn er trotzdem kurzformen einführt, übernimmt er den deutschen
usus und erleichtert die Vortragsmöglichkeit seiner dichtung. Aber je
länger je mehr siegt sein bedürfnis nach orthographischer korrektheit
und Sauberkeit, das ja noch aus manchen anderen zügen der Über-
lieferung zu uns spricht (vgl. Erdmanns bemerkungen über die hs. V).
Die vollformen drängen sich vor. Oder er verwandelt kurzformen mit
l
DEUTSCHE «YXALOEI'HEN IN DEN OTFRIDKANDSCHRIFTEN 413
elidiertem vokal in schreibformen mit nnterpungiertem vokal. 'Die
Signatur all dieser änderungen an der elisionsbezeichnuug' ist nicht
ein 'schwanken zwischen theorie und Sprachgefühl', sondern ein kompro-
miss zwischen den forderungen der Orthographiereform und dem streben,
den sprachgemässen Vortrag des neuen verses durch kurzformen un-
zweideutig darzustellen \ Immerhin genügte die anregung der hs. V
und des persönlichen einflusses des autors, um den Schreibern der
übrigen hss. die tendenz der synaloephenbezeichnung deutlicli zu machen.
Baesecke meint wir wissen nichts über die Stellung der Schreiber von
PDF zwischen der eigenen spräche und Otfrids synaloephetheorie.
Da es sich aber gar nicht um eine theorie handelt, sondern um die
einführung sprachläufiger kurzformen in das rhythmische Schema des
verses, sehen wir die Schreiber von P sich recht selbständig bewegen
und in grossem umfange sprechformen au stelle der papiernen formen
Otfrids einsetzen. P wird in der wähl der kurzformen um so selbst-
tätiger, je mehr die vorläge zu den vollformen zurückkehrt. Handelt
es sich nun darum auszumachen, was wir aus den synaloepheerschei-
nuugen für das gesprochene althochdeutsch lernen können, dann dürfen
und müssen uns die synaloephen aller hss. gleichwertig sein,
weil sie alle vom Sprachgefühl deutscher Schreiber eingegeben sind.
Uilt es dagegen, festzustellen, was Otfrid persönlich durch die von
ihm sanktionierten elisionspunkte und kurzformen über den Vortrag
seines gedicktes ausgesagt hat, so wäre nur die hs. V zu berück-
sichtigen gewesen. Da aber die Übersicht und vergleichende betracli-
tung des gesamtmaterials aller hss. zeigt, dass die elisiouen der übrigen
hss. nicht mit denen der hs. V in Widerspruch treten, dass sie ledig-
lich das material bereichern und sich deutlich genug die subjektiven
aussagen der einzelnen Schreiber objektiv in allgemeine regeln über
hiat und synaloephe zusammenfassen lassen - was mir hier aufgäbe
der Wissenschaft zu sein scheint — , ergab sich mir auch aus diesen
metrischen erwäguugen, wie oben aus grammatischen, der grundsatz,
alle hss. gleichzusetzen.
Das eine wessen wir wohl mit Sicherheit über die bedeutung*
des liiats in deutscher rede, dass er in weitem umfange deutschem
Sprachgefühl durchaus geläufig war, zu allen Zeiten und auch heute
noch. Es versteht sich ja von selbst, dass in der naiven gesprochenen
1) Ich darf verweisen auf Zeitsclir. 41 uo, was icli liier nicht wiederholen
möchte.
414 KAIM'E
rede - die die basis unserer untersuclnuig bleiben muss - ästhetische
motive ausgeschlossen sind. Es handelt sich um die kurzformen und
verSchleifungen, die der satzrhythmus bedingt. Darum lege ich wert
darauf, Baesecke gegenüber ausdrücklich festzustellen, dass es un-
richtig ist zu behaupten , Otfrid habe in der vorrede an Liutbert
zwischen vokalen immer synaloephe gefordert. Im ersten allgemein
gehaltenen satz bestimmt er den umfang der svnaloephe zunächst
durch nhnium, in der von ihm gewünschten anwenduug auf sein ge-
dieht durch saepissime, in der zweiten beziehung auf die gesprochene
rede noch einmal durch nimium. Am ende schien ihm diese Um-
grenzung der synaloephe noch nicht bestimmt genug; er fürchtet, die
analogie des lateinischen, die er ja selbst heraufbeschworen hat und
die jedem sich zunächst aufdrängte, könne zu allzu weitgehender an-
weudung der synaloephe führen, w^as eben dem deutschen Sprach-
gebrauch zuwiderlaufen würde. Daher fügt er dem nimium ein ]W)i
tarnen assidiie hinzu und weiter unten mit bezug auf sein gedieht ein
sepiiis: et hoc nisi fiat, extensio sepius literarum inepte sonat dicta ver-
borum. Nicht immer klingen die vollformen ungehörig, d. h. sprach-
widrig. In gewissen grenzen, die Otfrid durch non tameii assidue,
nimium, saep>issime, sepius, nimium andeutet, ist die synaloephe sprach-
widrig, ist der hiat das richtige. Wie in der gesprochenen rede, so
darum auch in Otfrids deutschen versen. Diese grenzen gilt es aus
den Otfridhss. festzustellen, dann wäre die sachliche Interpretation
der erwähnten ausdrücke geliefert. Dies habe ich durch meine
'hiatusregeln' versucht (vgl. Zeitschr. 41 147 fg. , 42 301 fg.). Die nach-
träglichen korrekturen '■non tarnen assidue\ ^sepius' tragen also nichts
völlig neues hinein - keinen afterthoucjht -, sie begrenzen genauer,
was schon im texte gesagt war. Wenn Baesecke aus diesen korrek-
turen schliessen zu dürfen glaubt, 'die strikte regel, synaloephe immer
eintreten zu lassen, wird der natürlichen spräche zuliebe erst nach-
träglich durchbrochen', so tut er dem ganzen gedankengang der vor-
rede gew'alt an, ignoriert Otfrids unzweideutige Äusserungen {nimium
saeinssime nimium) und benötigt weiterhin, schenia omoeoteleuton als
uominativ zu fassen, was meines erachtens unmöglich ist. Man ver-
kennt Otfrids sprachliche bemühungen, wenn man ihn zu Opitz stellt.
Es ist ihm gar nicht eingefallen, wie Opitz 'die parole auszugeben:
kein hiat!' Ich sehe nicht, wie eine unbefangene Interpretation der
vorrede zu dieser auffassung führen kann. Opitz ist von ästhetischen
motiven geleitet; er verficht metrische kuustprinzipien. Otfrid lehnt
metrische rücksichten ab und sucht das erste deutsche reimgedicht
DEUTSCHE SYNALOEPHEX IN DEN OTFRIDHANDSOHRIFTEN 415
gTOssen Stils dem deutschen spraehcharakter möglichst anzupassen.
Darum darf die synaloephe nicht fehlen.
Ich denke, nach diesen betrachtungen fällt alles, was Baesecke
aus den änderung-en des korrektors aus den kurzformen schliessen
möchte. Ich greife die belege heraus, durch welche Baesecke die .so
als 'sprachwidrig' erweisen will. Wenn V 7mal die form so vor einer
zweiten vokalisch anlautenden senkungssilbe auf die Schwundstufe so
herabsetzt (1 so ist, 2 so hi, 2 so iJi, 1 so iz, 1 so ouh) und diese
7 belege zahlreichen schreibformen gegenüberstehen, ist es sicher falsch,
von der änderung II 734 hruader sin, so ih zc'dta V soih (0 hinzukorri-
giert) auf sprachwidrigkeit jener 7 formen zu schliessen, zumal die
hs. P von diesen 7 belegen 6 bestätigt (nur Imal zeigt P die schreib-
forinen) und noch 16 metrisch identische kurzformen hinzufügt (1 so ist^
1 so in, 1 so iu, 4 so ih, 8 so er, 1 so es), denen in V schreibformen
gegenüberstehen ; die Zusammenfassung aller belege ergibt, dass inner-
halb dieser rhythmischen kategorie stets synaloephe in irgendeiner
form eintritt. Jene änderung kann nichts weiter bedeuten als ein
Zugeständnis an die Orthographie. In den versen 11 1 39 Iz ward dllaz
io sär soso er iz gibot thar V (so hinzukorrigiert) und II 19 le so iver
soso htih hdzzo V [so übergeschrieben, P soso) wollen die korrekturen
zweifellos den hiat vermeiden. Im einsilbigen auftakt und in ein-
silbiger Senkung vor vokalisch anlautender hebung kennen Otfrid
und die übrigen Schreiber keine synaloephe; hier ist der hiat das
gewöhnliche, und die synaloephe wäre gegen das Sprachgefühl,
wie sich aus zahlreichen belegen unangreifbar dartun lässt (vgl. Zeit-
schr. 41 i47fg.). Nur proklitika geringsten gewichts, zu denen aber so
nicht gehört, werden hier auf die Schwundstufe herabgesetzt. Die
zulässigkeit des hiats hindert natürlich nicht, dass Otfrid ihn hie und
da, einer gelegentlich hervortretenden neigung folgend, die rein ästhe-
tischer natur ist und ihm aus der lateinischen poesie angeflogen war,
durch mittel der Wortwahl umgeht, wie er es III 39 und 11 19 le getan
hat und I2245 min muat mir so irfdltos {so hinzukorr., dann anrad. V)
vielleicht gewünscht hätte. Die kurzform sos hat fast den charakter
eines selbständigen, auch durch die Orthographie anerkannten Wortes
angenommen (vgl. Zeitschr. 4l5ocfg.); darum mag sie Otfrid hier sym-
pathischer gewesen sein. Wichtig ist hier nicht, dass Otfrid den hiat
umgeht, sondern dass er trotz dieses bcstrebens nicht auf den ge-
danken kommt, sprachwidrige synaloephen einzuführen einer theorie
zuliebe, die Baesecke ihm gern zuweisen möchte. Otfrid hat sich wohl
gehütet, gegen sein Sprachgefühl zu handeln, um den hiat zu beseitigen.
416 K.vrrE, deutsche syxaloephen in den otfridhandschiuften
Überliaiipt spürt man auf selivitt und tritt, dass die von Otfrid
nnd den übrigen Schreibern eingeführten synaloephen weit entfernt
sind, an irgendeiner Schablone orientiert zu sein. Sie nehmen überall
rücksicht auf die akzentstufen, den bedeutungsnaehdruck eines Wortes,
auf das phonetische gewicht der zusammenstossenden vokale. Es hiesse
die aus der Statistik meiner arbeit gewonnenen resultate noch einmal
aufwickeln, wollte ich die mannigfach abgestuften formen der synaloephe
im einzelnen aufzeigen. Hier nur ein paar allgemeine bemerkungeu.
Im einsilbigen vokalisch auslautenden auftakt vor vokalisch anlautender
hebung hat keine synaloephe statt: tho ju nu io wio st iu tliu si thiu
thia so sind nur in der vollform belegt in zahlreichen halbversen (so
allein 67mal!) - doch wohl ein unanfechtbares statistisches resultat.
Und doch erleidet die regel ausnahmen, wo es sich um proklitika
geringsten nachdrucks handelt, um die praep. bi zi, die rel. part. thl
und das präfix <]i- oder um die diphthongisch auslautenden pronomina
sie thie thio, an denen wieder besondere erscheinungen heraustreten.
Wenn die Schreiber hier übereinstimmend plötzlich synaloephe eintreten
lassen, müssen sie doch wohl durch ihr Sprachgefühl geleitet sein
(vgl. Zeitschr. 41i47fg.). G-anz ähnlich liegen die dinge für vokalisch
oder diphthongisch auslautende einsilbige Wörter in einsilbiger Senkung
vor vokalisch anlautender hebung (vgl. Zeitschr. 41 155 fg.)- Das pro-
nomen iz wird ganz anders behandelt als etwa es oder er, wie die
Statistik allerorten zeigt ; es sind eben nicht mechanische regeln, sondern
sprachliche gesichtspunkte massgebend gewesen. Für imo man iru
ira ho lassen sich aus den synaloepheerscheinungen genau die ein-
zelnen ablautstufen in ihren rhythmischen entstehungs- und existenz-
bedingungen festlegen, ebenso für sie und sia. Hier ist doch auch
unser heutiges Sprachgefühl lebendig genug, um eine kontroUe aus-
üben zu können, und ich möchte glauben, dass es die mögliche sprach-
läufigkeit jener formen zu bestätigen fähig ist.
Ich bin mir freilich wohl ))ewusst, dass nicht alle folgerungen,
die ich aus der Statistik der kurz- und vollformen gezogen habe, ab-
solut zwingend sind. Ganz gewiss nicht. Die sprechformen sind oft
schon zu gering an zahl, da eine rhythmische sonderung der belege
meines erachtens die Voraussetzung der zulässigkeit irgendeines Ver-
gleiches bleibt. Oft genug musste gleichsam der eindruck des gesamt-
materials, der die jeweiligen einzelnen äusserungen des Sprachgefühls
der alten Schreiber zusammenfasst, für die bewertung vorsichtig heran-
gezogen werden.
Das entscheidende zur bestätigung der hier vertretenen inter-
BLEY, DIE AUSDRÜCKE N.ESTA BRCKDRA VSW. 417
pretation der von-ede an Liutbert und zur bewertung- der synaloephen
in den Otfridliss. kann nur die Untersuchung der übrigen abd. und
mhd. denkmäler bringen.
HAMBURG. RUDOLF KAPPE.
ZUE EEKLARUNG DER AUSDRÜCKE
ncesta broedra, annarrn brcedra, priäja hroßdra.
In betreif dieser ausdrücke äussert sich K. Maurer gelegentlich
seiner erörterung der altisländischeu Verwandtschaftsverhältnisse folgeu-
dermassen ^ : 'Über die geschwisterkinder hinaus kennt das isländische
recht noch die abgeleiteten ausdrücke ncesta bru^dra, cninarm broedra,
pridja broedra für den dritten, vierten und fünften gleichen grad
kanonischer komputation . . . Vilhjälmr Finsen hat bereits darauf auf-
merksam gemacht^, dass jene ausdrücke in ihrer genetivischen form
oifenbar elliptisch sind und voll zu lauten hätten : ncesta bradra
bc^rn usw., so dass also die broedrungar oder g-eschwisterkinder als
na'stir brcedr, d. h. nächste brüder bezeichnet zu denken sind, die
nachgeschwisterkinder als actrir brcedr, zweite brüder, endlich deren
kinder als pridju broedr, d. h. dritte brüder; aus dieser beobachtung
ergibt sich aber sofort eine reihe sehr bedeutsamer folgerungen. Klar
ist nämlich zunächst, dass, ihre richtigkeit vorausgesetzt, der ausdruck
brüder ursprünglich nicht auf den ersten grad der Seitenverwandtschaft
beschränkt gewesen sein konnte, vielmehr zugleich auch auf alle anderen
gleichen grade innerhalb derselben sich erstrecken niusste, wie dies
bezüglich einzelner asiatischer sowohl als amerikanischer Völkerschaften
nachgewiesen worden ist^. Klar ist aber auch, dass man auf Island
ganz ebenso, wie dies unser Sachsenspiegel tut, die geschwister noch
nicht in die sippezahl mit eingerechnet haben kann, was denn auch
durch die ausdrückliche Vorschrift bestätigt wird, dass die geschlcchts-
reihen immer erst von den geschwistern ab gezählt werden sollen.'
Diese erklärung Finsen-Maurers scheint grossen anklang gefunden
zu haben. So ist K. v. Amira in seiner darstellung der altgermanischen
1) Island von seiner ersten entdcckung l)is zum Untergänge des freistaats,
s. 326-327.
2) Anualer 1849, s. 281-283.
3) Vgl. Peschel, Völkerkunde, s. 239-240.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 28
418 ULKY
verwaiultscliaftsverhältnisse zweifelsohne davon beeiuflusst, wie es ii. a.
folgender passus beweist ^ : 'Die nähe zwischen den seitenverwandten
wurde durch abzählen der knie in den beiden, von ihrem gemeinsamen
Stammvater absteigenden Knien ermittelt, so dass hier die kinder der
geschwister und die geschwister der eitern ins erste knie zu stehen
kamen. Eine uralte und ehedem allgemein ostgermanische ausdrucks-
form für diese berechnung der Seitenverwandtschaft bewahrt das islän-
dische recht, indem es die kinder der geschwister als 'nächste brüder',
deren kinder als 'andre', deren kinder als 'dritte brüder' bezeichnet'.
Ebenso erscheint K. Lamprecht von Finsen-Maurer abhängig,
wenn er im anschluss an seine ausfiihrungen über die urgermanische
familie zurzeit des mutterrechtes sagt'-: 'Selbst das andenken an eine
ursprüngliche geschlechtsgemeinschaft ist noch nicht (sc. in historischer
zeit) gänzlich erloschen. Einst hatten sich alle angehörigen derselben
generation untereinander brüder . . . genannt: in Island hat das w^ort
brüder noch in geschichtlicher zeit eine ausgedehntere bedeutung
gehabt, die vielseitig über den begriff hinausragt, den wir damit ver-
binden.'
Trotz der anerkennung, welche die erklärung Finsen-Maurers
gefunden hat, ist sie schwerlich richtig. Dagegen sprechen sowohl
gewichtige sprachliche als logische bedenken. Wenn es sich in den
ausdrücken ncesta hroeäro, annarra broedra, prtctja brcectra um nächste,
zweite, dritte brüder handelte, wenn nämlich das adjektiv dem Sub-
stantiv beigeordnet wäre, so hätte die altnordische form zu lauten
ncestra broedra^ annarra broedra, pridja broedra, es sei denn, dass
man im ersten und dritten falle für das adjektiv die unflektierte, im
zweiten falle dagegen die flektierte form gelten lässt, was uns wenig
annehmbar scheint. Sodann fragt man sich: wie ist die ausdrucks-
weise logisch zu rechtfertigen? Brüder sollen zu einer zeit, wo seit
einer langen reihe von Jahrhunderten die gesellschaft wie heute auf
der gesondert lebenden einzelfamilie beruhte, nicht nur verwandte, die
von denselben eitern, von demselben vater oder derselben mutter ab-
stammten, geheissen haben, sondern auch noch entferntere verwandte,
die derselben stufe von Seitenlinien gemeinsamen Ursprungs angehörten.
Brwdr sollen also nicht nur leibliche brüder, sondern auch noch vettern,
kleinvettern, kleinkleinvettern geheissen haben, ja die ncestir brcedr
sind nicht einmal die leiblichen brüder, sondern die a b-
1) H. P a u 1 , Gruudiiss der germauisclien philologie III -, s. IBO.
2) Deutsche geschichte I'', s. 126.
DIE AUSDRÜCKE N.T^STA BRCE?;RA USW. 419
köminlinge von leiblichen brüdern. Wir müssen gestehen,
dass diese erklärung nns gar zu unwahrscheinlich klingt.
Wie die bezeichnungen für Verwandtschaftsverhältnisse in der
germanischen urzeit gelautet haben mögen, zur zeit des mutterrechtes,
als die geschlechter noch kommunistisch im durcheinander mehrerer
generationen in ein und demselben haushalte lebten, wie sie heute
noch bei Völkerschaften sehr niedriger kultur, denen der begriff der
germanischen sippe und einer höheren gesellschaftsform nicht auf-
gegangen ist, lauten mögen, das scheint uns ohne belang für die
erldärung der angeführten altnordischen ausdrücke zu sein. Diese
ausdrücke gehören einer zeit au, welche die Verwandtschaftsverhält-
nisse aufs genaueste und in weitem umfang unterschied, ihnen genau
bestimmte rechte und pflichten zuerkannte und dafür eine ungemein
präzise terminologie schuf. Sowohl sprachlich wie logisch sind sie
deshalb, wie uns scheint, aus den gegebenen Verhältnissen der zeit,
welche sie schuf und stetig gebrauchte, nicht aus den nebeln einer
grauen vorzeit oder aus den ganz anders gearteten Verhältnissen einer
viel niedrigeren kulturstufe zu erklären, vorausgesetzt, dass, was Peschel
berichtet, der Wirklichkeit entspricht.
Welches mögen diese altisländischen Verhältnisse gewesen sein?
Konungsbök (1852) I, s. 46-47, wo es sich um die ausschaltuug von
richtern handelt, die mit einer der streitenden parteien verwandt waren,
lesen wir: 'Mapr scal hefin frcendsemis tolii at breprum . epa at syst-
kiiiiim . ej)a at sijstrum . oc scal telia kne runnmn . unz par kemr . er sa
mapr er . er i dömi sitr . oc sa majjr er p>ar er ajnli er soknar . ep)a
carnar' , d. h. in etwas freier Übersetzung: '(Wenn der beklagte einen
richter ausschalten will), soll er die berechnung der Verwandtschaft
(sc. des richters und des klägers) anheben mit brüdern oder geschwistern
oder Schwestern, und soll er die generationen (= geschlechtsstufen)
zählen, bis er zu dem richter einerseits, dem kläger oder dessen Sach-
walter andererseits kommt.' Laut diesem texte der Grägas heisst dem-
nach ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen zwei männern bestimmen
so viel als nachw^eisen, in der wievielten generation oder geschlechts-
stufe, im wievielten grade die beiden von brüdern (resp. geschwistern
oder Schwestern) abstammen, von denen sich ihre Verwandtschaft her
schreibt. Stammen sie direkt von brüdern (resp. geschwistern oder
Schwestern) ab, so sind sie hra'drungar = brüder- (resp. geschwister-,
Schwester-) söhne, vettern; sie bilden die den brüdern (resp. ge-
schwistern oder Schwestern) nächste generation, die erste generation
der brüder usw., auf deutsch besser der ersten generation nach den
28*
420 '■• ''!'''»'
brüdern. Ihre näelisteii nachkoiiunen aber werden geheissen mi'sta
broectra, d. h. söhne, kinder, sprösslinge der nächsten generation der
brüder oder nach den brüdern. Wie lässt sich nun der worthiut
na'sta hrwära aus seinem nicht 7a\ bestreitenden sinne erklären oder
rechtfertigen? Uns dünkt, man hat es hier nicht, wie allgemein an-
genommen wird, mit einer einfachen, sondern mit einer doppelten
ellipse zu tun. Die erste entspricht dem begriffe söhn, sonr, spröss-
ling, niär oder, wie Finsen annimmt, dem begriff kind, barn, möglicher-
weise auch, wie sich bald zeigen wird, dem begriffe sie stammen ab,
peir eru mit genitiv. Die zweite entspricht dem begriffe generation,
geschlechtsstufe, grad, liär Fritzner nr. 3, hie Fritzner nr. 4 oder auch
hnerunnr laut dem angeführten passus der Gragäs.
Auf welche weise kann man sich nun diese elliptische ausdrucks-
weise entstanden denken? Wie uns scheint, weist die Gragäs auf den
weg der entstehung hin. Bei der Zusammensetzung von gerichten
spielte die erörterung von Verwandtschaftsverhältnissen eine grosse
rolle ^. Wenn ein richter wegen seiner Verwandtschaft mit einer der
streitenden parteien beanstandet wurde, ertönte regelmässig die frage :
von welcher generation der brüder stammen die betreffenden, richter
und partei, ab, zu welcher generation derselben gehören sie? hvers
liäar oder hvers kniar oder hvers hierunns hroßdra eru peir s//inr
oder niäjar oder b(>rn? oder noch einfacher, da vera mit dem genitiv
den begriff zu etwas gehören, von etwas abstammen ausdrückt, livris
Mar oder knidr oder hierunns eru peir? und die antwort lautete,
falls es nicht vettern, broectrimgar waren: {p)eir eru) ncests oder ens
ncesta, annarSy prktja oder ens pridja (sc. liäar oder hiiär oder hne-
runns) broßdra. Die begriffe 'söhn', 'kind', 'sie stammen ab' einerseits
und 'generation', 'geschlechtsstufe', 'grad' andererseits, die leicht zu
ergänzen waren, wurden ausgelassen, broedra als das prinzip der Ver-
wandtschaft wurde beibehalten.
Die elliptischen ausdrücke nwsts broedra oder ens ncesta brwdra,
annars broedra, pridja broedra oder ens pridja broedra wurden in der
gerichtssprache eine geläufige, jedem verständliche bezeichnung für
Verwandtschaftsverhältnisse dritten, vierten und fünften grades. Sie
gehören zu den ellipsen, die nach Hermann Paul ^ verständlich werden
durch eine ergänzuug aus der gegebenen Situation; in solchen ellipsen
steht statt des Substantivs mit seiner bestimmung bloss die letztere.
1) Vgl. Konungsbök kap. 25 clorarudning-.
2) Prinzipien der sprachgescliichte -, s. 271 (kap. XVni).
DIE AUSDRÜCKE X.T;.STA BRCEBKA USW. 421
Aus der gerichtssprache giengen die ausdrücke über iu die ge-
meinspraehe. Allmälilicli verschwand das bewusstsein ihres Ursprungs \
Das gefühl des syntaktischen Verhältnisses kam abhanden, die bedeu-
tung haftete nicht mehr an den einzelnen Wörtern, sondern an dem
ausdruck als ganzem; man nahm anstoss an den nicht mehr ver-
standenen formen ncests oder ens nmsta, annars, ens pridja und
glich sie dem darauf folgenden Substantiv au. Infolgedessen fasste
man das adjektiv als ersten bestandteil eines zusammengesetzten Sub-
stantivs und verlieh ihm die endung a, wo es sie nicht bereits hatte;
der artikel aber, w^enn er je vorhanden gewesen war, fiel weg. Daher
wäre es denn auch angebracht, die ausdrücke in einem worte zu
schreiben ^ oder zwischen die beiden teile einen bindestrich zu setzen,
wie es Vigfusson in seinem Dictionary tut (s. 22, erste spalte infra
z. 10-8), um anzudeuten, dass das vorliegende grammatikalische Ver-
hältnis kein attributives ist. Hier hat also wohl die irrige deutung
die heute übliche unangemessene Schreibung hervorgerufen.
Das bestreben Finsen-Maurers, die Verwandtschaftsbezeichnungen
ncesia broectra, annnrra hroiära, pridja brcedro- aus der bedeutung der
sie bildenden zwei wörter herzuleiten, Avar also verfehlt. Dafür dürfte
auch noch die tatsache sprechen, dass diese bezeichnungen, wie sich
aus der von uns oben zitierten stelle der Grägäs ergibt, sich nicht
nur auf nachkommen von brüdern, sondern auch auf nachkommen
von Schwestern oder von geschw'istern beziehen. Das Sprachgefühl
empfindet nicht den begriff: 'von brüdern im dritten, vierten oder
fünften grade abstammende verwandte', sondern bloss den begriff 'ver-
wandte im dritten, vierten und fünften grade'. Dieser begriff beruht
zwar auf der Zusammensetzung der Verwandtschaftsbezeichnung, er
deckt sich aber nicht mit der bedeutung ihrer beiden bestaudteile,
er hat kaum noch etwas damit gemein.
1) Ebenda s. 272: 'Je fester der usus geworden ist, um so weniger ist zum
Verständnis die Unterstützung durch die Situation erforderlicli'.
2) Fritzner schreibt sie bald in zwei Wörtern, l)akl in einem; so sclireibt er
ncesta broectra, annarra hroeära, priäja hrcectra, annarra brcedri (— ein männliclier
naclikomme im vierten grade), dagegen ncestabrcedri, nmstahro'dra [= ein männ-
licher, resp. weibliclier nachkomme im dritten grade), f/riitjabrmtra, verwandte im
fünften yrade, pridjabroeäri, ein männliclier nachkomme im fünften grade. Diese
Verschiedenheit der sclireiliweise ist nicht gerechtfertigt, da in allen diesen compo-
sitis das Verhältnis des ersten Wortes zum zweiten dasselbe ist. Aus dem plural-
indeklinahile nceata brwdra usw. musste sich mit der zeit notwendigerweise ein
wort mit singularliedeutung ergeben.
gp:nt. a. blkv.
422
DAS 'VADO MORI'.
(Zu s. 261 ff.)
Wilhelm Fehse hat in seinem jüngsten aufsatz über das toteutanz-
problera die entwicklung-sgeschichte der texte in wohl überzeugender
weise dargelegt und den lateinischen totentanztext als den "ältesten
uns erhaltenen charakterisiert. Mit recht bringt er mit ihm ein latei-
nisches gedieht des 13. Jahrhunderts in Zusammenhang, das den Ver-
tretern der einzelnen menschlichen stände je ein distichon in den mund
legt, das mit 'vado nwri' beginnt und schliesst^ und den gedanken
des todes je nach dem stände des betreffenden menschen variiert.
Hier ist bereits in früher zeit die differenzierung der stände in ver-
binduno' mit dem todesgedanken vollständig ausgebildet, die den einen
wesentlichen faktor der totentänze bildet. Es ist deshalb völlig unzu-
treifend und überflüssig, gerade hierbei die legende der drei leben-
den und der drei toten als ausgangspunkt für die totentänze nutzbar
machen zu wollen. Ich habe diese, zuletzt von Künstle geäusserte
ansieht kürzlich ~ kritisch widerlegt und hoffe, die ausführliche be-
gründung demnächst in meinem buche über die legende geben zu
können.
Die tatsache, dass das 'Vado mori' in den einzelneu Strophen
monologische gefühlsäusserungen enthält, verbindet es mit dem latei-
nischen Urtext und lässt es, wie Fehse richtig ausgeführt hat, als
eine Vorstufe zu diesem erscheinen. Seine grosse bedeutung für die
entwicklungsgeschichte der totentänze rechtfertigt eine ausführliche
betrachtung.
Die mir bekannt gewordenen Versionen des 'Vado mori' lassen
sich in fünf gruppen einteilen, die ich mit den handschriften hier
anführe.
I. Sechs einleitende verse (ine. Dum mortem cogito, cre^cit mihi
causa doloris) gehen meist dem eigentlichen gedieht voraus.
1) Diese art des strophenbaus (versus opliitae oder paracterici), nach der im
distichon die anfangsworte des hexameters am schluss des pentameters wiederholt
sind, ist auch in anderen beispielen bekannt. Ich weise hin auf das '■Mundus nbif
(Meyer, Documents et manuscrits, I, p. 169), ^Flere volo' (Analecta hymnica, XLI,
p. 166), und '■Dulcis ainica veni'' (Mones Anzeiger VIT, 586).
2) Literarische rundschau 1910, s. 344 8. — Die differenzierung nach ständen
begegnet uns bereits im 11. und 12. Jahrhundert, z. b. in dem '■Besant le Dicii' des
Guillaume le clerc und vornehmlich in Helinands 'Vers sur la tnoti'' schon in Ver-
bindung mit dem gedanken der Vergänglichkeit.
DAS VADO MORI 423
Hss.:
I.Oxford. Bodleian library. Cod. Rawlinson, C 485, f. 117".
13. Jahrhundert. Versus de mortis trnimpho.
2. Erfurt. Fol. nr. 50, f. 99. 14. Jahrhundert. Confessio Goliae;
abgedruckt in Studi medievali II, 559 und Zeitschr. 42, 277.
3. London. Bibl. reg-. 8 B, VI, f. 30. 13. Jahrhundert.
4. London. Lansd. 397, f. 9. 13. Jahrhundert. (3 und 4 nach
Douce, Holbeins Dance of Death, 1882, p. 24.)
5. Arras. Bibl. de la ville 829 (anc. 525). 14. Jahrhundert.
6. London. Add. 18347, f. 119.
7. London. Add. 24660, f. 134\
8. London. Roy. 5 E XXI, f. 126 \
9. London. Roy. 7 E VII, f. 177. {Boger of Waltham, Poema
morale.)
IL Eine erweiterte fassung (ohne einleitung), die mehrere Strophen
mit I gemein hat, kommt vom 14. Jahrhundert ab vor. Diese fassung
folgt unten nach der handschrift in der Mazarine bibliothek. Male
(L'art religieux ä la fin du moyen äge 1909, p. 390) hat einige Stro-
phen mitgeteilt. Diese version kehrt dann wieder in der 'Chorea ab
eximio macahro' des Peter Desrey (als anhang des 'Speculwn omniwm
statimm des Rodericus Zamorensis, gedruckt Hanau 1613, ediert von
Melchior Goldast) \
Hss.:
1. Paris. Bibl. Mazarine 980, f. 83. 13.-14. Jahrhundert.
2. München. Cod. hit. 5015, f. 4. 15. jalirhundert (f. 3^ steht
als Verfasser HeUnandus monachns Friyidi moiitis).
3. München. Clm. 20015. Anf. 16. Jahrhunderts, (üos versus
composicit Dominus HeUnandus^ qiä fuit multum egregius in Om-
nibus dlctis suis). Cfr. Analecta hymnica XXXIII, p. 285-6.
4. Rostock. Univ.-bibl. IV, C. IV, 14, f. 34\ 15. Jahrhundert.
54 disticha. Als Verfasser dieses 'Carmen de morte' wird in
12 das gedieht begleitenden hexametern der Benediktiner
Petrus von Rosenheim, bezeichnet, der sie 1424 im kloster
Melk verfasst habe. Vgl. Serapeum XXI, p. 170 ff.
5. München. Cod. lat. 7747, f. 68. 15. Jahrhundert. Wie in
4 wird Petrus von Rosenheim als Verfasser genannt. Vgl.
Catal. cod. bibl. Monac. III, 3, p. 195.
1) Fehse nennt versehentlich Goldast als autor.
424 STOUCK
G.Paris. Bibl. Mazarine 3896, f. 237. 15. Jahrhundert (Feier
Desrey).
Ferner erseheint das 'Vado mori' bei Bonuicinus de Bipa (De
raortc Carmen horrendura, z. 61 ff.) in einem druck: Venedig 1507.
Vgl. Roman, forschung-en III, 292.
III. Eine selbständige fassung ist abgedruckt in Dreves' Ana-
leeta hymnica medii aevi XL VI, p. 351-2 nach der handschrift:
Darmstadt. Cod. 1988. 14. Jahrhundert.
IV. Eine weitere originelle ausgestaltung enthält:
London. Roy. 8 B VI. 16. Jahrhundert.
Jedes distichon des 'Vado mori' ist gefolgt von einem gleich-
gebauten, beginnend 'Vive deo'. (Freundliche mitteilung des herrn
J. A. Herbert-London, British museum.)
V. Die französische bearbeitung, die den Zusammenhang mit dem
lateinischen gedieht in dem stereotyp wiederkehrenden: Je vois morir
zu anfang und ende jeder Strophe zeigt. Auch sie ist bereits in hand-
schrifteu des 14. Jahrhunderts nachweisbar,
Hss. :
I.London. Brit. mus. add. 29 986, f. 147'-. 60 Strophen;
möglicherweise eine Übersetzung nach einem lateinischen ori-
ginal {de latin translate en francoi). Vgl. Zfromph. 1, 548.
2. Paris. Bibl. nat. ms. fr. 916, f. 170.
3. Paris. Bibl. nat. ms. fr. 957, f. 123.
4. Paris. Bibl, nat. ms. fr. 1555, f. 221 noch dem ende des
14. Jahrhunderts angehörend. Die bezeichnung Fehses ist die
alte der hs. 4.
5. Cambridge. Magdal. College. Coli. Pepys. 1938, f. Vgl
Romania XXIV, f. 418.
6. Paris. Bibl. nat, früher St. Vict. 886, f. 222. Vgl. Le Roux
de Lincv, Le livre de proverbes francais, 2^ ed., 1859, II, 553.
7. Brüssel. Bibl. roy. 9556. Vgl. Gröbers Grundriss, s. 865.
Diese fassung ist publiziert von Meon, Vers sur la mort, 2^ ed.,
1835, p. 73 ff. Eine nachbildung aus dem 14. Jahrhundert existiert in
dem von Naetebus, Die nicht lyrischen Strophenformen des altfranzö-
sischen, 1893, s. 142 erwähnten gedieht: Inc. Li ßl Adam, avant venes.
VI. Die vollständigste und jüngste bearbeitung des 'Vado mori'
hat Anton Steiuhauer gegeben in seinem büchlein Vado mori
DAS VADO MORI 425
sive via omiiis carnis morte duce niortalibus hi Processione Mortuonoii
moHsfrata. Strassburg- 1731 und Cöln 1745.
Die einleitung- 'de doctrina mortis' nimmt ebenfalls einen alten
g-edanken auf mit dem distichon:
Disce mori, qnicunque legis mea carinina lector! Qiiisquis es
aiiditor! tu quoque disce mori!
Dann folgt die 'Processio mortuorum', in der die einzelnen stände
zu gruppen geordnet auftreten, so z. b. die hierarchia secularis und
religiosa, die academia, vom pedell und rektor geführt, denen die
einzelnen fakultäten folgen-, der 'status militaris, Status civilis'. Dann
erscheinen boni et mali, mobiles (darunter postmeister und postillon),
aetates, religioues. Den beschluss macht ein dicdogus finalis inier
mortem et poetam.
Die bearbeitungen des ' Vado mori' müssen eine sehr grosse Ver-
breitung gehabt haben, und es werden sicherlich noch zahlreiche hand-
schriften derselben namhaft gemacht, wenn man ihnen erst die ge-
bührende aufmerksamkeit schenkt. Hinweisen möchte ich noch auf
eins, was ebenfalls für die popularität der Strophen spricht. Au ver-
schiedenen stellen konnten wir einzelne verse aus den bearbeitungen
des Vado mori benutzt finden. So in den ^Las horas de nitestra se)iora
con muchos otros oficio^ y oraciones (Paris 1495) bei den lateinischen
Unterschriften, worauf schon Fehse aufmerksam machte. In einer hand-
schrift des 15. Jahrhunderts (Heidelberg, Pal. germ. 37, f. 104-'') begegne
ich in randgiossen den versen:
Mors seruat legem tollit cam p auper e regem.
Xam rcgis et pauperis lex est moriendi communis.
Und ähnlich in einem gedieht des 13. Jahrhunderts (Paris, Mazarine
1007, f. 412^) 1;
Mors fera, mors neqitarn, que nuiiquam pareit et equam
Dans cwnctis legem miscet cum paapere regem
Omnes crede mori, mors nulli pareit honori
Omnes majores mors occupat atque minores
Equa falce secat, humüem majorihus equat-.
1) Die gleichen verse finde ich weiter bei Boiigiovaniii da Carvriana (Novati,
Attraverso il medio evo, 1905, p. 25), im Florilcgiuiii Gottiiigense (Koni, forsch. III,
292] und in einer Pariser liandschrift des 13. jahrh. (J>il)l. nat. ms. lat. 15 952 f.,
107; Haureau, Notices et extraits, V, p. 34).
2) Das gedieht ist ferner zu vergleiclien mit einem iu einer Sammlung latei-
nisclier schulpoesie enthaltenen des 12. Jahrhunderts. Vgl. Wattenbach, Sitzungs-
berichte der Berliner akad. 1895, s. 143.
426 sToucK
Die g-leichen verse übernimmt Peter Desrey, dessen Clioren ah
eximio macabro nicht eine blosse Übersetzung der französischen Danse
macabre ist, wie Seelmann meint, sondern — wie wir sehen - sehr
viel von den volkstümlichen gedichten kompiliert hat. Es heisst
bei ihm:
Est commune mori: mors nulli i)arcit honori
Mors fern, mors neqaam, mors nulli parcit et aegua»i
Cunctis dat lege?n, tollit cum paupere Megem.
Zu dem abdruck des gedichtes der Mazarine bemerke ich :
Die hs. 980, f. 83 "" wird von dem Catal. gener, in das ende des
13. Jahrhunderts versetzt, von Male (a. a. o.) in den anfang des 14. -
Der abdruck erfolgt in vergleichung zu Desreys text, auf den sich die
in [ ] gesetzten angaben beziehen. Die disticha 9, 12, 14, 16 stimmen
mit denen des I. typus übereiu, Nr. 9, 10 und 13 sind von Desrey
nicht übernommen.
1. Vado raori: mors certa quidem nil cercius illa
Hora fit incerta, vel mora. vado mori. [Papa II.]
2. Vado mori: quid amem, qiiod flnem spondet amarum?
Cuius inanis amor? non amo. vado mori. [Imperator III.]
3. Vado mori: sors es quia * non hoc impedit illud.
Quo mecumque ferat sors data, vado mori. [Cardinalis IV.]
4. Vado mori: lüdeat quo currat quisque superstes.
Cursor habet mecum dicere. vado mori. [Legatus a latere VI.]
5. Vado mori: presens transactis equiperando.
Si non transiui, transeo. vado mori. [Rex V.]
841^6. Vado mori: uiuens - sentencia dura, beato
Grata; raori sequitur uiuere. Vado mori. [Dux VII.]
7. Vado mori, cinis in cinerera tandem rediturus
Ordine, quo cepi, desino vado mori. [Patriarcha VIIL]
8. Vado mori, sectans alios sectandus et ipse:
ultimus aut primus non ero; vado mori. [Connestabilis IX.]
9. Vado mori, rex sum, quid honor, quid gloria mundi?
Est via mors hominis regia, vado mori.
10. Vado mori papa; nam mors papare diu me
Non sinit aut cogit claudere. vado mori.
11. Vado mori presul baculum, sandalia, mitram
Nolens siue volens desino^; vado mori. [Archiepiscopus X.]
12. Vado mori m i 1 e s , belli certamine uictor,
mortem non didici vincere. vado mori. [Miles XL]
1) Desrey : v. m., mortem non hoc. non . . .
2) „ misero.
3) „ desero.
UA8 VADO MORI
427
13. Vado mori, pugiles doctus superare duello.
Sed mortem nequeo viucere. vado mori.
14. Vado mori medicus, medicamine non redimeudus,
Quidquid agat medici pocio. vado mori.
15. Vado mori, magnus mundi moriturus araori \
Hunc sperueus possum dicere, vado mori.
16. Vado mori logicus; aliis concludere novi.
Couclusit breuiter mors michi : vado mori.
17. Vado mori iuvenis, qiiia uil habet ^ ipsa iuventus
De nece protegere nequeo, vado mori.
18. Vado mori senior, iam finis temporis iustat.
Jamque patet mortis ianua, vado mori.
19. Vado mori diues aiirum uel copia rerum
nullum respectum dant michi vado mori.
20. Vado mori iudex; quia iam plures reprehendi,
iudicium mortis horreo, vado mori. [Iudex sive praeses XV.]
84"*'21. Vado mori pauper; uil mecum defero, mundo
Contempto uudus ^ trauseo, vado mori.
22. Vado mori, non me retinet uiciosa voluptas
Nee luxus äuget uiuere; vado mori.
23. Vado mori, genitus de sanguine nobiliori:
Nee genus inducias dat michi, vado mori.
24. Vado mori pulcher uisu: mors ipsa decori
Vei forme nescit parcere, vado mori.
25. Vado mori sapiens: sed que* sapieocia nouit
Mortis cautelas fallere ? vado mori.
26. Vado mori stultus, mors stulto uel sapieuti
Non iungit pacis federa ; vado mori.
27. Vado mori uarijs epulis uinoque repletus.
Hijs utens cogor'' dicere uado mori.
28. Vado mori, sperans per longum uiuere tempus
Forte dies est hec ultima, vado mori.
29. Vado mori gaudens; non gaudeo tempore longo
mundi dimittens'^ gaudia. vado mori.
30. Vado mori, sed nescio quo, sed nescio quando,
Me quo ' cumque loco uertero. vado mori.
31. Vado mori: cernens, quod mors cunctis dominatur,
Tensa uidens mortis recia. vado mori.
32. Vado mori, non me tenet ornatus, neque uestis
Linea, nee moUis culcitra. vado mori.
[Medicus XX.]
[Mercator XIX.]
[Professor XXVI.]
[Infans XXXVII.]
[Carthusiensis XXII.]
[Usurarius XXV.]
sive praeses XV.]
[Rusticus XXXI.]
[Amans XXI.]
[Scutifer XHI.]
[Cliens XXXIE.]
[Philosophus XVI.]
[Stultus XLI.]
[Advocatus XXVIII.]
[Civis XVII.]
IMusicus XXIX.]
[Minorita XXXyi.]
[Parochus XXX.J
[Canonicus XVIII.]
1) Desrey : araator.
2)
5)
valet.
3)
5?
mundus
4)
■n
quid.
6)
n
restat.
6J
n
mitto.
7)
51
quo me.
428
33. Vado mori ; miserere mei rex inclite C-hriste,
Omnia dimittens debita. vado mori. [Clericus XXXVIIL]
34. Vado mori sperans uitam sine flne mauentem.
Spernens presentem: sie beue vado mori.
Vado mori miserere mei rex inclyte Cliriste. [Heremita XXXIX.]
Amen.
HEIDELBERO. WrLLV F. STÜRCK.
HANS SACHSENS DRAMA 'DEE MARSCHALK MIT
SEINEM SOHN' UND SEINE QUELLEN.
Zu den beachtenswertesten unter den grösseren dramen des Hans
Sachs, wenigstens in stofflicher hinsieht, gehört die 'Comedia mit 12
personen zu spilen', welche unter dem titel erschien 'Von dem mar-
schalk mit seinem söhn'. Das am 4. juni 1556 gedichtete stück
stand im 10. spruchbuch, bl. 236-252 'und hat fiinfif actus' (Keller-
Goetze, bd. XIII, s. 52-83). Während H. Sachs sonst seine drameu-
stoffe gerne auch als spruchgedichte oder meistergesänge behandelte,
hat er den stoif, die fabel des vorliegenden dramas, nicht weiter ver-
Avertet. Eine angäbe, woher er die erzählung genommen, wie er sie
bisweilen seinen 'ehrnholdt' machen lässt, findet sich nicht in unserem
stücke. Die quelle des lustspiels ist bis in die neueste zeit, meines
Wissens, nicht nachgewiesen worden. Über den stoif haben der
reihe nach Mussafia, Reinhold Köhler und Johannes Bolte gehandelt,
ohne indes über die vorläge unseres meisters eine mutmassung zu
äussern.
Ich selbst habe früher die deutsche Übersetzung des Chevalier
de La Tour Landry (gedr. 1493) zusammen mit der darausgezogenen
nacherzählung bei Agricola {Sprickwörter nr. 201) für die vorlagen
des meistersängers angesehen. Das, was mich in dieser Vermutung
bestärkte, war, dass Hans Sachs die beiden bücher längst kannte, als
er sein lustspiel schrieb : Agricolas Sprichivörter sicher schon 1544,
wenn nicht 1539, und den Bitter von Thurn spätestens 1551. Rätsel-
haft waren mir dabei freilich die sehr beträchtlichen abweichungen
des Hans Sachs von diesen quellen. Die namen Pamphilus für Cato
oder 'Cathonet', Vespasianus für den kaiser und Titus für seinen söhn
blieben mir unerklärlich, und auch sonst konnte ich zweifei gegen
meine Vermutung nicht los werden. Die meistergesänge des H. Folz,
H. SACHSENS DRAMA DEß MARSCHALK MIT SEINEM SOHN UND SEINE QUELLEN 429
welche August L. Meyer im vorigen jähre veröffentlichte, und die mir
soeben unter die hände kamen, zeigten mir, wie begründet meine
zweifei Avaren, und führten mich auf die richtige quelle.
Hans Sachs hatte ein meisterlied des Hans Folz zur
vorläge, das unter der aufschrift 'Hannen krath Hans Foltzeu
barbires' 18 Strophen oder 288 verse umfasst (Meyer, s. 172-179).
'Zu Rame', also erzählt H. Folz, sass ein mächtiger kaiser, 'Pam-
philus war sein name', in dessen diensten ein marschalk stand. Als
dieser letztere - wie er hiess, wird nicht gesagt - zum sterben kam,
'tat er' seinem söhne 'drew geböte' : das erste, dass er um das leben
eines zum tode verurteilten nicht bitten sollte; das andere, 'das er
kein merern (grösseren) lud zu hauss durch ichte' ; das dritte, dass er
seinem weibe kein geheimnis anvertraue. Der vater starb, und sein
söhn ward sein nachfolger. Kurz darauf wird ein 'ubelteter' zum tod
verurteilt. Erbarmungsvoll 'löst er in von den stricken' und schenkt
ihm das leben. 'Unnd verachtet alda seines vaters lere.' Ebenso-
wenig kehrt er sich an seines vaters zweites gebot. Er sprach: 'thu
ichs verachten. Wem mag es ungeschlachten?' 'Er lud den keiser
unnd sein herschatft gare.' Aber die reichen 'schecz unnd cleinet',
die er beim mahle zur schau stellt, reizen die habgier des monarcheu ;
er befiehlt seinen trabanten, sie fortzuschleppen, indem er sprach: 'es
zimpt keim diner sulcher schacze'. Um auch das dritte gebot des
vaters zu brechen, wandte er sich dem söhne des kaisers zu - sein
name bleibt uns ebenfalls unbekannt -, darauf bedacht, 'Wie er sein
hercz mit stricken Der lib enzunt und mit begir'. Er meldet ihm die
grüsse einer schönen, und der leicht zu entflammende Jüngling ver-
liebt sich knall und fall in sie. Nun erbietet sich der marschalk, ihm
'ein sunders gaden' einzuräumen, wo er mit der 'schonen' 'auf ein
menet' verborgen bleiben könne. Der vorsciilag wird von dem ver-
liebten prinzen angenommen, und der marschalk
Ein offne dirn, mit aller schon beladen,
Hiess er sich zir und i3aden,
Die fürt er yn sein gaden,
Uct ir mit reicher cleidung- steur.
Und 'des keiser sun', 'In daucht das weib von hoher arte', 'Pei ir
was im die weil geheur'. 'Lass wir die zwey sich }n der lieb ver-
richten !' sagt Folz im tone eines modernen erzählers und wendet sich
dem marschalk zu. Dieser hatte indessen ein kalb mit seinem degen
erstochen und im stall verüraben. 'Des Marschalks Weib das plut
430 STIKFKL
ersähe' und schrie laut auf. Er g-esteht ihr ein, dass leib und leben
für ihn auf dem spiele stehen, und bittet sie, 7ä\ schweigen.
Doch wolstu mir dein trew und eid verflichten,
Das du in den geschichteu
Mich melden wolst mit nichten,
Ich offenbiirt dir dise dat.
Als sie ihm leib und leben zu pfand setzte, dass sie über die sache
schweigen wolle, erzählt er ihr, dass er, von des kaisers söhn mit
Worten schwer gestraft, im zorn ihm das leben genommen habe. Aufs
neue schwört sie ihm, dass sie das geheimnis treu bewahren wolle.
'Das hilf, sagt der schalkhafte dichter, 'die fraw mit ganczer stete
Vil noch ein stunde', bis eine gespielin zu ihr kam, länger konnte
sie 'ir di dat nit für do halten', und sie machte sie, ihr schweigen
auferlegend, zur mitwisserin, mit dem erfolg, es
. . . verpot ye ein der andernn harte,
Piss sein die stat vol warte
Die red zum keiser karte
Wie den sein sun erstochenn wer.
Der marschalk wird eingezogen und zum tode verurteilt. Allein es
fand sich in ganz Rom niemand, 'der yn gert zu doten', bis zuletzt
der 'dip' kam, 'den er erpiten det', welcher ihn 'Umb ringes gut' zu
töten versprach. Nun sah der marschalk, wie begründet seines vaters
lehren waren. Er verfluchte den dieb und hielt ihm vor, dass er
allein ihn 'toten' wollte, er, dem er das leben gerettet habe. Doch
der Schurke erwiderte frech:
'Wer det dichs noteu?
Sich hat gemeret
Doch sider allenthalben mein unheile.'
Jetzt schickte der marschalk zum kaiscr und Hess ihm melden, dass
sein söhn lebe. Unter dem jubel des volkes zum monarchen zurück-
gebracht, erzählte er ihm 'die Sache gare' und wie die 'pot seins
vaters trew und stet' waren. Grosse freude des kaisers, der sofort
seinen söhn holen lässt, den marschalk freispricht und 'sein cleynet
drate Im wider antwurt schnelle gar'. IJber das Schicksal des ,ubel-
teters' schweigt Folz. Die letzten drei Strophen seines meisterliedes,
anfangend von vers 233-288, verwendete er zu einer langen moral,
worin er die drei lehren des alten marschalks breitschlägt.
Wo fand Hans Folz die merkwürdige geschichte? Im augen-
blick kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, ich kann nur Vermutungen
aussprechen. Es wäre der zeit nach möglich, dass seine vorläge das
H. SACHSEXS DRAMA DER :\rARSCHALK MIT SEINEM SOHN UND SEINE QUELLEN 431
bereits 1493 in deutscher Übersetzung- durch den druck verbreitete
buch des Chevalier de La Tour Landry, 'Der ritter von Thurn',
wäre; aber die Verschiedenheiten zwischen den beiden Versionen sind
so bedeutend und so charakteristisch, dass ich es bei der sonstigen
arbeitsweise des Nürnberger dichters für ausgeschlossen halte, dass
er ihn direkt benützte. Eher Hesse sich annehmen, dass er die frag-
liche erz'ahlung im Ritter von Thurn mündlich vernommen habe und,
wie es in diesem falle oft zu gehen pflegt, in entstellter bzw. ab-
weichender form. Indes scheint mir das nicht recht wahrscheinlich
zu sein. Die abweichungen sind so eigenartig, dass man eher an eine
andere Überlieferung als an eine nachlässige oder freie benützung
denken muss. Es wird vielleicht in Deutschland schon früh eine vom
Ritter von Thurn abweichende fassung der erzählung zirkuliert haben,
die mit der des Chevalier de la Tour auf eine gemeinschaftliche quelle,
auf ein altes fableau, zurückgehen mochte.
Um die Verschiedenheit der Folzschen erzählung von der des
Ritters von Thurn zu veranschaulichen, und um gleichzeitig zu zeigen,
dass Hans Sachs letztere nicht zur vorläge hatte, will ich kurz ihren
inhalt andeuten.
Der weise Cato erteilt auf dem totenbette seinem söhne Gatlionnet drei weise
lehren: 1. von seinem 'obern herren kein ampt' anzunehmen; 2. 'keinen der den
todt verdienet hatt abzukaufen oder ledig zu machen' ; 3. 'seine hußfrow wohl zu
versuchen, bevor er ihr seine heymlicheiten eröffnete ob sy die verschwigen möchte'.
Cathonnet übernimmt die erziehung des sohnes des kaisers und übertritt so des
Vaters erstes gebot. Er trifft in den Strassen Roms einen 'ubelteter', und von einem
manne dazu aufgefordert, 'thet er in von dem gericht entledigen vnd ließ in louffen'.
Naclits fiel ihm ein, 'wie er zwey stuck der lere syns vaters bette gebrochen. Vndt
redt mit im selb, wie er das drit euch versuchen wolle.' Wie seine frau erwacht, teilt
er ihr mit, dass er des kaisers söhn, der ihm 'vil bösser, misfeliger werten gab',
'nachdem er wol getrimcken hatt', 'zu todt geschlagen, das hertz vß im genommen,
das zu einer guten speyssen zu richten lassen vnd das dem keiser vnd der keyßerin
zu essen geschickt hab'. Er bittet sie das niemand 'zu offnen'. Die frau verspricht's.
'Als es aber tag wart, schickt sy nach einer junckfrowen in der statt, die ir gespiel
was." Sie will zwar eher sterben, als ihr etwas sagen; als aber die andere ver-
sichert, dass sie sich eher 'beyde ougen vssstechen lassen' wolle, als etwas weiter
zu sagen, so vertraut sie ihr das geheimnis an. 'Darab sich die jungfrow grässlich
segnet vnd sprach sy wolt es wol verschwigen.' Sofort jedoch lief sie an des
kaisers hof und erzählte alles der kaiserin. 'Diese fieng so kloglichen an zu schryen
vnd zu weinen das ein erbermde was zu hören'. Das vernimmt der monarch, und
als er die Ursache davon aus dem munde seiner gemahlin erfährt, gebot er, 'das
mau Cathonnet hencken solt vil höher dann all ander übelthäter'. Cathonnet wird
sofort verhaftet, veranlasst aber die häsclier, ihn unter dem vorwand, dass es zu
spät sei, ins gefängnis zu legen und am 'morn ein verbaut gericht zu halten vor
432 STIKI-EL
alloiii volck'. Er beruft sofort eiueu seiner 'edelu' und schirskt ihn fort, um den
prinzen, der an einem dritten orte weilte, zu holen. Der mann entledigt sich seines
auftrags noch in der nacht, und der kaisersohn bi'icht sofort mit ihm auf. Am
frühen morgen hat Cathonnet 'syner fründe einen die hencker zu behalten byss zu
tertz zyt | das thett er". Als es nun 'umh prim zytt ward da wart er zu dem
galgen gefurt', beweint von aller weit, denn 'der selb was vss der masseu lieb ge-
hapt zu Rom dann er gar wisse demütig vnd züchtig was.' Da 'wart man nach
den heuckern fragen | aber sy waren all verborgen'. Nun trat 'der den Cathonnet
vom todt entlediget hat, herfür' und erbot sich zum amte. Entrüstung des volkes.
Cathonnet sagte zu ihm bloss: 'Du gedenckest gar wenig der vergangneu zyt'.
'Mit denen reden sahent sy einen grossen stoub von pferden vnd hortent einen mit
luter stymm schi-yen : Halta | halta, nit tödten den frommen mau'. Der 'knab' ent-
ledigte sogleich seinen 'meister' und führte ihn zum kaiser. Scham und reue des
monarchen und seiner gattin, die sich 'gegen im' entschuldigten. Grosse freude
über die Wiederkehr des sohnes. Cathonnet erzählte nunmehr die ganze geschichte
von seines vaters weisen lehren und legte sein amt als erzieher des prinzen nieder,
um 'furo' den geboten seines vaters zu leben. Er blieb aber 'meister des ratz zu
Rom'. Betrachtungen des ritters von Thurn über die notwendigkeit der Verschwiegen-
heit beschUessen die erzählung.
Wie man sieht, bestellen eine anzabl grösserer und kleinerer
versehiedenlieiten zwischen den beiden Versionen. Vor allem sind die
namen der personen nicht die gleichen. Der kaiser, ohne namen beim
Eitter von Thurn, heisst bei Folz Pamphilus; der sterbende vater,
Cato beim Ritter von Thurn, wird hier als marschalk schlechtweg be-
zeichnet, desgleichen der junge Cato (Cathonnet) als der junge mar-
schalk. Die übrigen personen sind in beiden erzählungen namenlos.
Eine gewisse Verschiedenheit herrscht auch in den Charakteren. Während
Cathonnet stets 'wyse, demutig und züchtig' bleibt, ist der junge mar-
schalk so verworfen, dass er den jungen kaisersohn sittlich verdirbt
und ihn einer dirne ausliefert. Auch der kaiser ist unsympathisch bei
Folz durch seine habsucht. Die kaiserin fehlt bei Folz ganz. Auch
in den drei lehren des sterbenden vaters herrscht nicht Übereinstim-
mung. Sie sind einmal verschieden in der anordnung: 1 bei Folz =
2 beim Ritter von Thurn. Dann ist die zweite lehre bei Folz eine
ganz andere als die entsprechende erste im Ritter von Thurn. Bei
letzterem empfiehlt der vater seinem söhn, von einem oberen herrn
kein amt anzunehmen, bei Folz dagegen, keinen höheren zu tisch zu
laden. Die dritte lehre, obwohl bei beiden im ganzen dieselbe, ist
doch etwas verschieden bei jedem formuliert. Bei Folz heisst es,
er solle der frau nichts mitteilen, was er wollte verschwiegen haben;
beim Ritter von Thurn wird er aufgefordert, sein weib erst zu ver-
suchen, ob er ihr ein geheimnis verraten dürfe. Grundverschieden ist,
wie der junge mann seiner frau die nachricht vom tode des kaiser-
H. SACHSENS DRAMA DER MARSCHALK MIT SEINEJI SOHN UND SEINE QUELLEN 433
liehen prinzen meldet: bei Folz ersticht er ein kalb, begräbt es, kommt
scheinbar aufgeregt zur frau und zeigt ihr den blutigen degen. Beim
Ritter von Thurn erzählt er die vermeinte tat nachts plötzlich, als die
frau erwacht. Das kannibalische herausreissen und verspeisen des
herzens ist nur im Ritter von Thurn zu finden, wie wiederum das er-
stechen des kalbes usw. nur bei Folz. Die umstände bei der Ver-
haftung und Verurteilung des jungen mannes und sein gang zur richt-
stätte bieten ebenfalls ab weichungen ; kurz, die Verschiedenheiten sind
so zahlreich und zum teil so erheblich in beiden Versionen, dass meine
bereits oben ausgesprochene Vermutung, Folz habe eine andere vorläge
als den Ritter von Tiiurn gehabt, nicht unbegründet erscheinen dürfte.
Für Hans 8achs konnte noch eine dritte version in betracht
kommen: die schon erwähnte des Johannes Agricola von 1529. Ob-
wohl diese, nach eigenem geständnis des Schreibers, aus dem Ritter
von Thurn geschöpft ist, so weicht sie doch in mehreren punkten da-
von ab, sowohl im stil wie in nebenumständen. Zunächst erfolgen
die drei lehren darin in etwas anderer reihenfolge. Die geböte lauten :
'Für das erste | Solt du dich in keines herren dienst begeben | der
dein zu leib vnd gut mechtig ist; Zum andern j Wenn du ein weib
vberkumpst ] dem soltu nichts heimlichs vertrawen | du habst denn
zuuor erfaren dass sie schweigen konnde . . . Zum dritten solt du
keinen dieb vom galgen | odder einen andern vbelthetter vom tode
bitten.' Am hofe des kaisers ist der junge Cato, gleich Cathonnet,
erst erzieher 'des keysers süne | Er helt sich aber also wol | daß man
yhn hoher setzet vnd braucht yhn in die rädte . . . vnd macht yhn
zu letzt zum viceroy vnd stathalter des keysers'. In dieser eigen-
schaft, wie er eines tags prunkvoll durch die Strassen Roms reitet,
trifft er in enger gasse 'einen diep, den man solt hencken'. Dieser
ruft seine gnade an. 'Dem Catoni thet die ehre vnd der pracht
wol I lest sich bereden vnd machet den dieb loss.' Auff eyn zeit feilet
yhm ein - also nicht nachts im bett, wie beim Ritter von Thurn -,
dass er seines 'vatters letzten befelch nun zwey mal vberfaren' habe.
Nun will er 'die dritte lehre versuchen': 'Vnnd kumpt auft" eyn zeit
eylends heym geritten mit iemmerlichen geberden.' Seine frau er-
reicht erst mit viel weinen und bitten, dass er sein geheimnis offen-
bart. Er erzählt ihr, 'er habe auff eynem schloß . . . mit des keysers
sunen gespielet vnd auffstutzig worden habe also des keysers son
den eitern erstochen'. Vom herausschneiden und auftisclien des herzens
ist hier keine rede. Es folgt der auftritt mit der 'gespielen', nach der
sie, wie im Ritter von Thurn, schickt. Dann verfährt der erzähler
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. ^9
434
STIKFKL
sehr kurz. Cato ward 'gegriffen vnud mit yliin zum galgen zu geeylet.
Es hat sich aber niemaiidt vnterstehen wollen | den Cato zu heneken'.
Da 'springet der herfur den Cato vom galgen erlöset hette | wolt den
Cato heneken. Aber in mitteler zeyt wüste Cato das des keysers
sune kommen wurden in die Stadt, wie den auch geschach'. Und da
'ward Catho ledig'.
So weit Joh. Agricola. Der freie stil und mehrere abweichungen
von der quelle legen die Vermutung nahe, dass er nicht den Ritter
von Thurn bei der niederschrift vor sich hatte, sondern aus dem ge-
dächtnis nacherzählte. Die geschichte hat auf diese weise nur ge-
wonnen.
Meine aufgäbe ist es nun, zu zeigen, dass Hans Sachs das meister-
lied des Hans Folz und nicht die beiden anderen Versionen zur vor-
läge für seine 'Comedia' hatte.
Als der Nürnberger meistersinger 1556 an die dramatische be-
arbeitung des Folzschen schwanks gieng, stand er auf der höhe seines
Schaffens. Er beherrschte durch Übersetzungen einen sehr beträcht-
lichen teil des antiken Schrifttums, er war - wieder durch Über-
setzungen - mit humanistischen und italienischen dichtem vertraut und
ausserdem belesen, wie wenige in der zeitgenössischen deutscheu
dichtung, in chroniken, geschichts- und reisewerken usw. Die zahl
seiner eigenen dichtungen betrug damals bereits tausende; darunter
waren hunderte von trefflichen schwanken und fabeln, und eine statt-
liche reihe von fastnachtspielen (74), komödien und tragödien aus
seiner feder waren erfolgreich über die bretter gegangen. Der mar-
schalk mit seinem söhn war also nicht das werk eines neuliugs. Welche
gestalt hat die alte fabel in diesem stücke unter den bänden des
meistersingers angenommen?
Heben wir mit den personen an. Es treten bei Hans Sachs auf:
1. Heroldt.
2. Keyser Vespasianus.
3. Thitus, sein suu.
4. Sopluis, der alt marschalck.
5. Painphilus, der juug marschalck.
6. Floria, sein gmahel.
7. Philippus, des kej'sers raht.
8. Sabella, sein gmahel.
9. Marus, 1 o * i *
,^ T^, -, f 2 trabauteu.
10. Phednis, )
11. Diboldt, der dieb.
12. Der hencker.
H. SACHSENS DRAMA DER MARSCHALK MIT SEINEM SOHN UND SEINE QUELLEN 436
Der meister verwendete also genau so viele personen, als unbedingt
für seine haudlung- nötig- waren. Neu hinzugekommen ist nur 'des
keysers ralit' Philippus, der zum gatteu 'der gespielin' (Floria) ge-
macht wurde, was nur zu billigen war, da er hierdurch den übrigen
personen besser angefügt wurde. Was die namen der personen an-
belangt, so sind sie alle bis auf einen erst von Hans Sachs in die
fabel eingeführt worden, und diesen einen namen, Pamphilus, den
der dichter dem Hans Folz entlehnte, gab er nicht, wie seine quelle,
dem kaiser, sondern dem jungen marschalk. Der grund ist sehr ein-
fach : Hans Sachs, wohl vertraut mit der römischen geschichte, wusste
ganz genau, dass es keinen kaiser Pamphilus gegeben hatte. Er
suchte sich daher in der langen reihe der Cäsaren den ersten heraus,
der den söhn zum naehfolger hatte, welch letzterer daher dem namen
nach bekannt war, und so waren die beiden namen Vespasianus und
Titus für unser stück gegeben. Die übrigen namen entlehnte Hans
Sachs seiner lektüre; Sophus ist vielleicht, was man bei Sachs öfters
findet, durch eine teiluug: Philo-Sophus gewonnen worden. Seltsam
nimmt sich unter den lateinischen namen der einzige deutsche, Die-
bolt, aus, offenbar aus der neigung entstanden, im namen Dieb-olt
gleich den Verbrecher zu kennzeichnen.
Wenden wir uns zum drama selber, so bietet uns der prolog,
d. h. die rede des 'Ehrnhold' (Herold) in der kurzen Inhaltsangabe,
die sie von der fabel bringt, die drei lehren getreu, auch in der reihen-
folge, nach Folz; er nähert sich dabei im ausdruck seiner vorläge;
man vgl.
H. Sachs. Folz.
Die erst Das erst: wer zu dem clote
Das er für keinen bitten sollt Mit recht verurteilt wurd . . .
Verurteilt, den man heucken wolt. Um des lebenn solt er nit pitteu.
Das eigentliche stück beginnt folgendermassen. 'Sophus der alt marschalck
geht ein mit seinem son', setzt sich und spricht:
Nun hör zu, lieber sone fein,
Es nahet sehr dem ende mein,
Die doctor der artzney gegründt
Haben mir mein leben abkündt.
Deshalb liab ich vor meinem endt
Schon verfertigt mein testament . . .
Nach meim todt wii'stu auch zu letzt
Marschalck wern an meiner stat,
Wie mir das. zugesaget hat
Der keyser
29*
436 STIKFKI.
So verlass ich dir gut iiiid ehr
Wil geben dir dazu drey lehr usw.
Darauf sagt 'Pampliilus, der son' nur:
Herr vatter, zeig au die lere deiu.
So wil ich dir gehorsam sein,
Dieweil und ich das leben han.
Nim folgen die lehren in derselben Ordnung wie im prolog und bei
Folz. Nach jeder lehre spricht Pamphilus zwei überflüssige verse, die
offenbar nur den zweck haben, einen dialog herzustellen, so z. B.
Ich folg" dir als ich billich sol,
Herr vatter erzel auch die drit.
Nachdem Sophus seine drei lehren angebracht hat, bittet er den söhn,
ihn zu bett zu führen, da er 'abkrefftig' sei. Der söhn 'fürt ihn ab',
indem er für die lehren dankt und sie zu halten verspricht.
Für die abhängigkeit des Hans Sachs von Folz im ausdruck
seien die nachfolgenden verse angeführt.
H. Sachs. Folz.
Das du . . . dein heimlikeit . . . Das er mit nichte
Gar mit nichte seiest vertrawen Sein weih der sach berichte
Zu eröifnen deiner ehefrawen. Die er in etil noch hete gar.
Gleich erscheint der kaiser 'mit seim hoffgsiud' setzt sich uud spricht :
Mein Pamphile, dein vatter ist todt . . .
Der selb uns wol gedienet hat.
Vor seinem endt er uns erbat
Dich marschalck an sein Stadt zu machen.
Er nimmt ihn daher zum marschalck, uud 'Pamphilus globt dem keyser' :
Aller großmechtigster keyser,
Des römischen reichs sighaffter reiser.
Ich wil mit hertzen, wort und tat
Der keyserlichen mayestadt
Mit aller-hochsten trew in aUen
Dienen
Hierauf erinnert Philippus, 'der raht', den 'keyser' daran, dass es zeit sei,
das mandat zu siegeln, das 'von wegen der Schätzung' ausgesandt werden solle.
'Sie gehen alle auss'.
Die bemerkung des Philippus 'von wegen der Schätzung' scheint dem bibel-
kundigen Sachs durch ev. Lukas 11, 1 eingegeben worden zu sein.
Dibolt erscheint nun und hält einen mouolog, worin er uns seine ganze
Schlechtigkeit enthüUt und zuletzt den eutschluss kundgibt, sich durch stehlen zu
ernähren. Pamphilus und der kaisersohn Titus werden sichtbar. Er will 'schawen',
ob er 'ir einem müg räumen die daschen'!
Titus gratuliert dem Pamphilus. Dieser dankt und versichert dem prinzen,
H, SACHSEXS DRAMA DER MARSCHALK MIT SEINEM SOHX UXD SEINE QUELLEN 437
der mit ihm 'von jugendt auff kindtweiss' erzogen worden ist, seiner treue. Nun
schleicht sich Diholt an Titus heran, nimmt ihm eine kette ah und entläuft. Der
berauhte schreit: 'Dihio, dihio' ; die trahauten Marus und Phedrus erscheinen, 'fallen'
den dieb 'an' und führen ihn mit bosliaften reden ah. 'Titus geht auch mit ah';
nur Pamphilus bleibt zu einem kurzen monolog zurück. Es tut ihm leid, dass der
dieb. 'ein schön gerade person', 'sol hangen'. Er will den kaiser bitten, ihn zu be-
gnadigen. Zwar hat ja sein 'vatter' ihn gelehrt, um keinen dieb zu bitten, aber
was soll es schaden, vielleicht möcht aus dem dieb 'werden ein biderman'. Hiermit
schliesst der I. akt.
Alle diese szeneii sind erfiiidiing- des Haus Sachs; nur zu deu
spöttischen reden der beiden trabanten zog er eine von ihm auch
sonst ausgiebig- benutzte quelle heran, den Esopus des B. Waldis.
Hier eine probe. Der trabant Phedrus ruft dem dieb spöttisch zu:
Schaw, weil du mausest also gern
Wirst abt bein dürren brüdern wern
Den segen geben mit den füsen.
B. AValdis in der 43. fabel des IV. bucbes seines Esopus, die Hans Sachs
bereits am 21. Oktober 1552, also fast vier jähre vor unserer Comedia,
in einem meisterlied nachgeahmt (Gloetze, Schwanke, nr. 819), sagt:
Wer . . . nicht kau . . .
Von böser gwonheit abelassen
Deu muß mau in ein kloster globen
Zun dorren brüdern hoch dort oben.
In der 32'^. fabel des IV, buches des Esopus, welche Sachs gleich-
falls, und zwar am 24. november 1552, zu einem meisterlied (Goetze,
nr. 829) verarbeitet hatte, lesen wir:
Der bischof must am galgen büssen
Da gab ern segen mit den füssen.
Im II. akt wird der dieb vom henker gebracht. Dann erscheint Pamphilus
und verkündet ihm, dass er beim kaiser ihm 'das leben erworben habe'. Er ermahnt
ihn, sich zu bessern und eine beschäftigung anzunehmen. Der dieb fällt auf die
knie und dankt ihm überschwenglich. Mit diesem letzteren zug schliesst sich
H. Sachs au Folz an, welcher ausdrücklich sagt: 'Der cam danckt im vil sere'.
Wenn aber Diboldt bemerkt: 'Schafft und gebiet mir wie cim knccht'! und der
junge marschalck ihn gleich als rcitknecht dingt und mitnimmt, so ist das ein ge-
schickter einfall unseres meisters, um deu dieb seiner vorläge noch besser in die
handlung zu verknüpfen. Sie gehen beide ab. Gleich heisst es wieder : 'Floria geht
ein mit irem gmahel Pamphile'. Er erzählt ihr von den ihm widerfahrenen ehren,
von der guust, die er am hofe geniesst beim kaiser und bei Titus.
Derhalb, mein gmahel ich beger,
Sie beid zu gast laden einmal.
438 STIEFKL
Sie ist (liuait einverstanden und zählt auf, was sie alles an Vorräten und goldenen
und silbernen geraten zu einer 'solch gastung' haben. Pamphilus erinnert sich aber
mit einemmal
. . . mein vatter verl)Ot sehr vast,
Das ich kein laden solt zu gast,
Der noch mechtiger wer, dann ich.
Floria glaubt jedoch, dass eine einladung nichts schaden könne. Habe es duch
auch nichts geschadet, dass er seines vaters erstes gebot gebrochen.
Da du erbatest von dem todt
Dibolt, unseren trewen knecht.
Sie erwartet vielmehr vorteil daraus,
du wirst
Ir beiden lieb, gunst und gnad mern.
Pamphilus' bedenken schwinden ; er entfernt sich, um den kaiser einzuladen, und
fordert Floria auf, dass sie alles 'auif das hast und köstlichst' zurichte. Sie ver-
spricht es und 'geht ab'.
Es ist nicht zu leugnen, dass die gründe, welche Floria für die 'gastung'
anführt, von H. Sachs gut ersonnen sind. In solchen kleinen zügen zeigt er immer
ein richtiges Verständnis.
Pamphilos, allein bleibend, will nicht nur den kaiser, sondern auch 'neben
ihm' den adel und des 'keysers rath' einladen.
Die ganze szene ist die sehr frei gehaltene ausführung der folgenden
Folzischen verse:
Dem andern pot gund er auch noch zu drachten
Unud sprach : thu ichs verachten,
Wem mag es nngeschlachten?
Ein groß wirtschafft er do zu rieht.
Er lud den keiser unnd sein herschaft gare.
Den n. akt beschliesst Dibolt mit einem monolog. Er klagt über die viele
ungewohnte arbeit, die er zu verrichten hat. Er will sich nun schadlos halten an
den 'guten bisslen', die er 'erzwacken' kann, und will sagen, 'sam habs ein katz
getan', und wo er eine flasche mit wein erwischen kann, da will er sein 'schuabel
hencken drein'. Plötzlich hört er 'hertrummen' : 'Der keyser kumbt mit groser zal.'
Er entfernt sich, denn er 'muss gehn zu helfen auff dem sal'.
Dieser geschickte monolog ist erlindung des H. Sachs.
Den UI. akt eröffnen die trabanten Marus und Phedrus mit einer Schilderung
des in jeder beziehung prunkhaften 'pauket'. Sie haben beide desgleichen noch nie
gesehen 'in keinem künigreich'. Plötzlich verstummen sie; der kaiser erscheint.
Ihn hat der neid erfasst über des marschalcks reichtum. Er befiehlt den beiden
trabanten, 'all güldene pocal' im saale zu nehmen und ins 'palatinm' zu tragen.
Er meint
Solch köstlichkeit uit haben solt
Ein ambtman, der nur ist ein knecht.
Für diese beiden szenen waren die nachstehenden verse des H. Folz vorl)ild
Do trug der marsclialck dare
AI schecz unnd cleynet zu gesiclit.
H. SACHSENS DRAMA DER MARSCHALK MIT SEINEM SOHN UND SEINE QUELLEN A'69
Do nun die wirtschafft nara ein ende
Der keiser reiche
Die cleynet nemen ließ behende
Alle geleiche
Unnd spracli : es zimpt keim diner sulcher schacze.
Floria kommt dann mit ihrem manne und klay't, dass die trabanten
All gülden scliewren und pocal
Und ander gülden gfes zumal
fortschleppen. Pamphilus 'furcht es geschali auss neid unnd liaß'. Das soll ilim
fortan 'ein witzung sein'. Er befielilt ihr, das Silbergeschirr zu verwahren. Allein
bleibend gesteht er, dass seines vaters lehre recht habe.
Nun wil ich ye versuchen mehr
Und sein driette lehr auch brechen
Sehen wer doch das selb wöll rechen.
In diesen versen herrscht Übereinstimmung mit Folz, welcher sagt:
. . . Auff das er auch das drit gepote
Seins vaters preche
Und solt er dorumb leiden note
Ob er sich reche.
Pamphilus verkündet uns,
Ich wil was sagen meiner frawen
Ir das verbieten, und wil schawen,
Ob sie das selb verschweigen tliu.
Diese intrigue inszeniert er genau vne Folz. Titus 'kumbt' und drückt dem
freunde sein bedauern aus wegen des gehabten Schadens. Den Pamphilus 'ficht es
eben nichsen an'. Er schreitet zur ausführung seines plans und verkündet dem
hohen freunde, dass 'ein weib vom adel hochgeborn In lieb gen' ihn 'entzündet
woru'. Auf die frage 'des keysers sun', 'Wer ist dann diese edle fraw'? reimt der
marschalck: 'Des graffen tochter von Andalaw'. Diesen namen hat wohl das
bedürfnis nach einem reim auf 'fraw' veranlasst. H. Sachs fand ihn vielleicht bei
J. Agricola {Sprichiv. 245). Er bedachte nicht, dass ein 'Graff von Andalaw' im
munde eines Römers zur zeit kaiser Vespasians ein böser anachrouismus ist. Doch
derartiges bietet Sachs ja oft. Der 'Marschalck' entwirft eine begeisterte Schilde-
rung von 'der zartn' und fügt hinzu:
Die hat dich gesehen mit sieg
Eeißen aus dem jüdischen krieg.
Als Titus fraijt:
Wie kündt es haben fug und stadt,
Da ich denn kummen möchte schier
Das ich inöclit heiiidicli <rehn zu ir?
440 .STIKFKI.
SO antwortet Pampliilus, er habe der 'zartn' ein 'liauß bestaudu', woriu sie iliii
lieimlicli empfangen wolle und wo er bleiben könne, 'als lang euch baiden offelt'.
Auch zu diesen ausführungen gab Folz die anregung. Dieser sagt z. b. :
Teglicli gund er den marschalck an zu fechten,
Wie sie ein sin gedechteii
Und schir zu wegen prechten,
Die zart die im do det gewalt.
Den hiuweis auf den 'jüdischen krieg' schöpfte H. Sachs aus Seb. Francks
Chronik oder Zeytbuch (1531) oder vielleicht aus He dies Übersetzung des Josephus
Flavius (1531) oder des Hegesipp (1532).
H. Sachs fährt fort : 'Sie gehen bald ab. Pamphilus kumbt, redt mit im selb' :
Ich hab der sach ein anfang gemacht
Und mit list den Titum bracht
Zu eiur gmainen metzen hinali,
Die ich schon auft'-gemutzet hab
Mit schöm gwandt, kettn und ringen,
Sie Unterricht mit allen dingen,
Wie züchtig sie sich haltn soll
Sam sey sie. hoch geadelt wol.
Bey ir bleibt er aufl's wengst drey tag,
Dieweil mein sach ich enden mag...
Ich wil gehn und ein kelblein schlachten
Und meiner frawen zeigen an
Sam hab ich einen mort gethan.
Lass schawen ob sies verschweigen wert.
H. Sachs folgte hierin Folz sachlich genau, indes frei im ausdruck; nur ein vers
führt direkt auf diesen zurück (oben durch Sperrdruck hervorgehoben). Folz sagt:
Der marschalck der wart dichten
Wie er sein sach mit fleiss volle nt.
Nach einer kurzen szene, die ich übergehe, kommt Pamphilus, 'tregt das blutige
kalb im sack' und gesteht seinem weihe ohne weiteres, dass er den kaisersohn er-
stochen habe. Auf ihre frage: 'Ach warumb hast du das gethan?' erzählt er ihr,
dass jener ihn mit schmachworten angetastet und ihn ins angesicht geschlagen
habe usw. Er fordert Floria auf, ihm zu helfen, den leichnam im keller zu begraben,
und bittet sie, die sache zu verschweigen. Sie gibt ihm das versprechen, und 'sie
gehen baide auss.'
In dieser szene hält sich H. Sachs weniger an Folz, dessen meisterlied gerade
hier recht dramatisch ist. Es zeigt sich hier, wie so oft in anderen stücken von
ihm, dass ihm die fähigkeit abgeht, dramatisch bewegte Szenen, leidenschaftliche,
rührende oder pathetische auftritte wiederzugeben. Bei Folz heisst es z. b.
Des marschalks weili das plut ersache
Vill laut sie schreie usw.
H. .SACHSEX8 DRAMA DER JIARSCHALIv MIT SEINEM SOHN UND SEINE QUELLEN 441
Der marschalck lässt sie erst schwören, ehe er ihr etwas anvertraut, und sie bricht
in wehklao;en aus, als sie das schreckliche aeständnis vernommen liat. Nichts von
allem dem bei Sachs. Die sache spielt sich so ruhig und trocken ab, als ob sie den
gleichgiltigsten handel beträte.
Xur in ein paar versen und reimen verrät der nachahmer seine quelle;
man vergleiche:
Sachs Folz
( t lass die sach bleiben bey dir Es gilt mir leib und leben
Es wais es suust niemandt dann wir ... die sach leit neur an dire
Es kostet warlich sunst mein leben Es weiss es nymandt dan wire.
Als sich beide entfernt, kommt Dibolt und klagt, dass 'das haus wenig fressens,
vil lauffens geit'. Floria, die dazukommt und ihn nach den neuigkeiten am hofe
fragt, erfährt, dass 'der keyser in grimmen zorn sein son Hess suchen uberal'. Sie
gibt Dibolt den auftrag, den tisch zu decken und allein bleibend, setzt sie sich und
äussert ihre furcht, 'das mordt kumb an den tag'. Sie kann den 'jamer nit ertragen' ;
sie will die sache ihrer freundin, die 'verschwigen trew und frumb' ist, mitteilen
und bei ihr 'trost und rath' suchen. Doch diese kommt eben selbst.
Für diese szene fand Sachs wenig bei Folz. Ebensowenig ist die folgende,
wo in rede und gegem-ede Floria der 'Sabella, ein gmahel Pliilippi', unter dem siegel
der Verschwiegenheit alles erzählt und dann mit ihr fortgeht, um zu hören, was man
xmterm volk über die sache redet, dem Folz entlehnt. H. Sachs, der sich so recht
in die Situation versetzen kann, verfährt hier selbständig.
Den IV. akt eröffnet Philippus. Er ruft seine frau und erzählt ihr vom ver-
schwinden des kaisersohnes Sabella verschw^ätzt sich und teilt dann ihrem manne
unter der bedingung, 'kein wort zu sagen darvan', die geschichte mit. Philippus
hält es für seine pflicht, den kaiser zu benachrichtigen, denn 'des keysers aid' gilt
ihm viel mehr als sein versprechen. Nun will Sabella wenigstens 'Paraphilum warnen
than das er geb die flucht'. Der gefährdete befindet sich indes ruhig in seinem
hause und versichert seiner frau, es sei noch alles still, als plötzlich die trabanten
kommen, ihn verhaften und auf seine frage warum? antworten: 'das wiss wir nicht'.
Gleich erscheint der kaiser mit Philippus und einem herold und spricht
dem vermeinten mörder sein urteil: tod am galgeu. Als motiv der tat mutmasst
er: 'vielleicht das ich sein gülden credentz im nam'. Ein nicht übler zug des Sachs.
Sofort wird der marschalck geliracht; der kaiser fälirt ihn an, und Pamphilus ver-
teidigt sich recht zweideutig. Der kaiser befiehlt, den mörderischen 'bösswicht' 'in ein
tieften thurm' zu legen, bis sich ein 'nachrichter' finde, und gibt dem herold den
auftrag, in der Stadt zu verkünden, dass, wer 'den schentliug marschalck wöl
hencken', der solle lOü dukaten erhalten. Philippus, dem der monarch seinen schmerz
über den Verlust des trefflichen sohnes klagt, tröstet ihn mit der bemerkung, er
könne nicht recht an den tod des jungen herru glauben; er schlägt vor, in den
tenipel .Jovis zu gehen, 'der als zum besten wenden kon'.
Dibolt beschliesst, wie den II., so den IV. akt mit einem monolog. Er hat
die Verkündigung des herolds gehört, und es gelüstet ilin, die 100 dukaten zu ver-
dienen. Es halte 'doch niemandt nichts' von ihm, weil er zum galgen verurteilt
gewesen. Art lasse nicht von art. 'Wo nit so hart mein lierr im zaumb mich reiten
thet, lengst ich wider zu-griifen lief. Er lohne ihm sclik^cht, 'gleicli wie der teuffei
442 STIEl'EI.
seinem knecht'. Aber, fälirt er zu seiner rechtfertigung fort, er halte ihn oft 'ange-
schnarrt', ihn oft 'hönisch' angesprochen, nnd dafür wolle er sich 'mit fueg an
ihm rechen'.
Der ganze akt ist erfiudung des H. Sachs und meines erachteus nicht der
schlechteste teil des Stückes. Zu kleineu guten zügen bekundet der meister ent-
schiedenes talent.
Die sprichwörtliche redensart 'Er lohnt ihm wie der teuM seinem knecht' er-
läuterte Sachs bereits am .81. mai 1539 in einem schwankhaften nieisterlied 'Der
teufel mit dem spieler'.
Mit dem V. akt verfällt H. Sachs wieder in die nachahmung des H. Folz.
Wenn der dichter gleich anfangs den kaiser anwesend sein lässt, während Folz
und der Kitter von Thurn ihn fernhalten und den verurteilten später zu ihm ver-
bringen lassen, so geschah das aus einem berechtigten grund: im Interesse der
Ökonomie des Stückes. Der kaiser beginnt den akt, indem er den trabanten befiehlt,
den marschalck zu bringen, 'den unendtlichen laster-balck'. Während die trabanten
sich entfernen, befragt der kaiser den herold, wen er 'zu einem nachrichter erweld'
habe. Der herold berichtet, dass 'das ambt wolt niemandt nenien an'. Man thet sich
des marschalcks erbarmen ; er habe zuletzt kaum einen mann gefunden, 'der sich
des ambts hat gnummen an'. Gerade jetzt erscheint der marschalck, und der kaiser
befiehlt dem nachrichter, 'den schedlich mörderischen man' anzugreifen und zu
henken. Da Diboldt, der henker, hinzutritt, erkennt ihn Pamphilus und ruft:
Dein böse art, die sey verflucht. . . .
"Weil iederman verschonet mein,
So wiltu selber hencker sein,
Das ich wert von deiur handt gethödt?
Und Dibolt erwidert frech:
Sag wer bat dich darzu genöht etc.?
Das alles ist, auch im Wortlaut, getreu nach Folz :
Er sprach: verflucht sey ewiglich dein stame . . .
So iderman mich ledig let
Unnd du allein denn gerest toten
Der dich erneret.
Der posswicht sprach : wer det dichs noten ?
Pamphilus erzählt nun den anwesenden von den drei lehren seines Viiters
und erklärt dem kaiser, sein söhn lebe. Zugleich gibt er an, wo er zu finden sei.
Er gesteht, dass die lehren seines vaters alle begründet seien; er wolle sie künftighin
beobachten. Titus, von den beiden trabanten geholt, tritt auf, wird vom kaiser um-
armt, und nach seinem verbleib gefragt, bemerkt er: 'Ich hab die höchsten freud
eingenummen'. Jetzt drückt das gewissen den marschall ; dem kaiser zu füssen fallend,
bittet er:
Wölt mir die that verargen nit,
Die ich im besten hab gethan ;
AVan es sol ie ein junger man
Erforschen und erfaren vil.
H. SACHSENS DllAJIA DER MAUSCHALK MIT SEINEM SOHN UND SEINE QUELLEN 443
Der kaiser pflichtet dieser sehr bedenklichen moral bei und übergibt den söhn
seiner 'freundtschaift und hut, das er auch nachtracht der weissheit', bestätigt den
marsch all für immer in seiner würde und heisst die trabanten 'den trewlosen dieb
an galgen hangen'. Dem Pamphilus will er aber 'die credentz' wieder zustellen
lassen, welche er ihm abgenommen hat. Dann sollen alle in den tempel Jovis gehen,
Der alle ding weiss und erkenndt,
Unser trawiigkeit hat gewent
Zu einem gutseligen endt.
Zu dieser letzten szene hat Folz wenig auregung geboten. H. Sachs ging hier,
sehr zum nachteü. der moral, seine eigenen wege. Bei Folz fragt der kaiser den
sehn nicht, wo er gewesen, und der marschall hat daher keinen anlass, seine sehr
verwerflichen, am prinzen ausgeübten Verführungskünste zu verteidigen. Bei Sachs
ist die Verteidigung fast noch schlimmer als die tat selber. Übereinstimmung
herrscht bei ihm jedoch mit Folz in der rückgabe der 'cleineth'.
Der epUog oder die schlussrede des Elirnholdts, die gewöhnlich die moral des
Stückes verkündet, ist eine wdederholung der drei lehren — wir hören sie damit zum
vierten mal — , wozu wahrscheinlich die von Folz seiner erzählung angehängte moral
den anstoss gab ; denn auch bei diesem werden nochmals die drei lehren breit-
geschlagen. Obwohl der jüngere dichter sich bemühte, im ausdruck von seinem Vor-
gänger unabhängig zu sein, so ertappen wir ihn doch auf ein paar wörtlichen be-
nützungen; man vergleiche:
Sachs. Folz.
Wo ist entwicht haut unde haar ... wo haut und hör ist gancz vernichte.
Da wirt kein guter peltz nit auss. Do wirt der pelcz entwichte.
Derhalb die frawen tragen leider Wann weib haut kurczenmut und lange clei der
Einkurtzenmuthundlangekleider. Unnd ist ein deutung leyder usw.
Fasse ich alles vorangegaiig-ene kurz zusaiiinien, so glaube ich
erwiesen zu haben, dass Hans Sachs für seine Comcdia das meister-
lied des Hans Folz zur vorläge hatte. Dieser vcrsion, und nicht der
des Ritters von Thurn und des Joh. Agricola, folgte er in der fabel
und im aufbau der handlung, wobei er allerdings auch oft seine
eigenen wege gieng. Mehrere male nähert er sich ihr auch im aus-
druck. Daneben verwertete er auch sonst kleinigkeiten aus dem schätze
seiner belesenheit.
Welche gründe veranlassten ihn aber, der version des Folz vor
dem Ritter von Thurn und dem Agricola, die er seit jähren kannte
und bereits mehrfach benutzt hatte, den vorzug zu geben? Hierüber
lassen sich nur Vermutungen aussprechen. Vielleicht billigte er nicht
die erste lehre der beiden, von einem höheren kein amt anzunehmen.
.Sachs sah in der Übernahme eines amtes, das man zum nutzen des
444 STIEFEL
g-cmeiuwesens ausfüllte, nichts nnvernünftig-es und unrechtes. Sicher
misstiel ihm auch die grässliche behaudlung-, welche der junge Cato
dem kaisersohne angeblich zuteil werden liess. Dann war er ein zu
guter kenner der römischen geschichte, um nicht zu wissen, dass das,
was von Cato in beiden Versionen erzählt wird, weder auf den älteren
noch auf den jüngeren träger des namens passte. Vielleicht reizte
es ihn endlich, den stoff gerade so zu verarbeiten, wie ihn der alte
Nürnberger meister, der von ihm verehrte Hans Folz, geformt oder
überliefert hatte.
Nebenbei könnte ja H. Sachs auch die beiden anderen Versionen
benutzt haben, doch lässt sich dies nicht mit völliger Sicherheit
entscheiden. Im allgemeinen entspricht es ja durchaus den gepflogeu-
heiten des meisters, für seine dichtungen, zumal für die längeren, aus
mehreren quellen zu schöpfen und, falls verschiedene Versionen einer
und derselben fabel vorlagen, alle zu benutzen und zu kontaminieren ;
aber er konnte auch einmal eine ausnähme gemacht haben. Und so
kann ich nur mit vorbehält ein paar stellen namhaft macheu, in denen
der meistersänger dem Job. Agricola oder dem Ritter von Thurn ge-
folgt zu sein scheint.
Im II. akte, als Dibolt zur richtstätte geschleppt wird, ruft er aus:
Herr gott, wil sich deuu niemandt raeiu
Als eines verurth eilten armen
Durch eine trewe fürbit erbarmen?
Dieser zug findet sich weder bei Folz noch im Ritter von Thurn;
aber bei Agricola heisst es:
r
'der dieb ruifet zu yhm vmb gnade' usw.
Im III. akte, als Floria von der heimlichen bergung des ver-
meintlich getöteten kaisersohnes zurückkommt, heisst es bei Sachs:
Floria setzt sich, spricht :
Erst bin mit hohem leid ich bsessen . . .
Ich kan mein jamer nit ertragen,
Ich wils gelin meiner freundin klagen.
Diese kommt aber selbst und spricht:
Mein Floria, was gebricht dir,
Das du sitzt also sehre betrübet.
Dein hertzenleid hilff icli dir trafen
H. SACHSENS DRAMA DER MARSCHALK MIT SEINEM SOHX UND SEFNE QUELLEN 446
Bei Agrieola lesen wir:
Die fraw erschrickt der rede viel i setzt sich auff eiueu winckel vnd tregt
leyde vnd weinet sehr vud schicket nach yhrer gespieleu . . . vnd . . . dise . . . spricht:
Ach sage mir liebe g-espiele | was dir angelegen sey | denn ich sihe | es gehet dir
etwas zuhertzeu.
Etwas dementsprechendes findet sich weder bei Folz noch im Ritter
von Thurn.
Ferner sagt Hans Sachs in der schlussrede des Ehrnholds:
Wie manch weib bass schweigen kan
Die heymligkeit
Der aber ist an massen wenig.
Agrieola sagt:
Denn obs wol seltzam ist schweygen vnter den weyberu
so findet man doch auch weyber die schweygen kondeu.
Was den Ritter von Thurn anbelangt, so mJJchte man glauben,
dass Sachs sich seiner erinnerte, als er Pamphilus in der schlussszene
nochmals dem monarchen gegenüber die drei lehren seines vaters dar-
legen und die üblen folgen ihrer nichtbeachtung betonen lässt, ein
motiv, das bei Folz und Agrieola fehlt. Gross ist auf alle fälle die
einwirkung von Agrieola und Ritter von Thurn nicht, und wir müssen
unser drama zu jenen dichtungen des meisters zählen, in denen er
von kontaminationen wenig gebrauch machte.
Da der nachweis der quelle der eigentliche zweck dieser Unter-
suchung ist, so will ich mich auf eine ausführliche beurteiluug des
Hans Sachsschen dramas hier nicht einlassen und nur ein paar be-
merkungen anschliesseu.
Obwohl 'Der marschalk mit seinem söhn' noch zu den weniger
misslungenen unter den grösseren dramen des dichters zu zählen ist,
so enthält er doch alle die schwächen und mängcl, welche an seineu
komödien und tragr»dien von der kritik gerügt werden. Hans Sachs
war für beide gattungen nicht geschaffen. Am besten lagen ihm
der derbe bürgerliche schwank und das fastnachtspiel. Überall in
unserem stücke, wo sich die Situation diesem nähert, ist er erträglich,
darüber hinaus versagt seine kunst-, alles ist unbeholfen und hölzern
und zeigt kaum einen ansatz zur wirklichen dramatischen behandlung.
Von einem angemessenen, lebendigen dialog, der sich je nach den per-
sonen und der Situation abstuft und nuanciert, von einer wirksamen
Charakteristik der personen, vom verschlingen und lösen der fäden
der handlung, von einer Verwendung der leidenschaft hatte der biedere
446 VAN IIKLTKN. NOCH EINMAL ZUR ETYMOLOGIE VON 15RAUT
meister kaum eine alinung. Dazu koinint, dass er sich in dem stück
nicht zu der moralischen höhe aufschwingt, die sonst gerade in seinen
tlramen zu finden ist.
Aber in einzelnen szenen, in kleinen zügen ist der dichter, wie
■\^i^ oben sahen, oft recht glücklich und zeigt uns, dass er nicht ein-
fach handwerksmässig seine erzählende vorläge auf akte zuschnitt,
sondern dass er mit Überlegung verfuhr, dass er bemüht war, einen
Zusammenhang unter den einzelnen teilen der handlung herzustellen
und das tun und lassen der personen zu motivieren. Sichtlich tritt
bei ihm auch das bestreben hervor, alles überflüssige, seien es nun
personen, sei es handlung, seien es reden, zu vermeiden. Wohl sind
die meisten personen in seinem drama blosse Schemen ; aber eine aus-
nähme bildet Dibolt. Diese spitzbubenfigur hat Sachs nicht ohne ge-
schick gezeichnet und gut in die handlung verwoben : wiederum ein
fingerzeig, in welcher richtung die dramatische befähigung des meister-
sängers zu suchen ist.
MÜNCHEN. ARTHUR LUDWIG STIEFEL.
MISZELLEN.
Noch einmal zur etymologie von braut.
S. 132 ff. dieser Zeitschrift beanstandet Kauffmauu aus sachgeschichtliclieu
gründen die fassung von brnd = 'quae concumbit cum viro', deren berechtiguug
bereits Beitr. 34, 561 ff. und 85, 306 ff. aus etymologischen gründen bezweifelt wurde.
Durch dankenswerte Zusammenstellung folkloristischer berichte hebt er sodann a. a. o.
hervor, dass die junge frau gewissermassen als adoptivtochter in die familie des
ehemanns aufgenommen wurde ^. Wenn aber besagter forscher mit rücksicht hierauf
(s. 137 f.) annehmen möchte, dass brücl als suppletives femininum zu eidam zu gelten
hätte und letzterer name auf die durch einen eidschwur vermittelte aufnähme des
verlobten mannes in die sippe der haustochter hindeuten sollte, dass mit andern
w^orten für die deutung des fem. verwandtschaftsnamens von einer grundbedeutung
'adoptivtochter' auszugehen sei, so dürfte diese folgerung meines erachtens nicht
unbedenklich erscheinen. Die beregte deutung von eidam Hesse sich eben rechts-
geschichtlich gar wenig begründen -. Und etymologisch ist brüd doch wohl kaum
1) Hervorzuheben sind auch die von K. (s. 180) im anschluss an Sohras rechts-
geschichtliche forscbungen betonten termiui gemalwlo, -a, sponsus, -a = 'neuver-
mählte(r)', eig. 'durch Wiederholung der Verlobung, die traditio secunda, getraute(r)'.
2) Es wäre der name nach aulass der von K. (s. 137) ans Heinricli v. Freibergs
Tristan zitierten stelle als 'durch der sippe der Jungfrau geleisteten schwur ver-
pflichteter' zu fassen.
n
EIEKMAXX, CASPAR STIELER ALS DICHTER DER GEHARXSCHTEN VENUS 447
ZU trennen von aksl. bra-kr 'ehe' : aksl. a aus für öu stehendem ö (vgl. Brugmanns
Grdr.- 1, § 223 und IF. 23, 99), dein auf germanischem Sprachgebiet der stammlaut ent-
spricht von in ahd. gU. als bezeichuungen für 'nurus, bruta' überlieferten brot und
proiitun, -on (prototjp trö-di- ; wegen 6 = uo und wegen oa aus ö, sowie wegen
-iin, -on aus -im7 s. Beitr. 35, 307 f. ; für die semantische eutwicklung des ursprüng-
lichen verbalabstraktums wäre au 'durch verehelichung [nicht durch gehurt] er-
worbene tochter' zu denken, doch ist mit rücksicht auf das unten über hrüps etc.
'nurus' bemerkte auch die möglichkeit nicht zu übersehen von alter [nicht über-
lieferter] bedeutuug 'junge ehefrau') : brnd, brtit, bryd etc. mit zu öu im ablaut
steheiulem vokal (vgl. auch den ital. beinamen der Venus, Frütis oder Frutis).
Die Beitr. 32, 30 ff. und 35, 306 anm. nachgewiesene bedeutuugen 'braut am
hochzeitstage bzw. während der (über mehrere tage) verteilten hochzeitsfeste' und
'junge ehefrau' (vgl. auch die in Zs. f. d. wortf. 1, 240 ff. belegten mgr. ßpoÜTig, ßpouxr;
'junge frau') lassen sich anstandslos aus ,ehe' herleiten (= 'die sich durch bevor-
steheude oder vor kurzem erfolgte verehelichung kenuzeichneude' ; vgl. auch zu
krimgot. marzus 'nuptiae' zu stellendes lit. martl 'braut am hochzeitstage' und
'junge frau').
Auf diese semantischen basen aber sind die anderen Beitr. 32, 30 ff. für unser
wort hervorgehobenen bedeutuugen gar leicht zurückzuführen:
'Schwiegertochter' (vgl. got. brüps, sowie aus germ. muudarten entlehnte
franz. brat, bru, rhätoroman. brit, breit, mlat. brutis, bruta und beachte Beitr. 35, 309 f. ;
auch lit. martl = 'Schwiegertochter') durch Verwendung des 'junge frau' bezeich-
nenden nomens in bezug auf die eitern des jungen gatten (wegen des gegen-
stückes, bru dial. und nurus auch für 'junge frau', vgl. Beitr. a. a. o.) ;
'gattin im allgemeinen' (as. ags. an. mnd. uud im älteren ndl.) durch kompa-
rative Übertragung des wortes auf eine bezüglich des vermähltseins mit einer jungen
ehefrau zu vergleichende person;
•illegitime beischläferin' (mnl. mhd.), worüber Beitr. 34, 562 f. ;
'weih im allgemeinen' (in aisl. poesie, Beitr. 32, 5'2) durch analogie des für
'mulier' und 'uxor' geltenden nomens kona-^
'verlobte' durch (in jüngerem hd. und gelegentlich auch in däu. und ndl.
poesie zu beobachtende) komparative Übertragung des 'braut während der hochzeits-
feier' bezeichnenden wortes (beide bedeutungen begegnen sich in bezug auf die
bevorstehende ehe);
'Jungfrau, mädchen' (meng.. Mätzner, Sprachpr. 2, 1,350 f.) durch sclimeichelnd-
höfliche Verwendung des eig. 'junge frau' bezeichnenden ausdrucks.
GRONINGEN. W. VAN HELTEN.
Caspar Stieler als dichter der (reharuschten Venus.
Man hat bekanntlich lange, nach Eeifferscheid (AUg. deutsche biogr. 33, 443)
seit .Job. Mollers (1661-1725) Cimbria literata (1744), die 'Gojiarnschtc Venus' Jaeol)
Schwieger zugeschrieben, bis endlich A. Köster in seiner Untersuchung 'Der dichter
der Geharnschten Venus', Marburg 1897, Caspar Stieler die autorschaft überzeugend
zuwies. Nach Köster (a. a. o. 113) hat Stieler selbst später seiner liedersammlung
mit keiner silbe gedacht. Doch findet sich in einer nach seinem tode erschienenm
aufläge eines seiner werke eine angäbe, durch die Kösters beweisführung, ohne
448 GKHHARDT
dass ihm ansclicinend dieses zeiiguis bekannt gewesen war, auf das glänznidste
bestätigt wird. Der 4. aufläge von 'Des Spaten, oder Caspar Stielers Teut-
scher Secretariat-Kunst', Frankfurt a. M. 1726, hat der herausgeber Joachim Friederich
Feller, fürstl. sächsischen gesammten gerichts-secretarius zu Weimar, eine 'Nachricht
von weiland Herrn Hof-Rath Stielers Leben und Schrifften, wie auch von der jetzigen
veränderten Auflage seiner Secretariat-Kunst' vorausgeschickt, die Weimar, den
30. Jan. 1726 datiert ist. Darin heisst es :
Seine Schrifften hat man in folgendes Verzeichnüss gebracht.
1. Disputatio de Calido innato.
2. Filidors, des Dörfeners, geharnischte Venus (so er in
Brandenburgischeu Kriegs-Diensten gemacht, und dessen
Inhalt mehrentheils in Liebes-Liedern bestehet) ist zu
Hamburg in länglicht Duodez mit beygefügten Melo dien
gedruckt.
Es fehlt also die angäbe des erscheinungsjahres, 1660, und ausserdem ist das ana-
gramm 'Dorfferer = Erfforder' (Köster s. 90), vielleicht durch blossen di-uckfehler
oder weil man es nicht verstanden, verunstaltet. Jedesfalls ist es bedeutsam, dass
noch 66 jähre nach dem erscheinen der lieder, die nur eine aufläge erlebten
(Köster s. 6), und 19 jähre nach des dichters tode der wahre autor allgemein
bekannt war oder es jedesfalls durch die angäbe Fellers wurde. Nur dem um-
stände, dass alle diese voluminösen kanzleibriefsteller des 17. Jahrhunderts (die
erste aufläge von Stielers Secretariat-Kunst erschien nach Feiler Nürnberg 1678,
nach Schröder ADB. 36, 202 a. 1673) völlig in Vergessenheit geraten sind, ist es zu-
zuschreiben, dass noch der neudrack der Geharnschten Venus (Braune nr. 74—75,
1888) Jacob Schwieger auf dem titel fiihrt und Kösters Untersuchung nicht über-
flüssig war. Denn Edw. Schröder führt zwar in den literaturangaben zu Stieler
(ADB. 36, 203) Fellers vorbericht an, ohne jedoch die Geharnschte Venus zu
erwähnen, obwohl sie schon von Eeitferscheid (a. a. o.) Schwieger mit bestimmtheit
abgesprochen war. Hätte Schröder den vorbericht beachtet, so wäre wohl schon
durch ihn vier jähre vor Köster die von Reifferscheid aufgeworfene frage gelöst
oder doch auf die richtige spur gebracht worden, da immerhin Fellers angäbe an
sich nicht beweiskräftig gewesen wäre.
KIEL. W. EIERMAXN.
LITERATUR.
Die 1 e h n w ü r t e r des a 1 1 w e s t u o r d i s c h e n. Von Frank Fischei-. [Palaestra.
L'ntersuchungen und texte aus der deutschen und englischen philologie, heraus-
gegeben von Alois Brandl, Gustav Roethe und Erich Schmidt. LXXXV.] Berlin,
Mayer u. Müller, 1909. VUI, 234 s. 6,50 m.
Der Verfasser betrachtet in seiner fleissigen arbeit die lehnwörter des altwest-
nordischen unter zwei gesichtswinkeln : im ersten, als Berliner dissertation auch
gesondert erschienenen teile nach ihrer herkunft aus dem irischen, englischen,
niederdeutschen, slawischen, lateinischen, romanischen, mit einem ersten kapitel über
vorgeschichtliche lehnwörter und einem anhang über solche unbekannter herkunft
I
ÜBER FISCHEK, DIE LEIIXWOItTEll DES ALTWESTNORDISCIIEX 449
und Über die gelehrten lehuwörter in den aufzählungen von Imti in der Snorra
Edda. Dabei sind diejenigen aus dem lateinischen in drei getrennten kapiteln vor-
geführt, je nachdem sie über das englische oder das niederdeutsche oder unmittelbar
aus dem mittellateinischen übernommen sind.
Im zweiten teile werden die lehuwörter noch einmal vorgenommen und nach
ihrer Verteilung in literaturwerken und -gattungen betrachtet.
Es ist ein gegenständ, der wohl der Untersuchung wert war, denn einmal
können wir nach ihrem vorkommen in datierten denkmälern nun auch die zeit der
aufnähme für manche lehnwörtergruppen feststellen, und umgekehrt können auch
die lehuwörter wichtige hinweise geben für die zeitliche festlegung bisher nicht
datierbarer werke.
Ein einleitendes kapitel behandelt die vorgeschichtlichen lehuwörter oder
vielmehr die vermeintlich vorgeschichtlichen lelmwörter. Denn Fischer verweist ein-
zelne davon, z. b. tiald. wohl mit recht unter die heimischen Wörter. Ob er hierin
nicht noch weiter hätte gehen dürfen? So will mir z. b, gar nicht einleuchten,
dass der pflüg, altn. pUgr, unter die ,kulturwörter unbekannter herkunft' gehören
soll. Wenn auch Plinius von dem keltischen räderpflug ploum spricht, so ist damit
meines erachtens noch gar nicht bewiesen, dass nun die Kelten den wendepflug
auch erfunden haben, und nicht vielleicht die Germanen. Ich glaube, gerade je
weiter im norden und in minder fruchtbarem lande ein volk gewohnt hat, um so
eher musste es darauf bedacht sein, ein Werkzeug zu erfinden, das den kärgeren
boden tiefer aufschürfte, als mit dem kümmerlichen hakenpflug, altn. arßr, möglich
war. Fischer begeht nämlich auch den allgemeinen Irrtum, auf den ich schon an
anderer stelle hingewiesen habe, den altn. arßr als pflüg überhaupt anzusehen. Es
bezeichnet dieses wort aber bloss den hakenpflug, der noch lange nach erfindung
des mit moldbrett versehenen wendepflugs diesem als ein vorpflug, ein blosser sech-
pflug, vorangieng (in einzelnen gegenden noch jetzt vorangeht), bis schliesslich im
modernen pflüg beide vereinigt wurden ^
Wie fast in allen sprachen, so können wir auch im awestn. gelegentlich ein
und dasselbe lehnwort in verschiedener form finden, je nach den verschiedeneu
kulturströmen, mit denen es in die spräche gekommen ist. So erscheint z. b. das
latein. abbas als dböU übers ags. und als abhäti übers niederdeutsche eingeführt.
Manchmal kann mau auch der wortform nicht ansehen, auf welchem wege
die entlehnung stattgefunden hat, so kann z. b. minta 'minzc' aus lat. mentha eben-
sogut übers ags. wie übers ndd. aufgenommen sein.
Da die herkunft der lehuwörter nach sprachen zugleich auch mittelbar die
Zugehörigkeit zu bestimmten kulturkreisen widerspiegelt, so war es schon aus
diesem gründe durchaus richtig, die lateinischen lehuwörter in die oben angegebenen
Unterabteilungen zu zerlegen. Allein da erhebt sich die frage : warum ist nicht mit
den über das keltische, insbesondere irische, entlehnten lateinischen Wörtern ebenso
verfahren worden? Wenn beispielsweise s. 51 sokkr 'strumpf < lat. soccus oder
stallari 'marschall' < lat. stabularius (ae. socc und steaUere) nicht als altenglische,
sondern als englisch-lateinische lehnwörter aufgeführt sind, so sehe ich nicht ein,
warum s. 18 bagall 'krummstab' < lat. baculus oder bi/niak 'segen' < lat. benedictio
als irisch zu gelten haben und nicht vielmehr als irisch-lateinisch. Irisch bachall
1) Vgl. K. Braungart in H. Thiels Landwirtschaftlichen Jahrbüchern, bd. 2tj,
Berlin 1897.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 30
450 GKÜHAUDT
oder bennact sind doch kaum stärkere cntstellungeu dieser Wörter als ae. steallere
von stabularius. Freilich wäre dann das ohnehin sehr schmächtige kapitel der
irischen lelinwörter noch mehr zusammengeschrumpft. Dann möchte ich ein grosses
fraü'ezeichen hinter Franks satz machen 'Nur wenige irische lehnwörter sind im
an. wirklich lebendig.' Ich glaube, eine tiefere aufschürfung des materials, das
Alexander Bugge in 'Vesterlandenes indflj-delse', besonders s. 255 ff., geliefert hat,
hätte doch noch mehr zutage gefördert. Auch eine von Fischer freilich grundsätz-
lich ausgeschlossene quelle hätte da noch manches erschliessen können : das neu-
isländische und das fieröische, sowie die lebenden norwegischen mundarten. Es ist
m. e. gänzlich ausgeschlossen, dass ins isländische irische Wörter später aufgenommen
worden sind als in der zeit der irisch-isländischen Wechselbeziehungen, da die
isländischen grossen oft längere zeit auf Irland lebten, und da sie irische knechte
und irische geliebte mit nach Island brachten. Ein wort wie slavak, im fseröischen
'ulva maris viridis' (Indfl. s. 359), im isländischen durcheinander wachsende poa
annua und stellaria-arten * bedeutend, aus irisch slahhagan 'eine essbare taugart',
kann doch nur in jener sozusagen zweisprachigen zeit aufgenommen worden sein
und ist heute noch lebendig.
Umgekehrt aber hätte das wort minßak n. 'eine speise' wohl ausgeschaltet
werden sollen. Denn es kommt ja nur an der einen stelle Ldn. I, 6 vor, an der
ausdrücklich erzählt ist, dass es irische knechte waren, die mehl und butter zu-
sammenkneteten und in ihrer spräche minßak nannten. Dass danach die isländische
örtlichkeit 3Iinßakseyrr genannt wurde, an die das von ihnen über bord geworfene,
schimmlig gewordene ininßjak an land trieb, das beweist hier doch gar nichts für
aufnähme des Wortes in die isld. spräche.
Dann hätten viel eher solche Wörter aufgeführt werden sollen, die wie irisch
goba 'schmied' als beiname des Kttill giifa ins isld. aufgenommen worden sind- und
in namen wie Gufuskälar, Gufd, Gufudalr, Gufafiordr fortleben.
Da Fischer 'Vesterlandenes indflj-delse' selbst benutzt hat, hätte er versuchen
sollen, von professor Alexander Bugge das s. '255 erwähnte Verzeichnis keltischer
lehnwörter zur einsieht zu erhalten, das dessen vater angelegt und Whitley Stokes
durchgesehen hat. Ich bin überzeugt, dass dann sein kapitel über irische lehnwörter
ganz anders aussehen würde.
Auffällig ist das vollständige fehlen eines kapitels über lehnwörter aus den
finnisch-lappischen sprachen. Nur hinter der aufführung der slawischen lehnwörter
finden wir auf s. 45 die kurze bemerkuug, dass Gudbrand Vigfüsson für askraki,
gälkn, gainmi, hreinn imd gndnrr lappischen Ursprung vermutete, ohne dass Frank
sich weiter darüber auslässt.
Begreiflich ist aber dieses fehlen aus zwei gründen. Einmal ist ja doch die
germanische kultur der finnisch-lappischen weit überlegen, so dass auch die germa-
nischen sprachen die gebenden, jene die nehmenden waren, und dann ist ja auch
die awestn. literatur, Franks ausschliessliche quelle, fast durchweg isländisch, ent-
behrt also seit Jahrhunderten vor dem einsetzen der niederschrift der Wechsel-
beziehungen zu den Lappen.
Überhaupt hat ja der Verfasser so gut wie gar keine norwegischen, sondern
ausschliesslich isländische quellen benutzt. 'Die Biskupasögur, sagt er s. V, blieben
.1) Stefan Stefänsson, Flora Islands, Kph. 1901, s. 53.
2) [Vgl. jedoch Aarb. 1907 s. 328. H. G.]
ÜBER FISCHER, DIE LEHNWÖRTER DES ALTWESTXORDISCHEX 451
mit der üblichen geistlichen literiitiir, sowie den rechtsbücheru, gelehrten Schriften
und Urkunden fort'. Das ist ein grundfehler. Freilich wollte - und vielleicht
sollte - Frank nicht ein unendlich dickes buch liefern. Allein bei dieser beschrän-
kung durfte er seine arbeit nicht mit einem titel bezeichnen, dessen bestimmte
artikel den anscheiu der Vollständigkeit erwecken. Gerade die Urkunden und rechts-
bücher hätten besonders gut erkennen lassen, wie weit lehnwörter schon volkstüm-
lich waren, und wenn Snorra Edda behandelt ist, so sieht man nicht ein, warum
andere gelehrte literatur, vor allem der Königsspiegel, ausgeschlossen ist. Bedauer-
lich ist auch, aber ohne schuld des Verfassers, dass er die jetzt eben im 'Samfund'
erscheinende Remundar saga keisarasonar nicht mehr benutzen konnte, die von
lehnwörtern der verschiedensten art geradezu wimmelt.
Es ist, rein menschlich betrachtet, recht wohl zu verstehen, dass der Verfasser
im zweifei ein wort lieber als unter sein thema fallend betrachtet hat als umge-
kehrt. So hält er z. b. unter den lehnwörtern unbekannter herkunft s. 91 piltr,
genta , pika , stulka für 'eine gewiss entlehnte gruppe', während ich schwerlich
an entlehnung glauben könnte, auch wenn ich nicht dabei bemerkungen läse wie
'nach F. T. heimisch'.
Auch an den uunordischeu lau tverbin düngen in di/nkr, Jilunka, hranki
brauchen wir uns kaum zu stossen. Sie sind wohl junge bildungen mit lebendigem
Ä-suffix - vgl. Hellqvist, Arkiv 7, 142 ff. — , die sich infolge des etymologischen
bewusstseins der Wirkung des lautgesetzes nk > kk entziehen. Was insbesondere
sinkr 'habsüchtig, karg' betrifft, so halte ich es für ein vom subst. sinka 'habsucht,
eigenliebe' abgeleitetes adjektiv, und das subst. sinka dürfte wohl eine abstrakt-
bildung vom possessivum s/n mittels des Ä-suffixes sein.
Auf keinen fall möchte ich syll, sylla 'schwelle' als ein englisch-lateinisches
lehnwort aus lat. solea auffassen, wie Fischer § 29, s. 51 tut. Wir haben es liier
ganz einfach mit einer ablautsform zum verbum sivellnn zu tun. Vgl. Falk-Torp u. d. M".
svill. Es wäre ja auch unsinnig, dass die Nordleute ausdrücke des fachwerkbaues
aus dem lateinischen entlehnen sollten. Übrigens ist ja die ähnlichkeit der 'schwelle'
mit einer solea nur von unserer heutigen auffassung aus möglich, da uns die schwelle
heutzutage als eine fläche, ein brett erscheint. Im alten fachwerkbau aber gieng
ja die schwelle durch. Unsere heutige schwelle ist nur ein teil, ist nur der in der
türöffnung freigelegte teil der durchgehenden alten schwelle, wie wir sie heute
noch gelegentlich in alten räumen linden. Wer nicht das glück hat, vom lande
oder aus einer besonders altertümlichen Stadt zu stammen, der sollte um so eifriger
die junge Wissenschaft von den Wörtern und Sachen betreiben, ohne die gerade
lexikalische arbeiten unmöglich sind.
Ebensowenig aber vermag ich — trotz Cederschiöld, Cläri saga, s. 30 — mit
Fischer s. 233 den ersten bestandteil von viravirki 'filigranarbeit' für romanisch
zu halten.
Der § 40 behandelt die — gelehrten — lehnwörter der Iiulur in der Snerra
Edda und bildet eine abteilung für sich. Das halte ich für eine unglückliche durch-
brechuug des einteilungsgrundsatzcs. Wenn sich z. b. der verf. unter diesen bei
iarpi 'tetrao bonasia' an die erklärung Tamms aus slaw. Jarsin anschliosst, so
gehörte das wort in das 5. kapitel 'slawische lehnwörter'. Die aufzählung nach
dem ort ihres Vorkommens hätte in den zweiten teil gehört.
Innerhalb jedes kapitels sind im ersten teile die lehnwörter alphabetisch auf-
geführt, gelegentlich auch in zwei alphabeten, so bei den englischen die anerkannton
30*
452 l'AN/.KK l!l!Ki; V. MUTH, KINI-EITUXG IX DAS NIBELUNGENLIED
und die erst von Frauk hierhergereclmeten getrennt. Eine einrichtung, die sehr
praktisch ist.
Im zweiten teile nun werden die vom verf. ausgezogenen literaturgattungen
und deukmäler, nämlich l'sleudingasggur, Konuugasogur, Fornaldarsggur, Eiddara-
SQgnr, eddisclie dichtung und skaldische dichtung in je einem kapitel und weiter
nach denkmälern geordnet durchgenommen und die in ihnen vorkommenden lehn-
wörter aufgezählt nach der reihenfolge der kapitel des ersten teils, in die sie
gehören und deren zahl ihnen fett vorgedruckt ist.
Da ergibt sich nun ein höchst uupraktisclier zustand: da die einzelnen selten
keinerlei Überschriften, also auch nicht die nummern der kapitel, tragen, so muss
man oft länger blättern, bis man die angeführte stelle findet. Wenn es mit dem
plane der Palaestra unvereinbar war, zu diesem zwecke die kapitelnummern oben
auf die seite zu setzen, so hätte Fischer eben anders verweisen sollen, entweder
auf die selten, wie es im register geschehen ist, oder wenigstens nach paragraphen.
Dieser zweite teil ermöglicht uns einen hübschen überblick über die ver-
schiedenen sprachlichen quellen, die auf die eine und andere literaturgattung beson-
ders befruchtend eingewirkt haben. Aber Fischer bietet noch mehr: er hat sich
die mühe nicht verdriessen lassen, den lehnwörterbestand einzelner voneinander
abweichender fassungen und handschriften getrennt zur anschauung zu bringen.
Und so stehe ich nicht an, trotz der vorgebrachten ausstellungen die von
grossem fleiss und umfassender belesenheit zeugende arbeit für ein recht gutes buch
zu erklären, das uns bequeme dienste zu leisten wohl geeignet ist^
1) AVer als Spezialist auf dem altnordischen gebiete arbeitet, sollte aber
wissen, dass Worttrennungen wie lei-kari (s. 4), hg-fup (s. 5), fxj-rirläta (s. 135)
dem gebrauche nicht entsprechen. Vgl. Wimmer § 8.
ERLANGEN. AUGUST GEBHARDT.
Richard y. Mutlis Einleitung in das Nibelungenlied. Zweite aufläge.
Hg. mit des Verfassers nachtragen und mit literarischen nachweisen bis zur
gegenwart von J. W. Nagl. Paderborn, Ferd. Schöningh 1907. X, 501 s. 8 m.
Ob die neue aufläge dieses buches ein buchhändlerisches bedürfnis war,
wissen wir nicht; ein wissenschaftliches war sie gemss nicht.
Zweifellos wäre eine einleitung in das Nibelungenlied und den gegenwärtigen
stand der Nibelungenforschung ein bedürfnis, und wir wären jedem dankbar, der mit
keuntnis und geschmack sie uns böte. Aber diese einleitung mit der Jahreszahl 1907
auf' dem titel bedeutet einen schUmmen anachronismus.
Auf 'darstellung der herrschenden lehrmeinungeu' hatte es der Verfasser in
seinem buche von 1877 abgesehen, und wirklich gab er eine eingehende und sorg-
fältige 'darstellung der ansichten, wie sie die Lachmannsche schule bis dahin aus-
gebildet und vertreten hatte. Die gegner Lachmanns kamen freilich schon damals
zu kurz. Nicht bloss, dass das buch sich giftgeschwollen gegen sie blähte und
seine argumente mit beschimpfungen untermischte, es fehlte auch an einlässlicher
darstellung des Inhalts der abweichenden auschauungen. Dem geschlechte von
I
BAESECKE ÜBER RUNGE, ALBRECHT VOX HALBERSTADT 453
lieute ist der siim für die tonart des buclies gäuzlicli verloren gegangen, es hat
sich aber vor allem .sachlich in allen wichtigen punkten so weit von Lachmanns
auschauungen entfernt, dass ein buch nicht mehr als einleitung ins Nibelungenlied
gelten kann, das nur sie darstellt. Die neue aufläge bietet nun v. Muths werk
fast völlig in der alten gestalt. Die vorrede teilt in Sätzen, über deren bedenklich
missverständliche ausdrucksweise schon von Braune (Lbl. 1907, sp. 323. 1908, sp. 85)
gerechte beschwerde geführt wui'de, mit, dass der Verfasser nui" 'die ersten vier
jähre nach erscheinen seines werkes' nachtrage zu seiner arbeit gesammelt habe,
*da ein früher tod ihn dahinraffte'. In Wahrheit ist v. Muth 1902, also 25 jähre
nach erscheinen seiner einleitung, gestorben. AVie dem nun sei, die literatur seit
1881 ist für den text völlig unberücksichtigt geblieben. Nagl liat lediglich biblio-
graphische verweise auf die neuere literatur eingeschoben, die nur in verschwindenden
fällen einmal auf den Inhalt dieser arbeiten aufmerksam machen. Auf diese weise
wird ein gewissenhafter leser, ein studierender etwa, der sich aus diesem buche
über die gelehrte forschung unterrichten wollte, in die seltsamste läge versetzt :
schlägt er die literatur nach, auf die er verwiesen wird, so muss er in sehr vielen
fällen entdecken, dass in den angezogeneu aufsätzen und büchern ganz anderes,
öfter das gerade gegenteil von dem gelehrt wird, was der text verkündet. Der
herausgeber ist in seiner Zurückhaltung so weit gegangen, dass er z. b. nicht einmal
die rein tatsächlichen angaben über die hss. nach der von ihm selbst zitierten
literatur hat korrigieren mögen. Durch dieses verfahren musste natürlich ein voll-
ständig unbrauchbares buch entstehen. Da aus Braunes oben schon angezogenen
erklärungeu auch deutlich wird, dass ein unveränderter neudruck keineswegs im
sinne des verstorbenen Verfassers liegen konnte, der sich späterhin wesentlich von
den auschauungen entfernt hat, die er 1877 vertrat, so ist wirklich nicht einzusehen,
wem mit dieser neuen ausgäbe genützt werden sollte.
FRANKFURT A. M. FRIEDRICH PANZER.
Otto Rung-e, Die m etamorph osen Verdeutschung Albrechts von Halber-
stadt (Palaestra LXXIII). Berlin, Mayer & Müller 1908. VI, 168 s. 4,60 m.
Runge sclireitet lobenswert methodisch so vor, dass er, wie übrigens schon
Bartsch in seiner ausgäbe, an der band der erhaltenen verse Albrechts die art der
Wickramschen bearbeitung studiert, um dann in den übrigen partien aus Wickram
auf das verlorene zu schliessen. Danach verkleistert Wickram die 'kurtzen' verse
seiner vorläge, um die gewünschten 8 oder 9 silben herauszul)ringen, mit allerhand
flick- und formwörtern, modernisiert und sieht auch wohl einmal den Ovid selbst
ein (s. 13 f.), ohne doch zu etwas einheitlich neuem zu kommen (vgl. s. 24 f. die
liste der werte, die bei ihm nur in der metamorphosenbearbeitung, niclit in den
übrigen werken zu ündcn sind).
Einige ergänzungen ergeben sich aus Zfda. 51, 1G4 ff. Runge geht auf das
dort dargelegte verfahren Wickrams, scliwer verständliche werte mehrfach zu über-
setzen, nicht ein. Ich führe noch an: Alb. A HO iumplichen käne > W. VI, 1012 f.
gentzlieh taub und tarn, Inn seim gmilt irr inn eyner summ, A 142 quäle > VI, 1041
weh und 1049 j;e?«,- um genenden A 39 zu vermeiden, ist der folgende vers dreifach
übersetzt : VI, 946. 946. 949. Wickram klebt an den reimen : um das wort vare
454 BAESECKE
(Infinitiv) A 21 beizubehalten, erschafft er VI, 926 ein unerhörtes der oder das far
für 'die fahrt' ; A 20 u-art = wärts erhält er VI, 925 als tvardt = fiebat ; aus dem
veralteten plural vnsinnen A 90 wird negiertes sinnen VI, 989; von dem unver-
standenen verse B 9 rettet er doch deu reim stunden XI, 286 und das gleichfalls un-
verstandene wort Oft B 98 vervollständigt er XI, 371 zu fart; den rührenden reim
se : gese A 137 zerlegt er, mit begriff und klang möglichst nahe bleibend, in sehr:
meer VI, 1028 und geschehen : gesehen 1034. Zu den aufgegebeneu worten gehören
noch kunne B 143 (> kummen XI, 416!) und vreisam B 182 (> scheulich XI, 450);
aufgegebene form ist hören ohne umlaut, s. die reime XI, 281 < B 4, 306 < 30,
330 < 56). Entgangen scheint übrigens dem Verfasser auch, dass im zweiten frag-
ment Wickram bereits bedeutend freier ist als im ersten.
Für spräche und stil Albrechts stehen uns also doch nur seine eigenen verse
zur Verfügung, wohl aber wird, bei einiger vorsieht, Wickrams bearbeitung sagen
können, wie sich Albrecht inhaltlich zu seiner vorläge, Ovid, stellte (s. 27).
Demgemäss verfährt Runge im zweiten hauptteil, 'Albrechts Verhältnis zu
Ovid', in dem er nun mit treuem fleisse aus zahlreichen einzelzügen ein bild des
dichters zusammenzusetzen sucht.
Ja, wir lesen Albrechts text, und seine Unzulänglichkeiten bUcken uns an
wie unser fleisch und blut aus unseren kindern: er ist uns verständlich und lieb,
wir wissen etwa, an welchen punkt der entwicklung er gehört, und sind froh, wenn
wir den unhistorisch-ästhetischen wert seiner schlichten rede — es ist ja nur Über-
setzung — nicht pflichtmässig durch einige minder gebräuchliche epitheta literarisch
etikettieren müssen. Aber dann nehmen wir den Ovid her, und wir brauchen nur
wenige verse lang diese unerhörte meisterschaft auf uns wirken zu lassen, die jedes
wort an die einzig gesollte stelle setzt und mit der leichtesten wendung jede raf-
finierte nuance darüberhaucht, indes der hexameter durch sein immer feiner aus-
geklügeltes kaskadenwerk dahinklingt, als wäre er mit seinem rauschen der natür-
lichste redestrom. Da sinkt denn das werk unseres armen guten und 'gelehrten'
landsmannes zusammen: der glänzende rhetorische schmuck von anaphern und anti-
thesen, von ausrufen, fragen, künstlichen lautmalereien und gewollten epitheten ist
dahin, alles ist einfach und eben geworden, und nur die weiterführenden haupt-
■gedanken sind in ungeschicktem fresko, blass und breit, nachgebildet, ohne freude
am detail, ohne sonderliches bestreben, das antike ganz wiederzugeben oder ganz
einzudeutschen, aber auch unbefangen, ohne prüde möncherei und moralische nutz-
anwendung und gewiss reinlicher als Ovid gemeint. Nur (wie es bei den Übersetzern
der zeit zu sein pflegt) wo von der umgebenden natur die rede ist, da stellen mitten
in der ungeheuren fremden märchenfülle wald, gras und vögelein sich ein, und
mancher zug des ländlichen lebens ist in kleinen Zusätzen treffend wiedergegeben.
Das alles hat Eunge noch über Bartsch und Bolte hinaus umständlich bis ins ein-
zelne dargelegt, und man sähe sich nur zuweilen gern einmal ki'äftig erinnert, dass
Wickram nicht Albrecht ist, dass er z. b. nebenher noch andere quellen benutzte
(Bolte s. XXVII: Boccaccio, vgl. Eunge s. 91). Ein exkurs (s. 87 ff., vgl. Bolte
s. XIX) geht der von Albrecht benutzten Ovidhandschrift nach; schade, dass der
Verfasser nicht das fazit aus seinen beobaclitungeu zu ziehen versucht.
Teil III, 'Albrechts Verhältnis zur mhd. epik und lyrik', zunächst in stil und
spräche. (Hier wird also doch Wickram für Albrecht ausgenutzt; vgl. oben das
ergebnis aus teil I.) Eunge summiert ganz richtig, 'dass Albrecht ein Vertreter der
Übergangsperiode zwischen Veldeke und Hartman ist' (s. 147).
ÜBER RUNGE, ALBRECHT VON HALBERSTADT 455
'Übergangsperiode zwischen Velcleke und Hartman', trotz-
dem der Verfasser das liet von Troye und die deutschen meta-
niorphosen nach dem Iwein ansetzt!?
Charakteristisch für diese wunderliche Übergangsperiode wären die ein-
gestreuten Wahrheitsbeteuerungen, die auf Währung der (noch nicht selbstverständ-
lichen) etikette ausdrücklich hinweisenden zusätze, einzelne früh veraltete bestand-
teile des Wortschatzes {giädtn, auch noch rötguldin, icolgetäii, ein inere bitrch,
(legen, iv/gant, Jielt etc.); auf die paarigen formein ist wenig zu bauen, weil
wir ja wissen, dass Wickram den vers mit synonymen ausstopft. Aber in der
sache hat Runge völlig recht: stil, spräche und die (nicht mitbehandelte) metrik
allein würden Albrecht vor Hartman rücken, wenn wir keine datierung hätten *.
Eigentümlichkeit Albrechts gegenüber den höfischen epikern ist, dass er sich aus
pracht der gewäuder nichts macht und nicht dabei verweilt.
Jene chronologische placieruug sucht Runge schliesslich noch durch uachweis
von parallelen uad entlehnungen zu sichern.
Was er aber aus der Eneit dem von Behaghel s. CXC'IX ff. beigebrachten
hinzufügt, ist fast durchweg nicht einleuchtend.
Die beziehung zwischen Albrechts und Herborts prolog ist ganz richtig
erkannt: Albrecht ist der nehmende. Dasselbe Verhältnis glaubt Runge noch für
eine andere stelle erweisen zu können.
Herbort schreibt, wo es sich um den erfolg der griechischen gesandtschaft
handelt, die nach Troja kam, um Helena zurückzufordern, in v. 15594 flf.:
Priamus vii sine diet
Vö Zorne vs dem rate schiet,
Ir rede hleip an ende gar,
Durch die sie wäre kvme dar: man weigert sich.
Dieselbe sache erzählt Ovid, aber da heisst es Met. XIH, 201 ff. :
et moveo Priamum Priamoque Antenorn iunctuiii.
at Paris et fratres et qui rajniere suh illo,
vix tenuere manus etc.
Hier lesen wir, dass Priamus mit Antenor darauf eingieng, Paris aber und
die brüder sich weigerten. Und trotzdem schreibt Wickram XIII, 311 ff.:
Do erzürnt ich mit meim erznlen
Den hang sampt seinem hoffgsind allen :
Paris sampt seinen gseUai mich
Gern umbrocht ketten sicherlich —
d.h. er folgt gegen Ovid Herborts auffassung? Und also wäre Herbort v. 15 594 ff.
älter als Albrechts XIII. buch ? Sehr möglich, denn es folgen ja nur noch zwei
bücher bis zum Schlüsse, und der zuletzt geschriclKMic prolog Albrechts ist sicher
jünger als Herborts. •
1) Den einwendungen, die Schröder Zfda. 51, 175 gegen meine Interpre-
tation des siv elf hundert jär und zehen hevorn als 1190 vorbringt, war
schon Zfda. 50, .373 begegnet, worauf ich auch Zfda. 51. 170 hinwies. Inzwischen
haben mir übrigens C. v. Kraus, R. M. Meyer und Seelmann ihre zustiininiing zu
erkennen gegeben.
4B6 IJAESEf'Kl':
Aber auch das umgekehrte ist möglich. Runge hat versäumt, Herborts vor-
läge einzusehen, und gerade hier ist er Benoit gegenüber selbständig (Benoit
V. 25 353—64 Constans, vgl. Cl. Fischer, 'Der afrz. roman de Troie' etc., Pader-
born 1883, s. 61), ohne dass Benoit sich mit Ovid berührte. Vielleicht hat also
Herbort seine abweichuug aus Albrechts werk entlehnt.
Vielleicht aber fasste Albrecht das movere seiner vorläge als 'erzürnen' statt
als 'bewegen' und las etwa et statt at, stimmte also zu Ovid.
Die entscheidung müssten- Albrechts berichte über die Kosten geben können,
denn da berühren sich Herborts und sein gedieht inhaltlich am nächsten, und sie
machen ja bei Herbort eben den schluss aus. Aber es ist nur jämmerlich wenig,
was Wickrani mehr hat als Ovid. Vers XIV, 163—68 die uachricht, dass Odysseus
dem Polyi)hem sein äuge nahm (fehlt Ovid XIV, 180). Das könnte aus Herbort
17 615 ff. entnommen sein. Aber da steht nichts davon, dass es 7nit listen (AVick-
ram XIV, 168) geschah, und Albrecht könnte den einschub nach der prophezeiung
eben dieser blendung verfasst haben, die er kurz zuvor (XIII, 998 ff.) übersetzt hatte.
Bedeutsamer scheint schon etwas anderes. Ovid schreibt XIII, 730 von der
Charybdis :
vorat haec raptas revomitqiie carinas.
Wickram sagt das vielmehr von der Scylla aus und fügt hinzu XIII, 927 f. :
Und 2'^ft^9^ ^*' iconen inn dem meer
Und laufft z wirb eis weiss zammen sehr.
Woher hat Albrecht den wirbel und die Verwechslung der beiden ungeheuer?
Herbort schreibt v. 17 718 ff.:
Ez en wart nie mä so wis,
Der weste^ waz caribdis
Vn cilla ivere.
Des enste immer mere :
Mir (Odysseus) iimrt in dem lade kvnt,
Ez si daz mer ane grünt,
In eime creizze ez vbe gat . . .
Vgl. Benoit 28 875 ff. :
Conte qii'il fii pres de sa fin,
Entre Sillan e Caribdin,
La ou sont li nombril de mer usw.
Also auch bei Benoit-Herbort wirbel, und zwar - eine vorstufe der Verwechslung? —
zwischen Scylla und Charybdis gelegt.
Ich lege indes zunächst kein grosses gewicht auf diese parallelen. Aber auf
eine art von beziehungen zwischen Albrecht, Veldeke und Herbort muss ich noch
näher eingehen, auf die schon Bartsch p. CLX hinweist, die aber Eunge gar zu
rasch übergeht (s. 96): das sind die auslassungen Albrechts in allen dingen,
die die Kosten betreffen.
Denn Albrecht behält von Ovids Äneaserzählung nur das bei, was zur auf-
reihung der Verwandlungsfabeln als gerüst nötig war. Die flüchtigen kommen nach
Athen (statt nach Delos) zu könig Anius, und es wird von den geschicken seiner
fünf kinder erzählt (Met. 632-74; Wickr. 832-92), auch von den beiderseitigen gast-
ÜBER RUNGE, ALBRECHT VON HALBERSTADT 457
o-eschenken (Met. 675—704; die darstellung auf dem raisclikni2:e des Auius [682—701]
gibt Albrecht nicht wieder, sie ist ersetzt durch die verse W. XIIL 908 ff. :
Eyn gülden kopff herrn Eneas,
Darinne was eyn edelstein
Der wie eyn glünder hol schein).
Die zahlreichen Stationen aber der weiterfalirt bis nach Sizilien (Met. 70.5—28) sind
zusammengefasst in v. 921 :
Gar manig lundt er do hestreych
(vgl. die Zusammenfassung Eneit 177—81), und es folgt gleich die Scylla: da war
zu berichten, was der Eneit (und den Nosten) fehlte, ihre Verwandlung in ein meer-
ungeheuer. Dasselbe gilt für das abenteuer des Polyphem mit der Galathea und
des Cxlaucus mit der Circe, die an die Scyllaerzählung geknüpft sind. Sobald aber
Ovid (XIV, 75) den faden wieder aufnimmt und von Aneas' fahrt weitererzählt,
benutzt Wickram die deutlichste präteritio :
XIV. 109 Docli unll ich jetzundt vtelden nit,
Wie Eneas slest von ir (Dido) schiet,
Als sie in für im man erkoss,
Und loie sie Iren leib verloss (Met. XIV, 78—81; Eneit 1953—2528)
Und wie er ansprach Sihyllam (Met. XIV, 104-15 ; En. 2686-2880),
Auch wie er zci der hellen kam,
Wie er auch inn der hellen sali
Als das, so im hinach geschah,
Und tvie sie in von solcher fart
Widerumb bracht herufferwart
Und er sich aber inns meer Hess.
(Met. XIV, 116-57;
En. 2881-3748.)
Met. XIV, 82—103 finden also überhaupt keine entsprechung: 82-84 (grab
des Anchises) - En. 2529-2652; Met. XIV, 85-103 (Stationen bis Italien) fehlen
auch der Eneit. Erst als Aneas auf Macareus, den zurückgebliebenen gefährten des
Odysseus, trifft, geht Albrecht wieder in wirkliche erzählung über. Hier waren
dessen berichte über Polyphem, Äolus und besonders Circe einzuflechten (bis Met.
XIV, 440). Ausgelassen ist nur iumittels v. 233-46; es ist die Lästrygonen-
geschichte. Warum? AVeil von den Irrfahrten des Odysseus Herbort zu sagen
hatte (vgl. V. 17 571ft'.)? Aber warum spricht dann Albrecht doch von Äolus und,
wenn auch abküi'zend, von Circe und Polyphem, die in denselben kreis gehören?
Von Äolus, weil Herbort von ihm nichts erzählt (er nennt v. 17 622 nur den namen :
In des kvniges Eolis lant Eine frotve ich da vant Cyrce geheizzen!) ■ von Circe,
weil Herbort sie mit den Lotophagen und Calypso verwechselt, so dass Albrecht
ganz andere dinge zu berichten hatte! Ohnedies war ja mit Circe und Polyphem
noch verschiedenes so verknüpft (Galathoa, Acis, Glaucus, Picus etc.), dass sie nicht
ausgelassen werden konnten. tJbrigens sind die bezichuugen zwischen Polyphem
und Odysseus von Ovid überhaupt nicht erzählt, sondern nur XIII, 772 ff. geweis-
sagt, XIV, 180 aber als bekannt vorausgesetzt: und da schiebt Albrecht die oben
angeführten erklärenden verse ein.
Aeneas kommt nach Italien, der krieg mit Turnus beginnt und wird, schon
von Ovid im hinblick auf Vergil, mit wenigen Worten übergangen. Es folgen (Met.
458 ÜAESECKE
XIV, 454 ff.) die vervvaudlimgeii des Acirion und Apulus. Albrecht übergeht sie,
denn es ist nichts anderes als der vdoTog des Diomedes, dem jene Verwandlungen
in wenigen versen angegliedert sind. Herbort erzählt von Diomedes' heinikehr be-
sonders T. 17234 ff., sehr verwirrt (s. d. anm.) und von Ovid abweichend.
Auch die nächste Verwandlung übergeht Albrecht. Als Turnus die schiffe
des Äneas in brand stecken will, werden sie in meernymphen verwandelt (XIV,
527—65). Aber das gehörte ja wieder zur Äneis (Vergil Aeu. IX, 1—122), und
Veldeke erzählte v. 6469, wie Turnus in der tat die schiffe verbrannte. Er hätte
sich also in Widerspruch zu Veldeke gesetzt. Und ebenfalls zu den taten des
Äneas gehört die Zerstörung von Ardea, der fall des Turnus (Met. XIV, 527-80).
Erst da knüpft Albrecht wieder an : XFV, 545 :
Sohaldt er Tu7-num übcncandt,
Der krieg sich enden t/iet zuhandt.
Und die apotheose des Aneas, die bei Veldeke fehlt, hat Albrecht vollständig:
W. XIV, 650—86. Also: Albrecht erzählt von Äneas und seinen taten nichts
Ovidisches, was Veldeke schon hat (Didos tod, Sibylle, Krieg mit Turnus) oder was
Veldeke anders, vollständiger hat (szene am grabe des Anchises, Städtegründung
auf Sizilien, Verwandlung der schiffe, höllenfahrt) ; er erzählt aber alles Ovidische
über Äneas, was Veldeke nicht hat (Anius, die Verwandlungen der Scylla und
Circe, Polyphem, die apotheose, die ja als ein besonders wertvoller zusatz erscheinen
musste). Eine ausnähme von diesen sätzen machen nur die beiden aufzählungen
der fahrtstationen bis und von Sizilien; sie mussten nach Albrechts ganz natürlicher
technik schon als leere namenreihen fallen (vgl. Eunge, s. 51ff. ; Bolte s. XII ff.),
damit dann auch eine kleine Verwandlungsgeschichte, wie die an den namen der
Pithecusen angeknüpfte (Met. XIV, 91-100).
Nun mag man ja zur not für zufall erklären, dass Albrecht auslässt, was
Veldeke erzählt — höchst unwahrscheinlich wäre es sicherlich — ; aber dass er auch
da lückeu lässt und sogar andeutet, wo Veldeke anders, umständlicher erzählt, das
deutet doch auf eine gemeinsame beziehung, imd die sehe ich in des Landgrafen
Herman auftrag, zu der Äneis (und dem Trojanischen kriege) die metamorphosen
zu fügen, als eine art zubehör, und darum rücksicht auf das schon vorhandene zu
nehmen. Denn sonst würde doch Albrecht das von der Eneit abweichende — er
kannte sie ja — nicht unterdrückt, sondern vielmehr als eigenes, besseres, direkt
aus der antike geschöpftes besser wissend und vielleicht triumphierend entgegen-
gestellt haben.
Und nun gelten dieselben sätze auch für Albrechts Verhältnis zu Herborts
Nosten: er erzählt von Scylla und Circe, von Äolus und Polyphem, was bei Her-
bort fehlt; er schweigt über die heimkehr des Diomedes, die Herbort anders dar-
stellt, und übergeht die Lästrygonen, von denen Herbort spricht.
Nur zwei leuchtende ausnahmen : von Polyphem und Scylla erzählt er etwas,
das auch Herbort erzählt, und da weicht er von Ovid ab : es sind die oben s. 455 f. an-
geführten parallelen, d. h. wir finden jetzt durch die ratio in Albrechts auslassungen
bestätigt, dass sie wirklich entlehnungen bedeuten, dass Albrecht im 14. buch Her-
borts Nosten kannte.
Wenn sich aber Albrecht mit seinen auslassungen zu Herbort ebenso verhält
wie zu Veldeke, so weist das abermals auf die gemeinsame beziehung ihrer werke
ÜBER run(;e, albkecht von haleerstadt 459
zu laiKlgraf Herman und jenem auftrag. Ich versuche aher noch eine art gegenprobe
an buch XV und XIII.
Gegen schluss seiner arbeit ermattet Albrecht. Auf die apotheose des Äneas
folgt die liste seiner nachfolger. Veldeke nennt nur Silvius, Silvius Eneas, Romulus
und Remus, Julius Cäsar und Augustus; Alhrecht gibt die vollständige (und ab-
weichende) reihe des Ovid, in der er natüi'lich nicht nach belieben auslassen konnte.
Aber er lässt jetzt lücken, sobald Ovid Äneas oder trojanisches nennt:
Met. XV, 420 beginnt Ovid sozusagen mit dem Schlüsse : sie omnia verti cer-
nimiis, atque illas adsumere robora genfes, concidere has, und er exemplifiziert auf
Troja: ein signal für Albrecht, das folgende (v. 428— 78) zu überspringen, trotzdem
es auch die alte Prophezeiung auf Roms zukünftige grosse enthält. Dasselbe gilt
für 759—78: Venus erinnert die götter an ihre leiden im trojanischen kriege, an
die fahi-ten und kämpfe des Äneas, um für Cäsars apotheose Stimmung zu machen ;
damit fällt auch der bericht von den Vorzeichen, die auf Cäsars tod deuten (779—800).
Der mord selbst (800—802) ist wiedergegeben, als aber dann sogleich von Äneades,
Paris, Atridae, Diomedes, Äneas die rede ist, dispensiert sich Albrecht bis v. 828
und kommt gleich auf Augustus zu sprechen: er ist grösser als Cäsar. Wenn es
dann aber heisst Met. XV, 855:
sie magni cedit titulis Agamemnonis Atreus,
Aegea sie Theseus, sie Pelea vincit Achilles
und V. 861
Aeneae eomites
(die Albrecht wohl nicht als Penaten verstand) feierlich angerufen werden, so bricht
der müde Übersetzer vor den namen Agamemnon, Achilles, Äneas zum letzten male
und ganz ab und schreitet zu seinem christlichen Schlüsse: das trojanische brauchte
er nicht.
Soviel über die Xosten uud den schluss. Dehnen wir nun die betrachtung
auch über das XII. und XIII. buch der Metamorphosen aus, die von XII, 575 an
nur trojanisches enthalten, so zeigt sich ein ganz anderes bild. Nichts von jener
rücksichtnahme auf den anders erzählenden genossen : Ovid lässt Achill im kämpfe
durch den fersenschuss des Paris fallen ; bei Herbort, nach der mittelalterlichen
Überlieferung, hinterlistiges niedermetzeln in einem tempel; dort streit um Achills
Waffen, hier ums palladium; Selbstmord des Ajax gegen ermorduug durch Odysseus;
Verwandlung gegen Steinigung Hekubas ; Opferung Polyxenas auf der heimfahrt
gegen ermordung durch des Pyrrhus band an Achills grabe.
Auslassungen: XIII, 58— 62, verrat des Odysseus anPalamedes: nach Herbort
fiel er in offener schlacht durch Paris (v. 117541). Aber Wickrams randglosse zu
der unmittelbar vorausgehenden geschichte des Yhi\ okt et '■Plamedes bleibt dohin-
den von wegen zufclligcr hranekheif zeigt in dem uanienversehen P(a)lamedes (für
Philoktet), dass dessen geschichte von Albrecht miterzählt war.
Ferner: XIII, 230— 37: Odysseus hält die Griechen in der fluchtauf; 271—74
Patroklus in Achills waffen vertreibt die Trojaner von den schiffen; 296—305 Odys-
seus zögert, am kriege teilzunehmen ; 310—19, 328—36 Philoktet : all das fehlt bei
Herbort auch, fehlt also hier nicht aus rücksicht auf ihn. Audi 570—622, Jlcmnous
(tod und) Verwandlung, dürfen wir hier mit nennen, denn Herbort erzählt nur von
seinem kämpf und tod. Nur zwei lücken könnten aus einer rücksicht auf Herbort
erklärt werden: XIII, 80—90: Zweikampf zwischen Hektor uud Ajax nach Homer.
460 BAESECKE ÜBER RUNGE, ALBRECHT VüX HALBERSTADT
Herbort lässt ihu vielmehr frennclschaftlich ausgehen, 5913 ff. XIII, 204—209: erst
im 10. jähre offener kämpf mit den Trojanern ; bei Herbort offener kämpf seit der
ausscliiffuug-.
Aber haben diese beiden auslassungeu gegen die übrigen vielen gewicht, die
nicht Herborts wegen geschehen sein können^? Und gegen die fülle der bei-
behaltenen Parallelerzählungen ?
Ich würde es bei der zweiten vielleiclit glauben, wenn sich nicht Albrecht
(Wickram??) durch einen zusatz ausdrücklich anders als Herbort erklärte.
Hinter v. 337 (— rapui Phrygiae siffnum penetrale Minervae [palladium] Iwstihus
e mediis) fügt er 7 verse erläuterung ein, darunter v. 449 Dasselbig hildt ich
(Odysseus) in verstal. Damit vergleiche man Herborts v. 15 606 ff. : die Trojaner
liefern es vielmehr aus, und die erzählung davon wird von langer band vorbereitet.
Und dazu passt, dass Albrecht gerade bis ins 13. buch eine grosse Unkenntnis
der trojanischen dinge beweist: W. VIH, 696 f. stirbt Nestor vor Troja (gegen
Ovid), W. XII, 58 ist Iphigenie 'Menelai dess konig s hindV, W. XIII, 492 und 861
sind Menelaus und Agamemnon verwechselt. Für das XV. buch verzeichnet E. nur
(s. 89) noch hasta minoris Atridae > Agamemnons spieß (W. XV, 142) : es ist der-
selbe Irrtum wie der vorige.
Ich denke, das alles stimmt gut zu den beobachtungen am 14. buche, und ich
kann nun die ergebnisse für die relative Chronologie der beiden dichter so zusammen-
fassen. Albrecht beginnt (im jähre 1190) seine Übersetzung ohne prolog. Er ist
mindestens ins 7. buch gelangt, als Herbort, nach vorausgehendem prologe, an der
trojanischen Vorgeschichte schreibt (vgl. Zfda. 50, 376 f.). Im 13. buche nimmt er
noch keine rücksicht auf Herbort (wird also auch in W. XTIT, 311 nicht von ihm
entlehnt haben) ; im 14. kennt, berücksichtigt und benutzt er wahrscheinlich seine
Nosten; zwischen buch 18 und 14 also spätestens hatte Herbort den genossen über-
holt. Den zuletzt verfassten prolog schreibt Albrecht nach muster des Herbortsclien
(Zfda. 50, 371 f.).
Über Herborts verhalten zu Albrecht ist damit genug gesagt. Es fehlt, um
den ring zu schliessen, nur noch eins : das Verhältnis von Herbort zu Veldeke. Aber
da brauchen wir nicht zu beweisen; er sagt (v. 17 379) mit deutlichen werten, dass
er gebundene marschroute hatte; er überschlägt, was Veldeke zu erzählen hatte-:
Eneas vur danocJi sider
Manige tac vur sich.
Vö veldiche meisier heinn'ch
Hat an sime buche gelart
Von eneas varf,
Wa er vn die sine hin harte:
Sie blihe sv Jjamparte. —
Ich brauche nicht hinzu fügen, dass ich das vorige für eine stütze meiner
Chronologie halte: im jähre 1210 hatte die Eneit schon über 20 jähre dagelegen
und war in ihrer techiiik ganz veraltet; da hätte man — auch wenn sich das inter-
1) 407—21 , brand und greuel von Troja, sind offenbar wegen der Eneit
gestrichen.
2) Vielleicht würde man es auch ohnedies aus einigen änderuugen und aus-
lassungen vor der eigentlichen fahrt des Äneas schliessen; ve'l. Fischer a. a. o.
s. 61 ff.
HAC4EN ÜBER GOLTHEK, GRALSSAUE 461
esse an dem antiken Stoffe zufällig' neu belebte — kaum zwei neue werke mit ihr
verknüpfen, kaum eine Stilverwandtschaft, wie sie den übrigen werken der höfischen
epik gegenüber unleugbar vorhanden ist\ erreichen können, am wenigsten aber
diesen stil und diese technik so als etwas neues, schweres hinstellen können, wie es
Albrecht und Herbort in ihren prologen tun.
Ich kehre zu Runges arbeit zurück. Von den aus Hartmans dichtungeu bei-
gebrachten parallelen kommen zwei in betracht:
Gregor 3841 f.: Wickiam X, 867 f. (zusatz zu Ovid):
sin mmter, sin base, sin ivip Und icaren dannoeht nur zwen leib,
diu driu heten einen Up. Doch ratter, tochter, man und iceib.
Aber es ist ja offenbar nicht der Wortlaut, sondern das gleich rätselmässige
des ausdrucks ähnlicher Verhältnisse, was die parallele so frappant macht; und
dafür gibt Bolte s. XX f. beispiele ; vgl. auch MSD. Vn, 5 und 6 und Kögel, Lit.-
gesch. I-, s. 165 f.
Iwein 626-28: Albrecht I 60 (zusatz zu Ovid):
Der morgensterne inöhte sin so der tage Sterne,
flicht schoener, swemier üfgdt Swenner luter ufyat
und in des luftes triiebe lat vnd in diu trübe verlat.
Fast wörtliche Übereinstimmung! Also Albrecht hat Hartmans glatte verse
höchst kunstvoll archaisiert? Hat eigens für morgensterne das ältlichere tage-
sterne eingesetzt, hat die grössere poetische fülle des luftes aufgegeben, um den
alten Veldekischen stil zu erzielen? Das ist die folge der falschen Chronologie?
Jeder unbefangene muss das umgekehrte herauslesen.
Indessen ist mit diesen wenigen parallelen das Verhältnis zwischen Hartman
und Albrecht-Herbort nicht abzutun.
1) Auch Schröder gibt den archaischen Charakter von Herborts stil zu (vgL
Zfda. 50, 377, anm. 2).
CHAKLÜTTEXBURG. GEORG BAESECKE.
W. (Tolther, Die Gralssage bei Wolfram von Eschenbac h. Rede zur feier
des 28. februar 1910. Rostock, 1910. 24 s.
Wie Baist als Freiburger prorektor im vergangenen jähr über Parzival und
den GraP, so hat Golther als rektor der Rostocker Universität über die Gralssage
bei Wolfram von Eschenbach gesprochen. Er geht aus von Chrestien. Der französische
dichter meint mit seinem Gral eine edelsteinverzierte goldene schüssel, in der eine
ungeweihte oblate' liegt. Die christlich-mystische gestaltung der sage, die bei Chrestien
nicht vorhanden ist, erscheint bei Robert von Borou. AVolfram, der das wort Gral
nicht verstand, sah darin einen edelstein und schuf selbständig, vielleicht mit arabischem
1) Freiburger prorektoratsreden von 1909, S. 27—44.
2) Auch nach Baist s. 41 ist die hostie 'einfach jenes nachtischgebäck, das
man in Deutschland und Frankreich auch oblate nennt'.
462 Kori'
eiiisclilag, die sage vom paradiesesstein. Die einsiedlerszeue des iieuuteu biichs, in
der Wolfram das Gralgeheimnis erklärt, 'ist der ausgangspunkt für alle erweiterungen
und Zusätze Wolframs ; von hier aus entwarf er seinen plan ; hier laufen alle fäden
nach vorwärts und rückwärts zusammen' (s. 24). An einen mittelsmann zwischen
Chrestien und Wolfram glaubt also Golther im gegensatz zu seiner früheren ansieht
jetzt nicht mehr : Wolfram hat Guiot von Provins nur vorgescliohen. Überein-
stimmungen zwischen der wälschen prosa und dem deutschen gedieht erweisen im
Parzival ebenso wie im Eree nur Chrestienhandschriften, in denen ein oder zwei
reimpaare mehr standen als in den bisher bekannten. Wolfram hat manche kuude
vom Orient gehabt und den lateinischen brief des priesterkönigs Johannes gekannt
und benutzt. Er hat auch die Steiermark gut gekannt und nicht das englische
königshaus der Anjous \ sondern die österreichischeu Anschower (Anschau in der
pfarre Traunstein) in seinem gedieht gefeiert.
Man wird Golthers schrift, auch wenn man wie referent zu anderen ansichteu
gelangt ist, mit Interesse lesen und wohl annehmen dürfen, dass der Verfasser
seine Stellung zu den einzelnen problemen noch eingehend, was die form der rede
nicht erlaubte, begründen wird, wenn auch vielleicht erst nach erscheinen der kri-
tischen ausgäbe von Chrestiens Perceval, an die er weitgehende hoffnungen knüpft.
Ob aber schon die für die entwicklungsgeschichte der sage zuerst aufzuwerfende
frage nach der bedeutuug des Grals bei Chrestien sicher zu beantworten sein wird
auf grund der neuen ausgäbe? Man wird sie abwarten müssen, umzusehen, ob der
französische dichter, dem graf Philipp von Flandern ein buch über den Gral ge-
geben hat, mit seinem bostiengral wirklich nichts anderes gemeint haben kann als
irgendeine prunkschüssel mit gebäck, und wie es mit den Worten tant sainte cose
est li graaus bei ihm steht.
1) In einer Verherrlichung der englischen könige sieht Baist, der gleichfalls
nur Chrestien als Wolframs quelle anerkennt, den einzigen einwand, der gegenwärtig
noch gegen diese ansieht angeführt werde, aber auch hinfällig sei. 'Wolfram hat
Anjou gewählt, weil es an der peripherie seiner geographischen kenntnisse in einer
für das wunderbare geeigneten entfernuug lag' (s. 39).
LtJBEC'K. PAUL HA(tEX.
über die Haager liederhands chrif t nr. 721. Von Anton Kalla. (Prager
deutsche Studien. H. 14. Herausg. von C. v. Kraus.) Prag, C. Bellmann 1909.
IX, 141 s. 4 m.
Die frage nach Ursprung, entstehung und geschichte des niederländischen
beschäftigt, seit wir uns einer germanischen Sprachwissenschaft erfreuen, ausser den
zunächst beteiligten heimischen auch die deutschen gelehrten und forscher auf das
lebhafteste. Wenn das niederländische durch die besondere läge des gebietes, in
welchem, und durch die eigenartige geschichte der stamme, von welchen es ge-
sprochen wird, auch als eine selbständige Schriftsprache sich festgesetzt und be-
hauptet hat, so gehört es doch seiner ganzen beschaffenheit nach zu den nieder-
deutschen mundarten, wie seine heimischen grammatiker es noch bis weit in das
ÜBER KALLA, HAA<4EK LIEDERHAXDSCHRIFT 463
19. Jahrhundert hineiu meist 'nederduitsch' benannt haben und erst neuerdings die
beueunung 'uederlandsch' allgemein üblich geworden ist. Ausser dieser mittel-
stellung zwischen mundart und Schriftsprache macht sich der fast gänzliche mangel
altniederländischer Sprachdenkmäler bei der wissenschaftlichen und historisch-
kritischen behandlung des niederländischen beständig fühlbar und verursacht be-
sondere Schwierigkeiten bei der beurteilung der sprachlichen erscheinungen. Das
durcheinanderwirken der verschiedenen landschaften, von denen im anfang der ent-
wicklung das mit französischen gebieten verknüpfte, mit starkem französischen
einschlag versetzte Flandern, danach das mehr deutschverwandte Brabant, schliess-
lich das von welscher beimischuug freie Holland übergewiclit und Vorherrschaft
gewann, während Limburg und Geldern weniger hervortraten, auch von der gesamt-
masse des Deutschen reichs weniger deutlich abstachen — die nebeneinflüsse der
benachbarten deutschen mundarten, des friesischen, des niedersächsischen und am
stärksten des niederfränkischen, wozu mau das niederländische geradezu rechnet:
alle diese mannigfachen Verzweigungen, Verästelungen und verknotungeu, deren
Vorstufen fehlen oder in dunkel gehüllt sind, im einzelnen festzustellen, ist wegen
des auf engem räum zusammengedrängten bunten durcheinanders ungemein schwierig;
Wachstum und entwicklung des wunderbaren, reizvollen gebildes hat man vor äugen,
aber die wurzeln bleiben verborgen und entziehen sich allem nachspüren.
Abgesehen von tierfabel und lehrgedicht, regte sich im niederländischen wie
sonst im niederdeutschen gebiete spät erst und spärlich die heimische dichturig.
Heinrich v. Veldeke, der sogenannte Stammvater der höfischen poesie, obschon er
aus dem limburgischen stammt und einflüsse seiner heimatlichen mundart, zumal in
seinen liedern unverkennbar sind ', noch nicht einmal er lässt sich ohne weiteres
in die geschichte der niederländischen dichtung als begründer heimischer sanges-
kunst einreihen, sondern wird stets vor allem für die geschichte der gemeindeutscheu
dichtung in anspruch genommen; er hatte, wie keine Vorgänger, so keine uachfolger
auf niederländischem boden. Um die zeit, als im andern Deutschland der höfische
minuesang bereits in voller blute stand, zeigen die Niederlande kaum noch ausätze
dazu; die höheren stände, hier wie sonst als träger des verfeinerten geisteslebens,
der höfischen zucht und sitte zugleich alleinige Vertreter der diclitkunst, standen
damals in den Niederlanden gänzlich unter französischem einfluss und bedienten
sich, wenn sie dichteten, der als vornehmer geltenden spräche, wie stets in der
lyrik, oder übersetzten und richteten sich nach französischen mustern und vorlagen,
wie meist bei didaktischen oder epischen Stoffen. Zumal in Flandern war fran-
zösische bildung unerlässlich, und wenn manche hochdeutschen dichter, wie z. b.
Neidhart v. Eeueuthal, 'vlämische hövescheit' rülimen und alles flämische ganz
im widerspiel zu der späteren und noch jetzt üblichen bedeutung dieses wertes als
höflich, artig, fein und geschmackvoll gilt, so wird leider damit mehr die welsche
1) So vorsichtig muss man sich über diesen punkt äussern. Zwar schien
C. v. Kraus, der herausgeber der Prager Studien, Avorin jetzt, wohl von ihm an-
geregt, Kalla's arbeit erscliienen ist, in seiner schritt 'Heinrich v. V. u. die mlid.
dichtung' (1899) über die Stellung des dichters in sprachlicher hinsiclit abschliessend und
erschöpfend gehandelt zu haben; aber in einem kürzlicli (anfang 1910) erschienenen
umfangreichen buche 'Sanct Servatius oder Wie das erste reis in deutscher zunge
geimpiet wurde' versucht F. Wilhelm die von Kraus aufgestellten Sätze zu er-
schüttern und abzutuu, was freilich so leicht nicht möglich sein dürfte.
464 Koi'P
tünche der oberen schichten als das innere wesen jenes kernhafteu Stammes ge-
meint sein.
In das ganze niederländische gebiet klangen vor dem ende des 13. Jahr-
hunderts immer nur vereinzelte töne vom sonstigen Deutschland hinüber. Die
heimische dichtung, vor allem die lyrische, die den tiefsten herzensdrang voraus-
setzt, in der sich das innerste wesen des volkes oder Stammes hervorkehrt, fand
einen boden, in dem sie wurzel fassen konnte, erst, als Holland an das bayrische
fürstenhaus kam (1345). Indem nun das oberdeutsche gefolge den minnesang mit-
brachte, nachahmung und Wetteifer weckte und sich mit den einheimischen zum
besseren gegenseitigen Verständnis auszugleichen strebte, bildete sich für die dich-
tung eine aus deutschen und holländischen bestandteileu gemischte, beiden gruppen
verständliche Sprechweise, wofür die von Kalla in vorliegendem hefte sorgfältig
untersuchte handschrift wahrscheinlich den frühesten beleg liefert.
Zuerst hat wieder, wie bei so vielen fundgruben deutscher und niederländischer
dichtung, Hoffmann v. Fallersleben auf diese hs. aufmerksam gemacht. Sodann
ist sie mehrfach benutzt, aber nur selten etwas genauer durchforscht worden, wie
besonders von Zacher 1841 in der Zfda. und von Johanna Aleida Nijlaud in
ihrer dissertation vom jähre 1896. Da diese dissertation die kenntnis der hs.
kaum wesentlich gefördert hat, und Zacher vom mittelniederländischen nach dem
damaligen stände der Wissenschaft nur mangelhafte Vorstellungen haben konnte, so
will K. nun mit den inzwischen stark vermehrten hilfsmitteln sprachlicher forschung
die verschiedenen mundartlichen bestandteile der in der hs. enthaltenen lieder sondern
und solchermassen die sprachlichen zustände dieser für die bildung des nieder-
ländischen höchst bedeutsamen zeit klarlegen.
Unzweifelhaft hat er damit einen guten anfang gemacht und einen grossen
schritt vorwärts getan, obschon es auf diesem unsicheren gründe schwer wird, festen
fuss zu fassen. So dürftige quellen, wie die s. 15/16 nachgewiesenen drei 'sonstigen
liederhandschriften des 14. und 15. Jahrhunderts', reichen keineswegs hin für diese
schwierigen, lediglich durch ein massenhaftes material genugsam zu stützenden
Untersuchungen. Auch liefern solche von liebhabern nach eigener wähl und willkür
veranstalteten handschriftlichen Sammlungen an sich schon meist nur ein trügerisches,
leicht irreführendes material, da durch das niederschreiben aus dem gedächtnis
oder nach unzuverlässigen vorlagen die sprachlichen grundzüge verwischt zu werden
und ganz unberechenbare persönliche launen und Sonderbarkeiten laienhafter Schreiber
und pfuscher dabei mitzuspielen pflegen. Franck hat sicher nicht falsch gehandelt,
wenn er sich in seiner Mittelniederländischen grammatik nur auf sorgfältig verfasste
texte stützen wollte, und er mag wohlweislich bei der auswahl von lesestückeu
diese hs., weil sie ihm keine genügend sichere grundlage zu bieten schien, beiseite
gelassen haben, wodurch freilich seine sprachproben eine so bezeichnende, wichtige
gattung, wie die weltliche lyrik, ganz ausfallen lassen und geringere mannigfaltig-
keit zeigen, als möglich wäre. Von Francks ausgezeichnetem werk liegt übrigens
nunmehr (anfang 1910) die zweite aufläge vor, während K. nur die bereits vor
26 Jahren erschienene erste benutzen konnte.
K. nimmt an (s. 18), 'dass mit dem Übergänge Hollands an Philipp von
Burgund (1433) der hochdeutsche einfluss vollkommen paralysiert wurde'. Demnach
würde die von ihm vorausgesetzte mischsprache mit ihrer annäherung an das hoch-
deutsche, wie räumlich auf Holland, so zeitlich auf das nicht ganz vollständige
Jahrhundert von 1345 bis 1433 abzugrenzen sein. Aber der deutsche einfluss, der
ÜKEH KALLA, HAAGEK LIEDEKHANDSCHKIFT 465
nicht anders als vornehmlich ein hochdeutscher sein konnte, beschränkt sich weder
anf ein so kleines gebiet nocii auf einen so geringen Zeitraum. Flandern und Brabant
waren freilich schon früher als Holland an das verwelschte Burguud gefallen ; auch
die habsburgische herrschaft, unter welche die Niederlande, Holland also nach einer
nur kurzen burguudischen periode, kamen und womit schliesslich auch das von
dem benachbarten Kleve beanspruchte, doch wider Karl V. nicht lange behauptete
Geldern vereinigt wurde, diese spanisch-österreichische herrschaft war gleichfalls
wenig danach angetan, deutschen einfluss geltend zu machen. Aber abgesehen von
allen dynastischen und politischen Verhältnissen, hat in handel und wandel ununter-
brochen ein reger austausch und eine starke Wechselwirkung zwischen Deutschem
reich und Niederlanden geherrscht. Im westen den Rhein entlang reichten die
handelsbeziehungeu der Niederlande bis nach Oberdeutschland zur see, mit wie trotz
der deutschen hausa weit in die Nord- und Ostsee hinein, und ein mächtiger ström
von Holländern ergoss sich über die meisten gegenden des nördlichen Deutschlands
bis an die grenzen Böhmens und nach dem fernsten osten au den baltischen gestadeu
and brachte dorthin die kenntnis ihrer überlegenen Viehzucht und milchwirtschaft,
ihres hoch entwickelten ackerbaus und gewerbefleisses — an den kiüturfortschritten
Deutschlands sind die Niederländer in einem weit über ihres kleinen bereichs Ver-
hältnis zum ganzen hinausgehenden mass beteiligt.
Der austausch geistiger erzeugnisse zugunsten des hochdeutschen muss nach
dem von K. bezeichneten Zeitraum auch eher zu- denn abgenommen haben. Je mehr
die hochdeutsche Schriftsprache sich regelte und befestigte, desto grösseren einfluss
übte sie naturgemäss auf die niederdeutschen gebiete. Während bei schneller zu-
nähme des buchdrucks und wachsender Verbreitung der gemeiusprache das nieder-
sächsische vom amtlichen, öffentlichen, geschäftlichen verkehr allmählich mehr und
mehr zurückgedrängt und ausgeschlossen wurde und sich nur im lokalen und häuslich
familiären gebrauch zu behaupten vermochte, ergab sich für die niederländischen
mundarten eine gemeinsame, stets fester werdende grundlage, so dass im 16. Jahr-
hundert die Niederlande, während ihrer harten freiheitskämpfe mit den Spaniern
auf sich allein gestellt, von den andern niederdeutschen dialekten und somit von
dem deutschen hauptstamme sprachlich, wie politisch von dem verrotteten heiligen
römischen reich deutscher nation sich vollends lostrennen und für immer abzweigen
konnten. Für den starken, herrlichen eichbaum des niederdeutschen sprachstammes
fand sich nirgends platz im kunstgärtnerisch eingehegten, beengten park Deutsch-
lands, aber im weiten, freien gefilde daneben, unter der obhut eines gediegenen,
zähen, hochgemuten volkstumes schlug er wurzel und gedieh zu stattlicher grosse —
sogar über das meer hin nach andern Weltteilen wurden lebensfähige schösslinge
von ihm verpflanzt. So verdanken wir Germanen und insbesondere wir Deutscheu
den stammverwandten Niederlanden die bildiuig einer besonderen, vollgiltigen nieder-
deutschen Schriftsprache, die, wenn auch weniger ausgedehnt, qualitativ an adel,
Schönheit, prägnng und gehalt der gemeindeutschen Schwester durchaus ebenbürtig
zur Seite steht.
K. hat sich behutsam, aber wohl ein wenig zu starr und ängstlich an die
von ihm zu behandelnde hs. gehalten, und einer auseinandersetzung mit allgemeineren
gosichtspunkten, wie sie in vorstehenden zeilen angedeutet worden sind, M'eiter
greifenden ausführungen, die ja nichts neues an tatsächliciiem bieten können, aber
doch die Stellung des einzelnen gebildes innerhalb des ganzen veranschaulichen,
in seiner arbeit keinen räum gegeben. Wenn beim gänzlichen ausfall weltlicher
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE, BD. XLH. 31
466 KOIT ÜBEl! KALLA, HAACJEIJ I.IEDEUHANDSOHKIFT
lyrik aus früherer zeit zur anknüpfung an die vergaiiirenheit keine möa'lichkeit
vorlag-, so konnte durch ausbiick in die zukunft um so mehr der gesichtskreis mit
reicliem gewinn erweitert werden. Die folgezeit bietet eine fülle von sprachlich
wie dichterisch interessantem material.
Aus dem 16. Jahrhundert sind mehrere liedersammlungeu erhalten, die das
Verhältnis niederländischer und gemeindeutscher dichtung und spräche zu beleuchten
geeignet sind. Das Antwerpener liederbuch vom jähre 1544 gibt einerseits, indem
es eine menge von ursprünglich deutschen, und zwar grösstenteils hochdeutschen
liedern aufzuweisen hat, noch deutlich künde vom Zusammenhang der beiden gruppen,
besonders auf dem gebiet des volksgesanges ; nichtsdestoweniger tritt andererseits
darin schon eine recht gleichmässige, von den beiden deutschen hauptstäramen, dem
niederdeutschen und noch mehr natürlich dem hochdeutschen, abweichende ge-
staltung der spräche deutlich zutage, namentlich zeigt sich der Wortschatz über-
wuchert von welschen, anscheinend ganz mundgerecht gewordenen und vollständig
eingebürgerten Schmarotzern, die zumal in der lyrik höchst befremdlich anmuten.
Mehrere liederhandschriften aus dem 16. Jahrhundert, wie die vom jähre 1537 aus
Zutphen (Hoffmann v. F., Weim. Jahrbuch 1, 1864), die sogenannte uiederrheinische
vom jähre 1574 oder eine zweite (gleich der vorigen) der K. bibliothek zu Berlin
vom jähre 1568, zeigen jene seltsame, für die landschaften um den Xiederrhein mit
weiterem umkreise so bezeichnende mischung niederländischer, niederdeutscher und
hochdeutscher bestandteile, nur mit stärkerer neiguug nach der gemeindeutschen
Schriftsprache hin, ein gemengsei, wodurch sich mehr die Verwirrung, Unsicherheit
und nachlässigkeit der Schreiber gegenüber den schwankenden erscheinungen verrät,
als dass bündige Schlüsse daraus gezogen werden könnten auf die sprachlichen
zustände der in betracht kommenden gegeuden und zeiten.
Im anfang des 17. Jahrhunderts druckte Paul v. d. Aelst zu Deventer hoch-
deutsche bücher, darunter auch die bekannte liedersammlung 'Blumm und Aussbuud'
vom Jahre 1602. Geldern und Limburg bildeten dauernd ülier die landesgrenzen
hinweg in sprachlicher hinsieht ein vermittelndes bindeglied zwischen den benach-
barten deutschen muudarten und den streng niederländischen. Der steigende
Widerwille gegen alles welsche wesen hatte die gründliche reinigung des nieder-
. ländischen und seine engere anlehnung an die gemeindeutsche Schriftsprache zur
folge, so dass die beiden sprachen einander je später, je näher verwandt erscheinen,
auffallend raehi- als im mittelalter.
Einen kräftigen und jedesfalls den ersten wirklich bemerkbaren anstoss nach
dieser dem Deutschtum günstigen richtung gab die zeitweilige Verbindung Hollands
mit dem bayrischen fürstenhaus in der zeit von 1346 bis 1433. Aus dieser zeit,
und zwar aus dem ersten viertel des 16. Jahrhunderts, rührt auch die von Kalla
behandelte hs. her, deren zum teil in holländischer, zum teil in deutscher, grössten-
teils aber in einer aus holländischen und deutschen bestandteilen gemischten spräche
verfasste lieder in vorliegendem hefte gründlich untersucht sind.
Dem nutzen, den die durchforschung der frühesten derartigen hs. gewährt,
hat K. leider dadurch abbruch getan, dass er nicht endlich einmal die viel berufene
hs. vollständig herausgegeben oder nicht mindestens davon eine genaue Inhalts-
übersicht geboten hat. Er schliesst sowohl alle bestimmten dichtem, wie "Walter
V. d. Vogelweide, Fraueulob, Noydekin usw. eignenden als auch alle schon früher ab-
gedruckten lieder ganz aus. Nun wird man beständig irre bei den springenden
zahlen 1, 2, 5, 7, 9, 10, 13 (usw.); man empfindet verdi-uss, wenn eine nuraraer,
I
DIKTRICH ÜBER DAUR, DAS ALTE DEUTSCHE VOLKSLIED 467
auf die K. sich bezieht, iu seiner aufzähluug nicht zu finden ist ; man sieht sich
stets wieder genötigt, auf Zacher zurückzugehen, dessen veraltete abhandlung durch
vorliegende schrift doch entbehrlich werden sollte. K. selbst scheint sich bisweilen
bei diesem hin und her in der hs. nicht mehr sicher zurechtgefunden zu haben.
Sogleich auf s. 1 heisst es im text über Lejeune, er habe nr. 46 und 48 der hs.
veröffentlicht, in der anmerkung dazu sind es aber die nummern 46 und 108; s. 30
werden nr. 46 und 48 ohne weitere bemerkung aufgeführt; s. 42 ist zu nr. 108 an-
gemerkt : 'abgedruckt iu D. W. [d. i. Dietsche warande] 8, 83'. Folgerichtigerweise
hätten diese drei nummern eigentlich von der aufzähluug ausgeschlossen sein müssen
als bereits gedruckte. — Die nummern 1 und 84 hat K. blindlings nach den angaben
Zachers zusammengeschweisst, weil beiden eine längere reihe von strophen gemeinsam
ist. Nach s. 5 anm. bricht der abschreiber von nr. 84 bei 'zuld ich arbeyt da van
dulden' plötzlich ab ; s. 68 v. 563 'solt ich arbeit von iu dulden' ist von str. 71 die dritte
zeile, fälschlich also steht im kritischen apparat zu v. 560 = str. 70 letzte zeile:
's- bricht hier ab'. Weshalb in dem doppelgedicht eigentlich die 52 strophen, die
nr. 84 für sich besonders hat, vorausgestellt, sodann die 19, die nr. 1 und 84 ge-
meinsam haben, zum schluss noch str. 32 — 41 von nr. 1 als str. 72 — 81 des ganzen
und hinterdrein gerade die 12 ersten strophen von nr. 1 als besondere nr. la ge-
boten werden, ist gar nicht abzusehen. Ein überzeugeuder oder gar zwingender
grund zu dieser massregel Zachers ist weder von ihm noch von K. angegeben und
liegt wohl auch nicht vor. Es dürfte weit besser und anschaulicher gewesen sein,
nr. 1 und ebenso nr. 84 nach dem bestände der hs. einfach an ihren stellen jede
für sich besonders abzudrucken und höchstens die gemeinsamen strophen aus der
ohnehin unvollständigen, mitten iu Strophe 71 plötzlich abbrechenden nr. 84 iu
gestalt von Varianten bei den entsprechenden strophen von nr. 1 zu geben. Auf
ein ästhetisches gemessen ist bei solchen faden reimereien doch nicht zu rechnen,
wie ja der herausgeber die ganze hs. auch nicht in solchem sinn, sondern fast aus-
schliesslich für sprachliche zwecke bearbeitet und hauptsächlich die genauere fest-
stelluug und sonderuug der verschiedenen mundartlichen bestandteile, sowie die
darauf gegründete richtige Verteilung der einzelnen lieder auf das holländische,
deutsche und jene von ihm nebst andern angenommene holländisch-deutsche misch-
sprache sich zur aufgäbe gemacht hat.
Schmerzlich vermisst man ein Wortregister, doppelt schmerzlicli bei dieser
arbeit, deren Schwergewicht und hauptwert eben auf sprachlichem goliiete liegt;
freilich dieser mangel ist wieder lediglich eine folge davon, dass der Inhalt der hs.
nicht wenigstens in seinen für diesen zweck wesentlichen teilen vollständig wieder-
gegeben ist. So würde trotz der vielen bände, die sich schon früher damit be-
schäftigt haben, trotz des von Kalla darau gewandten fleisses, trotz der anerkennens-
werten leistung, die sich in seinem vorliegenden buche darstellt, immer noch ein
abschliessendes werk über die hs. fehlen und erst von der zukunft zu erwarten sein.
.■\L\RBURG A. L. A. KOI'l".
Albwt Daur, Das alte deutsche Volkslied nacli seinen festen aus-
d r u c k s f 0 r m e n b e t r a c h t e t. Leipzig, Quelle & Meyer 1909. YIII, 200 s. 6 m.
Der Verfasser des vorliegenden buches, das aus einer Heidelberger dissertation
hervorgegangen ist, schickt der eigentlichen darstellung eine einleituug voraus. Im
^inschluss an Bücher konstatiert er die Wichtigkeit der formel bei eutstehung und
31*
468 DIETRICH
ontwickolung der vollispoesie. Die formel (d. h. typischer, festgeprägter ausdruck)
dient ihm dazu, den Zusammenhang des Volksliedes mit epik und minnesaug zu
beweisen. Nachdem der Verfasser dann festgestellt hat, dass er unter dem alten
deutschen Volkslied die gesamte liederdichtung des 15. und besonders des 16. Jahr-
hunderts verstanden wissen will, erörtert er die bedeutung der formel in den ver-
schiedenen epochen des Volksliedes. In der frühzeit und decadence ist ihm die formel
organisches moraent zum liedbilden, in der Irühzeit infolge mangels an eigenen
Worten, in der decadence infolge mangels an eigener empfindung. Durch das zu-
sammenstellen der formein entstehen ganze Volkslieder ; dadurch, dass diese formein.
wechseln, erklärt sich die tatsache des 'zersingens' der Volkslieder. In der blütezeit
dagegen ist die formel Stilerscheinung, da sie zwar nicht unbedingt zur liedbildung
erforderlich ist, aber durch schmiegsame Wendungen doch der poetischen Wirkung
zu dienen vermag sowohl bei den erzählenden wie bei den betrachtenden liedern.
In einem ersten hauptteil, in dem die formelhaften verse und Wendungen als lied-
bildender ausdrucksschatz in einer beispielsammlung dargestellt werden, trifft der
Verfasser die Unterscheidung zwischen lyrischen und epischen formein. Episch sind
dem Verfasser Wendungen, die sich an irgendein ding, eine begebenheit, örtlichkeit
heften. Unter lyrischen Wendungen versteht er die sprachlichen ausdrucksmittel für
all das, was sich im menschen ohne die möglichkeit äusserer anschauung vollzieht,
WO also der dichter den ausdruck seiner Stimmung sucht und ohne anlehnung an
ein äusseres sein giebt. Der Verfasser hält eine derartige Unterscheidung mit riick-
sicht auf die gliedeniug des Stoffes für gerechtfertigt, kommt aber mit der getroffenen.
Unterscheidung nicht aus, sondern muss in einem dritten abschnitte die übrig-
bleibenden formein behandeln.
Beispiele für die epischen Wendungen hat der Verfasser aus den lieder-
büchern sorgfältig zusammengetragen uud in gruppen vereinigt. An einzelnen
stellen wäre eine grössere Vollständigkeit zu erlangen gewesen. So werden z. b. bei
der Schilderung der geliebten nur die körperlichen Vorzüge berücksichtigt; die übrigen
eigenschaftcn der geliebten dagegen, seien es Vorzüge, seien es fehler, werden un-
berücksichtigt gelassen. Diese Wendungen zeigen aber ebenfalls einen formelhaften
Charakter. Vergl:
ir iveyUich zucht (art, ehr). Ab. 45, 2, A. 191, 3, Ab. 14, 2, A. 43, 2.
het ich dein untrew lengst erkant. S. 30, 5, A. 74, 5.
ir untrew ist mir ivol bekant. Ab. 35, 30, vergl. Ab. 30, 2.
dein untrew duck. S. 8, 1.
dein falsche dlick. A. 258, 3.
dein glitt mich des betzivungen hat. Ab. 8, 2.
dein zucht und ehr bezwingt mich sehr. S. 13, 2.
sie ist aller tagend voll.
sie ist mild und erenreich. B. 6. 4.
ihr hertz ist aller untreic voll. B. 35, 3.
mit Spot ist sy mnbgeben gantz. Ab. 50, 1.
Die ausdrücke, die das traummotiv erzeugt (s, 53), mussten nach der einmal
getroffenen Unterscheidung unter den 1 y r i s c h e n Wendungen aufgeführt werden.
Zweckmässig konnten damit zusammen auch die formein anderer feststehender motive
behandelt werden, z. b. bestimmte ausdrücke für das motiv des verschliessens der ge-
liebten person im herzen wie in einem schreine und für das motiv des verwundeten
ÜBER DAUR, DA« ALTE DEITSCHE VOLK.SLIElJ 469
herzeiis. Dafür, dass die hier gebrauchten ausdrücke auch einen formelhaften Charakter
zeigen, nur ein heispiel:
mein lurtz ist verwundet {hetrüht, entzündt, verseret). VS. 8, 1, VG. 158, 1,
A. 80, 1, A. 27, 4, Ab. 22, 2, B. 31, 4, S. 28, 2.
Für die lyrischen formein hat der Verfasser eine reiche beispielsammlung aus
den liederbücheru zusammengestellt; nur an wenigen stellen lässt sich diese Sammlung
ergänzen. Neben Gott und Christ wird auch das gluck in formelhaften Wendungen
um hilfe angerufen :
liilf, gelück, dat< ich im widerste. Ab. 7, 1.
ßcht gluck mit deiner seiden stang. Ab. 44, 18.
gdi'ick, nun füg, das m ergee. Ab. 88, 2.
Mehr noch, als die Warnungen vor falschen zvmgeu, mussten die Warnungen vor den
falschen klaffern in ihrem formelhaften Charakter hervorgehoben werden:
glaub du den kleffe?-n nit. A. 81, 6, S. 27, 8.
die kleffer saltu meiden. B. 9, 4.
tut die kläffers meiden, VG. 11, 4.
las alle falschen kleffer schwetzen. A. 211, 1.
Da der Verfasser in den beiden gruppen von epischen und lyrischen formein nicht
alle formelhaften Wendungen behandeln konnte, so stellte er in einer dritten gruppe
die übrigbleibenden formelu zusammen (füllsei und einschiebsei, eingeschobene sätze
und Paarungen sinnverwandter Wörter). In dem zweiten hauptteile werden die
formein nach ihren erscheinungen im liede dargestellt, u. zw. werden zuerst beispiele
für formelhafte liedeingänge gegeben. Bei dieser beispielsammlung ist nicht der
wortgleiche ausdruck der massgebende gesichtspunkt, sondern das Schema der formel,
ihre syntaktisch-gedankliche seite. Die beispiele für solche formelhaften liedeingänge
schliessen sich vielfach an die in Goedekes Grundr. 11-, §§ 109, 110 gegebene material-
saramlung an. Die beispiele lassen auf das deutlichste erkennen, dass die liedeingänge
in besonderem masse formelhafte Wendungen zeigen. Hier gibt der Verfasser manche
fruchtbare ani-egung. Mit recht weist er z. b. darauf hin, mit wie grosser vorsieht
<lie eingangsverse zu behandeln seien, da sie einen bestimmten typus zeigen und
infolgedessen oft derselbe eingangsvers bei den verschiedensten liedern wiederkehrt.
In dem folgenden abschnitte behandelt der Verfasser die gerippf ormel n,
worunter er formein versteht, die bei gleichbleibendem gefüge im Wortlaut derart
veränderlich sind, dass sie in allen fällen ihrer anwendung einen gleichmässig festen
und einen nach Zusammensetzung und gebrauchsweise veränderlichen teil haben,
aus diesen gerippformeln entwickeln sich die typischen str opheneingäu ge.
Die beispielsammlung für diesen abschnitt ist äusserst reichhaltig und zeigt, von
wie grosser bedeutung solche formein für die komposition des liedes sind. Auch die
Schlussstrophen gestalten sich in den meisten fällen formoliiaft. Der schluss einer
Strophe ist oft bedingt durch den reim und zeigt meist formein, die auf den
dichter des liedes bezug nehmen. Infolge des zersingens sind jedoch in den ver-
schiedenen fassungen eines liedes die angaben über persönlichkeit und stand des
<lichtors sehr verschieden, so dass man aus diesen angaben den wirklichen dichter
oft nicht mehr erkennen kann.
Auch gruppen von zwei versen, die durch reim gebunden sind, er-
scheinen als formein. An band einer reichen beispielsammlung zeigt der Verfasser,
dass die reime vielfach zu formein geworden sind, die auf kosten des vorstellungs-
gehaltes unveränderlich sind.
470 HAIFFEX
T>ei den Strophenübergängen behandelt der Verfasser die lieblingsstrophen
und lieblingsmo t i ve des Volksliedes, die als konstante verse in verschiedeneu
liedern vorkommen.
Alsdann auf die kurz und sprunghaft vorwärtsschreitende art des Volksliedes
eingehend, sucht er zu beweisen, dass dies dadurch bedingt sei, dass das Volkslied
von anbeginn mit einem festen bestand von formein wirtschaftete; jene darstelluugs-
weise ])abe sich rein bedürfnismässig entwickelt. Damit dürfte er aber doch wohl die
bedeutung der formel überschätzt haben.
Im letzten hauptteil beschäftigt sich Verfasser mit der bedeutung der formel
für die liedkomp osition. Sie kann sich derart verändern, dass liedteile (und auch
ganze lieder) mit einem andern liede verschlungen, dass lieder 'zersungen' werden.
Dieses zersingen sucht der Verfasser nicht allein durch entlehnung zu erklären^
sondern auf gruud des formelreichtums füge sich das einzellied dem grösseren vor-
stellungszusammeuhang der volksgesänge. Wenn dies der fall ist, lässt sich die
ähnlichkeit und Übereinstimmung ganzer liedteile leicht erklären. Den beweis hierfür
erbringt der Verfasser durch eine genaue Untersuchung der lieder, die einander
ähnlich sind und teilweise oder ganz übereinstimmten. Überschätzt Daur mitunter
auch die bedeutung der formel, so ist sein buch doch mit freuden zu begrüssen^
KIEL. (I. DIETRICH.
Maximiliau Pfeiffer, Amadisstudieu. Erlanger Inauguraldissertation. Mainz,.
Job. Falk 1905. XIV, 75 s.
Im ersten teil dieser auf genauen bibliographischen und stilistischen Unter-
suchungen fussenden dissertation wird die Verbreitung der Amadisromane in Spanien,
Frankreich und Deutschland dargelegt und hierbei werden die zahlreichen vorhan-
denen bibliographien berichtigt und so weit als möglich auf grund einer umfrage an
alle in betracht kommenden bibliotheken vervollständigt. Im zweiten teil wird durch
viele belege überzeugend nachgewiesen, dass Fischart das sechste buch verdeutscht
hat. Ich will nun die summe aus dieser dissertation ziehen und bei dieser gelegen-
heit ergebnisse verwerten, die ich aus der beschäftigung mit diesem Stoff vor jaliren
gewonnen habe.
Die personen- und Ortsnamen dieses Stoffes weisen nach Wales. Dort muss
der grundstock des Amadis de Gaula = AVales entstanden sein. Er stand ursprüng-
lich wahrscheinlich in beziehung mit dem bretonisch-nordfranzösischen Sagenkreis
von Artus' tafeirunde, von Tristan, dem Gral und Lanzelot. Doch ist der alte
sagenkern in willkürlicher phantasie zu einem verstiegenen idealgebilde von spät-
mittelalterlichem rittertum und fi-auendienst ausgestaltet worden. Früli muss der
Stoff in romanische länder gewandert sein, weil die Charaktere und lebensverhältnisse
romanische art bezeugen. Die erste künde von dem 'roman' kommt aus Spanien ;
dort erwähnen üin einige dichter bereits in der mitte des 14. Jahrhunderts, dort
erhält er auch erst gegen ende des 15. Jahrhunderts seine endgiltige, uns allein
überlieferte fassung. Um 1470 vollendete der regidor der stadt Medina del Campo,
(Tarzi-Ordonez de Montalvo, seinen Amadisroman in vier büchern. Er benützte hier-
für in freier weise eine früh verschollene spanische erzählung und fügte namentlich
in den beiden letzten bänden viel aus eigenem hinzu. Seine vorrede ist datiert vom
ÜBER PFEIFFER, AMADISSTUDIEN 471
jabr 1492. Der älteste naclivveisliche, alle vier bücher iniibissende druck ist 1508
erscbieuen. Diesem folgen bis 1587 noch 26 ausgaben und ein undatierter druck
des dritten und vierten bucbes. Hier wird erzäblt, wie der lield Amadis (im roman
als Amadeus erklärt), der aus dem heimlichen liebesbunde des königs Perion von
Wales mit Elisena, der jüngsten tochter des königs Garinter von Kleinbritannien,
entsprossene söhn, in einem kästchen einem fluss überlassen, von einem schottischen
ritter gefunden wird und unter dem namen des Junkers vom raeere, von der fee
Urganda beschützt, am schottischen hofe aufwächst. Als knabe verliebt er sich
in die zehnjährige Oriana, die tochter des königs Lisuarte von Grossbritannien.
Von seinem vater zum ritter geschlagen, zieht er in ihren dieusten in ferne
läuder, wo er in zahlreichen kämpfen ritter, zauberer und riesen besiegt, Ver-
suchungen widersteht, schwache beschützt, unrecht und gewalt 1)richt, und damit
seine ritterehre leuchtend bewährt. Auf diesen Irrfahrten stösst er auch auf seineu,
den eitern früh geraubten bruder Galaor, ein leichtsinniges gegenstück zu dem
treuen Amadis. Trotz dieser treue schöpft Oriana verdacht und schreibt ihrem
liebsten einen absagebrief. Verzweifelt flieht Amadis in die einsamkeit, avo er
waffenlos ein zährenreiches dasein führt. Sein ritterlicher mut treibt ihn jedoch
wieder in abenteuer. Nach auflösung vieler missverständnisse erfolgt die Vereinigung
der liebenden, welche aber durch Verleumdungen bald wieder gestört wird. Oriana
gebiert einen söhn Esplandian. Als der kaiser von Rom um sie wirbt, gibt ihr
vater aus politischen erwäguugen seine Zustimmung. Doch Amadis befreit sie auf
ihrer brautfahrt und bringt sie auf die beschlossene insel. Bei einem allgemeinen
Völkerkrieg zwischen Christen und beiden wird Amadis sieger und endlich mit
Oriana vermählt.
Die Vorzüge dieses romans: die reiche mannigfaltigkeit des unterhaltenden
Stoffes, die spannenden Schilderungen von abenteuern und Zweikämpfen, die bewegten
Schlachtenbilder, die wirksame darstellung des wunderbaren und zauberhaften, die
gut durchgeführte Charakteristik der hauptpersonen, die deutlich hervortretende
sittlich-ideale anschauung des beiden, die klare Widerspiegelung des Zeitgeistes,
die flüssige, wenn auch in breitem und manieriertem stil gehaltene erzählung waren
die gründe seiner grossen beliebtheit und seiner, erst durch die gleichzeitig auf-
kommende buchdruckerkunst ermöglichten starken Verbreitung und nachwirkung.
Die grossen fehler dieses romans, die von den fortsetzungen noch weit ül»er-
trumpft wurden, sind von der menge der leser nicht erkannt worden : das langsame
vorrücken der handlung, die sich in mehrere nebeneinanderlaufende zweige teilt
und durch das fortwährende auftauchen neuer persönlichkeiten und episoden. durch
das auftürmen neuer, ganz unbegründeter hinderuisse, missverständnisse und ranke,
die nur durch übernatürliclie mittel behoben werden können, immer wieder ins
stocken gerät. Ferner die bis zu ermüdender länge ausgemalten beschreil)ungon,
die weitschweifigen, gespreizten reden, die süsslichen, von höflichkeit triefenden
liebesgespräche, welche zwar das deutliche bestreben nach eleganz und rhetorischer
kunstfertigkeit zeigen, aber von einem schwall gedrechselter und hochtrabender
redensarten überwuchert sind. Im gegensatz zu dem rittertum der alten epen und
romane aus dem bretonischen und französischen Sagenkreise, welches, getragen von
den lebendigen ritterliclien und religiösen idealen des niittelalters, in der ursprüng-
lichen rauhen, herben und darum so wirksamen natürlichkeit auftritt, erscheint uns
das rittertum im Amadis kiinstiich raffiniert und unnatürlich verstiegen, zwecklos,
ohne belebende grundsätze und ideale, unwahr, hohl, totgeboren. Weil die wieder-
472 HAIFFKX
gäbe der Wirklichkeit in den zeiten des Verfalls nicht genügte, versetzte man sich
in eine erträumte Vergangenheit. Politische, geschichtliche, kulturelle zustände
finden sich hier, die nie hestanden haben und in ihrer inneren Unwahrheit nie be-
stehen konnten. Ebenso unnatürlich erscheint hier die, eine triebfeder der handlung
bildende liebe, obschon einzelne liebesszeueu roh sinnlich ausgemalt sind.
Einige bemerkenswerte einzelheiten aus der technik und der auffassung dieses
romans wären noch hervorzuheben. Der Verfasser tritt sehr häufig persönlich her-
vor. Er spricht die leser an : ihr mögt selbst sehen ; ihr könnt euch denken, dass . . .
Am schluss von kapiteln, wo episodeu enden, nimmt er von dem beiden abschied,
überlässt ihn seinem Schicksal oder empfiehlt ihn der gnade Gottes. Am aufaug
des nächsten kapitels knüpft er an eine früher abgebrochene episode an: ihr habt
gehört, was sich mit dem ritter N. begeben hat. Auch durch hinweise auf spätere
ausführungen sucht er dem leser den überblick auf die in mehreren fäden, zum teil
in ganz loser aneinanderreihung der alienteuer, nebeueinanderlaufende handlung
zu erleichtern. Spannung wird erzeugt und hingehalten durch rätselhafte Inschriften
und geheimnisvolle zeichen und Weissagungen, die erst viel später ihre lösuug finden.
Der ganze lebensinhalt der auftretenden personen scheint sich nur um
zwecklose kämpfe und um einen grillenhaften minnedienst zu drehen. Den poli-
tischen mittelpunkt der Amadisromane bilden die kaiser von Konstantinopel, die als
haupt der Christenheit Europa vor der eroberung durch die ungläubigen zu schützen
haben. Wenigstens ein aktuelles motiv, weil eben während der entstehung und
Verbreitung der Amadisromane die Türkeugefahr aufs höchste gestiegen ist. Die
gegner der Christen sind sultaue und kalifen aus dem Orient, also mohammedaner,
werden aber nur als beiden benannt, die .Jupiter als ihren obersten gott anrufen,
während heidnische riesen Mohammed anrufen. Im übrigen werden sie den christ-
lichen kämpfern ganz gleich geschildert. Sie haben dieselben ritterlichen auschau-
ungen und dieselbe ausrüstung. nämlich (den bescbreilmngen und holzschnitten nach
zu scbliessen) die damals typische, stilisierte antike rüstung an. In den Zwei-
kämpfen zwischen Christen und beiden neigt sich gewöhnlich zuerst dem tapfer
zuschlagenden beiden scheinbar der sieg zu, doch im letzten augenblick wird der
Christ mit Gottes hilfe immer sieger. Ähnlich ergebt es den beiden in den grossen
entscheidungsschlachten. In der Zauberei wird die weisse magie, die A'on gott
kommt und den Christen im kämpf gegen die beiden erlaubt ist, geschieden von
der schwarzen magie des teufeis, deren sich die ungläubigen bedienen.
Aus dem stamm der vier ersten bücher sprossen viele zweige, die später in
Italien und Franki'eich neue scbösslinge trieben. In diesen fortsetzungen, die das
leben der nachkommen durch mehrere geschlechter hindurch erzählen, wird die
breite ins ungeheuerliche gedehnt und das unnatürliche bis ins fratzenhafte ver-
zerrt ; immer wieder werden die gleichen Charaktere, motive und Schilderungen bis
ins einzelne in ähnlicher weise vorgeführt. Aus pietät zur familienüberlieferuug
gebären die Prinzessinnen das erste kind, meist einen söhn, vor der eheschliessung
und heimlich, während ihr liebster in der ferne weilt; sie müssen auch das kind gleich
beiseite schaffen und in der Verborgenheit aufziehen lassen. Auch die legitimen
kinder werden oft gleich nach der geburt von beiden, riesen, wilden tieren geraubt
und erst herangeAvachsen , mit den eitern vereinigt. Die Zweikämpfe zwischen
Vätern und söhnen, brüderu und freunden, die unerkannt oder aus nichtigen grün-
den miteinander ringen, sind auch untereinander im wesentlichen gleich. Die
kämpfer bringen sich gegenseitig so schwere wunden bei, dass sie dem tode geweiht
ÜBEH I'FEIFFEK, AMAUISSTUDIEX ' 473
wärt'U, wenn sie nicht durcli zaubt'rkundige franeu gelieilt. von wölken eingeliüUt,
kui'z, durch ein wunder gerettet würden. Vier hauptbestandteile sind am stamm
und den zweigen deutlich zu erkennen : ritterabenteuer, liebeshändel, höfische
etiquette und konversation, welche ein vorbild für das gesellschaftliche leben der
zeit bieten und die wunderweit, die dem seusationsbedürfnis der leser dienen sollte.
Montalvo selbst hat das beispiel zu diesen fortsetzungen gegeben, indem er.
eine griechische quelle vorschützend, die taten Esplandians, des schwarzen ritters,
der nach siegreichen kämpfen kaiser von Konstantinopel wird, in einem fünften
bände schildert, der von 1510—1588 in 10 auflagen veröffentlicht wurde. Das von
Paez de Eibeira verfasste sechste buch bringt die taten des Florisando, des bruder-
sohnes von Amadis, des einzigen beiden der langen Amadisreihe, der nicht in gerader
linie von dem ahnheiTn al)stammt. Aus diesem gründe wohl fand dieses buch
selbst in der heiniat keinen anklang — es erscliien hier nur in zwei drucken, 1510
und 1526 — und wui'de zwar in Italien, aber nicht in Frankreich und somit auch
nicht in Deutschland übernommen. Das siebente buch eines unbekannten Verfassers
ist den heldentaten Lisuarts de Grecia, Esplandians sohns und Perions, des zweiten
sohns von Amadis, gewidmet. Es erschien von 1514—1587 in 73 auflagen. Beson-
ders gegen das fünfte und das siebeute buch richten sich die spöttischen bemer-
kuugen von Miguel Cervantes (Don Quichote I, 6). Das achte buch, eine fortsetzung
des siebenten, ist nur in einem drucke (1526) bekannt. Feliciano de Silva ist der
Verfasser des neunten buches von Amadis de Grecia, Lisuarts söhne, dem ritter vom
brennenden schwert (1530—1596 acht drucke), des zehnten buches (1532—1584 sechs
drucke) und des elften buches (in zwei teilen von 1536—1568 in sieben drucken),
welche beide die chronik des Don Florisel de Niquea enthalten. Mit deiw zwölften
buche über die heldentaten des Don Silves de la Selva (1546—1551 di'ei drucke)
schliesst die reihe der spanischen Amadisromane ab. Allerdings erscheint noch (1687)
eine lose mit dem Amadis zusammenhängende „Cronica del principe de Belianis".
Die neuauflagen hören um 1590 auf, wo dann die französischen und deutscheu be-
arbeituugen diesen roman allenthalben verbreiten. Alte Amadisroiuanzen sind wieder-
holt im 19. Jahrhundert veröfl'entlicht worden, auch die romane in neuausgaben
von 1838, 1848 und 1857. (Vgl. Amadis, Erstes Inich nach der ältesten deutschen
Übersetzung. Hg. v. A. v. Keller in der bibl. d. lit. Vereins XL, S. 440 f.)
In der portugiesischen literatur wird der Amadis auch früh erwähnt. Von
der verloren gegangenen portugiesischen fassung vermutet man, dass sie im auftrag
des Infanten Dom Pedro um 1480 von dem notar zu Eivas aus dem spanischen oder
französischen übersetzt worden sei. Doch ist überhaupt die existenz dieser Über-
tragung zweifelhaft. Einer nicht erweislichen mitteilung von Clemenciu, Quijote 1833,
(1, 109) zufolge soll der Amadis auch ins hcliräische ül)ertragen worden sein. Höchst
unwahrscheinlich ist auch eine griechische Übersetzung, die Feyerabend in der vor-
rede seiner folioausgabe des deutschen Amadis (1583) erwiilint.
In Italien erschien eine ül)ersetzung der spanischen fassung zuerst 154H.
also etwas später als die ersten sechs bücher in Frankreich. In den nächsten Jahr-
zehnten erschienen zahlreiche ausgaben. Mambrino Roseo hat die drei letzten
spanischen bücher auf mehrei-e Ininde erweitert und dci stoff' dann selbständig fort-
geführt. - (Es ist höchst wahrscheinlich, dass die französischen bücher, min<l('stens
von XVI-XXI, Übertragungen aus Koseo sind, uiul dass nur die drei letzten bücher
von unbekannten französisclien autorcn al)gef;isst worden sind. Dodi es sind diese
beziehungen noch nicht gründlich erforscht worden. Aueli I'feitfer liringt iii.lits
474 ' UAriFEx
darüber. Es wäre oiuc daukbare aufgäbe, das Verhältnis zwischen den spanischen,
italienischen und französischen fassungen endlich einmal klarzulegen. Bei den
deutschen bearbeitungen steht es ja fest, dass sie den 24 französischen büchern
stofflich entsprechen.) — Noch in einer zeit lebendiger Wirksamkeit des ximadis hat
Bernardo Tasso, der vater Torquatos, in seinem Epos Amadigi di Fraucia (1560)
den roman in ungemein breiter uud ungeschickter weise bearbeitet.
Frankreich wurde 'das Sammelbecken, aus dem sich der Amadisroman wie
ein fruchtbarer ström in die kultursprachen ergoss'. Der artillerieoffizier Signeur
Des Essars Nicolas de Herberay hat den stoff ungefähr 1520 kennen gelernt und
bald danach die bearbeitung begonnen. Der kriegerischen zeiten wegen uud in der
bescheidenen erwägung, dass einige inzwischen in Frankreich erschienene Übertragungen
anderer dichtungen die Wirkung seiner arbeit in schatten stellen könnten, entschloss
er sich, diese erst drei jahrfünfte später zu vollenden und herauszugeben, viel-
leicht auf das drängen seiner freunde hin. Doch die so oft wiederholte behauptuug,
Franz I. habe Herberays Übersetzung betrieben, ist, wie Pfeiffer (s. 12 f.) zeigt,,
nicht zu erweisen. Im jähre 1540/41 erscheint das erste und zweite buch ; rasch
folgen die weiteren sechs biicher bis 1548. Herberay wollte durch dieses werk
nicht lob ernten, sondern durch die widmung an den zweiten söhn des königs, den
herzog Karl von Orleans, dem hofe seine ergebenheit erweisen und noch mehr, als
tapferer soldat den kriegerischen rühm Frankreichs erheben. Durch die Verwechse-
lung von Gaule mit Gallien hält er Amadis für einen Franzosen und will ihn in
die heimat zurückführen und seinen zeit- und landesgenossen den verblassten glänz
vergangener ritterlicher zeiten vor die äugen zaubern. Er bekennt selbst, dass er
nicht die absieht hatte, der vorläge, wie es allgemein üblich sei, ängstlich zu folgen,
besonders dämm, weil die heimischen sitten der vorläge nicht entsprächen. So
umgibt er den spanischen kern mit einer französischen schale. Aus den vorreden
und der art seiner änderungen geht geradezu hervor, dass seine bearbeitung ein
Vorbild werden sollte für das benehmen des französischen edelmannes im kriege wie
im gesellschaftlichen leben. Durch diese vaterländische umniodeluug und durch
seinen eleganten, reinen stil, auf den Herberay viel mühe und Sorgfalt verwendete,
hat er diesem schwerfälligen roman zu einem beispiellosen erfolg verholfen.
Die von Herberay bearbeiteten acht bücher erreichen alle bis 1577 (das vierte
bis 1588) zahlreiche, je 20—24 auflagen; die späteren, von verschiedenen autoren
besorgten bücher weniger, IX-XII bis 1577 je 10-15 auflagen, XIII-XXI bis 1582
je 2—10 auflagen, XXII— XXIV nur im erscheinungsjahr 1615 je drei drucke.
Pfeiffer verzeichnet (s. 17—26) alle drucke mit der ausgäbe von ort und jähr und
dem gegenwärtigen aufbewahrungsort. Ferner erschienen noch zwei gesamtausgaben,
die erste in Lyon mit 13 büchern 1577, die zweite mit allen 24 büchern in Lyon,
Antwerpen und Paris 1577—1615, uud eine Schatzkammer von briefen und reden
aus den Amadisromauen, die als musterbriefsteller, komplimentierbuch und rheto-
rische beispielsammlung dienen sollte. (Wenn Pfeiffer für die erste ausgäbe 1550
den titel "Thresor des douze livres d'Amadis du Gaule' angibt, so ist das ein
versehen, denn bis dahin sind nur acht bücher erschienen.) Erst die zweite aus-
gäbe (1559) konnte bereits zwölf bücher benützen und auch auf dem titel augeben.
Die weiteren elf ausgaben von 1560—1606 führen den titel 'Tresor de tous les
livres . . .' und gel)en je nach den inzwischen erschienenen fortsetzungen weitere
auszüge ; die letzte aufläge ans 21 büchern (nicht 24, wie Pfeiffer irrtümlioli sagt),
denn die drei letzten Itände sind ja erst 1615 herausgekommen. (A. v. Keller a. a. o.
ÜHKll PFEIFFER, AMADISSTUDIEN 475
s. 446 envälmt noch ein 25. bucli Flores de Grece, das sicli eigentlich dem stoff
nach au das 6. buch auschlicsst. da Flores der zweite söhn Esplandiaus ist, und
ferner uoch eine aus dem spanischen übersetzte Vorgeschichte zum Amadis über
dessen vorfahren Trebatius und Rosiclair 1620—1625 in acht bänden.) Endlich
erschien ein abschluss der abenteuer von Belianis, Amadis und dem Sonnenritter:
Gilbert Saulnier 'Le romant des romans' (Paris 1626—1629) in sieben gewaltigen
bänden. Mit dem lieginu des di'eissigj ährigen krieges verschwindet der Amadis-
vom französischen büchermarkt. Umdichtungen des Amadis erscheinen viel später
von fräulein von Lubert 1750, vom grafen von Tressan 1779 und 1796, sowie eine
freie bearheitung der Vorgeschichte vom markgrafen von Paulmy 1780. (Vgl.
A. V. Keller a. a. o. s. 446.) Neu bearbeitet wurde dieser stoff in der in Paris 1813-
erschienenen dichtung 'Amadis de Gaule' von A. Creuze de Lesser.
Eine holländische Übersetzung erschien 1596; englische Übersetzungen 1619,.
und viel später, 1803, von R. Southey, beide nur die vier ersten bücher enthaltend.
1802 veröffentlichte W. Stewart Rose seine umdichtung 'Amadis de Gaul, a poem
in three books from de french vers'^
Aus Frankreich wandert der ronian zuerst nach Deutschland, wo er im letzten
drittel des 16. Jahrhunderts grosse teilnähme erweckte. Von 1569—1595 wurden
sämtliche 24 bücher ins deutsche übertragen. Schon die französische fassung hat
im Reiche viele liehhaber gefunden. Das erweisen die zahlreichen drucke in deutschen
bibliotheken, die zum teil mit eintragen von besitzern aus dem 16. Jahrhundert ver-
sehen sind. Besonders in die kreise des adels und der höfe muss der Amadis eingang
gefunden haben, denn herzog Christoph von Wüi'ttemberg hat die Verdeutschung
veranlasst, was sich aus Feyerabeuds vorrede zum vierten buche ergibt. Knapp
nach seinem tode (28. dez. 1568), zur fastenmesse 1569, erscheint das erste buch in
zwei drucken, dem ersten mit der unrichtigen Jahreszahl MDLXI und dem zweiten
(zuerst von Pfeifter nachgewiesenen) druck mit der richtigen Jahreszahl, beide bei
Siegmuud Feyerabend in Frankfurt a. M. In dem gleichen verlage erschienen von
1569—1575 in rascher folge dreizehn bücher, die von verschiedenen, nebeneinander
arl)eitenden Übersetzern besorgt wurden. Feyerabend schloss hiermit vorläufig seine
reihe ab.
1) Die Wiener hofl>il)liothek, welche die umfrage Pfeiffers (s. XIII) nicht
beantwortet hat, besitzt, wie ich dem Zettelkatalog entnehme, folgende ausgaben :
Spanisch: Amadis de Gaula, Los quartos libros ... luieuomente impressos. Lo-
uayna, S. Sasseno, 1551. — Elf bücher in sieben bänden. Sevilla, F. Diaz, 1586-96.
— Portixgiesisch : Felic. de Silva, Choronica del Amadis de Grocia. Lisboa 1596. —
Italienisch : Amadis di Gaula, tradotto di lingua Spagnola. A^enezia, Michele Trame-
zinno, 1558-65. Bd. 1-4. 6-23. Venezia, Cam. Franceschini, 1581-82. Bd. 1. 3.
6. 8 9. 11. 12. 14. - Venezia, Tramezinno, 1561. Bd. 16. - 1569-1583. Bd. 18-23.
- Silva, Amadis di Grezia nuovamente tradotto. s. 1. 1565 und Venezia 1580. —
Französisch: Amadis de Gaule. Paris, J. Longis. Zwölf bücher in vier bäuden.
1548-1556. - Lyon, B. Rigaud. Bd. 1-14. 16. 1575-78. - Anvers, Cli. Plautiii.
Zwölf bücher in drei bänden. 1561. Lyon, F. Didier. 24 bücher. 1577-1615. -
Tresor. Lyon 1616. - Das Britische museuni, dessen Catalogue of printed l)ooks .3,
62-72 Pfeiffer für die spanischen und französischen drucke licranzieht, weist überdies
einen grossen bestand von italieuischen, portugiesischen, deutschen, englischrii und
holländischen originaldruckeii, fortsetzungen, späteren ansgal)en und bearlnntuiiiicu
auf. So viel ich weiss, sind nur liier die französische uud die eiiglisclie Ainadis-
oper erwähnt: P. Quiuault, Tragedie en niusique, Paris 1684 und James Heidegger,
Amadis, London 1715.
470 HAUFFEN
Die l)eliebtheit des Stoffes mochte aher auch Michael Manger in Augsburg
verlockt haben, einzelne teile davon zu veröffentlichen, und zwar 1578 das 'vierte
bucli ander theil', samt einem besonderen 'anhang' (der wahrscheinlich einem teil
des 5. buches entspricht und 1579 noclimals mit der falschen angäbe 'das fünff-
zebende buch' erschien), und 1579 'das vierdtzehend buch', das aber nicht, wie
Pfeiffer (s. 32 und 34) meint, die Feyerabendsche reihe fortsetzt, sondern, wie es
schon aus dem titel und aus der vorrede Feyerabends zu seinem 14. buch hervor-
geht, das bringt, was in dem früheren band aus dem vierten buche ausgelassen
worden war, nämlich die fährlichkeiten von Amadis und Galaor, während das
14. buch in Wirklichkeit die geschichte von Sylvis vom walde fortführt. Das von
Pfeiffer (s, 31, anm. 1) erwähnte Breslauer exemplar der Ausgsburger ausgäbe des
4. buches hat Bobertag (a. a. o. 1, 346 f., anm.) genau beschrieben. Hieraus ersehen
wir, dass 'Georgius "Willer von Augspurg, buchhäudler' die dedikation an den pfalz-
grafeu Albrecht bey Rhein unterzeichnet hat. Manger sclieint also nur den druck
besorgt zu haben. Diese bücher sind im gegensatze zur Frankfurter ausgäbe aus
dem italienischen übertragen.
Im jähre 1583 gab Feyerabend eine zweiteilige folioausgal)e der dreizehn
liücher ohne die früheren vorreden und einleitungsgedichte heraus, die begreif-
licherweise keinen solchen absatz fand wie die handlichen einzelausgaben und
auch keine zweite aufläge erlebte. Auf dem titel des zweiten liandes ist irrtümlich das
14. und 15. buch erwähnt. Doch erst 1590 entschloss sich Feyerabend, von anderen
dazu 'beredt', diese beiden liücher bei J. Foillet in Mombelgarten (Mömpelgard,
französisch Montl)eliard, damals württem])ei'gisch) drucken zu lassen. Die weiteren
bücher XVI— XXIV wurden auch in rascher folge von 1591—1595 von seinen erben
herausgegeben. Nachdrucke von bucli I, XIV, XVII und XVm erschienen von
1610-1617 liei Gottfried Tambach in Frankfurt a. Main.
Auch in Deutschland erscheint eine 'Schatzkammer schöner zierlicher orationen,
sendbriefen, gesprächen' . . . L. Zetzner, Strassburg 1596, die aber nicht eine Über-
setzung des 'Tresor' ist, sondern eine selbständige, aus den 24 büchern der deut-
schen Übersetzung gezogene Sammlung, welche dann noch fünfmal bis 1624 aufgelegt
wurdet (Erwähnt sei auch noch Andreas Hartmanns 'Comedia: Historia von des
ritters Amadisens auß Franckreich . . . Thaten'. Dresden 1587. Ferner Christophs
5. Mylius 'Amadis von Gallien' nach der französischen fassung von Tressan.
Leipzig 1782. — Dass Wielands 'Neuer Amadis' nur den namen mit dem älteren
Stoff gemein hat, ist allgemein bekannt.)
Die Verbreitung des Amadis ist also in Deutschland nicht so gross wie in
Frankreich, doch verhältnismässig beträchtlich genug. Pfeiffer (s. 28) findet es
verwunderlich, dass 'bei den religiösen, politischen und schweren wirtschaftlichen
kämpfen, . . . mit der hochflut von Streitschriften zur lehr und wehr, mit der Winds-
braut von politischen und religiös-satirischen flugblättern auch der dickleibige
Amadis einhergeweht wird'. Ich meine aber, dass es eine ganz natüi-liche erschei-
nung ist. Gerade durch diesen grellen gegensatz zwischen den damaligen zuständen
und der sie widerspiegelnden literatur und andererseits der erotisch-phantastischen
idealen scheinweit musste der Amadis den deutschen lesern förmlich zum labetrunk
1 ) Auf der Wiener hofbibliothek sind vorhanden : Amadis, Frankfurt a. M.
1569-1612 (darunter das 6. buch 1595, das 14. und 15. bucli 1610, das 16. und
17. buch 1591), die zweibändige folioausgabe 1583 und die Schatzkammer 1612.
ÜBER PFEIFFEK, AMADISSTUDIEN 4/7
werden. Freilicli einen so tiefgehenden einfluss auf die kultur der höheren schichten
wie in Frankreich, konnte dieser roman in Deutschland nicht nehmen. Schon darum
nicht, weil hier die Übersetzer nicht in der läge waren, dieses durchaus romanische
werk einzudeutschen, es so wie Herberay der heimischen um weit gemäss umzuge-
stalten. Durch den dreissigj ährigen krieg wurden hüben wie drüben der reiclis-
grenze alle spuren des Amadis verwischt '.
Die Verdeutschungen der Amadisromane sind von verschiedenen Verfassern
besorgt worden. Ausser den bänden 1, 8—10 und 19 sind die Übersetzer mit je
vier grossen buchstaben bezeichnet, die als anfangsbuchstaben der namen anzusehen
und l)isher noch nicht gedeutet worden sind, weil es sich wahrscheinlich um lite-
rariscli unbekannte autoren handelt, die je einen oder mehr bände — die meisten
(fünf) ein J. E. V. S. — aus vergnügen oder des broterwerbs wegen übersetzt haben.
Nur bei dem sechsten buch verhält es sich anders. Hier heisst es im titel aus-
drücklich : 'auß Frantzösischer sprach newlich in Teutsche durch J. F. M. G. gebracht*
und unter der Überschrift des einleitenden gedichts J. F. G. M. Das sind also die
l)ekaunten, so oft verwendeten initialen für Johann Fischart genannt Mentzer.
Daraus geht klar hervor, dass Fischart das 6. buch verdeutscht hat. Eigentlich
müsste die gegenteilige meinung erwiesen werden. Trotzdem waren die ansichten
darüber verschieden. Goedeke (Grundriss ^ 2, 74) weist nur das einleitende gedieht
(neu gedruckt bei Kurz 3, 24—32) Fischarten zu. Gervinus, Geschichte der deutschen
dichtuug^ 3, 499, A. v. Keller (a. a. o. 448), Bobertag (Geschichte des romans 1,
360) und Besson (Etüde sur Fischart, 166) lassen die frage offen. Scherer (Anfänge
des deutschen prosaromans, Qu. u. F. 21, 62) sagt mit recht, die autorschaft müsse
'durch philologische Untersuchung doch zu ermitteln sein'. Baesecke (Glückliaft
schiff, neudrucke nr. 182, Xf. anmerkung; von mir besprochen in dieser Zeit-
schrift 35, 555—57) nimmt einen ansatz dazu, doch erst Pfeiffer hat durch eine
genaue stilistische Untersuchung die Verfasserschaft Fischarts erwiesen.
Diese Untersuchung ist übersichtlich augeordnet und bringt für viele Fi-
scharten besonders eigentümliche Stilerscheinungen eine fülle von gut ausgewählten
belegen.
Den anfänger in der kunst des übersetzeus merkt mau deutlich an den vielen
flüchtigen, ungenauen oder ganz unrichtigen oder sinnlosen üliersetzungen; so gibt
er 'tard' mit 'ermüdet' (322), 'demoysel' (afr. junker) oft sinnstürend mit 'Jungfrau'
wieder, weil er es für 'demoyselle' liest. [Ein beispiel für wiederholt vorkommende
missdeutungen französischer redensarten möclite ich hier noch hinzufügen: 'j'avois
1) In dem artikel 'Amadisromane' der letzten (sechsten) aufläge von Jleyers
grossem konversatiouslexikon 1, 405 (1902) finden sich die unrichtigen angaben,
dass die deutsche Übersetzung 1583 (richtig von 1569 angefangen) erschienen und
dass diese auf 30 bände erweitert worden sei, während in wirkliclikeit die 24 deut-
scheu bücher den französischen entsprechen. Ferner dass die erste bekannte aus-
i^abe von Montalvos text 1519 (riclitig 1508) erschienen ist. Hier möchte ich noch
bemerken, dass die von Braunfels im 'Kritischen versuch über den Amadis' (Leipzig
1876) mit guten gründen ins fabelreich verwiesene portugiesische Urschrift in dem
irenannten artikel wiederum als ciuelle Montalvos angegeben und die hypotiiese von
Braunfels, die allgemeine anerkenuung gefunden, als 'hinfällig' l)ezeiciiiiet winl.
Die hier erwähnte schrift von Braga, Forma^'üo do Amadis, Opurto 1878, die wahr-
scheinlich die these von Braunfels" bekämpft, ist mir leider nicht zugänglich.
478 HAITFEX
la counoissauce de la tette de ma uourisse' (284), 'so hab ich . , . allbereyt schon
meiner seuganimen kopff vud angesicht erkennet', wobei er 4a tette' (brüst) mit
'la tete" (köpf) verwechselt. Ungeschick erweisen aucli die Wendungen, die sich
wortwörtlich an das französische lehnen und darum undeutsch klingen, oder deren
sinn erst dui'ch einen vergleich mit der vorläge klar wird: 'la teste baissee mon-
trerent' (223), 'vnd nach gehencktem kopff bestiegen sie den wall usw', 'le Chevalier
cheminant toute nuit et jusques au lendemain le heaulme en la teste, ne repaissaut
ne luv, ne son cheval' (405 f.), 'der ritter . . . die gantze nacht ohu einige gepflegte
rliu des pferds noch seiner, noch auch ablegung des heims gereyset seye'.]
Doch auch die besonderen eigenschaften und Vorzüge von Fischarts Über-
setzung zeigen sich schon bei diesem ersten versuch: die grosse ausdrucksfähigkeit,
der reiche wortvorrat, der ihm bereits zur Verfügung steht. Schon hier erweitert
€r die französische vorläge durch zwei- und mehrgliedrige formelu, durch anhäufung
von synonymen, durch verstärkende beiwörter und bestimmungswörter, erklärende
Oppositionen und durch beifügung der Verdeutschung zu dem übernommenen fremd-
wort: 'quelle fortune' (63), 'was für vnglück vnd böser windt'; 'estourdy' (246),
^vnrichtig, düi-misch vund erdaubet' ; 'les mortelles plaintes' (351), 'das leidklagen,
senfftzen, achtzen, jaraern vnnd mordschreyen' ; 'leurs mains' (681), 'ihren raubi-
scheu bänden' ; ['du desir' (563), 'des ehrenzimliclien lustes'] ; 'il tremblayt comme
la fucille' (473), 'bidmet vnd zitteret wie ein espenlaub' ; [l'Isle ferme' (2), 'Insel
Ferme, sonst die starck, vest, beschlossen insel genannt' ; 'esphere' (5), 'spehr oder
himmelskugel' (vgl. Greschichtklitterung 186 'spher oder Weltkugel')].
Die überwiegende mehrheit der Sprichwörter, redensarten und bilder der
vorläge sind genau und trefiend wiedergegeben ; ausserdem werden noch nüchterne
stellen durch bildkräftigen ausdruck ersetzt und selbständig scherzhafte und anschau-
liche Wendungen eingefügt: Tautiquite' (56), 'alt fränckische manier'; ['secouer le
jarret' (730), 'die hosenband vnd das füsslein schütteln' (sterben); 'Or touchait
eile droitement au mal de ceste princesse' (18), 'mit diesen reden hat sie der
jungen fürstin (wie man pflegt zu reden) den rechten eysen gerüret' (die
gesperrt gedruckte weudung kommt ähnlich bei Fischart überaus häufig vor) ;
,prens ce chemin' (414), 'uam den weg . . . vnder die füß' ; 'Certes ce n'estoit pas
droitement le poinct, qui les solicitoit le plus, ains le petit enfangon qu'elles seutoit
-deja mouvoir au ventre' (757), 'Warlich diss war eigentlich nicht der wurm, der
sie am meisten naget, sondern das klein gartenkindlein, welches bereyt band vnnd
füss bekommen, im mutterleib sich reget'] ; 'il entra pesle mesle' (458), 'vnder sie
sprang wie ein hungeriger wolff vnder die schaff'.
Weiter bemerken wir schon hier die gewandtheit in Wortbildungen und einen
grossen voiTat von allgemein deutschen und insbesondere alemannischen ausdrücken.
Pfeiffer (s. 63—65 und 72) bringt eine reihe von Substantiven auf -ung, von denen
gewiss mehrere ueubildungen sind. Ferner mehrere Fischart eigentümliche Zu-
sammensetzungen, besonders adjektive wie 'neidbissig' (456), 'notträugiich' (343),
'sattelraumig' (384). [Einige davon finden sich auch anderwärts bei Fischart, so
für 'estourdy' (638), 'schellhirnig', vgl. Geschichtklitterung s. 3, 'schellhörnig vnd
hirnschöllig' und 'zornwägig' (542), vgl. Lob der laute v. 44. Für einen in der
vorläge wiederholt vorkommenden ausdruck gebraucht der bearbeiter viele ver-
schiedene bezeichnungen : 'tenans' (579—591), bestandritter, planschirmer, =-- haber,
= halter, = herr, = recher, =retter, parthalter, handhaber (beim tiu'nier); 'vilain' (41).
'grober vnghoflicher baurenflegel', (58) 'vnhöfflicher baurenwisch', (464) 'schelms-
ÜBER PFEIFFER, AJIADIS.STIDIEN' 479
lialß'; 'lance' (550 und oft), 'gläne, lantze' (553 ii. a.), 'spar, spieß'. — Ich füüfe
noch eine kleine liste von Zusammensetzungen und einfachen ausdrücken hinzu, die
nur hier belegt oder die der alemannischen bezw. der elsässischen mundart angehören :
'aberkuust' (243 in einem absatz über zauberei); 'beschöiilich' (498 honneste ; nur
'unbeschünlich 'in Stielers Wörterbuch, s. 1756); 'entruttnng' (202 effroy; 'entriitten"
Lob der laute v. 33); 'grewelhorn' (40 corue; vgl. 'gräuselhorn' Jesuiterhütlein v. 27
und Catalogus B la); 'haunelen' (oder 'schreyen', von pferden 748 hennir; im
ersten buch 724 Svehnlet vnd schrie'j ; 'liebkuß' (626 baiser) und 'liebzanck' (299
Zusatz ; ähnliche bildungeu 'libtranck' Gorgo v. 59, 'libtat' Ehezuchtbüchlein 167 u. a.
'libsucht' Pod. trostbüchlein 25, 'liebkrantz' Geschichtklitterung 266l; 'liebpflichtig'
(461 ä, qui je suis, vgl. 'libmächtig' Ehezuchtbüchlein 126, 'liebhaft' 232 usw.);
^agerig' (467 amegrie); 'mundleinspiel' (505 'les traitemens de bouche); 'nach-
denckig' (649 pensifj ; 'schamlächlet' (500 se souzrians) ; 'stumpffling' (den rücken
kehren 456) ; 'vngrundlicher' (freuden 253, d'un trop grande aise') ; 'vergriff liehe'
(anzügliche reden 503); 'Vermahlung' (752 la grue). Einige selten gebrauchte
ausdrücke : 'ausskunden' (rottenweiß 345 manderant de mein en raain, in der
bedeutuug verkündigen, vgl. 'ausskunden lassen' Geschichtklitterung) ; 'dickmals'
(273 maintefois, vgl. 'dickmals' Bienenkorb E 39 a) ; 'notzwäuglich" (beschlafeu 440
forcee, erster beleg im Deutschen Wörterbuch VII, 964); 'schnellschiff lein' (264 le
petit navire, im Deutschen Wörterbuch IX, 1309 wird 'schnellschift'' als neubildung
von Campe bezeichnet. — 'ketschen , pfetzen' und 'walgern' , die auch hier oft
vorkommen (ein gelungenes beispiel 'gouverner les dames' 717 'die meidlin zu
pfetzen'), sind lieblingsausdrücke von Fischart, vgl. das Wörterverzeichnis von
Kurz (3, 518; 523; 537) und das Elsässische Wörterbuch 1. 483; 2, 142 f.; 821.
•zatz' (184 vilaine, Dirne; vgl. 'zatz' für hündin, Flöhhaz v. 2401, auch im elsäs-
sischen in diesen beiden bedeutungen üblich. Eis. wörterb. 2, 921). Der umlant
in der einzalil von 'die aesch' und die Schreibung 'floch, flöch', wie sie hier vor-
kommen, sind auch bei Fischart zu finden (Flöhhaz v. 658 und v. 1562) und im
elsässischeu üblich (Wörterbuch 1, 80 und 163). Bezeichneiul für Fischart scheint
mir auch die Übersetzung für 'qu'il estoit Francoys', (459) 'daß er ein Franck were'
(vgl. Geschiciitklitternng 31 für Eabelais 'es Francois': 'zu den Teutschen Fraucken
vnnd Franck-Teutschen')].
Wie später in der Geschichtklitterung, so erhalten schon im Amadis. nur in
geringerem masse, französische ausdrücke in wirksamer, auch scherzhafter Umge-
staltung deutsches gewand: 'quartier' (269), 'wartier'; 'saugloutz' (746),' 'gluchsen' ;
'faire voyle' (493), 'die segel zu freyen'; 'galleres' (359) 'waleen' oder für den kreuz-
weg 'un carrefour' (537), 'an eine karrefurt'.
Pfeiffer führt einige Wortspiele an, die zum teil niclit von der vorläge an-
geregt worden sind, wie 'contestaiis' (314), 'indem sie wehr vnd ehrwort treiben'.
Aus dem einfachen Wortspiel 'cerf — serf — service' wird mit reichen zutaten ein
dreifaches (472—73) : 'hirtz — hertz — gehürn — zürn — stirn — dirn". Ferner viele l)ei-
spiele von alliterationen, die nur zum geringen teil von der vorläge angeregt worden
sind, so z. b. 'vent et vagues' (37 u. a.), 'wind vnd wasserwogen' und mehrere
stellen mit reimprosa, die alle selbständig eingeführt wurden. [Zu (519) 'weder
strut noch pfad' wäre zu erwähnen, dass P'isciiart es liebt, scherzweise niederdeutsche
formen auch im reim einzufügen: vgl. Geschiclitklitterung (8.376) 'seclis bilger aß
oder (vml) reimens willen) frat'.]
Aus diesen betrachtungen gelit schon liervor. dass der üliersetzer den spracli-
480 IIAIFI KX
licluMi ausdruck der vorläge durchaus nicht uur bereichert, sondern auch verbreitert
hat. Pfeiifcr gibt solche beispiele für Schilderungen von Zweikämpfen, liebesszenen,
ansprachen und gegeureden zweier feinde. Doch möchte ich hierzu bemerken, dass
die deutsche bearbeitung zwar lebendiger und kräftiger ist, dafür aber sehr oft in
Weitschweifigkeit und besonders bei den reden in gespreiztheit ausartet. Trotz alle-
dem finden sich hier keine sachlichen einschübe, \vie später bei der Geschichtklitte-
rung und anderwärts. Fischart hat hier, jedenfalls dem beispiele der Übersetzer der
ersten Amadisbücher und dem wünsche des Verlegers folgend, auf zusätze ver-
zichtet. Die Weitschweifigkeit aber liegt ihm im blut und äussert sich schon in
der Amadisübersetzung, wo für ein wort der vorläge eine breite Umschreibung oder
eine reihe von synonymen steht, für einen kurzen satz ein oft unübersichtliches
Satzgefüge, womit nichts neues gesagt, sondern nur das ganze ungenauer und schwer
verständlich wird. Nur ein beispiel: 'se voyant si tost frustre de la presence de
sa nouvelle amye: de laquelle il n'eut moyen avoir autre conge, sinon' (34), 'dieweil
er sah, sich so bald seiner newen holdschaift beraubt sein, vnd die angefangen lieb
vnvoUendet, auch dass er von jhrer tröstlichen gegenwertigkeyt, so stützlich ohn
alles vorgenaden solte scheiden, mit welcher er dan in solcher verdrüßlichen eil
kein andern abscheid wüsste zu machen, dan dass . . .' Wenn der Franzose an das
vorhergehende mit 'toutesfois' anknüpft, so wiederholt Fischart dafür mehr oder
weniger von dem bereits gesagten. Eine breite, schwülstige prosa erseheint den
meisten Schriftstellern dieser zeit als eine notwendigkeit, als allgemeiner brauch, ja
als Vorzug, in der meinuug, dass ein solcher stil mehr gewicht verleihe. Besonders
krass wird der gegensatz bei einem vergleich mit dem französischen, das damals
wie heute einen viel knapperen, bündigeren stil zeigt als das deutsche, welches
dagegen wiederum ausdrucksfähiger, reicher an bezeichnungen für die verschiedenen
färbungen desselben begritfes ist.
Fischart pflegt bei seinen bearbeitungen an der vorläge gar keine oder nur
unwesentliche änderungen und striche aus ganz bestimmten gründen anzubringen.
Wie bei der Geschichtklitterung (vgl. meine ausführungen im Afda. 23. 77 8),
so verhält es sich auch bei dem deutschen Amadis. Pfeiffer (60 f.) zeigt, dass
der verdeutscher katholische eiurichtungen und ausdrücke streicht oder ersetzt,
so 'messe' durch 'predig', 'couvent' durch 'apotheke' , 'sainte Mari!' durch 'ach,
Jesus', natürlich nicht konsequent, denn das ist Fischart nie. Allerdings finden
wir dieselbe erscheinung auch, in den ersten büchern.
Pfeiffer hat sich auch der mühe unterzogen (s. 47 f., 68, 72), die bearbeitung
Fischarts mit den meist schlichten und einförmigen, au den kurialstil gemahnenden
Verdeutschungen der 'das sechste umgebenden bücher' zu vergleichen, freilich nur
oben hin und ohne gegenbeispiele. Er findet bei dem sechsten buche folgende
besonderen eigentümlichkeiten : eine grössere freiheit der bewegung, eine flottere
behandlung und intelligentere, nicht so sklavische Übersetzung wie bei den übrigen,
einen selbständigen, unerschöpflichen wortvorrat, wenig fremdwörter, ein plastischeres
hervortreten der personen, die auch, statt der abhängigen rede im französischen,
direkte reden führen, also alles merkzeichen der 'gengen redfärtigkeyt' Fischarts ^
Diese Vorzüge der bearbeitung müssen die grössere Verbreitung des sechsten
buches bedingt haben, nicht der Inhalt, der in stoff und auffassung den übrigen
1) Belanglose bemerkungeu ülier die spräche des unbekannten Übersetzers
des ersten buches, eines Schwaben, gibt A. v. Keller (a. a. o. s. 465 f.).
ÜBER PFEIFFER, AMADISSTIIMEN 481
büchern gleichartig ist. Das sechste buch hat fünf auflagcü erlebt, wie das erste,
während das zweite bis vierte buch auf vier, die übrigen bücher bis zum drei-
zehnten es nur auf drei auflagen gebracht haben. Das fällt um so mehr ins ge-
wicht, als die höhe der aufläge sehr gross war. (Beim 6. und 6. buch des letzten
druckes ungefähr 1250, bei den übrigen büchern ungefähr 1200—1225 exemplare.
H. P all mann, Feyerabend, sein leben und seine geschäftlichen beziehungeu,
Archiv für Frankfurter geschichte und kunst, neue folge, 7. bd., Frankfurt 1881,
s. 251/7, hat diese daten den registern der herbstmessen von 1594/7 entnommen.)
Auch die erste aufläge muss sehr gross gewesen sein, nach einem ausspruch Feycr-
abends (Pfeiifer s. 37) zu schliessen: 'dass jme diser zeit der Amadis de Gaula
mehr in seckel getragen, weder des Luthers Postill'. Auch in der vorrede zur
folioausgabe (1583) sagt der Verleger ganz ähnliches über die erste ausgäbe in
eiuzelbäuden : 'Welche auch dermasseu angenommen, auffgekauft vnd gelesen worden,
dass alle derselben exemplaria in kurtz abgaugen, verkaufft worden vnd in grosse
nachfrag gar gerahten'. Die bücher XIV— XXIV sind, abgesehen von den olien
erwähnten nachdrucken, nur einmal aufgelegt worden.
Das einleitende gedieht 'Ein Vorbereitung in den Amadis', das auch vom
siebenten buche übernommen wurde, ist natürlich auch von Fischart abgefasst.
Das erweisen nicht nur die anfangsbuchstaben seines vollen namens unter der Über-
schrift, sondern auch die innere und äussere form. Am eingang ein lang aus-
gespounenes gleichnis mit dem übergange zum gegenstände, vers 41, 'Also soll es
auch hie geschehen' (ganz ähnlich wie in vielen seiner Bildergedichte 0> Ferner das
heisse bemühen, aus dem Amadis eine moralische nutzanwenduug zu ziehen. Neu-
bildungen wie V. 21 'Gifftwend' (vgl. 'Traurwendt' für V7j7cev9-Yjg, vorrede zum
Eulenspiegel reimensweiß 2, 14), wortspielende etymologien v. 75 f. ; 109 ff. ;
antithesen vers 86 'jen, daß man leid, die, daß man meid' (mit binnenreim),
V. 65 f., 74, 75 f., 89 f.; wirksame zweigliedrige formein v. 38 'Solch köstlich
kraut, solch kräfftig samen'; alemannische reime v. 83 f. 'ist: vermischt' u. a.
Dieses gedieht ist nach der ersten ausgäbe, 1572, mitgeteilt von A. v. Keller
(a. a. 0. 448—451) mit den versehen v. 'hat] het', v. 46 'vcrdrüst] verdüst', 'denn] dann'.
Keller gibt hier auch die Varianten der zweiten ausgäbe 1573. Den text der dritten
ausgäbe 1576 bringt Kurz 3, 29-32. Kurz schreibt v. 66 die beiden worte 'hörn
auß. honig loß' fälschlich getrennt. Die fassungen von 1576, 1583 und 1595 zeigen
nur orthographische abweicliungen von dem ersten druck.
Nach den umständlichen allgemeinen betrachtungen geht Fischart erst gegen
schluss dieses gedichtes, v. 109 ff., auf das eingeleitete buch selbst ein mit aus-
führungen, die man zum teil auf den Amadisroman überhaupt beziehen könnte.
Amadis heisse 'Gottes lieb'-. Darum lasse ihn (lOtt trotz trüber erfahrungen nicht
erliegen, sondern obsiegen, so dass er sein geschlecht bis ins dritte glied geniesse.
(In der tat hebt mit Amadis aus Griechen, den Onolorie, Lisuarts verlobte, am
Schlüsse dieses buches gebiert, das dritte geschlecht an. Die späteren, damals im
deutschen noch nicht herausgekommenen büclier hat Fiscliart jedenfalls uiclit gekannt.)
Der roman zeige auch das amt der rechten obrigkeit, nach schweren kämpfen räuber
1) Vgl. meine 'Neuen Fischart-Studien' (7. Ergiinzungsheft znm luiphnrion),
s. 172-4.
2) Barfüsser sektenstreit A, v. 44.5 7: 'Zu der sect, Amadeer gncnt | Sonst
gnant brüder von Gottes lieb | Die ich gern mit dem D. l)eschrieb'.
ZEITSCIIKIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLII. 32
482 HAIFFEX ÜliEU ri'EIFFER, AJtADISSTlDlEX
uiul rieseil, Türken, Tataren und Leiden niederzuringen. Solche und dergleichen
lehren könne man diesem, der 'ergetzlicheyt' dienenden buche entnehmen. Man
lege nichts lihel aus und verkehre nichts in gift, wie die spinne, sondern handle
wie die hienen. Dieses l)ild mit dem sprichwörtlichen gegensatz zur hiene ist im
16. Jahrhundert ausserordentlich häufig (vgl. Deutsches Wörterbuch X, 1, sp. 2510).
Fischart selbst verwendet es mehrmals, allerdings ohne erwähnung der biene, so
gleich ein jähr danach am Schlüsse seines mit der Amadiseinführung in den all-
gemeinen erörterungen übereinstimmenden einleitenden gedichts zum Ismenius v. 229f.
Den gedanken, durch scherz zu l)elehren, finden wir nicht nur in den vorreden zu
Fischarts Eulenspiegel reimeusweiss. Podagi'ammisch trostbüchlein, Geschichtklitte-
rung, sondern auch in zahlreichen vorreden geistesverwandter werke dieser zeit.
auch in denen der Amadisbücher.
Die vorreden zum sechsten buch sind nicht von Fischart. Die erste,
eine widmung, wird in wenig verändertem Wortlaut in die späteren Imcher auf-
genommen. Diese Widmungen wenden sich bis einschliesslich des 13. buches an
damen regierender oder adelicher liäuser; die späteren, ausser dem 16. buch, an
männer, zum teil büi'gerlichen Standes. Die widmung zum sechsten buch hat
wahrscheinlich Fischart selbst, den geänderten Verhältnissen entsprechend ein
wenig umstilisiert. Dabei hält er sich nicht an die Widmungen der nächst vor-
hergehenden bücher, sondern nach der ersten, wie die späteren vom Verleger ge-
zeichneten, vorrede. (Ein beispiel: für die stelle der ersten widmung, die Fischart
wörtlich übernimmt und auch für seine 'Vorbereitung' verwertet : 'nit wenig nutzens
neben der belustigung zu löblicher handhabung der tugendt, wie ausser einem lieb-
lichen lustgarten, in dem gute vnd böse kreuter gefunden, nemen vnd abbrechen,
das böse vnd lästerlich zu rück stellen, vnd fahren lassen mag', sagt die widmung
zum dritten buch: 'vil nutzens neben der belustigung zur behauptung vnd hand-
habung zucht, tugendt vnnd erbarkeit nemmen vnnd l)ehalten : Was aber ärgerlich
vnd nit aller der tugend zutreglich beiseit vnd zurück stellen vnnd derwegen
gedencken, daß auch wol vnder dem schönen wolriechenden rößlein spitzige vnd
stachlichte dorn gefunden werden').
Was nun die zweite 'Vorrede an den gunstigen leser' betrifft, so sind die
behauptungen Pfeiffers (s. 43 f.), diese sei erstmals dem sechsten buch vorgesetzt
und käme dem stil nach Fischart zu, unrichtig. Diese vorrede erscheint schon in
den ersten ausgaben des dritten und weiterer bücher (vgl. Meusebach-Wendeler
a. a. 0. 3111), und zwar durchweg gleichlautend, und weist keine kennzeichen
seines stiles auf.
Dass Feyerabend auf Fischart verfiel, ist naheliegend. Dieser lieferte ihm
ja 1571 den anfangs 1572 veröffentlichten Euleuspiegel reimensweiß. Zur herbst-
messe 1572 erschien das sechste buch des Amadis. So hatte Fisehart ungefähr ein
jähr zeit, seine Übersetzung fertigzubringen'.
Bedürfte es überhaupt noch weiterer beweise, so könnte auf aussprüche Fischarts
1) Auf fällt, dass Feyerabend sowohl beim Eulenspiegel als auch bei einigen
bänden der ersten reihe der Amadisbücher (so beim 6. buch), bei denen er doch
die widmung mit seinem namen zeichnet, und bei anderen werken dieser zeit seineu
1563 geborenen, also minderjährigen söhn Hieronymus als Verleger angibt. Pall-
mann (a. a. o. s. 35 und 31 f.) erklärt das als einen akt der vorsieht. Denn zur
ueujahrsmesse 1568 in Leipzig wurden dem buchführer Feyerabends wegen eines
uachdrucks der Carionschen Chronik sämtliche büchervorräte beschlagnahmt.
STIEFEL ÜBER PETER PROBST, DRA^^rATISCHE WERKE ED. KREtSLER 483
Über den Araadis verwiesen werden, die sich iicrade auf den inhalt des sechsten buches
beziehen. Zu den stellen im Peter von Stauffenberg v. 61/6 und in der vorrede dazu
(Pfeiffer s. 74) wären noch hinzuzufügen die stellen in der Geschichtklitterung
(s. 158, 427 und 395): 'wann Vrganda nicht im Amadis war, was wer es?' — 'Gleich-
wol halten etliche Amadisischen 0 rianisten' [nach Oriane, der frau von Amadis]
'darfür, er werd in d e r Vrganda affenschiff wieder kommen' (vgl. 6, buch, 44. kap.) —
'als der Amadisischen Vrganda weiß, die sibentzigenjärig siben schläf er
macht' (vgl. 6. buch, 21. kap.). Wichtig ist, dass die zweite stelle 1582 und die
gesperrten werte erst 1690 eingefügt wurden, woraus hervorgeht, dass Fischarten
noch achtzehn jähre später der inhalt des sechsten buches vertraut war^ Ferner
bemerkt er in seiner Verdeutschung von Bodins Dämonomanie, und zwar erst in
der zweiten ausgäbe vom jähre 1586, s. 160, zu der erwähnung des heilkrautes
Orant: 'von diesem Orant oder Orchant scheint, hat der dichter des Amadis seine
beste fabelspickerin, die Vrganda, erdichtet.'
Der Wahlspruch am schluss des Amadis 'Alors comme alors' findet sich in
einer handschriftlichen eintragung von 1567 (Pfeiffer s. 75) und als schluss dreier
von Fischart verdeutschten politischen flugschriften (Hauffen im Euphorion 8, 547;
549 f.; 554 7).
Den nachweis, dass noch 1628 in Strassburg der tätige anteil Fischarts am
Amadis liekannt war, hat Eubensohn (Euphorion 6, 223, aum. 1, vgl. ebenda 1, 59 f.
und Pfeiffer 74 f.) erbracht. Danach hat der Altorfer professor Nikolaus Eitters-
hausen während eines längeren aufenthalts in Strassburg 1628 in ein ihm gehöriges
exemplar von Opitzens Aristarchus seinen namen eingetragen und bei erwähnung
des Amadis an den rand geschrieben 'Priores quidem Septem libri a Johanne Fischard
translati'. Eul)ensohn fügt hinzu, dass diese nachricht das grösste bedenken
erregen muss. Freilich alle ersten sieben bücher hat Fischart nicht ül »ersetzt, doch
dass er der verdeutscher des sechsten buches ist, das wird niemand mehr be-
zweifeln können.
1) Wenn er in die Geschichtklitterung (s. 453) 1582 einschiebt: 'besser als im
Thresor des Amadys', so kann dies nicht melir erweisen, als dass ihm der titel der
französischen ausgäbe bekannt war. Die deutsche 'Schatzkammer' ist ja erst 1596
■erschienen.
PRA(t-SMICHOW. ADOLF HAl'FFBN.
Die dramatischen werke von Peter Probst (1553—1556). Eingeleitet
und herausgegeben von Emil Kroislcr. Halle a. S., Niemeyer 1907. XVIII,
141 s. (Neudr. deutscher literaturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts nr. 219
bis 221). 1,80 m.
Seitdem Leonhard Li er in seinen hübschen Studien zur geschichte des Xiirn-
berger fastnachtsspiels (1889) und in seinem aufsatze 'Peter Probst ein Zeitgenosse
und mitbürger des H. Sachs' (Allg. zeitung 1891) dem früher wenig bekannten
dichter eine liebevolle betrachtung gewidmet und Gustav Eöthe ihm in der Allg.
deutschen biographie mit bewährter hand den ihm gebührenden platz angewiesen
32*
484 S'riI':i'TOL ÜliEK l'KTEU I'KOn.ST, IMIAMATISCHE WERKE ED. KKEISLER
hat, sind wir gewohnt, Probst an der seite des ihn übrigens in jeder bezichung
überragenden Nürnberger naeisters seine stelle einnehmen zu sehen. Aber noch war
jeder, der sicli unmittelbar mit ihm beschäftigen wollte, gezwungen, die handschrift
seiner dichtungen in der Dresdener k. ölt', bibliuthek einzusehen; denn ausser dem
von Franz Schnorr v. Carolsfeld herausgegebenen fastnachtspiel vom kranken,
bauern (Archiv f. literaturgesch, IV, 409 ff.) war nichts von ihm gedruckt. So
war es denn zu begrüssen, dass Kreisler die dramen des dichters durch einen
schönen druck jedermann zugänglich machte. Es war mir leider nicht möglich,
den druck mit der handschrift zu vergleichen, um festzustellen, ob er getreu ist.
Das vom herausgeber beobachtete verfahren ist jedenfalls nicht zu beanstanden.
Er hat die Orthographie respektiert und nur den gebrauch der majuskeln geregelt:
vers- und satzanfänge, eigennamen und 'die in den szenischen bemerkungen als
solche gebrauchten gattungsnamen' gross geschrieben. Für einzelne stellen, die
mir verderbt erscheinen, hätte ich zwar Verbesserungsvorschläge, aber ohne ein-
sieht in die handschrift möchte ich sie nicht aussprechen. S. 45 indes würde
ich (vers 91, bzw. 92) ohne bedenken 'bona dies' statt bona dieas und 'semper
quies' statt semper quias lesen.
In einer 16 selten langen einleitung stellte Kreisler kurz zusammen, was die
forschuug bisher über Probsts leben, über seine werke im allgemeinen und über
die einzelnen spiele, sowie über seine handschrift ermittelt hatte. Neues vermochte
er nicht beizubringen. Auch ich habe nur wenig beizufügen. Eine erwähnung in
der vorrede hätte vielleicht Creizenachs Geschichte des neueren dramas verdient, weil
er Probst zwei selten widmete (bd. III, s. 309/10) und seine fastnachtspiele richtig
charakterisierte. — Bei der comediaVon dem blind geborenen bliebe zu
untersuchen, ob nicht ein humanistisches stück dem Verfasser vorgelegen. Der text
indes verrät nur beuützung der Lutherischen bibelübersetzung. Bei dem spiel
Von einem mulner vnd seinem weib gibt Kreisler 11 bearbeitungen der
fabel an ; er hat offenbar keine ahnung von der ungeheuren Verbreitung des Stoffes.
Ich verweise der kürze halber auf W. Hertz Spielmannsbuch s. 423—432, wo
eine sehr grosse anzahl von versioneu — aber bei weitem nicht alle — zusammen-
gestellt und klassifiziert sind \ — H. Kurz, Lier u. a. sind der ansieht, dass Waldis
lY^ 66 — Probsts vorläge — auf Rosenplüts, auch von H. Sachs benutzten schwank
Von einem varnden sc hui er zurückgehe. Da Waldis erwiesenermassen einen
anderen alten Nürnb. erzähler, den H. Folz, benützte, so böte die annähme an und für
sich keine Schwierigkeit; selbst der umstand, dass Rosenplüt den schwank von einem
bauern erzählt, während W. einen müller zum beiden macht und die handlung
in einer mühle vor sich gehen lässt, wäre zu erklären : Waldis kannte und benützte
vielleicht das von A. v. Keller in den Erzähl, aus altd. handsehriften (s. 260 ff.") ver-
öffentl. gedieht Von dem mullner, das eine gewisse Verwandtschaft mit unserer
fabel zeigt; aber die anderen einzelheiten sind zu verschieden, auch war der
schwank sehr verbreitet, so dass eine zwingende notwendigkeit, Eosenplüt für die
quelle des Waldis anzusehen, nicht besteht. — S. VII behauptet Kreisler, dass Probst
'eine art mittelglied zwischen dem älteren fastnachtspiele und Hans Sachs bildet'.
Das hätte einen sinn, wenn Probst älter als Hans Sachs, wenn er sein Vorgänger,
1) Vgl. ferner Bolte und Seelraann, Niederdeutsche schausp. , s. *42— *48,
Boltes Ausg^ von M. Montanus' Schwankbüchern, s. 627 und meine bemerkungen zu
H. Sachsens 37. fastnachtspiel Germania, bd. 36, 22.
^
WITKOWSKI ÜBER PAYER VOX THURX, STAATSAKTIONEN 485
sein Vorbild wäre; so aber begaan Probst erst 1553, also zu einer zeit, wo Sachs
schon 45 fastnachtspiele und zahlreiche 'coraedien' und 'tragedien' verfasst hatte.
Probst ist kein mittelglied zwischen dem älteren fastnachtspiel und H. Sachs,
sondern ein nachahmer des H. Sachs, und zwar auch darin, dass er, gleich diesem,
auf ältere Vorbilder, auf Hans Folz und Rosenplüt, zurückgriff.
MÜNCHEN. ARTHIR LUDWIG S'l'IEFEL.
Wiener haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und herausgegeben von
Kudolf Payer von Thurii. Zwei bände. Wien, verlag des literarischen Vereins
in Wien, 1908 und 1910. (Schriften des literarischen Vereins in Wien X und Xni.)
XLI, 461 und VI, 439 s.
In der geschichte des deutschen dramas und theatera ist der Zeitraum
vor der reforni Gottscheds, das erste viertel des 18. Jahrhunderts, der dunkelste.
Das gilt sowohl in bezug auf die positive kenntnis der leistungen wie von der
technik der dichter und Schauspieler. Wir wissen nur das wenige, was uns Gottsched,
Lessing, Nicolai und einige ihrer Zeitgenossen berichten und was später von Karl
Weiss, Carl Heine, E. M. Werner, Schwering, zuletzt noch von Homeyer erforscht
worden ist.
Für die Vorgeschichte der Neuberschen truppe, die grosse lücke zwischen dem
tode Veltens und dem eingreifen Gottscheds, fehlt es leider fast ganz an Urkunden
über prinzipale, Schauspieler und Spielplan und zumal an drucken oder abschriften
der aufgeführten dramen. Über eine bescheidene zahl von 14 näher bekannten
ernsten stücken der Wandertruppen berichtete Carl Heine in seiner schrift 'Das
Schauspiel der deutschen Wanderbühne vor Gottsched' (Halle a. S. 1889).
Der typus dieser 'haupt- und Staatsaktionen' besteht bekanntlich darin, dass
ein ernster historischer stoff in schwülstige prosadialoge umgesetzt wird, unter-
brochen durch die derb komischen extemporierten hauswurstszenen. Die Stoffe werden
mit Vorliebe der vornehmeren oper entlehnt oder der politischen unterhaltungsliteratur
in der art der 'gespräche im reiche der toten'. Das grausige mischt sich mit der
grotesken komik in sicherer berechnung auf die ungeläuterten, die gröbsten reize
fordernden Zuschauer. Während der titellield in der 'enthaubttung des weltberühmten
wohlredners Ciceronis' von Marcus Antonius im walde überfallen und geköpft wird,
macht hanswurst seine lazzi und dann prügelt er sich mit Scapin um das ab-
geschlagene haupt, damit ihm das trinkgeld nicht entgehe, das er von der tochter
des ei'schlagenen erhofft.
Das schmutzigste an worten und aktioii wird als würze in dieses gebräu
geschüttet. Armselige nachahmung des übertriebenen opcrnprunks durch bunten
dokorationswechsel, grobe maschineneft'ekte, unechter glänz der kostünie sollen die
hungrigen äugen ergötzen und steigern doch nur den eindruck jämmerlicher unkunst
und gemeiner routine.
Aber mit alledem bleiben die denkmäler dieser gattung doch historisch be-
deutsam. Nur an ihnen lässt sich ermessen, welch langer weg bis zum klassizistischen
drama französischer art zurückzulegen war.
Die 15 haupt- und Staatsaktionen des Wiener hansvvursts Joseph Antoiii
Stnmitzky bietet Payer von Thurn in dem vorliegendem werke dar. Die ein-
48(5 WITKOWSKI ÜBER PAYEU VON THURN,' STAATSAKTIONEN
leitung- stellt auf grund umfungreicher forschungen leben und tätigkeit Stra-
nitzkys dar. Er ist nach alter, hier durch wahrscheinlichkeitsgrüude bestätigter
tradition iu Prag etwa 1676 geboren, hat seine Jugend in Graz verlebt, wo sein
vater lakai war. Dieser starb 1684, und die witwe betrieb später das geschäft einer
tändlerin. Der söhn ist erst als hanswurst bei einem quacksalber in dienst getreten
und hat da nach der sitte der zeit die patienteu diu'ch seine spässe angelockt.
1699 aber erscheint er mit dem Wohnsitz Augsburg in der Münchener stadtrechnung
als Unternehmer von polichinellspielen, 1705 zum erstenmale in Wien, im folgenden
jähre als prinzipal mit zwei anderen, die in der hütte auf dem neuen markt spielen.
Inzwischen hatte er sich die neue, überaus erfolgreiche maskenrolle zurechtgelegt,
die dem hanswui'st auf lange zeit als die beliebteste erscheinungsform verbleiben
sollte. Statt des phantasiekostüms wählte er die tracht des Salzburger bauern aus
dem Pinzgau und gab vor, das gewerbe des sauschneiders [castrator porcorum) zu
betreiben, durch dessen ausübung die Pinzgauer weit über ihre lieimat hinaus be-
kannt waren. Stranitzkys kunst gab den deutschen schauspielern in Wien den
festen boden. Aus der bude sind sie bald in das Ballhaus, aus diesem in das noch
vornehmere Kärntnertortheater übergesiedelt. Dabei ist Stranitzky in wenigen jähren
zum wohlhabenden bürger geworden, trotzdem er hohe abgaben zu zahlen hatte und
aus seiner ehe zwölf kinder entsprangen. Einen teil seines Vermögens verdankte er
dem nebenerwerb als zahnbrecher, nachdem er 1707 von der Wiener medizinischen
fakultät als zahn- und mundarzt geprüft worden war. Ausserdem hat er wahrscheinlich
einen weinhandel lietrieben, wie sich aus den grossen Vorräten schliesseu lässt, die
von dem edlen rebensaft beim tode Stranitzkys in seinem besitz waren. Er starb
am 19. mai 1726, nachdem er, wie die legende erzählt, dem publikum noch seinen
nachfolger Gottlieb Prehauser vorgestellt hatte.
Wie von diesen lebensdaten, wusste man auch von den stücken Stranitzkys
schon manches, besonders durch die treffliche, zusammenfassende darstellung Alexander
V. Weilens in seiner geschichte des Wiener theaterwesens von den ältesten zeiten
bis zu den anfangen der hoftheater (s. 121—139). Dort ist auch (s. 131 ff.) von den
fünfzehn stücken die rede, die mit Sicherheit auf ihn zurückzuführen sind. Merk-
Avürdigerweise weichen die titel bei Weilen von denen in Paj-ers neudruck vielfach
ab. Ohne vergleichung der handschriften lässt sich die Ursache dieser differenzen nicht
auffinden. Ebensowenig ist die quelleufrage ausserhalb Wiens weiter zu fördern, als
es Weilen gelang, indem er sieben der stücke als bearbeituug von texten der Wiener
hofoper nachwies. Ich weiss nicht, weshalb Payer (s. Vni ff.) das verdienst dieser nach-
weise Hohmeyer zuschreibt. Die Stücke Stranitzkys nehmen den originalen alle reize der
poetischen form, um für die eine beherrschende gestalt des hauswursts, die sie neu
einfügen, den weitesten Spielraum zu schaffen. Er ist nicht nur der spassmacher; er
intrigiert, er belauscht die heimlichen gespräche und mordtaten und löst durch
enthüUung der verbrechen die knoten der handlung; er ist jedermanns vertrauter,
gehilfe und ratgeber. In dieser neuen, gegen früher sehr erweiterten funktion hat
der hanswurst mit dem grünen hut die Wiener Volksbühne bis an die zeit Eaimunds
beherrscht. Die schüler und nachfolger Stranitzkys durchzogen die österreichischen
laude und das ganze deutsche Sprachgebiet mit stücken, die abseits von der ge-
druckten höheren literatur nur dem Schauspieler die unterläge derber komik bieten
wollten, denn nach dem tode Stranitzkys verschwand sehr bald die ernste haupt-
und Staatsaktion, und die reine hanswurstiade blieb allein übrig.
So sind die von Payer abgedruckten Wiener stücke neben den wenigen ander-
TH. A. .IIEYEK ÜBER SCHl.ENKEH, 15ATTEUX IX DElTSCHLAXi) 487
wärts erhaltenen der gleiclien art die letzten ansläufer der einst von den englischen
komödiauten in Deutschland gegründeten dramatischen technik und werden in diesem
Zusammenhang zu historischen deiikniälern von höherer bedeutung. Es hätte sich
verlohnt, nach dieser richtuug hin die etwas dürftigen aunierkungen zu erweitern,
etwa die 'Englischen comedieu vnd tragedien' von 1620-1630 und die 'Schau-bühne
englischer vnd französischer comödianten' für motive und technik zum vergleich
heranzuziehen, die besonders charakteristischen abweichungen von den opernvorlagen
zu verzeichnen und die Wiener lokalbeziehungen reichlicher zu erläutern. Doch hat
der verdiente, sorgsame herausgeber mit gutem gründe den ohnehin starken bänden
diese last nicht aufgebürdet.
l.EIPZIG. . GEOllG WITKOW.SKI.
Manfred Sclilenker, Charles Bat teux und seine u achahmungstheori e
in Deutschland. Leipzig 1909. VIII, 154 s. [Untersuchungen zur neueren
sprach- und literaturgeschichte, herausg. von Oskar E. Walze 1. Neue folge,
n. heft.] 3 m.
Der Verfasser greift ein interessantes, in sich abgeschlossenes kapitel aus der
geschichte der ästhetik heraus. Er setzt bei Batteux ein, in dem die von Aristoteles
formulierte und von der renaissance den neueren Völkern übermittelte nachahmungs-
theorie ihren letzten bedeutenden und eigenartigen Vertreter gefunden hat. Dann
berichtet er, wie die Deutschen, die durch Gottsched und die Schweizer mit der
vorbatteuxschen nachahmungstheorie des französischen klassizismus bekanntgemacht
worden waren, Batteux' anschauungen zustimmend und ablehnend verarbeitet und
schliesslich durch eine tiefere aulfassung des künstlerischen schaft'ens ersetzt haben.
An stelle der antiken Objektivität in der kunstbetrachtuug, wie sie sich in der
aristotelischen lehre von der nachahmung bekundet, bricht bei den männcrn vom
Sturm und drang, bei Herder und Goethe, siegreich 'der subjektive Idealismus der
modernen weit hervor, der in der kunst vor allem eine darstellung des eigenen ge-
fühlslebens sieht.' Nach ihrer meinung arbeitet der küiistler nicht der natur
äusserlich nach, sondern er gestaltet in angeborener Schöpferkraft auf dem weg der
natur und doch frei von sklavischer nachahmung derselben eine zweite höhere natur.
Wie fruchtbar die betrachtung der geschichte des ästlietischen denkens unter dem
gewählten gesichtspunkt gerade für die behandelte epoche ist, zeigt sich in Scblenkers
abhandlung an den lichtem, die nach allen selten auf die entwicklung des deutschen
geisteslebens und vornehmlich auf führende männer, wie auf Gottsched und die
Schweizer, auf Klopstock, Lessing und Winkelmann, auf Herder und Goethe, fallen,
und wenn der Verfasser auch nicht zu wesentlich neuen resultaten gegenüber seinen
Vorgängern gekommen ist, so hat er sie doch in zahlreichen einzelheiten meist recht
glücklich berichtigt. Die mit unverkennbnrem gesehick und erfreulicher Sachkenntnis
geschriebene abhandlung macht nicht bloss ihrem Verfasser elire, sondern auch der
schule von 0. F. Walzel, aus der sie hervorgegangen ist.
STrT'J'(iAin'. '11 1. A. MKVKK.
488 EinusMAxx
Zwei- und d r e i g 1 i e cl r i g k e i t i u der d e u t s c li e n p r o s a des XIV. u u d
XV. Jahrhunderts. Ein beitrag zur geschichte des neuhochdeutschen prosa-
stils von Friedrich Wenzlau. [Herrn aea IV.] Halle, Xiemeyer 1906. XVI,
266 s. 9 in.
Unter den redefiguren in der Stilistik des 14. und 15. Jahrhunderts nehmen
die zweigliedi'igen formein und synonj^ma die erste stelle ein. Sie vor allem bilden
den schmuck der gehobenen spräche in dichtuug und prosa, in der predigt, den
theologischen traktaten, in den rechtssätzen und den Urkunden. Die zweigliedrig-
keit ist die am stärksten gebrauchte, aber auch am ärgsten missbrauchte unter den
colores rhdoricdlcs. Denn allzu üppig spriessen zuweilen diese 'geferwten kunst-
lichen planten'' (Der leyen disputa, John Meier in den Philol. Studien, der festgabe
für Sievers, s. 403) aus sonst magerem boden hervor, oder auch sind sie zu dürftig
'gefärbt' und haben darum ein ödes ansehen. Der virtuos verwendet sie und der
Stümper, an ihnen lässt sich der künstlerische sinn eines schi-iftstellers prüfen.
Unter diesem gesichtspunkte hat der Verfasser des vorliegenden werkes das stil-
mittel der zwei- und dreigliedrigkeit bei einer grösseren anzahl von autoren des
14. und 15. Jahrhunderts untersucht (Johann von Neumarkt, Heinrich von Mügeln,
Ackermann aus Böhmen, Erhart Gross, Albrecht von Eyb, Nikolaus von Wyle, Hein-
rich Steinhüwel, der md. ApoUonius von Tyrus und die Griseldis, Johann Hartlieb,
Arigo, Die Marina, Antonius von Pforr). Indem er ein grosses material fleissig
gesammelt, nach wissenschaftlichen gesichtspunkten gruppiert und mit gutem urteil
zu Schlüssen über die sprachliche kunst der betreffenden Verfasser verwendet hat,
ist die forschuug über die geschichte des deutschen stils wesentlich durch ihn ge-
fördert worden.
Im hintergrunde dieser neuen prosaischen stilkuust steht, wie für den auf-
schwung der Urkundensprache, die frühhumanistische kultur Karls IV. (s. 20) ; die
Übersetzungen seines kanzlers Johann von Neumarkt und der Ackermann von Böhmen
bringen sie am gewandtesten zum ausdruck. Es ist das verdienst des Verfassers,
dass er, den anregungen Burdachs folgend, gerade diese auch für die geschichte
der deutschen prosa so wichtigen werke der ostdeutschen literatur unter bestimmten
künstlerischen gesichtspunkten untersucht hat.
Die mystiker, diese zweite gruppe der grossen prosaisten des 14. und 15. Jahr-
hunderts, hat der Verfasser aus seinen beobachtungen ausgeschlossen, deutet aber
doch mit recht an, dass auch sie die zweigliedrigen ausdrücke verwendeten. Aber
die frage nach der herkunft der stilistischen figur der zweigliedrigkeit ist nicht
richtig beantwortet. Sie stammt nicht aus der urkuudensprache, sondern sie ist ja
längst vorher schon ein schmuck der gehobenen rede gewesen. Sie ist doppelten
Ursprungs. Die zwillingsformeln sind schon ein charakteristischer ausdruck der
poetischen spräche der Germanen (vgl. bes. R. M. Meyer, Die altgermanische poesie
s. 240 ff.), und sie leben fort im mittelhochdeutschen volksepos (Radke, Die epische
formel im Nibelungenliede s. 21 ff. ; AViegaud, Stilistische Untersuchungen zürn könig
Rother s. 56 ff.).
Die altheimischen formein tragen zum grossen teil ein bestimmtes gepräge,
und sie lassen sich dadurch oft von der anderen gruppe unterscheiden. Diese,
die zweite art, hat ihren Ursprung im lateinischen rhetorenstil und gelangte durch
die christlich-lateinischen Schriftsteller wie in die anderen Volkssprachen, so auch
in die althochdeutsche geistliche literatur (über Otfrids formein vgl. Schütze, Bei-
träge zur poetik Otfrids s. 24 ff). In den frühmittelhochdeutschen dichtungen und
ZWEI- rXD DKEKiLIEDKKJKEIT IN DER DEUTSCHEN PROSA 489
predigten ist dieser schmuck oft iu überschweDglicher weise angebracht, vgl. Heinzel,
H. von Melk s. 13 f.; Schröder, Anegenge s. 30; Eödiger, Litanei, Zfda. 19, 323;
Kossmann, Exodus s. 65ff. ; von der Leyen, Des a. Hartmann rede v. glouven
s. 52 ; Bruiuier, Studien zu Wernhers Marienliederu s. 214 ft". ; Haas, Das stereotype
iu den ad. predigten s. 32, 36, 71 ff.; Baumgarten, Stilistische Untersuchungen zum
Eolandsliede, Behaghel in seinen Untersuchungen über die predigten Eckhards in
den Beiträgen bd. 36. Die höfischen dichter haben die zweigliedrige formel nicht
aus der geistlichen literatur oder aus der schule oder der predigt entnommen,
sondern aus ihren Vorbildern, den altfranzösischen romanen. Veldeke und Hart-
mann verwenden sie reichlich (Roetteken, Die epische kunst H. von Veldeke und
Hartmanus von Aue s. 104 ff.), aber erst Gotfrid hat sie mit künstlerischer Virtuosität
zu einem wesentlichen ausdruck seiner formensprache gemacht. Von seiner eigenen
spräche gilt noch in viel höherem masse das, was er von der Hartmanns sagt : sie
ist durchvänvtt und durchzieret (V. 4622), und zu seinen colores gehören haupt-
sächlich diese paarbegriffe. Er ist geAviss durch sein Vorbild, Thomas von Bretune,
dazu bestimmt worden, denn der künstlerische bau von dessen spräche beruht auf
parallelismus und Symmetrie. Von grossem einfluss auf die spätere höfische dich-
tung ist dann Konrad von Würzburg gewesen, der die zweigliedrigen ausdrücke
sehr zierlich anzubringen verstand (vgl. Josef, Klage der kunst s. 43 ff. ; Jaekel,
Egenolf von Staufenberg s. 10 ff.). Und nun die prosa. Der Verfasser weist selbst
darauf hin, dass iu den deutscheu urkuuden die zweigliedrigen formein schon vor
Karl IV. auftreten (s. 14 und s. 6 [mitteilung Burdachs]). Besonders in den grund-
formein der Urkunden und briefe haben sie ihre stelle, so schon in den ältesten
deutschen prosabriefen, in denen Ulrichs von Lichtenstein : mtn huld und ouch den
dienest iiun (Lachm. 32, 9 f.), ir huld und ir gruoz (162, 21 f.); so auch in dem brief
der Anflise au Gahmuret, Parz. 76, 24: minne und gruoz (eine andere grussformel
ist dienst enhiettn : Meinloh, MSF. 11, 14; Gutenburg, MSF. 69. 1).
Der erste kanzleibeamte aber, der in die deutsche literatur eingegriffen hat,
ist Michael de Leone, der protonotarius des bistums Würzburg. Die eintrage, die
er in der von ihm veranstalteten sammelhandschrift, der sog. Würzburger handschrift,
gemacht hat (um 1340), tragen vielfach den kanzleistil. So sind in den Über-
schriften des Eenner, die von ihm herrühren (erhalten in der Erlanger hs.) syno-
nyme formein gebraucht wie die hölzerne: Von elen vier elemcnten vnd dar üf
vnd ouch darnach (Bamberger druck, V. 6110) oder die sehr geschuörkelte in
der vorrede: Und darum bittet Meister Michel von Wirshurc, der diz huoch
also corrigiert, rehtvertigt, capituliert und registriert hat. Aber gerade diese
pedantisch bureaukratische Steifheit zeigt, wie weit er an geschmack hinter seinem
kolk'gen und Zeitgenossen, dem böhmischen kanzler, zurückstand.
In den lateinischen klosterschulen ist die deutsche literarische prosa ent-
standen; die Zierlichkeit des stils haben die deutschen höfischen dichter von den
Franzosen gelernt; mit dem frühhumanismus ist die klassische rhetorik schulgemäss
als muster aufgestellt worden. Überall ist die deutsche kunstsprache abhängig von
derjenigen der Römer und Romanen. Somit erwächst für die forsehung die aufgäbe
einer historischen Stilistik, welche darzulegen hat, wo und wie weit der deutsciic
Stil von fremder sprachkuust abhängig ist. Eine der hauptfragen wird dabei die
nach den arten des stilistischen ausdrucks sein. Die mittelalterliche lateinische
rhetorik hat die Unterscheidung der drei stilarten von den Römern übernommen,
die extenuata, mediocris und gravis oratio nach Ad Heren ni um IV, 10—12, oder
490 EHRISJrANN ÜBER WEXZLAU, ZWEI- UND DREIGLIEDRKiKEIT USW.
tenuior, medioeris, plenior nach Cicero, De oratore III, 212. Nach Cicero lehrt
Augustinus, De doctrina christ. IV, 14: der einfache stil soll lehren, der zier-
liche ergötzen, der erhabene rühren (Ebert, Gesch. der christl.-lat. lit. I, 238; vgl,
auch Hugo Parisiensis, Migne 176, 880). Isidor, Orig. IT, 17 hat die hezeich-
uuug hiimile, medium, grandiloqiium, und ihm folgt Konrad von Hirsau in
seinem Didascalion (ed. Scheppss s. 27 und anra. 10, wo weitere autoren zitiert
sind). In Notkers Ehetorik sind vier (/e?ierrt oroior««n unterschieden, cap. 38— 42
(Piper U, 663—666; dazu Norden, Die antike kuustprosa II, 929), worunter das
(jmus copiosmn hier am meisten interessiert, da zu ihm die zweigliedrigen formein
gehören, wofür er als heispiele anführt: sapiens et callidus, stultitiu et temeritate.
Die elocutio, der richtige sprachliche ausdi'uck, im gründe freilich dasselbe wie die
oratio, kann doppelter art sein, entweder simplex oder figurata, und die letztere
besteht im copiose ornateque dicere, cap. 51 u. 52 (Piper II, 671 — 673).
In der mittelhochdeutschen literatur hat die theorie von den drei stilarten
nicht prinzipiell eingaug gefunden, wohl aber sind zwei arten des ausdrucks mit
künstlerischer absieht unterschieden worden, indem ein schriftsteiler unter um-
ständen, wenn sich gelegenheit bot, für die ihm gewöhnliche und eigene redeweise
eine höhere, weiter ausgeschmückte anwendete (die sog. geblümte rede, vgl.
Beitr. 22, 322), gerade wie Cicero De oratore III a. a. o. vorschreibt, dass die
Stilart dem Inhalt entsprechen soll. Die geblümte rede ist eine nachahmung der
mittelalterlich lateinischen schwülstigen Schreibart, welche auf der spätlateinischen
rhetorischen kuustprosa und somit auf dem Asianismus beruht (vgl. Norden,
bes. II, 586 ff.).
Doch aber wird man bei der abstufung der drei römischen stilarten unwill-
kürlich au die grundsätze der drei grossen mittelhochdeutschen epiker erinnert.
Hartmanus spräche ist einfach, sie entspricht auch seinem lehrhaften naturell: das
ist die oratio humilis, deren absieht ist zu lehren, docere ; Gotfrid ist zierlich, er
will ästhetisch ergötzen (delectare), die Wirkung bildet bei ihm die süssigkeit der
Worte, suavitas, x^pts (vgl, Norden I, 216) ; Wolfram aber spricht erhaben, er will
ethisch ergreifen (movere, fleeterc); das ist hohe rede, grandiloquum, die Wirkung
geschieht durch t: de 9- 0 g. Seinesprache ist ein werk der berechnung. Was uns un-
■ gelenk erscheint, seine dunkle, geschraubte art, seine gesuchten metapheru und
bilder, sind nicht lediglich aus einem ringen mit dem sprachstotf oder aus einer
ihm anhaftenden Schwerfälligkeit im sprachlichen ausdruck hervorgegangen, sondern
das ist ein beabsichtigtes prinzip : es ist mittelhochdeutscher Asianismus.
Eine sehr beachtenswerte entdeckuug, die zu weitergehenden beobachtungen
anregt, hat der Verfasser mit den 'metrischen kapitelausgängen' in .Johanns von 01-
mütz Übersetzung des Hieronymuslebens gemacht (s. 81 ft'.). 259 kapitel desselben
schliessen, mit ausnähme von neun, wo aber unbedenklich geändert werden kann,
mit unbetonten silben, also trochäisch, und zwar meist mit mehreren, besonders
häufig mit drei trochäen. Was der Verfasser gefunden hat, sind also rhythmische
Satzschlüsse, und wir haben hier ein beispiel dafür, dass der kursus der lateinischen
prosa in einem deutschen Schriftwerke in gewisser weise nachgeahmt wurde.
Darauf hat Burdach hingewiesen im ersten teile seiner abhandlung 'Über den
satzrhythiiuis der deutschen prosa' (Sitzungsberichte d. kgl. preuss. akademie der
Wissenschaften 1909, 520—535), deren fortsetzung die geschichte dieses auch für
die deutsche prosa so wichtigen ausdrucksmittels bringen wird.
GREIFSWALD. G, EHRISMANX.
f
I
HIRSCH ÜBER HILLE, DEUTSCHE KOMÖDIE 491
Die deutsche kouiödie unter der einwirkung des Aristophanes von
Cart Hille. [Breslauer beitrage zui' literaturgeschichte. 12. lieft.] Leipzig,
Quelle und Meyer 1907. VI, 180 s. 5,75 m.
Als eine besondere gattuug des deutschen lustspicls führt Kurz in seiner
rubrikeureichen literaturgeschichte («IV, 526) das aristophanische au, dessen be-
gründer in Deutschland er Platen nennt. Seinen spuren folgt auf das getreueste
Hille in seiner Untersuchung, die in breiterer darstellung die autoren vorführt,
deren bereits Kiuz gedacht hat. Nun tut man Kurz vielleicht unrecht, wenn mau
seine stoffgeschichtliclien Zusammenstellungen kurzweg von sich weist; sie geben
immerhin anhaltspunkte, auf denen man weiterbauen kann. Ihn aber als einzig
massgebende quelle zu betrachten, ist kaum möglich. Gewiss wird eine stoff-
geschichtliche Untersuchung niemals allseits befriedigen können, und immer wird
sich eine mehr oder weniger bedeutungsvolle nachlese ermöglichen lassen. Wenn
es aber jemand unternimmt, die deutsche komödie unter cinwirkung des Aristo-
phanes darzustellen, wird er sich vor allem darüber klar sein müssen, was das
heisst: 'einwirkung des Aristophanes'. Hille will zunächst jede parodie von seiner
abhandlung ausgeschlossen wissen — das ist ein Standpunkt, über dpn sich dis-
kutieren lässt. Er geht dabei aber gleich einen schritt weiter und schliesst zum
grössten teile auch alle politische satire aus. So fehlen gerade alle die stücke in
seiner arbeit, die in jeder hinsieht aristophanisch sind. Dadurch verschiebt sich
aber das gesamtbild, die darstellung wird einseitig und orientiert über einen sehr
wichtigen zweig unserer literatur gar nicht. Wir sind nämlich keineswegs so arm
an politischen Satiren in dramatischer form, wie es nach Hilles ausführungen
scheinen müsste. Wenigstens einige, die H. nicht hätten entgehen dürfen, seien
liier angeführt. Die politisch bewegten jalire vor der niärzrevolutiou und bis zur
einigung des deutschen reiches haben gar manche scharfe politische satire gezeitigt.
So schrieb Eduard von Bauern feld, den H. überhaupt nicht nennt, 1844 'Die
reichsversammlung der tiere', ein durchaus aristophanisches stück. Die tiere bc-
schliessen eine konstitution, erwählen einen neuen könig, erküren abgeordnete usw.
Formell und inhaltlich ist hier der einfluss der 'Vögel' mit bänden zu gTeifen.
1840 erschien bei Hoffmann und Campe 'Tyll Eulenspiegel', eine aristophanisclie
komödie von Friedrich Rade well, die Zeitereignisse glossiert. Der 'hegelnde'
grübler Faust, der gleichheitsprediger Posa u. a. werden 'verworfen'. — 'Die Ver-
klärung der liebe oder die nachteuleu', ein anonymes lustspiel (Erlangen 1838), soll
nach einem berichte von Heils 'Abendzeitung' (1838 nr. 11) besonders witzige naclit-
eulenchöre enthalten. Zu Schillers 100. geburtstage (1859) erschien 'Der politische
Jahrmarkt', ein fastnachtsspiel von Schillere redivivo. Alle politischen Vorgänge der
zeit werden in einer reihe burlesker szenen, die nach art der Goethischen \\'alpurgis-
nacht gestaltet sind, persifliert. Die personen sprechen lediglich worte aus Schillers
drameu und werden durch diese vortrefflich charakterisiert. Auch die zeitungcn treten
auf und mischen sich in die debatten. In der vorrede nennt sich der autor '31. Reimlein,
poeta laureatus'; das stück scheint viel erfolg gehabt zu haben; nocli 18t;3 ist eine
neuauflage erschienen. — Am stärksten äusserte sich die politische satire im sturm-
jahre 1848 in Wien. Namentlich 'der Wiener Aristophanes' .Tohann Nestroy. den
Hille nur als parodisten (!) gelten lässt und deshalb völlig aus seiner Untersuchung
ausschliesst, griff mit ein paar kecken koraödien in die bewegung ein. Seine 'Frei-
heit in Krähwinkel', noch heute auf dem Wiener und Berliner theater lebendig,
ist eine scharfe politische satire auf die politischen Vorgänge, eine posse 'Lady und
492 HIKSCII ÜBER HILLE, DEUTSCHE KOMÖDIE
Schneider' durch die gestalt des politisierenden Schneidermeisters Heugeign jeden-
falls stark von aristophanischem geiste durchsetzt. Überhaupt war ja in Wien die
Sehnsucht nach aristophanischen komödien immer sehr lebhaft. Am besten geht
dies wohl aus einem dialog hervor: 'Aristophanes und ein Wiener lokaldichter'.
Verfasser sind Ludwig August Frau kl und Adolf Seh mied el, die in diesem
(Bauernfeld gewidmeten und im 'Album zum besten der durch die Überschwemmung
in Böhmen verunglückten' abgedruckten) Zwiegespräche ihre ansichten über das
aristophanische lustspiel, wie man es für Österreich erhoffte, kundgeben. Dass
dieser dialog gerade zu Bauemfelds 43. geburtstage (1845) erschien, nach der auf-
führung seines 'Deutschen kriegers' im Burgtheater, ist von besonderer bedeutung.
Denn von ihm erhoffte man die heiss ersehnte neubelebung des deutschen lustspiels,
das aus der durch zensurrücksichten hervorgerufenen sphäre der flacliheit und
Seichtheit emporgehoben werden sollte. So stellten ihm Fraukl und Schmiedel
Aristophanes als nachahmenswertes muster hin, das zu befolgen er nur leider aus
materiellen rücksichten, um seine stücke überhaupt aufgeführt zu sehen, nicht imstande
war. (Vgl. auch 'Briefe aus Wien'. Von einem eingeborenen. Hamburg, Hoffmaun
und Campe, 1844. II. band, s. 67 ff. — Ob Bauernfelds 'Eeichsversammlung der tiere'
nicht von der bei Goedeke ^III, 1021, § 338, no. 1169, 2 genannten , Konstitutionellen
monarchie der tiere', Ulm 1824, abhängig sei, vermag ich nicht zu sagen, da mir
dieses werk, dessen Verfasser Benedikt von Wagenraann ist, nicht zugänglich wurde.)
Ausser den politischen komödien, deren Charakterisierung Hille zum grössten
teile unterlassen hat, gäbe es auch sonst noch reichlich viel nachzutragen. Über
die komödie des Aristophanes, die er recht dürftig beschreibt, hat Arnold Rüge
(Gesammelte Schriften II, 92) sehr schätzenswerte aufschlüsse gegeben, und über
eine nachbildung des griechischen komöden in Eosenkrantz ,Zentrum der Speku-
lation' derselbe (a. a. o. II, 147). Über dieses stück vgl. ferner 'HalUsche Jahr-
bücher' 1840 nr. 186 und Ruges briefwechsel I, 199. Rüge soll selbst eine aristo-
phanische komödie 'Die liederlichen vögel' geschrieben haben, wie Rosenki'antz ('Aus
einem tagebuch', Leipzig 1854, seite 173) behauptet. Das stück ist nicht auf-
findbar. — Aristophanische Wortzusammensetzungen findet mau bei alten Wiener
autoren auf schritt und tritt; bei Bäuerle und vor allem Nestroy begegnet man
fügungen wie 'modewarenverlagsniederlagsverschleisshändlerin' dutzendemale. Falsch
ist, was Hille über die nachahmungen der aristophanischen 'Lysistrata' behauptet.
Sie setzen nämlich nicht erst mit Anzengrubers 'Kreuzelschreibern' ein ; schon 1836
hat Friedrich Genee sein 'Königreich der weiber' erscheinen lassen, eine direkte
nachbildung des griechischen Originals. In diesem königreich herrschen die frauen,
während die männer alle häuslichen arbeiten verrichten müssen, bis endlich einige
Europäer in das land kommen und die weiber dazu überreden, den mäunern wenig-
.stens den schein der herrschaft zu überlassen. ~ Übrigens ist es wohl kaum angängig,
diese nachbildungen der 'Lysistrata', wie es Hille will, als 'soziale komödien' zu
bezeichnen. Ein soziales problem wird nicht aufgerollt, da ja eine eigentliche
Satire auf die frauenemanzipation diesen stücken durchaus abgeht. — Eine andere
Unordnung und übersichtlichere disponierung des Stoffes bei Hüle wünschte man
lebliaft. Es wäre sicherlich dankenswert gewesen, wenn der Verfasser z. b. alle
stücke, die Satiren auf das theater enthalten, unter einem betrachtet hätte. So
hätte sich recht gut eine zusammenfassende darstellung des raotivs vom 'theater im
theater' ergeben, die von Hilles thema organisch gar nicht weit abseits gelegen ist.
WIEN. FRIEDIUCH E. HIRSCH.
IJ. 51. MEYEK ÜBER ZIMMERMANN, GOETHE.S E(;M()NT 493
Ernst Zimmermann, Goe thes Egm ont. [Bausteine zu r geschichte dei-
ne uerendeutsclienliteratur. Herausgeg. von Fr. Saran. Bd. L] Halle a. S.,
Niemeyer 1909. XII, 161 s. 3 m.
Der herausgeber kündigt eine Sammlung an, deren arbeiten, wo es irgend
angeht, nicht hei der behandlung der philologischen probleme stehen bleiben, sondern
darüber hinaus den gedankengehalt der untersuchten werke erschöpfend heraus-
arbeiten und in die geistige bewegung der zeit hineinstellen sollen. Für diese gewiss
erfreulichen tendenzen gibt dies erste stück, zumal im ersten sinne, eine gute probe.
Den Egmont in die geistige bewegung der zeit hineinzustellen, hat Zimmermann
wohl aucli versucht; im ganzen aber leidet das buch doch darunter, dass das gedieht
zu sehr isoliert wird; nicht einmal für Brackenburg wird (s. 62) auf eine parallel-
figur wie Bnenco hingewiesen. Vielmehr bleibt die hauptabsicht die, den gedanken-
gehalt herauszuarbeiten. Hierfür leistet die arbeit wichtiges, obwohl zu demjenigen
mass von superioritätsgefühl gegenüber früheren Egmontbeurteilungen, das die
eiuleitung hervorkehrt, kaum genügend Ursache ist; selbst wenn wir von dem voi--
gang Schrempfs, den Zimmermann anerkennt, absehen.
Hier zeigt sich nämlich eine gefährliche neigung, jenes 'reinliche aufteilen',
das für Kuno Fischers literarische darstellungen so bezeichnend war, zu erneuern.
Zimmermann geht von einem nationalen kontrast aus : hie Spanier — hie Nieder-
länder. Zwischen beiden stehen dann Vermittlungsfiguren, bis in Ferdinand gleichsam
die beiden kreise sich berühren. Jene beiden koUektivindividualitäten aber sucht er
Ijis ins einzelnste zu kontrastieren. Das fülirt zu wunderlichen konsequenzen. Die
Spanier sind nämlich dann doch wieder eigentlich nur geschöpfe Albas (s. 58), so
dass der nationale gegeusatz eigentlich auf den zwischen Alba und den Xiederländern
beschränkt wird. "Wichtiger aber ist die frage, ob wir wirklich mit Zimmermann
diese nationale Verschiedenheit als das prius ansehen dürfen. Sie wird durch Stradas
Charakteristik (s. 145 f.) gestützt. Aber sollte Goethe wirklich durch solche probleme
der historischen psychologie augeregt sein? Ist nicht das urproblem die psycho-
logische Stufenleiter, deren typen eben an den nationalen nur exemplifiziert werden ?
Goethe veranschaulicht seelische strukturen an Egmont und Alba, an Niederländern
und Spaniern, wie Shakespeare an Römern und Vejenteru, wie Grillparzer an
Hellenen und Kolchern. Diese anschauung, scheint mir, stimmt allein zu Goethes
dichterischer praxis, und sie stimmt auch allein zu der entstehung des Egmont,
mag man nun die szene zwischen Egmont und Orauien, oder die zwischen Egmont
und Alba (s. 108) als den kern des dramas auffassen.
Vor allem handelt es sich ja um die beurteilung der hauptfigur. Kein drama
Goethes wird so unbedingt von einer gestalt beherrsclit. Schon das spricht dafiii-,
dass Egmont eine ausnalimestellung hat, eben als Vertreter des dämonischen. Zimmer-
mann möchte aber nach einer dankenswerten, doch unergiebigen Zusammenstellung
aller belege für dies wort (s. 90 f.) Goethes darstellung aus 'Dichtung und Wahrheit',
die das Schauspiel ganz auf diesen begriff stellt, abweisen. Indessen kommt seine
eigene darstellung, soweit sie das wesen Egmonts betrilft, fast auf das gleiche
hinaus. Nur die beurteilung scheint mir höchst ungoethisch; das unbedingte
durchsetzen der Persönlichkeit ist in keiner epochc Goethes ideal gewesen, sicher
aber nicht mehr nach 'Götz' und 'Werther'. So kann ich denn auch durchaus nicht
finden, dass mit dem schluss des 'Egmont' der zusammenbrucii der Spanier erfolgt
(s. 82). Gewiss zeigt der dichter Sympathie mit den Niederländern (s. 81), aber von
494 lt. :\i. MEVER
einem kämpf um die toleranz (s. 129) sollte man doch in einem Schauspiel nicht
iiprecheu, das gerade den Unterdrücker Alba so oft meiuungen Goethes aussprechen lässt.
Auch sonst führt das Schema zu gewaltsamkeiteu oder zu Widersprüchen ;
Margarete soll eine amazone sein und doch eine edle, weibliche natur (s. 74). Viel
ergebnisreicher ist die Untersuchung, wo sie sich an äussere tatsachen hält, ohwohl
auch die entstehuugsgeschichte. (s. 112 f.) mit bedenklichen Vermutungen (s. 120) operiert
und die betrachtung der fremden einflüsse (s. 121 f.) von jener grundauffassuug be-
herrscht ist. Eine Vertiefung der probleme aber wird man auch da, wo man am
■entschiedensteu abweicht, gern und dankbar anerkennen.
BERLIN. RICHARD M. MEYER.
W. Bode, Charlotte v. Stein. Berlin, Ed. Mittler & söhn 1910. XXVI, 628 s.
7,50 m.
Ein sonderbares buch ! Wer hat sich in die altweimarischen realien, in das
-anekdotische der Goethezeit, in die private Weltgeschichte des grosslierzogtums
tiefer eingelesen als Bode ? Eine ,Jeua-Weimarische kulturgeschichte sollte er schreiben,
und hat sie mit dem buch über Amalie zum teil schon geschrieben. Seine 'Stunden
mit Goethe' sind reich an den überraschendsten funden — kleinen funden zumeist,
-die aber ganze partien hell beleuchten. Seine auszüge aus Goethes schriften, seine
reisebücher durch einzelne provinzen des universalsten geistes haben gewiss ver-
dienstlich dazu beigetragen, für Goethe und seine gedankenweit zu werben.
Und nun setzt sich dieser selbe Wilhelm Bode hin, schlüpft in das gewand
der frau von Stein und schreibt ihre posthume autobiographie, aber in einem sinne
leider, der den thörichten angriffen Eduard Engels auf Goethes freundin ebensoviel
Vorschub leisten wird, als er ihnen boden entziehen wollte. Es ist nur gut, dass da
(nach Engels terminologie) zwei 'literarhistoriker' streiten ; wäre einer — horribile
dictu! — ein philologe, wie würde der andere über ihn herfallen!
Bode hat nämlich nicht etwa (ien Standpunkt der geliebten des dichters ein-
genommen — wer wollte ihm das nicht verzeihen! — , sondern durchweg den der
verlassenen, verbitterten Dido. Nicht um ein grau weniger verärgert schreibt er
als sie. Allen ernstes spricht er (s. .580) über den dichter des 'Faust' die ewig-
denkwürdigen Urteilsworte: 'Er war nicht ganz der mann geworden, den Charlotte
einst aus ihm bilden wollte ; aber er stand doch als ein erhöhter da, der über alle
andern im reiche der geister hoch hinweg dachte.' Wir müssen uns also wirklich
freuen, dass er es immerhin noch so weit gebracht hat ; viel ist freilich von dem
'verwelschten Goethe' (s. 205) in seinem 'verhärteten, gleichsam versteinerten
zustande' (s. 536) nicht zu fordern. Er war der 'treuen arbeit vor seiner italienischen
reise' untreu geworden (s. 300) und (vgl. s. 294) in die gewalt so roher menschen
wie Schillers geraten — der sich über eine geistige erkrankung zwar viel vor-
sichtiger äussert als Charlotte 'in ihrer spräche' (s. 418), aber als einer der schönen
geister an sich verdächtig ist (vgl. s. 417). Allen ernstes eignet sich Bode all
diese meinungen der von leben und liebe enttäuschten an und hat auch für Goethes
'herumbessern an verschiedenen akademischen anstalten' (s. 300) nur ein mitleidiges
achselzucken. Goethe aber, dessen entschlossene selbstbefreiung nach Italien ja
ÜBER BODE, CHARLOTTE V. STEIN 495
gerade (leu wichtigsten anklagepunkt bildet, hat mit seiner ehemaligen freimdin
eigentlich nur eins gemein — dass 'er auch alles andere leichter herausbrachte als
einen eutschluss' (s. 379). Wie hübsch von ilir, dass sie sich demungeachtet
wieder auf den weg zur freundschaft begab, indem sie 'sehi- zufrieden' berichtete :
'Es ist doch schade, dass der Goethe in so dummen Verhältnissen steckt; er hat
verstand und eine seite von bonhommie, und nur sein dummes häusliches Verhältnis
hat ihm etwas zweideutiges im charakter gebraclit' (s. 376). Dies scheint gegen-
wärtig auch des herausgebers der 'Stunden mit Goethe' urteil über den frivolen
Verfasser des 'Egmont' (vgl. s. 261) zu sein.
Aber der eigensinn, mit dem er die weit durch das wahrlich nur zu sehr im
engen sinne 'weit- und erdgemässe organ' einer verdriesslichen, von ihren eigenen
kindern vorsichtig gemiedenen, nach seiner eigenen darstellung für ihren söhn
Fritz und gegen Karl blind eingenommenen, eigensinnigen alten hofdame beschaut,
trifft nicht nur den dichter, dem die junge, hoffende, dem leben noch offene mutter
viel versprechender kinder einst die Verkörperung der harmonischen lebensshaltung
gewesen war. Mit der ganzen ranküne einer alten hofdame verfolgt er auch die
nichte Amalie v. Imhoff und stellt sie etwa (s. 423) in folgender geschmacln'oller weise
der taute gegenüber: 'Eine wahrhaftige alte frau speit dergleichen süssigkeit aus,
um sich nicht den magen zu verderben ; eine zur affektiertheit neigende Jungfrau
findet sie wohlschmeckend. . . .'
Es ist ganz klar: indem Bode sich allzulang unter den Schardts und Steins
und aller kleinlichen hofmisere herumgetrieben hat, ist er auf den Standpunkt
etwa von Charlottens treuem alten diener Schach herabgesunken oder mindestens
auf den der medisance in teekränzen, die, altjüngferlich über 'dies widenvärtige
herabsinken der liebe aus himmelshöhen in die tierische leibesnotdurft' (s. 76)
denkend, verzichtet und sich dann damit entschuldigt, dass 'der sittliche mensch
Pessimist werden muss' (S. 566).
So kann leider das starke, hübsch illustrierte bucli nur nach seinem urkund-
lichen Inhalt bewertet werden. Hier haben wir für reichliche und auch wohl allzu
reichliche uachrichten über alle personen, die mit Charlotte verwandt waren oder
über ihre schwelle traten, und für übersichtliche Stammbäume zu danken, für
glücklich verwertete briefstellen (Knebel über frau v. Stein s. 187, Amalia v. Imhoff
über Charlotte s. 312, Schillers urteil s. 402), für hübsche aufgedeckte auffinduiigeii
(die korkweste und der Schwimmunterricht s. 160 ; die 'Guten weiber' s. 266), für
da? aufspüi-en mündlicher traditionen (s. 575 anm.). Hin und wieder wären
erklärungen wünschenswert gewesen, wie dass die 'Hausmutter' (s. 177) eine famose
altmodische enzyklopädie der häuslichen staatsvenvaltung ist (ich besitze sie) ; oder
es laufen Irrtümer unter, die wenig schaden, wie dass (s. 309) das im binnenland
Liegende Dobberan statt Heiligendamm 'zum seebad eingerichtet' worden sein soll. Alier
was liabeu solche quisquilien zu bedeuten gegen die energie, mit der eine sdiöne
aufgäbe verfehlt ist: bei so gründlicher kenutnis der Urkunden auch über die seele
etwas zu lernen und zu lehren. Und schliesslich scheint es uns, als läge in dieser
niedrig greifenden art, einen Goethe und seine entwicklung zu beurteilen, eine
schlimmere beleidigung Charlottens v. Stein als in Engels launischen angriffen!
BERLIN. Iil( IIAIM) M. M i:VKI!.
490 üiKsK
Eduard liercud, Jean Pauls ästhetik. [Forschungen zur neueren literatur-
geschichte von Franz Muncker, XXXV.] Berlin, Alex. Duncker 1909. XV,
294 s. 13,60 m.
Diese Münchner doktordissertation ist eine gediegene und nützliche arbeit.
Es ist eigentlich schwer zu verstehen, dass eine der bahnbrechendsten schritten
•Jean Pauls — und das ist ohne zvveifel die 'Vorschule der ästhetik' — bisher eine
Sonderuntersuchung nicht erfahren hat. Während die Levana immer wieder ein
lebhaftes Interesse geweckt und noch kürzlich neue darstelkmgen (z. b. von Münch)
erfahren hat, ist die Vorschule ohne bearbeiter, wenn auch nicht ohne herausgeber
(wie Wustmann) geblieben. Und doch hat sie grossen einfluss auf die entwicklung
der ästhetik ausgeübt; vor allem verdankt ihr bisher noch unerreichter meister,
Fr. Th. Vischer, Jean Pauls anregungen sehr viel.
Der Verfasser hat sich mm nicht darauf beschränkt, die ästhetik Jean Pauls
aus der 'Vorschule' allein abzuleiten, wie man es hinsichtlich der pädagogik bei
der Levana getan hat, sondern er hat sich weiter umgesehen. Wenngleich Jean
Paul in der Vorschule so ziemlich den ganzen schätz seiner ästhetischen ausichten
niedergelegt und dabei selbst schon den sammler gemacht hat, d. h. alles, was sich
in seinen früheren werken, briefen, Studienheften usw. an bemerkungen über ästhetik
fand, zusammengetragen hat, so ist der Verfasser mit rühmlichem eifer bestrebt
gewesen, fi'ühere oder spätere äusserungen zur ergänzung und erläuterung heran-
zuziehen, namentlich auch zum nachweis von meinungsentwicklungen und meinungs-
änderungen, die man dem dichter sehr mit unrecht abgestritten hat. Jean Paul ist
auch in dieser hinsieht ein Proteus von erstaunlicher wandlungs- und anpassungs-
fähigkeit. Vor allem ergab die durchsieht der handschriftlichen vorarbeiten, beson-
ders der aphoristischen 'Ästhetischen Untersuchungen', viel unerwartetes material,
und zwar oft in ursprünglicherer, reinerer und klarerer gestalt. So weicht denn
auch die darstellung in Inhalt und anordnuug von der Vorschule ab und füllt lücken
dieser aus, klärt duukelheiten, löst Widersprüche. Nicht minder wertvoll als diese
systematische darstellung — bei der man über die anordnuug im einzelnen streiten
könnte — ist die geschichtliche betrachtung, die sich mit jener verbindet; es galt,
die ästhetischen anschauungen Jean Pauls in den allgemeinen historischen Zusammen-
hang einzureihen und durch vergleich mit denen seiner Vorgänger und Zeitgenossen
in die rechte beleuchtung zu rücken, wobei freilich nicht immer über ursprünglich-
keit und abhängigkeit zu gericht gesessen werden kann. Gerade in jener romanti-
sierenden und so unendlich ideenreichen zeit ist es oft unmöglich, festzustellen,
welchem geist zuerst dieser oder jener gedankenblitz entsprungen ist. Hinzu kommt
erschwerend die ungewöhnliche belesenheit Jean Pauls, sowie die ausserordentliche
geschicklichkeit, mit der dieser wortvirtuose und metaphernjongleur überkommeneu
gedanken ein neues gepräge zu geben versteht. Eecht tut der Verfasser auch darin,
dass er zur Vervollständigung seines bildes auch solche werke in den kreis der
betrachtung hineinzieht, die Jean Paul gar nicht bekannt sein konnten, wie Schel-
lings und Wilhelm Schlegels ästhetische Vorlesungen, Schillers und Goethes briefe
und gespräche usf. Die frage nach Jean Pauls Vorgängern findet im 2. kapitel
durch eine Zusammenstellung der urteile Jean Pauls über einzelne ästhetiker ihre
beantwortung, nicht minder aber auch in der sehr ergiebigen einleitung, wo Jean
Pauls Parteinahme in dem literarisch-ästhetischen streite während der perioden des
rationalismus, der Sentimentalität und der reife dargelegt wird. Das hineinspielen
der theorie in die praxis, den widerscliein der gedanken in dem schaffen selbst auf-
ÜBER KEREND, JEAX PAULS ÄSTHETIK 497
zuweisen, behält sich der Verfasser für eine andere arbeit vor; hier musste er sich
mit flüchtigen hinweisen begnügen.
Das ergebnis der Voruntersuchungen ist, dass Jean Paul einer bestimmten
partei nie angehört hat, wie dies so art der humoristischen dichter is<t. Er bahnte
den neuen (romantischen) geistern den weg, barg aber in sich auch wieder so viele,
widerstreitende demente, dass ein zusammenprall unausbleiblich war. Jean Pauls
ziel war und blieb die herstellung eines gleichgewichts zwischen den beiden wag-
schalen des alten und des neuen, vor allem aber der poesie und der prosa. Der
Schüler Hamanns und Jacobis spürte iu sich die Vorherrschaft des gefühls, nach-
dem er den nüchterneu rationalismus überwunden hatte, und die lösung der auf-
gäbe, eine durchgreifende 'Vereinheitlichung', konnte einer solchen natur, die der
fleischgewordene Widerspruch war, nicht gelingen. — Die 'Vorschule' ist im gründe
genommen nur eine poetik, und auch das ist noch einzuschränken, da Jean Paul
für das grosse epos und die tragödie keinen rechten sinn hatte.
Die darstellung Bereuds ordnet sich nach folgenden kapitelu: Das schöne.
Poesie und Wirklichkeit. Stoff und form. Objektivität und Subjektivität. All-
gemeinheit und besonderheit. Wahrscheinlichkeit, Wahrheit, wunder. Kunst und
Sittlichkeit. Das genie. Der witz. Griechisch und romantisch. Die dichtungs-
arten. Fabel und charakter. Das lächerliche und das erhabene. Der humor.
Arten des komischen. Darstellung.
Was die eigenart Jean Pauls bestimmt, das ist die wunderbare mischung
von Phantasie und witz, von gefühl und verstand. Das gibt ihr das schillernde.
Aber wenn es auch der ästhetik an systematischem knochengerüst fehlt, so ist doch
eine gewisse einheit durch die grossartige eigenart des genialen mannes gegeben.
Und genial sind die auregungen, die er iu reichem masse über das wesen der
Phantasie oder der inneren und äusseren form, über geuie und witz usw. aus-
gestreut hat; es bedurfte jedoch immer einer eisernen energie, um die Übermacht
der Phantasie einzudämmen; wir sehen ihn ringen zwischen den extremen, den
Widersprüchen, zwischen Objektivität und Subjektivität, rationalismus und romantik,
Schönheit und Sittlichkeit (er nennt sie 'nahe verwandt'), zwischen genie und kritik.
Besonders wichtige gesichtspunkte gewann er für das metaphorische in der spräche
und Phantasie, für das idyllische und vor allem für das komische und den humor.
Diesen begriff erhob er auf die ihm gebührende höhe und erschloss das problem
des komischen der philosophischen Spekulation. Denn was vor Jean Paul über den
humor gesagt wurde, war ganz unzulänglich. Er sah ihn als eine Weltanschauung
an, die auf dem unauflöslichen Widerspruch des bedingten und des unbedingten
ruht; der humor gründet sich auf eine ernste, ja tragische lebeusauffassung; er ist
die frucht einer langen Vernunftkultur; er begehrt einen pliilosophiscli gebildeten
geist, der alles sub specie aeterni betrachtet. So oft jedoch Jean Paul auch den
unterschied zwischen satirischem und versöhntem humor andeutet, so hat er doch
beide nicht klar auseinanderzuhalten vermocht, weil in ihm selbst beide Welt-
anschauungen miteinander im kämpfe lagen.
Den anhang der gediegenen sclirift bikbm eine abiiandlung über die ent-
st(^Iiung der Vorschule und ein auszug aus ungedruckten eintragen zu den 'Ästhe-
tischen Untersuchungen'.
NEUWIED. AI>I'l!Kn BIESE.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XLH. 33
498 V. MEVKi; ÜBER SENtJEK, DER BILDLICHE AVSDRUCK BEI H, V. KLEIST
Joachim Henry Senger, Der bildliche ausdruck iu den werken Heinrich
von Kleists. [Teutouia, arbeiten zur germanischen philologie herausg. von
Wilh, Uhl. 8. lieft] Leipzig. Ed. Avenarius 1909. Y, 67 s. 2 m.
Der Verfasser ist zwar überzeugt, 'dass literaturgeschichte nie und nimmer
eine exakte Avissenschaft sein kann', vermag sich jedoch 'nicht des eiudrucks zu er-
wehren, dass in der vergleichung der von autoren gebrauchten bildersp räche
immerhin ein anhält geboten sein dürfte, um zu Schlüssen zu gelangen, die einiger-
massen objektives gepräge aufweisen (s. IV). Unter diesem gesichtspunkte ist die
vorliegende arbeit zu beurteilen. Zum erstenmal systematisch durchgeführt in
Blümners abhandhmgen über die spräche Bismarcks, ist die methode der Unter-
suchung und vergleichung des bildlichen ausdrucks inzwischen gemeingut der philolo-
gischen Wissenschaft geworden ; auch Sengers arbeit stellt sich dar als frucht dieser
methodischen anregungen. Wenn jedoch der Verfasser meint, damit eine ergiebi-
gere methode anzubahnen, als sie bisher in der literaturvrissenschaft üblich gewesen
ist, so muss man sich bewusst bleiben, dass man damit noch keine literaturge-
schichte macht, sondern nur einen kleinen teil dieser aufgäbe löst. Der Verfasser
selbst hat lediglich die absieht, dem forscher zum zweck der lösung dieses teils
der aufgäbe mit einigen grundlegenden materialien an die band zu gehen. "Was
er bringt, ist eine Sammlung der bildlichen ausdrücke in den werken H. v. Kleists
(einschliesslich der briefe), lexikalisch angeordnet, numeriert und klassifiziert nach den
gebieten, denen die bilder entnommen sind (tierreicli, pflanzenreich, mineralien, leb-
lose dinge, mensch, töne, krieg usw.) Er bietet das material nur dar, ohne zur Ver-
arbeitung und vergleichung vorzuschreiten. Was er indessen über die eigenart der
Kleistschen bildersprache sagen zu können glaubt, ist, 'dass seine bilder vorwie-
gend rhetorischer art sind und selten den zauber unmittelbarer anschauung
ausüben, der ein erstes erfordernis wirklich poetischer "närkung ist' (s. V.) Dass
trotzdem die durch das elementare feuer dieses genius bewirkte innere bewegtheit
seiner dichtung die fatale Wirkung des rhetorischen nicht aufkommen lässt, bezeugt
die 'ausschlaggebende dramatische kraft seines geistes (ebd.)', die
seinen werken den Stempel aufdrückt.
Die klassifizierende anorduung der bilder erscheint in der zweiten hälfte
reichlich kunterbunt, wie denn auch hier die disposition versagt, respektive fehlt.
3Iän sieht nicht ein, warum der Verfasser es unterlässt, dem reiche der tiere, pflanzen
und mineralien das reich des menschen beizuordnen (und zu gliedern nach den
geistigen und körperlichen eigenschaften des menschen, tätigkeiten, produkten der
geistigen und mechanischen arbeit, geschichte usw.) und statt dessen diese gegebene
eiuheit zeiTcisst und mit fremden dingen untermischt. Hiervon abgesehen aber er-
füllt die arbeit ihren zweck in vorbildlicher weise, zumal die mängel der disposition
durch ein Wortregister ausgeglichen werden; ein Verzeichnis der ausgezogenen
stellen ermöglicht eine vergleichende benutzung.
Wenn der Verfasser wünscht, seine arbeit möge der anlass werden, mit der
systematischen behandluug der bildersprache der autoren einer strengeren methode
die nötigen grundlagen zu schaffen, so ist diesem wünsche in der arbeit der deutschen
Universitätsseminare schon reiche saat entgegengereift.
ALTOXA (ELBE). C. MEYER.
THUMB ÜBER GERINGER, VER.SPRECHEN, KIXDERSPRACHE, NACHAHMUNGSTRIEB 499
R. Mt'ringer, Aus dem leben der spräche. Versprechen, kindersprache,
na chahmuDiis trieb. Festschrift der k. k. Karl-Frauzensuuiversität in Graz
aus aulass der Jahresfeier am 15. november 1906. Berlin, Behrs vorlag 1908.
XVIII, 244 s. 8 m.
Der Untertitel deutet den inlialt der drei 'hauptstücke' des Werkes an. Das
buch ist aus der 'freude am beobachten' entstanden und bietet eine fülle von
material zu den erscheinungen des Versprechens und zur kindersprache ; nur der
letzte abschnitt (s. 231 ff.) ist vorwiegend raisounement, besonders über die natur
und die Ursache des lautwandels. Der Verfasser betont mit recht den engen
Zusammenhang des Sprechens mit allen übrigen psychischen lebensäusserungen, den
einfluss des volkscliarakters auf die spräche. Aber man vermisst doch in den
erörterungeu über lautwandel und lautgesetz e])en das, was in den übrigen kapiteln
die hauptsache ist: positive tatsacheu und beobachtungen. Das wort des Verfassers
'man beobachtet zu wenig und pliantasiert zu viel' (s. 238) gilt gerade von dem
Inhalt des letzten kapitels, aus dem man wohl anregungcn gewinnen kann, das
aber ebenso zum Widerspruch reizt.
Das zweite kapitel l)eschäftigt sich mit einem gegenständ, der in den letzten
Jahren intensiv studiert worden ist, mit der kindersprache, über welche wir eine
ausgezeichnete, an exakten beobachtungen reiche und kritisch zusammenfassende
monographie von Stern besitzen. In 5 'kiuder])iographien' (s. 145—206) teilt M.
neues material mit, das freilich nicht so methodisch und exakt wie bei Stern
gesammelt ist, auch keine neuen tatsachen zutage fördert, aber eine nützliche
nachlese zu dem schon bekannten Stoffe bildet: je mehr material herbeigeschafft
wird, desto sicherer werden wir das typische und individuelle in der entwicklung
der kindlichen spräche untersclieiden und desto sicherer die allgemeinen entwieklungs-
gesetze gewinnen können, die ihrerseits erst die basis für die erörterung allgemein
sprachwissenschaftlicher probleme bilden. Der jetzt ziemlich herrschenden ansiclit,
dass die kindersprache im wesentlichen unter dem einfluss der kindlichen Umgebung
zustande komme, scliliesst sich auch M. an (s. 206 ff.) und betont, den jüngsten
forschei-n folgend, den 'emotionell-volitionalen' Charakter der frühesten kindersprache.
Hinsiclitlich des biogenetischen (phylogenetischen) grundgosetzes von Haeckel oder
— vorsichtiger ausgedrückt — hinsichtlich der frage, ob die entwicklung der kinder-
sprache mit derjenigen der menschlichen spräche in parallele zu setzen sei, verhält
sich M. vor allem gegenüber Ament, aber auch gegenüber Stern ablehnend; ich gehe
nicht so weit wie M., wofür ich auf meine besprechung des buches von Stern
(IF. anz. XXVII, 1 ff.) verweise. M.s scharf al)lelmende worte s. 223 scheinen mir einiger-
massen im Widerspruch zu stehen zu des Verfassers bemerkungen über die kindor-
reduplikation (s. 216): daran kann doch nicht ernsthaft gezweifelt werden, dass in
der reduplikation der kinder- und der vollsprache eine wirkliche genetische
parallele vorliegt. Wenn ich daher in diesen dingen M. nicht ganz zustimme, so
bin ich doch ganz mit ihm einverstanden in einem andern punkt, wo er einer all-
gemein üblichen oder wenigstens sehr verbreiteten ajisicht widerspricht, 'dass die
tatsache der immer währenden Veränderung der sprachen ihren grund darin habe,
dass die sprachen auf immer neue generationen von kindcrn übertragen werden'
(s. 224); so ist im besonderen M.s Überzeugung, 'dass die lautlichen Veränderungen
der spräche nicht von den kinderu herrühren' (s. 228), er hält den jüngst von
E. Herzog unternommenen vcrsucii für missglückt. Da ich sell)St durch positive
gründe und experimentell festgestellte tatsachen bereits vor M. die herrschende
33*
500 TlirMl! ÜBER MERIXCKl»', VERSPRECHEN, KINDERSPRACHE, NACHAHMUNGSTRIEB
meiniing' glaube erschüttert zu haben, so wäre ein liinweis auf meine ausführuni;en
(IF. XXII, 42 ff.) sehr wohl am platze gewesen, und wenn M. davon kenntnis
genommen hätte, so hätte er gesehen, dass die Vermutung Wallenskölds von dem
'römischen' kinde, dem die Schöpfung der form greve nach leve zufalle (s. 229),.
durch meine darlegungen erledigt ist. Ich bemerke bei dieser gelegenheit, dass die
von mir a. a. o. festgestellte Verschiedenheit der wortassociation von kindern und
erwachsenen inzwischen durch massenversuche bestätigt worden ist (vgl. G. Salin g,
Zschr. f. psychol. XLIX, 238 ff.). M. hat übrigens auch über das versprechen von
kindern beobachtungen gemacht (113 ff.), die zeigen, 'dass kinder, sobald sie die
spräche zu beherrschen anfangen, sich ebenso versprechen wie die erwachsenen';
dabei ist es mir aber noch sehr zweifelhaft, ob die einzelnen arten des Versprechens
in relativ gleicher häufigkeit auftreten; denn die grosse lust am reimen (s. 116)
verrät doch eine spezifische eigeuart der kindlichen assoziationstätigkeit, während
beim erwachsenen reine klangassoziationen nur unter bestimmten bedingungen auf-
treten (vgl. s. 51). Diese bedingungen lassen sich, wie ich nebenbei bemerke, am
besten experimentell nachweisen, was ich an anderm orte zeigen werde.
Die grössere hälfte des buches ist den erscheinungen des Versprechens
(s. 11—113) gewidmet; anhangsweise werden materialien über das 'verlesen'
(s. 131-136), 'verschreiben' (s. 136—142), 'verhören' (s. 142 f.) und 'verhandeln',
d. h. versehentliches handeln (s. 143 f.), geboten. Der Verfasser vermehrt dadurch
das schon in seinem früheren buche zusammengetragene material um ein beträchtliches.
Ich sehe bisweilen nicht ein, warum beim ordnen des Stoffes gleiches auseinander-
gerissen wurde. Warum sind z. b. die vertauschungen der worte g e s t e r n — m o rge n
an drei verschiedenen orten angeführt (s. 49, 50, 52)? Oder allgemeiner: warum
sind die vertauschungen gegensätzlicher begriffe auf zwei abschnitte (b. Substitutionen,
c. Substitutionen infolge begrifflicher assoziation) verteilt? Und lag es nicht nahe,
die kontamination rechts und lenks (s. 113) unter dem gleichen gesichtspunkt
wenigstens zu erwähnen? Denn für die sprachpsychologische wertung dieser dinge
würde dadurch doch eine grössere Übersichtlichkeit erzielt.
Dass das von M. früher und jetzt gesammelte material für die erkenntnis
verschiedener erscheinungen des sprachlebens treffliche dienste leistet, ist allseitig-
anerkannt worden. Was den lautwandel betrifft, -so genügt es, auf die erscheinungen
der -dissimilation hinzuweisen ; merkwürdig, dass der Verfasser gerade in diesem
punkte skeptischer ist, als es sein material verlangt; denn s. 91 bemerkt M., er
habe mit ausnähme von seh -lauten 'leichte' dissimilationen wie r — r zu r — 1 'nie-
mals mit Sicherheit konstatieren können', und führt doch s. 93 eine reihe von
solchen dissimilationen au, die mir durchaus einwandfrei zu sein scheinen. Dass
die dissimilation von r — r zu r — 1 oder 1 — r nicht so häufig zu beobachten ist, wie
man vermuten könnte, wird vom Verfasser selbst genügend erklärt: sie findet sich
nur bei personen, die ein zungen-r sprechen, und das ist gerade im deutschen
Sprachgebiet selten. Aber noch mehr als für lautliche Vorgänge sind gewisse
erscheinungen des Versprechens für das Verständnis der analogie1)ildungen und
besonders der kontaminationen wertvoll, worauf ich bereits a. a. o. liingewieseu
habe. Denn die beobacJitungen M.s zeigen nicht nur, Avie leicht z. b. grundsätzliche
begriffe wie gestern — heu te sich nebeneinander ins bewusstsein drängen, sondern
wie sich daraus die schönsten kontaminationsformen ergeben ; aus der kindersprache
seien bildungen wie erschwitzt = erhitzt + s chwitzen (s. 117) oder augn
ogn agn = äugen, obren, haare (s. 148) und die Verallgemeinerung der starken
PETSCH ÜBER J0ACHIMI-DE(4E, SHAKESPEAREPROBLEME 501
partizipialbildung- (de machen = gemacht u. ä. s. 174f.) herausgegriffen. Ich
Unterschreibe es daher, wenn M. manche einwände gegen den wert seiner he-
obachtuugen kurzerhand 'redensarten' nennt, so z. b. den einwand, 'dass das ver-
sprecl)en mehr ein fehler der gebildeten zu sein scheint' (s. 5). Wer mit solchen
bedenken kommt, hat gewöhnlich keine ahnung von den tatsachen der modernen
l)sychologie. Mir selbst wurde aus anlass meiner experimentellen arbeiten über
analogiebildung entgegengehalten, dass "meine Versuchspersonen nur gebildete seien
und darum wenig beweiski-aft hätten; diese kritiker haben es natürlich nicht fü»
nötig gehalten, sich vorher um die methoden und ergebnisse der assoziationsversuche
zu kümmern. Auch M. selbst, der doch den psychologischen fragen ein so grosses
Interesse entgegenbringt, scheint mir mit diesen dingen nicht so vertraut zu sein,
wie es gelegentlich der gegenständ seiner Untersuchungen erfordert. Sonst würde
er z. b. den begriff der Perseveration, d. h. des nachwirkens eines unmittelbar vor-
her gegebenen eindrucks, etwa in den erörterungen s. 59ff. verwendet haben: die
stärke der Perseveration ist im vergleich zur assoziation bei verschiedenen menschen
und unter verschiedenen umständen recht verschieden. Man sieht leicht ein, dass
solche perseverationstendenzen zwar geeignet sind, das okkasionelle versprechen zu
erklären, dass sie aber für die Sprachgeschichte wertlos sind. Ich habe ferner a. a. o.
(IF. XXII, 18 ff.) gezeigt, dass die durch ein gesichtsbild vermittelten assoziationen
ebenfalls für das problem der analogiebildung ohne bedeutung sind (vgl. M. s. 40).
Endlich besitzen die s. 42 ff. mitgeteilten formen des Versprechens ('mitklingen eines
durch ein gesichtsbild erregten wortbildes') die typischen merkmale der assoziations-
tätigkeit im Stadium einer bestimmten ablenkuug, über die ich a. a. o. s. 49 ff.
gehandelt habe: aus der natur der vom Verfasser beobachteten Vorgänge ergibt
eich, dass diese von ihm angeführten gebilde des Versprechens für die Sprach-
geschichte ebenfalls bedeutungslos sind. Man wird zugeben, dass nicht beliebige
assoziationen, beliebige versprechformen für den Sprachforscher in betracht
kommen, dass also das beobachtungsmaterial, das der Verfasser im dieuste der
Sprachwissenschaft zusammenstellt, auf seinen wert für die Vorgänge des normalen
Sprachlebens geprüft und danach geordnet werden muss. Dass der Verfasser
solche gesichtspunkte ganz ausser acht gelassen hat, ist um so verwunderlicher, da
er meine arbeiten kennt. Auch was M. s. 46 über die Ursachen der assoziation
oder s. 127 in bilderreicher spräche über die bewusstseinskonstelhition beim assoziieren
bemerkt, wird der psychologe recht nichtssagend finden. Eine ständige fühlung mit
der psychologischen forschung kann in allen vom Verfasser berührten problemen
reichen gewinn bringen, genau so wie die enge Verbindung von 'Wörtern und sachen'
der etymologischen forschung gewinn gebracht hat.
Auf einige weitere allgemeine fragen, zu deren erörterung mich das buch
von M. angeregt hat, werde ich bei anderer gelegenheit eingehen (vgl. 'Beobachtung
und experiment in der sprachpsycliologie' in der festscbrift für Victor, 1910, s. 19 ff.).
STRASSBURG. AI-HEK'r TIHMB.
Miiric Joaclünii-Dogo, Deutsche Shakespeare prob lerne im 18. jahr-
Iiundert uml zur zeit der rom antik. Leipzig, H. Hassel 1907. 29ti s.
6 m.
Der geistvollen sciiülcrin Oskar F. Walzeis kommt es nicht darauf au, eine
nach allen richtungen erschöpfende geschichte der aufnähme Shakespeares in Deutsch-
602 PETSt'II ÜHKU J()ACHIMI-1)E(;E, SHAKESI'EAREPROBLEME
land zu geben, sondern zu zeigen, wie die romantik an der betrachtung des grossen
Briten ihre dramaturgischen und poetischen unschauungen überhaupt geklärt und
die idee eines deutschen nationalen drainas erfasst hat. Sie verschliesst sich der
Wahrheit nicht, dass die romantiker, denen ihre liebe gehört, praktisch ihre ziele
nicht verwirklicht haben, aber sie will ihnen das verdienst der richtigen frage- und
Problemstellung gesichert wissen. . So lässt sie sieb denn auch in ihrem urteil über
die vorromantische Shakespeareforschung durch das urteil der schule selbst leiten;
die Vorbereitung einer schärferen erfassung des englischen dramas findet sie nicht
bei den Stürmern und drängern, sondern bei Lessing. Im übrigen werden diese
Vorstufen kurz und mehr schematisch-konstruktiv abgetan, während die Verfasserin
auf die Shakespearestudien der romantiker näher eingeht und z. b. die mannigfachen
Irrwege Tiecks in seiner auffassung des grossen dramatikers umsichtig schildert.
Ganz frei von konstruktionen ist aber auch dieser zweite hauptabschnitt nicht, der
in drei gangen den kämpf der romantik um Shakespeare gegen die 'korrekten',
gegen den Sturm und drang, gegen die klassiker behandelt. Wir wünschten, auch
diese korrekten kämen zu werte und die polemischen beziehungen würden uns
genetisch vorgeführt. Der höhepunkt der darstellung ist die auseinandersetzung
der romantiker mit Goethe ; und ihre genaue darstellung gewinnt dadurch an wert
und Überzeugungskraft, dass sie überall die entwickluug derjenigen probleiue ins
äuge fasst, um die in Shakespeares namen gestritten wurde, vor allem das genie-
problem und die grossen fragen der romantischen lebensgestaltung. Alle gegen-
sätze gehen schliesslich auf den einen grün dgegens atz zwischen Kants dualismus
und Fichte-Schellings monismus zurück. Für die romantik gibt es keine kluft
zwischen ideal und Wirklichkeit; Shakespeares dramatische form zeigt ihre innigste
Verschmelzung. So hat Shakespeare bei den romantikern allmählich die stelle einge-
nommen, die in ihren klassischen anfangen Sophokles inne hatte: seine werke sind
'höhere Organismen, Individuen, Spiegel des Weltalls und Offenbarungen der geistigen
alleinheit'. An stelle der 'reinheit' der klassischen tritt so die organische fülle
und geistigkeit der romantischen form. Über seine Stellung sucht sich Friedrich
Schlegel kunstgeschichtlich zu orientieren. In der griechischen poesie ist die kunst
im entstehen. Sie zeigt ein gedränge von kraft und Zwiespalt, freude am sinnlich-
reizvollen und neuen, am glück der familie und einer gewandten klugheit. Diese
kunst hat sich im Römerreich zersplittert ; für die andere weit wurde die christliche
religion zum träger alles enthusiasmus. Dann folgt die neue woge der romantischen
poesie. Alle ihre einzelzüge: tiefsinnigkeit (transzendentalität : Dante), Innigkeit
des gefühls (Petrarca), verstand und kraft der darstellung (Boccaccio), witz und
neigung zum grotesken, Vereinigung von ernst und scherz (Ariost, Bojardo) ver-
bindet Shakespeare; in ihm erreicht sie ihren höhepunkt, ihren besten ausdruck,
wird sie universell. Damit ist eine romantische grundlage des modernen dramas
gelegt, die dauerhaft genug ist für ewige zelten.
Ein wirklicher gegensatz zwischen Goethe und der romantik trat übrigens
erst ein, als man wagte, dem meister Tiecks 'Sternbald' mit seiner Verherrlichung
mittelalterlicher kunst zu unterbreiten. Dieser mittelalterbegriff mit seiner Schwäch-
lichkeit und seiner Verworrenheit ist für Goethe später das typische beispiel des
'romantischen' geblieben ; gegen ihn kämpfte er, ohne zu bedenken, dass die brüder
Schlegel ihn ebenfalls abgelehnt hatten und Tieck überhaupt nicht als einen eigent-
lich romantischen dramatiker gelten liessen.
In seinen Wiener Vorlesungen 1808 machte W. Schlegel ernst mit der ver-
FISCHER l'll'.ER KÜP.LEH, 15EU(i-, FLUSS- UND OKTSNAMEX 503
küudigung des germanischen Shakespeare neben dem klassischen Goethe, der natio-
nalen romantik neben der Weimarer antike, und ohne Goethe direkt anzugreifen,
führte er doch die übergriffe des klassizismus auf die 'bornierten gelehrten' zurück
und stellte das romantische ideal höher, in welchem übrigens alles wertvolle des
klassischen miteinbegriffen sein sollte. Shakesjjcares form unterscheidet sich von
der rein mechanischen wie das lebendige von dem toten; aber sie überstrahlt auch
die griechische, wie das geistige das bloss natürlich-lebendige überwindet, der
höhere Organismus den niederen. Denn ihr innerer einheitspuukt ist eben der stete
liinweis von dem endlichen ins unendliche.
Wie weit die absolutistische auffassung Shakespeares durch die romantik die
spätere ästhetik und die literaturgeschichtliclie darstellung beeinflusst hat, wie weit
ihre fragestellungen und ihre methoden nachwirkten, das alles hat ,J.-D. der künf-
tigen forschung zu beantworten überlassen.
HEIDELBEKG. ROBERT PETSCH.
Die deutschen l)erg-, fluss- und Ortsnamen des alpinen Hier-,
Lech- und S annenge l)ietes, gesammelt und erklärt von August Kubier.
Herausgegeben mit Unterstützung des Deutschen und Österreichischen Alpen-
vereins. Amberg, Pustetsche buchhandluug 1909. 8, 213 s. 10 m.
Von der grossen Wichtigkeit, welche die Ortsnamen einerseits für die sied-
lungs- und Wirtschaftsgeschichte und andererseits für die erkenntnis der gesetze
der gesprochenen spräche haben, braucht man in dieser Zeitschrift nicht zu reden.
Es genügt, zur empfehluug des trefflichen werkes einiges speziellere anzuführen.
Der Verfasser ist seit vielen jähren eifrig an der erforschung der südöstlichen
schwäbischen dialektgruppe gewesen, welche den obersten Lech, die oberste liier
und deren nächste Umgebung umfasst, eine gegend, die schon deshalb nicht leicht
von einem genauer untersucht wird, weil sie sich politisch auf zwei gebiete, Baye-
risch-Schwaben und Tirol, verteilt. Kubier hat mir schon vor jähren ülier die
mundart jener täler, besonders des Tannheimer tals, die wertvollsten beitrage für
mein Schwäbisches Wörterbuch geliefert. Seither hat er in unablässiger arbeit,
karge mussezeit benutzend, sämtliche berg-, flur- und Ortsnamen seines alten arbeits-
feldes gesammelt und bringt sie hier in alphabetischer Ordnung und mit philolo-
gischer diskussion zur darstellung. Ausser den heutigen namen, die er dem volks-
munde selbst abhören musste — man weiss, wie unzuverlässig die offizielle wieder-
gäbe zu sein pflegt -, hat er auch die alten urkundlichen verzeichnet uiid zu
diesem zweck für das kleine gebiet von 69 Ortschaften etwa 6000 Urkunden durcli-
gegangen. Man wird also von seiner arbeit die grösste Vollständigkeit und
Sicherheit erwarten dürfen. Und das ist notwendig; denn nur die vollständigste
und bestgesicherte Induktion kann in solchem fall ein brauchbares ergebuis zeitigen.
Auf dem schwäbischen gebiete ist Kühlers arbeit - eine kleinere über den bezirk
Lindau abgerechnet — die einzige, die bis jetzt dieser anfordcruug entsprielit.
Wäre es nicht möglich, dass ihr da und dort recht viele andere nachfolgten? ¥Än
muster hätten die herren jetzt, dem sie folgen könnten, wenn sie - wie oft! —
504 fiUSINDK ÜBER UNWEKTH, «CULE.SISCIIE MUNDART
nm ein thema für ein schulprogramm oder eine dissertatiou verlegen sind; uach-
trägliche entdeckungen, dass da schon ein anderer gearbeitet habe, wie sie in der-
artigen Schriften so gewölinlich sind ('Erst während des drucks kam mir zu banden'
oder dergh), wären hier nicht zu befürchten.
TÜBIXGEX. HERMANN FISCHER.
Wolf You Unwertli, Die schlesische mundart in ihren lautverhältnissen
grammatisch und geographisch dargestellt. [Wort und brauch, volkskundliche
arbeiten namens der Schlesischen gesellschaft für Volkskunde in zwanglosen
heften herausgegeben von Theodor Siebs und Max Hippe. 3. heft.] Breslau,
M. u. H. Marcus 1908. XVI, 94 s. und 2 karten. 3,60 m.
Ein ganz vortreffliches buch, von der Breslauer philos. fak. als preisarbeit
gekrönt, das in knapper form einen reichen inhalt in übersichtlicher darstellung bietet.
Auf den vokalismuskarten des Wenkerschen Sprachatlas bietet Schlesien,
soweit es sich um deutsches Sprachgebiet handelt, ein recht buntscheckiges bild.
Dem verzwickten laufe dieser linien ist v. U. nachgegangen und gibt uun eine ge-
naue abgreuzung der einzelnen untermundarteu, die durch zwei karten veranschau-
licht wird. Der Verfasser fusst nicht etwa auf den erzeugnissen der mitunter recht
izweifelhaften 'dialekt'dichterei, sondern er ist von dorf zu dorf gegangen und hat
aus eigener scharfer beobachtung ein reiches material gesammelt, so dass er, der
Schüler Sievers', aus dem lebendigen und vollen schöpfen kann.
Von mundartengrenzen spricht v. U. mit mehr Zurückhaltung als z. b. neuer-
dings Gerbet (Gramm, d. ma. d. Vogtlandes, 1908, s. 12). Nicht einzelne, oft recht
wandelbare erscheinungen sind für eine praktische abgreuzung zugrunde zu legen,
sondern 'eine summe gemeinsam vollzogener entwicklungen'. 'Die grenze einer
mundart aber läuft dann, als feste linie, da, wo zum letzten male sämtliche sprach-
ersch einungen, deren gemeinsames auftreten man als charakteristisch für den dialekt
ansieht, sich vereinigt finden.' Als kriterien für das heutige schlesische stellt v. U.
folgende punkte auf: I. a) Zusammenfall von mlid. e, er, gedehntem i und ü,
b) znsammenfall von mhd. a und gedehntem o, c) von mhd. d und gedehntem ii.
■II. Dehnung von kurzem mhd. vokal in offener silbe und in geschlossener vor ur-
sprünglich auslautender doppelkonsonauz.. III. Kürzung von mhd. uo, üe, ie vor
inlautenden stimmlosen geräuschlauten. IV. Bewahrung von germ. p nach m und
in der gemination, während es im anlaut verschoben ist, und Verschiebung von
westgerm. d zu t, soweit hochdeutsch d und t nicht zusammengefallen sind (s. § 57).
Einzelne dieser punkte finden sich freilich auch anderwärts. So zeigen sich
z. b. die gleichen vokaliscben erscheinungen zum grossen teil auch weiter westlich,
im erzgebirgischeu und obersächsischen, la im Frankenwalde, II noch weiter, unter
anderem im oberpfälzischen, vogtländischen, hennebergischeu, z. t. im österreichischen,
im nordosten des schwäbischen. Der deutliche zusammenfall aller der angeführten
linien wird aber doch mit recht vom Verfasser als entscheidende grenze angesehen.
Den hauptteil der arbeit nimmt die lautlehre ein (kap. 2—9), in der die sich
deutlich voneinander abliebenden untermundarteu scharf auseinandergehalten werden.
V. U. bleibt auch zum glück von der Versuchung frei, in den abweichuugen stammes-
unterschiede zu wittern; er erkennt richtig, dass hier, besonders im vokalismus.
PAXZER fBEIJ LACHMANX, WALTHER VON DER VOGELWErDE 505
spätere entwickluug- aus gleichartiger grimdlage vorliegt. So hal)en im norden die ge-
dehnten kürzen neigung zur diphthongierung; in den stammundarten (ein ausdruck,
der vielleicht irreführen kann, als wäre damit ein historisches Verhältnis gegeben,
für den ich aber auch keinen besseren weiss [s. § 114]) sind sie einfache vokale.
Hier scheinen ganz ähnliche Verhältnisse zugrunde zu liegen, wie sie Wrede für
die eutstehung der nhd. diphthonge ansetzt, so dass also auch die neuen längen,
später als die alten, angefangen haben, diphthongisch zu werden (vgl. jedoch § 117).
Aus einer, den keim eines diphthongs in sich bergenden Zwischenstufe sind dann
einerseits die formen der diphthongierungsmundarten entstanden, während anderer-
seits der Süden zur eiufachen länge zurückgekehrt ist, entsprechend der mono-
phthongierung alter diphthouge im nämlichen gebiete. Dafür spricht vor allem, dass
der diphthong sich auch in Schönwald findet, einer seit der aussctzung mitten im
polnischen Sprachgebiete, also seit 640 jähren, abgeschlossenen Sprachinsel, über
die ich bald eine eingehende darstellung geben zu können hoffe. Auch in den
eng verwandten östen-eichisch-schlesischen mundarten findet sich älinliches (vgl. § 137).
Im 10. kapitel bespricht v. U. zunächst den einheitlichen Charakter des
schlesischeu, darauf gibt er eine genaue einteilung in untermundarten. Die diphthon-
gierungsmundart trennt sich in zwei gruppen im nordwesten und im Südosten. Die
'stammundarten' zerfallen in das lausitzisch-schlesische, eine etwas ungenaue bezeich-
nung, da unter ihr auch die gleichgestaltete mundart von Neisse nach norden bis Ohlau
verstanden wird, und das zwischen diesen beiden gebieten liegende gebirgsschlesische,
in dem das glätzische wieder eine Sonderstellung einnimmt. Zwischen beiden haupt-
gebieten liegt eine übergaugsmundart, die nach Firnienich als ki'äutermundart be-
zeichnet wird. — Kap. 11 bietet hauptsächlich den erläuternden text zu den beiden
guten und übersichtlichen kartenskizzeu. Karte 1 stellt die teilmundarten, karte 2
die dialektgrenzen westlich von Breslau dar. Zugrunde liegen die werte schnitte,
Stube, haus, schwein, topf, heissen, haum, kommen, die deminutivbildung und für
die grafschaft (vgl. Pautsch, Ma. von Kieslingswalde) stein, laufen, fallen, uort. —
Das letzte kapitel behandelt die nächsten verwandten des schlesischeu in der Nieder-
lausitz, der sächsischen Oberlausitz, Nordböhmen und in Österreichisch-Schlesien und
Mähren. —
Ist V. U.s arbeit eine klare und bedeutende weiterführung von Weinholds
dialektforschung, soweit es sich um die lebende nmndart handelt, so wird sie aucli
eine sehr wertvolle grundlage für eine historische darstellung des gesamten sehlesisclien
sein. Und der Sprachatlas wird füi' die von iiim ausgegangene förderung reichlich
entschädigt.
BRESLAU. KOXUAD CISINDE.
Die Gediclite Walthers von der Vogel weide. Siel)ente ausgäbe von Karl
Lachmauu. Besorgt von Carl v. Kraus. Berlin, Georg Rieimer 1907. XVIII,
229 s. 4 m.
In der neuen ausgäbe von Laelimanns Waltiier fällt sogleich eine änderung
der äusseren einrichtung vorteilhaft in die äugen: die lesarten sind aus den er-
läuternden anmerkuugen ausgelöst und zu grosser erbäehterung des benützers unter
den text gestellt.
506 liEKICHTIGUNGEN — NEUE ERSCHEINUNGEN
Am texte selbst hat der neue herausgeber keine änderungen vorgeuommen.
Mit recht: er ist historisch geworden in der gestalt, die Lachmanu ihm gegeben.
Xur einige druckfehler der letzten auflagen sind getilgt und hie und da eine kleine
besseruug naeh den handschriften eingefügt, die Lachmann wohl selbst aufgenommen
hätte, wären ihm die betreffenden lesarten bekannt gewesen. Auch den kommentar
hat V. Kraus in seiner alten oestalt unverändert belassen. Dagegen ist die be-
schreibung der hss. in der vorrede durch kleinere notizen, angaben der Signaturen,
des jetzigen aufljewahrungsorts u. dgl. ergänzt und allenthalben auf die neuere
literatur verwiesen. Seine ganze aufmerksamkeit aber hat der herausgeber dem
kritischen apparate zugewandt. Hier fand sich gar manches zu bessern und zu
ergänzen, indem v. K. sämtliche hss. (mit zwei verschwindenden ausnahmen) im
original oder ihren neueren abdrücken noch einmal verglich; die lesarten der
wichtigen Wolffenbüttler fragmente sind neu hinzugekommen. Lachmanns an-
schauungen ward auch hierbei rechnung getragen, indem die auswahl der Varianten
streng nach seinen grundsätzen erfolgte. So ist das alte buch, das 80 jähre nach
seinem ersten erscheinen immer noch jugendlich genug unter uns steht, durch die
Sorgfalt seines neuen herausgebers wieder auf lange hinaus nützlich, ja unentbehr-
lich gemacht.
FRANKFURT A. M. FRIEDRICH PANZER.
I
Berichtigungen.
Zeitschr. 41, 292 : anm. 2 ist von 'das' ab zu streichen.
41, 295 in 7d fzeile .5 von oben) lies ungefügue st. ungefüge.
41,308 zeile 12: valentinne 23084 ist hinzuzufügen.
41,314 zu h für germ. -^•-: die Schreibung ist offenbar aus dem auslaut ein-
gedrungen (vgl. unter c), wo h und ch wechseln konnten. Vgl. Zeitschr. 41, 310 ff.
(k und eil).
41,466 anm. 3: die letzte zeile ist in § 38, zeile 4 nach der klammer in den
tßxt zu setzen.
42, 62 anm. 8, letzte zeile : lies s. 61 st. s. 57.
42,89: zu 2704 A ist zu vergleichen riterVtche maget Iw. 1153.
42, 94 anin. 3, z. 2 : lies 'psychischer' st. psychologischer.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
(Die redaktion ist bemüht, für alle zur besprechung geeigneten werke aus dem gebiete der german.
Philologie sachkundige referenten zu gewinnen, ül)ernimmt jedoch keine Verpflichtung, unverlangt
eingesendete bücher zu rezensieren. Eine zurückliefe rung der r e z en s i o n s - e x e m-
plare an die herren Verleger findet unter keinen umständen statt.)
Arnold, Robert F., Allgemeine bücherkunde zur neueren deutschen literaturge-
schichte. Strassburg, Trübner 1910. XIX, 354 s. 8 in.
Babbitt, Irving, The new Laokoon. An essay on the confusion of the arts. Lon-
don, Constable & co. 1910. XIV, 295 s. geb. 5 sh.
NEUE ERSCHEINUNGEN 507
Beowulf, mit ausführlichem glossar lierausg. von Moritz Heyne. 9. auf!., bearb.
von Levin L. Schücking. Paderborn, Schöningh 1910. XII, 324 s. 5.80 m.
Bin'), Ludw. Aniau, Lautlehre der heanzischen mundart von Xeckeumarkt. Leipzig,
Seele & co. 1910. XVm, 112 s.
Bitzius, Albert. — Jeremias Gotthelf und Karl Rud. Hagenbach. Ihr briefwechsci
aus den jähren 1843-1853, hrg. von Ferd. Vetter. Basel, Lendortt' 1910.
VI, 115 s. 3 m.
Brockstedt, Cfustav, Von mittelhochdeutschen volksepen französischen Ursprungs.
Erster teil. Kiel, Cordes 1910. (IV), 162 s.
Busch, Wilhelm. - Wiuther, Fritz, Wilhelm Busch als dichter, künstler,
Psychologe und philosoph. [University of California publicatious in modern
philology II, 1.] Berkeley 1910. 79 s.
Cyprian, Juliana. — Juliana Magdalena Cyprian, geb. Jaeger, 1697—1721. eine
vergessene Gothaische dichterin. Von prof. dr. M a x Schneider. [Sonderabdr.
aus den Mitteilungen der verein, f. Goth. gescb. u. altertumsforschung , Jahr-
gang 1909/10.] 15 s.
Eugelmanu, Rene, Der vokalismus der Viandeuer mundart. Diekirch, J. Schrooll
1910. 45 s. 4".
Francis Etymologisch woordenboek der uederlandsche taal. Tweede druk door
dr. N. van Wijk. Aflevering 1: amjt — hijdrage. 's Gravenhage, 31. Xijhoff
1910. 64 s. 1,20 fl. [Erscheint in 10 lieferuugen und soll 1912 komplett sein.]
Francke, Kuno, Die kulturwerte der deutschen literatur des mittelalters. [A. u. d. t. :
Die kulturwerte der deutschen literatur in ihrer geschichtl. entwicklung. L]
Berlin, Weidmann 1910. XIV, 293 s. geb. 6 m.
Fries, Albert, Aus meiner stilistischen studienmappe. I. Heinrich von Treitschkes
Stil. n. Richard AV agners stil in vers und prosa. Jlit einer beilage: An-
merkungen zu den von Billeter veröffentlichten proben aus 'Wilhelm Meisters
theatralischer senduug'. Berlin, Borussia 1910. (IV), 92 s. 1,50 m.
Fryklund, Daniel, Vergleichende studieu über deutsche ausdrücke mit der be-
deutung musikinstrument. Uppsala, Almqvist & Wiksells boktryckeri 1910. 38 s.
Goethe. — Goethes erste Weimarer gedichtsammlung mit Varianten herausg. von
Alb. Leitzmaun. [Kleine texte für theol. u. philol. Vorlesungen u. Übungen
hrg. von H. Lietzmann. 63.] Bonn, A. Marcus u. M. Weber 1910. 35 s. 0,80 m.
— Rueff, Hans, Zur entstehungsgeschichte von Goethes 'Torquato Tasso'. [Beitr.
zur deutschen lit. wissensch. hrg. von E.Elster. 18.] Marburg, Ehvert 1910.
(VI), 73 s. 1,60 m.
— Trauer, Ed., Adorf, Elster und Goethes Hermann und Dorothea, zugleich mit
bezug auf dr. Kullmers schrift: Tössneck'. [Sonderabdruck aus der 21.jalires-
schrift des altertumsvereins zu Plauen i. V.] Plauen i. V., Rudolf Neupert 1910.
(II), 32 s. u. 2 plane.
(»rillparzers werke, im auftrage der reichshaupt- und residenzstadt Wien hrg. von
August Sauer. 1. band: Die ahnfrau. Sappho. Wien und Leipzig, Gerlach
& Wiedling 1909. OXH, 481 s.
~ de Walsh, Faust Cliarles, Grillparzer as a poct of nature. Xew York,
The Columbia university press 1910. XVII, 95 s. 1 doli.
Hebbel. — Fr. Hebbels Genoveva. Eine monographie von Rieh. Meszlcny.
[Hebbel-forschungen hrg. von R. M. W ö r n e r u. W. B 1 o c h - W u n s c h m a n n.
IV.] Berlin-Zehlendorf, B. Behr 1910. (JY), 175 s. 3 ni.
■508 NEUE ERSCHEINUNGEN
Hosscliiiami, Bcug-t, De korta vokalerna / och y i Sveuskan. Undersökningar i
iiordisk Ijudhistoria. [Uppsala uuiv. ärsskrift; filos., sprakvetensk. och hist. veteii-
skaper. 1909. 5.] Uppsala, Lundström 1910. XX, 250 s. u. 1 karte. 5,25 kr.
Kleiiipaul, Riid. , Länder- und vulkernamen. Leipzig, Göschen 1910. 139 s.
geh. 0,80 m.
Küussberg, Eberhard Frhr. Vv Aclit. .Eine studie zur älteren deutschen rechts-
sprache. Weimar, Böhlau 1910. Vin, 67 s. 1,80 m.
Martin von Cocliem 1634—1712. Sein lehen und seine Schriften nach den quellen
dargestellt von Joh. Chris est. Schulte, 0. M. Cap. Freiburg i. B., Herder
1910. XV, 207 s. 3 ra.
Mondwahrsagebuch, Ein. Zwei altdeutsche handschrifteu des 14. und 15. Jahr-
hunderts hrg. von Robert Vi an. Halle, Niemeyer 1910. (VIII), 127 s.
Platen. — Schlösser, Rudolf, August Graf v. Platen. Ein bild seines geistigen
entwicklungsganges und seines dichterischen Schaffens. Erster band 1796—1826.
München, R. Piper 1910. XXIX, 765 s.
Porzeziüski, Victor, Einleitung in die Sprachwissenschaft. Autorisierte Übersetzung
aus dem russischen von Erich Boehme. Leipzig u. Berlin, Teubner 1910.
(IV), 229 s. 3 m.
{Schrifttafeln, Deutsche, des 9. bis 16. Jahrhunderts, aus handschrifteu der K. hof-
und Staatsbibliothek in München hrg. von Erich Petzet u. Otto Glauni iig.
I. abteilung. Althochdeutsche Schriftdenkmäler des 9. bis 11. Jahrhunderts.
München, Carl Kuhn 1910. 33 s. u. 15 taff. fol. 6 m.
Schröder, Heinr., Ablautstudien. [German. bibliothek hrg. von W. Streitberg.
II. 1, 2.] Heidelberg, Winter 1910. XII, 108 s. 3 m.
8ecundus. — Hilka, Alfous, Das leben und die Sentenzen des philosophen
Secundus des schweigsamen in der altfranzösischen literatur nebst kritischer
ausgäbe der lat. Übersetzung des Willelmus medicus , abtes von St. Denis.
[Sonderabdruck aus dem 88. Jahresbericht der Schles. gesellscb. für vaterländ.
kultur.] Breslau 1910. 42 s.
Sijmous, Barend, Heldensage en sprookje. Overdruk uit de Verslagen en mede-
deelingen der Kouiuglijke vlaamsche academie. Gent 1910. 22 s.
Singer, S., Mittelalter und renaissance. Die Wiedergeburt des epos und die ent-
stehung des neueren romans. Zwei akademische vortrage. [Sprache u. dichtung.
Forschungen zur linguistik u. lit. wissensch. hrg. von Harry Maync und
S. Singer. H.] Tübmgea, Mohr 1910. VIH, 56 s. 1,80 m.
Skaldenpoesie. — Den norsk-islandske skjaldedigtning udgiven af kommissionen
for det Arnamagnpeanske legat ved Finnur Jönsson. A. Text efter hand-
skrifterne. B. Rettet text med tolkuing. Kobenhavn og Kristiania, Gyldendal
1910. s. 185-416 u. s. 177-416. 5 kr.
Tirol und Fridebrant. — Die altdeutschen fragmente von könig Tirol und Fride-
brant, eine Untersuchung von Harry Maync. [Sprache u. dichtung . . . hrg.
von H. Maync und S. Singer. L] Tübingen, Mohr 1910. VIIL 109 s. u.
4 taff. 4 m. •'"
Young. — Edw. Youngs gedankeu über die originalwerke in einem schreil)en an
Sam. Richardson, übers, von H. E. v. Teubern, hrg. von Kurt Jahn. [Kleine
texte für theol. u. philol. Vorlesungen und Übungen hrg. von H. Lietzmann.
60.] Bonn, A. Marcus u. E. Weber 1910. 46 s. 1,20 m.
I. SACHREGISTER
509^
I. SACHREGISTER
ablaut s. 374 fg.
Agricola, Johannes : quelle für Hans Sachs
s. 428. 433 fg.
Albrecht von Halberstadt, Metamorphosen-
verdeutschung : Verhältnis zu Wickrams
bearbeitung s. 453, Charakter der Ver-
deutschung Albrechts s. 454, Verhält-
nis zur mhd. epik und lyrik s. 454,
Albrecht und Herbort v. Fritzlar s. 455,
auslassungen Albrechts s. 456 fg.
altenglisch: spätwestsächsische evangelieu
s. 380, Älfric s. 380; vgl. runenkunde.
altertumskunde ; grabhügel und königs-
hügel in nordischer heidenzeit s. 1 fg.,
Steinsetzung mit opferstein s. 3, opfer-
hügel und grabhügel s. 4, hochsitz des
königs* auf grabhügeln s. 8, aufenthalt
auf dem öialshaugr als heidensitte
s. 10, schwedische königswahl s. 11,
Morastein s. 11, Saxo und der Mora-
stein s. 12, königshügel und thing-
stätte s. 13 fg. ; altisländische Verwandt-
schaftsverhältnisse s. 419 fg.
althochdeutsch: Wortstellung im haupt-
satz s. 109, im nebensatz s. 110; ahd.
ärunti : geschichte der forschung s. 397,
kirchliche fachausdrücke germanischen
Charakters s. 399, ahd. ärunti ein ags.
lehnwort s. 400, geistliche bedeutung
des Worts im as. ahd. und mhd. s. 400 fg.
vgl. metrik.
Amadisromane ; geschichte des Stoffes
s. 470, Würdigung des romans s. 471,
technik und auffassung s. 472, fort-
setzungen s. 472 fg. , Wanderung des
romans nach Deutschland s. 475, Ver-
deutschung der Amadisromane s. 477,
Fischart als Übersetzer des 6. buches
s. 477 fg.
Aristophaues : sein einfluss auf die deutsche
komüdie s. 491 fg.
Batteux, Charles : seine nachahmungs-
theorie in Deutschland s. 487,
braut und gemahl : die kirchliche trau-
untr eine Wiederholung der Verlobung
s. 129, 'gemahlin' für die getraute ehe-
frau s. 130, die Braunische these
'braut' = uxor quae concumbit cum
viro s. 131, vier akte einer legitimen
deutschen verlobungimmittelalters. 134,
Verlobungszeremonien nach Neocorus
s. 135, handgelübnis und eidschwur in
mhd. quellen s. 136, aufnähme des
verlobten (eidam) in die sippe des mäd-
chens s. 137, braut das suppletive
feminimum zu eidam s. 138, mittel-
alterliche Verlobung im gegensatz zum
älteren deutschen verlobungsrecht 8.140^
Zeremonien der heimführung s. 141 fg.,
adoption der braut s. 143 fg., einfüh-
rungszeremonien s. 144 fg., sprachliche
benennungen für die bestandteile der
heimführungszeremonie s. 151 fg., zur
etymologie von 'braut' s. 446 fg.
Brennu-Njälssaga: hss. s. 368, entste-
hungsgeschichte s. 368 fg.
Ebernand von Erfm-t, leben und wirken
s. 361.
Egilssaga : die Hildiriöfrage s. 255, Wider-
sprüche zwischen Egils authentischen
gedichten und der saga s. 256, Wahr-
heit und dichtuug in der Egilssaga
s. 256.
Faust 8. Goethe.
Feyerabend s. 475 fg. ; vgl. Amadisromane»
Fischart, vei'hältnis zu Moscherosch vgl.
diesen ; als Übersetzer des Amadis vgl.
Amadisromane.
flurnamen des alpinen Hier-, Lech- und
Sannengebietes s. 503 fg.
Folz, Hans vgl. Sachs, Hans.
Goethe: Goethe über seine drauuitisclien
dichtuugen s. 124 fg., plan einer 'Ruth'
s. 125 , epilog zu Schillers glocke
s. 125, zum 'Faust' s. 333 fg., zum
'Egmont' s. 493 fg.; Charlotte v. Stein
s. 494 f.
gotische bibcl: text und vorläge s. 366 fg.
510
I. SACHREGISTKK
Hartmann von Aue als vorbild Heinrichs
von dem Turlin s. 161.
haupt- und Staatsaktionen s. 485 fg., die
stücke des Wiener lianswursts Joseph
Antoni Stranitzkj' s. 486.
Heinrich von dem Turlin: die 'Krone'
und ihr dichter s. 154 fg., Überlieferung
und abfassungszeit s. 155. 166, heimat
und geschlecht des dichters s. 156 fg.,
Persönlichkeit s. 160, Vorbilder s. 161,
sprachform der 'Krone' s. 162 fg.,
287 fg., doppelformen s. 316 fg., Wort-
schatz s. 322 fg., der schreiberanhaug
s. 329 fg.
Herbort v. Fritzlar, Verhältnis von Albrecht
von Halberstadt vgl. diesen.
Hermann v. Fritzlar, Heiligenleben s. 257.
hiatus vgl. synaloephe.
hochzeitgebräuche vgl. braut und gemahl.
höfische uud unhöfische Wörter in der
Nib.hs. A s. 73 fg.
indogermanisch, Verhältnis zum semiti-
schen s. 120 fg.
Jean Paul, ästhetik s. 496 fg.
kärntisch vgl. mundartenforschug.
kindersprache s. 499 fg.
Kleist, Heinrich v., bildlicher ausdruck in
seinen werken s. 498.
legende vgl. Thomaslegende.
Lohengrin s. 129.
Luther, spräche s. 251 fg.
metrik: althociuleutsche reimgedichte
s. 364 fg.
m//e-spiel s. 326 a.
jninnesang: der altdeutsche minnesang
im Zeitalter der deutschen klassiker
und romantiker s. 361 fg. ; vgl. nieder-
ländisch.
Morasteiu s. 11 fg.
Moscherosch : deutsche Vorbilder und
quellen seiner 'Gesichte' s. 345 fg., be-
ziehungen zu Strassburg s. 346, Fiscliart
und Moscherosch s. 348 fg.
mundartenforschung : Nürnberger mund-
art s. 126, kärntisch mit bozug auf die
spräche der 'Krone' s. 187 — 816 in den
anmerkungen, Wortschatz des heutigen
kärntisch mit bezug auf die 'Krone'
s. 322 fg., schlesisch s. 117 fg. 504 fg.
Mundt, Theodor s. '254.
nameuforschung s. 116fg. ; vgl. fluruameu.
Neidharts schule s. 357.
neuhochdeutsch : Schriftdialekte s. 251 fg..
das suffix-c/ic« s. 252 fg.
Nibelungenhs. A, textkritik: das Verhält-
nis der Schreiber zu dem strophen-
bestaude der vorläge s. 61 fg., ab-
schwäcluing der dienerrolle Siegfrieds
s. 08 fg., beseitigungoder abSchwächung
spielmäunischer demente s. 70 fg. 74,
beseitlgung oder abschwächuug un-
höfischer Wendungen s. 73 fg., Stellung
der Schreiber zum text der vorläge
s. 75 fg., zur frage des Stilkriteriums
s. 77, epische formein s. 78 fg.
niederdeutsch vgl. rechtsquelleu.
niederläudisch : eutwicklungsgaug der nl.
literatur s. 463, die Haager liederlis.
s. 464, beziehungen zwischen hd. uud
ul. s. 464 fg., andere ul. liederhss.
s. 466.
uordisch : altnordisch v s. 233 fg. ; ntesta
broeöra, annarra broeöra, })ridja broeöra
8. 417 fg. ; altwestnordische lehnwörter
s. 448 fg. ; vgl. runenkunde.
Otfrid vgl. synaloephe.
Österreicher, Ambrosius, scliwerdttauz-
gedicht: vita s. 98 fg., topographisches
aus Nürnberg s. 99 fg., vom titel 'alter
herr' s. 102, Zusammensetzung des
Nürnberger rates s. 103, luildigung
vor den ratsherren durch den schwert-
tanz s. 104, schwerttauz s. 106 fg.
Passional s. 257.
Probst, Peter, dramatische werke s. 483 fg.
rechtsquellen, die nd. rq. aus Ostfries-
land 8. 119.
romautik vgl. minnesang und Shakespeare.
I. SACHREGISTER
511
runenkunde:
I. nordische runendkm. : denksteine
s. 236, äussere gestalt der iu-
schriften s. 237, spraclio 8, 238,
altnordische personennamen s. 238,
Inhalt der Inschriften s. 239, verse
in runeninschriften s. 239, die In-
schrift von Sonder-Vinge s. 240,
frauen in runeninschriften s. 240;
bildliche darstellungen und figuren
s. 241, der Karlevi-stein auf Öland
s. 241, fremde runendenkmäler auf
dänischem hoden s. 242 fg., alter
der runeninschriften s. 244, geo-
graphische Verbreitung s. 244,
Ärhustenen Y und andere neu
entdeckte runensteine s. 245, lexi-
kalisches S.246, der Bornholinische
stein von Vester Marie VI s. 247,
ein norwegisches schabemesser aus
dem 4. jh. s. 248, norwegisches
webetäfelchen s. 248 , ein neues
dkm. mit dem gemeingermanischen
ruuenfujjark s. 249, die inschrift
des Wetzsteines von Strom auf
Hitteren (urnord.) s. 885 fg.
11. die altfriesische inschrift vom Aru-
mer schwertchen s. 393 fg.
III. altenglische runeninschriften: die
beinlamelle des Brit. museums
s. 331, die inschrift des Brauu-
sclnveiger reliquars s. 332 fg. ; vgl.
Wielandsage.
Sachs, Hans : 'der marschalk mit seinem
söhn', (juellen s. 428, ein meisterlied
des Hans Folz als quelle s. 429, Ver-
hältnis zum 'ritter von Thurn' des
Chevalier de La Tour Landry s. 431 fg.
443 fg., Johannes Agricola als quelle
für Hans Sachs s. 433 fg. 443 fg., Hans
Sachs hat nur das meisterlied des Hans
Folz benutzt s. 434 fg., der Esopus des
Burkhard Waldis als quelle für Hans
Sachs s. 437 fg. ; zum 'Henno' s. 344 fg.
Saxo (Ti-ammaticus s. 12 fg.
achlesisch s. 117 fg., 504 fg.
scbwerttanz vgl. Österreicher.
Shakespeare im lichte der romantik
s. 601 fg.
spielmäunisches in der Nib.hs. A; vgl.
Nibelungenhs. A.
Sprachpsychologie s. 122 fg.
St. Georgener prediger s. 356.
Stein, Charlotte v., s. 494 fg.
Stieler, Caspar, als dichter der Gehar-
nischten Venus s, 447 fg.
Stilistik: das zweigliedrige wortasyndeton
in der älteren deutscheu spräche
s. 358 fg., zwei- und dreigliedrigkeit
in der deutschen prosa des 14. und
15. jh. s. 488 fg., übersiclit einer histo-
rischen Stilistik s. 489, theorie der
drei stilarten s. 489 fg., rhythmische
Satzschlüsse s. 480.
Stranitzky vgl. haupt- und Staatsaktionen.
synaloeplie bei Otfrid: sprechformen der
Partikeln s. 15 fg., die pronomina
s. 18 fg., 189 fg., Übersicht der regeln
für hiat und synaloeplie s. 231 fg.,
die vorrede an Liutbert s. 407 fg.,
prinzipielle einschätzung der syna-
loephen bei Otfrid s. 411 fg.
Syntax: die vorsilbe ver- und ihre ge-
schichte s. 362 fg., Substantivierung
des Infinitivs s. 376 fg.
Teilsage vgl. Wielandsage.
Thomaslegende s. 257 fg.
totentanzproblem : hypotheseu vom Ur-
sprung der totensänze s. 261, verliält-
nis der ältesten fassungcn s. 263, der
frz. text s. 264, der personifizierte tod
oder die toten selbst im totentanz
s. 266 fg., Verwandtschaft und innere
Verschiedenheit des frz., span. und ud.
textes s. 269 fg., Charakter des quell-
textes s. 272 fg., der lat. totentanz als
quelle aller totentänze s. 274, text und
geschichte des Vado mori s. 276 fg.,
427 f. , herkunft des totentanzmotivs
s. 281, totentauzbilder s. 281 fg., ent-
wicklungsgang der totentänze s. 285 fg.
Ulrich von Zatzikuven: der 'Lanzelet'
512 II. VEKZKICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN — III. WORTREGISTER
als Vorbild für Heinrich von dem Tur-
lin s. 162.
Vado mori : Versionen s. 276 f., 422 fg., vgl.
totontanzproblem.
versprechen, seine bcdcutung- im spracli-
leben s. 500 ig.
Volkslied des 15./16. jahrh. : formelhafte
elemente s. 468, epische formelu s. 468,
lyrische formein s. 469, liedeingänge
s. 469, gerippformeln, stropheneingänge
s. 469, liedkomposition s. 470.
Waldis, Burkhard: quelle für Hans Sachs
s. 437 fg.
Wielaudsage s. 113 fg., der hogeuschütze
des ags. runenkästchens s. 113 a. 2, zu-
sammenliang mit der Tellsage s. 114.
Wirnt von Gravenberc als Vorbild für
Heinrich von dem Turlin s. 161.
Wolfram von Eschenbach : vorbild Hein-
richs von dem Turlin s. 161, die gral-
sage bei Wolfram s. 461.
IL VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.
got. bibel Math. 10, 35 s. 151.
Gudrun str. 665, 1043, 1245 s
Nib.lied str. 1681 s. 136.
136.
Passional (ed. Köpke s. 119, 6 ff.) s. 140 a. 3.
Tristan des Heinrich von Freiberg v.
496 fg. s. 137.
IIL WORTREGISTER.
Althochdeutsch.
ärunti s. 3ü7 fg.
mahal s. 138 fg.
Mittelhochdeutsch.
brütleite s. 141.
brütmuos s. 151.
emde s. 397 fg.
mile s. 326 u. a.
Neuhochdeutsch.
braut s. 129 fg.
eidam s. 137.
gemahl s. 129 fg.
göckelmann s. 107.
-ichin s. 252.
tussecke s. 108.
waidner s. 107.
Augelsächsisch.
brj'dealu s. 151.
Altnordisch.
haugr s. 2 fg.
hefja til konungs s. 9 a.
hgrgr s. 3 fg.
min[)ak s. 450.
siukr s. 451.
syll, sylla s. 451.
Lateinisch.
bruta s. 152.
Druck von W. Kohlhammer, Stuttgart.
X
PF
3003
Z35
Bd. 42
Zeitschrift für deutsche
Philologie
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